Die Trauernde: Weibliche Grabplastik Und Burgerliche Trauer Um 1900 (German Edition) [Aufl. ed.] 9783412210281, 3412210285


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Die Trauernde: Weibliche Grabplastik Und Burgerliche Trauer Um 1900 (German Edition) [Aufl. ed.]
 9783412210281, 3412210285

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Anna-Maria Götz

Die Trauernde Weibliche Grabplastik und bürgerliche Trauer um 1900

2013 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein, der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, der Humatia Stiftung für Sepulkralkultur (Kuratorium Deutsche Bestattungskultur e.V.) sowie der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung

Anna-Maria Götz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg, Mitglied im Beirat der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal (Kassel), im Forschungsverbund zur Kulturgeschichte Hamburgs sowie Mitinitiatorin des Wissenschaftsnetzwerks transmortale.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Grabfigur nach einem Entwurf von Alfred Neri, Katalogseite der WMF (1919); mit freundlicher Genehmigung der WMF und des Wirtschaftsarchivs Baden-Württemberg (Sign. WMF-S2/872)

© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Kornelia Trinkaus, Meerbusch Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-21028-1

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Inhalt Danksagung............................................................................................................................................7 1 Einleitung.............................................................................................................................................9 1.1 These und Forschungsgegenstand.........................................................................................10 1.2 Zugänge und Methoden ........................................................................................................18 1.3 Disziplinen und Forschungsstand ........................................................................................21 2 Europäische Friedhöfe.....................................................................................................................25 2.1 Hauptfriedhof Ohlsdorf, Hamburg......................................................................................27 2.2 Cimetière du Père Lachaise, Paris.........................................................................................49 2.3 Zentralfriedhof Wien..............................................................................................................57 2.4 Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin....................................................................................69 2.5 Friedhöfe München.................................................................................................................80 2.6 Städtischer Friedhof Sihlfeld, Zürich-Wiedikon................................................................89 2.7 Cimitero di Staglieno, Genua................................................................................................96 2.8 Städtischer Waldfriedhof Traunstein.................................................................................109 2.9 Fazit..........................................................................................................................................116 3 Ikonographische Bilderreihe......................................................................................................... 119 3.1 (K)eine Typologie.................................................................................................................. 119 3.2 Ikonographische Bilderreihe:..............................................................................................124 Männliche Todesgenien – ästhetisierte Grabmalkultur – weibliche Todesgenien Weibliche Todesgenien – Flügelfiguren – Siegesgöttinnen (Nike/Victoria) Siegesgöttinnen (Nike/Victoria) – christliche Engel – weibliche Engel Weibliche Engel – Schutzengel – Auferstehungsengel Auferstehungsengel – Verkündigungsengel – empathische Engel Empathische Engel – Mutterbilder – Mutter Natur Mutter Natur – Mutter Erde – die trauernde Mutter Die trauernde Mutter – Maria – Pietà Pietà – Marienvarianten – Marienkulisse Marienkulisse – ›Trauernde‹ – Mansuetudo/Temperantia Mansuetudo/Temperantia – (un)bezwungene Trauer – Bildsymbiosen der Empfindsamkeit Bildsymbiosen der Empfindsamkeit – Pathosformeln – Versatzstücke Versatzstücke – Vieldeutigkeit – Amalgame

3.3 Fazit..........................................................................................................................................203 4 Mentalitätshistorisches Panorama...............................................................................................207 4.1 Auftragssituation...................................................................................................................210 4.2 Akteure und Akteurinnen................................................................................................... 215 4.3 Das Grabmal für die Öffentlichkeit....................................................................................218 4.3.1 Grabinszenierung vor öffentlichem Publikum..................................................................... 219 4.3.2 Aufbahrung und Verabschiedung vor öffentlichem Publikum......................................... 221 4.3.3 Der Flaneur – Der Blick des öffentlichen Publikums.......................................................... 225 4.3.4 Denkmalkult und öffentlicher Inszenierungsraum............................................................. 227 4.3.5 Das bürgerliche Grab-Denkmal.............................................................................................. 231

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4.4 Das Grabmal für die Verstorbenen.....................................................................................232 4.4.1 Denkmäler für männliche Protagonisten – Grabmäler für das männliche Familienoberhaupt.................................................................................................................... 232 4.4.2 Grabdenkmäler für Frauen...................................................................................................... 237 4.4.3 Grabdenkmäler für Familienmitglieder................................................................................243 4.4.4 Männliche ›Trauernde‹ ............................................................................................................248 4.4.5 Bürgerliche Geschlechterdiskurse.......................................................................................... 250

4.5 Grabplastiken für die Hinterbliebenen..............................................................................256 4.5.1 Verkörperung idealisierter Trauer.......................................................................................... 256 4.5.2 Witwen......................................................................................................................................... 259 4.5.3 Trauer und Ritual....................................................................................................................... 261 4.5.4 Trauer und Gefühl.....................................................................................................................264 4.5.5 Trauer und Geschlecht..............................................................................................................266 4.5.6 Trauer, Empathie und Trost.....................................................................................................268

4.6 Versteinerte Trauer – Versteinerter Habitus.....................................................................271 4.6.1 Kunst............................................................................................................................................ 274 4.6.2 Material....................................................................................................................................... 278 4.6.3 Soziale Distinktion....................................................................................................................296

4.7 Projektionen des Diesseits....................................................................................................298 4.7.1 Glaubensgemeinschaft, Leid und Bekennntiskultur............................................................299 4.7.2 Eros und Thanatos.....................................................................................................................306 4.7.3 Diesseits, Sterblichkeit und Jenseits........................................................................................ 321

4.8 Fazit......................................................................................................................................... 331 5 Schluss.............................................................................................................................................. 333 5.1 Schlagbilder............................................................................................................................ 333 5.2 Rückblick und Ausblick........................................................................................................ 335 5.3 Die Wiederbelebung der ›Trauernden‹...............................................................................338 Anmerkungen....................................................................................................................................341 Siglenverzeichnis................................................................................................................................383 Quellen- und Literaturverzeichnis..................................................................................................384

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Danksagung „Der Tod ist bilderfreundlich. […] Wenn wir alle diese Bilder – seien es nun heutige Reproduk­ tionen sichtbarer Überreste der Grabstätten oder ikonische Schöpfungen der Zeitgenossen selbst (Gemälde, Reliefs usw.) – in einer imaginären Montage aneinanderreihen, so ergäben sie den kontinuierlichen Film der historischen Kulturen.“ Philippe Ariès 1984, S. 7

Die vorliegende Untersuchung wurde als Dissertation unter dem Titel „Projektionen des Diesseits – Das Phänomen der weiblichen Grabplastik in Hamburg-Ohlsdorf und Europa um 1900“ an der Universität Hamburg im Mai 2011 eingereicht und im Juli 2011 verteidigt. Dokumente rund um das Thema Tod werden je nach Land, Kommune und Institution ganz unterschiedlich (oder gar nicht) inventarisiert, so dass Geduld und Wissen von Eingeweihten unerlässlich sind. Einen wesentlichen Anteil am Gelingen des Projekts hatten all die Mitarbeiter in Archiven, Bibliotheken und Vereinen, die meine Recherchen so engagiert unterstützt haben. Eine nicht weniger wesentliche Rolle für den gelungenen Abschluss des Projekts spielte mein Betreuer im Böhlau-Verlag, Johannes van Ooyen. Zusammen mit Kornelia Trinkaus im Lektorat, Sandra Hartmann in der Herstellung und Sören Havemester bei der Unterstützung im Layout ließ sich die notwendige Text-Bildkopplung der Dissertation auch in Buchform umsetzen, in der sie nun vorliegt. Die Publikation der Untersuchung wäre ohne die finanzielle Unterstützung mehrerer Stiftungen nicht realisierbar gewesen. Die Veröffentlichung wurde ermöglicht durch Druckkostenzuschüsse der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften (Ingelheim am Rhein), der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung (Hamburg), der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung (Hamburg) sowie der Humatia Stiftung für Sepulkralkultur mit dem Kuratorium Deutsche Bestattungskultur e. V. (Düsseldorf). Mein Dank gilt jeder dieser Einrichtungen für die Offenheit gegenüber dem Thema und für das Vertrauen in das Layout. Besonderer Dank gilt meinen beiden Betreuern und Gutachtern, Prof. Dr. Norbert Fischer und Prof. Dr. Franklin Kopitzsch, die mich in den großen Fragen und den kleinen Fragen auf die wünschenswerteste Weise durch die Promotion begleitet haben.

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1 Einleitung Treten wir auf dem Friedhof vor ein Grabmal, stellt sich die Frage, wem das Grab gilt. Den Verstorbenen? Den Hinterbliebenen? Oder auch einem anonymen Publikum im öffentlichen Raum des Friedhofs? All diese Positionen bringen ihre unterschiedlichen Perspektiven auf das Grabmal mit sich und damit auch unterschiedliche Bedeutungs- und Rezeptionsvarianten. Bei der Analyse his­torischer Grabmäler bietet die Rekonstruktion eben dieser Positionen die Möglichkeit, die spezi­fischen Perspektiven und Bedeutungen zu entschlüsseln und somit besonders vielschichtige Einblicke in die Geschichte zu gewinnen. Im Zeitraum der 1870er bis 1910er Jahre kam es in weiten Teilen Europas zu einem besonderen Phänomen: Als sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die Bestattung im eigenen Familiengrab etablierte, begann das vermögende und aufstrebende Bürgertum, repräsentative, teils monumentale Grabanlagen zu installieren. Wesentlicher Bestandteil dieser Inszenierungen war die Ausstattung des Grabes mit weiblichen Grabplastiken, die sich weitgehend unter einem Motiv zusammen­fassen lassen: dem Motiv der ›­Trauernden‹. Sie sind lebensgroß, gebeugt, kniend, auf Urnen gestützt, an Säulen gelehnt, an Inschriften verharrend; sie wirken schmerz­ erfüllt, schicksalsergeben, sinnend und sinnlich; sie verkörpern die Trauer (Abb. 1, Abb. 2, Abb. 3). Meist erinnern diese Plastiken an christliche Marienfiguren, Engel, mythologische Göttinnen, Allegorien, oder profane Weiblichkeitsbilder wie die Mutter Natur oder die aufopfernde Liebe. In den seltensten Fällen zeigen sie die Ehefrau, Tochter, Mutter oder Geliebte der Verstorbenen, sondern ein meist stereotypes Weiblichkeitsideal. Hergestellt aus dauerhaften Materialien wie Marmor, Bronze oder als Galvaniken sollten sie der Vergänglichkeit trotzen, so dass sie zu einem großen Teil bis heute erhalten geblieben sind. Wie sich zeigen wird, schlugen sich die zeitgenössischen Gefühlswelten und Geschlechterideale

Abb. 1: Grabstätte Uhlmann (1906), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 2: ›Trauernde‹ von Alfred Neri (WMF, vermutl. 1919) im Museum für Sepulkralkultur, Kassel Abb. 3: ›Trauernde‹, Heinrich Pohlmann, historische Photo­ graphie eines Grabmodells (WMF, vermutl. 1907)

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auf diesen Figuren derart nieder, dass die ›Trauernden‹ um 1900 zum Schlagbild der bürgerlichen Erinnerungskultur avancierten. Die ›Trauernden‹ stellten auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg – dem größten Parkfriedhof Europas – das häufigste Motiv unter dem figürlichen Grabschmuck dar und wurden vom hanseatischen Bürgertum in der ästhetisierten Parklandschaft spannungsreich in Szene gesetzt. Allerdings handelt es sich bei der weiblichen Grabplastik nicht um eine rein hamburgi­sche Erscheinung, sondern um ein europäisches Phänomen, da die ›Trauernden‹ auf zahlrei­chen europäischen Friedhöfen zu finden waren. Die Frage nach einem Phänomen – dem phainomenon, dem sich Zeigenden – evoziert eine Reihe von Fragen: Unter welchen Bedingungen zeigt sich ein Phänomen? Was zeigt es? Wer ist daran beteiligt? Welchen Sinn und Zweck erfüllt es? Konkret an das Phänomen der weiblichen Grabplasti­ken lässt sich ein Fragenkatalog knüpfen, wie und durch wen die Figuren entstanden, welche Voraussetzungen die Friedhofsverwaltungen und die regionalen Bestattungskulturen boten, wie sie präsentiert und verbreitet wurden, und auf welche Weise sie für die Verstorbenen, Hinterbliebenen oder ein öffentliches Publikum wirksam wurden. Es ist offensichtlich, dass in dieser Form des Grabschmucks ein gewisser Mehrwert verborgen lag, der über den bloßen Materialwert hinausgegangen sein musste. So lässt sich der Fragenkatalog auf eine banal wirkende Frage zu­spitzen: Weshalb schmückten insbesondere Männer bürgerlicher Familien ihre Grabstätten mit einer weiblichen Plastik, die keine konkrete Frau darstellte, sondern ein rein idealisiertes Bild von Weiblichkeit?

1.1 These und Forschungsgegenstand Die Inszenierungen der ›Trauernden‹ wecken ambivalente Assoziationen zwischen Sanft­heit und scheinbar unverwüstlicher Materie, Abschied und Neubeginn, Eros und Thanatos, tröstlicher Stärke und anhaltender Wehmut. Auf den weiblichen Grabplastiken verdichteten sich Bilder der Trauer und der Einstellungen zur irdischen Endlichkeit, wobei der Begriff Bild bzw. Bilder in der deutschen Sprache eine gewisse Unschärfe mit sich bringt. In ihm bündeln sich unter anderem die Bedeutungen von „pictura“ und „imago“, also von visuellen, materi­ellen Bildern und Vorstellungsbildern, die z. B. im Englischen durch „picture“ und „image“ begrifflich klarer getrennt sind.1 In den ›Trauernden‹ kumulieren sowohl visuelle, materielle Bilder als auch zeitgenössische Vorstellungsbilder. Innerhalb der visuellen Kultur können sich Schlagbilder entwickeln, die im Sinne von Schlagworten „eine ubiquitäre, ganz auf Wirkung verlegte, ein­drückliche Darstellung“2 markieren. Meine These zur vorliegenden Untersuchung ist demzufolge,

Einleitung

dass die ›Trauernde‹ als Schlagbild der bürgerlichen Grabmal- und Trauerkultur um 1900 fungierte. Da Schlagbilder häufig in Phasen soziokultureller Brüche, Transformationen und Ver­unsicherungen entstehen, lässt sich die These dahingehend erweitern, dass das Phänomen der weiblichen Grabplastik Indizien auf tiefgreifende (Um-)Brüche im Umgang mit dem Tod und der Trauer im 19. Jahrhundert gibt. Die ›Trauernden‹ markierten offensichtlich das Grab bzw. die Verstorbenen als erinnerungswürdig. Dies lässt einen Wandel von einer religiös motivier­ten Trauerkultur, die um das Seelenheil der Toten im Jenseits bemüht war, zu einer bürgerli­chen Gedenkkultur vermuten, die ihre Sinnstiftung im Erinnerungskult um das individuelle Lebenswerk fand. Die Perspektive der Hinterbliebenen rückte vom Jenseits ins Diesseits und machte die weiblichen Grabplastiken zu Projektionsflächen von Ängsten, Sehnsüchten und Hoffnungen rund um den Abschied und die eigene Sterblichkeit.3 Der französische Sozialhistoriker Philippe Ariès charakterisierte das 19. Jahrhundert als eine Phase, in welcher der Tod von den Lebenden weniger als Übergang oder gar Erlösung bewer­tet wurde, sondern als Endlichkeit. Unter der Formel „Tod des anderen“4 konstatierte er für das bürgerliche Zeitalter eine Trauerkultur, in der tiefe emotionale Bindungen zwischen den Menschen bestanden hatten, die der Tod durchtrennte. Die Angst vor dem eigenen Tod wich nun der Angst vor dem Tod des anderen, geliebten Menschen. Ariès’ „Bilder zur Geschichte des Todes“5 belegen, dass in der Grabmalkultur des 19. Jahrhunderts nach neuen Ausdrücken und Formen gesucht wurde, um das Andenken an die Verstorbenen zu ästhetisieren und damit die tiefe emotionale Bindung zu Lebzeiten zu demonstrieren. Es wird zu zeigen sein, ob und inwiefern die weiblichen Grabplastiken als eine Art Klammer zwischen den Verstorbenen und den Hinterbliebenen fungierten, um die Verbindung über den Tod hinaus auf ästhetisch emotionalisierte Weise zu erhalten. Da Bilder zeitgenössischen Diskursen entspringen, lassen sich aus Artefakten zum Thema Tod oder Trauer die zeitspe­zifischen Normen, Denksysteme und Gefühlsartikulationen der Lebenden herleiten. „Die Geschichte des Todes erweist sich damit als Kulturgenerator“6, bekräftigte die Historikerin Isabel Richter die Rückkopplung des Forschungsthemas Tod an die zeitspezifischen Diskurse, Phantasien und Praktiken, die sie in ihrer 2010 veröffentlichten Studie zu den Vorstellungen vom Lebensende entschlüsselte. Bereits Maurice Halbwachs, der in den 1920er Jahren aus soziologischer Perspektive das Konzept des kollekti­ven Gedächtnisses entwickelt hatte, eruierte die engen Verflechtungen zwischen Individuum, Gemeinschaft und Erinnern: „Zusammengefasst gesagt: es gibt kein mögliches Gedächtnis außerhalb der­jenigen Bezugsrahmen, deren sich die in der Gesell-

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Kapitel 1

schaft lebenden Menschen bedienen, um ihre Erinnerungen zu fixieren und wiederzufinden.“7

Vor diesem Hintergrund erscheint die weibliche Grabplastik als fixiertes, gewissermaßen versteinertes Objekt für die Erinnerung an die Verstorbenen. Aus ihr spricht der Wunsch der Lebenden, das Gedenken an die Toten präsent zu halten – gleichzeitig verweist sie die Leben­den auf die Unausweichlichkeit ihres eigenen Todes. In diesem Bewusstwerden der eigenen Vergänglichkeit sieht Jan Assmann, der seit den 1980er Jahren diskursprägende Beiträge auf dem Forschungsfeld des kulturellen Gedächtnisses geleistet hat, die notwendige Bedingung zur Kultivierung individueller und kollektiver Erinnerung: „Die ursprünglichste Form, gewissermaßen die Ur-Erfahrung jenes Bruchs zwischen Gestern und Heute, in der sich die Entscheidung zwischen Ver­schwinden und Bewahren stellt, ist der Tod.“8

Den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bilden weibliche Grabplastiken, die aus dau­erhaften Materialien auf Grabstätten mit einer Laufzeit von mindestens 20 Jahren aufgestellt wurden. Zu der Gruppe dieser Figuren zähle ich nicht nur Plastiken, sondern all jene Arte­fakte in Grabinszenierungen, die das Motiv der ›Trauernden‹ abbilden wie z. B. Skulpturen, Halbreliefs und Reliefs. Beziehe ich mich im Folgenden allgemein auf das zu untersuchende Phänomen, werde ich von weiblichen Grabplastiken bzw. den ›Trauernden‹ sprechen; beziehe ich mich auf die Inszenierungsstrategien und Raumwirkungen, werde ich die konkrete Darstellungsform als Skulptur, Halbrelief oder Relief benennen. All diese Artefakte stellen die Primärquellen der Untersuchung, die im Idealfall im Kontext ihrer originären Aufstellungssi­tuation analysiert werden. In Einzelfällen wurden weibliche Grabplastiken auf einen anderen Friedhof überführt, im Museum präsentiert oder blieben in Parkanlagen, die auf aufgelasse­nen Begräbnisplätzen eingerichtet wurden, erhalten. Auf diese veränderten Kontexte werde ich jeweils hinweisen und sie in der Quellenanalyse berücksichtigen. Ergänzt werden diese Primärquellen durch weitere zeitgenössische Quellen wie z. B. diskursprägende Nachschlagewerke und literarische Zeitdokumente, histori­ sche Postkarten, Photographien, Kartenmaterial und Verkaufskataloge. Selbstzeugnisse wie Tagebucheinträge, Autobiographien, Briefe oder verschriftlichte Kommentare wurden punktuell einbezogen. Durch die Kombination von Primärquellen, dem Repertoire zeitgenössischer Quellen und relevanter Sekundärliteratur kann das Phänomen der weiblichen Grabplastik benannt und entschlüsselt werden. Auf dieser Grundlage lassen sich die Charakteristika der bürgerlichen Grabmal- und Trauerkultur erörtern und Rückschlüsse auf die bewuss-

Einleitung

ten oder weniger bewussten Bedingungen ziehen, unter denen die Figuren für die bürgerlichen Akteure und Akteurinnen wirksam und sinnstiftend wurden. Inwiefern lässt sich bei den weiblichen Grabplastiken von einer schichtspezifisch bür­gerlichen Grabmal- und Trauerkultur sprechen? Die meisten Akteure und Akteurinnen, die ein Grab mit einer ›Trauernden‹ schmückten, lassen sich auf Grund ihrer Berufe und Finanz­k raft dem Wirtschafts- und Bildungsbürgertum zuordnen. So soll in dem Kapitel über die Auftraggebenden gezeigt werden, ob sich darüber hinaus nicht auch Personen für weibliche Grabplastiken entschieden, die aus dem Adel, dem nobilitierten Bürgertum oder der unteren Schwelle zu den aufstrebenden Mittelstandskreisen stammen. Da das auslaufende 19. Jahr­ hundert eine Zeit der Umbrüche und Beschleunigung war, konnten die Positionen einzelner Personen innerhalb der Gesellschaft nicht statisch sein – das Bürgertum war und ist keine Konstante. Die signifikanten Herausforderungen, die eine Beschäftigung mit dem Bürgertum mit sich bringt, lassen sich aus den Ergebnissen der umfangreichen Bürgertumsforschung der vergangenen Jahre destillieren.9 Der Bürger – oder in Ausnahmen die Bürgerin – meint sowohl Angehörige des Bürgertums als auch Mitglieder eines politischen Verbandes, einer Stadt oder eines Staates,10 zumal das neuzeitliche Bürgertum in der deutschsprachigen Bürgertumsforschung als eine Formation eingekreist wurde, die sich vor allem über die Abgrenzung zu anderen Personen und Gruppen herauskristallisiert: „Anders als etwa beim Adel, den Bauern oder der Lohnarbeiterschaft fehlen rechtliche oder sozialstatistische Kennzeichen, an denen sich die Zugehörig­keit zum Bürgertum eindeutig festmachen ließe.“11

Wer der Geburt nach nicht zu den Bauern oder dem Adel zählte, war nach dem Allgemeinen Preußischen Landrecht ein Bürger. Das Bürgertum war der „Protagonist einer neuen Gesell­ schaftsform“ und seine Angehörigen die „vornehmlichen Träger universeller – bürgerlicher – Werte und Prinzipien“12. In der Bürgertumsforschung oszilliert das spezifisch Bürgerliche in der Trias Bürgertum, Bürgerlichkeit und Bürgerliche Gesellschaft und äußert sich über gemeinsame wirtschaftliche, politische und ideelle Interessen, Kommunikationsformen, Le­bensstile, Wertvorstellungen, Normen und Codes, die sich als Merkmale dezidiert analysieren lassen.13 Da die weiblichen Grabplastiken eben diese Charakteristika widerspiegeln, sind sie sowohl als ein Resultat der bürgerlichen Kultur als auch als ein Mittel bürgerlicher Praktiken lesbar. Da die Akteurinnen und Akteure des Bürgertums an einem von ihnen „selbst geschaf­fenen und durch sie selbst gestalteten Prozeß“14 teil-

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Kapitel 1

hatten, treten die Grabfiguren ebenso als ein Teil von prozesshaften und identitätsstiftenden Handlungen in Erscheinung.15 Neben dem sozialhistorischen Blick auf Schicht und Status ermöglicht die soziologisch-kulturwissenschaftliche Perspektive im Sinne Pierre Bourdieus einen besonders konstruktiven Ausgangspunkt, das Bürgertum flexibler zu fassen und als analytisch gedachte soziale Klasse zu beleuchten. Diese versteht er als Ensembles von Akteuren und Akteurinnen, die sich aus „ähnlichen Konditionen und Konditionierungen, aller Voraussicht nach ähnlichen Dispositio­nen und Interessen, folglich auch ähnlichen Praktiken und politisch-ideologischen Positionen“16 konstituieren. Eine zentrale Rolle spielt bei Bourdieu der Begriff „Habitus“, der über Verhalten und innere Haltung eine Gruppe von Personen innerhalb der Gesellschaft positioniert und diese Position artikulierbar macht.17 Vor diesem Hintergrund nimmt die Untersuchung also jene Personen in den Fokus, die sich über ähnliche Intentionen und Mittel als spezifisch bürgerlich präsentierten und weibliche Grabplastiken für ihr Grab wählten, damit diese als codierte Trä­ ger ihre Position und ihr Selbstverständnis innerhalb des sozialen Feldes repräsentieren.18 In den folgenden Ausführungen fasse ich in den Begriffen „bürgerlich“ und „Bürgertum“ nicht die gesamte Gruppe des Bürgertums, sondern eben jenen heterogenen Kreis von Akteuren und Akteurinnen, deren Grabinszenierung als Teil des bürgerlichen Habitus’ zu verstehen sind. Der Untersuchungszeitraum ist für die Zeit um 1900, zwischen den 1870er Jahren und dem Ersten Weltkrieg (1914 – 1918), angesetzt. Einige wesentliche Aspekte sind hier zu beach­ten: Es handelt sich bei diesem verhältnismäßig kurzen Zeitfenster von ca.  40  Jahren um die Hochphase der weiblichen Grabplastik. Sozialen Phänomenen ist immanent, dass sich ihr Beginn oder Ende nicht immer auf ein konkretes Jahr oder Ereignis datieren lassen. Wie sich zeigen wird, waren erste Vorläufer der ›Trauernden‹ auf geistlichen oder aristokratischen Grabmälern um 1800 zu finden und wurden – mit regionalen Unterschieden – in den folgenden Jahrzehnten vereinzelt in der bürgerlichen Grabgestaltung adaptiert. Als ab den 1870er Jahren die Bestat­tung in vielen deutschen Städten kommunalisiert und weitläufige Haupt- oder Zentralfried­höfe an den Stadträndern angelegt wurden, bot sich nun ausreichend Platz für dauerhafte Großgrabstätten. Parallel kultivierte das zunehmend vermögende Bürgertum die Aneignung von Statussymbolen, so dass Bildhauer und Steinmetze repräsentative Grabfiguren für diesen lukrativen Markt (re)produzierten. Mit der Verbreitung von seriell gefertigtem Grabschmuck ab den 1890er Jahren wurde die weibliche Grabplastik nun auch für die aufstrebenden Mittel­standskreise erschwinglich und zunehmend verbreitet.

Einleitung

Im Gegensatz zu dem langjährigen und vielschichtigen Prozess, in dem die ›Trauernde‹ etabliert wurde, markieren vergleichsweise konkrete Brüche das Ende des Phänomens. Im Zuge der Lebensreformbewegungen wurde neben künstlich überformtem Lebensstil in der Ernährung, Kleidung oder Körperkultur auch die bürgerliche Grabmalkultur auf Grund ihrer pompösen Inszenierungen, aufpolierten Materialien und massenhaft verbreiteten Plastiken kritisiert. Vereinzelt ab den 1910er, vor allem aber ab den 1920er Jahren veränderten Fried­hofs- und Grabmalreformen die Gestaltung neuer Grabflächen nachhaltig. Funktionsorientier­ te Konzepte wurden nun für Begräbnisplätze entwickelt, die beispielsweise die standardisierte Größe von Grabplatz und Grabstein sowie heimische Handwerkskunst mit regionalen Ge­steinsarten vorsahen.19 Zum Wandel in der Friedhofskultur kommt die tiefgreifende Zäsur des Ersten Weltkriegs hinzu. Die Erfahrung des gewaltsamen Todes und der unzähligen Toten hat den Umgang mit Trauer und Gedenken essenziell verändert. Auf das ästhetisierte Sinnbild der ›Trauernden‹ am Friedhof prallte die Lebensrealität der hinterbliebenen Trauernden in einer kriegstraumati­ sierten Gesellschaft. Es ist anzunehmen, dass infolge dieser einschneidenden Veränderungen der bürgerliche Grabmalkult nicht mehr adäquat schien und die Inszenierung der Figuren ihre Sinnstiftung verlor. Die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen Friedhofsreform, Kriegserfahrung und individueller Grabgestaltung erfordert einen eigenen Forschungsrah­men, was den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit sprengen würde. So weit lässt sich jedoch festhalten, dass sich mit den Friedhofsreformen und dem Ersten Weltkrieg die Diskurse rund um Bestattung, Tod und Trauer derart erneuerten, dass weibliche Grabplastik aus der Grabgestaltung nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend verschwand.20 Die zeitliche Eingrenzung der Untersuchung umfasst also das „lange 19. Jahrhundert“21 mit Schwerpunkt auf der Hochphase der weiblichen Grabplastik, die zwischen den 1870er und 1910er Jahren mäandert. Eine besondere Herausforderung liegt darin, dass wir es bei dem Phänomen der weiblichen Grabplastiken mit einem gewissen Anachronismus zu tun haben. Die meisten dieser Figuren sind Produkte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Sie kamen in großer Masse um die Jahrhundertwende zur Aufstellung, gingen aber auf Personen zurück, die den Grabschmuck in fortgeschrittenem Alter in der Regel für ihr eigenes Ableben oder für ein verstorbenes Familienmitglied ausgesucht hatten. Diese Personen wurden im Laufe ihres Lebens – also in den Kernjahrzehnten des 19. Jahrhunderts – in Diskursen und Vor­stellungswelten sozialisiert, die sich nun um 1900 in den ›Trauernden‹ niederschlugen. Dieses parallele Auftreten von mehreren verschiedenen, sich überlappenden Zeitfenstern wird unter dem Modell der „Gleichzeitig-

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keit des Ungleichzeitigen“22 greifbar. Diese Gleichzeitigkeiten sind ein Charakteristikum des Phänomens der weiblichen Grabplastiken. Sie stellen zwar eine recht reflexionsintensive Aufgabe dar, die in einigen Aspekten notwendige Wiederholungen oder punktuelle Unschärfen mit sich bringen wird. Aber genau in der Entschlüsselung von gleichzeitigen Transformationen wird deutlich werden, auf welche Weise Bilder zeitgenössi­sche Ängste, Sehnsüchte oder Hoffnungen stimulieren bzw. kompensieren. Im Mittelpunkt des Forschungsvorhabens steht der Friedhof Ohlsdorf in Hamburg. Ausgehend von diesem werden historische Begräbnisplätze in Paris, Wien, Berlin, München, Zürich, Genua und Traunstein analysiert und auf das Phänomen der weiblichen Grabplastik hin ausgeleuch­tet. Zudem werden weitere Grabbeispiele aus zahlreichen anderen Städten punktu­ell herangezogen, um die Bandbreite und Verbreitung des Phänomens der weiblichen Grabplastik zu verdeutlichen. Die Auswahl der Städte erfolgte zunächst anhand der erreichbaren Quellen: Der Ohlsdorfer Friedhof bietet eine günstige Ausgangssituation für die Quellenanaly­se. Zum einen wurde der Bestand historischer Grabmäler in den 1990er Jahren inventari­siert, zum anderen betreuen die Friedhofsverwaltung und ein Förderverein ein Archiv mit Grabbüchern, historischem Kartenmaterial, Schriftstücken und Abbildungen.23 Allerdings ist die Quellensituation zum Ohlsdorfer Friedhof nicht repräsentativ für andere europäische Friedhöfe. Historische Dokumente zur Grabmalkultur und Friedhofsbelegung werden selten in zentralen Archiven bewahrt, sondern liegen – je nach Zuständigkeiten – bei Gemeinden, Behörden, Stadtarchiven, Friedhofsverwaltungen oder ehrenamtlichen Friedhofsvereinen. Vor allem der Bestand zu abgelaufenen Gräbern ist aus unterschiedlichen Gründen entweder stark reduziert oder schwer zugänglich. Bevor sich Denkmalschutz oder Fördervereine ab den 1980er Jahren für historischen Grabschmuck in Europa zu interessieren begannen, wurden die Grabmäler von abgelaufenen Grabstätten meist nach ökonomischen Aspekten geräumt und die dazugehörigen Dokumente vernichtet. Hinzu kommt, dass zahlreiche Monumente und auch Grabbücher in den beiden Weltkriegen oder im Laufe der Zeit beschädigt oder zer­ stört wurden. Aber auch erhaltene Friedhofsdokumente werden – aus Kostengründen oder weil der Blick für die politische und gesellschaftliche Relevanz der Thematik fehlt – selten katalogisiert und sind daher nur beschränkt einsehbar. Vor diesem Hintergrund wären zu Friedhöfen in England, Portugal, Spanien und Süd­italien sowie für den gesamten osteuropäischen Raum und größere Städte der ehemaligen DDR Inventarisierungen und empirische Einzeluntersuchungen notwendig, um auf ihnen ei­nen konsequenten europäischen Vergleich der

Einleitung

Grabmalkultur um 1900 aufbauen zu können. Das 100-jährige Bestehen kommunaler Friedhöfe wurde in einigen Städten wie z. B. Berlin, Wien, Zürich oder Traunstein zum Anlass genommen, Broschüren oder Friedhofsführer zu publizieren und die historischen Bestände zumindest teilweise zu inventarisieren. In anderen Städten wie Paris, Genua oder München führte die wissenschaftliche Beschäftigung mit re­nommierten Persönlichkeiten, Bildhauern und Stadtplanern zu Veröffentlichungen über die Friedhöfe, auf denen sie tätig waren oder beigesetzt wurden. Infolgedessen wurden Archiv­bestände aufgearbeitet bzw. sind über die Publikationen nutzbar.24 Für die historische Entwicklung der europäischen Grabmalkultur in Europa ist der Fried­hof Père Lachaise in Paris von besonderer Bedeutung, da er bereits im frühen 19. Jahrhundert eingerichtet wurde und als einer der ersten kommunal verwalteten und landschaftlich gestalte­ten Begräbnisplätze eine Vorbildfunktion für andere Städte und ihre Friedhofsplanung hatte. Darauf folgten Friedhofskonzepte aus Wien und Berlin, die unter vermeintlich ähnlichen Vo­raussetzungen ganz unterschiedliche Strategien im Umgang mit dem Tod und der Bestattung offenbaren: Beide waren geprägt durch die Entwicklung von der Großstadt zur Metropole, durch monarchische Machtdemonstration und ein selbstbewusstes vermögendes Bürgertum. Beide verfolgten das Konzept des Zentralfriedhofs, wobei der Wiener Zentralfriedhof eine besonders repräsentative und monumentale Kulisse in der Tradition der „Schönen Leich“ für die weiblichen Grabplastiken bot – demgegenüber wirkt der Südwestkirchhof mit seinem Konzept des Waldfriedhofs vergleichsweise pragmatisch und zurückhaltend, was spezielle Inszenierungen von bürgerlichen Grabmälern nach sich zog. Daran anknüpfend bietet Mün­chen ein Forschungsfeld, auf dem unter der Federführung des Friedhofsplaners und Baube­ amten Hans Grässel ein dezentrales Bestattungswesen mit unterschiedlichen Friedhofstypen entwickelt wurde, das bereits den Übergang zur Friedhofsreform im 20. Jahrhundert markiert. Der Zentralfriedhof Staglieno in Genua ermöglicht über die zeitgenössische Rezeption einen einzigartigen Einblick in die Grabmalkultur des katholisch und republikanisch geprägten Bürgertums, da der Friedhof bereits um 1900 zur Sehenswürdigkeit avancierte und in den Friedhofsführern und der Reiseliteratur zahlreich beschrieben wurde. Der Friedhof Sihlfeld in Zürich dient als Beispiel für Grabinszenierungen, die zunächst zwinglianische Zurückhaltung vermuten lassen und von der Monopolstellung der Zürcher Bildhauerfamilie Wethli beeinflusst waren, die sich auf repräsentativen Grabschmuck spezialisiert hatte. Abschließend ergänzt der Waldfriedhof in Traunstein (Oberbayern) die Reihe von großstädtischen Friedhofskonzepten. Im Vergleich zu den vorherigen Beispielen stoßen wir hier auf vereinzelte Grabinszenierun­gen mit

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weiblichen Figuren, die vor ihrem ländlichen, katholisch geprägten Hintergrund jene Wechselwirkungen von kommunaler Bestattung, säkularisierter Ästhetisierung und bürgerlicher Selbstdarstellung deutlich machen, die für die Grabmalkultur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts so charakteristisch wurden. Angesichts der Komplexität des Forschungsprojekts möchte ich auf einige Aspekte hin­weisen, die entweder gänzlich ausgespart werden müssen oder nur marginal angerissen wer­den können. Im Folgenden werde ich weibliche Grabplastiken auf jüdischen Friedhöfen nicht thematisieren, weil sie in anderen Grabmal- und Trauerkulturen, Bildwelten und Diskursen verwurzelt waren und die Grundlagenarbeit zum Phänomen der Grabfiguren zu sehr ausdif­ferenzieren würden. Auch die Grabmalkultur der weniger vermögenden Unterschichten, auf deren Gräbern durchaus auch vereinzelt Grabfiguren in der Retrospektive vorstellbar wären, konnten nicht berücksichtigt werden. Diese Grabstätten hatten einerseits kürzere Laufzeiten, so dass der Grabbestand nicht mehr erhalten ist, andererseits sind sie anhand der Quellenlage kaum zu rekonstruieren. Inschriften, die als Teil der Grabinszenierung für die Untersuchung relevant wären, werde ich nur in einzelnen Fällen heranziehen, da Gravuren und Intarsien auf Grabsteinen bei Neubelegungen leichter und häufiger verändert wurden als das Grabmonu­ment und sie damit die leistbare Quellenkritik überschreiten. Auch die umliegende Vegetation und Bepflanzung der Grabstätten kann nur dann einbezogen werden, wenn alter Baumbestand oder historisches Bildmaterial Rückschlüsse auf die ursprüngliche Situation um 1900 zulas­sen.

1.2 Zugänge und Methoden Da die ›Trauernden‹ speziell für den Friedhofsraum geschaffen und in ihnen vielfältige Bilder und Symbole verdichtet wurden, haben sich die zeitgenössischen Mentalitäten und ihre Dis­kurse in ihnen niedergeschlagen. Entlang dieser drei Bezugsrahmen – Friedhof, Bildschöp­f ung und Mentalitäten – werde ich mich dem Phänomen der weiblichen Grabplastik über drei Zugänge nähern: über einen räumlichen, einen bildlich-ikonographischen und einen mentali­ tätshistorischen. Damit gliedert sich die vorliegende Arbeit in drei Untersuchungsabschnitte: 1. Der räumliche Aspekt liegt in den Friedhöfen, also in den Orten begründet, für welche die Figuren konzipiert wurden und auf denen sie zur Aufstellung kamen. Die Lage des Friedhofs zum Lebensraum der Menschen gibt Aufschluss über das Verhältnis der Lebenden zum Tod und ihren Umgang mit den Verstorbenen. An Begräbnisplätzen werden bestimmte Praktiken und Rituale kultiviert, die Einblicke in die Verhaltensweisen und Emotionen

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der Menschen in einer bestimmten Zeit geben. Zudem erfordern dreidimensionale Objekte wie die weiblichen, meist lebensgroßen Grabplastiken einen gewissen Raum und evozieren in diesem eine andere Wirkung als beispielsweise zweidimensionale Bilder oder kleinfigurige Objekte. Die Annä­herung an das Phänomen der weiblichen Grabplastik über den Friedhof wirft daher Fragen nach der zeitgenössischen Grabmalkultur auf, aber auch nach Friedhofskonzepten und -ver­ordnungen sowie nach der Art und Weise, wie Grabfiguren im halb-öffentlichen Raum des Begräbnisplatzes in Szene gesetzt wurden. Diese Fragen sollen am Beispiel des Ohlsdorfer Friedhofs in Hamburg dezidiert beant­wortet werden, um anschließend an weiteren europäischen Friedhöfen die Grundbedingungen zu eruieren, unter denen die weiblichen Grabplastiken aufkommen und verbreitet werden konnten. Als Quellenmaterial dienen schriftliche Zeugnisse zu den Gräbern und zur Bestat­tung, Friedhofsentwürfe und -karten, zeitgenössische Reise- und Friedhofsliteratur und nicht zuletzt die weiblichen Grabplastiken vor Ort. Die „Objektive Hermeneutik“25 bietet die geeig­nete Methode, um diese unterschiedlichen Quellengattungen analytisch zu fassen und die Wechselwirkungen zwischen den äußeren Bedingungen und dem Aufkommen dieser Figuren benennen zu können. Wesentliches Instrument der Methode ist die Sequenzanalyse, über die latente Sinnstrukturen in Selbstzeugnissen und Artefakten aufgespürt werden.26 Die Sequenz­analyse lässt sich im Fall der weiblichen Grabplastik als eine Perspektive anlegen, aus der wir uns den Figuren – räumlich von außen nach innen – nähern, indem wir zunächst den Friedhof in seiner Lage zur Stadt, den Friedhofsraum selbst, die unmittelbare Umgebung der Grabstätte und schließlich die Grabplastik in den Fokus nehmen. Auf diese Weise werden Aspekte wie Städtewachstum, Friedhofsverwaltung oder Rauminszenierung als sozialhistorische Grund­ lagen greifbar, auf denen es zur Entfaltung der weiblichen Grabplastik kommen konnte. 2. Durch einen bildlichen Zugang zu den weiblichen Grabplastiken lassen sich nicht nur Mo­tive, Bildtraditionen oder Symbole semiotisch nach kunsthistorischen Typologien befragen, sondern auch nach sozialhistorischen Aspekten. Unter bestimmten historischen Vorausset­zungen werden Bilder wirksam, weil sie sinnstiftend wirken. Bildtraditionen wie beispiels­weise die Maria, ein Engel oder profane Sinnbilder sind im kulturellen Gedächtnis verankert: In unterschiedlichen Zeiten erleben sie Hochphasen, verebben wieder oder werden nach neuen zeitgenössischen Diskursen aktualisiert. Nach diesem speziellen Verhältnis zwischen der Be­deutung von Bildern und ihrer zeithistorischen Situation fragt die „Ikonologische Analyse“27, die von Aby Warburg und Erwin Panofsky entwickelt sowie von Martin Warnke weiterentwickelt

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wurde. Bei dieser Methode resultiert die Interpretation von Artefakten aus einem Dreistufenmodell, indem sie zunächst auf ihre Form und ihr Aussehen hin beschrieben und dann auf die Bedeutung der verwendeten iko­nographischen Bildtraditionen befragt werden, um letztlich als Ausdruck einer bestimmten historischen Epoche bewertet werden zu können.28 Die Ikonologische Analyse zeigt bei der Untersuchung der weiblichen Grabplastiken, dass diese keinen eindeutigen kunsthistorischen Typen wie beispielsweise der Maria, dem Engel oder profanen Sinnbildern folgten, sondern dass in ihnen meist mehrere, in ihrer Be­deutung ganz unterschiedliche Bildtraditionen amalgamiert wurden. Die ›Trauernden‹ stellen Hybride dar, in denen feststehende Motive verschmelzen, bis sie mit meist christlichen, my­tho­logischen und profanen Bedeutungsebenen aufgeladen wurden, ohne dabei Widersprüche zu erzeugen. So zeigt sich entlang der Ikonologischen Analyse, dass die weiblichen Grab­plastiken zwar von kunsthistorischen Motivkategorien abwichen, aber dass vermutlich eben diese Praxis des Abweichens, Überlagerns und Verschmelzens ein spezifischer Ausdruck der Zeit um 1900 war. Den Wandel von Bildtraditionen zu Bildamalgamen auf dreidimensionalen Objekten in einer zweidimensionalen Veröffentlichung nachvollziehbar zu machen, stellt eine besondere Herausforderung dar. Deshalb wurde für dieses Kapitel eine B ­ ilderreihe entwickelt und mit einem grauen Balken hinterlegt, um sowohl die Bandbreite an Motiven als auch ihre Verdichtung zum Schlagbild der ›Trauernden‹ veranschaulichen zu können. 3. Im Anschluss daran erfolgt ein mentalitätshistorischer Zugang zum Phänomen der weibli­chen Grabplastiken. Da sowohl an materielle, visuelle Bilder als auch an Vorstellungsbilder Praktiken, Vorstellungswelten und zeitgenössische Diskurse geknüpft sind, bieten sie Ein­blicke in den Zeitgeist und das Innenleben der Akteure und Akteurinnen. Bilder wie die ›Trauernden‹ stehen in engem Wechselverhältnis mit zeitgenössischen Diskursen. So wird sich zeigen, dass die weibliche Grabplastik nicht nur Berührungspunkte zu Diskursen rund um Gedenken, Trauer oder Sterblichkeit hatte, sondern auch im Bereich der Familie, Ge­schlechterverhältnisse, Kultur, Medizin, Moral und Glaube sowie der Vorstellungen vom Diesseits und Jenseits. All diese Verflechtungen zu entschlüsseln und zu benennen, ermöglicht die Methode der „­Diskursanalse“29. Bei diesem Verfahren – vielmehr dieser Perspektive auf historische Phänomene – wird davon ausgegangen, dass Geschichte durch Zeichensysteme vermittelt wird. Beleuchten wir historische Zeichensysteme, dann zeigt sich, auf welche Weise bestimmte Zeichen unter den zeitspezifischen Bedingungen konstruiert, verhandelt und be­wertet wurden. Da repräsentierende Zeichen nie isoliert auftreten, sondern in unterschiedliche

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Systeme von Zeichen verwoben sind, widmet sich die Diskursanalyse diesen diskursimma­nenten Wechselwirkungen.30 Auch die weiblichen Grabplastiken lassen sich als repräsentierende Zeichen verstehen und vor dem Hintergrund unterschiedlicher Diskurse interpretieren. Für den mentalitätshisto­rischen Zugang zum Phänomen der weiblichen Grabplastik werden daher Perspektivwechsel notwendig sein, die den Fokus von den Figuren auf unterschiedliche Lebens- und Vorstel­lungsbereiche lenken. Dabei stellen sich nicht nur Fragen nach den Verstorbenen, den Hin­terbliebenen oder der Auftragssituation, sondern auch nach dem Einfluss von bürgerlichem Habitus und Selbstverständnis, von Ängsten, Sehnsüchten und Befindlichkeiten im Umgang mit dem Tod. Die Figuren werden auf diese Art in ihrem historischen Kontext wie vor der Kulisse eines mentalitätshistorischen Panoramas sichtbar – und machen die Voraussetzungen dafür greifbar, warum die bürgerliche Trauer in Form von weiblichen Grabplastiken zum Ausdruck gebracht werden sollte.

1.3 Disziplinen und Forschungsstand Die Verortung der Grabplastiken innerhalb der Disziplinen ist schwer auszuloten. Ihre sicht­baren Charakteristika wie z. B. die Symbole und Motive, Materialien und Grabinszenierun­gen evozieren Fragen aus den Kunst-, Bild- und Objektwissenschaften. Zudem bieten sie als zeitspezifischer Ausdruck und Bedeutungsträger der bürgerlichen Kultur einen Erkenntnisge­ w inn für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, die Kulturgeschichte, Geschlechterforschung und die Volkskunde bzw. europäische Ethnologie. Darüber hinaus weisen die inneren Vorstel­lungswelten, die sich auf ihnen niedergeschlagen haben, Berührungspunkte mit der Soziolo­gie, der Mentalitäts- und Emotionsgeschichte sowie dem Forschungsfeld der Diskursanalyse auf. Trotz dieser vielfältigen Anknüpfungsmöglichkeiten an das Phänomen der weiblichen Grabplastiken stellt es doch weitestgehend ein Desiderat in der geisteswissenschaftlichen For­schungslandschaft dar. 1971 konstatierte der Kunsthistoriker Hans Hofstätter über weibliche Grabplastiken auf dem Friedhof Staglieno in Genua, dass angesichts der Mehrdeutigkeit dieser Figuren der Wunsch entstehe, „ […] solche Phänomene irgendwie zu begreifen. Die Kunstgeschichte gibt darüber keine Auskunft, sondern klammert – bis auf wenige Ansätze in jüngster Zeit – solche Erscheinungen bewußt aus, da sie in diesen Werken ihre Vorstellungen von Kunst nicht oder höchstens an der äußersten Peripherie angesprochen fühlt.“31

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Auch der Blick auf den Forschungsstand zeigt, dass sich die Kunstgeschichte dem Forschungs­feld der weiblichen Grabplastik eher zurückhaltend angenommen hat. Ausnahmen markieren die ambitionierte Untersuchung von Sandra Berresford aus dem Jahr 2004 zu figürlichem Grabschmuck in Norditalien unter kunstund kulturhistorischen Gesichtspunkten32 sowie der 2010 erschienene Epochenüberblick zur deutschen Skulptur des 19. Jahrhunderts von Bern­hard Maaz, der plastischen Grabschmuck aus rein kunsthistorischer Perspektive in einem eigenen Kapitel berücksichtigte.33 Die sozial- und kulturhistorische Sekundärliteratur, die sich konkret mit den weiblichen Grabfiguren befasst, beschränkt sich auf wenige Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften wie z. B. von Ellen Spickernagel, Gerlinde Volland, Sylvina Zander und Norbert Fischer.34 Letzterer hat diesem Thema zudem Teilkapitel in umfangreichen Eigenveröffentlichungen zur Geschichte des Todes und der Trauerkultur sowie vereinzelt Beiträge in interdisziplinären Sammelbänden gewidmet.35 Auch Fachzeitschriften wie „Ohlsdorf – Zeitschrift für Trau­erkultur“ und „Friedhof und Denkmal – Zeitschrift für Sepulkralkultur“ haben in eigenen Themenheften Überlegungen und Assoziationen zur weiblichen Grabplastik präsentiert.36 Zudem fand die weibliche Grabplastik neben anderen Grabmalformen stellenweise Erwäh­ nung im Rahmen der Grabinventarisierung des Ohlsdorfer Friedhofs in Hamburg.37 Auch in zahlreichen Einzeluntersuchungen zu Friedhöfen und ihrem historischen Grabbestand wird auf diese Figuren hingewiesen. Allerdings dienen sie hier eher als punktueller Gegenstand, um die regionale Grabmalkultur zu beschreiben. Dezidierte Analysen oder die Einordnung in den mentalitätshistorischen Kontext fehlen meist.38 Darüber hinaus wurde von populärwis­ senschaftlicher Seite in den vergangenen Jahren das Phänomen der weiblichen Grabplastik in den Fokus genommen – diese Publikationen belegen zwar ein aktuelles Interesse an diesen Figuren, können aber in Bezug auf die vorliegende Untersuchung lediglich als Material- oder Ideensammlungen betrachtet werden.39 Eine Monographie über die weibliche Grabplastik mit Fragen an ihre mentalitätshistori­schen Hintergründe und kulturhistorischen Verflechtungen steht bislang aus. Diese Lücke ist überraschend, weil in der Forschung der letzten Jahre ein ausgeprägtes Interesse an Bildern auf der einen Seite und dem Tod auf der anderen Seite gezeigt wurde: Grabfiguren stellen dreidimensionale, häufig seriell gefertigte Artefakte dar, die sich nur in den Randgebieten der Bild-, Kunst- und Objektwissenschaften aufhalten, so dass sie bisher nicht in das Blickfeld dieser Disziplinen gerieten.40 Zudem haben sich die Forschungsprojekte mit dem Schwerpunkt Tod bzw. Grab entweder aktuellen Diskursen zum Umgang mit dem Leichnam, dem Sterben und dem Tod verschrieben41 oder

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sie beschäftigen sich mit hochkulturellen Phänomenen wie z. B. den Papst- und Kardinalsgrabmälern in der Frühen Neuzeit.42 Selbst in der nicht abrei­ßenden Fülle an Veröffentlichungen zur Bürgertumsforschung blieben nicht nur die weibli­ chen Grabplastik im Speziellen, sondern auch der Erkenntnisgewinn aus dem schichtspezifi­schen Grabmal- und Erinnerungskult im Allgemeinen unbeachtet.43 Eine Annäherung an das Phänomen der weiblichen Grabplastiken zu wagen und diese Forschungslücken zu füllen, ist Ausgangspunkt und Ziel der vorliegenden Untersuchung.

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2 Europäische Friedhöfe Raum, Bühne, Inszenierung Die weiblichen Grabplastiken sind dreidimensionale Objekte, räumliche Figuren, die ohne den Raum, der sie umgibt, nicht zu denken wären. Den Raum um die Grabplastiken bildet der Friedhof. Er ist nicht nur geographisch verortet, sondern auch soziokulturell. Das bedeutet, dass sich der Friedhofsraum sowohl über die Lage in einer bestimmten Region, einer Stadt und einem Land definiert als auch über die Praktiken und Vorstellungswelten rund um das Thema Sterben, Tod und Trauer. Der Friedhof ist einerseits der physische, sichtbare Ort der Bestattung und des Grabmals und bietet andererseits sprichwörtlich das Fundament, auf dem die Grabmalkultur praktiziert wird – er ist ein Ort für die Toten und die Lebenden. Grabplastiken werden – wie alle anderen Grabzeichen auch – von dem Raum des Friedhofs gerahmt. Im Sinne der Rahmenanalyse nach Erving Goffman werden die Figuren von Architekturen oder Einfriedungen, von Büschen, Rasenflächen oder Wegenetzen eingefasst, aber auch von der sakralen Sphäre des Friedhofs, von sozialen Verhaltensweisen und von individuellen Vorstellungen vom Jenseits, von Tod und Abschied.1 In der Regel ist der Friedhof ein halböffentlicher Raum und so gelten die Grabstätten sowohl den Hinterbliebenen als auch einem anonymen Publikum aus Besucherinnen und Besuchern oder Friedhofspersonal. Die Grabmäler markieren die letzte Ruhestätte der menschlichen Überreste und dienen als Medium der eigenen Selbstdarstellung über den Tod hinaus. Vor diesem Hintergrund erscheinen gerade kostspielige und aufwändige Grabstätten als öffentliche Bühne und der Friedhof als Kulisse einer repräsentativen Trauerkultur. „Wir alle spielen Theater“ mit unseren unterschiedlichen sozialen Rollen innerhalb der Gesellschaft.2 Inszenierung und Selbstdarstellung fallen nach Georg Simmel vor allem in Großstädten facettenreich aus und schöpfen dabei aus dem Repertoire unserer unterschiedlichen sozialen Rollen.3 Diese machen nicht etwa vor dem Thema Tod halt – Friedhöfe sind Orte, an denen soziale Rollen ebenso inszeniert werden wie auch in allen anderen Lebensbereichen wie in der Familie, im Beruf, auf der Straße oder auf dem Sterbebett. Die soziale Rolle wird mit Hilfe des Grabmals in Szene gesetzt, wobei Grabmäler mit weiblichen Grabplastiken die wesentlichen Charakteristika einer Bühne erfüllen, wie sie bereits von den Brüdern Grimm charakterisiert wurde: Auf steinernen Sockeln und von Weitem sichtbar wurden die Plastiken positioniert auf einer „erhöhung des fuszbodens […], auf die man tritt, um von den leuten gesehen zu werden, um sich zu zeigen. [sic!]“4

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In Inszenierungen und Selbstdarstellungen liegen sowohl subjektive Intentionen als auch zeitgenössische Diskurse, Reglements, Praktiken oder Befindlichkeiten verborgen, so dass sie in ihrem historischen Kontext äußerst komplex und daher schwer aufzuschlüsseln sind. Das methodische Verfahren der Objektiven Hermeneutik5 bietet die Möglichkeit, Artefakte wie die weibliche Grabplastik in dieser Komplexität zu analysieren und ihren Bedeutungssinn zu rekonstruieren. Diese Methode kommt vorwiegend in der Soziologie oder der empirischen Sozialforschung zum Einsatz, lässt sich aber gleichwertig auf sozialhistorische Komplexe anwenden. Die Objektive Hermeneutik ist dabei weniger auf ein immanent objektives Verfahren konzentriert – wie vielleicht der Name vermuten ließe  – , sondern sie geht davon aus, dass Selbstzeugnisse und Artefakte in einer sinnstrukturierten Welt verhaftet sind, so dass ihnen „latente, objektive Sinnstrukturen“ zugrunde liegen.6 Auf diese Weise können Aussagen über die Akteure und Akteurinnen sowie über den Zeitgeist getroffen werden. Das wesentliche Instrument für meine Untersuchung stellt die Sequenzanalyse dar, bei welcher der Kontext, in den ein Objekt eingebettet ist, deduktiv auf latente Sinnstrukturen befragt wird. Dazu werden Sequenzen angelegt, um sich dem Bedeutungssinn des Selbstzeugnisses oder des Artefaktes wie mit einem Zoom von außen nach innen schrittweise immer weiter anzunähern.7 Bei der Analyse der Grabinszenierungen bin ich so vorgegangen, dass der Friedhof in seiner Lage zur Stadt, das Friedhofsgelände, die Kulisse des Grabfeldes und die Gestaltung der Grabstätte jeweils eine eigene Sequenz darstellten. Durch diese räumliche Annäherung entstanden Fragen und Perspektiven, die beispielsweise den unmittelbaren Einfluss der Stadtplanung oder Verkehrsanbindung auf die Trauerkultur nachvollziehbar machen. An dieser Stelle sei vorweggenommen, dass unter anderem die Auslagerung der Friedhöfe an den Rand der Stadt in den Hinterbliebenen den Wunsch weckte, zum Andenken an die Verstorbenen monumentale und dauerhafte Grabstätten zu hinterlassen. Entlang der Sequenzanalyse habe ich die Wechselwirkungen zwischen städtischen Topographien, Friedhofskonzepten, regionalem Bestattungswesen und Grabmalkulturen beleuchtet. Als Quellenmaterial konnten neben den Grabinszenierungen vor Ort auch Grabdokumente, Kartenmaterial, historische Photographien und Postkarten sowie zeitgenössische Reiseliteratur oder Friedhofsführer ausgewertet werden, um das sozialhistorische Fundament herauszuarbeiten, auf dem die weiblichen Grabplastiken in Erscheinung treten konnten. Betrachten wir weibliche Grabplastiken auf unterschiedlichen europäischen Friedhöfen, fallen Parallelen in der Friedhofsund Grabgestaltung auf, also in der Rahmung und Inszenierung. Daher ist anzunehmen, dass es im Zeitfenster des langen 19. Jahr-

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hunderts vergleichbare Bedingungen gab, unter denen es zu dem Phänomen der ›Trauernden‹ über nationale Grenzen hinweg kommen konnte. Um sich den gemeinsamen Voraussetzungen zu nähern, lohnt es sich, auf die Geschichte vor der Verbreitung weiblicher Grabplastiken zurückzugreifen. Am Beispiel des Friedhofs Ohlsdorf in Hamburg werde ich anhand seiner Vorgeschichte, Planung, Raumkonzeption und Bestattungspraxis die relevanten Aspekte der abendländischen Grabmalkultur für die ›Trauernde‹ vom späten 18. Jahrhundert bis ins frühe 20. Jahrhundert vorstellen. Mit Hilfe von einigen prägnanten Grabplastiken lassen sich die wesentlichen Koordinaten der Inszenierungsstrategien mit einem Fokus auf Lage, Größe, Material sowie Besonderheiten im und am Raum skizzieren. Der Ohlsdorfer Friedhof ist für die Untersuchung besonders geeignet, weil er zum einen der größte Parkfriedhof Europas ist und somit einen gewissen Vorbildcharakter hatte, ausreichend Raum für ausgeprägte Inszenierungen bot und in seiner Doppelfunktion als Friedhof und Parkanlage ein vielschichtiges Publikum anzog. Zum anderen hat er sowohl einen hohen Bestand an erhaltenen Grabfiguren aufzuweisen als auch eine zuverlässige Inventarisierung und einen umfangreichen Quellenfundus über historische Grabmäler. Darauf aufbauend werde ich besonders charakteristische oder markante Grabinszenierungen auf europäischen Friedhöfen in Paris, Wien, Berlin, München, Zürich, Genua und Traunstein vorstellen. Wie eingangs erläutert, wurden diese Städte nach qualitativen Kriterien ausgewählt, über die sich bestimmte Aspekte analysieren lassen: so z. B. die Ausgangssituation in Metropole oder Kleinstadt, die Gestaltung des Friedhofs nach architektonisch-geometrischen, monumentalen oder landschaftlichen Konzepten, der Einfluss religiöser oder soziokultureller Prägung sowie die Bedeutung einzelner Akteure wie Friedhofsplaner, Bildhauer, Bestatter oder Auftraggeber. Im Zentrum steht dabei die Inszenierung der Plastiken unter ihren jeweiligen Bedingungen von Stadt, Raum und Gesellschaft.

2.1 Hauptfriedhof Ohlsdorf, Hamburg Der Friedhof Ohlsdorf gilt heute als der größte Parkfriedhof Europas und einer der größten Friedhöfe weltweit. Nach mehrfachen Erweiterungen wurden auf einer Gesamtfläche von 390 ha seit der Eröffnung 1,4 Mio Bestattungen auf ca. 256.000 erhaltenen Grabstellen durchgeführt. 1877 wurde der sogenannte Centralfriedhof bzw. Hauptfriedhof weit vor der Stadt eingerichtet und übernahm eine Doppelfunktion sowohl als Begräbnisplatz als auch als öffentliche Parkanlage. Die Gestaltung im landschaftlichen Gartenstil mit aufwändigen Sonderanlagen und promenadeartigen

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Wegen bot die ideale Kulisse für die repräsentativen Gräber der hanseatischen Oberschicht und des aufstrebenden Bürgertums. Die künstlerisch ausgestatteten Familiengräber waren ein Anziehungspunkt für die Stadtbevölkerung und werteten den Friedhof ästhetisch auf. Bis heute ist eine Vielzahl von weiblichen Grabplastiken an ihrem ursprünglichen Standort erhalten geblieben. Diese zeigen nicht nur Sinnbilder der Trauer und des Abschieds, sondern sie spiegeln auch den Wunsch nach öffentlichem Gedenken, Selbstdarstellung und Sichtbarkeit. Da sich die Vegetation um die Figuren über viele Jahrzehnte verändert hat, lassen sich ursprüngliche Eindrücke über historische Karten, Pläne, Bilder und Friedhofsführer rekonstruieren, da sie frühere Blickachsen, Wegführungen oder Größenverhältnisse veranschaulichen. Zudem ist die Friedhofsverwaltung seit einigen Jahren darum bemüht, Patenschaften für historische Grabmäler anzubieten und Grabfiguren nach Kriterien des Denkmalschutzes restaurieren zu lassen, um die Grabstätten in ihren ursprünglichen Inszenierungen vor Ort erhalten zu können. Der umfangreiche Bestand der historischen Grabplastiken macht den Friedhof in Ohlsdorf zu einem imposanten Freiluft-Museum und zu einem unvergleichlichen Archiv bürgerlicher Trauerkultur in Europa. Geschichte der Bestattung in Hamburg Am 1. Juli 1877 wurde der Hauptfriedhof anlässlich der ersten Beisetzungen in Anwesenheit von Mitgliedern des Senats und der Bürgerschaft sowie Vertretern der Geistlichkeit und der Behörden eröffnet.8 Allerdings wurde der neue Begräbnisplatz in den ersten Jahren von der Bevölkerung nur zögerlich angenommen. Grund dafür war einerseits der Gesamteindruck der Anlage – das öde, weite Areal über 110 ha wirkte mit seiner bislang provisorisch wirkenden Infrastruktur und den vereinzelten Baustellen wenig anziehend. Andererseits lag das Gelände 8,5 km von der inneren Stadt entfernt. Trotz der Einrichtung einer Pferdebahn im Jahr 1880 war die Fahrt zum Friedhof kostspielig und für ältere Personen beschwerlich.9 Wie kam es, dass der neue Hauptfriedhof – gewissermaßen die Haupt-Institution für Bestattungen der ganzen Stadt – derart weitläufig und weit entfernt vom alltäglichen Leben der Bevölkerung angelegt wurde? Ein Blick auf die Geschichte der Bestattung in Hamburg gibt Erklärungen für diesen Umstand und Einblicke in die Voraussetzungen, die schließlich die weiblichen Grabplastiken in Erscheinung treten ließen. Über viele Jahrhunderte waren die Toten in Hamburg direkt bei den innerstädtischen Gemeindekirchen bestattet worden.10 Die sogenannten »Kirchhöfe« oder »Gottesäcker« lagen bei den fünf Hauptkirchen St. Catharinen, St. Jacobi, St. Michaelis,

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St. Nicolai und St. Petri. Die Begräbnisplätze hatten einen engen Bezug zum alltäglichen Leben, weil sie auch für Märkte, Feste oder Gemüseanbau genutzt wurden – Grabsteine oder anderer dauerhafter Grabschmuck waren hier unüblich, weil die breite Bevölkerung in anonymen Massengräbern beigesetzt wurde und Grabstätten an der Kirchhofsmauer bzw. Grüfte im Kirchgebäude als Privileg der Oberschicht galten. Auf den Kirchhöfen hatte das Prinzip der Bestattung apud sanctos (auch ad sanctos = bei den Heiligen) geherrscht: Umso näher eine Person zum Altar oder den Reliquien von Heiligen beigesetzt wurde, desto eher galt ihr die Gnade Gottes am Tag des Jüngsten Gerichts gesichert.11 Indem das Andenken an die Verstorbenen auf ihr Seelenheil im Jenseits abzielte, waren die Trauerrituale in der Familie, Gemeinde und im Kirchenkalender verankert und die Trauer konnte über diese Rituale artikuliert werden.12 Der Kirchhof war daher zwar der Ort der Beisetzung, aber nicht die Verortung der Trauer, wie wir sie bis ins 21. Jahrhundert mit Friedhöfen assoziieren. Ab dem späten 18.  Jahrhundert veränderte sich die Friedhofskultur infolge der wachsenden Bevölkerungsdichte. Schätzungen der Einwohnerzahlen Hamburgs markieren die Dynamik des Bevölkerungswachstums: im Jahr 1700 ca. 70.000 Einwohner, 1750 ca. 90.000 Einwohner, 1811 ca. 106.000 Einwohner und 1850 ca. 171.000 Einwohner.13 Innerhalb der Stadt fehlte es nun nicht nur an Platz für die Lebenden, sondern auch für die Toten. Die Massengräber und Grüfte waren überfüllt. Hier setzte eine Entwicklung ein, die für viele prosperierende Städte in Europa charakteristisch war: Eine Vergrößerung der Kirchhöfe war nicht möglich, weil diese bereits von Bebauung umschlossen waren. Zudem fehlte es an alternativen Flächen innerhalb der Stadt, weil der mittelalterliche Stadtkern von militärischen Befestigungsanlagen eingegrenzt wurde. Es ergab sich ein Problem von Grundriss und Aufriss: Gebäude konnten auf der gleichbleibenden Grundfläche nach oben »aufgestockt« werden, aber die Kapazität der Begräbnisplätze war und blieb von der Erweiterung der Grundfläche abhängig. Abhilfe versprach die Verlegung der Begräbnisplätze vor die Wallanlagen. So wurden 1790 zusätzliche kirchliche Friedhöfe vor dem Dammtor und vor dem Steintor eingerichtet und die bisherigen Kirchhöfe mussten nach und nach der Stadtbebauung weichen. Schließlich wurde ab 1813 durch ein Dekret der französischen Besatzung das Beerdigen innerhalb der Stadt gänzlich untersagt.14 Die Friedhöfe lagen für die Hinterbliebenen weiterhin fußläufig von den Hauptkirchen oder dem Sterbehaus entfernt und wurden teils auch für Spaziergänge vor den Befestigungsanlagen genutzt. Zeitgenossen assoziierten mit ihnen „blühende Gärten“, weil einige Gräber der Oberschicht von Angehörigen üppig bepflanzt und im Zeitgeist empfindsam-romantischer Naturvorstellungen gestaltet wurden.15

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Die Begräbnisplätze vor den Wallanlagen waren allerdings in den folgenden Jahrzehnten erneut von der zunehmenden Bebauung eingeschlossen und inzwischen so massiv überbelegt, dass sowohl die Besucher als auch die Bewohner der unmittelbaren Nachbarschaft über die hygienischen Verhältnisse und den Gestank durch die Mehrfachbelegungen der Gräber klagten. Im Jahr 1854 wurde vom Hamburger Senat zum ersten Mal eine geschlossene Verlegung der Friedhöfe im Zuge der großen stadtplanerischen Vorhaben und Erweiterungen diskutiert. Eine langfristige Lösung der Friedhofsfrage wurde immer dringlicher, nachdem der hamburgische Medizinaldirektor 1872 die hygienischen Missstände auf den Begräbnisplätzen vor dem Wall kritisiert hatte und konkrete Reformvorschläge nahelegte wie z. B. die Einführung der Einzelbestattung. 1873 richteten schließlich Senat und Bürgerschaft die „Commission für die Verlegung der Begräbnißplätze“ ein.16 Derartige Kommissionen einzuberufen, war ab der Mitte des 19.  Jahrhunderts durchaus üblich – Aufgaben wie Zentralisierung des Bestattungswesens, Landankauf mit geeigneten Bodenverhältnissen, Erstellung einer allgemeingültigen Bestattungsordnung, die konfessionsübergreifend akzeptiert würde, waren komplexe Herausforderungen und sollten einem Kreis von Fachleuten anvertraut werden. Zunächst musste ein besonders weitläufiges Gelände gefunden werden, weil die Einzelbeerdigung eingeführt werden sollte. Gleichzeitig musste das Areal ideale Bodenbeschaffenheit für die Bestattung und Wiederbelegung von Gräbern bieten und weit genug von der Kernstadt entfernt liegen, um nicht binnen kurzer Zeit von zunehmender Bebauung eingeholt zu werden. Die Wahl fiel auf ein 130 ha großes Gelände in der Ohlsdorfer Feldmark (Abb.  4).17 Über historische Karten wird deutlich, wie weit die Entfernung von acht bis zehn Kilometern zur Stadt empfunden worden sein muss – Ohlsdorf war in der Regel nicht auf Stadtplänen für Hamburg verzeichnet und selbst auf Umgebungskarten lag das Areal gewissermaßen in der nordöstlichen Peripherie ohne Verkehrsanbindung.18 Um den Hauptfriedhof in dieser Lage attraktiv und funktionsorientiert zu gestalten, strebte die Kommission eine landschaftlich-parkartige Gestaltung an, in der sowohl Wegenetz, Verwaltungs- und Versorgungsgebäude sowie Bauten für Leichenfeierlichkeiten integriert werden sollten, als auch repräsentative Flächen für Gräber, die in bevorzugter Lage zum Kauf angeboten werden konnten.19 Ein umfassendes Gestaltungskonzept war dringend notwendig, so dass der Architekt Johann Wilhelm Cordes (1840 – 1917) zwei Jahre nach der Friedhofseröffnung zum Friedhofsverwalter ernannt und mit der Ausarbeitung eines Gesamtkonzepts beauftragt wurde.20 Cordes war bereits als Bauleiter für die Kommis­ sion tätig gewesen und hatte Erfahrungen durch die Mitarbeit bei

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der Befestigung und Gestaltung des Alsterufers. Er erarbeitete gemeinsam mit der Kommission, an deren Stelle 1883 die Friedhofsdeputation21 trat, einen Generalplan: Es wurden Anforderungen, Wünsche und landschaftliche Gegebenheiten gegeneinander abgewogen und darauf aufbauend das Konzept für einen Park-

Abb. 4: Die Entfernung zwi­ schen Hamburg-Ohlsdorf und den innerstädtischen Begräb­ nisplätzen betrug ca. 7 km (Karte 1874)

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friedhof entwickelt. Dieser Generalplan wurde von Senat und Bürgerschaft bestätigt und sollte das Erscheinungsbild des Friedhofs­ areals maßgeblich prägen. Funktionssymbiose Begräbnisplatz – Parklandschaft Am englischen Gartenstil orientiert, verfolgte Cordes das Prinzip der „krummen Linie“.22 Von der Hauptachse aus wurden geschwungene Wege so ineinander verwoben, dass sich eine unregelmäßige Grundstruktur ergab, die an organische, florale Formen erinnert. Ziel war eine durchgehend landschaftliche Gestaltung mit Hilfe von weitläufigen Sichtachsen, verborgenen Pfaden, natürlich anmutenden Wasserflächen und Bachläufen. Cordes vermied die rechtwinklige Geometrie und mathematische Strenge zweckrationaler Grundrisse und erzeugte einen harmonischen Gesamteindruck über das konsequent naturnahe und gleichzeitig ästhetisierte Konzept. Im Rahmen der Gartenbauausstellung 1897 in Hamburg resümierte er die Idee des Parkfriedhofs: „Der Friedhof soll nicht die Stätte der Toten und Verwesung sein. Freundlich und lieblich soll Alles dem Besucher entgegentreten und dadurch der Ort aus der umgebenden Landschaft herausgehoben und geweiht werden.“23

Cordes’ Credo der Überhöhung des Friedhofsraumes liest sich möglicherweise als überambitioniertes Vorhaben, fußte aber auf mentalitätshistorischen Tendenzen des frühen 19.  Jahrhunderts, in denen sich der Wunsch nach einer Verknüpfung von Trauer, Natur und Seelenheil abzuzeichnen begann. Von England aus wurde der landschaftlich gestaltete Park im 18. Jahrhundert als ein Ort konzipiert, der Rückzug, Inspiration, Erholung und Trost spenden sollte. Die Englischen Gärten und landschaftlichen Parkanlagen kamen auch im deutschsprachigen Raum in Mode und wurden von namhaften Gartentheoretikern wie Christian Cay Lorenz Hirschfeld (1742 – 1792) und Friedrich Ludwig von Sckell (1750 – 1823), oder später auch von Landschaftsarchitekten wie Fürst Hermann Ludwig Heinrich von Pückler-Muskau (1785 – 1871) und Peter Joseph Lenné (1789 – 1866) etabliert.24 Auch bürgerliche Gartenbesitzer und Blumisten kultivierten in ihren privaten Gärten den Wunsch nach Ruhe und Einkehr.25 In abgeschiedenen Bereichen der Gartenanlage konnte melancholischen Stimmungen, Gedanken über das Leben, Sinnieren über das Sterben und der Erinnerung an verstorbene Familienmitglieder oder Freunde nachgegangen werden. Die Sehnsucht nach arkadischen Landschaften und elysischen Gärten zählte zum Repertoire der Vorstellungsbilder der Empfindsamkeit – in ihnen verschmolzen der „modische Zeitgeschmack und echtes Gefühl“.26 Der Natur wurde gewissermaßen die Aufgabe zuteil, der Trauer

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eine Kulisse zu bieten und über Assoziationen zu Ursprung und Neubeginn tröstlich zu wirken. Zu diesem Zweck dienten in den Garten- und Parkanlagen Urnen oder Grabhügel als dekorative Sinnbilder, als „steinerne Stimmungsmacher“27; in den selten­sten Fällen markierten sie jedoch tatsächlich die Grabstätte einer verstorbenen Person. Als erster Begräbnisplatz in diesem Stil wurde 1804 der Friedhof Père Lachaise in Paris eingerichtet, auf den ich in einem eigenen Kapitel noch näher eingehen werde. Auf dem hügeligen Gelände vor der Stadt wurden Gräber zwischen Bäume und Büsche eingebettet und die Wege und Versorgungsgebäude in die natürlichen Gegebenheiten integriert. Zudem sollte der Friedhof attraktiver gemacht werden, indem Überreste berühmter Persönlichkeiten dorthin überführt und aufwändige Monumente inszeniert wurden. Infolgedessen avancierte der Begräbnisplatz innerhalb weniger Jahre zu einer Sehenswürdigkeit in Paris. Diese Konzeption beeindruckte auch amerikanische Friedhofsarchitekten und traf den Zeitgeist der bürgerlichen Trauerkultur in Nordamerika, so dass der Père Lachaise zum Vorbild des Friedhofstyps der „rural cemeteries“ wurde.28 Die Parkfriedhofbewegung wirkte von Amerika aus wieder zurück nach Europa und beeinflusste unter anderem die landschaftliche Gestaltung des Friedhofs Little Ilford in London (1856) oder auch den Südfriedhof in Kiel (1869). Auch Wilhelm Cordes waren die Pläne von Père Lachaise und von rural cemeteries bekannt. Allerdings kritisierte er, dass unter der Projektierung von Natur und Kunst auf den Friedhofsparks die eigentliche Bestimmung eines Begräbnisplatzes – die Bestattung – in den Hintergrund geriet.29 Er beabsichtigte für den Ohlsdorfer Friedhof ein Gleichgewicht aus Funktionalität und Ästhetisierung, um einen Ort für die Lebenden und die Toten zu schaffen. Cordes legte Wert auf die Zweckmäßigkeit der Anlage für Friedhofsangestellte und Friedhofsbesucher: So wurde beispielweise das Verwaltungsgebäude am Haupteingang vorgesehen, aber die Grabkapellen dezentral über das Gelände verteilt, um die Wege für Hinterbliebene und Mitarbeiter kurz zu halten; zudem diente ein aufwändiges Drainagesystem der Be- und Entwässerung der Parkfläche und integrierte die beiden Teiche als Überlaufbecken; von den Hauptwegen führten Pfade zu den einzelnen Grabreihen und gliederten die Grabfelder, damit die einzelnen Grab­ stätten gut erschließbar waren und fremde Gräber nicht betreten werden mussten. Gleichzeitig wurde der Grundriss des Friedhofs nach einem Koordinatensystem in Planquadrate unterteilt, um bestimmte Grabstätten leichter auffinden zu können (Abb. 5, Abb. 6).30 Hinsichtlich der Bestattungen gelang Cordes in der Grundstruktur eine rücksichtsvolle Kombination aus einerseits großzügigen promenadeartigen Wegen mit exklusiven Grabstätten wie

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Abb. 5: Schematischer Lageplan Friedhof Ohlsdorf (1890er Jahre) Abb. 6: Der Übersichtsplan veranschaulicht die unterschied­ lichen Gestaltungskonzepte: im unteren Teil (Westen) der Parkfriedhof nach Cordes (ab 1876); im oberen Teil (Osten) die Erweiterung des Areals als architektonischer Friedhof nach Linne (ab 1919)

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z. B. entlang der Hauptallee und andererseits der bereits erwähnten Pfade, die eher beiläufig an Grabflächen in der üppigen Bepflanzung und dichten Vegetation vorbeiführten. Auf diese Weise entstanden repräsentative, stark frequentierte Begräbnisplätze und ruhigere Grabfelder, die den Hinterbliebenen Rückzug boten. Die landschaftliche Gestaltung sollte den adäquaten Rahmen für die Trauernden und die Friedhofsbesucher bieten. Um den Parkcharakter der Anlage hervorzuheben, ließ Cordes mehrere Sonderanlagen einrichten: unter anderem einen Rosengarten, zwei Teiche und romantisch verlaufende Bachläufe, einen geologischen Hügel mit Alpenbepflanzung, Schmuckanlagen im Eingangsbereich, Bepflanzung der Hauptallee mit Bäumen aus vier Erdteilen und verschiedene Freilichtmuseen.31 Da es bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch keine Volksparkanlagen in Hamburg gab, avancierte das landschaftlich gestaltete Gelände rasch zum Naherholungsgebiet.32 Infolge der Hafenerweiterung in den 1880er Jahren wurden mehr als 40.000 Menschen aus ihrem Wohnraum in Hafennähe in dörfliche Randzonen wie Barmbek oder die Alsterdörfer übersiedelt.33 Bis der Hamburger Volkspark 1914 eröffnet wurde, kam der Ohlsdorfer Friedhof auch in der Stadtplanungspolitik als öffentliche Grünfläche für die Bewohnerinnen und Bewohner im

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Abb. 7: Nordteich mit Rosen, Friedhof Ohlsdorf, (historische Postkarte, o. J.) Abb. 8: Familie Cordes im Rosarium, Friedhof Ohlsdorf, (historische Photographie, o. J.)

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Hamburger Norden gelegen. Mit der Konzipierung des Hauptfriedhofes zeichnet sich beispielhaft für andere Metropolen eine Neuordnung der Stadt ab: Um auf Grund der gewaltigen Bevölkerungsexpansion Wohnen, Arbeiten und Verkehr auf begrenztem Stadtgebiet arrangieren zu können, wurden ab der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts monofunktionale Stadtreviere oder Viertel angelegt. Cordes’ Parkfriedhofsplanung ist charakteristisch für diese umfassenden stadtplanerischen Herausforderungen: Er schuf eine Funktionssymbiose aus Begräbnisplatz und Grünanlage, die veranschaulicht, wie einerseits die Konzentration monofunktionaler Lebensbereiche begünstigt wurde über die Auslagerung der Kirchhöfe und andererseits eine Notwendigkeit zur Doppelnutzung der gebotenen Lebensräume bestand. Das Gesamtkonzept hatte den Begräbnisplatz zu einem Ort der Erholung gemacht, an dem sich die Stadtbevölkerung vom Treiben der wachsenden Metropole zurückziehen und Hinterbliebene in ihrer Trauer Trost und Hoffnung finden konnten (Abb. 7). So präsentierte zum Beispiel Heinrich Benrath in einem der ersten Friedhofsführer für Ohlsdorf im Jahr 1901 verschiedene Spaziergänge, durch die sich die Sonderanlagen, Sehenswürdigkeiten und herausragenden Grabstätten erschließen ließen. Mit Augenmerk auf die landschaftliche Gestaltung lobte der Autor ausführlich Cordes’ Konzept; dieser habe den Begräbnisplatz „zu einer stillen Parkanlage ausgebildet, mit mehreren Ruhebänken für Besucher, die den Frieden des Ortes in voller Einsamkeit genießen wollen.“34

Mehr noch als von einem »Gesamtkonzept« kann hier von »Gesamtkunstwerk« gesprochen werden, weil Cordes übergeordnete Zusammenhänge wie Hygiene, Verwaltung, Natur und Pietät unter ästhetisierenden Gesichtspunkten zusammengeführt hatte.35 Auch Reiseführer für Hamburg und Altona priesen den neuen Zentralfriedhof in Ohlsdorf als sehenswert an und betonten den Aspekt der zweckorientierten Ästhetisierung der Anlage:

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„Der Ohlsdorfer Friedhof ist in seiner Erscheinung nicht nur eine Stätte der Toten, sondern auch ein freundlicher, den herben Schmerz lösender Aufenthalt für die leidtragenden Hinterbliebenen. Dazu wirken Architektur, Plastik und Gartenkunst einheitlich zusammen.“36 „Den Haupteingang zum Friedhof bilden zwei je 7 m breite Tore für den Wagenverkehr und je zwei Fußgängerportale. Der herrliche Statuenschmuck fällt sofort ins Auge. […] Ausgedehnte Anlagen im romantisch-naturisierenden Gartenstil des 19.  Jahrhunderts erinnern kaum noch an den Friedhof; Teichpartien gleicher Art, die dem praktischen Zwecke der Entwässerung dienen, erfreuen das Auge durch ihren Blumenflor.“37

Um die Jahrhundertwende – über 20 Jahre nach der Eröffnung des Friedhofs – war die Anlage inzwischen aus altem Baumbestand und gezielt gepflanzten Büschen, Bäumen und Zierpflanzen zu einer repräsentativen Parklandschaft zusammengewachsen (Abb. 8). Der Friedhof zog einen gewissen „Planungstourismus“ von städtischen Beamten an, die Erfahrungswerte und Eindrücke für auswärtige Stadtplanungsfragen sammelten. 38 Nicht zuletzt, nachdem Cordes sein Konzept unter anderem auf der Internationalen Gartenbauausstellung in Hamburg (1897), im Rahmen der Weltausstellung in Paris (1900) und der Hygieneausstellung in Dresden (1911) präsentiert hatte, übernahm der Parkfriedhof in Ohlsdorf eine Vorbildfunktion für andere Friedhofsplanungen in Europa und vor allem im deutschsprachigen Raum, wie z. B. für den Kölner Südfriedhof (1901).39 Die Umsetzung von Cordes’ Konzept galt als Musterbeispiel für moderne und ästhetische Friedhofsplanung – zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerieten parkartige Begräbnisplätze von Seiten reform­ orientierter Architekten zwar zunehmend in die Kritik, aber in Reiseführern wurde der Friedhof in Ohlsdorf weiterhin zur Sehenswürdigkeit stilisiert: „Der Zentralfriedhof Hamburg ist in ganz Deutschland als ein Muster bekannt und wird als die beste Lösung der großstädtischen neuen Frage betrachtet. Jeder Fremde, der die Zeit irgendwie erübrigen kann, sollte die großartige Schöpfung des Friedhofdirektors Cordes besichtigen.“40

Um den repräsentativen Eindruck der Anlage zu unterstreichen, forcierte die Friedhofsverwaltung aufwändige Großgrabstätten, die von Künstlern gestaltet und in die weitläufige Parklandschaft hineinkomponiert werden konnten. Derartige Gräber standen vor der konsequent durchgeplanten und ästhetisierten Kulisse des Parkfriedhofs im Gegensatz zu den kellerartigen Familiengrüften der Oberschicht auf den früheren Kirchhöfen. Welchen Anreiz hatten vermögende Grabinteressenten, ihre Gräber kostspielig und repräsentativ zu inszenieren, wenn in der traditionel-

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len Grabmalkultur bisher vergleichsweise schlichte Grabstätten üblich gewesen waren? Die Friedhofsverordnung von 1884 als Voraussetzung für die Gestaltung des eigenen Grabes Die Voraussetzung für imposante Großgrabstätten bot die Friedhofsverordnung von 1884. Sie war notwendig geworden, weil die Bestattung nicht mehr den Kirchen oblag, sondern von nun an kommunal reguliert wurde. Noch vor der Eröffnung des Friedhofs wurde ein interkonfessionelles und zentralisiertes Bestattungswesen angestrebt, dessen rechtliche und organisatorische Grundlagen wie z. B. Grabarten, Ruhefristen, Kosten, Grabschmuck und konfessionelle Unterschiede nun satzungsgemäß definiert werden mussten.41 Im Wesentlichen waren zwei Grabtypen zum Erwerb vorgesehen: Zum einen sogenannte „Gemeinsame Gräber“, in denen die Verstorbenen in einer Art Reihengrab chronologisch nebeneinander beigesetzt wurden, die in der Regel auf 15 Jahre angelegt waren und nach Ablauf der Ruhefrist geräumt und neu belegt wurden. Zum anderen sogenannte „Eigene Gräber“, die sowohl von Einzelpersonen als auch von Familien genutzt werden konnten und für 25 Jahre oder auf „Friedhofsdauer“ eingerichtet wurden. Die Eigenen Gräber zeichnete zudem aus, dass die Grabeigner Lage und Größe der Grabstätte nach Tarifzuzahlung aussuchen konnten. Des Weiteren durften Grabstätten unabhängig von der Ruhefrist durch die Friedhofsdeputation geräumt und neu belegt werden, wenn die Gräber von den Nachkommen derart vernachlässigt wurden, dass „die Ordnung und Würde des Friedhofs“ gestört war.42 Der städtischen Friedhofsverordnung lag eine egalitäre, von der Kirche säkularisierte Idee zugrunde: Jede Person sollte unabhängig von Stand und Geburt ein eigenes und mit einer Grabnummer gekennzeichnetes Grab bekommen, damit es identifizierbar blieb. Diese Grundlage war eine Neuerung in der hamburgischen Bestattungskultur. Auf den kirchlichen Friedhöfen vor den Wall­anlagen hatte noch das Prinzip der Bestattung apud sanctos geherrscht – wenn auch die Sozialhierarchie der Bei­setzungen nicht mehr ganz so rigoros durchgesetzt wurde wie auf den früheren Begräbnisplätzen bei den Hauptkirchen, so blieb ein identifizierbares Grab mit dauerhaftem Grabschmuck weiterhin der Oberschicht vorbehalten.43 Mit der Kommunalisierung des Bestattungswesens waren Art und Gestaltung der Grabstätte nicht mehr von der Herkunft abhängig, sondern von den finanziellen Möglichkeiten. In der Zeit von 1882 bis zur Friedhofsreform von 1920 beliefen sich die Kosten für ein Einzelgrab auf 10,–  Mark, für ein Familiengrab wurden für ein Ehepaar pro Stelle 15,–  Mark erhoben, für ein

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Familiengrab für Erwerber, Ehefrau und Kinder 30,–  Mark. Die Verlängerung der Ruhezeit um weitere 25 Jahre belief sich auf 10,–  Mark pro Stelle oder auf das 4-fache der ursprünglichen Kosten für die Ruhstätte auf Friedhofsdauer.44 Im Vergleich dazu: Eine Stelle in einem Genossenschaftsgrab wurde für 25 Jahre mit 5,–  Mark veranschlagt, die Kosten für ein Allgemeines Grab wurden von der Friedhofsverwaltung getragen. Für ein fundamentiertes Grabmonument auf den Eigenen Gräbern musste im Durchschnitt mit 660,–  Mark gerechnet werden – je nach Ausstattung und Größe konnte dieser Preis zwischen 250,–  und 1250,–  Mark variieren.45 Ein Handwerker hätte für den Erwerb einer solchen Grabanlage mehrere Monats- oder sogar Jahreseinkommen aufbringen müssen. Da nicht nur Großgrabstätten, sondern auch kleinere Familiengräber samt plastischem Grabschmuck mit hohen Kosten verbunden waren, offenbaren die Grabinszenierungen die bürgerliche Geltungsmacht. Aus der starken Zunahme der Einzelund Familiengräber wird deutlich, dass der bürgerliche Grabtypus gegenüber den Allgemeinen und Genossenschaftsgräbern bevorzugt wurde, als erstrebenswert galt und zur Distinktion innerhalb der sozialen Ordnung im Friedhofsraum diente.46 Das Bürgertum nutzte die Gelegenheit, die repräsentative Grabmalkultur der Aristokratie zu adaptieren; es inszenierte die Grabstätte als Spiegelbild der individuellen Lebensleistung und des erwirtschafteten Status innerhalb der Gesellschaft. Die unterschiedlichen Grabausstattungen mit ihren Architekturen aus Sandstein oder Marmor und den überlebensgroßen Kreuzen, Findlingen, Christusfiguren und weiblichen Grabplastiken markierten die Vermögensverhältnisse der Grabeigner. Aber auch die Lage und Größe der Gräber ließ Rückschlüsse auf den sozialen Status zu. Zudem ermöglichte die Begräbnisordnung, dass ein Grabplatz über die Grundfläche mehrerer einzelner Grabfelder angekauft werden konnte. Auf diese Weise konnten weitläufige Grabstätten angelegt werden, auch wenn sie beispielweise nur für eine Einzelperson oder ein Ehepaar vorgesehen waren. Durch geschicktes Integrieren zwischen Büsche, Hecken und Bäume ließen sich diese von nahegelegenen einfachen Reihengräbern optisch abgrenzen und erinnerten an kleine Privatfriedhöfe in der Natur, wie sie bereits in den Landschaftsgärten zur Zeit der Empfindsamkeit idealisiert wurden. Die hamburgische Oberschicht und das aufstrebende Bürgertum eigneten sich dieses neue, ursprünglich egalitär intendierte Bestattungsprinzip an und setzten es schließlich als ein elitäres Bestattungsprinzip um. Die Parklandschaft wurde dabei zur Kulisse der bürgerlichen Grabinszenierung und der Friedhof zur öffentlichen Bühne der Trauer und des Gedenkens. Die Besucherinnen und Besucher nahmen nun am Friedhof eine andere Haltung ein als auf den früheren, eher schmucklosen Begräbnisplät-

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zen – Trauergesellschaften wurden zu Flaneuren und Spaziergänger verweilten ehrfürchtig vor monumentalen Grabanlagen. Diese Entwicklung markiert den wesentlichen Wandel in den Trauerritualen und der Erinnerungskultur im 19.  Jahrhundert. Rituale sind an Orte, zeitliche Abläufe und bestimmte Personen bzw. Gruppen gebunden, über die sie artikuliert und damit wirksam werden. Mit der Auslagerung der Begräbnisplätze verlieren die tradierten Trauerrituale ihre räumliche Bindung an Kirche und Gemeinde. Auch die ritualisierte Aufbahrung und der Trauerzug werden nach der Kommunalisierung der Bestattung neuen Auflagen unterworfen und können in ihrem ursprünglichen zeitlichen Ablauf nicht mehr ausgeübt werden. Allein die Tatsache, dass ein Begräbnisplatz am Rande der Stadt eingerichtet wurde, war in Hamburg kein Novum, wie an den Kirchhöfen vor den Wallanlagen zu sehen ist. Aber dass er derart vom alltäglichen Leben separiert wurde, bedeutete einen Einschnitt in der Begräbnis- und Trauerkultur. War auf den früheren Kirchhöfen ein bleibendes Grabmal für die Verarbeitung von Abschied und Schmerz nicht zwingend notwendig, weil sie über Rituale im Wohn- und Lebensraum mit der Familie, den Nachbarn oder der Gemeinde praktiziert wurde, wandelte sich nun das dauerhafte Grab zu dem wesentlichen Ort, an dem die Trauer artikuliert wurde. Um die Entfernung von Kirche und Gemeinde aufzufangen, richteten die Hamburger Kirchengemeinden 1894 ein evangelisch-lutherisches Friedhofspfarramt auf dem Friedhof in Ohlsdorf ein.47 Dennoch zeichnete sich eine zunehmende Säkularisierung im Bestattungswesen und in der Trauerkultur ab. Verantwortlich dafür war nicht allein die Zentralisierung der Begräbnisplätze und kommunale Durchführung der Beisetzungen, sondern auch die Schnittstelle aus Friedhof und Parklandschaft, die als öffentliche Bühne für die Selbstdarstellung und den Erinnerungskult der vermögenden Familien der Hansestadt genutzt wurde.48 Diese neuen bürgerlichen Trauerrituale und Gedenkkulturen waren weniger um das Seelenheil der Verstorbenen im Jenseits bemüht, sondern zielten auch auf die öffentliche Inszenierung der Trauer im Diesseits ab. Die weiblichen Grabplastiken sind Ausdruck und Zeichen des emotionsgeladenen und diesseitsbezogenen Umgangs mit dem Tod und der Trauer. Weibliche Plastik und Grabmalkultur Die weiblichen Grabplastiken, die heute auf dem Ohlsdorfer Friedhof zu sehen sind, wurden auf Eigenen Gräbern, meist auf Friedhofsdauer inszeniert. »Inszenieren« ist hier die passendste Umschreibung, weil die Familien und Grabeigner im Idealfall Lage und Größe der Grabstätte selbst ausgewählt haben und das Grabmal speziell für diesen Ort arrangieren ließen. Ort, Lage und

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Inszenierung der Grabstätten bilden unter anderem den Topos der weiblichen Grabplastiken und geben Einblicke in die bürgerliche Selbstdarstellung und hamburgische Gesellschaftsstruktur, weil sie auf die Wirkung im öffentlichen Raum ausgerichtet waren. Bestimmte Areale des Parkfriedhofs galten als besonders exklusiv und zogen die repräsentativen Grabstätten an; so z. B. entlang der Hauptallee, die heute Cordesallee heißt und zu den prominentesten Grabplätzen zählte (Abb. 9). Da sie als Hauptverbindungsachse durch das Gelände führte, wurde sie von Friedhofspublikum und Friedhofspersonal stark frequentiert und diente zudem zwischen Haupteingang und Wasserturm als zentrale Sichtachse und Orientierungslinie: „Eine von dem jetzt erst angelegten Haupteingange ausgehende breite Allee theilt den Friedhof in eine südliche und eine nördliche Hälfte. Am Schluss der etwa 1000 Meter langen Allee wird ein Thurm mit Hochbassin den abschließenden Augenpunkt bilden. [sic!]“49

Die Hauptallee säumte ein aufwändig gepflegter Baumstreifen, der in regelmäßigen Abständen von Plastiken und Skulpturen unterbrochen wurde. Sie bildete gewissermaßen den Boulevard oder die Flaniermeile des Parkfriedhofs und ließ den Eindruck des Begräbnisplatzes in den Hintergrund rücken. Im hinteren Teil der Allee liegt das Grab der Familien Neidhardt/Reimer (1914), das mit einer weiblichen Plastik ausgestattet wurde (Abb. 10, Abb. 11, Abb. 12).50 Die verschleierte Figur sitzt auf dem felsartigen Sockel einer polierten Granitstele und lehnt sich, von der Trauer sichtlich gezeichnet, seitlich über eine Urne und legt den Kopf schwer auf einer Hand ab. Das Aufstellen derartiger Grabmäler wurde über die Begräbnisordnung reguliert: Generell sollte „gutes und dauerhaftes“51 Material verwendet werden, im Detail wurde über Fundamentierungen individuell entschieden und Einfriedungen nur in Form von Schlägeln oder als niedrige Gitter gestattet, um den landschaftlichen Charakter nicht durch Mauern und Zäune zu stören. Alle Pläne und Konzepte mussten im Vorfeld von der Friedhofsverwaltung genehmigt werden – Grabschmuck im Allgemeinen und Figuren im Besonderen fanden

Abb. 9: Die Hauptallee vom Ver­ waltungsgebäude aus gesehen; das Grabmal Neidhardt/Reimer aus dieser Perspektive im hinteren Drittel auf der linken Seite (historische Photographie, um 1920) Abb. 10: Grabmal Neidhardt/ Reimer (1914), Albert Moritz Wolff, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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Abb. 11: Grabmal Neidhardt/ Reimer (1914), Albert Moritz Wolff, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 12: Grabmal Neidhardt/ Reimer (1914), Albert Moritz Wolff, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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in der Verordnung keine Erwähnung und fielen offensichtlich unter §1 für die allgemeine Genehmigung der Monumente.52 Auf dem Grab Neidhardt/Reimer wirkt die weibliche Plastik auf ihrem Sockel wie in die Szene eingebettet, indem die Grab­ stätte von dichten Rhododendren gerahmt wird. Sie weckt wie die vielen anderen Plastiken entlang der Hauptallee die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden, weil sich die Bronze vom Steinmonument und der Vegetation optisch stark abhebt. Es ist anzunehmen, dass die Grabstätte der Familien Neidhardt/Reimer bereits zum Zeitpunkt der Aufstellung von der üppigen Vegetation eingefasst wurde, weil der Friedhofsplan für die Hauptallee eine konkrete Raum­aufteilung mit arrangierter Begrünung definierte: Hier sollten eher großflächige Eigene Gräber nebeneinander liegen, aber nicht dicht an dicht, sondern aufgelockert und abgegrenzt durch Büsche und Sträucher. Aus dem Friedhofsplan lässt sich ableiten, dass auf diese prominente Reihe an der Hauptallee nach hinten weitere Reihen kleinerer Eigener Gräber folgten und dahinter wiederum die Grabfelder mit den einfachen Gemeinsamen Gräbern. Einerseits lagen diese Gemeinsamen Gräber ruhiger als die repräsentativen Grabstätten in vorderster Reihe, andererseits wurden sie auf diese Weise in einiger Entfernung hinter den schmuckvollen Monumenten versteckt.53 Mit über 80 % aller Bestattungen wurde der Bedarf an Gemeinsamen Gräbern von der Verwaltung kalkuliert54, sichtbar waren sie allerdings entlang der repräsentativen Hauptwege nicht. Wie bereits auf den Kirchhöfen auch hatte sich auf dem Begräbnisplatz die soziale Ordnung eingebrannt – mit dem Unterschied, dass die ständische Struktur im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert von einer schichtspezifischen abgelöst worden war: Das normative Bürgertum präsentierte in den vorderen Reihen Selbstbewusstsein und Finanzkraft, während die einfachen Gräber in den weniger sichtbaren Reihen platziert wurden. Die Hauptallee am Ohlsdorfer Friedhof konnte nach dieser Strategie kein Bild der „Todten und der Verwesung“55 zeigen, weil sie den Eindruck des Begräbnisplatzes in den Hintergrund rücken ließ. Aber auch unter den Eigenen Gräbern des Bürgertums gab es feine Unterschiede. Der erhaltene Bestand der Grabplastiken spiegelt noch immer die ursprüngliche Systematik der Grabanordnung und markiert die Partien, die bei den Grabeignern beliebt waren und unter anspielungsreichen Beinamen wie „­ Millionenhügel“ im Volksmund kursierten.56 In den ersten Jahren konnten repräsentative Grabstätten überwiegend rund um den Nordteich eingerichtet werden, bis die Bauarbeiten in anderen Bereichen nach und nach abgeschlossen waren und somit für die Mittel- und Oberschichten verfügbar wurden. Der Aspekt der Exklusivität eines Grabplatzes ist dabei äußerst relativ bzw. flexibel zu verstehen: Die Haupt­a llee kann beispielsweise als exklusiver Standort angesehen werden, weil sie den Gräbern eine exponierte Lage bot; aber auch der Wald-

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gürtel galt als exklusiv – allerdings, weil hier die Grabmäler umgeben von altem Baumbestand vor Blicken eher geschützt blieben. Familie Dralle, die zu den „hervorragenden Industrie-­Familien“57 in und um Hamburg zählte, hatte für ihre Großgrabstätte (1903) eine spezielle Rauminszenierung abseits der Promenadewege gewählt (Abb. 13, Abb. 14, Abb. 15).58 Abb. 13: Grabstätte Dralle (1913), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

Das Familiengrab wurde im Waldgürtel in der Nähe des Nordteichs so spannungsreich arrangiert, dass es verborgen in der dichten Vegetation lag und dennoch auf Grund seiner Monumentalität schon von Weitem zu erahnen war. Die Grabstätte wird am Kopf­ ende von einer über vier Meter hohen Architektur aus Muschelkalk mit einer überlebensgroßen Grabplastik aus Marmor dominiert und mit einer Grabfläche von über 40 qm zum Weg hin von zwei steinernen Bänken flankiert. Das Grabmal wirkt imposant auf Grund der Größe und des optisch homogenen und monumentalen Eindrucks: Die Architektur deutet einen Tempelvorbau an, wurde mit dorischen Säulen und einem blockartigem Gebälk versehen und mit einer weiblichen Allegorie der griechischen Mythologie ausgestattet. Im Stil des Klassizismus weckt das Arrangement mit der weiblichen Grabplastik Assoziationen an den historistischen Fassadenschmuck öffentlicher Repräsentativbauten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Obwohl das Familiengrab in die romantisch-entlegene Kulisse des Waldgürtels hineinkomponiert wurde, vermittelt die Art der Rauminszenierung, dass es sich um eines der ersten Häuser am Platz handelte. Damit entspricht es durchaus dem Selbstverständnis der Familie, wie eine Rede des Sohns Dr. Eduard Dralle verdeutlicht. Zum 75-jährigen Firmen­ jubiläum resümierte er die erstklassige Lage des Parfümerie­ladens an der Hamburger Zollbrücke: „Wenn man durch die Tore beim Millerntor, beim alten Michel vorbei an der Nikolaikirche und über die Trostbrücke wanderte, […] sah man am Fleet das Hamburger Zollhaus stehen, bestimmt

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für die Verzollung der vom Ausland kommenden Schiffswaren. Linker Hand vor der Zollenbrücke befand sich ein Eckladen, das Parfümeriegeschäft unseres Vaters Georg Dralle. Das war der Grundstein der Firma.“59

Eduard Dralle zielt auf das Renommee ab, das den Raum und Ort wie ein Nimbus umgeben kann: Hier geht es um Blickführung und Wahrnehmung, um Prestige und Beständigkeit. All diese Aspekte präsentiert und repräsentiert die Grabstätte, indem sie diese – standesgemäß bürgerlich – mit kostspieligen Materialien und auf Friedhofsdauer verewigt. Die Inszenierung wirkt beinahe dynastisch, weil die frontal-achsiale Raumaufteilung an Orte aristo­kratischer oder monarchischer Machtdemonstration erinnert. Die kniehohen Bänke rahmen die Grabstätte vom Weg aus ein, geben den frontalen Blick auf die Grabarchitektur vor und lassen die Gesamtinszenierung auf diese Weise noch großzügiger und imposanter wirken.

Abb. 14: Grabstätte Dralle (1913), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 15: Grabmal Dralle (1913), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

Die Rauminszenierung vermittelt den Eindruck eines Privatfriedhofs, indem alle vier Seiten zum umliegenden Friedhofsgelände hin abgegrenzt wurden: an der Kopfseite durch die Grabarchitektur mit der Plastik, an den Seiten mit Büschen und Unterholz und zum Weg hin durch die steinernen Bänke (Abb. 14). Die Großgrabstätte erscheint als Friedhof im Friedhof. Hier überlagern sich private Sphäre der Trauer und öffentliche Sphäre des kommunalen Begräbnisplatzes. In der Bürgertumsforschung wird zwar häufig eine Trennung privater und öffentlicher Räume beschworen,60 aber die bürgerlichen Grabstätten zeigen – ähnlich den halböffentlichen Salons oder Vorgärten bürgerlicher Villen  – , wie diese Grenzen von öffentlich und privat verschwimmen bzw. sich überschneiden: Die beiden Bänke suggerieren eine imaginäre Schwelle, als müsste man durch sie wie durch eine Pforte hindurchtreten. Da das Aufstellen von Zäunen oder Eingrenzungsmauern laut

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Friedhofsverordnung nicht gestattet war, wurde die Abtrennung der Grabfläche auf diese Weise geschickt gelöst. Nach der Schließung der beengten Kirchhöfe vor den Wallanlagen galt diese Art der Grabinszenierung als besonders vornehm und vorbildlich, blieb aber eher die Ausnahme, weil vermutlich nur wenige Familien derartige Kosten für Größe und Aufwand auf sich nehmen konnten.61 Die Großzügigkeit des Familiengrabes wurde unterstützt durch die Erhöhung des Grabmonuments auf einem ein Meter hohen Sockel, der das Aufsehen zur Plastik notwendig macht (Abb. 15). Das Betrachten von erhöhten Objekten drängt uns zu einer Haltung, bei der wir zurücktreten, den Blick nach oben richten und angesichts der Überhöhung einen Moment der Demut erfahren. Dabei wirkt die Rezeptionshaltung auf das Objekt zurück und weist ihm den Status des Erhabenen zu. Diese Wechselwirkung hat sich wie selbstverständlich in der visuellen Kultur unserer Betrachtungserfahrungen und -praktiken niedergeschlagen, da sie seit Jahrhunderten in der Inszenierung von öffentlichen Denkmälern oder Objekten religiöser Verehrung angelegt war. Vielmehr kann bei derartigen Inszenierungen von Inszenierungsstrategien gesprochen werden, weil in der Verbindung von Objekt, Raum und Publikum gezielt ihre Wirkung und Rezeption intendiert werden. Die repräsentativen Grabmäler um 1900 zeigen, wie die Inszenierungsstrategie der Erhöhung in einem bürgerlichen Modus vorgenommen wurde: Das Grabmal der Familie Dralle erinnert an die Inszenierung eines privaten Denkmals, strahlt wiederum auf die Grabeigner und das Familienandenken ab und untermauert so den Eindruck einer herausragenden Lebensleistung und eines ehrwürdigen Familienvermächtnisses. Auf eine ganz andere Weise zeigt sich ebenfalls im Bereich des Waldgürtels die Inszenierung des Familiengrabes ­Lachmann (1907) (Abb. 16, Abb. 17, Abb. 18).62 Neben einem schmalen gewundenen Weg trifft man hier wie zufällig auf eine kniende Bronzeplastik, die auf einem zweistufigen, aber niedrigen Sockel präsentiert wurde. Die Figur ist in ihrem einfachen, anliegenden Gewand von mädchenhafter Gestalt und hält beide Hände vors Gesicht geschlagen, als ob sie weinen würde. Da ihr Kopf nach vorne gebeugt ist, verdeckt ihr langes offenes Haar das Gesicht wie ein Schleier und scheint in die filigranen Falten des Kleides überzugehen. In starkem Kontrast hebt sich die zierliche ›Trauernde‹ zwar von dem massigen Sandsteinsockel ab, aber gleichzeitig scheinen die feinen vertikalen Linien der Haarsträhnen und des Gewandes schwer in die Tiefe zu ziehen. Die Grabinszenierung fordert zwangsläufig eine Blickrichtung ab, die nach unten führt – und zwar in die Richtung des Ortes, an dem sich die sterblichen Überreste der Verstorbenen befinden. Ohne ästhetisierende Umwege führt sie die Realität der letzten

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Abb. 16: Grabstätte Lachmann (1907), Stephan Sinding, Fried­ hof Ohlsdorf, Hamburg

Ruhestätte vor Augen und verweist damit auf unsere eigene Sterblichkeit. Sie knüpft an das Prinzip des Memento mori (= gedenke des Todes; gedenke, dass du sterblich bist) an, das in der Frömmigkeit des 17., 18. und 19. Jahrhunderts eine Rolle spielte.63 Es mahnte die Lebenden, sich ihrer eigenen Sterblichkeit bewusst zu sein und angesichts der Unausweichlichkeit des Todes einen christlichen Lebenswandel zu führen. In der bildenden Kunst etablierte sich hierzu eine eigene Ikonographie mit Symbolen wie dem Totenschädel und Gebeinen, Stundenuhr, geknickten Ähren oder erlöschenden Kerzen, aber auch ganz alltägliche Berührungspunkte mit dem Tod, beispielsweise im Beinhaus oder zu Kirchentagen wie Allerheiligen oder Allerseelen, konnten als Memento mori interpretiert werden. In der Ikonographie wichen die ungeschönten und drastischen Formen des Memento mori im Laufe des 19. Jahrhunderts einer ästhetisierten und sublimeren Bildwelt des Bürgertums, die sich rationalistisch von den Schrecken des Todes abwandte. Grabmäler wie das der Familie Lachmann können allerdings weiterhin als eine Variante des Memento mori gedeutet werden, weil ihre Inszenierungsstrategie den Betrachtenden eine spezifische Haltung abverlangt: Die innere Haltung, die das Memento mori den Gläubigen auferlegt hatte, zeigt sich nun auf den Grabstätten des späten 19. Jahrhunderts in der äußeren Haltung des Hinabblickens. Indem die nummerierten Einzelgräber den Leichen einen identifizierbaren und dauerhaften Ort gaben, entsprach das Hinab­blicken in die Richtung der sterblichen Überreste und dabei die bloße Vorstellung von der Realität des Todes einem Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit. Im bürgerlichen Zeitalter sind es also nicht zwingend die tradierte Symbolik und Ikonographie, die den Bezug zum Memento mori herstellen, sondern die Betrachtungshaltung, die wir vor einer derartigen Grabinszenierung einnehmen. In der bildenden Kunst wurde das Memento mori häufig mit Symbolen der Vanitas, der Vergänglichkeit, versehen.64 Die Grab-

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stätte der Familie Lachmann veranschaulicht, wie diese Verknüpfung, die vor allem zur Zeit der Renaissance und des Barock beliebt war, in der Grabmalkultur des 19. Jahrhunderts fortgeführt wurde. Neben den bereits erwähnten Symbolen des Memento mori waren in den Vanitas-Motiven unter anderem Stillleben mit opulenten Blumen, reifem Obst oder anderen verderblichen Nahrungsmitteln beliebt, die allerdings erste Zeichen von Fäulnis und Verwesung zeigten. In diesen Bildern wurde gezielt das blühende Leben mit morbider Vergänglichkeit in Bezug gesetzt, um spannungsreich auf das Endliche im Diesseits hinzuweisen.

Die Rauminszenierung des Familiengrabs Lachmann knüpft an religiös motivierte Bildtraditionen und Vorstellungswelten an, löst sich aber sowohl von der tradierten Ikonographie als auch von der christlichen Schicksalergebenheit. Die Inszenierung setzt das Objekt in den öffentlichen Raum, spielt mit unseren Sehgewohnheiten, mit der Rezeptions- und Körperhaltung vor dem Grabmal und mit einem emotional eindringlichen Überraschungsmoment: Das Grabmal mit der lebensgroßen Bronze hatte bereits zur Zeit der Grabeinrichtung zwischen Büschen und Unterholz wie beiläufig am Weg gelegen, so dass ganz plötzlich und unvermittelt der Blick auf sie freigegeben wurde (Abb. 19). Auf die Knie gesunken, das Gesicht in den Händen verborgen, wirkt sie wie entrückt und erstarrt. Im Gegensatz zu den Grabstätten Neidhardt/Reimer und Dralle werden wir hier nicht über behutsam vorbereitete Blickführungen an eine Allegorie des Schmerzes oder ein privates Denkmal für die Verstorbenen herangeführt. Stattdessen stoßen wir auf ein szenisches, fast realistisches Bild einer trauernden Frau. Der norwegische Bildhauer Stephan Sinding schien für eine derartige Inszenierung wie prädestiniert, da seine wirklichkeitsnahen Denkmäler und Bildnisbüsten „einen Höhepunkt der naturalistischen Plastik um die Jahrhundertwende“65 darstellten. So verkörpert die ›Trauernde‹ am Grabmal Lachmann weniger ein Sinnbild als vielmehr ein Wunschbild der bürgerlichen Trauerkultur, das

Abb. 17: Grabmal Lachmann (1907), Stephan Sinding, Fried­ hof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 18: Grabmal Lachmann (1907), Stephan Sinding, Fried­ hof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 19: Historische Photogra­ phie der Grabstätte Lachmann, Friedhof Ohlsdorf (vor 1913)

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beispielhaft für andere szenische Inszenierungen ist. Zum einen markieren die Gesten der ›Trauernden‹ das Grab als eine Ruhestätte betrauerungswürdiger Personen. Zum anderen fungiert die Figur als ein Stellvertreter oder Substitut – als das Bild der trauernden Frau, die am Grab zurückbleibt, wenn die Hinterbliebenen längst den Friedhof verlassen haben. Die Kombination aus Inszenierungsdetails wie dem modifizierten Memento mori, der ­Vanitas sowie der szenischen Darstellung der Trauer rückt die Unausweichlichkeit des Todes und den Schmerz um die Verstorbenen in den Vordergrund und lässt das exklusive Prestige der Grablage im Waldgürtel eher sekundär erscheinen. Mit den Friedhofsverlegungen wurde die Grabstätte als Ort des Gedenkens und Trauerns relevant. Die weiblichen Grabplastiken auf dem Ohlsdorfer Friedhof offerierten dabei eine Bildwelt, die ganz unterschiedliche Assoziationen zu Sterben, Tod und Trauer weckten, indem sie das Potenzial hatten, das Andenken an die Verstorbenen repräsentativ zu vermitteln oder an die eigene Sterblichkeit zu erinnern. Die Grabstätten Neidhardt/Reimer, Dralle und Lachmann machen deutlich, wie stark die Rezeption und Interpretation der Objekte von den räumlichen Gegebenheiten und Inszenierungsstrategien beeinflusst werden. Sie lassen sich exemplarisch für die vielen anderen Grabinszenierungen mit weiblichen Plastiken lesen, die an exponierten Orten, entlang von Sichtachsen oder zurückgezogen in die Parklandschaft konzipiert wurden.66 Exakte Zahlen über die Häufigkeit von weiblichen Grabplastiken oder anderem figürlichen Grabschmuck lassen sich heute nicht mehr rekonstruieren. Fest steht, dass die weiblichen Grabplastiken auf der einen Seite das häufigste Motiv unter dem figürlichen Grabschmuck stellten und auf der anderen Seite unter allen Gräbern in Ohlsdorf eine vergleichsweise minimale Anzahl von Begräbnisplätzen schmückten. Von der Eröffnung bis ins Jahr 1896 wurden von den bis dahin 183.456 Leichen 7.070 in Genossenschaftsgräbern, 20.444 in Familiengräbern und 155.942 in den Gemeinsamen Gräbern beigesetzt.67 Insgesamt machten also Familiengräber, auf denen die weiblichen Grabplastiken zu finden waren, nur einen relativ geringen Teil aller Grabstätten aus. Die Tatsache, dass sich ausgerechnet diese Grabinszenierungen in der öffentlichen Wahrnehmung eingeprägt hatten, ist drei Ursachen geschuldet: der Inszenierung, der Individualität sowie der Dauerhaftigkeit. Ein Großteil der Figuren wurde an stark frequentierten Wegen, markant und ästhetisch inszeniert, auf Grund der künstlerischen und individuellen Gestaltung hoben sie sich von den einfachen Reihengräbern ab und – dieser Aspekt ist nicht zu unterschätzen – sie blieben über mehrere Jahrzehnte, teils sogar auf Friedhofsdauer stehen und blieben damit sichtbar. Das Andenken an die Verstorbenen repräsentativ zu inszenieren, entsprach dem Zeitgeist des hanseatischen Bürgertums und

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war eng an die Kulisse, das Konzept und die Verordnung städtischen Friedhofs gekoppelt. Als sich diese Bedingungen änderten, veränderte sich auch die Grabmalkultur rund um die ›Trauernde‹. Nach dem Tod von Johann Wilhelm Cordes wurde 1919 Otto ­Linne (1869 – 1937) als nachfolgender Friedhofsverwalter eingesetzt und bereits in den 1920er Jahren mit Erweiterungen des Areals beauftragt. Linne setzte den Ausbau nach einem streng architektonischen und zweckrationalen Grundriss um, der für die europäische Friedhofsgestaltung in den Zwischenkriegsjahren charakteristisch wurde (Abb. 6). Gründe dafür lagen in den Lebensreformbewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die einen vergleichsweise rationalen, egalitären und naturnahen Umgang im Kontext von Trauer, Gedenken und Grabgestaltung diskursmächtig machten.68 Zudem hinterließ die Erfahrung mit dem massenhaften gewaltsamen Tod während des Ersten Weltkrieges massive Spuren in der Friedhofs- und Trauerkultur. Kaum eine Familie war nicht von einem Todesfall im engen Kreis betroffen, Begräbnisplätze wurden nüchterner und platzeffizient gestaltet und mit der Verbreitung von Soldatengräbern erfuhr die Trauerkultur Züge eines kollektiven Gedächtnisses. Die individuell geschmückten Gräber der Oberschicht wurden nun als Kitsch und Pomp kritisiert und erschienen nach den Kriegsjahren nicht mehr angemessen. Infolge der Friedhofsreform zwischen den Weltkriegen durften weibliche Grabplastiken nur noch im historischen Cordes-Teil des Ohlsdorfer Friedhofs aufgestellt werden, bis die Tradition der ›Trauernden‹ nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich ganz abgerissen ist.69

2.2 Cimetière du Père Lachaise, Paris Der Friedhof Père Lachaise zählt zu den berühmtesten Friedhöfen in Europa. Er wurde Anfang des 19. Jahrhunderts als kommunaler Begräbnisplatz vor den Toren der Stadt eingerichtet und wird bis heute als eine der ästhetischsten und räumlich eindrucksvollsten Nekropolen gelobt. Sowohl eine Reihe von prominenten Gräbern als auch die hohe Dichte an Mausoleen und künstlerischen Grabdenkmälern machten Père Lachaise zu einer Sehenswürdigkeit, die auch heute noch ähnlich einer Pilgerstätte aufgesucht wird. Unter den dauerhaften Grabmälern machen die weiblichen Grabplastiken im Vergleich zu dem Bestand am Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg nur einen geringen Teil aus. Besonders deshalb ist der Friedhof für die Untersuchung interessant, weil die ›Trauernden‹ meist mit dem Père Lachaise assoziiert werden, aber nicht zwingend für die Grabmalkultur in Paris im 19.  Jahrhundert repräsentativ sind. Zudem ist der Friedhof Père Lachaise aufschlussreich, weil er als erster landschaftlich gestalteter Friedhof in Europa eingerichtet wurde und ein frühes Beispiel bürgerlich-­

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repräsentativer Trauerkultur darstellt. Sein spezielles parkartiges Konzept hatte für spätere amerikanische und europäische Friedhöfe eine gewisse Vorbildwirkung und zog bereits in den ersten Jahrzehnten nicht nur Hinterbliebene und Flaneure aus Paris an, sondern such internationales Fachpublikum und Reisende.70 Die Entstehung des Cimetière du Père Lachaise in Paris Die Friedhofsgeschichte in Hamburg hat gezeigt, dass sich das französische Dekret zur Verlegung der Friedhöfe vor die Tore der Stadt direkt auf die besetzten Territorien außerhalb Frankreichs ausgewirkt hatte. In Frankreich hatte dieses Dekret eine Vorgeschichte, die mit der innerstädtischen Bestattungskultur in Paris zu tun hatte und für die Entstehung des Friedhofs Père ­Lachaise verantwortlich war. Ende des 18.  Jahrhunderts wurde dort das massive Platzproblem auf den Kirchhöfen und in den Kirchen immer deutlicher. Aus Platzmangel wurden die Leichen in mehreren Schichten übereinandergelegt und Gruben oder Grüfte erst geschlossen, wenn sie überfüllt waren. Besonders auf dem ­Cimetière des Innocents hatte diese Praxis zu hygienischen Missständen geführt und in den 1760er Jahren ein Bestattungsverbot durch das Stadtparlament nach sich gezogen, das allerdings aus Mangel an alternativen Flächen nicht eingehalten werden konnte.71 1776 folgte ein königliches Dekret, das die Verlegung gesundheitsgefährdender Bestattungsplätze vor die Stadtmauern vorsah und schließlich auch für den Cimetière des Innocents umgesetzt wurde.72 Zu umfassenden Verlegungen von Friedhöfen kam es schließlich nach 1804 mit dem „Décret impérial sur les sepultures“ unter Napoleon I., das auch außerhalb Frankreichs in den besetzten Gebieten wie in Hamburg zum Tragen kam.73 Parallel zu diesen Reformbemühungen entstanden in Paris um 1800 fünf große kommunale Friedhöfe: in der Stadtmitte der C ­ imetière Passy sowie vor den Stadttoren die neuen Begräbnisplätze Père Lachaise (früher Cimetière de l’Est), Montparnasse (früher ­Cimetière du Sud), Montmartre (früher Cimetière du Nord), und ­Vaugirard, die ringförmig um den Stadtkern angelegt wurden. Die größte Begräbnisfläche bot der Friedhof Père ­ Lachaise, der 1804 eröffnet und ab 1808 von dem städtischen General­ oberinspektor und Architekten Alexandre-Théodore Brongniart (1739 – 1813) programmatisch gestaltet wurde. Brongniart konzipierte Père Lachaise als ersten Friedhof im landschaftlichen Gartenstil, indem er die topographischen Begebenheiten einbezog und auf einen bereits vorhandenen Garten aufbauen konnte. Das Gelände des Père Lachaise war im frühen 18. Jahrhundert im Besitz des ­Jesuiten François d’Aix de La Chaise, der mit dem Königshaus vertraut war. Für seine hohen Besuche hatte er sich einen repräsentativen Prachtgarten mit abgestuften Terrassen, Zierbeeten mit

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seltenen Blumen und exotischen Pflanzen und eine Art Orangerie eingerichtet.74 Nach dem Tod des Geistlichen wechselte das Anwesen mehrmals die Besitzer und wurde schließlich 1804 von dem Pariser Präfekten Nicolas Frochot angekauft, um einen neuen Begräbnisplatz außerhalb der Stadt einzurichten. Der Garten wurde schließlich an die Stadt verkauft und versprach ausreichend Frei­fläche für die Umfunktionierung zum städtischen Begräbnisplatz. Alexandre-Théodore Brongniart (1739 – 1813) wurde beauftragt, die großzügige Fläche als Friedhofsraum umzugestalten. Vor der landschaftlich kultivierten Kulisse verfolgte er ein Konzept im englischen Gartenstil und löste sich von dem früheren teils geometrischen Grundriss. Das Gelände ist im unteren Teil geprägt von einem Gefälle Richtung Innenstadt, so dass der Architekt für diesen Bereich terrassenartige Grabfelder mit geschwungenen Wegen und im oberen, weniger abfallenden Teil eine geometrisch-achsiale Anordnung vorsah. An der Friedhofsmauer in Richtung Stadt wurde der Haupteingang eingerichtet, von dem aus ein Hauptweg als Blickachse über das Gelände bergauf führte. Vom Portal aus erzeugte die so konstruierte Untersicht einen imposanten Gesamt­eindruck der Anlage (Abb. 20, Abb. 21).75 Der neue Begräbnisplatz bedeutete für die Bevölkerung eine enorme Umstellung. Die Bestattung wurde von der Kirche getrennt, die Beisetzung weit vor der Stadt abgewickelt, Einzelgräber zu unterschiedlichen Preisen und Laufzeiten angeboten und die jeweiligen Grabfelder zweckrational in Divisionen eingeteilt. Im eigentlichen Untersuchungszeitraum, der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurden zwei Drittel aller Beerdigten unentgeltlich in gemeinsamen Gräbern bestattet. Die übrigen Bestattungen waren in neun Klassen unterteilt, die sich auf Kosten zwischen 9 Franc und 10.000 Franc beliefen und in der Regel von der ­„Compagnie des Pompes funèbres“ durchgeführt wurden. Friedhöfen wie dem Père Lachaise oder auch dem Montparnasse haftet im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert allerdings ein intendiert elitärer Beigeschmack an, weil die Nachfrage nach Dauergräbern, so genannten „concessions à perpétuité“, so gestiegen war, dass die Stadt hier nur noch ausschließlich diesen Grabtyp zuließ.76 Allerdings war die Begeisterung für die »neuen« Begräbnisplätze außerhalb der Stadt in den ersten Jahren wesentlich verhaltener. Um den Père Lachaise attraktiver zu gestalten, wurden sukzessive Grabmäler und Gebeine von prominenten Persönlichkeiten in die reizvolle Landschaft überführt. Den Anfang machte das mittelalterliche Liebespaar Héloise und Abelard, dessen dramatische Liebesgeschichte zur Zeit der Romantik neues Interesse weckte und um 1800 vor allem in bürgerlichen Kreisen verehrt wurde. Andere Verstorbene aus vorwiegend künstlerischen Kontexten folgten und machten den Friedhof zu einer Art Pilgerstätte öffentlicher Huldigung und zelebrierten Andenkens.77

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Abb. 20: Schematische Ansicht mit Angaben zu prominenten Gräbern, Cimetière du Père Lachaise, Paris (1820) Abb. 21: Friedhofsplan mit Angaben zu prominenten Gräbern, Cimetière du Père Lachaise, Paris (1862)

Diese neue Form der Gedenkkultur setzte sich nun auch zunehmend auf privaten Gräbern fort und äußerte sich in der Zahlungsbereitschaft für dauerhafte Grabstellen, kostspielige Materialien und repräsentative Inszenierungen. Nachdem in den 1820er Jahren die Reglementierungen für die Gestaltung der Gräber gelockert wurden, stieg die Dichte an Miniaturkapellen, Mausoleen, Büsten und Figurengruppen. Künstler, die sich im frühen 19. Jahrhundert mit Brunnen, Denkmälern und Fassadenschmuck ein gewisses Renommee erarbeitet hatten, erhielten nun Aufträge für die Grab­ inszenierungen von anerkannten Wissenschaftlern, politischen

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Vorkämpfern und vermögenden Bürgern, aber auch von den zahlreichen Marschällen, Militärs und Unterstützern Napolèons.78 Die Friedhofslandschaft spiegelt die politischen Wechsel von Republik zu Kaiserreich zu Monarchie und wieder zur Republik sowie die parallel zunehmende Ausdifferenzierung des Bürgertums, die sich in der Grabgestaltung ausdrückte. Auf dem Père Lachaise hatte sich binnen weniger Jahre eine Mischung aus in Szene gesetzter Natur, Bestattung und Emotion etabliert, die über Paris hinaus Interesse weckte, weil sie auch andernorts den Zeitgeist und die Gefühlswelt traf. Dieser Friedhof verkörperte eine Ahnung jener „bürgerlichen Utopie, die in der ,freien‘ Natur ihren Ort sah“79 und diente als Projektionsfläche sentimental-melancholischer Vorstellungsbilder zum Thema Tod und Abschied. Angesichts der abwechslungsreichen Vegetation, die sich in den 1820er Jahren schon in voller Pracht entfalten konnte, und der zunehmenden Dichte an künstlerisch wertvollen Grabmonumenten, nutzten nicht nur Hinterbliebene und Angehörige den Begräbnisplatz als Rückzug und zur Einkehr, sondern auch Flanierfreudige für Ausflüge und Spaziergänge. Gleichzeitig avancierte der Père Lachaise zu dem internationalen Vorbild in Fragen zentralisierter und ästhetisierter Bestattung und zog ein weit gereistes und spezialisiertes Fachpublikum von Architekten und Beamten an. Da zahlreiche europäische Städte seit dem frühen 19. Jahrhundert vor dem Problem wachsender Population und mangelnder Begräbnisflächen standen, strahlte Paris einen gewissen Pionier-Charakter in Kombination mit vergleichbaren Erfahrungswerten aus.80 Weibliche Grabplastik und Grabmalkultur Zum Phänomen der weiblichen Grabplastik wird häufig der Père Lachaise assoziiert, unter anderem weil die weiblichen Grabplastiken dort zu den beliebtesten Photomotiven zählen, seit einigen Jahren medial verbreitet werden und damit Vorstellungsbilder vom Père Lachaise prägen.81 Allerdings waren die ›Trauernden‹ hier deutlich weniger stark vertreten als in anderen europäischen Städten. Die Grablandschaft des 19. Jahrhunderts wurde vor allem von Mausoleen, Kapellen, Kleinarchitekturen und Büsten domi­niert.82 Hinsichtlich der weiblichen Grabplastik scheinen hier die Prinzipien der selektiven Wahrnehmung zu greifen: Personendenkmäler für Männer mit ihren eigenen Büsten oder Porträtmedaillons sind nach wie vor derart präsent, dass die wenigen figürlichen Darstellungen wie die ›Trauernden‹ besonders hervorstechen. Der prozentuale Anteil von weiblichen Grabplastiken unter allen historischen Grabmälern lässt sich nicht rekonstruieren, aber Abbildungen aus dem 19. Jahrhundert bestätigen den Eindruck, dass sie entweder kaum verbreitet waren oder – im Gegensatz zu heute – nicht als

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Abb. 22: Grabmal Raspail (1878), Antoine Etex, Cimetière du Père Lachaise, Paris Abb. 23: Grabmal Raspail (1878), Antoine Etex, Cimetière du Père Lachaise, Paris Abb. 24: Grabstätte Raspail (1878), Antoine Etex, Cimetière du Père Lachaise, Paris

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charakteristisch und darstellenswert erachtet wurden. Möglicherweise war das Bürgertum in Paris so eingenommen vom steten politischen Wandel männlicher Akteure, dass von alteingesessenen Konservativen bis zu widerständigen Emporkömmlingen das Denkmal mit der Verewigung des eigenen Abbildes den weiblichen Sinnbildern vorgezogen wurde. Weibliche Grabplastiken treten dabei vorwiegend als allegorisches Beiwerk im Stil konventioneller Personendenkmäler auf oder in Form von Halbreliefs als Karyatiden und Dekorelement an Mausoleen. Weibliche Plastiken als eigenständiger Grabschmuck, wie wir ihn am Beispiel des Ohlsdorfer Friedhofs gesehen haben, sind auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris eher selten, aber dafür in ihrer Wirkung meist umso eindringlicher. Ein herausragendes Beispiel stellt das Grabmal der Familie Raspail dar (Abb. 22, Abb. 23, Abb. 24).83 Es liegt in der 18. Division in der Nähe des Carrefour du Grand-Rond, einer Art Rondell und Verkehrsknotenpunkt, an dem mehrere Wege zusammenlaufen.84 Von unten kommend bietet sich ein frontaler Blick auf die Vorderseite des Monuments – entscheidend ist aber die räumliche Inszenierung zu den drei anderen Seiten, die von den höher gelegenen Wegen einsehbar sind. Von oben kommend erscheint das Grabmal als ein schlicht gemauertes Mausoleum mit flachem Giebeldach. Bewegt man sich auf den kreisförmigen Platz zu, eröffnet sich nach und nach der Blick auf die Vorderseite: Die schlicht gemauerte Wand mit einem vergitterten Fenster und einem Immortellenkranz unter dem Giebel, eine lebensgroße Gestalt, die vollkommen verhüllt seitlich an dem Mausoleum lehnt, ein Arm hängt seitlich schwer herab, die andere Hand greift kraftlos durch die Gitterstäbe in den zugemauerten Innenraum.

Die Figur ist über und über in ein weites Tuch gehüllt, so dass sie als menschliche Gestalt aus der Ferne kaum zu erkennen ist. Vielmehr weckt die Inszenierung im Vorbeigehen das Interesse, weil die Oberflächenmodellatur zwischen all den ästhetisch harmonischen und klassizistischen Kunstwerken irritierend ist. Das Auge

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braucht einen Moment, um den harten Kontrast zwischen der glatten Oberfläche der Architektur und den tiefen, fast fließenden Falten zwischen den vergleichsweise homogenen Grabdenkmälern einordnen zu können. Die Inszenierung zeigt eine szenische Darstellung, die einen biographischen Verweis zur Familie herstellen soll. Das Grabmal wurde für die Ehefrau von François Vincent Raspail (1794 – 1878) errichtet, die verstarb, während ihr Mann als politischer Gefangener inhaftiert war. Raspail war ein renommierter Chemiker und Biologe, der in der Öffentlichkeit aber vor allem durch seine politischen Aktivitäten als Republikaner und Sozialreformer bekannt wurde.85 Er stand in Opposition zur Monarchie, beteiligte sich sowohl an der Julirevolution von 1830 als auch an der Februarrevolution von 1848 und veröffentlichte das Journal „L’ami du peuple“, später unter dem Titel „Démocratie pacifique“. Mehrmals kam er in Haft, unter anderem im gefürchteten Donjon von Vincennes und in der Zitadelle von Doullens. Raspails Ehefrau, Adélaide Raspail, kam ihn regelmäßig besuchen, bis sie 1853 nach mehrjähriger Krankheit – vermutlich durch eine Arsenvergiftung bei einem Besuch im Gefängnis – verstarb. Die stark verschleierte Grabplastik ist eine Personifikation der Ehefrau am Kerker und wurde von Raspail bei dem renommierten Pariser Künstler Antoine Etex (1808 – 1888) in Auftrag gegeben.86 Etex hatte sich mit zwei kolossalen Pfeilerreliefs am Arc de Triomphe de l’Etoile einen Namen gemacht und zahlreiche Preise für Denkmäler, Büsten und Skulpturen errungen. In einem Grabentwurf für das Familiengrab Raspail hatte er die Ehefrau mit ihrer Tochter Marie Apolline unter dem Gefängnisfenster „with a stoicism worthy of antiquity“ dargestellt.87 In der Ausführung am Père Lachaise wurde die Figur der Tochter jedoch nicht mehr umgesetzt (Abb. 25, Abb. 26). Etex hat für die Familie Raspail absolut kein zeittypisches Personendenkmal geschaffen. Das Grabmal entspricht nicht den Historismus-typischen Personendenkmälern aus den Bestandteilen Sockel, Büste und Allegorie, die vor allem nach ästhetischen Gesichtspunkten inszeniert wurden. Es zeigt stattdessen eine Szene des Abschieds, die auf Grund ihrer räumlichen Inszenierung jenseits des Ästhetischen überraschend bis erschreckend wirken kann. Die Geschichte um den Tod von Adélaide Raspail beflügelte die Literatur über den Père Lachaise zu zahlreichen Interpretationen der weiblichen Plastik: als Anima und Geist der Verstorbenen, die an das Gefängnisfenster tritt, als die Ehefrau als Phantom und Opfer der politischen Wirren in Frankreich oder als Wartende, die in Vorsehung ihres eigenen Todes um das Schicksal ihres Gatten trauert.88 Für die meisten Assoziationen und Spekulationen sorgte die Inszenierung des Schleiers. Als Gestaltungselement war er im 19.  Jahrhundert auf Friedhöfen in Paris stärker verbreitet als in anderen europäischen Städten. Dabei wurden

Abb. 25: Grabmal Raspail (1878), Antoine Etex, Cimetière du Père Lachaise, Paris Abb. 26: Zeichnung für das Raspail-Grabmal, Antoine Etex (o. J.)

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nicht nur Figuren verschleiert, sondern auch Reliefs, Karyatiden – „cariatides en pleurs“89  – , Körperteile, Urnen oder Kreuze (Abb. 27, Abb. 28, Abb. 29). Hier scheint in der Grabmal- und Trauerkultur der Aspekt des Transzendenten und des Übergangs in den Vordergrund gerückt zu sein. Am Grabmal für die Familie Raspail trat damit allerdings die Identifizierbarkeit der Ehefrau in den Hintergrund – es sollte zwar eine konkrete Person gezeigt werden, die aber auf Grund der Verschleierung nicht mehr zu erkennen und damit nur noch Sinnbild der Trauer ist. Die Kombination aus ästhetisch inszenierten Monumenten und prominent-repräsentativen Begräbnisplätzen machte den Friedhof Père Lachaise zu einem identitätsstiftenden Gedächtnis­ ort der Pariser Oberschicht. Auch bei Reisenden, vornehmlich aus dem Bildungsbürgertum, avancierte der Friedhof zu einer Pilgerstätte, in der Gräber von Molière und La Fontaine zwischen romantischer Parklandschaft und „promenade publique“ gebettet lagen.90 Historische Reiseführer geben Einblick in das öffentliche Schaulaufen; so z. B. der Anhang in „Land und Leute“, in dem Dia­ loge für Ausflüge als eine Mischung aus Vokabelübung und Reiseführer in Französisch und Deutsch, angeboten wurden: „Jakob: Mit Hülfe des in meinem ‚Bädeker‘ befindlichen Planes können wir die bemerkenswertesten Denkmäler des Kirchhofes ganz schnell besichtigen. Sieh, dort befindet sich das berühmte ‚Totendenkmal‘, dessen Schöpfer Bartholomé ist. Paul: Man sagt mit Recht, daß diese Todesstätte eine Sehenswürdigkeit ist; wie haben bei uns zu Hause nichts Ähnliches. Jakob: Daher ist dieser Kirchhof (aber) auch eine Art von öffentlichem Spazierweg geworden. Paul: Aber das ist unglaublich, diese Menge von prachtvollen Grabmälern, die sich längs dieser mehr wie Straßen aussehenden Alleen hinziehen! [sic!]“91

Abb. 27: Grabmal Dutartre mit verhüllter Karyatide (o. J.), Cimetière du Père Lachaise, Paris Abb. 28: Verhüllte Urne (o. A.), Cimetière du Père Lachaise, Paris Abb. 29: Verhülltes Kreuz (o. A.), Cimetière du Père Lachaise, Paris

Die Friedhofskonzepte in Paris hatten eine beachtliche Vorbildwirkung für die Friedhofsplanung anderer Städte in Europa. Als die Verlegung der Begräbnisplätze andernorts relevant wurde, war auf dem Friedhof Père Lachaise der bürgerliche Grabmalkult bereits vor reizvoller Kulisse voll entfaltet. Historische Abbildungen zeigen, dass sich bereits wenige Jahrzehnte nach der Friedhofseröffnung Mausoleen und Grabdenkmäler dicht aneinanderreihten und einzelne Divisionen des Friedhofs als Miniaturstadt erscheinen ließen. Zu dieser fast gleichförmigen Kulisse aus Tempeln, Mausoleen, Sockeln und Gesteinsblöcken stand der filigrane Charakter der weiblichen Figuren aus Marmor und Bronze in besonders starkem Kontrast. Zudem waren die Plastiken nur selten von Weitem zu sehen, weil sie von den Grabarchitekturen überragt wurden. Nur entlang der Hauptachse fanden die Figuren ähnlich exponierte Aufstellungsplätze wie in Ohlsdorf. Der Groß-

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teil wird auch heute noch im asymmetrischen Wegenetz und zwischen größeren Monumenten vom Hang aus unmittelbarer Nähe sichtbar.

2.3 Zentralfriedhof Wien Der Zentralfriedhof Wien in Simmering ist mit 2,5 km² Grundfläche nach dem Ohlsdorfer Friedhof der zweitgrößte Friedhof Europas – mit 330.000 Grabstätten und ca. 3 Millionen Bestatteten ist er zahlenmäßig sogar der größte Begräbnisplatz in Europa. 1874 wurde er als kommunaler und interkonfessioneller Begräbnisplatz mit Abteilungen der evangelischen, jüdischen und orthodoxen Kirchen eingerichtet. Er ist damit als Fortführung der Bestattungsreformen durch Joseph II. zu verstehen, die bereits im späten 18. Jahrhundert die Kommunalisierung und die Verlegung von Friedhöfen nach sich gezogen hatten. Zudem war der „Zentral“ – wie er in Wien abgekürzt wird – in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Teil der umfangreichen stadtplanerischen Programme. Mit ihm sollte das Problem der massiven Überbelegung auf den stadtnahen Friedhöfen entschärft, aber auch mit der Einrichtung von monumentalen Friedhofsbauten und dem Ehrengräberhain ein repräsentativer Ort des öffentlichen Gedenkens geschaffen werden.92 Wien und den Wienern haftet der Ruf der Nekrophilie an. Unter dem Begriff der „Schönen Leich“, der ein schönes Leichenbegängnis und nicht einen schönen Leichnam meint, werden alle Sympathien und Leidenschaften für das Thema Tod versammelt.93 Seit dem späten 19.  Jahrhundert galt eine Schöne Leich als der Höhepunkt im Leben bzw. Ableben in der Wiener Bevölkerung und der Zentralfriedhof als Herzstück und Bühne dieser soziokulturellen Vorliebe. In keiner anderen europäischen Stadt sonst gab es derart viele Möglichkeiten, den Tod und das Begräbnis so facettenreich und pompös zu inszenieren. Die weiblichen Grabplastiken krönten gewissermaßen diesen letzten Akt und markieren bis heute die spezifische, auf öffentliche Wirkung bedachte Trauerkultur in Wien. Geschichte der Wiener Friedhöfe In Wien lagen im 17. Jahrhundert die Begräbnisplätze um die Peters- und die Rupertskirche, um die Pfarrkirchen St. Stephan und St. Michael und um das Schottenstift. Nach der großen Pest­ epidemie im Jahr 1679 wurden zusätzliche Begräbnisflächen aus Platzmangel und hygienischen Gründen vor den Stadtmauern am Schottentor angelegt. Die ersten systematischen Verlegungen erfolgten jedoch durch Joseph II. – in den „Directivregeln zur Errichtung einiger Freythöfe ausser den Linien“94 vom 9. Oktober

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1783 veranlasste er die Schließung der bestehenden innerstädtischen Begräbnisplätze und deren Auslagerung weit vor die Stadt. Die „Linien“ waren der Linienwall, der als leichte Befestigungsanlage zwischen den Vororten und den Vorstädten Wiens verlief und sich parallel zur eigentlichen Stadtmauer um den Stadtkern wie ein zweiter Schutzring legte. Innerhalb der Stadtmauer und in dem Gebiet bis zu den Linien sollten nun alle Friedhöfe – mit Ausnahme einiger Grüfte – innerhalb weniger Jahre geschlossen werden. Die neuen Begräbnisplätze wurden 1784 außerhalb des ­Linienwalls in Währing, Matzleinsdorf, am Hundsturm, auf der Schmelz und in St. Marx eingerichtet.95 Sie sind ein Beispiel für die weitreichenden stadthygienischen Maßnahmen, die Joseph II. auch den Titel »Reformkaiser« einbrachten. Nur 50 Jahre später waren allerdings auch diese Begräbnisplätze erneut zu klein. Nach der Eingemeindung von 34 Vorstädten im Jahr 1850 zählte die Stadt Wien ca. 476.000 Einwohner, zusammen mit dem Militär sogar 516.000 Einwohner.96 Die Friedhöfe waren nicht nur in ihrer Kapazität erschöpft, sondern auch schneller von Bebauung umgeben als ursprünglich kalkuliert und konnten deshalb nicht ohne Weiteres vergrößert werden.97 Hinzu kam die zunehmende Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch das Abwasser und die austretenden Dünste der überbelegten Schachtgräber, in denen die Leichen bis knapp unter die Erdoberfläche übereinandergelegt wurden. Die historische Entwicklung der Bestattung in Wien zeigt sich im europäischen Vergleich geradezu als Musterbeispiel: Vom späten 18. Jahrhundert an traten in der Zuständigkeit für Tod und Sterben unter Joseph II. der Staat, Ärzte und Beamte an die Stelle von Kirche, Priester und Gemeinde. Es fand eine Art Professionalisierung im Bestattungswesen statt, die zunächst zu der ersten Verlegungswelle der Friedhöfe führte und im Laufe des 19.  Jahrhunderts in Kombination mit dem Bevölkerungswachstum eine zweite Verlegungswelle der Begräbnisplätze noch weiter außerhalb der Stadt nach sich zog, die schließlich in der Einrichtung des Zentralfriedhofs in Simmering gipfelte.98 Zentralfriedhof Wien Simmering Um für die Überbelegung der Begräbnisplätze an den Linien langfristige Abhilfe zu schaffen, wurde in einer Gemeinderatssitzung vom 23. April 1861 die Gründung einer Friedhofskommission mit der „Vorerhebung für die Errichtung neuer Gemeindefriedhöfe“ beschlossen.99 Im November 1870 wurde der Wettbewerb zur Anlage des Zentralfriedhofs in Wien/Simmering ausgeschrieben und im März 1873 der Einreichung von den Frankfurter Architekten Karl Mylius (1839 – 1883) und Alfred Bluntschli (1842 – 1930) mit dem Projekttitel „per angusta ad augusta“ (sinngemäß aus der

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Enge nach dem Erhabenen streben) zugestimmt (Abb. 30).100 Unterdessen wurden die Verhältnisse auf den Wiener Friedhöfen immer prekärer, so dass bereits im Vorjahr 1872 der ­Friedhof St.  Marx wegen Überfüllung gesperrt werden musste.101 Mit der Zustimmung zu dem Friedhofsentwurf wurde der Beschluss gefasst, dass rechts vom Hauptportal des zukünftigen Zentralfriedhofs ein vorläufiger Friedhof mit provisorischen Verwaltungsgebäuden eingerichtet werden sollte.102 Bereits nach wenigen Monaten war nicht mehr zu übersehen, wie sehr sich unterdessen die Situation auf den verbliebenen Friedhöfen vor den Linien zugespitzt hatte: Ab Mai 1874 konnten dort keine eigenen Gräber mehr vergeben werden, gegen Ende desselben Jahres auch keine Schachtgräber.103 Vor allem diese Schachtgräber hatten bisher ein hygienisches Problem dargestellt, das bei einer so langfristigen Planung wie dem Zentralfriedhof vermieden werden sollte. 1874 beauftragte der Gemeinderat das Stadtphysikat mit einer Überprüfung der hygienischen Verhältnisse der bestehenden Friedhöfe mit dem Ergebnis, dass sich die Leichenflüssigkeit in den Schachtgräbern staute und so das Grundwasser verunreinigte. Es waren nämlich sowohl die fünf neuen Friedhöfe vor den Linien, als auch die Friedhöfe der protestantischen und israelitischen Gemeinden auf höher gelegenen Stellen wie ein Gürtel um die Stadt angeordnet worden, so dass die Leichenflüssigkeiten ihren Weg über den Alserbach und den Wienfluss hinunter in die innere Stadt nahmen.104

Abb. 30: Schematischer Plan des Zentralfriedhofs Wien-Simmering (vermutl. 1910)

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Infolgedessen hatte die Friedhofskommission Auflagen für neue Grabtypen verordnet: „gemeinsame Gräber“ für je einen Leichnam, die chronologisch nebeneinander aufgereiht wurden und eine Ruhefrist von 15 Jahren hatten; „Einzelgräber“ für je einen Leichnam, die mit einem Denkmal versehen werden konnten und ebenfalls eine Laufzeit von 15 Jahren hatten; „Grüfte“ und „Doppelgrüfte“ für bis zu neun Leichen, welche die größte Gestaltungsfreiheit mit sich brachten und Laufzeiten bis auf Friedhofsdauer haben konnten.105 In den projektierten Friedhofsplan von Mylius und Bluntschli ließen sich die genormten Grabtypen adäquat einfügen. Sie hatten den Grundriss in Form eines griechischen Kreuzes – als Zeichen für den besiegten Tod und die Erlösung – konzipiert und in streng symmetrischer Anordnung rechtwinklige Grabblöcke vorgesehen. Innerhalb dieser Grabblöcke wurde chronologisch nach fortlaufenden Nummern bestattet. Das Novum war nicht nur, dass jedem und jeder Toten ein eigenes Grab zugeteilt wurde, sondern dass das Grab – im Vergleich zu den früheren Friedhöfen – auch wieder auffindbar war.106 Die Angehörigen bekamen von der Friedhofsverwaltung zu jedem Grab einen Grabausweis mit einer Karte des Areals, auf der Name, Grabnummer und genaue Lage verzeichnet waren. Dennoch wurde der Zentralfriedhof von der Wiener Bevölkerung schlecht angenommen. Mit einer Entfernung von 7 km von der inneren Stadt aus war der Weg für Hinterbliebene beschwerlich und die Kosten für den Leichentransport hoch. Auch die Einführung einer Pferdebahn 1873 und die elektrifizierte Anbindung ab 1901 änderte wenig an diesen Umständen.107 Zudem war der neue Begräbnisplatz bis in die 1880er Jahre in weiten Teilen eine öde leere Fläche mit ausgedehnten, eher unansehnlichen Bauarbeiten. Um den Friedhof attraktiver zu gestalten, hatte die Kommission daher den Plan gefasst, mit einer Ehrengräberanlage einen Anziehungspunkt für die Bevölkerung zu schaffen.108 Der städtische Archivdirektor Karl Weiß wurde 1877 und 1880 mit einer Inventarisierung von „noch vorhandene[n] Grabstätten hervorragender Persönlichkeiten“109 auf den alten Begräbnisplätzen beauftragt. Ab 1881 wurden viele von ihnen nach Simmering in Ehrengräber überführt. Die Zuerkennung von Ehrengräbern erfolgte durch die Stadt Wien, des Weiteren gab es die Kategorie der „ehrenhalber gewidmeten Gräbern“, die an jeder Stelle des Friedhofs eingerichtet werden konnten und den exklusiven, privilegierten Charakter der »echten« Ehrengräber potenzierten.110 Dieser Ehrengräberhain war einzigartig in der Donaumonarchie und brachte gewissermaßen den Durchbruch in der Akzeptanz für den Zentralfriedhof. Für die Wiener Bevölkerung wurde er nun zu einem beliebten Ausflugsziel, weil sich die Möglichkeit bot, Ruhestätten der offiziellen Ehren- und Würdenträger der

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Stadt zu begutachten und kostspielige Beisetzungen als öffentliche Ereignisse mitzuerleben.111 Besonders für die bürgerliche Oberschicht muss dieser »walk of fame« so einen speziellen Nimbus ausgestrahlt haben, weil hier nicht einfach Adel und Hofstaat ein Ehrengrab zugewiesen bekommen hatten, sondern die Mitbürger, Entdecker und Erfinder, Wissenschaftler, Künstler und Unterhalter, die „in der menschlichen Gesellschaft bleibende Werte geschaffen“112 haben. Es scheint so, als sei nach der Entscheidung für die Ehrengräberanlage die Gestaltung des Zentralfriedhofs vor allem auf seine äußere Wirkung hin forciert worden. Über die folgenden 20 Jahre erstreckten sich umfangreiche Ausschreibungen, Projektphasen und Bauarbeiten, für die federführend der Jugendstilarchitekt Max Hegele (1873 – 1945) gewonnen werden konnte.113 Programmatisches Ziel war der Friedhof als Gesamtkunstwerk. Auf den symmetrisch-achsialen Grundriss von Mylius und Bluntschli aufbauend wurden ein Hauptportal am Tor 2, Arkaden, Kolumbarien, Friedhofskirche sowie Verwaltungs- und Versorgungsgebäude ästhetisch aufeinander abgestimmt. Zum markanten Wahrzeichen der Anlage avancierte die aufwändig dekorativ ausgestattete Friedhofskirche von Hegele, die bis heute als eines der konsequentesten und aufwändigsten Monumentalwerke des Wiener Jugendstils gilt. Nach ihrer Errichtung 1911, dem Heiligen Borromäus geweiht, wurde sie nach dem Tod des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger (1844 – 1910) in „Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche“ umbenannt.114 In Anlehnung an das apud sanctos-Prinzip findet sich im unteren Teil der Kirche eine Bürgermeister-Gruft, in der auch Lueger beigesetzt wurde, sowie eine Präsidentengruft auf dem Vorplatz der Kirche (Abb. 31, Abb. 32).115

Nach der Fertigstellung der Friedhofskirche war der Zentralfriedhof geprägt von einem imposant monumentalen Charakter, der das Ergebnis aus Sichtachsen, Repräsentativbauten und Materialmasse, aufwändigem Grabschmuck und exponierten Ehrendenkmälern war. Die promenadeartigen Alleen vermitteln hier einen ganz anderen Eindruck als die Hauptwege in Hamburg-Ohlsdorf

Abb. 31: Kolumbarien seitlich der Dr.-Karl-Lueger-Gedächtnis­ kirche, Zentralfriedhof Wien Abb. 32: Dr.-Karl-Lueger-­ Gedächtniskirche, Zentralfried­ hof Wien

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oder auf dem Père Lachaise. Dem Zentralfriedhof wurde nicht die programmatische Aufgabe eines Parks oder einer Grünanlage zugedacht, sondern auf seinen Wegen konnte das Schaulaufen praktiziert werden, das vor der monumentalen Kulisse der Ringstraße in der Innenstadt im späten 19. Jahrhundert kultiviert wurde.116 Bereits die Monumentalität des Haupteingangs für den Zentralfriedhof erinnert eher an die Portalanlage eines Schlosses als an den Eingangsbereich eines kommunalen Begräbnisplatzes. Noch bevor man das Gelände betritt, wird deutlich, dass es sich hier nicht um einen reinen Zweckbau oder ein alltägliches Gebäudeensemble handelt. Bei aller konzeptionellen Planung war der Zentralfriedhof jedoch kein rein rational-kalkulierbarer Raum. Ursprünglich war er als alleiniger Hauptfriedhof für die Stadt Wien angedacht und wurde bis in die 1920er Jahre mehrmals erweitert. Nach weiteren Eingemeindungen nach 1900 mussten jedoch die Vorortfriedhöfe beibehalten werden, um den Zentralfriedhof angesichts der zunehmenden Einwohnerzahl langfristig entlasten zu können. In der Retrospektive zeigt sich jedoch, dass die Prognosen über das Bevölkerungswachstum zu großzügig angesetzt wurden und seit dem Ersten Weltkrieg die Zahlen nicht nur zum Wiener Bevölkerungswachstum rückläufig waren, sondern auch für die Bestattungen am Zentralfriedhof.117 Die Schöne Leich Der Wiener Bevölkerung wird seit dem 19. Jahrhundert ein besonderes Verhältnis zum Tod nachgesagt. Die schichtübergreifende Begeisterung für Grabbesuche zu Allerheiligen bzw. Allerseelen, für den Tod in Heurigenliedern, Theaterstücken und Volks­ literatur oder für Totengedenken, Melancholie und den freudschen Todestrieb kumuliert in der Schönen Leich und machte den Zentralfriedhof nicht nur zur Kultur- sondern vielmehr zur Kultstätte.118 Besonders deutlich wird dies in den Wiener Sterbevereinen, deren Name etwas irreführend ist. Hier wurde nicht das Sterben vereinsmäßig einstudiert, sondern in Form einer Versicherung Geld für ein „anständiges Begräbnis“ und eine „Schöne Leich“ zur Seite gelegt.119 Was ein anständiges Begräbnis auszeichnete, war äußerst klar definiert, wurde aber nicht mehr über rein ständische Unterschiede abgeleitet, sondern über die finanziellen Mittel. Im Mittelpunkt stand die Aufbahrung der Toten, die nach verschiedenen Begräbnisklassen gewählt werden konnte. Die sechs gängigen Klassen wurden abgestuft nach dekorativer Ausstattung des Wohnhauses der Verstorbenen, Sargeinrichtung, Anzahl der Kerzen, Länge des Pferdegespanns und vielem mehr. Allein der Leichenkondukt 1. Klasse wurde unterteilt in Super 1. Klasse, 1. Klasse B oder schlicht 1. Klasse und war auch bei Schaulustigen sehr beliebt.120 Für derart imposante Leichenbegängnisse wurden

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sogar Fensterplätze entlang der Route des Trauerzuges innerhalb der Stadt verkauft (Abb. 33).121 Einen wesentlichen Teil der Trauerzeremonie machte ihre öffentliche Ankündigung aus. Mit der Parte oder dem P ­ artezettel wurde der Tod einer Person öffentlich bekannt gemacht und zur Trauerfeier geladen. Sie wurde nicht nur über den „Leich-Bitter“ persönlich verteilt, sondern auch an Wänden, Zäunen, in Läden oder Wirtshäusern ausgehängt. Nach französischem Vorbild, dem faire part(re), war sie ab dem 18.  Jahrhundert vor allem in den gehobenen Schichten verbreitet und wurde in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts zu einem Zeichen des Wohlstands. Die Gestaltung der Parten wurde bis zum Ersten Weltkrieg immer weiter ausdifferenziert, mit Bildern von Genien und Allegorien geschmückt oder mit dekorativen Borten und Schmuckbändern verziert und als statusorientierte Visitenkarten des letzten Geleits eingesetzt. In Folge der Pressefreiheit nach 1848 und Neugründungen von Zeitungen kam nun auch die Todesanzeige in Lokalzeitungen und überregionalen Tagblättern in Mode und löste die Parte keineswegs ab, sondern wurde zusätzlich zur Bekanntmachung des Todesfalls eingesetzt: „Diese Sitte geht natürlich weit über den ursprünglichen Mitteilungszweck der Parte hinaus und macht, man könnte fast sagen, für das Begräbnis Werbung. Auf Grund dieser Sitte wird auch verständlich, warum im 19. Jhdt. an den Begräbnissen reicher Wiener Bürger derartige Menschenmassen teilnahmen. [sic!]“122

Auch wenn Leichenbegräbnisse 1. Klasse eher die Ausnahme in der gängigen Bestattungskultur darstellten, galt das Begräbnis in einer gehobenen Klasse mit öffentlicher Ankündigung im Wiener Bürgertum als erstrebenswert. Die prunkvollen Begräbnisse ab Mitte des 19. Jahrhunderts orientierten sich an Hochadel und Kaiserhaus und machten Einrichtungen notwendig, welche die aristokratische Nachahmung der Schönen Leich als Dienstleistung organisierten und auch professionalisierten. Bis zur Mitte des 19.  Jahrhunderts lag die Beisetzung in der Obhut der Religionsgemeinschaften, bis mit der greifenden Kommunalisierung des Bestattungswesens spezielle Unternehmen einen lukrativen Markt für sich erkannten. 1867 gründete sich die „Entreprise des pompes funèbres“ als erstes Wiener Bestattungsunternehmen, 1868 folgte

Abb. 33: Leichenbegängnis, Grosse I. Classe (Ende 19. Jahr­ hundert)

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die „Pietät“, bis sich schließlich in den 1890er Jahren 83 konzessionierte Leichenunternehmen in Wien niedergelassen hatten. Da der Konkurrenzkampf dieses Dienstleistungsgewerbes auf Kosten der Angehörigen ging – angeblich wurden Angestellte als Späher ausgesandt, um Krankheiten zu dokumentieren und im Todesfall als erstes Unternehmen vor Ort zu sein  – , kaufte die Gemeinde Wien die beiden größten Unternehmen „Entreprise des pompes funèbres“ und „Concordia“ auf und gründete die Städtische Leichenbestattung Wien, um die Monopolstellung zugunsten der Bevölkerung innezuhaben.123 Im Zuge der Entwicklung zum repräsentativen Begräbnis etablierte sich auch zunehmend der Wunsch nach einem ebenso repräsentativen Grabmal, das den sozialen Status final verewigte. Auf dem Zentralfriedhof in Simmering wurden nicht nur die Ehrengräber dementsprechend vorgeführt, sondern mit dem Angebot eines Einzelgrabs oder einer Gruft in Sichtweite zum Ehrengräberhain auch eine adäquate Bühne für das Bürgertum geschaffen. Werbeannoncen in Zeitungen oder in der Nähe des Friedhofsgeländes machten auf weit verzweigte Gewerbe aufmerksam, die Sarg­verzierungen, Ausschmückung und Beleuchtung für das Grab, Trauerbekleidung, Steinmetzarbeiten und Grabplastiken anpriesen.124 Weibliche Grabplastik und Grabmalkultur

Abb. 34: Hauptallee und Arka­ den, Zentralfriedhof Wien

Neben den Ehrengräbern ist es vor allem die Masse an reich ausgestatteten Einzel- und Familiengräbern, die den Wiener Zentralfriedhof als Accessoire-Landschaft des bürgerlichen Habitus erscheinen lassen. Die Kultur der schönen Leich brachte mit sich, dass die Grabmäler nicht nur als Statuspendant inszeniert wurden, sondern auch die Bevölkerung auf die feinen Unterschiede sensibilisiert war, so dass die Inszenierungen als Seismograph des sozialen Status gelesen werden konnten. Die Ausstattung und Lage des Grabes im Friedhofsgelände waren der Gradmesser der gesellschaftlichen Verdienste, wie sich z. B. in den prestigeträchtigen Arkaden an der Gruft für den Journalisten und Publizisten Max Friedländer (1830 – 1872) zeigt (Abb. 34, Abb. 35, Abb. 36). ­Friedländer war Gründer der „Neuen Freien Presse“ und Mitbegründer des bürgerlichen Theaters „Etablissement Ronacher“ in Wien.125 Der Bildhauer Victor Tilgner (1844 – 1896), der sich ab den späten 1860er Jahren über Wien hinaus als Hauptvertreter des Neobarock an der Wiener Ringstraße zu etablieren begann, schuf für ihn ein Wandgrab mit gegliedertem Hinterbau und einer Nische mit der Büste des Verstorbenen. Davor steht eine weibliche Grabplastik in einen Peplos gehüllt, mit einer feinen Kette mit Kreuzanhänger, langem Haar und Schleier. Als Zeichen des bewältigten Lebenswerks hält sie Hammer und Meißel gesenkt.

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Auf einem Sockel seitlich der Figur steht ein gekippter Korb aus Bronze mit Lorbeerzweigen und Rosenblüten als Symbole für Ruhm, Ehrbarkeit und Liebe.126 Abb. 35: Grabstätte Friedländer (1872), ohne weibliche Grab­ plastik (wird restauriert, Stand Sommer 2011), Zentralfriedhof Wien Abb. 36: Hermann Kaulbach, „Unsterblichkeit“ (o. J.)

Die Grabinszenierung stellt einerseits eine Analogie zu den Urnennischen italienischer Friedhöfe dar, andererseits erinnert sie auf Grund des umgekippten Korbes an das Gemälde „Unsterblichkeit“ von dem Münchner Hermann Kaulbach (1846 – 1909) mit dem Verweis „Römerin, die Büste ihres Gatten küssend“ (Abb. 36).127 Der Kontrast aus unbewegtem, zurückhaltendem Ausdruck der Büste und der bewegten, üppigen Ausarbeitung der Frauengestalt waren ebenso charakteristisch für Personendenkmäler im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wie auch die Materialvielfalt aus Marmor und Bronze. Auch die Überlagerung historistischer, klassizistischer sowie christlicher, profaner und mythologischer Elemente schien von den Denkmälern der Ringstraße auf den Zentralfriedhof abzustrahlen. Auch über die Jahrhundertwende hinaus behalten die Grabmäler mit weiblichen Grabplastiken den Charakter des repräsentativen Personendenkmals bei. Allerdings werden sie immer komplexer und teils widersprüchlicher unter dem Einfluss von Jugendstil, Symbolismus und Sezessionsstil in der Kunst, oder auch unter dem Einfluss von Psychoanalyse, Fortschrittsglauben und -ängsten sowie soziokulturellen Spannungen in der Donaumonarchie. Das Ehrengrab für den Wiener Komponisten Hugo Wolf (1860 – 1903), der nach jahrelanger Syphilis und psychischer Erkrankung in „geistiger Umnachtung“ mit 43 Jahren verstarb, zeigt eine traum­ artige, fast surreale Szene (Abb. 37, Abb. 38, Abb. 39, Abb. 40).128 Eine über drei Meter hohe Marmorstele zeigt im Zentrum der oberen Hälfte das Porträt von Hugo Wolf in E ­ nface-Ansicht. Flankiert wird die Stele von einer Figurengruppe – auf der linken Seite

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Abb. 37: Grabstätte Hugo Wolf (1903), Edmund Hellmer, Zentralfriedhof Wien Abb. 38: Grabmal Hugo Wolf (1903), Edmund Hellmer, Zentral­friedhof Wien

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ein sich küssendes junges Paar in inniger Umarmung; in fließendes, dünnes Tuch gehüllt scheinen sie als Halbrelief aus der massiven Wand zu vollplastischen Figuren herauszuwachsen. In der gleichen Plastizität befindet sich auf der rechten Seite ein junger Mann, der an die Figur des Prometheus erinnert – unbekleidet, an Armen und Beinen gebunden, mit weit aufgerissenen Augen, stark definierten Halssehnen und einer sich windenden konvulsiv angespannten Körperhaltung. Links die „Stunden des Glücks“, rechts die „Qual des Schaffenden“ kommentierte der Hugo-Wolf-Verein in seinem Gedenkblatt zur Enthüllung des Denkmals die Inszenierung von Edmund Hellmer (1850 – 1935).129 Auch er hatte sich wie Tilgner mit renommierten Denkmälern entlang der Ringstraße einen Namen gemacht, aber im Vergleich zu anderen, klar ausgestalteten Personendenkmälern am Grabmal von Hugo Wolf Freiräume für Assoziationen gelassen – auf der überdimensionalen Steinwand erzeugte Hellmer einen starken Kontrast zwischen realistischem Porträt, halbplastischen Sinnbildern und steinerner Leere über die weite ungeschmückte Stele.130 Zusätzliche Symbole wie die Leier, eine Schlange, Lorbeerzweige und Rosenblätter vervollständigen zwar die Inszenierung, aber sie wurden äußerst reduziert, fast unscheinbar arrangiert. Die Genialität des Komponisten romantischer Lieder wird hier nicht durch ein allegorisches Repertoire gerühmt wie im Denkmalkult des späten 19. Jahrhunderts.131 Auch das Porträt zeigt zwar den konzentrierten Blick der bürgerlichen Heldendenkmäler, aber er ist weniger zielstrebig, sondern wirkt vergleichsweise diffus oder nach innen gerichtet. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg und dem Untergang der Monarchie wandelt sich die Grabmalkultur von heroischen ruhmrührigen bis verklärenden Inszenierungen hin zu Bildern, in denen Themen wie Eros und Thanatos, innere Zerrissenheit und Sehnsüchte, Ängste zwischen Bewusstem und Unbewusstem oszillieren.

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Um die Jahrhundertwende beginnt sich ein weiterer Wandel in der Grabmalkultur abzuzeichnen. Es änderte sich nicht nur der Stil, sondern auch die Klientel, die weibliche Plastiken zur prestigeträchtigen Inszenierung ihrer Familiengräber erwarb. Waren in der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts monumentale Grab­ anlagen auf den Friedhöfen entlang des Gürtels noch den alteingesessenen wohlhabenden Oberschichten vorbehalten, entdeckte die sogenannte Zweite Gesellschaft, das nobilitierte Bürgertum, diese Form der Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf dem Zentralfriedhof für sich.132 Wenige Jahrzehnte später adaptierten schließlich auch die aufstrebenden Mittelstandskreise die aristokratische Grabmalkultur mit Hilfe von kostengünstigeren, seriell produzierten Grabfiguren als soziale Statussymbole, so dass um 1900 Unikate und industriell gefertigte Plastiken die Friedhofspromenaden säumten. Die Zweite Gesellschaft hatte für diese Art der Akkulturation mit ihren Palais, Titelsammlungen und anderen Statussymbolen Vorbild gestanden. So resümierte der Wiener Journalist und Lustspieldichter Michael Klapp im Jahr 1867 in seiner Schrift „Wiener Bilder und Büsten“ über die Zweite Gesellschaft an der Ringstraße: „Großbauten sind da aufgeschossen, mit Millionen gebaut, von Millionären bewohnt. […] Die verschiedenen ‚Ringe‘ sind durch die neuen ‚Ritter‘ zu einem stattlichen, weltstädtischen Aussehen gekommen. Mancher von ihnen hat gleich 8 bis 10 solcher steinener fünfstöckiger Denkmale seiner spekulativen Intelligenz hingebaut.“133

Nach derselben Dramaturgie verewigte sich das Bürgertum der Zweiten Gesellschaft, dem „Bagatelladel“, auf seinen Familiengräbern mit künstlerischen Auftragsarbeiten, privaten Denkmälern und monumentalen Gruftanlagen.134 Aber auch das aufstrebende Bürgertum wollte seinen sozialen Status, der über Strebsamkeit und Fleiß in der Monarchie erarbeitet wurde, geltend machen und war bereit, im Rahmen seiner – wenn auch begrenzteren – Möglichkeiten ebenso auf die Bühne der Erinnerung zu treten. Besonders deutlich wird dies in einem Motiv von Fidel Binz, das als Galvanoplastik in hoher Stückzahl auf Wiener Friedhöfen bis heute erhalten ist. Die weibliche ›Trauernde‹, die sich auf eine Urne stützt, ist auf dem Zentralfriedhof beispielsweise in ein und derselben Abteilung zweimal und sogar in Sichtweite vertreten. Unterschiede zeigen sich lediglich minimal in der Grabarchitektur und in der Anzahl an gusseisernen Kandelabern, die auf die fein abgestuften Klassen der Bestattungsunternehmen rekurrieren. Es ist anzunehmen, dass sich die Grabeigner nicht an derartigen Motiv-Dopplungen störten zugunsten des angestrebten Habitus und Prestiges. Überbordende Inszenierungen auf öffentlichen

Abb. 39: Grabmal Hugo Wolf (1903), Edmund Hellmer, Zent­ ralfriedhof Wien Abb. 40: Grabmal Hugo Wolf (1903), Edmund Hellmer, Zent­ ralfriedhof Wien

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Plätzen und pompöse Repliken für die Ausstattung von Fassaden und Denkmälern waren Teil der monarchischen Machtdemonstration des Vielvölkerstaates – vor allem in seinem Zentrum in Wien. Das gleiche Motiv auf dem Grab des Nachbarn kann deshalb als selbstreferenzielle Bestätigung empfunden worden sein, weil Dopplung, Wiederholung und Nachahmung Teil der Wiener Inszenierungskultur im öffentlichen Raum war (Abb. 41, Abb. 42). Abb. 41: Grabstätte Klein (1885/1919), Fidel Binz (WMF), eingerichtet durch Rohrer & Pöschl, Zentralfriedhof Wien Abb. 42: Grabstätte Hamböck (1907), Fidel Binz (WMF), Zentral­friedhof Wien

Zahlreiche Reise- und Friedhofsführer proklamieren den Wiener Zentralfriedhof als die Nekropole mit der vielfältigsten Grabmalkunst. Im europäischen Vergleich zeigt sich jedoch, dass die Wiener Sepulkralkultur keineswegs ausgefallener ist als beispielsweise in Paris, Berlin oder Genua. Ein Unterschied liegt allerdings in den starken Kontrasten, denen wir hier begegnen: Es klaffen ideologische Welten zwischen der historisierenden Wein- und Walzerseeligkeit auf den prominenten Ehrengräbern für Künstler und Komponisten und den symbolistischen Jugendstilgräbern nach 1900, gleichzeitig überragen prunkvolle Unikate auf ihren Sockeln die reproduzierte Massenware des aufstrebenden Bürgertums, und dabei liegt der Friedhof als Gesamtkunstwerk mit seiner kommunal organisierten, aber prestigeträchtigen Monumentalität mitten in der Peripherie von Simmering. Es ist die Ambi­valenz, die den Wiener Zeitgeist der Jahrhundertwende prägte und unweigerlich auch auf dem Begräbnisplatz Blüten trieb. Die Ausstattung öffentlicher Räume mäanderte in einer Bildwelt zwischen einerseits monarchisch-dekorativen Sinnbildern, welche die Einigkeit des Vielvölkerstaates beschwören sollten, und andererseits Figuren und Ornamentik des Fin de Siecle, die auf das Unklare und Abgründige im Seelenleben anspielten. Möglicherweise resultierte die Neigung für das Vergängliche und Endliche in Wien aus einem subtilen Gespür für das bevorstehende Ableben der Monarchie. Dementsprechend erscheinen die feinen Unterschiede zwischen Erster und Zweiter Gesellschaft, residenz-repräsentativer Monu-

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mentalität und liberal-bürgerlichem Selbstbewusstsein auf dem Zentralfriedhof ausladend zelebriert und langlebig versteinert.

2.4 Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin Der Südwestkirchhof Stahnsdorf135 wurde 1909 als einer der drei Hauptfriedhöfe der evangelischen Kirchengemeinden Berlins vor der Stadt in der brandenburgischen Feldmark eröffnet und ist heute mit einer Gesamtfläche von 206 ha der zweitgrößte Friedhof in Deutschland. In der Reihe der hier vorgestellten Friedhöfe stellt der Südwestkirchhof ein außergewöhnliches Beispiel dar. Schon der Name Südwestkirchhof verrät, dass es sich nicht um einen rein städtischen, kommunalen Friedhof handelt, sondern um einen zentralisierten, aber kirchlichen Begräbnisplatz. Hinzu kommt, dass die Friedhöfe Berlins von der politischen Geschichte gezeichnet wurden wie in keiner anderen europäischen Stadt: Residenz, Kaiserreich, Republik, Weltkriege, Besatzung, innerdeutsche Trennung und Wiedervereinigung haben sich auf den Friedhöfen so sehr verdichtet, dass sich allein anhand einer systematischen Darstellung der Berliner Friedhöfe eine facettenreiche deutsch-deutsche Sozialgeschichte nachzeichnen ließe. Mit dem Fokus auf die weiblichen Grabplastiken um 1900 zeigen sich allerdings einige Herausforderungen für die Forschung. Auch wenn die Figuren vor den großen Zäsuren des 20. Jahrhunderts entstanden sind, haften den erhaltenen Exemplaren die Folgen dieser Zeit bis heute an. Zuverlässige Zahlen über den historischen Bestand und ursprüngliche Inszenierungen fehlen bzw. sind nicht zugänglich, zudem wurden unzählige Gräber geräumt oder verlegt. Der Südwestkirchhof bietet die Möglichkeit, die weiblichen Grabplastiken zu beleuchten, obwohl er ein anderes Bild als zur Zeit ihrer Aufstellung zeigt. Dazu ist es notwendig, die Geschichte der Friedhofs- und Grabmalkultur in Berlin, die Produktionsweisen von Bildhauern und die örtlichen Gegebenheiten rund um die erhaltenen Figuren das Phänomen der ›Trauernden‹ in Berlin exemplarisch zu skizzieren. Geschichte der Berliner Friedhöfe und die Entstehung des Südwestkirchhofs Stahnsdorf Sucht man nach Friedhofsflächen auf einem Stadtplan von Berlin, so fällt auf, dass über den gesamten Stadtraum zahlreiche kleine Friedhöfe verstreut sind, die noch immer die vielen ehemaligen Kleinstädte und Dörfer mit den Zentren Berlin-Cölln und ­Charlottenburg erkennen lassen. In den letzten Jahrhunderten sind in Berlin kaum Begräbnisplätze aufgelöst worden, so dass noch immer ein ungewöhnliches Spektrum an unterschiedli-

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chen historischen Friedhofstypen erhalten ist. Entwickelt und verändert haben sich die Friedhöfe je nach Bedarf an Begräbnisplätzen, z. B. nach Epidemien und Kriegen, durch Platznot oder Überbelegung. Mit die ältesten Begräbnisplätze liegen in den Pfarr- und Spitalskirchen wie z. B. die Marien-, Nikolai- und Parochialkirche in Berlin-Mitte. Auf Grund der Nähe zum Lebens-, Wohn- und Sakralraum stellten sie für die Bevölkerung „Stätten der unmittelbaren Begegnung von Leben und Tod“ dar.136 Um 1700 wurden bereits vor dem Spandauer Tor Armenfriedhöfe eingerichtet; unter Friedrich Wilhelm I. und seinem Sohn Friedrich II. kam es dann nach 1735 zu den ersten systematischen Friedhofsverlegungen und -erweiterungen außerhalb der Zollmauer. Mit den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor (ab 1735), dem Invalidenfriedhof (1746/48) und den Friedhöfen am Oranienburger Tor (ab 1762) wurden die Begräbnisplätze zunehmend von Wohnungen und alltäglichen Wegen entfernt. Einige Gemeinden versuchten das Problem der Überbelegung mit »Zweit-Friedhöfen« zu lösen wie z. B. die Gemeinden der Marienkirche und der Nikolaikirche, die 1802 vor dem Prenzlauer Tor den St. Marien- und St. ­Nikolai-Friedhof I einrichteten, mehrmals erweiterten und dann 1858 in der Nähe auf einem weiteren Grundstück den St.  Marien- und ­­St. ­Nikolai-Friedhof II eröffneten. Im 19. Jahrhundert veränderten sich die Begräbnisplätze weiterhin parallel zu den gesellschaftlichen Ereignissen: 1848 wurde ein Friedhof für die Märzgefallenen angelegt. In den folgenden Jahrzehnten entstanden dann auch kommunale Begräbnisplätze wie der Städtische Zentralfriedhof Friedrichsfelde (1881). Auf Grund der Peripheriebewegung wohlhabender Bürger in die angrenzenden Vororte etablierten sich im späten 19.  Jahrhundert künstlerisch gestaltete Friedhöfe wie der Waldfriedhof ­Oberschöneweide (1902) oder in den Villenkolonien der Friedhof Grunewald (1891/92) und der Parkfriedhof Lichterfelde (1905).137 Zu diesem Zeitpunkt nahm die Bevölkerungsdichte ungeahnte Ausmaße an. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verdoppelte sich die Bevölkerung im Stadtraum Alt-Berlin, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfünffachte sie sich beinahe. In der Zeit von 1900 bis 1920 stieg die Bevölkerungszahl im Stadtraum Groß-Berlin weiter von rund 2 Mio. auf 4 Mio. Menschen.138 Da in Berlin ein umfassendes übergreifendes Stadtplanungskonzept fehlte, wurden verfügbare Freiflächen vollends ausgenutzt, Hinterhöfe bebaut und bestehende Gebäude aufgestockt. Die Stadt wuchs nicht nur im Grundriss in die Weite, sondern auch im Aufriss. Im „steinernen Berlin“139 standen die Stadtverwaltungen, Poli­zeibehörden und öffentlichen Einrichtungen vor der Herausforderung, neben der Versorgung der wachsenden Bevölkerung auch die parallel wachsende Zahl an Toten zu regulieren.

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Da in Berlin der größte Teil der Bestattungen in kirchlicher Hand lag, wurde 1895 der „Stadtsynodalverband der Haupt- und Residenzstadt Berlin“ gegründet und sowohl mit der Wirtschaftsverwaltung der evangelischen Kirche als auch mit einer Lösung des Bestattungsproblems beauftragt. Unterschiedliche Interessengruppen stießen hierbei aufeinander: die staatlichen Behörden forderten eine Zentralisierung der Bestattungen, um zügige Beisetzungen und ausreichende Begräbnisflächen zu gewährleisten – die evangelische Kirche forderte hingegen, die Nähe von Kirche, Gemeinde und Begräbnisplatz zu erhalten. Letztlich wollte die Synode nicht den Aufgaben- und Einflussbereich der kirchlichen Bestattung verlieren und kaufte 1902 weit außerhalb der Stadtgrenzen drei – auf lange Sicht weiter ausbaubare – Flächen an, um einen zentralisierten Nord-, Ost- und Südwestkirchhof anzulegen. Bereits nach wenigen Jahren zeigte sich, dass die Bestattungskapazität für die Begräbnisplätze zu hoch kalkuliert worden war, so dass der Nordfriedhof in Mühlenbeck nie für Begräbniszwecke genutzt und der Ostfriedhof in Ahrensfelde nur zum Teil ausgebaut wurde; auch der Südwestkirchhof in Stahnsdorf erlebte mehrere Stagnationsperioden, wurde aber in seinem Gesamtkonzept umgesetzt und erhalten (Abb. 43).140 Nachdem Wettbewerbe zur Gestaltung der drei Friedhofsflächen ausgeschrieben wurden, beauftrage die Synode 1907 den Kirchenbaumeister Gustav Werner (1859 – 1917) und den Garteningenieur Louis Meyer (1877 – 1955), um aus den Wettbewerbsbeiträgen nachhaltige Konzepte für die Anlage in Stahnsdorf auszuarbeiten. Louis Meyer, der Schüler des klassizistischen Gartenkünstlers Joseph Peter Lenné war, entschied sich gegen die zeitgenössisch populäre Idee des Parkfriedhofs. Der Südwestkirchhof war mit seiner Planung Anfang des 20.  Jahrhunderts einer der späten Zentralfriedhöfe in Europa. So hatten die Berliner Verantwortlichen nach 1900 bereits die Gelegenheit gehabt, die Friedhofskonzepte anderer Städte zu studieren und deren Entwicklung zu beobachten. Ähnlich wie in München stand das Modell des Parkfriedhofs in der Kritik, dass neben gartenarchitektonischen Raffinessen die Funktion des Friedhofs nicht mehr zu erkennen wäre und die eigentlichen Begräbnisplätze den „Charakter einer Volkserholungsstätte“141 hätten. Meyer orientierte sich an den Reformansätzen des Münchner Stadtbaudirektors Hans Grässel und wählte für Berlin die Form des Waldfriedhofs: Würdig, einfach und sachlich sollten auf den 156 ha Gräber und Wege in die Vegetation eingebettet werden.142 Dazu waren 21 Beerdigungsblöcke à 5 ha für die 21 Gemeinden und notwendige Versorgungsbauten wie Verwaltung, Leichenhalle, Wasserturm, Gärtnerei, Steinmetzbetrieb, Unterstände, Aufenthaltsräume, Kirche und Kapelle geplant. Alle Bauten sollten einen engen Bezug zur Umgebung herstellen. Gustav Werner schuf des-

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Abb. 43: Aktueller Lageplan Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin

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halb eine Holzkirche, die sich einerseits in einer Mischung aus norwegischer Stabkirche, Heimatkunst und Art Nouveau harmonisch ins Gesamtbild einfügte, und die andererseits mit einer Kapazität für Großbeerdigungen und einem Kühlraum für Leichen – im Kellergeschoß für die Trauergesellschaft unsichtbar – den Anforderungen der modernen Bestattung gerecht werden sollte (Abb. 44). Am 28. März 1909 wurde der Kirchhof eingeweiht, am 1.  April 1909 fand die erste Beisetzung statt. In den ersten 25 Jahren wurden 35.000 Verstorbene bestattet, bis heute sind es ca. 110.000. Zur Zeit der Eröffnung gehörte der Friedhof zum Kreis Teltow in der Provinz Brandenburg und lag von den Kreissynoden, die hier jeweils einen Beerdigungsblock hatten, je nach Kreis 13 bis 20 km entfernt.143 Auf Grund eben dieser Entfernungen war die Hauptherausforderung für die Friedhofsverwaltung der Transport bzw. die Logistik der Leichen und auch der Friedhofsbesucher.

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Zu Beginn wurden die Leichen innerhalb der Stadt zentral gesammelt und über den Umschlagbahnhof Halensee nach Stahnsdorf gebracht. Damit die Trauergesellschaften in Stahnsdorf nicht von den Transportvorgängen gestört würden, ließ man die Leichen in der Nähe des Bahnhofs in eigens dafür eingerichteten Gebäuden kurze Zeit verwahren und dann durch einen separaten Eingang auf das Friedhofsgelände überführen. Für die Friedhofsbesucher war die Anreise langwierig, umständlich und teuer. Da der Friedhofsbahnhof Stahnsdorf im damals bestehenden Staatsbahnnetz nur als Kopfbahnhof eingerichtet werden konnte, verzögerten sich die Verhandlungen mit der Staatseisenbahnverwaltung. Schließlich einigte man sich 1911 darauf, dass die Berliner Stadtsynode die Kosten für die Vorarbeit, den Bau und die Umsetzung tragen und die Bahnverwaltung die Inbetriebnahme und die Unterhaltung der Linie übernehmen sollte, so dass ab 1913 der Kirchhof an den Nahverkehr im Westen Berlins angeschlossen war.144 Überraschenderweise sind auf dem Friedhofsareal in Stahnsdorf Grabmäler zu finden, die auf die Zeit vor der Friedhofseröffnung datiert sind. Monumentale Wandgräber und Mausoleen der Gründerzeit sowie repräsentative Einzelgrabstätten des späten 19.  Jahrhunderts wurden ab 1938 von dem Kirchhof der Zwölf-Apostel-Gemeinde, dem Alten St. Matthäus Kirchhof und den Schöneberger Begräbnisstätten in den Bereich „Alte Umbettung“ umgesiedelt. Auslöser dafür waren Hitlers Visionen einer utopischen Welthauptstadt Germania, die unter Albert Speer als Generalbauinspektor ab 1937 in die Planungsphase ging. Speer plante eine überdimensionale Ost-West- und Nord-Süd-Achse durch Berlin, so dass die historischen Friedhöfe entlang dieser Koordinaten per Gesetz enteignet, geräumt und eingeebnet werden sollten. Bedeutende Grabmäler wurden auf das Friedhofsareal nach Stahnsdorf überführt und entlang der nördlichen Friedhofsgrenze aufgereiht.145 Der Südwestkirchhof unterscheidet sich von anderen Friedhöfen, die in den Jahren nach 1900 entstanden. Auf Grund der unterschiedlichen Gemeindeblöcke und der Alten Umbettung ist die räumliche Entwicklung des Friedhofs nur schwer historisch greifbar. Auf anderen zentralisierten Friedhöfen wie z. B. in Wien wurden bestimmte Areale erst nach und nach mit Gräbern belegt, so dass wir heute die Belegung und Gestaltung der Gräber gewissermaßen chronologisch ablaufen können. Diese chronologische Stringenz entzieht sich dem Südwestkirchhof – durch den Haupt­ eingang hindurch über den Hauptweg, an der Kirche vorbei, quer durch die verschiedenen Gemeindeblöcke und entlang der Alten Umbettung spaziert man wie über einen Flickenteppich Berliner Geschichte.

Abb. 44: Friedhofskirche von Gustav Werner, Südwestkirch­ hof Stahnsdorf, Berlin

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Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen Der Reiz der Anlage liegt in der zeitlichen Komponente. Der Friedhof ist geprägt von verschiedenen Zeitschichten oder – um es mit Ernst Blochs Charakteristikum der Moderne zu sagen – von der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“146. Es handelt sich um ein Feld, auf dem weniger die Erscheinungsform um die Jahrhundertwende sichtbar wird, dafür umso mehr die Spuren, die 100 Jahre Stadtgeschichte an ihnen zurückgelassen haben. Auf Grund des speziellen Standortes sind die Inszenierungsstrategien schwerer zu erkennen, eine chronologische Aufarbeitung ist vielschichtig, komplex und muss teils lückenhaft bleiben – aber der kritische Umgang mit der weiblichen Grabplastik als Quelle bietet reizvolle Perspektiven auf das Gesamtphänomen der ›Trauernden‹, die andere europäische Friedhöfe nicht bieten können. Blicken wir aus der Perspektive der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen auf die ›Trauernde‹, haben wir es hier mit drei Zeitfenstern zu tun: Die Zeit von der Gründungsphase bis in die Weimarer Republik, die Phase der Umbettung, welche plötzlich Grabmäler aus dem 19.  Jahrhundert auf das Friedhofsareal des 20. Jahrhunderts brachte, und die Zeit danach, die den ursprünglichen Zustand der Gräber verschleierte. Auf diese drei Zeitfenster lohnt es sich genauer einzugehen.

Abb. 45: Grabanlage Familie Langenscheidt (1895), Alte Umbettung, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin Abb. 46: Grabanlage Familie Ernst Werner von Siemens (1892), Block Trinitatis, Südwest­ kirchhof Stahnsdorf, Berlin

Das erste Zeitfenster zeigt sich in der Grabmalkultur nach der Friedhofseröffnung 1909. Zu diesem Zeitpunkt wurde an verschiedenen Stellen, also in den jeweiligen Blöcken der Gemeinden, zugleich bestattet. Unter dem dauerhaften Grabschmuck war vor allem der Findling verbreitet, weil er sich harmonisch in das Gestaltungsprogramm des Waldfriedhofs einfügte. Es gab aber auch Stelen, Säulen, Urnen, Kreuze, Kleinarchitekturen und Plastiken. Dadurch trafen innerhalb eines Gemeindeblocks unterschiedliche Grabmaltypen und soziale Schichten in direkter Nachbarschaft aufeinander. Im Vergleich zu anderen Friedhöfen wie in Ohlsdorf, Wien oder München manifestiert sich die soziale Abgrenzung weniger über die Lage der Grabstätte, sondern

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weitgehend über die Inszenierung des Grabschmucks. Insbesondere Mausoleen und Großgrabstätten machen deutlich, dass die Grabanlagen der bürgerlichen und aristokratischen Oberschicht jeweils wie ein privater „Friedhof im Friedhof“147 inszeniert wurden (Abb. 45). Da das Konzept des Waldfriedhofs elitäre und exponierte Standorte zu vermeiden versuchte, ließen die Familien ihre Grabmonumente in den Wald hineinkomponieren und mit kleinen Zäunen oder Mauern eingrenzen (Abb. 46). Umso exklusiver wirkten die Inszenierungen im Spannungsverhältnis zwischen repräsentativer Monumentalität und der Natur im Wechsel der Jahreszeiten. Ähnlich verhielten sich die Inszenierungen von weiblichen Grabplastiken, die meist erst auf den zweiten Blick sichtbar spannungsreiche Assoziationen vor der Kulisse des Waldfriedhofes weckten (Abb. 47). Soziale Distinktion zu anderen Schichten markierte die ›Trauernde‹ also weniger über eine ausgewiesen prestigeträchtige Lage des Grabes, sondern über ihre Materialität, die durch die Kulisse des weiten Geländes in der vergänglichen Vegetation verstärkt wurde. Das zweite Zeitfenster umfasst nicht nur die Zeit der Umbettung bedeutender Grabmäler, die in den 1930er Jahren der OstWest-Achse weichen mussten, sondern auch die Zeit der innerstädtischen Begräbniskultur um 1900.148 Die ›Trauernden‹, die am nördlichen Rand des Südwestkirchhofs in der Alten Umbettung zu finden sind, trotzen quasi den ursprünglichen Inszenierungsstrategien, weil die Grabmäler in der Umbettung platzsparend, wie an einer Perlenkette entlang des Friedhofzauns aufgereiht wurden (Abb. 48). Der Raumeindruck ihres früheren Standortes ist nicht mehr nachvollziehbar und die Inszenierungsstrategien der Auftraggeber und Familien sind verblasst. Hier ist es notwendig, vor den einzelnen ›Trauernden‹ zurückzutreten, um trotz des schmalen Weges die passende Perspektive auf die teilweise drei Meter hohen Grabmäler einnehmen zu können. Aus einiger Entfernung wird deutlich, wie viel Geld und Aufwand die bürgerlichen Familien in Material und Größe investiert haben, um den Nimbus von Monumentalität und Beständigkeit zu erzeugen – auch wenn diese Beständigkeit ursprünglich für einen anderen Ort bestimmt war.

Abb. 47: Weibliche Plastik (o. A.), Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin Abb. 48: Grabstätte Hoffmann/ Müller/Pinzger (1898), Alte Umbettung, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin

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Das dritte Zeitfenster betrifft „die Zeit, und die Zeit danach“.149 Wie bereits angedeutet, haben sich auf den kirchlichen und städtischen Begräbnisplätzen Berlins die Bestattungskonzepte und die Stadtgeschichte im Laufe der Jahrhunderte niedergeschlagen. Für diesen Wandel steht auch der Bestand der weiblichen Grabplastiken in Stahnsdorf bzw. das, was davon übrig geblieben ist. Nach der Friedhofsreform, den Weltkriegen sowie der Teilung Deutschlands und Berlins war die bürgerliche Repräsentationskultur vermutlich auch auf den Friedhöfen nicht mehr mit den zeitgenössischen Ideologien vereinbar. Es sind nur wenige Grabplastiken erhalten geblieben – über den Verbleib der anderen lassen sich nur Mutmaßungen anstellen. Bereits zur Zeit des Zweiten Weltkrieges wurden viele Grabmäler beschädigt oder zerstört, in der Nachkriegszeit mussten dann unzählige Familien ihre Familiengräber vernachlässigen, weil das Überqueren der Besatzungszonen problematisch und die Bahnverbindung zum Friedhof unterbrochen war. Nach dem Bau der Mauer 1961 konnten die Bewohner West-Berlins ihre Familiengräber auf dem Südwestkirchof nur mit Sondergenehmigungen besuchen. In dieser Zeit sind viele Grabmäler mit ›Trauernden‹ verfallen und mussten aufgelöst werden. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass Grabplastiken abgetragen und als Baustoff umfunktioniert wurden – der Mangel an Luxusgütern und Werkstoffen, aber auch die Ideologien der DDR, der Realsozialismus und die Planwirtschaft waren schwer mit den Marmorund Bronzeplastiken zu vereinbaren, die als individuelle Statussymbole neben den einfachen, sachlichen Grabsteinen herausragten. Weibliche Grabplastik und Grabmalkultur Die meisten weiblichen Grabfiguren sind auf dem Südwestkirchhof in einem Abschnitt zu finden, der an eine verlassene Kulissenstadt aus einem alten Westernfilm erinnert. Im Bereich der Alten Umbettung wurden sie aneinandergereiht: viele von ihnen freistehend auf einem Podest oder Sockel, einige eingebettet in Fragmente von Wandarchitekturen, die gelegentlich deplatziert wirken (Abb. 48, Abb. 49). Es ist schwer, den Eindruck zu beschreiben, den sie an dieser Stelle erzeugen, denn im Vergleich zu anderen europäischen Friedhöfen wirkt das Gesamtbild surreal. Mit dem Wissen um die Friedhofsverlegungen vor dem Zweiten Weltkrieg erklärt sich diese Irritation, weil die Gräber schließlich für einen anderen Friedhof konzipiert, aus ihrer ursprünglichen Kulisse herausgenommen und vor die Kulisse Alte Umbettung in die letzte Grabreihe eines Waldfriedhofs gesetzt worden waren. Trotz dieser Veränderungen zeigen sie, wie bilderreich und vielfältig die bürgerliche Grabmalkultur Berlins gewesen sein muss.

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Besonders in den Abschnitten, in denen mehrere, komplett freistehende Einzelfiguren zu finden sind, erscheinen die Gräber zwischen der wuchernden Vegetation demontiert und aus ihrem Kontext gerissen. Hier konnte eine weibliche Plastik des Bildhauers Wilhelm Wandschneider (1866 – 1942) erhalten werden, die einen Eindruck von der Auftragssituation und Umsetzung repräsentativer Grabmäler um 1900 vermittelt (Abb. 49, Abb. 50).150 Das Grabmal zeigt eine ›Trauernde‹ in langem Gewand und schmal fallendem Trauerflor, die aufrecht und gefasst nach unten blickt. Eingerichtet wurde das Grab für den verstorbenen Hofphotographen Julius Schaarwächter (1905), das 1938 vom St. Matthäi-Kirchhof in die Alte Umbettung überführt worden war. Zur Zeit Wilhelms II., der für seine Affinität zu medialer Inszenierung bekannt war, galt die Photographie bei Hofe sehr viel und war als verdienstreicher Beruf angesehen.151 Dementsprechend würdig muss sich dieses Grabmal auf dem St. Matthäi-Friedhof in die honorablen Gräber der Berliner Oberschicht eingereiht haben.

Wandschneider begann 1886 seine Ausbildung als Bildhauer an der Akademie der Künste in Berlin und ist auch nach Studienaufenthalten in Paris und Rom dem Stilpluralismus der Berliner Bildhauerschule treu geblieben. Sein beruflicher Weg von der akademischen Ausbildung hin zur Gestaltung privater Grabmäler lässt sich am besten vor dem zeitlichen Hintergrund erklären. In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts gab es infolge der Reichsgründung von 1870/71, wirtschaftlicher Erfolge und national erstarkendem Selbstbewusstsein einen ungeheuren Denkmalboom. Die Bildhauer dieser Zeit profitierten sowohl von den öffentlichen Ausschreibungen als auch von einem neuen Markt durch private vermögende Auftraggeber. Wandschneider vollzog in diesen Jahren eine berufliche Entwicklung, wie sie beinahe idealtypisch für viele Bildhauer dieser Zeit war.

Abb. 49: Grabreihe im Bereich Alte Umbettung mit Grabstätte Schaarwächter, Südwestkirch­ hof Stahnsdorf, Berlin Abb. 50: Grabmal Julius Schaarwächter (1905/06), Wilhelm Wandschneider, Alte Umbettung, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin

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Nach seiner Ausbildung nahm er an zahlreichen anonymen Wettbewerben teil, darunter Ausschreibungen für Darstellungen von Bismarck, Kaiser Wilhelm I., Goethe, Herzog Ernst dem ­ Frommen oder für das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig. Schließlich wurden 1898 das Denkmal für Kaiser W ­ ilhelm I. in Neustettin und für Kaiser Friedrich III. in Dortmund enthüllt, 1899 das Denkmal für Werner von Siemens anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Technischen Hochschule Charlottenburg.152 In den kommenden Jahren folgten unzählige Wettbewerbsaufträge für Portraitbüsten, Ehrendenkmäler, Brunnenanlagen und ein Kruzifix mit Jesusfigur. Das Repertoire und die Auftraggeber Wandschneiders waren vielfältig: von politischen, ­weltlich-­­mo­nar­chischen, religiösen bis zu bürgerlich-aufklärerischen Motiven waren alle großen Bildthemen der Denkmalskultur vertreten, die Wandschneider in jeder gewünschten Stilrichtung handwerklich bedienen konnte (Abb. 51). Von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg waren die erfolgreichsten Jahre für Wandschneider, der inzwischen in Berlin und in seiner Geburtsstadt Plau am See lebte. Er nahm an zahlreichen Ausstellungen teil wie z. B. an den Akademieausstellungen in Berlin, aber auch in Dresden, München, Schwerin, Düsseldorf und im Ausland in St. Louis, Venedig, London, Glasgow und Liverpool.153 Diese Werkausstellungen mit anderen Künstlern spielten für Bildhauer der Jahrhundertwende eine große Rolle – heute wären sie mit Kunstmessen vergleichbar – und stellten in Bezug auf Kontakte und Auftragsanfragen wesentliche Multiplikatoren dar. Für Wandschneider bedeutete die Teilnahme an diesen Ausstellungen, dass er neben bereits fertiggestellten Aufträgen und Wettbewerbsbeiträgen auch freie Arbeiten präsentieren konnte. Es wurden Modelle von Plastiken und Büsten gezeigt, in Werksbüchern vermerkt und teilweise sogar auf Postkarten – als eine Art Visitenkarte oder Werkbeispiel – zum Mitnehmen und Weitergeben abgedruckt. Im Zuge des Denkmalkults, der sich inzwischen auf private und wohlhabende Kreise ausgebreitet hatte, gab es durch die Ausstellungen zunehmend private Anfragen entweder für Repliken der vorgestellten Arbeiten, für direkte Neuaufträge, oder als Vermittlung von Kontakten. Ein breites Feld stellte in diesem bürgerlichen privaten Denkmalkult die individuelle Gestaltung von Grabmälern in Anlehnung an die großen repräsentativen Denkmäler dar. Den ersten Auftrag dieser Art erhielt Wandschneider 1902 für die Ausführung der Familiengrabstätte von Heinrich Haukohl in Plau. Als Dank für eine großzügige Stiftung war der Kaufmann Haukohl von seinem Heimatort Plau zum Ehrenbürger ernannt worden und sollte nun eine adäquate Ruhe- und Gedenkstätte erhalten. Wandschneider schuf für die Grabstätte eine lebensgroße ›Trauernde‹ auf einem Postament, die in gleicher Ausführung auch am Johannisfriedhof

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in Dresden auf dem Grab der Familie Günther (1906) zu finden ist.154 Da das Modell der Grabplastik für die Familie Haukohl auf einer Ausstellung präsentiert wurde und eigens dafür Postkarten mit der Figur gedruckt wurden, ist davon auszugehen, dass die Familie Günther eine Replik bei Wandschneider in Auftrag gab. Für den Berliner Hofphotographen Schaarwächter, dessen Grab heute auf dem Südwestkirchhof in Stahnsdorf zu finden ist, gestaltete Wandschneider 1905/06 die Figur ursprünglich für den Alten Mathäikirchhof – diese wurde zudem als Bronzeguss in (Hamburg-)Harburg auf dem Familiengrab des K ­ onsuls Max ­Brinckman, Sohn des Mecklenburger Dichters Johan ­Brinckman, 1928 aufgestellt (Abb. 52).155

Es folgten noch weitere Grabmäler unter den Titeln „Trauernde“, „Flora“ oder „Der müde Wanderer“, aber auch Porträtbüsten und Grabreliefs für Personen wie John Brinckman in Güstrow, General von Windheim in Berlin, Doktor Busekist in Lübtheen und einen Herrn Hoffmann in Potsdam, die heute zerstört oder verloren gegangen sind.156 Inwiefern Wandschneider seine Auftraggebenden für Grabmäler persönlich kannte oder mit ihnen z. B. über die Ausstellungen in Kontakt kam, ist nicht zu rekonstruieren. Es ist davon auszugehen, dass viele Auftraggeber und Auftraggeberinnen die Arbeiten bestimmter Künstler auf dem Friedhof gesehen haben und daraufhin den Kontakt zu diesen Bildhauern aufnahmen. Bei den Beispielen der Grabplastiken und ihrer Repliken kannten sich möglicherweise Wandschneider und der Plauer Kaufmann Haukohl aus ihrer Heimatstadt oder Wandschneider und der Hofphotograph Schaarwächter aus gemeinsamen Künstler- und Auftragskreisen in Berlin. Deutlich wird jedoch, dass Bildhauer wie Wandschneider auf den Verkauf von Repliken wirtschaftlich angewiesen waren – immerhin hätten sie bei Werkschauen Arbeiten lediglich aus-

Abb. 51: Historische Photogra­ phie des früheren Museums Wilhelm Wandschneider mit Modell der ›Trauernden‹ für das Grabmal Schaarwächter (1926) Abb. 52: Gipsmodell für das Grabmal Schaarwächter von Wilhelm Wandschneider (o. J.)

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stellen und Aufträge für Repliken ablehnen können, wenn sie z. B. ausschließlich an Neuaufträgen oder freien Arbeiten interessiert gewesen wären. Viele Bildhauer des frühen 20. Jahrhunderts sind jedoch noch in der Tradition der großen Bildhauerschulen und Akademien des 19.  Jahrhunderts zu verstehen. Hier wurde weniger das künstlerische Genie gefördert, sondern vorrangig das künstlerische Können im Sinne eines kunsthistorisch versierten und stilistisch bewanderten Handwerks, das zudem stark vom Gestus und Einfluss der jeweiligen Professoren und Meisterklassen geprägt war. So gesehen waren Bildhauer eher eine Art Dienstleister und Ausführer künstlerischer Ideen, wobei die Aufträge dazu nicht mehr nur von Kirche, Monarchie oder einer Stadt erteilt wurden, sondern auch aus bürgerlichen privaten Kreisen kamen. Um diese neue und zahlungskräftige Klientel zu erreichen, entwickelten Bildhauer wie Wandschneider neue Strategien, ihre Arbeiten publik zu machen wie z. B. mit Hilfe von Ausstellungen, Werksbüchern oder den Visitenkarten ähnlichen Postkarten. Auch in den übrigen Begräbnisblöcken sind vereinzelt ›Trauernde‹ zu finden, allerdings sind sie meist erst auf den zweiten Blick zu erkennen: In der Weite des Areals, hinter Büschen oder im Unterholz in den Tarnfarben von dünnem Moosbezug stößt man eher zufällig, dafür aber um so überraschender und eindrücklicher auf die Grabplastiken. Welche Steinmetze, Bildhauerwerkstätten und Künstler im Einzelnen für diese Figuren in Stahnsdorf tätig waren, ist nicht mehr genau nachweisbar. Einige von ihnen haben Grabplastiken nicht nur für den Raum Berlin gefertigt, sondern führten Aufträge aus dem gesamten Deutschen Reich und dem Ausland aus, wie z. B. Wilhelm Wandschneider oder Hans ­Dammann. Andere verpflichteten sich für einige Jahre bei Firmen oder Werkstätten, die in hoher Stückzahl und in Serie produzierten wie z. B. Heinrich Pohlmann für die WMF.157 Seit einigen Jahren wird die Grabmalkultur verstärkt als Spiegelbild der Geschichte Berlins wahrgenommen und in Führungen, Veranstaltungen und Online-Auftritten vermittelt. Seit den 1990er Jahren nehmen sich neben dem Friedhofsverein auch Stiftungen und das Denkmalschutzamt der historischen Grabmäler an und versuchen, sie vor Ort z. B. über Patenschaftsprogramme zu erhalten.

2.5 Friedhöfe München Für das Beispiel München werde ich – im Vergleich zu den anderen Städten – nicht einen einzelnen Friedhof vorstellen, sondern insgesamt fünf. Die Schlüsselfigur für den Münchner Friedhofsbau der Jahrhundertwende war der Architekt und spätere Stadtbau­ direktor Hans Grässel (1860 – 1939), der die bestehenden Friedhöfe um kommunale Begräbnisplätze im Norden, Osten, Süden

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und Westen der Stadt ergänzte. Grässel, der als reformorientiert galt, verband auf diese Weise das zentralisierte, kommunale Bestattungswesen mit einer dezentralen Friedhofskonzeption für den gesamten Stadtraum München. Die ersten Friedhofsprojekte in den 1890ern legte er architektonisch-sachlich an, nach der Jahrhundertwende konzipierte er den südlichen Friedhof als Waldfriedhof landschaftlich-naturnah. Daher bietet sich in München die einmalige Gelegenheit, das Phänomen der ›Trauernden‹ vor dem Hintergrund unterschiedlicher Friedhofstypen zu betrachten, die in einer Zeit expansiver Bauvorhaben zwischen Funktion, Finanzen und Ästhetik entstanden.158 Geschichte der Münchner Friedhöfe Wie in anderen europäischen Metropolen auch, stellte das Wachstum der Münchner Bevölkerung die Stadtverwaltung vor enorme Herausforderungen. Allerdings vollzog sich das Bevölkerungswachstum in der Residenzstadt nicht kontinuierlich, sondern auf Grund umfangreicher Eingemeindungen sprunghaft.159 Umso dringlicher wurde nach weitsichtigen und nachhaltigen Lösungen für Versorgung, Hygiene und Verwaltung gesucht und auf ein systematisches Vorgehen gesetzt. Hans Grässel war im Münchner Stadtbauamt zwischen 1880 und den 1920er Jahren genau in dem Zeitraum tätig, als die umfangreichsten Stadtplanungen und Bauprojekte zur Regulierung der wachsenden Bevölkerung umgesetzt wurden. Während Grässel im Stadtbauamt eine Karriere vom Baubeamten über das Amt des Baurats zum Baudirektor der Stadt München durchlief, konzentrierte er sich auf die ständige Gratwanderung zwischen finanziellen Möglichkeiten, Sachzwängen, ästhetischen Fragen und Lösungsmodellen für alle sozialen Schichten.160 Möglicherweise hatte er den Grundstein dafür zu Beginn seiner Amtszeit gelegt, als er als Neuling mit dem Vorschlag zur Einrichtung von vier Friedhöfen ein Konzept zur Dezentralisierung der Begräbnisplätze vorlegte, das auch direkt vom Magistrat angenommen wurde. Münchens Bestattungskultur sah vor der Jahrhundertwende folgendermaßen aus: In den 1890er Jahren wurden der Südliche Friedhof161 an der Thalkirchner Straße und der Nördliche Friedhof an der Arcisstraße kommunal verwaltet, 18 kleinere Friedhöfe, die zum Teil durch die Eingemeindungen zum Stadtgebiet hinzugekommen waren, waren an die Pfarrkirchen der Stadt angegliedert.162 Um das Bestattungswesen effektiver zu organisieren und neue Begräbnisflächen zu schaffen, orientierte sich ­Grässels Vorgänger, der Bauamtsmann Löwel, an neuartigen europäischen Friedhofsmodellen und stellte beim Magistrat die Projektierung für einen Zentralfriedhof vor. Diese wurde aus mehreren Gründen abgelehnt. Mit den Eingemeindungen verschoben sich immer

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wieder die Stadtgrenzen und damit die optimale Lage für einen zentralen Hauptfriedhof. Andererseits wurde neben den Eingemeindungen ein kontinuierlicher Bevölkerungszuwachs über die nächsten Jahrzehnte hinaus prognostiziert, so dass die Gefahr bestand, dass ein einziger Friedhof bald wieder überbelegt wäre, wegen umschließender Bebauung nicht erweitert werden könnte oder zu weit von der Stadt entfernt liegen müsste. Hinzu kam, dass Bodenflächenspekulationen im Stadtraum München die Grundstückspreise steigen ließen und die Kosten für eine passende Friedhofsfläche die städtischen Finanzierungsmöglichkeiten übertrafen.163 Vor diesem Hintergrund legte Grässel mit seiner Planung von vier Einzelfriedhöfen ein dezentrales Gegenkonzept vor, das weitsichtige, nachhaltige und finanzierbare Lösungswege bot (Abb. 53, Abb. 54, Abb. 55, Abb. 56). Die bestehenden Begräbnisplätze, der Nördliche und der Südliche Friedhof, wurden mit vier Großfriedhöfen entlastet: 1884 wurde der Nordfriedhof eingerichtet, 1894 der bestehende Auer Friedhof erweitert und zum Ostfriedhof ausgebaut und 1898 der Westfriedhof angelegt und 1902 fertiggestellt.164 Die Kosten für Versorgungsbauten belasteten die Stadtverwaltung derart, dass vor der Planungsphase zum noch fehlenden Südfriedhof im Jahr 1900 eine Delegation der Friedhofskommission nach Wiesbaden, Köln, Düsseldorf, Bremen, Kiel und Hamburg gesandt wurde, um Erfahrungswerte einzuholen.165 Die Kommission zeigte sich besonders von der landschaftlichen Gestaltung des Ohlsdorfer Friedhofs in Hamburg beeindruckt – allerdings lehnte Grässel die Doppelfunktion des Park-Friedhofs als Naherholungsraum ab und entwickelte für den vierten noch ausstehenden Begräbnisplatz im Süden Münchens das Konzept für einen Waldfriedhof. Dazu konnte der Hochwaldforst im südlichen Fürstenried mit seinem Baumbestand, kleinen Wegen und Lichtungen genutzt werden, um einen landschaftlichen Friedhof vor allem kostengünstig anzulegen: Die notwendige Vegetation war bereits vorhanden, die Friedhofsarchitektur sollte schlicht sein und das Einrichten von exklusiven Großgrabstätten ließ höhere Einnahmen erwarten.166 Darüber hinaus entsprach das Konzept dem Zeitgeist vor dem Ersten Weltkrieg. Das Bild des Waldes suggerierte Unverfälschtheit, Schlichtheit und Ruhe. Der Waldfriedhof hatte damit weniger den kontemplativen Charakter des Parkfriedhofs, in dem das Natürliche nicht nur Erhabenheit und Schönheit vermitteln, sondern auch über den Schrecken des Todes hinwegtrösten sollte. Grässel betonte immer wieder seine Absicht, dass sich den Besuchern beim Betreten der Anlage Ernst und Feierlichkeit offenbaren und nichts von dem eigentlichen Zweck der Bestattung, Grabpflege und Trauer ablenken sollte.167 Im Zuge der zunehmenden Lebensreformbewegungen mit der Maxime »Zurück zur Natur« hatte sich Grässel einen Namen

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Abb. 53: Plan des Alten und Neuen südlichen Friedhofs (1855), München Abb. 54: Plan des Nordfriedhofs (1884), Ausschnitt des histori­ schen Teils aus dem aktuellen Plan, München Abb. 55: Perspektivischer Grundriss des Ostfriedhofs, (1894), München Abb. 56: Lageplan des Wald­ friedhofs (1927), München

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als Friedhofsarchitekt gemacht, so dass sein Konzept des Waldfriedhofs über München hinaus großen Zuspruch fand.168 Grässel wurde mit Friedhofsplanungen in Schaffhausen (1913/14) und ­Memmingen (1920) beauftragt und als Berater für Projektierungen hinzugezogen wie z. B. in Traunstein (1904/06); zudem diente sein Konzept als Vorbild für zahlreiche Begräbnisplätze im Deutschen Reich (z. B. Berlin, Darmstadt, Stuttgart u. a.). Viele Städte waren gezeichnet vom industriellen Wandel, den Folgen der Urbanisierung und dem technokratischen Aufwand – Grässel versuchte den Spagat zwischen zentraler Versorgung und finanzierbarer Verwaltung auf der einen Seite und den alltäglichen Wegen, Bedürfnissen und Gewohnheiten der Bevölkerung auf der anderen Seite: „Die Dezentralisierung der Friedhöfe ist als die bessere Lösung zu erachten. Die hierbei erforderlichen einzelnen Friedhofsgelände sind kleiner und können eher beschafft werden. Sie sind der künftigen Erweiterung der Stadt und der Durchführung von Radialstraßen nicht so hinderlich. Die Bewohner haben keine so großen Wege zurückzulegen, daher weniger Zeitversäumnis und weniger Ausgaben. Die persönliche Pflege der Grabstätten ist erleichtert. Die einzelnen Begräbnisgelände brauchen nicht so ausgenutzt zu werden, es bleibt mehr Platz für Anpflanzungen. Sie bilden auch in den einzelnen Stadtteilen erwünschte von der Bebauung freibleibende Fläche, die späterhin zu öffentlichen Anlagen umgestaltet werden können. Die Verwaltung wird etwas verzweigter, dagegen aber auch wieder der Leichentransport billiger.“169

Als Stadtbaudirektor schuf Grässel unter anderem Schulen, Armen­häuser und Verwaltungsgebäude; vor allem seine Ausführungen über die Friedhofsplanung machten deutlich, wie sehr er versuchte, über den reinen Zweck der Bestattung hinaus die Lebenden, also die Angehörigen, Hinterbliebenen und Besucher, zu berücksichtigen. Neben anderen Friedhofskonzepten wirken Grässels Projekte vergleichsweise pragmatisch und deuten bereits die Phase der form- und zweckrationalen Friedhofsgestaltung nach dem Ersten Weltkrieg an. Weibliche Grabplastik und Grabmalkultur Die Inszenierung der weiblichen Grabplastiken hängt stark von dem jeweiligen Friedhofstyp ab, auf dem sie zu finden sind. Weil in München in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg drei unterschiedliche Friedhofskonzepte das Stadtbild prägten, lohnt es sich hier besonders, die ›Trauernden‹ auf ihre Raumwirkung hin zu betrachten. Die architektonischen, symmetrischen und landschaftlichen Friedhofstypen leiten die Wahrnehmung der Friedhofsbesucher – je nach Gestaltungsprinzip lenken sie den Weg und den Blick über das Areal entlang geometrischer Grund-

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risse, vorgezeichneter Blickachsen oder durch dichte Vegetation. Anhand des Alten Südfriedhofs und der neuen Begräbnisplätze von ­Grässel lässt sich zudem die Entwicklung von der eher strengen architektonischen bis zur reformorientierten landschaftlichen Gestaltung nachvollziehen. Der Alte Südfriedhof an der Thalkirchner Straße wurde 1563 als Pestfriedhof außerhalb der Stadt eröffnet, mehrmals vergrößert und im Jahr 1788 als erster kommunaler, zentralisierter Begräbnisplatz in München eingerichtet.170 Nach den Erweiterungen im Jahr 1844 durch Friedrich von Gärtner zeigte er eine konsequent architektonische Struktur, die an den italienischen Campo ­Santo Typus angelehnt war: Bei der Campo Santo Anlage handelt es sich in der traditionellen Form um eine architektonische Begräbnisanlage, die als eine Art Hof von allen vier Seiten von Mauern oder Arkaden umschlossen wird und deren Hauptzugang von den Friedhofsgebäuden zentral markiert wird. Der Alte Südfriedhof erinnert im Umriss weniger an einen Hof, vielmehr handelt es sich um zwei aneinanderliegende Begräbnisareale, deren Innenbereich durch Wege in geometrische Grabfelder gegliedert ist, die auf die Gebäude am Haupteingang ausgerichtet sind. Das Areal umgibt eine Außenmauer, die teilweise als Arkadengang gestaltet wurde. Während innerhalb der Grabfelder eher gleichförmige gleichgroße Grabmäler zu finden waren, wurden die Umfassungsmauer und Arkaden für repräsentative Familiengrüfte vorgesehen. Vor allem die Arkaden mit ihren exklusiven Grabplätzen, kostspieligen Monumenten und prominenten Familiennamen erinnern an eine „Galerie sepulkraler Symbole für Macht und Reichtum, Bildung und Ansehen.“171 Die weiblichen Grabplastiken, die hier zu finden sind, zeigen vorwiegend Allegorien, die auf den Verdienst und das Vermächtnis der Verstorbenen anspielen und Personengräber wie Personendenkmäler ausstatten, so zum Beispiel das Grabmal des Stifters und Wohltäters Sebastian Gaigel (1797 – 1876) (Abb. 57, Abb. 58) und des Hygiene-Pioniers Max von Pettenkofer (1818 – 1901) (Abb. 59, Abb. 60), die in Sichtweite zueinander lagen. Sebastian Gaigel, Gründer des Leihhauses in der Au, hatte in seinem Testament das städtische Waisenhaus als Universal­ erbe seines Vermögens eingesetzt. Zu Lebzeiten hatte er seine Person und seine Geschäfte eher im Hintergrund gehalten – so verwundert es nicht, dass er in seinem Testament für sich selbst eine Beerdigung zweiter Klasse „ohne kostspieligen Prunk“ vorgesehen hatte.172 Aus Dank ließ die von ihm eingesetzte Städtische Waisenhausstiftung Gaigel 1877 aus einem Reihengrab umbetten und eine Gruft mit Denkmal im Wert von rund 12.000 Mark im Bereich „Neue Arkaden“ einrichten.173 Das über fünf Meter hohe Grabmonument zeigt eine überlebensgroße Büste Gaigels auf einem Sockel, an dem eine weibliche Figur lehnt und zwei Kinder

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Abb. 57: Grabmal Sebastian Gaigel (1876), Alter Südfriedhof, München Abb. 58: Grabmal Sebastian Gaigel (1876), Alter Südfriedhof, München

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zu dem Stifter aufsehen. Die weibliche Allegorie – eine Mischung aus Caritas und weiblicher Personifikation der Stadt München – repräsentiert zusammen mit den Kindern somit „die Wohltätigkeit Gaigels und die schuldige Dankbarkeit von Stadt und Waisenzöglingen“.174 Anders als Sebastian Gaigel war Max von Pettenkofer eine Person des öffentlichen Lebens. Als renommierter Wissenschaftler, erster deutscher Professor für Hygiene und Ehrenbürger der Stadt nahmen sowohl die Bevölkerung als auch die Münchner Amts- und Würdenträger große Anteilnahme an dessen Beisetzung – nicht zuletzt, weil er sich verarmt und gesundheitlich beeinträchtigt aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und schließlich den Freitod gewählt hatte (Abb. 59).175 Auf Grund der Quellenlage ist nicht zu rekonstruieren, ob Pettenkofers Grabstätte am Alten Südfriedhof von der Stadt oder von Angehörigen ausgewählt und eingerichtet wurde, aber es muss sich um eines der bekanntesten Grabmäler gehandelt haben. Am Rundweg gegenüber der Arkadenmauer, an der das Gaigel’sche Grab liegt, zwischen Universitätsprofessoren, Kammersängern und Mäzenen, schmückte eine weibliche monumentale Marmorfigur die letzte Ruhestätte und stellte als Hygieia, als Allegorie der Hygiene und Medizin, die Verbindung zu Pettenkofers Lebenswerk und Vermächtnis her.176 Das Grabmal von Max von Pettenkofer ist heute nicht mehr in seiner ursprünglichen Form erhalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Bemühungen zur „Verschönerung“ des Alten Südfriedhofs, so dass Grabsteine, die in den Weltkriegen beschädigt oder zerstört wurden, abgeräumt und die Grabstätten mit Bodenplatten bedeckt wurden.177 Pettenkofer wurde nachträglich ein städtisches Ehrengrab gewidmet – von der ursprünglichen Grabgestaltung und der weiblichen Grabplastik gibt es glücklicherweise historische Photographien (Abb. 60). Die Grabstätten von Gaigel und Pettenkofer zeigen zweierlei Aspekte: Die Aus-

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schmückung mit einer weiblichen Allegorie ließ ein Grabmal wie ein öffentliches Personendenkmal in Erscheinung treten und die Stadt München pflegte auf dem ehrwürdigen Alten Südfriedhof eine Gedenkkultur, die weniger bürgerlich-repräsentativ, sondern für die Größen der Stadt eher residenz-typisch inszeniert wurde.

Auf dem neuen Ost- und Nordfriedhof setzte der Stadtbaudirektor Grässel den architektonischen Friedhofstyp noch ansatzweise fort. Indem er den symmetrischen Grundriss und die monumentalen Friedhofsgebäude ähnlich systematisch anordnete, wurden Sichtachsen auf die repräsentativen Gruftanlagen und bürgerlichen Familiengräber entlang der Umfassungsmauer und Arkaden forciert. Auf dem Westfriedhof begann er sich schließlich von der architektonischen Dominanz zu lösen. Da das Planungsgrundstück beinahe rechteckig war und keine alte bestehende Anlage berücksichtigt werden musste, setzte Grässel die Hauptgebäude im Eingangsbereich aus der Straßenfluchtlinie zurück, so dass sie einen weniger zwingenden Fixpunkt darstellten und den streng symmetrischen Umriss der Friedhofsfläche aufbrachen. Innerhalb des Areals lockerte er die strenge Flächeneinteilung durch eher unregelmäßige, aber in sich symmetrische Grabfelder auf und richtete Wege weniger zentriert aus. Die Orientierung sollte nicht mehr über die rasterartige Wegführung auf die Friedhofsgebäude hin erfolgen, sondern über die Brunnen- und Bewässerungsanlagen an Wegkreuzungen.178 Alles in allem blieb ein rechtwinklig-symmetrischer Grundriss zu erkennen, der architektonische Charakter allerdings trat nun im Vergleich zu Grässels früheren Friedhofsbauten in den Hintergrund. In Hinblick auf die Inszenierung von plastischem Grabschmuck gab es kaum Unterschiede zwischen dem architektonischen und dem symmetrischen Friedhofstyp. Das hängt vor allem mit der ähnlichen Wegführung zusammen, die jeweils den Blick auf bestimmte Punkte vorgab. An dieser Stelle muss berücksich-

Abb. 59: Historische Photogra­ phie vom Trauerzug Max von Pettenkofer, Alter Südfriedhof, München Abb. 60: Grabstätte Max von Pettenkofer, Alter Südfriedhof, München (historische Photogra­ phie, 1901)

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tigt werden, dass das heutige Friedhofsbild den Eindruck verfälscht, der in den Jahren nach den Eröffnungen geherrscht haben muss, weil es insgesamt noch weniger Gräber gab, die heute den Blick und die Orientierung lenken. Die Sichtachsen ergaben sich eher über den vorgegebenen Grundriss mit seinen Wegen, Arkaden und Friedhofsbauten als über den Aufriss der unzähligen Grabsteine. So kommt es, dass auch auf dem Westfriedhof die repräsentativen Gräber weiterhin in den Arkaden, an der Mauer oder entlang der Hauptwege zu finden sind. Es wurden sogar zusätzliche Mauern in das Friedhofsareal eingefügt – vermutlich war die Nachfrage nach privilegierten Grabplätzen so groß, dass auf diese Weise weitere prestigeträchtige Flächen zur Verfügung gestellt werden konnten. Mit der Eröffnung des ersten Waldfriedhofs im Deutschen Reich etablierte Grässel 1907 das genaue Gegenstück zum architektonischen Friedhof.179 Das Areal lag ursprünglich 6 km vom Stadtkern entfernt und sollte mit einer Fläche von ca. 55 ha die drei bisherigen Großfriedhöfe ergänzen. Es entstand ein landschaftliches Konzept, ein weitläufiges „Gesamtkunstwerk“180, in das Grabmäler hineinkomponiert werden konnten. Nachdem unter den großen Bauvorhaben vor 1900 vor allem die Gebäude und Projekte für sanitäre Zwecke die Hauptkosten verursacht hatten, war für den Stadtbaurat die größte Herausforderung von finanzieller Art.181 Die Wahl des Forstgebietes für den Waldfriedhof war so gesehen ideal, da der landschaftliche Eindruck nicht erst künstlich-künstlerisch gestaltet werden musste, sondern die Grabfelder einfach in den Wald integriert werden konnten. Die Friedhofsgebäude sollten weniger monumental wirken und optisch vor der Gesamtanlage zurücktreten, wodurch Material und Kosten gespart werden konnten. Mit der Möglichkeit, kleinere Areale räumlich abzugrenzen und für repräsentative Großgrabstätten zur Verfügung zu stellen, konnte außerdem im laufenden Friedhofsbetrieb mit höheren Einnahmen kalkuliert werden.182 Weibliche Figuren sind auf dem Waldfriedhof vergleichsweise selten, obwohl durch das Konzept Großgrabstätten forciert wurden, die ausreichend Raum für Inszenierungen und Aufstellung geboten hätten. Wie kommt es, dass auf dem Alten Südfriedhof, dem Nord-, Ost- und Westfriedhof eine bestimmte Art von Grabschmuck aufgestellt wurde, und auf dem Waldfriedhof nicht? Immerhin handelte es sich um dieselbe Stadt, die gleiche Bevölkerung, bis auf wenige Jahre Zeitunterschied um dieselbe Zeit und dennoch um eine unterschiedliche Grabmalkultur. Nach der Jahrhundertwende lehnte Grässel den bürgerlich-pompösen, monumental-überfrachteten Grabmalschmuck der vorherigen Jahrzehnte vehement ab: „Nicht wie Stätten der Ruhe und des Friedens, sondern wie Steinmetzlager sehen die meisten modernen städtischen Friedhöfe aus. Nicht was die Tiefe des Gemütes der Hinterbliebenen, sondern was die Gedankenarmut hervorbringt, wird uns in diesem Wirr-

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warr von unkünstlerischen Dutzenddenkmälern und Einfriedungen in Deutlichkeit vor Augen geführt.“183

Anhand der Grabmalkultur bezieht Grässel seine Kritik auf die Folgen des allumgreifenden Wandels der Jahrhundertwende, auf die Überforderung der Menschen und deren Gefühlswelt: „Unsere heutigen Friedhöfe und Grabdenkmale sind ein sprechendes Zeugnis für jeden empfindenden Menschen, daß mit den gewaltigen Fortschritten auf allen Gebieten im neugeeinten Deutschen Reich die innere Kultur nicht Schritt gehalten hat. Unsere Kultur ist oberflächlich geworden.“184

Es liegt auf der Hand, dass die weiblichen Grabfiguren mit ihrem demonstrativen Pathos, den entrückten Gesten und den aufpolierten Materialmixturen genau diese Kultur der Oberflächlichkeit erfüllten. Grässel schwebte mit dem Waldfriedhof ein Raum vor, der ganz unverfälscht für den eigentlichen Zweck eines Friedhofs bestimmt war: Beisetzung, Trauer, Gedenken. Das Konzept für den Waldfriedhof konnte gerade in so einer Stadt wie München auf fruchtbaren Boden fallen und große Zustimmung finden. Nach der Reichsgründung genoss München den Ruf als Kunst-, Residenz- und Wissenschaftsstadt und nach der Jahrhundert­ wende versuchten industrie- und kulturpessimistische Kreise mit Hilfe von Heimatvereinen, reformorientierten Zeitschriften, naturschwärmerischen Veranstaltungen etc. eben diesen Ruf zu erhalten und zu behaupten. Das „Isar-Athen“ der Biedermeierund Gründerzeit präsentierte sich auch nach 1900 betont selbstbewusst als „Alt-München“ mit einer unverwechselbaren Mischung aus Kunst, Tradition, Lebensfreude und „dörflicher Weltstadt“.185 Grässels Konzeption spiegelt sich in der Überarbeitung der Friedhofsordnung, in der Forderung nach regionalen Materialien, dem Wunsch nach ortsansässigem Handwerk und der Idee von Einfachheit und Ursprünglichkeit. Als Stadtbaubeamter und „konservativer Reformer“186 materialisierte er mit dem »Gesamtkunstwerk« Waldfriedhof einen neuen Geist der Zeit im Stadtbild Münchens – aber auch in den inneren Bildern zu Jenseits, Ewigkeit und Erlösung. Die Münchner Friedhöfe der Jahrhundertwende stehen symptomatisch für die unterschiedlichen Friedhofstypen und Bestattungsideale in Europa dieser Zeit.

2.6 Städtischer Friedhof Sihlfeld, Zürich-Wiedikon Der Friedhof Sihlfeld wurde 1877 als Zentralfriedhof für die Stadt Zürich eingerichtet. Der Begräbnisplatz lag außerhalb des Stadtgebietes und wurde im Laufe der Jahre nach Eingemeindungen von umliegenden Dörfern immer wieder um benachbarte Fried-

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hofsflächen erweitert. Nachdem mehrere Friedhofsfelder aneinandergereiht wurden, ließ man von dem Titel „Zentralfriedhof“ ab und änderte den Namen – je nach Friedhofsfeld – auf Friedhof ­S­ihlfeld A, B, C, D. Teile davon wurden inzwischen aufgelassen und zu Grünflächen umgewandelt, andere Abteilungen werden ganz regulär für Bestattungen genutzt. Historischer und künstlerischer Grabschmuck ist vorwiegend im Bereich Sihlfeld A und D zu finden. Für die Untersuchung der ›Trauernden‹ ist der Bereich Sihlfeld A als das historische Kernstück und der ursprüngliche Zentralfriedhof interessant, weil hier die meisten repräsentativen Familiengräber und auch weibliche Grabplastiken zu finden sind. Doch das Phänomen weiblicher Grabplastiken und repräsentativen Grabschmucks reißt auch hier wie in anderen europäischen Ländern zwischen den Weltkriegen ab, als sich mit den Reformbemühungen ein eher „romantischer Heimatstil“ und regionales Handwerk durchzusetzen beginnen.187 Geschichte des Bestattungswesens in Zürich Der Friedhof Sihlfeld A zeigt alle großen Entwicklungsstränge der Bestattungskultur in Zürich auf: den Übergang von der kirchlichen zur kommunalen Bestattung, die Einführung der Feuerbestattung mit dem ersten Krematorium der Schweiz, Unterschiede zwischen der Einrichtung von Einzel- oder Familiengräbern und den Wandel der Grabmalkunst. Der Zürcher Reformator Huldrich Zwingli (1484 – 1531) ließ die Bestattungen in Kirchen und das Aufstellen von Grabzeichen verbieten. Nach dem Ratsbeschluss von 1525 wurde zwar die Oberschicht weiterhin im oder am Kirchgebäude beigesetzt, die alten Kirchhöfe beim Grossmünster, bei St. Peter und der Predigerkirche wurden jedoch geräumt und blieben als leere Wiesenflächen zurück.188 Ab Ende des 18. Jahrhunderts sollten die Friedhöfe dann nach den neuesten Erkenntnissen über Hygiene und wegen des größeren Fassungsvermögens vor den Toren der Stadt angelegt werden. Fast alle historischen Friedhöfe in und um Zürich sind Ergebnisse solcher Verlegungen und Zusammenschlüsse mehrerer Kirchhöfe zu einem ausgelagerten Begräbnisplatz.189 Entsprechend der zwinglianischen Tradition blieb das Aufstellen von Grabschmuck nur auf besonderen Antrag erlaubt. 1848 wurde zum ersten Mal das Ausstatten der Gräber mit Namen, Grabschmuck und Blumen in der Friedhofsverordnung für den Begräbnisplatz Hohe Promenade ausdrücklich gestattet – allerdings entschärfte auch dieses Areal das Bestattungsproblem nur für wenige Jahre, denn es ist bereits in den 1870er Jahren restlos überbelegt.190 Nachdem 1874 in der Bundesverfassung das Zivilstandswesen von der Kirche losgelöst und auf die politischen Behörden übertragen wurde, machte die Zürcher Stadtbehörde von ihrer neu

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zugeteilten Zuständigkeit Gebrauch und drängte in Bezug auf das Bestattungswesen zu schnellem Handeln.191 Unter dem Stadtbaumeister Arnold Geiser (1844 – 1909) wurde eine Kommission zusammengestellt, um ein geeignetes Gelände weit vor der Stadt zu finden, die Größe der Anlage durch Hochrechnung der Sterbeziffer zu ermitteln und ein Konzept für einen städtischen überkonfessionellen Zentralfriedhof zu entwickeln. Angesichts der errechneten Größe wurde eine konsequente Gestaltung des Grundrisses und der Sichtachsen forciert, damit nicht der Eindruck eines Leichenfeldes entstünde. Geiser konzipierte für ein weitläufiges Areal im Sihlfeld einen quadratischen Grundriss mit streng geometrischen Grabfeldern mit der Idee, durch eine sachliche symmetrische Anordnung den überkonfessionellen Anspruch zu betonen und sich von kirchlich-sakralen Raumtraditionen abzuwenden (Abb. 61).192 1877 stimmten die Zürcher sowohl über die Anlage des Friedhofs als auch über eine neue Friedhofs- und Bestattungsordnung positiv ab, so dass der „Centralfriedhof der Stadt Zürich“ noch im selben Jahr eingeweiht werden konnte.193 In den Verordnungen waren Einzelgräber als Wechselgräber und Familiengräber als Dauergräber vorgesehen, für die unterschiedliche Grabfelder auf dem Friedhofsgelände bestimmt waren. Wie bei den anderen vorgestellten Friedhöfen entsteht auch hier der Eindruck, dass die Familiengräber, die auf lange Dauer angelegt wurden, dort liegen sollten, wo sie auch gesehen wurden: entlang der Hauptwege an der Friedhofsmauer, an der Hauptallee, die mittig durch den Friedhof verläuft, und in den Quadratfeldern um das große Wegkreuz in der

Abb. 61: Lageplan des Friedhofs Sihlfeld, historischer Teil Abschnitt A (1877), Zürich

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Mitte der Anlage. Vor allem die Hauptallee stellte eine markante Sichtachse dar. Sie führte vom monumentalen Hauptportal, das von einem Leichenhaus und einem Gärtnerhaus flankiert wurde, über 200 Meter von Thujen gesäumt wie eine gerade Schneise auf das Krematorium zu. Alle Gebäude wurden zweckorientiert und in einem antikisiert-profanen Stil konzipiert – die gesamte Anlage sollte eine „Konfessionenneutralität“ ausstrahlen.194 Eine Inventarisierung zum frühesten Grabschmuck hat bisher ergeben, dass in den ersten Friedhofsjahren schlichte Gedenksteine, kleine Kissensteine und Stelen mit Dreiecksgiebeln verbreitet waren. 195 Ab den 1880ern Jahren setzte eine Veränderung in der Grabmalkultur ein. Die Dauergräber wurden mit kleinen Architekturen, Stelen, Obelisken, Amphoren oder Ruinengräbern insgesamt monumentaler und kostspieliger ausgestattet. 1894 wurden Reliefs, Figuren und Steine schließlich auf eine Normhöhe von 1,80 m begrenzt, die nur auf Antrag und gegen Sondergebühren überschritten werden durfte. Im Zuge des Historismus und Klassizismus wurden die Stilauswahl und die Motive nicht nur vielschichtiger, sondern infolge zunehmender serieller Produktion und der günstigeren Einfuhr von Marmor aus Italien und ­Schweden die Verarbeitungen und Materialien auch vielfältiger. Christliche Symbole wie das Kreuz oder Engel blieben aber selten und wurden durch dekoratives Beiwerk wie z. B. üppige Blumengirlanden profan »entschärft«. Zudem wurden die Dauer- und Wechselgräber häufig mit Wachsblumen, Perlen, Pulverbronzeverzierungen, Photographien oder Emaille-Plaketten geschmückt, die über die Jahre allerdings nicht mehr erhalten sind und nach der Friedhofsreform nicht mehr erlaubt waren.196 Die große Wende im Grabmalstil kam in der Schweiz wie in anderen europäischen Ländern auch nach dem Ersten Weltkrieg. Der zunehmende Wunsch nach regionalen Materialien, nach einem unverfälschten Heimatstil und solidem Handwerk rückte den mit unterschiedlichen Stilen, polierten Oberflächen und Dekorelementen überfrachteten Grabschmuck in ein kritisches Licht. Der Stadtbaumeister Friedrich Wilhelm Fissler setzte 1917 neue Richtlinien für das Bestattungswesen durch, so dass sich das Erscheinungsbild des Friedhofs Sihlfeld abrupt veränderte. Reglements zu Größe des Grabmals, Art des Gesteins und Umfang der Grabstätte ebneten neue Wege in der Grabmalkultur.197 Weibliche Grabplastik und Grabmalkultur Bis zum Ersten Weltkrieg haben mehrere Künstler das Erscheinungsbild des Friedhofs Sihlfeld geprägt. Herausragend waren die Jugendstilgräber von Franz Wanger (1880 – 1945), die Grabplastiken von Richard Kissling (1848 – 1919), einem der bedeutendsten Schweizer Bildhauer, und der Grabschmuck von Louis Wethli

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(1842 – 1914), der einen speziellen Wiedererkennungswert hatte.198 Wethli entwickelte nicht etwa einen exquisiten außergewöhnlichen Stil, sondern wählte Formen und Motive, die dem Geschmack der Masse entsprachen – mit drei Geschäften, 40 Mitarbeitern und Aufträgen aus Übersee führte er das größte Grabmalgewerbe der Schweiz. Sein Wiedererkennungswert in Zürich lag vor allem in Masse und Menge der Ausführungen an Grabschmuck. Man kann sagen, dass er in wenigen Jahren nicht nur einen Familienbetrieb, sondern eine Art Grabmalimperium etabliert hatte, dessen Erfolg und Reichweite mit seinem Tod 1914 und mit den Reformbemühungen in den 1910er Jahren wieder versiegte. Louis Wethli wurde 1842 als Sohn des Steinmetzmeisters Heinrich Wethli in Zürich geboren, machte bei seinem Vater eine Ausbildung als Bildhauer und absolvierte anschließend Kurse in Modellieren und Architektur an der Technischen Hochschule Zürich.199 Bereits 1868 gründete er ein eigenes Marmorfachgeschäft im Zeltweg, erweiterte seinen Betrieb in den 1870er Jahren um eine Filiale gegenüber dem Zentralfriedhof in Aussersihl und eine Filiale in Bern, nachdem die Nachfrage nach Grabschmuck auch landesweit gestiegen war. Wethlis Söhne, Louis jun. (1867 – 1940) und Moritz (o. J.), wurden ebenfalls im Familienbetrieb ausgebildet. Nach Auslandsreisen und Studienaufenthalten in Rom und Mailand arbeiteten sie für den Vater in Zürich, als in den 1890er das Grabmalgeschäft florierte. Um die Jahrhundertwende baute Moritz Wethli ein eigenes Marmorgeschäft in Scherzlingen bei Thun auf und Louis Wethli jun. verlegte seinen Wohnsitz nach Rorschach am Bodensee, von wo er Grabmäler und andere Denkmäler als exklusive Auftragsarbeiten fertigte.200 Wahrscheinlich war Louis Wethli sen. ein noch besserer Geschäftsmann als Bildhauer: In den ersten Jahren fertigte er vor allem Grabsteine, bot dann aber auch Altäre, Taufsteine und Denkmäler an, wodurch er vermutlich Kontakte zu anderen Gemeinden und deren Absatzmärkten knüpfen konnte. Ab den 1890er Jahren beschäftigte Wethli neben seinen Söhnen bis zu 40 Angestellte, die größtenteils aus Italien stammten, und kombinierte in seinen Werkstätten – wie viele andere kunstgewerbliche Bildhauer auch – Auftragsarbeiten mit serieller Fertigung. Unter diesen Voraussetzungen etablierte er einen Grabmalstil aus naturalistischem Pathos, der von den Friedhöfen in Mailand, Genua oder Turin inspiriert war, und zwinglianischer Zurückhaltung.201 Das Motiv der ›Trauernden‹ wurde entsprechend dem Geschmack und Selbstverständnis des Schweizer Bürgertums angepasst: die Wethlis stellten weibliche Figuren häufig in der Form des Halbreliefs dar, so dass die räumliche Wirkung weniger monumental und aufdringlich erschien als bei den norditalienischen Vorbildern. In einem Büchlein stellte Wethli sen. für Interessierte das Marmorlager und das Atelier, Werkräume und Produktionsverfahren

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mit vielen Photographien vor und pries auf ebenso vielen Seiten die „Ausführung meiner vielseitigen Arbeiten für das In- und Ausland“ wie z. B. Obelisken, Säulen, Kreuze, Büsten, Engel, Grabfiguren und Grabeinfassungen aus unterschiedlichen Materialien an (Abb. 62, Abb. 63).202 Zudem waren in dem Werkbuch Preise vermerkt: sie schwankten zwischen 20 Franken für einfache Grabsteine, 100 Franken für polierte Syenit- und Granitsteine, 50 Franken für Grabeinfassungen in Marmor oder Granit. Die veranschlagten Preise konnten je nach Material und Größe variieren, Preise für Monumentalplastiken oder Auftragsarbeiten wurden nicht aufgeführt. Es kann sein, dass Wethli den Grabschmuck auch über solche Bücher wie über einen Katalog vertrieben hat, weil Figuren in der ganzen Schweiz, nach Deutschland, Frankreich, England, Russland und Übersee verkauft wurden. Er war sowohl mit einem Geschäft in der Stadt als auch am Zentralfriedhof vertreten, stattete die Rundbogen-Arkaden seiner Atelier-Villa mit verhältnismäßig aufwändigen Fassadenplastiken aus203 und ließ den Unterbau von Grabmonumenten an der Vorderseite gut sichtbar mit seinem Namen gravieren – der Steinmetzbetrieb Wethli machte Werbung für sich, indem er sich in der Inszenierung öffentlicher Räume präsent machte (Abb. 64).

Abb. 62: Atelieransicht, histori­ sche Photographie aus Wethlis Werkskatalog „Grabes-Blüthen“ (o. J.) Abb. 63: Magazinansicht, histo­ rische Photographie aus Wethlis Werkskatalog „Grabes-Blüthen“ (o. J.) Abb. 64: Signatur ‚Louis Wethli‘, Grabmal Amberger (um 1900), Louis Wethli sen., Friedhof Sihlfeld, Zürich

Dieser Eindruck entsteht auch auf dem Friedhof Sihlfeld. Am Ende der Hauptachse, direkt links neben dem ehemaligen Krematorium, das den Fixpunkt auf dem historischen Friedhofsareal darstellte, steht ein besonders aufwändiges und eindrucksvolles Grabmal der Familie Amberger: Ein weiblicher Engel aus weißem Marmor lehnt mit ausgebreiteten Flügeln an einem steinernen Kreuz und blickt nach unten (Abb. 65, Abb. 66). Das Grab wirkt nicht nur imposant, weil es auf einem künstlichen Steinhügel zusätzlich erhöht wurde und die breit aufgefächerten Flügel weit in den Raum ragen. Es sticht neben den umliegenden, ebenfalls repräsentativen Grabmälern auf Grund des plastischen, detailreichen und naturalistischen Aufwands hervor: „die Brust scheint sich atmend zu heben und zu senken“204 unter dem dünnen Stoff, der in Marmor gehauen ist. Es ist das aufwändigste Engelgrab, das in Zürich bis heute erhalten ist, und – verglichen mit Engelfiguren in Wethlis Werkbuch – muss es wohl auch um die Jahrhundertwende als eines der exklusivsten Grabmäler gegolten haben. Louis Wethli sen. schuf die

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Grabfigur Ende des 19. Jahrhunderts für die Familie, in die seine Tochter Julia geheiratet hatte.205 Die Familie Amberger taucht in Friedhofsführern nicht in den Listen der ­„Berühmten ­Bestatteten“ auf. Mit der Lage neben dem Krematorium rangiert das Grab gewissermaßen unter den »ersten Häusern am Platz«. Durch diesen besonderen Standort und die exklusive Ausführung wirkt es auch ein wenig wie Werbung für den väterlichen Steinmetzbetrieb – am Ende der Hauptachse kommen zwar nicht alle Friedhofsbesucher vorbei, aber das Grab war so geschickt aufgestellt, dass es von den meisten Punkten des Friedhofs aus sichtbar war. Abb. 65: Grabstätte Amberger (um 1900), Louis Wethli sen., Friedhof Sihlfeld, Zürich Abb. 66: Grabmal Amberger (um 1900), Louis Wethli sen., Friedhof Sihlfeld, Zürich

Die Engelfigur strahlte in weißem Marmor zwischen den umliegenden Grabfeldern hervor. Louis Wethli sen. arbeitete häufig mit Carrara- und Pietrasanta-Marmor, die beide als besonders kostspielig, repräsentativ und haltbar galten. Allerdings war die makellose Oberfläche der Figuren nicht von langer Dauer, wie folgendes Schreiben von Louis Wethli jun. zeigt: „Zürich, 30. November 1925 An den Herrn Friedhofsvorsteher der Stadt ZUERICH. Höflich bezugnehmend auf ihre telephonische Anfrage betr. Reinigung des Familiengrabes Amberger-Schinz (Marmor-Engel) könnte ich die Arbeit zu – Fr. 120,- – übernehmen. Es handelt sich also vorerst nur um den Marmorengel und müsste man diese Reinigung gründlich machen, damit man einige Jahre nicht mehr daran zu putzen hätte. Sollte dieser Betrag für Ihr Budget zu hoch sein, dann müsste man eine oberflächlichere Reinigung machen, um mit einem kleineren Betrag auskommen zu können. Indem ich Ihrer gefl. Rückäusserung entgegen sehe, zeichne indessen mit vorzüglicher Hochachtung Louis Wethli [sic!]“206

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Die Inszenierung der Marmorplastiken erweckt den Eindruck, als sollten sie – wie das Andenken an die Verstorbenen auch – für die Ewigkeit bestimmt sein. Das Schreiben von Wethli macht jedoch deutlich, dass die Wirkung und die Materialität des Marmors diesem Anspruch nach 25 Jahren schon nicht mehr gerecht werden konnten. So liegt die Vermutung nahe, dass die Grabmäler der Jahrhundertwende in ihrer Gesamterscheinung wesentlich homogener und wertiger wirkten als heute, weil sie innerhalb weniger Jahre aufgestellt wurden und alle noch verhältnismäßig »neu« aussahen. Louis Wethli sen. prägte die Zürcher Grabmalkultur um 1900 vor allem durch die Masse an seriellen kostengünstigen Grabsteinen und exklusiven Monumentalarbeiten. Derartiger Grabschmuck wurde nicht nur in Sihlfeld eingerichtet, sondern war auch auf den kleineren Friedhöfen rund um den Zürichsee wie z. B. am Friedhof Fluntern (1887), Rehalp (1874) oder Enzenbühl (1902) gefragt. Doch es gab in Zürich auch kritische Stimmen gegen den poliert-monumentalen Prunk auf den Familiengrüften und die posthume „Absonderung einiger reicher Bewohner der Stadt“207 von ihren Mitbürgern. Die Reformbewegungen zu Beginn des 20.  Jahrhunderts läuteten eine neue Ära in der Grabmalkultur ein und waren eine direkte Reaktion auf die kunstgewerbliche Produktion von Massenobjekten, auf die Selbstdarstellungen emporstrebender Kreise, auf Oberfläche und Beschönigungen. Die Omnipräsenz und die Produktpalette der Wethlis müssen im Fokus dieser Kritik gestanden haben – die Größe des Familienunternehmens zeigt jedoch, dass es für das breite Angebot auch eine entsprechend große Nachfrage gab und die Produktion von Grabschmuck nach ganz gewöhnlichen Marktmechanismen funktionierte.

2.7 Cimitero di Staglieno, Genua Friedhofsführer und Reiseberichte über den Cimitero di ­Staglieno in Genua neigen zu Formulierungen mit Superlativen.208 Grund dafür sind die zahlreichen aufwändigen und kostspieligen Grabplastiken, von denen sich Habitus und Selbstbewusstsein der ­genuesischen Oberschicht ablesen lassen, die von einer langen Handels- und Seemachttradition geprägt waren. Nachdem der Friedhof Staglieno 1851 als städtischer Hauptfriedhof für Genua eröffnet wurde, fanden hier viele norditalienische Künstler ein Betätigungsfeld und inszenierten die bürgerlichen Grabmäler dicht aneinandergereiht in imposanten Arkadengängen. Innerhalb weniger Jahrzehnte galt der Friedhof in Genua als einer der herausragendsten Begräbnisplätze in Europa. Gut ein Dutzend Friedhofsführer – reich bebildert und mehrsprachig ver-

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öffentlicht – erschienen bis zur Jahrhundertwende und wandten sich an ein weit gereistes, gebildetes und wohlhabendes Friedhofs­ publikum, das sich einen Eindruck von Genuas Prestigeobjekt verschaffen wollte. Sie waren die Reaktion auf eine gewisse Art des Friedhofstourismus, durch den der Friedhof in Staglieno mit seiner monumentalen Grabmalkultur Erwähnung in diversen Reiseberichten und Reiseführern gefunden hatte – es wurde gezielt auf den Friedhof als Reiseziel hingewiesen oder der tiefe Eindruck beschrieben, den er bei den Italienreisenden hinterlassen hatte. So z. B. von Mark Twain in seinem ersten Bestseller „Die Arglosen im Ausland“ von 1869/75: „Das Ziel unserer letzten Besichtigung war der Friedhof (eine Begräbnisstätte, die zur Beisetzung von sechzigtausend Leichen angelegt ist), und wir werden uns an ihn noch erinnern, wenn wir die Paläste schon längst vergessen haben werden.“209

Bestattungskultur und bürgerliches Selbstbewusstsein in Genua Bis zur Einrichtung des Cimitero di Staglieno wurden die Toten Genuas auf den Kirchhöfen oder in den Kirchen innerhalb der Stadt beigesetzt. Um 1800 resultierten aus dieser Bestattungskultur immense hygienische Missstände. Als die Stadt 1805 an das Napoleonische Reich angeschlossen wurde, sollten im Zuge des Edikts zur Verlegung der Begräbnisplätze die Missstände auf den Kirchhöfen beseitigt werden.210 Die ersten Schritte zu einer Lösung für einen zentralen, kommunalen Begräbnisplatz waren zögerlich und fanden lediglich in aufgeklärten elitären Kreisen der Oberschicht Anklang. Ansonsten wurden diese Pläne kaum mit Begeisterung geteilt, weil die breite Bevölkerung den Großfriedhöfen an der Peripherie, wie z. B. dem Père Lachaise in Paris (1804), Certosa in Bologna (1815) oder Vantiniano in Brescia (1815) eher mit Argwohn begegnete.211 In den kommenden Jahren wurde das Platzproblem auf den Kirchhöfen immer prekärer, bis es 1831 zu einer plötzlichen Wende kam. In diesem Jahr hatte König Karl ­A lbert von Savoyen kurz nach Amtsantritt den Rahmen seiner Reformbestrebungen in der „Regie Patenti“ abgesteckt und darin unter anderem die Beisetzung in Kirchgebäuden verboten sowie die Einrichtung städtischer Begräbnisplätze unter langfristig hygienischen Bedingungen gefordert.212 Infolgedessen wurde 1835 der Stadtbaumeister Carlo Barabino ernannt, das Konzept für einen interkonfessionellen Friedhof zu entwickeln. Die Auflagen für dieses Bauprojekt sahen vor, dass der neue Begräbnisplatz nicht nur städtisch-kommunal und zentral verwaltet werden sollte, sondern auch ausreichend Kapazität unter hygienisch modernen Standards bieten musste. Die Wahl fiel dabei auf Barabino, weil in der Gestaltung der Anlage eine

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„construzione monumentale“213 forciert wurde, eine imposante Form, die in nichts hinter den repräsentativen Villen und Palazzi, den Pracht- und Residenzbauten der Stadt zurückstehen sollte. Als Stadtbaumeister hatte sich Barabino nicht mittels Versorgungsbauten für Genua verdient gemacht wie z. B. Hans Grässel in München oder Arnold Geiser in Zürich, sondern Barabino hatte unter anderem das Opernhaus Teatro Carlo Felice oder den Akademieplatz Palazzo dell’Accademia Ligustica di Belle Arti gestaltet und mit seinem monumental-neoklassizistischen Stil das Stadtbild des frühen 19. Jahrhunderts geprägt. Dieser Glanz sollte nun auch auf den neuen Friedhof abstrahlen. Weshalb gab es hier ein so ausgeprägtes Interesse, den neuen Begräbnisplatz als architektonisches Prestigeobjekt zu projektieren? Dieser Wunsch, vielmehr diese Haltung, lässt sich aus der politischen und wirtschaftlichen Geschichte der republikanischen Hafenstadt erklären und macht einen Blick auf die Sozialgeschichte und Gesellschaftsstruktur Genuas notwendig. Die Bevölkerung war über mehrere Jahrhunderte geprägt von politischen Anschlüssen, territorialen Unterwerfungen und den daraus wechselnden ideologischen Diskursen. Im Mittelalter hatte die Hafenstadt Genua die führende Seemachtstellung im Mittelmeerraum und wurde deshalb in der Hochphase im 14. Jahrhundert auch „la Superba“ genannt, bis sie ihren Status in Auseinandersetzungen mit Venedig einbüßte. Im Laufe des 16. Jahrhunderts schwächten zudem Streitigkeiten zwischen der Stadtverwaltung und den großen Adelsfamilien die Republik. Gleichzeitig erlebte die Stadt bis ins 17. Jahrhundert ihre künstlerische Blütezeit. In diesem Zeitraum entstand unter anderem die Via Garibaldi als Pracht­ straße, in der sich opulente Villen und Palazzi aneinanderreihten und die neben dem wirtschaftlichen Vermächtnis auch das republikanische Selbstbewusstsein markieren sollte. In der Folgezeit fiel Genua unter spanische, österreichische und französische Herrschaft. Schließlich etablierte sich nach dem Wiener Kongress von 1814/15 und den Revolutionsereignissen 1848/49 ein neuer republikanischer Geist unter dem Zeichen der nationalen Einigungsbewegungen des Risorgimento – nicht zuletzt unter dem Einfluss des Genuesen Giuseppe Mazzini, der als radikaler Freiheitskämpfer über Genua hinaus eine wichtige Rolle für Italien spielte und dem auf dem Friedhof in Staglieno ein kolossales Grabdenkmal gewidmet wurde. Mit dem Königreich Italien schließlich begann für Genua ab den 1870er Jahren eine neue Blütezeit, die eng mit einem spezifisch bürgerlichen Selbstverständnis verknüpft war.214 Angesichts der kontinuierlichen wirtschaftlichen wie auch politischen Wechsel der Stadt sind drei Aspekte in der Geschichte Genuas für das republikanische Selbstbewusstsein des Bürgertums für das 19. Jahrhundert von Bedeutung: Erstens war die Hafenstadt seit dem 10. Jahrhundert eine bürgerliche Republik und entwickelte

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aus der Kontinuität der Auseinandersetzungen zwischen Adel und Republikanern den Stolz eines ständigen Wiederauferstehens und Verharrens. Zweitens wurde mit der Gründung der ­ligurischen Republik 1787 die Adelsherrschaft beseitigt, worauf sich der politische Status und die wirtschaftliche Stellung der bürgerlichen Kaufleute und Unternehmer festigten.215 Diese beiden Aspekte zeigen, dass sich eingesessene Familien über Generationen ihren sozialen Status erarbeitet, erduldet, erkämpft und ausgesessen haben – meines Erachtens basierte das spezifische Selbstverständnis der bürgerlichen Oberschicht Genuas aus dieser Mischung aus Selbstbestimmung, Fleiß, Dynamik und Beharrlichkeit. Die wechselnden Machtkonflikte haben das republikanische Bürgertum durchaus nicht geschwächt, sondern wirkten sich vielmehr identitätsstiftend aus und ebneten bis ins frühe 20.  Jahrhundert den Weg zu einem zunehmend bürgerlich-dynastischen Ethos. Eben dieses Ethos sollte der monumentale Friedhof in Staglieno verkörpern: Materiell repräsentierte er die wirtschaftliche Hochphase zur Mitte des 19. Jahrhunderts, ideell präsentierte er die Familien und Akteure, die zuletzt für die gründerzeitliche Entwicklung mit verantwortlich waren. Als dritter Aspekte kommt hinzu, dass im Zuge der beschleunigten Prosperität nach den ersten Jahrzehnten des 19.  Jahrhunderts Reedereien, Industrien, Schiffs- und Maschinenbau, Logistikunternehmen und Geldinstitute etabliert wurden, die nun auch für mittelständische Kreise wirtschaftlichen Wohlstand und politische Teilhabe bedeuteten: „Dieses Bürgertum bewirkte es schließlich – unter Ausnutzung aller Methoden und Mittel, über die der Kapitalismus verfügt – Genua wieder zu einem der bedeutendsten Mittelmeerhäfen werden zu lassen.“216

Diese aufstrebenden Kräfte signalisierten, dass sie nicht nur an politischen und wirtschaftlichen Bereichen teilhaben wollten, sondern auch den bürgerlich-republikanischen Habitus für sich beanspruchten. Mit dem neuen Friedhof unter städtischer Verwaltung sollte unter der Federführung Barabinos ein angemessen repräsentativer Schauplatz geschaffen werden, um der Familien und Akteure zu gedenken, die Genua zum Wiederaufblühen verholfen hatten. Barabino starb 1835 infolge einer Choleraepidemie, so dass die Aufgabe seinem Mitarbeiter Giovanni Battista Resasco (1798 – 1871) übertragen wurde. Im Jahr 1844 begannen die Bauarbeiten, 1851 wurde der Friedhof in Staglieno eröffnet und bis in die 1950er Jahre mehrmals erweitert.217 Barabinos monumental geplanter Grundriss blieb in der Friedhofsgestaltung deutlich zu erkennen: Das gesamte Areal wurde als weitläufige Campo-­SantoAnlage von einer hohen Mauer eingefasst, ein rechteckiges Feld bergaufwärts von einem doppelreihigen Arkadengang umklam-

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mert; darüber liegen terrassenförmige, stufenartige Grabreihen, die sich nach oben hin über das Gelände erstrecken.218 Dominiert wird die Grundstruktur von einer Sichtachse, die über eine zentrale, imposante Treppe auf die Friedhofskirche – eine Art ­Pantheon – mit einer vorgelagerten Heiligenfigur zuläuft (Abb. 67, Abb. 68, Abb. 69). Der repräsentative Charakter der Anlage entsteht hier nicht nur auf Grund der Architekturen, sondern vor allem infolge der geschickten räumlichen Inszenierung im hügeligen Gelände des Bisagno-Tals. Diese eindrucksvolle Kombination versuchte auch ein historischer Friedhofsführer zu vermitteln, der um 1900 auf Englisch, Französisch und Deutsch veröffentlicht wurde und ein weit gereistes Friedhofspublikum ansprechen sollte: „Il camposanto di Staglieno. Sorge a Nord-Est di Genova, nella vallata del Bisagno ed è giudicato giustamente la prima Necropoli d’Italia e forse del mondo per le opere d’arte assolutamente ammirabili che contiene, la superba ricchezza dei suoi monumenti sepolcrali, la sua ampiezza e la felice disposizione dei verdeggianti boschetti ed aiuole fiorite che danno l’illusione di trovarsi in un artistico giardino anzichè nella mesta città dei morti. […] Al centro della corsia maggiore, sorge la grandiosa cappella o pantheon, dall’ampio frontone marmoreo sorretto da colonne di marmo. Una gradinata parimenti di marmo, larga metri 22 conduce alla cappella suddetta. Di fronte alla principale porta di entrata, sorge la colossale statua della Fede, dello scultore Santo Varni.“ „Der Camposanto (Kirchhof) von Staglieno Er erhebt sich Nord-Oest von Genua im Thale des Bisagno und ist mit Recht als der bedeuntendste Italiens und vielleicht der Welt gehalten, für die wirklich kunstvollen Werke die er enthält, für seinen reichen monumentalen Schmuck, für seinen grossen Umfang, und glückliche Einrichtung von grünen Wäldchen und blümigen Beetchen die, die Täuschung geben sich in einem künstlichen Garten zu finden und nicht in der traurigen Stadt des Todes. […] Am Mittelpunkt des grössten Gange ragt die grossartige Kapelle oder Pantheon empor, dessen breiten Portal auf zwei Marmorsäulen ruht. Eine grossartige Marmortreppe, die 22m breit ist, führt an die genannte Kapelle. Gegen die Hauptpforte erhebt sich die imposante Statue des Glaubens von Santo Varni. [sic!] “219

Der bleibende Eindruck auf dem Gelände resultierte zudem aus der Wechselwirkung von Aussicht und Ansicht. Mit seiner Hanglage ist der Begräbnisplatz nicht nur von den benachbarten Hügeln, sondern auch von der tiefer gelegenen Stadt aus weit sichtbar – gleichzeitig lässt sich am Friedhof, „von dem man eine herrliche Aussicht genießt“220, von oben herab, erhöht und erhaben, auf die Stadt und das Meer blicken. Von diesem Aussichtspunkt

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Abb. 67: Historischer Grundriss der Campo-Santo-Anlage und des Erweiterungsfeldes für einfache Gräber (1907), Cimitero di Staglieno, Genua Abb. 68: Schematischer Quer­ schnitt durch den Arkadenbau (1907), Cimitero di Staglieno, Genua Abb. 69: Panorama Generale, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900)

aus erscheint das Friedhofsgelände, die »Stadt der Toten«, wie ein Spiegelbild der »Stadt der Lebenden«: In einer Bucht am Fuß des Apenningebirges entwickelte sich Genua zur Landseite hin eher abgeschlossen, aber geschützt, und der Meerseite hin zuge-

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wandt und offen. Auf die gleiche Weise erstreckt sich der Cimitero di Staglieno ca. 5 km nördlich vom historischen Stadtkern: Leicht erhöht an einem Bergausläufer entlang des Bisagno-Tals liegt der Begräbnisplatz, zur einen Seite im Schutz des Berges und zur anderen auf die Stadt, den Hafen und das Meer ausgerichtet. Dadurch entsteht der Eindruck, als würden die letzten Ruhestätten über Genua thronen. Sowohl die Topographie des Friedhofs als auch die Art der Inszenierung erinnern an Burgen, Schlösser oder exponierte Sakral­bauten und verraten etwas über das Verhältnis der Genueser Bevölkerung zu ihren Toten. Der Ort der Bestattung durfte hier von der Stadt aus sichtbar und markant sein und ließ damit das Andenken an die Verstorbenen besonders sichtbar und präsent bleiben. Die Toten wurden nicht einfach zweckrational vor die Vorstädte ausgelagert und dort verwahrt, sondern wie auf einem »Präsentierteller« ausgestellt. Indem vorwiegend mit weißem Marmor gearbeitet wurde, setzten sich sowohl die steinerne Anlage von der umliegenden Vegetation ab als auch die einzelnen Grabmonumente in den Licht- und Schattenkontrasten innerhalb der offenen Arkadenbögen.221 Historische Photographien veranschaulichen die dichte und gewaltige Materialität oberhalb des Stadtkerns und verdeutlichen, wie sehr dieser Friedhof gesehen werden sollte. Diese öffentliche Demonstration des Reichtums der Stadt und seiner Verstorbenen bot eine imposant-monumentale Kulisse für figürliche Grabplastiken. Weibliche Grabplastik und Grabmalkultur Der Friedhof Staglieno stellte für ortsansässige und internationale Künstler ein reizvolles wie lukratives Betätigungsfeld dar: Das Erstarken des Bürgertums im 19.  Jahrhundert brachte vermögende geltungsbedürftige Auftraggeber hervor, die Auslagerung des Friedhofs ermöglichte großzügige Grabgestaltungen auf dem weitläufigen Areal und die Verfügbarkeit von hochwertigem Marmor aus der Region evozierte einen vergleichsweise verschwenderischen und opulenten Umgang mit den Werkmaterialien. Im Zuge der Industrialisierung hatte die Dampfmaschine um die Jahrhundertmitte auch auf den Marmorsteinbrüchen in ­Carrara und Massa Einzug gehalten und in den folgenden Jahrzehnten nicht nur Abbau, Transport und Verarbeitung erleichtert, sondern den exklusiven Werkstoff auch für breitere Kreise erschwinglicher gemacht. Weißer Marmor demonstrierte zur Zeit des Historismus und Klassizismus Ideale wie Reinheit, Zeitlosigkeit und Beständigkeit und avancierte in der bürgerlichen Denkmalkultur Europas zu dem Werkstoff schlechthin.222 Norditalienischer Marmor war wesentlich heller als viele andere europäische Gesteinsarten – in der Masse und Gestaltungsvielfalt, wie er in

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den Arkadengängen in Staglieno zu finden war, beeindruckte und verblüffte er daher ausländische Künstler und Italienreisende: „Wenn man die Mitte des Ganges hinabschreitet, sieht man zu beiden Seiten Mahnmale, Grabmäler und Bildwerke, die vorzüglich gearbeitet und voller Anmut und Schönheit sind. Sie sind neu und schneeweiß; jeder Umriß ist vollkommen, jede Einzelheit der Darstellung ohne Verstümmelung, Fleck oder Makel; und deshalb erscheinen uns diese breiten Reihen bezaubernder Gestalten hundertmal lieblicher als die beschädigten und verschmutzten Plastiken, die man aus dem Untergang der Kunst des Altertums gerettet und in den Galerien von Paris der Welt zur Anbetung aufgestellt hat.“223

Der Friedhof Staglieno zählt in Europa zu den Friedhöfen mit dem höchsten Aufkommen an figürlichen Grabplastiken. Auf Grund der starken Nachfrage nach monumentalen Grabmälern war der Friedhof für Bildhauer wirtschaftlich und künstlerisch interessant. Anhand der historischen Grabplastiken lassen sich von den Anfangsjahren des Friedhofs bis zum Ersten Weltkrieg drei stilistische Phasen erkennen, die mit einigen Jahren Verzögerung von ausländischen Künstlern kopiert und auf anderen europäischen Friedhöfen verbreitet wurden. Ab den 1850er Jahren entstanden die ersten Figuren im Stil der ligurischen Skulptur mit klassizistischen, aber auch romantischen puristisch-naturalistischen Zügen. Das Bildrepertoire dieser Zeit wurde dominiert von stereotypen Darstellungen in szenischen Sujets wie z. B. die trauernden Verwandten am Totenbett, die sinnende Mutter und Witwe in Abschiedsszenen, die sinnliche, aber schmerzentrückte Jungfrau – Figuren mit zeitgenössischer Kleidung und Frisuren trugen meist individuelle, portraithafte Züge, wirkten aber in den schablonenhaften Szenen umso stereotyper. Ab den 1870ern wird die Hinwendung zum Klassizismus und Historismus im Zeichen der Zeit als Ausdruck von Modernität deutlich. Die Motive wechseln nun von der profan-christlichen Ikonographie eher in die antik-mythologische. In dieser Ära machte das internationale Interesse an naturalistischen und historisierenden Neuschöpfungen Staglieno über Ligurien hinaus bekannt und ließ den Genueser Stil zu einer Art Qualitätsmerkmal moderner Grabgestaltung avancieren – Reisende holten sich Anregungen, ausländische Künstler unternahmen Studienexkursionen, ortsansässige Bildhauer warben mit Verkleinerungen und Kopien ihrer Werke. Der Grabschmuck aus Staglieno wurde als authentisch italienisches Exportmittel in ganz Europa und Amerika vermarktet und nachgeahmt.224 Bis zur Jahrhundertwende kamen zudem symbolistische Sinnbilder auf, die mehrdeutiger, undefinierter, „permeated with the doubts and uncertainties of a declining century“225 die konkreteren

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Motive der Vorjahre ablösten. Aus dieser Phase stammt der sogenannte „Engel von Monteverde“, der zu den bekanntesten Grabfiguren der Jahrhundertwende überhaupt zählt (Abb. 70, Abb. 71). 1882 schuf der norditalienische Künstler Giulio M ­ onteverde (1837 – 1917) die Plastik für das repräsentative Grab des Bankpräsidenten und Kaufmanns Francesco Oneto und etablierte mit ihr eine der Hauptsehenswürdigkeiten des Friedhofs. In einem der historischen Friedhofsführer heißt es über das Kunstwerk in der ambitionierten deutschen Übersetzung: „Questo insigne capolavoro dovuto all’impareggiabile scalpello di Giulio Monteverde rappresenta un angelo appoggiato a guardia di un’urna funebre, con le mani conserte al seno turgido e mal frenato dalla sinistra che preme aperta su di esso, mentre la destra regge, lungo il fianco, la tromba che sveglierà il dormente nel giorno dell’Universale Giuduzio. Ammirabile la modellatura delle braccia, del collo e della testa, nonchè quella soave espressione di dolore e mestizia che traspare da quel volto veramente ideale.“

Abb. 70: Grabstätte Francesco Oneto, Giulio Monteverde, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900) Abb. 71: „Engel von Mon­ teverde“, Deckblatt eines historischen Friedhofsführers (um 1900)

„Dieses ausgeseichnete Meisterwerk, welche wir dem unübertufflichen Meissel von Julius Monteverde verdanken, stellt eine Engelgestalt dar, welche auf eine Graburne stützend, auf dieselbe wacht, mit den auf dem üppigen Busen aufgekreuzten Händen. Mit der ausgebreiteten linken Hand drückt sie auf diesen; die Rechte hält, an der Seite entlung die trompete welche am tage des Weltgerichts den Eingeschlafenen erwecken wird. Bewunderungswürdig ist die Gestaltung der Arme, des Halses und des Kopfs, sowie jener holde Ausdruck voll Leid und Betrübnis welcher aus jenem wirklich idealem Gesicht durchscheint. [sic!]“226

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Monteverdes Engel wurde nicht allein die sinnbildliche Trauer zugeschrieben, sondern ein Ausdruck, der zwischen Todesbestimmung, Schicksalsergebenheit und verheißungsvoller Körperlichkeit oszillierte. Im Symbolismus wurde die Verbindung von Eros und Thanatos künstlerisch wiederbelebt und eine derart spannungsreiche Symbiose von naturalistischer Darstellung, symbolistischer Aufladung und inhaltlicher Uneindeutigkeit schien dem Friedhofspublikum zu gefallen. Nur wenige Motive der Jahrhundertwende wurden so häufig vom Künstler selbst reproduziert, von ortsansässigen Steinmetzen in unterschiedlichen Größen vervielfältigt, von ausländischen Bildhauern kopiert, abgewandelt, imitiert, in Europa, Nord- und Südamerika verbreitet und bis heute so gut erhalten und geschützt wie der Engel von Monteverde.227 Monteverdes Grabgestaltung für das Bankiersgrab Oneto ist charakteristisch für die Grabmalkultur in Genua zu dieser Zeit. Die Fülle an verschwommen-mehrdeutigen Sinnbildern, die bis in die 1880er Jahre vor allem in den Arkaden aufgestellt wurden, ist überwältigend, weil in ihnen so viele Interpretationsebenen und Bildtraditionen angelegt wurden. In der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts scheint der Denkmalgedanke in der Genueser Funeralplastik eine besondere Brisanz besessen zu haben, die wiederum aus der Bürgerkultur und Gesellschaftsstruktur abzuleiten ist: Gegen Ende des 19.  Jahrhunderts waren nicht nur statusbewusste vermögende Familien in das Bürgertum aufgestiegen, sondern sie hatten sich hier bereits in der zweiten und dritten Generation bewiesen – ihre Grabmäler zeigen daher sowohl das Bedürfnis, dem Lebenswerk und der Familie ein öffentliches Monument zu setzen als auch den Wunsch, sich mit neuen Formen und Motiven in einer eigenen Bildsprache gegenüber den eingesessenen Oberschichtsfamilien zu verewigen. Waren zuvor die großen repräsentativen Grabmäler beispielsweise von Päpsten in Rom, von den Medici in Florenz oder vom Genueser Adel auf den innerstädtischen Kirchhöfen und Gruften inszeniert worden, wandten sich die bourgeoisen Mittel- und Oberschichten vom katholisch-traditionellen Bildrepertoire ab und wünschten von renommierten Bildhauern einen adäquat individualistischen Stil. Der ausgelagerte Friedhof bot ein weites Feld, um sich nachbarschaftlich-konkurrenzorientiert mit den Mitbürgern zu messen. Die kapitalistische Oberschicht wählte vor allem das Mausoleum in Hanglage oberhalb der Arkaden – das Bildungsbürgertum und die bürgerlich etablierte Mittelschicht bevorzugte das Wandgrab in der Galeria, den Arkaden, die wiederum in zwei Preiskategorien wie in zwei Statusgruppen unterteilt waren (Abb. 72).228 Um 1900 allerdings gerieten die vielschichtigen, teils historisierenden Darstellungen des vorherigen Jahrhunderts in die Kritik – Sofia Diéguez Patao diagnostiziert in ihrer Untersuchung

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über die Künstler von Staglieno eine schwindende Unbeschwertheit im künstlerischen Stil und in den Sujets als Folge einer allgemein zunehmenden Verunsicherung der Oberschichten in den Jahren kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Eine neue Künstlergeneration lehnte den monumentalen Stil des novocento offensiv ab und führte vergleichsweise ernste, rationale und zukunftspessimistische Bildthemen in die Grabmalkultur ein.229 Spielten die Sinnbilder vor der Jahrhundertwende noch auf Themen wie Trost, Auferstehung oder Erlösung an, demonstrierten die plastischen Darstellungen nun theatralischere Abbilder des Verlustes und drastische Szenarien von Schicksalsschlägen (Abb. 73). Diese Mischung aus geschönter Theatralik und schonungsloser Dramatik veranschaulicht beispielhaft die naturalistische Abschiedsszene eines jungen Paares von Luigi (Gigi) Orengo (1865 – 1940): „Gigi Orengo ha concepito e scolpito il Monumento a Maria Francesca Dalmas, una giovinetta rimasta vittima di un automobile. Rappresenta l’ultimo bacio. Il destino inesorabile che tutto schianta, ci colpisce spesso anche nei momeuti più belli della vita. Sul basamento la giovane defunta, col capo inclinato e inerte, riceve un bacio sui biondi capelli dal fidanzato che la regge in grembo. È opera d’arte assai lodata e di effetto drammatico.“

Abb. 72: Grabstätte Dalmas, Luigi Orengo, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900) Abb. 73: „Galeria“, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900)

„Gigi Orengo hat das Denkmal für Maria Francesca Dalmas ausgedacht und ausgehauen, die das Opfer eines Automobil-Unfalls geworden war. Es stellt den letzten Kuss dar. Das unerbittliche Schicksal, das alles zerschmettert, trifft und oft auch in den schönsten Augenblicken des Lebens. Auf dem Sockel ist das Mädchen dargestellt, wie es, mit geneigtem leblosen Haupt, auf die blonden Haare den Kuss seines Verlobten empfängt, der seinen Kopf im schoss hält. Das Werk, von dramatischem Effekt, wird sehr gelobt. [sic!] “230

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Das Grabmal für Maria Francesca Dalmas (1883 – 1908) zeigt keine ›Trauernde‹, sondern einen Trauernden – einen Mann, der durch seine Gestik und Körperhaltung die Trauer um seine verunglückte Geliebte zum Ausdruck bringt. Im Vergleich zu sublimen Sinnbildern der Trauer wird hier der Moment des Abschieds und des Verlustes szenisch, fast plakativ dargestellt. In der Umsetzung des athletischen, gesunden, männlichen Körpers über dem schmalen, in sich gefallenen, schutzlosen Körper der verunfallten Frau wurde gewissermaßen ein ungeschriebenes Gesetz der bürgerlichen Friedhofsästhetik gebrochen: die Darstellung des versehrten Körpers. In genau diesem Moment ist das Motiv trotz aller szenischen Plakativität zusätzlich mit einer allegorischen Ebene verwoben – mit dem Memento mori. Allerdings vermittelte das Memento mori von Orengo nicht das Thema der Sterblichkeit über das Sinnbild einer jugendlichen schönen Frau, sondern es demon­ striert: Die Frau ist tot. Die Abschiedszene erscheint dadurch wie eine Anklage. In den Arkaden sind noch mehrere vergleichbar drastische Motive erhalten wie z. B. Aufbahrungsszenen, Darstellungen von augenscheinlich gerade verstorbenen Personen, Motive über die Erlösung aus dem kranken, alternden, versehrten Leib. Meist wurden diese Szenen in Paar- oder Gruppendarstellungen umgesetzt, die intim-vertraute Gesten von Familienmitgliedern oder Geliebten zeigen. Im europäischen Vergleich hatte die Familie als Institution speziell in Italien einen besonders hohen Stellenwert. In der Grabmalkultur zeigt sich spiegelbildlich zur Lebensrealität, dass es eine ausgeprägte Tradition gab, Familienverbindungen mit großer Intensität zu pflegen und den Familienzusammenhalt sowohl nach innen als auch nach außen über Blutsverwandtschaft und das „Konzept von Ehre und Schande“ zu verteidigen.231 In Langenscheidts Handbuch über Italien aus dem Jahr 1927 charakterisierte Gustavo Sacerdote die italienische Familie im Rückblick auf die Jahrhundertwende über die Sorge um den Familienzusammenhalt: „Das Schlimmste, was dem Italiener passieren kann, ist die Zerstörung der Familie. Ihre Kompaktheit und innere Solidarität aufrecht zu erhalten, gilt ihm als oberste Regel.“232

Den „natürlichen Kernpunkt der italienischen Familie“233 bildete dabei die Frau in ihrer Hauptaufgabe als Gattin und Mutter. So gesehen bedeutete in der Trauerkultur der Verlust einer jungen Frau auch immer den Verlust der potenziellen Mutter oder der schutzbedürftigen Tochter.234 Vor allem diese Art der szenischen Darstellungen auf dem Friedhof Staglieno demonstrieren, dass für das Bürgertum hier der Tod des Individuums immer auch eine biographische Katastrophe für die einzelnen Hinterbliebenen bedeutet hat. Dabei erfährt die monumentale Huldigung der

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Familie auf dem Begräbnisplatz nicht nur den Charakter des Bürgerlichen, sondern auch des Dynastischen. Die Mischung aus idealisierten Sinnbildern und realistischen Porträts untermauert den Wunsch, identifizierbar präsent zu bleiben. Unter den Darstellungen von Engeln, Musen, Pietas etc. sind auch konkrete Familienväter, Soldaten, Krankenschwestern oder Schwangere zu finden. Das Erkennungszeichen für identifizierbare Darstellungen sind vor allem zeitgenössische Bekleidung, schichtspezifische Frisuren oder Kopfbedeckungen sowie die Kombination mit Porträtplaketten. Im deutschsprachigen Raum waren derartige Inszenierungen äußerst selten und wurden von Kunstkritikern und Friedhofsbesuchern gerne, aber kontrovers beschrieben: „Die Bedenken, ganze Figuren im Kostüm plastisch darzustellen, sind durch die Mehrzahl der hier abgebildeten Denkmäler glänzend widerlegt. Eine ganze Reihe derselben stellen Männer und Frauen, zum Teil mit Kindern dar, Abschied von den teuren Abgeschiedenen nehmend, die meist schlafend dargestellt sind, trauernd an der Grabesthür knieend, oft sogar in Verbindung mit Engeln oder allegorischen Figuren. Unser Mitgefühl wird gerade durch die Unmittelbarkeit, mit der der Abschied uns vor Augen tritt, im höchsten Maße angeregt. [sic!]“235 „Einen ganz selbstständigen Weg schlägt die Grabskulptur in Italien ein, es wird viel über sie gespottet, aber im Wesen mit Unrecht. Man findet viel sklavische Kopien, übertriebene Allegorien des maßlosen Schmerzes; aber es überwiegen die Bilder der Toten, die genau so dargestellt werden, wie sie im Leben gewesen. Italienische Grabstätten machen einen eigenthümlichen Eindruck. [sic!]“236

Die internationale Begeisterung für naturalistische, szenische Darstellungen war allerdings über die Jahrhundertwende einer gewissen Ernüchterung gewichen und wurde vor allem in der deutschsprachigen Kunstrezeption zunehmend abgewertet: Das Zurschaustellen der Familie, das Kokettieren mit dem Schmerz und der Trauer sowie kalter Monumentenprunk, Stoff und Aufdringlichkeit galten als verwerflich.237 Waren im Deutschen Reich vorwiegend allegorische Darstellungen – gelegentlich in Kombination mit Porträtplaketten – verbreitet, schienen Genuas pompöse Darstellungen mit dem Antlitz konkreter Personen die Italienreisenden bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts verunsichert zu haben: „Genua hat hier in einem ungeheuren Amphitheater von Galerien und Nischen, Mauern und Statuen, Terrassen und Arenen seine Admirale und Matrosen, seine Kommandeure und Namenlosen, seine Frauen und Kinder beigesetzt. […] Man hat in der Sucht, große statt rührende Denkmale aufzustellen, Nachbildungen von Domen und Tempeln zu Mailand, Rom, Luxor und Mykene über

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den Gräbern errichtet und zwischen ihnen eine Armee fragwürdiger Statuen hochwachsen lassen – ja man hat sich nicht gescheut, die Toten in ihren Marmorbetten porträtiert aufzustellen, umgeben von ihren in Leid sich wälzenden Töchtern und Frauen – Greuel, die dem Anspruch der Anlage Abtrag tun.“238

Das persönliche Erstaunen und die individuelle Wahrnehmung des „Panoptikums der Verstorbenen und Hinterbliebenen“239 in ­Staglieno scheint über die Jahrzehnte hinweg beim Friedhofspublikum im Vordergrund gestanden zu haben und setzte sich ebenfalls in der kunsthistorischen Forschungsliteratur des 20. Jahrhunderts fort: „So weicht das Bedürfnis nach Erheiterung allmählich einem Gefühl der Bedrückung, ja des Entsetzens, und ein zur Gewohnheit gewordener Sinn für religiöse Bildformen wirft plötzlich die Frage auf, ob diese Darstellungen nicht reine Blasphemie seien, ob es nicht an Heiligtumsschändung grenze, wenn ein in fast durchsichtige Tücher gewickelter üppiger und betont weiblicher Engel sich wollüstig vor einem Kruzifixus räkelt.“240

Grabmotive, die derart vielschichtige Deutungsmöglichkeiten verkörpern, sind charakteristisch für die norditalienische Grabmalkultur wie z. B. auf den Hauptfriedhöfen in Mailand, Turin, ­Verona oder Florenz. Vergleichbar mit Staglieno wurden auch hier die weiblichen Plastiken seltener in Form sublimer Sinnbilder inszeniert als in protestantischen nordeuropäischen Regionen. Dennoch zeigen die Grabmäler sinnstiftende Bilder, die sich möglicherweise aus schillernden Bild- und Kulturwelten des nördlichen Italiens ableiten ließen: Bildtraditionen des Katholizismus, der Seefahrt oder der ligurischen Kunst, Verbindungen zur Bedeutung der Frau und der Stellung des Mannes innerhalb der Familie, die schwer zu erforschende Kultur um „la mamma“241 und des Cicisbeo242 etc. Auf dem Friedhof Staglieno macht die Fülle an individuellen künstlerisch aufwändigen Grabmälern jedoch mehrere Aspekte deutlich: Hier wird die stilistische Entwicklung der Grabplastik über einige Jahrzehnte besonders anschaulich widergespiegelt, die Gesamtanlage hatte eine gewisse Vorbildwirkung für die Grabmalkultur in Europa um 1900 und die Motivvielfalt der Grabfiguren zeigt, dass hier weniger auf feste Bildtraditionen abgezielt wurde, sondern auf individualisierte Neuschöpfungen und theatralische Wirkung.

2.8 Städtischer Waldfriedhof Traunstein Der Waldfriedhof Traunstein stellt im Vergleich zu den bereits vorgestellten großstädtischen Friedhöfen eine Art Gegenbeispiel dar. Es handelt sich hier um einen kleinstädtischen Begräbnisplatz in einer ländlichen Region mit nur wenigen ›Trauernden‹. Doch

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vor allem auf Grund der überschaubaren Größe der Anlage kristallisieren sich die weiblichen Grabplastiken umso deutlicher als bürgerliche Prestigeobjekte und soziale Distinktionsmittel heraus. 1908 wurde der Waldfriedhof Traunstein infolge des Bevölkerungswachstums in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts als kommunaler Begräbnisplatz 3 km vor der Stadt eingerichtet und zentralisiert verwaltet. Im ländlichen Traunstein schlugen sich also ähnliche Entwicklungsdynamiken auf das Bestattungswesen nieder wie in den Metropolen Europas auch – nur in einem kleineren Ausmaß. Die Gestaltung und die Inszenierung der ›Trauernden‹ folgen hier den gleichen Prinzipien wie auf großflächigen monumentalen Zentralfriedhöfen und verkörpern das bürgerliche Selbstverständnis und Selbstbewusstsein unter den örtlichen kleinstädtischen Bedingungen.243 Geschichte der Bestattung in Traunstein Die Stadt Traunstein hatte im 18. und 19. Jahrhundert über viele Jahrzehnte eine relativ konstante Bevölkerungszahl von 1.000 bis 1.500 Bewohnern, bis mit der Anbindung an das Eisenbahnnetz München-Salzburg 1860244 die Bevölkerungszahl bis 1900 auf ca. 7.500 anstieg. Der Reichtum der Stadt basierte im 19. Jahrhundert vor allem auf den Gewerben, die jene Jahrhunderte alten Handelsverbindungen mit Salz und Holz nach sich zogen, und ließ im Zuge der Verstädterungsprozesse das kleinstädtische Bürgertum erstarken.245 Die Begräbnisplätze der Stadt Traunstein waren in der Neuzeit an die Pfarrkirchen und ihre Gemeinden gebunden. Im Zuge des zunehmenden Bevölkerungswachstums und der dichteren Bebauung im späten 19. Jahrhundert forderte die Stadt 1868 erstmals von der Kirche, den innerstädtischen Friedhof, den Gottes­ acker um St. Georg und Katharina, zu verlegen und zu erweitern. Der Stadtpfarrer und Dekan lehnte das Ansuchen ab. Als jedoch bis zur Jahrhundertwende die erforderliche Breite der Wege und die Frist für die Neubelegung der Gräber nicht mehr eingehalten werden konnten, wandte sich der damalige Stadtpfarrer persönlich an die Kommunalverwaltung mit der Bitte um einen geeigneten größeren Begräbnisplatz. Schließlich wurde von der Stadt eine Fläche im 3 km entfernten südöstlichen Haidforst in der Nähe einer Haltestelle der Lokalbahn Traunstein-Trostberg zur Verfügung gestellt, um die Kosten für eine Verlegung und die notwendige Logistik zu minimieren.246 1903 wurde der Zimmerermeister Josef Seehuber mit der Ausfertigung von Friedhofsplänen beauftragt. Die Ergebnisse wurden jedoch vom Magistrat abgewiesen und erneut bei ­Seehuber unter Mitwirken des Traunsteiner Architekten S­ ebastian Polz in Auftrag gegeben. Als sich 1904 die „neuen“ Pläne auf Grund der

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unterschiedlichen Interessensgruppen und Machtverhältnisse im Magistrat erneut nicht durchsetzen ließen, wurde Hans Grässel – Stadtbaurat von München und erfahrener Friedhofsarchi-

Abb. 74: Ausschnitt des projek­ tierten Plans von Sebastian Polz für den Waldfriedhof Traunstein (1904) Abb. 75: Schematischer Lage­ plan, Waldfriedhof Traunstein (1935)

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tekt – als fachlicher Ratgeber von außen um Friedhofspläne gebeten. 1906 wurde auch Grässels Konzept eines Waldfriedhofs für die Stadt Traunstein vom Gemeindekollegium abgelehnt. Die Kosten von rund 70.000 Mark kämen teurer als die ursprünglichen Vorschläge, außerdem sollte der Auftrag in der Stadt verbleiben und ein einheimischer Architekt berücksichtigt werden. Inzwischen hatten nämlich die Kommunalwahlen im Dezember 1905 die machtpolitischen Karten neu gemischt. Polz war zum Gemeindebevollmächtigten und ­Seehuber nun selbst in den Magistrat aufgestiegen, so dass Polz die Pläne fertigen sollte und Seehuber die Bauleitung für die Anlage erhielt. Die Pläne des Waldfriedhofs Traunstein und ihre Umsetzung ließen bis auf kleine Abweichungen deutlich das Konzept von Hans G ­ rässel erkennen (Abb. 74). Die Kosten bis zur Fertigstellung beliefen sich auf ca. 170.000 Mark. Im Jahr 1908 wurde der Waldfriedhof in „herrlicher ländlicher Gegend“247 eröffnet. Der geometrisch-rational gehaltene Grundriss, die Friedhofsgebäude am Haupteingang, die daran angeschlossenen Arkaden und ein Kreuz in der Mitte des Areals stellen die zentralen Orientierungspunkte dar. Von den Gebäuden im Eingangsbereich umfassen die Arkaden von beiden Seiten die Kopfseite des Geländes wie eine Klammer. Das restliche Areal umläuft eine Friedhofsmauer, die für die späteren Erweiterungen nach dem Zweiten Weltkrieg durchbrochen wurde. Aus der Zeit der Zentralisierung des städtischen Friedhofs stammen die beiden ortsansässigen Bestattungsunternehmen, die wie in vielen anderen Städten auch aus einer Schreinerei und einem Fuhrunternehmen hervorgingen, und eine umfassende Friedhofsverordnung, die der Bevölkerung zahlreiche Begräbnismöglichkeiten bot: Ehrengrüfte, Familiengrüfte, Gräber an der Umfassungsmauer und Wechselgräber in je vier verschiedenen Klassen und zu unterschiedlichen Laufzeiten.248 Unter dem dauerhaften, bleibenden Grabschmuck sind vor allem kleine Findlinge, Kreuze und Stelen mit felsartigem Untersockel und Marterl zu finden, die häufig mit christlichen Symbolen und biblischen Szenen ausgeschmückt wurden. Der Gesamt­ eindruck des Friedhofs ist geprägt vom Stil der beiden Traunsteiner Steinmetzbetriebe Zerle und Weinmann – einige wenige Grabfiguren und Steine stammen auch aus Werkstätten aus München. Dieser Eindruck wird im Stadtarchiv Traunstein bestätigt: Hier sind aus den ersten Jahrzehnten nach Friedhofseröffnung die Pläne und Zeichnungen der Steinmetze für die einzelnen Grabmäler erhalten. Da die Entwürfe vom Magistrat eingesehen und genehmigt werden mussten, sind im Archiv auch die Gräber dokumentiert, die heute nicht mehr auf dem Friedhof zu finden sind. Die meisten repräsentativen und aufwändigeren Ausführungen säumen heute noch die Arkadengänge und die Hauptwege.

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Vor allem in den Arkaden sind die renommierten Familien der Stadt zu finden: Händler, die aus dem Salz- und Holzgewerbe hervorgegangen sind, Bauunternehmer, Apotheker, Ärzte, Brauerei­besitzer, Amts- und Würdenträger, Ehrenbürger. Alles in allem Familien, die ihre Kinder untereinander in »gute Partien« verheiratet haben – die Namen auf den Grabtafeln belegen den kleinen exklusiven Kreis dieser alteingesessenen Familien und der aneinandergereihte Marmor demonstriert das Vermögen und die Dauerhaftigkeit der Verbindungen. Der Habitus, der hier gepflegt wurde, wirkt weniger ausdifferenziert bürgerlich als in Großstädten, sondern eher dynastisch. Die Arkaden spiegeln genau diesen Habitus der einflussreichen Akteure der Traunsteiner Stadtgeschichte. Weibliche Grabplastik und Grabmalkultur Auf dem Traunsteiner Friedhof wird deutlich, wie konsequent das Phänomen der ›Trauernden‹ mit exponierten Orten verknüpft war, um bestimmte Gräber unter vielen optisch und räumlich hervorzuheben. Auf dem Waldfriedhof wirken die Figuren beinahe wie Hinweisschilder oder Raummarker, welche die Blicke an sich ziehen und auf die Grabstätte hinweisen sollten. Die vereinzelten Grabfiguren fallen daher umso mehr ins Auge. Sie heben sich durch ihre Größe, durch die plastische Wirkung im Raum von den übrigen Gräbern ab. Eigentlich hätte hier auf exponierte Lagen der Grabstellen verzichtet werden können, weil die Figuren ohnehin von Weitem sichtbar waren und das Potenzial hatten, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dennoch wurden sie ausschließlich in den Arkaden oder entlang der Hauptwege aufgestellt. So sticht zum Beispiel die ›Trauernde‹ an der Gruft der Brauereifamilie Binder (1911) heraus, weil sie genau am Eckpunkt des Arkadenganges westlich des Haupteingangs steht – das bedeutet zwar, dass sie eigentlich in einem toten Winkel aufgestellt wurde, aber: Sobald Friedhofsbesucher die Arkaden betreten, blicken sie zwangsläufig auf dieses Grabmal an der Scheitelstelle des Ganges (Abb. 76, Abb. 77, Abb. 78). Diese spezielle Lage verändert die Wahrnehmung, weil die Arkadengewölbe wie ein Tunnel wirken, die Architektur die Blickrichtung vorgibt und als Sichtachse fungiert. Am markantesten Punkt schließlich, an dem der Gang einen Knick macht und der Blick um die Ecke gelenkt wird, steht die lebensgroße Plastik, leicht erhöht, den Blick schicksalsergeben nach oben gewandt. In den östlichen Arkaden wurde an derselben Stelle ein Familiengrab auf die gleiche Weise inszeniert. Hier handelt es sich um das Grab der Brauereifamilien Schnitzelbaumer und Steiner aus den 1930er Jahren, das mit einer Pieta ausgestattet wurde und die gleiche Raumwirkung erzielt wie die Familiengruft Binder.249

Abb. 76: Grabstätte Binder (1911), Waldfriedhof Traunstein

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Abb. 77: Grabmal Binder (1911), Waldfriedhof Traunstein Abb. 78: Entwurf für das Grab­ mal Binder (o. J.), Waldfriedhof Traunstein

Neben den weiblichen Grabplastiken zeigt sich auch bei dem übrigen Grabschmuck, dass die Traunsteiner Bevölkerung Geld und Mühe in die Gestaltung ihrer Familiengrabstätten investiert hat. Zum einen wurden zahlreiche Grabstätten vom innerstädtischen Friedhof aufwändig auf den Waldfriedhof überführt und dann entweder teilweise erweitert oder komplett neu gestaltet.250 Zum anderen waren offensichtlich auch nach der Einführung der Friedhofsreformen noch repräsentative überdimensionale Grabmäler erlaubt – vermutlich nach Sondergenehmigung.251 Hinzu kommt, dass in der Friedhofsverordnung von 1908 das Trauerzeremoniell detailliert für die vier Klassen ausformuliert und bis 1946 beibehalten wurde: von der Anzahl der Glocken und der Dauer des Glockenläutens in der innerstädtischen Kirche St. Oswald während der Beisetzung in Haidforst, über die Anzahl der Messen, der Kleidung der Fahnenträger, Chormusiker, Leichenträger etc. bis zur Dekoration des Leichenwagens und in der Aufbahrungshalle. Der Transport der Verstorbenen wurde übrigens doppelt berechnet, wenn der Leichenzug die Leiche vom Sterbehaus zum Leichenhaus und vom Leichenhaus zum Bahnhof begleiten sollte. Für eine Beerdigungsfeier in der Prachtklasse und in den Arkaden konnten sich die Kosten mit den Extragebühren für Kerzen und Blumen in der Aufbahrungshalle auf bis zu 3.000 Mark summieren.252 Die vielen Möglichkeiten der Inszenierung in der Kirche, beim Transport, in der Aufbahrungshalle und schließlich bei der Beisetzung zeigen, dass die tradierten Trauerrituale nicht einfach mit auf den ausgelagerten Friedhof verlagert wurden, sondern dass die Rituale und die Inszenierungen an allen – neuen und alten, weltlichen und kirchlichen – Stationen möglich sein sollten. Wichtig war nur, dass während des Zeremoniells der religiöse Eindruck sichtbar blieb, was auch für die Gestaltung der Grabmäler galt: „Die Denkmäler in den Arkaden wie im Freien sollen einen christlichen Charakter haben und dieselben wie die Inschriften der Würde des Platzes entsprechen.“253

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Europäische Friedhöfe

Dieser christliche Charakter ist an den figürlichen Darstellungen der repräsentativen Gräber eindeutig abzulesen, wie zum Beispiel den Christusfiguren, Madonnen, Pieta-Motiven, Engeln, ­Reliefs mit Szenen der Grablegung und sogar der Reise der Heiligen Drei Könige. Vor diesem Hintergrund wirken die weiblichen Figuren unmissverständlich als Marien-, Pieta- oder Engelfiguren – auch, wenn sie keine eindeutigen christlichen Attribute bei sich haben. So verschwimmen vor dem katholisch geprägten Kontext gelegentlich die Grenzen zwischen christlicher und profan-aufgeklärter Bedeutungsebene wie z. B. auf dem Halbrelief am Grabmal Brandweiner (1939) (Abb. 79, Abb. 80). Das Familiengrab des Weinhändlers liegt direkt am Nebeneingang und zeigt eine weibliche Gestalt mit Flügeln und gesenkter Fackel. Im christlichen Bilderkanon des 19.  Jahrhunderts entspricht sie der Darstellung eines weiblichen Engels – gleichzeitig steht sie in der Bildtradition des Todesgenius, der nach Lessings Schrift „Wie die Alten den Tod gebildet“254 um 1800 etabliert und im Laufe des 19. Jahrhunderts auch weiblich dargestellt wurde.

Von den 38 Arkadengrüften wurden ca. ein Viertel mit weiblichen Figuren auf Halbreliefs und Mosaiken geschmückt, davon drei mit weiblichen Grabplastiken. Unter den Gräbern entlang der Hauptwege ist der Anteil weiblicher Grabmotive zu anderen Grabmalformen noch geringer. Die steinernen Figuren sind unter den vielen anderen Gräbern wahrscheinlich ohnehin als etwas Exklusives oder vielleicht sogar Exotisches aufgefallen. Zusätzlich wurden sie jedoch erhöht und extra an markanten Punkten aufgestellt, wodurch die räumliche Wirkung nochmals verstärkt wurde. Der städtische Friedhof in Traunstein zeigt, dass bei der Inszenierung der ›Trauernden‹ nicht nur das Motiv und seine Bedeutung eine Rolle gespielt haben, sondern dass die Lage, Größe und die damit verbundene Raumwirkung genauso wesentlich waren. Auch wenn

Abb. 79: Grabstätte Brand­ weiner (1939), Waldfriedhof Traunstein Abb. 80: Grabmal Brandweiner (1939), Waldfriedhof Traunstein

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die weiblichen Grabplastiken quantitativ einen unwesentlichen Teil der Traunsteiner Grabkultur ausmachen, fällt ihr Prestigecharakter und die Wechselwirkung zwischen Raum und Inszenierung auf dem vergleichsweise kleinen Friedhofsareal stärker ins Auge als auf weitläufigen großstädtischen Zentralfriedhöfen.

2.9 Fazit Im überregionalen Vergleich wird deutlich, dass weibliche Grabplastiken in Europa über nationale Grenzen hinweg unter ähnlichen Bedingungen aufgestellt wurden. Mit kleinen zeitlichen Verzögerungen und regionalen Unterschieden folgten sie ähnlichen Inszenierungsstrategien und hatten ein ähnliches Publikum im halböffentlichen Raum des Friedhofs. Das Phänomen der weiblichen Grabplastik war im Wesentlichen von drei Faktoren abhängig: von Raum, Zeit und einem schichtspezifischen Geltungsbewusstsein, das den Wunsch nach Selbstdarstellung und die Bereitschaft für erhebliche Unkosten mobilisierte. Raum: Grabstätten mit ›Trauernden‹ konnten sich infolge der beiden Friedhofsverlegungswellen um 1800 und ab der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts etablieren. Eine bedeutende Rolle spielte hierbei die Professionalisierung des Bestattungswesens – Kommunalisierung und Zentralisierung zogen einen Stab von Beamten nach sich, die mit Zuständigkeiten in Fragen der ­ Hygiene, Bodenverhältnisse, Logistik oder auch Pietät, Ästhetik und Grabordnung betraut wurden.255 Teil dieser Entwicklung war die Einführung des identifizierbaren Einzelgrabes, das die früheren Massen- und Schachtgräber und das apud ­sanctos-Prinzip ablösen sollte und das Aufstellen von individuellen Grabzeichen ermöglichte. Michel Foucault charakterisiert das Einzelgrab als die Errungenschaft des Bürgertums schlechthin, da nun „jeder ein Recht auf seinen kleinen Kasten für seine kleine persönliche Verwesung“256 hatte. Maßgeblich war allerdings nicht die Verwesung unter der Erdoberfläche, sondern der sichtbare Raum darüber: auf der Grabfläche konnten Grabzeichen hinterlassen werden, wovon auf den Eigenen Gräbern auf monumentale Weise Gebrauch gemacht wurde. Lage und Größe der Grabmonumente variierten je nach finanziellen Möglichkeiten und zeichneten allmählich eine Sozialtopographie auf der Friedhofskarte ab. Der Faktor Raum wirkte sich also vielschichtig auf das Phänomen der weiblichen Grabplastik aus. Die neuen Zentral- und Hauptfriedhöfe vor den Toren der Stadt boten ausreichend Platz für Grabinszenierungen; das Einzelgrab – insbesondere das Eigene Grab – wurde zum Schauplatz individueller Grabmonumente und spiegelte den sozialen Status der Verstorbenen für ein öffentliches Publikum.

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Zeit: Im Gegensatz zu den früheren Massen- und Schachtgräbern galten für die Einzelgräber verbindliche Ruhefristen, die per Verordnung festgelegt waren und je nach Zahlungsbereitschaft variierten. Die Tatsache, dass eine Grabstätte nicht ohne Weiteres geräumt werden konnte, war ein Novum und nivellierte die früheren Grabprivilegien von Adel und Klerus, denen ein dauerhaftes Grab vorbehalten gewesen war. Der Faktor Zeit bzw. die dauerhafte Sichtbarkeit auf dem Begräbnisplatz war von nun an nicht von Geburt und Stand abhängig, sondern von den finanziellen Möglichkeiten. Die vorgestellten Friedhöfe zeigen, dass das Bürgertum die längeren Ruhefristen für sich nutzte, indem es die aristokratische Grabkultur mit dauerhaftem Grabschmuck adaptierte. Gleichzeitig wurden die neuen Friedhöfe zu einem Ort, zu dem man sich auf den Weg machte, an dem Zeit verbracht wurde zur Pflege des Grabes, zur Einkehr, aber auch zum wochenendlichen Flanieren und zu gezielten Ausflügen auf Reisen. Darüber hinaus hatte ein Grab auf Friedhofsdauer das Potenzial, auf das Lebenswerk zu verweisen, obgleich das Leben schon längst geendet hatte: Das Grabmal wurde zu einem Zeichen des Beständigen, das über die eigene Endlichkeit hinauswies und damit eine faktische und suggestive Präsenz schuf. Der Faktor Zeit umgibt die weiblichen Grabplastiken wie ein Nimbus: Die Willkür der Grabräumung war geregelten Ruhefristen gewichen, nach der Auslagerung der Begräbnisplätze wurden Friedhofsbesuche eingeführt und der Aufenthalt am Grab kultiviert. Vor diesem Publikum ließen die Dauerhaftigkeit der Grabstätte und des Baumaterials Rückschlüsse auf das Vermögen der Hinterbliebenen und das Vermächtnis der Verstorbenen zu. Der Faktor Zeit verhalf so gesehen dem Ableben und dem Andenken zu einer überzeitlichen Präsenz: „Der Ruhm eines Bauwerks liegt in seiner Zukunft“ proklamierte der Kunsttheoretiker John Ruskin Mitte des 19. Jahrhunderts und formulierte damit den Zeitgeist, unter dem sich die Verstorbenen der Jahrhundertwende zu Lebzeiten sozialisiert hatten.257 Geltungsbewusstsein: Dieser Faktor ist schwerer zu greifen als die Aspekte Raum und Zeit. Er ist eng verwoben mit dem bürgerlichen Habitus im Sinne Bourdieus, also mit dem Selbstverständnis der eingesessenen Oberschicht bis zu den aufstrebenden Mittelstandskreisen, mit dem Bewusstsein über den eigenen gesellschaftlichen Status und dem Wunsch, diesen nach außen auch sichtbar zu präsentieren – entweder, indem man ihn selbst über Sprache, Verhaltensweisen und Handlungen verkörperte oder sich mit Symbolen, Chiffren und Medien ausstattete, die ihn verkörperten.258 Der europäische Vergleich zeigt, dass die weiblichen Grabplastiken derartige Medien darstellen: Sie sind Mittler und Hilfsmittel, das Wissen um den sozialen Status zur Geltung zu bringen. Anhand von prominenten Friedhöfen in Europa wie Hamburg, Wien oder Paris kann der Eindruck entstehen, dass das Phänomen

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der ›Trauernden‹ mit dem Bürgertum in Metropolen des Jahrhunderts verwurzelt ist – weitere expandierende Großstädte der Jahrhundertwende wie London, Mailand, Barcelona oder Lissabon bestätigen den Eindruck, da hier ebenfalls weibliche Grabplastiken zu finden sind. Auf der anderen Seite tauchte das Phänomen der weiblichen Grabplastik auch im kleinstädtischen, vergleichsweise ländlichen Traunstein auf, das hier exemplarisch für andere Kleinstädte mit ›Trauernden‹ steht wie z. B. T ­ übingen, Maastricht oder Bergamo. Was all diese Städte verbindet, ist zunächst eine gewisse Prosperität, die innerhalb weniger Jahre den Ausbau von Infrastruktur, kommunaler Verwaltung und öffentlicher Versorgungsbauten nach sich zieht und gleichzeitig den Nährboden für ein erstarkendes Bürgertum bietet, das sich immer weiter ausdifferenziert. Georg Simmel, der Begründer der Stadtsoziologie, sieht in der bürgerlichen und städtischen Prägung der Gesellschaft die Herausforderung des Einzelnen zur Ausdifferenzierung und infolgedessen zum Bedürfnis nach Selbstdarstellung und Exklusivität: „Zunächst die Schwierigkeit, in den Dimensionen des großstädtischen Lebens die eigene Persönlichkeit zur Geltung zu bringen. Wo die quantitative Steigerung von Bedeutung und Energie an ihre Grenzen kommen, greift man zu qualitativer Besonderung, um so, durch Erregung der Unterschiedsempfindlichkeiten, das Bewusstsein des sozialen Kreises irgendwie für sich zu gewinnen: was dann schließlich zu den tendenziösesten Wunderlichkeiten verführt, zu den spezifisch großstädtischen Extravaganzen des Apartseins, der Kaprice, des Pretiösentums, deren Sinn gar nicht mehr in den Inhalten solchen Benehmens, sondern nur in seiner Form des Andersseins, des Sich-Heraushebens und dadurch Bemerklichwerdens liegt […].“259

Im Angesicht von Trauer und Tod zeigen sich das „Pretiösentum“ und das „Bemerklichwerden“ auf den Friedhöfen in den unterschiedlichen Inszenierungsstrategien. Der Geltungsbereich des Bürgertums hatte sich nicht nur im städtischen Lebensraum, sondern auch auf dem Begräbnisplatz stark im Diesseits verankert – war die Erinnerungskultur früherer Jahrhunderte um das „Seelenheil“ der Toten im Jenseits bemüht, zelebrierte der bürgerliche Erinnerungskult das Lebenswerk, die individuelle Leistung und das Ansehen der Familie auf dem Friedhof wie auf einer Accessoirelandschaft repräsentativer Statussymbole. Das schichtspezifische Geltungsbewusstsein des Bürgertums war eine wesentliche Voraussetzung für das Aufkommen der weiblichen Grabplastik, weil sich mit ihr das Eigene Grab auf Friedhofsdauer prestigeträchtig und statusorientiert schmücken ließ.

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3 Ikonographische Bilderreihe 3.1 (K)eine Typologie Bei einer Führung auf dem Friedhof wäre der Zugang zum Phänomen der weiblichen Grabplastiken leichter: Wir hätten die Figuren in ihrer Dreidimensionalität vor Augen und könnten von Grab zu Grab wandern, würden zu erhabenen Plastiken auf hohen Sockeln aufschauen und könnten zu knienden, in sich versunkenen Frauenfiguren hinabsehen. Dicht aneinandergereihte Gräber würden einen anderen Eindruck hinterlassen als vereinzelte Grabstätten im dicht verwachsenen Unterholz. Die Figuren würden vor der Kulisse des Friedhofs auf Grund ihrer spezifischen Plastizität auf sich aufmerksam machen – die Köpfe der Figuren überragen andere Grabmäler, weißer Sandstein leuchtet hell, schwarzer Marmor erscheint massig und massiv, Bronze glänzt im Regen oder reflektiert die Sonne. Je mehr weibliche Grabplastiken man sieht, desto eher fallen Motivähnlichkeiten auf und lassen Themengruppen erkennen: christliche Engel, Madonnen und Pietàdarstellungen, mythologisch-antike Allegorien, Musen und Personifikationen oder schlicht profane Bilder der Trauer. Auf monumentalen Friedhöfen mit vielen Grabplastiken wie z. B. in Genua oder Wien drängen sich diese Bildverwandtschaften geradezu auf. Aber auch auf kleineren Friedhöfen mit verhältnismäßig wenigen Figuren wie in Traunstein oder Zürich zeigen sich klare Parallelen in den Inszenierungen. Wenn das Phänomen der weiblichen Grabplastiken untersucht werden soll, liegt es daher nahe, die zahlreichen Objekte zu beschreiben und Ähnlichkeiten zu benennen, um eine Typologie zu erstellen. Bei der Beschäftigung mit mehreren Hundert Figuren hat sich allerdings herausgestellt, dass konventionelle kunsthistorische Typologien bei den weiblichen Grabplastiken nicht greifen. Der Grund ist folgender: Die ikonographische Einordnung von Motiven und ihre Interpretation erfolgen vor allem über Themen, Symbole, Attribute und Ähnlichem. Im Idealfall kristallisieren sich anhand von Gestaltungselementen wie z. B. dem Kreuz, einem Lorbeerkranz, einer Rose oder einem langen Schleier feststehende Typen und Motivgruppen heraus wie »der Engel«, »die Pietà«, »die Siegesgöttin«, »die Geliebte«, »die Witwe«. Die weiblichen Grabplastiken weichen allerdings von diesen »Ideal­f ällen« ab, da die notwendigen Erkennungsmerkmale nicht immer eindeutig eingesetzt wurden. Hinsichtlich einer konventionellen Ikonographie wirken die Symbole und Attribute allerdings strapazierbar. Ein Beispiel vorweg: Abhängig davon, ob ein weiblicher Engel eine Posaune, eine Fackel

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oder ein Kind auf dem Schoß hält, ließe er sich als biblischer Verkündigungsengel, als Todesgenius oder Schutzengel und profaner Seelenbegleiter deuten – wurde die gleiche Figur ohne Flügel reproduziert, würde die Inszenierung mehrdeutig und die Interpretation wiederum anders ausfallen. Diese Bildschöpfungen bedienen keine klaren eindeutigen Bildtraditionen, vielmehr ist die Verschränkung und Überlagerung mehrerer Gestaltungselemente hier Programm. Die üblichen kunsthistorischen Methoden zur Erstellung einer Typologie scheitern daher an den weiblichen Grabplastiken. Vor dem Hintergrund, dass für die Rezeption der Figuren nicht nur ikonographische Gestaltungselemente von Bedeutung sind, sondern ganz unterschiedliche Aspekte wie Materialität, Lage des Grabes, biographische Hintergründe und regionale Besonderheiten, ist eine disziplinübergreifende Methode notwendig, die Bilder oder Objekte in ihrer Dimension als Zeitdokumente in den Fokus nimmt. Mit Hilfe der Ikonologie nach Aby Warburg und Erwin Panofsky lassen sich nicht nur die einzelnen Gestaltungselemente und Bildtraditionen eruieren, sondern auch das Prinzip ihres Verschränkens und Überlagerns als spezifischer Ausdruck ihrer Zeit.1 In der ikonographisch-ikonologischen Analyse der weiblichen Grabfiguren werde ich eine Auswahl einiger Motive vorstellen, die in ihrer Semantik exemplarisch für vergleichbare, ähnelnde Bildschöpfungen gelesen werden können. Die Bildbeispiele sind so ausgewählt, dass sie eine Art Motivmorphologie veranschaulichen – in Bilderreihen werden die vorgestellten Grabplastiken teilweise mit anderen Bildbeispielen ergänzt, um die Entwicklung der ›Trauernden‹ zwischen Bild­traditionen und Neuschöpfungen anschaulich und nachvollziehbar zu machen. Auf diese Weise werden nicht nur die bekannten, ikonographisch eindeutigen Bild-Stereotype thematisiert, sondern es können auch die Objekte vorgestellt werden, die sich eben nicht tradierten Bildtypen zuordnen lassen – gewissermaßen die Randgruppen, Ausreißer und Hybride der konventionellen Ikonographie.2 Für diese Herangehensweise sind Perspektivwechsel notwendig, die den Blick über konventionelle Typologien hinaus öffnen. Daher ist es hilfreich, Forschungsansätze heranzuziehen, die nicht nur Bilder, sondern auch den Umgang mit den Bildern im sozial- und mentalitätshistorischen Kontext ins Visier nehmen. Im Folgenden werde ich mit spezifischen Begriffen operieren bzw. kooperieren. Mit ihrer Hilfe lassen sich unterschiedliche Perspektiven auf die Bildwelt der weiblichen Grabplastiken einnehmen: Es wird beispielsweise vom bilderfreundlichen Tod die Rede sein, von Schlagbildern, von der Gesamtheit der Bilder, ihrer Bildverwandtschaften und Familienähnlichkeiten sowie von Bilderreihen, die grau hinterlegt wurden. Philippe Ariès, der Pionier der Sozialgeschichte des Todes, kam nach einer umfangreichen Sichtung historischer Objekte

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und Abbildungen zum Thema Sterben, Tod und Trauer zu dem Fazit: „der Tod ist bilderfreundlich“3. Allerdings scheint es Zeitabschnitte in der Geschichte gegeben zu haben, die bilderfreundlicher oder weniger bilderfreundlich waren als andere. Die Zeit des langen 19. Jahrhunderts lässt sich im Vergleich zu den vorherigen Jahrhunderten als auffällig bilderfreundlich bezeichnen, weil neue Bildschöpfungen zum Thema Tod geschaffen wurden und mit den Möglichkeiten zur industriellen Produktion, seriellen Vervielfältigung und überregionalen Logistik innerhalb weniger Jahrzehnte etabliert werden konnten. Beispielhaft für die neuen Bildschöpfungen ist die ›Trauernde‹, die im Zuge der starken Nachfrage, Vervielfältigung und Verbreitung ein derart prominentes und dominantes Motiv wurde, dass sie zu einem Schlagbild der bürgerlichen Trauerkultur avancierte. Schlagbilder folgen dem Prinzip von Schlagworten oder Schlagzeilen. Sie haben einen hohen Wiedererkennungswert, nehmen sich bestimmter Themen und Diskurse an und können sowohl als Spiegelbild einer spezifischen historischen Situation als auch als Ausdruck der jeweiligen Werte, Moralvorstellungen und Mentalitäten erscheinen. Solch ein Schlagbild stellt für den Kontext von Sterben, Tod und Trauer die ›Trauernde‹ für das bürgerliche Zeitalter dar. Schlagbilder werden seit den 1980ern interdisziplinär unter dem Fokus der politischen Ikonographie untersucht und benannt; in diesem Zusammenhang gelten Phasen des politischen Umbruchs als Zeitfenster, in denen neue, unbesetzte Bilder notwendig werden und die dann – finden sie starke Rezeption und Vervielfältigung – zu Schlagbildern etabliert werden können.4 Analog dazu lässt sich die These aufstellen, dass Phasen des emotional-kulturellen Umbruchs auch Phasen sind, die neue unbesetzte Bilder mit Bezug zur Gefühlswelt hervorbringen. Grabmalkultur im Allgemeinen steht im Kontext von Gefühlen wie Trauer, Verlust und Schmerz. In Bezug auf die weiblichen Grabplastiken lohnt sich daher eine Forschungsperspektive, mit der sich die Geschichte der Emotionen, Mentalitäten und kulturellen Praktiken in den Fokus der Untersuchung rücken lässt. Das Schlagbild ›Die Trauernde‹ meint jedoch nicht ein einzelnes Bild, eine einzige Darstellung, sondern alle Varianten von ›Trauernden‹. Sollen einzelne ›Trauernde‹ kunst- und sozialhistorisch analysiert werden, müssen sie vor dem Hintergrund der „Gesamtheit“ dieser Varianten betrachtet werden.5 In der Theorie ist das ein ambitioniertes Vorhaben, in der Praxis allerdings nur schwer umsetzbar, weil die Gesamtheit der Grabplastiken relativ ist: Im Laufe der Jahrzehnte blieb nur noch ein Bruchteil erhalten und davon ist wiederum nur ein kleiner Ausschnitt dokumentiert; hinzu kommt, dass diese Figuren nie gleichzeitig existiert haben. In dem kleinen Ausschnitt an Figuren, der für die Untersuchung herangezogen werden kann, zeigen sich jedoch bereits

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unterschiedliche Verhältnisse der Bilder zueinander – viele von i­hnen ähneln sich, erinnern an tradierte Motive oder wirken kopiert, einige weichen ein wenig von der großen Masse ab, andere markieren krasse Ausnahmen. Bilder lassen sich ähnlich wie Sprache als Zeichensysteme verstehen, die von „Familienähnlichkeiten“ zusammengehalten werden.6 Auffälligkeiten, Wiederholungen oder auch Abweichungen sind so gesehen Charakteristika, die Bildfamilien erkennen lassen und die ihren Verwandtschaftsgrad untereinander veranschaulichen. Diese Perspektive ermöglicht es, Motive vor dem Hintergrund des Bilderwissens oder Bildkosmos des 19. Jahrhunderts zu sehen. Bei einer derartigen Vorstellung von Bildverwandtschaften geht es jedoch marginal um Generationenfolgen. Die Perspektive der Bildverwandtschaft zielt nicht auf einen Stammbaum ab, über den sich Bildursprünge und Bildneuschöpfungen chronologisch verorten und zwingend voneinander ableiten ließen. Vielmehr meint der Zugang über Bildverwandtschaften die Gleichzeitigkeit von Motiven, die je nach Gestaltung und Inszenierung unterschiedlich eng miteinander verknüpft sind.7 Aus einer ähnlichen Perspektive heraus hat Aby Warburg in seinem „Mnemosyne-Atlas“ Motive nach Aspekten wie Themen, Künstler, Epochen, Materialien, Ansichten oder den sogenannten Pathosformeln gebündelt. Warburg vertrat den Standpunkt, dass Bilder eine wesentliche Säule auf dem Fundament des sozialen Gedächtnisses darstellen und demonstrierte anhand seines Mnemosyne-Atlas, dass die traditionelle Kunstgeschichte als Kulturtheorie des Gedächtnisses verstanden werden kann.8 Eine Konstante in der Bildgeschichte sind Pathosformeln – Mimik, Körperhaltungen, Bewegungen  – , die aus Urerlebnissen und Urängsten stammen. Diese archetypischen Formeln werden über die Kunst konserviert und kanalisieren im Laufe der Geschichte spezifische Eindrücke, Erfahrungen und Diskurse immer wieder aufs Neue. Diese Perspektive hat für die Analyse von Grabplastiken das Potenzial, nicht nur Symbole und Attribute als künstlerische Versatzstücke zu hinterfragen, sondern auch Ausdruckschiffren und Inszenierungen.9 Zudem bietet Warburgs Ansatz die Möglichkeit, die Kategorie Geschlecht zu berücksichtigen, weil Gestaltungselemente wie Pathosformeln an geschlechtlich organisierte Rollenmodelle gekoppelt sind und damit epochenspezifische Ideale von Männlichkeit und Weiblichkeit repräsentieren. Bilder wie die ›Trauernde‹ reproduzieren Idealvorstellungen im kulturellen Bildgedächtnis. Über Bilderreihen kann deutlich gemacht werden, wie „sich Geschlechterverhältnisse bzw. geschlechtsspezifisches Erinnern in die Pathosformeln der jeweiligen Epochen eingeschrieben ­haben.“10 Auch Ariès hat die Idee von Bilderreihen für den Kontext von Sterben, Tod und Trauer verfolgt. Seiner Ansicht nach eröffnet

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die Fülle an Abbildungen einen einzigartigen Einblick in die Mentalitäten und Kulturen vergangener Epochen: „Wenn wir alle diese Bilder – seien es nun heutige Reproduktionen sichtbarer Überreste der Grabstätten oder ikonische Schöpfungen der Zeitgenossen selbst (Gemälde, Reliefs, usw.) – in einer imaginären Montage aneinanderreihen, so ergäben sie den kontinuierlichen Film der historischen Kulturen.“11

Die weiblichen Grabplastiken des 19.  Jahrhunderts sind solche „ikonische[n] Schöpfungen der Zeitgenossen“ – aneinandergereiht können sie als kulturhistorischer Film vor unserem inneren Auge erscheinen. Für die anschließende Analyse der ›Trauernden‹ habe ich eine Bilderreihe nach dem Prinzip eines Filmstreifens oder Daumenkinos konstruiert. Mit einem grauen Balken hinterlegt, entstehen so Bildfolgen mit Photographien von Grabmonumenten, kunsthistorischen Abbildungen und zusätzlichem Quellenmaterial, über die sich sowohl Motiventwicklungen als auch Bildverwandtschaften weiblicher Grabplastiken veranschaulichen lassen. Wie in einer Bildmorphologie reihen sich zunächst einzelne Bilder aneinander, die in der Abfolge schließlich größere Motiventwicklungen sichtbar machen. Das Aneinanderreihen der Bilder erfolgt nicht chronologisch nach der Entstehungsphase bestimmter Motive, sondern auf Grund von Motivähnlichkeiten, Gestaltungselementen, Attributen etc. Das Daumenkino ist dabei weniger als ein Konzept zu verstehen, als vielmehr eine Perspektive, ein bestimmter Modus, unter dem die Bilder in ihrer Vielschichtigkeit zugänglich werden. Aus diesem Blickwinkel können Bilder und Motive gleichwertig nebeneinanderstehen, die in den konventionellen Motivclustern einer Typologie keinen Raum hätten oder widersprüchlich wirken würden.12 Daher habe ich in der folgenden Analyse unterschiedliche Bilderreihen unter zwei Kapitel gefasst. Im ersten Teil (Ikonographie) geht es um Bilderreihen, welche die ikonographische Vielschichtigkeit der ›Trauernden‹ veranschaulichen. Entlang einzelner Grabplastiken werden Symbole und Attribute vorgestellt, Motive und Sujets benannt und deren Verschränkungen und Überlagerungen nach Bildtraditionen bzw. Neuschöpfungen befragt. Mit Hilfe der Perspektive des Daumenkinos werden sich in diesen Bildfolgen beispielsweise fließende Übergänge von mythologischen Genien zu christlichen Engeln zeigen oder Bildtypen der Pietà in profanen Mutterbildern und ästhetisierten ›Trauernden‹ verschmelzen. Im zweiten Teil (Inszenierung) habe ich Bilderreihen zur Inszenierung der weiblichen Grabplastiken erstellt. Hier stehen Aspekte im Forschungsfokus wie Produktionsbedingungen und Reproduktion, Materialität und Plastizität, Inszenierungsstrategien im freien, halböffentlichen Raum sowie

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Vervielfältigung, Vertriebs­praxis und Verbreitung auf europäischen Friedhöfen. Präsentiert werden die Abbildungen in Form eines Bildstreifens, der parallel zum Text von Seite zu Seite »mitläuft«. Die Visualisierung des Daumenkino-Prinzips stellt in Kombination mit geschriebenem Text eine gewisse Herausforderung dar – ein Daumenkino läuft durch die Finger, schnell und fließend, immer mit der Möglichkeit, die Bildfolge vorwärts und rückwärts zu durchblättern oder zu Einzelbildern wie zu Momentaufnahmen zurückzukehren. An einigen Stellen bleibt der Bildstreifen stehen, setzt für wenige Seiten aus, als würde man bei einem Standbild verharren, um die Details studieren zu können. Der Bildstreifen am unteren Seitenrand ist der Versuch, diesen Modus im Lesen zu erhalten und die vielen Varianten, Ähnlichkeiten oder Abweichungen vor Augen zu führen.

3.2 Ikonographische Bilderreihe: Männliche Todesgenien – ästhetisierte Grabmalkultur – weibliche Todesgenien In der bürgerlichen und adligen Oberschicht etablierte sich ab 1800 das Bild des männlichen Todesgenius in der Sepulkralkultur. Die Darstellung des jungen geflügelten Mannes mit gesenkter Fackel entsprach zunehmend den bürgerlich aufgeklärten Jenseitsvorstellungen und wurde im Laufe des 19.  Jahrhunderts immer weiter modifiziert, bis gegen Ende des 19.  Jahrhunderts sogar weibliche Todesgenien auf bürgerlichen Gräbern zu finden waren. So ist z. B. der trauernde Engel am Grabmal Brandweiner in Traunstein ikonographisch in der Bildtradition des männlichen Todesgenius zu deuten – mit dem Unterschied, dass diese Figur nicht männlich, sondern weiblich dargestellt wurde (Abb. 81). Wie es zu dieser Bildschöpfung gekommen ist, werde ich im Folgenden

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anhand von kultur- und mentalitätshistorischen Bildverwandtschaften vorstellen. Im Altertum galten Genien als geflügelte Wesen, welche die Seelen der Verstorbenen ins Jenseits überführten und deshalb auch als »Psychopompos«, also Seelengeleiter bezeichnet wurden. Wenn Darstellungen von Genien im Kontext von Sterben, Tod und Trauer eingesetzt wurden, dann entstanden Bilder, die den Verlust einer Person begleitend, also gewissermaßen friedvoll und tröstlich visualisieren konnten. Besonders im Zusammenhang mit einem heldenhaften plötzlichen Tod waren die Genien Hypnos und Thanatos beliebt. Dabei handelt es sich um Hypnos, den Gott des Schlafes in der griechischen Mythologie, Sohn von Nyx, der Göttin der Nacht, und seinen Bruder Thanatos, den Gott des Todes. Die charakteristischen Attribute für Hypnos sind Mohnkapseln, die symbolisch für die einschläfernde und schmerzstillende Wirkung des opiathaltigen Schlafmohns stehen, und für Thanatos die gesenkte Fackel als Sinnbild des verloschenen Lebenslichts. In der Umsetzung als Genien und Seelenbegleiter zeigen die Abbildungen von Hypnos und Thanatos „keineswegs grausige Gottheiten“13, sondern athletisch-adoleszente Figuren, die der Darstellung des jugendlichen Eros des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr. entlehnt waren (Abb. 82). Im 18. Jahrhundert kam es im Zuge der Aufklärung und Antikenbegeisterung zu einer Art Wiederbelebung der Todesgenien. Als Vorlage diente das Werk von Gotthold Ephraim Lessing „Wie die Alten den Tod gebildet“14, in dem auf den Tod als Zwillingsbruder des Schlafes in der griechischen Mythologie verwiesen wird (Abb. 83). In der Gestalt des jugendlichen Genius mit umgestürzter Fackel verfestigte sich ein versöhnliches Bild des Todes. Besonders in aufgeklärten Kreisen fand Lessings Umdeutung des Todes große Zustimmung und leitete eine weitreichende Ästhetisierung der Trauer- und Sepulkralkultur ein.15 Hinzu kommt, dass die Metapher des Schlafes für den Tod ab dem späten 18. Jahrhundert

Abb. 81: Grabstätte Brand­ weiner (1939), Waldfriedhof Traunstein Abb. 82: Hypnos und Thanatos, Bertel Thorvaldsen (1827)

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begeistert von Kunst und Literatur der Empfindsamkeit aufgenommen wurde und sich im Thema der Nacht und der Traumseiten in der Romantik fortführen ließ.16 Doch wie konnte es überhaupt zu einem versöhnlichen Bild des Todes kommen, d. h. welche Vorstellungen vom Tod mussten den neuen Darstellungen vom Tod vorausgehen? Die ikonographische Herleitung aus der Antike ist leicht nachvollziehbar, aber welche mentalitätshistorischen Prozesse sind notwendig, um neue Sinnbilder zum Thema Tod etablieren zu können? Bis in die Frühe Neuzeit war der Tod für die Lebenden geprägt von den möglichen Schrecken und Qualen der Hölle und des Fegefeuers, wie sie vom katholischen Glauben vertreten wurden: „Der Tod wurde in den christlichen Zeugnissen und im gewöhnlichen Leben als Manifestation des Bösen gesehen, des Bösen, das sich ins Leben eingeschlichen hat und untrennbar vom Leben war. Bei den Christen war er der Augenblick einer tragischen Orientierungssuche zwischen Himmel und Hölle, die ihrerseits der banalste Ausdruck des Bösen war.“17

Abb. 83: Frontispiz, G. E. Lessing: Wie die Alten den Tod gebildet (1769) Abb. 84: „Freund Hain“, Todes­ personifikation bei Matthias Claudius, Frontispiz (1775) Abb. 85: Totentanzdarstellung „Tanz der Gerippe“, Michael Wolgemuth (Nürnberg 1493)

Die bildende Kunst des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit spiegeln diese „Manifestation des Bösen“, die auch unter der Allgegenwärtigkeit und Schicksalhaftigkeit des Todes gefasst werden kann. Zahlreiche Metaphern und Sinnbilder, z. B. in Vanitasmotiven, Totentänzen und Memento mori-Sujets oder Personifikationen des Todes in der Figur des Skeletts, Sensenmanns und Schnitters, vermitteln aus heutiger Sicht ein drastisches oder auch gewaltsames Bild vom Ableben (Abb.  84, Abb.  85, Abb.  86, Abb. 87). Die Trauerkultur dieser Zeit war weniger um die Hinterbliebenen bemüht, als vorrangig um das Seelenwohl der Verstorbenen im Jenseits: Vor dem Hintergrund dieser Seelenfürsorge sind unter anderem das apud sanctos-Prinzip, also der Wunsch nach Bestattung im Kirchenraum in der Nähe zu den Heiligenreliquien, zu verstehen sowie die speziellen Messen, Fürbitten und Gebete

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für die Toten. Allerdings setzte mit der Reformationszeit ab dem frühen 16. Jahrhundert ein weitreichender Wandel im Umgang mit den Verstorbenen ein, weil mit der Ablehnung der Fürbitten sowie der Heiligen- und Reliquienverehrung tradierte, religiös motivierte Praktiken ihre Bindung und Bedeutung verloren.18 Seit der Reformation verstetigten sich in Westeuropa nicht nur eine zunehmend positive Bewertung des Lebens und des Diesseits, sondern auch neue Vorstellungen von Tod und Jenseits. Die Leichen­predigten dieser Zeit, über welche die privaten Gefühle direkt in der Kirche oder am Grab vor der Trauergemeinde artikuliert werden konnten, kündigten bereits einen vergleichsweise emotionalen Umgang mit Sterben und Abschied an.19 Der fundamentale Wandel in der Trauerkultur vollzog sich jedoch ab Mitte des 18.  Jahrhunderts infolge der Aufklärung und des Rationalismus, der eine Hinwendung zum Emotionalen zur Folge haben sollte. Diese Gedankenwelt evozierte im Dualismus von Vernunft und Gefühl einerseits rationalere, ästhetischere und andererseits emotionalere Bildbedürfnisse und orientierte sich in der Trauerkultur verstärkt am Empfinden der Angehörigen:20 „Den Schrecken des Todes, symbolisiert durch ein scheußliches Gerippe, löste die Vorstellung eines friedlich-harmonischen Überganges in das Jenseits ab. Sein Abbild, der Abschiedsschmerz der Hinterbliebenen und die Trauer wurden zum selbständigen Motiv der Grabplastik.“21

Lessings Beschäftigung mit Hypnos und Thanatos brachte vor allem dem Bürgertum den Tod als Zustand der Ruhe näher und verdrängte die Skelette und Totenschädel aus dem tradierten Bild­ repertoire, die mit den zeitgenössischen Mentalitäten, Idealen und Diskursen längst nicht mehr kompatibel waren. Die Adaption antiker Todesbilder ließ einen „lieblichen Genius erblicken, der weinend die Fackel senkt und als Zwillingsbruder des Schlafs den Menschen von aller Mühsal des Daseins befreit“22. Die Darstellung

Abb. 86: Memento mori-Sujet auf einem Nonnenspiegel, Hinterglasmalerei (Deutschland 18. Jhd.) Abb. 87: „Tödlein mit Sense“ (Süddeutschland um 1640) Abb. 88: Grabmal Erzherzogin Maria Christina, Antonio Canova, Augustinerkirche Wien (1798-1805)

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entsprach nun auch der Vorstellung einer rationalistischen Versöhnung mit dem Leben und dem Ableben. Mit Herders Umdeutung zum „Engel des Schlafes“ wurden die Todesgenien schließlich auch für den Kontext kirchlicher Friedhöfe akzeptabel und konnten von nun an widerspruchslos mit christlichen Symbolen versehen werden.23 Geflügelte Jünglinge, Schlaf, Ruhe und Schönheit wurden von nun an als unmissverständliche Komponenten für einen aufgeklärten Umgang mit dem Thema Tod inszeniert und auch decodiert. Der Ruhende der Renaissance und Aufklärung hatte sich ikonographisch als Metapher für den Tod etablieren lassen und dabei immer die Abgrenzung zu den ungeschönten Todesbildern der vorherigen Jahrhunderte mit eingeschlossen, denn: „ […] dieser Tod ist nicht mehr Tod, er ist eine Illusion der Kunst. Der Tod hat begonnen, sich zu verbergen, trotz der scheinbaren Publizität, die ihn in der Trauer, auf dem Friedhof, im Leben wie in der Kunst oder der Literatur umgib: er verbirgt sich unter der Schönheit.“24

Abb. 89: Ruhender Todesge­ nius, Grabmal Erzherzogin Maria Christina, Antonio Canova, Augustinerkirche Wien (1798-1805) Abb. 90: Todesgenius, Philipp Jakob Scheffauer (1805)

„Trauer“ und „Schönheit“ wurden zum bestimmenden Prinzip in der Bebilderung des Todes – Vertreter des Klassizismus wie z. B. Antonio Canova (1757 – 1822), sein Schüler Bertel Thorvaldsen (1770 – 1844) oder befreundete Bildhauer wie Johann Heinrich Dannecker (1758 – 1841) und Philipp Jakob Scheffauer (1756 – 1808) nahmen sich des neuen Bildtypus an, entwickelten und etablierten ihn für repräsentative Auftragsgrabmäler der geistlichen und adligen Oberschicht (Abb. 82, Abb. 88, Abb. 89, Abb. 90). In der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts avancierten männliche Todesgenien zu einer festen Größe in der Sepulkralkultur und wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts immer weiter variiert und modifiziert. Diese Entwicklung ist allerdings nicht als chronologische Abfolge zu verstehen, sondern eher als ein Nebeneinander unterschiedlicher Darstellungsmöglichkeiten. Dieses Nebeneinander lässt

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sich auf den europäischen Friedhöfen für die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg gut nachvollziehen. Neben den klassischen Hypnosund Thanatos-Darstellungen überwogen nun Grabmäler, die mit einem einzelnen Todesgenius ausgestattet wurden: Das Bruderpaar ist gewissermaßen zu einer Personalunion symbiotisch verschmolzen (Abb. 91, Abb. 92, Abb. 93). Der Terminus der Symbiose steht zwar häufig im Kontext des Parasitären, also des Wirtes und des Symbionts – etymologisch gesehen beschreibt die Symbiose (syn/m = zusammen, bios = Leben) lediglich das Zusammenschließen zweier Individuen unterschiedlicher Arten, das jeweils für beide Partner von Vorteil ist. Die Vorstellung einer Motivsymbiose ist bei der Einzelfigur des Todesgenius deshalb so passend, weil es meines Erachtens zu einem Zusammenschluss kam und nicht zu einer Reduktion. Es wurde nicht einfach einer der beiden Brüder weggelassen, sondern beide Charaktere in einem Bild überlagert. Das dialektische Konzept von Schlaf und Tod, Erwachen und Endlichkeit, Wiedersehen und Abschied ließ sich nun synthetisch darstellen. Keiner der beiden Charaktere wurde beschnitten, sondern in einer Einzelfigur verdichtet. Es ist davon auszugehen, dass Canovas Typ des einzelnen Todesgenius, z. B. für seine Papstgrabmonumente oder für das Christinen­ monument in der Wiener Augustinerkirche, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine beträchtliche Vorbildwirkung für die europäische Sepulkralkunst gehabt hat. Ich werde später ausführlicher auf das Christinenmonument eingehen. In Bezug auf die Personalunion des Bruderpaars lässt sich soweit festhalten, dass der Todesgenius als Einzelfigur, wie Canova ihn geschaffen hat, im frühen 19. Jahrhundert von diversen Künstlern in Europa umgesetzt wurde und im späten 19. Jahrhundert schließlich immer weiter variiert, teils serielle Verbreitung fand (Abb. 94, Abb. 95, Abb. 96). Bis zum Ersten Weltkrieg gab es zahlreiche Beispiele dafür, dass sich der männliche Todesgenius – antikisiert, halbnackt, mit Flügeln und Fackel – über hundert Jahre zu einer Konstante auf den

Abb. 91: Todesgenius, Jenisch-Mausoleum (1831/33), Mathieu Kessels, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 92: Grabstätte Rossi, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900) Abb. 93: Ruhender Todesgenius mit Fackel (o. A.), Friedhof Wilmersdorf, Berlin

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bürgerlichen Grabmälern etabliert hatte, aber in Details zunehmend, fast beliebig, abgewandelt wurde. Dazu möchte ich ein Beispiel vom Ohlsdorfer Friedhof vorstellen: Hier ist ein Todesgenius als Einzelfigur – antikisiert, nackt, mit Flügeln, aber ohne Fackel – auf dem Grabmal des Hamburger Kaufmanns Daniel Schutte (1789 – 1886) und seiner Frau Bertha geb. De Jongh (1815 – 1890) erhalten (Abb. 97, Abb. 98).25 Das Ehepaar Schutte verstarb kinderlos und vermachte sein Vermögen einem Wohnstift, das 1892 in Hamburg eingerichtet wurde. In einem Nachtragstestament von 1887 hielt Bertha Schutte zwar fest, dass das Ehepaar auf dem Kirchhof der Reformierten Gemeinde in Hamburg beerdigt werden und nach Ablauf der Mindestgrabfrist auf den Hauptfriedhof Ohlsdorf überführt werden sollte, die Auftragslage für den plastischen Grabschmuck ist jedoch unklar. 1901 schließlich wurde in Ohlsdorf auf der neuen Grabstätte Schutte ein stehender unbekleideter Jüngling aufgestellt, der lebhafte Diskussionen hervorrief. So zeigte sich André Jolles-Amsterdam in der Hamburgischen Wochenzeitschrift für Deutsche Kultur „Der Lotse“ begeistert über den imposanten Todesgenius und die ästhetisierte Würdigung des Stifterpaares:

Abb. 94: Todesgenius (o. A.), Zentralfriedhof Wien Abb. 95: Todesgenius in einer Werbeanzeige der k-u-k-Hof-Steinmetzmeister Sommer & Weniger, Österrei­ chische Illustrierte Zeitung (03.12.1908) Abb. 96: Grabmal Rattenhuber, (vermutl. 1934), Ostfriedhof München

„Zuerst der riesenhafte Genius […]. Hier steht das mächtige Mannsbild in dem tiefsten Schmerz seines herrlichen Körpers, den göttlichen Kopf auf die schweren Arme geneigt, wie ein Schuljunge mit der Wehmut des unsterblichen Geistes, weinend über den Tod eines Menschen.“26

Die Grabinszenierung wurde jedoch auch kritisiert, wie z. B. in einem kurz zuvor veröffentlichten anonymen Leserbrief in der „Neuen Hamburger Zeitung“ unter der Überschrift „Schändung des Ohlsdorfer Friedhofs“: „Dem edlen Wohltäter Herrn Konsul Schutte, der so vielen hilfsbedürftigen Frauen Hamburgs eine Wohnstätte gab, hätte gewiß ein edleres Denkmal geziemt, als ein nackter Schlachterknecht,

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das jedenfalls für einen Athleten besser angebracht wäre. […] Ein junger Akt eines jungen Akademikers ist noch lange kein Denkmal, besonders nicht für einen Kirchhof.“27

So unterschiedlich die beiden Reaktionen auch scheinen, sie zeigen beide, dass um die Jahrhundertwende – wie auch schon in den Jahrzehnten zuvor – die Ästhetisierung des Friedhofs mit dementsprechenden Kunstwerken als selbstverständlich erachtet wurde. Nachdem im Laufe des 19.  Jahrhunderts das Hypnosund ­Thanatos-Motiv modifiziert worden war, stellte sich für die beiden Autoren nicht die Frage, ob der aufgeklärt-bürgerliche Genius überhaupt dargestellt werden sollte, sondern es ging vielmehr darum, wie er dargestellt werden sollte: Für das private „Denkmal“ eines „Wohltäters“ wurde auf dem öffentlichen Raum des Friedhofs ein Motiv erwartet, das „in tiefstem Schmerz“ die profan-weltliche Trauer demonstrierte und „mit der Wehmut des unsterblichen Geistes“ dem Bild vom ewigen Schlaf entsprach. Der Entwurf für das Grabmal Schutte stammt von dem Künstler Fritz Behn (1878 – 1970), der sich nach seinem Studium an der Kunstakademie in München der antikebegeisterten Künstlergruppe um Adolf von Hildebrand angeschlossen hatte. In diesem Kreis entstanden mehrere abgewandelte Todesgenien für Grabmäler unter anderem auf Friedhöfen in München, Berlin und Heidelberg.28 Den Todesgenien dieser Künstler ist gemein, dass sie in der Reduktion des Bruderpaares auf nur eine Figur sowohl die Assoziationsebene zum mythologischen Ursprung herstellen als auch die beiden Charaktere von Hypnos und Thanatos zu einer mehrdeutigen symbiotischen Neuschöpfung verschmelzen konnten. Das hohe Aufkommen des einzelnen Todesgenius im westeuropäischen Raum macht deutlich, dass die symbiotische Neuschöpfung beliebt gewesen sein muss, decodiert werden konnte und nicht als unvollständig wahrgenommen wurde. Vermutlich aber sind nicht nur der Geschmack des Bürgertums für die Verbreitung der Ein-

Abb. 97: Grabstätte Schutte (1901), Fritz Behn, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 98: Grabmal Schutte (1901), Fritz Behn, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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Abb. 99: Grabstätte Conström (1919), Emmerich Oehler, Fried­ hof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 100: Grabmal von Bose (1906), Hans Hartmann-McLean, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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zelfigur verantwortlich, sondern auch die Seite der Produzierenden, also die Künstler, Kunsthandwerker und Steinmetze. Für sie bedeutete der bürgerliche Wunsch nach tröstlichen, ästhetisierten Todesbildern lukrative Aufträge, so dass sie das Bild des einzelnen Todesgenius in ihr Bildrepertoire aufnahmen und verstärkt am Markt anboten.29 Die symbiotischen Einzeldarstellungen des Todesgenius gibt es in zahlreichen Varianten. Allein in Ohlsdorf lassen sich bis zum Zweiten Weltkrieg über 20 verschiedene Neuschöpfungen des Todes­geniusmotivs nachweisen, wobei die Gestaltung zunehmend freier und die Wahl der Attribute flexibler ausfiel. Die Bandbreite reicht von Darstellungen mit und ohne Flügel, mit und ohne Fackel, mit Kränzen, Blumen oder Instrumenten, von bekleidet über halbnackt bis unbekleidet. Hinzu kommen auch biographische Verweise auf den Beruf oder die Familie, wie z. B. mit einem Schiff, einer Schreibtafel, einem Porträtmedaillon oder Familienwappen (Abb.  99, Abb.  100).30 Männliche Figuren – mit gesenkter Fackel, teils bekleidet oder nackt, vorwiegend mit Flügeln – wirken ikonographisch konventioneller und eindeutiger als z. B. Ausführungen ohne Flügel und mit anscheinend beliebigen oder sehr individuellen Attributen. Allerdings werden die Deutungsmöglichkeiten stark vom gestalterischen Kontext beeinflusst. So fehlen dem nackten Jüngling auf dem Marmorrelief für das Grab Arnstedt (1909/10) zwar die Flügel, aber die Inszenierung als tempelartige Architektur mit stilisierten dorischen Säulen unterstützt den antiken bzw. klassizistischen Charakter und macht das Motiv als Todesgenius rezipierbar (Abb.  101).31 Für die Plastik am Grabmal Sander (1907) fügte der Berliner Künstler Heinrich Pohlmann mehrere anscheinend eindeutige, antik-konnotierte Attribute zusammen, über die sich das Motiv als Todesgenius identifizieren lässt: eine bekleidete männliche Figur mit Flügeln, Lorbeerkranz, gesenkter Fackel und gesenktem Blick.32 Gleichzeitig ließe sich diese Plastik auch als

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Engel deuten, weil die Statur weniger jugendlich-klassisch wirkt, das lange, fließende Gewand stilistisch an die biblischen Engel der Nazarener erinnert und auch der Kranz kann aus der christlichen Symbolik abgeleitet werden (Abb. 102). Der Todesgenius am Familiengrab Peters (1907/08) wurde ebenfalls mit Flügeln, gesenkter Fackel und Lorbeerkranz ausgestattet, aber er erscheint auf Grund seiner Statur und Gesichtszüge weiblich (Abb. 103).33 Die Darstellungen reichen also von ikonographisch »konventionelleren« Figuren – männlich, mit gesenkter Fackel, teils bekleidet oder nackt, wahlweise mit Flügeln oder ohne – bis zu freieren, unkonventionelleren Figuren – vorwiegend männlich, vorwiegend ohne Flügel, vorwiegend nicht bekleidet, selten mit Fackel, dafür mit beliebigen Attributen wie Rosen, Lyra, Lorbeerkranz oder anderen Symbolen der Sepulkralkultur. Weibliche Todesgenien – Flügelfiguren – Siegesgöttinnen (Nike/Victoria) Wie verhält es sich nun mit den weiblichen Genius-Darstellungen wie am Familiengrab Peters in Ohlsdorf, die ab dem späten 19. Jahrhundert verbreitet wurden (Abb. 103)? Betrachtet man die minimal abweichenden Darstellungen aneinandergereiht, sind sie lediglich als eine weitere Variation des Hypnos- und Thanatos-Motivs zu verstehen, bei der es allerdings zu einer Art Gender Crossing gekommen ist.34 „Die Idee von [weiblichen, Anm. A. G.] Trauerfiguren ist schon in den mittelalterlichen Pleurants enthalten, doch im aktuellen Fall des 19.  Jahrhunderts haben sie sich auf den biedermeierlichen Engel- und Genienfiguren entwickelt.“35

Hier wurde nicht einfach die Darstellung des männlichen Körpers in die Darstellung eines weiblichen Körpers überführt, sondern auf der Matrix einer Bildtradition der Wechsel vom biologischen

Abb. 101: Grabmal Arnstedt (1909/10), Paul Wilhelm Henle, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 102: Grabmal Sander (1907), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 103: Grabmal Peters (1907/08, heute Löwe), Alfred Martin, Paul Uhlig, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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Abb. 104: Grabstätte Grimm (1918), Karl Kiefer, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 105: Grabmal Ferdinand Barbedienne (1892), Cimetière du Père Lachaise, Paris Abb. 106: Grabmal Cohrs (1906/07), Alfred Martin, Fried­ hof Ohlsdorf, Hamburg

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Geschlecht (sex) zum sozialen Geschlecht (gender) vollzogen. Auf der Rezeptionsebene vermittelt das Bild Frau/Weiblichkeit auch die soziale Dimension der weiblichen Geschlechtsrolle, die den bürgerlichen Geschlechterdiskursen des 19.  Jahrhunderts entsprachen. Während der Recherche waren zwar keine schriftlichen Doku­mente darüber zu finden, weshalb einige Künstler Todesgenien auch weiblich gestalteten, aber die starke Nachfrage und die Verbreitung dieses Motivs zeigen, dass die Darstellung decodiert werden konnte und beliebt war. Es ist davon auszugehen, dass die weiblichen Genien den zeitgenössischen Auffassungen von beispielsweise Geschlecht, Moral und Glaubwürdigkeit entsprochen haben und zu den Themen Sterben, Tod und Trauer schlichtweg adäquat schienen. Wären die Figuren auf Grund des Geschlechtswandels widersprüchlich oder irritierend wahrgenommen worden, hätten die Familien vermutlich andere Bilder und Motive gewählt, um Trauer und Erinnerung repräsentativ in Szene zu setzen. Über die ikonographische Bilderreihe zeigen sich die deutlichen Bildverwandtschaften mit dem Unterschied, dass einige Figuren männlich und andere weiblich sind. Die ikonographischen Erkennungsmerkmale für weibliche Todesgenien sind die weibliche Figur, die antikisiert oder teilweise bekleidet ist, Flügel, Fackel und Pathosformeln wie der gesenkte Blick, das Anlehnen und Abstützen des Kopfes oder das Ablegen von Gegenständen. Gelegentlich weisen sie wie die männlichen Todesgenien auch nur ein oder zwei dieser Attribute auf. In der gleichen Traditionslinie sind auch weibliche Genien einzuordnen, die ebenfalls antikisiert oder teilweise bekleidet, mit gesenktem Blick und Flügeln dargestellt wurden, aber keine Fackel trugen. Stattdessen konnten sie mit zahlreichen anderen Attributen ausgestattet werden, so dass sie mit Rosen, Immortellen oder individuellen Gesichtszügen den Eindruck einer anderen, profaneren Ästhetik erzeugen als die mythologisch tradierten Hypnos- und Thanatos-Darstellungen (Abb. 104, Abb. 105, Abb. 106, Abb. 107).

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Konsequenterweise könnten also alle weiblich-unkonkreten Engelfiguren als Genien gelesen werden. Gelegentlich erscheinen das Flügelpaar oder die Fackel, welche ursprünglich die Haupterkennungsmerkmale der klassischen Todesgenien waren, neben den üppigen Rosen, Lorbeerkränzen oder Immortellen der Jahrhundertwende lediglich als weiteres Dekorelement. Vor allem auf Grabmälern im Art Deco und Jugendstil treten dekorative Aspekte in den Vordergrund und lassen die Bedeutungsebenen der Attribute und Symbole auf die Dimension ästhetisierter Formen und Orna­mente schwinden. Besonders deutlich wird dies bei der Trauerfigur auf einer Publikation des Hamburger Künstlers Caesar Scharff – Attribute wie Flügel, Fackel, Lorbeerkranz, antikisierte Kleidung und stilisierte Sonnenstrahlen erscheinen als Kompilation von dekorativen Fragmenten zu einem Gesamtkunstwerk (Abb. 108).36 Abschließend lässt sich festhalten, dass die Sepulkralgenien selten auf einen klaren Typus festzulegen sind. Stattdessen ist die Vielfalt der Gestaltungselemente charakteristisch für diese Darstellungen: Attribute, Symbole und Geschlecht wurden variiert, modifiziert und kompiliert. Dabei wurden die Grenzen zwischen tradierten Darstellungsdualismen wie männlich-weiblich, christlich-profan, antik-zeitgenössisch aufgeweicht. In diesen Grabplastiken und Reliefs stecken nicht einfach nur neue Motivvarianten, sondern es lässt sich aus ihnen auch der Wunsch nach Neuschöpfungen im Bild und einer individualisierten Selbstrepräsentation ablesen. Die weiblichen Todesgenien wurden meistens mit Flügeln dargestellt und erscheinen dadurch häufig in enger Bildverwandtschaft einerseits zu geflügelten Göttinnen der Antike, und andererseits zu Engelfiguren des Christentums. Die geflügelten Figuren hatten auf diese Weise das Potenzial, vielschichtige Assoziationen zu wecken. Besonders anschaulich tritt diese Überlagerung von Motivik und Inhalt am Grabmal Stahmer in Ohlsdorf

Abb. 107: Grabstätte Gum­ precht (1911), Arthur Bock, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 108: Frontispiz, Caesar Scharff: Der Hamburger Friedhof und sein plastischer Grabschmuck – Ein Wort an die kunstliebenden Hamburger (1904)

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Abb. 109: Grabmal Stahmer (1897/98), Friedrich Küsthardt, Paul Rinckleben, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 110: Historische Postkarte mit Grabmal Stahmer (1897/98), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg (um 1900)

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zutage, wenn die weibliche Plastik nicht nur unter ikonographischen Gesichtspunkten betrachtet wird, sondern auch mit Blick auf die künstlerische Formfindung und bürgerliche Denkmalkultur (Abb. 109, Abb. 111). Ein weiblicher „Engel“37 schmückt das repräsentative Grab des Hamburger Senators und Präses der Friedhofsdeputation ­Johann Friedrich Stahmer (1818 – 1896) auf einer bewaldeten Erhebung in der Nähe des Nordteichs.38 Nach historischen Friedhofsführern zu urteilen, handelt es sich nicht zuletzt auf Grund der exklusiven Lage um eines der prominentesten Gräber der Jahrhundertwende am Ohlsdorfer Friedhof. In Benraths Friedhofsführer von 1901 wurde das Grabmal als Schauplatz einer Spazierroute vorgeschlagen und das „Stahmer Denkmal“39 – mit seiner lebensgroßen Plastik auf einem ca. zehn Meter hohen Säulenmonument – zu einer der Sehenswürdigkeiten auf dem Friedhof deklariert (Abb. 110). Bei der Plastik handelt es sich um eine weibliche Figur mit Flügeln in eng anliegendem, antikisiertem Gewand, die in der einen Hand Blumen hält und in der anderen einen Palmzweig. Allerdings ist sie ikonographisch nicht eindeutig zuzuordnen und oszilliert zwischen dem Motiv des christlichen Engels und einer antiken Siegesgöttin. Nachdem nämlich ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. die Bilder der Siegesgöttinnen Nike (gr.) und Victoria (röm.) kaum modifiziert auf die Darstellung biblischer Engel übertragen worden waren, setzten sich auch deren Attribute in der christlichen Ikonographie der Engel fort, z. B. ausladende Flügel, einen Kranz oder Palmzweig haltend, auf einem Schild schreibend, mit Medaillon oder Schrifttafel schreitend.40 In diesem Fall treffen die Attribute Palmzweig und Flügel nicht nur auf die Bildtradition des biblischen Engels zu, sondern ebenfalls auf die antike Siegesgöttin. Auch wenn die Figur in Benraths Friedhofsführer als „Engel“ bezeichnet wurde, scheinen Parallelen zwischen der Inszenierung am Grabmal Stahmer und der Inszenierung der Siegesgöttin auf der Siegessäule in Berlin von 1864/73 so offensichtlich, dass sich

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eine tiefere Analyse der Formfindung und Inszenierungsstrategien lohnt (Abb. 111, Abb. 112).41 Die Siegessäule in Berlin steht im Kontext der bürgerlichen Denkmalkultur im späten 19.  Jahrhundert. Nach der Reichsgründung von 1871 wurden vor allem Repräsentativdenkmäler mit Freiplastiken in Gestalt der Nike oder Victoria stark verbreitet, um die neu erkämpfte, nationale Einheit mit einem Bild des Sieges und des Ruhmes zu repräsentieren. Das Vorbild für dieses Motiv war häufig die „Nike von Samothrake“ (vermutl. 190 v. Chr., 2,45 m hoch): 1863 wurden Scherben einer Nikestatue auf der griechischen Insel Samothrake von einer französischen Ausgrabungsgruppe gefunden und nach Paris überführt. Bis in die 1880er Jahre wurden immer wieder einzelne Teile der Plastik von französischen und österreichischen Ausgrabungsgruppen entdeckt – der Kopf und die Arme wurden allerdings nie gefunden und so blieb die Rekonstruktion der Plastik unvollständig (Abb. 113).42 Die Fundstücke zeigen die Siegesgöttin in Landeposition mit offenen Armen bzw. durch die Luft nach hinten gedrückten Flügeln; das dünne, flatternde Gewand wird so dicht an den Körper gedrückt, dass ihr Bauch auf diese Weise entblößt wirkt. Auf Grund der Haltung und des klassischen Proportionsideals galt besonders dieser Nikefund im ausgehenden 19.  Jahrhundert, in der Spätphase des Klassizismus, als Inbegriff formvollendeter Schönheit.43 Die Tatsache, dass Arme und Kopf fehlten, minderte ihre Wirkung nicht, sondern mystifizierte die Figur umso mehr. Darüber hinaus kursierte die Nike von Samothrake in diversen Vorlagenbüchern an europäischen Kunstakademien, um von angehenden Plastikern vervollständigt zu werden – wahrscheinlich, um das klassische Formideal zu studieren und Reproduktionen zu üben.44 Es ist daher wahrscheinlich, dass sich Johann Friedrich Drake (1805 – 1882), der die Victoria für die Siegessäule in Berlin schuf, mit den Rekonstruktionen der Nike von Samothrake beschäftigt

Abb. 111: Grabmal Stahmer (1897/98), Friedrich Küsthardt, Paul Rinckleben, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 112: Historische Postkarte der Siegessäule in Berlin (um 1900) Abb. 113: Nike von Samothrake (ca. 190 v. Chr.), Musée du Louvre, Paris

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hatte. Zum einen war er vermutlich während seines Studiums mit Vorlagenbüchern zeitgenössischer Ausgrabungen und Funde in Kontakt gekommen. Zum anderen war Drake an der Berliner Bildhauerschule Schüler von Christian Daniel Rauch (1777 – 1857), der den Bildtyp der Victoria in einer Symbiose aus Antikenzitat und klassizistischem Stereotyp etabliert hatte. Auf Rauch gehen bis zu seinem Tode mehr als 30 klassizistische Siegesgöttinnen an renommierten, prominenten Aufstellungsorten wie z. B. in der Walhalla zurück. Der Bildtyp der Victoria konnte sich aber auch über die folgenden Jahrzehnte hinaus gewissermaßen zeitlos halten. Die Siegesgöttin war nach der Reichsgründung aktueller und brisanter denn je. Unzählige Victorien wurden ab den 1870er Jahren von Bildhauern wie Drake in Anlehnung an Rauch „in allen denkbaren Verrichtungen ihres Amtes vorgeführt, deren sie für das deutsche Vaterland zu walten hatte“.45 In erstaunlicher Ähnlichkeit zur Nike von Samothrake und Victoria auf der Siegessäule in Berlin fertigte Paul ­R inckleben den Engel für das Grabmal Stahmer nach einem Entwurf von ­Friedrich Küsthardt. Die Figur wurde nach einem Aktmodell gestaltet, anschließend mit Kleidung und üppigen Faltendrappagen modelliert und in Kupfer getrieben.46 Angesichts der räumlichen Inszenierung mit exponierter Topographie und aufwändig angelegten Sichtachsen wird eine enge Bildverwandtschaft zur Siegesgöttin auf der Siegessäule in Berlin bemerkenswert: Auf der schlanken Säule scheint die Grabfigur in einer Höhe von ca. zehn Metern über dem Grabmal zu thronen und wirkt aus weiter Entfernung wie ein Wegweiser zur letzten Ruhestätte des verstorbenen Senators. Dieses Spiel mit räumlicher Wirkung und Per­ spektive ist ein Charakteristikum repräsentativer Denkmalinszenierungen im Deutschen Reich und wurde auch im Arrangement rund um die Siegessäule mit der spezifischen Topographie am Ende des Tiergartens eingesetzt. Nähert man sich auf dem Ohlsdorfer Friedhof der Grabanlage Stahmers, wird deutlich, wer hier

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im Zentrum der Inszenierung steht: In den Sockel unterhalb der Säule wurde eine Büste des Senators so installiert, dass man sich in Augenhöhe auf das Porträt von Johann Friedrich S­tahmer zubewegt. Analog zur Denkmalskultur des späten 19.  Jahrhunderts wurde hier ein Grabmal als öffentliches Personendenkmal installiert, indem ein Sinnbild des Sieges und des Ruhmes in Kombination mit der Büste einer stadtbekannten Persönlichkeit eingesetzt wurde. In der Festschrift über die Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft aus dem Jahr 1909 liest sich der Eintrag zu Stahmer wie eine vorbildliche Sammlung der honorablen Ämter und ehrenwerten Posten der Hansestadt: Stahmer war Geschäftsmann, Hauptmann im Bürgermilitär, Provisor des Waisenhauses, Präses der Handelskammer, Handelsrichter und Mitglied des Obergerichts sowie während seiner Amtszeit im Senat Vorsitzender der zweiten Sektion der Baudeputation und Präses der Friedhofsdeputation Ohlsdorf. In der Festschrift wird auch ausdrücklich das „Grabdenkmal“ Stahmers erwähnt: „Auf dem Ohlsdorfer Friedhof befindet sich das Stahmer von seiner Familie errichtete Grabdenkmal: eine hohe Säule mit Stahmers Reliefbildnis, bekrönt von einem Engel.“47

Ob es sich nun um einen „Engel“ oder eine Siegesgöttin handelt, bleibt subjektive Auslegungssache. Deutlich wird allerdings, dass die Grabstätte als „Grabdenkmal“ inszeniert und rezipiert wurde. Es ist die Inszenierung der weiblichen Plastik, die das Grabmal im Stil eines Denkmals markiert und den hanseatischen Bürgerstolz untermauert. Diese Inszenierungsstrategie – ein privates Grab als repräsentatives Miniaturdenkmal zu arrangieren – ist zwar als Phänomen auf den meisten europäischen Friedhöfen zu beobachten, aber am häufigsten bei Friedhofskonzepten mit weitläufigen Sichtachsen oder Ehrengrabanlagen, wie z. B. in München, Wien, Paris oder in Norditalien.

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Siegesgöttinnen (Nike/Victoria) – christliche Engel – weibliche Engel

Abb. 114: Nike mit Jüngling, Oinochoe des Berliner Malers (vermutl. 5. Jhd. v. Chr.) Abb. 115: Grabmal Bertha Smeets (1936), Algemene Begraafsplaats, Maastricht Abb. 116: Familiengrab Amberger (um 1900), Louis Wethli sen., Friedhof Sihlfeld, Zürich

Zieht man zeitgenössische Kommentare und Veröffentlichungen zur Grabmalkultur heran, wird in Bezug auf weibliche Darstellungen mit Flügeln meist von »Engeln« gesprochen. Es scheint fast so, als hätte der sakrale Raum des Friedhofs die Bedeutungswelt der antiken Göttinnen überlagert und die Rezeption der weiblichen Flügelfigur als christlichen Engel nahe gelegt. Bei genauerer Betrachtung der Inszenierung könnten jedoch, wie gerade gezeigt, viele weibliche Flügelfiguren auch als Siegesgöttinnen identifiziert werden, so dass sich die These aufstellen ließe: Bei weiblichen Grabmotiven mit Flügeln handelt es sich um ein kunsthistorisches Missverständnis. Sie zeigen mythologische Figuren der Antike und keine christlichen Engel (Abb. 114).48 Eine ikonographisch eindeutigere Identifikation ist jedoch über die Attribute möglich, mit denen sich die Figuren in einer Typologie verorten lassen. Symbole wie Posaune, Kreuz, Taube oder ein Buch als Sinnbild der Heiligen Schrift sind Indizien für christliche, biblische Engel, aber auch die Körperhaltung oder Gestik wie z. B. der Finger, der nach oben weist. Vor allem zur Körpersprache hat sich in der Literatur eine ambitionierte Diskussion über die Funktion der himmlischen Boten entsponnen. Engelfiguren, deren Füße über dem Boden zu schweben scheinen und mit dem Finger aufwärts zum Himmel zeigen, sind als Boten der Prophezeiung und Auferstehung zu deuten; Engelfiguren, die nach unten zum Grab und damit zu den Überresten der Verstorbenen gewandt sind, stellen mitfühlende, himmlische Begleiter dar, die zu empathischen Trauernden werden und damit die Anteilnahme an der Trauer der Hinterbliebenen verkörpern.49 Im internationalen Vergleich zeigen sich meist Überlagerungen mit anderen ikonographischen Bild- und Inszenierungstraditionen. Die entschwebende, begleitende Körperhaltung vieler Engelfiguren im südeuropäischen Raum weckt unter anderem Assoziati-

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onen zum mythologischen Psychopompos. Gelegentlich stehen die Pathosformeln der Plastiken auch in Inszenierungstraditionen der Denkmal- und Erinnerungskultur – wie die Beispiele in Maastricht oder Zürich zeigen, demonstriert der andächtige gesenkte Blick oder das Streuen von Blumen auf das Grab die Trauer um das Individuum (Abb. 115, Abb. 116). Gelegentlich erstaunen auch körperbetonte erotische Engelsmotive, wie z. B. der bereits gezeigte Engel von Monteverde in Genua, dessen Reproduktion in Rom oder ein weit ausladender Engel am Grabmal Boehm in Wien, die in beachtlichem Widerspruch zu den geschlechtsneutralen, entsexualisierten Engelgestalten der Bibel stehen (Abb. 117, Abb. 118, Abb. 119).50 Wie sollten weibliche Engelbilder aussehen, um für einen christlich-religiösen Kontext authentisch sein zu können? Um sich ikonographischen Indizien für eine überprüfbare Motivdeutung annähern zu können, ist eine Grundlagenforschung anhand der Bibel notwendig. Genau hier zeigt sich allerdings ein grundsätzliches Problem, das in den vorwiegend kunsthistorischen Untersuchungen offenkundig gänzlich vernachlässigt oder übergangen wurde: In der Bibel gibt es keine weiblichen Engel. Engel werden als geschlechtslos beschrieben oder namentlich eindeutig männlich benannt wie z. B. Luzifer und Gabriel – weibliche Engel sind schlichtweg nicht existent. Noch vor den Engelbeschreibungen in den biblischen Schriften gab es im Alten Orient die Vorstellung von den Cherubinen, die als geflügelte Wesen in Tier- und Menschengestalt im Dienste Gottes standen. In der Bibel werden sie als Wächter des Paradieses und Träger des Thrones Gottes benannt51 und schließlich teils in die Figur des Engels in menschlicher Gestalt überführt. Sie gehören zur Umgebung Gottes, preisen seine Herrlichkeit und führen seinen Willen aus. Im Neuen Testament begegnen die Engel den Menschen sowohl als göttliche Boten52 als auch als himmlische Repräsentanten in der Funktion eines Schutzengels53. Zudem finden sich gottfeindliche, unkonkretere Engelmächte, die von

Abb. 117: Grabstätte Boehm (1903), Zentralfriedhof Wien Abb. 118: Grabstätte Francesco Oneto (o. J.), Giulio Monteverde, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900) Abb. 119: Grabmal Giulio Monteverde (1917), Giulio Monteverde, Cimitero del Verano, Rom

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den Menschen verehrt werden, für die Menschen aber auch Gefahr bedeuten können – diese Mächte wurden schließlich von Christus besiegt und gebannt.54 Engel stehen Gott als eine Art Hofstaat mit hierarchischen Abstufungen zur Seite: Je nach Aufgabe und Funktion werden sie in Cherubim, Serafim und Erzengel, Todesengel und Schutzengel unterteilt (Abb. 120).55 Soweit die Beschreibungen für die Vorstellungen von Engeln in der Bibel; die Darstellungen von Engeln in der Kunst der Volksfrömmigkeit haben hingegen mit dem biblischen Engelbild vielfach nur wenig gemeinsam. Für die abendländische Ikonographie der Engel war die griechische bzw. römische Kunst – also heidnische Vorbilder – von wesentlicher Bedeutung: „Das Christentum hat die zweiflügeligen Engel durch die formalen Typen der Nike bekommen und hat sich offensichtlich nicht nur mit der Übernahme der zwei Flügel von der Nike begnügt, sondern die ganze weibliche Nikedarstellungsweise auf seine Engel übertragen, […].“56

Abb. 120: Sechs-flügeliger Seraf, Santa Maria d’ Aneu, Barcelona, (Ende 11. Jahrhundert) Abb. 121: Erzengel Michael in Rüstung, Versuchung und Triumph Christi nach Ps. 90,11 und 90, 13 im Stuttgarter Psalter (um 820/30)

Die Darstellung von weiblichen Flügelfiguren hatte sich also als ein Geschlechterwechsel zu männlichen Flügelfiguren vollzogen. Mit der Etablierung des Christentums ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. sollten im Folgenden Darstellungstypen kreiert werden, die eine „verbindliche Wiedererkennbarkeit“57 garantierten. Über die Jahrhunderte löste sich die Darstellung von Engeln immer wieder von ihren biblischen Vorlagen und wurde epochenspezifisch modifiziert, wie z. B. durch das Mittelalter hindurch der E ­ rzengel Michael in Rüstung und Kettenhemd als ritterlicher Engel, der priesterliche Engel im liturgischen Gewand oder die kindlich-dekorativen Darstellungen als Putten (Abb. 121).58 Das sakrale Bild zählte zum zentralen Aufgabengebiet der mittelalterlichen Kunst, bis im 15. Jahrhundert von Italien aus neben den religiösen Darstellungen auch weltliche Bildthemen verbreitet wurden, die erneut auf dem ikonographischen Repertoire der

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Antike basierten.59 In den Abbildungen der Renaissance tragen Engel längeres Haar, weite Gewänder und nehmen weichere, quasi weiblichere Konturen an (Abb.  122). Die Darstellung der überirdischen Wesen wurde an das höfische männliche Mode­ideal angeglichen und wirkt im Rückblick als weiblich-konnotiert. Die Selbst-Entdeckung des Menschen gilt als Kriterium der beginnenden Neuzeit und der Kunst der Renaissance. Die optische Anpassung der Engel an ständische, äußerlich sichtbare Merkmale lässt sich als Indikator dieses neuzeitlichen Selbstverständnisses werten.60 Bei genauerer Betrachtung der Ikonographie von Engeln zeigt sich, dass es schwer ist, aus heutiger Sicht Engelbilder ­einer bestimmten Epoche frei von Bildern und Assoziationen späterer Epochen zu sehen. Ikonographisch bestimmen wir die geschlechtsspezifische Zuordnung von Engeln auf Grund von Attributen und Bildtraditionen. Diese sind jedoch abhängig von möglicherweise begrenzter künstlerischer und technischer Darstellbarkeit, persönlichen Interessen von Künstlern oder Auftraggebern, aktuellen Moden und zeitspezifischen Diskursen. Hinzu kommt, dass Abbildungen der Todes- und Schutzengel als Spiegelbild von Wunschvorstellungen des Jenseits gelesen werden können. Dadurch erscheinen Engel als Gegenbilder irdischer Sehnsüchte, Entbehrungen oder Ängste. So gesehen lassen sich Engelsdarstellungen als Träger mehrerer Relationen verstehen: als Überlagerung biblischer Funktionen und Aufgabengebiete, Glaubens- und Religionskonflikte, historisch bedingter Deutungsmuster, tradiertem Darstellungskanon und menschlicher emotional-kompensatorischer Bedürfnisse. Bis in die Neuzeit blieb es zunächst bei dem männlichen/ geschlechtsneutralen und bekleideten/teils bekleideten Engel. Im 19.  Jahrhundert schließlich verliert die „kirchliche Bindung der Kunstwerke ihre bestimmende Kraft zugunsten profaner, bürgerlicher Themen.“61 Nachdem ursprünglich die weibliche, geflügelte

Abb. 122: Verkündigungsengel in Leonardo da Vincis „Verkündi­ gung an Maria“ (1472-1475)

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Gestalt der Nike und Victoria zugunsten der biblischen Vorlage als männlich oder geschlechtsneutral angepasst wurde, scheint mit den weiblichen Grabengeln des 19.  Jahrhunderts erneut ein Geschlechterwechsel – wie bei den Todesgenien auch – notwendig geworden zu sein, um die Darstellung den neuen Vorstellungen adäquat und sinnstiftend anzugleichen (Abb.  123, Abb. 124, Abb. 125). Weibliche Engel – Schutzengel – Auferstehungsengel

Abb. 123: Grabstätte Alsen (1925), Arthur Bock, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 124: Grabmal Alsen (1925), Arthur Bock, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 125: Grabmal Alsen (1925), Arthur Bock, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

Für die Analyse der weiblichen Grabengel lohnt es sich, Bildverwandtschaften auf benachbartem Vergleichsterrain zu suchen. In der populären Druckgraphik wird in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der ursprünglich männliche Schutzengel fast ausschließlich anmutig und weiblich dargestellt (Abb. 126, Abb. 127). Die Druckgraphik, insbesondere Wandbilddrucke, zeigt einige Parallelen zum Phänomen der bürgerlichen Grabplastik dieser Zeit auf: Die Drucktechnik durchlief im Zuge der Industrialisierung enorme Innovationen, so dass Graphiken seriell und kostengünstiger vervielfältigt werden konnten. Auf diese Weise wurden reproduzierte Wandbilder für breitere Schichten zugänglich und deshalb auch populärer gestaltet. Charakteristisch für die populäre Druckgraphik war eine Art »profane Sakralisierung« oder »sakrale Profanisierung«, bei der biblische Bildthemen mit bürgerlichen Kulissen und alltäglichen Situationen verwoben wurden. In diesem Kontext entstanden weibliche Schutzengelmotive, die sowohl in protestantischen als auch in katholischen Mittelstandskreisen beliebt waren.62 Speziell der mittelalterliche Schutzengelgedanke hat sich aus der Tradition des Seelengeleits entwickelt und während dieser Epoche unterschiedliche Bildformulierungen durchlaufen. Populär wurden Schutzengelmotive unter anderem über die reproduzierbaren Wandbilddrucke, die im 19.  Jahrhundert nach

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Vorbild des großbürgerlichen Salons Einzug in die »gute Stube« des aufstrebenden Bürgertums und der Arbeiterschaft hielten.63 Das Motivrepertoire der Wandbilder war meist biblischen, ­religiös-motivierten Themen entlehnt wie z. B. Jesus als Hirte, der segnende Jesus, das Abendmahl oder eben der Schutzengel. Auffällig ist am Bildspektrum der Wandbilddrucke, dass in Schutz­ engelszenen die Flügelgestalten immer als weibliche Engel abgebildet wurden (Abb. 126). Der Typ des Schutzengelbildes ist als eine Art frommes Bezugsbild zu verstehen, in dem ein bürgerlicher Habitus – z. B. repräsentative Raumausstattungen oder modisch gekleidete Kinder – mit schwebenden Engeln nach dem Schönheitsideal des späten 19.  Jahrhunderts verschmolzen wurden. Die Tatsache, dass Schutzengelmotive vor allem von den großen Kunstdruckverlagen in London, Paris, Berlin und München vertrieben wurden, zeigt, dass auf die Nachfrage nach derartigen Motiven reagiert und der Wunsch nach dekorativen kostengünstigen Wandbildern als lukrativer Markt bedient wurde.64 Regelrechte Verkaufsschlager waren zwei Kategorien von Schutzengelbildern: Zum einen Szenen, in denen Schutzengel Kinder in alltäglichen Situationen vor Gefahr warnen und sie beschützen, so z. B. beim Spielen am Wasser, im Wald, auf dem Berg oder in Anlehnung an die Bibel mit Tobias und dem Erzengel ­Raphael beim Gang über einen schmalen Steg, an dessen Ende eine Schlange lauert.65 Zum anderen waren Szenen beliebt, in denen ein Schutzengel mit Kindern betet, sie zu Bett bringt oder über ihren Schlaf wacht. Die Aufgabengebiete der Schutzengel waren gewissermaßen nach „Tages- und Nachtfunktion“66 unterteilt. Trotz der Verweise auf religiöse Kontexte wie das Beten oder den Erzengel Raphael fehlt den Schutzengelsdarstellungen jedoch das biblische Fundament. Hier zeigt sich die gleiche Diskrepanz wie bei den weiblichen Grabplastiken: Den originär männlichen oder geschlechtsneutralen Schutzengeln der Bibel stehen die weiblichen Schutzengelsdarstellungen gegenüber.

Abb. 126: Wandbild mit Schutz­ engel und spielenden Kindern (um 1900)

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Abb. 127: Wandbild mit Schutz­ engel als Seelenbegleiter „Von Gott“, Wilhelm von Kaulbach (um 1900)

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In der Literatur über Wandbilddrucke sorgt die Diskrepanz zwischen originärer Vorstellung von Engeln und zeitspezifischer Darstellung von Schutzengeln lediglich für Randbemerkungen. So erwähnt der Volkskundler und Germanist Wolfgang Brückner, dass der Engel als das Überirdische, nicht Alltägliche, vor bürgerliche Kulissen oder in alltägliche Szenen gerückt wurde und dort in der Bildschöpfung des weiblichen Schutzengels „als füllige Feengestalt, ohne Zweifel weiblichen Geschlechts gedacht entgegen aller christlichen Ikonographie und überlieferten Geist-Vorstellungen der Antike und des alten Orients“67dargestellt wurde. Auch die Volkskundlerin Christa Pieske verweist darauf, dass der weibliche Schutzengel „seines rein religiösen Charakters mehr und mehr entkleidet wurde.“68 Versuchen wir, ikonographische Bildkonventionen zunächst einmal außen vor zu lassen und uns mit der Bildebene der Schutzengel auf Wandbilddrucken zu beschäftigen, so zeigen sich schlichte Szenen, in denen es um Trost, fürsorgliches Begleiten und Behüten, um emotionalen Schutz für Kinder geht: Im Zentrum steht also das Kind, dem der Stellenwert eines schützenswerten Wesens zuteil wurde. Besonders charakteristisch zeigt dies eines der auflagenstärksten Motive der Jahrhundertwende des Münchener Historienmalers Wilhelm von Kaulbach (1805 – 1874) (Abb.  127, Abb.  128).69 Unter dem Titel „Zu Gott“ hält ein weiblicher Schutzengel ein totes Kind in den Armen und begleitet es nach oben in den Himmel. Die Szene erinnert auf den ersten Blick an eine Mutter, die ihr schlafendes Kind auf dem Arm trägt, ihm fürsorglich den Kopf zuwendet und dabei zielstrebig und sicher einen imaginären Weg verfolgt.70 Diese Bildkonstellation mit Kind und Frau ist prototypisch für Darstellungen von Mutter- und Weiblichkeitsidealen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – auch auf den zeitgenössischen Friedhöfen. In was für einer sozialund mentalitätshistorischen Situation etablierten sich also derartige Motive?

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Das Bild der Mutter und die Vorstellungen idealer Mütterlichkeit hatten zu dieser Zeit eine gewisse Brisanz. In einem späteren Kapitel zur Mentalitätsgeschichte wird ausführlicher gezeigt werden, dass sich das Ideal von Mütterlichkeit nicht nur entlang der bürgerlichen Geschlechter- und Erziehungsideale im frühen 19. Jahrhundert im Wandel befunden hatte, sondern bis zur Jahrhundertwende um 1900 immer rigider normiert wurde. Mutterliebe und Mütterlichkeit lassen sich nicht als Instinkte oder ahisto­ rische Konstanten verstehen, sondern sind soziokulturelle Konstrukte, die epochenspezifischen Diskursen unterliegen. Die Liebe zum Kind ist aus historischer Perspektive eine noch recht junge Erfahrung. Während die Geschichtsforschung der Mutterschaft im 17. Jahrhundert eine gewisse Ablehnung und Gleichgültigkeit gegenüber dem Kind attestiert, gilt das 18. Jahrhundert als Wendepunkt für die Geschichte der Mutter-Kind-Bindung mit Wirkung bis über die Jahrhundertwende um 1900 hinaus.71 Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde Mütterlichkeit zu einer spezifisch weiblichen Qualität erkoren und veränderte Erziehungsund Weiblichkeitsdiskurse fortlaufend. Die Liebe zum Kind wurde zur Norm und die Sorge um den Nachwuchs zur Pflicht der Mütter. Im Zuge dessen wurde z. B. der normative Anspruch an Mütterlichkeit komplexer, weil sich ein bildungsbürgerliches ­Ideal durchzusetzen begann, nach welchem die Frau neben der Pflege des Kindes auch seine moralische und intellektuelle Ausbildung betreute. Unter dem Einfluss psychoanalytischer Diskurse um 1900 wurde der Mutterliebe auch die Verantwortung für das Unbewusste und über die Wünsche des Kindes zugeschrieben, so dass nun das Schuldgefühl Eingang in die Herzen der Mütter fand.72 Auch, wenn diese Diskurse zunächst innerhalb einer verhältnismäßig kleinen Oberschicht virulent waren, hatten sie eine normativ-konstituierende Breitenwirkung auf andere Schichten. Im Zuge der Idealisierung von Mütterlichkeit gewann die Lebensphase der Kindheit verstärkt an Bedeutung. Hinzu

Abb. 128: Wandbild und Toten­ andenken; der Schutzengel als Seelenbegleiter „Zu Gott“, Wilhelm von Kaulbach (um 1900)

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Abb. 129: Wandbild zum Andenken an ein verstorbenes Kind mit Schutzengel (um 1880)

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kommt, dass mit einer sinkenden Kindersterblichkeit dem Kind selbst eine größere Bedeutung und Aufmerksamkeit zuteilwerden konnte; aus dem schlichten Grund, weil das Kind bei der Familie blieb und in seiner Entwicklung beobachtet und umsorgt werden konnte. Die Mortalität von Kindern hängt epochenspezifisch von sehr unterschiedlichen und komplexen Faktoren ab und hat nachhaltige Auswirkungen auf die folgenden Generationen. Ausschlaggebend für den Untersuchungszeitraum des langen 19. Jahrhunderts ist, dass zwar bereits in der Frühen Neuzeit die Kindersterblichkeit zu sinken begann, allerdings erst im Laufe des 19. Jahrhunderts beständig weiter zurückging. Gründe dafür liegen in den nachhaltigen Verbesserungen im Bereich der Ernährung, Hygiene und Medizin sowie in den Diskursen über das Stillen.73 Im europäischen Vergleich zeigen sich zwar starke regionale Schwankungen und schichtspezifische Unterschiede, bis zum Ersten Weltkrieg aber nahm das Verhältnis von Todgeburten und Sterbefällen bis 14 Jahren zur Zahl der Lebendge­ burten stetig ab.74 Diese Entwicklung vollzog sich allerdings nicht kontinuierlich bis zu einem Endpunkt Null. Die Mortalität von Kindern blieb auch über die Jahrhundertwende hinaus weiterhin existent. Das bedeutet, dass in einer Phase, in der einerseits die emotionale Mutter-Kind-Bindung als normativ galt und andererseits Kinder in den ersten Lebensjahren seltener starben, der Tod eines Kindes als umso schmerzlicher empfunden worden sein muss. Die Sepulkralkultur bestätigt diese Vermutung: Familiengräber mit Namensnennungen von verstorbenen Kindern und eigenen Grabsprüchen, Grabschmuck, der den Verlust eines Kindes thema­tisierte, Produktangebote von Bestattungsunternehmen wie z. B. Särge und Staffagen in kleineren Größen oder Andachtsbilder mit kindlichen Motiven zeigen, dass für Kinder eine ähnlich aufwändige Trauerkultur praktiziert wurde wie für Erwachsene auch. Möglicherweise kann diese Aussage nur für verstorbene

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Kinder wohlhabender Familien getroffen werden, weil sich nur für diese Kreise derartiges Quellenmaterial erhalten hat. Allerdings könnten die Schutzengelbilder ein kostengünstiges Pendant für die breite Bevölkerung dargestellt haben: Themen wie Kaulbachs Schutzengelmotiv „Zu Gott“ rückten das dekorative Wandbild in den Kontext des Totenandenkens (Abb. 129, Abb.  130, Abb.  131, Abb. 132).75 Mit Blick auf den Kontext Sterben, Tod und Trauer verschmolzen in den Schutzengelmotiven der populären Druckgraphik mehrere Aspekte: 1. In Anlehnung an den christlich konnotierten Engel standen die Schutzengel in der Tradition des Verkünders und Seelenbegleiters; 2. in weiblicher Gestalt und mit geschlechtsspezifischen Pathosformeln fungierte der Schutzengel als Personifikation der Mutterliebe; 3. die Darstellung des toten Kindes markierte die Schutzbedürftigkeit von Kindern zu deren Lebzeiten – darüber hinaus ging es hier aber auch um die Notwendigkeit eines speziellen Geleits für tote Kinder und den Wunsch, sie näher bei Gott wissen zu wollen. Der Tod eines Kindes stellt seit jeher ein prekäres Problem für die Gemeinschaft dar – aus mentalitätshistorischer Sicht spitzte sich das Problem vor allem im Christentum bis zur Neuzeit zu. Häufig kam es vor, dass Kinder ungetauft verstarben oder schon tot, ohne Aussicht auf Taufe, geboren wurden. Da im Christentum der Ritus der Taufe den Eintritt in die christliche Gemeinschaft markiert, wurden ungetaufte Kinder als Gefahr oder Bedrohung für das Wohl der Gemeinschaft wahrgenommen: Tote, ungetaufte Kinder bewegten sich in einer Art Grauzone, in einem Zwischenraum zwischen Himmel und Erde, jenseits eines soziokulturell geschützten Platzes innerhalb der Gemeinschaft. Daher kursierten – an einer Schnittstelle zwischen Religion und Aberglauben – ­diverse Vorstellungen von einem „wütenden Heer“ der Toten bzw. vom „Heer der verlorenen Seelen“, das die christliche Ordnung zu irritieren drohte.76

Abb. 130: Wandbild zum Andenken an ein verstorbenes Kind mit Schutzengel (um 1900) Abb. 131: Wandbild „Der Traum der Mutter“, Thomas Brooks (1852, gedruckt bei W. Zawitz, Leipzig, um 1880) Abb. 132: Wandbild „Die betrübte Mutter“, Thomas Brooks (1855, gedruckt bei W. Zawitz, Leipzig, um 1880)

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Infolge neuer Weltbilder durch die Aufklärung und den Ratio­ nalismus mussten ab dem 18.  Jahrhundert auch die tradierten, religiös definierten Jenseitsbilder revidiert werden.77 Die Taufe von Kindern spielte zwar auch bis ins 19. Jahrhundert noch eine wichtige Rolle, verlor jedoch an zwingender Bedeutung für den Erhalt der sozialen Ordnung.78 In Bezug auf den Tod von Kindern – getauft oder ungetauft – fehlte es nun an bindenden Vorstellungen und Erklärungsmustern. Es waren also neue Bilder notwendig, die den Übergang vom Leben zum Tod verstorbener Kindern vorstellbar und darstellbar machten, aber gleichzeitig mit dem Wandel der bestehenden Diesseits- und Jenseitsvorstellungen Schritt hielten (Abb.  133, Abb.  134). Die Schutzengelmotive erwecken den Eindruck, dass für den Verlust eines Kindes Bildschöpfungen entwickelt wurden, die analog zur Etablierung tröstlicher, ästhetisierter Metaphern wie z. B. den Todesgenien und Trauerallegorien einen friedvollen Übergang in die Sphäre des Ablebens darstellen konnten. Parallelen zeigen sich hier auch in der Literatur wie z. B. bei Heinrich Heines „An die Engel“ von 1851: „Seyd Schild und Vögte Eurem Ebenbilde, Beschützt, beschirmt mein armes Kind, Mathilde. […] Bey Eurer eignen Schönheit, Huld und Milde, Beschwör’ ich Euch, Ihr Engel, schützt Mathilde. [sic!]“79

Abb. 133: Mosaik mit weib­ lichem Schutzengel, Rudolf Jettmar, Kirche am Steinhof, Wien

Mit Hilfe der Kopplung von »Engel« + »Weiblichkeit« markieren die weiblichen Schutzengelmotive also sowohl einen überirdischen Schutz der göttlichen Hemisphäre als auch den rein lebensweltlichen, emotionalen Schutz des mütterlichen Einflussbereichs. Die starke Nachfrage nach derartigen Wandbildern zeigt, dass es bei den Hinterbliebenen den Wunsch gab, verstorbene Kinder unter mütterlicher Fürsorge und emotionalem Schutz über den Tod hinaus zu wissen. Die populäre Druckgraphik gibt Einblicke in die Verschränkung mentalitätshistorischer Prozesse, in denen

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sich Geschlechterdiskurse, religiös motivierte Vorstellungswelten und die Kommerzialisierung dieser Bedürfnisse überlagern. Zugang erhalten wir zu diesen Bildern, indem wir die biblische Realität der Engel mit der alltags- und soziokulturellen Realität vertauschen: Die Schutzengelbilder mit Kindern markieren, dass Kinder als schützenswert gesehen wurden – in der Rückkopplung daran, dass der emotionale Schutz der Kinder den Müttern zugedacht wurde, mussten die Engel in weiblichem bzw. in mütterlichem Duktus dargestellt werden, um glaubwürdig zu sein. Eben diese Verschränkung oszilliert auch in der Darstellung weiblicher Grabengel. Auf den Friedhöfen des späten 19. Jahrhunderts zeigen sich klare Parallelen zur Darstellung des Schutzengels auf Wandbilddrucken. Allerdings lassen sich in der Populärgraphik zwei große Motivgruppen ausmachen – der Schutzengel in der Funktion der Kinderwacht im Alltag sowie der Schutzengel als fliegender Seelenbegleiter verstorbener Kinder im Übergangsbereich zwischen Himmel und Erde  – , die in der Grabmalkultur eher ineinander verschwimmen. Auf den Friedhöfen der Jahrhundertwende wurden stattdessen Sujets etabliert, die als mütterliche Engel, Verkündigungsengel und Seelengeleiter zugleich interpretiert werden können und je nach Arrangement von Attributen, Symbolen und Pathosformeln einen dieser Typen verstärkt assoziieren lassen. Die Variationen reichen von mütterlichen Figuren mit einem oder mehreren Kindern, über scheinbar schwebende Engelgestalten am Tag des Jüngsten Gerichts bis hin zu Motiven mit weiblichem Engel und Erwachsenen, die ikonographisch wiederum den weiblichen Todesgenien ähneln; dazu einige Beispiele, um die thematischen Übergänge und Bezüge im Kontext des mütterlichen Schutzes zu verdeutlichen: Eine besonders szenische, beinahe plakative Darstellung eines mütterlichen Engels ist auf dem Hauptfriedhof in Genua am Grab Queirolo (1893) zu finden. In dem historischen Friedhofsführer heißt es über das Kunstwerk von Giuseppe Navone:

Abb. 134: Grabmal Giuseppe Queirolo (1893), Giuseppe Navone, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900)

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„Quest’artistico monumento, nel quale è simboleggiato l’Angelo Custode che veglia i sonni dei bimbi, è di fattura semplice ed efficace, quasi Fidiaca. Un angelo dal crine ondulato, seduto sopra una culla, ha in grembo un bambino che dorme il sonno placido dell’innocenza. Quell’Angelo personifica l’affetto materno, e par quaggiù disceso per far le veci di una madre. Sulla culla, ai piedi di essa, spiccano candidi fiori, emblemi della purità. La serenità angelica che si nota sui volti dell’angelo e del bimbo, affascina l’osservatore.“ „Dieser kunstvolle Denkmal in dem der auf der Kinder Sehkafen wachende Schutzengel symbolisiert wird, ist von sehr einfacher und kunstreicher, fast Phydiaseher Gestaltung. Ein mit Lockenhaar, auf einer Wiege sitzender Engel, hält auf dem Schosse ein das ruhige Schlaf der Unschuld schlafendes Kind. Dieser Engel wiel die mutterliche Liebe personifizieren, und scheint beinahe zur Erde hinabgestiegen zu sein, und der Mutter Stelle zu vertreten. Auf der Wiege, an deren Füsse sind lilien weisse Blumen, das Emblem der Reinheit. Die engelgleiche Heiterkeit welche aus dem Gesicht des Engels und des Kindes durchscheint entziockt den Beobachter. [sic!]“80

Abb. 135: Grabmal Romanzani (o. J.), Benvenuto Pirotta, Cimitero Urbano, Novara Abb. 136: Grabstätte Roman­ zani (o. J.), Benvenuto Pirotta, Cimitero Urbano, Novara

Auch wenn die Bilderklärung nicht vom Künstler selbst stammt, sondern von einem unbekannten Autor vermutlich aus der Friedhofsverwaltung, bietet sie dennoch einen Einblick in die Vorstellungswelt und den Bilderkosmos der Jahrhundertwende. Die Beschreibung liest sich wie ein ikonographischer Bilderatlas, in dem die Vorstellung des Schutzengels, das personifizierte Mutterbild, der Tod als Schlaf und der Schlaf als reiner, schuldfreier Ort mit der porträthaften Darstellung eines toten Mädchens überein­ andergelegt wurde. Die Bildwelt der weiblichen Schutzengelmotive im 19. Jahrhundert sieht Sandra Berresford zudem unter dem nachwirkenden Einfluss von Romantik und Empfindsamkeit: „Among the figures that lent themselves to the revitalization of Christian imagery is that of the ,guardian angel‘, a figure itself

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connected to Romantic intimism (a sort of privileged and personal relationship between God and the faithful which continues until the final journey […]. The guardian angel became associated with the death of the young because of its maternal character; it was not by the chance that the image soon became increasingly feminine.“81

Diese Engelsmotive mit schlafendem Kind waren vor allem auf norditalienischen Friedhöfen stark verbreitet. Im europäischen Vergleich zeigt sich, dass Inszenierungen wie an der Grabstätte Queirolo verhältnismäßig häufig mit christlichen Attributen ausgestattet und die Kinder mit realistischen, identifizierbaren Zügen dargestellt wurden. Wesentlich profaner können die Inszenierungen wirken, wenn Gebärden im Vordergrund stehen, die eine starke emotionale Bindung zwischen Kind und Engel erkennen lassen und – wie auch bei den Schutzengelbildern – Assoziationen zur Personifikation der Mutter bzw. der Mutterliebe wecken. Diese Figuren halten ein oder mehrere Kinder auf dem Schoß, wie z. B. am Grabmal Romanzani (o. J.) in Novara (Abb. 135, Abb. 136) oder im Halbrelief für Lisi Heilmann auf dem Nordfriedhof in München, das als Replik auch am Wilmersdorfer Friedhof in Berlin zu finden ist (Abb.  137, Abb.  138). Der mütterliche Charakter der Engel überwiegt hier auf Grund der Pathosformeln: Die Kinder werden fürsorglich im Arm gehalten, ihnen wird der Kopf zugewandt, um einen Kuss anzudeuten oder einen letzten Blickkontakt zu den Kindern herstellen zu können. Die Flügel nehmen hier einen geringeren bzw. dekorativen Stellenwert ein und können eher als Verweis auf den Schutz und die Sphäre des Übergangs gelesen werden. Die Szenen und Gestaltungselemente wurden derart arrangiert, dass sie einen breiten Interpretationsspielraum bieten: Der christliche Engel wurde verwoben mit der Vorstellung des Psychopompos und des Schutzengels – auf diese Weise konnten die Vorstellungen vom Tod als Schlaf widerspruchslos korrespon-

Abb. 137: Grabmal Lisi Heil­ mann (28.01.1896-15.01.1906), Nordfriedhof München Abb. 138: Grabmal für „Evchen“, Familiengrab Schönthal (1922), Friedhof Wilmersdorf, Berlin

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dieren mit dem Wunsch nach göttlichem und mütterlichen Schutz für die Kinder über ihren Tod hinaus. Auferstehungsengel – Verkündigungsengel – empathische Engel

Abb. 139: Auferstehungsengel mit Kind (o. A.), Zentralfriedhof Wien Abb. 140: „Engel der Auferste­ hung“ mit der „verstorbenen Seele“, Grabmal Parpaglioni (1884), Federico Fabiani, Cimi­ tero di Staglieno, Genua (um 1900) Abb. 141: Grabmal Maria Pais Nogueire Quadrio (o. J.), nach Federico Fabiani, Cemitério dos Prazeres, Lissabon

Differenzierter zu betrachten sind Grabengel, die mit einem Finger nach oben zeigen: Diese Figuren stehen im Kontext der Auferstehung und stellen somit einen wesentlich stärkeren Bezug zu biblisch-motivierten Vorstellungsbildern her. Allerdings haben die Künstler das Motiv für die Grabmalkultur nicht streng aus der Heiligen Schrift abgeleitet, sondern Attribute, Symbole und Geschlecht recht flexibel gewählt. Dadurch kommt es je nach Inszenierung zu Bildähnlichkeiten mit Schutzengelbildern, Psychopompos- oder Todesgeniusdarstellungen. Das charakteristischste Merkmal für Auferstehungsengel ist der Fingerzeig in Richtung Himmel. Meist nehmen sie eine verstorbene Person bei der Hand, halten sie auf dem Arm oder legen einen Arm schützend um sie; sie tragen Flügel, sind in lange Gewänder gekleidet oder teilweise bekleidet und bestärken ihr Ziel, indem sie nach oben blicken oder die Person an ihrer Seite zuversichtlich ansehen. Begleiten diese Auferstehungsengel ein Kind, lässt sich anhand von Pathosformeln und Blickkontakt gleichzeitig eine Schutzengelszene assoziieren – auch, wenn die geflügelte Figur männlich dargestellt wurde (Abb. 139). Auferstehungsengel begleiten in der Grabmalkunst nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene. Auf dem Familiengrab Parpaglioni in Genua verband Federico Fabiani82 eine Auferstehungsszene, die als Reproduktion auch in Lisabon zu finden ist, stilistisch und inhaltlich mit den vertrauensvollen Gesten eines Schutzengels und der zuversichtlichen Körpersprache des Psychopompos (Abb. 140): „L’Angelo della Risurrezione, librandosi sopra l’anima dell’estinta, rappresentata umanamente, invoca il Signore che l’accolga nell’e-

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terna gloria. Impressionante e’ veramente l’espressione celeste di quest’anima che sotto la guida dell’Angelo si libra al Cielo. Bene indovinato il naturale panneggio.“ „Der Engel der Auferstehung, der auf der menschlich dargestellten verstorbenen Seele hinauf schwebt, erfleht vom Gotte, dass Er sie im Himmel aufnehme. Wirklich wirksam ist der himmlische Ausdruck der Seele, die unter der Führung des Engels im Himmel schwebt, Gut erfunden die natürliche Drappirung. [sic!]“83

Die gelungene Darstellung eines Auferstehungsengels erkannte man offensichtlich an der Andeutung des Schwebens – dieses Kriterium vermittelt nicht nur der historische Friedhofsführer, sondern die Grabmäler selbst belegen, dass offensichtlich großer Aufwand und handwerkliche Raffinesse betrieben wurde, die Figuren fliegend, schwebend und entgleitend zu präsentieren. Mit Hilfe von stilisierten Wolkentürmchen, weich wehendem Haar und eng­ anliegender, aufwändig drapierter Kleidung sollte der Übergang in eine andere, höhere Sphäre veranschaulicht werden (Abb.  140, Abb.  141, Abb.  142). Wie auch sonst kann die Transformation der Seele aussehen? Schließlich musste das Bildvokabular für einen sanften Übergang der Verstorbenen und eine tröstliche Perspektive für die Hinterbliebenen erst gefunden werden. Anhand solcher Details entsteht der Eindruck, dass auch bei religiös motivierten Motiven die ästhetische Formfindung und die tröstliche Aussicht auf ein ewiges Leben für die Künstler und Auftraggebenden von Interesse waren. Die Auferstehungsszenen in der Grabmalkultur des 19.  Jahrhunderts spielen auf die Auferstehung Jesu, den Tag des Jüngsten Gerichts und die Erweckung der getauften, verstorbenen Christen zum ewigen Leben an – all diese Bezugspunkte wurden im Bild des Auferstehungsengels gebündelt. Einige Engelsdarstellungen verweisen eher allgemein auf die Auferstehung Christi wie sie z. B. in Julius Schnorr von Carolsfelds Bilderbibel in den 1860er Jahren dargestellt wurde: Eine androgyne, geflügelte Figur mit langem

Abb. 142: Engel mit Perso­ nifikation der verstorbenen Seele (o. A.), Louis Wethli sen. (vermutl.), Friedhof Sihlfeld, Zürich Abb. 143: Auferstehungsengel in der Bilderbibel von Julius Schnorr von Carolsfeld (18521860)

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Abb. 144: Grabmal Keller (1906), Anton Schmidt (WMF), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 145: Verkündigungsengel mit Flügeln, ohne weitere Attribute (o. A.), Brompton Cemetery, London Abb. 146: Grabmal Martens (1916), Fidel Binz (WMF), Fried­ hof Ohlsdorf, Hamburg

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Haar und antikisiertem Gewand zeigt mit einer Hand nach oben und mit der anderen in das leere Grab (Abb.  143). In der Grabmalkunst fehlt allerdings meist die Geste in Richtung des leeren Grabes. Stattdessen halten die Figuren in dieser Hand ein Kind, die Personifikation einer verstorbenen Seele oder schlicht einen Palmzweig oder ein Kreuz wie z. B. am Grab der Familie Keller (1906) in Ohlsdorf (Abb.  144).84 Es wurden auch schlichte, fast minimalistische Engelfiguren in Auftrag gegeben, die lediglich über den Fingerzeig und das Flügelpaar als Auferstehungsengel zu identifizieren sind (Abb. 145). Zudem zeigen sich im europäischen Vergleich auch flexiblere Darstellungen des Auferstehungstypus, die auch in Anlehnung an das Bild des Todesgenius oder Seelenbegleiter interpretiert werden können, wie z. B. in Ohlsdorf auf den Grabstätten Martens oder Gültzow (Abb. 146, Abb. 147).85 Andere Auferstehungsengel lassen sich auf Grund des Attributs der Posaune eher im biblischen Kontext des Jüngsten Gerichts identifizieren. In Schnorr von Carolfelds Bilderbibel werden die sieben Engel am Jüngsten Tag mit sieben Posaunen dargestellt (Abb. 148). Auf den Grabmälern wird diese Szene auf einen Engel mit Posaune reduziert, wie wir sie bereits bei dem Engel von ­Monteverde kennen gelernt haben. Gelegentlich werden die Auferstehungsengel mit Posaune auch mit weiteren christlich konnotierten Symbolen ausstaffiert, wobei die Kombination mit Mohnblüten oder Mohnkapseln ebenfalls in Richtung des mythologischen Todesgenius gedeutet werden kann und dann die Posaune leicht mit einer verloschenen Fackel zu assoziieren ist (Abb. 149). Die variierenden Attribute und Symbole weichen vor allem auf klassizistischen Monumenten die Grenzen zwischen christlichen, mythologischen und profanen Bildern auf. Dennoch zeigt das Spektrum an Auferstehungsengeln, dass sie nicht auf die möglichen Schrecken des Jüngsten Gerichts oder Todes abzielen, sondern vielmehr ein romantisches, ästhetisches Pathos verkörpern. Die Figuren haben nicht die Aufgabe, die Toten in ihr selbstverschul-

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detes Schicksal zu führen, sondern sie vermitteln das Potenzial, die Seele der Verstorbenen behutsam in eine andere Sphäre überführen zu können – wenn schon nicht mehr die Vorstellungen zu Tod und Jenseits durch den Glauben gesichert waren, sollte zumindest der Weg in diese andere Sphäre sicher begleitet werden. Gerade die weiblichen Bildschöpfungen in Anlehnung an christliche Traditionen machen deutlich, wie sehr sich der bürgerliche Tod in eine ästhetisierte, emotionalisierte Trauerkultur gewandelt hatte. Speziell die weiblichen Auferstehungsengel des späten 19. Jahrhunderts erscheinen als mehrdeutige und hybride Bildschöpfungen. Möglicherweise lassen sie sich in einer gemeinsamen emotionalen Komponente zusammenfassen: Sie vermitteln den Eindruck, als wüssten sie, wohin es nach dem Tod geht; sie begleiten, schützen, trösten und sind emotionaler Beistand – nicht nur für die Verstorbenen, auch für die Hinterbliebenen. Es gibt allerdings auch Beispiele, die von diesem konsistenten Bild des tröstenden Begleiters abweichen. Dazu möchte ich genauer auf eine spannungsreiche Grabplastik am Mailänder Monumentalfriedhof eingehen, die als „tröstender Engel“ betitelt ist. Für das Familiengrab Brivio (1894) stellte der Bildhauer Alberto Sassi (1869 – 1952) auf einem steinernen Marmorbett die 16 jährige Zaira Brivio (1876 – 1893) so realistisch wie auf einem Krankenbett dar – schmal, geschwächt, mit geöffnetem Mund und geschlossenen Augen ist nicht klar, ob die Figur eine Sterbende oder eine Tote verkörpert (Abb. 150). Neben der jungen Frau sitzt ein weiblicher Engel mit überdimensionalen Schwingen. Mit der Rechten hält er das Mädchen im Arm und legt den riesigen rechten Flügel um seinen Körper. Die stilisierte Oberflächenstruktur der Flügelfedern ähnelt der Draperie des Bettüberwurfs, so dass der rechte Flügel wie ein Teil des Bettes und der Grabarchitektur wirkt und damit den fiktiven Raum des überirdischen Schutzes erweitert. Der linke Flügel hängt kraftlos seitlich neben dem Bett bis auf die Erde. Vorn übergebeugt kauert der Engel neben dem

Abb. 147: Grabmal Gültzow (1918), Reinhold Boeltzig, Fried­ hof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 148: Szene des Jüngsten Gerichts in der Bilderbibel von Julius Schnorr von Carolsfeld (1852-1860) Abb. 149: „Engel der Auferste­ hung“, Grabmal Rocco Piaggio, Fabiani (1877), Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900)

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Abb. 150: „Tröstender Engel“, Familiengrab Brivio (1894), Alfredo Sassi, Cimitero Monu­ mentale, Mailand (um 1900) Abb. 151: Grabstätte Hanssen (1887/1901), Bruno Kruse, Gemeinschaftsgrab Laeisz/ Canel/Hanssen/Meerwein, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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Mädchen auf dem Krankenbett und hält den Kopf in die Hand gestützt. Im Vergleich zu gängigen Pathosformeln der ›Trauernden‹, bei denen das Kinn in die Hand gestützt oder eine Hand an die Brust oder vors Gesicht gehalten wird, scheint dieser Engel die Augen zu verdecken, als müsste er den Blick abwenden. Der jungen Frau ist die Krankheit zwar ins Gesicht geschrieben, dennoch scheint sie ruhig, ihrem Schicksal ergeben, zu schlafen. Der Engel dagegen wirkt auf Grund seiner Gebärden von der Szene tief gezeichnet: Die Körpersprache lässt Versagen assoziieren, Schmerz, Verlust, Ohnmacht, Verzweiflung. Unabhängig davon, ob die Figur einen Auferstehungs- oder Schutzengel darstellen soll, personifiziert sie in dieser Situation angesichts der überirdischen Stärke, die Engeln zugeschrieben wird, das Versagen. Sie demonstriert weder Schutz, Seelengeleit oder Aussicht auf Erlösung; sie vermittelt nicht die transzendente Stärke, stolze Schicksalhaftigkeit oder erbauliche Zuversicht der bisher vorgestellten Grabengel. Trotz des Titels „Tröstender Engel“86 erscheint die Inszenierung eher einen »trauernden Engel« zu zeigen – er vermittelt den Betrachtenden Trost, weil er ihnen empathisch vor Augen führt, dass sie in ihrer Trauer um die Verstorbenen nicht allein seien. Möglicherweise wurde auch in den mütterlichen Schutz­ engelbildern das Moment der Empathie entlang der Pathosformeln angelegt: An erster Stelle der gesenkte oder schweifende, nicht greifbare Blick bzw. die verdeckten Augen, zudem verstärkt durch eine Körperhaltung, bei der die Figur beispielweise Arme, Flügel und Schultern nach unten senkt. Grabengel wie an der Grabstätte Hanssen in Hamburg-Ohlsdorf amalgamieren auf eine komplexe Art mehrere Deutungs- und Bedeutungsebenen (Abb.  151). Sie spenden Trost, weil sie eine Art „verlängerten Arm“ der Mutterliebe verkörpern und suggerieren die Sorge um das Kind über das Leben hinaus; sie vermitteln Tröstliches, weil sie im Kontext überirdischen Schutzes, des Göttlichen, des Psychopompos, am Übergang zum Transzendenten stehen; und – ausschlaggebend sind

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nun die Pathosformeln – sie spenden Trost, indem sie ein Moment der Identifikation für die Hinterbliebenen stiften. Empathische Engel – Mutterbilder – Mutter Natur Die Figurengruppe am Grabmal Hanssen zeigt eine andere Szene, aber ganz ähnliche Inszenierung: Ein weiblicher Engel sitzt am Familiengrab, hält mit der Rechten ein blumenstreuendes Kind im Arm, in der Linken einen Kranz (Abb. 151).87 Das Kind wirkt, als wäre es in Bewegung, im Begriff, die Blumen auf das Grab zu streuen. Der Engel wirkt dagegen fast teilnahmslos – er blickt nach unten, ohne Körperspannung, Arme scheinen kraftlos, Flügel aufgestellt, aber nicht aktiv in Flughaltung. Wie in der Inszenierung von Sassi musste auch dieser Engel seine charakteristische Erhabenheit und Souveränität einbüßen. Im Gegensatz zu Sassis Grabmal betrauert die Figur allerdings nicht ein totes Kind an seiner Seite, sondern das Familiengrab wird zum Ort seiner Trauer. Der weibliche Engel steht hier in enger Bildverwandtschaft mit sepulkralen Mutterbildern. Beinah prototypisch für dieses Motiv wurde ebenfalls in Ohlsdorf die Figurengruppe am Grabmal ­Matthaei inszeniert: Eine weibliche, mütterliche Figur, die sitzend mehrere Kinder, manchmal auch Erwachsene an ihrer Seite hat und ihre Arme um sie breitet (Abb. 152).88 Meist tragen diese Figuren ein langes Gewand, einen langen Schleier bzw. langes Haar, das an die Silhouette eines Schleiers erinnert. Ihr Blick ist nach unten gerichtet, sie wirken bedächtig, schicksalsergeben, entrückt (Abb. 153, Abb. 154). Diese Figuren fungieren als Sinnbilder für »die Mutter« oder »die Mütterlichkeit« und sollen – gemäß der Geschlechtsnormative, vergleichbar der Geschlechtlichkeit der weiblichen Schutzengel – emotionalen Schutz, Beistand, Zuflucht und Trost suggerieren. Der Eindruck des Schutzes und der Zuflucht wird vorwiegend durch die Haltung der Arme erzeugt: Indem die Arme zur Seite

Abb. 152: Grabmal Matthaei (1914), Frida Matthaei-­ Mitscherlich, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 153: Figurengruppe (o. A.), Cemitério dos Prazeres, Lissabon Abb. 154: Grabmal Jaffé (1904), Reinhold Felderhoff, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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Abb. 155: Schutzmantelma­ donna Perugia, S. Francesco al Prato; Banner von Bendetto Bonfigli (1464) Abb. 156: „Ja der Geist spricht, dass sie ruhen sollen von ihrer Arbeit“ (Offenbarung 14,13), Grabstätte Zenning/Deussen (1912/13), Ludolf Albrecht, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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gebreitet und dabei von dem weiten Gewand oder Schleier bedeckt werden, entsteht der Eindruck eines Umhangs oder Schutzraums, der um die Kinder oder andere Figuren gelegt wird. In der religiösen Kunst ist bereits seit dem 12./13. Jahrhundert das Motiv der Schutzmantelmadonna bekannt (Abb. 155). In diesen Mariendarstellungen finden einzelne Gläubige bzw. die gesamte christliche Gemeinschaft unter einem gebreiteten Mantel Zuflucht und stehen damit unter Mariens Schutz. Das Motiv der Schutzmantelmadonna steht in keinem direkten Verwandtschaftsverhältnis zur Sepulkralkultur oder zur Kunst des 19. Jahrhunderts, aber die formbestimmenden Pathosformeln lassen sich auch in den Mutterbildern der bürgerlichen Grabkunst wiederfinden. Die Grabplastiken in dieser Art der Inszenierung wirken allerdings meist profan und lassen keine klaren Rückschlüsse auf die christliche Bildtradition zu. Auch bei den weiblichen Engeln am Grabmal ­Brivio und Hanssen entsteht der Eindruck, als würden die Flügel wie ein zweites, noch weiteres Paar Arme einen imaginären Schutzraum über den Figuren markieren, doch selbst diese Engelfiguren erzeugen ein eher profanes Gesamtbild.89 Im europäischen Vergleich zeigt sich, dass das Sinnbild der Mutter besonders im protestantischen Raum stark und in vielen Abwandlungen verbreitet war. Dazu einige Beispiele: Am Grabmal Zenning/Deussen am Friedhof Ohlsdorf lehnen sich von beiden Seiten je ein Paar in die ausgebreiteten Arme einer monumentalen Mutterfigur (Abb.  156).90 In Kombination mit der Inschrift „Ja der Geist spricht, dass sie ruhen sollen von ihrer Arbeit“ wird die Semantik um das Mütterliche um die Dimension Ruhe, Rast, Erholung erweitert. Das Sinnbild »Mutter« verkörpert hier nicht nur einen emotionalen, fürsorglichen Schutzraum, sondern auch einen rein lebensweltlichen Schonraum. In dieser Inszenierung kommen die bürgerlichen Idealvorstellungen und Sehnsüchte zum Ausdruck, die im Bild der Mutter einen Ort des Rückzugs aus der alltäglichen, arbeitsreichen und aufreibenden Welt erhofften.

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In Ohlsdorf gibt es neben anderen Mutterbildern eine Inszenierung, die im Vergleich reduzierter, aber nicht weniger bedeutungsstark wirkt. Am Familiengrab Claussen wurde ein Halbrelief mit einer weiblichen Figur in weitem Gewand, langem Schleier und ausgebreiteten Armen nicht in einer Figurengruppe dargestellt, sondern alleine (Abb.  157). Indizien für das Sinnbild der »Mutter« oder »Mütterlichkeit« geben ausschließlich die Körperhaltung, die Pathosformeln und die Grabinschrift: „Ich will euch trösten wie einen seine Mutter tröstet.“91 Eine kleine Geste in den Pathosformeln verändert hier allerdings den Gesamteindruck. Die Handflächen sind geöffnet nach vorne gewandt mit dem Effekt, dass die Mutterfigur so aussieht, als würde sie die Arme öffnen, um jemanden in die Arme zu schließen oder in Empfang zu nehmen. Einerseits kann die Grabinszenierung im Sinne des Memento mori als bedrohlich empfunden werden. Andererseits kann sie auch hoffnungsvoll interpretiert werden, weil hier der Abschied als ein Moment umgedeutet wurde, in dem wahlweise die Verstorbenen oder Trauernden schützend und vertrauensvoll aufgenommen werden. Mutter Natur – Mutter Erde – die trauernde Mutter Ebenfalls als hoffnungsvoll können Mutterbilder gedeutet werden, wenn der Blick der Mutterfigur nach oben gerichtet ist (Abb. 158). Wie bei den Auferstehungsengeln entsteht der Eindruck, dass der Blick den Weg in den Himmel weist und lässt sich somit im Kontext von Auferstehung und Wiedergeburt einordnen. Zudem verstärkt die Geste die soziokulturelle Bedeutung von Weiblichkeit und Mütterlichkeit, weil das Bild der Mutter gleichermaßen für das Zyklische, für Geburt und Fruchtbarkeit steht und somit das symbolische Potenzial für Wiedergeburt und ewiges Leben bietet. Vor diesem Hintergrund wurden für die Grabstätten des 19. Jahrhunderts auch profane Fruchtbarkeitsbilder konzipiert, die z. B.

Abb. 157: „Ich will euch trösten wie einen seine Mutter tröstet“ (Jesaja 66, 13), Grabmal Claus­ sen (1912), Arthur Bock, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 158: Grabstätte Hasler (o. A.), Friedhof Sihlfeld, Zürich

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Abb. 159: Grabstätte Uhlmann (1906), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 160: Grabmal Uhlmann (1906), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 161: Grabstätte Victorius (o. A.), Bereich Alte Umbettung, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin

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in der Allegorie der Flora als Blumen streuende oder pflanzende junge Frau zu finden ist (Abb. 159, Abb. 160, Abb. 161, Abb. 162, Abb. 163. Abb. 164). Solche Darstellungen gehen auf archaische Ideen- und Bildwelten zurück, in denen die Komponenten Weiblichkeit – Mutter – Natur synergetisch verknüpft und daraus weibliche Personifikationen abgeleitet wurden wie z. B. die »Urmutter«, »Mutter Erde«, »Mutter Natur« oder »Magna Mater«, aber auch Göttinnen wie Gaia, Demeter oder Kybelis.92 In der Kunst ist das Bild der Mutter alt und immer wieder neu, es ist archaisch und zu jeder Zeit aktuell, es wird in den unterschiedlichen Epochen und Diskursen tradiert und rezitiert oder verworfen und neu formuliert. Auch die Natur wird kulturhistorisch gesehen in unterschiedlichen Epochen stets aufs Neue wahrgenommen, gedeutet und bewertet. Die Verknüpfung von Mutter und Natur hat im Lauf des 19. Jahrhunderts allerdings einen Paradigmenwechsel erfahren: Um 1800 wurde über Vordenker wie Rousseau oder Herder die Maxime populär, dass der Mensch nach seinem Naturzustand als seinem eigentlichen Urzustand streben solle und die Natur als kulturelles Gegenstück und ethische Alternative zu Luxus und Sitten der Höfe erleben könne. Im selben Kontext wurde die fortschreitende Zivilisation für das Aufkommen von Argwohn, Gier, Misstrauen oder Sittenverfall verantwortlich gemacht. Vor diesem Hintergrund wurde der Natur keine geringere Rolle zugedacht, als die der heilenden Erneuerin der Gesellschaft. Diese Rolle wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts parallel zu den industriellen Technologieschüben und zunehmenden gesellschaftlichen Missständen immer weiter zugespitzt.93 Die Natur konnte nun als ideologischer Gegenentwurf formuliert und künstlerisch als solcher ausformuliert werden. Hinzu kommt, dass die Natur ab dem späten 18. Jahrhundert nicht nur unter dem Einfluss der Aufklärung, sondern auch der empirischen Naturwissenschaften wie z. B. dem Darwinismus zu

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einem eigenen Ordnungs- und Erklärungsmodell erhoben wurde. So verlor in den folgenden Jahrzehnten unter anderem die biblische Schöpfungslehre zunehmend ihr allgemeingültiges Erklärungspotenzial zugunsten empirischer Herleitungen aus der Natur und Tierwelt. »Natur« bedeutete nun sowohl die Sehnsucht nach einem Urzustand als auch den evolutionären Ursprung, den Beginn und das Werden der Menschheit. Ausdruck finden diese Tendenzen unter Schlagworten wie der Empfindsamkeit, der Romantik, dem Biedermeier oder dem Historismus. Gleichzeitig aber begannen die sich entfaltenden Industriegesellschaften beispielsweise durch das Aufkommen der Dampfmaschine, der künstlichen Beleuchtung oder hygienischer Vorkehrungen im Arbeiten, Wohnen und Leben von den Zyklen der Natur zu entfernen. Wurde die Natur gerade noch personifiziert als die sanfte, nahrungsspendende Mutter oder in Einzelfällen auch als die wütende, ungezähmte Natur, veränderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre künstlerische Darstellung nun auf die gleiche Weise, wie auch ihre Wahrnehmung und Projektion im Begriff waren sich zu ändern: „Die Metapher von der Erde als der nahrungspendenen Mutter sollte allmählich in dem Maße verschwinden, wie es der wissenschaftlichen Revolution gelang, das Bild der Welt zu mechanisieren und zu rationalisieren. Die andere Metapher – Natur als Störung und Gesetzlosigkeit – rief einen wichtigen modernen Gedanken auf den Plan: den der Gewalt über die Natur. Zwei neue Ideen, die des Mechanismus und die der Naturbeherrschung und -bemächtigung, wurden zu zentralen Konzepten der modernen Welt.“94

Abb. 162: Grabmal Victorius (o. A.), Bereich Alte Umbettung, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin Abb. 163: Grabstätte Pechstein/ Eisermann/Stöcker/Ritter (1910, heute Kamski), Friedhof Grune­

Vor allem in den technologiedynamischen Ländern wie England, Frankreich oder Deutschland kam es nun zu einem fast paradoxen Nebeneinander von Idealen; einerseits wirkte noch der Wunsch nach dem natürlichen Urzustand der Aufklärer nach, andererseits sollte die Natur zugunsten des Fortschritts bezwungen und über-

wald, Berlin Abb. 164: Grabmal Pechstein/ Eisermann/Stöcker/Ritter (1910, heute Kamski), Friedhof Grune­ wald, Berlin

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Abb. 165: Grabstätte Alvaro de Almeida (o. A.), Cemitério dos Prazeres, Lissabon Abb. 166: Grabmal Alvaro de Almeida (o. A.), Cemitério dos Prazeres, Lissabon Abb. 167: Grabmal Rieck (1923), Franz Dorrenbach, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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wunden werden. Dieses Spannungsfeld bildete das ideologische Fundament, die Natur als Gegenentwurf und Utopie zu beschwören: Der Mensch hatte sich aus der theologischen Schöpfungslehre emanzipiert mit dem Effekt, dass er begann, den Ursprung „­sentimentalisch-elegisch zu preisen – als verlorenen – oder ihn utopisch in eine stets sich entziehende Zukunft hinein zu entwerfen: der Ursprung als Ziel.“95 In Bezug auf Geburt und Natur resultierte daraus ein ambivalentes Verhältnis zwischen fortschrittlichem Interesse und selbstreflexivem Unbehagen: Die Mutternatur konnte als utopischer Gegenentwurf zur männlich besetzten Rechts- und Arbeitswelt gedacht werden. Aus diesen lebensweltlichen Erfahrungen heraus scheint die Sehnsucht nach den sepulkralen Mutter-­ErdeBildern entstanden zu sein. Die Motive markieren das Ziel im Ursprung. Abschied und Tod führen zurück in den Beginn des eigenen Seins. Im historischen Verlauf spezifizierten sich die Naturbeziehungen kontinuierlich über das 19. Jahrhundert hinaus und gipfelten gewissermaßen in den Reformbewegungen, in neuen Vorstellungen, Bildern und Idealen eines naturnahen bzw. naturbezogeneren Lebens, zu Beginn des 20.  Jahrhunderts. Die zahlreichen Mutter-Erde-Bilder auf den Friedhöfen sind damit sowohl als Spiegelbild ihrer Zeit zu verstehen als auch als Resultat oder Essenz einer Sozialisation im Laufe des 19. Jahrhunderts. Der bis heute erhaltene Bestand an Mutter- und Mutter-­NaturMotiven zeigt im europäischen Vergleich, dass diese sowohl in katholischen als auch in protestantischen Regionen verbreitet waren und überwiegend als allgemeingültige Sinnbilder konzipiert wurden. Ab 1900 kommt es zu immer facettenreicheren Abwandlungen, wie z. B. im Bild der Schwangeren, in besonders intimen, zärtlichen Szenen zwischen Mutter und Säugling oder in der Darstellung der stillenden Mutter (Abb.  165, Abb.  166, Abb.  167, Abb.  168).96 Bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges hinein stand die Mutter als Schlagbild für das Prinzip Geburt bzw. Frucht-

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barkeit und bot in der Sepulkral- und Trauerkultur die Möglichkeit, Ängste zu kompensieren, weil es das Prinzip Tod außer Kraft setzte. In der bürgerlichen Grabmalkunst können alle Varianten an Mutter-Bildern als eine Metapher für Ewiges Leben gelesen werden, weil sie die Bedeutungsebenen von Wiedergeburt, Weiterleben in den Nachkommen und ewiges Gedenken subsumieren. So häufig die profanen Sinnbilder der Mutter in der Grabmalkultur des 19.  Jahrhunderts waren, so selten waren Abbildungen konkreter Mütter, identifizierbarer Frauenfiguren am Grab ihres verstorbenen Kindes. Diese Inszenierungen stellen Ausnahmen dar. Sie bieten einen speziellen Zugang zur Trauer- und Familienkultur in der Geschichte, weil in ihnen ganz spezifische Gefühle materialisiert wurden, die innerhalb historischer Gefühlswelten verortet waren. Eine solche Ausnahme ist das Grabmal der Familie Izar in Mailand, das dem Familienoberhaupt Federico Izar (1880), einem erfolgreichen Eisenhändler, und seinen Söhnen (1897/1902) galt (Abb. 169, Abb. 170). Wir können davon ausgehen, dass die Inszenierung des Bildhauers Felice Bialetti (1869 – 1906) am ­Mailänder Zentralfriedhof eine gewisse Breitenwirkung gehabt hat, weil es sich um das Grab einer angesehenen Familie und einen repräsentativen Künstler handelte, es an der Hauptachse unweit des Haupt­ eingangs lag und in einem zeitgenössischen Friedhofsführer neben anderen »Kunstwerken« besprochen wurde. Dort heißt es: „Das Denkmal stellt das Innere eines Grabes vor. Die auf dem Rücken liegenden und sich küssenden Bronzefiguren symbolisieren die zwei Verstorbenen, in dem ewigen Leben vereinigten Brüder, die ihre Arme nach der überlebenden Mutter vorstrecken, um sie über den unendlichen Kummer zu trösten. Die sitzende Figur stellt die Mutter selbst vor, die mit einen Rosenkranz in den Händen betet. Die Blumen die die beiden Körper umschlingen symbolisieren die zwei jungen Esestenzen. Das Centralmedaillon trägt das Bild des Familienoberhauptes, die seitlichen Medaillons tragen die Bilder der Söhne. [sic!]“97

Abb. 168: Grabmal Pogliani (ca. 1928), Tarcisio Pogliani, Cimitero Monumentale, Mailand

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Abb. 169: „Glaube“, Grabstätte Izar (1904), Felice Bialetti, Cimi­ tero Monumentale, Mailand

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Den Mittelpunkt des Grabmals stellt die sitzende Frauenfigur dar, die von den Porträtmedaillons der verstorbenen Söhne und des Ehemanns in der Mitte eingerahmt wird. Die Darstellungen der liegenden, ausgemergelten Körper der Söhne fallen erst auf den zweiten Blick auf, halten und fesseln den Blick aber, weil sie einen so starken Kontrast zu den gesunden Gesichtern auf den Medaillons wie in einer Art Vorher-Nachher-Bild evozieren. Die Porträts der Verstorbenen sind anhand der Grabinschriften klar zu identifizieren, die Figur der Mutter dagegen ist als Familienmutter und Witwe eher zu assoziieren als zu identifizieren, weil sie mit dem Rücken zum Weg sitzt und ihr Gesicht von der Frontseite der Anlage aus nicht zu sehen ist. Lediglich die zeitgenössische Kleidung und Frisur geben Indizien, dass es sich hier um eine konkrete Person und kein Sinnbild handeln soll. Aus diesem Arrangement ­heraus werden wir auf die Position des Beobachtens verwiesen und bekommen eine nicht eindeutige Abschiedsszene präsentiert. Mit der Geste der Brüder – als würden sie mit ihren Händen in die Welt der Lebenden hinübergreifen – kommt es zu einer Grenz­überschreitung zwischen »im Grab« und »am Grab«. Stilistisch kann das Grabmal im Realismus und im Symbolismus angesiedelt werden. Kunsthistorisch kann diese Kombination als widersprüchlich erachtet werden: entweder ein Realismus, in dem sich die Wirklichkeit selbst genug ist, oder ein Symbolismus, der über die Grenzen des Realen hinausweist. Überspitzt formuliert stehen sich die Stilrichtungen diametral gegenüber, doch genau aus dieser Spannung heraus entsteht ein gewisser Reiz, mit dem das Grabmal auf sich aufmerksam machen kann. Die realistischen Züge der Personen verstärken den symbolischen und symbolistischen Gehalt in einer Szene, in der die Grenze zwischen Jenseits und Diesseits überwunden wird, indem sich die Mutter und die verstorbenen Söhne die Hand reichen. In Auftrag gegeben wurde das Grabmal bei Felice Bialetti, der unter anderem Schüler bei Odoardo Tabacchi (1836 – 1905) in der

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Albertina Akademie in Turin und bei Enrico Butti (1847 – 1932) in der Brera Akademie in Mailand war. Bialetti beherrschte also nicht nur das Handwerk der Porträtkunst, sondern stammte zudem aus dem neu-symbolistischen Kunstkontext seiner Lehrer. Dementsprechend hatte er die Handfertigkeit, einen derartigen Auftrag sowohl authentisch und realistisch anzulegen als auch doppelbödig und spannungsreich aufzuladen. Mit dem Titel der Arbeit „Glaube“ führt er den Spannungsbogen fort. Der einzige Hinweis innerhalb der Inszenierung ist ein Rosenkranz in der Hand der Mutter. Dieser dient als Symbol für das Gebet für die Toten, für die Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben, für das Prinzip Glauben. Allerdings ist dieser Rosenkranz so klein, versteckt und unscheinbar, dass er eher eine Nebenrolle zu spielen scheint: „the claustrophobic reference to burial (rarely so explicit) seem[s] to spring more from Symbolist angst.“98 Das Bild von den beiden abgemagerten und ausgezehrten Söhnen, die aus dem Grab heraus nach der Hand ihrer Mutter greifen, erregt so viel mehr Aufmerksamkeit als der Rosenkranz: Es ist drastischer und bizarr, es wirft Fragen auf, ist furchterregend, beängstigend, weil es auf die mittelalterliche Angst vor Wiedergängern und die neuzeitliche Angst vor dem Scheintod anspielt, aber möglicherweise auch die diffuse Gefühlswelt rund um das Unbekannte, Unbewusste und Psychoanalytische in Erscheinung treten lässt. Vor diesem Szenario sitzt die Mutter wie ein besänftigender, ruhender Pol auf dem Grabmal und vermittelt den Eindruck, als wäre sie dort in ihrer Trauer um die Söhne und den Ehemann erstarrt und selbst zu einem Mahnmal der Trauer und der Erinnerung versteinert: „The invincible power of the mother, one of the steady pinciples of Italian life, is here presented with the poignancy and with an uncanny authority that haunts one’s memory.“99

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Leider lässt sich nicht rekonstruieren, wer diese Arbeit in Auftrag gegeben hat und was die genauen Intentionen waren. Auch zur Rolle der verwaisten Mutter und Witwe Izar ist nicht mehr bekannt und so bleibt zur Interpretation allein die Grabstätte und ihre Inszenierung. Obwohl hier eine konkrete Frau realistisch und szenisch dargestellt ist, wird die Figur abermals auf die Dimension eines Sinnbildes zurückgeworfen. Das Bild der Mutter steht für immerwährende Trauer, Gedenken und Erinnerung, aber auch für den bereits besprochenen Kontext von Fruchtbarkeit und Geburt, Wiedergeburt und ewiges Leben, Liebe, Glaube, Hoffnung. Das bedeutet, dass in der bürgerlichen Grabmalkultur selbst die Darstellung einer konkreten Person als Sinnbild für die mütterliche Trauer um die konkreten Familienmitglieder eingesetzt wurde. Diese Inszenierungsstrategie knüpft an eine der wesentlichen soziokulturellen Konstanten im christlichen Kulturraum an: die Darstellung der Maria mit ihrem toten Sohn. Die trauernde Mutter – Maria – Pietà

Abb. 170: Grabmal Izar (1904), Felice Bialetti, Cimitero Monu­ mentale, Mailand

Eine ganze Palette an Bildschöpfungen hat sich um diesen Topos entsponnen und als Bildtraditionen verstetigt: die Mater dolorosa oder Schmerzensmutter, die Maria am Kreuz oder Stabat mater, die Marienklage, das Vesperbild und die Personifikation als Pietà. Im Folgenden werde ich die Termini Mater dolorosa, Pietà und – allgemeiner – trauernde Maria verwenden.100 All diese Bilder rekur­rieren auf die Kreuzigung bzw. Grablegung Christi, die in der Bibel eine der Schlüsselstellen des Neuen Testaments darstellen. Die trauernde Maria ist daher eng verknüpft mit anderen ›Trauernden‹ und dem Topos des Kreuzes und des Grabes. Im Laufe der Jahrhunderte wurde sie aber auch immer wieder aus der Beweinungsszene herausgelöst und auf eine Einzelfigur reduziert – die allerdings die Assoziation zur gesamten Szene herstellt.101 Sie markiert den dialektischen Wendepunkt der Passion Christi. Vor

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diesem Hintergrund ist auch die Grabinszenierung der Familie Izar zu verstehen: Maria, ursprünglich eine konkrete Frau und Mutter, übernimmt die Aufgabe des Sinnbildes, indem sie zum Symbol wird für die Trauer aller Christen um ihren Sohn Jesus Christus (Abb. 169, Abb. 170, Abb. 171). Das Phänomen der Marienverehrung und Mariendarstellung hatte einen erheblichen Einfluss auf die christliche Sepulkralkunst. Allerdings ist es äußerst komplex und kann hier nur kurz angerissen werden. Im westlichen Kulturraum gibt es kaum eine vielschichtigere, weil widersprüchlichere Figur als Maria. Sie ist Mutter und Jungfrau, Verkörperung von Lebenserfahrung und unbefleckter Empfängnis, sie ist jung und alt und alterslos, und: Sie ist dies alles gleichzeitig. Im Gegensatz zum Marienbild in der Kunst ist Maria in der Bibel kaum präsent. Bis auf wenige Ausnahmen findet sie nur in der Geschichte um die Geburt und den Tod Jesu Erwähnung und wird in die Kunst eher als die Funktionsträgerin »Gottesmutter« und nicht als eine konkrete Person überführt. In den Mariendarstellungen gibt es daher neben der trauernden Maria die Topoi der Gottesmutter, der Thronenden und Himmelskönigin, als Mutter der Barmherzigkeit, als Personifikation der Kirche, Gemeinde und christlichen Gemeinschaft, als die bereits vorgestellte Schutzmantelmadonna oder als schöne Madonna und Braut in Anlehnung an das Hohe Lied. Das Marienbild umfasst die ambivalente, teils paradoxe Bedeutung der Jungfrau und Gebärenden, der Braut und Mutter, der Einzelperson und des Sinnbildes für eine ganze Gemeinschaft.102 Maria verkörpert dabei nicht das Entweder-oder, sondern im Marienbild kann dies alles gleichzeitig gedacht werden. Auf diese Weise konnte es über Jahrhunderte als eine enorm flexible und beschreibbare Schablone in der religiösen Kunst eingesetzt und ausformuliert werden. Im Marienbild bzw. in der Marienverehrung fand im 13./14. Jahrhundert ein Wandel statt, der für die Untersuchung der

Abb. 171: Pietà, Kloster Seeon (um 1390)

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Abb. 172: Pietà von Giovanni Bellini (vermutl. 1469) Abb. 173: Pietà von Michelan­ gelo (1497), Petersdom, Rom

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weiblichen Grabplastik und bürgerlichen Trauerkultur um 1900 von Bedeutung ist. Ab dem 13. Jahrhundert mussten die Darstellungen von Maria und Jesus Christus modifiziert werden, weil sich der Bildgebrauch der Gläubigen verändert hatte. Die Passionsgeschichte erweckte eine neue Aufmerksamkeit, so dass Christusdarstellungen drastische Spuren des Leidens zeigen sollten, um zur aktiven Compassio des Einzelnen zu animieren und das Mitleiden anzuregen. Diese Entwicklung griff auch auf das Marienbild über und ließ im Rahmen der Passionsfrömmigkeit des Mittelalters Bilder vom Leichnam Christi in den Armen seiner Mutter am Kreuz entstehen.103 Im Zuge der Lehren von Bernhard von ­Clairvaux (um 1090 – 1153) und Franz von Assisi (1181/82 – 1226), aber auch unter dem Einfluss des liturgischen Karfreitagsritus, geistlicher Dramen und mystischer Dichtung wurden Heiligenund Marienbilder dazu eingesetzt, den Glauben durch Andacht und die Versenkung im Leid der Abgebildeten zu vertiefen.104 Im Laufe des 14. Jahrhunderts wurden die Darstellungen des expressiven Leidens der trauernden Maria – der schmerzensreichen Mutter – wieder besänftigt und im 15. Jahrhundert in die mildere Gestaltung des Vesperbildes überführt, wie sie vor allem über die Pietà von Michelangelo (1497) im Petersdom in Rom bekannt wurde (Abb. 171, Abb. 172, Abb. 173).105 Im 19.  Jahrhundert wurde das Motiv der trauernden Maria, wie es sich im 15. Jahrhundert zu etablieren begann, trotz Säkularisierung und aufgeklärter Jenseitsvorstellung in der bürgerlichen Grabkultur populär. Zur christlich-religiös motivierten Bildkultur lässt sich für das Mittelalter wie auch für das lange 19. Jahrhundert sagen, dass die Beweggründe für bestimmte Bilder zur privaten Frömmigkeitsübung äußerst komplex und kaum auf schriftliche Quellen zurückzuführen sind. Wir können uns diesem Phänomen jedoch über den mentalitätshistorischen Kontext zumindest annähern. Die Pietà-Motive auf bürgerlichen Gräbern zeigen, dass hier ein mittelalterliches Motiv beinahe unverändert in einen neuen,

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soziokulturell und ideologisch veränderten Zusammenhang integriert wurde. Daher ist anzunehmen, dass das Motiv der trauernden Maria für die bürgerliche Grabmalkultur vor eben dieser neuen, soziokulturell und ideologisch veränderten Kulisse reizvoll war: Auf Grund der Compassio und der Besänftigung des Leidens konnten in ihr die Gefühlswelten und Geschlechterideale des Bürgertums sowie die Emotionalisierung und Ästhetisierung der Trauerkultur verwoben werden, ohne die religiöse, christliche Dimension einzubüßen, die das Bild der Mater dolorosa umgab. Bereits vor 1800 hat es eine ausgeprägte Hinwendung zu Gefühlen gegeben, ab dem frühen 19. Jahrhundert wurde die Artikulation der Empfindungen Teil des bürgerlichen Tugendideals. Innerhalb dieser Diskurse konnte in den folgenden Jahrzehnten das mittelalterliche, barocke Mitleiden in ein leidenschaftliches Mitfühlen transformiert werden. Mit der Sympathie für das Pathos wuchs auch das Interesse an Maria im Moment zwischen Kreuzabnahme, Leichenbegängnis und Grablegung Christi. Unter der Voraussetzung, dass ­Maria in der Bibel in eben diesen Szenen nicht besonders detailliert beschrieben ist, konnte die Figur für die bürgerliche Gefühlskultur und zeitgenössische Kunstproduktion derart verfügbar werden. Schnorr von Carolsfelds Bilderbibel zeigt Maria in drei Bildern mit unterschiedlichen Pathosformeln am Kreuz bzw. am Grab Jesu (Abb. 174). Auch für Kirchen wurde das Motiv der Pietà mehrmals in Auftrag gegeben und in besänftigenden, anrührenden Varianten ausgeführt, wie z. B. von Theodor Wilhelm ­Achtermann im Dom zu Münster (1849) (Abb. 175, Abb. 178).106 Die Leerstelle zum Aussehen der trauernden Maria in der Bibel wurde in zeitgenössischen Nachschlagewerken mit konkreten Bildvorstellungen gefüllt. So richtete beispielsweise Heinrich ­Detzel in seinem Handbuch zur christlichen Kunst für das Motiv der Pietà den Fokus klar auf das Emotionale als auf weitere beteiligte Personen und Attribute, den Ort oder die Kulisse. Er formu-

Abb. 174: „Jesu Tod am Kreuze mit trauernder Maria“ in der Bilderbibel von Julius Schnorr von Carolsfeld (1852 – 1860) Abb. 175: Pietà, Wilhelm Achter­ mann (1849), Dom zu Münster

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liert die Charakteristika der Schmerzensmutter als eine Szene, in der „[…] Maria am Fuße des Kreuzes, nachdem der hl. Leichnam herabgelassen wurde, denselben auf ihren Schoß genommen, […] als wahrhaft mitleidige Mutter, die mehr in ihrem Sohne lebte als in sich selber, […].“107

Abb. 176: Reproduktion Michelangelos Pietà, Grabmal Pierre de Perényi (o. J., vor Witterung geschützt), Cimetière Passy, Paris Abb. 177: Reproduktion Michel­ angelos Pietà, Grabmal Simms (1910), F. Tannenbaum, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 178: Nachbildung der Achtermann-Pietà, Grabmal Joesting (1914), Friedhof Ohls­ dorf, Hamburg

Auch in Meyers Konversationslexikon wird die Pietà über alle Auflagen hindurch ikonographisch festgelegt auf eine „Darstellung des vom Kreuz abgenommenen Leichnams Christi, im Schoße der weinenden Mutter […].“108 In beiden Nachschlagewerken wird speziell auf Michelangelos Pietà verwiesen und mit ihr – als eine „sehr berühmte“109, die „berühmteste“110 oder „hochberühmte“111 Ausführung – eine Referenz geschaffen, anhand derer andere Pietà-Darstellungen als künstlerisch wertvoll eingeordnet werden können. Es ist anzunehmen, dass die Pietà von Michelangelo für das Bürgertum einen gewissen Nimbus aus Emotionalität, Kunstverständnis und verhaltener Religiosität vermittelt hat. Wurde die Pietà als Grabschmuck auf die Bühne des Friedhofs versetzt, konnten die Grabeigner davon ausgehen, dass das Motiv vom Friedhofspublikum entsprechend dem Bildungskanon erkannt und der Nimbus der Figur auf die Grabeigner abstrahlen würde. Besonders exklusive Beispiele sind auf dem Friedhof Passy in Paris und auf dem Friedhof Ohlsorf in Hamburg zu sehen – es handelt sich dabei um Reproduktionen von Michelangelos Figurengruppe, wobei sich für das Hamburger Familiengrab nachweisen lässt, dass die Pietà unter dem Einverständnis des Vatikans zur Reproduktion durch F.  ­Tannenbaum in Rom freigegeben worden war (Abb. 176, Abb. 177).112

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Pietà – Marienvarianten – Marienkulisse Die Pietà wurde in der Grabmalkultur des 19. Jahrhunderts sehr ­populär. Imitationen und Neuformulierungen nach dem Vorbild der Michelangelo-Pietà waren stark verbreitet und fanden offensichtlich großen Absatz, so dass die trauernde Maria zu einem der häufigsten Motive unter den weiblichen Grabplastiken zählte.113 Dabei wirkt der Topos verhältnismäßig stereotyp, weil die Vorlage, wie sie in den oben genannten Quellen oder bei Michelangelo ausformuliert ist, nur in Nuancen verändert wurde. Variationen zeigen sich in der Position des Leichnams Christi, meist auf dem Schoß seiner Mutter, aber auch vor ihren Füßen oder auf einem Sarkophag aufgebahrt – und in kleinen veränderten Details der Marienfigur, z. B. in der Haltung der Hand, im Faltenwurf des Umhangs, in der Blickrichtung besänftigend nach unten oder anklagend nach oben, kniend oder sitzend, mit Kreuz oder ohne (Abb. 178, Abb. 179, Abb. 180, Abb. 181). Maßgeblich ist hier, dass die Figurengruppe nicht ihren christlichen Kontext verliert und für einen anderen ideologischen Kosmos denkbar wird, nur weil beispielsweise das Kreuz aus der Szene herausgelöst wurde. Das Verschmelzen von Symbolen unterschiedlicher ikonographischer Zusammenhänge war in den Pietà-Motiven sehr selten. Angesichts der zahlreichen vielschichtig amalgamierten Bildern in den Grabplastiken, die bisher in der Bilderreihe vorgestellt wurden, wirkt das Bild der trauernden Maria semantisch vergleichsweise geschlossen, weil es verbindlich im christlichen Symbol- und Attribute-Fundus verankert blieb, nachdem es in das Repertoire der bürgerlichen Grabmalkunst aufgenommen worden war. Dies kann eine Erklärung dafür sein, weshalb das Phänomen des Pietà-Grabmals in manchen Städten bis in die 1950er Jahre reicht. Pietà-Ausführungen auf Familiengräbern lassen sich von der Mitte des 19.  Jahrhunderts bis ins 20.  Jahrhundert nachweisen.114 Ab der Jahrhundertwende setzte eine grundlegende Kritik

Abb. 179: Grabstätte Burckhardt (1929/30), Roland Engelhardt, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 180: Grabmal Aicher (1935 eingerichtet, mit dem Zusatz „Erwin Aicher 10.2.1916, vermißt in Russland“), Waldfriedhof Traunstein

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Abb. 181: Grabmal Schnitzel­ baumer/Steiner (o. J.), Waldfried­ hof Traunstein Abb. 182: Grabmal Grigis, Gaetano Olivari (o. J.), Cimitero Staglieno, Genua (um 1900) Abb. 183: „Mort pour la France“, Grabmal Jean Marie Hatier (1917), Cimetière Saint Vincent, Paris

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an der repräsentativen Grabmalkultur ein, so dass im Zuge der Friedhofsreformen das Aufstellen von plastischem Grabschmuck stark reglementiert worden war. Es ist jedoch möglich, dass auf bestimmten Friedhöfen Ausnahmeregelungen getroffen wurden, weil das Bild der trauernden Maria als klar in seiner Bildtradition und im christlich-religiösen Kontext verortet galt. Ein weiterer Grund für die Fortführung des Pietà-Motivs bis ins 20. Jahrhundert liegt im Wandel der Trauerkultur im Ersten Weltkrieg. Angesichts der unzähligen Kriegsopfer beginnt ab den 1910er Jahren das individuelle Grabmal hinter einer kollektiven Trauer- und Gedenkkultur für Gefallene zurückzutreten. Die Pietà wird nun nicht mehr ausschließlich auf privaten Familiengräbern, sondern überwiegend auf öffentlichen Denkmälern für die gefallenen Soldaten eingesetzt. Anstelle der Jesus-Figur hält sie nun einen Soldaten auf ihrem Schoß. Diese Umformung übernimmt das Motiv der Gottesmutter mit ihrem Sohn und steht darüber hinaus sinnbildlich für die Trauer aller Mütter um ihre gefallenen Söhne. Vor diesem Hintergrund führt die Pietà mit dem Soldaten nicht nur den Verlust eines Einzelnen, sondern eine gemeinschaftliche Opferbereitschaft und Trauer vor. Das Bild ist – noch in einem anderen Kontext und nur in Einzelfällen – bereits auf Grabmälern des späten 19. Jahrhunderts zu finden, wie z. B. in Genua (Abb. 182). Im Zuge des Ersten Weltkrieges wird es jedoch gezielt für eine „institutionalisierte Totenehrung“ verwendet und für ideologische Zweckbestimmungen säkularisiert.115 Zudem wird die aufopferungsvolle Mutter gemäß der bürgerlichen Geschlechterideale nun aus ihrem schichtspezifischen Kontext gelöst und für alle Mütter, die wie Maria ihren Sohn einem höheren Ziel geopfert haben, inszeniert (Abb. 183). Die Kriegerdenkmäler der Weimarer Republik veranschaulichen über den Zeitraum der Jahrhundertwende hinaus die verzweigten Motivverknüpfungen, die auf die bürgerliche Grabmalkultur zurückgehen. Im Kriegerdenkmal mit der Pietà und dem

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gefallenen Soldaten hat sich eine „religiöse Transzendierung des Vaterlandes zum Gottesreich“116 niedergeschlagen und schuf die Möglichkeit, den mütterlichen Schoß als eine Rückkehr der zahlreichen Verschollenen in die Heimat zu visualisieren. Der Weg zurück zum Ursprung sollte den Hinterbliebenen Trost und Hoffnung stiften. So schreibt der Bildhauer F. Badons über ein Pietà-Denkmal in Freudenstadt, es zeige „ […] eine übermenschliche, weibliche Figur, als Sinnbild der allumfassenden Mutter Erde, den gefallenen Helden in ihren Schoß aufnehmend. Die symbolische Figur der ‚Mutter Erde‘ als Ausdruck der alles neu formenden Urkraft.“117

Der Bildhauer macht deutlich, dass im Bild der Gottesmutter trotz aller instrumentalisierten Aufladung auch ganz schlicht das Bild mütterlicher Fruchtbarkeit mitschwingt. Wie die Mutterbilder auf Grabmälern steht es für Fruchtbarkeit, Geburt und Wiedergeburt, Mutter Erde und Mutter Natur, aber auch für die soziokulturelle Prägung des Mütterlichen, für Schutz, Trost und das Prinzip des Verzeihens. Darüber hinaus lassen sich mit ihm intime Abschiedsszenen zeigen und an die Bildkultur der Compassio, des Mitleidens und Mitfühlens, anknüpfen. In den Pietà-Inszenierungen ist Maria nicht nur die religiös verankerte Gottesmutter, sondern vor allem eine ›Trauernde‹. Für die Hinterbliebenen wird sie damit zur Projektionsfläche und Identifikationsfigur. Pietà-Darstellungen für Gefallene wurden nicht nur auf öffent­ lichen Denkmälern eingesetzt, sondern sind auch in der privaten, familialen Bestattungskultur zu finden. Seit der Zeit des Ersten Weltkrieges schmücken in Europa zahlreiche Marienfiguren Familiengräber, die nach dem Tod eines gefallenen Sohnes oder Ehemanns eingerichtet wurden. Charakteristisch für diese Gräber sind Inschriften, welche die Opferbereitschaft der Soldaten und Familien für das Vaterland hervorkehren. Häufig wurden die Soldatengräber auch mit Photographien der jungen Männer ver-

Abb. 184: Denkmal der Schiffs­ offiziere der Deutschen Han­ delsmarine (1914 – 1918/1920), Arthur Bock, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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Abb. 185: Grabmal Appiani (1910), Demetrio Paernio, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900) Abb. 186: Grabmal Gian Luigi Cabella (ca. 1910), Giancinto Pasciuti, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900)

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sehen. Dies geschah vermutlich, weil in den seltensten Fällen die sterblichen Überreste der Toten an diesem Ort beigesetzt werden konnten – der realen Ortlosigkeit des Leichnams sollte ein ideeller Ort des Trauerns und Erinnerns geschaffen werden. Vor dem Hintergrund der jeweiligen nationalen Verlierer- oder Siegerpositionen haben Soldatengräber diffizile ideologische Aufladungen – in Kombination mit Pietà-Inszenierungen lassen sie sich jedoch immer auf die semantische Dimension der Maria als Mutter und Lebensspenderin, als Trösterin und Opfern­de zurückführen. Es gab neben den fast stereotyp anmutenden Pietà-Darstellungen nach Michelangelo und den Grabpietàs auf Soldatengräbern zahlreiche Variationen an Marien-Motiven in der europäischen Sepulkralkultur. So sind in Norditalien szenische Darstellungen zu finden, wie z. B. das stark religiös motivierte Aufbahrungsmotiv mit Maria und weiteren Trauernden um den Leichnam Christi auf der Familiengruft Appiani (1910) in Genua (Abb. 185). Auch abstraktere Inszenierungen kamen unter dem Einfluss des Symbolismus und Jugendstils zum Ausdruck. Ebenfalls auf dem Friedhof Staglieno in Genua ist auf der Grabstätte für Gian Luigi ­Cabella (ca. 1910) eine Abwandlung des Stabat-mater-Motivs erhalten, bei dem sich eine Personengruppe in starken Pathosformeln um ein imposantes marmornes Kreuz windet und damit den universellen Schmerz um die Verstorbenen demonstriert (Abb. 186). Im europäischen Vergleich zeigt sich, dass es in protestantisch geprägten Regionen vergleichsweise gemäßigte Inszenierungen von Marienfiguren gab. Diese reduzierteren Motive bringen die ikonographische Heraus­forderung mit sich, dass sie nicht immer eindeutig als Maria oder Pietà zu identifizieren sind. Allerdings nicht, weil sie – wie z. B. die Todesgenien – mit vielen, unterschiedlichen Attributen ausgestattet wurden, sondern weil die ikonographisch notwendigen Charakteristika in vielen Fällen nur spärlich eingesetzt wurden. Als Maria oder Pietà identifizierbar ist ein Grabmotiv sowohl über Pathosformeln wie den nach unten geneigten Kopf

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und die gefalteten Hände als auch über Attribute wie das Kreuz, den Schleier oder einen Verweis auf die Passionsgeschichte, z. B. in der Inschrift. Viele Grabmäler des späten 19.  Jahrhunderts zeigen jedoch weibliche Figuren, die neben den Pathosformeln nur mit einem dieser Versatzstücke inszeniert wurden. Fehlen beispielsweise Kreuz und Inschrift, besteht die Möglichkeit, Schleier und gefaltete Hände nicht nur im Kontext der Pietàdarstellung zu assoziieren, sondern auch als Zeichen der Trauer, weil ein dunkler Flor und Gebete in der Trauerkultur rituell verankert waren. Ein redu­ziertes Marienmotiv kann daher gleichermaßen als sinnierende, trauernde Frau interpretiert werden. Besonders anschaulich ist diese doppelte Bildbedeutung auf dem Südwest-­ kirchhof ­Stahnsdorf im Bereich der sogenannten Alten Umbettung (Abb. 187, Abb. 188). In unmittelbarer Nähe zueinander sind mehrere Grabplastiken erhalten, die sowohl als Maria als auch als ›Trauernde‹ gelesen werden können, weil sie um die charakteristische Symbolik und Attribute reduziert wurden. Die Mehrdeutigkeit entstand in den Marien-›Trauernden‹ also nicht durch die Überlagerung unterschiedlich konnotierter Attribute, wie wir sie bereits an der Schnittstelle von Todesgenien, Siegesgöttinnen und Engelfiguren gesehen haben, sondern durch das Weglassen ikonographischer Koordinaten. Entscheidend ist jedoch, wie die Figuren zeitgenössisch rezipiert wurden. Da Quellenmaterial zu den Intentionen der Grabbesitzer oder Künstler äußerst selten ist, möchte ich zum Vergleich auf ein Beispiel vom Waldfriedhof in Traunstein eingehen, das bezüglich der Rezeption verstärkt die Bedeutung der soziokulturellen Kulisse in den Fokus rücken lässt. Es handelt sich um eine stehende weibliche Figur mit gesenktem Blick, dezentem, kaum erkennbarem Schleier und gefalteten Händen, die an einem hüfthohen, mauerartigen Grabstein lehnt (Abb. 189, Abb. 190, Abb. 191). Die ikonographischen Indizien sprechen eher für das Motiv einer ›Trauernden‹ als für das Motiv einer Maria oder Pietà. Zu finden ist

Abb. 187: ›Trauernde‹ mit gefalteten Händen (o. A.), Bereich Alte Umbettung, Süd­ westkirchhof Stahnsdorf, Berlin Abb. 188: ›Trauernde‹ mit gefalteten Händen (o. A.), Bereich Alte Umbettung, Süd­ westkirchhof Stahnsdorf, Berlin Abb. 189: Grabmal Daxenberger (1938), Waldfriedhof Traunstein

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Abb. 190: Grabstätte Daxen­ berger (1938), Waldfriedhof Traunstein Abb. 191: Grabmal Daxenberger (1938), Waldfriedhof Traunstein

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die Plastik auf der Grabstätte der Familie Daxenberger, die 1938 angelegt und erst in den 1950er Jahren von der Witwe mit dem Grabmonument eingerichtet wurde. Die Grabgestaltung führt zwar über den eigentlichen Untersuchungszeitraum hinaus, dennoch soll sie berücksichtigt werden, weil die ›Trauernde‹ von der Familie als Marienfigur, Heilige Mutter bzw. Schmerzensmutter benannt wird und Rückschlüsse auf vergleichbare Inszenierungen um 1900 zulässt. Diese Marienfigur stammt von einem ortsansässigen Steinmetzbetrieb, bei dem sie die Witwe im Ausstellungsbereich gesehen und zusammen mit der Grabarchitektur in Auftrag gegeben hat. Es ist zwar kein Titel für die Grabplastik seitens des Steinmetzes bekannt, aber in der Familie Daxenberger wurde sie über die Generationen als Marienfigur überliefert und als solche rezipiert. Es ist möglich, dass nicht-eindeutige weibliche Grabfiguren in katholisch geprägten Regionen eher mit Marienbildern assoziiert wurden als in Regionen, in denen die Marienverehrung marginal war, weil das Betrachten und Rezipieren kulturell geprägt und sozia­lisiert ist. Das Auge ist kein »neutrales« Organ – unsere Blicke werden geschult, die Wahrnehmung in Bildkulturen sozialisiert und der Umgang mit Bildern eingeübt. Bilder und ihre Codes werden über kulturelle Praktiken erlernt und vor ihren Kulissen und Kontexten abrufbar. Das bedeutet zunächst, dass Personen, die sich in der Bildwelt der Marienverehrung sozialisiert haben, die ikonographischen Codes kennen und Motive entlang ihres Bildwissens decodieren können.118 Zum Bildwissen kommen Blickpraktiken hinzu, in denen wir uns je nach kulturellem Kontext sozialisiert haben und die uns das Identifizieren von Ikonographien ermöglichen. Am Beispiel der ›Trauernden‹ und Marienfigur zeigt sich, dass Rezi­pierende vor einer weiblichen, exponierten Figur in der Kulisse des Friedhofs jene erlernte, kontemplative Betrachterhaltung einnehmen, die sie vor Heiligenbildern und ihrem Kultus

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erlernt und eingeübt haben – vorausgesetzt, die Rezipierenden haben sich in der Kulturpraktik der Heiligenverehrung sozialisiert.119 Personen, denen die Heiligen- oder Marienverehrung fremd ist, würden die Assoziationen zur Marienfigur eher semantisch und weniger über kulturspezifische Rezeptionsprägung oder das Abrufen angelernter Betrachterhaltungen herstellen. Zudem orientiert sich das Auge an dem, was es schon kennt und zu verorten weiß.120 Der Friedhof als Kulisse hat dabei einen ganz wesentlichen Einfluss auf das Rezeptionsverhalten. Aus zwei Gründen: Einerseits bietet der Friedhofsraum eine Kulisse aus ­einer Vielzahl von Zeichen, Bildern und Rauminszenierungen. Bildverwandtschaften und die Präsenz bzw. Häufung von bestimmten Motiven tangieren das Assoziationsvermögen, so dass auf einem Friedhof mit vielen, auch unterschiedlichen Marienfiguren und christlichem Symbolrepertoire die Darstellung einer trauernden Grabplastik verstärkt als Marienfigur interpretiert würde. Die Familienähnlichkeit der Bilder umgibt die – in unserem Beispiel reduziertere, attributfreie – Plastik, so dass sie von den Rezipierenden vor dem inneren Auge attributiv ergänzt und zum erlernten Motiv der Marienfigur vervollständigt wird. Wahrnehmungsprozesse verlaufen bei Abweichungen von der Konvention nach dem Wechselspiel aus Schema und Korrektur.121 Im Fall der ›Trauernden‹ auf dem Waldfriedhof in Traunstein würde eine profanere oder weniger homogene Kulisse die Assoziation zur Schmerzensmutter vermutlich nicht so leicht auslösen. Andererseits spielt bei der Kulisse Friedhof ebenfalls die Sozialisation in Kulturpraktiken eine Rolle. Auch wenn Friedhöfe um 1900 wie der Waldfriedhof in Traunstein bereits kommunal verwaltet wurden und Teil eines umfassenden Säkularisierungsprozesses waren, wurden auf ihnen weiterhin Rituale praktiziert, die noch religiös motiviert und mit der Kirche sowie der Gemeinde verankert waren. Auf diese Weise weckt die Kulisse des Friedhofs gewissermaßen das Wissen um und den Umgang mit Bildern aus

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ritualisierten Kontexten – Kulisse und Körperhaltung mobilisieren gewissermaßen den „sacred Gaze“122. Fand eine Sozialisation im Kulturkontext der Marienverehrung statt, kann also nicht nur die Betrachterhaltung vor einer weiblichen, exponierten Figur die Assoziation zum Marienbild hervorrufen, sondern eben auch eine Kulisse, ein Raum oder eine Sphäre, die mit Kulturpraktiken aufgeladen sind, die eine Assoziation zur Marienverehrung und damit zum Marienbildnis bewirken.123 Marienkulisse – ›Trauernde‹ – Mansuetudo/Temperantia

Abb. 192: Grabmal Erzherzogin Maria Christina, Antonio Canova, Augustinerkirche Wien (1801/05) Abb. 193: Grabmal ­Clemens XIII., Antonio Canova, St. Peter Rom (1787) Abb. 194: Grabmal ­Clemens XIV., Antonio Canova, SS. Apostoli Rom (1792/ca. 1810)

Das sinnstiftende Potenzial der Grabplastiken hängt also nicht nur von ihrer semantischen Ausformulierung ab, sondern zusätzlich von den Rezipierenden und ihren soziokulturellen Bilderfahrungen. Figuren, die um Attribute reduziert wurden wie auf der Grabstätte Daxenberger, bieten daher ein breites Assoziationsfeld und können unterschiedliche Betrachterkreise quasi als Zielgruppen ansprechen. In der Bandbreite an Darstellungen kristallisiert sich als wesentlich heraus, dass sie Assoziationen wecken und Interpretationsangebote machen, die sich sowohl im Bild der ›Trauernden‹ als auch im Bild der Maria oder Pietà um das Gefühl der Trauer, des Abschieds und des Trostes ranken. Das häufigste Motiv in der bürgerlichen Grabmalkultur ist das Motiv der ›Trauernden‹ – diese Figuren erscheinen als Personifikationen der Trauer und als personifizierte Handlungsanweisungen des Trauerns. Ihre Vorbilder gehen auf die Jahrzehnte vor 1800 zurück in eine Periode, in der sich die Trauer als eigene soziokulturelle Größe zu etablieren begann. Die Trauer wurde zum Kult und das Trauern kultiviert. Im späten 18.  Jahrhundert wurden zunächst nur wenige Figuren auf Grabstätten der adligen und geistlichen Obrigkeit inszeniert, im Laufe des 19.  Jahrhunderts von der bürgerlichen Oberschicht für sich entdeckt und zögerlich

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verbreitet, bis sie im ausgehenden 19. Jahrhundert mit Hilfe neuer Produktionsverfahren seriell hergestellt werden konnten und somit für aufstrebende Mittelstandskreise verfügbar wurden. Die Grabfiguren um 1900 zeigen, wie sich eine emotionale Kultur im Laufe eines Jahrhunderts in Bildern und Inszenierungen artikuliert und auf sie niedergeschlagen hat. Großen Einfluss auf die Gestaltung von repräsentativen Grab­ stätten nach 1800 hatten die Grabmonumente von Antonio Canova (1757 – 1822). Das Grabmal für Erzherzogin Maria Christina in der Augustinerkirche in Wien (1801/05) und die Papstdenkmäler in Rom für Clemens XIV. in Santi Apostoli (1787) und Clemens XIII. in St. Peter (1792/ca. 1810) zählen in der Kunstgeschichte bis heute zu den prominentesten Grabmonumenten (Abb.  192, Abb.  193, Abb.  194).124 Sie sind vielfach kunsthistorisch beschrieben, interpretiert und bewertet worden – ich möchte keine weitere Interpretation hinzufügen, sondern lediglich auf ein Detail hinweisen, das aus mentalitätshistorischer Perspektive für die Untersuchung der bürgerlichen Gräber um 1900 aufschlussreich ist. Canova konzipierte für das Papstdenkmal für Clemens XIV. zwei Frauenfiguren, die neben den weiblichen Grabplastiken des späten 19. Jahrhunderts wie Prototypen für die bürgerliche Erinnerungskultur der folgenden hundert Jahre wirken. Den Aufbau des Monuments gliederte Canova von unten nach oben in eine Sockelzone, eine Sarkophagzone mit den beiden Plastiken und abschließend einem leicht zurückgesetzten Sockel mit der thronenden Papstfigur (Abb.  195, Abb.  196). Im Mittelpunkt der Inszenierungen steht der Sarkophag, der in der Kirche auch aus unterschiedlichen Perspektiven und Blickpunkten aus die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Zur Rechten des Sarkophags sitzt Mansuetudo; sie hält die Hände im Schoß und die Schultern nach vorne gekippt, die Körperhaltung erscheint in sich zusammengesunken, der Blick weist ins Leere nach unten, sie wirkt entrückt, abwesend und kraftlos. Die zweite Figur, Temperantia, lehnt von

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Abb. 195: Ausschnitt Grabmal Clemens XIV., Antonio Canova, SS. Apostoli Rom (1792/ca. 1810) Abb. 196: Ausschnitt Grabmal Clemens XIV., Antonio Canova, SS. Apostoli Rom (1792/ca. 1810)

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links mit dem Oberkörper über den Sarkophag, als würde sie sich zu den Überresten des Verstorbenen beugen und eine Berührung, ein Zwiegespräch oder Zeichen erhoffen. In einer ausgeprägten Pathos­formel hat sie den Kopf auf den einen Arm gelehnt, der andere liegt angewinkelt über dem Sarkophag. Die beiden Plastiken sind dualistisch, fast dialektisch angelegt: stehend und sitzend, im Profil und von vorne gesehen, in eng anliegendem Gewand und in einem reich drapierten Kleid, in Bewegung und in Ruhe, in aktiv geäußerter Trauer und in versunkener, vergleichsweise passiver Trauer, als Vita activa und als Vita contemplativa.125 Die Figuren scheinen die bislang übliche Distanz zwischen barocker, überhöhender Papstinszenierung und den Betrachtenden zu überwinden, weil von ihnen ein „unmittelbarer Appell zur Teilnahme an ihrer Trauer“ ausgeht.126 Dadurch bietet die Grab­ stätte für Gläubige eine „Identifikationsmöglichkeit“, die weniger religiös fundiert ist, sondern emotional einer „stimmungsvollen Kontemplation des Todes“ Raum schafft.127 Im Sinne von Ariès’ Tod des anderen manifestierte Antonio Canova mit dem Papstdenkmal für Clemens XIV. die „Zerstörung der barocken Ganzheit“128: Die Inszenierung zielt nicht mehr auf ein geschlossenes Zwiegespräch zwischen Gläubigen und Papstfigur ab, sie macht keine Angebote zur Haltung des Papstes zum Jenseits, sie zeigt auch kein Kirchenoberhaupt, das aktiv zu Frömmigkeit und Tugendhaftigkeit anregt – Canova zeigt Clemens XIV. in einer Art Statistenrolle neben den bilddominanten Trauerfiguren, so dass die Betrachtenden auf sich selbst und ihre Gefühlswelt zurückgeworfen werden. Die entscheidende Wendung liegt meines Erachtens nicht in der Inszenierung der Papstfigur, sondern in der Inszenierung der weiblichen Plastiken. Papstdenkmäler vor Canova waren vorwiegend an Gian ­Lorenzo Bernini (1598 – 1680) orientiert und zeigen für Gewöhnlich Grabmonumente, auf denen weibliche Figuren die Eigenschaften des jeweiligen Papstes personifizierten, um für die Betrachten-

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den die Tugendhaftigkeit des Herrschers zu glorifizieren und sein Wirken zu rühmen. Sinnbilder wie die Caritas, Justitia, Veritas oder Sapientia, um nur einige zu nennen, statteten nicht nur das Grabmal aus, sondern sollten ganz programmatisch das Andenken der Gläubigen an den Verstorbenen untermauern und zu Frömmigkeitsübungen animieren. Im Fall Clemens des XIV. scheint die Ausstattung mit zwei weiblichen Figuren zwar recht konventionell, aber Canova hat sie so konzipiert, dass sie nicht über sich hinausweisen – ihnen fehlen die ikonographisch notwendigen Attribute, um sie entlang von Schwert, Waage etc. im barocken Sinne decodieren zu können. Canovas Temperantia und Mansuetudo verkörpern nicht mehr die Charaktereigenschaften des Verstorbenen, sondern zwei Anschauungsobjekte dafür, wie Trauer artikuliert werden kann. Die Trauerfiguren lassen sich als Eckpfeiler im Wandel der Trauerkultur hin zu einer diesseitsbezogenen und emotionalen Erinnerungskultur verstehen: Canova absorbierte die sonst so dominanten Aspekte wie Frömmigkeitsübung und Jenseitsfurcht und positionierte das Denkmal fast plakativ in der zeitgenössischen Gefühlswelt sanfter, empfindsamer Emotionen. Nicht nur die bildhauerische Leistung, sondern auch die mentalitätshistorische liegt darin, dass Canova zwar die konventionelle Besetzung für die Inszenierung eines Papstdenkmals wählte – Papst, Allegorien, architektonisches Grabmonument  – , aber die Dramaturgie veränderte: Hier spielt nicht mehr das verstorbene Kirchenoberhaupt die Hauptrolle, sondern die Trauerfiguren und auch die ­realen Trauernden, die Hinterbliebenen und Gläubigen. In dieser neuen Dramaturgie liegt das dynamische Moment im aktiven Trauern, im Artikulieren der Affekte, im Angebot für den Umgang mit Abschied, Verlust und der Erinnerung an Papst Clemens XIV: So ist er „ein erinnerter, nicht ein verewigter Papst.“129

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Mansuetudo/Temperantia – (un)bezwungene Trauer – Bildsymbiosen der Empfindsamkeit In den Jahrzehnten nach 1800 zählten die Werke Canovas zur diskursmächtigen und anerkannten Hochkultur in der plastischen Kunst. Sie sind daher noch nicht als Spiegelbild einer mentalitätshistorischen Wende in der Trauerkultur der breiten Bevölkerung zu verstehen. Aber sie sind als Wegbereiter in der Entwicklung zu einer ästhetisierten, repräsentativen Trauerkultur zu werten und weckten das Interesse zeitgenössischer Künstler, die C ­ anovas Bildschöpfungen adaptierten und weiterentwickelten. Allerdings wurden die Motive der Temperantia und Mansuetudo selten gemeinsam inszeniert: „Bald emanzipierte sich dieses hier noch in ein vollständiges Programm eingebundene Motiv als Einzelfigur zu einem Hauptmotiv des figürlichen Grabmals.“130

Abb. 197: Mansuetudo, Aus­ schnitt Grabmal Clemens XIV., Antonio Canova, SS. Apostoli Rom (1792/ca. 1810), Antonio Canova, SS. Apostoli Rom (1792/ ca. 1810) Abb. 198: Grabmal Fritz Busch, (1906), Fidel Binz (WMF), Fried­ hof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 199: Grabmal Viereck (1938), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

In den separierten Temperantia- und Mansuetudo-Figuren wurde das emotionalisierte Motiv der ›Trauernden‹ entwickelt. Als Sinnbild stand es für die Trauer, als Schlagbild für den soziokulturellen Kontext des Trauerns – es wurde von Künstlern an Canova studiert und zitiert, Bildkonventionen leicht abgewandelt und rezitiert, bis sich die Bildtradition der ›Trauernden‹ herauskristallisierte. Handelte es sich in der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts noch um wenige Grabinszenierungen der adligen Oberschicht, begann das aufstrebende Bürgertum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dieses Schlagbild für sich zu entdecken. Dies war unter anderem darin begründet, dass es sich in dieser Zeitspanne um Generationen handelte, die sich sowohl mit der Bildwelt als auch mit der Erinnerungs- und Gefühlskultur sozialisiert hatten, für die Canovas Motive als erste Vorläufer eingeschätzt werden können. Bis ins frühe 20. Jahrhundert lassen sich viele Einzelfiguren in Europa aus der dualistischen Perspektive identifizieren, die ursprünglich im Temperantia-Mansuetudo-Doppel ausformuliert war.

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In der Bildtradition der Mansuetudo stehen überwiegend Figuren, die – meist sitzend, in üppiger Draperie, mit gesenktem Blick und gefalteten Händen – eine entrückte, abwesende Trauer verkörpern (Abb. 197). So z. B. die ›Trauernde‹ am Familiengrab Busch auf dem Ohlsdorfer Friedhof, das für die Ehefrau Toni Melitta Busch 1906 eingerichtet und in der Manier Canovas mit einem grob behauenem Grabstein als Attribut ausgestattet wurde (Abb.  198). Überschneidungen mit religiös-motivierten Bildkonventionen oszillieren in Inszenierungen, wenn die Trauerfigur nicht an einem Sarkophag oder Grabstein sitzt, sondern an einem Kreuz – die weibliche Plastik auf der Grabstätte Viereck in Ohlsdorf beispielsweise steht neben dem erhöhten Marmorkreuz gleichzeitig in enger Bildverwandtschaft mit den Mansuetudound Stabat-mater-Darstellungen (Abb. 199, Abb. 200). ›Trauernde‹ lassen sich wie die besprochenen Genien-, Engel-, Mutter- oder Marienbilder nach einem Baukastenprinzip denken – anhand charakteristischer Elemente können wir das Motiv entlang von Bildkonventionen decodieren. Ein wesentliches Erkennungsmerkmal ist aber nicht nur der semantische, sondern auch der emotionale Eindruck, den diese Figuren auf Grund der abwesenden, fast entrückten Haltung vermitteln. So gesehen können auch sowohl der bereits vorgestellte weibliche Engel am Grabmal Hanssen wie auch die beiden trauernden Engel auf der Großgrabstätte für den Privatbankier und Juristen Max Siegfried Borchardt (1815 – 1880) auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin in der Bildtradition der Mansuetudo gedeutet werden (Abb.  201, Abb.  202). Sie suggerieren jeweils die in sich versunkene Trauer, die der Inszenierung der Mansuetudo von Canova so immanent war. Grabplastiken wie die für das Familiengrab Nöthig und Winter auf dem Zentralfriedhof in Wien können ebenfalls in der Bildtradition der Mansuetudo verortet werden, obwohl die Inszenierung von Canovas Bildkonvention abweicht (Abb. 203).131 Vor

Abb. 200: ›Trauernde‹, Heinrich Pohlmann, historische Pho­ tographie eines Grabmodells (WMF, vermutl. 1907) Abb. 201: Grabmal Hanssen (1887/1901), Bruno Kruse, Gemeinschaftsgrab Laeisz/ Canel/Hanssen/Meerwein, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 202: Ausschnitt Fami­ liengrab Borchardt (1880), Dorotheenstädtischer Friedhof, Berlin

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Abb. 203: Grabstätte Nöthig/ Winter (1857/1883), Carl Anselm Zinsler und Josef Haberl, Zent­ ralfriedhof, Wien Abb. 204: Temperantia, Aus­ schnitt Grabmal Clemens XIV., Antonio Canova, SS. Apostoli Rom (1792/ca. 1810), Antonio Canova, SS. Apostoli Rom (1792/ ca. 1810) Abb. 205: Grabmal Nuerck (1899), Karl Garbers, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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einer Grab­architektur aus erhöhtem Grabstein, Säulen und stilisiertem Sarkophag steht eine weibliche Figur in langem faltenreichen Gewand und hält eine Rose in der Hand. Sie hat Kopf und Schultern leicht nach vorn gebeugt und wird von einem Trauerflor verschleiert, der ihr Gesicht, ihre Schultern und Arme sowie ihren Oberkörper komplett verdeckt. Der Umhang wirft sehr plastisch vertikale Falten wie tiefe Furchen, die sich in den Kanneluren der ionisch gehaltenen Säulen wiederholen. Die ›Trauernde‹ wird durch die Säulen seitlich eingerahmt und wirkt dadurch umso unbewegter, statischer und wie gefangen in ihrem Abschiedsschmerz. Wie bei Canovas Mansuetudo entsteht der Eindruck, als könnte die Emotion des Abschiedsschmerzes die trauernden Hinterbliebenen gefangen nehmen und versteinern. In der Bildtradition der Temperantia stehen hingegen Grab­ inszenierungen, die eher aktiv erlittene Gefühle der Trauer über starke Pathosformeln demonstrieren. In direkter Bildtradition stehen Plastiken wie auf der Grabstätte der Familie Nuerck auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg, die sich mit gesenktem Blick und angespannter Körperhaltung über einen Grabstein oder angedeuteten Sarkophag strecken und den Eindruck einer öffentlich artikulierten Trauer und intimen Zwiesprache mit dem Toten erzeugen (Abb. 204, Abb. 205). Durch die Inschrift „Dem Andenken meiner lieben Frau – dem Auge fern, dem Herzen ewig nah“ wird die emotionale Verbundenheit der Hinterbliebenen mit der Toten beschworen, zumal die Trauerfigur mit ihrer Körperhaltung – einen Arm über den Grabstein gestreckt, den Oberkörper darauf abgelegt, fast liegend, fast umschlingend – körperliche Nähe zur Grabstätte und damit suggestive Nähe zu den Überresten der Verstorbenen herstellt. Allerdings ist die Grabplastik nicht als Personifikation der Ehefrau zu verstehen. Hier trauert nicht etwa das konkrete Abbild der Verstorbenen an ihrem eigenen Grab, sondern ein idealisiertes Sinnbild der Trauer, als wollten die Angehörigen das Andenken und den Schmerz um sie verewigt sehen.

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Die Grenze zwischen allegorisch-idealisierten Darstellungen und personifizierter Trauer durch das Abbild einer Ehefrau (oder einer anderen konkreten Person) ist schmal, aber meist über die zeitgenössische Mode, vorwiegend die Bekleidung oder den Frisur­ stil, decodierbar. So lässt sich die ›Trauernde‹ an der Grabstätte für Gaspare Stablini (1898) einerseits anhand des Kleides, das über Knöchel und Schultern reicht und damit den zeitgenössischen Kleidungskonventionen entsprach, andererseits über die Frisur, säuberlich zu einem Haarknoten hochgesteckt, als eine konkrete Person, auf Grund des Alters als Witwe des Verstorbenen deuten (Abb. 206). Diese Grabinszenierung mit dem Titel „Leiden“ von Pasini hat etwas Bewegendes, fast Bedrückendes.132 Aus zwei Gründen: zum einen auf Grund des Grabaufbaus – auf der Bodenplatte der Gruft wurde ein plastisches Kreuz positioniert, das beinahe die Länge der Grabfläche ausfüllt. Die ›Trauernde‹ liegt in Lebensgröße dicht an dieses Kreuz geschmiegt, legt vorsichtig den linken Arm über die Längsseite des Kreuzes und umfasst mit der rechten Hand an der Kopfseite der Grabstätte das Kreuzende, auf dem ein Photomedaillon des Toten angebracht ist. Umgeben von erhöhten Grabmonumenten wirkt es im Vorbeigehen so, als läge die Witwe zu ebener Erde, vor unseren Füßen, und hält dabei das Kreuz im Arm als sei es ihr verstorbener Mann. Diese Pathosformeln, die Geste des Berührens, des Über-den-Sarkophag-Streckens, knüpfen an die Bildtradition der Temperantia an, wurde aber stark überformt, vom Sinnbildlichen ins scheinbar Realistische gesteigert. Zum anderen verstärkt die realistische Darstellung der ›Trauernden‹ heute wie damals den Eindruck, dass wir – als anonymes Friedhofspublikum – überraschend und unvermittelt an einer Szene teilhaben, die eheliche Liebe, Intimität und affektgeladene, unbezwungene Trauer zur Schau stellt, die üblicherweise nicht in der Öffentlichkeit emotional artikuliert werden. Deutet Canova in seiner Temperantia den Wunsch einer letzten Berührung lediglich an, setzt ihn Pasini ungehalten um.

Abb. 206: „Leiden“, Grabstätte Gaspare Stabilini (1898), De-Giorgi, Cimitero Monumen­ tale, Mailand Abb. 207: „Trostlosigkeit“, Grabstätte Carolina Rosa Scan­ della (1908), Pisani, Cimitero Monumentale, Mailand

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Abb. 208: „Trostlosigkeit“, Grabmal Carolina Rosa Scan­ della (1908), Pisani, Cimitero Monumentale, Mailand Abb. 209: Grabstätte Pommrich (o. J.), Albert Moritz Wolff, Französischer Friedhof I, Berlin

Kapitel 3

Die konkreten Abbilder der Ehefrau bzw. Witwe im Grabmal stellt in der Gesamtschau die Ausnahme dar. Die übersteigerte Form der Temperantia wie an der Grabstätte Stablini gibt es weitaus häufiger in idealisierten allgemeingültigen Weiblichkeitsbildern. Ebenfalls in Mailand wurde unter dem Titel „Trostlosigkeit“ das Grabmal für Carolina Rosa Scandella (1908) inszeniert: Eine jugendliche, lebensgroße Frauenfigur in antikisiertem Gewand beugt sich auf der Bodenplatte über einen verkleinerten, dekorativen Sarkophag (Abb. 207, Abb. 208).133 Ihre Beine sind dicht an den Sargkorpus angewinkelt, quer darüber liegt ihr Oberkörper, den Kopf auf die Schulter gelehnt streckt sie beide Arme spannungsvoll weit von sich, über den Sarkophag hinaus. Das lange Haar, das lockere, über die Schultern gerutschte Gewand und das Grabtuch über dem Sarkophag scheinen ineinander überzugehen. Zusammen mit der fließenden Bewegung über die Grabstätte wirkt die Figur wie dahingeschmolzen – trotz der Plastizität vermittelt die Darstellung das Auflösen von Materie und Transzendenz. Gleichzeitig haben die Materialien Bronze und Marmor die Suggestionskraft, dass hier ein Denkmal für die Ewigkeit geschaffen wurde. Wie bei Canovas Temperantia oszilliert in derartigen Inszenierungen die affektgeladene Trauer als Aufforderung zu aktivem Mitfühlen und Gedenken an die Verstorbenen. Die Bildschöpfungen der ›Trauernden‹ lassen sich allerdings nicht nur in Canovas dualistische Bildtypen unterteilen, sondern wurden häufig miteinander verschmolzen: aktiv – passiv, sitzend – stehend, in sich versunkene und affektgeladene Trauer gehen in den Bildschöpfungen ineinander über. Ein besonders stark verbreitetes Motiv ist die ›Trauernde‹ mit einer Urne. Wie am Familien­grab Pommrich (o. J.) auf dem Französischen Friedhof I in Berlin zeigt sie Pathosformeln beider Bildtraditionen (Abb. 209, Abb. 210).134 Die Figur sitzt wie kraftlos am Grab wie Mansuetudo, gleichzeitig lehnt sie sich über die Urne wie Temperantia über den Sarkophag. Diese Bildschöpfung schien den Geschmack vieler

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getroffen zu haben, weil sie allein in Berlin in über zehn unterschiedlichen Variationen und noch mehr Reproduktionen inszeniert wurde. Die Urne ist dabei nicht zwingend als Verweis auf die Krema­tion zu verstehen, sondern eher als ein accessoirehaftes Symbol der Antikenrezeption. Sie bietet den Anhaltspunkt zu weiteren Vorbildern, die über Mansuetudo und Temperantia hinausgehen. Deshalb werde ich an späterer Stelle explizit auf die Verbreitung dieses Motivs eingehen – von hier aus lohnt es sich jedoch vorerst, zusätzliche Bildtraditionen und ihre Kontexte heranzuziehen, um Einblicke in die Trauer- und Gefühlskultur des 19. Jahrhunderts zu gewinnen. Die Bedeutung einer Zeitgenossin Canovas ist in Hinblick auf die bürgerliche Grabmalkultur möglicherweise noch zu wenig erforscht. Angelika Kauffmann (1741  –  1807), gebürtig in Chur, arbei­tete als Historienmalerin überwiegend in Rom und England und zählte um 1800 zu den Prominentesten ihrer Zunft. Geprägt von der Antikenrezeption und den philosophischen Erkenntnissen in der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts verband sie als Vorreiterin die Ideale der Empfindsamkeit und des Klassizismus in ihrer Malerei. Unter Lessings Prämisse, dass der Künstler den Moment der höchsten Spannung wählen sollte, um einen tiefen und moralisch schönen Charakter präsentieren zu können, thematisierte die Malerin mythologisch angelegte Abschiedsszenen.135 Kauffmann kombinierte weibliche Trauerfiguren mit antikisierten Urnen, wie z. B. „Andromache trauert über der Asche Hektors“ (Abb. 211) oder „Die Trauernde (Agrippina)“ (Abb. 212) in einer Gedichtsammlung von Friederike Brun (1812) – ergänzt wurde Agrippinas Bildnis mit den Zeilen: „Die Trauernde Edle mit belebendem Arm, ach hälst (hälst) du alles umschlungen Was vom Geliebten dir, was von Germanicus blieb! All‘ ach halten wir so die Urne des Lebens umfangen; O wem liesse die Zeit mehr noch als Asch und als Staub. [sic!]“136

Abb. 210: Grabmal Pommrich (o. J.), Albert Moritz Wolff, Französischer Friedhof I, Berlin Abb. 211: „Andromache trauert über der Asche Hektors“, Kup­ ferstich von Thomas Burke nach Kauffmann (1772)

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Abb. 212: „Die Trauernde (Agrippina)“, Kupferstich von L. Schnell nach Angelika Kauff­ mann (1803), in Friederike Bruns Neue Gedichte (1812) Abb. 213: Grabmal Erzherzogin Maria Christina, Antonio Canova, Augustinerkirche Wien (1801/05) Abb. 214: Pleureuse, Claude Michel, genannt Clodion (1766)

Kapitel 3

Kauffmann löste ihre Agrippina als eigenes Sujet aus dem Erzählerischen heraus, öffnete es zur allgemeinen Reflexion über Leben, Tod und Abschied und inspirierte damit andere Kunstschaffende um 1800, unter anderem Gavin Hamilton, den Hauptvertreter des Klassizismus in England, Benjamin West, John Flaxmann oder Jacob Asmus Carstens, zu weiteren Bildvariationen.137 Es ist anzunehmen, dass die Trauersujets der Malerin maßgeblichen Einfluss hatten auf einige Sepulkralwerke Thorvaldsens oder auch auf die Urnenträgerin im Christinendenkmal von Antonio Canova, mit dem Kauffmann persönlich bekannt war (Abb. 213). Bis weit ins 19.  Jahrhundert wurden derartige Motive reproduziert und als eigenständige Topoi weiterentwickelt. Auch die „Pleureuse“, die in Frankreich seit dem Barock bekannt ist und um 1800 verstärkt in der Grabmalkultur der Oberschicht in Erscheinung tritt, steht in enger Bildverwandtschaft mit den ›Trauernden‹ von Angelika Kauffmann und ist ebenfalls als Ausdruck bzw. Niederschlag des sentimental-empfindsamen Zeitgeistes zu verstehen (Abb.  214, Abb. 215).138 Kauffmann entwickelte das Bild der ›Trauernden‹ noch weiter. Sublim und suggestibel verdichtete sie den Topos beispielsweise in einem Memorialbild anlässlich des plötzlichen Todes der Tochter Stanwick und fand damit große Beachtung. Sie verknüpfte die Urne als Symbol des Todes mit der Muse der Freundschaft und schuf ein bislang kaum besetztes Sinnbild der trauernden Freundschaft: „Die Darstellung der Muse der Freundschaft, die gefühlvoll die Urne umfaßt, läßt die Todesumstände der bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommenen jungen Frau ganz außer acht. Der Anlaß mag konkret sein, die Attitüde der innigen Umarmung der Urne wird sinnbildhaft allgemein.“139

Es entsteht der Eindruck, als hätte Kauffmann die Schrecken des Todes aus dem Sujet gelöst und die Beziehung der Verstorbenen

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zu Leben und Tod in den Hintergrund gerückt. Im Vordergrund steht nun die zwischenmenschliche Beziehung, welche die Hinterbliebenen mit den Verstorbenen gepflegt hatten. Das Zwischenmenschliche erfährt dadurch einen „überzeitlichen Wert“, die Verbundenheit, Innigkeit und Dauerhaftigkeit der Gefühle füreinander werden im Bild festgehalten und beschworen. Kauffmann gelang es, mit dieser Bildschöpfung ein „vielfach zitiertes Gefühls­ ikon“ zu etablieren, das sowohl bei befreundeten Künstlern des Weimarer Hofes als auch von Zeitgenossen wie Johann Heinrich Lips (1758 – 1815), Philipp Jakob Scheffauer (1756 – 1808) oder ­Johann Heinrich Dannecker (1758 – 1841) zum Vorbild genommen wurde (Abb. 216). Die Redewendung, dass Beziehungen gepflegt wurden, steht wortwörtlich wie symptomatisch für die Epoche der Empfindsamkeit – Gefühle wurden kultiviert und der zwischenmenschliche Umgang auf die Artikulation von Gefühlen konditioniert. Emotionen werden nicht einfach nur erlebt und erfühlt, sondern sie werden zeitspezifisch artikuliert und veräußert, geteilt oder verinnerlicht, möglicherweise auch unterdrückt und bezwungen. Gefühle sind also nichts Autarkes oder Losgelöstes, sondern sie brauchen ein Gegenüber und korrespondieren mit einer Vielzahl von äußeren Umständen. Charakteristisch für die Empfindsamkeit wurde die Aufwertung der Gefühle gegenüber dem Verstand.140 Infolgedessen gewann die Freundschaft an Bedeutung, weil hier Gefühle zum Ausdruck gebracht, zum Mitfühlen angeregt und als bindendes Moment empfunden werden konnten. Die Kultivierung der Emotionen mündete in einem „Freundschaftskult“141. Das soziale Umfeld wurde nun nicht mehr zwingend aus Geburt und Abstammung abgeleitet, sondern konnte nach emotionaler Verbundenheit frei gewählt werden. Die Geisteshaltung dieser Entwicklung nährte sich aus dem Pietismus, sentimentalen Familienromanen und der Begeisterung für die Sprache der Leiden­

Abb. 215: Pleureuse von Claude Michel, genannt Clodion (1766) Abb. 216: „Die trauernde Freundschaft“, Johann Heinrich Lips nach Angelika Kauffmann (1767)

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Abb. 217: Zimmerkenotaph mit „Trauernder Freundschaft“, Philipp Jakob Scheffauer (um 1801/09) Abb. 218: „Trauernde Freundschaft“, Philipp Jakob Scheffauer (um 1801/09)

Kapitel 3

schaftlichkeit – Ausdruck fand sie in der Freundschaftsdichtung, in Briefkorrespondenzen oder Salons, in der Vorstellung vom Freunde im Geiste oder der Seelenverwandtschaft.142 Auch Angelika Kauffmann lebte die Gefühlskultur der Empfindsamkeit und die Bedeutung der Freundschaft spielte für sie eine große Rolle, wie aus Briefwechseln mit dem Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 – 1803), dem Antiquar und Kunstagenten Johann Friedrich Reiffenstein (1719 – 1793) oder den Weimarer Kreisen hervorgeht, in denen sie immer wieder ihre Verbundenheit beteuerte und sich der gegenseitigen Freundschaft vergewissern wollte.143 Das Sujet einer trauernden Freundschaft, wie es Kauffmann kombiniert hatte, wurde vermutlich deshalb so begeistert aufgenommen, weil sich viele Zeitgenossen mit dem Gefühl der freundschaftlichen Verbundenheit und dem schmerzlichen Verlust identifizieren und im Betrachten nach-empfinden konnten.144 Zudem entsprachen die weiblichen Figuren den Geschlechteridealen der Empfindsamkeit, indem sie die Charakteristika „Zeitlosigkeit, Selbstbezüglichkeit, Poesie, Vollendung, Konstanz, Natur und ­Sitte“ verkörperten.145 Folglich war die Darstellung von Weiblichkeit in Verknüpfung mit Themen wie Abschied, Tod und Andenken besonders sinnstiftend bzw. emotional glaubwürdiger als die Darstellung einer männlichen Figur. Der Konnex aus Freundschaftskult, Weiblichkeit und Mitfühlen findet sich auch im Phänomen der Zimmerkenotaphe um 1800. Zimmerkenotaphe wurden überwiegend im späten 18. bis ins frühe 19. Jahrhundert als Trauermonumente in privaten Räumen aufgestellt.146 Die Besonderheit an diesen Objekten ist, dass es sich um eine Mischung aus Möbel und Miniaturgrabmälern handelte, die keine Überreste der Verstorbenen bargen, sondern lediglich den Zweck eines Schein- oder Idealgrabmals erfüllten. Mit ihnen sollte die Erinnerung an einen bestimmten Verstorbenen wachgehalten werden. Das Zimmerkenotaph zum Andenken an Johann Karl von Zeppelin (1767 – 1801) beispielsweise war ein Schreib-

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schrank, auf dem eine Kleinplastik der „Trauernden Freundschaft“ von Philipp Jakob Scheffauer (1756 – 1808) wie auf einem Grabmal inszeniert und die Vorderseite des Möbels mit einem Bild des Mausoleums auf dem Alten Friedhof in Ludwigsburg verziert wurde (Abb.  217, Abb.  218).147 Im Gestus der Temperantia lehnt sich die ›Trauernde‹ seitlich über eine mit Flor verhüllte Urne, die auf einem Sockel mit dem Porträt Zeppelins steht. In der Bilderreihe zu den weiblichen Grabplastiken ist dieses Zimmerkenotaph nicht nur wegen des Motivs relevant, sondern auch auf Grund seiner Objekthaftigkeit. In den Zimmerkenotaphen offenbart sich eine eigentümliche Vermischung von Anschauungs- und Gebrauchsobjekt, die mit anderen Einrichtungsgegenständen nicht generell vergleichbar ist. Sie hatten einen kontemplativen Charakter, indem das Motiv zu Trauergefühlen und zum Erinnern animieren und damit den Toten durch Andenken vergegenwärtigen sollte: „Der Hinterbliebene versucht die getrennte Beziehung weiterzuführen, den Verstorbenen als Gegenüber in seinem Leben zu erhalten.“148 Darüber hinaus hatten sie auf Grund der Anregung der Gefühle auch ­einen gewissen »Gebrauchs-Charakter«. Emotionen konnten durch das Betrachten der Objekte »ge-« oder »verbraucht« im Sinne von praktiziert, artikuliert oder geteilt werden. Sie boten im Kreis der Familie oder Freunde einen Anlass, um über Erinnerungen und verbindende Gefühle zu sprechen, zumal die Zimmerkenotaphe eher herausragenden Persönlichkeiten und Freunden im Geiste gewidmet waren als konkreten Angehörigen, so dass auf ihnen die Ideale und Vorbilder des Hausherren ablesbar waren und sie als Teil des Habitus gedeutet werden konnten. Indem in Objekten und Objektivationen immer auch sozial strukturiertes Handeln bzw. eine kulturell geformte Praxis angelegt ist,149 konnten die ›Trauernden‹ auf Zimmerkenotaphen identitätsstiftend wirken und die Beteiligten ihrer gemeinsamen Ideale, Gedenkkultur und Gefühlswelten versichern.

Abb. 219: ›Trauernde‹ als Allegorie der „Ehelichen Liebe“, Johann Heinrich Dannecker, Grabmalentwurf für Christan Friedrich Daniel Schubart (um 1791/92) Abb. 220: „Die Eheliche Liebe“, Christian Bernhard Rode (1788)

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Abb. 221: Grabstätte Bernhard Kugler (1898), Stadtfriedhof Tübingen Abb. 222: Grabmal Franz Bendel (1874), Französischer Friedhof I Berlin Abb. 223: „Protezione“, Grabmal Arcari (1909), Hans Dammann, Cimitero Monumentale, Mailand

Kapitel 3

Das Motiv der „Trauernden Freundschaft“ wurde im frühen 19. Jahrhundert immer weiter modifiziert und neu ausformuliert. Unter Johann Gottlieb Fichtes (1762 – 1814) Prämisse, dass w ­ ahre Freundschaft nur in der Ehe möglich sei, konnte die Bildkombination aus weiblicher ›Trauernder‹, Urne und Porträt beibehalten, aber unter dem Titel »Die eheliche Liebe« inszeniert werden (Abb.  219, Abb.  220).150 Verbreitet und verstetigt wurden derartige Bilder nicht nur über Reproduktionen oder Nachahmungen, sondern auch über Schriften, wie das Handbuch über „Allegorische Personen, zum Gebrauche der bildenden Künstler“ von dem Schriftsteller und Philosophen Karl Wilhelm Ramler (1725 – 1798). Er empfahl die „Eheliche Liebe“ als Zeichen für die intendierte Liebe über den Tod hinaus, „wenn die eheliche Liebe weinend bey einer Urne oder einem Grabmahle sitzt [sic!]“151. Der kultivierte Umgang mit Emotionen und der Entwurf der Liebesheirat gehörten ab dem frühen 19.  Jahrhundert zum bürgerlichen Tugendkatalog; dieser sollte sich schließlich auch in den letzten Dingen widerspiegeln. Viele weibliche Grabplastiken des späten 19. Jahrhunderts vereinen in der ›Trauernden‹ sowohl das (Vorstellungs-)Bild der „trauernden Freundschaft“ als auch der „ehelichen Liebe“ (Abb. 221, Abb. 222). Akteurinnen und Akteure, die im fortgeschrittenen 19.  Jahrhundert verstarben, hatten sich mit diesen Bildern und Gefühlskulturen sozialisiert und konnten bei der Gestaltung ihres Grabes aus diesem Bildwissen schöpfen. Die Grabmal- und Gedenkkultur der aristokratischen Oberschicht wurde zunehmend von breiteren Kreisen adaptiert und in vielschichtigen Bildprogrammen als spezifisch bürgerlich codiert. Die starke Verbreitung solcher Motive in der Hochphase der weiblichen Grabplastik um 1900 spricht dafür, dass neben der ideologischen Aufladung nun auch verstärkt das Prinzip von Vorbild und Nachahmung eine Rolle spielte.

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Bildsymbiosen der Empfindsamkeit – Pathosformeln – Versatzstücke Die ›Trauernde‹ an der Urne, wie wir sie auch in der „trauernden Freundschaft“ und „ehelichen Liebe“ finden, war eines der häufigsten Motive in der Grabmalkultur der Jahrhundertwende. Die Bildvarianten reichten von stehenden, sitzenden oder knienden Figuren, die wahlweise vor Großarchitekturen, Stelen oder abgebrochenen Säulen die Urne im Arm oder auf dem Schoß hielten (Abb.  223, Abb.  224, Abb.  225). Diese Kombination von symbiotischer Motivverschmelzung, wiederkehrenden Gesten und wechseln­ den Kulisseninszenierungen sind charakteristisch für den Großteil der Grabfiguren. Am Beispiel der ›Trauernden‹ an der Urne lässt sich zeigen, dass sie teils als Unikat bei Bildhauern in Auftrag gegeben wurde oder als Reproduktion bei den Künstlern oder über Gießereien erwerbbar war. Als ab den 1880er Jahren die ›Trauernden‹ auch seriell gefertigt wurden und kostengünstiger angeboten werden konnten als Unikate, erreichte das Phänomen der weiblichen Grabplastik die Mittelstandskreise, die an der bürgerlichen Grabmalkultur partizipieren wollten. Die WMF, die Württembergischen Metallwarenfabriken, die noch heute für Haushaltswaren und Gastronomiebedarf bekannt sind, haben maßgeblich zur Verbreitung von Galvanoplastiken auf Friedhöfen im deutschsprachigen Raum beigetragen.152 Das Galvanoverfahren wird in einem späteren Kapitel ausführlicher vorgestellt, seine Spezifika sollen aber bereits angedeutet werden: Auf einen Gipskern oder eine Negativform wurde eine dünne Metall­ schicht abgelagert. Die Gipsform wurde ummantelt, mit künstlicher Patina bemalt und sah aus wie eine Bronzeplastik; die einzelnen Teile der Negativform wurden zusammengesetzt, verlötet und sahen ebenfalls aus wie ein Bronzeguss. Das meistverkaufte Motiv der WMF war der segnende Christus nach einer Vorlage von Bertel Thorvaldsen – er wurde auf Grabstätten fest installiert oder aber auch als Dekorelement bei Aufbahrungen im privaten

Abb. 224: Grabstätte Grell (1910), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 225: ›Trauernde‹, Hans Dammann (o. A., heute Aschengemein­ schaftsgräber), Friedhof Wilmersdorf, Berlin

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Abb. 226: Grabstätte Hofer/ Ort-Hofer (o. J.), Fidel Binz (WMF), Zentralfriedhof Wien Abb. 227: Grabstätte Kotowsky (1914), Fidel Binz (WMF), Zentral­ friedhof Wien Abb. 228: ›Trauernde‹ von Fidel Binz, Katalogseite der WMF (1906/07)

Kapitel 3

Raum eingesetzt.153 Unter den weiblichen Galvanoplastiken waren weibliche Engel und profane Trauerfiguren am beliebtesten. Das Motivrepertoire umfasste meist stereotyp wirkende Frauenfiguren, die auf einem Grabstein, einer Tafel oder in einem Buch schrieben, neben dem Grabmonument standen, saßen oder lehnten, und deren Blick gesenkt oder nach oben gerichtet war. Bis heute sind zahlreiche trauernde Galvaniken mit Urne erhalten, in denen sich die „trauernde Freundschaft“, „eheliche Liebe“ sowie die Bildsymbiose aus Mansuetudo und Temperantia überlagern. Da sie über Kataloge oder Geschäftsniederlassungen bei der Firma in Auftrag gegeben wurden und das Grabmonument von einem ortsansässigen Steinmetz ausgeführt wurde, kommt es vor, dass Figuren desselben Motivs entweder an einem Kreuz, einer Stele oder einer Säule zu finden sind (Abb. 226, Abb. 227, Abb. 228). Die Sinnbilder mäandern zwischen Hoffnung, Abschiedsschmerz und Liebe. Als ›Trauernde‹ werden sie gekennzeichnet durch das Grab als Attribut sowie durch die ausgeprägten Pathosformeln. Diese beiden Identifikationsmerkmale sind allen weiblichen Grabplastiken um 1900, unabhängig von Material oder Vervielfältigung, gemein. Bezüglich der Pathosformeln ist jedoch eine Besonderheit der Galvanoplastiken, dass sie auf Grund der serienmäßigen Herstellung der Plastiken so stereotyp zur Geltung kommen. Der Begriff der Pathosformeln geht zurück auf Aby Warburg, der in seinen umfangreichen Bildstudien festgestellt hatte, dass bestimmte Gesten gesteigerten Gefühlen wie Schmerz oder Verlust einen Ausdruck geben sollten und diese von Künstlern formelhaft kopiert wurden.154 Auf die gleiche Weise, wie Gefühls­ äußerungen im Zwischenmenschlichen einen Auslöser haben und auf Anschlusskommunikationen abzielen, sollen die Pathosformeln bei den Betrachtenden die Imagination einer Vorgeschichte wecken und die Emotionen im Betrachten anregen. Die Bilderreihe von weiblichen Grabplastiken veranschaulicht die Bandbreite an Pathosformeln, die für die bürgerliche Gedenkkultur kopiert und

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variiert wurden: Der Blick der Plastiken wurde gesenkt oder zum Himmel erhoben, eine Hand vor die Augen geschlagen oder auf die Brust gelegt, das Kinn auf eine Hand gestützt oder Körperhaltungen des Anlehnens oder Ablegens mit wehmütigen Gebärden in Szene gesetzt – all diese Gebärden lassen eine Vorgeschichte von tiefer emotionaler Bindung, einschneidendem Verlust und anhaltendem Schmerz erahnen (Abb.  229, Abb.  230, Abb.  231). In Pathosformeln in der Grabmalkultur war also intendiert, dass alle Menschen Erfahrungen wie Abschied und Leid kennen und sich mit der Darstellung der symbolischen Formeln identifizieren können, so dass der emotionale Bildeindruck bestärkt wird. Anhand der Pathosformeln werden die Figuren als ›Trauernde‹ identifizierbar und fungieren als „Würdeformeln“, die den „Toten mit formalen Mitteln Bedeutung und Rang“ verleihen sollen.155 Entlang der weiblichen Grabplastiken um 1900 zeigt sich, dass die Tradition der Pathosformeln konsequent aufgegriffen und entlang zeitgenössischer Diskurse modifiziert wurde. Die Mehrzahl der weiblichen Grabplastiken bildete den gesteigerten Ausdruck im Bezwingen der Affekte ab. Weiblichkeitsbilder, die heftige Gefühle zwar veräußern, aber bezwingen, entsprachen den bürgerlichen Geschlechteridealen. Gebärden wie das Anlehnen und Abstützen, der abgewandte Blick und gesenkte Kopf, bewegten sich innerhalb der Grenzen der bürgerlichen Normen und Konventionen. Diese Gesten der weiblichen Trauer vermittelten den sittsamen, »natürlichen« Umgang mit heftigen Gefühlen. In der Friedhofslandschaft der Jahrhundertwende waren aber auch ›Trauernde‹ zu finden, die den ungebändigten Schmerz zur Schau stellten: Im Extrem raufen sie sich die Haare, werfen sich zu Boden, ihr Körper bäumt sich expressiv auf; in gemilderter Form tragen sie die Haare offen, die Hände deuten konvulsive Krümmungen an oder die Träger des Kleides sind verrutscht, so dass Schultern oder ein Teil der Brust nicht mehr bedeckt sind. Diese Gesten wichen nicht nur von den Idealen der Gefühlsartikulation

Abb. 229: ›Trauernde‹ (o. A.), Hans Dammann, Ostfriedhof München Abb. 230: Grabstätte Heer-Schweizer (1888), Friedhof Sihlfeld, Zürich Abb. 231: ›Trauernde‹ (o. A.), Cimitero Monumentale, Mailand

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ab, sondern sie sprengten die Grenzen des Erlaubten und Normativen – sie galten als abnorm. Besonders deutlich wird dies in den meist verborgenen konvulsiven Krümmungen, die im späten 19.  Jahrhundert in medizinisch-psychoanalytischen Kontexten als ein Indiz bzw. Symptom der weiblichen Hysterie galten. Doch gerade auf Grund dieser Überformung waren derartige Darstellungen geduldet und sinnstiftend, weil sie das Potenzial hatten, die Grenzüberschreitung zu visualisieren: sie vermittelten den Eindruck, dass der Verlust der geliebten Angehörigen so gravierend und der Schmerz so essenziell war, dass die gesellschaftlich goutierten Gesten der Trauer gesprengt werden mussten (Abb. 232, Abb. 233, Abb. 234). Aus dieser Perspektive lassen sich auch die vielen herabgesunkenen Kleiderträger, nackte Schultern und ausladende Dekolletés als Pathosformeln lesen. Hinweise dafür geben die Inszenierungen von Körper und Bekleidung, indem sie die Unterschiede zwischen der Darstellung einer konkreten Frau oder eines Sinnbildes markierten. So konstatierte Silke Wenk über weibliche Plastiken:

Abb. 232: ›Trauernde‹ (o. A., vermutl. nach 1910), Cimitero

„Die Bilder des ‚Weiblichen‘ unterscheiden sich. Die Mutter und die Braut tragen zeitgenössische Kleidung, sie sind ‚sittsam‘ bedeckt, ihre Haare sind meist hochgebunden […]: Die Allegorien dagegen zeigen häufig eine nackte Brust, manchmal auch einen nackten Oberkörper; ihre Kleidung ist ‚unzeitgemäß‘, an klassischen Vorbildern orientiert; sie entsprechen nicht den Regeln des 19. Jahrhunderts, wie sich Frauen in der Öffentlichkeit zu zeigen haben.“156

Monumentale, Mailand Abb. 233: Grabmal Julius Kammel (1888), Zentralfriedhof Wien Abb. 234: Grabmal Herrmann (1904/05), Roland Engelhard, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

Obgleich die Inszenierung von Bekleidung in den allegorischen Figuren der Kunst anderen Prämissen folgten als in jenen Plastiken, die konkrete Frauen zeigten, sind ihre Darstellung bzw. ihre Rezeption nicht frei von zeitgenössischen Diskursen. Auf den Grabplastiken der Jahrhundertwende konnten die verrutschten Kleidsäume gewissermaßen als Bekleidung interpretiert

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werden, die in Unordnung gebracht worden war und die vermuten ließ, dass die Trägerin auf Grund der heftigen Gefühle nicht in der Lage war, die gängige Ordnung der bürgerlichen Kleiderkonventionen zu wahren. So gesehen waren die entblößten Schultern der ›Trauernden‹ Teil des Repertoires an Pathosformeln, aus dem in der zeitgenössischen Grabmalkultur geschöpft wurde. Indem diese konventionsüberschreitenden Pathosformeln mit eher gemäßigten Darstellungsformen wie dem gesenkten Blick kombiniert wurden, konnten die Gesten der Trauer spannungsreich verdichtet werden. Versatzstücke – Vieldeutigkeit – Amalgame Die Pathosformlen erscheinen gegenüber den zahlreichen Symbolen, Attributen und Bildverweisen in den Grabinszenierungen wie eine Konstante, um die herum Versatzstücke je nach persönlichen Vorlieben arrangiert wurden. Die seriellen Galvanoplastiken der WMF machen das Verhältnis von stereotypen Wiederholungen und individuellen Ausformulierungen besonders deutlich. Die WMF bot in ihren Katalogen für einige Motive die Möglichkeit, ein bestimmtes Motiv wahlweise mit oder ohne Flügel auszuführen. Auf diese Weise blieben die inkorporierten Pathosformeln bestehen, aber die Figur ließ sich wahlweise als mythologische Flügelfigur, weiblicher Engel oder Genius interpretieren und bestellen. Auch einzelne Elemente waren gegebenenfalls austauschbar und beeinflussten die Rezeptionsmöglichkeiten. So hielten die Figuren entweder eine Rose, einen Palmzweig oder Lorbeerkranz in der Hand oder sie lehnten sich über eine Schreibtafel oder eine Urne (Abb.  235, Abb.  236); je nach Ausstattung wurden sie christlich, antik oder sentimental codiert und spielten auf Bildverwandtschaften zu Auferstehungsengeln, Siegesgöttinnen, Musen oder der „trauernden Freundschaft“ bzw. „ehelichen Liebe“ an. Die WMF hielt ein Accessoire-Angebot bereit, über das die Auftragge-

Abb. 235: Katalogseite der WMF (1906/07) Abb. 236: Grabstätte Steinike/ Brinckman (1904, heute Grünewald), Ad. Bernd (WMF), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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Abb. 237: Charakteristika der dorischen Säulenordnung Abb. 238: Grabmal Dralle (1913), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 239: Antike Haartracht (400 v. Chr., oben); bürgerliche Frisurenmode (um 1900, unten)

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benden spezifische Vorstellungswelten und Sinnstiftungen andeuten oder einfach ihren persönlichen Geschmack repräsentiert wissen konnten. Diese Art des Vermischens, Überlagerns und Verschmelzens unterschiedlich codierter Fragmente war nicht allein auf die galvanische Katalogware beschränkt, sondern wurde auch in der Gestaltung von Unikaten praktiziert. Viel mehr noch als die Galvanoplastiken fungierten diese Auftragsarbeiten als vielschichtige Sinnbilder und repräsentative Statussymbole, weil sie privaten Denkmälern der individuellen Lebensleistung glichen. In dem Kapitel über den Ohlsdorfer Friedhof konnte bereits an der Großgrabstätte der Familie Dralle gezeigt werden, dass die räumliche Inszenierung des Monuments als Denkmal und die Lage im renom­mierten Waldgürtel die Lebensleistung hervorheben und das Familienandenken untermauern sollte. Die Ausgestaltung der Grabplastik, die von dem Berliner Hans Dammann stammt, bestärkt diesen Eindruck auf vielschichtige Weise. Zunächst wurde die weibliche Figur im Stil des Klassizismus in einer tempelartigen Architektur präsentiert und von dorischen Säulen gerahmt (Abb.  237, Abb.  238). Mit sinnierend gesenktem Blick und in ein antikisiertes Gewand gekleidet hält sie Schrifttafel und Griffel in ihren Händen. Diese Attribute kennzeichnen die Figur sowohl als die mythologische Schicksalsgöttin Lachesis als auch als Klotho, die Muse der antiken Heldendichtung und Geschichtsschreibung. Lachesis bemisst die Länge des Lebensfadens und verzeichnet die Lebensleistung bzw. das Lebensende in einer Schriftrolle. Sie lässt sich in der Memento mori-Tradition rezipieren, da sie die Betrachtenden auf die Endlichkeit ihres irdischen Daseins verweist. Die Bildverwandtschaft zur Klotho markiert das Grab und seine Verstorbenen als erinnerungswürdig, indem ihre Präsenz im Geist des Historismus auf die Geschichtsträchtigkeit sowie den Nachruhm der Toten anspielt. Wie bereits an Canovas Inszenierung des Papstdenkmals für Clemens  XIV.

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gezeigt werden konnte, verkörpert die Grabplastik weniger die spezifischen Charakterzüge eines Toten, sondern vielmehr die innere Haltung, mit der die Hinterbliebenen vor das Grab und das Andenken treten sollten. Zudem bietet diese Schreibende Assoziationen zum „Buch des Lebens“, in welchem das als Verzeichnis aller Gläubigen und Gott wohlgefälligen Menschen vermutet wurde. Diese Vorstellung überlappt sich mit der Vorstellung des weniger positiv konnotierten „Buches der Gerechtigkeit“, in denen die Missetaten der Menschen niedergeschrieben sind, damit am Tag des Jüngsten Gerichts eine göttliche Instanz über sie richten werde.157 Beide Interpretationsmöglichkeiten entspringen christlich-religiösen Vorstellungswelten und stehen in keinerlei Widerspruch mit der klassizistischen, antik-mythologischen Codierung der Grabinszenierung, sondern ergänzen diese lediglich um eine weitere Bedeutungsebene. Hinzu kommt ein weiteres, subtileres Gestaltungsdetail, in welchem biographische Bezüge zum Familienunternehmen der Dralles verborgen liegen. Der Berliner Bildhauer Hans Dammann (1857 – 1942) schuf neben dieser Grabplastik zahlreiche weitere Grabfiguren für Familien in Hamburg-Ohlsdorf sowie in Berlin oder Mailand. Vergleicht man mehrere Figuren von Dammann nebeneinander, so fällt zunächst die stereotype historisierende Darstellung der Figuren auf. Auf den zweiten Blick scheint die Plastik am Familiengrab Dralle aus der Reihe zu fallen, weil ihre Frisur individuell ausgearbeitet und im Gegensatz zu ihrem klassizistischen Gewand in der Mode des 19. Jahrhunderts gehalten ist: Sie lässt sich als biographischer, rein lebensweltlicher Verweis auf das Familienvermächtnis lesen (Abb. 239, Abb. 240). Georg Dralle war Hersteller von Seifen und Duftwassern und baute den Betrieb zusammen mit seinen Söhnen in den 1880er Jahren zu einem überregional kooperierenden Familienunternehmen aus. Da er neuen Innovationen in der künstlichen Riechstoffindustrie aufgeschlossen war, wurde er mit „Blumen- und

Abb. 240: Grabmal Dralle (1913), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 241: Werbeanzeige „Dr. Dralle’s Birken-Haarwasser“ (o. J.)

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Abb. 242: Grabstätte ­Ernest-Louis-Aquilas Christophe (1892), Friedhof Batignolles, Paris Abb. 243: Grabmal Plesch-Ritz (1903), Arthur Bock, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 244: Grabstätte Julius Heckenhauer (1880), Stadtfried­ hof Tübingen

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Phantasiedüften“ marktführend, die mit französisch anmutenden Namen wie „Bouquet Flora“ oder „Lilionese“ gezielt eine gehobene Klientel ansprechen sollten.158 Großen Erfolg hatte das Familienunternehmen mit einem speziellen Herrenhaarwasser, das bis heute noch unter dem Namen „Birkin Haarwasser“ bekannt ist (Abb. 241).159 Da die Grabinschriften keinen Hinweis auf den Beruf oder das Unternehmen geben, bleibt die modische Frisur ein verstecktes Indiz für die Familienbiographie und konnte nur von Kennern oder Angehörigen decodiert werden. Mit Hilfe dieses kleinen Details bot sich jedoch die Möglichkeit, dem Familienvermächtnis ein individuelles Denkmal zu setzen. Indem Hans Dammann Bezüge zur griechischen Antike, zum Christentum und zum Familienunternehmen in einer Figur verschmolzen hatte, strahlten diese drei Ideenwelten auf die Verstorbenen zurück. Auf diese Weise konnten die Toten von der bewun­ dernden Nachwelt an der Grabstätte als gebildet, fromm und strebsam erinnert werden. In Bilderreihen zur weiblichen Grabplastik werden zahlreiche Beispiele für diese Art der Überlagerung offenkundig. In den Symbolen, Bildtraditionen und Andeutungen kumulierten die Ideale des bürgerlichen Wertehimmels wie z. B. humanistische Bildung, christlicher Glaube oder geschäftige Strebsamkeit. Gleichzeitig überlagerten sie sich mit den verborgenen Seiten des bürgerlichen Innenlebens und spiegeln Sehnsüchte und Begehren, Ängste und Hoffnungen: Spannungsreich und vieldeutig legt ein erotisierter Engel eine Rose am Grab nieder, eine Stabat mater am Kreuz stützt sinnierend ihr Kinn auf die Hand und streut Immortellen oder eine entblößte Frauenfigur hält ­einen Palmzweig als christliches Segenszeichen und scheint dabei in symbolistischem Gestus mit einem Findling zu verschmelzen (Abb. 242, Abb. 243, Abb. 244, Abb. 245). Es ist anzunehmen, dass die Verknüpfung dieser unterschiedlichen Konnotationen kein paradoxes Andenken an die Verstorbenen evozieren sollte, sondern ein vielgestaltiges: Die Auswahl

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der hier vorgestellten Beispiele gibt einen Eindruck davon, dass in der bürgerlichen Grabmalkultur eine Vorliebe für vieldeutige Bildschöpfungen mit ihren teils religiösen, humanistischen oder heidnischen Wurzeln gepflegt wurde: „Wo man anknüpfte, wurde intellektuell zitiert oder sentimental assoziiert.“160 Sie sind exemplarisch für die vielen Motivkonglomerate, in denen Engelvorstellungen, Mariendarstellungen, Mutterbilder, Musen, Göttinnen und Genien mit biographischen Verweisen und individuellen, geschmäcklerischen Verssatzstücken verschmolzen wurden. Aus kunsthistorischer Perspektive werden vergleichbare Überlagerungen in weiblichen Sinnbildern für die Zeit des späten 19. Jahrhunderts als Krise für die Allegorie und ihre Attribute oder als Bedeutungsverlust und Entspezifizierung tradierter Symbolfiguren deklariert.161 Aus kultur- und sozialhistorischer Perspektive zeigt sich, dass seitens der Auftraggebenden und der Künstler ein immenser Aufwand betrieben wurde, um Bildtraditionen und Vorstellungswelten in Hybriden zu verschmelzen. Die inszenierte Viel- und Mehrdeutigkeit der Grabstätten muss für die Akteurinnen und Akteure einen speziellen Mehrwert gehabt haben: Sie evozieren eine Rezeptionsweise, die nicht entweder den weiblichen Genius oder den weiblichen Schutzengel, die Pietà oder die Muse, die Mutter Natur oder die „trauernde Freundschaft“ und dergleichen erkennt, sondern jeweils beide bzw. jeweils alle Bildverweise mit ihren Kontexten, Vorstellungswelten und Sinnstiftungen.

3.3 Fazit Die Friedhöfe der Jahrhundertwende offenbaren in den weiblichen Grabplastiken ein breites Repertoire an Motiven und Bildschöpfungen. Kunsthistorisch sind sie über Typologien oder Kategorisierungen schwer zu fassen, weil sie selten auf eine einzige ikonographische Bildtradition zurückzuführen sind. Ihre Mehr- und

Abb. 245: Grabmal Schindler (o. A.), Zentralfriedhof Wien

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Vieldeutigkeit ist das Charakteristikum der ›Trauernden‹. Bilder und Symbole unterschiedlicher Ideen- und Vorstellungswelten wurden hier kombiniert, überlagert, amalgamiert. Auf diesen Amalgamen spiegeln sich ebenso vielschichtige Bedeutungsebenen wie Sinnstiftungen, die den Figuren inkorporiert und durch sie konserviert wurden. Welche Bedeutungen von Seiten der Künstler oder der Auftraggebenden den Figuren ursprünglich zugedacht war, lässt sich anhand der Quellenlage kaum rekonstruieren. Titel in Werkbüchern oder Verkaufskatalogen, die auf konkrete Vorbilder verweisen, wie z. B. „Schreibende“, „Pietà“ oder „Engel“, sind selten. In der Regel wurden die Plastiken unter Betitelungen wie „­Trauerfigur“, „­Memoria“ oder „Grabfigur“ präsentiert und ließen den Assoziationen der Interessenten und Interessentinnen weiten Raum.162 So konstatierte G. Franck in einer Kunstzeitschrift von 1905 über Reproduktionen von weiblichen Grabplastiken: „Der Händler liebt selbstverständlich das Allgemeine, so etwas, das man dem einen als Glaube, dem anderen Liebe und dem dritten als Hoffnung verkaufen kann, und liebt noch mehr das ­A llerallgemeinste: eine Trauerfigur. [sic!]“163

Die Verkaufsbezeichnungen der Figuren wirken angesichts ihrer Bestimmung als Grabschmuck tautologisch. Doch genau dieses Gleichbedeutende, Allgemeingültige bot einen noch relativ unbesetzten Freiraum, in welchem die Zeichen und ihre Codierungen neu arrangiert werden konnten. Es schuf die Matrix, auf der sich sowohl stereotype Pathosformeln als auch biographische, individuelle Verweise abzeichnen ließen. Aus dieser Perspektive erscheinen die weiblichen Grabplastiken wie Resultate einer Selbstermächtigung über Zeichen, welche ihrer eigentümlichen, standesoder ideenspezifischer Privilegien enthoben wurden, um sie in den Dienst des Erinner­ungskults rund um das bürgerliche Individuum zu stellen. Der Soziologe und Zeitgenosse Georg Simmel beschrieb das Geistesleben der Großstädte als Nährboden für die zunehmende Individualisierung, weil hier in den Menschenmassen der Metropolen die Schwierigkeit bestand, die eigene Persönlichkeit zur Geltung zu bringen: „[…] die von den historischen Bindungen befreiten Individuen wollen sich nun auch von einander unterscheiden. Nicht mehr der ›allgemeine Mensch‹ in jedem Einzelnen, sondern gerade qualitative Einzigkeit und Unverwechselbarkeit sind jetzt die Träger seines Wertes.“164

Inwiefern Figuren von den Betrachtenden auf all ihre Bildverwandtschaften und individuellen Verweise hin lesbar waren, lässt sich in der Retrospektive kaum nachweisen. Betrachten wir

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die ›Trauernden‹ aus der Perspektive der feinen Unterschiede ­ ourdieus, dann waren diese Amalgame in ihrer Vieldeutigkeit B nur für diejenigen wirksam, die auf Grund von Bildung und Sozialisation über die geeigneten „Schlüssel“165 zum Decodieren verfügten: „Das Kunstwerk im Sinne eines symbolischen – und nicht so sehr ökonomischen – Gutes (auch das nämlich kann es sein) existiert als Kunstwerk überhaupt nur für denjenigen, der die Mittel besitzt, es sich anzueignen, d. h. es zu entschlüsseln.“166

Die Inszenierung von Motiven, Symbolen und Raumwirkung zielte also auf Rezipientinnen und Rezipienten und deren Bilderkenntnisse ab, für welche die Besänftigung des Todes, die Ästhe­ tisierung des Schmerzes und die Kultivierung des Andenkens identitäts- und sinnstiftend waren. Gleichzeitig intendierten sie ein Publikum, dem sich die Facetten der Amalgame vielleicht nicht nur zur Gänze erschloss, aber auf das letztlich der unmittelbare Eindruck der Monumentalität der ›Trauernden‹ als ein Zeichen gegen das Vergessen und für Trost oder Hoffnung wirken konnte. Die starke Verbreitung und zahlreichen Bildschöpfungen rela­ tivierten jedoch nach 1900 den Charakter des Besonderen und schürten die Kritik an der bürgerlichen „Parvenukultur“167. Ab den 1910er Jahren ließen die Lebensreformbewegungen und die beiden Weltkriege die weiblichen Grabplastiken vor neuen sozialen Hintergründen und ihren Diskursen erscheinen: Kultivierung, Ursprünglichkeit, Gefühlsartikulation oder Fragen zum Sinn des Lebens blieben relevante Aspekte, aber vor allem die Fragen nach dem Sinn des Sterbens, zu Trauer und Gedenken wurden nun brisante Themen unter gänzlich neuen Lebenserfahrungen. Die Sinnstiftung von Schlagbildern wie der ›Trauernden‹ hat ihre Halbwertszeit und wurde zu Beginn des 20.  Jahrhunderts von aktualisierten (Vorstellungs-)Bildern eingeholt. Die ikonographische Bilderreihe zum Phänomen der weiblichen Grabplastik veranschaulicht, dass sich die Mehrzahl der Figu­ ren unter dem Motiv der ›Trauernden‹ zusammenfassen lassen, das zwischen überlagerten Bildtraditionen, stereotyper Serialität und individuellen Bildschöpfungen changierte. Nachdem bisher die räumlichen Voraussetzungen auf den Friedhöfen sowie die ikonographischen Varianten der ›Trauernden‹ beleuchtet wurden, rückt der Fokus von den Grabstätten auf die Akteure und Akteurinnen bzw. auf deren Mentalitäten und Innenleben, die in einem derart amalgamierten Bild offensichtlich Sinnstiftungen zu ihrem eigenen Ableben und dem Abschied von Verstorbenen fanden. In seiner Abhandlung über „moderne Grabmäler“ reflektierte Franck die Grabmalkultur um 1900 aus zeitgenössischer Perspektive:

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„Es sind in der Tat die verschiedensten Gefühle und Gedankengänge, die da in den Grabmälern der letzten Jahrzehnte anklingen: Schmerz, Trauer, Wehmut, Abschiednehmen und Wiederfinden, Auferstehungslaube und Gerichtserwartung, orientalische Weltmüdigkeit […] und christlicher Welttrotz, der Menschheit ganzer Jammer, aber auch ihre ganze Hoffnung. Engel- und Christusstatuen, Allegorien und geschichtliche Gestalten, Porträts und sog. Idealfiguren sind die andeutenden Träger dieser Gedanken. Nur einer Gestalt begegnet man eigentümlicherweise fast nicht auf unseren Friedhöfen, einer Gestalt, vor der man eine heimliche Furcht hat: dem Tod.“168

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4 Mentalitätshistorisches Panorama Die weiblichen Grabplastiken lassen sich unter dem Bild der ›Trauernden‹ zusammenfassen. Mentalitätshistorisch liegt die Besonderheit darin, dass es sich nicht um zweidimensionale Bilder, sondern um dreidimensionale Objekte handelt, auf denen sich Bilder (pictura/picture) und Vorstellungsbilder (imago/image) verdichtet haben, vielmehr: auf denen (Vorstellungs-)Bilder verdichtet wurden. Denn hinter den Grabplastiken standen konkrete Auftraggebende – Männer und Frauen der Jahrhundertwende, Akteure und Akteurinnen des 19. Jahrhunderts  – , die in das Bild der ›Trauernden‹ sowohl ihre individuellen als auch die zeitspezifischen Werte, Ideale, Sehnsüchte und Ängste hineingetragen hatten. Hinter den weiblichen Grabplastiken entfaltet sich also ein weites mentalitätshistorisches Panorama, vor dem ein Phänomen wie das der weiblichen Grabplastik überhaupt erst sichtbar werden konnte.1

Der Panorama-Begriff bietet sich für die weitere Analyse der weiblichen Grabplastik aus methodisch-strategischen Gründen an. Im 19. Jahrhundert bezeichnete das Panorama eine bestimmte Form des Rundbildes bzw. Rundgemäldes, das auf einer zylindrischen Fläche Landschaften oder Ereignisse für ein Publikum in der Mitte der Konstruktion präsentierte. Der Begriff leitete sich aus dem Griechischen als eine Allsicht bzw. Gesamtsicht (pas = alles, horao = sehen) ab und intendierte die „Darstellung aller Gegenstände, welche man von einem gewissen Punkte aus übersehen kann.“2 Im zweiten Kapitel haben wir die weiblichen Grabplastiken aus der Friedhofsperspektive betrachtet, um Erkenntnisse über den Ort der Aufstellung und der Inszenierung zu gewinnen, und im dritten Kapitel wurden die Motivvarianten in den Fokus genommen, um die Bandbreite an Dargestelltem zu beleuchten. Im folgenden Kapitel soll abschließend die Frage nach dem

Abb. 246: Charles Langlois’ Panorama im Grand Carré (Paris 1839)

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mentalitätshistorischen bzw. sozial- oder kulturhistorischen Hintergrund der ›Trauernden‹ gestellt werden, aus dem sich ihr Aufkommen, ihre Bedeutungen und ihr Verschwinden konstituieren.3 Dazu lässt sich die Perspektive des Publikums in einem Panorama einnehmen, auf dem sich all jene Themen zeigen, welche die Entstehung und Erscheinung der Grabplastiken sowie den Umgang mit ihnen prägten (Abb. 246, Abb. 247).

Abb. 247: Querschnitt durch Charles Langlois’ Panorama im Grand Carré (Paris 1839)

Wir haben es mit folgender Ausgangssituation zu tun: Im westlichen Kulturraum wird der Tod meist als Gegenkonzept zum Leben konstruiert – das bedeutet, dass der Tod als Spiegelbild zu allen denkbaren Lebensbereichen gelesen werden kann. Dementsprechend sind auch Bilder und Vorstellungen zum bzw. vom Tod mit allen Lebensbereichen und ihren Diskursen verstrickt.4 So zeigen sich in der weiblichen Grabplastik über die Aspekte der Grabgestaltung und Bestattung hinaus ganz vordergründig zeitgenössische Vorstellungen von Familie und Weiblichkeit, Geschlechterrollen und Körperidealen, Kunst und Prestige, Selbstverständnis, Bildung und Glaube sowie Abschied und Gedenken, Jenseits und Diesseits. Wie sich im Verlauf der Analyse zeigen wird, prägten zudem weitere Lebensbereiche das Phänomen der ›Trauernden‹: z. B. Medizin, Rechtswesen, Wirtschaft, Politik oder Technik. Um die Fülle an Perspektiven in den wissenschaftlichen Blick nehmen zu können, muss also der Fokus geweitet werden. Auf diese Weise lassen sich die Themen wie in einer Rundumsicht betrachten und hinterfragen. Auf dem mentalitätshistorischen Panorama wird sich kein einheitliches Bild, sondern eine facettenreiche, teils brüchige und widersprüchliche Landschaft zeigen. Einige Diskurse werden als markante Gipfel emporragen, manche verborgen in Schluchten liegen, andere aus Tälern herausblitzen. Die Beschäftigung mit Diskursen ist für die Untersuchung deshalb so ergiebig, weil sie die Vorstellungen, Einstellungen und Emotionen der Menschen

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in einer bestimmten Epoche beeinflussten, aus denen sich wiederum die Mentalitäten einer historischen Situation herausbildeten. Die Diskursanalyse bietet die geeignete Methode, um das Verhältnis zwischen Artefakten und historischen Diskursen zu untersuchen. Mit ihr lässt sich einerseits die Produktion gesellschaftlich akzeptierten Wissens und andererseits die Produktion öffentlicher Meinung im Sinne von Teilhabe an Öffentlichkeit rekonstruieren.5 Da sich auf dem Panorama zur weiblichen Grabplastik Diskurse der Alltagskultur, Religion, Kunst oder Medizin überlappen, sind Quellen unterschiedlicher Gattungen notwendig, um die Fragmente zu einem annähernden Gesamtbild zusammensetzen zu können. Einige Themenbereiche sind von der Forschung gut erschlossen wie z. B. die Bürgerkultur, die Geschlechterverhältnisse oder das Kunstgewerbe und können als Sekundärliteratur in die Analyse eingebunden werden. Andere Schwerpunkte wie die Fragen nach bürgerlichen Emotionen oder Selbstverständnissen stellen in den Geisteswissenschaften hingegen quellenmäßig bisher Randerscheinungen dar und werden gelegentlich Querverweise oder Exkurse erfordern. Verkaufskataloge, Friedhofsdokumente oder historische Photographien können aus einer diskursanalytischen Perspektive ebenso an das Phänomen der ›Trauernden‹ heranführen wie Anstandsbücher, Einrichtungsratgeber, medizinische Traktate oder literarische Werke. Entlang dieser Quellen lassen sich bestimmte Bereiche des Panoramas wie mit Spots ausleuchten, um den Zeitgeist greifbar zu machen, aus dem die weibliche Grabplastik stammt. Bisher wird die Diskursanalyse in der Forschung vorwiegend auf Sprache und Texte ausgerichtet, aber sie lässt sich auch auf Objekte wie die weiblichen Grabplastiken anwenden. Da sie von Zeichensystemen ausgeht, kann sie ebenso auf Bilder und Objekte als Träger von Zeichen und Codierungen übertragen werden; zudem zählen auch bei der ›Trauernden‹ das Entstehen von etabliertem Bildwissen, Ritualen und Trauerpraktiken sowie die Teilhabe an öffentlicher Selbstdarstellung zu den zentralen Fragen.6 Der Vielzahl an Quellen und Perspektiven kann nur eine Vielzahl an Methoden gerecht werden, die sich disziplinübergreifend ergänzen. Die Diskursanalyse bietet in Kombination mit der Objektiven Hermeneutik und der Ikonologischen Analyse das methodisch-handwerkliche Fundament, von dem aus die Wechselwirkungen zwischen Bildern und Diskursen hinterfragt werden können.7 Alle drei Methoden berücksichtigen das mentalitätshistorische Panorama auf ihre eigene Weise: Die Diskursanalyse versteht zeitspezifische Diskurse und Mentalität als paradigmatisch, die Ikonologische Analyse befasst sich in ihrem dritten und letzten Arbeitsschritt, der ikonologischen Interpretation, mit einem Kunstwerk als Ausdruck und „Gehalt“ einer historischen Situation, die Objektive Hermeneutik hingegen setzt von Anfang an in

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allen Texten und Artefakten „objektiv geltende Sinnstrukturen“ voraus, die dann in der Sequenzanalyse berücksichtigt werden.8 Die Verknüpfung der Methoden bietet die Möglichkeit, nicht nur die Bild- und Objektebenen der ›Trauernden‹ zu beleuchten, sondern das Phänomen der weiblichen Grabplastik, also das »sich Zeigende« und »Erscheinende«, das die Figuren in ihrer Zeit hervorbrachte und umgab. Das letzte Kapitel widmet sich dem Phänomen und der Bedeutung der weiblichen Grabplastik in der – für die Geschichtswissenschaft vergleichsweise kurzen – Hauptphase zwischen den 1870er und 1910er Jahren. Da die Fülle an Diskursen und Themen, die herangezogen werden sollen, ein komplexes Geflecht darstellt, wird es immer wieder Schnittstellen, Ausblicke oder Rekurse untereinander geben, aber auch auf die vorangegangenen Kapitel zu europäischen Friedhöfen und den ikonographischen Vorbildern der weiblichen Grabplastiken. Die folgenden Ausführungen lassen sich unter drei schlichten Aspekten bündeln: Es geht um die Fragen, wer hinter den Figuren stand, welcher Umgang mit den Figuren kultiviert wurde und wofür die Figuren im tieferen Sinne standen. In den Fokus gerückt werden zunächst die Akteure und Akteurinnen – die Auftraggebenden, Familien, Witwen, Angehörigen – sowie das öffentliche Publikum auf dem Friedhofsgelände. Von der Auftragssituation ausgehend werden die Produktionsbedingungen, Materialvorlieben und künstlerischen Stile ebenso zur Sprache kommen wie die Wechselwirkungen zwischen Trauerritualen, Denkmalkultur, Selbstinszenierung, Geschlechterrollen und Grabschmuck. Abschließend wird es um die zeitgenössischen Vorstellungswelten gehen, in denen Themen wie Endlichkeit und Ewigkeit, Diesseits und Jenseits oder auch Eros und Thanatos kumulierten. Es wird sich zeigen, dass die ›Trauernden‹ nicht nur in Diskursen verankert waren, sondern selbst neue Diskurse hervorbrachten, bestehende Vorstellungen teils unterwanderten und – vor allem – das Selbstverständnis der Akteurinnen und Akteure zu Sterben und Tod artikulierbar machten.

4.1 Auftragssituation Grundsätzlich zählen unter anderem die Angehörigen zu den Personen, die Aufträge für Grabmäler mit weiblichen Plastiken erteilten: Ehemänner, Ehefrauen, Kinder, Eltern oder in Ausnahmefällen auch andere nächste Verwandte oder nahe stehende Hinterbliebene. Darüber hinaus wurde die Einrichtung des Grabes gelegentlich auch schon zu Lebzeiten des Familienoberhauptes vorgenommen, um Vorsorgemaßnahmen für den Fall des Todes zu treffen.

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Aufschluss über die Auftragssituation können Werksbücher aus dem Grabmalgewerbe und Dokumente von Künstlern geben. August Stösslein, Inhaber der Werkstätten für Friedhofskunst in Plauen und spezialisiert auf die Vermittlung von Grabplastiken von Bildhauern, veröffentlichte in einem Katalog (1912) eine Referenzliste seiner Kundschaft.9 Unter den 53 Auftraggebenden vermerkte er 31 Männer, 19 Frauen, zwei Firmen und ein „Fräulein“. Bei den Männern und Frauen handelte es sich vorwiegend um verwitwete Ehepartner, bei den Firmen und dem „Fräulein“ um Hinterbliebene bzw. eine verwaiste erwachsene Tochter. An diese Referenzliste schloss Stösslein eine Art Reklameteil an, der mit „Auszügen aus Anerkennungsschreiben“ interessierte Kundschaft ansprechen sollte. Diese Anerkennungsschreiben stammen unter anderem von Auftraggebenden, die nicht in der Referenzliste aufgeführt wurden, und geben Einblicke in die Auftragssituation für Grabmäler mit weiblichen Plastiken nach der Jahrhundertwende: „Gebrüder Tegeler Gardinenfabrik Plauen i.V., den 12. Oktober 1907 Herrn August Stösslein, hier. Ich bescheinige Ihnen hiermit, daß das von Ihnen gelieferte Grabdenkmal in jeder Hinsicht zu meiner vollen Zufriedenheit ausgefallen ist. Hochachtungsvoll gez. Anna verw. Tegeler“

„Franzensbad, den 14. September 1912 Herrn August Stösslein, Plauen i.V: Mit Vergnügen erlaube ich mir Ihnen mitzuteilen, daß die von Ihnen hergestellte Grabanlage für meine Frau meine Erwartungen nicht nur vollauf befriedigt, sondern übertroffen hat. Der Grabstein selbst, nach dem Entwurf des Herrn Professor Berndl, München, gearbeitet, ist aus gutem Material, das sinnvolle Relief von Künstlerhand tadellos herausgearbeitet. Überhaupt ist die ganze Anlage des Denkmales, einschließlich der Bepflanzung, äußerst harmonisch und stimmungsvoll, wie es der Stätte entspricht und kann der Preis mit Rücksicht auf die viele Mühe, welche sich Herr Stösslein persönlich damit genommen hat, keineswegs ein hoher genannt werden, zumal, wenn man die nach der alten Schablone und mit bedauernswertem Kunstmangel verfertigten, aber auch keineswegs billigen, schwarze Kolosse daneben betrachtet. Seien Sie für Ihre aufgewendete Mühe und Sorgfalt nochmals bestens bedankt und überzeugt, daß die künstlerische Bearbeitung der Friedhöfe für Sie die beste Reklame ist. Mit aller Hochachtung Ihr ergebenster gez. Dr. Sandner [sic!]“10

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Die Anerkennungsschreiben müssen aus einer quellenkritischen Perspektive gelesen werden, weil sie auf einen Werbeeffekt abzielten und ihre Echtheit nicht überprüfbar ist. Es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass sie die übliche Auftragssituation abzeichnete, um werbewirksam glaubwürdig sein zu können. Auffällig ist bei einem Vergleich von Katalogen und Friedhofsdokumenten, dass die Aufträge überwiegend von Männern erteilt wurden.11 Das Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Auftraggebenden spiegelt die bürgerlich-normative Bestattungspraxis und entsprach der geschlechtsspezifischen Rechtssituation im 19.  Jahrhundert, die sich am Übergang zum 20.  Jahrhundert auch im geschriebenen Gesetz niederschlagen sollte. Laut dem um 1900 in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuch war der Mann das Haupt der Familie, er entschied in „allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten“ und war Vormund der Familie.12 Da Frauen in den meisten Belangen kein Vertragsrecht hatten, organisierte bei dem Tod des Vaters oder des Ehemannes in der Regel der älteste Sohn oder der nächste männliche Angehörige die offiziellen Belange rund um die Bestattung. Zudem gehörte ein dauerhaftes Familiengrab im Erbrecht des 19. Jahrhunderts zu Haus und Grund und wurde im Todesfall von Sohn zu Sohn weitergegeben. Das Familiengrab lag also wie anderer Besitz, der die Familie betraf, im Zuständigkeitsbereich des männlichen Familienoberhaupts. Der Erwerb eines Familiengrabes war ähnlich dem Testament eine Aufgabe, um die es sich im Idealfall rechtzeitig zu kümmern galt. So erklären sich Familiengrabstätten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt angekauft, aber erst Jahre später belegt wurden. Neben dem Graberwerb war auch die Ausstattung der Grab­ stätte Teil der Vorsorgemaßnahmen. Der Wiener k. u. k. Hofsteinmetzbetrieb von Eduard Hauser warb beispielsweise nicht nur mit niedrigen Preisen für qualitativ wertvolle Grabplastiken, sondern auch mit kostengünstiger Lagerfläche für die erworbene Ware.13 Eine standesgemäße Vorsorge ließ auch der Münchner Autor ­Josef Ruederer (1861 – 1915) seinen Protagonisten in der Geschichte „Das Grab des Herrn Schefbeck“ (1912) treffen.14 Kommerzienrat Schefbeck hatte sich schon zu Lebzeiten eine repräsentative Gruft mit Bronzeengel in den Arkaden des Alten Südfriedhofs in München einrichten lassen, dort „ […] wo auch Reichsgrafen, Prälaten, Minister ihre Namen blinken ließen und daneben – Herr Schefbeck. Jawohl, Herr Schefbeck. Auch er hatte sein Grab dort errichtet. Zu einer Zeit, wo er noch gar nicht ans Sterben dachte, wo er aussah, so frisch, so blühend, wie auf dem Ölgemälde, das im Zimmer der Gattin hing, dicht vor dem seidenen Sofa, in voller Lebensgröße

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im schwarzen Salonrock, in grauer Weste, mit der breiten, goldenen Uhrenkette. […] “15

Das bürgerliche Rollenideal vom Ehemann und Familienvater als finanzkräftiger Versorger artikulierte sich in der Bestattungspraxis in der Aufgabe des nachhaltigen Vorsorgers. Für vergleichbare Vorkehrungen von Frauen ließen sich keine Belege finden. Eine Spur können Einzelgräber für Frauen geben, weil hier die Vermutung nahe liegt, dass sie selbst Vorsorgemaßnahmen zu Lebzeiten getroffen hatten und damit als Auftraggeberinnen von weiblichen Plastiken in Frage kamen. Hier sind zunächst schichtspezifische Unterschiede zu beachten. Die geschlechtsspezifische Auswertung von Einzelgräbern im 19. Jahrhundert zeigt, dass es Einzelgräber für Frauen vorwiegend in den unteren, nicht vermögenden Schichten gab. Nach der Einführung des Einzelgrabes im Zuge der Zentralisierung des Bestattungswesens wurden sie zwar in gekennzeichneten, identifizierbaren Gräbern alleine beigesetzt, die aber nach wenigen Jahren wieder aufgelöst wurden. Diese Einzelgräber konnten nicht mit monu­mentalen Grabmälern geschmückt werden und sind daher in Bezug auf die weiblichen Grabplastiken nicht repräsentativ. Frauen aus gehobenen Schichten hatten bzw. bekamen für gewöhnlich keine Einzelgräber. Sie wurden entweder in der Familiengrabstätte des Ehemannes bestattet oder in der Familienanlage des Vaters, wenn sie ledig waren. Einzige Ausnahmen waren Frauen, die im öffentlichen Leben Ruhm erlangt hatten wie z. B. Schauspielerinnen, Sängerinnen oder Frauen, deren Engagement in sozialen bzw. karitativen Bereichen besonders angesehen war. Auf den Einzelgräbern für prominente Frauen sind gelegentlich auch weibliche Grabplastiken zu finden, obgleich diese Beispiele differenzierter betrachtet werden müssen und an späterer Stelle vorgestellt werden. Zum einen hatten Gräber für weibliche Prominenz häufig den Charakter eines Personendenkmals, erhielten unter Umständen den Status eines Ehrengrabes und stehen inzwischen meist unter Denkmalschutz. Ihre heutige Präsenz auf Friedhöfen verfälscht den Eindruck, dass Einzelgräber für Frauen auch um die Jahrhundertwende verbreitet gewesen wären. Zum anderen lässt sich für derartige Gräber nicht verlässlich nachweisen, ob sie – nur weil es sich um Einzelgräber handelt – auch von der Verstorbenen konzipiert und in Auftrag gegeben wurden. Einzelgräber für Frauen mit weiblichen Grabplastiken waren seltene Sonderfälle und lassen keine verbindlichen Rückschlüsse auf die Verstorbene als Auftraggeberin zu. Alleinstehende Männer hingegen konnten sich ein Einzelgrab einrichten und traten auch als Auftraggeber des Grabschmucks in Erscheinung, wenn sie die Gestaltung bereits zu Lebzeiten veranlasst hatten. Die Bestattungspraxis von und für Frauen stand im Bürgertum damit in krassem

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Gegensatz zu den Vorsorgemaßnahmen und der Grabmalkultur von Männern und spiegelt den rechtlichen Handlungsspielraum der Geschlechter im 19.  Jahrhundert. Dennoch zeigen die Referenzlisten aus dem Grabmalgewerbe, dass verwitwete Frauen als Auftraggeberinnen von weiblichen Plastiken in Erscheinung traten, nachdem das Familienoberhaupt verstorben und keinerlei Vorkehrungen für Grab bzw. Grabschmuck getroffen worden waren. Diesen Eindruck bestätigt auch ein Dokument des Bildhauers Wilhelm Wandschneider, dem 1916 die Gestaltung eines Mausoleums mit weiblicher Plastik übertragen wurde: „Frau Schlutius, die Herrin von Karow, hatte ihren Mann verloren und wollte ihm ein ganz besonderes Grabmal errichten. Sie war lange herum gereist, hatte Kirchhöfe in Nizza, Mailand und Genua besucht. Sie fand aber erst in Berlin auf dem alten ­Mathäi­k irchhof ein Werk nach ihrem Geschmack, diese, für das Grab des Hoffotografen Schaarwächter gefertigte Marmorfigur, trug meinen Namen. Frau Schlutius suchte mich auf und beauftragte mich, ihr Entwürfe zu fertigen.“16

Die Witwe Schlutius war eine vergleichsweise ambitionierte Auftraggeberin – derartiger Aufwand und umfassende Reisen waren auch in gut situierten Kreisen nicht alltäglich, zumal sich viele Witwen der Oberschicht mit dem Verlust des Ehemannes oft in ihrem neuen sozialen Status und den nicht selten damit verbundenen prekären Lebensverhältnissen zurechtfinden mussten.17 Über die Auftragssituation von bürgerlichen und mittelständischen Frauen gibt es kaum zuverlässiges Quellenmaterial. Zwar finden sich in einigen Friedhofsdokumenten vereinzelt Hinweise auf Auftraggeberinnen, allerdings beziehen sie sich meist auf die handwerkliche und finanzielle Abwicklung der Grabeinrichtung.18 Die Ausstattung mit einer Grabplastik erfolgte in der Regel nach der Erstbelegung des Grabes. Vorhandene Inventarisierungen zeigen, dass Grabplastiken in den meisten Fällen auf das Jahr der Erstbelegung datieren bzw. auf einen Zeitraum der folgenden ein bis zwei Jahre, nachdem der passende Grabschmuck gefunden, in Auftrag gegeben und zur Aufstellung gekommen war. Nur wenige Beispiele belegen, dass die Grabstätten erst weit nach der Erstbelegung mit einer Grabfigur geschmückt wurden. Falls Grabplastiken oder die gesamte Grabstätte auf die Zeit vor der Friedhofseröffnung datiert ist, handelt es sich – wie beispielsweise für Paris, Wien, Berlin oder Traunstein gezeigt19 – um Gräber, die von den innerstädtischen Begräbnisplätzen auf die ausgelagerten Friedhöfe umgebettet wurden. Von den Auftraggebenden für weibliche Grabplastiken lässt sich folgendes Bild nachzeichnen: Den Großteil an Aufträgen erteilten bürgerliche Männer, die entweder bereits zu Lebzeiten oder im Todesfall der Ehefrau, Kinder oder Eltern ein Familien-

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grab einrichten und mit einer weiblichen Grabplastik ausstatten ließen. Die nächstgrößte Gruppe an Auftraggebenden machen bürgerliche Frauen aus, die im Todesfall des Ehemannes die Grabstätte samt Grabschmuck konzipieren ließen. Über die übrigen Auftraggebenden lassen sich nur vage Aussagen treffen. Die Referenzliste der Firma Stösslein hat gezeigt, dass zu ihnen verwaiste erwachsene Kinder, beruflich nahe stehende Hinterbliebene oder beauftragte Berufsgruppen wie Architekten zählen konnten.20 In diesem Personenkreis wären zudem entfernte Verwandte, per­ sönlich nahe stehende Hinterbliebene oder ein Vormund möglich gewesen. In der Regel wurden die weiblichen Grabplastiken zusammen mit der Grabstätte in Auftrag gegeben und nach der Erstbelegung aufgestellt. Obgleich es geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Auftraggebenden und in der Bestattungskultur gab, wurden ›Trauernde‹ von beiden Geschlechtern als Grabschmuck für Familiengräber ausgewählt. Die mögliche Vermutung, dass weibliche Grabplastiken bevorzugt entweder von Männern oder von Frauen ausgesucht wurden, trifft nicht zu.

4.2 Akteure und Akteurinnen Die Gruppe von Akteurinnen und Akteuren, der die Auftraggebenden und Grabbesitzer von weiblichen Grabplastiken angehörten, kann zwar allgemein »bürgerlich« benannt werden, war aber in sich vielschichtig. Der gesellschaftliche Status der Auftraggebenden lässt sich anhand der jeweiligen Berufe, Titel und Zuschreibungen über Grabinschriften, Friedhofsbücher, Kataloge oder Referenzlisten rekonstruieren. Im deutschsprachigen Raum finden sich folgende Berufsbezeichnungen mehrmals: Apotheker, Amtsrichter, Baumeister, Bergwerksdirektor, Bezirksarzt, Brauereibesitzer, Buchhändler, Fabrikant, Fabrikbesitzer, Hofbäckermeister, Hotelier, Kaufmann, Oberförster, Privatier, Rechnungsrat, Rechtsanwalt, Sanitätsrat, Seidentuchfabrikant, Stadtrat, Weinhändler. Auf den Grabmälern repräsentierten Zuschreibungen wie Doktor, Professor, Direktor, Kommerzienrat, Geheimrat, Sena­tor sowie Titel des Adels oder des nobilitierten Bürgertums feinere Nuancen des sozialen Status. Im europäischen Vergleich wird deutlich, dass die Nennung von Titeln auf Grabmälern in Machtzentren wie Paris, Wien oder Berlin stärker verbreitet war als in anderen Städten. In Paris ist eine weitere berufsspezifische Auffälligkeit, dass weibliche Figuren überwiegend auf Gräbern von Malern, Komponisten, Verlegern, Gelehrten, Stiftern und politisch Engagierten zu finden waren, also im Zusammenhang mit Personen, die in den Künsten und in der Öffentlichkeit wirksam waren. In Traunstein gehörten die meisten weiblichen Grabplastiken den Familien, die im Bereich der Holzverarbeitung oder Brauereien über mehrere

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Abb. 248: Grabstätte Antonio Augusto de Aguiar (1887), Cemitério dos Prazeres, Lissabon Abb. 249: Grabmal Antonio Augusto de Aguiar (1887), Cemitério dos Prazeres, Lissabon

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Generationen zu Geld und öffentlichen Ämtern gekommen waren. Forschungsarbeiten zur Wupperregion, zum Rheinland und zu Essen zeigen ebenfalls, dass es bei bestimmten Industriestandorten einen Zusammenhang zwischen Grabinszenierung, Beruf und regionalem Gewerbe geben konnte.21 Aus allen anderen Untersuchungsräumen ist abzuleiten, dass es sich bei dem Phänomen der weiblichen Grabplastik um eine soziokulturelle Klientel handelte, die sowohl eine gewisse Bildung und Ausbildung durchlaufen ­hatte als auch über ausreichende finanzielle Mittel verfügte, um sich ein repräsentatives Familiengrab leisten zu können. Die Berufe und Titel, die aus der Recherche hervorgingen, fallen unter die schichtspezifische Gruppe des Bürgertums mit vereinzelten Ausläufern zu nobilierten, adeligen bzw. zu aufstrebenden mittelständischen Kreisen.22 Das Bürgertum war in sich keine homogene Gruppe, sondern konstituierte je nach Sozialisation, Bildung, Beruf, Vermögen, Vorlieben und Idealen ein spezifisch bürgerliches Selbstbewusstsein und Selbstverständnis. In der deutschsprachigen Bürgertumsforschung wird das Bürgertum nach diesen Charakteristika immer weiter ausdifferenziert.23 So zählten Kaufleute, Fabrikanten, Bankiers, Kapitalbesitzer, Unternehmer und Direktoren zum Wirtschafts- oder Besitzbürgertum bzw. zur Bourgeoisie. Ärzte, Rechtsanwälte, Freiberufler, Gymnasiallehrer, Professoren, Richter, höhere Verwaltungsbeamte, Wissenschaftler und Ingenieure lassen sich unter dem Begriff der Bildungsbürger fassen. Das Kleinbürgertum formierte sich aus Handwerkern, Kleinhändlern und einfachen Angestellten.24 Des Weiteren wurden Unterscheidungen zwischen altem und neuem Mittelstand sowie zwischen genuin städtischem oder überregionalem Bürgertum getroffen.25 Anhand der Berufe und Titel, die hinter der weiblichen Grabplastik standen, lässt sich rekonstruieren, dass es sich um ein gesamt-bürgerliches Phänomen handelte, das an den oberen und unteren Membranen zu adeligen und aufstrebenden Kreisen durchlässig war. Die in der Bürgertumsforschung gängige soziokulturelle Grenzziehung zwischen Wirtschafts- und Bildungsbürgertum lässt sich nicht aus der Inszenierung weiblicher Grabplastiken zwingend ablesen. Die Vermutung, dass Fabrikbesitzer oder Bankiers tendenziell ein anderes Bildrepertoire für ihr Familiengrab bevorzugten bzw. eine andere Bildkultur praktizierten als Künstler, Ärzte oder Wissenschaftler, kann nicht bestätigt werden. Die Bandbreite an Grabbeispielen zeigt zwar bei genauerer Betrachtung, dass in den Inszenierungen durchaus Rückschlüsse auf den Beruf und das schichtspezifische Selbstverständnis intendiert waren. Beispiele hierfür wären Allegorien wie die Hygieia am Grab des Wissenschaftlers Max von Pettenkofer oder die Caritas am Grab des Privatiers und Stifters Sebastian Gaigel in München.26 Auch über Versatzstücke und Embleme ließen sich Verknüpfungen zum Berufsstand herstellen, so beispielsweise das Buch als Verweis auf das Verlagswesen und

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Druckereien, die Schlange am Äskulapstab als Symbol der Mediziner und Pharmazeuten oder auch stilisierte Schlagbilder aus der Industriekultur wie Walzen oder Zahnräder im Zusammenhang mit Fabrikanten und technischen Pionieren (Abb. 248, Abb. 249). Selbst subtilere Hinweise konnten als Verweise auf das Familienvermächtnis und deren sozialen Status decodiert werden wie bereits beschrieben z. B. die gut frisierte Allegorie am Grab Dralle in Hamburg, die auf Dralles Haarwasser – das Aushängeschild des Seifenund Duftwasserunternehmens – verwies, oder auch die großzügige, teils überproportionierte Bronzeinszenierung am Familiengrab von Federico Izar, die das Ansehen und den Einfluss des Eisenhändlers demonstrierte (Abb. 250, Abb. 251).27 Generell waren derartige Verweise in szenischen Darstellungen häufiger vertreten als in rein sinnbildlichen. Das Repertoire an Symbolen und Codierungen lässt sich somit zwar einem bestimmten Berufsstand und dem damit verbundenen sozialen Status zuordnen – der Modus, in dem die Figuren aufgestellt und ausgestattet wurden, ist allerdings derselbe und betrifft das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum gleichermaßen.28

Was die Auftraggebenden von weiblichen Grabplastiken als genuin bürgerlich verbindet, sind kulturelle Praktiken, die dem bürgerlichen Habitus entsprachen. Der Soziologe Pierre Bourdieu fasste allgemein unter dem Begriff „Habitus“ die Gesamtheit bestimmter Verhaltensweisen eines Menschen wie z. B. die Haltung, Sprache, Gebärden oder den Verhaltensstil innerhalb einer bestimmten sozialen Gruppe.29 Der bürgerliche Habitus wird unter anderem charakterisiert durch aufgeklärte Ideale, Bildung, den Wunsch nach Mitsprache und Selbstbestimmung, Familiensinn, Werte wie Fleiß, Strebsamkeit und Tugendhaftigkeit sowie eine Repräsentationskultur, die all jene Aspekte über Umgangsformen, Interessen und Besitztümer nach außen sichtbar machen.30 Die Berufe und Titel hinter den Grabfiguren markieren also nicht nur die ausdifferenzierte Zuordnung zu einer bestimmten bürgerlichen Gruppe, sondern auch den bürgerlichen Habitus – und Teil dieses Habitus war offensichtlich, das Familiengrab mit einer weiblichen Figur auszustatten und das Familienandenken öffentlich zu inszenieren.

Abb. 250: Grabmal Dralle (1903), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 251: Grabmal Izar (1904), Felice Bialetti, Cimitero Monu­ mentale, Mailand

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Den Auftraggebenden waren offensichtlich mehrere Aspekte gemein: Zum einen ein gewisses Maß an humanistischer Bildung, um das Sinnbild der ›Trauernden‹ mit Bezügen zu antiker Mythologie, Religion, zeitgenössischer klassizistischer Kunst als sinnstiftend empfinden zu können. Zum anderen die Finanzkraft der Familien, um sich ein derart künstlerisches Grabmal auf einer adäquat exaltierten Grabstätte überhaupt leisten zu können. Zudem können wir annehmen, dass die Familien von ähnlichen Vorstellungen zu den Themen Tod, Abschied und Vergänglichkeit bewegt waren – in den vorherigen Kapiteln habe ich bereits gezeigt, dass sich dieser Aspekt in der Besänftigung des Todes artikulierte. Einflüsse wie die Aufklärung und Romantik, die bürgerlich kultivierte Naturwahrnehmung und Empfindsamkeit hatten sowohl die Gefühlswelt und das Bildrepertoire verändert als auch die Bestattungskultur und Friedhofskonzeptionen. Das spezifisch Bürgerliche lag hier in der Emanzipation aus ständischen Traditionen und christlich-klerikalen Deutungshoheiten. Vor der Kulisse des Friedhofs zeigt sich die weibliche Grabplastik als die Trägerin der Koordinaten von Bürgerlichkeit. Das Grab mit einer ›Trauernden‹ zu schmücken, konnte so gesehen ein Mittel darstellen, sich als bürgerlich und der Gruppe der Bürgerlichen zugehörig zu präsentieren. Aus dem Phänomen der weiblichen Grabplastik lässt sich der Erkenntnisgewinn ziehen, dass die wissenschaftlichen Differenzierungen zwischen den einzelnen bürgerlichen Kreisen in der ›Trauernden‹ nivellierten. Im Umkehrschluss lässt sich daraus allerdings keineswegs ableiten, dass sich das Bürgertum selbst anhand der Grabkultur als homogene Einheit wahrgenommen hätte oder im Nachhinein als solche definieren ließe. Im Kapitel über die Friedhöfe sind wir bereits auf soziale Unterschiede und Abgrenzung innerhalb des Bürgertums gestoßen, die über die Lage des Grabes oder die Monumentalität der Inszenierung artikuliert wurden. An späteren Stellen werde ich immer wieder auf Formen der Distinktion zu sprechen kommen, die teils aufdringlich, teils subtil in den Grabinszenierungen materialisiert wurden.

4.3 Das Grabmal für die Öffentlichkeit Von den Auftraggebenden ausgehend stellt sich die Frage, für wen die weiblichen Grabplastiken aufgestellt wurden – wem galt im Allgemeinen das Grab, das mit einer ›Trauernden‹ geschmückt wurde? Selbstverständlich waren diese Gräber an erster Stelle ­adressiert an die Verstorbenen, die Männer und Frauen, ihre Kinder und Nachkommen, die dort bestattet wurden, aber ebenso an die Hinterbliebenen, die in den Grabmälern einen Ort der Trauer und des Trostes fanden. Allerdings war ein Charakteris-

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tikum der neuen kommunalen Friedhöfe, dass den dauerhaften Gräbern eine besondere, eben dauerhafte Aufmerksamkeit gewidmet werden konnte. Aus der Analyse europäischer Friedhofskonzepte lässt sich ableiten, dass mit der Trennung von Kirche und Bestattung sowie mit der Auslagerung der Begräbnisplätze vor die Stadt das dauerhafte Grabmal ewiges Andenken versprach. Die Vorstellung, dass Frömmigkeitsübungen der Hinterbliebenen das Seelenheil der Verstorbenen begünstigen könnte, wurde nun von diesseitsorientierten Gedenkkulturen abgelöst. Das Grabmal war öffentlich zugänglich, wurde öffentlich bewundert und auf diese Öffentlichkeit hin inszeniert. Dieses öffentliche, anonyme Publikum konstituierte sich aus anderen Trauernden und Schaulustigen auf benachbarten Grabparzellen und Sonntagsspaziergängern, in Einzelfällen auch aus Reisegesellschaften, wie die Friedhofs- und Reiseführer für die großen und prominenten Friedhöfe in Hamburg-Ohlsdorf, Paris, Wien oder Genua zeigen. Das öffentliche Publikum selbst hat kaum Spuren hinterlassen, die als historische Quellen auswertbar wären. Allerdings gibt es mehrere Indizien, über die sich rekonstruieren lässt, auf welche Weise sich die Bestattungskultur einer betrachtenden Öffentlichkeit öffnete und damit das Phänomen der weiblichen Grabplastik beeinflusste. 4.3.1 Grabinszenierung vor öffentlichem Publikum Einen wichtigen Hinweis geben historische Friedhofskarten, weil sie belegen, dass die dauerhaften Gräber auf vorbeiführende Wege ausgerichtet waren. Die Verstorbenen wurden mit dem Kopf zur Kopfseite des Grabes und mit den Füßen zum Weg hin gebettet, d. h. sowohl die Verstorbenen als auch der Grabschmuck lagen frontal zu den Friedhofsbesucherinnen und -besuchern. Diese Art der Platzierung trat auf allen Friedhofstypen des 19. Jahrhunderts in Erscheinung, denen ein ästhetisierendes Programm zugrunde lag – selbst, wenn Gräber wie in Ohlsdorf im Waldteil scheinbar verborgen inszeniert wurden. Differenzierter zeigt sich die Grablege bei Friedhofskonzepten, die an Campo-santo-Anlagen orientiert waren wie z. B. auf dem Alten Südfriedhof in München, dem Friedhof Sihlfeld in Zürich oder dem Friedhof Staglieno in Genua.31 Charakteristisch ist für Campo-santo-Areale, dass ein symmetrisches Wegkreuz quadratische Grabfelder unterteilte und durch die quadratischen Felder wiederum ein schmaler Mittelgang führte. Entlang der großen Hauptachsen wurden die Grabstätten, wie im vorherigen Beispiel auch, auf die Wegführung und das Publikum hin ausgerichtet. Innerhalb der Grabfelder lagen sich die Gräber mit der Fußseite gegenüber, so dass die Betrachtenden zu ihrer Linken und Rechten je eine Gräberreihe vor sich hatten. Dabei galt die Kopf-an-Kopf-Platzierung als ökonomischer als die Kopf-

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an-Fuß-Grabreihen, weil auf dem Friedhofsgelände insgesamt weniger Wege installiert werden mussten und damit für die städtischen Baubehörden kostengünstiger ausfielen.32 So unterschiedlich die Konzepte der untersuchten Friedhöfe auch angelegt waren, ist ihnen allen gemeinsam, dass die dauerhaften Grabstätten zum Weg und somit zu den Betrachtenden ausgerichtet worden waren. Das Außergewöhnliche ist, dass diese Form der Grablege in der christlichen Bestattungskultur keineswegs üblich war. Erdbestattungen unterlagen bis in die Neuzeit – und in ländlichen Regionen teils auch bis heute –  dem Prinzip der Ostung. Frühchristliche und mittelalterliche Kirchen wurden häufig ost-westlich ausgerichtet, so dass Altar und Chor Richtung Osten lagen. Für Gläubige war die Ostung sinnstiftend, weil das Gottes­ haus in Richtung des Neuen Jerusalem als Ort der Erlösung und des Paradieses wies und die Himmelsrichtung des Sonnenaufgangs untermauerte, der symbolisch für die Auferstehung stand.33 In der Bestattungskultur setzte sich diese Sinnstiftung fort. So wurden in der Erdbestattung die Toten mit dem Kopf Richtung Osten gelegt, um dem Jüngsten Gericht und der Auferstehung näher bzw. entgegenzukommen. Bei den Beisetzungen apud ­sanctos innerhalb des Kirchgebäudes wurde die Ostung übernommen, indem die Gruften mit der Kopfseite der Ausrichtung der Reliquien und des Altars folgten. Obgleich die Ost-Orientierung im Kirchenbau ab dem Barock abnahm, blieb sie in der Bestattungskultur fest verankert. Einerseits hatten Zentralbauten die Kirchen im Längsbau abgelöst, so dass in der Grundform keine spezielle Himmelsrichtung mehr hervorgehoben wurde. Andererseits mussten Kirchenneubauten in Städten inzwischen häufiger in die bestehende Bebauung integriert werden, so dass die strenge Ostung zugunsten von Befestigungsanlagen oder Verkehrswegen vernachlässigt wurde.34 Die Ausrichtung nach Osten blieb in der Bestattung hingegen unberührt, bis dieser Brauch den programmatischen Friedhofskonzepten des 19. Jahrhunderts unterworfen wurde. Die neuen Friedhofspläne gaben den Grabstätten nicht mehr ein- und dieselbe Himmelsrichtung als Fixpunkt vor, sondern den Ort des Betrachtens. Die Art der Grablege wurde also weniger an Deutungshoheiten wie Kirche und Glaube orientiert, als vielmehr an gänzlich weltlichen Parametern wie ästhetischem Empfinden und öffentlich inszeniertem Gedenken. Dieser Wandel offenbart sich selbst auf Begräbnisplätzen, die eine fortdauernde christliche Tradition vermuten lassen. Auf dem Süd-West-Kirchhof Stahnsdorf, welcher der Berliner Stadtsynode oblag, spielte die Ostung der Gräber offenbar eine ebenso geringe Rolle wie auf dem städtischen Waldfriedhof in Traunstein, der im Vergleich zu anderen kommunalen Begräbnisplätzen noch vergleichsweise stark von katholischen Bestattungsbräuchen und christlichen Bildtraditionen geprägt war.35

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Unter diesen Voraussetzungen lässt sich ein Wandel von Öffentlichkeit auf den Friedhöfen ableiten, der vorerst banal wirken mag: Wenn Gräber auf einen Weg ausgerichtet werden, dann wird dort jemand vermutet, der sie betrachten kann. Wenn Gräber am Ende von Sichtachsen ausgerichtet werden, wird da ein Publikum imaginiert, das diese Achsen entlangsieht. Wenn Begräbnisplätze wie in Ohlsdorf oder Paris als öffentliche Parkfriedhöfe angelegt wurden, dann werden Gräber sowohl von Trauernden als auch von Spaziergängern betrachtet. Sieht das historische Kartenmaterial auf den ersten Blick aus, als seien lediglich Grabflächen von ca. zwei Quadratmetern Größe um einige Grad gedreht worden, zeigt sich dahinter ein komplexer Mentalitätswandel: Die Sorge um Seelenheil, Erlösung und Jenseitsgläubigkeit rückte hier in den Hintergrund. Sie spielte zwar möglicherweise noch immer eine Rolle, aber eben eine untergeordnete. Im Vordergrund stand nun mit den neuen Friedhofsverordnungen das Novum der Grabnummern, langfristigen Laufzeiten und individuellen Grabinszenierungen, so dass das sogenannte eigene Grab – im Gegensatz zu Wechselgräbern – auch über einen längeren Zeitraum auffindbar, zugänglich und öffentlich inszeniert werden konnte. Öffentlich waren die innerstädtischen Kirch- und Friedhöfe zwar auch, aber mit der Einführung der dauerhaften Gräber gab es plötzlich einen Grund, sich für Gedenken und Trauer im öffentlichen Raum der Begräbnisplätze aufzuhalten. 4.3.2 Aufbahrung und Verabschiedung vor öffentlichem Publikum Diese Entwicklung zeigt sich auch mit der Einführung der Leichenhallen auf dem Friedhofsgelände. Sie wurden im Laufe des 19.  Jahrhunderts auf kommunalen und städtischen Friedhöfen üblich und markierten ein spezielles Verhältnis von Öffentlichkeit, Trauerkultur und Bestattungswesen. Vereinzelt waren bereits um 1800 sogenannte Leichenhäuser teils aus Angst vor dem Scheintod, teils aus hygienischen Gründen eingerichtet worden.36 Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Bevölkerungsdichte in Städten und Industriestandorten rasant zunahm, kam es zu Versorgungs- und gewissermaßen auch zu Entsorgungs-Problemen. Neue Hygienediskurse beschäftigten städtische Beamte und fachkundige Spezialisten, zogen nicht nur die kommunale Organisation von Müllbeseitigung oder Kanalisation nach sich, sondern auch von Friedhöfen – das Kapitel über die Geschichte europäischer Friedhöfe schilderte diese Entwicklung ausführlicher. In diesem Zusammenhang boten städtische Leichenhäuser auf dem Friedhofsgelände die Möglichkeit, die Verstorbenen zunächst zu registrieren und zu untersuchen, um die zahlreichen Aufbahrungen und Beisetzungen hygienisch unbedenklich durchführen zu können.

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Dieser behördlich kontrollierbare und zweckrationale Ablauf spiegelt sich in der Architektur der Leichenhallen, die sich in Europa kaum unterscheidet.37 Die Grundfläche wurde in drei Areale für die Verwahrung und Untersuchung der Leichen, die Aufbahrung sowie einen Warteraum für das „Publikum“38 unterteilt. Die Sezierräume waren streng von den übrigen Bereichen getrennt und hatten meist spezielle Vorrichtungen für infektiöse Leichen. Die Aufbahrungsund Warteräume waren in der Regel öffentlich zugänglich und so rückte die Verabschiedung von den Verstorbenen auch in das Blickfeld einer anonymen Öffentlichkeit (Abb. 252, Abb. 253).

Abb. 252: Ansicht und Grundriss der „Leichenhallen auf dem neuen östlichen Friedhof zu München“ (1907) Abb. 253: Grundriss der „Leichenhallen am Eingange des neuen Zentralfriedhofes zu Wien“ (1907)

In einem Handbuch zur Stadthygiene wurde bezüglich der Leichenhallenkonzeption eigens darauf hingewiesen, dass der Raum für die öffentliche Trauerfeier groß genug sein sollte, „um einen gewissen Pomp zur Entfaltung gelangen zu lassen, da es häufig für die Angehörigen ein Herzenswunsch ist, das Andenken des Verstorbenen durch Prunkentfaltung zu ehren.“39 Ähnlich der Ausrichtung des Grabes an den Betrachtenden, zeigt sich auch bei der öffentlichen Aufbahrung eine Hinwendung zum gedenkenden »Publikum«. Dieses hatte dem vollbrachten Lebenswerk im Diesseits nicht nur eine größere ideelle Bedeutung zugedacht als dem Seelenfrieden im Jenseits, sondern auch einen gewissen finanziellen Aufwand. Die Friedhofsverwaltungen boten die Ausstattung der Aufbahrungsräume zu Staffelpreisen nach unterschiedlichen Klassen an, die sich unter anderem in der Anzahl der Kerzen, Sitzplätze oder Glockenschläge unterschieden.40 Derartige Symbolensembles repräsentierten den sozialen Status der Familien und konnten von einem öffentlichen Publikum decodiert und bewundert werden. Angesichts des Wandels von der Aufbahrung der Toten in den Wohnräumen zu ihrer Aufbahrung

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in städtischen Leichenhallen auf dem Friedhof ist anzunehmen, dass dieses subtile Verwobensein von Öffentlichkeit, Betrachten und Gedenken in der Aufbahrung gleichermaßen berücksichtigt wurde wie auch in der Grablege oder im Grabschmuck. Otto Friedländer resümierte in einer Veröffentlichung von 1963 eine Begräbniszeremonie um 1900 in Wien. Seine Beschreibung vermittelt einen Eindruck vom zeitgenössischen Umgang mit dem Abschied und macht den Wandel von tradierten Ritualen rund um den „letzten Gang“ hin zu neuen Praktiken und ihrer Öffnung gegenüber einer teils anonymen Öffentlichkeit nachvollziehbar: „Die beiden Türflügel werden weit geöffnet, ein schwarzer Teppich wird bis zur Eingangstür der Wohnung gelegt. Bei reichen Leuten legen sie den Teppich bis zum Haustor, hängen schwarze Draperien um das Tor und stellen einen Trauerportier in spanischer Gala daneben. Wer will, kann jetzt hereinkommen, und die Aufbahrung besichtigen. Und es wollen viele. ‚Schön schaut er aus – als ob es schlafen möchte – so friedlich – man könnt fast glauben, daß er lächelt. – Mein Gott, der Arme hat’s hinter sich …‘. So reden die Leute ganz leise, sie sprechen ein kurzes, stummes Gebet und besprengen den Katafalk mit ein Paar Tropfen Weihwasser. Und auf der Straße erzählen sie einander dann noch furchtbare und ergreifende Zwischenfälle aus der Todeskrankheit. Der Tod ist ein großes Ereignis. Mit achselzuckender Gleichgültigkeit daran vorbeizugehen, haben die Menschen noch nicht gelernt. Es gibt im Wiener Volke viele Leichenamateure, die keine schöne Aufbahrung und keine schöne Leiche auslassen. Sie haben viel zu tun, denn es gibt jeden Tag so viele schöne Leichen. Ganz arme Leute sparen ihr Leben lang für ein prunkvolles Leichenbegräbnis mit prächtiger Aufbahrung und Galaleichenwagen. Eine ganz besondere Stimmung erfaßt bei diesen Festen des Todes die Menschen. Am dritten Tage wird die Leiche im Trauerhaus gegen 2 Uhr nachmittags in Anwesenheit der Trauergäste eingesegnet und begleitet von der Geistlichkeit und dem ganzen Trauergefolge in die Pfarrkirche getragen. In der Kirche sind dann alle Trauergäste versammelt, die sich nicht berechtigt oder verpflichtet gefühlt haben, schon in das Trauerhaus zu kommen – viele Leute auch, die den Leidtragenden gar nicht kennen. Und dann kommt die eigentliche ‚schöne Leich‘. Es ist indessen 3 oder ½ 4 Uhr geworden. Im Winter dämmert es schon und vor der Kirche formiert sich der feierliche Leichenzug: zuerst der reich geschnitzte schwarze Prunkleichenwagen, der mit zwei, vier oder sechs Rappen gefahren ist. Wenn es sehr fein ist, dann ist der Leichenwagen à la Daumont bespannt, und wird nicht von einem Kutscher geführt, sondern von Reitern, wie eine Kanone. Und wenn es ganz fein ist, dann gibt es noch Vorreiter mit Fackeln, Hinter dem Leichenwagen kommen die Kranzwagen. Vier und sechs sind gar keine Seltenheit. Dann kommt endlich der lange Zug der Trauerkutschen. Und was gibt es da noch für Abarten: Veteranleichen mit Musik und Ehrenkompanie für Mitglieder von Verteranenvereinen; Leichen mit

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bärtigen Männerchören mit Mitgliedern von Gesangsvereinen: ‚Es ist bestimmt in Gottes Rat …‘ Und natürlich die Militärleichen mit Kondukt, Gewehrsalve, Trommelwirbel, Trauermarsch. Das schönste ist natürlich eine richtige Generalsleiche, mit dumpfer Militärmusik, einem trauernden Pferd hinter dem Leichenwagen (auch wenn der tote General schon lange nur mehr auf seinem Schreibtischsessel geritten ist) und einem schwarzen gepanzerten Ritter hoch zu Roß. Dann gibt es noch besondere Leichwagen für Adelige, aus denen oben ein halb gepanzerter Ritter herausschaut und mit Wappenträgern. Wenn aber das Geschlecht mit ausstirbt, dann tragen sie ein zerbrochenes Wappen. Nur Kenner auf diesem Gebiet verstehen den Sinn der zahllosen Variationen. Die Wiener haben große Freude, wenn man sich die Trauer um seine Lieben was kosten läßt. […] Also, der feierliche Trauerzug fährt nur ein paar Gassen in feierlichem Schritt und vollem Glanz, denn in dem Tempo käme er ja nie auf den Zentralfriedhof. Darum setzt sich der lange Zug auch bald in flinken Trab. Nur die nächsten Angehörigen fahren den weiten Weg zum fernen Friedhof mit. [sic!]“41

Aus der Zeit zwischen den 1870er Jahren und dem Ersten Weltkrieg könnten zahlreiche weitere Beispiele für die Wechselwirkungen zwischen Öffentlichkeit, Gedenkkultur und Bestattungswesen untersucht werden. Vor allem Bestattungsunternehmen mit ihrer differenzierten Auswahl an Haus- und Aufbahrungsdekorationen, Sargeinrichtungen oder Leichenbegängnissen unterschiedlicher Klassen spiegeln den Wunsch nach öffentlicher Inszenierung und zeigen die Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Sphären meist als fließend (Abb. 254, Abb. 255).42 Gegen Bezahlung wurde nicht nur der professionelle Umgang mit der Leiche gewährleistet, sondern auch eine Prestigetauglichkeit der Gesamtinszenierung. Parallelen zeigen sich auch in der Leichenphotographie – einem Phänomen, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine „populäre Form des Erinnerungskultes für die weniger Berühmten“43 darstellte und neben den Verstorbenen zunehmend die ausstaffierte Umgebung ins Visier nahm: Als erinnerungswürdig wurde der letzte Akt im Sterbezimmer mit Blumen, Kerzen und Trauernden drapiert, um in einer Photographie konserviert und nach außen getragen zu werden.44 Auch die Fülle an unterschiedlichen, in hoher Auflage gedruckten Todesanzeigen wie z. B. Anzeigen in Zeitungen, die im deutschsprachigen Raum stark verbreitet waren, Partezettel, die nach französischem Vorbild der „faire part(re)“ in der k. und k. Monarchie Werbung für ein Begräbnis machen sollten,45 oder Nekrologe, die speziell in Italien in bürgerlichen Kreisen vielschichtig kultiviert wurden, offenbaren das Bedürfnis nach öffentlicher Ankündigung von Trauerfällen und der Vervielfältigung von Nachrufen.46 Ein weiteres Beispiel sind die zahlreichen Fachausstellungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie evozierten eine öffent-

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liche Aufmerksamkeit für Fragen der Bestattung und schärften den professionalisierten Blick: Friedhofskonzepte wurden vor Fachpublikum präsentiert und zogen internationale Gutachter, städtische Beamte und andere fachkundige Spezialisten an. Friedhöfe zählten zu den innovativen und nachhaltigen Infrastrukturleistungen der wachsenden Städte wie Brückenkonstruktionen, Gasometer oder Untergrundbahnen. Über rein technische Belange hinaus galt es als komplexe Herausforderung „ […] ausser den Gräberfeldern auch Anlagen zu schaffen, die durch entsprechende architektonische und gärtnerische Behandlung den Eindruck des Schönen erwecken und den Besucher über die düstern Stimmungen, die der Anblick der Stätte des Todes leicht erweckt, hinwegtäuscht. [sic!]“47

Friedhofsplaner sollten also Funktionalität mit Ästhetisierung und Erhabenheit verbinden. Dem Ableben sollte mit dem Nicht-Alltäglichen begegnet werden. Dieses Nicht-Alltägliche präsentiert sich beispielsweise in den gärtnerisch aufwändigen Sonderanlagen auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg, in den Monumentalbauten auf dem Friedhof Staglieno in Genua, in den repräsentativen Raum­ inszenierungen der Campo-santo-Anlagen oder im kreuzförmigen Grundriss am Wiener Zentralfriedhof. All diese Inszenierungsstrategien zogen neben dem professionalisierten Blick der Städteplaner auch die interessierten Blicke der Bevölkerung an – auf den Friedhöfen hatte sich mit dem Wandel von Öffentlichkeit auch der öffentliche Blick bzw. der Modus des Betrachtens gewandelt. 4.3.3 Der Flaneur – Der Blick des öffentlichen Publikums Der Modus des Betrachtens von öffentlichen Inszenierungen braucht einen Akteur, der ihn ausführt. Am deutlichsten zeigt er sich in der Figur des „Flaneurs“ in Paris im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts.48 Walter Benjamin verortete den Flaneur in den Passagen von Paris, die als öffentliche Durchgänge zwischen Häuserblocks installiert wurden und Geschäfte mit üppigen Auslagen

Abb. 254: Leichenfuhrwerk der 1. Beerdigungsklasse (München, um 1900) Abb. 255: Leichenfuhrwerk der 3. Beerdigungsklasse (München, um 1900)

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Abb. 256: Ansicht des Cimetière du Père Lachaise, Paris (Mitte 19. Jahrhundert)

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und dekorativen Vitrinen beherbergten. Unter dem speziellen Licht der Stahl-Glas-Konstruktionen und der noch neuartigen Gasbeleuchtung bewegte sich der Flaneur von Auslage zu Auslage. Obgleich die Waren in den Schaufenstern aufwändig dekoriert und auf Staffagen zum Kauf angeboten wurden, waren es weniger die Waren, die Menschen anzogen, als vielmehr ihre Inszenierung: „Die Passagen sind ein Zentrum des Handels in Luxuswaren. In ihrer Ausstattung tritt die Kunst in den Dienst des Kaufmanns. Die Zeitgenossen werden nicht müde, sie zu bewundern.“49 In der Bewegung des Flanierens überlagerten sich das repräsentative Promenieren auf den Boulevards, das erholsame Spazieren in den Parkanlagen und die kontemplativ-bewundernde Einkehr in der Natur. Der Flaneur nahm eine spezifische physische und innere Haltung ein, während er in den Passagen das Raffinement der Warenwelt und die Errungenschaften des Industriezeitalters durchwanderte.50 Auf diese Haltung hin scheinen die Grabmäler am Friedhof Père Lachaise inszeniert worden zu sein. Möglicherweise hatte insbesondere die Pariser Oberschicht den Modus des Flanierens und Betrachtens, des In-Augenschein-Nehmens, des Sehen- und Gesehenwerdens so sehr verinnerlicht, dass sie ihn auf den Friedhöfen fortsetzte und anderen Betrachtenden ebenso unterstellte. Historische Ansichten vom Friedhof Père Lachaise erwecken den Eindruck, als seien Mausoleen, Büsten und Plastiken entlang der parkartigen Wege ähnlich der dekorativen Auslagen in den Passagen aufgereiht und auf die spezielle Haltung des Flaneurs hin in Szene gesetzt worden. Vor dieser Kulisse konnten Personendenkmäler und Inschriften in Augenschein genommen werden, um die Lebenswerke der gesellschaftlichen Größen der Stadt zu bewundern (Abb. 256).

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Der Flaneur war keine ausschließlich französische Erscheinung. Vermutlich war dieser Modus des Betrachtens in allen wachsenden Städten Europas verbreitet, in denen sich mit der Einrichtung von Kaufhäusern, Volkstheatern, Prunkstraßen oder Denkmalinszenierungen die visuelle Kultur verändert hatte. Unter diesen Beispielen lässt sich der Blick des Flaneurs vor allem zwischen Denkmälern und Inszenierungen öffentlicher Plätze rekonstruieren und offenbart weitere Parallelen zur bürgerlichen Grabmalkultur. 4.3.4 Denkmalkult und öffentlicher Inszenierungsraum „Die Grabmalkunst hat sich in den Jahren des ausgehenden 19. Jhdts. bis zum beginnenden 20. Jhd. zu einem Prunk und einer Übersättigung der Formen entfaltet, die über den Rahmen des eigentlichen Grabmals manchmal hinausgeht. Man kann fast annehmen, daß manche Grabmäler nicht als solche im eigensten Sinn empfunden wurden, sondern Denkmäler darstellen sollten.“51 Die öffentliche Denkmalkultur in Europa steigerte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Denkmalkult und gipfelte schließlich im 20.  Jahrhundert von den Weltkriegen beeinflusst unter gänzlich neuen Parametern.52 Für das Phänomen der weiblichen Grabplastik ist sie deshalb so aufschlussreich, weil viele bürgerliche Grabmäler wie Grab-Denkmäler inszeniert wurden.53 Besonders deutlich wird dies bei der Abteilung der Ehrengräber in Wien, in denen die Funktion des Grabmals und des Personendenkmals zusammenfallen. Aber auch gewöhnliche Grabmäler mit ›Trauernden‹ folgen den zeitgenössischen Denkmalprinzipien: Es wurde nicht nur die äußere Form aus Fundament, Sockel, Figuren und Inschriften übernommen, sondern auch die innere Haltung zur öffentlichen Würdigung einer Person und ihres Lebenswerks fortgesetzt. Es lohnt daher die Frage, unter welchen Voraussetzungen das Bürgertum begann, den Verstorbenen und damit sich selbst Denkmäler zu setzen. Dreh- und Angelpunkt bleibt nach wie vor der Aspekt des Öffentlichen, welcher Hinterbliebene und Angehörige ebenso wie ein anonymes Publikum mit seinen flaneurhaften Blicken berücksichtigte. Im Zentrum des Denkmalkults standen die Taten und Tugenden männlicher Protagonisten. Der Wandel vom Denkmal zum Kult vollzog sich in Europa unter vielschichtigen Voraussetzungen und somit in unterschiedlichen Zeitspannen und Ausprägungen. Zunächst lässt sich festhalten, dass in der Frühen Neuzeit neben den Größen der Monarchie, des Adels und des Klerus auch ruhm-

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reiche, aber »ungekrönte« Feldherren und Kriegsstrategen auf Denkmalsockel gehoben wurden, um sie über ihr Ableben hinaus öffentlich zu würdigen.54 Ab der Jahrhundertwende vom 18. zum 19.  Jahrhundert fungierten Denkmäler infolge der Bildung von Republiken, Reichsgründungen oder -anschlüssen zunehmend als Repräsentanten national-territorialer Machtansprüche. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in jenen Städten, die im Rahmen der Untersuchung der weiblichen Grabplastiken bereits vorgestellt wurden: Die wechselnden Staatsformen in Frankreich nach den Revolutionen, die Nationalstaatsgründung des Deutschen Reichs, die wachsende Habsburgermonarchie bis zum Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn oder auch die politischen Führungswechsel ­Liguriens boten unter anderem die historische Grundlage, auf der Staats- und Personendenkmäler etabliert wurden.55 Die monumentalen und raumgreifenden Inszenierungen sollten die Bevölkerung auf das Konstrukt der politischen Einheit und nationalen Identität einschwören. Indem sie sowohl auf repräsentativen, exponierten Standorten in den Machtzentren positioniert wurden als auch über das Reich verteilt auf gewöhnlichen Stadt- und Marktplätzen,56 können wir annehmen, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung in seiner visuellen Kultur mit den regionalspezifischen Inszenierungsstrategien öffentlicher Machtdemonstration sozialisiert hatte. Neben der nationalstaatlichen Instrumentalisierung von Denkmälern spielten gesellschaftliche Veränderungen eine erhebliche Rolle bei der Entwicklung des Denkmalkults. Infolge der Aufklärung und der Französischen Revolution erstarkte das bürgerliche Selbstbewusstsein und so präsentierten vermögende Bürger die Vordenker und Pioniere aus ihren eigenen Reihen auf Denkmalsockeln. Wohltäter, Wissenschaftler, Erfinder und später auch Industrielle zählten ebenso zu den neuen »Helden« wie Gelehrte, Dichter, Künstler oder Komponisten.57 Das Personendenkmal durchlief einen Wandel zum „Verdienstdenkmal“58, das in diesem Selbstverständnis in der ständischen Gesellschaftsordnung nicht denkbar gewesen wäre, und sich nun auch in politischen bzw. institutionellen Kontexten wie z. B. vor Rathäusern, Regierungs- oder Verwaltungsgebäuden in Szene setzen ließ: „Gerade in den Stadtrepubliken entsprach es eigentlich nicht der Tradition und dem bürgerlichen Bewußtsein, dem Oberhaupt der Stadt ein Denkmal zu setzen. […] Sie [die Denkmäler, Anm. A. G.] bleiben geprägt von bürgerlichem Gedankengut, dem Streben nach der bürgerlich ‚bescheidenen‘ Form einerseits, der Aneignung herrschaftlicher Repräsentation andererseits, zeigen aber auch bei aller Kontinuität ein gewandeltes Darstellungsbedürfnis der regierenden Schicht.“59

Jenes „Darstellungsbedürfnis der regierenden Schicht“ offenbart das Anliegen des Bürgertums, seinen Führungsanspruch öffent-

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lich zu markieren und seinen Wertehimmel monumental zu untermauern, denn: Über das Denkmal ließ sich neben dem bürgerlichen Protagonisten auch die bürgerliche Idee im Allgemeinen präsentieren. Auf die gleiche Weise, wie Papst- oder Monarchendenkmäler sowohl für eine Einzelperson als auch für einen Glauben, eine Ideologie oder ein Territorium standen, war auch die Denkmalkultur mit bürgerlicher Intention doppelt codiert: „Entweder man setze blos [sic!] Luther ein Denkmal, oder […] Luther und der ganzen Reformation, […]“60, so schrieb der renommierte Bildhauer ­Christian Daniel Rauch an seinen Schüler Ernst ­R ietschel. Spezielle Vereine setzten die Denkmalpraxis der doppelten Codierung programmatisch fort. Das bekannteste Beispiel stellen im deutschsprachigen Raum die Schiller-Vereine dar, die anlässlich bestimmter Jubiläen wie dem 100. Geburtstag im Jahr 1859 oder dem 100. Todestag im Jahr 1905 gegründet wurden, um den Künstler, sein Werk und seine Ideen zu ehren und zu diesem Zweck letztlich auch die Aufstellung von Schiller-Denkmälern samt Finanzierung zu übernehmen.61 In Hamburg durchzieht diese Praxis das gesamte 19.  Jahrhundert. In der republikanisch und protestantisch geprägten Hansestadt galten die prominentesten Denkmäler dem Aufklärer Johann Georg Büsch, 1802 gesetzt durch die Patriotische Gesellschaft, dem Mathematiker und Instrumentenbauer Johann Georg Repsold, 1848 errichtet von Freunden, dem Reformator Johannes Bugenhagen, 1884 gestiftet von Nachkommen seiner Schüler, oder dem ehemaligen Bürgermeister Gustav Heinrich Kirchenpauer, finanziert durch eine „öffentliche Sammlung“ und 1889 enthüllt.62 Hier wird deutlich, dass die Hamburger Bürger, im Zwiespalt zwischen Kaisertreue und wirtschaftlicher Unabhängigkeit, in öffentlichen Monumenten ihre eigenen schichtspezifischen Ideale materialisierten und dazu Vordenker und Würdenträger als Identifikationsfiguren inszenierten. Im Kult um die Personendenkmäler – aus bürgerlichen Kreisen in Auftrag gegeben – versteinerte sich hier das Selbstbewusstsein und Selbstverständnis der bürgerlichen Oberschicht. In vielen anderen europäischen Städten erscheint die Denkmalkultur noch sehr viel ausgeprägter als in Hamburg. Dieser Eindruck resultiert einerseits aus der Art der Inszenierungen, andererseits aus der Anzahl der Denkmäler. Zeigen sich hamburgische Personendenkmäler in ihrer protestantischen Schlichtheit und republikanischen Selbstbestimmung vergleichsweise zurückhaltend, folgen sie in monarchisch geprägten Zentren wie in Paris, Wien oder Berlin einer ausgeprägten Machtdemonstration und Prunk­entfaltung – selbst in Residenzstädten wirkt die Inszenierung öffentlicher Plätze und Denkmäler repräsentativer, monumentaler und üppiger als in republikanisch geprägten Regionen (Abb. 257, Abb. 258).63 In den wachsenden Metropolen wie Paris, Wien und Berlin beeindruckt neben der Qualität der Denkmal­

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Abb. 257: Ehrenhalle des Hamburger Rathauses Abb. 258: Innenhof des Haupt­ gebäudes der Universität Wien

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inszenierung letztlich auch die Quantität der Monumente. In Paris entstanden allein zwischen 1890 und 1914 über 150 Denkmäler bedeutender Persönlichkeiten entlang der neu errichteten Boulevards, in Wien steigerte sich der Denkmalkult zu überbordenden Bild- und Büstenprogrammen entlang der Ringstraße, im Hof der Universität oder an der Fassade des Opernhauses und in Berlin gipfelte die Denkmalflut unter Kaiser Wilhelm II. in einer Schwemme an Reiterstandbildern zu Ehren von Kaiser Wilhelm I. und Figurenprogrammen entlang der Siegesallee.64 Der Kunsthistoriker Peter Bloch sieht in der überbordenden Ausstattung der Siegesallee zwischen 1895 und 1901 das Ende des Denkmalkults: „Person oder Ereignis, an dessen Einzigartigkeit erinnert werden soll, wird durch ein genealogisches Ensemble verdrängt, einen historischen Illustrationszyklus, eben eine Allee von Puppen. Das, was im Denkmal als zentraler Topos gesetzt ist, Fixpunkt menschlicher Ordnung, addiert sich zu einem Bewegungszwang, noch dazu im Hin und Zurück ohne Richtung und Ziel. Jedes Monument ist von einer runden Bank hinterfangen, welche die Erholung von Spaziergängen im Rücken des jeweiligen Helden anbietet, - Kurpark-Idylle. So kündigt die Siegesallee nicht nur das Ende der Geschichte des Denkmals an, sondern mehr noch: Sie führt das Denkmal des 19. Jahrhunderts ad absurdum.“65

In der kunsthistorischen Forschungsliteratur wird der Denkmalkultur im deutschen Kaiserreich ab den 1880er Jahren eine Eigendynamik von der „Denkmalflut“66 bis zur „Denkmalinflation“67 nachgesagt. Der Denkmalkultur in der österreichischen Donaumonarchie wurde von dem zeitgenössischen Schriftsteller und Publizisten Ferdinand Kürnberger sogar die „Denkmalpest“68 attestiert. Egal, ob Parlamente und Rathäuser, Universitäten oder Opernhäusern, Prachtstraßen und Parkanlagen: Es häuften sich in ganz Europa die Aufstellungsorte, die historischen Anlässe, die Protagonisten auf den Sockeln wie auch die Akteure hinter den Aufträgen. Hinzu kommt, dass sich vor diesem gedenk- und inszenierungsfreudigen Panorama ein Denkmalgewerbe aus überregional operierenden „Spezialisten und Spezialfirmen“ etabliert hatte,

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das die Nachfrage mittels seriell reproduzierbarer Plastiken und Baudekorationen bedienen konnte.69 Inflationären Phänomenen ist ein spezifischer Wert- bzw. Bedeutungsverlust immanent: „Die Inflation der Denkmäler bewirkt Beliebigkeit.“70 Bemerkenswerterweise blieb die bürgerliche Grabmalkultur von dieser Diagnose zunächst unberührt. 4.3.5 Das bürgerliche Grab-Denkmal „The sheer self-assurance that exudes from many of these portraits is impressive: these are people who knew their own worth, who were assured of their place in Paradise, having conducted a moral life, but who wanted to leave their mark on this earth.“71 Es ist anzunehmen, dass für das Gros des zeitgenössischen Bürgertums die Präsenz öffentlicher Denkmäler nicht deren ideelle Aufwertung gemindert hatte. Vielmehr spricht aus den bürgerlichen Grabdenkmälern der Jahrhundertwende eine stetige ­Begei­s­­terung für monumentale und gedenkwürdige Inszenierungen. Die bürgerliche Grabmalkultur zwischen den 1870er Jahren und dem Ersten Weltkrieg offenbart eine gewisse Akkulturation der öffentlichen Denkmalkultur, die sich aus der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen erklärt und sich daher erst verzögert äußerte. Bürgerliche Familien hatten das »Prinzip Denkmal« während des 19. Jahrhunderts zu Lebzeiten verinnerlicht und daraus eigene Kulturpraktiken für den Kontext Tod, Trauer und Gedenken zu ihrem Lebensende in den Jahrzehnten um 1900 entwickelt. Im Grabdenkmal wurde die innere Haltung zu Denkmal und Öffentlichkeit nicht bloß assimiliert, also an aristokratische Inszenierungs- und Repräsentationsformen angeglichen, sondern als sozio­kulturelle Praxis angeeignet und selbstreferenziell fortgeführt. Das Bürgertum hatte also dem Lebenswerk seiner Verstorbenen ein Denkmal gesetzt, wie beispielsweise auch der Einheit der Nation, dem Vermächtnis der Künste oder der Leistung der Wissenschaften eigene Denkmäler zugedacht worden waren. In dieser Haltung schwingen Tendenzen schichtspezifischer Selbstbestimmung, Aneignung und Identitätsstiftung mit, die im öffentlichen Inszenierungsraum der Friedhöfe artikuliert werden konnten. Zusammenfassend betrachtet bedarf das Personendenkmal mehrerer Voraussetzungen: Neben dem Künstler braucht es einen Anlass, einen Ort, ehrwürdige Protagonisten, finanzkräftige Auftraggeber sowie ein öffentliches Publikum. Im Grabdenkmal kommen all diese Aspekte zusammen, indem der Tod zum Anlass genommen wird, sowohl die individuellen Tugenden der Verstorbenen als auch das bürgerliche Selbstverständnis zu ehren

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und für ein öffentliches Publikum auf dem Friedhof in Stein hauen zu lassen – allerdings mit dem Unterschied, dass der »ehrwürdige Protagonist« und »finanzkräftige Auftraggeber« gegebenenfalls dieselbe Person darstellte und sich auf diese Weise selbst auf den Sockel hob. Der Denkmalkult des 19. Jahrhunderts wandelte sich auf den bürgerlichen Grabstätten der Jahrhundertwende zum Selbstinszenierungs- und Gedenk-Kult.

4.4 Das Grabmal für die Verstorbenen 4.4.1 Denkmäler für männliche Protagonisten – Grabmäler für das männliche Familienoberhaupt „Anstelle des klassischen Helden konnte etwa der Philanthrop gefeiert werden, aber auch die Familie konnte allein das tugendsame Leben eines ihrer Mitglieder erinnern und preisen, […] in derartigen Fällen war es nur konsequent, nicht eine Tat darzustellen, sondern zur wehmütigen Erinnerung an den Verflossenen als eigentlichem Thema überzugehen.“72 Obgleich sich die innere Haltung des Bürgertums zu Denkmal und Grabmal ähnelte, zeigt sich in der äußeren Form des Grabdenkmals ein erheblicher Unterschied: Auf den Sockeln standen in den meisten Fällen idealisierte weibliche Grabplastiken und keine konkreten Ehemänner oder Familienväter des Bürgertums. In der Denkmalkultur des 19.  Jahrhunderts hatten sich jedoch gewisse Inszenierungstraditionen etabliert. Das öffentliche Personendenkmal ehrte das Werk und die Werte großer Männer, indem diese auch aufgestellt wurden. Wie nach einem Baukastenprinzip wurde das Abbild eines Mannes auf Fundament und Sockel in den Mittelpunkt der Inszenierung gerückt und mit weiteren Allegorien, Symbolen und Inschriften ausstaffiert. Das Denkmal des 19. Jahrhunderts galt bis auf wenige Ausnahmen den männlichen Protagonisten der Historie.73 Wie ist jedoch der symbolische Tausch vom männlichen zum weiblichen Fixpunkt im Grabdenkmal zu verstehen? Wem gilt das Grab? Während die Grabinszenierung aus demselben Baukasten konstruiert wurde wie auch das Personendenkmal, kam es zu zwei Modifizierungen. Zum einen wurde die Zeichensprache aus Fundament, Sockel, Inschriften, Symbolen und Plastiken um ein spezifisch bürgerliches und biographisches Zeichenrepertoire erweitert; zum anderen wurde gewissermaßen die Grammatik dieser Zeichensprache an die bürgerliche Gefühls- und Vorstellungswelt angepasst. Wo genau die feinen Unterschiede zwischen Denkmal-

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kultur und Grabmalkultur lagen und was diese über die Mentalitätsgeschichte und Gefühlswelt des 19.  Jahrhunderts aussagen, lässt sich im Einzelnen exemplarisch durchspielen. Einige Grabmäler folgten äußerst konsequent den gängigen Denkmalinszenierungen des 19. Jahrhunderts. So wurde auf der bereits vorgestellten Grabstätte für Sebastian Gaigl (1876) am Münchener Alten Südfriedhof eine überlebensgroße Büste des Stifters auf einem Sockel erhöht und darunter mit einer allegorischen Caritas bzw. Bavaria und zwei Kindern in Lebensgröße ausgestattet (Abb. 259). Ähnlich auch die Inszenierung für den »­ Walzerkönig« Johann Strauss (1899) am Zentralfriedhof in Wien, bei der aus einem felsartigen Aufbau eine Stele mit Strauss’ Porträtrelief emporzuwachsen scheint – unterhalb davon die halb-plastische Darstellung einer Muse der Musik mit vergoldeter Leier (Abb. 260). Beiden Persönlichkeiten wurde seitens der Stadt ein Ehrengrab zugedacht und so wurde analog zum zeitgenössischen Personendenkmal der männliche Protagonist erhöht und mit weiblichen Allegorien umgeben, die seine Tugenden – ­Wohltätigkeit oder musikalisches Genie – verkörpern sollten.74 Eine leichte, aber nicht unerhebliche Abwandlung dieses Zeichen­ arrangements zeigt sich auf der Familiengrabstätte ­Mazzucchelli (1877) auf dem Cimitero Monumentale in Mailand (Abb. 261).75 Hier wurde die Büste des Familienvaters und Ehemanns Giovanni Mazzucchelli auf einer stilisiert ionischen Säule aufgestellt, an deren Postament eine Allegorie der Trauer kniet, die in einem Friedhofsführer der Jahrhundertwende mit dem Titel „Schmerz von dem Gebet getröstet“ ausgewiesen wurde.76 Bei dieser Plastik könnte es sich um die Darstellung der Ehefrau bzw. Witwe handeln. Allerdings wurde die Figur derart verschleiert, dass es nicht möglich ist, sie zu identifizieren. Die Art der Inszenierung verrät die Intention, dass die Identifizierbarkeit des Mannes gewährleistet sein sollte, wohingegen die der Frau nicht zwingend notwendig war. Zumal der Titel auf eine frei gewählte Allegorie des Schmerzes schließen lässt, die in diesem Fall weniger einen bestimmten Charakterzug des Mannes verkörpert, als vielmehr die emotionale Verfassung, die bei den Hinterbliebenen angesichts seines Todes evoziert werden sollte. Bereits um 1800 kündigte sich bei Canovas Grabmonument für Papst Clemens XIV. in Rom in der Darstellung der Mansuetudo und Temperantia an, dass weibliche Graballegorien nicht bindend die Tugenden und Wesenszüge des Verstorbenen personifizierten. Vielmehr wurde die Grab­stätte zum Attribut der Plastiken und machte aus den Sinnbildern der Trauer Identifikationsfiguren und Projektionsflächen für die Hinterbliebenen.77 Im vorherigen Kapitel habe ich dieses Grabmal hinsichtlich der Ikonographie bereits analysiert; in Bezug auf die Gefühlswelten und Mentalitäten deutete sich bei Canova schon an, dass der ›Trauernden‹ im Zuge der erinnerungs- und gedenk-

Abb. 259: Grabstätte Sebastian Gaigl (1876), Alter Südfriedhof München Abb. 260: Grabstätte Johann Strauss (1899), Zentralfriedhof Wien Abb. 261: „Schmerz von dem Gebet getröstet“, Grabstätte Mazzucchelli (1877), Cimitero Monumentale, Mailand (um 1900)

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freudigen Trauerkultur einige Jahrzehnte später eine größere Aufmerksamkeit zuteilwerden sollte, weil sie sich vom bloßen Träger von Zeichen zum eigenständigen Zeichen zu wandeln begann.

Abb. 262: Mozart-Figur auf Mozart-Denkmal (ursprünglich am Wiener Albertina-Platz in Ringnähe, heute im Burggar­ ten), Wien Abb. 263: Weibliche Allegorie auf dem Ehrengrab für Mozart, Zentralfriedhof Wien Abb. 264: Grabstätte Frédéric Chopin (1849), Cimetière du Père Lachaise, Paris

Um das Emotionale in den Inszenierungen zu bekräftigen, wurde den Grabplastiken eine höhere Bedeutung und damit eine prominentere Position zugewiesen, d. h., dass die Zeichen neu arrangiert werden mussten. Besonders anschaulich wird dies in der Gegenüberstellung des Mozart-Denkmals am Wiener Albertina-Platz in Ringstraßennähe aus dem Jahr 1896 mit dem Ehrengrab für den Komponisten am Zentralfriedhof außerhalb der Stadt.78 Im Zentrum der Denkmalinszenierung steht eine figürliche Darstellung von Wolfgang Amadeus Mozart, im Zentrum des Ehrengrabes eine weibliche Plastik (Abb. 262, Abb. 263). In der Zeichensprache der zeitgenössischen Denkmalkultur gilt das Monument und damit Ehre und Andenken demjenigen, der darauf steht. Konsequenterweise würde das bei der Interpretation des Ehrengrabes bedeuten, dass Monument, Ehre und Andenken einer jungen Frau gelten, wie z. B. einer Tochter, Ehefrau oder Geliebten. Allerdings verweisen die Inschriften und eine Porträtplakette des Komponisten auf dem Postament eindeutig auf dessen Lebenswerk und Vermächtnis. Demnach sollte das Monument unmissverständlich Wolfgang Amadeus Mozart gelten. Bei einem flüchtigen Blick auf die Grabmalkultur des 19. Jahrhunderts ist also eine gewisse Vorsicht geboten: Die Figuren, welche Grabmäler schmückten, verkörperten nicht bindend diejenigen, denen das Grab galt und dort bestattet wurden. Vielmehr stellen die weiblichen Sinnbilder jenes Zeichen, das die Grabstätte als erinnerungswürdig kennzeichnet. Ergänzt werden die Inszenierungen durch zusätzliche Verweise, die zeigen, wessen Nachruhm dekoriert werden soll. Bis ins frühe 20. Jahrhundert etablierten sich unterschiedliche Formen der Verweise. Auf den Grabstätten für den Komponisten Frédéric Chopin (1849) auf dem Père Lachaise in Paris oder für den Publizisten und Schriftsteller Hermann Kurz (1873) auf dem Stadt-

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Abb. 265: Grabstätte Hermann Kurz (1873), Stadtfriedhof Tübingen Abb. 266: Grabstätte Ferdinand Barbedienne (1892), Cimetière du Père Lachaise, Paris

friedhof Tübingen wurden ähnlich dem Ehrengrab für Mozart eine weibliche Zentralfigur um die Inschrift und das Porträtrelief des Verstorbenen ergänzt (Abb. 264, Abb. 265). Andere Grabstätten wurden mit plastischen Büsten der männlichen Protagonisten versehen, die in der Gesamtinszenierung eine stärkere räumliche Präsenz beanspruchen als die flacheren Plaketten und Reliefs. Auf dem Grab für Ferdinand Barbedienne (1892) auf dem Friedhof Père Lachaise wurde die überlebensgroße Büste des Industriellen und Begründers einer Bronzegießerei auf einem monumentalen Aufbau ausgestellt und unterhalb mit drei Allegorien versehen, von denen zwei in der Tradition des Personendenkmals Tugenden verkörpern und eine, die als frei gewähltes Sinnbild zwischen ›Trauernder‹ und weiblich-laszivem Genius changiert (Abb. 266). Ebenfalls mit plastischer Büste, aber in anderem Aufbau, haben wir bereits das Grabmal für den Kaufmann und Senator Johann Friedrich Stahmer (1897/98) auf dem Ohlsdorfer Friedhof kennengelernt (Abb. 267, Abb. 268). In vergleichsweise zurückhaltendem Gestus

Abb. 267: Grabstätte Stahmer (1897/98), Friedrich Küsthardt, Paul Rinckleben, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 268: Grabbüste Stahmer (1897/98), Friedrich Küsthardt, Paul Rinckleben, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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wurde hier die weibliche Grabplastik auf einen sehr hohen säulenartigen Sockel gehoben und darunter Stahmers Abbild in einer architektonischen Nische installiert.79 Im norditalienischen Raum hingegen waren um 1900 Plaketten mit den Photographien von Verstorbenen stärker verbreitet als in anderen europäischen Regionen. So wurde auf Grabdenkmälern häufig das Bild eines Mannes als konkreter Verweis neben ein weibliches Sinnbild gesetzt, wie z. B. auf der Grabstätte für Gaspare Stabilini (1897/98) auf dem Cimitero Monumentale in Mailand (Abb. 269, Abb. 270).80

Abb. 269: Grabstätte Gaspare Stabilini (1897/98), De-Giorgi, Cimitero Monumentale, Mailand Abb. 270: Grabmal Gaspare Stabilini, (1897/98), De-Giorgi, Cimitero Monumentale, Mailand

Die Begeisterung des Bürgertums für das männliche Konterfei wurzelte in der nicht-höfischen Porträtmalerei des späten 18. Jahrhunderts. Von England aus wurde in Abgrenzung zum Adel nun weniger auf die Perfektion der Abbildung und das Kaschieren kleinerer Schwächen abgezielt, sondern auf den Ausdruck bürgerlicher Tugendhaftigkeit. Wahlweise konnten ein gesenktes Kinn, eine markante Stirnfalte oder hoch liegende Wangenknochen als Indizien für Geduld, Tatkraft oder Rechtschaffenheit gedeutet werden und sollten dem individuellen Selbstverständnis eine Gestalt geben: „Es war das Selbstbewusstsein des ‚selfmade man‘, der es mit seiner eigenen Hände Arbeit zu etwas gebracht hatte, der einen strikten Begriff pragmatischer Handelsmoral vertrat, wie er in den moralischen Wochenschriften seit Beginn des [18.; Anm. A. G.] Jahrhunderts propagiert wurde, […].“81

Auf vielen Gräbern stellte zudem die Inschrift einen klaren Verweis auf das männliche Vermächtnis her, indem sie männliche Verstorbene mit exaktem Titel oder Berufsbezeichnung konkretisierte. Zudem sollten Überschriften wie z. B. „Grabstätte Familie Franz X. Klein“ am Zentralfriedhof Wien oder „Familie Arthur Haendler“ auf dem Friedhof Grunewald in Berlin zwar die gesamte Familie repräsentieren, wiesen jedoch identifizierbar nur

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auf das männliche Familienoberhaupt hin. Ähnliche, aber subtilere Inszenierungsstrategien veranschaulichen Vermerke zu den Lebens- und Sterbedaten, wenn der erste Eintrag dem Ehemann und Familienvater gebührte – unabhängig von der Erstbelegung oder Chronologie der Todesfälle in der Familie. Darüber hinaus können wir annehmen, dass auch Grabmäler ohne konkreten Verweis auf einen männlichen Protagonisten vom zeitgenössischen Publikum so rezipiert wurden, als seien sie eigens für das Familienoberhaupt aufgestellt worden. Erklärungen bietet weiterhin die Denkmalkultur des 19. Jahrhunderts als Vergleichsterrain. Hinter der Präsenz öffentlicher Denkmäler, die vorwiegend männlichen Helden vorbehalten waren, lässt sich eine visuelle Kultur vermuten, in der das Denkmal per se als Resultat männlicher Leistung und Biographie wahrgenommen wurde. Besonders anschaulich machen das die Nationaldenkmäler mit weiblichen Nationalpersonifikationen im Zentrum – wie z. B. der Germania oder Marianne  – , die symbolisch für die Männer standen, die an der Idee und Umsetzung der Nation beteiligt waren. Aus dieser Perspektive konnte allein die Präsenz der ›Trauernden‹ auf einem Familiengrab ausreichen, um Nachruhm und Andenken für das männliche Familienoberhaupt zu stiften.82 Der Großteil der Grabinszenierungen mit ›Trauernden‹ folgte dem Prinzip, das Grabmal für eine betrachtende Öffentlichkeit aufzustellen und damit das Leben und Vermächtnis bürgerlicher Männer zu würdigen. Es zeigen sich jedoch auch feine Unterschiede im Verhältnis zwischen Akteurinnen, Akteuren und Inszenierungsstrategien, die hier über eine Auswahl von Beispielen vorgestellt werden sollen. Grabdenkmäler von Frauen für sich selbst, Grabdenkmäler von Männern für eine konkrete Frau, Grabmäler für die ganze Familie, Grabstätten mit der Darstellung beider Ehepartner oder mit männlichen ›Trauernden‹ – all diese Varianten gab es im Zeitraum zwischen dem späten 19. Jahrhundert und dem Ersten Weltkrieg, wenn auch nur in Ausnahmen. Da wir uns bei derartig vereinzelten Beispielen in den Randgebieten der Grabmaldiskurse bewegen, geben sie besondere Einblicke in individuelle Abschieds- und Erinnerungsszenarien. 4.4.2 Grabdenkmäler für Frauen Frauen traten seltener als Auftraggeberinnen in Erscheinung als Männer – das um 1900 wohl prominenteste Grabdenkmal für eine Frau stammt auch von derselben. Bereits in zeitgenössischen Friedhofsführern wurde die Geschichte zum Grab einer Nussverkäuferin aus Genua zur rührig-heroischen Legende stilisiert: ­Caterina Campodonico hatte Geld gespart zu dem einzigen Zweck, sich in den Arkaden auf dem Friedhof Staglieno in Genua ein repräsentatives Grab leisten zu können und die Betrachtenden um Gebete

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für ihre Seele zu bitten. Es handelt sich um ein naturalistisches Personendenkmal von Lorenzo Orengo, der die Nussverkäuferin in ihrem besten Gewand, spitzenbesetzt, mit Schultertuch und Brosche, Schmuck und zeitgenössisch akkurater Frisur sowie mit Gesichtszügen und -falten darstellte, die sie vom Leben gezeichnet wirken lassen (Abb. 271, Abb. 272). Umgeben von den Grabdenkmälern wohlhabender Kaufmannsfamilien und einflussreicher Bürger Genuas markierte das Grabmal mehr als ein Vorzeigeobjekt redlicher Strebsamkeit und gottestreuer Genügsamkeit: „The assertion of self, the desire to be remembered and the celebration of the ethical value of work (for Caterina had achieved her goals in her own small way) are all typical of Realist funeral sculpture in the 1880s: what is untypical is that a woman of Caterina’s class should have made such a bold statement about her own worth.“83

Die Tatsache, dass sich eine nicht-aristokratische und nicht-bürgerliche Frau auf ihrem Grabmal verewigte, war so außergewöhnlich, dass die Grabstätte zu einer Art Pilgerstätte wurde, auf der – wie historische Photographien zeigen – früher wie heute Blumen von Fremden niedergelegt wurden. Auch auf anderen Friedhöfen in Europa tauchten vereinzelt Grabstätten auf, die einer konkreten Frau galten. In der Regel sind diese über die schichtspezifische Kleidung, zeitgenössische Frisur oder eindeutige Verweise in Inschriften zu identifizieren. Wie selten jedoch ein Grab von und für eine konkrete Frau war, macht das öffentliche Erstaunen über das Grab von Caterina Campodonico deutlich.84 Abb. 271: Grabmal Caterina Campodonico (1881), Lorenzo Orengo, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900) Abb. 272: Grabmal Caterina Campodonico (1881), Lorenzo Orengo, Cimitero di Staglieno, Genua

Im 19.  Jahrhundert war nicht nur das Grabdenkmal für eine bestimmte Frau unüblich, sondern der Grabtyp des eigenen Grabes für eine Frau allein. Die Analyse der Auftragssituation hat gezeigt, dass die Bestattung von Frauen von den zeitgenössi-

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schen Geschlechterdiskursen bestimmt war: Weniger vermögende Frauen konnten zwar alleine in einfachen bzw. Wechselgräbern beigesetzt werden, auf denen sie namentlich genannt wurden. Aber an diese Grabtypen war eine relativ kurze Laufzeit von zehn bis 25 Jahren gekoppelt, womit – unabhängig von sozialer Stellung und finanziellen Mitteln der Verstorbenen – monumentaler Grabschmuck hinfällig war. Im Bürgertum und der Aristokratie war ein Grab alleine für eine Frau jedoch nicht vorgesehen. Frauen wurden bei ihrem Ehemann bestattet oder, wenn sie unverheiratet waren, im Familiengrab des Vaters bzw. des nächsten männlichen Verwandten. Unverheiratete Frauen bewegten sich rechtlich in einer Art Grauzone, derer sich gelegentlich Freunde, Angehörige oder ein Vormund im Testament annahmen und sie mit Renten bedachten oder sie sogar im Grab aufnahmen.85 Das Grabdenkmal für eine Frau war nur dann denkbar, wenn diese im Dienste der Öffentlichkeit gestanden hatte, sie zu Ruhm und Anerkennung gekommen war oder sich um das Allgemeinwohl bemüht hatte wie z. B. Stifterinnen, Schauspielerinnen, Kammer- oder Opernsängerinnen. Das Grabdenkmal für die Schauspielerin Annie Kalmar (1877 – 1901), das zu ihren Ehren von dem Wiener Publizisten Karl Kraus auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg gestiftet wurde, stellt aus mehreren Gründen ein bemerkenswertes Beispiel für die Untersuchung dar: Eine dauerhafte Grabstätte für eine Frau, die als Grabdenkmal mit einem klar identifizierbaren Porträtrelief inszeniert wurde, war eine Seltenheit. Die Begleit­ umstände, dass die Einrichtung des Grabes und die posthume Verehrung der ­A nnie Kalmar in diversen Briefwechseln dokumentiert wurden und dieser Bestand erhalten ist, ist in der Recherche für dieses Forschungsprojekt absolut einmalig. Briefe und Dokumente zu Karl Kraus und Annie Kalmar wurden bisher zwar ediert, aber nicht auf ihre mentalitätshistorischen Bezüge oder zeitgenössischen Diskurse hin ausgewertet. Auch wenn es sich bei dem Grabmal für Annie Kalmar um eine Ausnahme von der gängigen Bestattungskultur handelt, stellt es ein ganz besonderes Beispiel dar: Das Grabmal wurde einer konkreten Frau gewidmet, die Grabinszenierung wies jedoch direkt auf einen männlichen Akteur zurück.86 Während Annie Kalmar (Anna Kaldwasser, 1877 – 1901) ab 1895 am Deutschen Volkstheater in Wien als Schauspielerin unter Vertrag gestanden hatte, wurde sie von Karl Kraus in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Die Fackel“ mehrmals erwähnt und als „die Herrlichste von Allen“87, als „vornehmes, natürliches, bessere [sic!] Beschäftigung würdiges Talent“88 hervorgehoben. Kraus verehrte und protegierte die junge Schauspielerin so sehr, dass sie nach Vertragsende im Jahr 1900 von Alfred von Berger, dem mit ihm befreundeten Theaterdirektor, der vom Burgtheater in Wien

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nach Hamburg gewechselt war, am dortigen Deutschen Schauspielhaus engagiert wurde. Nur wenige Monate nach dem Umzug verstarb Annie Kalmar im folgenden Frühjahr an einem Krebsleiden, geschwächt von Schwindsucht und Brustfellentzündungen. Noch während ihres Sterbens beauftragte Kraus den Bildhauer Richard Tautenhayn, ein Halbrelief nach einem photographischen Porträt in doppelter Ausführung zu fertigen. Ein Exemplar war für sein Arbeitszimmer in Wien vorgesehen, das andere für ein Grabdenkmal auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg (Abb. 273, Abb. 274, Abb. 275).89

Abb. 273: Grabmal Annie ­Kalmar (1901), Richard ­Tautenhayn, gestiftet durch Karl Kraus, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 274: Grabmal Annie Kalmar (1901), Richard Tauten­ hayn, gestiftet durch Karl Kraus, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 275: Annie Kalmar, histo­ rische Photographie von Albert v. Rothschild, Wien (Hamburg 19.4.1901)

Für Kalmars Grabstätte wurde das Porträtrelief in eine Granitstele eingelassen und mit einer umlaufenden jugendstilartigen Reliefbordüre aus Rosenblättern geschmückt. Die Inschrift ist so kurz wie aussagekräftig: ANNIE KALMAR 14. SEPTEMBER 1877 2. MAI 1901 IHREM ANDENKEN GEWIDMET VON KARL KRAUS

Obwohl die Inschrift in Kombination mit dem Porträt eindeutig auf die Identität der Schauspielerin verweist, rückte sich Karl Kraus mit dem Vermerk der Widmung ebenso in den Mittelpunkt der Bewunderung. Dieses Grabdenkmal wurde zwar für eine Frau eingerichtet, galt aber gleichermaßen seinem Auftraggeber und Stifter. Karl Kraus war äußerst bemüht um eine Grabinszenierung, die dem Verlust der jungen Schauspielerin und ihrem Nachruhm irgend möglich gerecht werden sollte. Von Wien aus initiierte er die Umbettung der Grabstätte, weil der ursprüngliche Grabplatz für die Aufstellung des Monuments nicht geeignet gewesen war. Er betraute dazu Alfred von Berger in Hamburg mit der Aufgabe, das Prozedere vor Ort zu begleiten:

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Alfred von Berger (Hamburg) an Karl Kraus (Wien) „15. Dezember 1903 Hoch geehrter Herr Kraus! Soeben kehre ich von der Umlegung der irdischen Reste unserer armen Annie Kalmar zurück und berichte Ihnen darüber, die Finger noch steif von der ausgestandenen Kälte. Die tote Annie hat diesen Akt posthumer Treue still über sich ergehen lassen, wie sie im Leben zu ihrem Unglück fast alles mit sich geschehen ließ. […] Auf dem Friedhof erfuhr ich, daß der Sarg schon in’s neue Grab übertragen ist und um zehn Uhr versenkt werden soll. Ich fand das Grab nicht gleich, und ein Arbeiter, dem ich den Friedhofszettel vorwies, sagte mir: Dort hinter dem Rosengarten. Annie hat nun einen schönen Platz, von Fichten und Föhren umstanden. Der Aufseher sagte: er hat den ganzen Tag Sonne. Das heißt, er würde sie haben, wenn die Sonne schiene. Der Sarg schwebte auf Seilen und Brettern über der tiefen Grube. Den Metallgriffen und der schwarzen Holztruhe, die den Metallsarg umschließt, war’s anzumerken, daß die Erde schon energisch begonnen hat, diesen zarten Bissen zu verdauen. Auf dem Metallschilde am Kopfende der Truhe las ich den Namen Annie’s. Wir warteten einige Minuten, dann wurde der Sarg hinabgesenkt. Er stand ein klein wenig schief, worauf ihn der Aufseher zurechtrücken ließ. Ich warf drei Schaufeln Erde hinab, auch in Ihrem Namen; sie schlugen dumpf und hohl auf die bauchige Holztruhe auf. Der Aufseher meinte, die Verwesung sei noch nicht ganz vollendet, und wenn die Leiche nicht in einem Metallsarg steckte, würde Verwesungsgeruch zu verspüren sein. Ich erwartete, etwas wie die Kirchhofsszene in ‚Hamlet‘ werde nun folgen, aber der Aufseher brach, während drei Arbeiter das Grab zuschaufelten, mit einem ‚Guten Morgen, mein Herr‘ rasch ab. Ich gab jedem der Arbeiter eine Mark und ging. Die tiefe Stille auf dem Kirchhof that mir wohl, und ich wäre gerne länger geblieben, aber ich mußte zur Probe. Das Monument wird heute Nachmittags aufgestellt. Seine Stücke lagen und lehnten neben dem Grab. Annie’s Marmorantlitz sah ihrer Umbestattung lieblich lächelnd zu. Mit diesem holden Bilde schließe ich diesen traurigen Bericht. Mit herzlichen Grüßen, Ihr Berger [sic!]“90 Karl Kraus (Wien) an Alfred von Berger (Hamburg) „17. Dezember 1903 Nachts an den Schreibtisch heimgekehrt finde ich Ihren Bericht vor. Tausend Dank für alle Güte, die Sie der Ärmsten, also mir erwiesen haben.  –  Ich werd’s Ihnen nie, nie vergessen Kraus. [sic!]“91

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Karl Kraus zelebrierte offensichtlich nicht nur ein intensives Andenken an die junge Frau, sondern auch über die Entfernung hinweg eine spezielle Bindung zu ihrem Grab. Nachdem ein Freund, der Schriftsteller Detlev von Liliencron, 1901 von Altona nach Alt-Rahlstedt östlich von Ohlsdorf gezogen war, ließ sich Kraus mehrmals gewissermaßen Bericht vom Friedhof mit »Grüßen vom Grab« geben: Detlev Liliencron (Alt-Rahlstedt) an Karl Kraus (Wien) „17. Dezember 1903 Eben, lieber Karl Kraus, kommt ihr prächtiger Brief. Ich fahre noch Ende dieses Monats nach Ohlsdorf und schreibe Ihnen dann in einem eingeschriebenen Briefe Bescheid.“92

Detlev Liliencron (Alt-Rahlstedt) an Karl Kraus (Wien) „30. Dezember 1903 Lieber Karl Kraus, heut Morgen war ich in Ohlsdorf. Es war ein fürchterlicher Hamburger Nebeltag. Der ‚gelbe‘ Nebel. Auf dem Friedhof war kein Mensch. Kein Sarg wurde getragen. So daß es schien, als gäb es keine Gestorbenen mehr. Und auch keine Lebenden mehr. Ich weilte lange an dem lieben Grabe. Das Relief ist herrlich. Es lagen eine Menge Kränze davor. Und noch so frisch, als wenn sie erst wenige Tage gelegen hätten. Ich senkte zwei frische Rosen darauf. Eine von Ihnen und eine von mir. Und sende Ihnen von Ihrer Rose einige Blätter in diesem Briefe. Rosenblätter der Liebe. Das Grab liegt still und an ernster Stelle. Hinter ihm ist ein großer Blumenplatz, den man erst durchschreiten muß. …Ihr alter Detlev Liliencron“93 Detlev Liliencron (Alt-Rahlstedt) an Karl Kraus (Wien) „9. April 1907 Hochverehrter Herr Karl Kraus, gestern, an einem unvergleichlich herrlichen Frühlingstage, war ich an Ihrem lieben Grabe. Und sende Ihnen von diesem ein Efeublatt. Es ist alles in größter Ordnung. Die sechs Rosenstöcke waren gut beschnitten. Und der wundervolle Koniferen-Hintergrund zeigt nichts Welkes. Das Relief hob sich in edelster Reinheit. Bei der Jahreszahl fehlte die Ziffer 1. Wenigstens schien es mir so; ich konnte nicht nah hinantreten. Aber ich kann mich auch versehen haben. Überall schlugen die Drosseln. Menschen waren nicht zu sehen in Nähe und Ferne --- Friede, Friede. [---] Mit Freuden gibt Ihnen ab und zu Bericht, oder bittet um Ihre Wünsche Ihr alter Liliencron. [sic!]“94

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Die Bewahrung des Gedächtnisses an die junge Schauspielerin trieb merkwürdige Blüten: Karl Kraus praktizierte mit befreundeten Größen des Kulturbetriebs wie z. B. Alfred von Berger und Detlev von Liliencron, aber auch Peter Altenberg und Frank ­Wedekind, eine spezielle Verehrung der Annie Kalmar, die „kultische Züge“ annahm.95 Ihre Briefwechsel vermitteln einen Eindruck von jener Theatralität, die für die Jahrhundertwende immer wieder als symptomatisch beschrieben wurde,96 und die sich – wie sich zeigen wird – schließlich auch in der Überformung des Weiblichen zur Projektionsfläche für Sehnsüchte oder Ängste niederschlug. So viel lässt sich vorwegnehmen: Die Briefe zum Grabmal der Verstorbenen zeigen kaum Bezüge zur Person Annie Kalmar oder ihrer früheren Lebensrealität, sondern vor allem zu dem Bild, in welchem sie idealisiert wurde – ähnlich verhält es sich mit ihrem Grabdenkmal. Für den Zeitraum um 1900 sind auf dem Friedhof Ohlsdorf neben Annie Kalmar drei weitere Reliefs und zwei Plastiken bekannt, die eine konkrete Frau darstellen.97 Grabdenkmäler für Frauen mit dem Porträt der Verstorbenen waren in Städten wie in Wien und Paris häufiger vertreten als in den übrigen untersuchten Städten, liegen aber selbst hier bei unter 10 % des erhaltenen bzw. nachweisbaren plastischen Grabschmucks. Zwar nehmen Porträtplaketten nach 1900 zu, auf denen identifizierbare Ehepaare – und damit auch konkrete Frauen – zu sehen sind, aber angesichts der Fülle und räumlichen Dominanz an unkonkreten weiblichen Grabplastiken stellen sie in der Sepulkralkultur ein marginales Phänomen dar: „Frauen sind im bürgerlichen 19. Jahrhundert noch kaum denkmalwürdig gewesen.“98 Die selektive Wahrnehmung im Betrachten und die gut erhaltenen Ehrengräber mit Laufzeiten auf Friedhofsdauer verfälschen den Eindruck der Präsenz von Grabdenkmälern für Frauen. Erstaunlicherweise ist deren Einrichtung in den historischen Friedhofsquellen ausführlicher dokumentiert als für »gewöhnliche« Gräber. Auf den ersten Blick könnte dabei der Verdacht entstehen, dass es sich dabei um übliche Grabinszenierungen gehandelt habe. Allerdings legt die Analyse historischer Friedhofsbücher den Schluss nahe, dass die Dokumentation erfolgte, gerade weil sie Sonderfälle darstellten.99 4.4.3 Grabdenkmäler für Familienmitglieder Weitaus häufiger tauchen Porträts von Frauen im Kontext von Figurengruppen auf, wie z.  B. in szenischen Familiendarstellungen oder Inszenierungen von Ehe- oder Liebespaaren. Als Teil einer Gruppeninszenierung lassen sie sich nur bedingt als Grabdenkmäler für Frauen lesen. Sie bewegen sich häufig an der Schnittstelle zur weiblichen Idealisierung, indem meist auf weitere Verweise verzichtet wurde, welche die dargestellten Personen

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klar identifizieren würden. In den Gedächtnisszenen der Witwe ­ aendler mit ihren beiden Kindern am Grab für Arthur H H ­ aendler (1911) in Berlin-Grunewald (Abb. 276, Abb. 277)100 oder auf der Großgrabstätte für die Familien Klein, Reichel, Howoldt und Wenk (1918) in Hamburg-Ohlsdorf mit Vater, Mutter und Tochter (Abb. 278, Abb. 279)101 wurden eindeutig individuelle Physiognomien und zeitgenössische Frisuren mit antikisierten, idealisierten Gewändern kombiniert. Auf Grund der Monumentalität der Grab­architekturen erscheint die Familie hier als eine unumstößliche Institution, als Ort des immerwährenden Andenkens und Versprechens auf nachfolgende Generationen – gleichzeitig demonstrieren die Inszenierungen die Verletzlichkeit der Familie durch den Verlust eines Familienmitglieds.

Abb. 276: Grabstätte Arthur ­Haendler (1911), Hans ­Dammann, Friedhof Grunewald, Berlin, Abb. 277: Grabmal Arthur ­Haendler (1911), Hans ­Dammann, Friedhof Grunewald, Berlin Abb. 278: Grabmal Klein/ Reichel/Howoldt/Wenk (1918), Gerhard Marcks (vermutl.), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

Vollkommen unabhängig voneinander verfolgen beide Grabstätten dieselbe Inszenierungsstrategie: Beide Figurengruppen involvieren die Betrachtenden in eine intime Situation zwischen Leben und Tod. Eingerahmt von einer gewaltigen halbrunden Nische bzw. einer weit umlaufenden, halbrunden Steinbank scheint sich das Publikum auf dem Friedhof plötzlich im Kreise der Familie zu befinden. Indem die Figuren zwar in Lebensgröße, aber leicht erhöht dargestellt wurden, befinden sich die Kinder bzw. Sitzfiguren in Augenhöhe mit den Betrachtenden. Sich selbst als lebend und trauernd an dem Ort aufstellen zu lassen, an dem man später bestattet würde, lässt sich als Memento mori decodieren, das die Lebenden an ihre eigene Sterblichkeit erinnern sollte. Allerdings haben die Blickrichtungen – nach unten, nach oben, zur Seite, ins Leere an den Betrachtenden vorbei – keinen konkreten Bezugspunkt und wirken innerhalb der Figurengruppe diffus.102 Sie erscheinen als symptomatisch für eine Zeit, in der die institutionalisierte Kirche und der individuelle Glaube keine verlässlichen Antworten mehr auf den Tod und das Jenseits gaben; zumal der Monumentalcharakter der Inszenierungen den Eindruck erweckt, dass zwar der Ausgang des Lebensendes ungewiss sei, aber die Ins-

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titution Familie und der Glaube an sie den Verlust überdauern und die Erinnerung unsterblich machen würden. Abschiedsszenen von Familienmitgliedern traten besonders im norditalienischen Raum auf, die als Ausdruck des »mamissmo« und des spezifischen Familienkults zu verstehen sind. Auf dem Friedhof Staglieno in Genua reichen Grabinszenierungen mit weiblichen Porträts von idealisierten Darstellungen wie für das Familiengrab Casella (o. J.) (Abb. 281) bis zu naturalistisch-­veristischen Aufbahrungsszenen wie auf dem Familiengrab Raggio (1872) (Abb. 280).103 Wesentlich undramatischer zeigen sich Zweiergruppen mit identifizierbaren Ehepaaren, die sich klar innerhalb der Koordinaten bürgerlicher Konventionen bewegen mussten, wie das Beispiel des Ehepaares Pigeon (1915) veranschaulicht, das sich auf einem Ehebett mit Kopfteil, Kissen und Lakenfalten abbilden ließ (Abb. 282). Sujets wie der »letzte Kuss«, innige Umarmungen oder ekstatisch-konvulsiv gekrümmte Körper konnten ausschließlich von idealisierten Figuren dargestellt werden und stellen in der Regel auch keine weiteren identifizierbaren Verweise zu den Verstorbenen her wie z. B. über Büsten, Porträtreliefs oder Photomedaillons. Familiengräber mit Darstellungen konkreter Frauen in Kombination mit ihrem Ehemann oder weiteren Familienmitgliedern können mentalitätshistorisch nicht als Grabdenkmäler für die

Abb. 279: Grabstätte Klein/ Reichel/Howoldt/Wenk (1918), Gerhard Marcks (vermutl.), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 280: Grabmal Raggio (1872), Augusto Rivala, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900)

Abb. 281: Grabstätte Casella (o. J.), Giuseppe Benetti, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900) Abb. 282: Grabmal Charles Pigeon (1915), Cimetière Mont­ parnasse, Paris

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Leistung einzelner Akteure und Akteurinnen gewertet werden. Denn gemäß der bürgerlichen Geschlechterideale galten Frauen, egal ob Ehefrauen, Töchter, Schwestern, Mütter oder ledige Frauen, im 19. Jahrhundert zum Mann »zugehörig«. Allein diese Aufzählung zeigt, dass Frauen in Rückkopplung an ihren familiären Status gedacht und benannt wurden. Die wesentlichen gesellschaftsrelevanten Statuswechsel durchliefen Frauen im Übergang vom Dasein als ledige Tochter zur Ehefrau sowie von der Ehefrau zur Mutter – selbst der weitere Übergang von der Ehefrau und Mutter zur Witwe markierte die Frau als ihrem nun verstorbenen Mann zugehörig. Inwiefern diese Geschlechterdiskurse auch im Selbstverständnis der Frauen wirkten und schließlich in der Selbstdarstellung der weiblichen Hinterbliebenen auf den Grabstätten sichtbar werden konnte, zeigt die Grabinszenierung ­Heerlein auf dem Friedhof Ohsldorf in Hamburg. Hierbei handelt es sich nicht um eine Familiengrabstätte, sondern um das Genossenschaftsgrab für das August-Heerlein-Stift, in dem die Bewohner und Bewohnerinnen des gleichnamigen Wohnstifts beigesetzt wurden – dennoch wirkte das Grabmal auf den Familiensinn der Heerleins und ihr Familienoberhaupt zurück (Abb. 283, Abb. 284).104 Das Grabmal wurde nachträglich von der Tochter Anna Elisabeth Heerlein zum 100. Geburtstag des verstorbenen Vaters eingerichtet und zeigt in der Tradition des Personendenkmals einen gewaltigen, über drei Meter hohen Pfeiler auf einem Sockel, darunter die Darstellung einer knienden jungen Frau, die auf dem Monument einen Kranz als Zeichen des Ruhmes und der Ewigkeit niederzulegen scheint. Dass sich Anna Elisabeth Heerlein zu Ehren des Vaters mit dieser Geste porträtieren und auf der Grabstätte abbilden ließ, liegt bei der Art der Inszenierung und der Entstehungsgeschichte zunächst nahe. Einerseits sprechen die naturalistische und für Ohlsdorf beinahe szenisch wirkende Ausführung für ein Porträt. Zudem ließ Anna Elisabeth Heerlein mit Hilfe der Inschriften auf allen Seiten des Sockels nicht nur das Vermächtnis und die Ideale des Vaters hervorheben, sondern auch auf ihre Denkmalsetzung und damit auf ihre Identität verweisen: Vorderseite „Zum Gedächtnis an August Heerlein 1804 – 1904 Begräbnisstätte des August Heerlein Stift“ Rückseite „Zum 100 Jährigen Geburtstage den 21. Sept. 1904 errichtet von seiner Tochter“ Seitliche Schriftfelder „Wer über seine Tage hinaus wirkt, hat wahrhaft gelebt“ „Gebet und empfanget in Liebe“ „Aus der Zeit in die Ewigkeit“

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Andererseits sind die antikisierte Frisur und die Art der Bekleidung Indizien für eine unkonkrete idealisierte Darstellung. Vielmehr noch widersprechen diese Details in diesem Fall einer Porträtdarstellung der Tochter: Die Figur trägt ein ärmelloses Kleid, zeitlich und stilistisch kaum einzuordnen, aus dünnem, faltenreichen Stoff, unter dem sich die Brüste, der Bauch und die angezogenen Beine abzeichnen; der Träger ist über die linke Schulter gerutscht und scheint immer weiter hinabzugleiten. Würde es sich bei dieser Inszenierung tatsächlich um eine repräsentative und naturalistische Abbildung von Anna Elisabeth Heerlein handeln, hätte sie die Identität der jungen Frau in einen zwielichten Kontext gerückt und das Andenken des Stifters in öffentlichen Verruf gebracht. Betrachten wir die Plastik als Allegorie, folgt die Grabinszenierung den zeitgenössischen Vorstellungen von Moral, Konvention und Geschlechter- bzw. Familienideal, indem Anna Elisabeth Heerlein dem Vermächtnis des Vaters ein Denkmal stiftete und es lediglich mit einem Sinnbild der Tochterliebe und ­Caritas ergänzte: „In diesem Grabmal repräsentiert sich […] im Grunde wieder eine Familie, die jedoch nicht direkt, sondern – vertreten durch die ‚fromme Tat‘ ihrer Stiftung – sich selbst ein Denkmal setzt und dafür die üblichen Formen großbürgerlicher Grabmalausstattung in Hamburg übernimmt.“105

Das Selbstverständnis zwischen bürgerlich-protestantischem Ethos, weiblicher Sittlichkeit und hanseatischem Familienstolz spielte für Frauen wie Anna Elisabeth Heerlein offensichtlich eine weitaus größere Bedeutung als der Wunsch nach Selbstdarstellung. Dieses Beispiel zeigt, dass mit der Darstellung (vermeintlich) konkreter Frauen weniger das Lebenswerk von Einzelpersonen durch ein Grabdenkmal gewürdigt wurde, sondern vielmehr die Familie oder Ehe als Institution bürgerlicher Lebenswelt. Sandra ­Berresford zog diese zeitspezifische „Legacy of Love“106 als Essenz

Abb. 283: Grabstätte des August-Heerlein-Stifts (1904), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 284: Grabmal des AugustHeerlein-Stifts (1904), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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aus ihrer Untersuchung italienischer Grabmalskulpturen. Auf monumentale Art und Weise verhinderten diese Grabinszenierungen, dass einzelne Familienmitglieder nach ihrem Tod in Vergessenheit hätten geraten können. Die identifizierbaren Porträtstatuen materialisierten in Reinform das familiäre Selbstverständnis und fungierten als verbindliches Moment über den Tod hinaus – nicht zuletzt in der Hoffnung auf ein Wiedersehen im Jenseits oder auf ein ewigliches Andenken der Hinterbliebenen im Diesseits. 4.4.4 Männliche ›Trauernde‹

Abb. 285: Grabmal Hugo Wolf (1903), Edmund Hellmer, Zentralfriedhof Wien Abb. 286: „Aux Morts“ (1895), Albert Bartholomé, Cimetière du Père Lachaise, Paris

Angesichts einer Friedhofslandschaft, auf der die ›Trauernde‹ unter den weiblichen Grabplastiken zu einem Schlagbild der Trauerkultur und Gefühlswelten des 19.  Jahrhunderts avancieren konnte, stellen männliche Grabplastiken und insbesondere männliche ›Trauernde‹ ein äußerst marginales Phänomen dar. Die wenigen Beispiele an männlichen Grabplastiken, die in Hamburg, Berlin, Wien, Paris und im norditalienischen Raum zu finden waren, sind in der Regel von den Pathosformeln der weiblichen Plastiken weit entfernt. Sie lassen sich als Porträtstatuen auf Grabdenkmälern, Christusfiguren, Pilger und männliche Engel bzw. Genien decodieren, die vergleichsweise positive und optimistische Gefühle verkörpern wie den Stolz auf das Lebenswerk, die Hoffnung auf Erlösung und Auferstehung oder die Zuversicht des sanften Todes.107 Allerdings zeigt sich in den Darstellungen von Engeln und Genien ein breiterer Spielraum an Inszenierungsmöglichkeiten: Hier wurden gelegentlich Pathosformeln mit Gesten der Zuversicht verwoben, so dass die Sinnbilder von Hypnos und Thanatos oder die männlichen Verkündigungs- und Auferstehungsengel darüber hinaus auch als männliche ›Trauernde‹ interpretierbar wären. Das weite Feld an unkonkreten und idealisierten Trauerfiguren, wie es in der weiblichen Grabplastik zutage tritt, gibt es als männliches Pendant nicht. Männliche Figuren, die Emotionen wie Trauer, Schmerz oder Verlustängste personifizieren, stellen seltene Ausnahmen dar und wurden als Teil von Figurengruppen

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oder Bildprogrammen in Szene gesetzt wie auf dem Ehrengrab für Hugo Wolf am Wiener Zentralfriedhof oder auf dem Mahnmal „Aux Morts“ (1895) auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise (Abb. 285, Abb. 286).108 Die Ausnahme von der Ausnahme markiert der norditalienische Raum: Auf dem untersuchten Begräbnisplatz Staglieno in Genua wurden fast ein Drittel der figürlichen Grabinszenierungen mit männlichen Einzelfiguren bzw. mit gemischtgeschlechtlichen Figurengruppen ausgestattet. Die männliche Trauer reicht hier vom letzten Kuss des Liebespaares Dalmas (Abb. 72) über die tröstenden Gesten und Pathosformeln zwischen Vater und Sohn am Grab Picollo (1891) (Abb. 287) bis zur Darstellung eines ­Chronos „mit ernstlicher Miene“ auf der Familiengrabstätte Piaggio (1873/1885) (Abb. 288).109 Besonders die naturalistische Darstellung des trauernden Giulio Cesare Drago (o. J.) erzeugt auf der Familiengrabstätte eine besondere Intensität (Abb. 289). Es handelt sich um eine Randfigur neben dem Monument, die vom Weg aus nicht direkt zu sehen ist, sondern erst, wenn man an der Grabstätte vorbeigeht und der Blick schon auf das nächste Monument gerichtet ist. Umso eindringlicher ist die marmorne Darstellung des Witwers, der in zeitgenössischer Kleidung und Lebensgröße in seinem Abschiedsschmerz am Grabstein lehnt, dabei die Hand vors Gesicht gelegt, ein Bein kraftlos angewinkelt. Da der Trauernde nicht als Zentralfigur auf dem Grabsockel installiert wurde, sondern halb versteckt an der Seite, spielt die Inszenierung mit dem Überraschungsmoment für die Betrachtenden und initiiert einen schonungslosen Einblick in die Gefühlswelt der Familienangehörigen und Hinterbliebenen: Der Witwer verkörpert Schmerz, Ohnmacht und Vereinzelung.110 Auf dem Friedhof Staglieno in Genua wurde in den meisten Grabinszenierungen mit figürlichem Schmuck ein detailreicher Realismus mit ausgeprägten Pathosformeln verwoben, so dass

Abb. 287: Grabmal Picollo (1891), Giacomo Moreno, ­Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900) Abb. 288: Grabmal Erasmo Piaggio (1873/1885), Santo Saccomanno, Cimitero di Stagli­ eno, Genua (um 1900) Abb. 289: Grabmal Giulio Cesare Drago (o. J.), Augusto Rivalta, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900)

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männliche Grabplastiken – egal ob konkrete Männer, mythologische oder biblische Figuren – immer auch als ›Trauernde‹ zu deuten sind. Hier wird deutlich, dass der identifizierbare trauernde Mann nicht im Sinne eines Grabdenkmals für das männliche Lebenswerk stand, sondern für die männliche Trauer um die Verstorbenen als Vater, Sohn oder Witwer. Der gesenkte Blick, die Hände vors Gesicht geschlagen, Gesten des Stützens, Anlehnens oder Zusammensinkens markieren Formen von Kraftlosigkeit, Verletzlichkeit und Empathie, die im 19. Jahrhundert in der Darstellung von Männlichkeit unüblich waren. Der europäische Vergleich verstärkt den Eindruck, dass im norditaliensichen Raum das gesamte Bildrepertoire männlicher Motive – von konkreten Männern bis zu allgemeinen Sinnbildern – mit elegischen Pathosformeln und naturalistischen Trauergesten versehen werden konnte. Auf den anderen untersuchten Friedhöfen hingegen trat der männliche ›Trauernde‹ eher als Sinnbild in Erscheinung und damit auf der Bildfläche einer unkonkreten, nicht-realitätsabbildenden Männlichkeit. Die männlichen Trauerfiguren markieren ebenso Randerscheinungen wie die Grabdenkmäler für oder das Abbilden von identifizierbaren Frauen. Diese Figuren stehen im gesamten Untersuchungsraum – mit Ausnahme des südeuropäischen Untersuchungsraums, der in dieser Hinsicht eines eigenen Forschungsprojekts bedarf – mit wenigen Dutzend Exemplaren weit hinter den über tausend Einzeldarstellungen und mehreren Hundert seriell produzierten Massenobjekten von unkonkreten weiblichen ›Trauernden‹ zurück. Obgleich es sich um Schätzwerte handelt, bildet das Verteilungsverhältnis von ca. 85 % unkonkreter weiblicher Figuren gegenüber 15 % identifizierbarer bzw. männlicher Figuren zeitgenössische Vorlieben und Vorstellungswelten ab. Die unkonkrete weibliche Grabplastik war die Norm unter dem figürlichen Grabschmuck und stellt damit ein historisches Objekt dar, auf dem normative Diskurse abgebildet und verhandelt wurden. Aus dieser Perspektive offenbart sich auf den europäischen Friedhöfen um 1900 eine Diskurs-Kulisse, vor der die Gräber dem Andenken von konkreten Männern galten, indem sie mit einem Bild unkonkreter, nichtidentifizierbarer Weiblichkeit als erinnerungswürdig ausgewiesen wurden. 4.4.5 Bürgerliche Geschlechterdiskurse Familiengräber der Jahrhundertwende demonstrieren mit Blick auf die Kategorie Geschlecht, dass der Umgang mit dem GedenkKult nach heutigem Verständnis keineswegs egalitär oder gleichberechtigt war. Der Denkmal-Kult des Bürgertums wurzelte zwar unter anderem in der Französischen Revolution und sein Selbstverständnis speiste sich nicht zuletzt aus dem Leitsatz der »Frei-

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heit, Gleichheit und Brüderlichkeit«, dennoch bewegte er sich innerhalb der Koordinaten der bürgerlichen Geschlechterdiskurse, die den Mann als Akteur öffentlicher und geschichtsträchtiger Taten vorsahen. Die vorherrschenden Geschlechterdiskurse des 19.  Jahrhunderts gaben die Rahmenbedingungen vor, unter denen sich sowohl der Denkmalkult als auch die Grabmal- und Trauerkultur artikulieren konnten. Diese Diskurse gehen zurück auf die Körper- und Geschlechtergeschichte des 18. Jahrhunderts. Sie wurden entlang bürgerlicher Vordenker, neuer Familienideale und Erziehungspraktiken im Laufe des 19.  Jahrhunderts immer weiter ausdifferenziert und waren zum Aufstellungszeitraum der weiblichen Grabplastiken um 1900 noch immer wirksam bzw. sinnstiftend. Geschlechterdiskurse sind in allen historischen Phasen äußerst komplexe Gebilde und gründeten sich speziell im 18. und 19.  Jahrhundert auf der Herausbildung von dichotomen Körperkonzepten, Geschlechtercharakteren, Geschlechtsidentitäten sowie geschlechtlich zugeschriebenen Handlungssphären und Rollenverhalten, anhand derer sich die Trennung von sex und ­gender bis heute nachzeichnen lässt.111 Das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit ist ein noch recht junges Phänomen und konstituierte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts, nachdem Anatomie und Medizin Mann und Frau als separate eigenständige Körper definiert hatten.112 Entlang der ausgemachten anatomischen Unterschiede wurden nun spezifisch männliche und weibliche Geschlechtscharaktere entworfen. Wegen seiner „natürlichen Überlegenheit“ und seiner „natürlichen Qualität“ des Geschlechts, seinem „größeren Mut“ und seiner „größeren Körperkraft“ galt der männliche Geschlechtscharakter als das Dispositiv der „gesamten menschlichen Gattung“, aus dem der weibliche Geschlechtscharakter abgeleitet wurde.113 Auf dieser Basis vertraten vor allem Repräsentanten der bürgerliche Geistes­ elite wie Immanuel Kant, Johann Gottfried Herder oder Johann Gottfried Fichte Konzepte, in denen Männlichkeit als tatkräftig und mutig in der öffentlichen Sphäre verankert wurde und Weiblichkeit als hingebungsvoll und duldend in der privaten Sphäre, in der sie einen zugeordneten sozialen Status übernahm. Diese Sphären­ trennung zog die Verknüpfung von geschlechtsspezifischen Handlungsräumen und Rollenzuschreibungen nach sich.114 In der historischen Gesamtschau vom 18. bis ins frühe 20.  Jahrhundert wird eine wesentliche Entwicklung deutlich: Zunächst wurden die Geschlechtscharaktere als symbiotisch ergänzend konzipiert, da beide Seiten relativ zueinander, also als weniger/ mehr, größer/kleiner, natürlich/weniger-natürlich zueinander verhandelt wurden. Im weiteren Verlauf wurde das bürgerliche Geschlechtermodell jedoch als antipodisch festgezurrt, so dass die beiden Geschlechter sich nun aus ihren Positionen der Gegensätze heraus dialektisch ergänzen sollten.115

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Ebenfalls im späten 18. Jahrhundert kamen unter dem geistigen Einfluss der Aufklärung und der neuen Anthropologie von Mann und Frau geschlechtsspezifische Erziehungsprogramme und Familienideale auf, die in bürgerlichen Kreisen weiten Zuspruch fanden.116 So hatte beispielsweise der Erziehungsroman „Émile“ von Jean-Jacques Rousseau im westlichen und mittleren Europa eine breit rezipierte Vorlage geboten für die Kultivierung der Mütterlichkeit, der Familie und der häuslichen Sphäre.117 Zwei Aspekte sind für die Geschlechterdiskurse des weiteren 19.  Jahrhunderts von Bedeutung: Zum einen wurden in der Erziehung die dichotomen Geschlechtscharaktere berücksichtigt, die durch eine geschlechtsspezifische Pädagogik zur Entfaltung gebracht werden sollten, so z. B. Fechten, Reiten, Bildung und Sprachen für den öffentlichen Verkehr für Jungen sowie sittliche Umgangsformen, musische und künstlerische Betätigung im häuslichen Kreis für Mädchen. Die folgenden Generationen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts vergleichbare Erziehungswege durchliefen, sozialisierten sich jeweils in dem Bewusstsein der dichotomen Geschlechtsidentitäten.118 Zum anderen ging aus den Erziehungsprogrammen eine konkrete Ausformulierung von Familie und Mütterlichkeit, also von Handlungsräumen und Geschlechterrollen, einher. Indem der weibliche Geschlechtscharakter in der privaten Sphäre verortet wurde, galt für Frauen die Liebe und emotionale Fürsorge gegenüber der Familie sowie die Pflege und Erziehung der Kinder zunächst als Ideal und schließlich als Norm. Weiblichkeit wurde zunehmend als Mütterlichkeit definiert. Dem Mann bzw. Vater oblag es, Herrschafts- und Schutzrechte über die Familie auszuüben und diese gegenüber anderen Gemeinschaften ehrerhaltend zu bewahren.119 Das bürgerliche Familienideal konnte nur in Kreisen praktiziert werden, in denen Frauen nicht erwerbstätig sein mussten. Dennoch hatte es auch für andere Schichten eine normative Kraft und wurde bis zur Jahrhundertwende immer umgreifender und rigider ausdifferenziert. Die Erklärungsgrundlage bildeten abermals die Geschlechtscharaktere: In der Natur der Frau wurde ein spezifischer, aufopfernder Wille vermutet, der durch ihre Hingabe „die Befriedigung des Herzens“ erlangte. Über den Geschlechtsakt schien begründet, dass der Mann im Geschlechtstrieb zwar die wahre Vernunft erfahren könne, aber die Frau in der Lage sei, ihren Geschlechtstrieb in einen „edlen Naturtrieb“, d. h. in die Liebe zu verwandeln.120 Daraus abgeleitet wurde ein dichotomes Geschlechtermodell, nach welchem der weibliche Geschlechts­ charakter den männlichen Geschlechtscharakter ergänzte und ihm zur inneren Vervollkommnung verhalf. Die Aufgabe der Frau war die Kindererziehung, Haushaltsführung und Harmonisierung der Familie, ihre Gefühlswelt bestimmt von Liebe, Duldsamkeit und Ruhe und ihre Ehre gewährleistet durch Scham,

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Keuschheit und Sittlichkeit. Die Rolle des Mannes war hingegen in der Arbeitswelt, in Geschäftigkeit und im öffentlichen Verkehr verankert, seine Gefühlswelt auf Affektgeladenheit und Unruhe begründet und seine Ehre durch Mut und bürgerliche Tugendhaftigkeit gesichert. Während das Selbstverständnis von idealer Männlichkeit zu großen Taten, familiärem Vermächtnis und ehrbarem Ansehen führen sollte, zielte die Vorstellung idealer Weiblichkeit auf das Ausbalancieren von Gefühlen in der Familie und im Innern.121 Diese spezifischen Geschlechterrollen bewegten sich entlang von Konventionen und Verhaltenscodices, die über alle Lebensphasen vom Kindesalter bis zum Tod das Ideal verfolgten, dass die Frau auf sublime Weise den Mann im Innern des Hauses vervollständigte. Auf dieser Basis wurde das Heim der Familie zum primären Austragungsort bürgerlicher Geschlechterrollen sowie zur Matrix, auf der sich der bürgerliche Wertehimmel und die familiäre Zufriedenheit abzeichnen sollten. Handbücher und Anstandsliteratur gaben Auskunft darüber, wie dieses Heim als Hort für die ganze Familie gepflegt werden sollte. 1822 formulierte beispielsweise Karl Ludwig Renner „Wie soll sich eine Jungfrau würdig bilden“ an junge Leserinnen bürgerlicher Kreise: „Zuerst sorge die Frau dafür, daß ihrem Gemahl nichts abgehe, denn er ist das Haupt und der Erhalter der Familie. […] Gute Wirtschaft hat großen Einfluß auf häuslichen Wohlstand und Familienglück. Der heitere Sinn des Hausvaters, seine Ruhe, seine Zufriedenheit, die Eintracht im Innern und die Achtung der Welt von außen ist davon abhängig.“122

Im „Wohlanstand“, einem Lehrbuch für konventionstreues Benehmen, wurde gegen Ende des 19.  Jahrhunderts ein weitaus überformteres Bild vom bürgerlichen Heim skizziert, das nun noch sinnstiftender, regenerierender und begehrenswerter erschien: „Häuslichkeit! – Sie ist die Sonne, die unsere ganze innere Welt erleuchtet, belebt und verschönert; sie ist die Magnetnadel, die unserer Reise durchs Leben die rechte Richtung gibt. Unter Häuslichkeit denkt man sich Ordnungsliebe, Fleiß, Sparsamkeit, Genügsamkeit und Eingezogenheit in inniger, schöner Verbindung miteinander. Diese Tugenden bilden die Grundpfeiler der Häuslichkeit, des gemütlichen Heims. […] Nicht der Besuch von Bällen, Festen oder des Theaters und der Konzerte machen die Höhepunkte des Lebens aus. Wer die Kraft der Entsagung üben muß, wird lernen, daß er im häuslichen Kreise, im traulichen Heim reichen Ersatz dafür finde; ihm wird die Eingezogenheit in seinem häuslichen Kreise, die dort herrschende Liebe und Zufriedenheit, die einfache Freude mit Frau und Kind oder mit bewährten Freunden begehrenswerter erscheinen, als die rauschenden Freuden des Lebens. [sic!]“123

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Das Heim als die Sphäre der Familie und „Eingezogenheit“ oblag dem Zuständigkeitsbereich der Ehefrau und Mutter. An diesen Ort sollte der Mann aus der Welt des Marktes und der zweckrationellen Tätigkeit zurückkehren und durch das Wirken der Gattin jene Zufriedenheit und Kraft schöpfen können, die er brauchte, um wiederum für die Familie im äußeren Leben als gewissenhafter Bürger agieren zu können. Frauen bzw. Weiblichkeit galten dabei als „stärker durch das, was sie zu sein, als was sie zu tun“124 vermochten. Allein das „Sein“ der Frau, die Präsenz des Weiblichen reichte aus, dem Mann und seinen Verdiensten zu huldigen: „Ein weibliches Dasein wird erst zu etwas, wenn es die Freude, das Glück eines geliebten Mannes ist, […].“125 Die Dichotomie der Geschlechter zielte also nicht darauf ab, dass die Frau nach der Existenz des Mannes streben sollte, sondern ihm diese zu erleichtern. Da der Mann außerhalb des Heimes ständigen Konflikten, Unruhen und Fortschritt ausgesetzt war, galt seine Sehnsucht nach Besänftigung und Vervollkommnung als männlichkeitsimmanent.

Abb. 290: Stickbilder für Küche und Stube: „Nur eine Mutter weiß allein, was lieben heißt und glücklich sein“ – „Jede Gattin klug und weise, kocht des Mannes Lieblingsspeise“ (o. J.) Abb. 291: Familie Hübbe, Daguerreotypie von Johann Völlner (14. Sept. 1849)

Hinsichtlich der weiblichen Grabplastiken erscheint die bürgerliche Trauerkultur nur konsequent, wenn ein idealisiertes Bild von Weiblichkeit das Andenken an den Ehemann und Familienvater auf dem Grab vervollständigen sollte wie auch zu Lebzeiten. Die weiblichen Grabplastiken standen also nicht selbst für glänzende und heroische Taten des Gatten, sondern als Garantin dafür: Indem der Daseinswert der Frau an die weibliche Harmonisierung des Mannes und der Familie gekoppelt war, strahlte er auf die Verdienste des Familienoberhauptes zurück (Abb. 290, Abb. 291). Allerdings bildet die Palette weiblicher Grabfiguren keineswegs die Vielschichtigkeit der zeitgenössischen Geschlechterverhältnisse ab, die um 1900 einem unübersehbaren und weitreichenden Wandel unterzogen wurden. Frauen unterschiedlicher Schichten stellten die Normativität der Geschlechterverhältnisse in Frage und formulierten konkrete Forderungen an männliche Akteure

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und Institutionen, über welche die Geschlechterdiskurse immer weiter als normativ fortgeschrieben worden waren. Am deutlichsten wird der Bruch mit den tradierten Geschlechter­idealen in den Frauenbewegungen. Obgleich bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vereinzelt Frauen die bürgerlichen Geschlechterkonzepte angezweifelt hatten, führten der Druck des „normativen Korsetts“ und die Zuspitzung der sozialen Frage in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer konkreten Kritik am diskurs­ kräftigen Geschlechtermodell.126 Über Vereine, Gruppierungen und öffentliche Organe formierten sich bürgerliche wie auch proletarische Frauen, um für Frauen gleichberechtigte Möglichkeiten der Mitbestimmung, Bildung oder Arbeitsverhältnisse zu erkämpfen. Mit Forderungen nach dem Frauenwahlrecht und politischer Mitsprache, gleichberechtigter Schulbildung und dem Zugang zu Hochschulen für Frauen, Recht auf selbstständige Arbeit oder angemessener Lohnzahlung und sozialer Absicherung wurde aus unterschiedlichen Motivationen dieselbe Stoßrichtung verfolgt: Frauen setzten sich über die geschlechtsspezifische Festschreibung auf Mutterschaft und Reproduktion hinweg und demaskierten das Konstrukt der „Fundamentaldifferenz“ der Geschlechter.127 Diese Bewegungen fallen in eine Zeit, in der auf der einen Seite die Denkmalkultur im öffentlich inszenierten Raum von weiblichen Gestalten dominiert wurde, um männliche Leistungen auszuzeichnen, die aber auf der anderen Seite im krassen Widerspruch zu den Lebensrealitäten und Handlungsmöglichkeiten von Frauen standen: „Im 19. Jahrhundert, als viele dieser Bilder [Germania, Marianne, Freiheitsstatue; Anm. A. G.] entstanden und weite Verbreitung fanden, war vielmehr ganz offensichtlich das Gegenteil der Fall; […]. Der Unterschied zwischen der symbolischen Ordnung, wie sie in Idealen und allegorischen Gestalten lebendig ist, und der tatsächlichen Ordnung der Richter, Staatsmänner, Soldaten, Philosophen und Erfinder lässt sich vielfach gerade daran erkennen, wie unwahrscheinlich es ist, dass Frauen die Entwürfe, die sie darstellen sollen, auch selbst verwirklichen können.“128

Vor dem Hintergrund der Geschlechtergeschichte um 1900 erscheint die weibliche Grabplastik wie ein Relikt jener Geschlechterordnung, die gerade im Begriff war, überholt zu werden. Der figürliche Grabschmuck transportierte kein Bild eines innovativen modernen Weiblichkeitsentwurfs, sondern die Darstellung einer tradierten Vorstellung von idealer Weiblichkeit. Wir bewegen uns hier noch immer in der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, was bedeutet, dass um die Jahrhundertwende die Geschlechterdiskurse in neue Bahnen gelenkt wurden, aber gleichzeitig das Familiengrab nicht der Ort war, an dem der aktuelle Geschlechterwandel verhandelt werden sollte, sondern der Ort, an dem der bürgerli-

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che Wertehimmel beschworen und die bürgerlichen Geschlechter­ ideale final untermauert werden konnten. Die Konservierung des tradierten Weiblichkeitsideals stellte keinen Widerspruch zu den neuen Entwürfen von Weiblichkeit dar, sondern war die Antwort bzw. der Abgesang darauf. Grabmäler mit weiblichen unkonkreten Grabplastiken galten vorrangig dem männlichen Familienoberhaupt. Im Modus der öffentlichen Denkmalinszenierung war die ›Trauernde‹ das adäquate Zeichen, um das Andenken an den bürgerlichen Akteur, Ehemann oder Familienvater als erinnerungswürdig zu markieren, weil es der weiblichen Allegorie vorbehalten war, männliche Leistungen und deren Nachruhm auszustatten, ohne Lebensrealitäten von Frauen abzubilden. Im Modus der bürgerlichen Familieninszenierung bot die weibliche idealisierte Grabplastik ein authentisches Sinnbild, indem sie der Idealvorstellung von bürgerlicher Familie, Liebe und Ehe eine Gestalt gab. Spezifische Weiblichkeitsbilder konnten als Code fungieren, der schichtübergreifend decodierbar war, nachdem die bürgerlichen Geschlechterdiskurse über mehrere Jahrzehnte als normativ verhandelt worden waren. Mit der weiblichen Grabplastik ließ sich nicht einfach nur die Frau assoziieren, die um den Ehemann oder Familienangehörige trauerte, sondern sie verkörperte sie – teils szenisch, teils sinnbildlich, teils plakativ und unausweichlich, weil man sich ihrer materialisierten Präsenz am Grab nicht entziehen konnte. Dabei hatte das Bild idealer Weiblichkeit ein universelles Potenzial: Unabhängig davon, mit welchen ikonographischen Raffinessen und symbolischen Ausstattungsvarianten die weibliche Grabplastik für ein öffentliches Publikum inszeniert wurde, und unabhängig davon, welchen Bildungshorizont und welchen sozialen Hintergrund die Betrachtenden vor den Figuren mit sich brachten, stand letztlich allein das Bild einer trauernden Frau für den breiten bürgerlichen Vorstellungskosmos rund um Familie, Liebe, Trost und Besänftigung und führte dabei unweigerlich auf den Bezugspunkt ihres Daseins – den Mann oder die geliebten Verstorbenen – zurück.

4.5 Grabplastiken für die Hinterbliebenen 4.5.1 Verkörperung idealisierter Trauer Aus mentalitätshistorischer Perspektive stellen Grabmäler besonders ergiebige Quellen dar, weil sie nicht nur die Frage aufwerfen, für welche Toten sie eingerichtet wurden, sondern auch, welche Bedeutung sie für die Lebenden hatten. Für die weibliche Grabplastik ließ sich soweit zeigen, auf welche Weise ein unbeteiligtes öffentliches Publikum in der Grabinszenierung berücksichtigt

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wurde, nachdem Friedhöfe ausgelagert worden waren und die Aufbahrung, Bestattung und Trauer in den öffentlichen Blickwinkel rückten. Zudem wurde die Möglichkeit genutzt, ein eigenes dauerhaftes Grab einzurichten, um den Verstorbenen ein Grabdenkmal gegen das Vergessen der bürgerlichen Lebensleistung zu setzen. Die Hinterbliebenen mit ihrem Umgang mit dem Grab, aber auch mit dem Verlust oder der Trauer, bieten eine weitere Perspektive auf die bürgerliche Trauerkultur. Die Besonderheit an dem Komplex rund um die Hinterbliebenen ist, dass diese sich in einer Phase des Übergangs befinden: Zum einen wird die Ordnung der Gemeinschaft durch den Tod eines ihrer Mitglieder immer in irgendeiner Art beeinträchtigt und muss sich »neu sortieren«, um die Lücke zu schließen; zum anderen befindet sich der soziale Status der Hinterbliebenen während der Trauerphasen im Übergang zu einem neuen sozialen Status, beispielsweise von der Ehefrau zur Witwe – beide Aspekte betreffen die Lebenden, nicht die Toten. Der Tod tangierte die soziale Gemeinschaft zu allen Zeiten, aber unter unterschiedlichen Voraussetzungen, Erklärungen und Zukunftsentwürfen. Philippe Ariès beschrieb in seiner „Geschichte des Todes“, welche Veränderungen das Verhältnis zwischen den Lebenden und dem Tod über die letzten Jahrhunderte vollzogen hatte.129 Obgleich Ariès häufig Kranke, Sterbende, Leichname oder Jenseitsvorstellungen in den Vordergrund rückte, waren Dreh- und Angelpunkt im Verhältnis zwischen Leben und Tod letztlich die Hinterbliebenen, weil sie sowohl die Diskurse um Tod und Trauer fortschrieben als auch das Sterben und den Verlust der Angehörigen erlebten sowie nach Sinnstiftung zur Sterblichkeit im Allgemeinen und zu ihrer eigenen Endlichkeit suchten. Ariès charakterisierte das 19. Jahrhundert als eine Phase, in wecher der „eigene Tod“ und der „gezähmte Tod“ vom „Tod des Anderen“ abgelöst wurde. Die Achtung vor dem eigenen Tod wich nun der Angst vor dem Tod des anderen, der mit einer ästhetisierten und aufwändig zelebrierten Trauerkultur begegnet wurde.130 Wie sich zeigen wird, haben wir es bei dem Phänomen der weiblichen Grabplastik mit einer Ausgangssituation zu tun, in der die emotionale Bindung und der soziale Status der Lebenden innerhalb der Gemeinschaft – in Relation zu anderen Epochen – von spezieller Bedeutung waren. So lässt sich anhand der Darstellung der ›Trauernden‹ rekonstruieren, dass die Gefühle, die im 19. Jahrhundert vorrangig im Privaten und Inneren verortet waren, auf dem Tableau bürgerlicher Geschlechterideale, Öffentlichkeit und Contenance von den Hinterbliebenen gewissermaßen domestiziert werden mussten. Zudem wurde in den Grabinszenierungen ein schichtspezifischer Habitus materialisiert, der sie als Statussymbole decodierbar machte und auf den sozialen Status der Hinterbliebenen innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung zurück-

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wirkte. Vor diesem Hintergrund sind die weiblichen Grabplastiken als eine Form von »versteinerter Trauer« und »versteinertem Habitus« zu lesen. Bei der Beschäftigung mit den Hinterbliebenen geraten auf dem mentalitätshistorischen Panorama Forschungsfelder in den Fokus, die historisch nicht ganz leicht zu fassen sind, wie z. B. Gefühlswelten, Sinnstiftung, Lebensentwürfe oder soziale Selbstvergewisserung. Quellen zu zeitgenössischen Idealvorstellungen von Trauer und Trost können ebenso eine Annäherung bieten wie Diskurse zu Anstand, Verhaltenskonventionen, Gefühlsartikulation oder Ritualen wie auch die Bewertungen von bürgerlicher Repräsentationskultur und Prestigeobjekten. Ein anschauliches Beispiel für das sensible Geflecht von Gefühlsartikulation und Anstandsvorstellungen unter den Rahmenbedingungen der Bürgerlichkeit bietet eine Friedhofsepisode aus Thomas Manns „Buddenbrooks“. In dieser Szene besuchen die Geschwister Thomas, Christian und Tony das Familiengrab, einige Monate nachdem der Vater Konsul Buddenbrook im Jahr 1855 verstorben und hier bestattet worden war: „Tony legte den Kranz auf den in goldenen Buchstaben frisch in die Platte eingelassenen Namen des Vaters und kniete dann trotz des Schnees am Grabe nieder, um leise zu beten; der schwarze Schleier umspielte sie, und ihr weiter Kleiderrock lag ein wenig malerisch schwungvoll neben ihr ausgebreitet. Gott allein wußte, wie viel Schmerz und Religiosität, und andererseits wie viel Selbstgefälligkeit einer hübschen Frau in dieser hingegossenen Stellung lag. Thomas war nicht in der Stimmung, darüber nachzudenken. Christian aber blickte seine Schwester mit einem Mischausdruck von Mokerie und Ängstlichkeit von der Seite an, als wollte er sagen: ‚Wirst du das auch verantworten können? Wirst du auch nicht verlegen werden, wenn du aufstehst? Wie unangenehm!‘ Tony fing diesen Blick auf, als sie sich erhob; aber sie geriet durchaus nicht in Verlegenheit. Sie legte den Kopf zurück, ordnete Schleier und Rock und wandte sich mit würdevoller Sicherheit zum Gehen, was Christian sichtlich erleichterte. War der verstorbene Konsul, mit seiner schwärmerischen Liebe zu Gott und dem Gekreuzigten, der erste seines Geschlechtes gewesen, der unalltägliche, unbürgerliche und differenzierte Gefühle gekannt und gepflegt hatte, so schienen seine beiden Söhne die ersten Buddenbrooks zu sein, die vor dem freien und naiven Hervortreten solcher Gefühle empfindlich zurückschreckten. Sicherlich hatte Thomas mit reizbarer Schmerzfähigkeit den Tod seines Vaters erlebt als etwa sein Großvater den Verlust des seinen. Dennoch pflegte er nicht am Grab in die Knie zu sinken, hatte er sich niemals, wie seine Schwester Tony über den Tisch geworfen, um zu schluchzen wie ein Kind, empfand er als im höchsten Grade peinlich die großen, mit Tränen gemischten Worte, mit denen Madame Grünlich [Schwester Tony; Anm. A. G.] zwischen Braten und Nachtisch die Charaktereigenschaften und die Person des

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toten Vaters zu feiern liebte. Solchen Ausbrüchen gegenüber hatte er einen taktvollen Ernst, ein gefasstes Schweigen, ein zurückhaltendes Kopfnicken … und gerade dann, wenn niemand des Verstorbenen erwähnt oder gedacht hatte, füllten sich, ohne daß sein Gesichtsausdruck sich verändert hätte, langsam seine Augen mit Tränen. [sic!]“131

Dieser literarische Ausschnitt spiegelt den schmalen Grat, auf dem Emotionen abhängig von Geschlecht, Ort und bürgerlichem Selbstverständnis zwischen Mitgefühl und Schamgrenzen, als „würdevoll“ oder als „peinlich“ empfunden wurden. Die Trauer formierte sich dabei als eine Schnittmenge aus Emotion, Gestus und Ritual sowie einem wertenden, beobachtenden Umfeld. Am deutlichsten wird der reglementierte und gleichsam repräsentierende Charakter des Trauerns am Beispiel der Witwen, für die auch die längste Trauerphase unter den Hinterbliebenen festgeschrieben war. Die Art und Weise wie ihre Gefühlsartikulation, ihre Verhaltensweisen und ihre Idealisierung im Mittelpunkt der bürgerlichen Trauerkultur stand, ist symptomatisch dafür, dass die ›Trauernde‹ zum Schlagbild und Sinnbild in der bürgerlichen Grabmalkultur werden konnte. 4.5.2 Witwen Weibliche Grabplastiken verkörpern überwiegend idealisierte Darstellungen von empfindsamer trauernder Weiblichkeit. Das Bild der trauernden Frau hatte dabei eine konkrete Entsprechung in der Realität: in den Witwen. Unterschiedliche zeitgenössische Textsorten vermitteln einen Eindruck davon, wie die Witwe in der bürgerlichen Gefühlswelt vorzustellen war. Einblicke bieten beispielsweise Vorlagensammlungen, die beim Verfassen von Briefen nach einem Todesfall Hilfe bieten sollten, um das Erlebte zu schildern und dafür die richtige Wortwahl samt passendem Sentiment zu treffen: „Laut weinend stürzte sich die Mutter auf den geliebten Leichnam hin – ihre Thränen, ihre Klagen erweckten ihn nicht wieder“.132 Ebenfalls laut klagend wurde die Idealvorstellung einer Witwe in dem Nekrolog auf Aloys von Orelli (1892) skizziert: „Viel heimlich Leid! Doch (doch klein) tiefste Klage tönt, wo kinderlos die Witwe um ihn stöhnt […]“.133 Vergleichsweise stumm und unbewegt präsentierte Thomas Mann in seinem Familienroman „Buddenbrooks“ die weiblichen Hinterbliebenen nach dem Tod des Familienoberhauptes Konsul Jean Buddenbrook. Thomas Mann blendete in der Szene kurz vor der Beisetzung die männlichen Familienmitglieder größtenteils aus und widmete sich vor allem der Witwe sowie ihren Töchtern Tony und Clara, für die er Stereotype der jugendlichen Schönen, der Schicksalsergebenen und der Gottesfürchtigen in der weiblichen Trauer bediente:

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„Das schwarze Kleid gab ihrer [Tonys, A. G.] Gestalt eine mädchenhafte Schlankheit, und obgleich sie den Tod des Konsuls, dem sie während der letzten Zeit so herzlich nahegestanden, vielleicht von allen am schmerzlichsten empfand, obgleich sie noch heute bei dem Gedanken an ihn zweimal in bittere Tränen ausgebrochen war […] die Konsulin dagegen, ermattet vom Schrecken, vom Schmerz, von tausend Trauerformalitäten und den Begräbnisfeierlichkeiten, sah leidend aus. Ihr Gesicht, von den schwarzen Spitzen der Haubenbänder umrahmt, erschien noch bleicher dadurch, […] Clara ward gerufen. Schwarz und bleich erschien sie langsam mit traurig zurückhaltenden Bewegungen. Sie hatte die Zeit nach ihres Vaters Tod fast unaufhörlich mit Beten auf ihrem Zimmer verbracht. Ihre dunklen Augen waren unbeweglich; sie schien erstarrt in Schmerz und Gottesfurcht.“134

Abb. 292: „Le Jour des Morts“, William Adolphe Bouguereau (1859) Abb. 293: „Weihnachten auf dem Friedhof“, Carl Rickert (1887)

Vorstellungen von weiblichen Hinterbliebenen, insbesondere der Witwe, wurden idealisiert und darauf festgeschrieben, wie sie – unmittelbar nach dem Tod des Ehemanns – im Normal- bzw. Ideal­ fall trauern sollten: weinend, klagend, stöhnend, leidend, unbeweglich, gottesfürchtig (Abb. 292, Abb. 293). Ausgespart blieb dabei, dass die Trauer der hinterbliebenen Frauen weitaus längere Zeit dauerte und in eine neue Lebensphase überleiten würde, die eine neue gesellschaftliche Stellung bedeutete. Claudia Hagmayer zeigte in ihrer Untersuchung autobiographischer Zeugnisse von Witwen in der Schweiz um 1900, dass Frauen ihre Reaktion auf den Tod des Ehemannes wesentlich differenzierter wahrnahmen und beschrieben.135 Für die ersten Tage nach dem Versterben offenbarten die Biographien eine Bandbreite an teils chaoti­ schen, sich widersprechenden Emotionen: unter Schock, wie vom Blitz getroffen, Angst, Zorn, Schuld, aber auch Kummer, Sehnsucht und Liebe sowie Dankbarkeit und Freude.136 Im Mittelpunkt stand überwiegend das Gefühl der Vereinzelung, die nach Hagmayer deshalb derart drastisch empfunden wurde, weil die aufkommende Liebesheirat ein emotionales Zusammenwachsen beider Ehepartner intendiert hatte, das nun gesprengt wurde. Angesichts der zeitgenössischen Diskurse zu Liebe, Ehe und Emotionen wurden von Witwen affektgeladene Gesten und Handlungen erwartet. Die Biographien machen deutlich, dass die Witwen ihre Gefühle geschönt und ideali­siert an diese Erwartungshaltung anpassten, weil sie meist Jahre später verfasst wurden und an die Nachkommen als Leserschaft adressiert waren. Gleichzeitig bedrängten Frauen Selbstzweifel und Schuldgefühle, wenn sie jenem Bild der weinenden Witwe vor den Augen anderer Hinterbliebenen nicht gerecht wurden. So schrieb ­Verena Conzett-Knecht über den Tag, an dem sich ihr Mann 1897 im ­Zürichsee ertränkt hatte: „Wir [Verena Conzett, ihr Schwager und einige Freunde ihres Mannes, A. G.] fanden meinen Mann im Totenhaus, auf einer Bahre liegend,

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Ruhe und Frieden im bleichen Gesicht. In starrer Ruhe stand ich vor ihm und sah lange in sein liebes, gütiges Antlitz. ‚Welche Seelenqualen magst du gelitten haben, mein geliebter Mann, mit deinem warmen, tiefen Empfinden, bis du den Weg zum ewigen Frieden fandest. Wenn ich doch jetzt mit dir allein sein dürfte – ganz allein – und dir erzählen könnte von meinem unsäglichen Leid und Weh, meinem tiefen Erbarmen und meiner unendlichen Liebe. Dann würden erlösende Tränen den Weg finden – dein liebes Gesicht netzen und mit meinen Gedanken dich ins Unendliche Begleiten!‘“137

Die Gefühle und Verhaltensweisen einer »guten Ehefrau« wurden ähnlich rigide verhandelt wie die Vorstellungen einer »guten Witwe«. Entsprechend der Geschlechterdiskurse wurden die Tränen und Klagen, welche die Idealvorstellung von der Witwe markierten, hingegen Witwern in der Regel nicht zugestanden, wie der Brief des Industriellen Heinrich Moser aus dem Jahr 1873 zeigt: „ […] niemand kann es begreifen, was ich vor Jahren und so viele Jahre gelitten habe. Ich bin nicht der Mann, der vor den Leuten winselt, aber im Stillen habe ich mehr Thränen vergossen, als man mir nach meiner Außenseite zutrauen darf.“138

Diese „Außenseite“ stand bei Frauen und Männern gleichermaßen in der Aufmerksamkeit der Angehörigen, Hinterbliebenen und Öffentlichkeit und unter dem Druck, entlang der Geschlechter­ideale beobachtet und bewertet zu werden. Während Frauen dazu ermutigt wurden, ihre Trauer zu artikulieren, sollten Männer in Momenten des Abschieds und des Schmerzes Selbstbeherrschung demonstrieren. Obgleich das 19. Jahrhundert als eine historische Phase gilt, in der die Gefühle geschlechtsspezifisch Teil des Privaten sein sollten, war die Trauer eine äußerst öffentliche Gefühls­angelegenheit. Die Trauer bezog sich nicht nur auf Emotionen, sondern auch auf den sozialen Status der Trauernden und wurde somit Teil des Öffentlichen. Bereits die Anrede bzw. Unterschrift gab Aufschluss über den Zivilstand einer Person, während auf den eben genannten Heinrich Moser formal »Herr Moser« in allen Lebenslagen als lediger, verheirateter oder verwitweter Mann korrekt war, variierte bei den Frauen die Anrede je nach sozialem Status und in Anlehnung an ihre »Zugehörigkeit« an einen Mann zwischen »Fräulein«, »Frau« oder »Witwe«. Zudem waren die rituell verankerten Trauerphasen bei Männern um mindestens die Hälfte kürzer und weniger streng gehandhabt als bei Frauen, so dass Witwer bereits nach wenigen Monaten wieder in der Form ihres gängigen sozialen Status erwartet wurden.139 4.5.3 Trauer und Ritual Im Gegensatz zu Männern, die Einfluss auf ihren Status nehmen konnten, befanden sich Frauen nach dem Tod des Ehemannes in

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einer sozialen Grauzone, die ihnen anhand der Kleidung, Haartracht und bestimmter Gesten anzusehen war. Der Status der Trauer wurde sichtbar gemacht und stand in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Konfessionsübergreifend galt für Witwen eine Trauerphase von zwei Jahren, die individuell verlängert werden konnte, für Witwer von sechs Monaten bis höchstens einem Jahr. Um verstorbene Eltern sollte eineinhalb Jahre getrauert werden und um Kinder je nach Alter und regionalen Gepflogenheiten überhaupt nicht bzw. bis zu einem Jahr – in unteren Schichten konnten diese Zeiten jeweils verkürzt werden.140 Insbesondere die bürgerliche Witwe sollte über das Tragen von schwarzer Kleidung, dunklen Handschuhen und Schleier sowie dem Verzicht auf aufwändige Frisuren, Schmuck sowie der Teilnahme an geselligen Veranstaltungen und Feierlichkeiten vermitteln, dass ihr eigenes Leben hinter dem Verlust des Gatten in den Hintergrund gerückt war (Abb. 294, Abb. 295).141 Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Fragen der Bekleidung und Mode Teil des bürgerlichen Habitus wurden, die auf spezielle Anlässe ausgerichtet und in Stil- und Formfragen immer weiter ausdifferenziert wurden, blieb auch die Bekleidung für den Trauerfall nicht unberührt. In weniger vermögenden Kreisen war es bis weit über die Jahrhundertwende hinaus üblich gewesen, dass Frauen im Trauerfall ihr Hochzeitskleid trugen, da es schwarz war, um es für mehrere Anlässe verwenden zu können. Im Bürgertum hingegen war das weiße Brautkleid im späten 19. Jahrhundert bereits die Norm und allein für die Hochzeit vorgesehen. Der Umstand, dass Kleidungsstücke monofunktional für bestimmte Anlässe vorgesehen waren, machte sie zu einem Zeichen von Luxus und Reichtum.142 Infolgedessen erfuhr auch der Trauerflor eine prestige­trächtige Codierung und bewegte sich auf einem schmalen Grat zwischen der selbstbewussten Darstellung des sozialen Status und einer der Trauer angemessenen Zurückhaltung. Modezeitschriften und Benimmbücher versprachen Orientierungshilfen in der Fülle an Stoffarten, Schnittformen, Accessoires, Erlaubtem und Konventionswidrigem. So heißt es in den „Goldenen Regeln für den Verkehr in der Guten Gesellschaft“ im Jahr 1903: „Im Trauerfalle sollen die Damen nicht mit Spitzen und langen Schleiern (wie es in Frankereich Sitte ist) prunken. Die marktschreierische Trauer zeigt von Koketterie und leichter Auffassung. Das fromme Gemüt wird durch einen solchen Anblick verletzt.“143

Angesichts der restriktiven Normen bürgerlicher Sittlichkeit konnten Witwen Gefahr laufen, ihren guten Ruf zu verlieren – und dieser war die Grundlage für eine standesgemäße Wiederverheiratung, die den Status der Witwe erneut in den Stand der Ehefrau überführen konnte. Ohne soziale Absicherung und unter finanziellem Druck herrschte vor allem unter jungen Witwen oftmals die Angst vor der Vormundschafts- oder Armenbehörde, moralischen Beleh-

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rungen oder dem Dasein als Almosenempfängerin. Auf Grund der mangelnden Ausbildung boten sich nur selten neue Perspektiven wie z. B. die Übernahme des Familienunternehmens oder ausreichend bezahlte Lohnarbeit. Eine neue unabhängige Identität war nur in der vermögenden Oberschicht – ­beispielsweise in karitativen Bereichen – möglich. Gleichzeitig standen die Absichten einer Wiederverheiratung unter erschwerten Bedingungen auf Grund des Alters der Frauen oder der reduzierten bzw. mangelnden Mitgift.144 Zudem mussten vor einer erneuten Eheschließung die gesellschaftlich verankerten Trauerphasen abgewartet werden. Diese markierten den Prozess der Trennung von dem Verstorbenen und waren am Erscheinungsbild der Witwen abzulesen: Die bereits erwähnten zwei Jahre der Trauer waren aufgeteilt in ein Jahr tiefer Witwentrauer in schwarzer Kleidung und mit Schleier, ein Jahr Witwentrauer mit Schleier, danach blieb die Halbtrauer ohne Schleier individuell vorbehalten.145 Diese Abstufungen in der Bekleidung waren allgemein verständliche Codierungen und verorteten die Frauen auf dem öffentlichen Heiratsmarkt. Die Trauerkleidung und Trauerphasen sind als Teil der zeitgenössischen Trauerrituale zu verstehen. Jene Reglements von Bekleidung, Verhalten und Gesten sowie die Idealvorstellungen von Witwen zeigen, dass es bei den zeitgenössischen Trauerritualen nicht nur um die direkten Hinterbliebenen oder die Verstorbenen ging, sondern auch um das, was bisher als Öffentlichkeit beschrieben wurde: die soziale Gemeinschaft. Philosophisch betrachtet bedeutete der Tod eines Einzelnen immer auch eine Erschütterung für die Gemeinschaft. Trauerrituale haben dabei nicht das Ziel, das Gefühl des Verlustes zu ersetzen, sondern sie boten den Handlungsraum und ein Handlungsrepertoire, in dem die Hinterbliebenen den Umgang mit dem Tod gemeinsam bewältigen konnten. Der französische Ethnologe Arnold van Gennep beschrieb im frühen 20. Jahrhundert Trauerrituale als Übergangsriten, Rites des Passages, die den Übergang zwischen zwei Lebensstadien sicherten, regulierten sowie vor und mit der Gemeinschaft artikulierbar machten.146 Übergangsphasen wie die Trauer bedeuten Zeiten sozialer Unsicherheit. Nach van Gennep durchlaufen Menschen diesen Prozess ausgehend von einer Ablösungsphase über eine Zwischenphase bis zur Integrationsphase. Speziell Trauerriten fungieren als Trennungs- und Anschlussriten, die ein Ziel angeben: die Ablösung von dem Toten und die Einbindung der Hinterbliebenen in die Gemeinschaft unter neuen Bedingungen.147 Auf diese Weise visualisiert die Trauerbekleidung der Witwe das Fortschreiten durch die Phase des Übergangs. Trauerrituale markieren den Prozess und sind gleichzeitig Teil dieses Prozesses. Während die Trauer in den Alltagspraktiken und Lebenswelten diesen Prozess durchlaufen und im Idealfall auch abschließen sollte, wurde mit

Abb. 294: „Emma Haden in mourning dress“, historische Photographie (1858) Abb. 295: Anna Sophie Marsch­ ner neben dem Ölgemälde ihres Mannes, Daguerreotypie von Carl Ferdinand Stelzner (1847)

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den Darstellungen von ›Trauernden‹ auf den Familiengräbern das Gegenteil gemacht: Sie wurden versteinert. 4.5.4 Trauer und Gefühl Nähern wir uns der Trauer über Anstandsliteratur um 1900, so entsteht der Eindruck, dass sie auf rituellen Praktiken, geschlechtsspezifischen Konventionen und regionalen Gepflogenheiten basierte. Der Aspekt des Versteinerns in der Grabplastik zeigt jedoch, dass in bestimmten Kreisen der Wunsch gehegt wurde, einen Zustand festzuhalten, der auf das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft sowie auf das Verhältnis zu Verlusten, Vereinzelung und Endlichkeit anspielte. Die Trauer war um 1900 letztlich ein individuelles Gefühl und wie alle anderen Gefühle historischen Prozessen und Diskursen unterworfen, was im Folgenden einige zeitgenössische Definitionen mit dem Fokus auf das Emotionale in der Trauer verdeutlichen sollen: Nach Meyers Konversationslexikon von 1907 galt die Trauer als eine „[…] durch den Verlust nahe stehender oder verehrter Personen, oder durch die Erinnerung an solche Verluste […] verursachte Gemütsstimmung und deren Kundgebung nach außen.“148 Auch der bereits erwähnte „Wohlanstand“, ein Benimmbuch aus den 1890er Jahren, hob neben den gängigen Ritualen und Umgangsformen die emotionale Bindung zwischen Verstorbenen und Hinterbliebenen hervor: „Die Trauer ist eine Herzenssache und hängt vom Gefühl der betreffenden Person sowie von den Verhältnissen ab, in dem man zu dem Verstorbenen gestanden hat.“149 Im Zuge eines institutionalisierten und professionalisierten Interesses für das Innen- und Gefühlsleben des Menschen avancierte der Zustand der Trauer vor allem durch Sigmund Freud zum Objekt der Forschung.150 In seiner 1915 verfassten und 1917 erschienenen Abhandlung über „Trauer und Melancholie“ charakterisierte er die Trauer als die „[…] ­Reaktion auf den Verlust einer geliebten Person oder einer an ihre Stelle gerückten Abstraktion wie Vaterland, Freiheit, ein Ideal usw.“151 Freud entwickelte ein psychoanalytisches Modell, das mit dem Begriff der „Trauerarbeit“ die Wissenschaft nachhaltig beeinflussen sollte.152 Auch er hatte die Vorstellung von der Prozesshaftigkeit der Trauer vertreten, ging aber davon aus, dass dieser Prozess aktiv gestaltet werden könne, indem der Verlust emotional und kognitiv – als Trauerarbeit – bewältigt würde. Freud sah für die Trauer folgende Ausgangssituation: Menschen pflegen zu Objekten wie z. B. Bezugspersonen libidinöse Bindungen, also jene energiereichen Bindungen, die Seelenvorgänge maßgeblich beeinflussen. Geht nun ein solches Objekt verloren, bleiben weiterhin die Gefühle vordergründig, die sich auf das verlorene Objekt beziehen, wodurch neue Bindungen erschwert oder verhindert werden. Die Phase der schweren Trauer ist nach Freud geprägt von schmerz-

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lichen Stimmungen, fehlendem Interesse für die Außenwelt und somit der mangelnden Fähigkeit, ein neues „Liebesobjekt“ zu wählen. Die Trauerarbeit hatte ähnlich den tradierten Trauerritualen den Zweck, emotionale Bindungen zu Verstorbenen Schritt für Schritt zu lösen, um neue Bindungen in der Gemeinschaft aufbauen zu können.153 Bei aller Beschäftigung mit der emotionalen Seite der Trauer drängt sich die Frage auf, inwiefern sich Emotionen in der Geschichte von heutigen Emotionen unterscheiden und was Gefühle am Übergang zum 20. Jahrhundert auszeichnete.154 Was für ein Gefühl war die Trauer vor über hundert Jahren und fühlten Frauen und Männer damals auf die gleiche Weise wie heute? Auch hier bieten zunächst Definitionen und Begriffsklärungen eine Annäherung. Meyers Konversationslexikon von 1907 verstand unter Emotion eine „Erregung“.155 Der heutige Sinngehalt des Terminus Emotion wurde im Zeitraum um 1900 eher unter dem Begriff ­„Gefühl“ gefasst: „Im abstrakten Sinne die Eigenschaft des Subjekts, durch den Inhalt seiner Wahrnehmungen und Vorstellungen irgendwie (z. B. angenehm oder unangenehm) berührt zu werden, […]. Empfindung und Gefühl sind nicht dasselbe, […] beide Begriffe unterscheiden sich vielmehr dadurch, daß die Empfindung (das Grund­ element aller Vorstellungen) jederzeit auf einen äußeren Gegenstand bezogen wird, während das Gefühl etwas ausschließlich Inneres, Subjektives ist.“156

Dem heutigen Verständnis von Emotion und Gefühl näherten sich zudem die Termini des „Gemüts“, der „Gemütsbewegung“ und der „Affekte“ an: „[Das Gemüt; Anm. A.  G.] ist im allgemeinen die innere (­seelisch-geistige) Seite unsers Wesens überhaupt, im besonderen die Fähigkeit zum Fühlen, im Gegensatz zum Geiste, der Fähigkeit zum Denken, und zum Charakter, der Grundlage des Wollens.“ „[Die Gemütsbewegungen; Anm. A. G.] (Affekte) bestehen ihrem Wesen nach in einer zusammenhängenden Folge starker Gefühle, mit denen sich bestimmte Veränderungen der Vorstellungsfähigkeit und sichtbare physiologische Begleiterscheinungen ­verbinden.“157

Indem Gefühle sowohl als etwas Subjektives, Inneres als auch als sichtbare physische Begleiterscheinung erlebt wurden, sind sie eng an Körperlichkeit gebunden. Gleichzeitig gibt es Gefühle, die nicht einfach angeboren sind, sondern entlang von Kontexten und Konventionen entwickelt und artikuliert werden. So bringen beispielsweise Momente der Eifersucht, Scham oder Trauer bestimmte Emotionen hervor, aus denen die gleichnamigen Affekte (Eifer-

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sucht, Scham, Trauer) resultieren. Sowohl Gefühle als auch Affekte können nur identifiziert werden, wenn sie körperlich oder verbal ausgedrückt werden – umgekehrt brauchen Gefühle und Affekte ein Gegenüber, um als Signal oder Zeichen gelesen zu werden. Diese Ausdrucksformen werden erlernt wie eine Sprache. Sie variieren je nach unmittelbaren Faktoren wie z. B. innerhalb der Familie, gegenüber Autoritäten, gegenüber Fremden oder auch nach übergeordneten Faktoren wie z. B. dem Kulturraum oder der mentalitätshistorischen Prägung. Gefühle leiten Kommunikationsakte ein und evozieren Reaktionen und Anschlusshandlungen, die wiederum soziokulturell verankert sind. Das bedeutet, dass sich Affekte und ihre Artikulation aus historischen Diskursen ableiten, also dass gewisse Ausdrucksformen von Gefühlen gesellschaftlich goutiert werden, an bestimmten Orten erlaubt sind oder einem spezifischen Geschlecht, Milieu oder Lebensabschnitt vorbehalten bleiben.158 4.5.5 Trauer und Geschlecht Ab dem 18. Jahrhundert wurden Emotionen einer zeitspezifischen Kultivierung unterzogen, die bereits in vorherigen Kapiteln zu den Aspekten der Freundschaft, des Pathos oder der Geschlechterdiskurse ausgeführt werden konnte.159 Das Zeitalter der Aufklärung, der Empfindsamkeit und Sensibilité pflegte ein ambitioniertes Interesse an der achtsamen Innenschau und dem Austausch über die vorgefundene Gefühlswelt. An beide Geschlechter wurde das Angebot zur Herzensbildung gemacht und die Artikulation von Gefühlen gepflegt, geteilt, wertgeschätzt: „Ich fühle mich, ich bin.“160 Beliebte Themen waren z. B. die Liebe, Mitleid, Tugenden oder Freundschaft mit der Intention, dass Gefühle in gewissenhaftes Handeln überführt werden könnten. Hier zeichnet sich bereits ein eng gewobenes mentalitätshistorisches Geflecht aus Emotionen, Verhaltensweisen und Bewertungen ab, das innerhalb der Gefühlsäußerungen durchaus differenzierte: „den Affekt muß der Mensch zähmen, die Leidenschaft beherrschen, jenes macht ihn zum Meister, dieses zum Herrn über sich selbst.“161 Entlang der dichotomen Ausformulierung von Mann und Frau wurden nun auch Emotionen geschlechtsspezifisch verortet, über die Natur des Geschlechtscharakters begründet und im Laufe des 19. Jahrhunderts verstärkt speziellen Handlungssphären zugeteilt, in normative Reglements und Konventionen eingebettet und gewissen Schichten zugestanden bzw. aberkannt. Auch hier bieten Textauszüge einen Einblick in die zeitgenössische Sprache sowie die Vorstellungswelten von Gefühlswelten. Das „Damen Conversations-Lexicon“ aus dem Jahr 1846 beschreibt die Empfindsamkeit als einen „der edelsten Vorzüge des weiblichen Herzens“162. Über das „Gefühl“ heißt es hier:

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„Je reiner demnach in uns die Vernunft wirkt, d. h. je moralischer wir sind, desto reiner werden wir auch fühlen; […] . Das weibliche Gefühl, ganz entsprechend der Bestimmung des Weibes durch die Natur, reger und feiner als das männliche. Empfänglichkeit, Reizbarkeit, Mitleid, Geduld und edle Schwäche sind die Quellen des weiblichen Gefühls; […].“163

In der männlichen Gefühlswelt konnten ebenso politische Umwälzungen und Kriege eine energische Emotionalität anstoßen, wie sie speziell in Deutschland als Vaterlandsliebe oder Ablehnung gegenüber Frankreich nach der Revolution von 1848/49 oder dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 freigesetzt wurden. Zudem wurden außerhalb der Familie Leidenschaften für das Parlament, die Wirtschaft, den Beruf oder auch das Theater, die Literatur und Musik gepflegt. Das weibliche Geschlecht sollte hingegen Leidenschaften bezwingen – Gefühle fand und artikulierte es wiederum in der Familie und in zwischenmenschlichen Bindungen. Die Ehe sollte im bürgerlichen Wertehimmel nicht mehr ausschließlich auf zweckrationalen Aspekten wie Abstammung oder Vermögen basieren, sondern auf emotionaler Zuneigung, die ein dauerhaftes Fundament für die Liebesheirat, Kinderliebe und das Familienglück versprach. Umso verlustreicher wurde der Tod von Familienmitgliedern empfunden und die Trauer um die Verstorbenen zelebriert. Und umso tiefer schienen Gefühle wie Verlust und Schmerz in der Frau verankert, weil sie nicht nur das „Mitleiden“ und die „edle Schwäche“ verkörperte, sondern auch eine spezielle Fähigkeit, sich in ihr Schicksal zu fügen, was angesichts der normativen Rollenzuschreibungen und Handlungsräume für Männer und Frauen kaum anders möglich war. So resümierte der Kulturphilosoph Theodor Lessing (1872 – 1933) die Rolle seiner Mutter im späten 19. Jahrhundert: „Trete ich nun mit den alles billigenden Augen eines Liebenden vor das Gedächtnis meiner Mutter, dann sehe ich ein rührend-­ wehrloses, ganz harmloses, ganz argloses Wesen, das vermöge seiner Arglosigkeit, Wehrlosigkeit und Duldung Schicksale besteht, welche eine selbstbewusstere, stärkere Natur nie hätte überstehen können.“164

Auf der Grundlage der dichotomen Gefühlszuschreibungen schien das weibliche Geschlecht für Emotionen wie Trauer, Schmerz oder Leid besser geeignet als das männliche. Demzufolge fiel die Trauer in den emotionalen Zuständigkeitsbereich der Frau. Über ihre Gefühlswelt hinaus wurde Frauen eine spezielle Nähe und Verbindung zu den Toten zugeschrieben, weil der Umgang mit dem Leichnam eine weibliche Tradition hatte. Zum einen stieß das Phänomen der Klageweiber in der griechischen Antike vor allem in klassizistischen Künstlerkreisen ab

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dem späten 18. Jahrhundert auf Begeisterung. Von Interesse waren Darstellungen von Frauen auf Figuren und Amphoren, die einen Leichnam versorgten und die Toten während des Leichenzuges oder am Grab mit ausgeprägten Gesten beklagten. Im Gegensatz zu weiblichen Gottheiten und Dämonen, die unter anderem als schicksalsentscheidend und todbringend agierten, galten die sterblichen Frauen als die Leidtragenden beim Verlust männlicher Angehöriger, da sie mit ihren Gebärden die Verbundenheit zwischen Mann und Frau demonstrierten. Obgleich die antiken Klageweiber unter anderen zeitspezifischen Voraussetzungen verankert waren, fand die bürgerliche säkularisierte Trauerkultur in ihnen ein Äquivalent zur zeitgenössischen Gefühlswelt.165 Zum anderen hatte es im christlichen Kulturkreis bis in die Frühe Neuzeit den Beruf der Totenweiber, Totenfrau, Leichfrau oder Totenweiblein, wie sie regional unterschiedlich genannt wurden, gegeben. Allerdings war dieser in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts ein auslaufendes Phänomen im Zuge des professionalisierten Umgangs mit dem Tod. Die Aufgabe der Totenweiber war es ursprünglich, als Bindeglied zwischen Pfarrer und Gemeinde zu fungieren, um Seuchen oder Kindstötungen zu erkennen, einen möglichen Scheintod auszuschließen und den Angehörigen im Umgang mit der Leiche zu helfen. Nachdem Mediziner für die Feststellung der Todesursache bzw. für die zuverlässige Feststellung des Todes zuständig wurden und auch die Aufbahrung und Bestattung an kommunale Behörden und private Bestatter übertragen worden waren, verschwand der Beruf der Totenfrauen.166 Die Vorstellung jedoch, dass der Umgang mit den Toten und eine spezielle Bindung zu ihnen weiblich codiert seien, überdauerte bis weit ins 20. Jahrhundert. 4.5.6 Trauer, Empathie und Trost Vor dem Hintergrund der geschlechtsspezifischen Gefühlszuschreibungen im bürgerlichen Zeitalter bot ein Bild von idealisierter Weiblichkeit das adäquate Zeichen für Trauer und Trost. Der Gartentheoretiker Hirschfeld empfahl bereits im frühen 19. Jahrhundert weibliche Plastiken für die Ausgestaltung von Gartenanlagen, da diese „weiblichen Stimmungsmacher“167 die „Scene beleben; sie müssen daher […] gleichsam die Rolle denkender und empfindsamer Wesen spielen.“168 Die weibliche Grabplastik im späten 19.  Jahrhundert ist als Fortsetzung dieser Inszenierungsstrategie zu verstehen, weil sie als Trägerin schmerzlicher oder liebevoller Gefühle glaubwürdig war und mit ihrem Ausdruck an die emotionale Verfasstheit der Betrachtenden appellierte. Von hier aus möchte ich aufzeigen, auf welche Weise das Bild der weiblichen Trauer den Hinterbliebenen Trost stiften konnte. Am Beispiel des Grabmals für Zaira Brivio, das im vorherigen Kapitel zur

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ikonographischen Untersuchung vorgestellt wurde, lohnt ein Ausblick in die Sozialpsychologie auf die Wechselwirkung von Empathie und Identifikation (Abb. 296, Abb. 297). Auf der Grabstätte wurde die junge Frau, die mit 17 Jahren verstarb, von dem Bildhauer Alberto Sassi naturalistisch in ihrem Krankenbett dargestellt. Ein weiblicher Engel sitzt an ihrer Seite, hält sie im rechten Arm und legt schützend einen Flügel um sie. Mit der linken Hand bedeckt er die Augen, als müsse er sich kraftlos und verzweifelt abwenden. Umso bizarrer wirkt der Titel des Kunstwerks: „Tröstender Engel“169. Auf welche Weise findet hier Trost für die Verstorbene, die Hinterbliebenen oder das Friedhofs­ publikum statt? Bisher hatten wir es mit tröstlichen Bildern in der Grabmalkultur zu tun, weil sie für die Zeitgenossen als sublime, ästhetisierte Sinnbilder für das Sterben, den Tod, die Trauer etc. stehen. Am Grabmal Brivio wurde nicht mit derart optimi­stischen Metaphern gearbeitet. Sassis Inszenierung wirkt sowohl stilistisch als auch thematisch plakativ und szenisch. Hier wurde nicht der reine, jungfräuliche, unversehrte Tod gezeigt, sondern es sollte der kranke Körper dargestellt und mit einem entkräfteten, identifizierbaren Gesicht versteinert und ausgestellt werden. Ebenso drastisch und ungeschönt wird die Verzweiflung des Engels inszeniert – er scheint den Schmerz und den Verlust der Hinterbliebenen zu durchleben. Mit dieser Körpersprache nimmt S­ assi dem Engel die überirdische, emotionale Neutralität und macht ihn zu einem der trauernden Hinterbliebenen. Der Engel kann deshalb als tröstlich rezipiert werden, weil er empathisch mit der Situation ist: Der Schlüssel für die Inszenierung liegt im Moment der Empathie. Abb. 296: „Tröstender Engel“, Grabstätte Brivio (1894), Alfredo Sassi, Cimitero Monumentale, Mailand (um 1900) Abb. 297: Grabmal Brivio (1894), Alfredo Sassi, Cimitero Monumentale, Mailand

Auf welche Art und Weise das Moment der Empathie die Rezeption beeinflussen kann, lässt sich auf mehreren Ebenen nachzeichnen. Zunächst zeigt das Grabmal einen Engel, der vom Tod des Mädchens so getroffen ist, dass er seine emotionale Souveränität verliert und mitfühlt. Im Bild des trauernden und verzweifelten Engels erscheint er als einer der Hinterbliebenen und demonstriert diesen, dass sie in ihrer Trauer nicht alleine sind. Die Darstellung des Engels bietet sowohl eine Projektionsfläche für die Gefühle der Angehörigen als auch die Möglichkeit zur Identifikation, weil beide

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– Engel und Hinterbliebene – Schmerz empfinden.170 So schuf Sassi eher einen »trauernden Engel« als einen »tröstenden Engel«. Eine weitere Ebene kommt hinzu: Der Literaturwissenschaftler Fritz Breithaupt beschreibt das Moment der Empathie als ein narratives Sujet – eine Momentaufnahme, ein Ausschnitt, eine einfache Szene muss die Geschichte erzählen, die ihr vorausgeht, damit wir mit einer Person oder Figur mitfühlen können. Das bedeutet, dass wir mit einem Gegenüber empathisch sind, wenn dieses beispielsweise Schmerz empfindet und wir diesen Schmerz ebenfalls kennen. Wir können aber auch in einer Szene mit mehreren Beteiligten mit einer dieser Personen mitfühlen, selbst wenn wir gar nicht persönlich in das Geschehen involviert sind. Breithaupt nennt diese Voraussetzung für Empathie „Dreier-Szenen-Konstellation“, in der wir als Dritte und unbeteiligte Beobachter die Vorgeschichte zur beobachteten Szene imaginieren und daraufhin für eine der Personen gewissermaßen emotional Partei ergreifen.171 Am Grab von Zaira Brivio haben wir es mit einer solchen Dreier-Szenen-Konstellation zu tun: Sassi erzählt über das Monument die Geschichte von einem jungen Mädchen, das auf dem Krankenbett verstirbt und ihren Todes- oder Schutzengel in so tiefe Trauer stürzt, dass dieser sich – im Schock, vor Schmerz, in Verzweiflung – die Augen verdeckt und abwenden muss. Mit Hilfe dieser Inszenierung bietet das Grabmal sowohl den Angehörigen als auch dem unbefangenen Friedhofspublikum die Vorlage, sich mit einer der Figuren zu identifizieren und Mitgefühl zu entwickeln. Da wir als Lebende kaum die Verfassung einer Toten nachempfinden können, wird die Wahl auf den trauernden Engel fallen. Die Empathie mit dem Engel, das Betrachten und Einfühlen des fremden Schmerzes kann vom eigenen Schmerz ablenken bzw. diesen kompensieren und hat deshalb das Potenzial, als tröstlich empfunden zu werden – ähnlich wie Passionsbilder, Bilder von Mater dolorosa, ­Consolatio Trostschriften. Sassi vermittelt in seinem „tröstenden Engel“ nicht über ein Sinnbild Aspekte wie Hoffnung, Glaube, Auferstehung, Wiedergeburt etc. Vielmehr kann seine Inszenierung als »tröstend« wahrgenommen werden, weil der weibliche Engel wie die Hinterbliebenen trauert, ihnen zeigt, dass sie im Moment des Abschieds nicht allein sind und über die Dreier-Szenen-Konstellation von ihrem Schmerz ablenkt. Trost wird über das Bild gestiftet, indem der Engel mit den Hinterbliebenen empathisch ist und die Rezipienten mit dem Engel empathisch sein können. Der Effekt der Empathie und Identifikation war in der bürgerlichen Grabmalkultur nicht zwingend durch die Darstellung von zwei Figuren notwendig. Meist reichte der Blick der Figuren nach unten in Richtung der sterblichen Überreste der Toten, nach oben in den Himmel zu der auferstandenen Seele oder seitlich zu den Grabinschriften, um die Verstorbenen in das imaginierende Bewusstsein der Betrachtenden zu rücken. Gleichzeitig wurden

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mit Hilfe der Pathosformeln die spezifisch weiblichen Gesten der Trauer überformt und machten die Plastiken als ›Trauernde‹ identifizierbar. Gesten bieten unter anderem das Fundament, auf dem Gefühle eine Anschlusskommunikation einleiten. Dadurch fungierten die Grabfiguren als eine Art Identifikationsfläche für die Hinterbliebenen: Je nach individueller Verfassung konnten sich die Hinterbliebenen entweder in der Verkörperung der tiefen Trauer der Witwe wiederfinden, sich mit ihr identifizieren und daraus Trost ziehen. Die Figuren suggerierten den Hinterbliebenen, in ihrer Trauer nicht allein zu sein. Sie verkörperten eine Idealvorstellung von Trauer, die in ihren Gesten und Chiffren als Vorbild im Sinne einer Gebrauchsanleitung zu lesen war und für die Hinterbliebenen eine Art Orientierungshilfe im Umgang mit dem Verlust boten. Oder die Angehörigen hatten die Übergangsphase der Trauer bereits durchschritten, konnten sich mit der Darstellung der ›Trauernden‹ nicht identifizieren, sondern grenzten sich emotional von ihr ab. Auch die emotionale Distanzierung konnte Trost stiften, indem sich die Hinterbliebenen selbstreflexiv als nicht-mehr-trauernd versicherten, aber den Toten durch die Grabplastik fortwährende Trauer galt. Die Grabinszenierungen stützten die Imagination, dass jemand um die Verstorbenen uneingeschränkt trauere und das Andenken an die Toten weiterhin als erinnerungswürdig markiere, auch wenn die Hinterbliebenen vom Friedhof vor den Toren der Stadt in ihren Alltag, in ihre Arbeitswelt oder ihren Wohnraum zurückgekehrt waren. Die weiblichen Grabplastiken fungierten nicht zuletzt als Substitut der trauernden Familienangehörigen und stifteten im Wunsch nach einer emotionalen Verbundenheit über den Tod hinaus Trost für die gedenkende Nachwelt. Entsprechend der zeitgenössischen Trauerrituale und -praktiken ließen sich die üppig verschleierten oder leicht umflorten weiblichen Grabplastiken mit trauernden Frauen assoziieren, die sich noch in tiefer Trauer oder Halbtrauer befanden. Der Schleier markierte dabei die Verbindung zwischen den Verstorbenen und den Hinterbliebenen, wurde in Materialien wie Bronze oder Marmor als Zeichen konserviert und lud die Grabinszenierungen – über die Funktion des Attributs hinaus – emotional und symbolisch auf.

4.6 Versteinerte Trauer – Versteinerter Habitus Die weiblichen Grabplastiken wirkten nicht nur ideell als Sinnbilder oder Objekte der Erinnerung auf den sozialen Status der Hinterbliebenen zurück, sondern auch materiell. Als Statussymbol präsentierten die Grabfiguren, was von den Verstorbenen erworben und erreicht worden war; als Prestigeobjekt demonstrierten

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Abb. 298: Wohnzimmereinrich­ tung eines Beamtenhaushaltes in Lübeck (um 1870) Abb. 299: Salon von Margarethe Krupp in der Villa Hügel in Essen (1889)

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sie das Ansehen, das der Familie zugeschrieben wurde, und als Distinktionsmittel boten sie die Möglichkeit, sich bestimmten Gruppen oder Schichten als zugehörig zu markieren oder sich von wiederum anderen zu distanzieren. Weibliche Grabplastiken zeigten an, dass die Angehörigen des Familiengrabes zum Kreis derer gehörten, die sich ein dauerhaftes Grab mit kostspieliger Figur leisten konnten, auf dem Codierungen zum Einsatz kamen, die eine gewisse Bildung wie auch finanzielle Liquidität voraussetzten. Zudem bildeten die Grabmäler eine spezifische Gefühlswelt ab, um gleichzeitig an diese zu appellieren: Hier wurde öffentlich getrauert und erinnert. Da sich mit dem Tod eines Familienangehörigen der soziale Status der Hinterbliebenen veränderte, lohnt insbesondere im Kontext der Trauerkultur der Blick auf die gesellschaftliche Stellung und die Frage danach, auf welche Weise bürgerlicher Grabschmuck als Statussymbol oder Prestigeobjekt fungierte. Terminologisch wird in der Soziologie unterschieden zwischen sozialem Status, der von Akteurinnen und Akteuren durch Leistung erworben wird, und dem Prestige, das ihnen zugeschrieben bzw. nachgesagt wird.172 Diese beiden Aspekte waren in der bürgerlichen Gesellschaft von speziellem Interesse, weil nach der Aufhebung der ständischen Gesellschaftsordnung diejenigen Objekte und Handlungen in den Fokus rückten, welche die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Schicht anzuzeigen vermochten. Zeichen, Gegenstände oder Alltagspraktiken bildeten die Grundlage des bürgerlichen Habitus, der die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit ständig überschritt, um gleichzeitig nach innen und nach außen wirken zu können. Das Phänomen der weiblichen Grabplastik ist ein Beispiel dieser wechselseitigen Grenzüberschreitung, weil es den Status und das Prestige der Verstorbenen nach außen markierte und gleichzeitig die Hinterbliebenen ihrer sozialen Stellung und ihres gesellschaftlichen Ansehens im Inneren vergewisserte. Vor dem mentalitätshistorischen Panorama wären vergleichbare Phänomene die Ausstattung von Kutschen, der Umgang mit

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Bekleidung und Mode, das Flaneurverhalten in Kaufhäusern oder die Inszenierung von Gewächshäusern oder Vorgärten. Besonders gut nachvollziehbar wird die Grenzüberschreitung von innen und außen in der bürgerlichen Wohnkultur: „The bourgeois interior is meant to be shown.“173 Mit der Ausdifferenzierung von bürgerlichen Villenvierteln und repräsentativen Wohngegenden eta­blierte sich das Renommee der »guten Adresse«, antik anmutende ­Karyatiden an den Erkern der „Schauseite des Hauses“ kündigten den „Kulturanspruch der Bewohner“174 an und innerhalb der Gemäuer wurden Repräsentierzimmer geschaffen, in denen Luxusgegenstände und kostbare Stoffe für den bewundernden Blick der Besucher und Bewohner drapiert waren:175 „Durch stilvolles Wohnen dokumentierte das Individuum nicht nur seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht, sondern auch zu der besonderen Lebensform, der sich diese Schicht verpflichtet fühlte.“176

Die Ausstattung markierte also den sozialen Status derjenigen, die hier wohnten, und bot das Fundament für das Prestige, das auf sie zurückstrahlen sollte (Abb. 298, Abb. 299). Die Details sprachen jeweils für deren finanzielle Potenz, das Interesse für Kunst, die Kenntnisse um Materialien und letztlich auch für die Sicherheit darin, was dem sozialen Status als angemessen schien. Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Auswahl an Einrichtungsgegenständen immer größer wurde, differenzierte sich das soziokulturelle Raster, auf dem Status und Prestige verhandelt wurden, weiter aus. Kunstgewerbliche Unternehmen produzierten Möbel und Zierrat marktorientiert, Warenkataloge und Gewerbeausstellungen priesen das umfangreiche Sortiment an Einrichtungsgegenständen und spezielle Fachliteratur bot Orientierungshilfen in Stilund Anschaffungsfragen. Parallel wuchs die Nachfrage aus Käuferkreisen des Mittelstandes und so wurde auch die Kultivierung der Statussymbole und Prestigeobjekte zunehmend vielschichtiger. Egal ob in Villa, Stadthaus oder Eigenheim, das bürgerliche Domizil avancierte zum repräsentierenden Gestaltungsraum von persönlichen Vorlieben und Geschmäckern, „die zur äußersten Verfeinerung des Individuellen“177 hinführten. Der bürgerliche Habitus in der Wohnkultur zeigt nicht nur den Wunsch nach Außenwirkung und Individualität, sondern spiegelt auch das Bedürfnis nach einem idealisiert-intimen Refugium, wie Walter Benjamin die Aufgabe des Interieurs im späten 19. Jahrhunderts resümierte: „Das neunzehnte Jahrhundert war wie kein anderes wohnsüchtig. Es begriff die Wohnung als Futteral des Menschen und bettete ihn mit all seinem Zubehör so tief in sie ein, daß man ans Innere eines Zirkelkastens denken könnte, wo das Instrument mit allen Ersatzteilen in tiefe, meistens violette Sammethöhlen gebettet, daliegt.“ [sic!]178

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Das bürgerliche Individuum bettete sich im Schutzraum der Wohnung und hielt sich dabei den bewundernd wertenden Blick der Besucher stets im Bewusstsein. Aus dieser Perspektive soll die Inszenierung des Familiengrabes betrachtet werden, in welches die Verstorbenen zur letzten Ruhe gebettet wurden. Teil des Interieurs der Familiengrabstätte war die weibliche Grabplastik. Die bürgerliche Wohnkultur soll im Folgenden das Vergleichsterrain bieten, um die Intentionen zur Versteinerung des bürgerlichen Habitus in der Grabmalkultur ausleuchten zu können. Die Frage nach dem Habitus ist immer auch eine Frage nach dem Modus: Wie wird etwas gemacht, also aus welcher Motivation und mit welchen gesellschaftswirksamen Absichten wird eine Wohnung oder ein Grab eingerichtet? Die Charakteristika der »Einrichtungsgegenstände«, wie z. B. der künstlerische Stil oder das Material, sind dabei genauso von Interesse wie der Umgang mit ihnen auf der öffentlichen Bühne des Friedhofs. 4.6.1 Kunst „[…] wir sehen auf den Friedhöfen unserer Zeit die Formen und Rudimente der Kulturen aller Zeiten durcheinandergären. Man braucht nur einmal durch die Gräberfelder einer Großstadt zu gehen, und man hat da eine Übersicht über einige Jahrtausende Kultur- und Kunstgeschichte. Man findet sie da alle beieinander die verkleideten Gestalten der Vorzeit: ägyptische Pyramiden, hellenische Tempel, sogenannte Heroa, mit ihren Marmorbildwerken, geflügelte Genien, einst die Torwächter der Assyrer, dann die Engel der Juden und die Niken der Griechen, attische Grabstelen, griechische Trophäen in römischer Formgestaltung, Altäre Pompejis Gräberstraße, lykische Sarkophage, halb verhüllte, mit Tänien umwundene Aschenurnen und nordische Steinsetzungen, eine seltsame Sammlung von Formen und Gestalten aus aller Welt. […] Je bunter das Bild ist, desto deutlicher zeigt sich auch auf unseren Friedhöfen der verborgene Zug unserer Zeit: ein Tasten und Suchen nach neuen Gedanken und neuen Formen, eine Sehnsucht nach einem neuen Stil.“179 In G. Francks Einschätzung der zeitgenössischen Grabmalkultur im Jahr 1905 klingt in der Aufzählung unterschiedlicher Grabty-

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pen die Fülle der verschiedenartigsten Formsprachen an. Bei aller Sehnsucht nach „einem neuen Stil“ kam im gesamten europäischen Untersuchungsraum vor allem jene fast programmatische Gestaltungspraxis zum Tragen, auf die wir bereits in der Grabikonographie gestoßen sind. Auf die gleiche Weise, wie unterschiedliche Symbole und Bildtraditionen in der weiblichen Grabplastik zu einem sinnstiftenden Amalgam verschmolzen wurden, wurden auch Stile unterschiedlicher Epochen zu einer individuellen Inszenierung hybridisiert. In der Regel lassen sich die einzelnen Grabmäler nicht einem einheitlichen Stil zuordnen, sondern einem ausgeprägten Stilpluralismus. So reihen sich in einer Grab­stätte beispielsweise dorische Säulenordnungen an naturalistische Grabfiguren, diese gestaltet nach der klassizistischen Proportionslehre, eingebettet in neogotische Architekturen mit jugendstilartigen Ornamenten oder Schrifttypen. Im Detail reichen die Spielarten von romantischen und klassizistischen Inszenierungen über historisierende Stile wie der Neogotik, der Neorenaissance und dem Neobarock bis zu Naturalismus, Verismus, Symbolismus und Jugendstil oder auch zeitgenössischer Volkskunst (Abb. 300, Abb. 301, Abb. 302).180 Diese Gestaltungspraxis ist symptomatisch für die Entwicklung der Kunstproduktion und des Kunstverständnisses im Laufe des 19.  Jahrhunderts. Bereits ab dem späten 18.  Jahrhundert wurde in der Romantik und dem Klassizismus Vergangenes zu einem künstlerischen Mehrwert erkoren und im Zuge der Antiken­rezeption auf klassische Gestaltungsprinzipien zurückgegriffen. In den folgenden Jahrzehnten gewann das Historische in der Kunst zunehmend an Bedeutung und zog in den Neo-Stilen die Nachahmung früherer Epochen nach sich unter der Prämisse, über Altbewährtes tiefere Wahrhaftigkeit, Reinheit und Sinnstiftung sowie eine künstlerisch-nationale Identität zu beschwören. Der Stilpluralismus im Historismus steigerte sich in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts bis zum Eklektizismus und letztlich auch bis zum Bedeutungsverlust. Die nachfolgende Künstlergeneration verfolgte eigenständige Formsprachen und bemühte sich – mit Hilfe von Zusammenschlüssen wie den Secessionen  – , von den historisierenden Gestaltungsprogrammen und traditionellen Kunstakademien zu distanzieren.181 In Bezug auf die Grabmalkunst um 1900 zeigt sich eine Gleichzeitigkeit ungleichzeitiger Stile: Bis zum Ersten Weltkrieg wurden neben zeitgenössischen Kunstrichtungen auch Stile und Formen bedient, die nach Kriterien der modernen künstlerischen Bewegungen bereits seit mehreren Jahrzehnten als überholt galten. Da sich die Forschung mit dem Phänomen der weiblichen Grabplastik überwiegend aus kunsthistorischer Perspektive befasst hat, ist die Bestimmung der Kunstrichtungen sowie deren Verbreitung für die hier erwähnten Friedhöfe gut dokumentiert.182

Abb. 300: Grabstätte Giovanni Benaglia (o. J.), Cimitero Monu­ mentale, Bergamo Abb. 301: Grabmal Herrmann (1904/05), Roland Engelhard, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 302: Grabstätte Dantan (1848), Cimetière du Père Lachaise, Paris

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Abb. 303: Jugendstil-Ecksofa mit Umbau aus einem Damen­ zimmer (um 1898) Abb. 304: „Wanddekor für ein Badezimmer“, Entwurf Koloman Moser (1901)

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In der Gesamtschau lässt sich für die europäische Grabmalkunst festhalten, dass die Verbreitung und Dominanz bestimmter Stile von zwei Faktoren abhängig waren: zum einen vom Zeitraum, in dem der Friedhof und die Mehrzahl der dauerhaften Gräber mit Plastiken eingerichtet wurden, zum anderen von ortsansässigen Bildhauerschulen, Künstlern und Steinmetzen bzw. von der Zugänglichkeit zu überregional verbreiteten Reproduktionen. Auf dem Père Lachaise in Paris und dem Süd-Westkirchhof Stahnsdorf bei Berlin ist daher der Klassizismus und frühe Historismus dominanter als in anderen Städten, weil auf dem Père Lachaise bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts monumentale Grabstätten kultiviert wurden und in Stahnsdorf der Bestand im Bereich der Alten Umbettung von Berliner Friedhöfen stammt, auf denen ebenfalls im Laufe des 19. Jahrhunderts künstlerisch aufwändige Grabstätten eingerichtet wurden. Hingegen sind auf Begräbnisplätzen, die in den ersten Jahren des 20.  Jahrhunderts eröffnet wurden, konsequent klassizistische oder neo-stilistische Grab­ inszenierungen seltener. Zudem ließ die Grabmalkultur in kleineren Städten wie Zürich oder Traunstein die Handschrift ortsansässiger Steinmetze mit ihren stilistischen Vorlieben erkennen. Eine besonders große Vielfalt in der künstlerischen Formsprache der Grabmäler offenbaren Städte mit etablierten Kunstakademien und Bildhauerschulen wie z. B. Paris, Berlin, München, Wien oder Genua. Einen weiteren Faktor für einen ausgeprägten Stilpluralismus brachte die Verbreitung von seriell produzierten Galvanoplastiken mit sich. Diese stellten zwar auf Grund der neuartigen Produktionsverfahren ein modernes und innovatives Phänomen dar, wurden aber von firmeneigenen Künstlern stark an den Klassizismus und Historismus angelehnt und nach ihrer Auslieferung von wiederum anderen Steinmetzen in individuelle Grabarchitekturen eingebettet. Sowohl Auftragskünstler als auch das Kunstgewerbe profitierten von dem gesteigerten Interesse an künstlerischen Grabinsze-

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nierungen. Sie stellten sich im Allgemeinen auf den Habitus der Auftraggeberkreise ein: „Generell rangen die Bildhauer in der Grabskulptur um eine Balance zwischen Innovation und Tradition, Einzellösung und – dominierend: – Serialität, wobei letzte sicher vorherrschte.“183 In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurden spezielle Produktionsweisen etabliert, die sowohl die Nachfrage nach Reproduktionen als auch nach individuellen Originalschöpfungen bedienten. Die Wechselwirkungen zwischen Kunstproduktion und Kunstaneignung – bzw. Produktion und Aneignung von Gegenständen, die als künstlerisch aufgewertet galten – ging unter anderem zurück auf den Zeitgeist der Arts & Crafts-Bewegung, die Strömungen wie den Modern Style, die Sezessionskunst, den Jugendstil oder Art Nouveau um die Jahrhundertwende nach sich ziehen sollte. Sie bildeten die ideelle Basis dessen, was bis heute als Wohn- und Produktdesign bekannt ist, da sie es sich im Zuge der Industrialisierung zur Aufgabe machten, Kunst und Kunsthandwerk so zu vereinen, dass Gebrauchsgegenstände ästhetisch gestaltet und kunstgewerblich reproduziert werden konnten.184 Charakteristisch war für diese Erzeugnisse, dass sie für einen praktischen Zweck bestimmt waren und eine Aufwertung erfuhren, indem sie durch die Kunst veredelt wurden. Im deutschsprachigen Raum kristallisierte sich die Ideologie des Jugendstils in einer Zeit heraus, als die Industrielle Revolution bereits die Umwelt der Menschen erheblich verändert hatte. Es entstand eine „Sehnsucht nach den reinen, erquickenden, beschaulichen Dingen im Alltag“.185 Ziel war das Gesamtkunstwerk: Die Kunst sollte das Leben durchdringen und im Gebrauch den Alltag erhöhen (Abb. 303). Von der äußeren Hülle der Gebäude zog sich die Ästhetisierung immer weiter hinein in den Kern des Wohnund Lebensraums. Fest installierte Details wie Stuckleisten, Zierfenster oder Türklinken gaben die jeweilige ästhetische Programmatik vor, an der Leuchter, Tapeten und Möbelbezüge ausgerichtet wurden – diese schienen vor Dekor überzugehen und waren gleichzeitig Teil des Dekors (Abb. 304, Abb. 305, Abb. 306). Charakteristisch für die Gestaltungsprinzipien im Jugendstil waren die Hinwendung zur Natur, die Betonung des Ornamentalen, die starke Stilisierung und rhythmische Übersteigerung der Formen sowie die Dominanz der Linie.186 Im Figürlichen wurden langgestreckte, in fließende Gewänder gehüllte Frauengestalten favorisiert, die keine realen Personen darstellten, sondern in denen sich Androgynität, Weiblichkeit, Jugend und Mütterlichkeit unter dem Diktat der Schönheit vereinen ließen. Gebrauchsgegenstände nahmen nun zunehmend die Form von zerbrechlich wirkenden Frauenkörpern an und machten weibliche, idealisierte Figuren vom Henkel der Zuckerdose über den Fuß eines Kerzenständers bis zum Bucheinband der Abendlektüre omnipräsent. Die starke Verbreitung dieser Objekte ist zurückzuführen auf

Abb. 305: Konsole mit Frauen­ kopf, Entwurf August Pechmann (1901) Abb. 306: Tischlampe (WMF), Entwurf G. Gurschner (um 1900)

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die Serienproduktion im Zuge der Industrialisierung, da sie nun als Massenware kostengünstiger angeboten werden konnten und somit einem breiteren Publikum zugänglich waren. Der Stilpluralismus und die Inszenierungsstrategien auf den Friedhöfen der Jahrhundertwende machen deutlich, dass dauerhafte Familiengräber in den seltensten Fällen in der Formsprache des Jugendstils, aber nach dem »Prinzip Jugendstil« gestaltet wurden. Alltagsgegenstände wurden durch künstlerische Gestaltung aufgewertet und fungierten infolgedessen als Prestigeobjekte, weil sie ihre Besitzer als vermögend und kunstinteressiert markierten. Der Wunsch nach Ästhetisierung des Lebensraums wurde konsequenterweise auf dem Friedhof fortgesetzt und durch die weibliche Grabplastik verkörpert. Nachdem die Kombination von künstlerischer Ausstattung und idealisierter Weiblichkeit zu einem Code von Ästhetisierung und Aufwertung geworden war, beanspruchten ihn sowohl die vermögende Oberschicht als auch aufstrebende Mittelstandskreise in Form von Auftragsarbeiten oder Massenobjekten für sich. Die ›Trauernden‹ traten auf den Friedhöfen der Jahrhundertwende als eine Art Designobjekt in Erscheinung, welches das individuelle »Gesamtkunstwerk Leben« für das Ableben, den Abschied und das Gedenken konsequent vervollständigte. Da insbesondere die historisierenden Kunstrichtungen mit unterschiedlichen historischen Kontexten aufgeladen waren, oszillierten in den Grabinszenierungen soziokulturelle Codierungen wie z. B. beständig, wahrhaftig, rein, repräsentativ etc., die ebenso mit der bürgerlichen Vorstellung idealer Weiblichkeit stimmig waren. Jenseits der Kunstgeschichte bieten die soziokulturellen Codierungen von Objekten oder Rauminszenierungen Einblicke in Mentalitätsgeschichte und werden am zugänglichsten über das, was sie für uns sichtbar macht: das Material. 4.6.2 Material „Materialien sind Indikatoren gesellschaftlicher Empfindlichkeiten, denn an ihnen lagert sich die Geschichte ihrer Verwendungsweisen an.“187 Die Materialien, die für Grabinszenierungen mit weiblichen Plastiken verwendet wurden, stehen in engem Zusammenhang mit den Friedhofsordnungen, die auf den kommunalen Begräbnisplätzen zum Tragen kamen. Die Ausdifferenzierung in Grabtypen mit kürzeren oder längeren Ruhefristen bis hin »auf Friedhofsdauer« machte Grabschmuck aus Werkstoffen notwendig, deren Haltbarkeit mit der Laufzeit des Grabes Schritt halten konnte. So wurde beispielsweise in der Begräbnisordnung des Friedhofs Ohlsdorf für die Einrichtung eigener Gräber geraten, „gutes und dauer-

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haftes“ Material zu verwenden.188 Die Materialbeschaffenheit der weiblichen Grabplastiken wurde auf diese Weise zu einem Distinktionsmittel in mehrfacher Hinsicht: Zum einen wiesen bereits dauerhafte Materialien einen Grabplatz als Eigenes Grab mit langer Laufzeit aus und grenzten ihn so von den weniger dauerhaften, kostengünstigen Kissensteinen und Holzkreuzen auf den Reihengräbern der weniger vermögenden Bevölkerung ab. Zum anderen haftete bestimmten Werkstoffen eine gewisse Exklusivität an, die wiederum den sozialen Status, den Geschmack und die Finanzkraft der Grabeigner demonstrierte. Die Materialbeschaffenheit und die Materialmasse waren eng verschmolzen mit der Dauerhaftigkeit und topographischen Exklusivität des Grabplatzes und markierten dessen soziokulturelle Koordinaten. Wesentlich war offensichtlich nicht nur, wer in dem Grab lag, sondern wodurch er oder sie auf der Graboberfläche repräsentiert wurde. Materialien werden in zeitspezifischen Kontexten erlebt und erfahren. Sie sind daher sozial und kulturell aufgeladen und können die Kontexte des Erlebten und Erfahrenen repräsentieren und ausstrahlen. Diskursanalytisch differenzieren lassen sich unterschiedliche Materialien über Charakteristika wie physische Eigenschaften, ökonomischer Wert und soziokulturelle Codierung.189 Für die Fragestellung nach der Materialität im Phänomen der ›Trauernden‹ spielt allerdings nicht nur der Werkstoff eine Rolle, aus dem eine Figur auf einem Grab gefertigt war, sondern das gesamte Ensemble an Materialien innerhalb einer Grabinszenierung. Im Folgenden werde ich daher genauer auf die häufigsten Materialien, ihre Inszenierung und regionale Verbreitung eingehen, um anschließend ihren ökonomischen Wert und ihre ideelle Aufwertung zu beleuchten. Darauf aufbauend lässt sich schließlich die soziokulturelle Codierung der unterschiedlichen Materialien ableiten, welche die Gräber unter dem Nimbus des Zeitlosen und Beständigen erscheinen ließ. Die drei Aspekte – physische Beschaffenheit, ökonomischer Wert und soziokulturelle Codierung – sollen dabei nicht als isolierte Analysekategorien verstanden werden; schließlich kann die Festigkeit eines Materials den Verkaufspreis und damit seine Codierung als exklusiv oder minderwertig bedingen. Vielmehr lässt sich anhand der weiblichen Grabplastik zeigen, wie eng die zeitgenössischen Diskurse um Beschaffenheit, Wert und Codierung der Materialien verschmolzen waren. Physische Beschaffenheit Repräsentative Gräber mit längeren Laufzeiten wurden auf allen untersuchten Friedhöfen mit Steinskulpturen, Bronzeplastiken und ihren seriell reproduzierten Nachfolgern, den galvanisierten Figuren, ausgestattet.190 Auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg war für die weiblichen Grabplastiken weißer Marmor am

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beliebtesten, gefolgt von hellem Sandstein, der nach 1900 kaum noch Verwendung fand sowie hellem Muschelkalk und anderen Kalksteinen, die verstärkt nach 1911 verarbeitet wurden. Roter Sandstein und farbiger Granit wurden nur selten eingesetzt.191 Steinfiguren wurden meist als eigenständige Grabmale auf einem eigenen Sockel so inszeniert, dass sie sich von einem dunkleren Hintergrund oder farbigen Sockel abhoben und so die Leuchtkraft des hellen Steins verstärkt werden konnte. Bronzeplastiken wurden überwiegend mit anderen Grabmalformen oder Architekturen aus Stein kombiniert, wobei die Bronze die Gesamtinszenierung optisch dominierte. Wie bei den hellen Steinskulpturen wurden auch bei den Bronzeplastiken Kontraste über unterschiedliche Materialien evoziert: markante Brüche zwischen dunklen und hellen Werkstoffen oder spannungsreiche Effekte aus glatten, glänzenden und stumpfen, porös wirkenden Oberflächen vor der Kulisse des landschaftlichen Parkfriedhofs mit seinen wechselnden Jahreszeiten und Stimmungen. In den ersten Jahren nach der Friedhofseröffnung lagen Bronzeplastiken mit ein bis zwei Neuaufstellungen pro Jahr weit hinter den Steinfiguren zurück. Doch in den Jahren zwischen 1908 und 1914 häufte sich deren Setzung. Prozentual ließen sich unter den inventarisierten Grabplastiken in Ohlsdorf (1990 abgeschlossen) insgesamt 17 % Bronzefiguren, 32 % Steinskulpturen und 51 % Galvanoplastiken nachweisen – auf den größten Anteil, die Galvanoplastiken, werde ich im späteren Abschnitt über das Galvanisieren ausführlicher eingehen.192 Im europäischen Vergleich zeigen sich bei der Häufigkeit bestimmter Materialien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts regionale Unterschiede, die nach der Jahrhundertwende jedoch sukzessive abnehmen sollten. Besonders eindrucksvoll ist die Materialdominanz von hellem Marmor in östlichen Regionen der k. u. k. Monarchie sowie im norditalienischen Raum vor 1900. Auf Grund der Nähe zu ertragreichen Steinbrüchen wie z. B. in Laas oder Carrara erschienen Friedhöfe in Laas, Prag, Zagreb, Turin, Mailand oder – bereits ausführlicher besprochen – in Genua als „steinerne Meere“.193 Auch auf dem Friedhof Sihlfeld in Zürich ­waren am häufigsten Marmorfiguren vertreten. Hier allerdings, weil das Familienunternehmen von Louis Wethli sen. mit einem eigenen Steinbruch, den einer der Söhne in der Schweiz betrieb, und angeworbenen Steinmetzen aus Italien eine Art Monopolstellung für Grabschmuck aus Marmor einnehmen konnte.194 Zu den Galvanoplastiken sei so viel vorweggenommen: Auch wenn diese wie die Bronzeplastiken von regionalen Gesteinsvorkommen völlig unabhängig waren, traten sie in den 1890er Jahren überproportional häufig auf ländlichen, nicht kommunalen Friedhöfen in Baden-Württemberg und Bayern auf. Der Grund liegt hier in der Nähe zu den Produktions- und Vertriebsstätten der WMF in ­Geislingen an der Steige und München, über welche die Figu-

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ren direkt bezogen werden konnten. Darüber hinaus wäre es in einer breiter angelegten Untersuchung interessant nachzuweisen, ob Grabinszenierungen und weibliche Figuren aus Granit verstärkt in der Umgebung des Fichtelgebirges (Kösseine-Granit, ­Epprecht­stein-Granit), vom Bayerischen Wald (Tittlinger-Granit) oder im Harz (Wurmberg-Granit) zu finden waren.195 Ab dem späten 19. Jahrhundert schwand die regionale Bindung zwischen Gesteinsvorkommen, Produktionsstätte und Aufstellungsort des Grabschmucks. Infolge der Industrialisierung und dem Ausbau von Verkehrswegen wurde die Verarbeitungsdauer kürzer und die Reichweite in der Verbreitung größer. So förderte vor allem in den Steinbrüchen der technische Fortschritt z. B. von Sägen oder Zugwinden eine schnellere Gewinnung und Verarbeitung von sehr hartem und schwerem Tiefengestein. Gleichzeitig wurden effizientere Praktiken in der Lagerung, Logistik und im Transport entwickelt, so dass der Werkstoff schneller zu Steinmetzen und Bildhauern andernorts gelangen konnte.196 Es kam zu einer langfristigen Beschleunigung in der Weiterverarbeitung und Produktion von Grabschmuck: Diese Dynamik resultierte aus den Wechselwirkungen zwischen schnellerem Abbau und überregionaler Verbreitung einerseits und wachsender finanzkräftiger Käuferkreise und steigender Nachfrage andererseits, die wiederum die Beschleunigung des Abbaus nach sich zog und breitere Käuferkreise ansprach, und so fort. Infolgedessen reagierten Werkstätten fernab von den Steinbrüchen auf diesen Prozess und beschleunigten ihn ebenfalls. Mit Hilfe von Arbeitsteilung auf unterschiedliche Fachkräfte und der Organisation einzelner standardisierter Arbeitsschritte konnten speziell die zeitaufwändigen Grabplastiken als Reproduktionen bis hin zu seriell gefertigten Objekten hergestellt werden. Wurde ein Motiv mehrmals ausgeführt, entfiel beispielsweise die Arbeitszeit an Entwürfen und Modellen; der Ankauf des Werkstoffs konnte in größeren Mengen kalkuliert und die Ausfuhr der fertigen Produkte effizienter reguliert werden.197 Ökonomischer Wert Mit der systematischen Verarbeitung und Verbreitung von Marmor veränderte sich der ökonomische Wert des Materials. Es ist einerseits anzunehmen, dass Marmor um 1900 auf Grund des schnelleren Abbaus und der strafferen Logistik günstiger angeboten werden konnte als noch zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Andererseits haftete dem Werkstoff neben dem ökonomischen Wert auch ein ideeller Wert an, der den Preis für das Material wieder steigen lassen konnte.198 Einige Beispiele: Herkunftsorte fungierten als eine Art Markenbezeichnung, für deren Namen und ideelle Aufladung die

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Auftraggebenden bereit waren, mehr zu bezahlen. Carrara-Marmor war bei Kunstliebhabern in ganz Europa und vor allem bei Italienreisenden gefragt, weil er unter anderem in den Uffizien in ­Florenz, dem Vatikan in Rom oder dem Mailänder Dom verarbeitet worden war und über Künstler wie Michelangelo als hochwertiger Werkstoff bekannt war.199 Auch der Laaser-Marmor avancierte zum Qualitäts- und Exklusivitätsmerkmal, nachdem er in der geologischen Abteilung der Wiener Weltausstellung im Jahr 1873 präsentiert und als „verwendbar zu feineren Bildhauerarbeiten“200 deklariert worden war. Die Art der Weiterverarbeitung, d. h. die künstlerische Fertigung, konnte den ökonomischen und ideellen Wert einer Marmorfigur ebenfalls beeinflussen. Exakte Preisunterschiede ließen sich zwar im Rahmen der Untersuchung nicht nachweisen, es lässt sich jedoch anhand von Ausstellungsund Warenkatalogen erahnen, dass die penible Unterscheidung nach Unikaten oder reproduzierten Marmorfiguren Auswirkungen auf den Kaufpreis von Grabschmuck hatten. Die Bandbreite an Möglichkeiten reicht hier – wie bereits gezeigt – von individuellen Auftragsarbeiten wie von Wilhelm Wandschneider für Julius Schaarwächter (Berlin) oder das Mausoleum Schlutius (Karow) über Einzelaufträge und reproduzierbare Aufträge beispielsweise von Hans Dammann für die Familie Dralle (Hamburg) oder sein Motiv der ›Trauernden‹ an der Urne in Hamburg, Berlin und Mailand, bis hin zu Reproduktionen in höherer Stückzahl wie aus dem Familienbetrieb Wethli (Zürich) oder von Albert Moritz Wolff für die Firmen Gladenbeck, Gebr. Lindt oder WMF (Berlin, ­Geislingen).201 Der Bekanntheitsgrad eines bestimmten Künstlers führte zu einer Art Labeling seiner Grabausführungen und steigerte somit den ökonomischen und ideellen Wert für weiterverarbeitete Materialien. Soziokulturelle Codierung Im westlichen Kulturkreis markiert das Material auf Grabstätten in der Regel den Ort von sterblichen Überresten sowie der Erinnerung, des Abschieds oder des Nicht-Alltäglichen. Die soziokulturelle Codierung eines Materials ist wesentlich schwerer zu greifen als Charakteristika wie die physischen Eigenschaften und der ökonomische Wert. Die Zuschreibung eines Werkstoffs war und ist von den spezifischen Praktiken und Kulturen, Rezeptionsweisen und Bewertungen abhängig, die ihn aktuell umgeben und in früheren Zeiten umgeben haben. Seine Codierungen entstammen den zeitgenössischen Mentalitäten. Diese können über viele Jahrhunderte tradiert oder aber vollkommen neu besetzt werden. In beiden Fällen verraten die Materialien, ihre Oberflächen und ihre Inszenierungen etwas über die Intentionen, aus denen sie zum Einsatz gekommen sind. Bisher wurde die Bedeutung der Materialco-

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dierung in der Sepulkralforschung ausgespart. Um sich den materialspezifischen Einschreibungen zumindest annähern zu können, sind diskursanalytische Perspektivwechsel notwendig, die auch Nebenschauplätze im Bereich der Kunst, Architektur, Lite­ratur oder Frömmigkeit streifen. Materialien wie Marmor oder Bronze waren in diesen Kontexten im 19.  Jahrhundert meist codiert als nicht-alltäglich, exklusiv, dauerhaft, beständig und zeitlos. Es gibt Materialien der Kunst und es gibt Materialien des Alltags.202 Allein schon die Kosten für ein Grabmal aus Marmor oder Bronze rückten die weiblichen Grabplastiken in einen Bereich außerhalb des Alltäglichen. Dauerhafte Grabstätten auf den neuen kommunalen Friedhöfen vor der Stadt waren noch mit der sakralen Sphäre der dauerhaften Familiengrüfte in den Kirchen apud sanctos aufgeladen. So vermischten sich hier religiös motivierte und profane Rezeptionsweisen vor dem Grabmal und seiner Materialität. Bis weit in die Neuzeit waren hochpreisige Materialien im privaten Gebrauch häufig dem Bereich der Frömmigkeitsübungen vorbehalten und markierten das Besondere im Alltäglichen. Parallel dazu gab es in der sakralen Kunst ein „unauflösliches Dilemma“203 zwischen Material und Reliquie. Die Schwierigkeit lag dabei in dem Widerspruch zwischen dem christlichen Verständnis von Wertlosigkeit aller irdischen Materialien auf der einen Seite, die nachrangig hinter den Werten von Glauben und Ethik standen, und der Aufwertung von Reliquien auf der anderen Seite, die durch Vergoldungen, kunstvolle Schreine und kostspielige Inszenierungen überhöht wurden. Die Reliquie wurde also aufgewertet, stand aber gleichzeitig im Konflikt zwischen authentischer Materie und kostbarer Umhüllung. All diese Codierungen wirkten in der Materialrezeption der bürgerlichen Gräber des 19.  Jahrhunderts fort – allerdings ist zu vermuten, dass sie hier nicht als Widerspruch wahrgenommen wurden, sondern als ein einendes Moment aus Fragmenten wie Frömmigkeit, sakraler Kunst, profaner Kunst und Nicht-Alltäglichem. Derartige Materialien strahlten also das Besondere, eine Aufwertung und Überhöhung aus und hatten auf den bürgerlichen Grabmälern das Potenzial, gewissermaßen auf die Sphäre des Todes hinüberzustrahlen und somit das Andenken zu glorifizieren. Materialien wie Marmor, Granit oder Bronze galten in der bürgerlichen Kultur als exklusive Werkstoffe. Die Bedeutung des Exklusiven für das Bürgertum ist hier in einem doppelten Sinn zu verstehen. Zunächst waren sie aus der höfischen und kirchlichen Repräsentationskultur bekannt und wurden mit dem Privileg der Inszenierung von Repräsentierstätten, Regierungssitzen, Kirchenbauten oder Denkmälern assoziiert. Im weiteren Verlauf hatten auch profanere Materialinszenierungen auf das Bürgertum eine gewisse Vorbildwirkung, wie sie beispielsweise in der Walhalla, auf Kriegsdenkmälern oder Kaiserreichsmonumenten umge-

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setzt wurden. Diese Stätten der Repräsentation waren von einem gewissen Machtanspruch umflort, den in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts allerdings das Bürgertum für sich zu beanspruchen begann. Infolge des wachsenden Selbstbewusstseins wurden Materialien wie Marmor oder Bronze auf die bürgerlichen Villenfassaden, in die Gärten oder eben auf die Grabstätten ins Private, Halb-Öffentliche überführt und aus ihrer vorherigen standesspezifischen Codierung herausgelöst. Es handelt sich hier um eine Selbstermächtigung über vormals privilegierte Werkstoffe. Dieser Selbstermächtigung haftete der Charakter des Exklusiven im Sinne einer Exklusion an, da über die Ausstattung des bürgerlichen Lebens mit Materialien wie Marmor oder Bronze der bürgerliche Status gegenüber nicht-bürgerlichen Lebensstilen demonstriert werden konnte. In der Codierung »exklusiv« schwangen also Komponenten von schichtspezifisch bürgerlicher Aneignung und Abgrenzung nebeneinander und machten Werkstoffe wie Marmor, Granit oder Bronze zu Repräsentanten des bürgerlichen Selbstverständnisses. In der Grabmalkultur waren besonders helle Gesteine positiver besetzt und daher beliebter als dunkle, Licht absorbierende Materialien, weil ihnen das Potenzial zugeschrieben wurde, die Düsternis des Todes zu überstrahlen. Figuren aus dunklem Stein oder Bronze wurden daher meist im Kontrast zu hellen Werkstoffen gesetzt. Hinzu kommt, dass sich bei Bronze- und Galvanoplastiken Lichtreflexe erzeugen ließen, indem die Oberfläche stark aufpoliert wurde – gleichzeitig standen die glatten, versiegelten Oberflächen für Reinheit und Unversehrtheit. Hingegen setzten raue, grobkörnige oder porös wirkende Oberflächen wie z. B. bei Sandstein oder Terrakotta in der Witterung schneller Patina an und wurden für naturnahe, landschaftliche Arrangements bevorzugt, indem sie auf Bilder von Vergänglichkeit und Melancholie anspielten. Die Inszenierung des Materials verlief analog zur Inszenierung des Grabes auf Friedhofsdauer. Unter dem Begriff der Friedhofsdauer wurde eine Art von Dauerhaftigkeit imaginiert, die der Ewigkeit hätte gleichkommen sollen. Dementsprechend musste auch das Material diesem Anspruch standhalten können. Materialien wie Marmor, Granit oder Bronze galten als zeitlos und schienen unter diesem Prädikat dem Wunsch nach Ewigkeit gerecht zu werden. Zeitlosigkeit meint in der Regel Dauerhaftigkeit – ein Paradox, weil doch gerade das Zeit-lose demonstrieren soll, dass es Zeit überdauern könne. Gemeint war sowohl eine Zeitlosigkeit gegenüber Abnutzung, Verwitterung oder plötzlicher Zerstörung wie Abriss als auch gegenüber dem Wechsel von Geschmack, Stilen oder Moden.204 Die Maßstäbe und das Interesse für das Zeitlose hatte die Antikenrezeption des 18. und 19. Jahrhunderts gesetzt. Klassische Marmor- oder Bronzefiguren erschienen als

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Symbole des Beständigen und Unverwüstlichen und damit als Zeichen von Überzeitlichkeit und künstlerischer Bedeutsamkeit. Diese Charakteristika sollten auch ihre klassizistischen Nachbildungen repräsentieren und so setzten sich die zeitlosen Materialien überall dort fort, wo das Überzeitliche imaginiert und ersehnt wurde.205 Derartige Materialien werteten nicht nur das dauerhafte Grab auf, sondern ihre Codierung sollte auch auf das Familienandenken abstrahlen. Solange das Material die Grabstätte markiert, erinnert das Grabmal an die Verstorbenen und fordert die Lebenden zum Gedenken auf. Je dauerhafter ein Werkstoff in seinen physischen Eigenschaften ist, desto dauerhafter scheint das Andenken für die Zukunft gesichert. Wesentlich wichtiger war jedoch für den Kontext des Friedhofs, ob ein bestimmtes Material auch als dauerhaft assoziiert wurde, weil es auf diese Weise bereits im Hier und Jetzt als dauerhaft wahrgenommen und das Vermächtnis e­ iner Familie als dauerhaft erinnerungswürdig imaginiert werden konnte. Der Kunsthistoriker und Architekturtheoretiker John Ruskin (1819 – 1900) proklamierte Mitte des 19. Jahrhunderts für die Verflechtung von Architektur und Andenken (1849): „Der Ruhm eines Bauwerks liegt in seiner Zukunft.“206 Dieser Leitsatz Ruskins war symptomatisch für den ästhetisiert-memorialen Zeitgeist des 19. Jahrhunderts und zeigte sich als Spätfolge in der Material­ inszenierung auf den Gräbern derjenigen, die um 1900 verstarben: Der Ruhm einer Grabstätte lag in ihrer Dauerhaftigkeit; der Nachruhm für die Verstorbenen lag in der imaginierten Zukunft des Materials.207 In bürgerlichen Kreisen gab es den Wunsch, sich mit Gegenständen und Räumen zu umgeben, die Rückzug aus dem schnelllebigen Alltag versprachen und gleichzeitig Werte und Orte von Bestand schaffen sollten. Das Interesse am Historischen und Zeitlosen lässt in dieser Zeit auf eine Sehnsucht nach Konstanten schließen. So erscheinen die Säulen an Hausfassaden als historische Stützen in einer dynamisierten Umwelt, Ruinen und Tempel wurden als Rückzugsmomente in den Gärten oder zumindest in Landschaftszimmern oder auf Tapeten kreiert, die Beschäftigung mit den »alten Sprachen« und den »schönen Künsten« diente als Entschleunigung angesichts wechselnder Moden und Einflüsse. Beispielhaft nachlesen lassen sich derartige Wünsche in den Briefen und Tagebucheinträgen von Gustav Höken, der als einfacher Beamter für seine sechs Kinder und seine Ehefrau die Villa ­Linahof in einem Vorort von Wien erbauen ließ.208 Ganz nach den bürgerlichen Idealen wurde hier in „balsamischer Luft“ gewandert oder im Garten gearbeitet, die Kinder erfuhren eine humanistische Bildung und nirgends fühlte sich der Familienvater und Ehemann „seliger emporgehoben“ als bei seiner geliebten Frau.209 Gustav Höken entfaltete in seinen Aufzeichnungen ein idealisier-

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tes Familienidyll, das sich rund um die ländliche Villa rankte und an diesem Ort über weitere Generationen fortbestehen sollte. Fast programmatisch liest sich ein Brief seiner Ehefrau Lina aus den frühen Ehejahren, vermutlich in den 1840ern: „Gustav, wir wollen einen Familientempel bauen.“210 Generell fungierte der Tempel als Sinnbild für gemeinsames Familien- und Eheglück. Es basierte auf dem zeitgenössischen Ideal, das Familienleben als Ort der Ruhe und Hort des Beständigen zu gestalten. In Meyers Konversationslexikon von 1860 wurde ein Tempel definiert als „ein der Gottheit gewidmetes, zu ihrer Verehrung, ihrem Dienste bestimmtes Gebäude“.211 Die Vorstellung vom Familientempel erhöhte die Familie zum Heiligtum und markierte gleichermaßen eine Sakralisierung des Profanen bzw. eine Profanisierung des Sakralen.212 Zahlreiche Mausoleen und Grabmäler wohlhabender Familien erhielten im späten 19.  Jahrhundert die Form eines Miniaturtempels. Hier eröffnete sich ein Vexierbild des bürgerlichen Innenlebens, das sich letztlich auf der Oberfläche der Friedhöfe spiegelte. Materialien, die mit Attributen wie zeitlos, beständig oder dauerhaft besetzt waren, waren sowohl religiös als auch profan konnotiert und repräsentierten die Gefühlswelt des fortgeschrittenen 19. Jahrhunderts.213 Sie dienten als adäquate Werkstoffe, um dem diffusen Gefüge aus bürgerlichem Führungsanspruch, Zukunftsgläubigkeit und selbstbewusster Selbstdarstellung auf der einen Seite und der Sehnsucht nach Rückzug, Beständigkeit und Sinnstiftung auf der anderen Seite eine Oberfläche zu chiffrieren. Das Prädikat »zeitlos« war für das Bürgertum möglicherweise ein so schillernder und anziehender Begriff, weil in ihm Nuancen von Resistenz und Stolz anklangen. Schließlich trotzt das Zeitlose der Zeit und stellt diese als beherrscht dar214 – auch das individuelle bürgerliche Familienvermächtnis sollte widrigen Einflüssen trotzen und im Wandel der Zeit bestehen. Im 19. Jahrhundert eta­ blierten sich bürgerliche Familiendynastien. Einerseits emanzipierte sich das Bürgertum von der ständischen Ordnung und definierte seinen sozialen Status aus Fleiß, Strebsamkeit, Tugendhaftigkeit und Selbstbestimmung; andererseits wurde der Bürgerstatus und Bürgerstolz einer Familie über Nachkommen, Heirats­politik und Vererbung reproduziert und gesichert. Gerade, weil der soziale Status aus fleißigen, strebsamen, tugendhaften und selbstbestimmten Anstrengungen resultierte, sollten all diese Bemühungen Werte von Bestand schaffen, nach außen hin präsentiert werden und diese über das eigene Lebensende hinaus repräsentieren. Das bürgerliche Zeitalter markiert eine Phase, in der Geld, Besitz und Wissen angehäuft und von Generation zu Generation weitergegeben wurden, um den sozialen Status sichtbar zu halten und zu untermauern. Im Sinne der sozialen Ordnung und der Kapitalsorten nach ­Bourdieu durchzieht dieses Prozedere alle Bürgertumskreise: Industrielle,

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Kaufleute und Bankiers, aber auch Ärzte, Juristen, Verleger oder Gelehrte. Zu den prominentesten Beispielen in der Kaiserreichszeit zählten unter anderem die Industriellenfamilien Krupp, Th ­ yssen und Siemens, das Bankiersnetzwerk Warburg und Oppenheim sowie die Verlegerunternehmen Ullstein und Langenscheidt oder Gelehrtenfamilien wie Stöckhardt und Cassirer, die jeweils ihr Vermögen und ihre Wirkungskreise über Generationen dynastisch zu festigen vermochten.215 Dieses Selbstverständnis hatte seine Wurzeln im bürgerlichen Wertekanon und eine gewisse Vorbildwirkung auf das Gros der bürgerlichen Familien um 1900. Gleichzeitig spricht aus dem Wunsch nach bleibenden Werten im Allgemeinen und dem Fortbestehen des Familienvermächtnisses eine latente Angst vor dem Versagen oder dem Niedergang der Familie, die in aller Konsequenz das Verschwinden von der gesellschaftlichen Bühne bedeutet hätte. Materialien wie Marmor oder Sandstein suggerieren eine gewisse zeitliche Resistenz, mit der sich das Familienvermächtnis am Grab untermauern ließ. Die Grabinszenierung der Familie Dralle in Hamburg-Ohlsdorf (Abb. 14) vermittelt jenen dynastischen und selbstbewussten Charakter ebenso wie die Großgrab­ stätten der Familien Siemens und Solmssen oder die Mausoleen der Familien Langenscheidt und Ullstein in Berlin-Stahnsdorf (Abb. 45). Der verschwenderische und großzügige Umgang mit dauerhaften Materialien auf Großgrabstätten deutet Wohlstand, Stolz, Beständigkeit nicht nur subtil an, sondern die Materialmassen versteinern die inneren Haltungen fast plakativ, so dass die soziokulturelle Codierung des Materials in ihrer monumentalen Physis den Raum zu durchschneiden scheint. Zeitgenössische Diskurse beeinflussen die Rezeption von Materialien sowie ihre Codierung. Bis in das frühe 20.  Jahrhundert waren in der Grabmalkultur Marmor, Sandstein, Terrakotta oder Bronze positiv besetzt. Es sind Grabstätten aus diesen Materialien, die in historischen Friedhofsführern und in der Reiseliteratur als Sehenswürdigkeiten angepriesen wurden. Allerdings gerieten der Pomp und die Monumentalität nach den 1910er Jahren in die Kritik. Im Zuge der Formierung der Reformbewegungen und der »­sozialen Frage« wurde die bürgerliche Selbstdarstellung zunehmend angeprangert, was sich auch auf die Grabmalkultur und Materialcodierung niederschlug, wie Texte des Münchener Friedhofsreformers Hans Grässel zeigen: „Nicht die schönen Formen und die sinnige Inschrift, sondern das prunkende glänzende, sich hervordrängende Material ist vielfach die Hauptsache. Wir sehen die glasig polierten, die grell weißen und grell schwarzen Grabdenkmäler, diese schlechtgeformten Obelisken und Kreuzesformen, die abgebrochenen Säulen, die nach oben weisenden Dutzendengel oder schreibenden Frauengestalten, die zahllosen eisenstarren Einfriedungen!“216

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Waren auf den Friedhöfen Marmor und Bronze vormals für eine imaginierte Ewigkeit bestimmt, hatten ihre Materialcodierungen nur eine kurze Halbwertszeit. Was einst als exklusiv geschätzt wurde, störte nun den Gesamteindruck als „hervordrängend“ und „grell“. Der Wunsch nach dem Zeitlosen, das allen Moden trotzen sollte, zeigte sich bereits nach wenigen Jahren selbst als Modeerscheinung. Die soziokulturelle Codierung der Grabmaterialien konnte sich vom späten 19. zum frühen 20. Jahrhundert deshalb so massiv verschieben, weil sich im Zuge der bürgerlichen Trauer- und Erinnerungskultur auch das Erscheinungsbild der Begräbnisplätze massiv verändert hatte. Parallel zum Inszenierungskult in Wohnraum und Garderobe wurde auch auf den Grabmälern mit unterschiedlichen Materialien, Oberflächenstrukturen und austauschbaren Dekorationen experimentiert. Zu den Grundelementen Fundament, Sockel, Grabstein und -plastik kamen nun auch Kandelaber aus Messing, Blumengefäße aus Blech, Zierblüten aus Porzellan, Photographien hinter Glas sowie Intarsien aus Emaille oder gefärbtem Stein, so dass die Grabmäler wie Staffagen für hochwertig bis minderwertig codierte Materialien wirkten. Aus Grässels Zitat spricht eine generelle Überfrachtung der Friedhöfe. Sie war einerseits ein Resultat der eingangs beschriebenen Beschleunigungsmaßnahmen in der Grabmalproduktion, die letztlich den Charakter des Beständigen in der Materialcodierung unterwanderte. Andererseits war sie das Ergebnis der leichteren Verfügbarkeit von Grabschmuck, die den Eindruck von Exklusivität minderte und die Codierung des Beliebigen, „prunkend Glänzenden“ nach sich zog, die bei Zeitgenossen wie Grässel auch ihre Kritiker fand. Galvanoplastiken Grabmaterialien wie Marmor oder Bronze markierten für Grässel nicht mehr die „Stätten der Ruhe und des Friedens“, stattdessen erinnerten ihn die städtischen Friedhöfe an „Steinmetzlager“.217 Dabei spielte er mit den „Dutzendengel[n]“ oder „schreibenden Frauengestalten“ auf die Katalogware von Unternehmen an, die seit den 1880er Jahren Grabplastiken industriell fertigten und um 1900 systematisch nach marktwirtschaftlichen Kriterien vertrieben. „Sowohl für die Ausführung der großen Denkmalprojekte in Bronze wie für die Galvanoplastik der Friedhöfe entwickelten sich in dieser Zeit – genau wie für die Entwürfe bestimmter Denkmaltypen – reichsweit operierende Spezialisten und Spezialfirmen.“218

Vor allem die industriell gefertigten Galvanoplastiken prägten nach der Jahrhundertwende das Friedhofsbild im deutschsprachigen Raum. Die Besonderheit an den Galvaniken war, dass es

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sich bei ihnen um Objekte handelte, die kostengünstig hergestellt werden konnten und dabei optisch den hochwertig codierten Bronzeplastiken ähnelten, was sie als Prestigeobjekte für öffentliche und private Zwecke gleichermaßen interessant machte. Für die Untersuchung des Phänomens der weiblichen Grabplastik sind die Galvaniken deshalb so aufschlussreich, weil es gewisser Strategien bedarf, Massenware als exklusiv zu inszenieren. Über die Art der Produktion, der Verbreitung und Inszenierung dieser Figuren lässt sich im Einzelnen zeigen, wie sehr sich marktwirtschaftliche Prinzipien und mentalitätshistorische Aspekte gegenseitig bedingten und schließlich auch Einfluss auf das Selbstverständnis der Hinterbliebenen nahmen. Am deutlichsten lassen sich die Wechselwirkungen zwischen Verbreitung und Inszenierungsstrategien am Beispiel der WMF, der Württembergischen Metallwarenfabrik, zeigen, weil sie vor Unternehmen wie der „Galvanobroncen Galvano-­ HammerWerke/Galvanoplastische Kunstanstalt Heiligenhaus-Düssel­dorf“ und der „Galvanoplastischen Kunstanstalt Köln-Lindenthal“ marktführend war. Sie bot das größte Sortiment an „Grabschmuck (Figuren, Reliefs, Schriften und Verzierungen aller Art)“219 mit einer Reihe an wechselnden Plastiken, unter denen der segnende Christus nach Berthel Thorwaldsen, weibliche Engel und weibliche ›Trauernde‹ am häufigsten verkauft wurden.220 Beim Galvanisieren wurden ursprünglich zwei Ziele verfolgt: Zum einen sollte ein Verfahren nutzbar gemacht werden, das die Möglichkeit bot, Gipsfiguren mit einer dünnen Bronzeschicht zu ummanteln, um sie für den Transport und gegen Witterung haltbarer zu machen.221 Zum anderen sollte ein effizienter Weg gefunden werden, um von einem Prototyp mehrere Objekte herstellen zu können, nachdem die Denkmalflut im Zuge der Reichsgründung zu einer starken Nachfrage nach öffentlichen Denkmälern geführt hatte.222 Die WMF, die seit 1853 auf die mechanische Silberplattierung von Zierrat spezialisiert war, strebte die serielle Produktion von Großplastiken an und fusionierte im Jahr 1890 mit der „Kunstanstalt für Galvanoplastische Bronzen“ in München, die 1894 an den Hauptstandort nach Geislingen verlegt wurde, um die Verfahrensentwicklung für Galvaniken werksintern zu optimieren.223 In der Herstellung von Galvanoplastiken lässt sich zunächst zwischen Kern- und Hohlgalvaniken unterscheiden.224 Beim Kerngalvanoverfahren wurde eine Gipsfigur durch eine Oberflächenimprägnierung für Strom leitend gemacht, so dass sich während eines elektro-chemischen Säurebades Kupfer auf dem Objekt niederschlagen konnte (Abb. 307). Auf diese Weise waren nicht nur weniger Rohstoffe als bei der konventionellen Fertigung von Bronzefiguren notwendig, sondern es blieb auch das ursprüngliche Modell unversehrt, so dass es immer wieder als Vorlage dienen

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Abb. 307: Tauchbecken für das galvanische Verfahren in den Werkhallen der WMF (1906) Abb. 308: Verkaufsniederlas­ sung der WMF in Straßburg (um 1900)

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konnte.225 Bei der Herstellung von Hohlgalvaniken wurden Negativformen von einzelnen Teilen der Figur angefertigt. Auf diesen Negativen lagerte sich der Bronzeniederschlag ab, so dass nach einer wesentlich kürzeren Zeit des Galvanisierens die Einzelteile schließlich zusammengesetzt werden konnten. Bei beiden Herstellungsverfahren wurden Lötstellen nachträglich ziseliert, verkupfert und die Oberflächen auf Wunsch chemisch gefärbt oder patiniert. Obwohl das Hohlgalvanoverfahren zur Fertigung von Großplastiken mehr Zeit für die Montage der Einzelteile und anschließende Nachbesserungsarbeiten in Anspruch nahm, setzte es sich um die Jahrhundertwende gegenüber der Kerngalvanik durch. Denn die Hohlgalvaniken boten den Vorteil, dass bei missglückter Produktion von Einzelteilen der Materialausschuss geringer war als bei ganzfigurigen Objekten und zudem einzelne Versatzstücke je nach Auftrag variabel innerhalb eines Motivs zusammengefügt werden konnten.226 In der ikonographischen Untersuchung der weiblichen Grabplastiken konnte bereits thematisiert werden, wie die individuelle Kombination von Versatzstücken die Bedeutungsebene der Figuren beeinflusste. Die WMF schuf für die Käuferkreise von Hohlgalvaniken die Option, bestimmte Grabmotive abzuwandeln: Hielt eine Figur im Katalog eine Rose in ihren Händen, konnte diese alternativ auch mit einem Palmzweig, einer Tafel oder ­einer Urne bestellt werden. Da einige weibliche Grabmotive mit oder ohne Flügel zur Wahl standen, waren die Figuren im Katalog nicht in Kategorien wie Engel, ›Trauernde‹ oder dergleichen unterteilt, sondern wurden unter der neutraleren Bezeichnung Grabfiguren oder Grabschmuck geführt. Da sich Kern- und Hohlgalvaniken kaum im Preis unterschieden, zeigt der höhere Absatz an Figuren im Hohlgalvanoverfahren, dass die Möglichkeit, der seriell produzierten Katalogware eine persönliche Note zu geben, von den Auftraggebenden gerne genutzt wurde. Für die Kundschaft war offensichtlich die Fertigung und Materialität im Hohl- oder Kerngalvanoverfahren weniger von Bedeutung als die Aussicht auf eine ästhetisierte Grabinszenierung.227

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Beide Verfahrensweisen ermöglichten die serielle Produktion und machten Galvanoplastiken im Vergleich zu Bronze- oder Steinplastiken wesentlich kostengünstiger: Sie waren schneller in der Produktion, ökonomischer im Materialaufwand, leichter für den Transport und flexibler in der Auftragsumsetzung. Galvaniken wurden nun auch für weniger vermögende Mittelstandskreise interessant, die sich eine Grabplastik aus Bronze oder Marmor nicht hätten leisten können. Im Zuge des Denkmalkultes stieß die WMF also nicht nur auf die Nachfrage von öffentlichen bzw. kommunalen Auftraggebern, sondern auch aus dem Bürgertum, das haltbare Plastiken für den privaten Gebrauch in der Grabmalgestaltung wünschte. Absatzorientiert erweiterte das Unternehmen sein Warenangebot, um in Zusammenarbeit mit Künstlern die ästhetischen Ansprüche und Vorlieben einer bürgerlichen Zielgruppe zu bedienen. Für den Bereich der Grabdenkmäler wurden renommierte Entwurfskünstler engagiert wie z. B. Fidel Binz (1850 – 1920), R. Liebhaber (o. A.), Alfred Neri (o. A.) und Heinrich Pohlmann (1839 – 1917), für das weitere Warensortiment von Haushaltswaren und Zierrat unter anderem Peter Behrens (1868 – 1940), Joseph Maria Olbrich (1867 – 1908) oder Heinrich Vogeler (1872 – 1942).228 Ihre Aufgabe war es, die Produktpalette künstlerisch aufzuwerten und den zeitgenössischen Geschmack der Kundschaft zu treffen. Da die Herstellung von Plastiken arbeitsteilig verlief, wurde werks­intern zwischen freiberuflichen Künstlern für die Entwürfe auf der einen Seite und fest angestellten Mitarbeitern für die Ausführung auf der anderen Seite unterschieden. Die WMF legte Wert darauf, dass die Künstler regelmäßig wechselten und die Rechte an ihren Entwürfen abtraten, um das Sortiment wahlweise mit neuen Entwürfen erweitern bzw. die Produktion absatzstarker Objekte beibehalten zu können.229 Bezüglich der Materialbeschaffenheit von Grabplastiken konnte bisher gezeigt werden, dass die Verbreitung von Figuren aus Marmor, Granit oder Sandstein von regionalen Gesteinsvorkommen und der logistischen Infrastruktur abhängig war. Die Galvanoplastiken der WMF waren zwar in der Produktion an den Standort der Werkstätten gebunden, aber ihre Verbreitung von vornherein überregional intendiert. Dazu wurden die Figuren in Katalogen angeboten und in eigenen Filialen, bei Steinmetzen, Friedhofsverwaltungen oder Bestattungsunternehmen im deutschsprachigen Raum ausgelegt (Abb. 308, Abb. 309).230 Im historischen Verlauf zeigt sich, dass die Verkaufskataloge nach der Jahrhundertwende zusätzlich mit Referenzschreiben von Kunden sowie Photographien von fertigen Grabinszenierungen ergänzt wurden, um den potenziellen Käufern mögliche Bedenken gegenüber der Industrieware zu nehmen und einen repräsentativen Eindruck des Endergebnisses zu bieten:

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„Auf die Seite 88 – 91 abgebildeten Entwürfe zu Grabdenkmälern, welche unseren verehrt. Kunden Anhaltspunkte für geeignete Postamente zu unseren Figuren bieten sollen, machen wir besonders aufmerksam. [sic!]“231

Die gesamte Vertriebspraxis des Unternehmens ist ein weiteres Beispiel für die Professionalisierungs- und Dienstleistungsbestrebungen, die in der Grabmalkultur des späten 19.  Jahrhunderts üblich wurden. Das Vorgehen der WMF lässt sich aber auch als Indiz dafür lesen, dass das Unternehmen bemüht war, die serielle Ware durch zusätzliche Maßnahmen, wie z. B. die individuelle Grabinszenierung, aufzuwerten. Reproduzierbarkeit, Aura und Authentizität

Abb. 309: Beispiele und Aus­ führungen im Katalog der WMF (1906/07) Abb. 310: Grabmal Awe (o. J)., R. Liebhaber (WMF), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 311: Abgebrochene Finger an der Kerngalvanik Grabmal Awe (o. J)., R. Liebhaber (WMF), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

Galvanoplastiken brachten ein immanentes Problem mit sich: ihre Materialität. Sie sahen zwar aus wie Bronzeplastiken, streng genommen handelte es sich jedoch um Gips- oder Hohlfiguren mit einer millimeterdünnen Metallschicht. Sie weckten Assoziationen zu jenen repräsentativen Auftragsarbeiten, die künstlerische Originalität und unverwüstliche Dauerhaftigkeit repräsentierten, waren aber serielle Warentypen aus Verkaufskatalogen, zu deren Haltbarkeit langfristige Erfahrungswerte noch ausstanden. Deutlich wurde schon nach wenigen Jahren des Verkaufs, dass Glied­ maße wie Finger, Zehen oder Flügel abbrechen konnten oder der Gips selbst bei feinen Haarrissen aufquoll, so dass irreparable Schäden entstanden (Abb. 310, Abb. 311). War das Galvanoverfahren ursprünglich dazu gedacht, Denkmalschmuck haltbarer zu machen, mussten sich die anfälligen Galvanoplastiken nun mit der Dauerhaftigkeit von Bronze messen lassen, die für die Grabeigner nicht nur eine praktische, sondern eben auch eine ideelle Bedeutung hatte.

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Die Galvanoplastik stand im Verruf der imitierten, „unächten Bronze“232. Da die soziokulturelle Codierung von Materialien durch die Art ihrer Verarbeitung und Handhabung negativ oder positiv aufgeladen wird, spielte bei dem Phänomen der Galvaniken die künstlerische Qualität eine besondere Rolle: In Masse produziert und über Kataloge verbreitet, erschien sie für die Käufer anonym, also vom Künstler losgelöst, so dass ihr von Seiten der originären »hohen Kunst« nur wenig künstlerische Gültigkeit zuerkannt wurde.233 Beschwichtigend positionierte sich Carl ­Haegele, Leiter der galvanoplastischen Betriebe der WMF in den 1890er Jahren, bei der Rede zur ersten Versammlung gegenüber möglicher Kritik: „Die Kunst darf sich fraglos auch der Technik bedienen, die Sorge der gestaltenden Künstler muß aber dahin gerichtet sein, dass kein Kitsch entsteht.“234 Für die WMF zeichneten sich in den 1890er Jahren weitere Herausforderungen im Verkauf der Galvanoplastiken ab. Nicht nur die Besitzer von repräsentativen Grabmonumenten vermuteten in der Ausbreitung der Massenware einen ideellen Wertverlust für ihre eigenen Grabinszenierungen. Auch auf politischer Ebene war unter dem Eindruck der Denkmalflut die zunehmende Präsenz von seriell gefertigten Plastiken als Gefahr für die Wirkung des öffentlichen Denkmals per se gesehen worden. Die formale und inhaltliche Glaubwürdigkeit von öffentlichen Monumenten, die ursprünglich die Einheit des neuen Reiches demonstrieren sollten, drohte zu schwinden. Um der weiteren Ausbreitung von standardisierter Massenware vorzubeugen, erließ der preußische Kultus­minister im Jahr 1898 ein generelles Verbot zur Fertigung von Monumenten aus „minderwertigem Material, wie Galvano­bronze“ und die „fabri­kationsmäßige Ausnützung vorhandener Modelle“235. Die WMF reagierte daraufhin mit einer geschickten Verkaufs­ praxis, um mit zwei strategischen Mitteln die Exklusivität der Plastiken zu wahren. Zum einen wurde in Auftrags- und Vertriebsbüchern festgehalten, auf welchen Friedhof ein bestimmtes Exemplar ausgeliefert worden war, damit an einem Ort nicht mehrere Figuren desselben Typs wiederzufinden waren.236 Zum anderen konnten einzelne Motive für weitere Auslieferungen auf e­ inen bestimmten Friedhof oder einen gewissen Zeitraum gesperrt werden und wurden dementsprechend in den Verkaufskatalogen ausgewiesen (Abb. 312), so z. B.: „Grabfigur von Bildhauer Professor Alfred Neri, 175 cm hoch von Sohle bis Scheitel. Diese Figur kann nach Rheinland und Westfalen nicht geliefert werden, ebenso nicht nach Bern i. Schweiz, Breslau und Leipzig.“237

Das Unternehmen hätte zwar höhere Absätze erzielen können, wenn die Auslieferung bestimmter Motive nicht reglementiert worden wäre, aber mit diesem Vorgehen nutzte die WMF das

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Abb. 312: Grabfigur von Bild­ hauer Alfred Neri, Katalog der WMF (1919) Abb. 313: Galvanoplastiken von Fidel Binz auf den Fami­ liengräbern Schweizer (1906) und Frotzler/Och/Schönbeck (1894/1909), Friedhof Hernals, Wien

Kapitel 4

Marketinginstrument der künstlichen Verknappung: Wenn durch Grenzkostenrechnung die Ausgaben für ein Produkt eingespielt werden können, erreicht es trotz bzw. wegen der künstlichen Verknappung eine ideelle und ökonomische Wertsteigerung. Dennoch schlug sich auf der Materialoberfläche der Galvanoplastiken das Problem des „Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ nieder.238 Walter Benjamin hatte sich um die Jahrhundertwende mit dem Phänomen beschäftigt, dass Kunstwerke, die massenhaft reproduziert werden, ihren Status als künstlerisches Unikat einbüßen. Die Reproduzierbarkeit e­ ines künstlerischen Objektes ging auf Kosten seiner „Aura“, die „das Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet“239 ausmachte. Niemand wollte seine Grabstätte mit einem Statussymbol und Prestigeobjekt des hart erarbeiteten Lebenswerks schmücken, wenn die gleiche Katalogware einige Grabfelder weiter ebenfalls das Ansehen einer anderen Familie verkörperte. Dabei verlor nicht das künstlerische Motiv an Ansehen oder Glaubwürdigkeit, sondern das „Hier und Jetzt“, also der Ort, an dem die Plastiken ausgestellt wurden, mit seinen zugehörigen Verstorbenen und Hinterbliebenen. Das Prinzip der Reproduzierbarkeit tangierte so gesehen sowohl die Aura als auch die Authentizität, die eine Grabstätte und ihr Familienprestige umstrahlen sollte: Obgleich die Galvanoplastik für weniger vermögende Schichten das Mittel war, sich innerhalb bürgerlich etablierter Kreise zu positionieren und die Figuren als Beleg dieser Lebensleistung zu präsentieren, unterwanderte es jedoch in Masse die Originärität und Einzigartigkeit, die es zu repräsentieren hatte. Wie zeigt sich diese Problematik in den Grabinszenierungen, um welche Masse an Reproduktionen handelte es sich, dass die Aura der Objekte beeinflusst werden konnte? Mit einem vergleichenden Blick nach Österreich zeigt sich, dass die WMF die reglementierte Verkaufspraxis für Friedhöfe der Donaumonarchie

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nicht angewandt hatte. Innerhalb der ikonographischen Bilderreihe konnte bereits gezeigt werden, dass von der Galvanotrauernden mit Urne (Fidel Binz, WMF) bis heute 13 Ausführungen erhalten sind. Es ist anzunehmen, dass die Zahl um die Jahrhundertwende noch höher war. Zudem ist dieses Motiv auch auf anderen, inzwischen eingemeindeten Friedhöfen Wiens zu finden und wurde teils sogar in direkter Nachbarschaft auf den Gräbern inszeniert, wie z. B. im Fall der beiden Familiengräber Schweizer (1906) und Frotzler/Och/Schönbeck (1894/1909) auf dem Wiener Friedhof im Gemeindebezirk Hernals (Abb. 313). Dagegen war derselbe Figurentyp in zahlreichen Städten, die zum Deutschen Reich gehörten, einmalig vertreten und es ist anzunehmen, dass es auch hier vor der Einführung der Vertriebsreglementierung zu Mehrfachaufstellungen gekommen war. Eine Besonderheit stellte der sogenannte Liebhaber-Engel dar, der nach dem Entwurfskünstler R. Liebhaber benannt wurde und auf den Friedhof Ohlsdorf in Hamburg über 25 Mal ausgeliefert wurde (Abb. 310).240 Insgesamt konnten bei der Inventarisierung in Ohlsdorf unter den Galvanoplastiken über 60 Engelfiguren, über 70 ›Trauernde‹, zwölf Schreibende und zwei Lesende sowie acht Christusfiguren festgestellt werden.241 Wissenschaftliche Einzel­ untersuchungen zu anderen Friedhöfen im deutschsprachigen Raum zeigen einen ähnlichen Grad der Verbreitung von Galvaniken.242 Die Nachfrage nach diesen Figuren zeigt, dass sie trotz aller zeitgenössischen Bedenken zu ihrer materiellen und ideellen Wertigkeit vor allem im Mittelstand beliebt waren. Für aufstrebende Schichten fungierte der figürliche Grabschmuck als Statusobjekt für Bürgerlichkeit. Mit Hilfe der kostengünstigeren Galvanoplastiken untermauerten sie ihren sozialen Status und zeigten, dass sie die Praxis der bürgerlichen Grabmalkultivierung beherrschten. Dennoch war auf einem weitläufigen Friedhof wie in Ohlsdorf nicht auszuschließen, dass für unterschiedliche Gräber ein Motiv als Galvanoplastik bestellt und eine Bronzereproduktion des Motivs bzw. ein fast identisches Motiv in Auftrag gegeben wurden. Auf eine derartige Situation stoßen wir bei dem Gemeinschaftsgrab der Familien Schwarz/Selle (1906), das mit der galvanoplastischen ›Trauernden‹ von Fidel Binz geschmückt wurde, und auf der Grabstätte Neidhardt/Reimer (1914), die eine fast identische Bronzeplastik von Moritz Wolff zeigt (Abb. 314, Abb. 315). Gründe für eine derartige Dopplung sind schwer zu rekonstruieren. Es lässt sich aus heutiger Sicht nicht nachweisen, ob die Galvanoplastik von 1906 als Vorbild für die Bronzeausführung von 1914 diente oder ob umgekehrt die Bronzeplastik vorsorglich zu Lebzeiten in Auftrag gegeben und auf Ausstellungen präsentiert wurde, so dass sie dem Galvanoentwurf Pate stehen konnte. Ebenso ist es möglich, dass beide Künstler auf das gleiche Motiv aus Vorlagenbüchern zurückgegriffen hatten.

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Abb. 314: Galvanoplastik am Familiengrab Schwarz/Selle (1906), Fidel Binz (WMF), Fried­ hof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 315: Bronzeplastik am Familiengrab Neidhardt/Reimer (1914), Albert Moritz Wolff, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 316: Schematischer Lageplan Friedhof Ohlsdorf (1890er Jahre)

Kapitel 4

So sehr sich beide Figuren äußerlich glichen, lagen die maßgeblichen Unterschiede für die Fragen nach Reproduzierbarkeit, Aura und Authentizität gar nicht im Motiv oder im Material, sondern im Ort ihrer Aufstellung. Während die Bronzeplastik der Familien Neidhardt/Reimer auf einer Großgrabstätte an der exponierten Cordesallee zu finden war, wurde die Galvanoplastik für das Familiengrab Schwarz/Selle innerhalb eines Grabfeldes hinter der Kapelle 6 – gewissermaßen an der Peripherie des Friedhofs vor seinen Erweiterungen – in Szene gesetzt (Abb. 316). Wie bereits in der Untersuchung zur Geschichte des Ohlsdorfer Friedhofs angeschnitten, offenbart der Begräbnisplatz einen Raum, auf dem sich eine gesellschaftliche Sozialtopographie niedergeschlagen hatte: Die Art der Inszenierung – bestehend aus Ausführung, Material und Lage – spiegelte die soziale Verortung bürgerlicher Familien innerhalb der Gesellschaft. Sowohl die serielle Galvanoplastik als auch die als exklusiver geltende Bronzeplastik stellten Statussymbole und Prestigeobjekte dar. Sah man ihren Oberflächen die feinen Unterschiede kaum an, verriet doch der Standort die soziale Zugehörigkeit, so dass die Grabmäler gezielt als Distinktionsmittel eingesetzt werden konnten. 4.6.3 Soziale Distinktion Inwiefern derartige Inszenierungsentscheidungen bewusst verliefen, kann anhand der Quellenlage nicht nachgewiesen werden. Das Phänomen der weiblichen Grabplastik im europäischen Vergleich lässt aber erkennen, dass hochwertige Materialien und Unikate verstärkt an exponierten Plätzen, hingegen Galvanofiguren eher in weniger exklusiven Grabfeldern zu finden waren. Auftraggebenden und Grabeignern wäre also in der historischen Retro­ spektive zu unterstellen, dass sie die unterschiedlichen Spielarten der sozialen Selbstdarstellung und Abgrenzungsmechanismen – wenn auch unbewusst – beherrschten.

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Der Wunsch nach Distinktion im Mikrokosmos der bürgerlichen Schichten resultierte im späten 19. Jahrhundert aus der zunehmenden Ausdifferenzierung aller sozialen Milieus innerhalb der Gesellschaft.243 Am Beispiel Hamburgs lässt sich dezidiert zeigen, dass das Bedürfnis nach Selbstpositionierung und Abgrenzung aus den bürgerlich republikanischen Idealen und dem Erwerb des Bürgerrechts resultierte. Durch die Möglichkeit, die soziale Position selbst zu beeinflussen und innerhalb der Sozialhierarchie zu behaupten, boten bürgerliche Ideale wie Fleiß und Strebsamkeit das Fundament, auf dem das Individuum seine »bürgerliche Persönlichkeit« erarbeiten und zum Staatsbürger werden konnte. Der Status des Bürgers war in Hamburg im 19.  Jahrhundert an das Bürgerrecht gekoppelt. Bürgerrechte hatten „Groß-“ und „Kleinbürger“ mit Grundbesitz sowie Personen der Mittelstandskreise, die zwar ohne Grundbesitz, aber auf Grund ihres wachsenden Einkommens das erforderliche Bürgergeld aufbringen und sich den Status des Bürgers erkaufen konnten.244 Verantwortlich für das Erstarken der Hamburger Mittelschicht infolge der wirtschaftlichen Blüte waren mehrere Faktoren: Zum einen begünstigten die politischen Veränderungen durch den Beitritt Hamburgs in den Norddeutschen Bund und die spätere Angliederung der Hansestadt an das Deutsche Reich den Handel im Binnenland. Zum anderen hatte sich mit der Industrialisierung das Schiffsbaugewerbe nachhaltig verändert, so dass durch neuartige dampfbetriebene Schiffstypen mit größeren Ladekapazitäten Märkte in Amerika und Afrika erschlossen und ausgebaut werden konnten. Mit der Zuarbeit für diese expandierenden Wirtschaftsfelder entstanden neue Tätigkeitsbereiche, die viele Menschen aus dem Umland in die Hansestadt zogen und die Mittelstandskreise erstarken ließen.245 Angesichts der dennoch geringen Zahl der Bürgerrechtsinhaber in Relation zur Gesamtbevölkerung Hamburgs – um 1880 hatten ca. 30.500 Männer von ca. 454.000 Einwohnern das Bürgerrecht – wurde 1896 das Bürgergeld abgeschafft und durch eine mehrjährige Steuerleistung als Voraussetzung für den Erwerb des Privilegs ersetzt. So umfasste die Gruppe der Bürgerrechtsinhaber bis ins späte 19.  Jahrhundert neben Händlern, Reedern, Industriellen, Banken- und Versicherungsgründern auch Handwerker, Einzelhändler, mittlere Angestellte, Beamte und Angehörige freier Berufe.246 Die Loslösung des Bürgerrechts vom Grundbesitz offenbarte ein wesentliches Merkmal des bürgerlichen Wirtschaftswesens: Geld hatte seit dem späten 18.  Jahrhundert einen Wandel vom reinen Tauschmittel zum Kapital vollzogen, so dass Güter als soziales Distinktionsmittel eingesetzt werden konnten und zur gesellschaftlichen Identitätsvergewisserung der »neuen« Bürger dienten.247 Diese Tendenzen schlugen sich auch in der Grabmalkultur nieder. Zum einen hatte sich das Bildungs- und Wirtschaftsbür-

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gertum an der aristokratischen Gedenkkultur und Selbstdarstellung orientiert, strebte aber eine Abgrenzung gegenüber dem Adel durch einen eigenen, spezifisch bürgerlichen Habitus an: „Die inneren Werte des Bürgertums sollten die äußere Prachtentfaltung des Adels überstrahlen und in den Schatten stellen.“248 Gleichzeitig war dieses arrivierte Bürgertum um eine Abgrenzung gegenüber den aufstrebenden Mittelschichten bemüht, um den eigenen Status innerhalb der Gesellschaft zu behaupten. Zum anderen entwickelten die Mittelstandskreise einen Lebensstil, der die Zugehörigkeit im Kreis des Bürgerlichen repräsentierte, so dass auch von ihrer Seite eine Abgrenzung zu niedrig stehenden Schichten notwendig schien: „Die meisten [der Mittelstandskreise, Anm. A. G.] hatten sich dank kleiner Ersparnisse […] eine bescheidene Existenz aufgebaut. […] Da sie in ihrem Lebens- und Wirkungsbereich mit der armen, besitzlosen Bevölkerung täglich Kontakt hatten, bemühten sie sich um eine bewusste Abgrenzung.“249

Die Inszenierungsstrategien rund um die ›Trauernden‹ offenbaren, dass die Grabmalkultur ein Feld bot, auf dem distinktive Praktiken kultiviert und finale Zeichen der Selbstverortung innerhalb der Sozialhierarchie gesetzt werden konnten.250 Nicht nur dem künstlerischen Stil, sondern auch den Materialien und Oberflächen hafteten die feinen Unterschiede der Bürgerlichkeit an. Je nach biographischem Hintergrund konnten die Figuren als Mittel dienen, den sozialen Status zu untermauern, die Zugehörigkeit einer bestimmten Schicht anzuzeigen und die Abgrenzung zu anderen Schichten sichtbar zu machen. Obgleich parallel zur Ausdifferenzierung des sozialen Feldes auch das Repertoire des Habi­ tus vielfältiger wurde, zeigt das Phänomen der weiblichen Grabplastiken, dass es das Bedürfnis gab, diesen schichtspezifischen Habitus zu versteinern und der Nachwelt zu hinterlassen.

4.7 Projektionen des Diesseits Grabmäler haben für Tote keine Bedeutung, sondern nur für die Lebenden. So banal diese Aussage erscheint, so komplex ist sie doch, denn für die Gruppe der Lebenden verändert sich die Bedeutung der Grabstätte je nach innerer Haltung zu ihr. Der Sinngehalt variiert je nachdem, ob die Lebenden das Grabmal in Vorsorge auf den Tod einrichten, ob sie als Hinterbliebene in Trauer um die Toten an das Grab treten oder ob sich die Hinterbliebenen an dieser Stelle ihrer eigenen Sterblichkeit bewusst werden. Diese Perspektivwechsel machen aus den weiblichen Grabplastiken nicht nur Statussymbole und Prestigeobjekte, sondern auch Projektionsflächen für die Ängste und Wünsche der Lebenden.

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Grabmäler können für die Nachwelt per se als Memento mori fungieren, weil sie die Betrachtenden auf ihre eigene Sterblichkeit verweisen, also auf ihr temporäres Dasein oder drastischer: auf ihr Noch-Dasein. Das Grabmal galt den Toten, aber auch den Lebenden – möglicherweise galt es den Lebenden viel mehr noch als den Toten, weil sie es erlebten. Mit Blick auf die Lebenden lässt sich über die Inszenierung von Grabmälern nicht nur rekonstruieren, wie der zeitgenössische Umgang mit der Trauer um die Verstorbenen war, sondern auch, wie mit der eigenen Sterblichkeit und mit dem Weiterhin-Dasein umgegangen wurde. Vor dem mentalitätshistorischen Panorama haben wir es im Folgenden mit Diskursen zu tun, die Vorstellungen über Jenseits, Endlichkeit oder Ewigkeit hervorbrachten und für die zeitgenössische Rezeption der weiblichen Grabplastiken eine Rolle spielten. Konnte bisher gezeigt werden, inwiefern die ›Trauernden‹ als Bekenntnis zu bürgerlichen Idealen und gegen das Vergessen des individuellen Lebenswerks installiert wurden, lohnt sich darauf aufbauend der Fokus auf die innerweltlichen Imaginationen und unbewussten Sinnstiftungen, die auf die Figuren projiziert wurden. 4.7.1 Glaubensgemeinschaft, Leid und Bekennntiskultur „Unsere hysterisch Kranken leiden an Reminiszenzen. Ihre Symptome sind Reste und Erinnerungssymbole für gewisse (traumatische) Erlebnisse. […] Auch die Denkmäler und Monumente, mit denen wir unsere großen Städte zieren, sind solche Erinnerungssymbole […] Diese Monumente sind also Erinnerungssymbole wie die hysterischen Symptome.“251 Unter welchen mentalitätshistorischen Voraussetzungen werden Bilder von Trauer, Schmerz und Leid oder auch von Trost und Zuversicht, wie wir sie in den weiblichen Grabplastiken finden, notwendig? Es lohnt sich, ein Erklärungsmodell heranzuziehen, das Peter Burschel in seiner Untersuchung über die Kultur des Martyriums in der Frühen Neuzeit entwickelt hat.252 Er sieht in den Darstellungen des Martyriums eine Komponente, die den Gläubigen Trost vermitteln sollte bzw. von ihnen als tröstlich wahrgenommen werden konnte. Burschels kulturanthropologische Perspektive ermöglicht, das Martyrium als Medium kollektiver Leidenserfahrung sowie kollektiver Erinnerung und Selbstvergewisserung zu verstehen. Seiner Ansicht nach trug die Vermittlung des kollektiven Leids im Martyrium dazu bei, „aus Glaubensgemeinschaften Bekenntnisgemeinschaften und aus Bekenntnisgemeinschaften Bekenntniskulturen werden zu lassen

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[…].“253 Indem beispielsweise das Martyrium in den frühreformatorischen Flugschriften „das eigene Leiden in einer Welt voller Trübsal als apokalyptisches Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft“ präsentierte, die sich als „Leidensgemeinschaft der evangelischen Wahrheit sicher sein darf“, weckte es Trost und Zuversicht.254 Das Martyrium bot Sinnstiftung und Hoffnung auf Erlösung. Diese Sichtweise lässt sich als ein Gedankenexperiment auf das Bürgertum im Untersuchungszeitraum übertragen. Auch Teile des Bürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts können als eine »Glaubensgemeinschaft« gesehen werden – allerdings nicht zwingend in religiösem Sinne, sondern im Sinne Max Webers als Glaubensgemeinschaft seiner Errungenschaften, Ideen und selbstreferenziellen Ideale wie Strebsamkeit, Fleiß und Solidität.255 Unter dem Einfluss der Erfahrung eines kollektiven Leids wird diese Glaubensgemeinschaft ebenso zu einer Bekenntnisgemeinschaft mit ihren spezifischen Bekenntniskulturen, wie sie Burschel zum Martyrium beschrieben hat. Die ›Trauernde‹ ist als Teil dieser Bekenntniskulturen zu verstehen und damit Ausdruck einer äußerst komplexen emotionalen Verfasstheit um die Jahrhundertwende. Wird die Verkettung Glaubensgemeinschaft-Leid-Bekenntniskultur im Einzelnen aufgeschlüsselt, können die innerweltlichen Bedingungen, unter denen sich die ›Trauernden‹ zu einem wirkmächtigen Bild etablierten, beleuchtet werden. Ein Vergleichsterrain, auf dem sich Burschels Ansatz in Bezug auf das Phänomen der weiblichen Grabplastik anwenden lässt, bietet Thomas Manns Geschichte der lübeckischen Kaufmannsfamilie »Buddenbrooks – Verfall einer Familie« (1901).256 Indem der Werdegang dieser Familie im Verlauf des 19. Jahrhunderts über vier Generationen beschrieben wird, treten jene Kontinuitätsbrüche, Ängste und inneren Vorstellungswelten zutage, die für die bürgerliche Welt vor der Jahrhundertwende symptomatisch waren. Der Roman, für den Thomas Mann 1929 den Nobelpreis erhielt, stellt zwar keine autobiographische Primärquelle dar, lässt sich aber durchaus als Zeitdokument heranziehen.257 Entlang der Familiengeschichte der Buddenbrooks stehen in den ersten beiden Generationen ein Streben nach größeren Geschäftsabschlüssen, lukrativen Tätigkeiten an der Börse und öffentlichen Ämtern im Mittelpunkt, aber auch soziokulturelle Aspekte wie die Wahrung des Familienrufs oder repräsentative, dem Stand entsprechende Einladungen, Verheiratung, Kleidung, Personal und Ausstattung des Hauses. Dies alles steht unter der Familientradition eines immer wieder beschworenen Credos: „Sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir bey Nacht ruhig schlafen können!“258 In der dritten Generation nach den Revolutionsjahren beginnt sich der „Verfall“ zunehmend abzuzeichnen, bis schließlich die vierte Generation der Verantwortung des Familienerbes nicht mehr standhält. Besonders

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Thomas Buddenbrook, der älteste Sohn dieser dritten Generation, offenbart nach der Übernahme des Familienunternehmens jenes protestantische Arbeitsethos, das für das Bürgertum der Hansestädte als charakteristisch galt. Er entspricht jenem „gespannten Heldentypus“, der tief in einem Fundament verwurzelt ist, das auf der Ethik des Protestantismus basierte, auf der friderizianischen Pflichterfüllung, auf Kants kategorischem Imperativ und auf Schopenhauers Postulat eines „heroischen Lebenslaufs“.259 Thomas Buddenbrook durchläuft eine solide Schulbildung, eine gewissenhafte Berufsausbildung im Ausland, er bemüht sich um die Geschäfte, die Vermählung mit einer »guten Partie«, um das wirtschaftliche und gesellschaftliche Ansehen, um Vergrößerung und Ausbau des Besitzes. Er bemüht sich – dennoch klingen mit fortschreitender Lebenserfahrung Angst vor Konventionen, Zweifel an der Zukunft, Überforderung, Erschöpfung und Verunsicherung an. Kurz vor seinem Tod resümiert er, sein Dasein „[…] war kein anderes mehr als das eines Schauspielers, eines solchen aber, dessen ganzes Leben bis auf die geringste und alltäglichste Kleinigkeiten zu einer einzigen Produktion geworden ist, einer Produktion, die mit Ausnahme einiger weniger und kurzer Stunden des Alleinseins und der Abspannung beständig alle Kräfte in Anspruch nimmt und verzehrt […].“260

Das bürgerliche Leid an den Nerven Der erfolgreiche Kaufmann, das geforderte Individuum, empfindet sich als Produktion, die von den täglichen Herausforderungen überfordert und aufgezehrt wird. Diese Selbsterfahrung markierte das kollektive Leid des Bürgertums. Nicht nur im Roman, sondern auch in den bürgerlichen Lebenswelten resultierte es aus den Anstrengungen und Mühen, dem Emporstreben und dem Leistungsdruck, dem körperlichen und nervlichen Verschleiß. Mit dem sozialen Aufstieg bestimmter bürgerlicher Kreise und dem Bemühen, den gesellschaftlichen Status zu erhalten bzw. auszubauen, zeichneten sich allgemein Ermüdungserscheinungen ab, ein kollektives Leid, das körperlich, seelisch und mental erlitten wurde. Obwohl Emotionen in der Geschichte wissenschaftlich nur schwer zu fassen oder zu rekonstruieren sind, lässt sich dieses schichtspezifisch bürgerliche Leid an vielen Stellen bis zum Ersten Weltkrieg nachweisen. Wie ein Sediment schlug es sich in Verbindungen aus Literatur, Ethik, Medizin und Psychoanalyse nieder und verfestigte sich dort unter Schlagworten wie Trägheit, reizbare Schwäche oder Nervenleiden: „It was interesting to physicians as well as philosophers, sociologists, and aesthetes for what it suggested about the fragility of the self under the conditions of industrial society.“261

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Bei den Buddenbrooks spielt das Leiden über die Generationen hinweg eine immer größere Rolle und Thomas Mann räumte den Nerven darin einen prominenten Platz ein. Besonders die Geschwister der dritten Generation – Thomas, Antonie, Clara und Christian – leiden. In ihrer regesten Schaffensphase kommt es zu einer langen Reihe belastender Verkettungen: riskante Kalkulationen und Fehlentscheidungen, das bleibende Pflichtbewusstsein nach stetigem Aufstieg neben dem Wunsch nach Individualisierung und Unabhängigkeit, der zunehmende Konkurrenzkampf mit anderen aufstrebenden Familien in Lübeck und die Hansestadt als Bühne der öffentlichen Beobachtung. Das Familienvermächtnis drückt auf unterschiedliche Weise auf das Seelenleben der Geschwister und äußert sich in unterschwelligen Erkrankungen. Thomas, der das Familienunternehmen nach dem Tod des Vaters übernimmt, empfindet Unruhe und Beunruhigung, ­Antonie leidet nach zwei Scheidungen und vergebenen Mitgiften unter einem nervös gereizten Magen, Clara scheint hinter allgemeiner Schwäche zunehmend zu verschwinden und Christian quälen von der Pubertät an Schluckbeschwerden und verkürzte Nerven im Bein, bis er schließlich wegen Hypochondrie und geistiger Umnachtung in einer Nervenheilanstalt in Hamburg endet. Unter dem Druck der äußeren Konventionen und des inneren Leidens kommen die Geschwister Thomas, Antonie und Christian fast floskelhaft für sich immer wieder zu dem Punkt: „Ich kann es nun nicht mehr.“262 Thomas Mann skizzierte in den Buddenbrooks die angespannte Gefühlswelt des Bürgertums zwischen individuellen Zielen und gesellschaftlichem Erwartungsdruck. Es ist zu vermuten, dass es zahlreiche Familien vor der Jahrhundertwende gab, die vergleichbaren emotionalen und physischen Leiden ausgesetzt waren, wie sie in den Buddenbrooks exemplarisch angelegt wurden. Nachkömmlinge aus Familien, die den Bürgerstatus früh erworben hatten, standen nicht nur in der Pflicht des Statuserhalts, sondern auch der Familientradition und des Familienvermächtnisses. Gleichzeitig standen Personen, die gerade erst in den Bürgerstand aufstrebten, nicht weniger unter Leistungs- oder Erwartungsdruck. Im Gegenteil: Sie hatten sich vielmehr noch im Geflecht von Arbeitsethos und Verhaltenskodex zu behaupten. Alle bürgerlichen Schichten bestanden mehr oder weniger aus Einzelkämpfern, die sich auf einem schmalen Grat bewegten, auf dem gesellschaftliche Konventionen und individuelle Lebensführung immer wieder aufs Neue austariert werden mussten. An dieses komplexe Konstrukt war nicht nur die eigene Identität gekoppelt, sondern auch die Existenz. Ein Zweifeln oder Scheitern an ihm konnte in Zukunfts- und Existenzängste münden, die sich bei vielen in physischen und/oder psychischen Leiden äußerten. Das kollektive Leiden dieser Epoche wurde jedoch nicht zwingend als gemeinsame Erfahrung erlebt, sondern eher als Vereinze-

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lung wahrgenommen. So empfinden die Buddenbrook-­Geschwister ihr individuelles Leid nicht als verbindende Komponente, sondern entfernen sich dadurch zwischen harmlosem Abtun und moralischer Verurteilung voneinander. Diese Verbindung von Vereinzelung und kollektivem Leid vertieft Thomas Mann auch in einem wesentlich späteren Roman, im „Zauberberg“ (1924). Er entwirft ein Sanatorium mit seinen Patientinnen und Patienten als ein kalei­doskopartiges, pathologisiertes Schaubild des leidvollen Vereinzelungsprozesses.263 Thomas Mann war nicht der einzige Autor, der sich dieser Thematik widmete – Literatur und Theater der Jahrhundertwende erscheinen beinahe als Kompendium für die subjektive Erfahrung mit dem Leid in und an der Gesellschaft. Dieser Zustand spiegelt sich beispielsweise im inneren Monolog von Arthur Schnitzlers „Leutnant Gustl“ (1900), nachdem der Protagonist von einer gesellschaftlich tiefer stehenden Person gekränkt wird und er schließlich mit den Möglichkeiten hadert, die seine Ehre vor der bürgerlichen Gesellschaft und Öffentlichkeit wieder herstellen würden.264 Der strenge Verhaltenskodex des Militärs und die normativen Konventionen zur Zeit der k. u. k. Monarchie verursachen in ihm derartige Ängste, dass er sich in einer Innensicht zwischen Zweifel, Obsession und Neurose zu verlieren droht. In zahlreichen Texten, z. B. in den Schriften von August Strindberg und Robert Musil oder der autobiographischen Verteidigungsschrift von Daniel Paul Schreber, tritt nun eine psychoanalytische Dimension zutage, die das Leiden an Leistungsdruck und Erwartungshaltung in eine pathologische Sphäre hebt.265 Unterschiedliche Epochen bringen ihre spezifischen Krankheiten und Heilungsmethoden hervor. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Nährboden für das Interesse an den Nerven und ebnete den Weg zur Psychoanalyse.266 Die Nervosität, auch Nervenleiden oder Neurasthenie, konnte erst nach der deutschsprachigen Veröffentlichung der amerikanischen Abhandlung über die Nerven von George Miller Beard benannt und diagnostiziert werden. Sie war ein schwer zu fassendes Krankheitsbild. Symptome reichten etwa von Schwäche, Trägheit, Muskelzucken und Schwitzen bis zu Angstzuständen und Hypochondrie. Als Ursachen wurden Vererbung und Disposition, plötzliche Schicksalsschläge oder andauernde Überanstrengung, die moderne Kultur, Sexualität oder bestimmte Berufe bewertet. Das Nervenleiden galt als nicht heilbares Leiden wie ein lebenslängliches Urteil, bis es mit der Psychoanalyse durch Sigmund Freud als therapierbar teils entdämonisiert werden konnte. Die Geschichtsforschung rekonstruiert für das „Zeitalter der Nervosität“267 einen soziokulturellen Wandel: Zunächst wurde das Nervenleiden von Ärzten des späten 19. Jahrhunderts als Zivilisationskrankheit deklariert, vor der Jahrhundertwende dann war es derart verbreitet und bekannt, dass es zu einem allgemeinen Kulturzustand stilisiert wurde, bis

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schließlich die Masse an „behandlungsbedürftigen Nervösen“ das Entstehen der psychoanalytischen Therapie begünstigte und in seinen Ausläufern bis über den Ersten Weltkrieg hinausreichte.268 Bürgerliche Bekenntnisgemeinschaft und Bekenntniskulturen Burschels Verknüpfung von Glaubensgemeinschaft, Leid und Troststiftung lässt sich als Gedankenexperiment in Bezug auf die weibliche Grabplastik für das bürgerliche Zeitalter fortsetzen. Das Phänomen der nervösen inneren Zerrissenheit war in bürgerlichen Kreisen der Jahrhundertwende bekannt und das Wissen darum machte aus der Glaubensgemeinschaft »Bürgertum« eine Bekenntnisgemeinschaft, die in bestimmten Praktiken Trost bzw. Erholung suchte. Angesichts der „epidemieartigen Ausbreitung der Nervosität“269 soll nicht der Eindruck entstehen, als hätte sie die gesamte Bevölkerung gleichermaßen getroffen.Sie war keineswegs eine egalitäre, demokratische Krankheit, sondern hatte sowohl in Nordamerika wie auch in Europa, sowohl in ihren frühen Anfängen um 1800, als sie noch keinen spezifischen Namen trug, wie auch in ihrer späteren Hochphase um 1900 eine bevorzugte Klientel: „enervated society ladies, hypersensitive bohemians, and, increasingly, overworks men of the professional classes.“270 Das Leiden an den schwachen Nerven war ein schichtspezifisches Phänomen, in dessen Epizentrum die bürgerlichen, teils auch aristokratischen Kreise standen. Fabrikarbeiter und Dienstboten litten eher an den Folgen monotoner, körperlicher Arbeit und hygienisch fragwürdiger Wohnverhältnisse, „aber durch und durch nervös ist eigentlich nur das Bürgertum.“271 Ärzte und Moraltheoretiker sahen die Mittel- und Oberschichten als stärker prädestiniert, weil sie massiver den gesellschaftlichen Konventionserwartungen und wirtschaftlichen Beschleunigungsprozessen ausgesetzt waren als die unteren Schichten. Rudolph von Hösslin untermauerte diese These in dem Neurasthenie-Handbuch von 1893 mit einer Statistik der begünstigten bzw. gefährdeten Berufe: An erster Stelle standen Kaufleute, gefolgt von Unternehmern, Beamten und Lehrern – am Ende der Auflistung stand der Beruf des Landwirts.272 Thomas Buddenbrook bestätigt diese Auffassung vom leidenden Kaufmann, wenn die Anforderungen im Kontor oder an der Börse an seinen Nerven zehrten: „Nur ein Wunsch erfüllte ihn dann: dieser matten Verzweiflung nachzugeben, sich davonzustehlen und zu Hause seinen Kopf auf ein kühles Kissen zu legen.“273 Auch der zeitgenössische Historiker Karl Lamprecht sah den Unternehmer im Fokus des Nervenleidens. Hatten Fabrikation, Transport und Verkauf im freien Unternehmertum des frühen 19.  Jahrhunderts meist noch in ein und derselben Hand gelegen,

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führte in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts die Zergliederung in Kommissions- oder Zwischenhandel sowie die Bildung von Kartellen und Vereinen zwangsläufig in eine allgemeine Überforderung und Ermüdung des Unternehmers: „Denn da er [der Unternehmer; Anm. A. G.] die Wirtschaftsformen, innerhalb deren er sich bewegt, alle rationalisiert hat oder sich im höchsten Grad bestrebt ist zu rationalisieren, so vermag er auch sozusagen jeden Augenblick, jede Zuckung seiner Geschäfte und der Basis derselben mitzuerleben […] Einem Gefühl mit positiven Vorzeichen folgt ein solches mit negativen, und der nach Ablauf des Affektes einsetzende Zustand der Indifferenz zeigt sich noch gefärbt von dem zuletzt erlebten Vorzeichen. […] Dann kommt es zu einem jagenden Durcheinander der Gefühlskontraste, zu einer Hetze der Empfindungen: und das Ergebnis ist ein belastendes Bewußtsein der eigenen Kapriziosität, ist Unlust- und Spannungs- und Erregungsgefühl zugleich, – ist Nervosität.“274

Thomas Mann legte die Nervenschwäche in der Familiengeschichte der Buddenbrooks ebenfalls in einer historischen Dimension an, indem bereits in einem früheren Kapitel der Vater von Thomas in einem Brief an seinen Sohn andeutet, dass dessen Leiden auch ihm vertraut sind: „Bei alldem schmerzt es mich, daß Deine Gesundheit sich nicht völlig auf der Höhe befindet. Was Du mir von Nervosität geschrieben, gemahnte mich an meine eigene Jugend, als ich in Antwerpen arbeitete und von dort nach Ems gehen mußte, um die Kur zu gebrauchen. Wenn etwas Ähnliches sich für dich als nötig erweisen sollte, mein Sohn, so bin ich, versteht sich, bereit, Dir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, wiewohl ich für uns andere derartige Ausgaben in diesen politisch unruhigen Zeiten scheue.“275

Der Vater bekennt sich zur Nervosität, er bietet dezent Hilfe an, fragt aber nicht eigeninitiativ nach den Umständen oder Empfindungen. Er stellt zwar die Unterstützung für einen Kuraufenthalt in Aussicht, allerdings unter der Einschränkung, dass er derartige Mehrkosten sich selbst und anderen Familienmitgliedern nicht zugestehe. Diese Einschränkung appelliert an die Verantwortung gegenüber dem Familienunternehmen und scheint auf Thomas wiederum Druck ausgeübt zu haben, das Thema letztlich fallen zu lassen. Betrachten wir das literarische Beispiel der Buddenbrooks im Kontext des Zeitgeistes, dann markiert jenes Bekenntnis des Vaters die bürgerliche Glaubensgemeinschaft als Bekenntnisgemeinschaft. Das Leid wurde in der Vereinzelung erlebt und im Wissen voneinander im Kollektiv ertragen. Abhilfe vom kollektiven Nervenleiden wurde im Alltag unter anderem in der Flucht in Ver-

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gnügen, Musik und Kunst, in der Zerstreuung in Clubs, Kabaretts oder auf Amüsiermeilen gesucht. Heilung versprachen Ruhephasen und Klimawechsel in Luftkurorten oder Seebädern, medizinisch professionelle Hilfe boten Heilanstalten und Sanatorien.276 In diesen Institutionen manifestierten sich die Bekenntniskulturen der nervösen Epoche – unter den unzähligen Leid­tragenden herrschte eine unausgesprochene Chiffrenkenntnis voneinander, die unter dem Gemeinplatz »Club«, »Bad« oder »Kur« dechiffriert werden konnte, ohne an der Contenance zu rühren. In diesen Chiffren schuf die bürgerliche Bekenntnisgemeinschaft ihre Bekenntniskulturen. 4.7.2 Eros und Thanatos Weiblichkeit als das Einende Teil dieser Bekenntniskulturen war die weibliche Grabplastik. Sie wirkt wie ein finales Zeichen, das auf den Gräbern für das Lebensende kultiviert wurde. Sie wies die Verstorbenen als Teilhabende der bürgerlichen Glaubens- und Bekenntnisgemeinschaft aus. Aus diesen ästhetisierten und repräsentativen Objekten spricht eine Sehnsucht nach Ganzheit und Harmonisierung: „Die Fragmentierung der Arbeits- und Wissenschaftswelt, ja der Lebenswelten, steigert das Verlangen nach Ganzheiten. Das verspricht die Kunst zu befriedigen.“277 Das Bürgertum verband mit Kunst Reinheit, Ursprünglichkeit und Emotionalität. Hinter der Anschaffung und Aneignung von Kunstgegenständen verbarg sich die Hoffnung, die Geschäftigkeit, Zerrissenheit und Vernunft des bürgerlichen Subjekts ergänzen oder vielmehr ausgleichen zu können. Der Grabschmuck repräsentierte die Sehnsucht nach Vervollkommnung auch im Tod und wurde durch die intendierte Beständigkeit des Materials der Grabplastiken bekräftigt. Der Sozialwissenschaftler Max Weber vermutete, dass in der bürgerlichen Gesellschaft der Sphäre der Kunst die besondere Funktion einer „innerweltlichen Erlösung“278 vom Alltag bzw. vom theoretischen und praktischen Rationalismus zuteilwerden konnte. Die Kunst konstituierte sich zu einem selbstständigen, bewusst erfassbaren Eigenwert. Gleichzeitig avancierten ästhetisierte Objekte nach Georg Simmel in der fortschreitenden Entwicklung hin zum Gebrauchszweck und zur Alltagsästhetik zu einem Teil des bürgerlichen Habitus.279 Diese Verknüpfung von Erlösung und Lebensstil machte die weiblichen Grabplastiken einerseits zum Code für Trost durch Selbstvergewisserung, und andererseits zur Chiffre dafür, dass den Verstorbenen im Tod ein Ausgleich zum rationalen, aufwühlenden Lebensdasein begegnen konnte.

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Das Aufkommen des Hypnos- und Thanatos-Motivs in der Sepulkralkultur um 1800 hatte bereits den Wunsch nach Schlaf, Ruhe und Sanftheit angedeutet. Mit den Lebenserfahrungen, welche die Akteure und Akteurinnen des 19. Jahrhunderts durchlaufen sollten, wurde dieser Wunsch vom Motiv der ›Trauernden‹ zum Lebensende hin final eingelöst. Denn mit den wachsenden vielschichtigen Anforderungen an das bürgerliche Individuum war es nun das Bild von idealer Weiblichkeit, das Beruhigung und Ganzheit versprach. Im Fokus der Wissenschaften rund um Medizin, Körper und Geschlecht stand die „Beseitigung des Chaos und die Wiederherstellung von Ordnung, als Kampf gegen die Mehrdeutigkeit“ durch die „Repräsentanz“ und die „(Re)Mythisierung des Weiblichen“280. Entsprechend der bürgerlichen Geschlechts­ charaktere wirkten Bilder von idealer Weiblichkeit als einend. Auf die gleiche Weise, wie die Frau zu Lebzeiten die Familie harmonisieren und den Mann vervollständigen sollte, trat das Weibliche am Grab als Kompensatorium und Projektionsfläche in Erscheinung. Das Eine – Das Andere: Weiblichkeit als Projektionsfläche Die Voraussetzung für den Modus des Projizierens ist, dass die Projektionsfläche unbesetzt und damit bespielbar ist. Die bürgerlichen Geschlechtscharaktere basierten auf einer Matrix, nach welcher der Mann als das Eine – identifizierbare, normierende – und die Frau als das Andere – vom Mann abgeleitete und den Dualismus vervollständigende – festgeschrieben waren. „Die Frau ist demnach das Andere, das keine Stelle in der Norm hat, das aber gesetzt werden muss, um die Norm in Abgrenzung davon zu definieren.“281 In der Vorstellung von Weiblichkeit oszillieren folglich alle Desiderata, die der Mann in ihr angelegt hat, um zu seiner eigenen Vervollkommnung und Ganzheit gelangen zu können. Das Weibliche lässt sich als universelle Projektionsfläche für den männlichen Blick verstehen, die je nach Bedarf gefüllt, bespielt und vereinheitlicht wird: „Die Frau gilt als das sichtbar Andere, die Frau als Phantasie, als das ewig Fremde, Unerreichbare, die Frau als Zeichen männlichen Begehrens.“282 Im Bild von Weiblichkeit wurde immer das Phantastische, Sprunghafte angesiedelt, weil sie per se nicht als Konstante dargestellt werden konnte. Dieses Spezifikum ist durchaus kein Widerspruch zu dem eben vorgestellten Aspekt der Ganzheit durch die weibliche Figur, denn: Kontinuitätsbrüche und Paradoxa schlugen sich immer dann im Bild der Frau nieder, wenn der Mann sein Fundament der Kontinuitäten dahinschwinden sah und deshalb auf die Frau erneut Ganzheitsund Ewigkeitskonzepte projizierte. Am Familiengrab setzt sich der Eine, der konkrete, identifizierbare Verstorbene ein maßgeschneidertes Denkmal, indem die ›Trau-

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ernde‹ als das Andere, das ideale, phantastische Zeichen alle möglichen Desiderata im Diesseits wie im Jenseits ausgleicht. Die ›Trauernde‹ markiert in dieser Rolle nicht das Unvermögen des Mannes, sondern dient vielmehr als Vehikel, über das der Mann sein Streben und seinen Wunsch nach Vollendung und Vervollkommnung sichtbar machen kann. Das männliche Individuum hat sein bürgerliches Lebensideal erreicht: Es hat die Vollendung des Subjekts erlangt und als Beweismittel dafür die ›Trauernde‹ hinterlassen. Nun stellt sich die Frage, warum das Bedürfnis nach Vervollkommnung an eine idealisierte Plastik, ein statisches Kunstprodukt geknüpft wurde, und nicht an eine reale, lebendige, agierende Person, die das Versprechen auf Vervollkommnung hätte einlösen können. Diese Art der Weiblichkeitsinszenierung geht auf tradierte Motive aus dem Minnegesang und der Romantik zurück. Die Ausgangssituation ist folgende: Ein Mann begehrt eine Frau, die ihm z. B. auf Grund des Standes oder der familiären Verhältnisse verwehrt bleibt. Angesichts der vorherrschenden Reglements erfährt er ein Moment der Passivität, des Ausgeliefertseins und des Sich-fügen-Müssens. Da dieser Zustand den geschlechtsspezifischen Normativen widerspricht und so gesehen auch seine eigene männliche Ordnung gefährdet, wendet er eine Strategie an, die seinen Status des aktiven, interagierenden Mannes wiederherstellen kann: Selbstermächtigt entzieht er sich der Frau, z. B. indem er auf sie verzichtet oder von ihr Abstand nimmt. „Das Maß der Liebe mag Verlust sein, aber das Maß absoluter Liebe ist der Verzicht. Verlust lässt sich also wie die Liebe steigern. Verlust lässt sich von etwas, was passiv zu erleiden ist, umwandeln in etwas, was aktiv getan wird.“283

Der selbst herbeigeführte Entzug schafft zwar Distanz zwischen dem Mann und seinem Objekt der Begierde, doch gleichzeitig konstituiert sich in der Distanz die Möglichkeit für ein Phantasma. Dieses Phantasma liegt jenseits der Realität, kann auf der Projektionsfläche abgespielt werden und steigert letztlich das Begehren des Mannes. Der Mann ist nun in der Situation, den Status quo der Unerreichbarkeit nicht mehr erleiden zu müssen, sondern sich selbst als eigenmächtiger Akteur innerhalb des Szenarios der unerfüllbaren Liebe konstruieren zu können. Die unerreichbare Geliebte stellt die normierende, geschlechtsspezifische Ordnung wieder her und potenziert zudem die männliche Begierde auf ein passives, surreales, unbelebtes, weibliches Objekt (Abb. 317, Abb. 318). In der Literatur finden sich zahlreiche Beispiele für das Motiv der unerreichbaren Liebe284 – laut E. A. Poe ist das „poetischste Thema der Welt“ das unerreichbarste Objekt der Begierde: die tote, schöne Frau.285 Die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen widmete sich ausführlich den Inszenierungsstrategien von Weiblichkeit, Tod und Projektion:

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„Trauer und Melancholie sind, wie Poe meint, die ‚legitimsten poetischen Stimmungen‘, denn hier findet Schönheit ihren ‚höchsten Ausdruck‘. Weil es ihm um den höchsten Ausdruck des Lyrischen zu tun ist, um ‚Erhabenheit oder Vollkommenheit in jeder Hinsicht‘, folgert er, daß der Tod ‚offenkundig‘ der allgemein anerkannte Superlativ aller melancholischen Themen sei und daß dieses melancholische Thema dort am poetischsten sei, wo es ‚in engste Verbindung mit dem Schönen‘ trete. Die Verknüpfung von ‚Tod‘ und ‚schöner Frau‘ bietet ihm somit den unbegrenzten, allgemein anerkannten Superlativ seiner zwei Grundprinzipien ‚Melancholie‘ und ‚Schönheit‘.“286

Die weiblichen Grabplastiken können durchaus mit den literarischen Figuren verglichen werden, da sie zwar keine tote, aber eine steinerne, passive, unbelebte Weiblichkeit verkörpern. Die literarische schöne Tote wird wie die ›Trauernde‹ auf Grund ihrer manifestierten Passivität für die Wünsche und Erwartungen der Betrachtenden vollkommen verfügbar. Sowohl die unbelebte Materie der weiblichen Grabplastik als auch ihr Gestus als Wartende, Verharrende, ›Trauernde‹ machten eine emotionale, begehrende Projektion und erhöhende Idealisierung verstärkt möglich, denn: Die unerreichbare Frau ist einer konkreten, leiblichen vorzuziehen, weil sie passiv ist.287 Zudem kann die unerreichbare, weil unbelebte und rein imaginierte Frau das Begehren potenzieren, indem sie der zeitlichen Vergänglichkeit enthoben wurde: „alle Lust will Ewigkeit – will tiefe, tiefe Ewigkeit!“288 Anschaulich wird dies beispielsweise in dem Toten- und Gedenkkult, der zu Beginn des 20.  Jahrhunderts um die früh verstorbene Schauspielerin Annie Kalmar zutage trat. Ihr Grabmal wurde bereits als eines der wenigen Beispiele vorgestellt, das anstatt einer unkonkreten, idealisierten Grabplastik das identifizierbare Porträt der jungen Frau zeigt (Abb. 273). Dennoch lässt sich dieses Grabmonument als Projektionsfläche lesen, weil es ein Resultat des Verehrungskultes war, der die Schauspielerin schon zu Lebzeiten von ihren männlichen Anhängern und Verehrern umgab. So schrieb Peter Altenberg an und über Annie Kalmar ele-

Abb. 317: „Ophelia“, John Everett Millais (1851/52) Abb. 318: „Der Anatom“, Gabriel von Max (1869)

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gische Zeilen, die mehr über die männliche Projektion des Autors als die Person Annie Kalmar aussagen:

Abb. 319: Annie Kalmar, von Peter Altenberg beschriebene Photographie mit handschriftli­ chen Notizen für eine „Inschrift auf dem Grabstein in Hamburg“

„Die ‚schöne Frau‘ ist die vom Schöpfer in die Welt gesetzte Weckerin der Welt-Kräfte des Mannes! Sie allein bläst in die silberne Trompete und bringt die schlummernden trägen Seelen zum Erwachen und die Jericho-Mauern der Ruhe stürzen ein!! Daher ist nur die ‚schöne Frau‘ wirklich ein Gottes-Geschöpf, eine Segen-Spenderin, eine Heilige! Die Anderen hingegen suchen mit unzulänglichen Mitteln, des Geistes und des Herzens, die unersetzlichen einzig göttlichen Dinge der Schönheit dem blöden Manne entbehrlich zu machen. Fräulein Kalmar, meine Heilige, durch Ihren Anblick allein machen Sie jeden Abend, an dem Sie auftreten, tausend sonst im Tag-Leben beschwerte Männer leicht und glücklich, entführen dieselben gleichsam in die Reiche, welche Gott sich träumte. Wie die Sonne selbstlos der armen kleinen Erde ihre weißen Strahlen schenkt und ihre süße Wärme, so spenden Sie, die einzig wirklich Selbstlose unter den Wünsche-vollen Frauen, den letzten Born Ihrer Gnade diesen Unbekannten, nie Gesehenen, Fremden, welche diesen mit ihren Augen dankbar trinken. Segen über Sie!! [sic!]“289

Nach dem Tod von Annie Kalmar notierte Peter Altenberg auf einer Photographie der Schauspielerin die Idee zu einer Grabinschrift, die allerdings nicht realisiert wurde (Abb. 319): „Inschrift auf dem Grabstein in Hamburg: Annie Kalmar, als Gnadengeschenk des Schicksals wardst Du in diese hinsiechende Welt der Unvollkommenheiten gesendet ---.-! Ein Licht von süßer Anmuth und Menschlichkeit ging von Dir aus --, nun ist es wieder dunkel geworden auf Erden! Peter Altenberg [sic!]“290

Teil des Projektionsprinzips ist, dass durch die Unerreichbarkeit das Objekt der Begierde eine Erhöhung erfährt, die auf den männlichen Akteur zurückwirkt: „In der völligen Verdinglichung aber, als toter Körper, als Bild, das man sich in der Erinnerung schafft, sind der Besitz und das Begehren gesichert. Das Begehren ist auf ewig erhalten, weil es nun auf Dauer aufgeschoben, nie erfüllt, zugleich aber auch nie betrogen werden kann.“291

Die Inszenierung der weiblichen Grabplastiken als Projektionsflächen strahlte ebenfalls auf die Verstorbenen zurück, weil sich das Begehren der dargestellten Weiblichkeit zwar nicht einlösen, aber auf ewig materialisieren ließ. Die Unerreichbarkeit des Weiblichen resultierte aus der ideellen und räumlichen Überhöhung der Figuren. Nicht selten werden in Kunst und Literatur die unerreichbaren Frauenfiguren aufgebahrt, ausgestellt und vorgeführt, so dass sie durch die räumlich übertriebene Distanz zusätzlich erhöht werden

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wie ferne, heilige Kunstgegenstände.292 Auch die weiblichen Grabplastiken wurden häufig auf Sockeln und Podesten erhöht und damit sakralisiert. Liegende oder scheinbar schlafende Figuren wirken aufgebahrt wie in einem Schneewittchen­sarg (Abb.  320, Abb. 321). Meist reicht alleine aus, dass die Figuren so tief verschleiert oder mit gesenkten bzw. geschlossenen Augen ausgeführt wurden, dass sich die Blicke mit den Betrachtenden am Grab nicht kreuzen konnten. Durch diese Inszenierungsstrategien wurde den ›Trauernden‹ die Dimension der aktiven und konkreten Frau entzogen und der Blick auf das unerreichbar Weibliche freigegeben. Der Tod und das Mädchen „Death as a man, Death as a woman – paradoxically, the imaginative representation of the end implies a new beginning.“293 Die Konstruktion von idealer Weiblichkeit als Projektionsfläche von Ängsten oder Sehnsüchten hat in der abendländischen Kulturgeschichte eine lange Tradition. Insbesondere die Verknüpfung von Weiblichkeit und Tod in der Kunst war kein Novum des 19. Jahrhunderts, sondern ging zurück auf das gegensätzliche Paar von Eros und Thanatos, der Frau und dem Tod. Eros- und Thanatos-Motive erlebten unter anderem in den Totentanzdarstellungen des Mittelalters eine Hochphase und verfestigten sich im 16.  Jahrhundert zum eigenständigen Sujet „Tod und Mädchen“ (Abb.  322).294 Zum einen thematisierten diese heterosexuellen Paardarstellungen die Allgegenwart und Plötzlichkeit des Todes, der die Lebenden wie im Tanz aus dem Leben nimmt. Zum anderen spielten sie teils makaber, obszön oder erotisiert mit der Spannung zwischen Vanitas und Erotik. „Der Tod und das Mädchen“ entwickelte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zur Zeit der

Abb. 320: Liegende von Walter Schott (o. A.), Waldfriedhof Zehlendorf, Berlin Abb. 321: Grabmal Casati (1890), Enrico Butti, Cimitero Monumentale, Mailand

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Abb. 322: Witwe und Tochter aus dem Totentanzgemälde an der Ringmauer des Dominikanerklosters zu Bern, Niklaus Manuel gen. Deutsch, (1516 – 1519) Abb. 323: „Der Tod und das Mädchen“, Edvard Munch (1894)

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­ écadence und des Symbolismus eine besondere Intensität und D rückte nun in enge Bildverwandtschaft zur Femme fatale. Der kaum veränderten Personifikation des Todes, dem Skelett, wurde nun die Wollust, in Form von Schönheit, Körperlichkeit und vor allem selbstbestimmtem weiblichen Begehren, zur Seite gestellt (Abb. 323).295 Der Reiz der Eros- und Thanatos-Motive liegt in der Gegenüberstellung der beiden Personifikationen, denen es zustand, Leben zu geben und zu nehmen. Derartige Darstellungen sind Belege für die Beschäftigung der Menschen mit ihrer Endlichkeit im Diesseits. „Den physischen Tod gibt es nur für Lebewesen, die ausschließlich auf geschlechtliche Fortpflanzung angewiesen sind – demnach ist die Fortpflanzung die Negation des Todes.“296 Jener unwiderruflichen Endlichkeit des irdischen Daseins konnte mit einem Bild begegnet werden, das den Tod zu revidieren vermochte: dem Leben. Da an die Frau die Hoffnung auf lebenszyklisches Werden und Vergehen geknüpft wurde, konnte das Weibliche die einzig adäquate Kontrahentin des Todes sein. In dem Motiv „Der Tod und das Mädchen“ klingen dabei mehrere Deutungsebenen an. Die junge Frau scheint im Konnex Sterben und Tod dem Leben gewaltsam entrissen zu werden, so dass der Tod umso ungerechter und unfassbarer wirkt. Gleichzeitig stoßen in diesem Sujet die Unschuld des Mädchens und die Schuldigkeit einer Todesbestimmung diametral aufeinander. Das Bild der jungen Frau kompensiert die Unausweichlichkeit des Sterbens und des Todes, weil sie auf Grund ihres vitalen Gebärdens und ihrer unversehrten körperlichen Anwesenheit noch immer ist. Darüber hinaus widerlegt sie die Konsequenzen des Todes: Als Zeichen für Geburt und Neubeginn knüpft sich an sie die Hoffnung auf das Fortbestehen der menschlichen Spezies und das Gedenken durch die Hinterbliebenen, so dass sie das Prinzip Endlichkeit außer Kraft setzt und den Tod zu überwinden vermag.

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Hinsichtlich der weiblichen Grabplastiken war die Verknüpfung von Eros und Thanatos vor allem in der norditalienischen Grabmalkultur ausgeprägt. Im Gegensatz zu den sinnbildlichen Todesmetaphern in den Hypnos- und Thanatos-Motiven, die nach 1800 etabliert wurden, tritt hier um 1900 das Knochenskelett abermals in Erscheinung. Stilistisch zwischen Symbolismus und Naturalismus angesiedelt, weckten jugendliche, erotisierte Frauen in der Betrachtung eines Totenschädels oder im Tanz mit einem Skelett spannungsreiche Assoziationen zu Leben und Tod (Abb. 324, Abb. 325): „The Maiden portrayed alongside Death may still be ‚virginal‘ but she becomes more ambigous: the juxtaposition of Eros and Thana­ tos, and a certain complicity between the two, gives this theme its underlying eroticism.“297

Derartige Motive und Anspielungen waren in Frankreich, Deutschland oder der Schweiz weitaus seltener, obgleich die ›Trauernden‹ auch hier in der Vorstellungswelt der Eros- und ­Thanatos-Tradition sinnstiftend waren. Es schien allein die kontextuelle Aufladung des Friedhofraums auszureichen, um das Bild von lebenspendender Weiblichkeit im Kontrast zu Sterben und Tod wahrnehmen zu können. Die Bedeutung des Gegensatzpaares Leben/Tod ist nicht nur wirksam, wenn es in Form von Personifikationen gegenübergestellt wird, sondern selbst wenn der eine Aspekt Berührungspunkte mit dem Kontext des jeweils anderen Aspektes hat. Seit dem Paläolithikum gibt es Zeugnisse davon, dass Menschen mit Hilfe von Artefakten versuchten, „die Wirklichkeit des Todes zu bewältigen und zu gestalten.“298 Aus dieser Perspektive zeigt sich am Beispiel der weiblichen Grabplastiken, dass die Akteure und Akteurinnen des späten 19. Jahrhunderts für ihr eigenes Ableben Bilder kultivierten, die dem diesseitigen Leben zuge-

Abb. 324: Grabmal G.B. Lava­ rello (1914), Demetrio Paernio, Cimitero di Staglieno, Genua Abb. 325: Grabmal Celle (1891/94), Giulio Monteverde, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900)

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wandt waren und damit den Tod negierten. Der Umstand, dass es sich bei den Grabfiguren um plastische Objekte handelte, legt die Vermutung nahe, dass die Darstellung von Körperlichkeit, die nicht selten unterschwellig erotisch aufgeladen war, ein besonderes Potenzial hatte. Es ist nicht allein die Idee von Weiblichkeit, sondern der weibliche Körper, der das Versprechen auf Leben birgt, um den Tod zu überleben: „Der Eros weicht dem Sexus. Und während der Sexus flüchtig ist und tödlich, so garantiert der Eros das Kommende und Bleibende.“299 Die Bildverwandtschaft der ›Trauernden‹ zu den Eros- und Thanatos-Motiven bewegte sich angesichts der rigiden Geschlech­ terhierarchien des 19. Jahrhunderts auf einem schmalen Grat zwischen bürgerlicher Konvention und Contenance auf der einen Seite und bürgerlicher Doppelmoral und Bigotterie auf der anderen Seite. In beinahe jeder kunsthistorischen Epoche war die Darstellung von Erotik und Körperlichkeit von Interesse; und sie belegen alle, auf welche Art mit der Darstellung dessen, was im Bereich des Darstellbaren reglementiert war, umgegangen wurde. Die mittelalterlichen Totentänze sind ein Beispiel dafür, wie in christlich-religiösen Kontexten Lust und Leib in dechiffrierbaren Bildprogrammen in Szene gesetzt werden konnten. Auch in der Friedhofskunst des 19. Jahrhunderts wurden Verfahren und Chiffren entwickelt, um in Grabplastiken Körperlichkeit und Erotik durchscheinen zu lassen, ohne anstößig zu wirken und damit die Verstorbenen in den Bereich des Ungebührlichen zu rücken. Es ist anzunehmen, dass der Begräbnisplatz in der bürgerlichen Grabmalkultur nicht der Ort war, auf dem sich Akteure und Akteurinnen gezielt als außerhalb der Norm repräsentiert sehen wollten. Gleichzeitig markierte der Friedhofsraum eine Sphäre, in der – wie in allen anderen Lebenssphären auch – Diskurse um Anstand und Moral verhandelt wurden. Eine Analyse der Inszenierungsstrategien rund um die Aspekte Körperlichkeit und Erotik bietet am Beispiel der weiblichen Grabplastiken Einblicke in die Grenzgebiete von Sittlichkeit, Begehren und Projektion. Körperlichkeit Im Rückblick auf die ikonographische Bilderreihe wird deutlich, dass das Zurschaustellen des weiblichen Körpers im Kontext von Bildtraditionen als Bildzitat lesbar ist.300 Die Pathosformeln und Posen der weiblichen Grabplastiken waren nicht frei von erotischer Aufladung, erfuhren aber über die Bildverwandtschaft zu feststehenden Motiven und ihren Konventionen eine Legitimation für freizügige Körperlichkeit. In Anbetracht lasziver, nur teils bekleideter Grabfiguren stellt Kerstin Gernig die Frage, ob sie „bloß und unbekleidet, oder bloß bekleidet“ waren.301 Daran lässt sich anschließen, auf welche Weise die Formen von Unbekleidetsein

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und Bekleidung ein erotisches Potenzial bargen. Der europäische Vergleich der weiblichen Grabplastiken zeigt, dass nackte, vollkommen entblößte Figuren in der Minderheit gegenüber teilweise oder konventionell bekleideten Figuren waren. Besonders deutlich zeigen sich die Grenzverläufe der Codierungen in Darstellungen von Allegorien oder in Abbildungen von konkreten Frau wie bereits im Abschnitt über die Verstorbenen angedeutet wurde: „Die Bilder des ‚Weiblichen‘ unterscheiden sich. Die Mutter und die Braut tragen zeitgenössische Kleidung, sie sind ‚sittsam‘ bedeckt, ihre Haare sind meist hochgebunden […]: Die Allegorien dagegen zeigen häufig eine nackte Brust, manchmal auch einen nackten Oberkörper; ihre Kleidung ist ‚unzeitgemäß‘, an klassischen Vorbildern orientiert; sie entsprechen nicht den Regeln des 19. Jahrhunderts, wie sich Frauen in der Öffentlichkeit zu zeigen haben.“302

An die Darstellung von Nacktheit knüpften sich um 1900 Vorstellungen von Reinheit, Ursprünglichkeit und Unschuld.303 Einerseits verwies die Nacktheit im christlichen Kontext auf den Menschen vor dem Sündenfall – mit dem nackten Körper konnte die Hoffnung verbunden werden, dass der Mensch auf die gleiche Weise, wie er rein und unschuldig in das irdische Leben trat, auch aus dem Leben scheiden würde. Andererseits markierte der Akt in der Antikenrezeption des 19. Jahrhunderts das klassische Ideal vom vollkommenen, gottgleichen Menschen. So bewertete Georg Simmel die Darstellung nackter Körper bei Böcklin als Bildzitate auf die Antike und als Zeichen, die eine reine Menschlichkeit als höhere Daseinsform über dem Geschlechtlichen ansiedelten: „So entziehen sich viele weibliche Aktfiguren der Antike der Kategorie Mädchen oder Frau, – sie sind unberührt von Männlich und Weiblich, sie stellen eine bloße Menschlichkeit dar, die in die Differenzierung der Geschlechter noch nicht eingetaucht ist oder sich über sie hinausgerungen hat.“304

Der Großteil der gänzlich unbekleideten Grabplastiken vereinte beide Vorstellungen, so dass der nackte, weibliche Körper für Verletzlichkeit, Unschuld und Erhabenheit angesichts der irdischen Vergänglichkeit stand (Abb. 326, Abb. 327, Abb. 328). Dennoch waren in der Grabmalkultur die „Konnotationen der Nacktheit zwischen Unschuld, Ursprünglichkeit und verführerischer Erotik“305 fließend. Es ist auffällig, dass vor allem die leicht bekleideten Figuren erotisch aufgeladen waren. In derartigen Beispielen treten die künstlerischen Verfahren zu Tage, durch welche die Körperoberfläche teilweise verhüllt werden konnte, ohne den Eindruck von Körperlichkeit zu mindern. Denn die Verhüllung der Körper durch Bekleidung und Schleier, Faltenwürfe und Drapierungen betonte meist eben jene Körperstellen, die nach dem bür-

Abb. 326: Grabmal Alvaro de Almeida (o. A.), Cemitério dos Prazeres, Lissabon Abb. 327: „Aux Morts“ (1895), Albert Bartholomé, Cimetière du Père Lachaise, Paris

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Abb. 328: Grabmal Julio Ruelas (1907), Cimetière Montparnasse, Paris

gerlichen Moralkodex verdeckt bleiben sollten. Diese Art der Verhüllung des Körpers war künstlerisches Stilmittel und Strategie, um die Grabplastiken für die öffentliche und sakrale Sphäre des Friedhofs akzeptabel zu machen und gleichzeitig spannungsreich reizvoll zu gestalten. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich bei dem imaginierten Material der Verschleierung, dem „Velum“306, um ein Kleid, einen Überwurf, einen Schleier oder langes Haar handelte. Jede Form, vielmehr jeder Modus, der Verschleierung diente dem Zweck, die ›Trauernden‹ über die Betonung der Silhouette oder kleiner Körperdetails als eindeutig weiblich erkennbar und damit für den männlichen Blick begehrenswert zu machen.307 Im westlichen Kulturkreis gibt es eine traditionelle Verbindung von Weiblichkeit und Verschleierung. Die enge Verknüpfung ist in unserer Vorstellungswelt nach wie vor so stark verankert, dass selbst eine verschleierte Figur, die ohne weitere geschlechtsspezifische Attribute oder identifizierbare Merkmale ausgestaltet ist, eher als weiblich denn männlich assoziiert würde. Das Velum fungiert dabei als vestimentäre Codierung und als Metapher dafür, dass es des identifizierbaren »Dahinter« nicht mehr bedarf. Der Schleier galt im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit als Symbol, „das spezifisch weiblichen Charakter hatte“308. Die Verhüllung des Kopfes durch ein Kopftuch, eine Haube, den Brautschleier oder Trauerflor zeigte den sozialen Status der Frau innerhalb der Gesellschaft an. Schon der lateinische Begriff nupta = die Braut wurde von dem Verb nubere = (sich) verhüllen entlehnt; ebenso bedeutete im Germanischen wiba = das Weib ursprünglich das Verhüllen bzw. die verhüllte Frau.309 Unzählige Sprichworte und Redensarten knüpfen an diese gesellschaftsregulierende, ritualisierte Kleiderordnung an, wie z. B. „wo kein Schleier, da ist keine Freude“, „unter dem Schleier stehen“, „unter die Haube kommen“ oder „eine unter die Haube bringen“.310 Ähnlich verhielt es sich mit der Haartracht: Trug eine Frau langes, offenes Haar, galt sie nicht

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einfach als unverheiratete Frau, sondern wurde als Mädchen unter der Obhut des väterlichen Elternhauses verortet. Der Schleier war ein performatives Versatzstück, das allein durch das Tragen den Status und das Ansehen einer Frau markierte, sie entweder von der einen Sphäre männlicher Rechtshoheit – der väterlichen Familie – oder in der anderen Sphäre männlicher Obhut – der Ehe – positionierte. Mit Bezug auf die Novelle „Der Schleier“ von Emil Strauss (1931) beschreibt der Literaturwissenschaftler Rosenfeld den Schleier als weiblichen Ausdruck sich selbst überwindender, leidender Liebe und letzter Güte311. In der ›Trauernden‹ ordnet der Schleier als geschlechtsspezifisch weibliche Kopfbedeckung die Frau nicht nur dem Ehemann zu, sondern wird im Sinne Rosenfelds dabei zum Medium und zur Metapher der leidenden verzeihenden Liebe. Durch diese Art der Verhüllung fungierte die weibliche Grabplastik als Trägerin bürgerlicher Emotion und der Schleier setzte diesen Aspekt konsequent fort: Er war Informationsträger über die Verortung der Frau in der ehelichen Sphäre und ihrer geschlechtsspezifischen Gefühlszuweisung in der Trauer. Verborgene Erotik Die Strategie des Verschleierns durch das Velum ist ambivalent. Generell bietet sie die Möglichkeit, bestimmte Körperpartien zu verdecken und gleichzeitig den Blick auf eben diese Partien zu ziehen. Daraus entsteht eine Spannung zwischen nicht-sehen-können und sehen-wollen. Das Prinzip des Velierens zielt auf diese Wechselwirkungen ab und muss bereits im künstlerischen Prozess bewusst angelegt werden, zumal die Umsetzung filigraner Verhüllungen für Bildhauer und Modelleure aufwändig ist. Je nachdem, an welcher Köperstelle das Velum eingesetzt wird, entstehen unterschiedliche Spannungsverhältnisse und mehrdeutige Assoziationen: „Es gibt verschiedene Grade zur Schau gestellter Sinnlichkeit.“312 In der weiblichen Grabplastik ging das Velum weit über die Verschleierung durch einen Trauerflor über Kopf und Schultern hinaus und kam vor allem an Partien wie den Schultern, der Brust oder den Beinen zum Einsatz. Am Beispiel der Grabfigur für die Großgrabstätte Dralle in Ohlsdorf lässt sich erkennen, dass der massive und erhabene Eindruck der überlebensgroßen ›Trauernden‹ durch feingliedrige Details abgeschwächt und damit die gesamte Erscheinung ästhetisiert wurde. Die Drapierung des antikisierten Gewandes lenkt den Blick der Betrachtenden über den steinernen Körper. Schmale Falten umkränzen die Brustwarzen, in die Taille fallender Stoff markiert die Hüften und das Obergewand über dem Kleid rutscht so über die Schultern, dass tiefe wülstige Falten die ebene Schulterpartie und den Ansatz der Oberarme hervorheben. Obwohl das

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Abb. 329: Grabmal Dralle (1913), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 330: Grabmal Köser (1928), Richard Kuöhl, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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Gewand den Körper der Plastik bedecken sollte, nutzte der Bildhauer Hans Dammann die Möglichkeit, durch Faltenwürfe jene Partien markant in Szene zu setzen, die nach dem bürgerlichen Konventionskodex eigentlich negiert werden sollten (Abb. 329). Das Überformen des unversehrten makellosen Körpers der Frauenfigur stand in krassem Kontrast zum Wissen um das vergängliche Leben und den verwesenden Leichnam und weckte damit Assoziationen zu Eros- und Thanatos-Motiven. In anderen Grabinszenierungen wurde der weibliche Körper erotisiert, indem die Übergänge zwischen imaginierter Haut und imaginiertem Textil fließend waren, so dass die Figur unbekleidet wirkte. Über die Darstellung von ekstatischen Gebärden konnte die Bekleidung in expressiver Bewegung drapiert werden, so dass sie bestimmte Körperpartien eng umspielte. Aber auch die landschaftliche Kulisse des Park- oder Waldfriedhofs verstärkte den Eindruck, dass ein leicht verrutschter Träger beim nächsten Windhauch den Blick auf die entblößte Brust freigeben könnte (Abb. 330). Eng an den zeitgenössischen Bekleidungsstil und Körperdiskurse gekoppelt gelten je nach Epoche unterschiedliche Körperstellen als erotisch und wurden je nach den vorherrschenden Moralvorstellungen oder gesellschaftlichen Konventionen betont oder negiert.313 Bis zum 18.  Jahrhundert spielte die Kategorie Geschlecht in der Mode nur eine untergeordnete Rolle und symbolisierte vor allem den Stand der Person. Mit der Etablierung des Bürgertums folgte der Kleidungsstil deutlich voneinander getrennten, geschlechtlich definierten Richtlinien. Die männliche Kleidung wurde mit Sachlichkeit und Funktionalität verbunden und betonte Schultern, Brustkorb und Beine – die weibliche Kleidung sollte den Körper der Frau zart, zerbrechlich und dennoch geschlechtsbetont modellieren und hob Körperpartien wie Brust, Taille und Hüfte hervor.314 Sogar Sommer- und Bademoden sollten immer den Eindruck vermitteln, dass sie die Körper verhüllten. Denn selbst in Situationen, die nach weniger oder bequemerer Kleidung verlangt hätten, wie bei Krankheit, großer Hitze oder beim

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Bad, gehörte Nacktheit dem Bereich der Intimität an und wurde tabuisiert.315 Röcke und Kleider waren so lang, dass der Publi­zist Robert Magill – 1928 auf seine Kindheit um 1900 zurückblickend – der Meinung war: „Als ich noch ein kleiner Junge war, hatten die Mädchen überhaupt keine Beine. […] Alle Mädchen waren aus einem Stück gemacht, von der Taille abwärts.“316 In Wien wurde im späten 19.  Jahrhundert beispielsweise ein Gesetz erlassen, das Frauen zu ihrer eigenen Sicherheit verbot, Fahrrad zu fahren, weil dabei die Fußknöchel hätten sichtbar werden können – einen Teil des Beines oder des nackten Fußes in der Öffentlichkeit zu zeigen, galt als codiertes Indiz für Prostitution und wurde strafrechtlich verfolgt.317 Auf den Friedhöfen der Jahrhundertwende waren durchaus nackte Füße und Fesseln bei weiblichen Grabplastiken zu sehen. Allerdings waren sie über die Antikenrezeption legitimiert, da sie in der griechischen und römischen Klassik als Symbol für Ehrerbietung und Klage fungierten.318 Auch das teilweise bekleidete Bein ließ sich noch in dieser Tradition rezipieren, doch es hielt auch die Assoziationen zur zeitgenössischen Haltung gegenüber nackten Fesseln und der sexuellen, erotisierten Aufladung des weiblichen Körpers offen. Die Plastik von Roland Engelhardt für das Familiengrab Herrmann (1905) auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg veranschaulicht, auf welche Weise das velierte Bein die Täuschung zum nackten Körper vollzog (Abb. 331, Abb. 332). Die Figur wurde mit einem Chiton bekleidet, dessen Falten den Oberkörper reich drapieren, die Brustwarzen markieren und sich wellenförmig über den Bauch ziehen. Im Kontrast dazu scheint sich von dort der Stoff eben und glatt über die Beine der Plastik zu ziehen. Um das angewinkelte Knie wirft das Kleid jedoch überformte Falten, so dass sich das Bein naturgetreu unter dem Stoff abzeichnen kann, als ob es unbedeckt wäre. In der Grabmalkultur der Jahrhundertwende finden sich zahlreiche vergleichbare Inszenierungen des weiblichen Beins (Abb.  333, Abb. 334, Abb. 335, Abb. 336). Mit Hilfe des Velums bewegten sie sich im Bereich des Sittlichen, weil es lediglich so aussah, als ob bestimmte Körperpartien unbedeckt wären. Die filigrane Herausarbeitung von Brustwarzen, Beckenknochen und Knie, wie in den Beispielen Dralle und Herrmann, entsprach zwar dem Idealbild des weiblichen Körpers um 1900, war aber so naturalistisch dargestellt, dass die jeweiligen Köperstellen eher nackt denn bekleidet anmuteten. Die aufwändigen Faltenwürfe, die von Künstlern gekräuselt und wellenförmig über die Körper der Figuren drapiert wurden, wirken wie optische Echos, indem sie die Form der nicht-zeigbaren, aber betonenswerten Köperstellen aufnehmen, aneinandergefügt wiederholen und verstärken. Die Verhüllung wird zum „visiblen Träger des Invisiblen“319. Voraussetzung war jedoch, dass nicht nur das Velum die zu verhüllen-

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Abb. 331: Grabstätte Herrmann (1904/05), Roland Engelhard, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg Abb. 332: Grabmal Herrmann (1904/05), Roland Engelhard, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg

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den Stellen sichtbar machte, sondern dass es selbst sichtbar blieb. Unabhängig davon, ob das Velum semi-transparent und hauchdünn wirken sollte, musste es durch die Oberflächenbeschaffenheit eindeutig als Faltenwurf erkennbar sein, damit die Darstellung einer bekleideten Frau auch garantiert war. Auch wenn bereits der pietätsgeladene Raum des Friedhofs das voyeuristische Potenzial der ›Trauernden‹ nivellierte, materialisierte das Velum die verborgene Erotik und legitimierte sie zugleich. Verhüllung und Fetisch

Abb. 333: Grabmal Dall’Ovo (1912), Luigi Secchi, Cimitero Monumentale, Mailand Abb. 334: Veliertes Bein, Fami­ liengrab Dall’Ovo (1912), Luigi Secchi, Cimitero Monumentale, Mailand

Das Velum steigert die Erwartung daran, was hinter der Verhüllung verborgen sein könnte. Die Strategien des Verhüllens und gleichzeitigen Sichtbarmachens führen hinsichtlich der bürgerlichen Geschlechterdiskurse in den Bereich der Doppelmoral. Sie inszenieren den bekleideten Körper entlang der Idealvorstellung von besänftigender, anmutiger Weiblichkeit und bargen doch das Versprechen einer „geheimen Offenbarung“320. Ein Versprechen darauf, dass ein reizvoller, aber verhüllter Körper enthüllt, also entkleidet, und damit zur Gänze offenbart werden kann. Dabei schafft das Velum eine Distanz zu den Betrachtenden, die – wie auch in der Inszenierung von Weiblichkeit als Projektionsfläche – den begehrenden Blick potenziert. In der Imagination geht es nicht mehr nur um den weiblichen Körper, der letztlich Träger des Versprechens ist, sondern um die Option, dass das Velum gelüftet werden könnte. Diese Strategie hinter der ›Trauernden‹ erinnert an das Prinzip des Fetisches, bei dem das Objekt der Begierde abgelöst wird von einem Versatzstück, mit dem das Objekt ursprünglich ausgestattet wurde, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: Das Versatzstück wird zum Objekt der Begierde. Als im späten 19.  Jahrhundert neben dem Körper auch die Begierde zunehmend pathologisiert und psychologisiert wurde, definierte der Sexualforscher Richard von Krafft-Ebing den erotischen Fetisch als eine sexuelle Vorliebe, die „[…] entweder einen bestimmten Körperteil des entgegengesetzten Geschlechts, oder ein bestimmtes Kleidungsstück desselben oder einen Stoff der Bekleidung […]“321 zum Gegenstand hatte. Nun ist zwar der Fetischismus ein Konzept, das sich in kontinuierlichen Steigerungen entfaltet, bei dem in der konsequentesten, letzten Stufe der sexuelle Höhepunkt nur erreicht werden kann, wenn spezifische Stimuli an die Stelle des Sexualpartners treten. Im Hinblick auf die ›Trauernden‹ soll hier nicht der Eindruck entstehen, dass weibliche Grabplastiken im Friedhofsraum inszeniert wurden, um die Betrachtenden sexuell zu erregen – der Fetischismus soll hier nicht als praktizierte Sexualität herangezogen werden, sondern als ein verborgener, chiffrierter Teil der Kultur. Er lässt sich als eine künstlerische Strategie lesen, durch welche

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die Versatzstücke stärker sexuell aufgeladen werden als der Träger oder die Trägerin der erotisierenden Details selbst. Obwohl Fetischismus im strengen Sinne von einem geringen, vorwiegend männlichen Teil der Bevölkerung praktiziert worden ist (und wird), entsteht der Eindruck, dass in der Kunstproduktion erotische und fetischistische Anteile zur Potenzierung der Begierde als üblich, das heißt normativ gelten. Fetischistische Anspielungen und Elemente in Darstellungen und Bildern sind so verbreitet, dass sie „Teil einer normativen sexuellen Bilderwelt zu sein“322 scheinen. Entsprechend bürgerlicher Doppelmoral und Verhaltenskonvention ist es daher schlüssig, dass das Velum zunächst notwendig war, um die weiblichen Figuren auf anständige Weise zu verhüllen bzw. zu bekleiden. Darüber hinaus dienten die Falten und Schleier dem Zweck, die Begierde im Blick zu potenzieren und schließlich selbst an die Stelle des Objekts der Begierde zu treten. Die weibliche Plastik trat dahinter als Kulissen­element zurück, welchem das Objekt der Begierde – der sexuell aufgeladene Faltenwurf, der den Körper oder den gesellschaftlichen Stand der Frau sichtbar machte – nur mehr anhaftete. Indem auf den Grabplastiken nicht nur die vestimentären Codierungen der Bekleidung verhandelt werden konnten, sondern auch die spannungsreichen Bedeutungsebenen des Velums, wurden sowohl die Verhüllung als auch der weibliche Körper zu Projektionsflächen männlicher Imagination. Abb. 335: ›Trauernde‹ (o. A.),

4.7.3 Diesseits, Sterblichkeit und Jenseits

Zentralfriedhof Wien Abb. 336: Faltenwürfe über

Verunsicherung Die ideelle und materielle Versteinerung der Grabplastiken zwischen vervollständigender Besänftigung und verheißungsvollem Eros erscheint wie eine Absicherung gegenüber der vagen Offenheit, die das Jenseits für die Akteurinnen und Akteure im Diesseits bereithielt. Auf dem mentalitätshistorischen Panorama bewegen wir uns nun auf Bereiche zu, die blinden Flecken zu gleichen scheinen, weil sie allein dem Imaginären, rein Vorstellbaren, Utopischen entspringen: dem Tod und dem Jenseits. Beide stellen Sphären oder Topoi dar, die in das Transzendente hinüberreichen und häufig in Artefakten ihren Niederschlag finden. Für die Kunst stellen der Tod und das Jenseits äußerst dankbare Themengebiete dar, weil über sie keine sicheren Aussagen getroffen werden können. Demzufolge müssen sie sich mit keiner Form von Realität messen lassen und bieten Raum für Imaginationen. In allen Epochen wurden Bilder zu Tod und Jenseitsvorstellungen hervorgebracht, obgleich sich ihr Ausdruck je nach den zeitspezifischen Sinnstiftungen zur Sterblichkeit unterscheidet.

Schoß und Beinen, ›Trauernde‹ (o. A.), Zentralfriedhof Wien

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Über Artefakte zu Tod und Jenseits lassen sich nicht nur Aussagen über die Ideen vom »Danach« treffen, sondern auch zu Wert und Bewertung des Lebens im »Jetzt«. Die Entstehung prägnanter (Vorstellungs-)Bilder wurde besonders in historischen Situationen relevant, in denen Erklärungsmodelle zu Leben und Sterben vieldeutig oder nicht mehr wirksam bzw. sinngebend waren. Demgegenüber hatte die Kunst das Potenzial, Unsicherheiten bezüglich des Ablebens zu kompensieren. Historische Gewordenheit und der Schock der Endlichkeit „Only what is past and gone can remain forgotten, only what is dead can be alive.“323 Das bürgerliche Zeitalter brachte für die Lebenden in Fragen der irdischen Endlichkeit zwei tiefgreifende Verunsicherungen mit sich: zum einen die Bedrohung des individuellen Lebenswerks durch den Tod, zum anderen den Verlust verbindlicher Erklärungen und Vorstellungen zum Jenseits. Beide Verunsicherungen resultierten langfristig aus den Folgen des Humanismus, der Aufklärung, dem Einfluss der Naturwissenschaften und der schwindenden Deutungshoheit der Kirche. Beide erstarkten in den Wechselwirkungen zueinander und sind miteinander verwoben. Im Folgenden werde ich daher zunächst anhand von Aspekten wie Medizin, biologischer Lebensdauer und historischer Selbstreflexion aufzeigen, dass es im späten 19. Jahrhundert ein besonderes Bedürfnis gab, sich mit der irdischen Endlichkeit zu beschäftigen. Daran anknüpfend kann über den historischen Wandel der Jenseitsentwürfe gezeigt werden, dass um 1900 Lücken in den Erklärungen und Vorstellungen zum Jenseits blieben, die das Entstehen neuer (Vorstellungs-)Bilder begünstigten. Jenseits des biblischen Schöpfungsgedankens wurden im 19. Jahrhundert durch Charles Robert Darwins (1809 – 1882) Evolutionstheorie und Hippolyte Taines (1828 – 1893) Milieutheorie, die in Deutschland zuerst von Friedrich Nietzsche (1844 – 1890) aufgegriffen wurde, die Vorstellungen zur Abstammung und Konstitution des Menschen revidiert. Im Zuge dessen wurde das Erklärungsmodell der göttlichen Vorsehung zu Werden und Vergehen in Frage gestellt. Hinzu kommt, dass sich die Lebenszeit der Menschen seit dem 18. Jahrhundert kontinuierlich verlängert und somit die Einstellung zu Leben und Tod beeinflusst hat. Arthur E. Imhof beschreibt den Wandel der Lebenserwartung in vier Phasen. Die erste Phase (1751 – 1780) ging mit einer hohen Sterblichkeit mit extremen Schwankungen durch Seuchen, Hungerphasen und Kriege in eine zweite Phase (1811 – 1840) über, in der die Mortalität zwar noch immer hoch war, aber die extremen Schwankungen auf Grund von besserer Ernährung und Schutzimpfungen nivel-

Mentalitätshistorisches Panorama

lierten. Die dritte Phase (1881 – 1910) kennzeichnete ein nachhaltiges Absinken von einer generell hohen zu einer generell niedrigeren Sterblichkeit, bis sie sich in der vierten Phase (1951 – 1980) auf einem niedrigen Niveau einpendelte. In der Wissenschaft wird meist die dritte Phase um 1900 als die bedeutendste für die Gesamtentwicklung der demographischen Transition bewertet. Imhof hingegen schätzt den Übergang im Laufe des 19. Jahrhunderts als besonders folgenreich für die Mentalitätsgeschichte ein. In diesem Übergang wurde der Tod bereits als weniger plötzlich, gewaltsam und unvorhersehbar wahrgenommen, so dass sich die folgenden Generationen in diesem Wissen um Sterblichkeit und Endlichkeit sozialisieren konnten.324 Auch die Professionalisierung von Medizin, Hygiene und Pharmazie veränderte im 19. Jahrhundert die Einstellung zum Tod. Sie bot die Grundlage dafür, Krankheiten und Gebrechen, die vormals im frühen oder mittleren Lebensalter tödlich enden konnten, teils zu heilen oder zumindest zu lindern und den tödlichen Ausgang zu verzögern. Wie bereits am Beispiel der Berufsgruppe der Totenfrauen veranschaulicht werden konnte, aber auch das Phänomen der Leichenhauswärter zeigt, wurde der Eintritt des Todes nun nicht mehr von Pfarrern oder Geistlichen festgestellt, sondern oblag der Zuständigkeit institutionalisierter Personen oder Behörden. Parallelen zeigen sich auch im Bereich Krankheit bzw. Gesundheit: Ärzte entfalteten Diskurse, die entlang des gesunden Körpers gesund/krank bzw. norm/abnorm kategorisierten, so dass Symptome und Krankheitsverläufe auf einer wissenschaftlichen Matrix nachvollziehbar und behandelbar wurden.325 Zumal mit der Etablierung von Hospitälern und Kliniken Anstalten geschaffen, in denen der kranke Mensch definiert, benannt und beobachtet wurden, die Michel Foucault in Zusammenhang mit den disziplinierenden Maßnahmen des frühmodernen Staates sozialhistorisch beleuchtet hatte.326 Die Medizingeschichte zeigt, auf welche Weise die Erklärungsmodelle der göttlichen Schöpfungslehre in Bezug auf den menschlichen Körper und seine Endlichkeit nach und nach demontiert wurden, indem der Leib für den wissenschaftlichen Blick immer weiter und dezidierter geöffnet wurde. An einer Schnittstelle zwischen Humanbiologie, Medizin und Spektakel etablierte sich die Anatomie, Pathologie und Autopsie bis – immer weiter ins Innere des Menschen – zur Neurologie und bis hin zur Psychoanalyse. Zudem hielt die Medizin gegenüber Ansteckungskrankheiten ab dem frühen 19.  Jahrhundert stellenweise präventive Maßnahmen bereit wie z. B. die Pockenimpfungen, die bis zur Jahrhundertwende mit der Forschung an der Bekämpfung des Milzbrand­ erregers oder mit Impfstoffen gegen Tollwut oder Typhus weiter ausgebaut wurden. Auf Grund all dieser Errungenschaften waren Körper und Krankheit nicht mehr mit einer Vorstellung von gött-

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licher Schicksalshaftigkeit, Vorsehung oder Prüfung behaftet, sondern wurden Objekt und Aufgabe medizinwissenschaftlicher Vorkehrungen. Akteure und Akteurinnen, die um 1900 Berührungspunkte zum Phänomen der weiblichen Grabplastiken hatten, konnten sich bereits mit derartigen Diskursen und Deutungen zu Leben, Sterben und Tod sozialisieren. Durch die Aussicht auf professionalisierte Diagnose und Heilung schien der Tod im frühen und mittleren Alter abwendbar, indem das Sterben aufgeschoben wurde. Angesichts der Gleichzeitigkeit von ungleichzeitig auftretenden Diskursen konnte das Ableben auch weiterhin als Erlösung aus den irdischen Leiden interpretiert werden. Doch die zeitgenössische Hinwendung zur diesseitigen Lebensführung lässt vermuten, dass angesichts lebenserhaltender Strategien das Prinzip Sterblichkeit nicht gemildert wurde, sondern umso mehr einen Schock für das Individuum bedeuten konnte.327 Der Tod markierte die Trennung von der persönlichen Lebensleistung, der Familie und den Handlungsräumen, auf die der Lebensstil hin so intensiv kultiviert worden war. Bereits 1833 resümierte E. M. Hampeis in seiner Abhandlung über Wiener Friedhofskultur, dass angesichts der Sterblichkeit lediglich die Hoffnung auf Gedenken tröstlich sei: „Religion, Vaterlandliebe, Redlichkeit, innige Liebe für Gattin und Kinder machen [den Mann, Anm. A. G.] unvergeßlich.“328 Die Gestaltung eines tugendhaften Lebenswerks war die Grundlage, auf der dem Individuum der Nachruhm gesichert war. Wie sich in der Monumentalität der Familiengräber um 1900 zeigt, gipfelte die bürgerliche Trauerkultur in der „Feier der eigenen Biographie“329. Auch die zahlreichen Grabplastiken, die zu Ehren der Verstorbenen Lorbeerkränze ablegten, veranschaulichen die Sehnsucht nach Nachruhm. Im Sinne des heutigen Historismusbegriffs geht dieses Phänomen auf das späte 18.  Jahrhundert zurück, als sich die Menschen zunehmend über die historische Gewordenheit der Welt bewusst geworden waren: „Das durch Revolution und Industrialisierung bewirkte Erlebnis von Krisis und Kontinuitätsbruch in der Gegenwart weckte also ein unmittelbares Interesse an der Vergangenheit.“330 Die Bewusstwerdung der historischen Gewordenheit bewirkte in jener historischen Situation nicht nur ein allgemeines Inte­ resse an der Vergangenheit, sondern weckte ein persönliches Interesse an der eigenen Vergangenheit. Folglich sollte die eigene Geschichte der sozialen Umwelt bekannt gemacht werden, um sich auf diesem Weg der persönlichen Biographie zu versichern und sich einen Platz in der Geschichte zu verschaffen. Dieses selbstreflexive Moment spiegelt die bürgerliche Grabmalkultur mit ihren Büsten und biographischen Verweisen. Das Verschmelzen historisierender Stile mit zeitgenössischen Kunstpraktiken lässt eine Sinnsuche erahnen, die mit dem Interesse an der eigenen Biogra-

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phie, Identität, Geschichte und Gewordenheit einherging. Auch die Aufnahme der Eros- und Thanatos-Tradition mit ihren Bezügen zu Fruchtbarkeit, Leben und Vergänglichkeit belegt die Vergegenwärtigung des Seins und Werdens, vor allem aber des Irgendwann-nicht-mehr-Seins. Verlust des Jenseits „Auch der Glaube an ein Fortleben des Menschen nach dem Tod zerfiel im 19.  Jahrhundert zunehmend in zwei diametral entgegengesetzte Formen: den Glauben an ein diesseitiges und an ein jenseitiges Fortleben des Menschen.“331 In der Grabmalkultur des 19.  Jahrhunderts deuten die Inszenierungen, Symbole und Inschriften kaum noch die barocke Vorstellung vom Jenseits an, das als ein Ort der letzten Offenbarung gedacht worden war und auf das sich die Fürbitten und Gebete im Andenken an die Toten richteten. Stattdessen rückten die repräsentativen Monumente und biographischen Bezüge das Andenken an die Verstorbenen in den Bereich des Diesseits. Grabinschriften wie „auf Wiedersehen“, „hier ruht“, oder „unvergesslich“ markieren die Hoffnung auf einen sanften Tod, an den sich Gedenken im Diesseits und ein gemeinschaftliches Fortleben der Seelen knüpften. Das Jenseits jedoch – wie auch immer es sich als Sphäre, Topographie oder Vorstellung denken ließ – blieb ausgespart und bedurfte offensichtlich Erklärungen: Ganz gleich, ob das Jenseits als Ort der Toten in einer Unterwelt wie in der griechischen Mythologie im Hades oder erhöht wie im Himmel und Paradies des Christentums imaginiert wurde, es war von jeher außerhalb der Sphäre der Lebenden konzipiert. Durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse geriet die christliche Jenseitsverortung im Himmel jedoch in Bedrängnis, bis schließlich „der Himmel eines der größten Opfer der Aufklärung“ wurde.332 Bereits ab dem 16. Jahrhundert bewegten sich einige Gelehrte wie Nikolaus Kopernikus (1473 – 1543), ­Johannes Kepler (1571 – 1630), Galileo Galilei (1564 – 1647) oder Isaac Newton (1642 – 1727) an Schnittstellen von Theologie, Naturphilosophie und Astronomie und entwarfen naturwissenschaftliche Konzepte zum Mittelpunkt der Himmelssphären, die das biblische, theozentrische Weltbild in Frage stellten. Obgleich das Wissen um das Sonnensystem, Planeten und Gravitationsgesetze nur einem kleinen Kreis der gelehrten Oberschicht zugänglich war, leitete es doch einen – wenn auch langsamen – Wandel in der Vorstellung vom Jenseits ein: „Der ins Unendliche entgrenzte Himmel hat seine Funktion als Verweis auf eine den irdischen Raum übersteigende,

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doch ihn zugleich auch bergend begrenzende göttliche Sphäre verloren.“333 Wir dürfen nicht annehmen, dass die Jenseitsvorstellung von den Seligen im Himmel für die eine Generation noch wirksam war, aber für die folgende Generation nicht mehr. Vorstellungsbilder sind träge und mehrschichtig, d. h. einerseits, dass es mehrere Generationen dauern kann, bis sie sich sinnstiftend entfaltet haben, andererseits, dass sie nach dem Prinzip der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen modifiziert werden, so dass sie mehrere, scheinbar gegensätzliche Vorstellungswelten zum selben Zeitpunkt vereinen können. Hinsichtlich der Jenseitsvorstellungen in der Frühen Neuzeit konnten Himmelsphänomene durchschaut und durch Naturwissenschaften begreifbar gemacht werden. Gleichzeitig musste der Himmel die Symbolkraft des Göttlichen nicht vollständig verlieren. Ein massives Problem zeigte sich jedoch hinsichtlich der Auferstehung der Toten. Angesichts von rational belegbaren Erkenntnissen war die Auferstehung nun wissenschaftlich nicht mehr haltbar. Da sie aber Teil des christlichen Glaubensbekenntnisses war, entstand eine Verunsicherung über den Verbleib der Seele nach dem Ableben. Zudem trug die historisch-kritische Methode der Bibelexegese dazu bei, dass Anschauungen über die Seligen variierten und Fragen zu ihrer Bestimmung im Himmel offenblieben. Im Folgenden werde ich eine Reihe von gelehrten Protagonisten nennen, die eschatologische Diskurse zu Glaube, Tod und Jenseits vom späten 18. bis ins späte 19. Jahrhundert geprägt hatten. Anhand einiger exemplarischer Ansätze lässt sich das Spektrum erahnen, auf dem sich die Jenseitsvorstellungen um 1900 bewegt hatten.334 Ambitionierte Textauslegungen des Alten und Neuen Testaments wurden nicht nur von Theologen betrieben, sondern auch von Lehrern, Philosophen und Dichtern, so dass sich bei Deutungen zum Jenseits von Hermann Samuel Reimarus (1694 – 1768), Moses Mendelssohn (1729 – 1786), Immanuel Kant (1724 – 1804) oder Johann Gottfried Herder (1744 – 1803) durchaus Bezüge zum Humanismus finden lassen. Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814) eröffnete einen Ausblick auf die Folge von Endlichkeit und Ewigkeit, die durchaus innerhalb der bürgerlich-empfindsamen Gefühlswelt sinnstiftend sein konnte: „[…] und es ist nicht eine kühne Metapher, sondern es ist buchstäbliche Wahrheit, was derselbe ­Johannes sagt: wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott, und Gott in ihm.“335 Auch die Idee von der Vervollkommnung des Individuums im Leben wurde für den Bereich des Ablebens fortgesetzt, wie z. B. bei Wilhelm von Humboldt (1767 – 1835): „Man sucht so und pflanzt das Überirdische im Irdischen, und macht sich dadurch fähig sich zu dem ersteren in seiner Reinheit zu erheben.“336 Die Vorstellung von einem transzendenten Wandel aus

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dem Leben in eine höhere Daseinsform im Jenseits wurde von ­ eorg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) noch zugespitzt: G „Gott ist gestorben, Gott ist tot – dieses ist der fürchterlichste Gedanke, dass alles Ewige, alles Wahre nicht ist, die Negation selbst in Gott ist, der höchste Schmerz, das Gefühl der vollkommenen Rettungslosigkeit, das Aufgeben alles Höheren ist damit verbunden. – Der Verlauf bleibt aber nicht hier stehen, sondern er tritt nun die Umkehrung ein; Gott nämlich erhält sich in diesem Prozess und dieser ist nur der Tod des Todes […] Für die Anschauung ist eben so vorhanden dieser Tod des Todes, die Überwindung des Grabes, der Triumph über das Negative und diese Erhöhung in den Himmel.“337

Im 19.  Jahrhundert wurden Anschauungen zum Jenseits und zur Endlichkeit verbreitet, die weniger auf Erklärungen und Deutungsangebote abzielten, sondern dem Menschen mit vager Offenheit begegneten. So schrieb z. B. der Physiker und Philosoph Gustav Theodor Fechner (1801 – 1887), der von einer Allbeseelung des Universums ausging: „Also kannst du auch […] an die Wirklichkeit eines Jenseits deines ganzen Geistes in einem höheren Geiste glauben; du musst nur glauben, dass ein höherer Geist ist und dass du in ihm bist.“338 Ähnlich offen verhielt sich Ludwig Feuerbach (1804 – 1872), der sich bereits von der göttlichen Symbolkraft des Himmels für das Jenseits entfernt hatte und eine positivistische Seligkeit für die Verstorbenen nach einem strebsamen, arbeitsamen Lebenskampf entwarf: „So ist denn auch der christliche Himmel in seiner reinen, von allen anthropopathischen Zuständen und sinnlichen Ausschmückungen entkleideten Bedeutung nichts anderes, als der Tod, die Verneinung aller Müh- und Trübsale, Leidenschaften, Bedürfnisse, Kämpfe gedacht als Gegenstand der Empfindung des Genusses, des Bewusstseins, folglich als ein seliger Zustand.“339

Die Möglichkeiten an Jenseitsdeutungen waren derart vielschichtig und offen, dass sie an verbindlichen Erklärungen für die Lebenden einbüßten. Für die Akteure und Akteurinnen, die um 1900 ein Grab mit ›Trauernden‹ schmückten, konnten Jenseitsvorstellungen zwischen elysischen Gefilden der Seligen, einem Ort der Vervollkommnung, einer Sphäre der Liebe und einem Raum des Wiedersehens mäandern, in denen jeweils die Ewigkeit der Seele als ein Angebot für die Endlichkeit des Körpers entworfen wurde. Angesichts der Fülle an Deutungsangeboten fehlte es offenbar an perspektivischer Orientierung und Sinnstiftung. Mit Hilfe einer Selbstermächtigung über Symbole und Motive aus vielfältigen Kontexten ließ sich die Sinnsuche noch zu Lebzeiten kompensieren, um sich zumindest irgendeine Art von Jenseitserfüllung zu

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sichern. Diese Haltung beschrieb der zeitgenössische Autor Josef Ruederer in der bereits vorgestellten Kurzgeschichte „Das Grab des Herrn Schefbeck“ von 1912, indem er die Sinnsuche seines Protagonisten in der Ausgestaltung seiner Grabstätte überspitzte: „Die [Grabstätte; Anm. A. G.] war weit und breit berühmt ob ihrer Schönheit. Eine ungeheure schwarze Marmorplatte, eingelassen in eines der Felder, gab die Rückwand ab. Darauf ein Engel mit weitentfalteten Flügeln. Oben verkündeten große, goldene Lettern, daß das die Ruhestätte der Familie Schefbeck; unter ihm, wo die wuchtige Granitplatte sich schwer in den Boden senkte, prangte, umgeben von zwei mächtigen Schalen, in noch größeren Buchstaben, dicht über dem schmiedeeisernen Weihwasserkessel das eine vielsagende Wort: ‚Excelsior‘. Was das hieß, wußte der stolze Bauherr heute noch nicht. Er hatte die gutklingende Inschrift ein paar Felder weiter entdeckt auf dem Grab eines Bürgermeisters von München, der vor hundert oder noch mehr sagenhaften Jahren sein Leben für die Entwicklung der Stadt verbraucht haben sollte. Und weil es ihm gefiel, übernahm er die ohne allzu große Gewissensbisse. Auch der Engel war eine getreue Nachbildung, richtiger noch eine Vergrößerung. Er stammte von der Gruft eines jener hochverdienten Männer, die Bayern achtzehnhundertsechsundsechzig zum Kriege geraten hatten. So blieb eigentlich nur noch der Weihwasserkessel mit den Schalen. Doch auch die waren fremden Ideen entlehnt. Die Schalen dem ersten Direktor der Staatsbank, während der Weihwasserkessel vom Grab eines großen katholischen Gelehrten stammte.“340

Ganz im Sinne des bürgerlichen Wertehimmels konnte sich das Individuum strebend bemühen, sich all diejenigen Symbole und Bedeutungsträger anzueignen, die auf irgendeine Art einen Jenseitsentwurf bereithielten. Hinter dieser Praxis verbirgt sich eine tiefe ausgeprägte Hoffnung: Egal, was nach dem Ableben kommen möge, der fromme, gebildete, vermögende, liebende, respektable etc. Bürger hatte für alle eintretenden Fälle vorgesorgt. Aus dieser inneren Haltung heraus wurden auch die Motive der weiblichen Grabplastiken immer weiter modifiziert und vieldeutig inszeniert. Aus dieser Sehnsucht nach einem positiven Ausgang – vielmehr Übergang – füllten sich die Begräbnisplätze um 1900 als mehrfach codierte Accessoirelandschaften. Trotz dieser Vielfalt an Optionen zum Jenseits und zur Endlichkeit fehlte es an konkreten Bildern zum Jenseits. Genauer genommen fehlte es an Jenseitsbildern auf Grund der Deutungsangebote und Auslegungen, so dass sowohl für den Bereich der Vorstellungsbilder als auch für die materiellen Bilder beinahe von einem Bild-Vakuum gesprochen werden kann. Eines der wenigen Schlagbilder zum Jenseits war in der bildenden Kunst des späten 19.  Jahrhunderts die „Toteninsel“ (ab 1880) von Arnold Böcklin

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(Abb. 337). Der Kunsthistoriker Hermann Beenken kommentierte im Jahr 1944 rückblickend auf Böcklins Gemälde: „In dem Erlebnis der Toteninsel geht es freilich um mehr als bloßes Betrachten des Unendlichen oder des Dunklen. Jetzt soll man sich als Bildbetrachter so tief in die Szenerie versenken, daß man selber ganz von ihrer Stille und ihren Todesgedanken erfüllt wird. […] Niemals in der Zeit vor 1800 hatte ein Bild eine auch nur annähernd ähnliche Wirkung erstrebt.“341

Mehreren Ausführungen des Motivs hatte sich der Maler gewidmet und die Verbreitung über reproduzierte Wandbilddrucke zeigt, dass es sich in kunstinteressierten Kreisen großer Beliebtheit erfreute.342 Die Toteninsel zeigte keine Bezüge zu einem konkreten Ort auf, so dass es als Sinnbild des Ungewissen die zeitgenössischen Assoziationen und Sinnsuchen zu Tod und Endlichkeit beflügeln konnte. Böcklin überlagerte darin Bildzitate und Zeichen, die auf unterschiedliche Vorstellungswelten verwiesen, wie z. B. die Insel der Seligen in der mythologischen Vorstellung von Elysion, die Unterwelt mit dem Fährmann Charon, der die Verstorbenen in das Totenreich hinüberführt, südländische Vegetation in Anlehnung an Arcadien sowie den entgrenzten, offenen Himmel, in den die Insel hineinragt.

Stilistisch zwischen Naturalismus und Symbolismus zeigt Böcklins Toteninsel Parallelen zur Profanisierung des Sakralen auf, die Caspar David Friedrich in Landschaftsbildern für christlich-religiöse Kontexte geschaffen hatte.343 In Anlehnung an überhöhende Inszenierungsstrategien in Altarbauten führte er die Darstellung der Landschaft in eine Sakralisierung des Profanen zurück. Dabei zeigte die Insel das Totenreich keineswegs als einen paradiesischen Ort von Glückseligkeit und Überfluss, sondern eine Vorstellung

Abb. 337: „Die Toteninsel“, Arnold Böcklin (dritte Version, 1883)

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dessen, wie die Verstorbenen in einen düsteren Hafen einlaufen, an dem „jedes Leben unwiderruflich endet“344. Böcklin offenbart seismographisch die Spannungsverhältnisse innerhalb der zeitgenössischen Vorstellungswelten: Vergänglichkeitswehmut, Zivilisationspessimismus und die Fragen nach dem Sinn des Lebens angesichts der Sterblichkeit. Georg Simmel interpretierte Böcklins Toteninsel als Sinnbild, das nicht die Vorstellung vom Jenseits naturalistisch abzubilden versuchte, sondern das Gefühl dazu. Obgleich die Darstellung der zwei Personen die Aufmerksamkeit anzieht, scheinen sie vor der Kulisse zu verschwinden – sie fungierten als Ausdruck dieses Gefühls, nicht als Abbild. So resümierte Simmel allgemein über die Lebewesen in Böcklins Landschaftsinszenierungen: „Denn diese Tiere und Halbtiere und Menschen haben kein Sein, keine Wirklichkeit weiter, außer als Träger einer Stimmung, sie sind völlig in diese eingegangen, wie der Brennstoff einer Flamme, und neben ihr haben sie nichts, was an einer Wirklichkeit außer ihr meßbar wäre. So leben sie, wie in uns das Bild eines geliebten, lange dahingegangenen Menschen, das längst, jeden Schatten einer Wirklichkeit abgestreift hat und restlos in dem Gefühl aufgeht, mit dem es uns erfüllt.“

Indem Böcklins „Träger einer Stimmung“ in die zeitgenössische Gefühlswelt zwischen Gedenken, Trauer, Sinnsuche und Verunsicherung trafen, wurden sie sinnstiftend und tröstlich. Auch der Gestus der ›Trauernden‹ lässt sich aus dieser Per­ spektive lesen: Ihr gesenkter oder verschleierter Blick scheint ins Unbestimmte zu führen und verkörpert die Haltung zu einer vagen, ungewissen Vorstellung vom Jenseits. Ihren Pathosformeln ist die emotionale Bindung zu den Verstorbenen inkorporiert. Ihre Bildverwandtschaften mit Siegesallegorien, Schicksalsgöttinnen und Mutterbildern lassen sie nicht nur die Ehrerbietung gegenüber dem irdischen Lebenswerk bekunden, sondern ebenso bedeutungsvoll bedauern. Sie verkörperten kein Bild vom Jenseits, aber sie gaben der Ungewissheit über Tod und Ewigkeit Ausdruck. An dieser Stelle füllt das Phänomen der weiblichen Grabplastiken das Bildvakuum, das zum Vorstellbaren des Jenseits entstanden war. In ihm spiegelte sich sowohl die Angst vor der Endlichkeit angesichts der Bedeutung der historischen Gewordenheit als auch der Wandel von theozentrischen Erklärungsmodellen zum Sinn des Lebens und des Todes hin zu vielschichtigen anthropo-zentrischen bzw. diesseits-zentrischen Deutungsoptionen.

Mentalitätshistorisches Panorama

4.8 Fazit Betrachten wir die weibliche Grabplastik als Zeitdokument der bürgerlichen Ära um 1900, stellen wir uns der Herausforderung, dass sie Ausdruck und Trägerin unterschiedlicher Perspektiven war. Im Phänomen der weiblichen Grabplastiken lagerten sich die Praktiken, Sinnsuchen und Vorstellungswelten ab, die aus der Perspektive der Auftraggebenden, Verstorbenen und Hinterbliebenen sowie des öffentlichen Publikums jeweils unterschiedliche Stoßrichtungen hatten. Allen Akteuren und Akteurinnen war die Erfahrung gemeinsam, dass in Zeichen und Bildern Ideen inkorporiert waren, die für etwas Anderes, Höheres standen oder in die Sphäre des Anderen, Höheren wiesen. Gerade in einem Zeitraum, in dem die Leistung des Individuums bestimmend für den sozialen Status zu Lebzeiten und den sozialen Nachruhm über den Tod hinaus war, konnte nach vollbrachtem Lebenswerk nicht das Nichts kommen: „Man denkt nicht den Tod, die Leere, das Nicht-Seiende, das Nichts; sondern deren unzählbare Metaphern: eine Art und Weise, das Ungedachte zu umreißen.“345 Das Nichts wird durch ein Bild außer Kraft gesetzt. Mit Hilfe der Grabplastiken wurde das Nichts revidiert und ihm gegenüber etwas Bleibendes, Präsent-Haltendes geschaffen. In der Monumentalisierung und Materialität der ›Trauernden‹ scheint das Bedürfnis durch, der Vergänglichkeit und Vergessenheit des Individuums mit einer Dauerhaftigkeit von imaginierter Ewigkeit zu begegnen. Daraus lässt sich auf eine (über)existenzielle Angst schließen, die Strategien und Praktiken nach sich zog, um sie zu bändigen. Ernst Bloch schreibt einleitend in seinem „Prinzip Hoffnung“: „Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? […] Dieser ihr [der Menschen, Anm. A. G.] Zustand ist Angst, wird er bestimmt, so ist er Furcht.“346 Die Angst konnte durch das Bild der ›Trauernden‹ überwunden werden. Durch ein Bild wird das, was beängstigt, bestimmt – die Angst wird zur Furcht bzw. zu etwas, das sich festlegen und revidieren, aneignen und ermächtigen lässt. Als passendes Zeichen für die Selbstermächtigung über drohend Vergängliches und Beängstigendes wurde ein Bild gewählt, das ebenfalls stark mit einer gewissen Art von Selbstermächtigung verknüpft war: die Frau. Nicht irgendeine Frau und auch keine konkrete Frau, sondern die ideale Frau. Ihre Aufgabe war es im späten 19. Jahrhundert, reizvoll und demütig die Lebenswelt des Mannes zu kompensieren. Die beiden Attribute »reizvoll« und »demütig« waren die Grundvoraussetzung, das Bild der Frau in eine Projektionsfläche zu verwandeln: Ihre Reize demütig zur Schau stellend konnte sie der männlichen Phantasie ohne Einspruch zur Verfügung stehen. „Ferner bedeutet (im Traum) eine Schreibtafel eine Frau, weil sie alle möglichen Prägungen von Buchstaben in sich aufnimmt.“347

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Die Frau ist beschreibbar wie ein leeres Buch. In ihr werden die Zeichen festgeschrieben, mit denen sie eine Geschichte erhält und durch die sie deutbar wird. Das Bild der idealen Frau als das Andere, das Beschreibbare, wurde in der westlichen Kultur vorwiegend von Männern erschrieben und tradiert. Die Erschaffung der idealen Frau war die männliche Ermächtigung über das Andere, indem die Zeichen des Anderen angeeignet und immer wieder aufs Neue umgedeutet wurden. Auch die weibliche Grabplastik wurde als ideale Frau entsprechend ihrer zeitgenössischen Projektionsfähigkeit und Sinnstiftungen dargestellt. In Form eines Grabmonuments blieben in ihr die Vorstellungen, Praktiken und Gefühle all derjenigen versteinert, denen sie galt.

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5 Schluss 5.1 Schlagbilder Die weiblichen Grabplastiken wiesen die bürgerlichen Familiengräber und ihre Verstorbenen als erinnerungswürdig aus. Durch sie konnte das Eigene Grab auf den Friedhöfen um 1900 als individueller und privater Erinnerungsort inszeniert werden. Dabei avancierte das Motiv der ›Trauernden‹ nicht nur auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg, sondern auch auf zahlreichen anderen europäischen Begräbnisplätzen zu einem Schlagbild bürgerlicher Gedächtniskultur. In der geisteswissenschaftlichen Forschung wurden zeitspezifische Schlagbilder, die innerhalb bürgerlicher Kulturen wirkmächtig waren, bisher kaum berücksichtigt. Demgegenüber erfreuen sich Schlagbilder auf Buchcovern von wissenschaftlichen Veröffentlichungen großer Beliebtheit, um retrospektiv die Essenz einer historischen Situation zu visualisieren und die Leserschaft auf diese einzustimmen. Die ›Trauernde‹ soll abschließend zwei Schlagbildern gegenübergestellt werden, die bei der Covergestaltung von wissenschaftlichen Veröffentlichungen über das späte 19. Jahrhundert und die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts verwendet wurden. „Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts“ (2009) von Jürgen Osterhammel und „Der taumelnde Kontinent. Europa 1900 – 1914“ (2009) von Philipp Blom stellen sich der Herausforderung, den Zeitgeist des langen 19.  Jahrhunderts mit seinen Nachwirkungen zu skizzieren.1 Beide Publikationen wurden gleichermaßen von Feuilleton und Wissenschaft beachtet und gelobt2 – ­beachtenswert sind im Zusammenhang mit den weiblichen Grabplastiken die Abbildungen auf ihren Buchcovern (Abb. 338, Abb. 339). Bei Osterhammel handelt es sich um ein Gemälde von Joseph Mallord William Turner (1775 – 1851), bei Blom um eine Photographie von Jacques-Henri Lartigue (1894 – 1986). Die Cover wurden in zwei Hälften geteilt: im oberen Bereich Titel und Name des Autors auf weißem Grund, im unteren Teil die Abbildung. Die Bilder unterlegen nicht die Schrift, sie dekorieren nicht einfach den Bucheinband, sondern Schrift und Bild wurden klar voneinander getrennt, so dass die Abbildungen uneingeschränkt als Schlagbilder wirken können. Sie fungieren als Zeitdokument und Sinnbild der Zeit zugleich. Dabei präsentiert Osterhammels Veröffentlichung die „Verwandlung der Welt“ anhand Turners Gemälde „Rain, Steam and Speed – The Great Western Railway“ (1844): Es zeigt eine Dampflokomotive, die über eine Brücke eine undefinierte Landschaft durchbricht, die Ruhe des Wassers oder der Felder zu durchschneiden scheint und im nächsten Augenblick verschwunden sein wird – Staub wird aufgewirbelt, Dampf und

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Abb. 338: Cover, Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts (München 2009) Abb. 339: Cover, Philipp Blom: Der taumelnde Kontinent. Europa 1900 – 1914 (München 2009) Abb. 340: Cover, Christa Dericum: „Die Zeit und die Zeit danach“. Eine Spurensuche auf den Friedhöfen Berlins. Mit Fotografien von Isolde Ohlbaum (Berlin 2003)

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Rauch ausgestoßen, die Umgebung gerät in Aufruhr, sogar der Himmel wirkt durchbebt und so deutet das Bild an, dass es einige Zeit dauern wird, bis sich alles wieder gelegt haben könnte. Bloms Publikation nutzt ebenfalls ein zeithistorisches Bild, um den Charakter der Zeit zu unterstreichen. Lartigues Photographie mit dem Titel „Delage-Rennwagen“ bildet nur einen flüchtigen Ausschnitt des französischen Grand-Prix-Autorennens vom 26. Juni 1912 ab. Die „vibrierende Energie und Geschwindigkeit“3 wurde eingefangen, indem das Auto bei kurzer Belichtung fast scharf getroffen erscheint und die Straße, Menschen und der Hintergrund verschwommen auseinanderdriften. Von dem Automobil ist nur das Heck zu sehen – das Tempo war offensichtlich zu hoch, um das Fahrzeug in ganzer Länge einfangen zu können, die Geschwindigkeit erscheint wie eine Sinnestäuschung, die den Kontinent ins Taumeln brachte. Bei beiden Publikationen eröffnet sich schon vor dem Aufschlagen des Buchdeckels ein Einblick in die historische Situation vor dem Ersten Weltkrieg. Der Dreh- und Angelpunkt ist bei beiden ein Bild von Geschwindigkeit. Dabei geht es nicht ausschließlich um Aspekte der Technikgeschichte oder Industrialisierung, sondern vorrangig um die Menschen unter den Bedingungen, als sich die Welt verwandelte und zu taumeln begann. Neben diesen Bildern wirkt die weibliche Grabplastik wie ein allzu liebliches Relikt aus der Vorzeit, wie ein versteinertes ­Fossil (Abb. 340). Der Moment der Trauer wurde der Zeit enthoben. Hier wurden keine Bewegungen in Bruchteilen von Sekunden angezeigt, sondern Gesten, die es mit einer ersehnten Ewigkeit aufnehmen sollten. Zwar wurden die Figuren mit neuen Techniken und unter modernen Vertriebsbedingungen verbreitet, aber ihre Darstellung schöpfte aus einem historischen Fundus, das Material sollte die folgenden Generationen überdauern, das Weiblichkeitsbild entzog sich den Lebensrealitäten der zeitgenössischen Frau und konser-

Schluss

vierte ein zunehmend überholtes Ideal. Sie sind ein Beleg für die Konservierungsstrategien von Akteuren und Akteurinnen, deren Leben von Beschleunigungsschüben von der Dampfmaschine bis zum Automobil durchbebt wurden. Es scheint fast so, als hätten Dampfloks und Autos an den Familien vorbeiziehen dürfen, aber das gelebte Leben der Verstorbenen bewahrt werden und die Erinnerung an sie aufrechterhalten bleiben sollen. Die Bedeutung der ›Trauernden‹ als Schlagbild ist auf den ersten Blick anschaulich: Im Gestus der trauernden, idealen Frau markierte sie das Grab als betrauernswert und erinnerungswürdig – Jahre und Jahrzehnte später gleicht sie einem Fossil, „­Reste organischer Leben, welche sich in der Erde befinden“4, einem Zeugnis vergangenen Lebens, das an die Erdoberfläche dringt. Auf den zweiten Blick offenbaren sich also die Sedimente, die sich Schicht für Schicht auf den Figuren abgelagert haben und aus diskursanalytischer Perspektive Rückschlüsse auf den historischen Gesamtkontext zulassen. Die Grabmäler deuten dabei keine Anspielungen auf Geschwindigkeit oder Beschleunigung an, sondern verkörpern Beständigkeit und Standhaftigkeit. Daraus muss nicht etwa die Kausalkette abgeleitet werden, dass kollektive Erfahrungen von Geschwindigkeit und Beschleunigung im Leben gezwungenermaßen Bilder von Versteinerung und Entschleunigung für das Ableben nach sich zögen. Dennoch wird im Phänomen der weiblichen Grabplastik offenkundig, dass in der Grabmalkultur des 19. Jahrhunderts Möglichkeiten entwickelt wurden, mit der Geschwindigkeitszunahme umzugehen, sich in ihr zu positionieren, ihr etwas entgegenzusetzen oder sie zu ergänzen.

5.2 Rückblick und Ausblick Das Phänomen der weiblichen Grabplastiken im Kontext der Friedhofskultur zu untersuchen, bietet den Erkenntnisgewinn, dass Objekte eng verwoben sind mit der kulturhistorischen Aufladung physischer und geographischer Räume. Die Zentralisierung des Bestattungswesens brachte weitläufige Begräbnisplätze mit eigenen Friedhofsreglements hervor. Diese boten das Fundament, auf dem großfigurige Plastiken auf dem Eigenen Grab mit Laufzeiten bis auf Friedhofsdauer installiert werden konnten. Da die Begräbnisplätze als ästhetisierte (Landschafts-)Räume konzipiert worden waren, kultivierte das kunstinteressierte Bürgertum eine individuelle Ästhetisierung seiner Grabmäler. Auf der Bühne des Friedhofs konnte nun das Andenken an die Verstorbenen mit repräsentativen Grabmonumenten wie den ›Trauernden‹ für ein öffentliches Publikum in Szene gesetzt werden. In einer Bilderreihe zeigen die weiblichen Grabplastiken eine Bildmorphologie, in der bestehende Motive auf unterschiedliche

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Weise amalgamiert wurden: Indem auf bestehende ikonographische Bildtraditionen zurückgegriffen, diese modifiziert und überformt wurden, konnte das Motiv der ›Trauernden‹ entstehen, das den Bemühungen nach einer spezifisch bürgerlichen Gedenkkultur gerecht werden konnte. In diesen Amalgamen spiegelt sich der Wunsch, das bürgerliche Lebenswerk im Kontext von christlicher, profaner oder mythologischer Sinnstiftung erinnert zu wissen. Darüber hinaus offenbart die Praxis des Amalgamierens, dass es das Bedürfnis gab, die individuelle Lebensleistung in all diesen Kontexten mit biographischen Bezügen zu verewigen. Die ›Trauernde‹ fungierte als Zeichensystem von tradierten, codierten und diskursiven Zeichen, die mit ihren jeweiligen Bedeutungsverweisen das Andenken an die Verstorbenen symbolisch und emotional aufluden. Vor dem mentalitätshistorischen Panorama zeigt sich die weibliche Grabplastik selbst als Zeichen innerhalb von Zeichensystemen, in denen sich die Lebenswelten des langen 19. Jahrhunderts fragmentarisch niedergeschlagen haben. Diese Objekte stellen besonders gewinnbringende Quellen dar, weil sie jene blinden ­Flecken sichtbar machen, in denen sich Vorstellungsbilder entwickelt und gewandelt haben. Das Phänomen der weiblichen Grabplastik im Kontext unterschiedlicher Lebensbereiche und Vergleichsterrains zu untersuchen, ermöglicht für die Kultur- und Mentalitätsforschung Einblicke darin, auf welche Weise Objekte in kulturellen Praktiken, zeitgenössischen Diskursen und Vorstellungswelten wurzeln und selbst teils neue Praktiken, Diskurse und Vorstellungen hervorbringen. Zudem bieten die reflektierenden Perspektivwechsel von den Auftraggebenden, Verstorbenen, Hinterbliebenen und dem öffentlichem Publikum einen wissenschaftlichen Zugang auf das Phänomen der weiblichen Grabplastik, durch den sich die unterschiedlichen Bedeutungen der ›Trauernden‹ für die Akteure und Akteurinnen mit ihren jeweiligen Positionen dezidiert rekonstruieren lassen. Die Figuren waren Medien, auf denen der bürgerliche Habitus, der Anspruch auf Erinnerungswürdigkeit und die tradierten Geschlechterideale in scheinbar unverwüstlichen Materialien »versteinert« wurden. In ihnen fanden nicht nur innere Vorstellungsbilder eine Visualisierung in materiellen Bildern, sondern auch die Sehnsucht nach Selbstermächtigung ein Betätigungsfeld repräsentativer Selbstdarstellung. Dem zeitgenössischen Symptom der inneren Zerrissenheit wurde mit Bildschöpfungen des Ganzheitlichen und Besänftigenden begegnet. Der Tod schien mit den sinnlichen Weiblichkeitsbildern und ihrem Versprechen auf erinnernde Nachkommenschaft und ewigliches Begehren gemildert. Das Gedenken an die Toten richtete sich weniger auf ein christlich motiviertes Jenseits, sondern blieb nun verstärkt im Irdischen, dem Bereich der individuellen Lebensleistung, verhaftet. Aus dieser diesseitigen Perspektive ver-

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körperten die weiblichen Grabplastiken private Denkmäler und reizvolle Projektionsflächen für eine bewundernde Nachwelt. Die Ergebnisse aus der Untersuchung weiblicher Grabplastiken sind in unterschiedliche Richtungen anschlussfähig. Der Fokus auf das Phänomen ausgehend von Hamburg bot neuartige Einblicke in die innere Verfassung des hanseatischen Bürgertums und könnte in Gegenüberstellung mit weiteren Städten unter dem Aspekt der spezifisch republikanischen/monarchischen oder protestantischen/katholischen Prägungen vertieft werden. Durch die Analyse der Voraussetzungen für das Phänomen der weiblichen Grabplastiken steht Forschungsprojekten zu Sterben, Grab und Trauer nun eine Vergleichsgröße zur Verfügung, mit der sich weitere historische oder auch gegenwärtige Veränderungen im Umgang mit den Toten abgleichen lassen. Auf der Grundlage der ›Trauernden‹ können für Forschungsfragen nach kollektivem ­Gedächtnis, Bürgerkultur und Bildwissenschaften Aussagen über ein spezifisch bürgerliches Bilder-Gedächtnis getroffen werden. Für den Bereich der Geschlechterforschung bietet die weibliche Grabplastik eine Visualisierung der zeitspezifischen Geschlechterdiskurse, welche die idealisierte Weiblichkeit entlang der Aspekte wie Familie, eheliche Liebe, „Natürlichkeit des Geschlechts“, Überhöhung und Projektion nachvollziehbar machen. Auch für das Forschungsfeld historischer Gefühlswelten ermöglicht die ›Trauernde‹ eine Annäherung an die Kultivierung und Artikulation von Emotionen um 1900, da sich anhand der Objekte in ihren unterschiedlichen Diskursen jene zeitgenössischen Praktiken, Konventionen und Vorstellungswelten rekonstruieren lassen, in denen sich Gefühlskulturen entfalten. Allerdings bleiben bestimmte Fragen an die bürgerliche Trauerkultur und die Bedeutung der ›Trauernden‹ offen, die an anderer Stelle – und unter günstigeren Quellenvoraussetzungen – beantwortet werden könnten: So würde beispielsweise die wissenschaftliche Beschäftigung mit Nachlässen von Künstlern oder Stein­ metzen Aufschlüsse über die Kosten von Grabmonumenten geben, die wiederum in Abgleich mit Kaufkrafttabellen zum späten 19.  Jahrhundert und vergleichbaren Ausgaben der Auftraggebenden weitere Erkenntnisse zum materiellen und ideellen Wert des Grabschmucks zuließen. Auf diesem Wege könnte zudem das Verhältnis zwischen den Künstlern und den Auftraggebenden hinterfragt werden, um Aussagen über die Verbreitung neuer Bildschöpfungen sowie über die (un)bewusste Entscheidung für eine weibliche Figur auf dem Grab zu treffen. Auch die Lücke zu den vereinzelten weiblichen Grabplastiken auf jüdischen Friedhöfen der Jahrhundertwende, auf denen figürlicher Grabschmuck nicht etabliert war, könnte im Kontext der Akkulturation an den bürgerlichen Habitus geschlossen werden.5

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Dennoch stellt sich nach wie vor ein Quellenproblem zur historischen Trauer- und Grabmalkultur. Archivbestände müssten inventarisiert und bisher unzugängliche Dokumente erschlossen werden, um empirische Aussagen über die Grabmalkultur um 1900 treffen zu können. Mit Hilfe von weiteren Einzeluntersuchungen von Friedhöfen, Erhebungen zur Verbreitung bestimmter Motive oder auch der Auswertung von Egodokumenten ließe sich ein geeignetes Fundament schaffen, auf dem die weibliche Grabplastik noch mehr Indizien für die Kultur- und Mentalitätsgeschichte geben würde. Auf dieser Basis wäre ein konsequenter europäischer Vergleich, also eine direkte Gegenüberstellung des Phänomens nach transnationalen, interkulturellen Fragestellungen, erstrebenswert, aber auf Grund der momentanen Quellenlage nur punktuell leistbar. Konkret könnten im Rahmen von Friedhofsinventarisierungen, Denkmalschutzmaßnahmen oder Patenschaftsgräbern historische Quellen für die Untersuchung der bürgerlichen Grabmalkultur nutzbar gemacht werden. Ansätze hierfür finden sich in der regionalen Bestandsaufnahme der Skulpturen von Julius Seitz (1847 – 1912) im Breisgau oder auch in der überregionalen Vernetzung der Initiative „Association of Significant Cemeteries in ­Europe (ASCE)“.6 Auch der Fokus auf die räumliche Inszenierung der Grabplastiken vor Ort könnte verschärft werden, um die Bezüge zwischen visueller Kultur, zeitgenössischem Bildergedächtnis und der Gestaltung privater Erinnerungsorte im öffentlichen Raum aufzuarbeiten. Einen vergleichbaren Ausgangspunkt bietet David Morgan mit seiner Abhandlung zum „Sacred Gaze“, auf dem die Wechselwirkungen zwischen Blickkulturen, Frömmigkeit und der Inszenierung von christlich-konnotierten Segenszeichen beleuchtet werden.7

5.3 Die Wiederbelebung der ›Trauernden‹ Jenseits der Geschichte zeigt sich die weibliche Grabplastik durchaus auch als aktuelles Phänomen. Das Schlagbild der ›Trauernden‹ erfährt seit einigen Jahren eine Art Wiederbelebung – es dient in unterschiedlichen Medien als Eyecatcher. Mit ihr wird beispielsweise eine Publikation zur Kulturgeschichte des Friedhofs präsentiert, ohne dass die Figuren in der Abhandlung eigens thematisiert würden (Abb. 341). Auch in anderen Veröffentlichungen zur Geschichte der Friedhofs- oder Grabmalkultur dienen weibliche Grabplastiken der Covergestaltung, obwohl ihr Phänomen mit seiner Hochphase von 30 Jahren im Zeitraum von den 1880er bis 1910er Jahren einen minimalen Anteil an der Geschichte der westlichen Begräbniskultur hatte. Auch Friedhofsführer zu Prominentengräbern nutzen die ›Trauernden‹ als Blickfang, obgleich sie

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kaum repräsentativ sind für die Grabgestaltung von prominenten Verstorbenen (Abb. 342). Auch auf Homepages von kommunalen Friedhöfen erscheinen weibliche Grabplastiken auf der Startseite, ohne einen konkreten Bezug zu den Interessen der User zu markieren, wie z. B. Öffnungszeiten, Begräbnisgebühren oder Barrierefreiheit. Diese Beispiele zeigen, dass mit den weiblichen Grabplastiken erneut Sinnstiftungen verbunden werden und sie abermals als Projektionsflächen für Geschichtsträchtigkeit, kultivierte Trauer, würdevollen Abschied oder erhoffte Ewigkeit dienen. Doch auch über den Bereich des Friedhofs hinaus scheint die ›Trauernde‹ derzeit wieder wirkmächtig und sinnstiftend: Sie schmückt Beileidskarten und Postkartenbücher, bebildert Gedichtbände und ziert Adressbücher sowie Wand- oder Schreibtischkalender (Abb. 343, Abb. 344).8 Auch im World Wide Web werden Abbildungen von weiblichen Grabplastiken auf den Startseiten von Homepages im Bereich Reisetipps, Photographie oder Gothic-Kultur als Schlagbilder genutzt.9 In zahlreichen Online-Communities, in denen Photos geteilt, verknüpft und ­ diskutiert werden können, outen sich User über Bilderreihen von Urlaubsphotos, die mit einer ›Trauernden‹ starten, gezielt als nekrophile Globetrotter, die sich in Diskussionsbeiträgen über vergleichbare Motive, schwer zugängliche Friedhöfe und weitere Reiseziele austauschen.10 Das Phänomen der weiblichen Grabplastik riss im 20.  Jahrhundert infolge der Reformbewegungen und unter dem Eindruck der Weltkriege ab. Die Sinnstiftung durch die Figuren verblasste hinter neuen, aktualisierten Vorstellungsbildern und Grabmalkulturen. Auch ihr ideeller Wert schwand, da ihnen lange Zeit – teilweise noch bis heute – der Ruf des Kitschigen und Pathetischen anhaftete. Bildern ist immanent, dass sie entlang von Diskursen und Praktiken ihre Bedeutung verlieren und unter veränderten Bedingungen neu aufgeladen werden. Besonders anschaulich wird

Abb. 341: Cover, Reiner Sörries: Ruhe sanft. Kulturgeschichte des Friedhofs (Kevelaer 2009) Abb. 342: Cover, Thomas Scha­ efer: Wer liegt wo? Prominente auf Bremer Friedhöfen (Bremen 1998) Abb. 343: Beileidskarte (seit 1999)

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Abb. 344: Cover, Isolde Ohlbaum: Denn alle Lust will Ewigkeit. Erotische Skulpturen auf europäischen Friedhöfen (München 2000) Abb. 345: „Schönheit und Vergänglichkeit“ – Titelthema der Zeitschrift Ewig – Forum für Gedenkkultur (München 2006) Abb. 346: „Abschied und Trost“ – Titelthema der Zeitschrift Ewig – Forum für Gedenkkultur (München 2009)

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diese Neuaufnahme der ›Trauernden‹ auf den Titelseiten der Zeitschrift „Ewig – Forum für Gedenkkultur“. Hier wurde für das Titelthema „Schönheit und Vergänglichkeit“ die Photographie ­ einer weiblichen Grabplastik auf dem Cover dargestellt; für das ­Titelthema „Abschied und Trost“ wurde eine junge Frau abgebildet, die mit der Pathosformel des gesenkten Blicks wie von einem nebligen Schleier veliert erscheint (Abb. 345, Abb. 346).11 Die Verknüpfung von geschlechtsspezifischer Rollenzuschreibung, Natürlichkeit und emotionaler bzw. psychischer Fürsorge wird momentan aktualisiert12 – die Idealisierung von weiblicher Trauer aufs Neue konstruiert und öffentlich in Szene gesetzt. Obgleich sich die Gestaltung von Bildern, der Umgang mit ihnen, die Selbstermächtigung über sie oder die Projektionen auf sie verändern: Der Modus, in dem Phänomene wie die weibliche Grabplastik sinnstiftend werden, ändert sich kaum, denn das Motiv der ›Trauernden‹ ist abermals Mittel und Ausdruck der inneren ­Haltung gegenüber Tod, Trauer und Gedenken.

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Anmerkungen Kapitel 1 Einleitung 1

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Vgl. Hans Belting: Vorwort. In: W. J. T. ­Mitchell: Das Leben der Bilder. Eine Theorie der Visuellen Kul­tur. München 2008, S. 7 – 10. Michael Diers: Schlagbilder. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart. Frankfurt am Main 1997, S. 7. Vgl. dazu den Spannungsbogen von Bildgebrauch über Bilderwartung hin zu Bilderfüllung in Warnkes Abhandlung über die Wechselwirkungen zwischen Transformation und Projektion innerhalb der Kunst und des Lebens, Martin Warnke: Bildwirklichkeiten. Göttingen 2005, speziell S. 54 – 71. Philippe Ariès: Geschichte des Todes. 10. Aufl. München 2002 (1980), S. 519 – 712; weiterführend mit kulturwissenschaftlichphilosophischem Fokus vgl. Petra Gehring: Theorien des Todes zur Einführung. Hamburg 2010. Vgl. Philippe Ariès: Bilder zur Geschichte des Todes. München 1984, S. 252 – 279. Isabel Richter: Der phantasierte Tod. Bilder und Vorstellungen vom Lebensende im 19. Jahrhun­dert. Frankfurt am Main 2010, S. 11; vgl. auch zu den Wechselwirkungen von Bild/Objekt, Selbstereflexion und Bildakt Horst Bredekamp: Theorie des Bildaktes. Frank­f urter Adorno-Vorlesungen 2007. Berlin 2010. Maurice Halbwachs: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Erstmals erschienen 1925. Frankfurt am Main 1985, S. 21. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hoch­kulturen. München 1999, S. 33. In der deutschsprachigen Bürgertumsforschung haben sich zwei große Forschungsprojekte dem Bürger­tum gewidmet (Universität Frankfurt am Main um Lothar Gall, Universität Bielefeld um Hans-Ulrich Wehler) und die Diskurse der letzten 20 Jahre maßgeblich bestimmt; vgl. Lothar Gall (Hg.): Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert. München 1990; Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Gesellschafts­geschichte.

5 Bde. München 1987 – 2008; Jürgen Kocka: Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. 3 Bde. München 1988; zum Bürgertum am Übergang zu Moderne und Postmoderne s. Andreas Schulz: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert. Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 75. Hg. von Lothar Gall. München 2005; überblicks­ artige Darstellungen zu Kernbereichen wie Öffentlichkeit, Familie, Kunst, Religion oder Selbstdarstellung geben Gunilla Budde: Blütezeit des Bürgertums. Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert. Darmstadt 2009 (a); der Sammelband von Manfred Hettling, Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.): Der bürgerliche Werte­himmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts. Göttingen 2000 sowie die Beiträge in dem Sammelband von Werner Plumpe, Jörg Lesczenski (Hg.): Bürgertum und Bürgerlichkeit zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. Mainz 2009. 10 Michael Schäfer: Geschichte des Bürgertums. Eine Einführung. Köln, Weimar, Wien 2009, S. 10; die terminologischen Unterschiede sind beispielsweise im Französischen klarer getrennt (bourgeois und bourgeoisie; citoyen und citoyenne). 11 Schäfer (2009), S. 9. 12 Ebd. 13 Vgl. die Sammelbände Hettling, Hoffmann (2000) sowie Dieter Hein, Andreas Schulz (Hg.): Bürgerkul­tur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt. München 1996. 14 Ebd., S. 13. 15 Vgl. den Ansatz von Ulrike Döcker: Die Ordnung der bürgerlichen Welt. Verhaltens­ ideale und soziale Praktiken im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1994. 16 S. Pierre Bourdieu: Sozialer Raum und „Klassen“. Leçon sur la leçon. 2 Vorlesungen. Frankfurt am Main 1985 (1982), S. 12; hier ist zu beachten, dass in Bourdieus Schriftsprache Französisch die so­ziokulturellen Grenzen zwischen Bourgeoisie/Großbürgertum, Kleinbürgertum und Arbeiterschaft/ Volksklassen verortet werden.

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17 Bourdieu entwickelte ein Erklärungsmodell zur Sozialstruktur der Gesellschaft, wonach die Verfügung des Individuums über ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital und soziales Kapital die Verortung innerhalb der Gesellschaft bestimmt sowie das symbolische Kapital, das Prestige und Anerkennung verleiht. Die Kapitalausstattung und der Habitus lassen somit Rückschlüsse auf die Zugehörigkeit des Einzelnen zu einer Klasse bzw. Gruppe und deren Lebensstile zu, vgl. ders.: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main 1982 (1980), S. 171 – 210. 18 Vgl. den Ansatz von Sibylle Meyer: Das Theater mit der Hausarbeit. Bürgerliche Repräsentation in der Familie der wilhelminischen Zeit. Frankfurt am Main, New York 1982 sowie Marita Bombek: Kleider der Vernunft. Die Vorgeschichte bürgerlicher Präsentation und Repräsentation in der Kleidung. Münster 2005. 19 Vgl. Norbert Fischer: Vom Gottesacker zum Krematorium. Eine Sozialgeschichte der Friedhöfe in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien 1996 (b), S. 75 – 93, hier S. 77. 20 Vgl. weiterführend Oliver Janz: Das symbolische Kapital der Trauer. Nation, Religion und Familie im italienischen Gefallenenkult des Ersten Weltkriegs. Tübingen 2009; Barbara Happe: Die Typisierung der Grabmäler im Zuge der Reformbewegung. In: Grabkultur in Deutschland. Geschichte der Grabmäler. Hg. von der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal, Museum für Sepulkralkultur, Kassel. Berlin 2009, S. 179 – 188; Helmut Schoenfeld: Reformgrabmale des frühen 20. Jahrhunderts. In: ebd., S. 163 – 178; ders.: Rationalisierung der Friedhöfe. Die Friedhofsreformbewegung von den Anfängen bis in die Zeit des Nationalsozialismus. In: Raum für Tote. Die Geschichte der Friedhöfe von den Gräberstraßen der Römerzeit bis zur anonymen Bestattung. Hg. von der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal, Zentralinstitut und Museum für Sepulkralkultur Kassel. Kassel 2003, S. 163 – 194; James Curl: Death and Architecture. An Introduction to Funerary and Commemorative Buildings in the Western European Tradition, with Some Con-

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sideration of Their Settings. Stroud 2002, S. 315 – 337 sowie Fischer (1996 b), S. 75 – 93. Das „lange 19. Jahrhundert“ wird für jenen Zeitraum angesetzt, der die Formationsphase des Bürger­tums ab dem fortgeschrittenen 18. Jahrhundert bis zu dem historischen Einschnitt des Ersten Weltkriegs (1914 – 1918) umfasst; vgl. Franz Bauer: Das „lange“ 19. Jahrhundert (1789 – 1917). In: Michael Maurer (Hg.): Aufriss der Historischen Wissenschaften. Bd. 1 (Epochen). Stuttgart 2005, S. 311 – 405; Nils Frey­tag, Dominik Petzold (Hg.): Das „lange“ 19. Jahrhundert. Alte Fragen und neue Perspektiven. München 2007 sowie Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 87 f. Ernst Bloch sah die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ symptomatisch für ein gleichzeitiges Auftreten Fortschrittsbegeis­ terung und -verweigerung innerhalb der Gesellschaft und damit als ein Charakteristikum der Moderne; vgl. Ernst Bloch: ­Erbschaft dieser Zeit. Zürich 1935; s. auch Reinhart Koselleck: Fortschritt. In: Otto Brunner (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 2. Stuttgart 1975, S. 351 – 423. Im Inventarisierunsband für den Friedhof Ohlsdorf sind die exakten Angaben für die historischen, noch erhaltenen Gräber dokumentiert (Namen, Jahr der Erstbelegung, Lage, gegebenenfalls beteiligte Künstler, Steinmetze, Architekten etc, Angaben zu Materialien, Gestaltung und Verweisen). Er stellt die zuverlässigste Quelle für den historischen Grabbestand dar, insbesondere seitdem Patenschaften für abgelaufene, erhaltenswerte Gräber erworben werden können und unter neuen Namen, Inschriften und Datierungen geführt werden; s. ­Barbara Leisner, Heiko K.L. Schulze, Ellen ­Thormann: Der Hamburger Hauptfriedhof Ohlsdorf. 2 Bde. Hamburg 1990. Seit einigen Jahren bietet auch das Internet eine gewisse Recherchehilfe: Immer mehr Privatpersonen, die eine persönliche Liebhaberei für Friedhöfe oder Trauerkultur pflegen, veröffentlichen Photographien auf speziellen Internetseiten oder in Foren. Auf diese Weise wurden indirekt historische Grabmäler dokumentiert, die unter Umständen bereits kurze Zeit später geräumt wurden, verfallen oder beschädigt wurden.

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Kapitel 1 Einleitung

Für wissenschaftliche Erhebungen sind diese Bilder zwar irrelevant, aber sie konservieren his­torische Grabbestände für kurze Zeit. 25 Die Objektive Hermeneutik wird vorwiegend im deutschsprachigen Wissenschaftsraum angewandt und geht zurück auf Ulrich Oevermann; zu den theoretischen methodologischen Hintergründen s. die Selbst­erklärung der Objektiven Hermeneutik Ulrich Oevermann, Roland Burkholz, Christel Gärtner, Ferdi­nand Zehentreiter: Forschungsbeiträge aus der objektiven Hermeneutik. Humanities Online: >https:// ssl. humanities-online.de/download/reihe. html< (Stand: 03.02.2011) sowie Dirk Pilz: Krisengeschöpfe. Zur Theorie und Methodologie der Objektiven Hermeneutik. Dissertation. Potsdam 2005; s. zur Anwend­ barkeit der Objektiven Hermeneutik auf die Wechselwirkungen zwischen Architektur, Rauminszenie­rung und bürgerlichem Selbstverständnis Oliver Schmidtke: Das mäzenatische Handeln des Bauherrn Karl Ernst Osthaus bei der Gestaltung seines Wohnhauses „Hohenhof“ in Hagen durch den Architekten Henry van de Velde. In: Ulrich Oevermann, Johannes Süßmann, Christine Tauber (Hg.): Die Kunst der Mächtigen und die Macht der Kunst. Untersuchungen zu Mäzenaten­ tum und Kulturpatronage. Berlin 2007, S. 259 – 285. 26 S. zur methodischen Anwendung Andreas Wernet: Einführung in die Interpretationstechnik der objek­tiven Hermeneutik. Opladen 2000, S. 7 – 20, S. 89 – 93 sowie Thomas Ley: Einführung in die Methode der objektiv-hermeneutischen Sequenzanalyse. Frankfurt am Main 2010. 27 Aby Warburg stellte 1912 die Ikonologische Analyse erstmals bei einem Kongress in Rom vor, indem er Freskenausmalungen in Ferrara aus der Zeit der Frührenaissance in Rückkopplung an astrologische Handschriften auswertete und sie damit als Zeitdokument zugänglich machte; s. Gabriele KoppSchmidt: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung. Köln 2004, S. 48 ff.; zur Ikonologie allgemein nach Warburg und Panofsky s. Erwin Panofsky: Ikonographie und Ikonologie (1939). In: Erwin Ka­emmerling (Hg.): Ikonographie und Ikonologie. Theorien – Entwicklung – Probleme. Bildende Kunst als Zeichensystem. Bd. 1. Köln 1979,

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S. 207 – 225; Martin Warnke: Vier Stichworte. In: ders., Werner Hofmann, Georg Syamken: Die Menschenrechte des Auges. Über Aby Warburg. Frankfurt am Main 1980, S. 53 – 83 sowie Kopp-Schmidt (2004); zu Rezeption und Resümee der Ikonologischen Analyse s. Franziska Irsigler: Möglichkeiten und Grenzen der Ikonologie als kunsthistorischer Methode – Pan­ofsky und seine Kritiker. München, Ravensburg 2006; zu Originaltexten Warburgs s. die jüngst erschie­nene Werksammlung Aby Warburg: Werke in einem Band. Auf der Grundlage der Manuskripte und Handexemplare. Hg. und kommentiert von Martin Treml, Sigrid Weigel, Perdita Ladwig. Berlin 2010, S. 326 – 400; zur politischen Ikonographie s. Martin Warnke: Politische Landschaft. Zur Kunstgeschichte der Natur. München 1992; ders.: Politische Ikonographie. In: ders.: Bildindex zur politiscihen Ikonographie. Hamburg 1996, S. 5 – 12; ders.: „Vor-Bilder“. In: Kursbuch 146. Vorbilder. Berlin 2001, S. 19 – 27. Vgl. Panofsky (1939/1979), S. 210 ff.; ­Kopp-Schmidt (2004), S. 41 – 60. Vgl. zur Diskursanalyse in unterschiedlichen Wissenschaftskulturen Peter Ullrich: Diskursanalyse, Dis­kursforschung, Diskurstheorie. Ein- und Überblick. In: Ulrike Freikamp, Matthias Leanza, Janne Men­de, Stefan Müller, Peter Ullrich, Heinz-Jürgen Voß (Hg.): Kritik mit Methode? Forschungsmethoden und Gesellschaftskritik. Berlin 2008, S. 19 – 31; Franz X. Eder (Hg): Das Gerede vom Diskurs. Diskursana­lyse und Geschichte. Innsbruck 2005 sowie die ausstehenden Forschungsergebnisse und Beiträge der Tagung „Bilder in historischen Diskursen – 3. Internationale Tagung zur historischen Diskursanalyse“ auf Initiative von Franz X. Eder, Achim Landwehr, Jürgen Martschukat und Philipp Sarasin (Wien, September 2011) sowie zum methodischen Vorgehen der Diskursanalyse vgl. Siegfried Jäger: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. Münster 2009, S. 188 – 214. Vgl. Mitchell (2008), S. 81. Hans Hofstätter: Friedhofsplastik. Grabdenkmäler im Cimetero Monumentale di Staglieno in Genua. In: das Kunstwerk, Zeitschrift für bildende Kunst, 24 (1971), S. 6 – 20, hier S. 7.

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32 Sandra Berresford: Italian Memorial Sculpture 1820 – 1940. A Legacy of Love. Photographs by Rob­ert W. Fichter, Robert Freidus. London 2004; im Folgenden wurde der Forschungsstand bis 03.2011 berücksichtigt. 33 Bernhard Maaz: Das Grabmal: Ewigkeitshoffnungen im Diesseits. In: ders.: Skulptur in Deutschland zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg. Bd. 1. Berlin, München 2010, S. 226 – 265. 34 Zu Veröffentlichungen seit den 1980ern s. chronologisch Ellen Spickernagel: „Poetische Freiheit“ und „prosaische Beschränkung“. Zur geschlechtsspezifischen Form von Grabmal und Denkmal im Klas­sizismus. In: Kritische Berichte 4/1989, Jg. 17. Gießen 1989, S. 60 – 76; Norbert Fischer: Die Trauernde – Zur geschlechtsspezifischen Materialisierung von Gefühlen im bürgerlichen Tod. In: Metis. Zeitschrift für historische Frauenforschung und feministische Praxis, 10/1996, 5. Jg.: Grenzerfahrungen: Tod – Selbsttötung. Berlin 1996 (a), S. 25 – 32; Gerlinde Volland: Trauer in weiblicher Gestalt. Grabplastik um 1900 auf dem Friedhof Melaten. In: Denkmalpflege im Rheinland, 10/1998, 15. Jg. Köln 1998, S. 1 – 11 sowie Norbert Fischer, Sylvina Zander: Gesten der Trauer. Imaginierte Weiblichkeit in der Grabmalkul­tur vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. In: Friedhof und Denkmal 48, 1/2003. Kassel 2003, S. 6 – 14 und 3/2003, S. 18 – 30; dies.: Das figürliche Grabmal vom Barock bis zum Zweiten Weltkrieg. In: Grabkultur in Deutschland. Geschichte der Grabmäler. Hg. von der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal/Museum für Sepulkralkultur, Kassel. Berlin 2009, S. 67 – 93. 35 Ders.: Geschichte des Todes in der Neuzeit. 2001, S. 27 – 50; ders. (1996 b), S. 60 – 74; ders: Serialisierte Trauer – Zur Industrialisierung bürgerlicher Grabmalkultur um 1900 am Beispiel der Galvanoplastik. In: Claudia Denk, John Ziesemer (Hg.): Der bürgerliche Tod. Städtische Bestattungskultur von der Aufklärung bis zum frühen 20. Jahrhundert. Regensburg 2007, S. 115 – 121 sowie ders.: Sanfter Ab­schied: Die „Trauernde“ – Über Tod und Geschlecht im bürgerlichen Zeitalter. In: Alexandra Lutz (Hg.): Geschlechterbeziehungen in der Neuzeit – Studien aus dem norddeutschen Raum. Neumünster 2005, S. 179 – 191.

Anmerkungen

36 Ohlsdorf – Zeitschrift für Trauerkultur. Thema: Tod, Trauer und Weiblichkeit. Hg. vom Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof e. V. Nr. 85/86. Hamburg 2004 sowie Norbert Fischer, Sylvina Zander: Gesten der Trauer. Imaginierte Weiblichkeit in der Grabmalkultur vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. In: Friedhof und Denkmal 48, 1/2003. Kassel 2003, S. 6 – 14 und 3/2003, S. 18 – 30. 37 Barbara Leisner: Grabmalformen im 19. Jahrhundert. In: Grabkultur in Deutschland. Geschichte der Grabmäler. Hg. von der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal/ Museum für Sepulkralkultur, Kassel. Berlin 2009, S. 95 – 126; dies., Schulze, Thormann (1990), Bd.1, S. 120 – 148 sowie zu weiblichen Grabfiguren am Beispiel von drei Grabstätten in Ohlsdorf s. Martina Gödel: Bürgerliche Grabmalskultur auf dem Ohlsdorfer Fried­hof im Wilhelminischen Deutschland. Magisterarbeit Universität Hamburg. Hamburg 2003, S. 36 – 83. 38 Untersuchungen im deutschsprachigen Raum zu Friedhöfen in Bremen s. Eva Lorenz: Säkularisierung des Andenkens und die Entzauberung des Todes. Beschrieben an Bremer Friedhöfen. Sepulkralkultur zwischen Totenkult, Friedhofsästhetik und Gartenkunst. Magisterarbeit Universität Bremen. Bremen 2007, S. 20 – 28; zu Grabfiguren auf Friedhöfen der Wupperregion s. Mona Sabine Meis: Historische Grabdenkmäler der Wupperregion. Dokumentiert und analysiert vor dem Hintergrund der Entwicklung der Sepulkralkultur. Dissertation. Wuppertal 2002, S. 79 – 107; zur Darstellung von weiblichen Engeln und Trauerfiguren am Karlsruher Hauptfriedhof s. Anett Beckmann: Mentalitätsgeschichtliche und ästhetische Untersuchungen der Grabmalsplastik des Karlsruher Hauptfriedhofes. Dissertation Univer­sität Karlsruhe. Karlsruhe 2005, S. 70 – 74; zu weiblichen Grabplastiken auf Friedhöfen im Rheinland s. Ulrike Evangelia Meyer-Woeller: Grabmä­ler des 19. Jahrhunderts im Rheinland zwischen Identität, Anpassung und Individualität. Dissertation Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Bonn 1999, S. 100 – 111; mit Fokus auf Grabfiguren des Wiener Bildhauers Victor Tilgner s. Silvia Edtinger: Die Grabplastiken von Victor Tilgner. Eine Stilanalyse der weibli-

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Kapitel 2 Europäische Friedhöfe

chen Grabfiguren in Anbetracht des Frauenbildes seiner Zeit und der auf Grabmäler aufgestellten Bronzebüsten. Diplomarbeit Universität Wien. Wien 1999 sowie unter dem Gesichtspunkt der Erhal­tung historischer Grabmäler s. vereinzelte Beispiele bei Heike Schmidt: Friedhof und Grabdenkmal im Industriezeitalter am Beispiel Essener Friedhöfe: Geschichte – Gestaltung – Erhaltung. Eine kunsthisto­rische Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung des Steinzerfalls. Bochum 1993, S. 109 – 124. 39 Zeitschrift Ewig – Forum für Gedenkkultur. Titelthema: Schönheit und Vergänglichkeit. Nr. 2/2006. München 2006. 40 Vgl. den Sammelband von Thomas Macho, Kristin Marek (Hg.): Die neue Sichtbarkeit des Todes. Mün­chen 2007; Thomas Macho ist Visiting Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissen­schaften Wien mit dem Forschungsprojekt „Bild und Tod. Zur Geschichte des Repräsentationsbegriffs“; vgl. Forschungsprojekte beispielsweise am Institut für Kunstwissenschaft und Bildtheorie in Karlsruhe, die DFG-KollegForschergruppe „Bildakt und Verkörperung“ an der Humboldt-Universität Berlin (seit 2008), die Graduiertenkollegs und Summerschools der NFS eikones in Basel – dort lehrt

unter anderem Hans Belting, der sich mit dem speziellen Verhältnis zwischen Bild und Tod beschäftigt hat, s. Hans Belting: BildAnthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. München 2001 sowie zum Verhältnis von visueller Kultur, Grabmal und Trauerritual für die Frühe Neuzeit s. ders., Dietmar Kamper, Martin Schulz (Hg.): Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation. München 2002. 41 Vgl. Forschungsprojekt der VW-Stiftung „Tod und toter Körper“ an der Universtität Aachen (seit 2008). 42 Arne Karsten, Philipp Zitzlsberger (Hg.): Tod und Verklärung. Grabmalskultur in der Frühen Neuzeit. Köln, Weimar, Wien 2004. Requiem-Projekt der Humboldt-Universität zu Berlin (2001 – 2004 gefördert durch die Fritz Thyssen Stiftung, seit 2005 gefördert durch die DFG). 43 Eine Ausnahme markiert der Sammelband über den „bürgerlichen Tod“, ohne jedoch über die Grenzen der Sepulkralkultur weitreichender hinauszugehen, s. Claudia Denk, John Ziesemer (Hg.): Der bürger­liche Tod Städtische Bestattungskultur von der Aufklärung bis zum frühen 20. Jahrhundert. München 2009.

Kapitel 2 Europäische Friedhöfe 1

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Vgl. Erving Goffman: Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen. 3. Aufl. Frankfurt am Main 1993 (1980), S. 32 ff. Vgl. ders.: Wir alle spielen Theater. Selbstdarstellung im Alltag. München 2004 (1959). Vgl. Georg Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben. Dresden 1903. In: Die Großstadt. Vorträge und Aufsätze zur Städteausstellung. Jahrbuch der Gehe-Stiftung zu Dresden. Hg. von Th. Petermann, Bd. 9. Frankfurt am Main. 2006, S. 43, S. 185 – 206. Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Photomechan. Nachdr. der Erstausg., Leipzig 1941, Bd. 2. München 1991 (1854), S. 508 ff.; einen vergleichbaren Zugang zu den Wechselwirkungen von Repräsentation, Inszenierung und dem Fokus auf Körperlichkeit präsentiert der Sammelband über Theatralität unter

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Herausgabe von Fischer-Lichte und bietet mit Beispielen zum 17. und 20. Jahrhundert gewissermaßen eine Klammer für den Untersuchungszeitraum der weiblichen Grabplastik, vgl. Erika Fischer-Lichte: ­Theatralität und die Krisen der Repräsentation. Stuttgart, Weimar 2001; vgl. auch Nina Gülicher: Inszenierte Skulptur. Auguste Rodin, Medardo Rosso, Constantin ­Brancusi. München 2011. S. Oevermann, Burkholz, Gärtner, ­Zehentreiter (online, 2011); Ley (2010), Pilz (2005), Wernet (2000). S. Oevermann, Burkholz, Gärtner, ­Zehentreiter (online, 2011). Vgl. Schmidtke (2007), S. 259 – 285. Vgl. zur Geschichte des Friedhofs Ohlsdorf in Hamburg Leisner, Schulze, Thormann (1990); Helmut Schoenfeld: Der Friedhof Ohlsdorf. Gräber – Geschichte – Gedenk-

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Anmerkungen

stätten. Hamburg 2000 sowie Alfred Aust: Der Ohlsdorfer Friedhof. Hamburg 1953, s. überblicksartig Helmut Schoenfeld: Der Ohlsdorfer Friedhof – Ein Handbuch von A-Z. Hamburg 2006. In den folgenden Jahren wurde die städtische Infrastruktur nach Ohlsdorf immer besser ausgebaut. Ab 1896 wurde die elektrische Straßenbahn nach Ohlsdorf verlängert, 1906 eine dampfbetriebene Verbindung aufgenommen und ab 1914 der Friedhof im Streckennetz der Hoch- und Untergrundbahnen angefahren; vgl. Fischer (1996 b), S. 50 sowie Schoenfeld (2000), S. 11. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 1, S. 16 f. Vgl. Ariès. (2002/1980), S. 47, S. 69. Vgl. Lucian Hölscher: Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland. München 2005, S. 201 – 207 sowie Gehring (2010), S. 60 – 67. Franklin Kopitzsch, Daniel Tilgner (Hg.): Hamburg-Lexikon. 4. Aufl. Hamburg 2010, S. 87 f. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 1, S. 16 ff.; s. zu den Gräbern der Hamburger Oberschicht um 1800 Eberhard Kändler: Begräbnishain und Gruft. Die Grabmale der Oberschicht auf den alten Hamburger Friedhöfen. Hamburg 1997 sowie ders.: „O ihr Gräber der Todten! Warum lieget ihr nicht in blühenden Thälern beysammen?“ Grabstätten der Hamburger Oberschicht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Inge Stephan, Hans-Gerd Winter: „Heil über dir, Hammonia.“ Hamburg im 19. Jahrhundert. Kultur, Geschichte, Politik. Hamburg 1992, S. 199 – 232; zu den unterschiedlichen Grabmalformen s. überblicksartig für den deutschsprachigen Raum Zander (2009) sowie Leisner (2009). Kändler (1992), S. 213. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 1, S. 18 ff. Ebd., S. 20. Ernst Heinrich Wichmann: Wandkarte des Hamburger Gebietes nebst Umgegend. 6 Blätter, 2. Aufl. 1:30.000. Hamburg 1866; Friedrich Eugen Schuback: Plan von Hamburg, Altona und Umgegend als Billwärder, Borgfelde, Eilbek, Eimsbüttel, Harvestehude, Hamm, Hohenfelde, Pöseldorf, ­Steinwärder, Uhlenhorst. 1:12.000. Hamburg 1867 sowie

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Ernst Heinrich Wichmann: Hamburg, Altona und Umgegend. 1:60.000. Hamburg ca. 1870. Schoenfeld (2000), S. 10 f. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 1, S. 23 – 29. Die Friedhofsdeputation war eine städtische Behörde bestehend aus zwei Mitgliedern des Senates, einem Mitglied der Finanzdeputation, einem bürgerlichen Delegierten des Stadt-Konvents der evangelisch-lutherischen Kirche und drei aus der Bürgerschaft gewählten Delegierten. Vgl. Begräbnißordnung für den Friedhof Ohlsdorf nebst Bestimmungen über die alten Begräbnißplätze: Bekanntmachung betreffend die Aufstellung von Grabdenkmälern und Einfriedungen auf dem Friedhof zu Ohlsdorf. Hamburg 29. Mai 1884; hier § 1. Vgl. Fischer (1996 b), S. 35 – 59. Zit. n. Barbara Leisner: Ästhetisierung der Friedhöfe. Die amerikanische Parkfriedhofsbewegung und ihre Übernahme in Deutschland. In: Norbert Fischer, Markwart Herzog: Nekropolis. Der Friedhof als Ort der Toten und der Lebenden. Stuttgart 2005, S. 59 – 78, hier S. 74. Vgl. unter anderem Christian Cay Lorenz Hirschfeld: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig 1780, Reprint 1985. Hildesheim, Zürich, New York 1985 sowie Friedrich Ludwig von Sckell: Beiträge zur bildenden Gartenkunst für angehende Gartenkünstler und Gartenliebhaber. 2. verb. Aufl. München 1825 (Onlineressource, >http://diglit. ub.uni-heidelberg.de/diglit/sckell1825http:// www.br-online.de/content/cms/Universalseite/2008/03/28/cumulus/BR-online-Publikation--103391 – 20080324133037.pdf< (Stand: 14.01.2010). 176 Neuer Teil, Sektion 31, Nr. 1/34; vgl. ­Hufnagel (1969), S. 252; s. im Folgenden Grabmalamt München: Grabakte Sebastian Gaigel (1876), Dank an Hrn. Hebensteiner. 177 Nach Auskunft des Grabmalamtes München (Sept. 2009), Dank an Hrn. Hebensteiner. 178 Vgl. Vogelmaier (1994), S. 86. 179 S. Fischer (1996 b), S. 54. 180 Ebd., S. 50. 181 Barbara Hartmann: Zweckbau als öffentliche Aufgabe. Die Stadt als Bauherr. In: Friedrich Prinz, Marita Krauss (Hg.): München – Musenstadt mit Hinterhöfen. Die Prinzregentenzeit 1886 – 1912. München 1988, S. 107 – 113, hier S. 109. 182 Vgl. Krieg (1990), S. 154. 183 Grässel (1913), S. 1. 184 Ebd., S. 1 f. 185 Heide Karch: Das München-Bild und seine Vermarktung. In: Friedrich Prinz, Marita Krauss (Hg.): München – Musenstadt mit Hinterhöfen. Die Prinzregentenzeit 1886 – 1912. München 1988, S. 316 – 320; vgl. auch Rainer Metzger: München – Die große

Kapitel 2 Europäische Friedhöfe

Zeit um 1900. Kunst, Leben und Kultur 1890 – 1920. Wien 2008. 186 Vogelmaier (1994), S. 148. 187 S. Regula Michel: Der Friedhof Sihlfeld in Zürich-Wiedikon. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Bern 2002, S. 16; zur Friedhofsgeschichte und Bestattungskultur in der Schweiz vgl. Martin Illi: Wohin die Toten gingen – Begräbnis und Kirchhof in der vorindustriellen Stadt. Zürich 1992; Albert Hauser: Von den letzten Dingen – Tod, Begräbnis und Friedhöfe in der Schweiz (1700 – 1990). Zürich 1994 sowie Christoph Hänsli, Norbert Loacker: Wo Zürich zur Ruhe kommt. Die Friedhöfe der Stadt Zürich. Zürich 1998, S. 130 – 151; s. zur Grabmalkultur auf dem Friedhof Sihlfeld Michel (2002); Punkt für Punkt zur neuen Skulptur. Die Restauration von Denkmälern im Zürcher Friedhof Sihlfeld. In: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 202, 02.09.2009. Zürich 2009, S. 35; Marianne von Arx-Wegner: Ein Engel im Herbst. Historische Grabmäler auf Zürcher Friedhöfen. In: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 254, 01.11.2001, S. 43 f., Onlineressource >http://www.kirchen.ch/pressespiegel/nzz/2001110143.pdf< (Stand: 02.09.2009). 188 Vgl. Michel (2002), S. 5; vgl. Marco Jorio: Historisches Lexikon der Schweiz. Hg. von der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz. Basel 2002, S. 351 ff. 189 Vgl. Hänsli, Loacker (1998), S. 174. 190 Michel (2002), S. 6. 191 Vgl. Jorio (2002), Beitrag S. 351 ff. 192 Die Kommission und der Stadtbaumeister Geiser hatten sich Friedhofskonzepte in anderen Städten angesehen – häufig wird der Zentralfriedhof in Wien als Vorbild für den Friedhof Sihlfeld angegeben, weil in Wien der Zürcher Architekt Bluntschli an den Friedhofsplänen beteiligt war; allerdings gibt es hierfür keine sicheren Belege, vgl. Michel (2002), S. 6 – 10. 193 Ebd., S. 11; Hänsli, Loacker (1998), S. 174. 194 Michel (2002), S. 8; den Endpunkt der Mittel­achse markiert das ehemalige Krematorium in Form eines Tempels, das heute eine Aussegnungshalle ist. 195 Michel (2002), S. 12. 196 Ebd. 197 Vgl. ebd. S. 16 f. 198 S. die Werkkataloge von Louis Wethli: Grabes-Blüthen. 4. vermehrte und verbes-

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serte Aufl. Zürich o. J. sowie Louis Wethli: Bildhauer. Zürich Zeltweg (Werkskatalog). Zürich o. J., Kopie des Originalbüchlein online: >http://www.stadt-zuerich.ch/content/dam/stzh/prd/Deutsch/Bevoelkerungsamt/Formulare%20und%20Merkblaetter/ BFA_Formulare_Merkblaetter/Katalog_L_ Wethli.pdf< (Stand: 02.09.2009); s. überblicksartig zu serieller Fertigung von Grabwaren Gerold Eppler: Die Auswirkungen der Industrialisierung auf die Grabmalkultur. In: Grabkultur in Deutschland. Geschichte der Grabmäler. Hg. von der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal / Museum für Sepulkralkultur, Kassel. Berlin 2009, S. 127 – 150. 199 Schweizerisches Künstler-Lexikon. Hg. vom Schweizerischen Kunstverein. 4 Bde. Frauenfeld 1905 – 1917; hier Bd. 3, 1913, S. 490 sowie Thieme, Becker (1942), Bd. 35, S. 459. 200 Vgl. ebd. 201 Michel (2002), S. 15. 202 Wethli (2009). 203 Atelier-Villa 1877 von Zürcher Architekten Albert Meyer-Hofer für Louis Wethli erbaut und seit 1974 unter Denkmalschutz; Zeltweg Ecke Beustweg, Zürich. 204 Michel (2002), S. 15. 205 Familie Amberger, Bildhauer Louis Wethli, eingerichtet um 1900 (Exhumierung und Umbettung der ersten beiden Bestatteten von einem anderen Friedhof, 1. Beisetzung Maria Amberger (o. J.), 2. Beisetzung Bürkli (1898), Grabnr. 81454, heute Familiengrab Walder; s. Friedhofsarchiv Sihlfeld, Zürich (Fachstelle Gartendenkmalpflege Zürich), Inventarblatt Amberger (1894/1898), Konvolut (1894), Konvolut (1898), Konvolut (1899), Konvolut (1900); Bestattungs- und Friedhofsamt Zürich, Nachlass Louis Wethli, Dank an Meinrad Huber. 206 Ebd. 207 Illi (1992), zit. n. Hänsli, Loacker (1998), S. 186. 208 Zur Friedhofsgeschichte und Grabmalkultur in Genua s. Franco Sborgi: Staglieno e la scultura funeraria ligure tra Ottocento e Novecento. Turin 1997; Sofía Diéguez Patao (Hg.): Funeral Art and Architecture (XIX-XX). Dublin, Genova, Madrid, Torino. Dublin 2000; Berresford (2004), S. 62 – 65; Curl (2002), S. 276 – 284 sowie Hofstätter (1971), S. 7.; aufschlussreich sind auch die

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historischen Friedhofs- und Kunstführer für den Friedhof Staglieno, die mehrsprachig und in unterschiedlich aufwändigen Schmuckeinbänden veröffentlicht wurden, s. unter anderem Camposanto di Genova – 50 Vedute. Leporello-Faltung, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino (o. J.). 209 Mark Twain: Die Arglosen im Ausland. In: Gesammelte Werke. Hg. von Klaus-­ Jürgen Popp, Bd. 5. München, Wien 1977 (1869/1875), S. 149. 210 Diéguez Patao (2000), S. 194 f.; Emmina de Negri: Carlo Barabino. Ottocento e ­rinnovamento urbano. Genua 1977, S. 157 – 168. 211 Diéguez Patao (2000), S. 194 f. 212 Ebd., S. 196 f. 213 Ebd. 214 Der Italienbrockhaus. Italien von A bis Z. Wiesbaden 1983, S. 103 f. 215 Hofstätter (1971), S. 7. 216 Ebd. 217 Diéguez Patao (2000), S. 196 f; man weiß nur wenig über Details der Originalentwürfe, weil sie unentdeckt blieben, vgl. Beckmann (2005), S. 237. 218 A. Lode lobt die „Kampo Santo“ Anlage in Genua auf Grund der Lage und der „prunkhaften Grufthallen“ vor den Anlagen in München, Bozen und Innsbruck; s. A. Lode: Bestattungsanlagen. In: Wilhelm Prausnitz (Hg.): Atlas und Lehrbuch der Hygiene mit besonderer Berücksichtigung der Städte-­ Hygiene. München 1909, S. 614 – 638, hier S. 619. 219 Camposanto di Genova (um 1900), 40 Vedute. 220 Malwida von Meysenburg: Der Lebensabend einer Idealistin – Nachtrag zu den „Memoiren einer Idealistin“. Berlin, Leipzig 1903, S. 34 f. Im Umfeld von Malwida von ­Meysenburg fand der Friedhof Staglieno auch Erwähnung bei Kaiserin Elisabeth von Österreich oder Friedrich Nietzsche wie z. B. „Pia, caritatevole, amorosissima“ (Auf dem campo santo, 1909); s. Friedrich Nietzsche: Idyllen aus Messina. In: Sämtliche Werke. Bd. 3. München 1980 (1881/82), S. 341. 221 Vgl. Diéguez Patao (2000), S. 198 f. 222 Vgl. Luciana Mannoni, Tiziano Mannoni: Marmor – Material und Kultur. München 1980. 223 Twain (1977/1875), S. 149 f.

Anmerkungen

224 Stilprägende Künstler der ersten Jahrzehnte nach Friedhofsöffnung: Augusto Rivalto (1837 – 1925), Giovanni Battista Villa (1832 – 1899), Giuseppe Benetti (1825 – 1914), Domenico Carli (1828/29 – 1912), Lorenzo Orengo (1838 – 1909); Repliken, aber auch Imitationen sind auf fast allen europäischen Zentralfriedhöfen zu finden, des Weiteren in Buenos Aires am Cementerio de la Chacarita und Cementerio de la Recoleta; vgl. Diéguez Patao (2000), S. 202 – 205. 225 Ebd., S. 206 f. 226 Camposanto di Genova (um 1900), 40 Vedute. 227 Vom „Engel von Monteverde“ gibt es welt­ weit zahlreiche Repliken und Nachahmungen, unter anderei für Familie Schetty-­Haase/Resch-Haase (o. J.), Isidoro Pellegrini, Wolfgottesacker in Basel; Grabmal ­Horánszky Nándor (1902), Künstler unbekannt, Friedhof Kerepesi, Budapest; Familie Lejeune (1905), Steinmetzbetrieb Hofmeister, Hauptfriedhof Frankfurt (Main); Grabmal King (1923), Künstler nicht bekannt, Norwood Cemetery, London; Vicente Ocampo (o. J.), Künstler unbekannt, Recoleta, Buenos Aires; Familienname und Künstler unbekannt, Cementiri de ­Montjuic, Barcelona; Familiengrab ­Vermeuelen (1903), J.A. Lorenzi, Beaulieu Cimetière, ­Montecarlo; vgl. Berresford (2004), S. 208 f. 228 Vgl. Preiskategorien nach dem Regolamento von 1850; s. Patao (2000), S. 198 f. sowie ­Hofstätter (1971), S. 7. 229 Stilprägende Künstler der Jahrhundertwende bis zu den Weltkriegen: Leonardo Bistolfi (1854 – 1933), Edoardo De Albertis (1874 – 1950), Giacinto Pasciuti (1876 – 1941), Luigi Orengo (1865 – 1940), Gaetano Olivari (1870 – 1948) u. a.; vgl. Diéguez Patao (2000), S. 208 f. 230 Camposanto di Genova (um 1900), 40 Vedute; das Grab wird bei der Friedhofsverwaltung auch unter „Delmas“ geführt, vgl. die Homepage der Stadt Genua mit Informationen zum kommunalen Friedhof, Grabmal Dalmas/Delmas:>http://www. comune.genova.it/portal/page/categoryItem?contentId=502693< (Stand: 20.03.2009) 231 S. Jack Goody: Geschichte der Familie. München 2002, S. 142 – 166, hier S. 145. 232 S. Gustavo Sacerdote: Land und Leute in Italien. Langenscheidts Handbücher für Aus-

Kapitel 2 Europäische Friedhöfe

landskunde. 3. vollständig neubearbeitete Aufl. Berlin 1925, S. 175 – 180. 233 Ebd. 234 Vgl. Thomas Bremer, Titus Heydenreich (Hg.): Schwerpunkt: Familie in Italien. Tübingen 2009, S. 7 – 27. 235 S. Werke der Bildhauerkunst auf dem Friedhof zu Genua. In: Kunstgewerbeblatt, Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, (u. a.) N.F. 5/1894. Leipzig 1894, S. 91. 236 S. Die Grabskulptur der Gegenwart. In: Der Kunstwart 8/1891. München 1891, S. 216. 237 Vgl. G. Franck: Moderne Grabmäler. In: Die Rheinlande, Monatsschrift für Deutsche Kunst. 9/1905. Düsseldorf 1905, S. 414. 238 S. Edschmid (1948), S. 269 f. 239 S. Hofstätter (1971), S. 8. 240 S. Ebd., S. 7. 241 Vgl. Marina d‘Amelia: La Mamma. Bologna 2005. 242 Vgl. Johann Georg Krünitz: Oekonomische Encyclopädie (1773 – 1858). Berlin 1779, Onlineressource >http://www.kruenitz1. uni-trier.de/xxx/c/kc01282.htm< (Stand: 23.01.2010) sowie Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum ersten Weltkrieg. Ungekürzte Ausg. in einem Bd. München 1962 (1927 – 1931), S. 573 f. 243 Zur Friedhofsgeschichte und Grabmalkultur in Traunstein s. Franz Haselbeck: 100 Jahre Waldfriedhof. Hg. von der Stadt Traunstein. Traunstein 2008. 244 Auskunft Stadtarchiv Traunstein, Dank an Franz Haselbeck. 245 Zum Selbstverständnis Traunsteiner Kaufleute im Allgemeinen sowie zur wirtschaftlichen Entwicklung der Salinenstadt im Speziellen s. Norbert Schindler: Der Prozess der Zivilisation in der Kleinstadt. Die Traunsteiner Kaufmannsfamilie Oberhueber (1600 – 1800). Wien, Köln, Weimar 2007, S. 27 – 88. 246 Zur Geschichte der Traunsteiner Friedhöfe bis zum späten 19. Jahrhundert s. Barbara Happe: Die Entwicklung der deutschen Friedhöfe von der Reformation bis 1870. Tübingen 1991, S. 91 – 97.

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247 Aus der Rede des Bürgermeisters zur Eröffnung am 11. Juli 1908, zit. n. Haselbeck (2008), S. 7. 248 Die Preise beliefen sich je nach Klasse für eine Familiengruft in den Arkaden für 50 Jahre auf 1.200 – 2.500 Mark, die Preise für Wechselgräber an der Umfassungsmauer für eine Familie (4 Personen) für 50 Jahre auf 85 – 200 Mark, die Ehrengrüfte unter der Aussegnungshalle wurden von städtischen Kollegien auf unbestimmte Zeit bestimmt, waren meist gebührenfrei und wurden nicht mit Denkmälern, sondern mit kleinen Tafeln gekennzeichnet. Stadtarchiv Traunstein, „Beilage zum Traunsteiner Wochenblatt vom Donnerstag, 02.07.1908, Nr. 79; als Amtsblatt für den Stadtmagistrat Traunstein“, § 6 sowie Friedhofsordnungen von 1861, 1906, 1946, Findmittel 554/1 – 1. 249 Nach Auskunft der Familie Steiner, herzlichen Dank. 250 Stadtarchiv Traunstein, Grabmalentwürfe 1908 – 1914, 1915 – 1923, Findmittel 554/0 – 2/15. 251 Ebd. 252 Stadtarchiv Traunstein, „Beilage zum Traunsteiner Wochenblatt vom Donnerstag, 02.07.1908, Nr. 79; als Amtsblatt für den Stadtmagistrat Traunstein“, § 6, 12, 13. 253 Ebd., § 11. 254 Gotthold Ephraim Lessing: Wie die Alten den Tod gebildet. (1769) Neue rechtmäßige Ausg. Leipzig 1858. 255 Lode (1909), S. 625 – 631. 256 Michel Foucault: Andere Räume. In: Karlheinz Barck (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. 7. Aufl. Leipzig 2002, S. 34 – 46, hier S. 42. 257 John Ruskin: Die sieben Leuchter der Kunst. Hg. v. Wolfgang Kemp, Faksimile-Ausgabe. Dortmund 1994 (1849), S. 350. 258 Vgl. Bourdieu (1982). 259 Simmel (1903/2006), S. 37.

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Anmerkungen

Kapitel 3 Ikonographische Bilderreihe 1

S. Panofsky (1939/1979), S. 207 – 225; Warnke (1980), S. 53 – 83; allgemein s. KoppSchmidt (2004); zur Ikonologischen Analyse Warburgs in Originaltexten s. die jüngst erschienene Werksammlung Warburg (2010), S. 326 – 400. 2 Eine konventionelle Typologie würde vorrangig nach Bildtypen bzw. Bild-Stereotypen fragen, die von den weiblichen Grabplastiken eher selten bedient werden – rein kunsthistorische Kategorisierungen der ›Trauernden‹ die charakteristische Vielschichtigkeit der Motive beschneiden und damit dem Phänomen der ›Trauernden‹ nicht gerecht werden; als Beispiel für eine dezidierte Typologie von Grabmalmotiven vgl. Meis (2002), S. 79 – 107 (Typologie Jesus, Pilger, Engel, Thanatos, Trauernde, Figurengruppen). 3 Ariès (1984), S. 7. 4 S. Michael Diers: Schlagbilder. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart. Frankfurt am Main 1997, S. 7; vgl. Warnke (1980), S. 53 – 83 sowie Martin Schulz: Ordnungen der Bilder. Eine Einführung in die Bildwissenschaft. München 2005. 5 Ingeborg Reichle, Steffen Siegel, Achim Spelten, (Hg.): Die Familienähnlichkeit der Bilder. In: dies.: Verwandte Bilder – Die Fragen der Bildwissenschaft. Berlin 2007, S. 7 – 11. 6 Ebd., S. 7 f. 7 Ebd. 8 Vgl. Warburg (1928) nach Ernst H. ­Gombrich: Aby Warburg – Eine intellektuelle Biographie. Hamburg 1992, S. 359 sowie Warnke (1980), S. 61 – 68; zu Überlegungen und Dokumenten zu Warburgs Mnemosyne Atlas s. Warburg (2010), S. 615 – 659. 9 S. zu Pathosformeln Warburg (2010), S. 39 – 183 sowie in der jüngeren Forschung Ulrich Pfisterer: „Die Bildwissenschaft ist mühelos“. Topos, Typus und Pathosformel als methodische Herausforderung der Kunstgeschichte. In: ders., Max Seidel (Hg.): Visuelle Topoi. München, Berlin 2003, S. 21 – 47; John Michael Krois: Die Universalität der Pathosformel. Der Leib als Symbolmedium. In: Hans Belting, Dieter Kamper, Martin Schulz (Hg.): Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation. München 2002, S. 295 – 307; Claudia Öhlschläger: Gedächt-

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nis. In: Christina von Braun, Inge Stphan (Hg.): Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien. Köln, Weimar, Wien 2005, S. 239 – 260; Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007. Berlin 2010, S. 293 – 306; sowie Ulrich Port: „Pathosformeln“ 1906 – 1933: Zur Theatralität starker Affekte nach Aby Warburg. In: Erika Fischer-Lichte (Hg.): Theatralität und die Krisen der Repräsentation. Stuttgart, Weimar 2001, S. 226 – 235. Öhlschläger (2005), S. 254. Ariès (1984), S. 7.; zum Phänomen von Reihen, bzw. Serien, Listen und Katalogen befragt unter anderem Umberto Eco Bilder nach mentalitätshistorischen Zusammenhängen; vgl. Umberto Eco: Die unendliche Liste. München 2009. An Schlagbilder der Grabmalkunst reihen sich Randerscheinungen der Sepulkralkultur, auf stereotype Bildtraditionen folgen verwandte, aber neue Bildschöpfungen, neben christlich konnotierten Interpretationen stehen mythologische oder profane Assoziationsmöglichkeiten. S. Heinz-Georg Held: Engel. Geschichte eines Bildmotivs. Köln 1995, S. 188; vgl. Petra Strobl: Die Macht des Schlafes in der griechisch-römischen Welt. Eine Untersuchung der mythologischen und physiologischen Aspekte der antiken Standpunkte. Hamburg 2002, S. 13 – 41. Lessing (1769/1858). Vgl. Treichel (1996), S. 293 f; Barbara ­Naumann: „Wie die Alten den Tod gebildet“. Lessings produktives Missverständnis der Todesgenien im Streit um das Bild des heiteren Todes. In: Christoph Fischer, Renate Schein (Hg.): „O ewich is so lanck“. Die historischen Friedhöfe in Berlin-Kreuzberg. Ein Werkstattbericht. Berlin 1987, S. 205 – 214 sowie Fischer (1996 b), S. 62 f. Vgl. Maria Elisabeth Wittmer-Butsch: Zur Bedeutung von Schlaf und Traum im Mittelalter. Krems 1990, S. 369 ff.; eine tiefgreifende Untersuchung zu Metaphern wie Schlaf und Traum in der Sepulkralkultur nach 1800 wäre aus mentalitätshistorischer Perspektive lohnenswert. Ariès (1980/2002), S. 601. Vgl. Fischer (1996 b), S. 9 f.

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Kapitel 3 Ikonographische Bilderreihe

19 Vgl. Andrea Kammeier-Nebel, Norbert Fischer: Familie, Tod und Trauerkultur. Sozialgeschichtliche Überlegungen zum Wandel von Gefühlsstrukturen im nachreformatorischen Deutschland. In: Elke Kleinau, Katrin Schmersahl, Dorion ­Weickmann (Hg.): „Denken heißt Grenzen überschreiten“. Beiträge aus der sozialhistorischen Frauen- und Geschlechtergeschichte. Hamburg 1995, S. 65 – 83 sowie Rudolf Lenz: Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften. Bd. 4. Stuttgart 2004. 20 Vgl. Ariès (2002/1980), Kap. 10 + 11. 21 Sibylle Einholz: Die Berliner Bildhauerschule und die Kreuzberger Friedhöfe (1987), zit. n. Fischer (1996 b), S. 32. 22 Oskar Schwebel: Der Tod in deutscher Sage und Dichtung. Berlin 1876, S. 3. 23 S. Jørgen Birkedal Hartmann: Die Genien des Lebens und des Todes. Zur Sepulkralikonographie des Klassizismus. In: Römisches Jahrbuch der Kunstgeschichte 12/1969. Tübingen 1969, S. 9 – 38; hier S. 29 sowie Kapner (1970), S. 32 f. 24 Ariès (1980/2002), S. 601. 25 Familiengrab Schutte (1901), Figur Fritz Behn, Friedhof Ohlsdorf; s. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 2, S. 57 sowie Barbara Leisner: Der Genius des Todes – Das Grabmal Schutte. In: Ohlsdorf – Zeitschrift für Trauerkultur. Nr. 100/101. Hamburg 2008, S. 45 – 47. 26 Zit. n. Gerhard Commichau: 100 Jahre Daniel Schutte-Stiftung. Hamburg 1992, S. 18 ff. 27 Zit. n. ebd., S. 20. 28 Vgl. Sigrid Esche-Braunfels: Adolf von ­Hildebrand (1847 – 1921). Berlin 1993, S. 397 sowie Leisner (2008), S. 45. 29 Künstlernetzwerke auf ihre Kontakte und Ideentransfers hin zu untersuchen, wäre vielversprechend, um die Wechselwirkungen zwischen der Entwicklung modifizierter Bildmotive und Etablierung neuer Bildtraditionen nachzeichnen zu können. 30 Unbekleideter, geflügelter Genius mit Segelschiff im Hintergrund, Familiengrab Conström (1919), Emmerich Oehler, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg; s. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 2, S. 131; halbbekleideter, geflügelter Genius mit Familienwappen und Immortellenkranz, Familiengrab von Bose (1906), Hans Hartmann-McLean,

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Friedhof Ohlsdorf, Hamburg; s. ebd., S. 73; weitere Wolkau (1917), Grabmal Wolf Schütt, Familiengrab Mirsch (1894), Grabmal Heinrich Epler, Familiengrab Minners (1909). Familiengrab Arnstedt, Patenschaftsgrab Boehm (1909/10), Künstler Paul Wilhelm Henle; s. ebd., Bd. 2, S. 87. Grabmal Sander (1907), Künstler Heinrich Pohlmann, Guss Martin Piltzig Berlin, Katalog WMF 1913/19; s. ebd., S. 76. Familiengrab Peters (1907/08), Patenschaftsgrab Löwe, Alfred Martin und Paul Uhlig (Hamburg); s. ebd., S. 75 f. »Gender Crossing« ist kein fest definierter Begriff, wird aber in den Gender- und Queerstudies vorwiegend verwendet, um die Überschreitung hegemonialer Geschlechterstereotypen und der ihnen spezifisch zugeschriebenen sozialen Geschlechtsrolle zu fassen. In diesem Kontext kann die Transformation von männlichen hin zu weiblichen Todesgenien als Gender Crossing schlicht etymologisch verstanden werden als ein Überkreuzen des sozialen Geschlechts. Vgl. Ruth Becker, Beate Kortendiek (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden 2004, S. 101 f.; Franziska Schößler: Einführung in die Gender Studies. Berlin 2008; Susanne Schröter: FeMale. Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern. Frankfurt am Main 2002; Renate Kroll (Hg.): Metzler-­ Lexikon Gender-Studies, Geschlechterforschung: Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Stuttgart 2002. Sertl (1997), S. 83. Vgl. Scharff (1904). Aust (1953), S. 87. Grabmal Stahmer (1897/98), Entwurf ­Wilhelm Cordes, Plastikentwurf Friedrich Küsthardt, Ausführung der Plastik Paul ­R inckleben, Büste Xaver Arnold (Gladenbeck Berlin), kleine Engelsköpfe Georg ­Thielen; s. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 2, S. 48 f. Benrath (1901), S. 27 sowie Christine ­Behrens: Ohlsdorfer Engel. In: Ohlsdorf. Zeitschrift für Trauerkultur. Nr. 100/101, I/II. Hamburg 2008, S. 14 – 25. Alfons Clemens M. Beck: Genien und Niken als Engel in der altchristlichen Kunst. Giessen 1936, S. 1, S. 9 sowie Marina Warner: In

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Anmerkungen

weiblicher Gestalt. Die Verkörperung des Wahren, Guten und Schönen. Reinbek bei Hamburg 1989, S. 17. Ähnliche Parallelen finden sich zur gleichen Zeit in der hamburgischen Denkmalkultur: In Altona und Hamburg wurden von Bürgern und Vereinen Denkmäler sowohl für Einzelpersonen als auch für Armeecorps und Soldaten gestiftet, die sich jeweils für ihre Stadt und ihr Gemeinwesen „hochverdient gemacht“ haben. Auch hier werden beinah identische weibliche Flügelfiguren auf Denkmälern mal als „Siegesgöttin“, mal als „Engel“ ausgewiesen; s. Hamburg und seine Bauten, unter Berücksichtigung der Nachbarstädte Altona und Wandsbek. Hg. vom Architekten- und Ingenieur-Verein zu Hamburg. Hamburg 1890, S. 297 – 310, hier 304 sowie Jörg Haspel (Hg.): Berlins unbekannte Kulturdenkmäler. Berlin 2003, S. 52 ff. Vgl. Peter Bloch, Waldemar Grzimek (Hg.): Das klassische Berlin. Die Berliner Bildhauerschule im neunzehnten Jahrhundert. Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1978, S. 195 – 207. Wie sehr die Nike von Samothrake um 1900 als Schlagbild des Schönheitsdiskurses in der klassizistischen Kunst fungierte, macht das Manifest der Futuristen von 1909 deutlich. Für den Futurismus, der radikale Neuerungen für die Kunstproduktion forderte und sich neuen Techniken und Innovationen per se zuwandte, stand eine massive Abgrenzung zu den konventionell-konservativen Kunststilen im Vordergrund und machte die Nike zur Zielscheibe ihrer Kritik und Forderungen. So heißt es im ersten futuristischen Manifest: „Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, […] ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake (kursiv).“ Zit. n. Hansgeorg Schmidt-Bergmann: Futurismus. Geschichte, Ästhetik, Dokumente. Reinbek bei Hamburg 1993, S. 77. Vgl. Bloch, Grzimek (1978), S. 449 ff. Bloch, Grzimek (1978), S. 201. Wie sich bei dem Zürcher Louis Wethli zeigt, arbeiteten häufig auch ausgebildete Steinmetze und Bildhauer mit Vorlagenbü-

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chern, die an den Kunstakademien üblich waren. Das bedeutet nicht, dass Auftragsarbeiten oder serielle Produktionen weiblicher Engel direkte Nachbildungen der Nike-Figur waren. Dennoch zeigt sich anhand der Grabplastiken, dass das Prinzip der Repräsentativ­plastik und das Prinzip, Personendenkmäler mit Nike-Figuren zu schmücken bekannt war, verbreitet und modifiziert wurde wie z. B. am Grabmal Stahmer in Ohlsdorf; vgl. Schoenfeld (2006), S. 169 f. Wilhelm Heyden: Die Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft 1859 – 1862. Festschrift zum 6. Dezember 1909. Hamburg 1909, S. 133 f.; siehe auch Deutsches Geschlechterbuch. Genealogisches Handbuch Bürgerlicher Familien. Hg. von Bernhard Koerner Bd. 63. Görlitz 1929, entspr. Hamburger Geschlechterbuch. Hg. von ­Bernhard ­Koerner, bearbeitet mit Ascan W. Lutteroth und Theodor Will. Bd. 8. Görlitz 1929, S. 549 f. Vgl. die Sammlung von Aufsätzen, die sich speziell mit Engeln in der Sepulkralkultur beschäftigt und verschiedene Deutungen vornimmt (Gefallene Engel, Todesengel, Seelengeleiter, Thanatos, Fürbittende Engel, Ehrende Engel, Tröstliche Engel), aber den Aspekt des Geschlechts gänzlich übergeht; s. Jutta Schuchard, Katharina Siegmann: Engel – Wächter über Leben und Tod. In: Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal 5/2000. Kassel 2000. Vgl. Behrens (2008), S. 19 f. „So weicht das Bedürfnis nach Erheiterung allmählich einem Gefühl der Bedrückung, ja des Entsetzens, und ein zur Gewohnheit gewordener Sinn für religiöse Bildformen wirft plötzlich die Frage auf, ob diese Darstellungen nicht reine Blasphemie seien, ob es nicht an Heiligtumsschändung grenze, wenn ein in fast durchsichtig Tücher gewickelter üppiger und betont weiblicher Engel sich wollüstig vor einem Kruzifixus räkelt.“; s. Hofstätter (1971), S. 7. Vgl. Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Revidierter Text 1984. Stuttgart 1985, 1. Mose. 3,24; Ps. 18,11; Hes. 10,1; 11,22. Vgl. ebd. Lk. 1,26 – 38. Vgl. ebd. Offb. 2 – 3; Mt. 18, 10; Apg. 12, 15. Vgl. ebd. Gal. 4,3 – 5; Kol. 2,8 – 10.

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Kapitel 3 Ikonographische Bilderreihe

55 S. ebd., Schlagwort »Cherub/Engel«; vgl. auch Engelbert Kirschbaum (Hg.): Lexikon der christlichen Ikonographie. Bd. 1. Freiburg im Breisgau (1994/1968), S. 626 – 642. 56 Beck unterteilt im Allgemeinen Engel in männliche/geschlechtsneutrale/weibliche und bekleidete/teils bekleidete Figuren und deutet sie kontextabhängig jeweils als christliche Engel oder Genien; vgl. Beck (1936), S. 18. 57 Vgl. Kopp-Schmidt (Köln 2004), S. 32 – 34. Ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. setzte sich die Darstellung männlicher oder geschlechtsneutraler Engel mit einem Flügelpaar durch, obwohl die Cherubim mit vier Flügeln (Hesekiel) bzw. mit sechs Flügeln (Jesaia) durch; vgl. ebd., S. 1 f. 58 Kopp-Schmidt (2004), S. 36 sowie Hans W. Hegemann: Der Engel in der deutschen Kunst. Brünn (u. a.) 1943, S. 10 f. 59 Kopp-Schmidt (2004), S. 12. 60 Vgl. ebd., S. 40, S. 118 f.; vgl. weiterführend Richard van Dülmen: Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Köln, Weimar, Wien 2001. 61 Kopp-Schmidt (2004), S. 12. 62 Vgl. Bruno Langner: Evangelische Bilderwelt – Druckgraphik zwischen 1850 und 1950. Bad Windsheim 1992. 63 Eine mentalitätshistorische Auseinandersetzung mit populären Bildmedien wie z. B. Postkarten, Sammelbildern, Bildbibeln oder Sterbebildchen aus der Zeit des späten 19. Jahrhunderts könnte für eine weiterführende Untersuchung speziell weiblicher Engel vielversprechend sein. 64 Zu den bekanntesten deutschsprachigen Künstlern, die Motivvorlagen für Wandbilddrucke kreierten, zählen unter anderem Wilhelm von Kaulbach (1805 – 1874, München), Joseph Ritter von Führich (1800 – 1876, Wien) und Bernhard Plockhorst (1825 – 1907, Berlin) – Plockhorsts Christus-Darstellungen sind in den USA bis heute in vielen Kirchen zu finden und werden nach wie vor als Populärdrucke reproduziert; vgl. Christa Pieske: Bürgerliches Wandbild 1840 – 1920. Populäre Druckgraphik aus Deutschland, Frankreich und England. Göttingen 1975, S. 8; dies.: Bilder für jedermann. Wandbilddrucke 1840 – 1940. München 1988, S. 100 f.

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sowie Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal (2000), S. 28 – 32. Vgl. Langner (1992), S. 137 – 140. Brückner (1974), S. 73. Ebd., S. 71. Pieske (1989), S. 100. Wilhelm von Kaulbachs Grab am Alten Südfriedhof München wurde mit einem Halbrelief ausgestattet, das eine Symbiose aus Muse der Malerei, weiblichem Engel und Trauernder zeigt; vgl. Hufnagel (1969), S. 63. Parallelen zeigen sich zu Hans Christian Andersens Märchen „Der Engel“: „Jedesmal, wenn ein gutes Kind stirbt, kommt ein Engel Gottes zur Erde hernierder, nimmt das tote Kind auf seine Arme, breitet die großen, weißen Flügel aus, fliegt hin über alle Plätze, die das Kind lieb gehabt hat, …“ Hans Christian Andersen: Andersens Märchen. Gesamtausgabe. Halle an der Saale ca. 1904, S. 339 – 341. Weit verbreitet wurde Kaulbachs Wandbilddruck unter anderem vom „Verlag des Sonntagsgrußes Himmelan Carl Hirsch, Konstanz“, s. Langner (1992), S. 90 ff. In der Geschichtsforschung hält sich vorwiegend die Annahme, dass die Sorge um das Kind dezidiert weiblich tradiert sei, s. Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit. 16. Aufl. München 2007 (1975); Edward Shorter: Die Geburt der modernen Familie. Hamburg 1977; diese Diskurse werden seit den 1980er Jahren durch Perspektiven und Quellenkritik der Frauen- und Geschlechtergeschichte erweitert; vgl. Elisabeth Badinter: Die Mutterliebe. Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute. Paris 1981; Rebecca Habermas: Die Sorge um das Kind – Die Sorge der Frauen und Männer. Mirakel­erzählungen im 16. Jahrhundert. In: Hans-Jürgen Bachorski (Hg.): Ordnung und Lust – Bilder von Liebe, Ehe und Sexualität in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Trier 1991, S. 166 – 181 sowie Hugh Cunningham: Die Geschichte des Kindes in der Neuzeit. Düsseldorf 2006, S. 94 – 119. Vgl. Badinter (1981), S. 297. Ariès leitete mit der „Entdeckung der Kindheit“ einen Paradigmenwechsel für die Beurteilung von Kindheit als eigenes Lebensalter ein. Seiner Ansicht nach bauten Eltern in Phasen hoher Kindersterblichkeit zögerlicher eine emotionale Bindung zu ihren

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Anmerkungen

Kindern auf, um sich selbst emotional zu schützen. Seiner Ansicht nach rückten erst mit den bürgerlichen Diskursen um Mütterlichkeit, Erziehung und Geschlechterrollen die Mutterliebe und die emotionale Fürsorge um Kinder in den Fokus der bürgerlichen Kernfamilie; vgl. Ariès, (1975/1960); André Burguière (u. a.): Geschichte der Familie. Bd. 4, 20. Jahrhundert. Darmstadt 1997 sowie Franz X. Eder: Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität. München 2002. In Deutschland starben 1870 ca. 250 Kinder von 1000, bis 1910 sank die Mortalität auf 160 Kinder von 1000; s. Jürgen Breckenkamp, Oliver Razum: Kindersterblichkeit und soziale Situation: Ein internationaler Vergleich. Deutsches Ärzteblatt 2007 (104/43), Onlineressource: >http://www.aerzteblatt.de/v4/ archiv/lit.asp?id=57331< (Stand: 28.02.2010), vgl. unter anderem Arthur E. Imhof (Hg.): Lebenserwartungen in Deutschland, Norwegen und Schweden im 19. und 20. Jahrhundert. Berlin 1994 sowie Jörg Vögele: Sozialgeschichte städtischer Gesundheitsverhältnisse während der Urbanisierung. Berlin 2001. Vgl. Herbert Wolf: Andachtsbilder im Totenbrauch. In: Jahrbuch für Volkskunde. NF 11. Würzburg, Innsbruck, Fribourg 1988, S. 236 – 239. Auch als »wildes Heer«, »Totenheer« oder »Heer der Untoten« bezeichnet; s. Michael Prosser: Erweckungstaufe. Säuglingssterblichkeit und Wallfahrt für tote Kinder in vormoderner Zeit. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 2003. München 2003, S. 101 – 138, hier S. 104 f; vgl. Will Coster: Tokens of Innocence: Infant Baptism Death and Burial in Early Modern England. In: Bruce Gordon, Peter Marshall: Death and Remembrance in Late Medieval and Early Modern Europe. Cambridge 2000, S. 266 – 287. Jacques Gélis: Lebenszeichen – Todeszeichen. Die Wundertaufe totgeborener Kinder im Deutschland der Aufklärung. In: ders., Jürgen Schlumbohm, Barbara Duden, Patrice Veit (Hg.): Rituale der Geburt – Eine Kulturgeschichte. München 1998, S. 269 – 288. Die Wahrnehmung von Kindern als Teil der Gemeinschaft wurde nun unter anderem definiert über schichtspezifische Zugehörig-

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keit, Bildung und individuelle Entwicklung entlang bürgerlicher Normen. Heinrich Heine: „An die Engel“ (1851). In: ders.: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. In Verbindung mit dem Heinrich-Heine-Institut hg. von Manfred Windfuhr. Bd. 3/1, Romanzero. Gedichte, 1853 – 1854. Lyrischer Nachlaß. Bearb. von Frauke Bartelt. Hamburg 1992, S. 116 f. Camposanto di Genova – 50 Vedute (o. J.); vgl. Berresford (2004), S. 205 ff. Ebd., S. 206 f. Grabplastik mit männlichem Engel von Federico Fabiani ist auch als Replik in Barcelona und als Kopie eines unbekannten Künstlers in Lissabon erhalten: am Grabmal Maria Pais Nogueire Quadrio, nach Fabiani, Bildhauer anonym, Cimitiéro dos ­Prazeres, Lissabon sowie auf einem anonymen Grab, Bildhauer Federico Fabiani und Pere ­Bassegoda, Friedhof in Poble Nou, Barcelona; s. Berresford (2004), S. 212 f. Camposanto di Genova – 50 Vedute (o. J.). Familiengrab Keller (1906), Anton Schmidt (WMF), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg, s. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 2, S. 72. Grabmal Martens (1916), Fidel Binz (WMF), s. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 2, S. 120; Grabmal Gültzow (1918), Reinhold Boeltzig, s. ebd., S. 127. „Tröstender Engel“, Familiengrab Brivio (1894), Bildhauer Alfredo Sassi, Cimitero Monumentale, Mailand; s. Luigi Larghi: Führer des Mailändischen Monumentalen-Friedhofes. Mailand 1908, S. 140; vgl. Berresford (2004), S.115. Familiengrab Hanssen (1887/1901), Aufbau Bernhard Hanssen, Bruno Kruse, durch H. Noack, Friedenau; Teil des Gemeinschaftsgrabs Laeisz/Canel/Hanssen/Meerwein, erste große Familiengrabanlage, für die verschwägerten und durch Beruf verbundenen Reeder- und Architektenfamilien; s. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 2, S. 32 ff. Familiengrab Matthaei (1914), Frieda ­Matthaei-Mitscherlich; s. ebd., S. 111. Zu den Bildverwandtschaften zwischen Mutter- und Maria-Motiven vgl. Friedrich Gross: Mutter und Madonna. In: Werner Hofmann (Hg.): Eva und die Zukunft. Das Bild der Frau seit der Französischen Revolution. München 1986, S. 223 – 256.

Kapitel 3 Ikonographische Bilderreihe

90 Grabmal Zenning/Deussen, s. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 2, S. 100. 91 Grabmal Claussen s. ebd., S. 100. 92 Vgl. Carolyn Merchant: Der Tod der Natur. Ökologie, Frauen und neuzeitliche Naturwissenschaft. München 1987 (1980 org.), S. 16 f., S. 28; s. zur Verknüpfung von ­Empfindsamkeit, Weiblichkeit und Natur­ idealisierung die Beiträge in Christiane Holm, Holger Zaunstöck (Hg.): Frauen und Gärten um 1800. Weiblichkeit – Natur – Ästhetik. Halle an der Saale 2009. 93 Vgl. Jutta Held, Norbert Schneider (Hg.): Sozialgeschichte der Malerei vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Köln 1994, S. 350 , S. 369. 94 Merchant (1987/1980), S. 17 f. 95 Gerhard Kaiser: Mutter Natur und die Dampfmaschine. Ein literarischer Mythos im Rückbezug auf Antike und Christentum. Freiburg 1991, S. 8. 96 Vgl. Aust (1953), S. 50; Berresford (2004), S. 170 f. 97 S. Larghi (1908). 98 Berresford (2004), S. 147. 99 Ebd., S. 30. 100 Der Terminus »stabat mater« stammt aus der Marienverehrung und ist die Kurzform des Gedichtes »stabat mater dolorosa« (= es stand die Mutter schmerzerfüllt); der Begriff »Vesperbild« ist im deutschsprachigen Raum gebräuchlich, der Begriff der »Pietà« ist wiederum eine Kurzform von »Maria ­Sanctissima della Pietà« (= die heiligste Maria vom Mitleiden) und wurde über Italien verbreitet. 101 Heinrich Schmidt, Margarethe Schmidt: Die vergessene Bildersprache christlicher Kunst. Ein Führer zum Verständnis der Tier-, Engel- und Mariensymbolik. München 1981, S. 215 f. 102 Ebd., S. 196 f. 103 Vgl. Kopp-Schmidt (2004), S. 102 – 106. 104 Ebd., S. 37. 105 Ebd., S. 106. 106 Achtermanns Pietà im St.-Paulus-Dom von Münster wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört; andere bekannte Pietà-Ausführungen im 19. Jahrhundert gibt es z. B. von Ernst Rietschel, Max von Widnmann, Giovanni Dupré, Joseph von Kopf, Karl Hoffmann und Joseph Reiss; vgl. Dagmar Kaiser-­ Strohmann: Theodor Wilhelm Achtermann

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(1799 – 1884) und Carl Johann Steinhäuser (1813 – 1879). Ein Beitrag zu Problemen des Nazarenischen in der deutschen Skulptur des 19. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 1985, S. 151 – 158. 107 Heinrich Detzel: Christliche Ikonographie – Ein Handbuch zum Verständnis von christlicher Kunst. Freiburg im Breisgau 1894, S. 432. 108 Meyers Konversationslexikon (1838 – 1852), Onlineressource: >http://de.wikisource. org/wiki/Meyers_Konversations-Lexikon#.E2.80.9E0..E2.80.9C_Auflage_1839. E2.80.931852< (Stand: 10.05.2010). 109 Ebd. 110 Meyers Konversationslexikon (1907), Bd. 17, S. 868. 111 Detzel (1894), S. 438. 112 Grabmal Simms (1910), F. Tannenbaum (nach Michelangelo), „Cop. F. Tannenbaum Roma 1910“; s. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 2, S. 90 sowie Aust (1964), S. 68, S. 131, S. 149; vgl. zu den künstlerischen Vorlieben der Familie Henry Simms: Meine Bilder und einige Aufzeichnungen wie meine Sammlung entstand. Hamburg 1910. 113 Schmidt (1993), S. 125 ff. 114 Schmidt (1993), S. 127. 115 Volker G. Probst: Bilder vom Tode. Eine Studie zum deutschen Kriegerdenkmal in der Weimarer Republik am Beispiel des Pietà-Motives und seiner profanierten Varianten. Hamburg 1986, S. 96; zur Inszenierung öffentlicher Soldatendenkmäler gab es in den vergangenen Jahren einige Veröffentlichungen, so z. B. mit Fokus auf den Gefallenenkult in Italien von Janz (2009); zu Fragestellungen zu Kriegerdenkmälern seit dem 19. Jahrhundert von Reinhart ­Koselleck, Michael Jeismann (Hg.): Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne. München 1994 sowie mit Schwerpunkt auf der Berliner Denkmalkultur von Christian Saehrendt: Der Stellungskrieg der Denkmäler. Kriegerdenkmäler im Berlin der Zwischenkriegszeit (1919 – 1939). Bonn 2004. 116 Probst (1986), S. 27. 117 Zit. n. ebd., S. 30. 118 Vgl. Pierre Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Form. Frankfurt am Main 1991 (1970), S. 159 – 184. 119 Hans Belting: Das Bild und sein Publikum im Mittelalter. Form und Funktion früher

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Bildtafeln der Passion. 2. Aufl. Berlin 1995, S. 124 ff., S. 278. 120 Vgl. Ansätze von Ernst Gombrich zur visuellen Kultur in Klaus Lepsky: Ernst H. Gombrich. Theorie und Methode. Mit einem Vorwort von Ernst. H. Gombrich. Wien, Köln 1991, S. 41. 121 Vgl. ebd., S. 42 f. 122 David Morgan: The Sacred Gaze. Religious Visual Culture in Theory and Practice. ­Berkeley, Los Angeles, London 2005; sowie weiterführend Bredekamp (2010) und ­Gülicher (2012), S. 111 ff. 123 Belting (1995), S. 124 ff., S. 278. 124 Grabmal für Clemens XIII. (1783 – 1792, vermutl. erst 20 Jahre später aufgestellt); Werner Busch: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne. München 1993. 125 Rudolf Zeitler: Klassizismus und Utopia. Interpretationen zu Werken von David, Canova, Carstens, Thorvaldsen, Koch. ­Uppsala 1954, S. 81 – 100, hier S. 83. 126 Zeitler (1954), S. 82. 127 Röttgen (1984), S. 289. 128 Busch (1993), S. 211. 129 Busch (1993), S. 219. 130 Röttgen (1984), S. 289. 131 Haubold (1989), S. 162 f. 132 S. Larghi (1908), S. 104. 133 S. ebd., Eintrag „Scandella“; bei dem Künstler handelt es sich möglicherweise um ­Giuseppe Pisani, Bildhauer aus Florenz und Professor an der Akademie zu Modena, vgl. Neues allgemeines Künstler-Lexikon oder Nachrichten von dem Leben und den Werken der Maler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Lithographen, Formschneider, Zeichner, Medailleure, Elfenbeinarbeiter etc. Bearbeitet von Dr. G. K. Nagler, 2. Aufl. Linz 1909, Eintrag „Pisani“. 134 Plastik von Albert Moritz Wolff (1854 – 1923), mehrfache Reproduktionen, unter anderem für Martha Jagielski (ca. 1920) am Luisenstädtischen Friedhof Berlin; s. Mende (2006), Eintrag „Pommrich“. 135 Im Sinne Lessings Abhandlung „Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie“ (1766) vgl. Waltraud Maierhofer: Angelika Kauffmann. 4. Aufl. Reinbek bei Hamburg 2008 (1997), S. 58. 136 Neue Gedichte von Friederike Brun (Darmstadt 1812); s. Bettina Baumgärtel

Anmerkungen

(Hg.): Angelika Kauffmann. Ostfildern-Ruit 1998, S. 415. 137 S. Maierhofer (2008), S. 57. 138 Zum Phänomen der Pleureuse bei ­Dannecker s. Gerhard Bartsch: Akademismus und Idealismus am Beispiel des Bildhauers Johann Heinrich Dannecker (1758 – 1841). Dissertation Universität ­Hamburg. Hamburg 1976 sowie allgemein Le Normand-Romain (1995). 139 Baumgärtel (1998), S. 245. 140 Vgl. laufende Untersuchungen im Forschungsbereich „Geschichte der Gefühle“ am MPI für Bildungsforschung in Berlin. 141 Vgl. Wolfdietrich Rasch: Freundschaftskult und Freundschaftsdichtung im deutschen Schrifttum des 18. Jahrhunderts. Vom Ausgang des Barock bis zu Klopstock. Halle an der Saale 1936; Hans-Jürgen Schings: Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch. Poetik des Mitleids von Lessing bis ­Büchner. München 1980 sowie Stefan-Ludwig ­Hoffmann: Freundschaft als Passion. Bürgerliche Gefühlspraktiken im 19. Jahrhundert. In: Manuel Borutta, Nina Verheyen (Hg.): Die Präsenz der Gefühle. Männlichkeit und Emotion in der Moderne. Bielefeld 2010, S. 81 – 103. 142 Vgl. Maierhofer (2008), S. 63. 143 S. ebd., S. 66 ff. 144 Vgl. Schings (1980), S. 34 – 45. 145 Ute Frevert: Bürgerliche Meisterdenker und das Geschlechterverhältnis. Konzepte, Erfahrungen, Visionen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. In: dies. (Hg.): Bürgerinnen und Bürger: Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert. Göttingen 1988, S. 17 – 48, hier S. 26 sowie Thomas Weiss (Hg.): Frauen im 18. Jahrhundert. Entdeckungen zu Lebensbildern in Museen und Archiven in Sachsen-Anhalt. Halle an der Saale 2009. 146 Vgl. die Untersuchung von Babette ­Stadie-Lindner: Zimmerkenotaphe. Ein Beitrag zur Sepulkralkultur des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Berlin 1991. 147 Zeppelin wurde 1801 in der evangelischen Schlosskapelle in Ludwigsburg beigesetzt. Schließlich ließ Herzog Friedrich auf dem Alten Friedhof in Ludwigsburg ein Mausoleum errichten, das mit der „Trauernden Freundschaft“ von Johann Heinrich von Dannecker ausgestattet wurde; s. ebd., S. 35 f.

Kapitel 3 Ikonographische Bilderreihe

148 Ebd., S. 99. 149 Wolfgang Ruppert: Zur Kulturgeschichte der Alltagsdinge. In: ders. (Hg.): Fahrrad, Auto, Fernsehschrank. Zur Kulturgeschichte der Alltagsdinge. Frankfurt am Main 1993, S. 14 – 36. 150 Vgl. Johann Gottlieb Fichte: Das System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre. Einleitung von Hansjürgen ­Ferweyen. Hamburg 1995 (1798), S. 330. 151 Ramler (1791) zit. n. Badstübner-­Gröger, Sibylle: Karl Wilhelm Ramler und die Königliche Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften. Zur Bedeutung von Ramlers Schrift „Allegorische Personen zum Gebrauch der Bildenden Künstler“ für die damals zeitgenössische Kunst in Berlin. In: Laurenz Lütteken (Hg.): Urbanität als Aufklärung. Karl Wilhelm Ramler und die Kultur des 18. Jahrhunderts. Göttingen 2004, S. 275 – 308, hier S. 302; prominente Beispiele von Grabmalsentwürfen mit der „Ehelichen Liebe“ entstanden unter anderem von Johann Heinrich Dannecker für den Dichter und Komponisten Christan Friedrich Daniel Schubart (um 1791/92), von Emanuel Bardous für den Prediger Roloff (1794) sowie in Grabmälern von Johann Gottfried Schadow für den Juristen Joachim Georg Daries, den Kaufmann Friedrich ­Wilhelm Schütze und preußischen Finanzminister Friedrich Wilhelm von Arnim; vgl. ebd. 152 Vgl. Annette Denhardt: Das Metallwarendesign der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) zwischen 1900 und 1930. Historismus, Jugendstil, Art Deco. Münster, Hamburg 1993; Hartmut Gruber: Die Galvanoplastische Kunstanstalt der WMF 1890 – 1953. Geschichte, Betriebseinrichtungen und Produktionsverfahren. In: Hohenstaufen Helfenstein. Historisches Jahrbuch für den Kreis Göppingen. Sonderdruck vom Geschichts- und Altertumsverein Göppingen e.V., Kunst- und Geschichtsverein Geislingen e.V., Bd. 9. Geislingen 1999, S. 147 – 195 sowie Maaz (2010), Bd. 2, Glossar. 153 Gruber (1999), S. 189; s. auch eine Aufbahrungsszene mit der Kopie des segnenden Christus von Thorvaldsen in Thomas Mann: Buddenbrooks. Verfall einer Familie. In: Gesammelte Werke. Bd. 1. Oldenburg 1960 (1901), S. 400.

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154 S. zu Pathosformeln allgemein Warburg (2010), S. 39 – 183; Pfisterer (2003), S. 21 – 47; Krois (2002), S. 295 – 307; Port (2001), S. 226 – 235. 155 Bloch, Grzimek (1978), S. 247. 156 Wenk (1996), S. 117. 157 Ähnliche Vorstellungen finden sich auch in der indischen, persischen, griechischen und römischen Mythologie, vgl. Meyers Konversationslexikon (1907), Bd. 3, S. 521 ff. 158 Paul Theodor Hoffmann: Neues Altona 1919 – 1929 – Zehn Jahre Aufbau einer deutschen Grosstadt. Bd. 2. Jena 1929, S. 287. 159 Vgl. ebd. 160 Bloch, Grzimek (1978), S. 217. 161 Vgl. Badstübner-Gröger (2004), S. 306 f.; Busch (1993), S. 181, S. 198 sowie Monika Wagner: Allegorie und Geschichte. Ausstattungsprogramme öffentlicher Gebäude des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Von der Cornelius-Schule zur Malerei der Wilhelminischen Ära. Tübingen 1989; das Wechselverhältnis von Symbolüberlagerung und Bedeutungsverlust führte unter anderem in die abstrakten, ent-gegenständlichenden Ansätze der Moderne – so stellt beispielsweise die Kunsttheoretikerin Rosalind E. Krauss fest, dass die Kunst des frühen 20. Jahrhunderts „unter anderem den Willen zum Schweigen an[kündigt], der der Kunst der Moderne eigen ist.“ Dieses Schweigen resultierte aus dem Unbehagen und der Vorsicht gegenüber dem „Erzählen“, von dem die historisierende, symbolisch und allegorisch überfrachtete Kunst gekennzeichnet war; vgl. Rosalind E. Krauss: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne. Bd. 2. Amsterdam 2000, S. 51. 162 Vgl. die Kataloge der WMF, von Louis Wethli und Arthur Stösslein. 163 Franck (1905), S. 410. 164 Simmel (2006/1903), S. 43. 165 Bourdieu (1991/1970), S. 164. 166 Ebd. S. 169; vgl. auch Carola Groppe: Bildung und Habitus in Bürgerfamilien um 1900. Ästhetische Praxis und soziale Distinktion: Wer liebt welche Kunst? In: Jan Andres, Wolfgang Braungart, Kai Kauffmann (Hg.): „Nichts als Schönheit“ – ­Ästhetischer Konservatismus um 1900. Frankfurt am Main 2007, S. 56 – 76. 167 Franck (1905), S. 409. 168 Ebd., S. 409 f.

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Anmerkungen

Kapitel 4 Mentalitätshistorisches Panorama 1

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Auch Osterhammel entwickelte ein Panorama als Zugang zu seiner Globalgeschichte des 19. Jahrhunderts – das Gedanken- und Erklärungsmodell, wie ich es im Folgenden anwende, bezieht sich nicht auf ­Osterhammels Panorama-Begriff und zeigt rein zufällig Parallelen; vgl. Osterhammel (2009), S. 21. S. Meyers Konversationslexikon (1859), Bd. 12, S. 101 f. Das Interesse an optischen Phänomenen und perspektivischen Apparaten wie der Camera obscura, Laterna magica oder der frühen Photographie war derart groß, dass Stephan Oettermann das ­Panorama als „optisches Massenmedium“ des 19. Jahrhunderts charakterisierte; s. Stephan Oettermann: Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums. Frankfurt am Main 1980, S. 9; zu Städte- und Landschaftsansichten sowie Darstellungen von historischen Ereignissen auf Panoramen s. Bernard Comment: The painted Panorama. New York 2000; Frank Becker: Augen-­Blicke der Größe. Das Panorama als nationaler Erlebnisraum nach dem Krieg von 1870/71. In: Jörg Requate (Hg.): Das 19. Jahrhundert als Mediengesellschaft. München 2009, S. 178 – 191 sowie Jonathan Crary: Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert. Dresden, Basel 1996. Im Folgenden wird von dem „mentalitätshistorischen Panorama“ die Rede sein, das ebenso auch als „sozial“- oder „kulturhistorisches Panorama“ bezeichnet werden könnte; zu den spezifischen Themen und Aspekten der Mentalitätsgeschichte vgl. ­Dinzelbacher (2008). Ariès (1984). Zur disziplinübergreifenden Methode bzw. Perspektive der Diskursanalyse vgl. Ullrich (2008), S. 19 – 31; Eder (2005); zum methodischen Vorgehen der Diskursanalyse vgl. Jäger (2009), S. 188 – 214. In Anlehnung an Michel Foucault, der unter Diskursen unter anderem „Praktiken“ verstand, „die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“; s. Michel Foucault: Archäologie des Wissens. 8. Aufl. Frankfurt am Main 1995 (1969), S. 74 sowie ders.: Die Ordnung des Diskurses. Erw. Ausg. Frankfurt am Main 1991 (1974).

Die Diskursanalyse kommt überwiegend in den Sozial-, Sprach-, Geschichtswissenschaften zum Einsatz, die Ikonologische Analyse vorwiegend in der Kunstgeschichte und die Objektive Hermeneutik in der Soziologie – seit einigen Jahren werden alle drei Methoden disziplinübergreifend eingesetzt. 8 S. Panofsky (1939/1979), S. 211; Ulrich Oevermann: Strukturale Soziologie und Rekonstruktionsmethodologie. Unveröffentlichtes Manuskript. Frankfurt am Main (1996), zit. n. Dirk Pilz: Krisengeschöpfe. Zur Theorie und Methodologie der Objektiven Hermeneutik. Dissertation. Potsdam 2005, S. 56 f. 9 Vgl. Arthur Stösslein: Werkstätten für Friedhofskunst Plauen, Inhaber August Stösslein. Firmenkatalog. Plauen 1912, Referenzliste (o. S.). 10 S. ebd., Auszüge aus Anerkennungsschreiben. 11 Über den Katalog der Firma Stösslein lässt sich rekonstruieren, dass Angehörige nicht immer direkt mit der Firma korrespondierten, sondern Aufträge auch an professionelle Dritte abgaben: „Hamburg, den 27. Oktober 1911. Herrn August Stösslein, Plauen i. V. Gestern besuchte ich gemeinsam mit Herrn Dorén sen. den Ohlsdorfer Friedhof. Herr Dorén ist mit der Ausführung des Denkmals zufrieden. Hochachtungsvoll gez. Fritz Döhling, Architekt.“ Obgleich die Grabstätte Dorén in Hamburg-Ohlsdorf nicht mit einer ›Trauernden‹ ausgestattet wurde, wäre dieses Prozedere auch bei Familiengräbern mit weiblichen Grabplastiken denkbar; s. Stösslein (1912) sowie Leisner, Schultze, ­Thormann (1990), Bd. 2, S. 97. 12 S. Ute Frevert: „Wo du hingehst …“ – Aufbrüche im Verhältnis der Geschlechter. Rollentausch anno 1908. In: August Nitschke (Hg.): Jahrhundertwende. Der Aufbruch in die Moderne 1880 – 1930. Bd. 2. Reinbek bei Hamburg 1990, S. 89 – 118, hier S. 93 f.; vgl. zur sozialen Stellung durch den Bürgerstatus sowie zur juristischen Situation der Geschlechter Nicole Arnaud-Duc: Die Widersprüche des Gesetzes. In: Georges Duby, Michelle Perrot (Hg.): Geschichte der Frauen. 19. Jahrhundert, Bd. 4. Hg. von Geneviève Fraisse, Michelle Perrot. Frank7

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furt am Main 2006 (1991), S. 97 – 133, insbesondere S. 99 – 106. Vgl. Werbeanzeigen für den Verkaufskatalog von Eduard Hauser, k. u. k. Hof-Steinmetzmeister, Wien IX, Spitalgasse 19. Wien (ca. 1916). In dieser Annonce gibt es zwar keinen direkten Hinweis auf eine spezifisch männliche Kundschaft, aber die Möglichkeit zur Einlagerung der Grabplastiken bis zur eigentlichen Verwendung sprach vermutl. das vorsorgende Familienoberhaupt an. Josef Ruederer: Das Grab des Herrn ­Schefbeck. In: ders.: München. Bierheim und Isar-Athen. Satiren und Erzählungen. Hg. von Hans-Reinhard Müller. München 1987, S. 221 – 253; s. zu Ruederer als sozialkritischem Autor der Münchener Sezession Claudia Müller-Stratmann: Josef R ­ uederer (1861 – 1915) – Leben und Werk eines Münchner Dichters der Jahrhundertwende. Frankfurt am Main 1994. Ruederer (1987/1912), S. 223 – 230, hier S. 225. Wilhelm Wandschneider zit. n. Ruchhöft (1992/1916), S. 64; s. Thieme, Becker (1942), Bd. 35, S. 144 f. Vgl. Hagmayer (1994), S. 125 f. Über Friedhofsdokumente lässt sich nicht eins zu eins herleiten, welche Grabmäler von Frauen oder Männern in Auftrag gegeben wurden. Von den meisten Friedhöfen sind zwar noch Grabbücher mit Angaben zu Namen und Lebensdaten erhalten, aber keine Quellen zur Grabeinrichtung. In den Archiven für den Waldfriedhof Traunstein und den Friedhof Sihlfeld in Zürich ließen sich für einige Gräber mit weiblichen Plastiken Belege zu Entwürfen und Korrespondenz zwischen Friedhofsverwaltung und Künstlern finden, aber keine Hinweise auf die Auftraggebenden. Auch am Friedhof Ohlsdorf wurde nur in wenigen Fällen die Auftragssituation dokumentiert. Möglicherweise wurden gerade Angaben zu Grabmälern mit Auftraggeberinnen festgehalten, weil sie die Ausnahme darstellten. Zu Paris vgl. Bauer (2006); zu Wien vgl. Haubold (1989); zu Berlin vgl. Mende (2006); zu Traunstein vgl. Haselbeck (2008). S. Stösslein (1912), Anerkennungsschreiben sowie Leisner, Schultze, Thormann (1990), Bd. 2, S. 97.

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21 Vgl. Meis (2002); Meyer-Woeller (1999); Schmidt (1993). 22 Vgl. Rüdiger vom Bruch, Björn ­Hofmeister (Hg.): Kaiserreich und erster Weltkrieg 1871 – 1918. Bd. 8. Stuttgart 2000, insbesondere S. 94 – 110, S. 132 – 136. 23 In der Bürgertumsforschung zum späten 19. Jahrhundert wird in der Regel zwischen dem »Städtebürgertum« und »neuen Bürgerlichen« unterschieden. Diese Ansätze gehen zurück auf den Bielefelder Sonderforschungsbereich zu „Bürgertum, Bürgerlichkeit und bürgerliche Gesellschaft“ (Hans-­ Ulrich Wehler und Jürgen Kocka) und das Frankfurter Projekt „Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert“ (Lothar Gall). 24 Zur Definition und Abgrenzung bürgerlicher Gruppen vgl. Kocka (1995), Bd. 2; Schäfer (2009), S. 81 – 89, S. 92 – 105; Ulrich ­Engelhardt: „Bildungsbürgertum“. Begriffsund Dogmengeschichte eines Etiketts. Stuttgart 1986 sowie Jens Flemming: Intellektuelle, Philister, Gebildete. Selbst- und Fremdwahrnehmungen des deutschen Bürgertums um 1900. In: Heinrich-Mann-Jahrbuch 23 (2005). Lübeck 2006, S. 7 – 26. 25 Schäfer (2009), S. 89 – 92, 105 – 107; Wehler (1987), Bd. 1, S. 202 ff; Kocka (1988); sowie vom Bruch, Hofmeister (2000), S. 132 – 136. 26 Vgl. Kapitel 2.5 27 Vgl. Kapitel 2.2, 3.2 28 Vgl. Berresford (2004), S. 128 – 136. 29 Vgl. Bourdieu (1982), S. 171 – 210. 30 S. dazu den Sammelband von Hettling, ­Hoffmann (2000). 31 Werden als vorbildliche „Kampo santo ­Anlagen“ neben Bozen und Innsbruck erwähnt bei A. Lode (1909), S. 619. 32 Vgl. Stefan Fayans: Bestattungsanlagen. Handbuch der Architektur; Teil 4: Entwerfen, Anlage und Einrichtung der Gebäude; Halbbd. 8: Kirchen, Denkmäler und Bestattungsanlagen. Stuttgart 1907, S. 105 f. 33 Die Verbindung von Sonnenaufgang und östlicher Himmelsrichtung war in west- und südeuropäischen Regionen relevant. Da sich der Sonnenstand im Wechsel der Jahreszeiten verändert, wurden einige Kirchen auf den Aufgangspunkt eines bestimmten Tages geostet wie z. B. der Stephansdom in Wien (26.12.1137, Gedenktag des Heiligen Stephanus im Jahr des Baubeginns).

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34 Vgl. Matthias Untermann: Handbuch der mittelalterlichen Architektur. Darmstadt 2009, S. 34 f. 35 Neue interdisziplinäre Forschungsprojekte zwischen der Archäologie, Volkskunde und Kunstgeschichte widmen sich seit einigen Jahren den Gruftanlagen und Grabinhalten des 18. und 19. Jahrhunderts. Dabei hat sich in Einzelfällen gezeigt, dass die Ostung auf kommunalen Begräbnisplätzen überirdisch, also auf dem Grab, aufgehoben wurde, die Leichen jedoch unterirdisch, also im Grab, weiterhin Richtung Osten ausgerichtet wurden. Besten Dank für die Gespräche und den Austausch mit Olaf Ihlefeld (Süd-WestKirchhof Stahnsdorf), Franz Haselbeck (Stadtarchiv Traunstein) und Dagmar Kuhle (Zentralinstitut für Sepulkralkultur, Kassel). 36 Fischer (1996 b), S. 21 ff; zur Geschichte der Aufbahrung und des Begräbnisses s. für das späte Mittelalter und die Frühe Neuzeit Edmund Kizik: Die reglementierte Feier. Hochzeiten, Taufen und Begräbnisse in der frühneuzeitlichen Hansestadt. Osnabrück 2008, S. 209 – 298. 37 Zur typisiert monumentalen Eingangsarchitektur bei kommunalisierten Begräbnisplätzen vgl. Krieg (1990), S. 138; Franz Knispel: Zur Geschichte der Aufbahrungshallen auf dem Wiener Zentralfriedhof. Wien 1984 sowie Fayans (1907), S. 60 – 101. 38 Ebd., S. 87. 39 Lode (1909), S. 626 f. 40 Unter anderem verbreitet in Wien, München, Traunstein und Genua; vgl. Knispel (1982); vgl. Biedermann (1978), S. 141 – 159. 41 Otto Friedländer schildert in seinen Lebenserinnerungen Begräbniszeremonien in Wien um 1900, veröffentlicht in der Kronenzeitung vom 02.11.1963, S. 6 – 9, zit. n. Biedermann (1978), S. 97 f. 42 Im Abschnitt zur Geschichte des Wiener Zentralfriedhofs konnte ich die Zusammenhänge zwischen der Kommunalisierung des Bestattungswesens und der Entstehung von Bestattungsunternehmen bereits darstellen. Ausführlich ist die Geschichte der Wiener Bestattungsunternehmen untersucht, da die privaten Unternehmen teils in die „­Städtische Bestattung“ Wien überführt wurden und deshalb Dokumente und Objekte im Bestattungsmuseum Wien und dem zuständigen Magistrat erhalten

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sind; in anderen Städten wäre vor allem in der Recherche Pionierarbeit zu leisten; vgl. Knispel (1982); speziell zur Sargeinrichtung s. Patzer (1986), S. 19 – 23 sowie Fischer (2001), S. 48. Susanne Regener: Physiognomie des Todes. Über Totenabbildungen. In: Dorle Dracklé (Hg.): Bilder vom Tod. Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Münster, Hamburg, London 2011, S. 49 – 65, hier S. 55; zum repräsentativen Charakter der Photographie im Allgemeinen und Leichenphotographie im Speziellen Iris Därmann: Tod und Bild. Eine phänomenologische Mediengeschichte. München 1995, S. 435 ff.; sowie Richter (2010), S. 249 – 308. Ina König: Die objektiven Toten. Leichenphotographie als Spiegel des Umgangs mit den Toten. Hamburg 2008, S. 40. Vgl. Biedermann (1978), S. 161 ff. Massenhaft gedruckte Quellen wie Todesanzeigen, Partezettel oder Nekrologe stellen bisher in der Forschung ein Desiderat dar. Der Zusammenhang zwischen öffentlich inszenierter Trauer und der Finanzierung von Druckstücken und Verlagen könnte neue Erkenntnisse für die Journalistik und die Medienwissenschaften bieten. Lode (1909), S. 618. S. auch Crarys Unterscheidung zwischen Beobachter und Zuschauer und dessen Entwurf einer visuellen Kultur am Übergang zur Moderne, Crary (1990), S. 11 – 35. Walter Benjamin: Das Passagen-Werk. Hg. von Rolf Tiedemann. Bd. 1. Frankfurt am Main 1982 (ab 1927), S. 45. Oxenius (1992), S. 96. Biedermann (1978), S. 348. Vgl. Werner Telesko: Der Denkmalskult im 19. Jahrhundert. In: Hermann Fillitz (Hg.): Der Traum vom Glück. Die Kunst des Historismus in Europa. Wien, München 1998, S. 251 – 257 sowie zur Entwicklung der Denkmalkultur über die Moderne hinaus die Darstellung von Arnold Vogt: Den Lebenden zur Mahnung. Denkmäler und Gedenkstätten. Zur Traditionspflege und historischen Identität vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hannover 1993. Vgl. Biedermann (1978), S. 205 sowie zur terminologischen Abgrenzung zwischen Denkmal, Nationaldenkmal und Grabdenkmal

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aus kunsthistorischer Perspektive s. Maaz (2010), Bd. 2, S. 681, S. 689, S. 710. S. Bloch, Grzimek (1978), S. 287. Zur Welle an Nationalstaatsgründungen vgl. Ute Frevert: Eurovisionen. Ansichten guter Europäer im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2003, S. 44 – 78; zu Wechselwirkungen zwischen politischer Geschichte, Machtdemonstration und Denkmalkultur in Regionen, die hinsichtlich des Phänomens der ›Trauernden‹ untersucht wurden, s. Hans A. Pohlsander: National Monuments and Nationalism in 19th Century Germany. Bern (u. a.) 2008; Charlotte Tacke: Denkmal im sozialen Raum. Nationale Symbole in Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert. Göttingen 1995; Helke Rausch: Kultfigur und Nation. Öffentliche Denkmäler in Paris, Berlin und London 1848 – 1914. München 2006; Kathrin Mayer: Mythos und Monument. Die Sprache der Denkmäler im Gründungsmythos des italienischen Nationalstaates 1870 – 1915. Köln 2004; Hanns Haas, Hannes Stekl (Hg.): Bürgerliche Selbstdarstellung. Städtebau, Architektur, Denkmäler. Bürgertum in der Habsburgermonarchie 4. Wien, Köln, Weimar 1995 sowie Georg Kreis: Zeitzeichen für die Ewigkeit. 300 Jahre schweizerische Denkmaltopographie. Zürich 2008, insbesondere S. 43 – 46, S. 316 – 332. Vgl. Telesko (1998), S. 254. Besonders anschaulich wird die neue Bandbreite an Personendenkmälern in der bebilderten Sammlung des Zeitgenossen Richard Sier: Deutschlands Geistes-Helden. Ehren-Denkmäler unserer hervorragenden Führer auf geistigem Gebiet in Wort und Bild. Berlin 1901. S. Angelika Rusche: Der Sockel. Typologische und ikonographische Studien am Beispiel von Personendenkmälern der Berliner Bildhauerschule. Witterschlick bei Bonn 1989, S. 248. Brigitte Meißner: Bürgerliche Repräsentation im politischen Denkmal. Bürgermeisterdenkmäler in Stadtrepubliken und Residenzstädten. Dissertation Universität Hamburg. Hamburg 1987, S. 1 f. Brief vom 07.11.1854 von Rauch an Rietschel, der das Goethe- und Schiller-Denkmal in Weimar konzipiert hatte, zit. n. Rusche (1989), S. 248.

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61 Zu den Aufgaben und dem Selbstverständnis der Schiller-Vereine in Hamburg s. Dirk Brietzke: Symbolische Repräsentation und politische Emanzipation. Die Hamburger Schiller-Feier 1859 und die Errichtung des Schiller-Denkmals. Unveröffentlichtes Manuskript. 2010, 20 Seiten, erscheint voraussichtlich 2011 in dem Sammelband „Andocken. Eine Hansestadt und ihre Kulturen 1848 – 1933“ sowie zu Österreich Juliane Mikoletzky: Bürgerliche Schillerrezeption im Wandel: Österreichische Schillerfeiern 1859 – 1905. In: Haas, Stekl (1995), S. 165 – 183. 62 S. Hamburg und seine Bauten (1890), S. 296 – 303. 63 Eine Untersuchung zu den Wechselwirkungen zwischen monarchischer oder republikanischer Prägung und der Inszenierung öffentlicher Räume würde sich lohnen. 64 Zur Denkmalpräsenz in Paris s. Michael Kuhlemann: Skulptur im Paris der Jahrhundertwende. In: Katerina Vatsella (Hg.): Rodin und die Skulptur im Paris der Jahrhundertwende. Bremen 2000, S. 10 – 17, hier S. 10; zur Denkmalpräsenz im direkten Vergleich zwischen Berlin und Paris s. Rausch (2006); zur Denkmalpräsenz in Wien vgl. Gerhardt Kapner: Freiplastik in Wien. Wien, München 1970; zu Kaiserreichsinszenierung und Siegesallee in Berlin Bloch, Grzimek (1978), S. 251 – 293. 65 Ebd., S. 280 f. 66 Ebd., S. 207. 67 S. Thomas Nipperdey: Zur Denkmalgeschichte in Deutschland. In: Hans-Ernst Mittig, Volker Plagemann: Denkmäler im 19. Jahrhundert. München 1972, S. 18 – 19, hier S. 18 sowie Bloch, Grzimek (1978), S. 290. 68 Publizist und Schriftsteller Ferdinand ­Kürnberger, zit. n. Gerhard Kapner: Skulpturen des 19. Jahrhunderts als Dokumente der Gesellschaftsgeschichte – Eine kultursoziologische Studie am Beispiel einiger Ring­ straßendenkmäler in Wien. In: Hans-Ernst Mittig, Volker Plagemann: Denkmäler im 19. Jahrhundert. München 1972, S. 9 – 17, hier S. 9. 69 Gruber (1999), S. 265. 70 Bloch, Grzimek (1987), S. 290. 71 Berresford (2004), S. 120. 72 Busch (1993), S. 236.

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73 Vgl. Silke Wenk: Versteinerte Weiblichkeit. Allegorien in der Skulptur der Moderne. Köln, Weimar, Wien 1996, S. 79 – 91; zur weiblichen Allegorie in der Malerei mit Schwerpunkt 19. Jahrhundert vgl. Wagner (1989), S. 103 – 164. 74 Vgl. Budig, Enderle-Burcel, Enderle (2006), S. 68; John (2000), S. 237. 75 Vgl. Berresford (2004), S. 30, S. 155. 76 Larghi (1908), S. 40. 77 Vgl. Kapitel 3.2 sowie Zeitler (1954), S. 81 – 100; Röttgen (1984), S. 289 sowie Busch (1993), S. 211 – 219. 78 Das Mozart-Denkmal am Ring wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in den Wiener Burggarten übersiedelt; bei dem Mozart-Denkmal auf dem Zentralfriedhof handelt es sich um ein Ehrengrab im Sinne eines Ehren-Denkmals, denn die sterblichen Überreste Mozarts werden auf dem Wiener Friedhof St. Marx vermutet, wo ebenfalls ein Mozart-Denkmal aufgestellt wurde. 79 S. auch Christine Behrens: Ohlsdorfer Porträts. In: Ohlsdorf. Zeitschrift für Trauerkultur Nr. 109, II/2010, Schriftenreihe des Förderkreises Ohlsdorfer Friedhof e. V. Hamburg 2010, S. 8 – 18, hier S. 9. 80 Larghi (1908), S. 104. 81 Busch (1993), S. 418. 82 Zu den Aspekten Nachruhm, Andenken und Unsterblichkeit vgl. ebd., S. 236 f. 83 Berresford (2004), S. 121. 84 Ebd. (2004), S. 29, S. 63, S. 116, S. 121, S. 128 f., S. 204; Diéguez Patao (2000), S. 234 f. sowie Camposanto di Genova – 50 Vedute, (o. J.). 85 Als Beispiel für die großzügige und fürsorgliche Berücksichtigung unverheirateter Frauen s. das Testament des Wiener Kunstsammlers und Mäzens Nicolaus Dumba in Elvira Konecny: Die Familie Dumba und ihre Bedeutung für Wien und Österreich. Wien 1986, S. 197 – 201. 86 Behrens (2010), S. 15; Leisner, Schulze, ­Thormann (1990), Bd. 1, S. 124; Bd. 2, S. 362; Schoenfeld (2006), S. 98; Friedrich Pfäfflin, Eva Dambacher (Hg.): „Wie Genies sterben“. Karl Kraus und Annie Kalmar. Briefe und Dokumente 1899 – 1999. Göttingen 2001; Rita Bake, Brita Reimers: Stadt der toten Frauen. Frauenportraits und Lebensbilder vom Friedhof Hamburg Ohlsdorf. Hamburg 1997, S. 90 – 95; Neuer Theater-Almanach.

Anmerkungen

Theatergeschichtliches Jahr- und Adressenbuch. Hg. von der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger. 13. Jg. Berlin 1902, S. 144 f. sowie Wilhelm Kosch (Hg.): Deutsches Theater-Lexikon: biographisches und bibliographisches Handbuch. Bd. 2 . Klagenfurt, Wien 1960, S. 953. 87 Die Fackel. Hg. von Karl Kraus. Nr. 2/1899 (04.1899). Wien 1899, S. 29. 88 Ebd. Nr. 3/1899 (04.1899). Wien 1899, S. 27 f. 89 Pfäfflin, Dambacher (2001), S. 5 ff. 90 Zit. n. ebd., S. 132 f. 91 Ebd., S. 134. 92 Ebd., S. 136. 93 Ebd., S. 138. 94 Ebd., S. 141. 95 Pfäfflin, Dambacher (2001), S. 6. 96 Thomas Markwart: Die theatralische Moderne. Peter Altenberg, Karl Kraus, Franz Blei und Robert Musil in Wien. ­Hamburg 2004. 97 Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 1, S. 136 ff. sowie Behrens (2010), S. 14 ff. 98 Sylvina Zander: Über das Porträt in der Grabmalkultur der Neuzeit. In: Ohlsdorf. Zeitschrift für Trauerkultur Nr. 109, II/2010, Schriftenreihe des Förderkreises Ohlsdorfer Friedhof e.V. Hamburg 2010, S. 5 – 7, hier S. 6; ein weiteres, gut dokumentiertes Grabbeispiel für eine konkrete Frau stellt die Grabstätte für Paula Modersohn-Becker in Worpswede dar; vgl. Jürgen Teumer: „Ich habe manchmal an mein Grab gedacht …“ Paula Modersohn-Beckers Grab auf dem Friedhof in Worpswede. Bremen 2005. 99 So z. B. für die Friedhöfe Ohlsdorf in Hamburg, Père Lachaise in Paris und Sihlfeld in Zürich. 100 Mende (2006), S. 191. 101 Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 1, S. 136 ff. sowie Bd. 2, S. 126. 102 Anhand der Photographien mag der Eindruck entstehen, als würden einzelne Grabfiguren die Betrachtenden direkt ansehen. Auf dem Friedhof wurden die Figuren jedoch meist so installiert, dass der direkte »Blickkontakt« mit dem Friedhofspublikum nur schwer möglich war und der Blick vom zentralen Betrachtungspunkt aus über die Betrachtenden hinweg oder seitlich an ihnen vorbeigeführt wurde. 103 Berresford 2004, S. 30, 64, 110, 142 f., 156 sowie Diéguez Patao (2000), S. 226 f.

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104 Leisner, Schulze, Thormann 1990, Bd. 1, S. 63 f. sowie Michael Eisenhauer: Die Hamburger Wohnstiftungen des 19. Jahrhunderts. „Ein Denkmal, welches theilnehmende Liebe gestiftet hat …“ Hamburg 1987, S. 122 f. 105 Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 1, S. 203. 106 Berresford (2004). 107 Vgl. Berresford (2004); zum Aspekt der vestimentären Inszenierung auf männlichen Grabfiguren vgl. Kerstin Gernig: Nackt und bloß oder bloß verhüllt? Trauerkleider zwischen Ver- und Enthüllung – Grabskulpturen und Trauernde. Unveröffentlichtes Manuskript (2008). 108 Vgl. Curl (2002), S. 157 f., S. 354. 109 Berresford (2004), S. 143, S. 64. 110 Ebd. (2004), S. 142 – 147; zu weiteren Beispielen männlicher Trauernden in Genua s. Diéguez Patao (2000), S. 194- 275 sowie als Bildsammlung in Europa s. Zens (2008). 111 Ausgehend von der Frauengeschichte wurde vor allem seit den 1990er Jahren eine Fülle an Einzeluntersuchungen und Überblicksdarstellungen zur Geschlechtergeschichte publiziert, die in den letzten Jahren einen Fokus auf Wechselwirkungen zwischen Körper- und Medizingeschichte sowie Kulturwissenschaften und kritischer Diskursanalyse erkennen lassen. Allgemein zur Frauen- und Geschlechtergeschichte vgl. im deutschsprachigen Raum Veröffentlichungen unter anderem von Christa von Braun, Ute Frevert, Inge Stephan und Heide Wunder sowie Beiträge in dem umfangreichen Sammelband unter Herausgabe von Georges Duby und Michelle Perrot (Hg.): Geschichte der Frauen. 5 Bde. Frankfurt am Main 2006 (1991); zur Geschlechtertheorie vgl. Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main 1991 sowie Christa von Braun, Inge Stephan (Hg.): Gender-Studien: eine Einführung. Stuttgart 2006; zur Geschichte der Männlichkeit vgl. Wolfgang Schmale: Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450 – 2000). Wien 2003 sowie Jürgen Martschukat, Olaf Stieglitz: Geschichte der Männlichkeiten. Frankfurt am Main 2008. 112 Vgl. Thomas Laqueur: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud. Frankfurt am Main 1992, S. 172 – 187; Maren Lorenz: Marmorlei-

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ber. Körperbildung in der deutschen Nacktkultur (1890 – 1930). Köln, Weimar, Wien 2004, S. 26 – 34 sowie Katrin Schmersahl: Medizin und Geschlecht. Zur Konstruktion der Kategorie Geschlecht im medizinischen Diskurs des 19. Jahrhunderts. Opladen 1998, S. 10 – 13. 113 Alle Anführungen nach Immanuel Kant zit. n. Frevert (1988), S. 22 f. 114 Vgl. ebd., S. 17 – 48; zur Trennung des Öffentlichen und Privaten als Erfindung des Bürgertums im 18. und 19. Jahrhundert vgl. Karin Hausen: Öffentlichkeit und Privatheit. Gesellschaftspolitische Konstruktionen und die Geschichte der Geschlechterbeziehungen. In: dies., Heide Wunder (Hg.): Frauengeschichte – Geschlechtergeschichte. Frankfurt am Main, New York 1992, S. 81 – 88. Dieser Ansatz wurde widerlegt anhand der etymologischen Herleitung von Begriffen wie Mann, Frau, Weib unter anderem durch Aldo Legnaro: Frauenbilder – Männerbilder. In: Gisela Völger, Karin von Welck: Die Braut. Geliebt, verkauft, getauscht, geraubt. Zur Rolle der Frau im Kulturvergleich. Bd. 1. Köln 1985, S. 752 – 761; hier S. 752 ff sowie Britta Rang: Zur Geschichte des dualistischen Denkens über Mann und Frau. Kritische Anmerkungen zu den Thesen von Karin Hausen zur Herausbildung der Geschlechts­ charaktere im 18. und 19. Jahrhundert. In: Jutta Dalhoff, Uschi Frey, Ingrid Schöll (Hg.): Frauenmacht in der Geschichte. Beiträge des Historikerinnentreffens 1985 zur Frauengeschichtsforschung. Düsseldorf 1986, S. 194 – 205. 115 Vgl. Schmale (2003), S. 174 f. 116 Zur Verwissenschaftlichung der dichotomen Konstruktion der Geschlechter innerhalb der Anthropologie s. Claudia ­Honegger: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Mensch und das Weib. 1750 – 1850. Frankfurt am Main 1992, S. 107 – 125. 117 Jean-Jacques Rousseau: Émile oder über die Erziehung. Paderborn 1971 (1762); vgl. Badinter (1980), S. 35 sowie zu „Zärtlichkeit“ und „Disziplin“ in der Erziehung von Vätern und Müttern Trepp (1996), S. 316 – 322. 118 Vgl. Olwen Hufton: Arbeit und Familie. In: Georges Duby, Michelle Perrot (Hg.): Geschichte der Frauen. 18. Jahrhundert, Bd. 3. Hg. von Arlette Farge, Natalie

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Zemon Davis. Frankfurt am Main 2006 (1991), S. 27 – 59, hier S. 51 ff. sowie Francoise Mayeur: Mädchenerziehung: Das laizistische Modell. In: Georges Duby, Michelle Perrot (Hg.): Geschichte der Frauen. 19. Jahrhundert, Bd. 4. Hg. von Geneviève Fraisse, Michelle Perrot. Frankfurt am Main 2006 (1991), S. 253 – 265; Schmale (2003), S. 177 ff. sowie Hannes Stekl: „Höhere Töchter“ und „Söhne aus gutem Haus“. Bürgerliche Jugend in Monarchie und Republik. Wien, Köln, Weimar 1999. Kritisch beleuchtete Anne-Charlotte Trepp die dipolare Ausformulierung der Geschlechtsidentität, s. Anne-Charlotte Trepp: Sanfte Männlichkeit und selbstständige Weiblichkeit. Frauen und Männer im Hamburger Bürgertum zwischen 1770 und 1840. Göttingen 1996; 119 Vgl. Badinter (1980), S. 35 sowie Frevert (1988), S. 24; speziell zum Hamburger Bürgertum im frühen 19. Jahrhundert s. auch die Untersuchung von Trepp (1996), die Grenzen zwischen männlicher und weiblicher Identitätskonstitution weniger dipolar beschrieb sowie zur dichotomen Ausformulierung der Geschlechter in der Frühen Neuzeit s. Heide Wunder: Er ist die Sonn’, sie ist der Mond. Frauen in der Frühen Neuzeit. München 1992. 120 Frevert (1988), S. 24 ff. 121 Ebd., S. 36 sowie Catherine Newmark: Weibliches Leiden – männliche Leidenschaften. Zum Geschlecht in älteren Affektenlehren. In: Feministische Studien, Nr.1/26.Jg. Stuttgart 2008, S. 7 – 18. 122 Karl Ludwig Renner: Wie soll sich eine Jungfrau würdig bilden? Leipzig 1822, S. 217, S. 230; da Familienmitglieder, die um 1900 Gräber für Verstorbene einrichteten, zum Großteil selbst im vorangeschrittenen Alter waren, müssen hier Anstandsbücher aus der ersten und zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Sprache kommen – hinsichtlich der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen sozialisierte sich bereits ein Teil der Generation der Auftraggebenden vor der Jahrhundertmitte bzw. auch danach mit Anstandsliteratur, die beispielsweise unter weiblichen Familienmitgliedern weitergegeben wurde. Zum Einfluss von Anstandsliteratur und Benimm­ büchern im 19. Jahrhundert s. Karin Schrott: Das normative Korsett. Reglementierungen für Frauen in Gesellschaft und Öffentlich-

Anmerkungen

keit in der deutschsprachigen Anstands- und Benimmliteratur zwischen 1871 und 1914. Würzburg 2005, S. 74 – 14. 123 J. V. Samsreither: Der Wohlanstand – Ein Lehrbuch für das richtige Benehmen in den verschiedenen Lebenslagen. Altona ca. 1890, S. 49 f. 124 Alexander von Humboldt (1792) zit. n. ­Frevert (1988), S. 30. 125 Caroline von Dacheröden (1789) zit. n. ebd., S. 39. 126 Vgl. Schrott (2005) sowie allgemein zu Positionen, Forderungen und soziokulturellem Nachwirken der Frauenbewegung s. Karen Offen: European Feminisms 1700 – 1950. A Political History. Stanford 2000; Ute ­Frevert: Frauen-Geschichte – Zwischen bürgerlicher Verbesserung und neuer Weiblichkeit. Frankfurt am Main 1997 sowie überblicks­ artig zu den unterschiedlichen Stoßrichtungen der proletarischen, bürgerlichen und konfessionellen Frauenbewegung Ingrid Biermann: Von Differenz zu Gleichheit. Frauenbewegung und Inklusionspolitiken im 19. und 20. Jahrhundert. Bielefeld 2009, S. 47 – 98. 127 S. Christine Hanke: Zwischen Auflösung und Fixierung. Zur Konstitution von „Rasse“ und „Geschlecht“ in der physischen Anthropologie um 1900. Bielefeld 2007, S. 63. 128 Warner (1985), S. 14. 129 Ariès (2002/1980). 130 Für das Phänomen des „Tod des Anderen“ sah Philippe Ariès die Auslagerung der Friedhöfe und die Ästhetisierung des Todes als Auslöser und Folgeerscheinungen zugleich; vgl. Ariès (2002/1980), S. 519 – 712; vgl. Kapitel 1, Endnote 4. 131 Mann (1960/1901), S. 177. 132 Aus dem „Eidgenössischen Briefsteller“ (1884), zit. n. Hagmayer (1994), S. 17. 133 Nekrolog für Aloys von Orelli (1892), zit. n. ebd. 134 Erzählt für das Jahr 1855, Mann (1960/1901), S. 172. 135 Hagmayer beschäftigte sich mit biographischen Zeugnissen von Witwen aus bürgerlichen Kreisen, da historische Quellen von Witwen in den Unterschichten nicht vorhanden waren; s. Hagmayer (1994), S. 21; vgl. auch die Untersuchung zur Lebenswelt von protestantischen Witwen im Kontext bildungsbürgerlicher Gefühlskonventionen

Kapitel 4 Mentalitätshistorisches Panorama

des 19. Jahrhunderts von Ursula ­Machtemes: Leben zwischen Trauer und Pathos. Bildungsbürgerliche Witwen im 19. Jahrhundert. Osnabrück 2001 sowie zu Witwen in der Frühen Neuzeit Wunder (1992), S. 180 – 188. 136 Hagmayer (1994), S. 22. 137 Ebd., S. 18. 138 Ebd. (1994), S. 20; in der Geschlechtergeschichte wird seit einigen Jahren das Forschungsfeld um spezifisch männliche Gefühlswelten und -artikulationen erweitert, s. dazu beispielweise den Beitrag von Ellinor Forster, der das Weinen für Männer in der ländlichen und städtisch-handwerklichen Schicht als einen zeigbaren Ausdruck, unter anderem für Reue, beschrieb, s. Ellinor ­Forster: Legitime Wut. Zum Ausdruck männlicher Gefühle in Ehescheidungsprozessen des ländlichen Tirol und Vorarlberg im 19. Jahrhundert. In: Manuel Borutta, Nina Verheyen (Hg.): Die Präsenz der Gefühle – Männlichkeit und Emotion in der Moderne. Bielefeld 2010, S. 105 – 128, hier S. 117. 139 Vgl. Hagmayer (1994), S. 40 sowie ­Machtemes (2001), 25 – 35. 140 S. Hagmayer (1994), S. 36; vgl. Machtemes (2001); zu den empfohlenen Trauerkonventionen in der deutschsprachigen Anstandsliteratur s. Samsreither (1890), S. 162 – 165; Franz Ebhardt (Hg.): Der gute Ton in allen Lebenslagen. Ein Handbuch für den Verkehr in der Familie, in der Gesellschaft und im öffentlichen Leben. Berlin 1878, S. 231 – 248; s. für Frankreich Villatte (1927), S. 378 f. sowie für Italien Sacerdote (1925), S. 11 f., S. 61; zur Veränderung der Trauerrituale im historischen Verlauf vom späten Mittelalter zur Frühen Neuzeit vgl. Kizik (2008), S. 209 – 298. 141 Für viele Witwen waren die ersten Trauermonate geprägt von der Herausforderung in den neuen Lebensumständen, in der Alltagsbewältigung, dem Abwickeln der Bestattungsmodalitäten und der alleinigen Versorgung der Kinder. Diese Mehrbelastung und der Aspekt der Reduktion des öffentlichen Verkehrs und der Geselligkeit können Gründe dafür sein, weshalb die Einrichtung des Familiengrabs in Briefen, Tagebüchern oder anderen biographischen Zeugnissen keine Erwähnung fand.

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142 Vgl. Hagmayer (1994), S. 37 sowie zu Mode, Schmuck und Extravaganzen der Trauerbekleidung vgl. Natascha N. Hoefer: Schwermut und Schönheit. Als die Menschen Trauer trugen. Düsseldorf 2010; in ländlichen Regionen wurde zur Hochzeit wie zu anderen familiären Anlässen Tracht oder das Sonntagsgewand getragen; vgl. ebd., S. 203 ff. 143 R.S. Müller-Müller (Hg.): Goldene Regeln für den Verkehr in der Guten Gesellschaft, Zürich 1903, S. 57 144 Vgl. Hagmayer (1994), S. 125 f. sowie ­Machtemes (2001), S. 36 – 61; zur Angst vor dem weiblichen Identitätsverlust durch den Tod des Ehemannes s. Abigail Dunn: „Ob im Tode mein Ich geboren wird?“: The Representation of the Widow in Hedwig Dohm’s „Werde, die du bist“. In: Clare Bielby, Anna Richards (Hg.): Women’s representations of death in German culture since 1500. Bd. 3. Rochester 2010, S. 88 – 100, S. 95 ff. sowie zur Gegenüberstellung von Witwen und geschiedenen Frauen s. Arnaud-Duc (1991), S. 130. 145 Vgl. Hagmayer (1994), S. 37. 146 Arnold van Gennep: Übergangsriten. Frankfurt am Main 1986 (1909). 147 Vgl. zu Trauerriten und Bestattung van Gennep (1986/1909), S. 142 – 159; der Theologe Yorick Spiegel knüpfte an das prozesshafte Trauerkonzept von van Gennep an und differenzierte hinsichtlich der Trauerbewältigung zwischen sechs verschiedenen Funktionen des Rituals: Das Ritual gebe ein Ziel an, halte Emotionen unter Kontrolle, reduziere Angst, spreche den neuen Status zu, veröffentliche den neuen Status und integriere das Individuum in die Gruppe; vgl. Yorick Spiegel: Der Prozeß des Trauerns. Bd. 1. München 1973, S. 101 – 123 sowie Erika Fischer-Lichte: Performance, Inszenierung, Ritual. Zur Klärung kulturwissenschaftlicher Schlüsselbegriffe. In: Jürgen Martuschkat, Steffen Patzold: Geschichtswissenschaft und „Performative Turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Köln, Weimar, Wien 2003, S. 33 – 54, hier S. 48 f. 148 Meyers Konversationslexikon (1908), Bd. 19, S. 676 f. 149 Samsreither (ca. 1890), S. 162. 150 Vgl. Hagmayer (1994), S. 20 f.

374

151 Sigmund Freud: Trauer und Melancholie (1915/1917). In: ders.: Psychologie des Unbewußten. Studienausgabe Bd. 3. Hg. von Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey. Frankfurt am Main 1975, S. 193 – 212, hier S. 197; Freud stellte seine Abhandlung über Trauer und Melancholie bereits im Jahr 1915 fertig, veröffentlicht wurde sie im Jahr 1917. 152 Freud (1975/1917), S. 198. 153 Ebd., S. 198 ff. 154 Zur Geschichtsträchtigkeit und Geschichtsmächtigkeit von Gefühlen s. die Beiträge in dem Sammelband von Ute Frevert (Hg.): Geschichte der Gefühle. In: Geschichte und Gesellschaft, 35/2009,2. Göttingen 2009 (a); dies.: Was haben Gefühle in der Geschichte zu suchen? In: ebd., S. 183 – 208 sowie überblicksartig zu aktuellen Positionen in der Forschung zu historischen Gefühlswelten s. Christel Eckart: Zur Einleitung: Die aufklärerische Dynamik der Gefühle. In: Sabine Flick, Annabelle Hornung (Hg.): Emotionen in Geschlechterverhältnissen. Affektregulierung und Gefühlsinszenierung im historischen Wandel. Bielefeld 2009, S. 9 – 20. 155 Meyers Konversationslexikon (1904) Bd. 5, S. 759; im heutigen Sprachgebrauch können die Begriffe Emotion und Gefühl durchaus synonym gebraucht werden, da unter beiden Termini seelische Erregung, Gemütsbewegung und Gefühlsregung gefasst, beide als Teil des subjektiven, inneren Erlebens gesehen werden und von einer »Gesamtheit des Gefühlslebens«, der Emotionalität, ausgegangen wird; vgl. Brockhaus (1996), Bd. 6, S. 348 (Stichwort: Emotion) sowie ebd. Bd. 8, S. 233 (Stichwort: Gefühl). 156 Meyers Konversationslexikon (1905), Bd. 7, S. 453 f. 157 Meyers Konversationslexikon (1905), Bd. 7, S. 545 f. 158 Vgl. Frevert (2009 a); seit einigen Jahren wird die Geschlechtergeschichte disziplinübergreifend geöffnet und mit dezidierten Einzeluntersuchungen die wissenschaftlich Rekonstruktion der dichotomen Geschlechterordnung in Frage gestellt; dabei rücken unter anderem die spezifisch männlichen Gefühlswelten in den Fokus, die unter Annahme von weiblich/emotional und männlich/rational bisher vernachlässigt wurde, s. Borutta, Verheyen (2010).

Anmerkungen

159 Vgl. Newmark (2008). 160 Johann Gottfried Herder: Zum Sinn des Gefühls (1769). In: ders.: Werke in 10 Bänden. Hg. von Jürgen Brummack, Martin Bollacher. Bd. 4. Frankfurt am Main 1994, S. 233 – 242, hier S. 236. 161 Kant zit. n. Friedrich Kirchner: Kirchner’s Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Neubearbeitung von Dr. Carl ­Michaelis. Leipzig 1907, S. 359. 162 Damen Conversations-Lexicon. 2. unveränderte Aufl. Bd. 3. Adorf 1846, S. 400. 163 Ebd., Bd. 4, S. 342, S. 400. 164 Theodor Lessing zit. n. Ingeborg Weber-­ Kellermann: Frauenleben im 19. Jahrhundert. Empire und Romantik, Biedermeier, Gründerzeit. 2. Aufl. München 1988, S. 97. 165 Vgl. Wiltrud Neumer-Pfau: Töten, Trauern, Sterben. Weiblichkeitsbilder in der antiken griechischen Kultur. In: Renate Berger, Inge Stephan: Weiblichkeit und Tod in der Literatur. Köln 1987, S. 11 – 34. 166 Dietmar Cremers: Sechs Frauen mit einem ungewöhnlichen Beruf. Die Marburger Totenweiber des 19. Jahrhunderts. In: Frauen in Marburg Bd. 3. Ein Lauf- und Lesebuch. Hg. vom DGB Kreis Mittelhessen – Büro Marburg in Zusammenarbeit mit der Frauenbeauftragten der Stadt Marburg. Marburg 1996, S. 10 – 20. 167 Zu Hirschfelds Gartentheorie im Kontext von Parkinszenierungen des späten 19. Jahrhunderts s. Schulze (2004), S. 154. 168 Hirschfeld (1985/1780), S. 134 169 „Tröstender Engel“, Familiengrab Brivio (1894), Alfredo Sassi, Cimitero Monumentale, Mailand; s. Larghi (1908), S. 140; vgl. Berresford (2004), S. 115. 170 Vgl. Fritz Breithaupt: Kulturen der Empathie. Frankfurt am Main 2009, S. 10 f. 171 Als Beispiel nennt Breithaupt die „tröstende Kraft“, welche die Einsamkeitsbilder von Caspar David Friedrich in die Freundschaftsbilder der Romantik als „erlösende Gemeinschaftserlebnisse“ einreiht; s. ebd., S. 12 – 14. 172 Vgl. Heinz Kluth: Sozialprestige und sozialer Status. Stuttgart 1956. 173 Julia Prewitt Brown: The Bourgeois Interior. Virginia 2008, S.1. 174 Gero von Wilpert: Die Bildenden Künste. In: ders., Ken Moulden: Buddenbrooks Handbuch. Stuttgart 1988, S. 259 – 267, hier S. 264.

Kapitel 4 Mentalitätshistorisches Panorama

175 Vgl. Adelheid von Saldern: Rauminszenierungen. Bürgerliche Selbstrepräsentationen im Zeitenumbruch (1880 – 1930). In: Werner Plumpe, Jörg Lesczenski (Hg.): Bürgertum und Bürgerlichkeit zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. Mainz 2009, S. 39 – 55; Gerd Kuhn: Stile des Lebens, Distinktion und Technisierung. Aspekte großbürgerlichen Wohnens. In: Heinz Reif (Hg.): Berliner Villenleben. Die Inszenierung bürgerlicher Wohnwelten am grünen Rand der Stadt um 1900. Berlin 2008, S. 269 – 284 sowie Joachim Petsch: Eigenheim und gute Stube. Zur Geschichte des bürgerlichen Wohnen. Städtebau – ­Architektur – ­Einrichtungsstile. Unter Mitarbeit von Wiltrud Petsch-Bahr. Köln 1989, S. 81. 176 Ebd., S. 49. 177 Fritz Schumacher (1901) zit. n. Barbara Edle von Germersheim: Unternehmervillen der Kaiserzeit (1871 – 1914). Zitate traditioneller Architektur durch Träger des industriellen Fortschritts. München 1988, S. 355. 178 Walter Benjamin (1983), S. 292. 179 Franck (1905), S. 408. 180 Vgl. Maaz (2010), Bd. 1, S. 254 – 265 sowie Bloch, Grzimek (1978), S. 217 – 251. 181 Vgl. zur stilistischen Entwicklung der Plastik im 19. Jahrhundert Maaz (2010), Bd. 1. 182 Zu den Bauformen und künstlerischen Stilrichungen auf dem Friedhof Ohlsdorf s. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 1, S. 72 – 120; zu französischen Friedhöfen s. Le Normand-Romain (1995); zum Wiener Zentralfriedhof s. Haubold (1989); ­Edtinger (1999); zum Friedhof Sihlfeld in Zürich s. Michel (2002), S. 11 – 16; zu norditalienischen Friedhöfen s. Berresford (2004); zu Friedhöfen in Berlin und Stahnsdorf s. Maaz (2010), Bd. 1, S. 254 – 265; Bloch, Grzimek (1978), S. 217 – 251; Hammer (1997); Hahn (2003); zu München s. Krieg (1990) sowie zum Traunsteiner Waldfriedhof s. Haselbeck (2008). 183 Maaz (2010), Bd. 1, S. 262. 184 Um 1850 wurden die Termini Kunstgewerbe, Kunstindustrie und Gewerbefleiß meist gleichbedeutend verwendet; vgl. Meyers Konversationslexikon (1905), Bd. 11, S. 813 ff. 185 Otto Lorenz: Art Nouveau. Stubenberg 1998, S. 19. 186 Vgl. Gert Selle: Jugendstil und Kunst-­ Industrie. Zur Ökonomie und Ästhetik des

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Kunstgewerbes um 1900. Ravensburg 1974, S. 18 ff.; vgl. Monika Wagner: Allegorie – Ornament – Abstraktion. In: dies., Sigrid Schade, Sigrid Weigel (Hg.): Allegorien und Geschlechterdifferenz. Köln, Weimar, Wien 1994, S. 205 – 220. 187 Dies.: Materialien als soziale Oberflächen. In: dies., Dietmar Rübel (Hg.): Material in Kunst und Alltag. Berlin 2002 (a), S. 101 – 118, hier S. 101. 188 Begräbnißordnung für den Friedhof zu Ohlsdorf (1884), s. §1 – §3. 189 Vgl. Wagner, Rübel (2002 b). 190 Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen frühere Forschungsarbeiten und Inventarisierungen; s. zum Friedhof Ohlsdorf Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 1; zum Wiener Zentralfriedhof Haubold (1989), Edtinger (1999); zum Friedhof Sihlfeld in Zürich Michel (2002); zu französischen Friedhöfen Le Normand-Romain (1995); zu norditalienischen Friedhöfen Berresford (2004); weitere Untersuchungen im deutschsprachigen Raum zu Friedhöfen in der Wupperregion Meis (2002); zum Karlsruher Hauptfriedhof Beckmann (2005); zu Friedhöfen im Rheinland Meyer-Woeller (1999); unter Berücksichtigung des Steinzerfalls zu Friedhöfen in Essen Schmidt (1993); aus kunsthistorischer Perspektive s. überblicksartig zu den Charakteristika von Sandstein, Marmor, Granit, Bronze und Galvanoplastiken Maaz (2010), Bd. 2. 191 Vgl. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 1, S. 129. 192 Ebd. sowie Ellen Thormann, Barbara Leisner, Helmut Schoenfeld: Massenhaft Engel – ­Galvanoplastiken auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Schriftenreihe Ohlsdorf e. V. Hamburg 1997, S. 14. 193 Historische Postkarte (um 1900) mit Ansichten von Laaser Grabdenkmälern mit dem Vermerk „Steinerne Meere, Friedhof Laas, Prag, Braunau, Trautenau“ (Trutnov); zum Marmorabbau in Carrara vgl. Mannoni, Mannoni (1980), S. 207 – 227; vgl. zum Marmorabbau in Laas im Südtiroler Vinschgau Lois Köll: Laaser Marmor. Gewinnung und Verwertung. Innsbruck 1964 sowie überblicksartig zu den Charakteristika der Marmorarten in Tirol, Laas und C ­ arrara und ihrer Bedeutung in der Bildhauer-

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kunst s. Maaz (2010), Bd. 2, S. 679 f., S. 703 f., S. 732 f. 194 Das Familienunternehmen Wethli galt in der Schweiz als eine der bedeutendsten Bezugsquellen von Steinmetzarbeiten aus Marmor; s. Michel (2002), S. 40 f. sowie Wethli (o. J.). 195 Diese Regionen liegen außerhalb der Untersuchungsräume und hätten den Rahmen des Forschungsprojektes überschritten. Für die Mentalitäts- und Kunstgeschichte verspräche eine diskursanalytische Perspektive auf die Verknüpfung von regionalen Gesteinsvorkommen, soziokultureller Codierung und bürgerlicher Repräsentationskultur einen interdisziplinären Erkenntnisgewinn. 196 Vgl. Mannoni (1980), S. 61 – 127, S. 207 – 227. 197 Vgl. Denhardt (1993) S. 37 ff. 198 Je heller und feiner der Carrara-Marmor war, desto teurer wurde er verkauft; bis zu 33 Taler pro Kubikfuß (1863), zwischen 300 und 1.700 Franc pro Kubikmeter (1904); s. Meyers Konversationslexikon (1863) Bd. 4, S. 428 f. sowie Meyers Konversationslexikon (1904) Bd. 3, S. 778. 199 Vgl. Mannoni (1980); Hegemann (1951), S. 37. 200 K.K. geologische Reichsanstalt: Catalog ihrer Ausstellungs-Gegenstände bei der Wiener Weltausstellung 1873. Wien 1873, S. 147. 201 Vgl. die früheren Kapitel über Friedhofskultur in Hamburg, Berlin und Zürich sowie Thieme, Becker (1907 – 1950). 202 Wagner (2002 a), S. 101. 203 Bruno Reudenbach: Anmerkungen zur Materialbewertung im Mittelalter. In: ­Dietmar Rübel, Monika Wagner (Hg.): Material in Kunst und Alltag. Berlin 2002, S. 1 – 12, hier S. 7. 204 Hans-Ernst Mittig: „Zeitloses“ Baumaterial heute. In: Dietmar Rübel, Monika Wagner (Hg.): Material in Kunst und Alltag. Berlin 2002, S. 65 – 84, hier S. 65 ff. 205 Insbesondere „natürlich“ gewachsene Materialien wie Marmor waren zeitlos konnotiert, weil sie die Halbwertszeiten von Beständigem sichtbar machen und hervorheben; vgl. Mittig (2002), S. 68. 206 Ruskins 30. Lehrspruch, s. ders. (1994/1849), S. 350; vgl. auch Aleida Assmann: Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung. München 2007.

Anmerkungen

207 Vgl. die Erklärung des Begriffs „Jenseits“ als „Unsterblichkeit“ in Meyers Konversations­ lexikon (1906), Bd. 10, S. 226. 208 Waltraud Heindl: „Wir wollen einen Familientempel bauen …“ (Marginalien zu Mentalität und Familienleben des Beamten Gustav Höfken). In: Éva Somogyi: Verbürgerlichung in Mitteleuropa. Festschrift für Péter Hanák zum 70. Geburtstag. Budapest 1991, S. 47 – 56. 209 Ebd. 210 Lina Höken, zit. n. ebd., S. 51; vgl. auch Bürgerlichkeit als säkulare Religion im Sinne von Thomas Nipperdey: Arbeitswelt und Bürgergeist. In: ders.: Deutsche Geschichte. Bd. 1. München 1994, S. 518 f. 211 Meyers Konversationslexikon (1867) Bd. 14, S. 1122. 212 Vgl. zum Bedeutungswandel des Sakralen und Profanen Stephan Porombka, Silvio Vietta (Hg.): Ästhetik – Religion – ­Säkularisierung. 2 Bde. Unter Mitarbeit von Sanne Ziethen. München 2009 sowie Renate Liebenwein-Krämer: Säkularisierung und Sakralisierung. Studien zum Bedeutungswandel christlicher Bildformen in der Kunst des 19. Jahrhunderts. 2 Bde. Frankfurt am Main 1977. 213 Mittig (2002), S. 65. 214 Ebd., S. 73. 215 Vgl. Volker Reinhardt: Deutsche Familien. Historische Portraits von Bismarck bis Weizsäcker. München 2005; Peter de ­Mendelssohn: Zeitungsstandt Berlin. Menschen und Mächte in der Geschichte der deutschen Presse. Überarbeitete und erweiterte Aufl. Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1982 sowie Einträge in der ADB/NDB. 216 Grässel (1913), S. 1. 217 Ebd.; ab der Jahrhundertwende nimmt die Materialvielfalt immer weiter zu, indem Gestaltungselemente wie Kandelaber, Blumengefäße und Intarsien auf Grabsteinen oder Versatzstücke an den Figuren wie Kränze, Blumen oder Tafeln aus mehreren Materialien dekorativ aneinandergereiht wurden. Wesentlich ausgeprägter als in Hamburg-Ohlsdorf zeigt sich dieser heterogene Materialmix auf Friedhöfen in der k. u. k. Monarchie und in Norditalien; allgemein zur seriellen Produktion von Grabschmuck s. Eppler (2009). 218 Plagemann (1995), S. 265.

Kapitel 4 Mentalitätshistorisches Panorama

219 Die Galvanoplastik in der Kunst. Zur internationalen Baufach-Ausstellung Leipzig 1913. Hg. von Württembergische Metallwaren­ fabrik, Abteilung für Galvanoplastik, Geislingen (Steige). Stuttgart 1912/13. 220 Vgl. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 1, S. 129; s. allgemein zu Vervielfältigung, Gießereien und Zieseleuren das Personen- und Unternehmensregister bei Maaz (2010), ab S. 641 sowie Gerhard Rupp: Gips, Zink und Bronze – Berliner Vervielfältigungsfirmen im 19. Jahrhundert. In: Peter Bloch, Sibylle Einholz, Jutta von Simson (Hg.): Ethos und Pathos. Die Berliner Bildhauerschule 1786 – 1914. Beiträge. Berlin 1990, S. 337 – 352. 221 Gruber (1999), S. 176. 222 Um 1890 wurden verstärkt Kaiser-­WilhelmDenkmäler und Monumente zur Reichgründung nachgefragt; s. Bloch, Grzimek (1978), S. 207; Gruber (1999), S. 174. 223 Ebd. S. 147 – 195, hier S. 147 f. 224 Vgl. zu den unterschiedlichen Verfahrensweisen Gruber (1999), S. 163 – 177 sowie die Broschüre „Die Galvanoplastik in der Kunst“ (1912/13). 225 Die Grundvoraussetzung für die Herstellung von Galvanoplastiken brachte der Bau von Dynamomaschinen mit sich, die durch niedrig gespannten Gleichstrom galvanische Metallabscheidungen auf nichtmetallischen Objekten ermöglichte, s. Gruber (1999), S. 152; das Ende für die Galvaniken der WMF brachte der Zweite Weltkrieg mit sich, da Rohmaterialien für die Kriegsproduktion unentbehrlich wurden und die Fertigungsanlagen zum Einsatz für die Kriegsproduktion kamen – die weiblichen Galvanoplastiken wurden bereits nach dem Ersten Weltkrieg und im Zuge der Friedhofsreformen immer seltener aufgestellt, vgl. ebd., S. 156 sowie Denhardt (1993), S. 5. 226 Vgl. Gruber (1999), S. 168 ff. 227 Der Unterschied zwischen Kern- oder Hohlgalvaniken war und ist im Übrigen nicht mit bloßem Auge sichtbar. Um welche Art von Galvanik es sich handelt, lässt sich auch heute noch auf dem Friedhof mit einem Klopf-Test herausfinden: Kerngalvaniken klingen dumpf, Hohlgalvaniken klingen hoch und hallen nach. 228 Vgl. Denhardt (1993), S. 185 – 196; Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 1, S. 129.

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229 Vgl. Denhardt (1990), S. 37 – 40. 230 Vgl. Reinhold Lurz: Erhalt der Aura trotz technischer Reduktion. Berliner Künstler arbeiten für die WMF. In: Peter Bloch, Sibylle Einholz, Jutta von Simson (Hg.): Ethos und Pathos. Die Berliner Bildhauerschule 1786 – 1914. Beiträge. Berlin 1990, S. 325 – 336, hier S. 325; Denhardt (1993) sowie Gruber (1999). 231 Zit. aus Katalog der WMF (1902), ­Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, WMF-S2/926. 232 Gerhard Robert Rupp: Vom Modellraub zur Auflagenplastik. Zur Authentizitätsproblematik vervielfältigter Plastik im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland. Dissertation Universität Bonn. Bonn 1989, S. 153. 233 Gruber (1999), S. 192. 234 Carl Haegele, zit. n. ebd., S. 193. 235 Zit. n. Lurz (1990), S. 328. 236 Fischer (1996 b), S. 29 f. 237 Katalog der WMF (1919), Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, WMF-S2/865; vgl. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 1, S. 129. 238 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie. Frankfurt am Main 1966 (1936). 239 Ebd., S. 11. 240 Vgl. Leisner, Schulze, Thormann (1990), Bd. 2, S. 192. 241 Vgl. Thormann, Leisner, Schoenfeld (1997), S. 14. 242 Zur Verbreitung galvanoplastischer Figuren im Verhältnis zu anderen Grabmal-­ Materialien vgl. zu Karlsruhe Beckmann (2005), S. 150 – 155; zur Wupperregion vgl. Meis (2002), S. 126 – 420; für Essen vgl. Schmidt (1993), S. 146 – 152; zum Rheinland vgl. Meyer-Woeller (1999), S. 63 – 68. 243 Vgl. Budde (2009 a), S. 92 – 107. 244 Jochmann (1986), Bd. 2., S. 40. 245 Ebd., S. 28. 246 Vgl. ebd., S. 37 – 40 sowie Kopitzsch, Tilgner (2010), S. 123 f. 247 Werner Müller: Bürgertum und Christentum. In: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft. Freiburg, Basel, Wien 1982, S. 5 – 58; hier S. 31. 248 Gunilla Budde: Bürgertum und Konsum: Von der repräsentativen Bescheidenheit zu den „feinen Unterschieden“. In:

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­Hein-­Gerhard Haupt, Claudius Torp (Hg.): Die Konsumgesellschaft in Deutschland 1890 – 1990. Ein Handbuch. Frankfurt am Main 2009 (b), S. 131 – 144, hier S. 132. 249 Jochmann (1986), Bd. 2., S. 40. 250 Im Sinne Bourdieus Charakterisierung von Kleinbürgertum, Bourgeoisie und Präferenz; vgl. Bourdieu (1982), S. 312, S. 502 f. 251 Sigmund Freud: Über Psychoanalyse. 5 Vorlesungen gehalten zur 20jährigen Gründungsfeier der Clark University in Worcester Mass. September 1909. 2., unveränd. Aufl. Leipzig 1912, S. 10 f. 252 Peter Burschel: Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit. München 2004. 253 Ebd., S. 5. 254 Ebd., S. 285. 255 Die Erklärungsmodelle Max Webers zur Gesellschaft des 19. Jahrhunderts gelten in der Sozial- und Mentalitätsgeschichte seit einigen Jahrzehnten als viel zitierte, feststehende Größe. Webers Ansatz, dass das Handeln der Menschen in der Geschichte weniger von zeitspezifischen Interessen bestimmt wurde, sondern von Ideen, diente als Grundlage, den Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Religion, im Speziellen zwischen Protestantismus und Kapitalismus zu entschlüsseln. Er deutete die innere Zerrissenheit der Individuen, die im Folgenden auf das Phänomen der weiblichen Grabplastik hin untersucht werden soll, bereits in einer pessimistisch anmutenden Zeitdiagnose des „Fachmenschen ohne Geist“ und des „Genussmenschen ohne Herz“ an; s. Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. In: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. 1. Tübingen 1920, S. 203 f.; s. einführend und zur Rezeption in den Geisteswissenschaften Hans-Peter Müller: Max Weber. Eine Einführung in sein Werk. Köln, Weimar, Wien 2007; vgl. auch Bürgerlichkeit als säkulare Religion im Sinne von Nipperdey (1994), S. 518 f. 256 Mann (1960/1901); als Ergänzung der literarischen Beschreibung der lübeckischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert vgl. Ludwig Ewers: Die Großvaterstadt. 2 Bde. München 1926; vgl. Astrid Paul: Der Tod in der Literatur um 1900. Literarische Dokumentationen

Anmerkungen

eines mentalitätsgeschichtlichen Wandels. Marburg 2005, S. 41 – 72. 257 Hans Wysling: Buddenbrooks. In: Helmut Koopmann (Hg.): Thomas-Mann-Handbuch. Regensburg 1990, S. 363 – 384, hier S. 379. 258 Mann (1960/1901), S. 176. 259 Wysling (1990), S. 370. 260 Mann (1960/1901), S. 614. 261 Andreas Killen: Berlin Electropolis. Shock, Nerves and German Modernity. Berkeley, Los Angeles, London 2005, S. 5. 262 Teils wörtlich, teils sinngemäß s. Mann (1960/1901), S. 260, S. 275, S. 392, S. 614. 263 Ders.: Der Zauberberg. In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 7. Berlin 1927 (1924). 264 Arthur Schnitzler: Leutnant Gustl. Fräulein Else (Erzählungen). Sonderausgabe. Frankfurt am Main 1992 (1900/01). 265 Eine der ersten literarischen Innenansichten über das Leiden an Gesellschaft und Moderne aus der Perspektive des Beamten stammt von Fjodor M. Dostojevski: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch. In: ders.: Winterliche Aufzeichnungen über sommerliche Eindrücke. Reinbek bei Hamburg 1962 (1864); des weiteren die autobiographische Verteidigung von dem Sohn des Pädagogen Schreber, Jurist und Senatspräsident Daniel Paul Schreber: Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken. Frankfurt am Main 1973 (1903) sowie die Beschreibung der jugendlichen Zerrissenheit zwischen Identität, Konvention und Institutionalisierung von Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß. Wien 1906; vgl. zum Konnex Nervosität und Geschlecht in der Literatur um 1900 Andrea Kottow: Der kranke Mann. Zu den Dichotomien Krankheit/Gesundheit und Weiblichkeit/Männlichkeit in Texten um 1900. Dissertation Universitätsmedizin Berlin. Berlin 2004. 266 Andreas Steiner: Das nervöse Zeitalter. Der Begriff der Nervosität bei Laien und Ärzten in Deutschland und Österreich um 1900. Dissertation Universität Zürich. Zürich 1964, S. 120; vgl. als umfassende Untersuchung für den deutschsprachigen Raum ­Joachim Radkau: Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler. München, Wien 1998; an Radkau schlossen sich zahlreiche vertiefende Untersuchungen an, unter anderem Einzeluntersuchungen über bestimmte Personen und Biographien.

Kapitel 4 Mentalitätshistorisches Panorama

267 Vgl. ders. (1998) sowie Blom (2009), S. 74 – 83. 268 S. Radkau (1998), S. 120; vgl. „Mass Nervousness“ nach Killen (2005), S. 81 – 126. 269 Radkau (1998), S. 461. 270 Killen (2005), S. 1. 271 Radkau (1998), S. 215 – 232. 272 Rudolph von Hösslin. In: Handbuch der Neurasthenie. Hg. von Franz Carl Müller. Leipzig 1893, zit. n. Steiner (1964), S. 45 sowie Radkau (1998), S. 190 – 215. 273 Mann (1960/1901), S. 615. 274 Karl Lamprecht (1903) zit. n. Steiner (1964), S. 31. 275 Mann (1960/1901), S. 174. 276 Zur Verbindung von Nervosität und Heilstättenbewegung s. Radkau (1998), S. 107 – 121. 277 Thomas Nipperdey: Wie das Bürgertum die Moderne fand. Berlin 1988, S. 31. 278 Weber (1920) Bd. 1, S. 555. 279 Simmel deutete diese Tendenzen bereits, ohne jedoch den Habitus-Begriff zu verwenden; vgl. Georg Simmel: Soziologische Ästhetik. Hg. und eingeleitet von Klaus Lichtblau. Darmstadt 1998. 280 Franziska Lamott (2001) zit. n. Schößler (2008), S. 37. 281 Elisabeth Bronfen: Die schöne Leiche. Weiblicher Tod als motivische Konstante von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die Moderne. In: Renate Berger, Inge Stephan (Hg.): Weiblichkeit und Tod in der Literatur. Köln, Wien 1987, S. 87 – 116, S. 100. 282 Griselda Pollock: Frau als Zeichen. Psychoanalytische Lektüren. In: Beate Söntgen (Hg.): Rahmenwechsel. Kunstgeschichte als feministische Kulturwissenschaft. Berlin 1996, S. 115 – 161, hier S. 166. 283 Gertrud Lehnert: Wenn Frauen Männerkleider tragen. Geschlecht und Maskerade in Literatur und Geschichte. München 1997, S. 173. 284 Unter anderem die eingesperrte Geliebte von dem Marquis de Sade, die verschleppten, verleugneten oder vergifteten Frauenfiguren von Shakespeare, Goethe und Schiller oder das schlafende, scheinbar tote Schneewittchen. 285 E. A. Poe (1846) zit. n. Bronfen (1987), S. 87. 286 Dies.: Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik. München 1994, S. 92. 287 Vgl. dies. (1987), S. 91.

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288 Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra (1833 – 1885). In: ders.: Werke. München, Wien 1999, S. 545 – 778, hier S. 705. 289 Der Brief wurde in Annie Kalmars Nachlass gefunden und in der Fackel veröffentlicht; s. Die Fackel. Hg. von Karl Kraus, Nr. 852 – 856/1931 (05.1931), S. 49. 290 Peter Altenberg zit. n. Pfäfflin, Dambacher (2001), S. 136 f.; Annie Kalmar als Projektionsfläche von Peter Altenberg ließe sich in der Reihe von Photographien dezidierter analysieren, die der Autor von minderjährigen Mädchen angelegt und meist beschriftet hatte, vgl. Wolfgang Lange: „Süße kleine Mädel“. Peter Altenbergs Obsession. In: Helmut Scheuer, Michael Grisko (Hg.): Liebe, Lust und Leid. Zur Gefühlskultur um 1900. Kassel 1999, S. 435 – 457. 291 Bronfen (1987), S. 105. 292 Vgl. Ariès (1999), S. 446. 293 Guthke (1999), S. 252. 294 Vgl. zu dem Motiv „Der Tod und das Mädchen“ im Totentanz und in seiner späteren Entwicklung Andrea von Hülsen-Esch, Hiltrud Westermann-Angerhausen (Hg.): Zum Sterben schön. Alter, Totentanz und Sterbekunst von 1500 bis heute. Bd. 1. Regensburg 2006, S. 65 – 180 sowie ebd., Bd. 2., S. 153 – 186, S. 231 – 257. 295 Vgl. Dominique Czech (u. a.): Eros und Thanatos. In: Stefanie Knöll (Hg.): Frauen – Sünde – Tod. Düsseldorf 2010, S. 109 – 124; Regine Bleckmann, Reiner Sörries: Das Leben, die Liebe und der Tod zwischen Evolution und Identitätssuche. In: Kultur des Todes – Interdisziplinäre Beiträge zur Sepulkralkultur aus dem Arbeitskreis selbstständiger Kultur-Institute (AsKI). Kassel 2007, S. 103 – 121, hier S. 110 f. sowie Gert Kaiser: Der Tod und die schönen Frauen. Ein elementares Motiv der europäischen Kultur. Frankfurt am Main 1995, S. 43 – 49. 296 Philosophisches Wörterbuch. Begr. von Heinrich Schmidt, neu bearb. von Georgi Schischkoff, 22. Aufl. Stuttgart 1991, S. 728 f. 297 Berresford (2004), S. 182. 298 Bleckmann, Sörries (2007), S. 103. 299 Ebd., S. 117. 300 Zu Inszenierungen und Legitimierungsstrategien von Nacktheit s. die Beiträge in ­Kerstin Gernig (Hg.): Nacktheit. Ästhetische Inszenierungen im Kulturvergleich. Köln, Wien, Weimar 2002 (b).

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301 Dies. (2008), vgl. dies.: Bloß nackt oder nackt und bloß? Zur Inszenierung der Entblößung. In: dies.: Nacktheit. Ästhetische Inszenierungen im Kulturvergleich. Köln, Wien, Weimar 2002 (a), S. 7 – 31, hier S. 7. 302 Wenk (1996), S. 117. 303 Zum Themenkomplex Nacktheit, Scham und Moral vgl. aus sozialhistorischer Perspektive Oliver König: Nacktheit. Soziale Normierung und Moral. Opladen 1991; mit anthropologischem Fokus vgl. Hans Peter Duerr: Der erotische Leib. Bd. 4. Frankfurt am Main 1999; zum Wandel der Diskurse um Nacktheit, Körperlichkeit und Gesundheit am Übergang zu den Lebensreformbewegungen s. Maren Möhring: Ideale Nacktheit. Inszenierungen in der deutschen Nacktkultur 1893 – 1925. In: Kerstin Gernig (Hg.): Nacktheit. Ästhetische Inszenierungen im Kulturvergleich. Köln, Wien, Weimar 2002, S. 91 – 110. 304 Georg Simmel: Böcklins Landschaften. In: ders.: Zur Philosophie der Kunst. Philosophische und kunstphilosophische Aufsätze. Potsdam 1922, S. 7 – 16, hier S. 13. 305 Gernig (2008), S. 6. 306 Johannes Endres, Barbara C. Wittmann, Gerhard Wolf (Hg.): Ikonologie des Zwischenraums. Der Schleier als Medium und Metapher. München 2005, S. VIII. 307 Gernig (2008), S. 6; vgl. auch James Elkins: Pictures of the Body. Pain and Metamorphosis. Stanford 1999, S. 42 – 57. 308 Hans-Friedrich Rosenfeld: Handschuh und Schleier. Zur Geschichte eines literarischen Symbols. Helsingfors 1957, S. 30. 309 Ebd., S. 31. 310 Vgl. ebd., S. 32 sowie Lutz Röhrich (Hg.): Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Freiburg im Breisgau 2001. 311 Gernig (2008), S. 6. 312 Vgl. Gabriele Mentges: Kleidung als Technik und Strategie am Körper. Eine Kulturanthropologie von Körper, Geschlecht und Kleidung. In: André Holenstein, Ruth Meyer Schweizer, Tristan Weddigen, Sara Zwahlen (Hg.): Zweite Haut. Zur Kulturgeschichte der Kleidung. Bern, Stuttgart, Wien 2010, S. 15 – 42. 313 Gesa Kessemeier: „Als ich noch ein kleiner Junge war, hatten die Mädchen überhaupt keine Beine.“ Zur Konstruktion geschlechtsspezifischer Körperbilder in der Mode des 19.

Anmerkungen

und 20. Jahrhunderts. In: Metis: Zeitschrift für historische Frauenforschung und feministische Praxis. 12/1997, 6. Jg. Berlin 1997, S. 55 – 71, hier S. 58 ff. 314 Vgl. Friedrich Bayl: Der nackte Mensch in der Kunst. Köln 1964, S. 8. 315 Robert Magill (1928) zit. n. Kessemeier (1997), S. 62. 316 Vgl. Roman Sandgruber: Das Fahrrad. In: Beiträge zur historischen Sozialkunde 17/1987. Wien 1987, S. 57 – 63. 317 Gernig; (2008) S. 6. 318 Endres, Wittmann, Wolf (2005), S. VIII. 319 Vgl. Fischer (2005), S. 180. 320 Endres, Wittmann, Wolf (2005), S. III. 321 Richard von Krafft-Ebing (1886) zit. n. ­Valerie Steele: Fetisch – Mode, Sex und Macht. Hamburg 1998, S. 19. 322 Mark Elliot Dietz und Barbara Evans (1982) zit. n. ebd., S. 20. 323 Guthke (1999), S. 252. 324 Vgl. Arthur E. Imhof: Die Lebenszeit – Vom aufgeschobenen Tod und von der Kunst des Lebens. München 1988, S. 29 – 36. 325 Vgl. Karin Stukenbrock: „Der zerstückte Cörper“ – Zur Sozialgeschichte der anatomischen Sektionen in der frühen Neuzeit (1650 – 1800). Stuttgart 2001 sowie Schmersahl (1998), S. 13, S. 254 f. 326 Vgl. Michel Foucault: Die Geburt der Klinik: Eine Archäologie des ärztlichen Blicks. München 1973. 327 Als literarisches Beispiel vgl. die Analyse zu Arthur Schnitzlers Novelle „Sterben“ (1892) von Paul (2005), S. 73 – 94; zu aktuellen Diskursen rund um die Sterblichkeit vgl. Annette Hilt, Isabella Jordan, Andreas Frewer (Hg.): Endlichkeit, Medizin und Unsterblichkeit. Geschichte – Theorie – Ethik. Stuttgart 2010; darin zu historischen Vorstellungsentwürfen zur Unsterblichkeit von Klaus Thiele-Dohrmann: Ewige Seligkeit oder endlose Nicht-Existenz? Zur Kulturgeschichte der Unsterblichkeitsidee. In: Annette Hilt, Isabella Jordan, Andreas Frewer (Hg.): Endlichkeit, Medizin und Unsterblichkeit. Geschichte – Theorie – Ethik. Stuttgart 2010, S. 33 – 52. 328 E. M. Hampeis (1833) zit. n. Kapner (1970), S. 29. 329 Fischer (1996 b), S. 71.

Kapitel 4 Mentalitätshistorisches Panorama

330 Annette Wittkau: Historismus. Zur Geschichte des Begriffs und des Problems. 2. Aufl. Göttingen 1994, S. 12. 331 Hölscher (2005), S. 325. 332 Herbert Vorgrimler: Geschichte des Paradieses und des Himmels. Mit einem Exkurs über Utopie. München 2008, S. 226. 333 Dirk Evers: Chaos im Himmel. Die Entwicklung der modernen Kosmologie und ihre Tragweite für die christliche Rede vom Himmel. In: Der Himmel, Jahrbuch für Biblische Theologie (JBTh), Bd. 20. Neukirchen-Vluyn 2005, S. 35 – 58, zit. n. ­Vorgrimler (2008), S. 227. 334 Vgl. im Folgenden ders., S. 226 ff.; vgl. überblicksartig zur Eschatologie im 19. Jahrhundert Hölscher (2005), S. 325 – 329; vgl. den weitsichtig angelegten Sammelband mit unterschiedlichen Perspektiven auf Vorstellungswelten zum Jenseits, dem Himmel, der Endlichkeit und der Ewigkeit von ders. (Hg.): Das Jenseits. Facetten eines religiösen Begriffs in der Neuzeit. Göttingen 2007; vgl. zum Verhältnis von Himmelsvorstellungen und christlicher Verheißung im kulturhistorischen Wandel Bernhard Lang, Colleen McDannell: Der Himmel. Eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens. Frankfurt am Main 1990; zum Jenseits in den Randgebieten der Paradies-Vorstellungen den interdisziplinären Sammelband von Claudia Benthien, Manuela Gerlof (Hg.): Paradies. Topografien der Sehnsucht. Köln, Weimar, Wien 2010; in der umfangreichen Abhandlung zu christlichen Erinnerungsorten stellen sich die Autoren den vielfältigen Vorstellungen vom Ort über Kategorien wie „Zentralorte“, „reale Orte“ und „übertragene Orte“ – erstaunlicherweise wurden Vorstellungswelten zum Jenseits oder Erinnerungsorte wie private Grabstätten außer Acht gelassen; vgl. Christoph Markschies, Hubert Wolf (Hg.): Erinnerungsorte des Christentums. München 2010; aus kulturwissenschaftlich-philosophischer Perspektive vgl. Gehring (2010), S. 60 – 67. 335 Johann Gottlieb Fichte: Zehnte Vorlesung (1806) zit. n. Vorgrimler (2008), S. 234. 336 Wilhelm von Humboldt: Briefe „An eine Freundin“ (1834) zit. n. ebd., S. 233. 337 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vortrag über die Philosophie der Religion (1821) zit. n. ebd., S. 235.

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338 Gustav Theodor Fechner: Das Büchlein vom Leben nach dem Tode (1836) zit. n. ebd., S. 237. 339 Ludwig Feuerbach: Die Unsterblichkeitsfrage vom Standpunkt der Anthropologie (1846) zit. n. ebd.s, S. 237. 340 Ruederer (1987/1912), S. 225. 341 Beenken (1944), S. 189. 342 Zu Böcklins verschiedenen Fassungen der „Toteninsel“ s. Franz Zelger: Arnold Böcklin. Die Toteninsel. Selbstheroisierung und Abgesang der abendländischen Kultur. Frankfurt am Main 1991, S. 8 – 17; zur Rezeption der „Toteninsel“ ebd., S. 56 – 65. 343 Vgl. Andrea Linnebach: Arnold Böcklin und die Antike. Mythos, Geschichte, Gegenwart. München 1991, S. 101 – 136; besonders anschaulich werden die Profanisierung des Sakralen in Friedrichs Gemälde „Kreuz im Gebirge“ (1807); vgl. dazu Kopp-Schmidt (2004), S. 15, S. 41 – 44 sowie Peter Gay: Die Macht des Herzens. Das 19. Jahrhundert und die Erforschung des Ich. München 1997, S. 363 – 374. 344 Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur (2005) Bd. 2., S. 374. 345 Edmond Jabès (1985) zit. n. Thomas Macho: Todesmetaphern. Zur Logik der Grenzerfahrung. Frankfurt am Main 1987, S. 6. 346 Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung. In fünf Teilen. Geschr. 1938 – 1947. Bd. 1, 4. Aufl. Frankfurt am Main 1993, S. 1; während in philosophischen Kontexten die Angst, als Reaktion auf vermeintliche Bedrohung und Ausdruck von Leere, klar von der objektbezogenen Furcht als Reaktion auf eine konkrete Gefahr unterschieden wird, werden die Begriffe Angst und Furcht in der Umgangssprache meist ähnlich verwendet; vgl. allgemein Brockhaus (1996), Bd. 1., S. 607 ff. sowie Brockhaus (1997), Bd. 8, S. 67; zu philosophischen Modellen von Angst und Furcht s. Søren Kierkegaard: Der Begriff Angst. In: ders.: Gesammelte Werke 11. und 12. Abteilung. Düsseldorf 1965 (1844), S. 40; Sigmund Freud: Jenseits des Lustprinzips. In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 13. London 1947 (1920), S. 1 – 69; sowie Martin Heidegger: Was ist Metaphysik? Bonn 1929. 347 Artemidorus zit. n. Warner (1989), S. I.

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Anmerkungen

Kapitel 5 Schluss 1 2

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S. Osterhammel (2009), Blom (2009). Vgl. die Rezension des Historikers Friedrich Lenger: Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München 2009, in: H-Soz-u-Kult, 13.03.2009, >http://hsozkult.geschichte. hu-berlin.de/rezensionen/2009 – 1-210< (Stand: 14.04.2011) sowie mit Berücksichtung der Covergestaltung die Rezension des Kommunikationswissenschaftlers und Historikers Thomas Birkner: Blom, Philipp: Der taumelnde Kontinent. Europa 1900 – 1914. München 2009, in: H-Soz-u-Kult, 15.03.2010, >http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010 – 1-197< (Stand: 14.04.2011). Blom (2009), S. 11. S. Meyers Konversationslexikon (1894), Bd. 6, S. 663. Beispiele finden sich unter anderem auf dem Cimitero Israeliti, der jdüischen Abteilung des Cimitero Monumentale in Mailand, der sich in der Monumentalität und Vielfalt an Grabplastiken kaum von den Abteilungen anderer Konfessionen unterscheidet; oder aber auch auf interkonfessionellen Friedhöfen wie auf der Großgrabstätte der Familien Troplowitz und Mankiewicz (1918), auf der eine aufwändige Säulenarchitektur mit Reliefs versehen wurde, die unter anderem Orpheus und Euridike zeigen. Vgl. die „Publikation Skulpturen von Julius Seitz (1847 – 1912) in Freiburg im Breisgau“. Fotos von Richard Schindler. Hg. vom Freiburger Bestattungsinstitut Karl B. Müller und dem Institut für Visual Profiling. Freiburg 2006 sowie Mauro Felicori, Annalisa Zanotti (Hg.): Cemeteries of Europe. A Historical Heritage to Appreciate and Restore. Bologna 2004 sowie die Homepage der ASCE: >http://www.significantcemeteries. org/< (Stand: 13.04.2011) Morgan (2005). Vgl. Beileidskarten aus dem Programm der bsb-Opacher GmbH (seit 1999); Isolde ­Ohlbaum: Denn alle Lust will Ewigkeit. ­Erotische Skulpturen auf europäischen Friedhöfen. München 2000; diese Gedichtbände erfreuen sich großer Beliebtheit und sind bei Knesebeck inzwischen als gebundene Ausgabe, broschierte Sonderausgabe

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und Miniausgabe erhältlich sowie Wandkalender, Schreibtischkalender, Postkartenkalender, Postkartenbücher Bd. 1 – 3, Adressbücher mit Abbildungen von der Berliner Photographin Isolde Ohlbaum (z. B. ars vivendi (seit 2003)) Vgl. als Auswahl den Photoblog zu Hamburger Friedhöfen >http://gottesacker.wordpress. com/< (Stand: 18.05.2011) sowie überregional >http://www.kleinertod.de/grab/paris/ index.html< (Stand: 13.04.2011); >http:// der-schwarze-planet.de/category/gothic-reisetipps/< (Stand: 13.04.2011); >http://www. pbase.com/aestus/cemetary_figures/< (Stand: 18.05.2011); >http://northstargallery. com/< (Stand: 13.04.2011). Vgl. unter Schlagworten wie „cemetery“, „mourning“, „maiden“ oder „Père Lachaise“ Beiträge auf >http://www.flickr.com< (Stand: 13.04.2011); >http://www.panoramio.com/< (Stand: 13.04.2011); >http://picasa.google. com/< (Stand: 13.04.2011) sowie >http:// www.ipernity.com/< (Stand: 18.05.2011) S. Ewig (2006) sowie Ewig – Forum für Gedenkkultur. Titelthema: Abschied und Trost. Nr. 4/07. München 2007. Vgl. dazu die gegenwärtige Diskussion über die erneut wachsenden Ansprüche an die Frau und Mutter unter dem Banner der Natürlichkeit, ausgelöst durch die Publikation von Elisabeth Badinter: Der Konflikt – Die Frau und die Mutter. 2. Aufl. München 2010.

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Siglenverzeichnis ADB Allgemeine Deutsche Biographie. Hg. von der Historischen Kommission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften. 55 Bde. und ein Registerband. München, Leipzig 1875 – 1912. Brockhaus Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. 20., überarbeitete und akt. Aufl. Leipzig, Mannheim 1996. Meyers Konversationslexikon Das große Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände. Sogenannte 0. Aufl., 46 Bde. Hildburghausen 1853 – 1855. Neues Conversations-Lexikon für alle Stände. 1. Aufl., 15 Bde. Hildburghausen 1857 – 1860. Neues Konversations-Lexikon, ein Wörterbuch des allgemeinen Wissens. 2., gänzlich umgearbeitete Aufl., 15 Bde. Hildburghausen 1861 – 1867. Meyers Konversations-Lexikon. Eine Encyklopädie des allgemeinen Wissens. 3., gänzlich umgearbeitete Aufl., 15. Bde. Leipzig 1874 – 1878. Meyers Konversations-Lexikon. Eine Encyklopädie des allgemeinen Wissens. 4., gänzlich umgearbeitete Aufl., 16 Bde. Leipzig 1885 – 1890. Meyers Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. 5., gänzlich neubearbeitete Aufl., 17 Bde. Leipzig, Wien 1893 – 1897. Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. 6., gänzlich neubearbeitete u. vermehrte Aufl., 20 Bde. Leipzig, Wien 1902 – 1920. NDB Neue Deutsche Biographie. Hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1953 –. Thieme, Becker Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. von Ulrich Thieme, Felix Becker. Leipzig 1907 – 1950.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen- und Literaturverzeichnis Bildquellen Abb. 1: Grabstätte Uhlmann (1906), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 2: ›Trauernde‹ von Alfred Neri (WMF, vermutl. 1919) im Museum für Sepulkralkultur, Kassel: A. G. Abb. 3: ›Trauernde‹, Heinrich Pohlmann, historische Photographie eines Grabmodells (WMF, vermutl. 1907): A. G. Abb. 4: Die Entfernung zwischen Hamburg-Ohlsdorf und den innerstädtischen Begräbnisplätzen betrug ca. 7 km (Karte 1874): In: Hans-Peter Jorzick (u. a.): Hamburg und sein Umland in Karte und Luftbild. Neumünster 1989, S. 20 Abb. 5: Schematischer Lageplan Friedhof Ohlsdorf (1890er Jahre) In: Architekten- und ­Ingenieur-Verein zu Hamburg (Hg.): Hamburg und seine Bauten, unter Berücksichtigung der Nachbarstädte Altona und Wandsbek. Hamburg 1890, S. 270 Abb. 6: Der Übersichtsplan veranschaulicht die unterschiedlichen Gestaltungskonzepte: im unteren Teil (Westen) der Parkfriedhof nach Cordes (ab 1876); im oberen Teil (Osten) die Erweiterung des Areals als architektonischer Friedhof nach Linne (ab 1919): Beilage J. H. August Ertel jr., „St. Anschar“, seit über 100 Jahren Beerdigungs-Institut, Hamburg 1, Alstertor 20, Privatbesitz A. G. Abb. 7: Nordteich mit Rosen, Friedhof Ohlsdorf, (historische Postkarte, o. J.): Archiv Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof, Konvolut historische Photographien, herzlichen Dank an Helmut Schoenfeld und Peter Schulze Abb. 8: Familie Cordes im Rosarium, Friedhof Ohlsdorf, (historische Photographie, o. J.): Archiv Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof, Konvolut historische Photographien, herzlichen Dank an Helmut Schoenfeld und Peter Schulze Abb. 9: Die Hauptallee vom Verwaltungsgebäude aus gesehen; das Grabmal Neidhardt/Reimer aus dieser Perspektive im hinteren Drittel auf der linken Seite (historische Photographie, um 1920): Archiv Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof, Konvolut historische Photographien, herzlichen Dank an Helmut Schoenfeld und Peter Schulze

Abb. 10: Grabmal Neidhardt/Reimer (1914), Albert Moritz Wolff, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 11: Grabmal Neidhardt/Reimer (1914), Albert Moritz Wolff, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 12: Grabmal Neidhardt/Reimer (1914), Albert Moritz Wolff, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 13: Grabstätte Dralle (1913), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 14: Grabstätte Dralle (1913), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 15: Grabmal Dralle (1913), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 16: Grabstätte Lachmann (1907), Stephan Sinding, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 17: Grabmal Lachmann (1907), Stephan Sinding, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 18: Grabmal Lachmann (1907), Stephan Sinding, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 19: Historische Photographie der Grabstätte Lachmann, Friedhof Ohlsdorf (vor 1913): In: Maximilian Rapsilber: Stephan Sinding. Mit 61 Originalreproduktionen und 1 Gravure. Berlin 1912 (o. S.) Abb. 20: Schematische Ansicht mit Angaben zu prominenten Gräbern, Cimetière du Père Lachaise, Paris (1820): In: Richard A. Etlin: The Architecture of Death. The Transformation of the Cemetery in Eighteenth-Century Paris. Cambridge 1984, S. 342 Abb. 21: Friedhofsplan mit Angaben zu prominenten Gräbern, Cimetière du Père Lachaise, Paris (1862): In: Richard A. Etlin: The Architecture of Death. The Transformation of the Cemetery in Eighteenth-Century Paris. Cambridge 1984, S. 360 Abb. 22: Grabmal Raspail (1878), Antoine Etex, Cimetière du Père Lachaise, Paris: A. G. Abb. 23: Grabmal Raspail (1878), Antoine Etex, Cimetière du Père Lachaise, Paris: A. G. Abb. 24: Grabstätte Raspail (1878), Antoine Etex, Cimetière du Père Lachaise, Paris: A. G. Abb. 25: Grabmal Raspail (1878), Antoine Etex, Cimetière du Père Lachaise, Paris: A. G. Abb. 26: Zeichnung für das Raspail-Grabmal, Antoine Etex (o. J.): In: Dora B. Weiner:

Bildquellen

Raspail. Scientist and Reformer. New York, London 1968, S. 237 Abb. 27: Grabmal Dutartre mit verhüllter Karyatide (o. J.), Cimetière du Père Lachaise, Paris: A. G. Abb. 28: Verhüllte Urne (o. A.), Cimetière du Père Lachaise, Paris: A. G. Abb. 29: Verhülltes Kreuz (o. A.), Cimetière du Père Lachaise, Paris: A. G. Abb. 30: Schematischer Plan des Zentralfriedhofs Wien-Simmering (vermutl. 1910): Archiv des Bestattungsmuseums Wien, Sign. ZF Pläne Nr. 1, herzlichen Dank an Wittigo Keller Abb. 31: Kolumbarien seitlich der Dr.-Karl-­ Lueger-Gedächtniskirche, Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 32: Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche, Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 33: Leichenbegängnis, Grosse I. Classe (Ende 19. Jahrhundert): In: Franz Knispel: Zur Geschichte des Bestattungswesens in Wien. Im Dienste der Gemeinschaft 1907 – 1982. 75 Jahre Städtische Bestattung. Wien 1982, S. 76 f. Abb. 34: Hauptallee und Arkaden, Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 35: Grabstätte Friedländer (1872), ohne weibliche Grabplastik (wird restauriert, Stand Sommer 2011), Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 36: Hermann Kaulbach, „Unsterblichkeit“ (o. J.): In: Hans Grässel: Über Friedhofsanlagen und Grabdenkmale. München 1910, Abb. 31 Abb. 37: Grabstätte Hugo Wolf (1903), Edmund Hellmer, Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 38: Grabmal Hugo Wolf (1903), Edmund Hellmer, Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 39: Grabmal Hugo Wolf (1903), Edmund Hellmer, Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 40: Grabmal Hugo Wolf (1903), Edmund Hellmer, Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 41: Grabstätte Klein (1885/1919), Fidel Binz (WMF), eingerichtet durch Rohrer & Pöschl, Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 42: Grabstätte Hamböck (1907), Fidel Binz (WMF), Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 43: Aktueller Lageplan Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin: In: Peter Hahn (Hg.): Südwestkirchhof Stahnsdorf. Lexikon – Lesebuch – Parkfriedhof. Badenweiler 2003 (Beilage) Abb. 44: Friedhofskirche von Gustav Werner, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin: A. G.

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Abb. 45: Grabanlage Familie Langenscheidt (1895), Alte Umbettung, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin: A. G. Abb. 46: Grabanlage Familie Ernst Werner von Siemens (1892), Block Trinitatis, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin: A. G. Abb. 47: Weibliche Plastik (o. A.), Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin: A. G. Abb. 48: Grabstätte Hoffmann/Müller/Pinzger (1898), Alte Umbettung, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin: A. G. Abb. 49: Grabreihe im Bereich Alte Umbettung mit Grabstätte Schaarwächter, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin: A. G. Abb. 50: Grabmal Julius Schaarwächter (1905/06), Wilhelm Wandschneider, Alte Umbettung, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin: A. G. Abb. 51: Historische Photographie des früheren Museums Wilhelm Wandschneider mit Modell der ›Trauernden‹ für das Grabmal Schaarwächter (1926): Bildhauermuseum Prof. Wandschneider, Plau am See, herzlichen Dank an Hrn. Ruchhöft Abb. 52: Gipsmodell für das Grabmal Schaarwächter von Wilhelm Wandschneider (o. J.): Bildhauermuseum Prof. Wandschneider, Plau am See, herzlichen Dank an Hrn. Ruchhöft Abb. 53: Plan des Alten und Neuen südlichen Friedhofs (1855), München: In: Steffi Röttgen: Der Südliche Friedhof in München. Vom Leichenacker zum Campo Santo. In: Sigrid Metken (Hg.): Die letzte Reise. Sterben, Tod und Trauersitten in Oberbayern. München 1984, S. 297 Abb. 54: Plan des Nordfriedhofs (1884), Ausschnitt des historischen Teils aus dem aktuellen Plan, München: Städtische Friedhofsverwaltung, München, herzlichen Dank an Herbert Huber Abb. 55: Perspektivischer Grundriss des Ostfriedhofs, (1894), München: In: Steffi Röttgen: Der Südliche Friedhof in München. Vom Leichenacker zum Campo Santo. In: Sigrid Metken (Hg.): Die letzte Reise. Sterben, Tod und Trauersitten in Oberbayern. München 1984, S. 309 Abb. 56: Lageplan des Waldfriedhofs (1927), München: In: Ludwig F. Fuchs: Grabdenkmäler aus dem Münchner Waldfriedhof. München 1914 Abb. 57: Grabmal Sebastian Gaigel (1876), Alter Südfriedhof, München: A. G.

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Abb. 58: Grabmal Sebastian Gaigel (1876), Alter Südfriedhof, München: A. G. Abb. 59: Historische Photographie vom Trauerzug Max von Pettenkofer, Alter Südfriedhof, München: In: Richard Bauer: Prinzregentenzeit. München und die Münchner Photographien. München 1988, S. 224 Abb. 60: Grabstätte Max von Pettenkofer, Alter Südfriedhof, München (historische Photographie, 1901): In: Richard Bauer: Prinzregentenzeit. München und die Münchner Photographien. München 1988, S. 224 Abb. 61: Lageplan des Friedhofs Sihlfeld, historischer Teil Abschnitt A (1877), Zürich: In: Regula Michel: Der Friedhof Sihlfeld in Zürich-Wiedikon. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Bern 2002, S. 8 Abb. 62: Atelieransicht, historische Photographie aus Wethlis Werkskatalog „Grabes Blüthen“ (o. J.): In: Louis Wethli: Bildhauer. Zürich Zeltweg (Werkskatalog). Zürich o. J., Abb. 14, herzlichen Dank an Meinrad Huber Abb. 63: Magazinansicht, historische Photographie aus Wethlis Werkskatalog „Grabes Blüthen“ (o. J.): In: Louis Wethli: Bildhauer. Zürich Zeltweg (Werkskatalog). Zürich o. J., Abb. 14, herzlichen Dank an Meinrad Huber Abb. 64: Signatur ‚Louis Wethli‘, Grabmal Amberger (um 1900), Louis Wethli sen., Friedhof Sihlfeld, Zürich: A. G. Abb. 65: Grabstätte Amberger (um 1900), Louis Wethli sen., Friedhof Sihlfeld, Zürich: A. G. Abb. 66: Grabmal Amberger (um 1900), Louis Wethli sen., Friedhof Sihlfeld, Zürich: A. G. Abb. 67: Historischer Grundriss der Campo-­ Santo-Anlage und des Erweiterungsfeldes für einfache Gräber (1907), Cimitero di Staglieno, Genua: In: Stefan Fayans: Bestattungsanlagen. Handbuch der Architektur; Teil 4: Entwerfen, Anlage und Einrichtung der Gebäude; Halbbd. 8: Kirchen, Denkmäler und Bestattungsanlagen. Stuttgart 1907, S. 168 Abb. 68: Schematischer Querschnitt durch den Arkadenbau (1907), Cimitero di Staglieno, Genua: In: Stefan Fayans: Bestattungsanlagen. Handbuch der Architektur; Teil 4: Entwerfen, Anlage und Einrichtung der Gebäude; Halbbd. 8: Kirchen, Denkmäler und Bestattungsanlagen. Stuttgart 1907, S. 171 Abb. 69: Panorama Generale, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 40 Vedute. Großformat, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Abb. 70: Grabstätte Francesco Oneto, Giulio Monteverde, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 40 Vedute. Großformat, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 71: „Engel von Monteverde“, Deckblatt eines historischen Friedhofsführers (um 1900): In: Camposanto di Genova – 40 Vedute. Großformat, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 72: Grabstätte Dalmas, Luigi Orengo, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 40 Vedute. Großformat, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 73: „Galeria“, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 40 Vedute. Großformat, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 74: Ausschnitt des projektierten Plans von Sebastian Polz für den Waldfriedhof Traunstein (1904): Stadtarchiv Traunstein, Plansammlung Nr. 4.956/7 Abb. 75: Schematischer Lageplan, Waldfriedhof Traunstein (1935): Stadtarchiv Traunstein, Plansammlung, herzlichen Dank an Franz Haselbeck und Andrea Rist Abb. 76: Grabstätte Binder (1911), Waldfriedhof Traunstein: A. G. Abb. 77: Grabmal Binder (1911), Waldfriedhof Traunstein: A. G. Abb. 78: Entwurf für das Grabmal Binder (o. J.), Waldfriedhof Traunstein: Stadtarchiv Traunstein, Findmittel 554/0-2/15, Grabmalentwürfe 1908 – 1914, 1915 – 1923 Abb. 79: Grabstätte Brandweiner (1939), Waldfriedhof Traunstein: A. G. Abb. 80: Grabmal Brandweiner (1939), Waldfriedhof Traunstein: A. G. Abb. 81: Grabstätte Brandweiner (1939), Waldfriedhof Traunstein: A. G. Abb. 82: Hypnos und Thanatos, Bertel ­Thorvaldsen (1827): In: Jörgen Birkedal ­Hartmann: Die Genien des Lebens und des Todes. Zur Sepulkralikonographie des Klassizismus. In: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 12/1969. Tübingen 1969, S. 9 – 38, S. 35 Abb. 83: Frontispiz, G. E. Lessing: Wie die Alten den Tod gebildet (1769): In: Jörgen Birkedal Hartmann: Die Genien des Lebens und des Todes. Zur Sepulkralikonographie des Klassizismus. In: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 12/1969. Tübingen 1969, S. 9 – 38, S. 17

Bildquellen

Abb. 84: „Freund Hain“, Todespersonifikation bei Matthias Claudius, Frontispiz (1775): In: Karl S. Guthke: The Gender of Death. A cultural History in Art and Literature. Cambridge 1999, S. 148 Abb. 85: Totentanzdarstellung „Tanz der Gerippe“, Michael Wolgemuth (Nürnberg 1493): In: Andrea von Hülsen-Esch; Hiltrud Westermann-Angerhausen (Hg.): Zum Sterben schön. Alter, Totentanz und Sterbekunst von 1500 bis heute. Bd. 2. Regensburg 2006, S. 159 Abb. 86: Memento mori-Sujet auf einem Nonnenspiegel, Hinterglasmalerei (Deutschland 18. Jhd.): In: Andrea von Hülsen-Esch; Hiltrud Westermann-Angerhausen (Hg.): Zum Sterben schön. Alter, Totentanz und Sterbekunst von 1500 bis heute. Bd. 2. Regensburg 2006, S. 219 Abb. 87: „Tödlein mit Sense“ (Süddeutschland um 1640): In: Andrea von Hülsen-Esch; Hiltrud Westermann-Angerhausen (Hg.): Zum Sterben schön. Alter, Totentanz und Sterbekunst von 1500 bis heute. Bd. 2. Regensburg 2006, S. 27 Abb. 88: Grabmal Erzherzogin Maria Christina, Antonio Canova, Augustinerkirche Wien (1798 – 1805): A. G. Abb. 89: Ruhender Todesgenius, Grabmal Erzherzogin Maria Christina, Antonio Canova, Augustinerkirche Wien (1798 – 1805): A. G. Abb. 90: Todesgenius, Philipp Jakob Scheffauer (1805): In: Karl S. Guthke: The Gender of Death. A cultural History in Art and Literature. Cambridge 1999, S. 145 Abb. 91: Todesgenius, Jenisch-Mausoleum (1831/33), Mathieu Kessels, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: In: Eberhard Kändler: Begräbnishain und Gruft. Die Grabmale der Oberschicht auf den alten Hamburger Friedhöfen. Hamburg 1997, Abb. 73 Abb. 92: Grabstätte Rossi, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 50 Vedute. Großformat, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 93: Ruhender Todesgenius mit Fackel (o. A.), Friedhof Wilmersdorf, Berlin: A. G. Abb. 94: Todesgenius (o. A.), Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 95: Todesgenius in einer Werbeanzeige der k-u-k-Hof-Steinmetzmeister Sommer & Weniger, Österreichische Illustrierte Zeitung (03.12.1908): Privatbesitz A. G. Abb. 96: Grabmal Rattenhuber, (vermutl. 1934), Ostfriedhof München: Elke Götz-Lassnig

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Abb. 97: Grabstätte Schutte (1901), Fritz Behn, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 98: Grabmal Schutte (1901), Fritz Behn, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 99: Grabstätte Conström (1919), Emmerich Oehler, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 100: Grabmal von Bose (1906), Hans Hartmann-McLean, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 101: Grabmal Arnstedt (1909/10), Paul Wilhelm Henle, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 102: Grabmal Sander (1907), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 103: Grabmal Peters (1907/08, heute Löwe), Alfred Martin, Paul Uhlig, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 104: Grabstätte Grimm (1918), Karl Kiefer, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 105: Grabmal Ferdinand Barbedienne (1892), Cimetière du Père Lachaise, Paris: A. G. Abb. 106: Grabmal Cohrs (1906/07), Alfred Martin, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 107: Grabstätte Gumprecht (1911), Arthur Bock, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 108: Frontispiz, Caesar Scharff: Der Hamburger Friedhof und sein plastischer Grabschmuck – Ein Wort an die kunstliebenden Hamburger (1904): In: Caesar Scharff: Der Hamburger Friedhof und sein plastischer Grabschmuck – Ein Wort an die kunstliebenden Hamburger. Hamburg 1904, Frontispiz Abb. 109: Grabmal Stahmer (1897/98), Friedrich Küsthardt, Paul Rinckleben, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg (um 1900): A. G. Abb. 110: Historische Postkarte mit Grabmal Stahmer (1897/98), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: Archiv Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof, Konvolut historische Photographien, herzlichen Dank an Peter Schulze und Helmut Schoenfeld Abb. 111: Grabmal Stahmer (1897/98), Friedrich Küsthardt, Paul Rinckleben, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: In: Barbara Leisner, Heiko Schulze, Ellen Thormann: Der Hamburger Hauptfriedhof Ohlsdorf. Bd.1. Hamburg 1990, S. 161 Abb. 112: Historische Postkarte der Siegessäule in Berlin (um 1900): Privatbesitz A. G. Abb. 113: Nike von Samothrake (ca. 190 v. Chr.), Musée du Louvre, Paris: A. G. Abb. 114: Nike mit Jüngling, Oinochoe des Berliner Malers (vermutl. 5. Jhd. v. Chr.): In: John

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Boardman: Rotfigurige Vasen aus Athen. Die Archaische Zeit. Ein Handbuch. Mainz 1975, Abb. 161 Abb. 115: Grabmal Bertha Smeets (1936), Algemene Begraafsplaats, Maastricht: A. G. Abb. 116: Familiengrab Amberger (um 1900), Louis Wethli sen., Friedhof Sihlfeld, Zürich: A. G. Abb. 117: Grabstätte Boehm (1903), Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 118: Grabstätte Francesco Oneto (o. J.), Giulio Monteverde, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 40 Vedute. Großformat, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 119: Grabmal Giulio Monteverde (1917), Giulio Monteverde, Cimitero del Verano, Rom: A. G. Abb. 120: Sechs-flügeliger Seraf, Santa Maria d’Aneu, Barcelona, (Ende 11. Jahrhundert): In: Yves Cattin, Philippe Faure: Die Engel und ihr Bild im Mittelalter. Regensburg 2000, Abb. 50 Abb. 121: Erzengel Michael in Rüstung, Versuchung und Triumph Christi nach Ps. 90,11 und 90, 13 im Stuttgarter Psalter (um 820/30): In: Andrea Schaller: Der Erzengel Michael im frühen Mittelalter. Ikonographie und Verehrung eines Heiligen ohne Vita. Bern (u. a.) 2006, S. 502 Abb. 122: Verkündigungsengel in Leonardo da Vincis „Verkündigung an Maria“ (1472 – 1475): In: Cornelia Syre, Jan Schmidt, Heike Stege (Hg.): Leonardo da Vinci. Die Madonna mit der Nelke. München 2006, S. 39 Abb. 123: Grabstätte Alsen (1925), Arthur Bock, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 124: Grabmal Alsen (1925), Arthur Bock, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 125: Grabmal Alsen (1925), Arthur Bock, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 126: Wandbild mit Schutzengel und spielenden Kindern (um 1900): In: Bruno Langner: Evangelische Bilderwelt – Druckgraphik zwischen 1850 und 1950. Bad Windsheim 1992, S. 57 Abb. 127: Wandbild mit Schutzengel als Seelenbegleiter „Von Gott“, Wilhelm von Kaulbach (um 1900): In: Bruno Langner: Evangelische Bilderwelt – Druckgraphik zwischen 1850 und 1950. Bad Windsheim 1992, S. 92 Abb. 128: Wandbild und Totenandenken; der Schutzengel als Seelenbegleiter „Zu Gott“,

Quellen- und Literaturverzeichnis

Wilhelm von Kaulbach (um 1900): In: Bruno Langner: Evangelische Bilderwelt – Druckgraphik zwischen 1850 und 1950. Bad Windsheim 1992, S. 92 Abb. 129: Wandbild zum Andenken an ein verstorbenes Kind mit Schutzengel (um 1880): In: Sigrid Metken: Die letzte Reise. Sterben, Tod und Trauersitten in Oberbayern. Ausstellungskatalog. München 1984, S. 78 Abb. 130: Wandbild zum Andenken an ein verstorbenes Kind mit Schutzengel (um 1900): In: Sigrid Metken: Die letzte Reise. Sterben, Tod und Trauersitten in Oberbayern. Ausstellungskatalog. München 1984, S. 364 Abb. 131: Wandbild „Der Traum der Mutter“, Thomas Brooks (1852, gedruckt bei W. Zawitz, Leipzig, um 1880): In: Christa Pieske: Bilder für jedermann. Wandbilddrucke 1840 – 1940. München 1988, S. 103 Abb. 132: Wandbild „Die betrübte Mutter“, Thomas Brooks (1855, gedruckt bei W. Zawitz, Leipzig, um 1880): In: Christa Pieske: Bilder für jedermann. Wandbilddrucke 1840 – 1940. München 1988, S. 103 Abb. 133: Mosaik mit weiblichem Schutzengel, Rudolf Jettmar, Kirche am Steinhof, Wien: A. G. Abb. 134: Grabmal Giuseppe Queirolo (1893), Giuseppe Navone, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 50 Vedute. Leporello-Faltung, ­Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 135: Grabmal Romanzani (o. J.), Benvenuto Pirotta, Cimitero Urbano, Novara: In: Sandra Berresford: Italian Memorial Sculpture 1820 – 1940. A Legacy of Love. Photographs by Robert W. Fichter, Robert Freidus. London 2004, S. 160 Abb. 136: Grabstätte Romanzani (o. J.), Benvenuto Pirotta, Cimitero Urbano, Novara: In: Sandra Berresford: Italian Memorial Sculpture 1820 – 1940. A Legacy of Love. Photographs by Robert W. Fichter, Robert Freidus. London 2004, S. 160 Abb. 137: Grabmal Lisi Heilmann (28.01.1896 – 15.01.1906), Nordfriedhof München: A. G. Abb. 138: Grabmal für „Evchen“, Familiengrab Schönthal (1922), Friedhof Wilmersdorf, Berlin: A. G. Abb. 139: Auferstehungsengel mit Kind (o. A.), Zentralfriedhof Wien: A. G.

Bildquellen

Abb. 140: „Engel der Auferstehung“ mit der „verstorbenen Seele“, Grabmal Parpaglioni (1884), Federico Fabiani, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 50 Vedute. Leporello-Faltung, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 141: Grabmal Maria Pais Nogueire Quadrio (o. J.), nach Federico Fabiani, Cemitério dos Prazeres, Lissabon: A. G. Abb. 142: Engel mit Personifikation der verstorbenen Seele (o. A.), Louis Wethli sen. (vermutl.), Friedhof Sihlfeld, Zürich: A. G. Abb. 143: Auferstehungsengel in der Bilderbibel von Julius Schnorr von Carolsfeld (1852 – 1860): In: Julius Schnorr von Carolsfeld: Die Bibel in Bildern. Nachdruck der Erstausgabe, Leipzig 1852 – 1860. Dortmund 1978, S. 219 Abb. 144: Grabmal Keller (1906), Anton Schmidt (WMF), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg : A. G. Abb. 145: Verkündigungsengel mit Flügeln, ohne weitere Attribute (o. A.), Brompton Cemetery, London: A. G. Abb. 146: Grabmal Martens (1916), Fidel Binz (WMF), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 147: Grabmal Gültzow (1918), Reinhold Boeltzig, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 148: Szene des Jüngsten Gerichts in der Bilderbibel von Julius Schnorr von Carolsfeld (1852 – 1860): In: Julius Schnorr von Carolsfeld: Die Bibel in Bildern. Nachdruck der Erstausgabe, Leipzig 1852 – 1860. Dortmund 1978, S. 238 Abb. 149: „Engel der Auferstehung“, Grabmal Rocco Piaggio, Fabiani (1877), Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 50 Vedute. Leporello-Faltung, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 150: „Tröstender Engel“, Familiengrab Brivio (1894), Alfredo Sassi, Cimitero Monumentale, Mailand (um 1900): In: Luigi Larghi: Führer des Mailändischen Monumen­talenFriedhofes. Mailand 1908, S. 140 Abb. 151: Grabstätte Hanssen (1887/1901), Bruno Kruse, Gemeinschaftsgrab Laeisz/Canel/ Hanssen/Meerwein, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 152: Grabmal Matthaei (1914), Frida Matthaei-Mitscherlich, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 153: Figurengruppe (o. A.), Cemitério dos Prazeres, Lissabon: A. G.

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Abb. 154: Grabmal Jaffé (1904), Reinhold Felderhoff, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 155: Schutzmantelmadonna Perugia, S. Francesco al Prato; Banner von Bendetto Bonfigli (1464): In: Christa Belting-Ihm: „Sub matris tutela“. Untersuchungen zur Vorgeschichte der Schutzmantelmadonna. Heidelberg 1976, Tafel XXI Abb. 156: „Ja der Geist spricht, dass sie ruhen sollen von ihrer Arbeit“ (Offenbarung 14,13), Grabstätte Zenning/Deussen (1912/13), Ludolf Albrecht, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 157: „Ich will euch trösten wie einen seine Mutter tröstet“ (Jesaja 66, 13), Grabmal Claussen (1912), Arthur Bock, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 158: Grabstätte Hasler (o. A.), Friedhof Sihlfeld, Zürich: A. G. Abb. 159: Grabstätte Uhlmann (1906), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 160: Grabmal Uhlmann (1906), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 161: Grabmal Victorius (o. A.), Bereich Alte Umbettung, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin: A. G. Abb. 162: Grabmal Victorius (o. A.), Bereich Alte Umbettung, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin: A. G. Abb. 163: Grabstätte Pechstein/Eisermann/ Stöcker/Ritter (1910, heute Kamski), Friedhof Grunewald, Berlin: A. G. Abb. 164: Grabmal Pechstein/Eisermann/Stöcker/Ritter (1910, heute Kamski), Friedhof Grunewald, Berlin: A. G. Abb. 165: Grabstätte Alvaro de Almeida (o. A.), Cemitério dos Prazeres, Lissabon: A. G. Abb. 166: Grabmal Alvaro de Almeida (o. A.), Cemitério dos Prazeres, Lissabon: A. G. Abb. 167: „Alle eure Dinge lasset in der Liebe geschehen“ (Cor. 16, 14), Grabmal Rieck (1923), Franz Dorrenbach, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 168: Grabmal Pogliani (ca. 1928), Tarcisio Pogliani, Cimitero Monumentale, Mailand: In: Sandra Berresford: Italian Memorial Sculpture 1820 – 1940. A Legacy of Love. Photographs by Robert W. Fichter, Robert Freidus. London 2004, S. 170 Abb. 169: „Glaube“, Grabstätte Izar (1904), Felice Bialetti, Cimitero Monumentale, Mailand: A. G. Abb. 170: Grabmal Izar (1904), Felice Bialetti, Cimitero Monumentale, Mailand: A. G.

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Abb. 171: Pietà, Kloster Seeon (um 1390): In: Gabriele Kopp-Schmidt: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung. Köln 2004, S. 105, Abb. 57 Abb. 172: Pietà von Giovanni Bellini (vermutl. 1469): In: Gabriele Kopp-Schmidt: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung. Köln 2004, S. 100, Abb. 53 Abb. 173: Pietà von Michelangelo (1497), Petersdom, Rom: In: Hans Werner Hegemann: Vom Trost der Kunst. Frankfurt am Main 1951, Abb. IX Abb. 174: „Jesu Tod am Kreuze mit trauernder Maria“ in der Bilderbibel von Julius Schnorr von Carolsfeld (1852 – 1860): In: Julius Schnorr von Carolsfeld: Die Bibel in Bildern. Nachdruck der Erstausgabe, Leipzig 1852 – 1860. Dortmund 1978, S. 216 Abb. 175: Pietà von Wilhelm Achtermann (1849), Dom zu Münster: In: Dagmar Kaiser-Strohmann: Theodor Wilhelm Achtermann (1799 – 1884) und Carl Johann Steinhäuser (1813 – 1879). Ein Beitrag zu Problemen des Nazarenischen in der deutschen Skulptur des 19. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 1985, Abb. 26 Abb. 176: Reproduktion Michelangelos Pietà, Grabmal Pierre de Perényi (o. J., vor Witter­ ung geschützt), Cimetière Passy, Paris: A. G. Abb. 177: Reproduktion Michelangelos Pietà, Grabmal Simms (1910), F. Tannenbaum, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 178: Nachbildung der Achtermann-Pietà, Grabmal Joesting (1914), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 179: Grabstätte Burckhardt (1929/30), Roland Engelhardt, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 180: Grabmal Aicher (1935 eingerichtet, mit dem Zusatz „Erwin Aicher 10.2.1916, vermißt in Russland“), Waldfriedhof Traunstein: A. G. Abb. 181: Grabmal Schnitzelbaumer/Steiner (o. J.), Waldfriedhof Traunstein: A. G. Abb. 182: Grabmal Grigis, Gaetano Olivari (o. J.), Cimitero Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 50 Vedute. Leporello-Faltung, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 183: „Mort pour la France“, Grabmal Jean Marie Hatier (1917), Cimetière Saint Vincent, Paris: A. G. Abb. 184: Denkmal der Schiffsoffiziere der Deutschen Handelsmarine (1914 – 1918/1920),

Quellen- und Literaturverzeichnis

Arthur Bock, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 185: Grabmal Appiani (1910), Demetrio Paernio, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 50 Vedute. Leporello-Faltung, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 186: Grabmal Gian Luigi Cabella (ca. 1910), Giancinto Pasciuti, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 50 Vedute. Leporello-Faltung, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 187: ›Trauernde‹ mit gefalteten Händen (o. A.), Bereich Alte Umbettung, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin: A. G. Abb. 188: ›Trauernde‹ mit gefalteten Händen (o. A.), Bereich Alte Umbettung, Südwestkirchhof Stahnsdorf, Berlin: A. G. Abb. 189: Grabmal Daxenberger (1938), Waldfriedhof Traunstein: A. G. Abb. 190: Grabstätte Daxenberger (1938), Waldfriedhof Traunstein: A. G. Abb. 191: Grabmal Daxenberger (1938), Waldfriedhof Traunstein: A. G. Abb. 192: Grabmal Erzherzogin Maria Christina, Antonio Canova, Augustinerkirche Wien (1801/05): A. G. Abb. 193: Grabmal Clemens XIII., Antonio Canova, St. Peter Rom (1787): In: Werner Busch: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne. München 1993, Abb. 74 Abb. 194: Grabmal Clemens XIV., Antonio Canova, SS. Apostoli Rom (1792/ca. 1810) Abb. 195: Ausschnitt Grabmal Clemens XIV., Antonio Canova, SS. Apostoli Rom (1792/ca. 1810): In: Werner Busch: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne. München 1993, Abb. 71 Abb. 196: Ausschnitt Grabmal für Clemens XIV., Antonio Canova, SS. Apostoli Rom (1792/ca. 1810): In: Werner Busch: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne. München 1993, Abb. 71 Abb. 197: Mansuetudo, Antonio Canova, SS. Apostoli Rom (1792/ca. 1810): In: Werner Busch: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne. München 1993, Abb. 71 Abb. 198: Grabmal Fritz Busch, (1906), Fidel Binz (WMF), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G.

Bildquellen

Abb. 199: Grabmal Viereck (1938), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 200: ›Trauernde‹, Heinrich Pohlmann, historische Photographie eines Grabmodells (WMF, vermutl. 1907): A. G. Abb. 201: Grabmal Hanssen (1887/1901), Bruno Kruse, Gemeinschaftsgrab Laeisz/Canel/ Hanssen/Meerwein, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 202: Ausschnitt Familiengrab Borchardt (1880), Dorotheenstädtischer Friedhof, Berlin: A. G. Abb. 203: Grabstätte Nöthig/Winter (1857/1883), Carl Anselm Zinsler und Josef Haberl, Zentralfriedhof, Wien: A. G. Abb. 204: Temperantia, Antonio Canova, SS. Apostoli Rom (1792/ca. 1810): In: Werner Busch: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne. München 1993, Abb. 71 Abb. 205: Grabmal Nuerck (1899), Karl Garbers, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 206: „Leiden“, Grabstätte Gaspare Stabilini (1898), De-Giorgi, Cimitero Monumentale, Mailand: A. G. Abb. 207: „Trostlosigkeit“, Grabstätte Carolina Rosa Scandella (1908), Pisani, Cimitero Monumentale, Mailand: A. G. Abb. 208: „Trostlosigkeit“, Grabmal Carolina Rosa Scandella (1908), Pisani, Cimitero Monumentale, Mailand: A. G. Abb. 209: Grabstätte Pommrich (o. J.), Albert Moritz Wolff, Französischer Friedhof I, Berlin: A. G. Abb. 210: Grabmal Pommrich (o. J.), Albert Moritz Wolff, Französischer Friedhof I, Berlin: A. G. Abb. 211: „Andromache trauert über der Asche Hektors“, Kupferstich von Thomas Burke nach Kauffmann (1772): In: Wendy Wassyng Roworth (Hg.): Angelica Kauffman. A Continental Artist in Georgian England. London 1992, S. 173 Abb. 212: „Die Trauernde (Agrippina)“, Kupferstich von L. Schnell nach Angelika Kauffmann (1803), in Friederike Bruns Neue Gedichte (1812): In: Bettina Baumgärtel (Hg.): Angelika Kauffmann. Ostfildern-Ruit 1998, S. 415 Abb. 213: Grabmal Erzherzogin Maria Christina, Antonio Canova, Augustinerkirche Wien (1801/05): A. G. Abb. 214: Pleureuse, Claude Michel, genannt Clodion (1766): In: Skulptur aus dem Louvre:

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89 Werke des französischen Klassizismus; 1770 – 1830; 9. Oktober-30. Dezember 1989, Museen der Stadt Gotha, Schloß Friedenstein/ Stadt Gotha. Duisburg 1989, S. 117 Abb. 215: Pleureuse von Claude Michel, genannt Clodion (1766): In: Skulptur aus dem Louvre: 89 Werke des französischen Klassizismus; 1770 – 1830; 9. Oktober-30. Dezember 1989, Museen der Stadt Gotha, Schloß Friedenstein/ Stadt Gotha. Duisburg 1989, S. 116 Abb. 216: „Die trauernde Freundschaft“, Johann Heinrich Lips nach Angelika Kauffmann (1767): In: Bettina Baumgärtel (Hg.): Angelika Kauffmann. Ostfildern-Ruit 1998, S. 415 Abb. 217: Zimmerkenotaph mit „Trauernder Freundschaft“, Philipp Jakob Scheffauer (um 1801/09): In: Christian von Holst (Hg.): Schwäbischer Klassizismus zwischen Ideal und Wirklichkeit 1770 – 1830. Bd. 2. Stuttgart 1993, Abb. 245, S. 277 Abb. 218: „Trauernde Freundschaft“, Philipp Jakob Scheffauer (um 1801/09): In: Christian von Holst (Hg.): Schwäbischer Klassizismus zwischen Ideal und Wirklichkeit 1770 – 1830. Bd. 2. Stuttgart 1993, Abb. 245, S. 244 Abb. 219: ›Trauernde‹ als Allegorie der „Ehelichen Liebe“, Johann Heinrich Dannecker, Grabmalentwurf für Christan Friedrich Daniel Schubart (um 1791/92): In: Christian von Holst (Hg.): Schwäbischer Klassizismus zwischen Ideal und Wirklichkeit 1770 – 1830. Bd. 2. Stuttgart 1993, Abb. 159 Abb. 220: „Die Eheliche Liebe“, Christian Bernhard Rode (1788): In: Sibylle Badstübner-­ Gröger: Karl Wilhelm Ramler und die Königliche Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften. Zur Bedeutung von Ramlers Schrift „Allegorische Personen zum Gebrauch der Bildenden Künstler“ für die damals zeitgenössische Kunst in Berlin. In: Laurenz Lütteken (Hg.): Urbanität als Aufklärung. Karl Wilhelm Ramler und die Kultur des 18. Jahrhunderts. Göttingen 2004, S. 275 – 308, hier S. 295 Abb. 221: Grabstätte Bernhard Kugler (1898), Stadtfriedhof Tübingen: A. G. Abb. 222: Grabmal Franz Bendel (1874), Französischer Friedhof I Berlin: A. G. Abb. 223: „Protezione“, Grabmal Arcari (1909), Hans Dammann, Cimitero Monumentale, Mailand: A. G. Abb. 224: Grabstätte Grell (1910), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G.

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Abb. 225: ›Trauernde‹ Hans Dammann (o. A., heute Aschengemeinschaftsgräber), Friedhof Wilmersdorf, Berlin: A. G. Abb. 226: Grabstätte Hofer/Ort-Hofer (o. J.), Fidel Binz (WMF), Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 227: Grabstätte Kotowsky (1914), Fidel Binz (WMF), Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 228: ›Trauernde‹ von Fidel Binz, Katalogseite der WMF (1906/07): Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, WMF-S2/866, S. 8 f. Abb. 229: ›Trauernde‹ (o. A.), Hans Dammann, Ostfriedhof München: A. G. Abb. 230: Grabstätte Heer-Schweizer (1888), Friedhof Sihlfeld, Zürich: A. G. Abb. 231: ›Trauernde‹ (o. A.), Cimitero Monumentale, Mailand: A. G. Abb. 232: ›Trauernde‹ (o. A., vermutl. nach 1910), Cimitero Monumentale, Mailand: A. G. Abb. 233: Grabmal Julius Kammel (1888), Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 234: Grabmal Herrmann (1904/05), Roland Engelhard, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 235: Katalogseite der WMF (1906/07): Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, WMFS2/866, S. 12 f. Abb. 236: Grabstätte Steinike/Brinckman (1904, heute Grünewald), Ad. Bernd (WMF), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 237: Charakteristika der dorischen Säulenordnung: In: Flavio Conti: Wie erkenne ich griechische Kunst? Stuttgart, Zürich 1979 Abb. 238: Grabmal Dralle (1913), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 239: Antike Haartracht (400 v. Chr., oben); bürgerliche Frisurenmode (um 1900, unten): In: Richard Corson: Fashions in Hair. London 1965 Abb. 240: Grabmal Dralle (1913), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 241: Werbeanzeige „Dr. Dralle’s Birken-Haarwasser“ (o. J.): Archiv Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof, Konvolut historische Photographien, herzlichen Dank an Helmut Schoenfeld und Peter Schulze Abb. 242: Grabstätte Ernest-Louis-Aquilas Christophe (1892), Cimetière Batignolles, Paris: A. G. Abb. 243: Grabmal Plesch-Ritz (1903), Arthur Bock, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 244: Grabstätte Julius Heckenhauer (1880), Stadtfriedhof Tübingen: A. G. Abb. 245: Grabmal Schindler (o. A.), Zentralfriedhof Wien: A. G.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Abb. 246: Charles Langlois’ Panorama im Grand Carré (Paris 1839): In: Bernard Comment: The painted Panorama. New York 2000, S. 48 Abb. 247: Querschnitt durch Charles Langlois’ Panorama im Grand Carré (Paris 1839): In: Bernard Comment: The painted Panorama. New York 2000, S. 48 Abb. 248: Grabstätte Antonio Augusto de Aguiar (1887), Cemitério dos Prazeres, Lissabon: A. G. Abb. 249: Grabmal Antonio Augusto de Aguiar (1887), Cemitério dos Prazeres, Lissabon: A. G. Abb. 250: Grabmal Dralle (1903), Hans Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 251: Grabmal Izar (1904), Felice Bialetti, Cimitero Monumentale, Mailand: A. G. Abb. 252: Ansicht und Grundriss der „Leichenhallen auf dem neuen östlichen Friedhof zu München“ (1907): In: Stefan Fayans: Bestattungsanlagen. Handbuch der Architektur; Teil 4: Entwerfen, Anlage und Einrichtung der Gebäude; Halbbd. 8: Kirchen, Denkmäler und Bestattungsanlagen. Stuttgart 1907, S. 87 Abb. 253: Grundriss der „Leichenhallen am Eingange des neuen Zentralfriedhofes zu Wien“ (1907): In: Stefan Fayans: Bestattungsanlagen. Handbuch der Architektur; Teil 4: Entwerfen, Anlage und Einrichtung der Gebäude; Halbbd. 8: Kirchen, Denkmäler und Bestattungsanlagen. Stuttgart 1907, S. 74 Abb. 254: Leichenfuhrwerk der 1. Beerdigungsklasse (München, um 1900): In: Sigrid Metken: Die letzte Reise. Sterben, Tod und Trauersitten in Oberbayern. Ausstellungskatalog. München 1984, S. 212 Abb. 255: Leichenfuhrwerk der 3. Beerdigungsklasse (München, um 1900): In: Sigrid Metken: Die letzte Reise. Sterben, Tod und Trauersitten in Oberbayern. Ausstellungskatalog. München 1984, S. 213 Abb. 256: Ansicht des Cimetière du Père Lachaise, Paris (Mitte 19. Jahrhundert): In: Richard Etlin: The Architecture of Death. The Transformation of the Cemetery in Eighteenth-Century Paris. Cambridge 1984, S. 347 Abb. 257: Ehrenhalle des Hamburger Rathauses: In: Volker Plagemann: „Vaterstadt, Vaterland, schütz Dich Gott mit starker Hand“. Hamburg 1986, S. 82 Abb. 258: Innenhof des Hauptgebäudes der Universität Wien: Robert Buchschwenter Abb. 259: Grabstätte Sebastian Gaigl (1876), Alter Südfriedhof München: A. G.

Bildquellen

Abb. 260: Grabstätte Johann Strauss (1899), Zentralfriedhof Wien: Elke Götz-Lassnig Abb. 261: „Schmerz von dem Gebet getröstet“, Grabstätte Mazzucchelli (1877), Cimitero Monumentale, Mailand (um 1900): In: Luigi Larghi: Führer des Mailändischen Monumentalen Friedhofes. Mailand 1908, S. 104 Abb. 262: Mozart-Figur auf Mozart-Denkmal (ursprünglich am Wiener Albertina-Platz in Ringnähe, heute im Burggarten), Wien: Elke Götz-Lassnig Abb. 263: Weibliche Allegorie auf dem Ehrengrab für Mozart, Zentralfriedhof Wien: Elke Götz-Lassnig Abb. 264: Grabstätte Frédéric Chopin (1849), Cimetière du Père Lachaise, Paris: A. G. Abb. 265: Grabstätte Hermann Kurz (1873), Stadtfriedhof Tübingen: A. G. Abb. 266: Grabstätte Ferdinand Barbedienne (1892), Cimetière du Père Lachaise, Paris: A. G. Abb. 267: Grabstätte Stahmer (1897/98), Friedrich Küsthardt, Paul Rinckleben, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 268: Grabbüste Stahmer (1897/98), Friedrich Küsthardt, Paul Rinckleben, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 269: Grabstätte Gaspare Stabilini (1897/98), De-Giorgi, Cimitero Monumentale, Mailand: A. G. Abb. 270: Grabmal Gaspare Stabilini, (1897/98), De-Giorgi, Cimitero Monumentale, Mailand: A. G. Abb. 271: Grabmal Caterina Campodonico (1881), Lorenzo Orengo, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 50 Vedute. Großformat, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 272: Grabmal Caterina Campodonico (1881), Lorenzo Orengo, Cimitero di Staglieno, Genua: In: Sofía Diéguez Patao (Hg.): Funeral Art and Architecture (XIX-XX). Dublin, Genova, Madrid, Torino. Dublin 2000, S. 234 Abb. 273: Grabmal Annie Kalmar (1901), Richard Tautenhayn, gestiftet durch Karl Kraus, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 274: Grabmal Annie Kalmar (1901), Richard Tautenhayn, gestiftet durch Karl Kraus, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 275: Annie Kalmar, historische Photographie von Albert v. Rothschild, Wien (Hamburg 19.4.1901): In: Friedrich Pfäfflin, Eva Dambacher (Hg.): „Wie Genies sterben“. Karl Kraus und Annie Kalmar. Briefe und

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Dokumente 1899 – 1999. Göttingen 2001, S. 137 Abb. 276: Grabstätte Arthur Haendler (1911), Hans Dammann, Friedhof Grunewald, Berlin: A. G. Abb. 277: Grabmal Arthur Haendler (1911), Hans Dammann, Friedhof Grunewald, Berlin: A. G. Abb. 278: Grabmal Klein/Reichel/Howoldt/Wenk (1918), Gerhard Marcks (vermutl.), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 279: Grabstätte Klein/Reichel/Howoldt/ Wenk (1918), Gerhard Marcks (vermutl.), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 280: Grabmal Raggio (1872), Augusto Rivala, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 50 Vedute. Großformat, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 281: Grabstätte Casella (o. J.), Giuseppe Benetti, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 50 Vedute. Großformat, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 282: Grabmal Charles Pigeon (1915), Cimetière Montparnasse, Paris: A. G. Abb. 283: Grabstätte des August-Heerlein-Stifts (1904), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 284: Grabmal des August-Heerlein-Stifts (1904), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 285: Grabmal Hugo Wolf (1903), Edmund Hellmer, Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 286: „Aux Morts“ (1895), Albert Bartholomé, Cimetière du Père Lachaise, Paris: A. G. Abb. 287: Grabmal Picollo (1891), Giacomo Moreno, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 50 Vedute. Großformat, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 288: Grabmal Erasmo Piaggio (1873/1885), Santo Saccomanno, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 50 Vedute. Großformat, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 289: Grabmal Giulio Cesare Drago (o. J.), Augusto Rivalta, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 50 Vedute. Großformat, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 290: Stickbilder für Küche und Stube: „Nur eine Mutter weiß allein, was lieben heißt und glücklich sein“ – „Jede Gattin klug und weise, kocht des Mannes Lieblingsspeise“ (o. J.): In: Ingeborg Weber-Kellermann: Frauenleben im 19. Jahrhundert. Empire und Romantik,

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Biedermeier, Gründerzeit. 2. Aufl. München 1988, S. 160 Abb. 291: Familie Hübbe, Daguerreotypie von Johann Völlner (14. Sept. 1849): In: Bodo von Dewitz, Fritz Kempe: Daguerreotypien – Ambrotypien und Bilder anderer Verfahren aus der Frühzeit der Photographie. Hamburg 1983, S. 107 Abb. 292: „Le Jour des Morts“, William Adolphe Bouguereau (1859): In: Fronia E. Wissman: Bouguereau. San Francisco 2003, S. 37 Abb. 293: „Weihnachten auf dem Friedhof“, Carl Rickert (1887): In: Sigrid Metken: Die letzte Reise. Sterben, Tod und Trauersitten in Oberbayern. Ausstellungskatalog. München 1984, S. 355 Abb. 294: „Emma Haden in mourning dress“, historische Photographie (1858): In: Pat J­ alland: Death in the Victorian Family. Oxford 1996, Plate 1 Abb. 295: Anna Sophie Marschner neben dem Ölgemälde ihres Mannes, Daguerreotypie von Carl Ferdinand Stelzner (1847): In: Bodo von Dewitz, Fritz Kempe: Daguerreotypien – Ambrotypien und Bilder anderer Verfahren aus der Frühzeit der Photographie. Hamburg 1983, S. 93 Abb. 296: „Tröstender Engel“, Grabstätte Brivio (1894), Alfredo Sassi, Cimitero Monumentale, Mailand (um 1900): In: Luigi Larghi: Führer des Mailändischen Monumentalen-Friedhofes. Mailand 1908, S. 140 Abb. 297: Grabmal Brivio (1894), Alfredo Sassi, Cimitero Monumentale, Mailand: In: Sandra Berresford: Italian Memorial Sculpture 1820 – 1940. A Legacy of Love. Photographs by Robert W. Fichter, Robert Freidus. London 2004, S. 113 Abb. 298: Wohnzimmereinrichtung eines Beamtenhaushaltes in Lübeck (um 1870): In: Joachim Petsch: Eigenheim und gute Stube. Zur Geschichte des bürgerlichen Wohnens. Städtebau – Architektur – Einrichtungsstile. Unter Mitarbeit von Wiltrud Petsch-Bahr. Köln 1989, S. 86 Abb. 299: Salon von Margarethe Krupp in der Villa Hügel in Essen (1889): In: Tilmann Buddensieg: Villa Hügel. Das Wohnhaus Krupp in Essen. Berlin 1984, S. 287 Abb. 300: Grabstätte Giovanni Benaglia (o. J.), Cimitero Monumentale, Bergamo: A. G. Abb. 301: Grabmal Herrmann (1904/05), Roland Engelhard, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Abb. 302: Grabstätte Dantan (1848), Cimetière du Père Lachaise, Paris: A. G. Abb. 303: Jugendstil-Ecksofa mit Umbau aus einem Damenzimmer (um 1898): In: Hans Ottomeyer: Jugendstilmöbel. Katalog der Möbelsammlung des Münchner Stadtmuseums. München 1988, S. 42 Abb. 304: „Wanddekor für ein Badezimmer“, Entwurf Koloman Moser (1901): In: Kirk Varnedoe: Wien 1900: Kunst, Architektur & Design. Köln 1987 (o. S.) Abb. 305: Konsole mit Frauenkopf, Entwurf August Pechmann (1901): In: Vera Behal: Möbel des Jugendstils. Sammlung des Österreichischen Museums für Angewandte Kunst in Wien. München 1981, S. 25 Abb. 306: Tischlampe (WMF), Entwurf G. Gurschner (um 1900): In: Annette Denhardt: Das Metallwarendesign der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) zwischen 1900 und 1930. Münster (u. a.) 1993, Abb. 62 Abb. 307: Tauchbecken für das galvanische Verfahren in den Werkhallen der WMF (1906): Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, WMF-S2/1027 Abb. 308: Verkaufsniederlassung der WMF in Straßburg (um 1900): In: Annette Denhardt: Das Metallwarendesign der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) zwischen 1900 und 1930. Münster (u. a.) 1993, Abb. 17 Abb. 309: Beispiele und Ausführungen im Katalog der WMF (1906/07): Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, WMF-S2/865 Abb. 310: Grabmal Awe (o. J)., R. Liebhaber (WMF), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 311: Abgebrochene Finger an der Kerngalvanik Grabmal Awe (o. J)., R. Liebhaber (WMF), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 312: Grabfigur von Bildhauer Alfred Neri, Katalog der WMF (1919): Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, WMF-S2/872 Abb. 313: Galvanoplastiken von Fidel Binz auf den Familiengräbern Schweizer (1906) und Frotzler/Och/Schönbeck (1894/1909), Friedhof Hernals, Wien: A. G. Abb. 314: Galvanoplastik am Familiengrab Schwarz/Selle (1906), Fidel Binz (WMF), Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 315: Bronzeplastik am Familiengrab Neidhardt/Reimer (1914), Albert Moritz Wolff, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 316: Schematischer Lageplan Friedhof Ohlsdorf (1890er Jahre): In: Architekten- und

Bildquellen

Ingenieur-Verein zu Hamburg (Hg.): Hamburg und seine Bauten, unter Berücksichtigung der Nachbarstädte Altona und Wandsbek. Hamburg 1890, S. 270 Abb. 317: „Ophelia“, John Everett Millais (1851/52): In: Umberto Eco (Hg.): Die Geschichte der Schönheit. München, Wien 2004, S. 307 Abb. 318: „Der Anatom“, Gabriel von Max (1869): In: Johannes Muggenthaler: Der Geister Bahnen. Eine Ausstellung zu Ehren von Gabriel v. Max 1840 – 1915. München 1988, S. 12 Abb. 319: Annie Kalmar, von Peter Altenberg beschriebene Photographie mit handschriftlichen Notizen für eine „Inschrift auf dem Grabstein in Hamburg“:In: Friedrich Pfäfflin, Eva Dambacher (Hg.): „Wie Genies sterben“. Karl Kraus und Annie Kalmar. Briefe und Dokumente 1899 – 1999. Göttingen 2001, S. 137 Abb. 320: Liegende von Walter Schott (o. A.), Waldfriedhof Zehlendorf, Berlin: A. G. Abb. 321: Grabmal Casati (1890), Enrico Butti, Cimitero Monumentale, Mailand: A. G. Abb. 322: Witwe und Tochter aus dem Totentanzgemälde an der Ringmauer des Dominikanerklosters zu Bern, Niklaus Manuel gen. Deutsch, (1516 – 1519): In: Eva Schuster (Hg.): Das Bild vom Tod. Graphiksammlung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Recklinghausen 1992, S. 82 Abb. 323: „Der Tod und das Mädchen“, Edvard Munch (1894): In: Andrea von Hülsen-Esch, Hiltrud Westermann-Angerhausen (Hg.): Zum Sterben schön. Alter, Totentanz und Sterbekunst von 1500 bis heute. Bd. 2. Regensburg 2006, S. 244 Abb. 324: Grabmal G.B. Lavarello (1914), ­Demetrio Paernio, Cimitero di Staglieno, Genua: In: Sandra Berresford: Italian Memorial Sculpture 1820 – 1940. A Legacy of Love. Photographs by Robert W. Fichter, Robert Freidus. London 2004, S. 185 Abb. 325: Grabmal Celle (1891/94), Giulio ­Monteverde, Cimitero di Staglieno, Genua (um 1900): In: Camposanto di Genova – 50 Vedute. Großformat, Edizione A. P. Genova. Genova Fratelli Lichino o. J. Abb. 326: Grabmal Alvaro de Almeida (o. A.), Cemitério dos Prazeres, Lissabon: A. G. Abb. 327: „Aux Morts“ (1895), Albert ­Bartholomé, Cimetière du Père Lachaise, Paris: A. G.

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Abb. 328: Grabmal Julio Ruelas (1907), Cimetière Montparnasse, Paris: A. G. Abb. 329: Grabmal Dralle (1913), Hans ­Dammann, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 330: Grabmal Köser (1928), Richard Kuöhl, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 331: Grabstätte Herrmann (1904/05), Roland Engelhard, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 332: Grabmal Herrmann (1904/05), Roland Engelhard, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg: A. G. Abb. 333: Grabmal Dall’Ovo (1912), Luigi Secchi, Cimitero Monumentale, Mailand: A. G. Abb. 334: Veliertes Bein, Familiengrab Dall’Ovo (1912), Luigi Secchi, Cimitero Monumentale, Mailand: A. G. Abb. 335: ›Trauernde‹ (o. A.), Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 336: Faltenwürfe über Schoß und Beinen, ›Trauernde‹ (o. A.), Zentralfriedhof Wien: A. G. Abb. 337: „Die Toteninsel“, Arnold Böcklin (dritte Version, 1883): In: Linnebach, Andrea: Arnold Böcklin und die Antike. Mythos, Geschichte, Gegenwart. München 1991, S. 117 Abb. 338: Cover, Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München 2009 Abb. 339: Cover, Philipp Blom: Der taumelnde Kontinent. Europa 1900 – 1914. München 2009 Abb. 340: Cover, Christa Dericum: „Die Zeit und die Zeit danach“. Eine Spurensuche auf den Friedhöfen Berlins. Mit Fotografien von Isolde Ohlbaum. Berlin 2003 Abb. 341: Cover, Reiner Sörries: Ruhe sanft. Kulturgeschichte des Friedhofs. Kevelaer 2009 Abb. 342: Cover, Thomas Schaefer: Wer liegt wo? Prominente auf Bremer Friedhöfen. Bremen 1998 Abb. 343: Beileidskarte (seit 1999): bsp Opacher, Privatbesitz A.G. Abb. 344: Cover, Isolde Ohlbaum: Denn alle Lust will Ewigkeit. Erotische Skulpturen auf europäischen Friedhöfen. München 2000 Abb. 345: „Schönheit und Vergänglichkeit“ – Titelthema der Zeitschrift Ewig – Forum für Gedenkkultur. München 2006 Abb. 346: „Abschied und Trost“ – Titelthema der Zeitschrift Ewig – Forum für Gedenkkultur. München 2009

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Ungedruckte Quellen Archivalien Archiv des Bestattungsmuseums Wien Sign. ZF Pläne Nr. 1 Sign. ZF Pläne Nr. 13 Sign. ZF Pläne Nr. 24 – 26 Sign. Grabmalkunst Nr. 1 Sign. Grabmalkunst Nr. 2 Sign. Grabmalkunst Nr. 66 Sign. Grabmalkunst Nr. 63 Sign. Grabmalkunst Nr. 75 Konvolut Grabausweise (1880 – 1889) Konvolut Grabausweise (1890 – 1899) Konvolut Diplomarbeiten/Magisterarbeiten/ Dissertationen Archiv Bildhauermuseum Prof. Wandschneider, Plau am See Nachlass Wilhelm Wandschneider Konvolut historische Photographien Archiv Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof Hamburg Grabakte Dralle (1913) Grabakte Lachmann (1907) Grabakte Neidhardt/Reimer (1914) Konvolut Patenschaftsgräber Konvolut historische Photographien Archiv Süd-West-Kirchhof Stahnsdorf, Berlin Konvolut Patenschaftsgräber Bestattungs- und Friedhofsamt Zürich Nachlass Louis Wethli Konvolut historische Photographien Friedhofsarchiv Sihlfeld, Zürich (Fachstelle Gartendenkmalpflege Zürich) Inventarblatt Amberger (1894/1898) Konvolut (1894) Konvolut (1898) Konvolut (1899) Konvolut (1900) Grabmalamt München Grabakte Sebastian Gaigel (1876) Grabakte Max von Pettenkofer (1901)

Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg Friedhofsverwaltung 343; Künstlerische Ausschmückung des Friedhofes und seiner Grabstellen (1907 – 1921) StA Hbg A 840/9Kapsel 2; Begräbnisordnungen für den Friedhof zu Ohlsdorf Stadtarchiv Traunstein (Obb.) Findmittel 554/1 – 1 Findmittel 554/0 – 2/15 Konvolut Grabmalentwürfe Waldfriedhof Traunstein Plansammlung Nr. 4.956/7 Plansammlung Nr. 4.956/8 Beilage zum Traunsteiner Wochenblatt vom Donnerstag, 02.07.1908, Nr. 79; als Amtsblatt für den Stadtmagistrat Traunstein Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, Stuttgart (Werksarchiv WMF) WMF-S2/865 WMF-S2/872 WMF-S2/926 WMF-S2/1018 WMF-S2/1027

Ungedruckte Quellen

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Gedruckte Quellen

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Carolin Behrmann / arne K arsten / PhiliPP ZitZlsPerger (hg.)

gr aB – Kult – memoria studien Zur gesellsChaftliChen funK tion von erinnerung

Wer die Deutungshoheit über die Vergangenheit besitzt, dem erschließen sich hoffnungsvolle Perspektiven für die Zukunft. Die Auseinandersetzung mit dem Tod und die Konstruktion von Erinnerung spielen hierbei für die Nachwelt eine zentrale Rolle. Daher kommt dem Grabmal, der visuellen Inszenierung von verstorbenen Familienangehörigen, seit jeher besondere Bedeutung zu. Die Beiträge dieses Bandes untersuchen die Zusammenhänge zwischen politischen, sozialen und künstlerischen Entwicklungen im Spiegel der europäischen Grabmalskultur in der Frühen Neuzeit. Anhand von Beispielen aus verschiedenen politischen und kulturellen Zentren Europas werden die vielfältigen Funktionen des Totengedenken, etwa als Mittel der gesellschaftlichen Differenzierung, der Legitimation und natürlich der Repräsentation, herausgearbeitet. Auf diese Weise entsteht ein facettenreiches Bild der Möglichkeiten und Grenzen von gezielt instrumentalisierter Erinnerung. 2007. XIV, 351 S. 126 S/w-Abb. Gb. 155 X 230 mm. ISbN 978-3-412-21506-4

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KAROLINE KÜNKLER

AUS DEN DUNKELKAMMERN DER MODERNE DESTRUKTIVITÄT UND GESCHLECHT IN DER BILDENDEN KUNST DES 19. UND 20. JAHRHUNDERTS (LITERATUR-KULTUR-GESCHLECHT, GROSSE REIHE, BAND 39)

Ein grotesk verwachsenes Paar, in die Platte geätzt von Francisco de Goya; ein Lustmord, den George Grosz mit verletzender Feder ins Papier tätowierte – oder Hannah Höchs Selbstbildnis als trauernde Mutter, im Duell mit dem Lebensgefährten Raoul Hausmann auf schneidend-scharf gemalten Schnitten: Anhand dieser und anderer Bildbeispiele zeigt die Autorin, auf welche Weise das Destruktive ebenso wie das Schöpferische in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts sichtbare Gestalt annimmt. Im Fokus steht das Verhältnis der Geschlechter unter den Bedingungen einer Moderne, die den künstlerischen Avantgarden neue Spielräume für Rückschritte, Zerstörungsakte und Gewaltverehrung eröffnet hat. Die Studie unternimmt kultur- und sozialhistorisch eingebettete Analysen ausgewählter Werke der Graphik, Malerei, Plastik und Aktionskunst, erfaßt kunstspezifische Formen männlicher wie weiblicher Destruktivität und enthüllt die zerstörerischen Dimensionen der Kultur. 2012. XII, 636 S. 88 S/W-ABB. UND 8 FARB. ABB. AUF 60 TAF. BR. 155 X 230 MM. ISBN 978-3-412-18005-8

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