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German Pages 146 Year 1980
ANDREAS
ZIELCKE
Die symbolische Natur des Rechts
Schriften zur
Rechtstheorie
Heft 87
Die symbolische Natur des Rechts Analyse der Rechtssoziologie Niklas Luhmanns
Von
Andreas Zielcke
DUNCKER
&
H U M B L O T
/
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten © 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1980 bei Buchdruckerei Bruno Lude, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 04572 6
Vorwort Luhmanns Theorie des Rechts w i r d innerhalb der Soziologie und der Rechtswissenschaft umfangreich rezipiert. Daß dies gute Gründe hat, legt auch die folgende Untersuchung dar. Sie versucht allerdings zu zeigen, daß die Überzeugungskraft von Luhmanns Theorie weniger aus der Schlüssigkeit seines kategorialen Konzepts, sondern umgekehrt aus einer spezifischen, aber strikt durchgehaltenen Inkonsistenz seiner Grundbegriffe resultiert. N u n wäre es trotz jener zweifellos vorhandenen Überzeugungskraft aber womöglich müßig, die Paradoxie einer immanenten Konsequenz, welche auf systematischen Friktionen aufgebaut ist, zu verfolgen und aufzuweisen. Erst die Vermutung, die hinter der Arbeit steht, daß der rote Faden der Inkonsistenz nicht allein ein Problem der Theorie Luhmanns, sondern auch deren Gegenstands, des Rechts, darstellen könnte, macht eine genauere Analyse lohnenswert. Zwar ist m i t der Analyse der Theorie diese Vermutung weder zu beweisen noch zu widerlegen. Aber erhärtet wäre sie, wenn sich an wesentlichen Punkten des rekonstruierten Theoriegebäudes Erkenntnisse abzeichneten, die man als plausible Systematisierungen wichtiger Elemente des Rechts, wie sie einem aus sonstigen Wissenszusammenhängen bekannt sind, ansehen könnte. Die Inkonsistenz, von der die Rede ist, setzt i n Luhmanns Theorie bereits an seiner Definition des ,Sinns', aber auch der des Systems 4 an, welches sich i n einer veränderlichen und komplexen ,Umwelt' erhalten soll. Welche Implikationen diese Dichotomie von System und Umwelt, so verständlich und vertraut sie auch als Argumentationsfigur sein mag, zumindest bei Luhmann enthält, kann man sich klarer machen, wenn man herauszufinden versucht, wo bei einem Individuum die Grenze zwischen System und Umwelt verläuft. Zieht man die Grenze analog zu der Grenze, die nach Luhmann zwischen sozialem System und den konkreten Individuen bestehen soll („das soziale System (schließt) den konkreten Menschen nicht ein, sondern aus" (Rechtssoziologie, S. 133)), dann müssen die konkreten psychischen und physischen Eigenschaften und auch die konkreten Erfahrungen und Erlebnisse des Individuums ausschließlich seiner Umwelt angehören. Diese Abstraktion des I n d i v i duums von sich selbst, d. h. von all seinen real manifestierten Eigenschaften, um sich ihnen gegenüber systematisch als Identität bewahren zu können, entspricht i m Grunde dem rechtlichen Verhältnis der Indi-
6
Vorwort
viduen als Rechtspersonen untereinander, welches ebenfalls auf der gegenseitigen Abstraktion von allen individuellen Differenzierungen beruht. Was hierbei als Identität (des Systems bzw. der Rechtsperson) übrigbleibt, scheint letztlich eine inhaltslose Reflexion des Individuums auf sich selbst zu sein, definiert nur noch durch permanente Negationen seiner jeweiligen äußeren Realität. Wie kompliziert und folgenreich diese Grundkonstellation dennoch ist, versucht die Untersuchung zu zeigen. Die Methode, die dabei angewendet wird, soll nicht n u r dem A n spruch genügen, so weit es geht den Gang der Darstellung aus der Rekonstruktion von Luhmanns Theorie zu begründen. Vielmehr soll zugleich m i t dem Versuch, die Begrifflichkeit Luhmanns immanent zu entfalten und auf die kritischen Punkte voranzutreiben, die spezifische Eigenart seiner Grundbegriffe einschließlich desjenigen des Rechts getroffen werden, eben weil deren Inhalte durch rein immanente Beziehung auf sich selbst konstituiert zu sein scheinen. Rein begriffliches Argumentieren kann nicht mehr, wie etwa zur Zeit des deutschen Idealismus beansprucht, zur positiven Begründung von Theorien, die einen Bezug zu empirischen Phänomenen herstellen, hinreichen. Aber zur K r i t i k solcher Theorien, die nach wie vor auf Elementen aufgebaut sind, welche eine lediglich immanente bzw. n u r negativ gegenüber einer realen (Um)Welt konstituierte Identität beanspruchen, kann diese A r gumentationsweise dienen. Denn ebenso angemessen, wie sie diesem Anspruch zu sein scheint, vermag sie m i t ihrer eigenen Begrenztheit und Widersprüchlichkeit diejenige ihres Gegenstandes zu demonstrieren. Daß die Mühseligkeit, die eine solchermaßen konzipierte K r i t i k für den Nachvollzug (insbesondere i n Bezug auf Abschnitt I der Arbeit) m i t sich bringt, auch Früchte zeitigt, soll, wenn die Hoffnung nicht trügt, dann spätestens der I I . Abschnitt, der den Rechtsbegriff selbst betrifft, zeigen. Frankfurt, i m Dezember 1979
Andreas Zielcke
Inhaltsverzeichnis I. Subjektives System 1. Luhmanns Sinnbegriff
9
a) Sinn- u n d Systembegriff
10
b) Der Begriff der Negation
20
c) Sinn u n d Zeichen
29
2. Das E r w a r t e n
41
a) Der Begriff des Erwartens u n d das Verhältnis von „Sein u n d Sollen"
43
b) K r i t i k des Erwartungsbegriffs
46
3. Kognitives u n d normatives E r w a r t e n a) Die Unterscheidung der beiden Formen nach L u h m a n n b) Kognitives E r w a r t e n
52 52 55
b.l.) Darstellung des Begriffs
55
b.2.) K r i t i k der kognitiven Einstellung
59
c) Normatives E r w a r t e n
63
c.l.) Darstellung des Begriffs
63
c.2.) Die Zeit
67
Π . Objektives System 1. Der Rechtsbegriff bei L u h m a n n
77
a) Die normative Erwartungserwartung als K e r n des Rechtsbegriffs Luhmanns
81
b) Der personale Aspekt
83
c) Der sachliche Aspekt
87
d) Der soziale Aspekt
96
e) Zusammenfassung
103
8
Inhaltsverzeichnis
2. Die rechtliche Enttäuschungsabwicklung
104
a) Die Enttäuschung rechtlicher Erwartungen
104
b) Die Sanktion
108
3. Die Positivität des Rechts 4. K r i t i k des Rechtsbegriffs
112 120
a) Rekapitulation
120
b) Die K r i t i k
122
Literaturverzeichnis
133
I. Subjektives System 1. Luhmanns Sinnbegriff Der Begriff des Sinns ist aus zwei Gründen geeignet, der Analyse der Rechtssoziologie Luhmanns als Ausgangspunkt zu dienen. Aus dem einen Grund, weil dieser Begriff von Luhmann als systematisches Fundament und als „Grundbegriff" seiner gesamten Soziologie und insofern auch seiner Rechtssoziologie konzipiert ist 1 . Z u einem bestimmten Teil muß sich die spezifische Problematik der Rechtssoziologie L u h manns daher als Fortsetzung der Konstitutionsprobleme des Sinnbegriffs verfolgen lassen. Der andere Grund ist, daß Luhmann i n dem Sinnbegriff zugleich den „Schlüsselbegriff" 2 seiner Ablehnung des „soziologischen Positivismus" verkörpert sieht 3 . Es ist bekannt, daß diese Ablehnung Luhmann keineswegs vor der K r i t i k bewahrt hat, daß seine Soziologie einem (sozialtechnologischen) Positivismus verhaftet sei, bzw. wie es Habermas i h m gegenüber formuliert hat, daß diese Soziologie „auf die Apologie des Bestehenden um seiner Bestandserhaltung willen (verpflichtet)" sei 4 . W i l l man daher diese K r i t i k überprüfen und an der Rechtssoziologie Luhmanns nachvollziehen, dann muß die entgegenstehende Intention und die aus dieser Intention resultierende Fassung des begrifflichen Fundaments seiner Soziologie, die der Sinnbegriff repräsentiert, berücksichtigt werden. Denn zumindest prima facie wenden sich die begrifflichen Momente des Sinns bei Luhmann i n der Tat gegen jede A r t positivistischer Gegenstandskonstitution, insofern Sinn auf dem „funktionellen Primat der Negativität" beruhe 5 . Was i n diesem Kontext unter den Termini ,positiv' und n e gativ' zu verstehen ist, läßt sich speziell durch die Untersuchung der Rechtssoziologie differenzieren. Denn i n ihr hat Luhmann selbst einen Begriff der „Positivität" (des Rechts) als Konsequenz aus den elementaren Begriffen, letztlich aus dem Begriff des Sinns, welcher durch „Negativität" ausgezeichnet sein soll, entwickelt. Geht man für die 1
N. Luhmann, Sinn, S. 25. Ebd., S. 26. 3 Ebd., S. 25. 4 J. Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 170; ähnlich H. J. Giegel, System u n d Krise, S. 144 ff.; zur K r i t i k an der von Habermas i n dem genannten T i t e l aufgeworfenen Alternative B. Willms, System u n d Subjekt, S. 50 ff.; K . O. Hondrich, Systemtheorie, S. 111 ff. 5 N. Luhmann, Sinn, S. 35. 2
10
I. Subjektives System
Rekonstruktion der Rechtssoziologie aus den beiden genannten Gründen von der Untersuchung des Sinnbegriffs aus, dann bedarf es demnach zunächst einer Klärung dessen, was Luhmann unter ,Negation' versteht und welche Leistung er dieser Negation für die Genese sinnhaften Erlebens zuschreibt. Die folgende Analyse des Sinnbegriffs w i r d i n zwei Schritten unternommen, (a) die Elemente dieses Begriffs und ihr Zusammenhang zum Systembegriff Luhmanns, (b) die darin enthaltenen Begriffe Negation und Negativität. Unter (c) w i r d dann zu zeigen versucht, daß die Systematik sinnhaften Erlebens auf einer semiotisch konstituierten Basis beruht. a) Sinn- und Systembegriff „Der Sinnbegriff", schreibt Luhmann, „bezeichnet die Ordnungsform menschlichen Erlebens" 6 . Die Lokalisierung des Sinnproblems i n der Sphäre subjektiven Erlebens scheint selbstverständlich, wenn man Luhmann i n der Tradition der Phänomenologie einordnet, auf die er sich zur Erschließung eines „direkten, voraussetzungslosen Zugangs zum Sinnproblem" auch selbst beruft 7 . Nicht so selbstverständlich ist dies jedoch unter dem Aspekt der Methode, die Luhmann für die Erstellung der Theorie sozialer Systeme postuliert, der funktionalen Methode und deren Zuordnung zum Begriff der „Systemrationalität" 8 . I n umgangssprachlicher Verwendung kann auch die funktionale Beziehung eines Systemteils zum Problem der Systemerhaltung als der ,Sinn' dieses Teils i m Hinblick auf seinen konstitutiven Beitrag für das Gesamtsystem bezeichnet werden. Man kann, u m die beiden i m Rahmen der Soziologie Luhmanns gleichermaßen naheliegenden Verwendungsweisen auseinanderzuhalten, den ,Sinn' des Erlebens als den subjektiven Sinn personaler und sozialer Systembildung, den durch funktionale Zuordnung von Systemteilen zum Bestandsproblem des Systems gebildeten ,Sinn' als objektiven Silin kennzeichnen 9 ; n u r von dem ersten, dem subjektiven und von Luhmann terminologisch so eingeführten „Sinn" ist hier die Rede. Die Definition, die Luhmann für den Begriff des Sinns gibt, lautet: „(Es) . . . ergibt sich als ein letztgewisser, elementarer Befund, daß die das Erleben jeweils füllenden, momentanen Gegebenheiten i m m e r u n d unaufhebbar auf anderes verweisen. Das Erleben erlebt sich als beweglich — u n d anders als i n der transzendentalen Phänomenologie nehmen w i r dafür orgaβ
Ν . Luhmann, Sinn, S. 31. Ebd., S. 31. 8 N. Luhmann, Zweckbegriff, S. 171 ff.; ders., Funktionale Methode u n d Systemtheorie, S. 47; ders., Soziologische Aufklärung, S. 79 f. 9 Z u dieser Differenzierung u n d den hieraus resultierenden kategorialen Problemen bei L u h m a n n vgl. J. Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 182 f.; außerdem E. Herms, Problem, S. 348. 7
1. Luhmanns Sinnbegriff
11
nische Grundlagen an. Es findet sich nicht i n sich selbst verschlossen, nicht auf sich selbst beschränkt vor, sondern stets verwiesen auf etwas, was i m Augenblick nicht sein I n h a l t ist. Dies Über-sich-Hinausgewiesensein, diese immanente Transzendenz des Erlebens steht nicht zur Wahl, sondern ist jene Kondition, von der aus alle Freiheit der W a h l erst konstituiert werden muß. Auch die Reflexion auf das Erleben als solches k a n n dem nicht entfliehen, sondern weist dieselbe S t r u k t u r auf u n d dirigiert das Erleben n u r i n eine bestimmte Richtung, neben der andere möglich bleiben. Unausweichlich bleibt daher das Problem, die A k t u a l i t ä t des Erlebens m i t der Transzendenz seiner anderen Möglichkeiten zu integrieren, u n d unausweichlich auch die F o r m der Erlebnisverarbeitung, die dies leistet. Sie nennen w i r Sinn 1 0 ."
Eine Vorfrage, die die Interpretation dieser Definition betrifft, ist, welches Verhältns zwischen Sinn- und Systembegriff Luhmann dabei unterstellt. Während der wiedergegebene Wortlaut und auch der Zusammenhang, aus dem er entnommen ist, ohne jeden expliziten Bezug auf den Systembegriff auskommt, w i r d der Begriff des Sinns bei i h m an anderer Stelle, ζ. B. i n ,Zweckbegriff und Systemrationalität 4 1 1 , auf dem Begriff des Systems aufgebaut. Demnach würden für die beiden Möglichkeiten, entweder den Sinnbegriff als den elementaren und dem Systembegriff vorausgesetzten Begriff anzunehmen oder Sinn von der Voraussetzung des Systembegriffs aus abzuleiten, alternative Hinweise sprechen 12 . Die Notwendigkeit, die Alternative zu entscheiden, läßt sich für den Zweck der Untersuchung einschränken. Es w i r d lediglich danach gefragt, ob sich Sinn- und Systembegriff bei Luhmann i n einen konsistenten Zusammenhang bringen lassen, dessen Kriterien darin bestehen, inwieweit die zum Gegenstand der Untersuchung gemachten Bestimmungen und Implikationen beider Definitionen sich decken oder ergänzen oder zumindest miteinander kompatibel sind. Z u diesem beschränkten Zweck mag diese (von Luhmann allerdings selbst als „äußerst formal" charakterisierte) Definition des Systems dienen: „Systeme müssen . . . als Identitäten begriffen werden, die sich i n einer komplexen u n d veränderlichen U m w e l t durch Stabilisierung einer Innen/ Außen-Differenz erhalten 1 8 ."
Es liegt nahe, die Verbindungslinie zwischen den Definitionen des Sinns und des Systems über das Moment der „immanenten Transzendenz" des Erlebens auf der einen und über die Erhaltung einer stabilen „Innen/Außen-Differenz" auf der anderen Seite zu knüpfen. Was bedeutet, u m m i t dem Sinnbegriff anzufangen, diese immanente Transzendenz des Erlebens für die Konstituierung von Sinn? 10
N. Luhmann, Sinn, S. 31. N. Luhmann, Zweckbegriff, S. 176. 12 Z u m Zusammenhang der beiden Begriffe bei L u h m a n n vgl. E. Herms, Problem, S. 342, S. 346 ff.; R. Bubner, Handlung, S. 47 ff.; F. Schneider, Systemtheoretische Soziologie, S. 14 ff. 13 N. Luhmann, Zweckbegriff, S. 175. 11
12
I. Subjektives System
(1) Immanent transzendierend ist jedes Erleben nach Luhmann, insofern es seine Selektivität miterlebt. Sein jeweiliger aktueller Inhalt ist ein ausgewählter Inhalt, der auch hätte anders ausfallen können; es ist kontingent und „erlebt sich" als kontingent. Damit w i r d ein doppelter Abstraktionsvorgang innerhalb des Erlebens unterstellt. M i t dem ersten Abstraktionsschritt w i r d von dem unmittelbaren Erlebnis und dessen gegebenem Inhalt dadurch abstrahiert, daß auf einen bestimmten Umkreis weiterer Erlebnismöglichkeiten Bezug genommen wird. Damit kann jedoch der Sinn dieses unmittelbaren aktuellen Erlebnisses noch nicht vollständig bestimmt sein. Luhmann nimmt dadurch, daß er den Sinn des Erlebens nicht aus diesem erweiterten Umkreis zusätzlicher möglicher Inhalte, sondern als die „Form der Erlebnisverarbeitung" bestimmt 1 4 , die Beantwortung einer Frage vorweg, die man stellen müßte, wenn nur der beschriebene erste Abstraktionsschritt vorgenommen werden würde. Denn bei dem Verweis des aktuellen Erlebnisses auf weitere unmittelbar bestimmte Erlebnisse stände man vor dem Problem, was denn der Sinn dieser weiteren Erlebnisse sein könnte — wenn nicht ebenfalls der Verweis auf weitere Erlebnisse. Entweder man bestimmt den Sinn des einen Erlebnisses durch Verweis auf solche anderen Erlebnisse, die keinen Sinn (in dieser Bedeutung) haben, weil sie nur als unmittelbare gesehen werden, oder man bestimmt den Sinn jedes Erlebnisses durch Bezugnahme auf ebenfalls sinnvolle Erlebnisse, dann darf sich das Verweisungsverhältnis nicht auf einen festen Umkreis unmittelbarer Erlebnisse beschränken. Diese letzte Alternative ist offenbar die von Luhmann angezielte Bedeutung des Sinnbegriffs („es gibt kein sinnloses Erleben") 1 5 , und sie ist es, die den zweiten und entscheidenden Abstraktionsschritt beinhaltet. U m den Sinn des Erlebens zu konstituieren, w i r d letztlich nicht nur von dem aktuellen Erlebnisinhalt i n Richtung auf die bestimmte Möglichkeit weiterer Erlebnisinhalte abstrahiert, sondern über diese hinaus auf die abstrakte Möglichkeit anderer Erlebnisse überhaupt. Seine unbe14 N. Luhmann, Sinn, S. 31 (schon aus diesem abstrakten Grund, der V e r lagerung des Sinns v o m I n h a l t des Erlebens auf dessen Form, läßt sich L u h manns Sinnbegriff von demjenigen M. Webers [vgl. Wirtschaft u n d Gesellschaft, S. 1 ff.] unterscheiden; ,Sinnverstehen' ist f ü r Luhmann, obwohl Sinn Grundbegriff bleibt, k e i n relevantes soziologisches bzw. methodologisches Problem mehr; zum Übergang des Sinnbegriffs v o m I n h a l t auf die F o r m vgl. A . Schütz, Der sinnhafte Aufbau, S. 93 ff.; zur E n t w i c k l u n g von Weber zu L u h m a n n H. Bubner, Handlung, S. 16 ff., S. 47 ff.). 15 N. Luhmann, Sinn, S. 31 f.; da Sinn somit „nichtnegierbar" (vgl. ders., F u n k t i o n der Religion, S. 21) ist, fällt innerhalb Luhmanns Systemtheorie Sinn als Basis möglicher K r i t i k bestimmter System- oder Weltzustände aus. M a n k a n n den Begriff »Sinnlosigkeit 4 daher allenfalls auf das U m w e l t m a t e r i a l bzw. auf die U m w e l t k o m p l e x i t ä t , aus der sinnhafte Erlebnisse ausgew ä h l t werden, insgesamt beziehen; vgl. E. Husserl, Ideen, S. 213; außerdem H. J. Krysmanski (Soziologie des Konflikts, S. 186), der das Problem der Sinnbildung i n Luhmanns Theorie als „Problem der Reduktion v o n Sinnlosigkeit" interpretiert.
1. Luhmanns Sinnbegriff
13
schränkte Möglichkeit, auch anders (als es je aktuell der Fall ist) zu sein, macht das Erlebnis zu einem sinnvollen Erlebnis. Aber m i t dieser Aussage gerät man i n ein grundsätzliches Dilemma. Wenn der Sinn eines Erlebnisses i n der Tat derart von seinem Inhalt abgelöst werden kann, daß die bloße Möglichkeit, mit einem anderen Inhalt ausgefüllt zu werden, dessen jeweiligen Sinn konstituiert, dann müßte der Sinn aller möglichen Erlebnisse implizit identisch sein. Jedes Erlebnis wäre durch ein und denselben Einheitssinn bestimmt, dem gegenüber die einzelnen expliziten Erlebnisinhalte nur jeweils die Bedingung dafür darstellen würden, daß überhaupt Sinnbildung stattfinden kann. Ein Dilemma stellt diese Implikation der Sinnkonstituierung auch immanent dar, weil m i t der abstrakten Generalisierung des „Über-sich-Hinausgewiesenseins" 16 des jeweiligen Erlebnisses selbst die Möglichkeit dieser notwendigen Bedingung prinzipiell i n Frage gestellt ist. Nicht nur, daß jedes aktuelle Erlebnis letztlich denselben Sinn hätte, sondern der Wegfall der Bedingung, inhaltlich sinnvoll erleben zu können, wäre das antinomische Resultat der Sinnkonstituierung: Generalisiert man nämlich den Verweis auf andere Erlebnisse so, daß die Eigenschaft, anders zu sein, inhaltlich unbegrenzt und insofern unbestimmt ist, dann kann auch das aktuelle Erlebnis, das jeweils transzendiert wird, — aus der Perspektive seiner sinnhaften Interpretation — nicht bestimmt bleiben. Die Transzendierung i n Richtung auf andere Erlebnisse richtet sich, weil nicht beschränkbar, gegen das sinnhafte Ausgangserlebnis selbst. Damit steht man bisher vor folgender Zwischenthese. Sinnkonstituiertes Erleben bei Luhmann bedingt implizit einen einheitlichen Sinn aller Erlebnisse, und dieser einheitliche Sinn ist entgegen der notwendigen Voraussetzung inhaltlich leer 1 7 . (2) Schon bevor der Inhalt dieser These präziser bestimmt ist, läßt sich absehen, daß sich aus i h r weitreichende Konsequenzen für die Systematik des Sinnbegriffs und vor allem für die auf i h m aufbauenden Begriffe der Soziologie Luhmanns ergeben können. Wie zwingend sie ist, muß daher überprüft werden, und an dieser Stelle kann die Analyse des Systembegriffs hinzugezogen werden. N u n w i r d allerdings i n der oben angegebenen Definition des Systembegriffs nichts über die Fähigkeit des Systems, zu ,erleben', ausgesagt. Versteht man jedoch Erleben i n der abstrakten Weise, i n der Luhmann diesen Terminus für die Beschreibung der Sinnkonstituierung verwendet, nämlich nur als allgemeine Bestimmung der Aufnahme und 16
Vgl. N. Luhmann, Sinn, S. 31 ff. Vgl. D. de Lazzer, Systemtheorie, S. 359 f.; K . O. Hondrich, Systemtheorie, S. 8. 17
14
I. Subjektives System
Verarbeitung von umweltlichen Ereignissen, Gegebenheiten etc. 18 , dann bewegt man sich auf derselben Abstraktionsstufe, auf der die Elemente des Systembegriffs untersucht werden können. Man muß annehmen, daß das, was Luhmann als „Identität" bezeichnet und zur Grundlage seiner Definition des Systembegriffs macht, nicht jenseits der Innen/Außen-Differenzierung konstituiert ist (um dann zusätzlich eine solche Differenz auszubilden), sondern gerade durch die Bildung dieser Differenz als solche, als Identität konstituiert wird. Wäre sie schon vor und außerhalb dieser Beziehung als solche bestimmt, dann wäre erstens zu erwarten, daß Luhmann an irgendeiner Stelle eine Explikation ihres Begriffs ohne Bezugnahme auf die Innen/Außen-Differenz liefern würde (was — soweit seine Arbeiten zu überblicken sind — nicht der Fall ist); zweitens würde dann das Problem der Konfrontation zweier Konstitutionsformen der Identität innerhalb des Systembegriffs oder i m Rahmen der Erläuterung der aus i h m folgenden Konsequenzen für die soziologische Theorie entstehen, wofür sich ebenfalls keine Anhaltspunkte bei i h m finden lassen 19 . Der Definition zufolge konstituiert sich jene Identität also allein durch Ausbildung und Erhaltung einer Differenz gegenüber einem m i t i h r nichtidentischen Bereich. Die Leistung der Selbstidentifizierung und Selbsterhaltung erfolgt als Innen-Seite der Differenz, so daß die Definition des Außen nur von dieser Innen-Seite her zu sehen ist. Das Außen i n dieser asymmetrischen Relationierung ist von Innen her betrachtet eine komplexe u n d veränderliche „ U m w e l t " 2 0 . Was das Außen für sich und unabhängig von der Innen-Seite bedeutet, scheint insofern eine sinnlose Frage zu sein. Hier müssen jedoch zwei Ebenen der Betrachtung unterschieden werden. Was den Außen-Bereich zu einem Außen macht, kann natürlich nur von der Innen-Seite der Identitätsbildung her beschrieben werden. Was aber den Inhalt des jeweils als Außen charakterisierten Bereichs anlangt, so kann diese vollständige Abhängigkeit von dem Innen nicht gelten. Denn die Möglichkeit der Identität, sich als Innen gegenüber einem Außen abzugrenzen, impli18
Vgl. N. Luhmann, Sinn, S. 31 ff. Vgl. N. Luhmann, Funktionale Methode, S. 39 ff.; ders., Soziologie, S. 116; ders., Grundrechte, S. 19; ders., Moderne Systemtheorien, S. 11; ders., K o m plexität, S. 211. Vergleichbare Systemdefinitionen finden sich bei Parsons, allerdings nicht durchgehend, vgl. etwa T. Parsons / Ε . H. Shils, General Theory of Action, S. 108 f.; T. Parsons, Some Comments, S. 623. I n der E n t wicklung der soziologischen Systemtheorie hat sich die Reduktion des Systembegriffs auf die abstrakte Tatsache von System/Umwelt-Differenzierungen bisher nicht durchgesetzt; vgl. die Überblicke bei W. Buckley, Modern System Research; Κ . Η . Τjaden, Soziale Systeme; W. D. Narr, Theoriebegriffe, S. 89 ff.; R. P r e w o / J . R i t s e r t / E . Stracke, Systemtheoretische Ansätze; R. Münch, Theorie sozialer Systeme. 20 Vgl. insbesondere N. Luhmann, Funktionale Methode u n d Systemtheorie, S. 39 ff. 19
1. Luhmanns Sinnbegriff
15
ziert, daß es etwas dem Innen Vorausgesetztes, etwas Bestimmtes gibt, das nicht vollständig der Definitionsmacht des Innen unterliegt. Könnte es die Grenze zwischen sich und einem Außenbereich völlig beliebig ziehen, dann bestünde weder eine Notwendigkeit, sich als Innen zu definieren (geschweige denn, zu „stabilisieren") 2 1 , noch bestünde überhaupt eine solche Möglichkeit, weil selbst die Setzung willkürlicher Grenzen zwischen einem Innen und einem Nicht-Innen zumindest irgendeine elementare Form von vorausgesetzten Bestimmtheiten unterstellt, an denen die willkürliche Setzung eine Zäsur vornehmen kann. U m eine Grenze festzulegen, müssen zusammenhängende Bestimmtheiten vorgegeben sein, an denen die Grenzlinie gezogen werden kann 2 2 . Durch Grenzziehung können Inhalte somit zwar konstituiert, aber nur mitkonstituiert, nicht aus dem Nichts geschaffen werden. Das aber heißt, daß zwar das Außen als Außen i n dieser generalisierenden Charakterisierung ausschließlich von dem Innen abhängt, daß aber diesem Außenbereich eine, wenn auch relativ zum Innen noch so variable und weiter bestimmbare, Eigenständigkeit und Bestimmtheit angehört, die die Selbstidentifizierung des Innen mitdeterminiert. I n dem Maße, wie diese Determinanten des jeweiligen Außenbereichs nicht durch die Leistung des Innen vermittelt sind, stellen sie i n derselben Weise „unmittelbare Inhalte" und „Gegebenheiten" 23 dar wie die i n der Definition des Sinns enthaltenen. Sieht man sich i m Hinblick auf diese Unterstellung des Systembegriffs die Konstitution des Innen und sein Verhältnis zu dieser Eigenschaft des Außenbereichs an, dann stößt man auf die Struktur, die auch das Verhältnis der sinnkonstituierenden Erlebnisform zu ihren unmittelbaren Inhalten charakterisiert. Auch hier ist eine vollständige Transzendierung i n Bezug auf jene unmittelbaren Gegebenheiten vorausgesetzt: Die Frage nach der Konstitution des Innen kann dahingehend formuliert werden, inwiefern auf der einen Seite einer Grenze eine stabile Identität gebildet und erhalten werden kann (das Innen), während auf der anderen Seite derselben Grenze (dem Außen) „veränderliche" und für sich bestimmte Gegebenheiten vorausgesetzt werden 2 4 . Wie kann 21
N. Luhmann, Zweckbegriff, S. 176. Dabei k a n n es keine Rolle spielen, auf welcher Abstraktionsstufe die Grenzziehung vorgenommen w i r d , ob die Grenzziehung u n m i t t e l b a r an r a u m zeitlichen Gebilden oder i n Bezug auf symbolisierte Inhalte oder i n Bezug auf verschiedene Komplexitätsstufen (vgl. N. Luhmann, Moderne Systemtheorien, S. 18f.; ders., Systemtheoretische Argumentationen, S. 301 f.; hierzu J. Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 149 ff.) erfolgt; vgl. auch E. Leach, K u l t u r , S. 46 f. 28 E t w a i n N. Luhmann, Handlungstheorie, S. 217. 24 Vgl. N. Luhmann, Zweck-Herrschaft-System, S. 101: „ . . . (die Ersetzung der) unlösbaren substantiellen Identitätsproblematik durch eine neuartige funktionale u n d zugleich eminent praktische Fragestellung: w i e es möglich 22
16
I. Subjektives System
eine Grenze zugleich nach der einen Seite stabil, nach der anderen jedoch instabil sein, bzw. welche gleichbleibende Identität kann durch eine gemeinsame Grenze mit wechselnden Inhalten gebildet werden? Eine bloße Abstraktion von den unmittelbaren Gegebenheiten löst das Problem der Identitätsbildung nicht. Denn entweder verschwindet durch vollständiges Absehen von den verschiedenen Gegebenheiten jede Gemeinsamkeit m i t ihnen und dadurch auch die konstitutive Grenze. Oder trotz Abstraktion soll weiterhin der Bezug auf das, wovon abstrahiert wird, erhalten werden, dann w i r d m i t wechselnden Voraussetzungen auch eine wechselnde Abstraktion, m i t h i n eine wechselnde Identität erzeugt. Damit es also nicht nur zu einer Sukzession von verschiedenen Identitäten, sondern zu einer gleichbleibenden Identität auf der Basis einer Abgrenzung von wechselnden Inhalten kommt, muß diese Grenze auf der einen Seite vollständig aufgehoben und auf der anderen Seite vollständig erhalten werden. Aber das ist eine Paradoxie. Zunächst kann man, u m den gegenläufigen Anforderungen, die an diese A r t der Identitätsbildung des Systems gestellt sind, gerecht zu werden, darauf schließen, daß nicht eine, sondern zwei Grenzen bzw. Typen von Grenzen für das System bestimmend sind. Damit sich das System einerseits intern auf „sich selbst" beziehen kann, „sich selbst" als Innen definieren oder „sich selbst" erhalten kann, oder was auch immer die Formulierungen dafür sein mögen, daß das System reflexiv auf seine Identität rekurrieren kann 2 5 , muß es interne Grenzen bilden, über die es diese Vermittlung m i t sich selbst herstellen kann. Diese notwendigen internen Unterscheidungen von sich selbst, deren Aufhebung erst die Reflexivität des Innen ermöglicht, müssen transparent sein, um die Selbstidentifizierung des Systems i n allen seinen Bestimmungen zu erlauben. Es muß sich insofern i m I n nenbereich u m Strukturen handeln, die auf völlig formalen Abgrenzungsprinzipien beruhen und von keinem feststehenden Inhalt abhängig sind, die aber zu jenem äußeren Inhalt der Umwelt des Systems i n Beziehung gesetzt werden können, ohne sich hierdurch zu verändern. Diese internen Grenzen dürfen daher keine fixen Grenzen sein, sondern müssen auf Regeln für Grenzbildungen beruhen, die die absolute Variabilität der jeweiligen Grenze garantieren, wobei auch diese Regeln wiederum nicht endgültig vorgegeben sein dürfen, sondern selbst formalen Regeln der Regelbildung unterworfen sein müssen, usf. Das ist, i n einer veränderlichen, nicht beherrschbaren U m w e l t bestimmte Systemstrukturen invariant zu halten u n d dadurch Identität herzustellen u n d zu erhalten." 25 Vgl. N. Luhmann, Zweckbegriff, S. 176 f.; ders., Funktionale Methode, S. 44 f.; ders., Systemtheorie, Evolutionstheorie, S. 194; ders., Soziologie der Moral, S. 40.
1. Luhmanns Sinnbegriff
17
bedeutet, daß i m Innenbereich nicht bloß ein unendlicher Regreß von Regelbildungsstufen impliziert ist, sondern zudem die generalisierte Möglichkeit, den Regreß selbst zu reflektieren und letztlich i n die Tautologie der Identität des Systems m i t sich selbst zu überführen 2 6 . Neben diesem formalen Regelbildungsmechanismus, der die Innenstruktur des Systems charakterisiert, ist auf der anderen Seite die A b grenzung des Innen gegenüber jenen äußeren und unmittelbaren Gegebenheiten des Außenbereichs vorausgesetzt, damit eine Identifizierung des Systems als „Innen" möglich ist 2 7 . Das System kann sich nicht, auch nicht tautologisch, selbst definieren, ohne diesen nicht-reflexiven, nicht-tautologischen und nicht-formalen Bereich vorauszusetzen. Auch i n dieser zweiten Hinsicht handelt es sich nicht u m eine feststehende Grenze, sondern u m einen Typus variierender Grenzen, die je nachdem, welche aktuelle Umwelt durch die jeweilige interne Grenzbildung i n das Blickfeld des Systems gerät, inhaltlich anders bestimmt sind. Prinzipiell unterscheiden sich die beiden Typen von Grenzen, und das macht die Innen/Außen-Differenz möglich, weil die internen Grenzen jenseits von bestimmten Inhalten definiert und variiert werden können, die externen Grenzen jedoch immer durch vorgegebene, wenn auch kontingent selegierbare Inhalte bestimmt sind. Genau genommen konstituiert sich das System als identisches Innen gegenüber einem Außenbereich daher nicht einfach durch eine Innen/Außen-Grenze, sondern durch eine formale und transparente Systematik von Innengrenzen, die die Abgrenzung gegenüber jeweils vorgefundenen Außenwelten intern beliebig variabel zu rekonstituieren erlaubt 2 8 . Zumindest ist dies der Anspruch des Systems. Würde es von dem Außenbereich nur unvermittelt abstrahieren, so wäre die Stabilisierung seiner Identität zum Scheitern verurteilt. Es wäre immer nur das negative Spiegelbild seiner jeweiligen Außenwelt. Abstrahiert es dagegen intern reflexiv auch von sich selbst, so scheint es durch diese nur noch formale Bezugnahme auf sich m i t jeder beliebigen Inhaltsvorgabe der Außenwelt kompatibel zu sein. N u n wäre diese Konstitutionsform des Systems möglicherweise dann kein Problem, wenn man die These aufrechterhalten könnte, daß das System selbst keine Aggregation von Inhaltsbestimmungen, sondern nur einen reflexiven transzendentalen Konstitutionsmechanismus für alle möglichen Inhalte darstellt, welcher je von all den Inhalten unterschieden bleibt, die er konstituiert. Dieselbe Überlegung gilt für die Sinnkonstituierung. 28
Vgl. N. Luhmann, Reflexive Mechanismen, S. 107. Vgl. N. Luhmann, Selbst-Thematisierung, S. 74. 28 Vgl. N. Luhmann, Sinn, S. 72 ff.; J. Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 154 f. 27
2 Zlelcke
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I. Subjektives System
Aber diese Annahme führt ebenso wie die der Aufspaltung der Innen/Außen-Abgrenzung i n Innengrenzen und Außengrenzen an der genannten Paradoxie nicht vorbei. Das System soll sich nach Luhmann j a nicht als transzendentales Subjekt, etwa als Erkenntnissubjekt, i n Bezug auf empirische Gegenstände konstituieren, sondern soll selbst eine i n empirischen psychischen und sozialen Sachverhalten wirksame Struktur darstellen, die den empirischen Einflüssen der von ihr als Außenwelten ausgeschlossenen Inhalte ausgesetzt bleibt. Hierin soll gerade das Existenz- und Bestandsproblem des Systems begründet sein 2 9 ; riskante Maßnahmen zur Bestandserhaltung sind keine sinnvoll formulierbaren Themen für jenseits der Außenwelt befindliche Subjekte. Doch selbst wenn man von diesem Argument der immer prekären und ungesicherten Bestandserhaltung einmal absieht, so folgt auch aus der Form der inneren reflexiven Abstraktion des Systems von sich selbst die Unmöglichkeit, das Innen als inhaltsfreie formale, das Außen hingegen als inhaltsgefüllte empirische Welt annehmen zu können. Denn erstens soll die Innen/Außen-Abgrenzung keine prinzipielle, sondern eine variable Grenze i n dem Sinne sein, daß das System die Grenze zurück- oder vorverlegen kann, also auch weitere Außenbereiche als Innen definieren kann, ohne hierdurch seine grundsätzliche Innenkonstitution aufzugeben 30 . I n dieselbe Richtung geht das Argument, daß i m Außenbereich eines Systems weitere Systeme gegeben sein können, wenn nicht sogar notwendigerweise gegeben sind 3 1 , der Außenbereich m i t h i n nicht prinzipiell von anderer Natur als der Innenbereich sein kann. Was insofern Innen und was Außen eines Systems ist, beruht nicht auf unüberbrückbaren strukturellen Verschiedenheiten zwischen den beiden Bereichen, sondern auf jeweiligen systeminternen Definitionen. Das Innen kann daher nicht nur die Form, das Außen die formlosen Inhalte eines Systems betreffen. Zweitens kann das System externe Inhalte nur dann selegieren und voneinander differenzieren, wenn es über solche internen inhaltlichen und nicht nur formalen Unterscheidungskriterien verfügt, die etwas m i t den selegierten und differenzierten Inhalten des Außenbereichs gemeinsam haben. Beide Gründe laufen demnach darauf hinaus, daß implizit System und Umwelt i n einem bestimmten Umfang auch identisch sein müssen, damit sich das System an einer Grenze zwischen beiden Bereichen definieren kann. Angesichts der immanenten Transzendenz des Systems gegenüber den Inhalten der Außenwelt auf der einen Seite, der unterstellten Identität von Innen und Außen auf der anderen Seite ist es 29 N. Luhmann, S. 22 f., 39 f.; ders., 30 N. Luhmann, 31 N. Luhmann,
Funktionale Methode, S. 39 ff.; ders., Soziologie der Moral, L e g i t i m a t i o n durch Verfahren, S. 43, A n m . 11. Funktionale Methode, S. 40. Rechtssoziologie, S. 133 f.; ders., Interpénétration, S. 62 ff.
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jedoch nicht damit getan, auf eine diffuse Weise von einer wechselseitigen Abhängigkeit zwischen System und Umwelt oder von ihrer gegenseitigen Interpénétration zu reden oder auf sonstige Weise bei der mehr oder weniger unbestimmten Konstatierung ihrer gegenseitigen Relativierung stehen zu bleiben. Denn damit würde man das Spezifikum der Systemtheorie, jedenfalls Luhmanns, verwischen 82 . Die Systeme konstituieren sich nicht sowohl als Innen als auch als Außen, sondern ausschließlich als Innen i n Differenz zu einem Außen. Würde man die Innen/Außen-Grenze durchlöchern, fiele i n demselben Maße das grundlegende Definiens des Systems hinweg. Man muß daher für die Analyse der systemtheoretischen Begriffe zumindest zwei Ebenen der Geltung der jeweiligen Begriffe auseinanderhalten; deren Unterschied bedingt die elementare Problematik der Theorie Luhmanns. Die primäre Ebene ist diejenige, auf der die Selbstkonstituierung des Systems auf die i h m entsprechende affirmative Weise, als Rekonstruktion des reflexiven internen Selbstverständnisses, reformuliert wird. A u f dieser Ebene w i r d also die Innen-Perspektive des Systems reproduziert, hier gilt die strikte Innen/Außen-Differenz, und sämtliche darauf aufbauenden Begriffe wie Umweltkomplexität, Erwartung und erwartungsenttäuschendes Ereignis etc. sind unmittelbar von dieser Perspektive her zu begreifen. Die sekundäre Ebene ist demgegenüber diejenige, die durch die Implikationen dieser Differenz gebildet wird, und zwar die Implikationen, die die grundsätzliche Infragestellung der Differenz beinhalten. Wegen der strikten Grenzziehung auf der primären Ebene w i r k t die sekundäre nur hinter deren Rücken, sie kann nicht selbst zum expliziten Inhalt der Reflexion des Systems werden, ohne daß sich das System hierdurch selbst i n Frage stellen würde. Die Analyse der systemtheoretischen Grundbegriffe und des systemtheoretischen Rechtsbegriffs kann aber nicht auf diese zweite Ebene, obwohl sie die unmittelbaren Anknüpfungspunkte für die immanente K r i t i k jener Begriffe liefert, beschränkt werden. Vielmehr besteht die A u f gabe darin, das jeweilige Verhältnis der beiden Ebenen zu erfassen. Denn die Charakteristik des Fortganges der Theorie Luhmanns von der Grundstufe zu den komplexeren Stufen der System/Umwelt-Differenzierung folgt aus der Tatsache, daß das System seine Bestandsprobleme je i n dasjenige Innen/Außen-Schema kleidet, das implizit zugleich die Bedingung für die kontinuierliche, subkutane Destabilisierung des Systembestandes enthält. Nicht die bestimmten und wechselnden Ereignisse der Außenwelt allein und auch nicht die n u r beschränkte Überschaubarkeit der möglichen Ereignisabfolgen verursachen die 82 Vgl. S. Jensen, Interpénétration, S. 128 f., der aus diesem G r u n d L u h manns u n d Parsons' Bestimmung der Interpénétration v o n System u n d U m w e l t (bzw. anderen Systemen) voneinander unterscheidet.
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Selbsterhaltungsprobleme des Systems. Erst die m i t der Innen/AußenDifferenz zugleich vorausgesetzte, aber i n eine für das systemische Selbstverständnis unerreichbare Implikationsebene verwiesene A u f hebung dieser Differenz verabsolutiert das Bestandsproblem, weil auf diese Weise die Negation der expliziten Systemidentität unvermeidlich miterhalten wird. Allerdings scheint das System jeder möglichen äußeren Negierung seiner Identität schon dadurch zuvorzukommen, daß es sich selbst nur negativ gegenüber den außenweltlichen Inhalten seiner Erlebnisse definiert. I m Ansatz wurde dies bereits bei der Untersuchung der Sinnkonstituierung sichtbar. Der nächste Schritt soll daher die Analyse der Rolle der Negation für die Sinn- und Systembildung sein. b) Der Begriff der Negation (1) Die Konstitution von Sinn, d. i. nach Luhmann die „Konstitution einer solchen das Erleben beständig-gegenwärtig begleitenden Welt von augenblicklich inaktuellen Potentialitäten, beruht auf der eigentümlich-menschlichen Fähigkeit zur Negation" 3 3 . Negation ist hierbei nicht nur eine notwendige Bedingung, sondern das Fundament der sinnhaften Weltkonstituierung überhaupt: „Negation scheint nicht n u r das am universellsten verwendbare Sprachsymbol zu sein, sondern darüber hinaus die Universalität, das heißt den Weltbezug der Lebenspraxis schlechthin zu konstituieren — gerade auch dann, w e n n das Erleben oder Handeln sich positiv auf bestimmten Sinn bezieht u n d i h n unter der F o r m des Seins oder Sollens intendiert 3 4 ."
Zwei Komponenten sind es, die die Negation kennzeichnen: „ D i e spezifische Potenz des Negierens, die sich i n der reinen Gegebenheit aktueller Eindrücke, i n Wahrnehmung u n d Vorstellung nicht findet, beruht auf der eigenen K o m b i n a t i o n von Reflexivität u n d Gener alisierung* 5."
Die eine Komponente, die Generalisierung, umschreibt Luhmann als Leistung, „die die Möglichkeit einer pauschalen Stellungnahme zu etwas eröffnet, das sie i m Unbestimmten beläßt" 3 6 . Die andere Komponente, die Reflexivität, charakterisiert Luhmann allgemein durch Verweis auf „Prozesse, die auf sich selbst oder auf Prozesse gleicher A r t anwendbar sind und dadurch ein verstärktes Potential besitzen" 37 , u m sie dann folgendermaßen m i t dem Negationsbegriff zu verbinden: 33 84 35 38 87
N. Luhmann, Ebd., S. 35 f.; N. Luhmann, N. Luhmann, Ebd., S. 205.
Sinn, S. 35 (Hervorhebung N. L.). ders., Negation, S. 204. Sinn, S. 36 (Hervorhebung N. L.). Negation, S. 205.
1. Luhmanns Sinnbegriff
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„Negation ist eine reflexive, u n d zwar eine notwendig reflexive Prozeßform des Erlebens. Sie k a n n auf sich selbst angewandt werden. M i t der u n i versellen Fähigkeit zur Negation ist auch die Möglichkeit der Negation der Negation gegeben. Sie ist f ü r ein Erleben, das überhaupt negieren kann, unverzichtbar. Das aber besagt, daß alle Negation in einer unaufhebbaren Vorläufigkeit verbleibt und den Zugang zum Negierten nie definitiv ausschließen kann. Negation ist keine Vernichtung, sondern ein Modus der Erhaltung von Sinn 3 8 ."
Auch für die Interpretation dieser Aussagen Luhmanns kann wieder von einer bestimmten Fragestellung ausgegangen werden. Inwiefern kann das System, das wegen seiner beschränkten Aufmerksamkeitskapazität seine Umwelt notwendig immer nur ausschnittsweise erleben kann, dasjenige, was es m i t dem aktuellen Erleben jeweils ausschließt, d. h. negiert, trotz dieser Negation bewahren? Wenn das Negierte innerhalb der beschränkten Aufmerksamkeitskapazität des Systems erhalten wird, w i r d das Argument der Beschränkung hinfällig. A u f welche systematische Weise aber ist dann diese Aufbewahrung des Ausgeschlossenen zu denken? Das System differenziert zwischen aktuellen Erlebnissen und inaktuellen Erlebnismöglichkeiten. Man kann nun, um die Linie zwischen den aktuellen und den inaktuellen Erlebnissen zu bestimmen, drei verschiedene Varianten i n Erwägung ziehen: (1) diese Linie fällt m i t der Innen/Außen-Grenze zusammen, (2) diese Linie verläuft systemintern und (3) diese Linie verläuft ausschließlich systemextern. (1) scheidet aus, weil das System, wenn seine Grenze zwischen Innen und Außen m i t der Grenze zwischen aktuellen Erlebnissen und inaktuellen Erlebnissen zusammenfiele, das Außen nicht erleben könnte, insofern es je außerhalb seines aktuellen Erlebnishorizonts liegen würde; es könnte sich i n diesem Fall auch nicht als Innen erleben. (2) scheidet ebenfalls aus, der Grund ist die Beschränktheit der internen Aufmerksamkeitsmöglichkeiten 39 . Es bleibt daher nur (3) übrig. Das bedeutet, daß man annehmen muß, daß die Linie zwischen aktuellem und inaktuellem Erleben außerhalb des Systems verläuft, daß m i t h i n auch das aktuelle Erleben nicht Teil des Systems, sondern Bestandteil seiner Umwelt ist. Daß das Innen des Systems nicht dadurch charakterisiert wird, was das System erlebt, erscheint überraschend. Es fügt sich aber sowohl i n die bisherigen Ergebnisse als auch i n die Aussagen Luhmanns über die Eigenschaften der Negation. Da das System sich als gleichbleibende Einheit gegenüber wechselnden Ereignissen definiert 4 0 , muß es alle jene Ereignisse, die »wirklich* oder »faktisch' sind, d.h. solche, 38
Ebd., S. 205 (Hervorhebung N. L.); ders., Sinn, S. 36. Z u r Aufmerksamkeitskapazität vgl. N. Luhmann, Sinn, S. 32 f.; ders., Soziologische Aufklärung, S. 77; ders., Rechtssoziologie, S. 68; ders., V e r w a l tungswissenschaft, S. 46 f. 40 Vgl. etwa N. Luhmann, Zweck-Herrschaft-System, S. 101. 39
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die sich m i t der Zeit wandeln und n u r als zeitliche existieren, seiner Umwelt zuschreiben. Dazu müssen folgerichtig auch die aktuellen Erlebnisse des Systems gerechnet werden, da sie ebenfalls zeitliche Ereignisse darstellen. Das Innen des Systems kann demgegenüber nur eine formale und zeitindifferente Struktur auf weisen: „ M a n muß die unmittelbaren sensorischen u n d motorischen Erlebnisdaten von ihrer mitrepräsentierten Selektivität begrifflich trennen. Bewußtsein — das ist nicht die Gesamtheit der jeweils faktisch erlebten Impressionen, sondern konstituiert sich als deren Selektivität. Das Bewußtsein reguliert demnach nicht die Einführung von Daten i n das psychische System, sondern deren Selektionsfähigkeit, nicht die Input/Output-Prozesse, sondern die i n terne Verarbeitung von Umwelteindrücken, nicht das Material, sondern die Leistung des Erlebens 4 1 ."
Das Innen des Systems ist somit nicht i n demselben Sinne wie das Außen, bzw. wie seine Erlebnisse ,faktisch'. Seine spezifische A r t , faktisch zu sein, muß von der außenweltlichen Faktizität so verschieden sein, daß es insgesamt auf diese Bezug nehmen kann, ohne sich m i t ihr zu verbinden. Und die Negation als rein systeminterne Leistung muß diese spezifische Eigenschaft teilen. Durch Negation verneint das System seine Erlebnisse nicht,wirklich 4 , sondern nur virtuell. Man kann versuchen, diese Eigenschaft der Negationsleistung dadurch genauer zu bestimmen, daß man zunächst von der folgenden Stufenfolge der Involvierung der Negation i n die Perzeption der Umwelt durch das System ausgeht. Die erste Stufe ist diejenige, auf der die Negation als solche noch gar nicht explizit i n Erscheinung tritt, die Stufe der unmittelbaren und affirmativen Beziehung des Systems auf Ereignisse, also seine augenblicklichen und unreflektierten Erlebnisse. Da aber trotz dieser positiven Beziehung der Sinn dieser Erlebnisse nicht i n deren unmittelbarem Inhalt liegen soll, sondern i n dessen Transzendierbarkeit, distanziert sich das System implizit von dem positiv erlebten Inhalt, verweist i h n i n die Umwelt und konstituiert durch diese distanzierte Beziehung auf i h n dessen Sinn. Implizit enthält daher auch das unmittelbar affirmierte Erlebnis dessen Verneinung. A u f dieser ersten Stufe verschwindet aber diese Verneinung noch vollständig hinter der positiven Unmittelbarkeit des aktuellen Erlebnisses. Da die Verneinung nur unterstellt ist, trennt das System explizit noch nicht zwischen sich und Erlebnis bzw. zwischen sich und Umwelt, es nimmt sich noch unmittelbar als Erlebendes i n Einheit m i t seiner Umwelt wahr. Sinn und konkretes Erlebnis werden noch nicht getrennt. Die zweite Stufe ist diejenige, auf der das System bestimmte Erlebnisinhalte explizit ausschließt, den Selektionsakt also für einen bestimmten Inhaltsbereich ausdrücklich und bewußt nachvollzieht und 41
N. Luhmann, Sinn, S. 38.
1. Luhmanns Sinnbegriff
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den Kreis seiner aktuellen Erlebnisse durch die bestimmte Negation konkret möglicher Erlebnisse eingrenzt. I m Hinblick auf den Bereich der bestimmt ausgeschlossenen Erlebnisse differenziert hier das System bereits partiell zwischen sich und einer Umwelt, wobei diese Umwelt durch die ausgeschlossenen Erlebnisse, soweit sie zumindest als potentielle Erlebnisse bewußt sind, gebildet wird. Allerdings ist diese explizite Ausdifferenzierung immer noch nicht m i t derjenigen identisch, die implizit System und Umwelt systematisch voneinander trennt. Die explizite Begrenztheit der bestimmten Negation muß also ihrerseits negiert werden, damit das System eine gleichbleibende Differenz gegenüber allen Erlebnissen realisieren kann. Gleichzeitig w i r d erst durch diese Meta-Negation der bestimmten Negation auch sachlich diejenige Umwelt vom System abgelöst, gegenüber welcher es als Innen identisch bleibt, die Welt aller wirklichen' Ereignisse und Erlebnisse, ob aktuell oder nicht aktuell. Damit ist bereits zur dritten Stufe übergeleitet, der expliziten „Negation der Negation" 4 2 . Während die ersten beiden Stufen noch über den Charakter der System/Umwelt-Beziehung täuschen, weil bei ihnen das System noch keine reine Innen-Perspektive ausbildet, enthält der systemische Nachvollzug der verdoppelten Negation alle die begrifflichen Momente, die bisher als Zwischenergebnisse der Sinn- und Systemkonstituierung aufgetaucht sind: Durch die Verdopplung der Negation w i r d erreicht, daß die beiden Negationen, die je vorausgesetzte (Objekt-)Negation u n d deren (Meta-) Negation, primär nicht auf außenstehende Inhalte, sondern zunächst einmal wechselseitig aufeinander bezogen sind und sich gegenseitig als einheitlich generalisierte Negationsmöglichkeit konstituieren. Erst auf dieser Basis werden dann die einzelnen Inhalte negiert. Das heißt i m einzelnen: Die Wechselseitigkeit der Negierung — und nicht nur ein endloser Regreß von aufsteigenden Metanegationsebenen — ist impliziert, weil die nachfolgende Negation nur dann und nur insoweit die vorangehende Negation negieren kann, wenn sie sich m i t dieser identifiziert und sie dadurch zugleich erhält 4 3 . Denn dies ist die Bedingung dafür, daß die Meta-Negation nicht bloß eine negative Reflexion über 42
N. Luhmann, Negation, S. 205 ff. I n »Gerechtigkeit 4 , S. 148, lehnt L u h m a n n seine Charakterisierung der Leistung der verdoppelten Negation an Hegels Begriff der „Aufhebung" i. S. von Aufbewahrung an (vgl. G. W. F. Hegel, L o g i k I, S 113 ff.). Während jedoch bei Hegel durch die Verdopplung der Negation „das negierte Positive i n seiner Bestimmtheitsqualität" aufbewahrt werde, w i r d seiner Ansicht nach „die Negation selbst als Selektionsleistung i n ihrem Anschlußwert für weitere Selektionen" aufbewahrt; ähnlich auch i n ,Negation', S. 207; zum Verhältnis Luhmanns zur Hegeischen D i a l e k t i k vgl. F. Schneider, Systemtheoretische Soziologie, S. 198 ff. ; zur doppelten Negation bei Hegel vgl. besonders D. Henrich, Formen der Negation, S. 223 ff. 43
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die Objekt-Negation darstellt, die ex definitione die Objekt-Negation gar nicht berührt, sondern i n der Tat die Objekt-Negation negiert. Die Meta-Negation muß daher ihre eigene Negationsleistung i n der ObjektNegationsebene lokalisieren, d. h. also sich selbst als Objekt-Negation reflektieren. Dann muß sie aber infolge dieser Identifikation m i t der Objekt-Negation auch umgekehrt diese als eine Meta-Negation, wie sie es selbst ist, unterstellen. Implizit tauschen demnach Objekt- und Meta-Negation ihre Rollen, die sie explizit voneinander unterscheiden, gegenseitig aus und erreichen gerade durch die Differenz zwischen expliziter und impliziter Ebene, daß sie sich sowohl gegenseitig affirmieren als auch negieren, sich also i n jedem Fall ausschließlich auf sich selbst beziehen. Ob eine solche Konstruktion allerdings widerspruchsfrei denkbar ist, ist damit noch nicht gesagt. A u f diese Weise w i r d jedenfalls eine absolute Negationsfähigkeit postuliert. Der Unterschied zwischen isolierten Negationen und solchen, die aus dem absoluten Negationspotential hervorgehen, ist wichtig. Erstens w i r d durch dieses Potential eine stabile Identität konstituiert, da m i t dem Potential eine sich selbst negierende und zugleich selbst unbegrenzt generalisierende Kapazität gegeben ist, die zur beliebigen Bestimmung von Inhalten durch einzelne Negationen i n der Lage ist, ohne sich mit den jeweils hierdurch bestimmten Inhalten zu verändern. K a n n erst einmal eine Fähigkeit i m Sinne dieses reflexiven Negativitätszirkels unterstellt werden und w i r d jede konkrete Negation von Umweltinhalten nurmehr von dieser Voraussetzung aus vorgenommen, dann kehrt sich die systematische Priorität von Innen und Außen um. Während sich bei isoliert vorgenommenen Negationen von Umweltereignissen die Identität des Systems m i t dem Inhalt jedes Selektionsaktes verändert, w i r d bei Voraussetzung des Negativitätszirkels die Umwelt gar nicht mehr unmittelbar negiert. Stattdessen negiert das System zunächst einmal sich selbst, aber reflexiv, etabliert sich dadurch als unbeschränktes Negationsvermögen und selegiert erst auf dem Fundament dieser gleichbleibenden Prämisse einzelne Umweltereignisse. Nicht die einzelnen Selektionen definieren die Innen/AußenGrenze, sondern primär die Differenz zwischen dem generalisierten Negationsvermögen und sämtlichen vorausgesetzten und i m einzelnen negierbaren Inhalten. Durch die Anwendung dieses Vermögens auf einzelne Selektionen variiert zwar nach wie vor die konkrete Systemidentität, aber dieser Wandel ist akzidentiell, da er n u n vor dem H i n tergrund des einheitlichen Prinzips der Selbstidentifizierung als solcher erfaßt und auf die Erhaltung des allgemeinen Vermögens h i n gesteuert werden kann. Der zweite bedeutsame Gewinn der reflexiven Negativität liegt i n der Unterscheidbarkeit der Möglichkeit 4 von Inhalten gegenüber deren
1. Luhmanns Sinnbegriff
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,Wirklichkeit' 4 4 . Da jede konkrete Negation von Umweltereignissen innerhalb des Negationszirkels reflektiert werden kann, ist sie je wieder aufhebbar, ohne den prinzipiellen Bestand des Zirkels i n Frage zu stellen. Sie ist demnach immer nur eine mögliche Negation, bestimmt also auch nur mögliche Inhalte 4 5 . Demgegenüber bleibt auf der anderen Seite der Grenze die Vorgegebenheit der Inhalte der Umwelt bestehen, sie w i r d zudem i n ihrer Bedeutung für den internen Negativitätszusammenhang erst richtig identifizierbar. Wirklich sind die Inhalte des Außenbereichs zum einen, weil sie den einzelnen Negationen des Systems vorausgesetzt, also selbst positiv gegeben sind. Zum anderen aber sind sie wirklich wesentlich deshalb, weil ihre äußere Gegebenheit auf die nur vom System her definierbare Möglichkeit bezogen wird. Was das System an Umweltereignissen durch bestimmte Negationen konkret selegiert, ist damit aus der Sicht des Systems gesehen sowohl möglich als auch nicht nur möglich, nämlich auch positiv gegeben. Und i n diesem Sinn besitzen die Inhalte der Außenwelt, auf die sich das System durch ausdrückliche Selektionsakte bezieht, Wirklichkeit 4 6 . Die Analyse der verdoppelten Negation bringt insoweit nichts anderes zu Tage, als was bereits zuvor genannt wurde: die immanente Transzendierung i m Innenbereich der Differenzierung, die Identifizierung des Innen m i t der Möglichkeit, des Außen m i t der Wirklichkeit von Ereignissen, was die (explizite) Grenze zu einer prinzipiellen und insofern stabilen macht, und schließlich die einheitliche Identität des Innen und dessen Inhaltsleere (in Bezug auf wirkliche Inhalte) gegenüber der Unmittelbarkeit von Inhalten i m Außenbereich, dessen Bestimmungen gleichwohl wegen der unbegrenzten negativen Selektionspotenz vom Innen her gesehen absolut kontingent erscheinen. (2) Die Einwände, die gegen den Sinn- und Systembegriff bisher vorgebracht wurden, bleiben jedoch weiterhin bestehen. I m Hinblick auf die verdoppelte Negation lassen sie sich an drei Punkten erfassen, 44 Z u r Differenzierung vgl. N. Luhmann, Weltzeit, S. 105 f.; ders., Evolution u n d Geschichte, S. 155 ff.; ders., Handlungstheorie, S. 217; ders., Praxis der Theorie, S. 257 f.; ders., F u n k t i o n der Religion, S. 75. 45 Vgl. N. Luhmann, Politische Verfassungen, S. 169 f.; ders., Sinn, S. 48. 46 Daß die Unterscheidung Möglichkeit/Wirklichkeit m i t der Unterscheidung System/Außenwelt zusammenfällt, w i r d v o n L u h m a n n allerdings nirgends explizit ausgesagt (vgl. etwa »Evolution u n d Geschichte', S. 155 ff.). Die Folgerung scheint jedoch unabweisbar, w e n n man die folgenden Prämissen u n t e r einander vereinbaren w i l l : (a) Systemgrenzen fallen m i t Sinngrenzen zusammen (vgl. ,Sinn', S. 72 f.), (b) Sinn w i r d nicht durch die w i r k l i c h e n Ereignisse, sondern durch den selektiven Zugriff des Systems auf solche Ereignisse konstituiert (vgl. »Handlungstheorie', S. 217, ,Sinn', S. 38 f.), (c) Sinn konstituiert diesen Z u g r i f f j e als n u r mögliches, wieder auf hebbares Verhältnis. Die Schlußfolgerung beinhaltet nicht, daß das System auf eine feststehende Realität seiner Außenwelt t r i f f t , da erst die Selektionsakte des Systems definieren, was außenweltlich w i r k l i c h ist u n d was nicht.
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erstens am Zusammenhang der einander negierenden Negationen, zweitens am Verhältnis der Negationen i m Innenbereich zur Bestimmtheit der Inhalte i m Außenbereich und drittens am Verhältnis der Trennung von Möglichkeit und Wirklichkeit des Systems. Was den ersten Punkt betrifft, so liegt das Problem darin, daß der Rückbezug der Negationen auf sich selbst entweder deshalb nicht als widerspruchsfrei möglich erscheint, weil ihre Identität unterstellt werden muß, so daß eine Differenzierung voneinander und Beziehung aufeinander widersprüchlich wäre, oder deshalb, weil sie doch als verschieden voneinander vorausgesetzt werden müssen, weswegen dann die Annahme ihrer vollständigen Reflexivität und gegenseitigen Affirmierung widersprüchlich wäre. Der Widerspruch scheint demnach unvermeidbar zu sein: Da die Negationen i n demselben Sinn, i n dem sie identisch sind, einander negieren sollen, u m die negative Reflexivität zu erzeugen, muß jede Negation dadurch m i t der anderen identisch sein, daß sie nicht m i t i h r identisch ist. Dies ist der abstraktest mögliche Hinweis auf einen Widerspruch 47 . Ein dritter Weg i m Rahmen dieser Konstruktion, der entweder den Widerspruch vermiede oder aufzeigen könnte, daß das Verhältnis der beiden Negationen zueinander gleichgültig gegenüber Widersprüchen ist, kann hingegen nicht gedacht werden. Nähme man an, daß sie sich auf zwei verschiedenen (Reflexions-) Ebenen befinden, dann entfiele die Möglichkeit, ihre gegenseitige Negierung zu konstruieren. Und gleichgültig gegenüber dem Widerspruch können sie deshalb nicht sein, weil sie dann und nur dann einander negieren können, wenn sie absolut miteinander identisch sind; keine der beiden kann der anderen die Möglichkeit offenlassen, identisch oder nichtidentisch zu sein. Das heißt, der Widerspruch darf gar nicht vermieden werden, denn die Tatsache, daß sie einander ihrem Geltungsanspruch widersprechen, d. h. einander negieren, konstituiert gerade die Möglichkeit, sich miteinander zu identifizieren. Wenn die eine Negation die andere negiert, so bedeutet das nichts anderes, als daß sie sich selbst negiert, aber genau hierdurch ist sie mit sich selbst identisch, usf. N u n soll aber dieser Negativitätszirkel das Fundament des Innenbereichs des Systems gegenüber dem Außenbereich konstituieren, also eindeutig abgrenzbar machen. Da er aber auf Grund seiner Widersprüchlichkeit durch jede beliebige Eigenschaft äußerlich bestimmt werden kann 4 8 (was man auch abgekürzt dadurch ausdrücken kann, daß die doppelte Negation unmittelbar positiv bestimmt bzw. bestimmbar ist), kann er keine feste Grenze nach Außen definieren. Das aber bedeutet, daß das System als doppelt negativ konstituiertes 47 Z u m Begriff vgl. W. Stegmüller, Semantik, S. 23; vgl. auch P. Bulthaup, Dialektik, S. 164. 48 Vgl. K . R. Popper, L o g i k der Forschung, S. 58.
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implizit zugleich positiv ein Nicht-System ist, zugleich Innen und Außen, zugleich absolut reflexiv wie absolut nicht-reflexiv 4 9 . Dieses Problem setzt sich i n dem zweiten angeführten Punkt, dem Verhältnis der Negationen zur Bestimmtheit der Inhalte, die sie negieren sollen, fort. Jeder Inhalt, den das System durch selektive Negation aus dem vorgefundenen Umweltmaterial auswählt und konstituiert, sprengt den geschlossenen Negativitätszusammenhang des Systems, denn die dem konstituierten Inhalt innewohnenden Negationen, die den Inhalt erst zu einem bestimmten Inhalt machen, können nicht vollständig negiert werden, ohne damit den Inhalt i n Nichts aufzulösen 50 . Solange sich das System also inhaltlich bestimmt, kann es sich nicht vollständig reflektieren, und solange es sich absolut reflexiv verhält, kann es sich nicht auf Inhalte beziehen. Als inhaltskonstituierendes Vermögen ist der negative Zirkel deshalb nur scheinbar geschlossen, oder aber er negiert und bestimmt Inhalte nur scheinbar. Daß durch die Transzendierung inhaltlicher Restriktionen letztlich jede Steuerung der Außenwelt durch das System verhindert wird, zeigt schließlich auch der dritte genannte Einwand gegen die Konstruktion der verdoppelten Negation. Analytisch scheint die Unterscheidung dessen, was möglich ist, von dem, was wirklich ist, durchführbar. Aber darum allein geht es hier nicht, vielmehr darum, ob sich psychische oder soziale Systeme faktisch an dieser Unterscheidung orientieren können. Man könnte, da jedenfalls von der Seite des Außen- bzw. Wirklichkeitsbereichs her gesehen eine Herauslösung seiner Möglichkeit als undenkbar erscheint, diese Trennung so zu verstehen versuchen, daß der Innenbereich die bloße Möglichkeit von Inhalten, der Außenbereich jedoch ihre Möglichkeit und ihre Wirklichkeit i n Einheit enthält — denn auch i n diesem Fall hätte man eine klare Unterscheidung zwischen Innen und Außen 5 1 . Dieser Versuch geht aber deshalb fehl, weil mit der Annahme der Sphäre der Möglichkeit als Bestandteil des Außenbereichs zugleich angenommen werden muß, daß das System bzw. das Innen sich ebenfalls i m Außenbereich identifizieren können lassen muß. Der Außenbereich wäre System plus Wirklichkeit des Systems, was der Selbstdefinition des Systems widerspräche. Versucht man daher doch von der gegenteiligen Annahme auszugehen, daß die Möglichkeit von Inhalten von deren Wirklichkeit faktisch unterschieden werden kann, dann gerät man unter Voraussetzung der 49 Vgl. G. W. F. Hegel, Logik I I , S. 24 ff.; auf L u h m a n n bezogen B. Willms, System u n d Subjekt, S. 66 ff.; G. Schmid, Systemtheorie, S. 213 f., geht noch einen Schritt weiter; seine These ist, daß Systeme bei L u h m a n n auf ausschließlich „nicht-reflexive ontische" Identitäten zurückführbar seien. 50 Z u m Verhältnis der Negationen zu den durch das System selegierten Inhalten vgl. F. Schneider, Systemtheoretische Soziologie, S. 24 ff. 51 Vgl. N. Luhmann, F u n k t i o n der Religion, S. 76.
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Innen/Außen-Trennung ebenfalls i n ein begriffliches Dilemma. Da i n diesem Fall ein alternatives Verhältnis der beiden Seiten unterstellt ist, muß nicht nur Wirklichkeit ohne ihre Möglichkeit gedacht werden können, sondern umgekehrt auch Möglichkeit, welche unter der Bedingung steht, nicht wirklich sein zu können. Möglichkeit, die von vornherein nicht wirklich sein darf, bedeutet jedoch nur eine Umschreibung für Unmöglichkeit. Durch den Reflexivitätszusammenhang des Systems auf der Basis verdoppelter Negation legt zwar ausschließlich das System für sich fest, was an außenweltlichen Ereignissen und Erlebnissen möglich ist und was nicht 5 2 , und durch diese Fähigkeit konstituiert es sich als seinen Sinn erzeugendes System. Aber durch die Verabsolutierung dieser Potenz schneidet sich das System von der Bedingung ab, auf die von i h m vorausgesetzte Sphäre wirklicher Ereignisse und Erlebnisse w i r k sam Einfluß zu nehmen. Indem es exklusiv darüber zu befinden beansprucht, was an Umwelt für es möglich ist, kann es selbst nicht darüber hinaus gelangen, ein nur mögliches System zu sein. I m Sinne der von i h m selbst prätendierten Wirklichkeit ist es endgültig unwirklich und insofern unmöglich. (3) Die Frage ist, welcher systematische Schluß aus diesen Feststellungen über die Konzeption der Begriffe des Sinns und des Systems bei Luhmann zu ziehen ist 5 3 . Sicher nicht der, die Konzeption insgesamt für obsolet zu erklären oder das System, weil es seine eigene Unmöglichkeit unterstellt, für eine bedeutungslose oder auch nur unplausible Konstruktion zu halten. Z u m einen ist nicht ausgemacht, daß die Systematik der Grundbegriffe Luhmanns nicht trotz oder sogar wegen ihrer spezifischen Widersprüchlichkeit eine Ausdrucksform für den durch sie thematisierten sozialen Gegenstandsbereich darstellt, die dem Gegenstand i n bestimmter Weise angemessen ist 5 4 . Zum zweiten sind die zentralen begrifflichen Momente, auf denen Luhmanns Grundbegriffe aufgebaut sind, insbesondere die der Reflexion durch doppelte Negie52
Vgl. N. Luhmann, Systemtheoretische Argumentationen, S. 311 f. Vgl. K . O. Hondrich, Systemtheorie, S. 8 f., u n d Systemanalyse, S. 234 ff. Hondrich, der an Luhmanns Systembegriff kritisiert, daß dieser letztlich i n eine Tautologie zusammenfällt (vgl. Systemtheorie, S. 8), schlägt vor, durch die Bezugnahme auf Bedürfnistheorie u n d Politische Ökonomie zur i n h a l t lichen Ausfüllung u n d Spezifizierung systemischer Bestandsprobleme zu gelangen. Aber das hieße, die Systemkonzeption Luhmanns u m genau solche inhaltlichen Prinzipien zu ergänzen, durch deren A b s t r a k t i o n sie wesentlich charakterisiert ist (vgl. n u r N. Luhmann, F u n k t i o n u n d Kausalität, S. 11 ff.; ders., Rechtssoziologie, S. 13 ff.). 54 Vgl. etwa B. Willms, Funktion, S. 38: „Es ist die Theorie, die der historischen E n t w i c k l u n g u n d dem gegenwärtigen Stand einer hochindustrialisierten Massengesellschaft entspricht, m i t hohem Stand der Technologie u n d relativ hohem Grad allgemeiner Rationalität u n d relativ hohem Grad allgemeinen Bewußtseins." 53
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rung, die System/Umwelt-Relation und die i n der subjektiven Intention verankerte Konstituierung von Sinn, zu eng m i t philosophie- und wissenschaftsgeschichtlichen Traditionen ebenso wie m i t dem gegenwärtigen soziologischen Diskussionszusammenhang verknüpft, als daß eine pauschale Erledigung ihrer K r i t i k sinnvoll erscheinen könnte. Die Einwände, die die von Luhmann vorgelegte Systematik der Sinn- und Systemkonzeption kritisieren, sollen aus dieser Systematik selbst herrühren. Man muß daher versuchen, ihren Beschreibungsrahmen so zu erweitern, daß er die Einordnung der aufgetretenen Widersprüche gestattet. Die abstrakteste Verarbeitung der Antinomien ist die, davon auszugehen, daß — da System und Umwelt unmittelbar i n der antinomischen Weise nicht existieren können — i h r Verhältnis einen Scheintatbestand bildet, der als solcher faktisch reproduziert werden kann. Geht man von dieser These aus, dann ist darin eingeschlossen, daß es sich u m ein umfassenderes Verhältnis handeln muß, von dem der scheinhafte System/Umwelt-Differenzierungsprozeß nur einen Teil ausmachen kann. Das gesamte Verhältnis muß so geartet sein, daß dieser Schein i n i h m reproduziert wird, bzw. genauer so, daß es sich vermittels der Aufrechterhaltung des Scheins reproduziert. Die These des folgenden Abschnittes ist, daß dieses scheinhafte Medium, das die Erhaltung und Entwicklung des zu unterstellenden gesamten sozialen Verhältnisses vermittelt, ein zirkuläres System von Symbolisierungsrelationen bildet. c) Sinn und Zeichen (1) Ein kurzer Rückblick auf die Tradition phänomenologisch orientierter Philosophie, an die Luhmann anknüpft, kann zur Problematik des Verhältnisses von Sinn und Zeichen hinführen. Von Husserl über Schütz zu Luhmann läßt sich eine Linie ziehen, die man als Transformation der Position phänomenologischer Erkenntnisphilosophie i n einen theoretischen Beschreibungsrahmen für den Gegenstand der Soziologie interpretieren kann. Husserl hatte noch eine reine Erkenntnisphilosophie entwickelt, keine Soziologie. Dennoch deuten sich bei i h m einige signifikante Momente an, die Luhmann später systemtheoretisch gefaßt und ausformuliert hat. Das Transzendierungsverhältnis, m i t dem Husserl die Relation zwischen erkennendem Bewußtsein und zu erkennendem Gegenstand beschreibt, hat nicht mehr wie bei Kant nur eine erkenntniskritische Funktion, u m einen absolut unerkennbaren Bereich des Dings-an-sich auszusparen. Durch den A k t der Ausklammerung (die Epoché) w i r d die Verbindung zu dem, was ausgeklammert w i r d — die „natürliche Einstellung" und die vermittels dieser Einstellung erfaßte Alltagswelt —
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nicht aufgegeben 55 . Vielmehr w i r d durch diese Ausklammerung die Erkenntnis der Gegenstände als „eidetische" Erkenntnis ihres „Wesens" erst vollständig ermöglicht 56 . Durch die Ausklammerung der i n der natürlichen Einstellung scheinbar noch unmittelbar gegebenen Alltagswelt w i r d insofern bei Husserl ein Innenbereich konstituiert und von einem Außenbereich abgegrenzt: zum einen formal als Ort der Erkenntnis, dem reinen phänomenologisch bestimmten Bewußtsein, das durch die beiden Eigenschaften ,Noesis' (die bewußtseinsimmanente intentionale Beziehung auf den Gegenstand) und ,Noema' (das bewußtseinsimmanente Vorhandensein des Gegenstandes) charakterisiert ist 5 7 , zum anderen inhaltlich als das der phänomenologischen Erkenntnis zugängliche innere Wesen jener Gegenstände. Bedeutsam für die Entwicklungslinie von Husserl zu Luhmann sind die folgenden beiden Momente, erstens die Lokalisierung des phänomenologischen Problems i m Bereich der Erkenntnis — statt wie Luhmann nachher i m Bereich des Erlebens und Handelns, zweitens die Verdopplung des Erkenntnisobjekts durch die Konstituierung eines Innenbereichs, i n dem das Objekt auf eine »innere 4 Weise gegeben ist, und eines Außenbereichs, i n dem das Objekt auf eine äußere bzw. natürliche und unmittelbare Weise vorhanden ist. Eindeutig ist die systematische Priorität bezüglich der beiden Seiten, insofern das die Außenwelt transzendierende phänomenologische Bewußtsein das ,Erste 4 , die Konstitution des Außenbereichs demnach von abgeleiteter Natur ist 5 8 . Gegenüber Husserl macht Schütz den für die Soziologie wichtigen Schritt, die Beschränkung der phänomenologischen Bewußtseins/Objekt-Beziehung auf die Problematik des Erkennens aufzuheben und die gesamte Konstellation als K e r n des „sinnhaften Aufbaus der sozialen Welt" zu betrachten. Für einen bestimmten Objektbereich, die soziale Alltags weit 5 9 , w i r d bei i h m jetzt die phänomenologische Form, Gegenstände zu konstituieren, selbst Teil dieses Objektbereichs. Die Z w i schenstellung zwischen Husserl und Luhmann kennzeichnet der Standpunkt, von dem aus Schütz den Aufbau der sozialen Welt untersucht. Die Anknüpfung an Husserl und zugleich ein Unterschied zu Luhmann liegt darin, daß Schütz den Konstitutionsprozeß der sozialen Welt aus der Sicht des einzelnen Individuums her untersucht 60 , so daß ein komplexes Ineinandergreifen zweier Ebenen phänomenologischer Gegen55
E. Husserl, Ideen, S. 65. Ebd., S. 12 f. 57 Ebd., S. 202 ff. 58 E. Husserl, Ideen, S. 118 f.; ders., Cartesianische Meditationen, S. 64 ff., S. 189; zur K r i t i k der Husserlschen Begründung eines »Ersten 4 vgl. insbes. T. W. Adorno, M e t a k r i t i k , S. 14 ff. 59 A . Schütz, Symbol, S. 362 ff. 60 Vgl. A. Schütz, Parsons' Theorie, S. 60 ff. 56
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standserfassung beschrieben w i r d : das Individuum erfährt seine soziale Umwelt i n einer durch phänomenologische Kategorien zu systematisierenden Weise, seine soziale Umwelt ist jedoch selbst durch einen je schon vorausgesetzten Prozeß strukturiert, der durch die Gesamtheit der aus ihrer phänomenologischen Sichtweise miteinander interagierenden Individuen geprägt ist. Die hierdurch insgesamt hervorgebrachte Alltagswelt der Individuen w i r d daher vom einzelnen I n d i v i duum her gesehen immer zugleich nur rekonstituiert als auch jeweils für es selbst neu konstituiert. Was außerhalb des erlebenden I n d i v i duums als soziale Alltagswelt vorhanden ist, erfaßt das Individuum intern durch einen kontinuierlichen „Erlebnisstrom", aus welchem es durch bewußte „Zuwendungsakte" den aktuellen „Sinn" seiner spezifischen Alltagserfahrung bildet 6 1 . Einen Übergang von Husserl zu L u h mann markiert deswegen auch dieser Begriff der Zuwendungsakte, da deren Leistung nicht mehr i n einem eidetischen Zugang zu den von ihnen intendierten Inhalten, sondern i n der spezifischen individuellen Selektion zu sehen ist — wenngleich noch nicht die Generalisierung der Selektivität des intentionalen Aktes wie bei Luhmann vorgenommen und i n das Zentrum der Sinnbildung gerückt wird. Die Innen/ Außen-Differenzierung hat dementsprechend bei Schütz bereits eine gegenüber Husserl wesentlich veränderte Bedeutung. Erstens ist sie in den Objektbereich soziologischer Theorie verlagert, und zweitens enthält der jeweilige Außenbereich des erlebenden Individuums selbst auf mannigfaltige Weise die Innen/Außen-Differenzierung i n Gestalt der übrigen sinnhaft interagierenden Individuen, die auf diese Weise die Alltagswelt m i t dem erlebenden Individuum gemeinsam erzeugen ebenso wie sie sie i h m jeweils voraussetzen 62 . Der Fortgang von Schütz zu Luhmann läßt sich anhand der beiden schon angedeuteten Unterscheidungsmerkmale angeben. Luhmann geht nicht mehr von dem Prozeß der Integration des individuellen Alltagserlebens i n die soziale Alltagswelt aus, sondern faßt diesen Prozeß von seinem Resultat her, indem er dieses zugleich radikalisiert. Nicht mehr die jeweils bestimmte Selektion des sich seinem kontinuierlichen Erlebnisstrom zuwendenden Individuums, sondern die allgemeine Fähigkeit, Erleben kontingent zu selegieren, konstituiert den letztlich identischen Sinn jeglichen Erlebens. Dadurch w i r d die Konstituierung soziologischer Tatbestände gegenüber Schütz systematisch neu geordnet. Durch die Verselbständigung der Selektionsfähigkeit gegenüber dem selegierten Erleben werden sowohl identische individuelle und soziale Einheiten, die Systeme, konstituiert als auch die Innen/Außen-Differenzierungen zum formalen K r i t e r i u m der Identitätsbildung ausgeformt; ob man von psychischen 61
A . Schütz, Der sinnhafte Aufbau, S. 67 ff. Vgl. J. M a t t h e s / F . Schütze, Alltagswissen, S. 17; J. Habermas, Sozialwissenschaften, S. 207 ff.; R. Bubner, Handlung, S. 25. 62
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oder sozialen Sinninstanzen ausgeht, macht i n dieser Konzeption keinen grundbegrifflichen Unterschied mehr aus. Die phänomenologische Perspektive, die Schütz noch als erkenntnistheoretische und zugleich als Sinnperspektive der Individuen interpretierte, ist von Luhmann nicht beseitigt, aber endgültig als Systemtatbestand verobjektiviert unterstellt 6 3 . Allerdings bestimmt sie auch dort noch auf charakteristische Weise die Ausgestaltung dieser Tatbestände, insofern Luhmann die sie beschreibenden Grundbegriffe auf die Innenperspektive allein bezieht. A l l e n drei genannten Positionen ist gemeinsam, daß sie die Konstitution von Erlebnisinhalten auf der Basis der Abtrennung des Innenbereichs von einem Bereich der äußeren Existenz dieser Inhalte beschreiben. Ebenfalls allen drei ist gemeinsam, daß sie die interne Beziehung auf diese Inhalte gesondert ausweisen, als noetische Intention, als Zuwendung oder als Selektion, wenn auch erst Luhmann die Ablösbarkeit und reflexive Negierbarkeit dieser Beziehung systematisch ausgebaut hat. Durch diese den Innenbereich wesentlich definierende Beziehung unterstellen daher auch alle drei Positionen eine zweifache Weise der »Gegebenheit4 der sinnhaften Erlebnisinhalte, einmal innerhalb des Innenbereichs, was allerdings kategorial nur bei Schütz und Husserl generell identifiziert ist (Erlebnisstrom bzw. Noema), zum anderen außerhalb dieses Bereichs als deren natürliche, alltagsweltliche, umweltliche etc. Gegebenheit. U n d schließlich schreiben die drei Positionen gleichermaßen dem Innenbereich die Priorität bei der Konstitution der Gegenstände, Ereignisse oder Erlebnisse gegenüber dem Außenbereich zu, obwohl sie jeweils i n irgendeiner Weise von der Vorausgesetztheit und Unmittelbarkeit dieses Bereichs ausgehen 64 . Die asymmetrische Transposition der Inhalte i n den Innenbereich bei ihrer gleichzeitigen Erhaltung i m Außenbereich erfährt bei Luhmann wegen seiner unbegrenzten Generalisierung der Selektivität der internen Inhaltskonstituierung eine vollständig formale Fassung 65 . Nicht mehr die Frage der Erzeugung bestimmter inhaltlicher Prinzipien oder Welten umschreibt seinen Untersuchungsgegenstand, sondern die Frage nach der A r t und Weise der Reduktion und Erhaltung von umweltlicher Komplexität. 63 Vgl. etwa N. Luhmann, Soziologie der Moral, S. 40; zur Übertragung des Systembegriffs aus der Erkenntnistheorie i n den Gegenstand der Erkenntnis vgl. M. T. Greven, Systemtheorie, S. 231 ff.; S. Jensen, Einleitung, S. 26 ff.; vgl. außerdem die Darstellung der Position Luhmanns i m Vergleich zu der Husserls bei L . Eley, Transzendentale Phänemonologie, S. 29 ff., S. 83 ff. 64 Vgl. J. Habermas, Sozialwissenschaften, S. 213 ff. 65 Da die erkenntnistheoretische Position Husserls, insbesondere was den eidetischen Zugang zu dem Wesen der Gegenstände anlangt, v o n L u h m a n n insoweit aufgegeben ist, bezweifelt R. Bubner, Z u r Position von Niklas L u h mann, S. 119 f., zu Recht, daß L u h m a n n sich noch begründet auf Husserls Prämissen berufen kann.
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Die häufig von Luhmann verwendete Formel der „Reduktion von K o m p l e x i t ä t " 6 6 verdeckt ihren phänomenologischen Begründungszusammenhang schon nahezu vollständig, während m i t der Ergänzung, der gleichzeitigen „Erhaltung" von Komplexität 6 7 , die ambivalente Selbständigkeit des Außenbereichs noch erkennbar bleibt. Zugleich kann m i t dieser ausführlicheren Formel die Verbindung der beschriebenen phänomenologischen Position zu ihrem semiotischen Fundament gezogen werden: (2) Welcher Mechanismus kann geeignet sein, umweltliche Komplexität dadurch zu reduzieren, daß er sie zugleich erhält? Daß es naheliegend ist, bei diesem Medianismus an ein Zeichenverhältnis zu denken, zeigt etwa folgende Vorstellung. Hat jemand ein Problem zu lösen, ohne daß sich eine offensichtlich passende und alle Aspekte des Problems abdeckende Lösung anbietet, dann empfiehlt sich für den Betreffenden, wenn es möglich ist, die Entscheidung zwischen verschiedenen Lösungsalternativen zunächst so zu treffen, daß er sie bei Bedarf, d. h. bei Auffinden einer besseren, aber bisher noch nicht bekannten Lösung, wieder umstoßen kann. U m dies zu bewerkstelligen, darf der Betreffende die Entscheidung noch nicht endgültig, sondern zunächst nur vorläufig fällen. Z u diesem Zweck bildet er am besten die sein Problem nach seiner Ansicht konstituierenden Faktoren auf einer Ebene ab, die die faktische Problemebene substituiert, etwa auf einem Zeichenbrett, und entwickelt hier den Lösungsentwurf, den er nach dem bisherigen Stand seiner Erkenntnismittel und seiner sonstigen Ressourcen für optimal hält. Fällt die Entscheidung zunächst nur auf dieser substituierenden Ebene, dann behält sich der Betreffende alle Vorteile vor, die dadurch gegeben sind, daß hergestellter Lösungsentw u r f bzw. Lösungsentscheidung und Verwirklichung der Lösung noch nicht identisch sind. Solange die beiden Ebenen noch gegeneinander disponibel sind, werden weder i h m bekannte noch i h m bislang unbekannte Lösungsentscheidungen wirklich ausgeschlossen. Trotzdem hat er die Komplexität des ,wirklichen' Problems schon — entscheidungsreif — reduziert. Zum Zweck der Erhaltung weiterer Entscheidungsmöglichkeiten vertritt die symbolische Lösung die reale Lösung. Das Verhältnis zwischen symbolischer Lösung auf der substituierenden Ebene und dem Bereich der Verwirklichung der Lösung ist allerdings deswegen nicht selbst nur eine symbolische Relation. Denn die ββ Vgl. etwa N. Luhmann, Vertrauen, S. 7; ders., Soziologische Aufklärung, S. 72 ff.; ders., Zweckbegriff, S. 176 ff.; ders., Systemtheoretische A r g u m e n tationen, S. 305 ff.; vgl. außerdem die Diskussion zwischen L u h m a n n u n d W. L o h über diese Formel i n W. Loh, K r i t i k , S. 8 ff., S. 106 ff. 67 Vgl. etwa N. Luhmann, Reform, S. 183 („Sinn leistet Reduktion u n d E r haltung von K o m p l e x i t ä t zugleich"); ders., Sinn, S. 37; ders., Systemtheoretische Argumentation, S. 309.
3 Zielcke
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Prämisse für die Erstellung der Lösung auf der symbolischen Ebene ist ja, daß diese Ebene nicht nur symbolisch, sondern faktisch von der Ebene des aufgetretenen Problems unterschieden ist, damit noch kein irreversibler Eingriff i n das reale Problemfeld stattfindet. Das Faktum dieser Differenz kann nicht i n dem Inhalt der symbolischen Ebene zum Ausdruck gelangen, es sei denn, durch die Bildung einer Metasymbolebene, die wiederum faktisch von der ersten Symbolebene unterschieden ist, usf. Das bedeutet, daß sämtliche Sekundärprobleme, vor allem die Tatsache, daß das zugrundeliegende Problem erst hypothetisch erfaßt und substituiert ist, und die Folgen, die sich aus der Tatsache der Substitution für den Betreffenden ergeben, i n der ersten Symbolebene nicht zum Ausdruck kommen, sondern erst i n der zweiten, dort aber wiederum das Tertiärproblem, daß nun das sekundäre zunächst nur substituiert ist, nicht expliziert werden kann, usf. Entscheidend ist, daß die jeweilige Symbolebene das Nachfolgeproblem, das erst m i t ihr entsteht 68 , nie selbst explizieren kann. Es mag i n den meisten Fällen eine rein pragmatische Frage sein, wo man den Regreß abbricht. Prinzipiell problematisch w i r d diese Folge erst dann, wenn sich personale und soziale Identitäten überhaupt nur noch auf diesen symbolischen Substituierungsebenen konstituieren und ihre jeweilige reale Problemebene von vornherein als Umwelt aus sich ausschließen, weil sie damit das Prinzip, wie sie ihre permanenten Folgeprobleme erzeugen, nicht mehr auf die jeweils unterstellten Ausgangsprobleme beziehen können. Das Prinzip kann sich dann nur noch verselbständigen; es kommt nicht auf die Lösung bestimmter Probleme an, sondern auf die nurmehr inhaltslose und unbegrenzte Möglichkeit von Problemlösungen überhaupt. Z u r selben Schlußfolgerung käme man, wenn man noch einmal auf die Ausgangsüberlegung zum Verhalten des betreffenden Problemsuchenden zurückgreifen und dessen Erkenntnisinteresse einfach radikal verschieben würde. Anstatt nach der unter ganz bestimmten U m ständen optimalen Lösung für sein aufgetretenes Problem zu suchen, müßte der Betreffende nur noch danach fragen, auf welche Weise das Verhältnis aller möglichen Lösungen unter allen möglichen Umständen so strukturiert werden kann, daß sichergestellt ist, daß keine, auch keine unbekannte Lösungsvariante, ausgeschlossen wird. Dann wäre klar, daß jetzt nur noch die abstrakte Bildung von solchen die reale Problemebene substituierenden Zeichenebenen und die endlose Verlängerung dieses Substituierungsprinzips als die einzige Lösung der veränderten Fragestellung i n Betracht kommt. Analog zu einem derart verschobenen Erkenntnisinteresse muß auch das Erkenntnisinteresse der systemtheoretischen Fragestellung bei 68
Vgl. S. Jensen, Einleitung, S. 43: „Systembildung ist ein generativer Prozeß der Erzeugung von Folgeproblemen."
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Luhmann 6 9 , insbesondere i n Bezug auf die implizite Rolle, die hierin die Symbolisierung spielt, unterstellt sein. Die Ausformulierung dieser Vorüberlegungen und ihr Einbau i n die bisherige Analyse sieht n u n folgendermaßen aus: Das Charakteristische der phänomenologischen Position i n der Version der Systemtheorie Luhmanns ist, daß sie nicht die Außenwelt auf die Innenwelt des Systems reduziert, sondern diese Reduktionsbeziehung selbst thematisiert. Die Beziehung kann einerseits wegen der inhaltlichen Beliebigkeit der jeweiligen Innen/Außen-Differenzierung nur formaler Natur sein, muß aber andererseits psychische oder soziale Verhältnisse strukturieren können. Die Unterstellung einer rein analytischen oder logischen Beziehung genügt nicht. Das Problem setzt sich i n Bezug auf das Verhältnis der den Innenbereich kennzeichnenden Negationen fort und verschärft sich dort insofern, als schon begrifflich die Rückbeziehung der Negation auf sich selbst ohne eine ihre Differenzierung herstellende Vermittlungsinstanz nicht vorstellbar ist. Der Negativitätszirkel eignet sich daher, das Problem auszuführen. Jene Vermittlungsinstanz muß, u m den Zirkel der Negationen zu ermöglichen, zwei Bedingungen erfüllen. Sie muß erstens die Möglichkeit der Rückbeziehung dadurch erzeugen, daß die Negation sich von sich selbst unterscheiden kann, ohne ihre Identität zu verlieren, also durch eine hinzutretende Stellvertretung ihrer selbst. Schließlich muß sie die beiden hierdurch erzeugten Formen der Negation so miteinander i n Beziehung setzen, daß sie sich gegenseitig wechselweise als Objekt- und Metanegation verhalten. Es ist ersichtlich, daß die geforderte A r t der Verdopplung der Negation und die geforderte Objekt- und Metaebenendifferenzierung innerhalb des Negationszirkels nur erfolgen kann, indem Negation und Zeichen der Negation von einander unterschieden und zueinander i n reflexive Beziehung gesetzt sind. Die zweite Bedingung, welche die Vermittlungsinstanz zu erfüllen hat, ist, den Bezug des internen Negativitätszirkels auf den i n eine externe Sphäre verwiesenen Inhalt zu erhalten, obwohl dieser Bezug unbegrenzt va69
I n Luhmanns Bestimmung der Funktionalen Methode k o m m t dies am deutlichsten zum Ausdruck. Der „eigentliche Sinn der funktionalen Methode" (Funktionale Methode, S. 35) liegt nicht darin, festzustellen, welche Mechanismen bestimmte Systemprobleme lösen, sondern darin herauszufinden, welche äquivalenten Problemlösungsmechanismen zur Verfügung stehen (vgl. a.a.O., S. 14 ff.). M i t wachsendem Abstraktionsgrad des Bezugspunktes, nach dem sich die Äquivalenz bemißt, werden die Äquivalenzkriterien entsprechend abstrakt, i n Bezug auf die allgemeine System/Umwelt-Bestandsformel schließlich unbestimmt. Vgl. hierzu H. J. Krysmanski, Soziologie des K o n flikts, S. 33, der die Verschiebung des Interesses von „adäquaten" Problemlösungen auf n u r „mögliche", „äquivalente" Problemlösungen als Folge von Herrschaftsstrukturen deutet; vgl. außerdem W. Schmidt, Aufklärung, S. 345; H. Grünberger, Organisation, S. 199 ff.; A . Zielcke, System u n d funktionale Methode, S. 113 ff. *
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riabel sein soll. Auch hier ist ebenso ersichtlich, daß dieser interne kontingente Bezug auf den externen Inhaltsbereich nur durch Zeichenvermittlung hergestellt werden kann. Da beide Bedingungen ein und dieselbe Weise der Konstituierung des Innenbereichs betreffen, ist anzunehmen, daß sie einen einheitlichen Mechanismus der Zeichenbildung umschreiben. Darüber hinaus läßt sich, schon bevor der Zeichenmechanismus i m einzelnen beschrieben ist, schließen, daß die Zeichenbildung nicht nur einen Beitrag zur Konstitution des Negationszirkels leistet. Vielmehr muß auch umgekehrt gelten, daß durch den negativen Zirkel das, was systemtheoretisch unter Zeichen zu verstehen ist, erst konstituiert wird. Dafür sprechen zwei Überlegungen, eine abstraktere und eine konkretere. Zum einen muß dies gelten, weil die rückbezügliche Identität, die m i t der Anwendung der Negation auf sich selbst unterstellt ist, die allgemeinste Form absoluter Reflexivität darstellt, jeder konstitutive Bestandteil daher nur dann dem Zirkel immanent ist, wenn er zugleich m i t diesem konstituiert wird. Zum anderen ergibt sich die Gleichursprünglichkeit des Negationszirkels und der Zeichenrelation auch bei näherer Betrachtung ihres Zusammenhanges. Die Differenz von Negation und Metanegation w i r d durch die Differenz von Negation und dem Zeichen einer Negation ermöglicht. Die Nicht-Identität der beiden Negationen ist andererseits aber dasjenige negative Verhältnis, das die beiden Negationen (zirkulär) miteinander identifiziert. Das heißt, daß die Differenz implizit zugleich die Bezeichnungsrelation als auch die Negationsrelation darstellt, implizit also Negation und Zeichen dasselbe bedeuten. Die Paradoxie des Negationszirkels läßt sich insofern unter Einschluß des Zeichenverhältnisses so formulieren: Negation und Zeichen der Negation müssen ausdrücklich voneinander verschieden sein, u m die Ebenen als Voraussetzung der Rückbezüglichkeit auseinanderzuhalten. Implizit aber müssen Negation u n d Zeichen der Negation ein und dieselbe Differenzierungsrelation bilden, die es erlaubt, zwei differente Seiten trotz ihres Unterschiedes miteinander zu identifizieren. Negiert man, so stellt man eine Bezeichnungsrelation zu dem Negierten her, bezeichnet man, so negiert man das Bezeichnete i m plizit 7 0 . 70 Das heißt nicht, daß Negation n u r sinnvoll i n Bezug auf sprachliche Zeichen oder Sätze zu definieren ist, da jedenfalls i m Rahmen der Systemtheorie Negationsleistungen auch i n vorsprachlichen Bereichen identifiziert werden können, allerdings n u r dann, w e n n diese Bereiche ebenfalls auf Zeichenbasis strukturiert sind; vgl. zur Kontroverse über die Fundierung des Negationsbegriffs i m sprachlichen oder vorsprachlichen Bereich N. Luhmann, Sinn, S. 71; J. Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 187 f.; i n ,Systemtheoretische Argumentationen', S. 303, widerspricht L u h m a n n allerdings explizit der oben aufgestellten These: „Sinnhaftes Erleben . . . beruht auf Fähigkeiten des Negierens . . . , die vorsprachliche Wurzeln
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(3) Unterscheidet man n u n entsprechend der Unterteilung der beiden Bedingungen, die das Zeichenverhältnis für die Konstitution der systemischen Innenperspektive zu erfüllen hat, zwischen dem inneren und unmittelbar die Konstituierung der Zeichen selbst betreffenden Bereich und der Beziehung der Zeichen auf den durch sie vermittelten äußeren Objektbereich, dann findet man die Eigenschaften vor, welche üblicherweise zur Bestimmung der Zeichen/Zeichenobjekt-Relationen herangezogen werden, die innere Beziehung Zeichen/Zeichenbedeutung (Intension), die äußere Beziehung Zeichen/Zeichenobjekt (Extension) und die analytische Unterscheidungsmöglichkeit einer semantischen, syntaktischen und pragmatischen Sphäre 71 : Für diejenigen systeminternen Zeichen, die die Objekte der Außenwelt innerhalb des Systems repräsentieren, folgt die Unterscheidung von Intension und Extension 7 2 aus der Tatsache, daß m i t der reflexiven Verdopplung der Negation eine Verdopplung des systemischen Bezugs auf die Inhaltsmomente der Außenweltobjekte einhergeht. Es muß sich eine innere Inhaltsbeziehung von einer äußeren trennen lassen. Zum einen bildet die Verbindung der Zeichen zu den außerhalb des Negativitätszusammenhangs unterstellten Objekten die extensionale Bedeutungsbeziehung der Zeichen. Denn jedes Objekt erscheint aus der Innenperspektive wegen seiner externen und unmittelbar nicht-negativen Gegebenheit als das positiv vorhandene und selbständige (Referenz-)Objekt der internen Bezeichnung. Zum anderen werden die I n haltsmomente dieser Objekte infolge des Reflexivitätszusammenhangs intern absolut variabel verknüpft. Dadurch erhalten die Inhaltsmomente erstens eine virtualisierte Form innerhalb der internen Verknüpfungsmöglichkeiten der Zeichen. Zweitens stellt die interne Verknüpfung von Zeichen mit den Inhaltsmomenten auch erst die Bedinhaben u n d aller Zeichenbildung bereits vorausgesetzt sind." Vgl. zur zeichenvermittelten K o n s t i t u t i o n der Negation i m übrigen die Diskussion über L u h manns bereits zitierte Vorlage »Negation4 bei H. Weinreich (Hrsg.), Positionen der Negativität, S. 503 ff.; vgl. außerdem E. Tugendhat, Die sprachanalytische K r i t i k , S. 483 ff.; ders., Einführung, S. 517 ff. 71 I m folgenden werden die Ausdrücke »Zeichen' u n d ,Symbol' synonym verwendet. 72 Die Unterscheidung der beiden Ausdrücke, so w i e sie i m folgenden gebraucht werden, weicht von derjenigen, die Carnap (Bedeutung, S. 21 ff.) vorgeschlagen hat, insoweit ab, als Carnap unter „Eigenschaft", die die I n t e n sion eines Prädikators bestimmt, etwas „objektiv-köperliches" (a.a.O., S. 21; vgl. auch S. 25 f.) versteht, während hier die Frage, inwiefern die zugeschriebene Eigenschaft der bezeichneten E n t i t ä t »objektiv' zukommt, unentschieden, d. h. f ü r die Definition von »Intension' irrelevant bleibt. Ausschlaggebend ist nur, daß systemintern eine derartige Zuordnung von E n t i t ä t u n d Eigenschaft vorgenommen w i r d , aus welchen Gründen auch immer. I n dieser Weise lassen sich diejenigen Definitionen interpretieren, die — w i e etwa W. K . Essler, Analytische Philosophie I, S. 104 — die Intension eines Ausdrucks allgemein m i t „den Regeln zum Gebrauch dieses Ausdrucks" identifizieren.
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gung dafür dar, daß die einzelnen Zeichen einem bestimmten Außenobjekt zugeordnet werden können, insofern durch die interne Festlegung eines Zeichens auf einen virtuellen Inhalt dasjenige äußere Objekt überhaupt erst identifiziert, d.h. selektiv bestimmt wird, auf welches sich das Zeichen beziehen soll. Diese innere Inhaltsbeziehung des Zeichens bildet daher dessen Bedeutung i m engeren Sinn bzw. dessen Intension. Neben dieser semantischen Dimension lassen sich entsprechend die syntaktische und die pragmatische Dimension des Systems benennen. Die Identifizierung der syntaktischen Dimension des systemischen Zeichenbildung w i r f t unmittelbar keine Probleme auf. Da die jeweiligen konkreten semantischen Zeichen/Außenwelt-Beziehungen selektiv und negierbar sind, muß sich die für die Identität des Systems gegenüber dem Außenbereich geforderte konsistente Systematik der Bestimmungen des Systems i n einer rein formalen Systematisierbarkeit der Zeichen untereinander niederschlagen. Deren genauer Ausgestaltung w i r d hier nicht nachgegangen, zumal sie je nach Entwicklungsstufe der internen Ausdifferenzierung des Systems verschieden ausfallen muß. Schwieriger ist die Lokalisierung der pragmatischen Dimension 73 . I n einer engeren Bedeutung kann man unter der pragmatischen Dimension der systemischen Zeichenbildung verstehen, daß das System bestimmte Zeichen oder Verknüpfungen von Zeichen gezielt einsetzen kann, um damit bestimmte Effekte i n seiner Umwelt zu bewirken. I n dieser Hinsicht w i r d das System als Gebilde unterstellt, das gegenüber der Verwendung von Zeichen abgeschlossen ist und über diese wie technische M i t t e l zur Realisierung einzelner Zwecke, sei es mit instrumenteller oder expressiver Intention, verfügt. Gegenüber dieser engeren Bedeutung, die man, i n Anlehnung an die sprachtheoretische Terminologie, die performative' 7 4 pragmatische Dimension nennen kann, berücksichtigt die weitere Bedeutung, daß das System Zeichen nicht nur gebraucht bzw. mit ihnen einzelne Handlungen vollzieht, sondern selbst zeichenhaft konstituiert ist. I n dieser Hinsicht fällt demnach die pragmatische Dimension der Zeichen m i t der Konstitution des die Zeichen Anwendenden, dem System, zusammen. M i t der Einheit von System- und Zeichenbildung ist eingeschlossen, daß die pragmatische 73 Ob es überhaupt sinnvoll ist, ,Pragmatik 4 i m H i n b l i c k auf Einzelsysteme statt auf intersubjektive Relationen zwischen Einzelsystemen zu beziehen, soll an dieser Stelle nicht entschieden werden (zur entsprechenden Problem a t i k bereits i n Morris Definitionen der pragmatischen Dimension; vgl. D. Wunderlich, Linguistik, S. 317 f.; vgl. außerdem J. Habermas, Sozialwissenschaften, S. 152), da dies eine K r i t i k des monologischen Status, die Systeme i n der grundbegrifflichen Konzeption bei L u h m a n n haben, voraussetzen w ü r d e (vgl. hierzu unten I I . 1. a)). 74 Vgl. J. L . Austin, Sprechakte, S. 33 ff.; D. Wunderlich, Linguistik, S. 323.
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Dimension i n diesem weiteren Sinn diejenige Dimension ist, die die beiden anderen Dimensionen trägt. Wegen der unterstellten Identität der pragmatischen Dimension der systemischen Zeichenbildung m i t der Selbstkonstituierung des Systems stellt sich auch die bisherige K r i t i k an dem Systembegriff i n einem spezifischen Licht dar: Betrachtet man noch einmal die semantische Dimension der systemischen Zeichen, so fragt es sich, welche Beschaffenheit die äußeren Objekte der Bezeichnung haben müssen. Die A n t wort, daß sie positiv gegebene und insoweit wirkliche Gegenstände sind, die zusammen die Außenwelt des Systems bilden, vermag die Frage nicht zu erledigen. Denn wie sollen solche Objekte bezeichnet werden können? Diese Möglichkeit ist zweifelhaft, weil die Gegenstände eine selbständige Existenz aufweisen sollen, obwohl zugleich ihre konkreten intensional zugewiesenen Merkmale nur kontingent m i t ihnen verbunden und nach ausschließlich internen Kriterien verteilbar unterstellt werden. Die notwendige Differenz von intensionaler und extensionaler Bedeutung und die Zuordnung der intensionalen Bestimmung i n die Innen-, der extensionalen i n die Außenwelt des Systems setzt entweder solche Objekte voraus, die verschieden voneinander, oder solche, die alle miteinander identisch sind. N u r i m ersten Fall gibt es die Möglichkeit, überhaupt begründet inhaltlich unterschiedliche intensionale Bedeutungszuweisungen vorzunehmen, i n diesem Fall aber ist Intension nicht mehr eindeutig von Extension unterscheidbar. I m zweiten Fall ist diese Eindeutigkeit gewährleistet, aber die intensionale Differenzierung ohne Sinn, abgesehen davon, daß dann die Voraussetzung selbständig existenzfähiger Objekte h i n wegfällt. W i l l man daher an der Unterscheidung der beiden semantischen Dimensionen für die Systemkonstituierung festhalten, scheint es nur eine Möglichkeit zu geben, dem Problem der Alternative zu begegnen. Man muß annehmen, daß die Gegenstände der Außenwelt nur auf der Oberfläche wirkliche und selbständige Objekte sind, die bezeichnet werden, implizit aber selbst nichts anderes als wiederum Zeichen darstellen, die ihrerseits bezeichnet werden können 7 6 . Denn bei dieser Annahme braucht die Alternative bzgl. der Objekte, entweder selbständig und inhaltlich bestimmt zu sein oder nicht, nicht als wirklicher Gegensatz, sondern n u r als die dem Zeichenverhältnis immanente Differenz zwischen Zeichen und Zeichenbedeutung begriffen zu werden. 75 Vgl. E. Tugendhat, Einführung, S. 481 ff.; ders., Definition der Wahrheit, S. 194 ff.; W. Stegmüller, Wissenschaftliche Erklärung, S. 248 ff., S. 267 ff.; R. W. Trapp, Analytische Ontologie, S. 116 ff.; F. v. Kutschera, Sprachphilosophie, S. 325 ff.; außerhalb der analytischen Sprachphilosophie außerdem C. S. Peirce, Schriften, Nr. 5.307, 5.314 (S. 217 f., S. 223 f.); E. Cassirer, Symbolische Formen, S. 9 ff., S. 48; J. Habermas, Logik, S. 188 ff.; ders., Hermeneutik, S. 127 ff.
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Das hieße, daß das zeichenkonstituierte System seine Außenwelt ebenfalls als bereits zeichenhaft vermittelt voraussetzt 76 . Die systeminternen Zeichen würden also lediglich explizit ausdifferenzieren, was implizit auch für die bezeichneten Außenweltobjekte zuträfe, nämlich selbst — wenngleich i n scheinbar unmittelbarer Einheit — Zeichen und Zeichenbedeutung als Konstituentien zu enthalten. Tatsächlich ergibt sich dieser Schluß auch aus einer allgemeineren Überlegung zum systemischen Zeichenverhältnis. Da die inhaltliche Beziehung von Zeichen und dem durch die Intension des Zeichens definierten äußeren Objekt infolge der reflexiven Negativität des Zusammenhangs von Zeichen und Bedeutungszuordnung absolut variabel ist, ist das definierte Objekt i n dieser Beziehung ebenfalls absolut austauschbar. Das aber heißt, daß es n u r stellvertretend für alle möglichen Objekte i n dieser Position auftaucht, m i t h i n selbst nur ein Zeichen für beliebige andere Objekte darstellt. Systemische Zeichen bezeichnen demnach immer nur weitere Zeichen, entweder explizit durch die Bildung von Metazeichenebenen oder implizit durch Bezeichnung von wirklichen' Objekten, deren Wirklichkeit relativ zu dem es bezeichnenden Zeichen lediglich darin besteht, die Elemente des Zeichens i n unmittelbarer Einheit zu erhalten, was den Anschein ihrer Äußerlichkeit und Vorausgesetztheit bedingt. Damit läßt sich für beide Gruppen von Zeichen, auf denen das System aufgebaut ist, den auf den internen Zusammenhang beschränkten Zeichen (wie dem der Negation) und den die Außenwelt bezeichnenden Zeichen, gleichermaßen festhalten, daß ihre semantische Dimension durch die Form von Zirkularität geprägt ist, welche die pragmatische Dimension vorgibt 7 7 . Außerdem folgt hieraus die Bestätigung dafür, was i m Anschluß an die Vorbetrachtung über das i n Luhmanns Systemkonzeption enthaltene mögliche Erkenntnisinteresse gesagt wurde. Dieses Erkenntnisinteresse kann nicht darauf gerichtet sein, Prozesse von Problembewältigungen psychischer und sozialer Identitäten bis zu ihrem jeweiligen Ende, d. h. Erfolg oder Fehlschlag, zu erfassen. Stattdessen erfaßt diese Konzeption ausschließlich die die Lösung symbolisierende Vorstufe, ohne deren Ergänzungsbedürftigkeit zu berücksichtigen. Die Vorstufe, die Erzeugung und Erhaltung beliebiger Entscheidungsmöglichkeiten, w i r d als hinreichende Bedingung der Gesamtbewältigung fingiert. Die auf diese Weise eingeschlossene Lücke 76 Hierauf zielt w o h l auch F. Schneiders Charakterisierung des Systems bei N. L u h m a n n „als eines hermeneutischen Zentrums" (Systemtheoretische Soziologie, S. 28; überhaupt S. 26 ff.). 77 Die Rückführung der Semantik auf die pragmatische Dimension, die K . O. A p e l v o r n i m m t , k a n n m a n daher an Luhmanns Grundbegriffen nachvollziehen, bis h i n zu der Folgerung, daß das Subjekt dieser Pragmatik n u r transzendentaler N a t u r sein k a n n (vgl. etwa Kommunikationsgemeinschaft, S. 407 f.).
2. Das E r w a r t e n
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der Problembewältigung auf der Ebene der Problementstehung determiniert die spezifische Antinomie dieser Systematisierung: Bezieht sich die Bedeutung der Zeichen, die das System zu seiner Ausdifferenzierung aus der Umwelt und zugleich zu deren Erfassung bildet, letztlich auf beliebig bestimmbare Zeichen (was dasselbe besagt wie: die Bedeutung der Zeichen ist es letztlich, überhaupt eine Bedeutung zu haben), dann ist das hierdurch konstituierte System selbst nur ein Zeichen für ein System, dem keinerlei als solches bezeichenbares Objekt entspricht. Infolgedessen erklärt die Form der systemischen Sinnerzeugung, die durch die reflexive Zeichenbildung hervorgebracht wird, inwiefern das System nicht nur die Möglichkeit einer Umwelt, sondern die Welt aller Möglichkeiten als seinen Sinn beanspruchen kann. Die Bedeutungsmöglichkeiten der Zeichen sind unbegrenzt, w e i l die Bedeutung jedes Zeichens auf die Möglichkeit einer Bedeutung begrenzt ist. Da somit die Welt aller Möglichkeiten dem System nur dadurch zur Auswahl offensteht, daß es sowohl diese Welt als auch die jeweilige Sinnselektion aus dieser Welt nur symbolisch konstituiert 7 8 , ohne das je symbolisierte Substrat für sich erreichbar konstituieren zu können, verkörpert das System das Symbol eines transzendentalen Subjekts 7 0 , welches sich selbst aus der von i h m unterstellten Welt seiner Realisierung heraushält. 2. Das Erwarten Die Kennzeichnung sozialer Tatbestände auf der Grundlage einer Symbolvermittlung ist ein fester Bestandteil der heutigen sozialwissenschaftlichen Diskussion 1 . Erkennt man jedoch den Begriff des Zeichens als fundamentales und letztlich ausschlaggebendes Paradigma eines gesellschaftlichen Zusammenhanges an, so wie es Luhmanns Theorie unterstellt, dann ist die Behauptung seiner spezifischen Widersprüchlichkeit für die diesem Zusammenhang angehörenden Individuen bedeutsam. Denn wenn man Individuen als derartige Systemeinheiten 78
Vgl. J. Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 159. Vgl. G. Schmid, Systemtheorie, S. 215; W. Oelmüller, Deutung des M e n schen, S. 109 f., behandelt hingegen Luhmanns System als Beispiel „ n i c h t transzendentaler" Sub j ektivität. 1 (Auch w e n n sich k a u m auf einen einheitlichen Nenner bringen läßt, was unter dem Begriff »Symbol· bzw. ,Symbolvermittlung' i m H i n b l i c k auf die Konstituierung psychischer oder sozialer Tatbestände zu verstehen ist; vgl. n u r G. H. Mead, Geist, S. 81 ff.; T. Parsons, Sozialstruktur, S. 39; ders., Social System, S. 5 ff., S. 543 ff.; A . L. Strauss, Spiegel u n d Masken, S. 161 ff.; E. Leach, K u l t u r , S. 45 ff.; U. Eco, Zeichen, S. 108 ff.; E. Goffmann, Encounters; L. Krappmann, Soziologische Dimensionen; A . Schütz, Symbol, S. 237 ff.; A . Cicourel, Methode, S. 277 ff.; J. Piaget, Theorien, S. 220 ff.; P. Watzlawick u.a., Menschliche K o m m u n i k a t i o n , S. 22ff,; C. Cherry, Kommunikationsforschung, S. 14 ff.; J. Matthes / F. Schütze, Alltagswissen, S. 11 ff.) 79
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I. Subjektives System
betrachtet, dann gilt für sie das, was allgemein für das sinnkonstituierende System gilt, nämlich nur Symbole für individuelle Identität darzustellen, denen eine unterstellte ,wirkliche' und bestimmte Identität fehlt. Ausschließlich zeichenhaft konstituierte Individuen distanzieren sich implizit von ihrer Realität zugunsten einer von ihnen uneinholbaren ,Bedeutung'. Das heißt permanente implizite Selbstverneinung und grundsätzliche Abwertung der jeweils aktuell gewählten und vorgefundenen Realisierung. Zeichenhaft konstituierte Individuen müssen trennbar und austauschbar bleiben gegenüber dem, was sie an Möglichkeiten repräsentieren. Und trotz dieser kontinuierlichen Disqualifizierung persönlicher und einmaliger Objektivierung besteht für das Zeichen-Individuum gleichzeitig die Unmöglichkeit, seine andauernde aktuelle Entsagung generell anders als sublimiert, also selbst wieder nur zeichenhaft und so auf einen immer stärker mystifizierenden Horizont verweisend, zu interpretieren. Zwar eröffnet die Negativität dem Zeichensystem-Individuum als geschlossene Reflexionsform eine abstrakte Möglichkeit individueller Selbstbestätigung. Aber als Bestätigung seiner selbst ist sie dem Individuum nur dadurch möglich, daß es sich nicht m i t seinen realen Konditionen identifiziert, sondern deren Verfügbarkeit durch Selbstnegierung konsequent herstellt und aufrechterhält 2 . Allerdings suggerieren solche Aussagen über die Antinomie der Selbstverwirklichung der betreffenden Individuen womöglich eine Klarheit und Eindeutigkeit ihrer Beschreibbarkeit, die gerade infolge ihrer charakteristischen Eigenart nicht möglich ist. Die Gefahr besteht, daß man sich auf Paraphrasierungen des Zeichenverhältnisses verlegt, die letzten Endes nicht mehr enthalten, als dessen tautologischen Kern zu wiederholen, und die insofern der sachlichen Unernsthaftigkeit stattgeben, welche i n der Selbstverleugnung des Zeichen-Individuums gegenüber seiner für es indifferenten inhaltlichen Bedeutungsbeziehung liegt. Der K r i t i k des Zeichensystems stellt sich daher die Schwierigkeit, i h m methodologisch gerecht zu werden, ohne den Anschein seiner Suprematie über seine jeweiligen empirischen Bedingungen zu perpetuieren, ohne also jedes konkrete Problem wegen der unbegrenzten Abstraktionspotenz der Negativität des Zeichenverhältnisses auf den Nachweis der Tautologie oder des Widerspruchs zu verkürzen. Der erste Schritt über die K r i t i k der Grundbegriffe hinaus führt zur Analyse des Begriffs der Erwartung bei Luhmann. 2 Zwischen diesen Aussagen u n d der K r i t i k des Kapitalverhältnisses bei M a r x läßt sich eine Verbindung herstellen, wenn man den Zeichencharakter des Geldes bzw. der Waren als grundlegenden Ausdruck des gesellschaftlichen Verhältnisses der Warenbesitzer zueinander sieht. Dem k a n n hier nicht nachgegangen werden. Vgl. den entsprechenden Ansatz bei M. Heinen, A r beitswertlehre, bes. S. 423 f.
2. Das E r w a r t e n
a) Der Begriff
des Erwartens
und das Verhältnis
43
von ,Sein und Sollen'
Die Tatsache, daß sich das System durch die Form seiner Sinnkonstituierung eine Umwelt erzeugt, die es allein auf der Basis der Sinnbildung nicht so bestimmen kann, wie es dem Anspruch dieses Prinzips entspräche, beweist die A r t und Weise des Anpassungsverhaltens des Systems gegenüber seiner Umwelt, die es durch Ausbildung der Erwartungseinstellung entwickelt. Luhmann begründet die Ausbildung dieser Einstellung zunächst allgemein wie folgt: „Gewisse Erlebnis- u n d Verhaltensprämissen, die gute Selektionsleistungen ermöglichen, werden zu Systemen zusammengestellt u n d relativ enttäuschungsfest stabilisiert. Sie gewährleisten eine gewisse Unabhängigkeit des Erlebens von momentanen Eindrücken, Instinktauslösern, Reizen u n d Befriedigungen u n d ermöglichen damit auch zeitlich gesehen Selektion i n einem weiteren, alternativenreicheren Horizont von Möglichkeiten. Techniken der Abstraktion wiederholt brauchbarer Regeln, der Selektion dazu passenden Erlebens u n d der Selbstvergewisserung treten teilweise an die Stelle unmittelbarer Bewährungen u n d Erfüllungen. A u f dieser Ebene der Steuerung selektiven Verhaltens können Erwartungen i n bezug auf die U m w e l t gebildet u n d stabilisiert werden 3 ."
M i t dem Begriff des Sinns wurde die freie Möglichkeit der Selektion von Umweltereignissen von Luhmann als Basisleistung des Systems definiert. Nun soll zwar nicht die Negation, die die System/Außenwelt-Abgrenzung konstituiert, aber doch die hierdurch hervorgebrachte Umwelt bzw. deren Zeitabhängigkeit „Möglichkeiten definitiv eliminieren" 4 . Da somit das System nicht umhin kommt, durch seine Erlebnisselektionen jeweils mit einem bestimmten Inhalt der Umwelt i n Beziehung zu treten, und bei aller Freiheit, auch anders erleben zu können, der Entscheidung für einen bestimmten Inhalt nicht entrinnt, muß es versuchen, m i t dieser Einschränkung sein allgemeines Vermögen freier Selektion neu zu verknüpfen. Einen solchen Schritt unternimmt es durch die Bildung von Erwartungen. Indem es bestimmte Umweltkonstellationen erwartet, konzentriert es seine Selektionsfreiheit nicht mehr vordergründig auf die Auswahl aktueller Erlebnisse, sondern auf die Wahl genereller Orientierungsmaßstäbe, vor deren Hintergrund aktuell eintretende Ereignisse dann von i h m eingeordnet werden können. Was zuvor bei der einfachen Sinnbildung eine ständig implizierte, aber auch unkontrollierbare Möglichkeit war, erscheint jetzt durch die Vorstrukturierung eines festen i n der Umwelt erwarteten Inhaltszusammenhangs räumlich und zeitlich begrenzbar: das System kann durch bestimmte aktuelle Ereignisse enttäuscht werden. I m Begriff der Erwartung und dem der Enttäuschung scheint daher anerkannt zu sein, was i n der subjektiven Negativität des Sinns fehlte, 3 4
N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 31. N. Luhmann, Sinn, S. 36.
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I. Subjektives System
die selbständige und die Selektion des Systems mitdeterminierende Bestimmtheit des außenweltlichen Inhalts. Die Enttäuschung unterstellt den Vergleich zweier Maßstäbe ein und desselben Inhalts, eines subjektiven und eines schließlich ausschlaggebenden (und insofern »realen') Maßstabes. Es gibt jetzt die Möglichkeit, falsch oder richtig selegiert zu haben. Aber das Charakteristische und Folgerichtige der Rechtssoziologie Luhmanns ist, daß sie auch an dieser Stelle, dem Begriffspaar Erwartung und Enttäuschung, bei der die systemfremde Konstituierung des Systembestandes — und nicht nur der Außenwelt — scheinbar m i t den Händen zu greifen ist, unbeirrt an der ausschließlich systeminternen Perspektive des System/Umwelt-Verhältnisses festhält. Das erwartende System hat seine Erlebnisse vorausstrukturiert. Es erlebt nicht mehr nur sukzessive einander w i l l k ü r l i c h oder zufällig folgende Umweltereignisse, sondern überlagert diese weiterhin aktuell wahrgenommenen Ereignisse mit einem Inhalt, von dem es unterstellt, daß er gegenüber den momentanen Ereignissen Priorität besitzt. Diese Priorität ist keine zeitliche, vielmehr soll der erwartete Inhalt erst später eintreffen. Aber trotz zeitlicher Posteriorität w i r d dem überlagernden Inhalt das sachliche Übergewicht zugesprochen, grundsätzlich w i r d er sich durchsetzen. Das aktuelle Erleben w i r d an einem i h m involvierten nicht-aktuellen Erlebnisinhalt interpretiert, welchem eine dominierende Durchsetzungskraft unterstellt wird, so daß man begründet auf sein Eintreffen warten kann. Diese asymmetrische Relation von unmittelbarer Realität und dominanter Nichtrealität ist definierbar als ,Sollen'. M i t dieser Relation zeichnet sich ab, w o r i n der systematische Fortschritt des Erwartens gegenüber der einfachen sinnhaften Umwelterfassung zu sehen ist. Was die Negativität des allgemeinen Verhältnisse ausmachte, die einseitige selektive Dominanz des Systems über seine aktuellen Umweltbestimmungen, wiederholt sich jetzt beim Erwarten implizit innerhalb der dem System gegenständlichen Umwelt m i t den von i h m wahrgenommenen Umweltereignissen. Dort w i r d jetzt der Unterschied von gleichbleibender Systematik und unmittelbaren empirischen Daten selbst als sachliche Differenz auseinandergehalten. Das ist nichts anderes als die implizite Projektion des allgemeinen System/Umwelt-Verhältnisses i n die Umwelt hinein, eine Projektion, die — insofern sie nicht als solche bewußt vorgenommen ist — dann von dort als ,Sollen' des umweltlichen Veränderungsprozesses interpretiert werden kann. Auffallend ist, daß Luhmann die Unterscheidung von Sein und Sollen erst bei der Gegenüberstellung von kognitiven und normativen Erwartungen einführt, nicht innerhalb der Darstellung der allgemeinen Eigenschaften der Erwartungsform 5 . Dabei w i r d sich zeigen, da keiner
2. Das E r w a r t e n
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der beiden besonderen Formen sich ohne diese Unterscheidung denken läßt, daß die alternative Opposition von kognitiven und normativen Erwartungen nur eine verselbständigende Festschreibung dieser gemeinsam i n ihnen enthaltenen Dichotomie bildet. Wenn überhaupt bei Luhmann von Erwartung die Rede ist, w i r d auf das Verhältnis von Sein und Sollen rekurriert, beim allgemeinen und noch undifferenzierten Erwartungsbegriff eben n u r implizit: Die Annahme, Sein und Sollen wären nicht voneinander ableitbar 6 , vereinfacht ihre Beziehung ebenso wie die gegenteilige Annahme, weil die Problematik ihrer Beziehung darin liegt, daß beide Annahmen gelten 7 . Dies ergibt sich jedenfalls dann, wenn man die Bildung der beiden Abstraktionen dem Zusammenhang des Zeichensystems bei Luhmann zuordnet. Dafür muß man sich nur das Verhältnis des außerhalb des Zeichen-(Innen-)Systems vorausgesetzten Gegenstandsbereiches zu der innerhalb des Systems unterstellten intensionalen Bedeutungsbeziehung vergegenwärtigen. Man kann, ohne sachlich dadurch etwas zu verändern, die Konstitution der intensionalen Bedeutung eines Zeichens i n Bezug auf das Außenweltobjekt damit übersetzen, daß die Bedeutung des Zeichens für das System angibt, wofür das Zeichen ,eigentlich' steht, was es inhaltlich für es sein ,soll'. Sollen meint insofern die inhaltliche Bedeutungsbeziehung der Zeichen, so wie sie sich i n Bezug auf bezeichnete Objekte aus der Innenperspektive des Systems darstellt. Die Zeichen sind vom System her gesehen nicht durch ihre äußerliche Eigenschaft, das Zeichenmaterial, sondern nur durch das, was sie eigentlich sein sollen, inhaltlich relevant. Die beschriebene implizierte Zirkularität der semantischen Dimension bietet nun auf der einen Seite die Möglichkeit, von den jeweiligen semantischen Inhalten der Bedeutungsbeziehung absolut zu abstrahieren. Was übrig bleibt, sind Zeichen, die nur überhaupt eine Bedeu5 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 43 f.; noch nicht so eindeutig i n Normen, S. 28 ff. 6 Z u r normanalytischen Diskussion vgl. J. P. Searle, H o w to Derive, S. 43 ff.; G. J. Mavrodes, On Deriving, S. 353 ff.; E. Morscher, Searle, S. 69 ff., S. 265 ff.; R. Montague, ,Ought' f r o m ,Is', S. 144 f f.; Ν . Hoerster, Z u m Problem der Ableitung, S. 11 ff.; W. D. Hudson (Ed.), The Is-Ought-Question; G. Zecha, Prinzip der Wertfreiheit, S. 609 ff.; G. Kirchgäßner, Z u m Übergang, S. 779 ff. 7 I n der Rechtstheorie w i r d ebenfalls versucht, der D i s j u n k t i o n von Sein u n d Sollen durch B i l d u n g von Begriffen zu entgehen, die eine V e r m i t t l u n g der beiden Extreme zulassen. E i n Beispiel hierfür ist der Begriff der ,Natur der Sache' vgl. G. Radbruch, Denkform, S. 31 f.; W. Maihof er, N a t u r der Sache, S. 152 f.; G. Stratenwerth, Problem der N a t u r der Sache, S. 20 ff.; A . Kaufmann, Analogie, S. 272 ff., S. 307, oder der Begriff des ,Rechtsgutes', vegl. W. Hassemer, Theorie, S. 104 ff.; vgl. außerdem die Zusammenstellung bei P. Schneider (Hrsg.), Sein u n d Sollen. Eine entsprechende Argumentation innerhalb der Soziologie bietet Parsons i n Bezug auf die V e r m i t t l u n g von „Real"- u n d „Idealfaktoren" an (vgl. ders., Die jüngsten Entwicklungen, S. 37 f.).
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I. Subjektives System
tung, ein ,Sollen' schlechthin aufweisen. A u f der anderen Seite bleibt dann genauso generalisiert das einfache und unmittelbare ,Sein' der bezeichneten Objekte übrig, welches je m i t Anforderungen des Sollens des Innensystems konfrontiert werden kann 8 . Sowohl die Unterscheidung von Sein und Sollen als auch der völlig inhaltslose Abstraktionsgrad, mit dem diese Unterscheidung auftauchen kann, lassen sich auf diese Weise i n die Systematik des zeichenhaft konstituierten Systems einordnen. Darüber hinaus w i r d i m Rahmen dieser Systematik ersichtlich, daß weder die vollständige Trennung noch eine auf Inhalte bezogene stringente Vermittlung der beiden Pole widerspruchsfrei möglich ist. Denn die Differenzierung der beiden signalisiert ja nur das Problem der gleichzeitigen Alternativität und Identität der systemischen Zeichen- und Zeichenbedeutungsebenen. b) Kritik
des Erwartungsbegriffs
Die Möglichkeit, seine unmittelbar vorfindliche Umwelt durch Erwartungen zu strukturieren, scheint eine unabdingbare handlungs- und systemtheoretische Voraussetzung der Erlebnis- und Handlungsfreiheit des Individuums oder Systems zu sein. Beispielsweise heißt es bei Parsons: „ I t is a fundamental property of action . . . that is does not consist only of ad hoc ,responses' to particular situational ,stimuli' but that the actor develops a system of expectations' relative to the various objects of the situation 9 ." Ähnlich etwa bei Ritsert: „Soll Handeln nicht stets nur als Annex der besonderen Verhältnisse begriffen werden, soll also eine genuine Auswahl unter alternativen Handlungsmöglichkeiten, Antizipation oder sogar Beeinflussung zukünftiger Entwicklung möglich sein, dann müssen generalisierte (generalized), die Besonderheiten übersteigende Indikatoren die Handlung leiten können 1 0 ." Deutlicher als i n diesen Zitaten w i r d von Luhmann herausgestellt, daß es nicht erst die Bildung von Erwartungen ist, die Freiheit des Handelnden ermöglicht. Vielmehr ist die Grundlage dieser Möglichkeit bereits i n der Fähigkeit zur Sinnbildung zu sehen, der gegenüber die Stufe der Erwartungen dann die „Ermöglichung doppelter Selektivität" 1 1 darstellt. Einzelselektionen können auf generalisierte Vorausselektionen bezogen werden, so daß von der Intention des Systems abweichende Umweltentwicklungen sachlich eingegrenzt und dadurch einer besseren, auf handlichere Einzelprobleme zugeschnittenen Bewältigung zugänglich gemacht werden: „(Erwartungen) täuschen . . . über die wahre Komplexität der Welt und bleiben so Enttäuschungen ausgesetzt. Sie 8
Vgl. E. Cassirer, Philosophie, S. 42 f. T. Parsons, The Social System, S. 5. 10 J. Ritsert, Substratbegriffe, S. 124. 11 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 40. 9
2. Das E r w a r t e n
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transformieren auf diese Weise die permanente Überforderung durch Komplexität i n das Problem gelegentlichen Enttäuschungserlebens, gegen das dann konkret etwas unternommen werden kann. Vom psychischen System her gesehen kann man daher sagen: Sie regulieren Angst 1 2 ." Die Frage ist allerdings, ob das System die Bedingungen der Angst so für konkrete Erlebniszusammenhänge beeinflussen kann, daß man von einer Regulierung sprechen kann. Das System versucht zwar durch Erwartungsbildung die unbestimmbare Angst vor der Unbekanntheit der Umwelt i n begrenzte ,Furcht 4 vor der Enttäuschung von bestimmten Erwartungen zu transformieren 13 . Aber diese Möglichkeit setzt voraus, daß das System i n Bezug auf die Umwelt „bewährte" 1 4 Orientierungsmaßstäbe für die Auswahl und Bewertung von aktuellen Umweltereignissen auffinden kann; dies ist fraglich, weil es sich m i t der Erwartungsbildung das Problem einhandelt, ob die aktuellen Umweltereignisse die i n sie gesetzten Erwartungen systematisch überhaupt widerspruchsfrei erfüllen können: I n der Erwartungseinstellung werden die konkreten Erlebnisse zugunsten einer sie ausgerichtet durchlaufenden Selektionslinie zur relativen Unmittelbarkeit oder Partikularität (Parsons) herabgestuft und sollen dennoch zugleich die einzig möglichen Kriterien dafür sein, ob eine Erwartung zu Recht bestand oder nicht. Maßstab und Erfüllungskriterium sind i n Bezug aufeinander konzipiert, können aber nur voneinander abweichen. Was auch immer i m einzelnen aktuell erlebt wird, es soll seine für das System gültige Interpretation stets durch das erfahren, was über dessen Aktualität hinausweist. Dieses gegenständliche Differieren von ,Sollen 4 und ,Sein' der Erlebnisse berührt nicht nur das Problem der Dissoziierung von Erwartung und Erfüllung 1 5 , sondern das allgemeine wissenschaftstheoretische Problem der generalisierenden Konstituierung von partikular vorausgesetzten I n haltsdaten; zu diskutieren ist es jedoch für die Rechtssoziologie L u h manns nur i n dem spezifischen Kontext der System/Umwelt-Konzeption. I n zwei Hinsichten unterscheidet sich die Erwartung i m Prinzip von dem erwarteten Ereignis, i n zeitlicher und i n sachlicher Hinsicht. Die Erwartung bezieht sich auf ein zukünftiges Ereignis, jedenfalls solange sie besteht. Diese zeitliche Differenz w i r d i m Falle der Erfüllung, also 12
N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 41. (Die Unterscheidung Angst / F u r c h t gebraucht L u h m a n n nicht; vgl. S. Freud, Werke X I I I , S. 10.) 14 N. Luhmann, Normen, S. 30 f.; vgl. auch D. Ciaessens, Rolle u n d Macht, S. 130 ff. 15 Vgl. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 438 ff., Nr. 444. 13
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I. Subjektives System
bei E i n t r i t t des erwarteten Ereignisses, aufgehoben. Es liegt nahe, für den Fall der Erfüllung eine A r t »logische Sekunde 4 anzunehmen, i n der sich Erwartung und erwartetes Ereignis zeitlich i n Einheit befinden. Gibt man sich zunächst m i t dieser Annahme zufrieden, dann stellt sich jedoch die Frage, i n welcher Hinsicht i n diesem Zeitpunkt die „Ermöglichung doppelter Selektivität" bzw. die Erhöhung des Freiheitsgrades des Systems und seiner begründeten Orientierungschancen besteht. Hier scheint die Alternative klar: da m i t ihrer Erfüllung auf die bestimmte Erwartung verzichtet werden kann, muß man entweder auf die Stufe einfacher Sinnerfahrung zurückfallen, das hieße, wieder bloßer ,Annex 4 der besonderen Umstände 4 zu sein, oder aber eine neue Erwartung bilden bzw. die erfüllte ein weiteres M a l an die Zukunft richten. Scheidet man die erste Alternative aus, u m sich die Vorteile der Erwartungsbildung zu erhalten, bleibt nur die zweite. Aber darin ist ein grundsätzlicheres Argument eingeschlossen. Die Errungenschaft der Erwartung, die Stabilisierung von Orientierungen und die Begründbarkeit der Auswahl einzelner Erlebnisse, setzt voraus, daß nicht der Zeitpunkt der Erfüllung der Erwartung allein, sondern je darüber hinausreichende Zeitpunkte angezielt werden, damit der zeitliche Bestand der Erwartungsorientierung auch nach Erfüllung einzelner Erwartungsteile erhalten bleibt. Da wegen der Kontingenz der Umweltereignisse auch der Fall der permanenten Wiederholung einer bestimmten Erwartung nicht allein i n Betracht kommt 1 6 , bedeutet dies, einen Komplex von heterogenen Erwartungen bilden zu müssen. Demnach sind es zwei Eigenschaften, die diesen Komplex hauptsächlich auszeichnen. Erstens muß er jeweils i n möglichst großem Umfang unerfüllt bleiben, u m Bestand zu haben, sei es dadurch, daß die i n i h m enthaltenen Erwartungen möglichst abstrakt, d. h. möglichst n u r partiell erfüllbar sind, oder sei es dadurch, daß für die jeweils i n Erfüllung gehenden Erwartungen Metaerwartungen vorhanden sind, die die Ersetzung der konkret erfüllten gewährleisten. Zweitens können die verschiedenen Erwartungen dieses Komplexes untereinander inhaltlich nicht konsistent sein, da die Möglichkeit eines Systems konsistenter Erwartungen wegen der Voraussetzung der Umweltkomplexität, welche erst zur Orientierungssicherung durch Bildung von Erwartungen nötigt, entfällt. Diese beiden Eigenschaften stellen jedoch die Errungenschaft der Erwartungsbildung i n Frage. Zum einen eröffnen die Erwartungen dem System nur so weit und so lange einen erweiterten Handlungsspielraum, wie die Erwartungen gelten, also solange ihnen die aktuell erlebte Umwelt nicht entspricht. Da die Handlungsorientierung i n dem Maße gesichert ist, i n dem die Erwartungen zeitlich noch nicht erfüllt sind, kann das offengelassene Argument der ,logischen Sekunde 4 16
Vgl. N. Luhmann, Normen, S. 30.
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des jeweiligen Erfüllungszeitpunktes i n keinem Fall von großer Bedeutung für das System sein; nur als Bedingung der Möglichkeit vor ausgreifender Orientierung bleiben sie das unterstellte Erwartungsziel. Zum anderen entzieht die zwangsläufige Inkonsistenz des Erwartungskomplexes der Orientierungssicherheit den Boden. Beide Einwände führen auf das Problem der Enttäuschung. Wenn sich i n der Umwelt alles exakt so abspielen würde, wie vom System erwartet, dann entfiele nicht n u r zeitlich, sondern auch sachlich die Möglichkeit, überhaupt etwas erwarten zu können. Jeder sachliche und zeitliche Punkt, i n dem Erwartung und erwartetes Ereignis übereinstimmen, bedeutet zugleich die Unmöglichkeit, i n Beziehung auf den sachlich und zeitlich anschließenden Punkt ebenfalls eine Erwartung zu haben. Denn das würde voraussetzen, daß der Punkt i n irgendeiner Weise von der Erwartung, die i n Bezug auf i h n vorhanden ist, nicht erschöpfend erfaßt wird. Diese notwendige Differenz von Erwartung und erwartetem Ereignis gilt für beide Seiten. Weder darf die Erwartung vollständig durch ein Ereignis erfüllt noch darf ein Ereignis vollständig durch Erwartungen abgedeckt sein. Was damit nur gesagt wird, ist, daß der Fall der Enttäuschung einer Erwartung nicht nur eine Möglichkeit darstellt, die eintreten kann oder nicht. Vielmehr ist diese Möglichkeit dergestalt konstitutiv für die Erwartungsform, daß sie auch i n dem gegenteiligen Fall, der Erfüllung, nicht hinwegfallen kann 1 7 . Noch die Erfüllung muß die Differenz von Erwartung und Ereignis aufweisen, damit sowohl die Erwartung sachlich als solche identifizierbar als auch die Möglichkeit weiterer Erwartungsbildung gewährleistet bleibt. Nicht zufällig rückt wegen dieser unvermeidbaren sachlichen Differenz von Erwartung und Umwelt nicht der Fall der Erfüllung, sondern derjenige der Enttäuschung i n den Vordergrund der weiteren kategorialen Entwicklung bei Luhmann. Seine Unterscheidung von kognitiven und normativen Erwartungen nimmt keinerlei Bezug mehr auf die Erwartungserfüllung, nur auf die Enttäuschung 18 , und entsprechend „hat man sich die Entstehung von Recht aus Enttäuschungen zu denken" 1 9 . Selbst wenn man die gesonderte Identifizierbarkeit von Erwartung und erwartetem Ereignis, auch was den Inhalt der Erwartung betrifft, für selbstverständlich hält, so gilt dies doch zumindest nicht für die Folge, daß Handlungsmaximen, die auf der Basis von Erwartungen entwickelt werden, nicht auf die Erfüllung oder Befriedigung der immerhin darauf gerichteten Erwartungseinstellung, sondern auf das 17 18 19
Vgl. N. Luhmann, Sinn, S. 42. Siehe unten S. 52 ff. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 46.
4 Zielcke
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Gegenteil, die Enttäuschung h i n konzipiert werden. Weil die Konsequenz dieser Umkehrung der Gewichtung von Enttäuschung und Befriedigung gegenüber der dem erwartenden System innewohnenden Intention zwar nach dem bisher Gesagten bereits sichtbar, aber für das Folgende von besonderer Bedeutung ist, lohnt es sich, ihr noch etwas genauer nachzugehen. M i t der Ausbildung der Erwartungseinstellung macht das System einen ersten Schritt über die Stufe der allgemeinen Sinnerfahrung hinaus. Es differenziert die unterstellte semiotische Unterscheidung zwischen intensionaler und extensionaler Bestimmung der Umweltobjekte insofern aus, als es zwei verschiedene Weisen der inhaltlichen Konstituierung der Objekte unterscheidet. Die intensionale Dimension bzw. die Dimension des Sollens w i r d als generalisierender Erwartungsinhalt ausdrücklich von der gegenständlichen Extension der Objekte, i n Gestalt ihrer unmittelbar vorfindlichen aktuellen Beschaffenheit, gesondert und als deren ,eigentliche 4 inhaltliche Bestimmung vom System angesehen. Da das Verhältnis von Sollen und Sein bzw. Intension und Extension dem Aufbau des systemischen Negativitätszirkels folgt, heißt das, daß dessen implizite Projizierung i n die Umwelt zur ,immanenten Transzendenz 4 der Objekte innerhalb der Umwelt führt. Erst dieser dem System strukturell entsprechende Transzendierungszusammenhang zwischen den einzelnen Objekten gibt für das System an, inwiefern es sich m i t ihnen identifizieren, was es also für sich von ihnen erwarten kann. Die Subsumtion der Objekte unter den zwischen ihnen auf diese Weise gestifteten Zusammenhang macht die Problematik von Erfüllung vs. Enttäuschung aus. Das dem gesollten Zusammenhang inhaltlich korrespondierende Ereignis, welches also erwartet ist, kann immer n u r der Möglichkeit nach diese Erwartung erfüllen, nie inhaltlich i m strengen Sinn und nie sicher, was sein Eintreffen anbelangt. Denn es w i r d gerade dadurch, daß es dem Zusammenhang entsprechen soll, m i t der seine Unmittelbarkeit transzendierenden Möglichkeit anderer Verobjektivierungen dieses Zusammenhanges verknüpft. Deswegen gilt nicht nur, daß das als Erfüllung intendierte Ereignis inhaltliche Eigenschaften enthalten muß, die dem Charakter der Erfüllung widersprechen. Vielmehr ist hiermit auch die Umkehrung der Gewichtung von Erfüllung und Enttäuschung angelegt. Soweit ein Ereignis dem Erwartungszusammenhang entspricht, w i r d die prinzipielle Nichtidentität von Ereignis und gesolltem Zusammenhang aufgehoben, was — über das Argument einer Entdifferenzierung von Sollen und Sein vermittelt — letztlich insoweit die Entdifferenzierung von System und Umwelt beinhaltet. Umgekehrt w i r d durch das enttäuschende Ereignis eine solche potentielle Entdifferenzierung ausdrücklich negiert, also der Negationszirkel als solcher allgemein bestätigt, allerdings eben aufgrund einer konkreten Enttäuschung. Da somit
2. Das E r w a r t e n
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eine dem System widersprechende Folge i n beiden Fällen unumgänglich ist, bleibt nicht die Möglichkeit der Eliminierung des Widerspruchs, dafür aber die Möglichkeit der Beurteilung übrig, welche der beiden involvierten Widerspruchsformen dem erwartenden System angemessener ist. Zwischen der Affirmation der konkreten Erwartung oder der Affirmation des allgemeinen System/Umwelt-Verhältnisses ist die Entscheidung klar. Für die Ausbildung von Handlungsmaximen des erwartenden Systems ebenso wie für die Ausbildung darauf aufbauender Stufen (wie die des Rechts) ist es unter dem Aspekt der Erhaltung des generellen System/Umwelt-Verhältnisses angemessener, sich an der Behandlung von Enttäuschungen auszurichten. N u r sie bestätigen implizit durch die Negation potentieller Systementdifferenzierungen die Konstitution des Systems. Der Preis dafür ist, Erfüllungen i m Vergleich zu Enttäuschungen systematisch abzuwerten 20 . Als allgemeine (normative oder kognitive) Normsetzungsinstanz kann sich das System nur an Enttäuschungen dauerhaft definieren. Aber als diese Instanz muß es sein Interesse ebenso auf die Gültigkeit seiner Normen i m Sinne der Befriedigung seiner Erwartungen richten. Dieses Dilemma führt zu einem destruktiven Mechanismus. Wenn erst die Enttäuschung dem erwartenden System zu seiner i h m adäquaten Selbstdefinierung verhilft, muß es implizit Abweichungen von seinen Erwartungen provozieren, u m jedoch i n jedem Fall von Abweichung negativ auf diese reagieren zu müssen. Auch ohne an dieser Stelle näher darauf einzugehen, läßt sich absehen, welche Konsequenzen dies für soziale Normbildung haben kann, die ausschließlich über Erwartungseinstellungen vermittelt ist: Nicht erst dem komplexeren Begriff der ,Rolle', sondern schon dessen abstrakter Grundlage, der Erwartungseinstellung, ist die Tendenz immanent, die ,totale Institution zum Normalfall· zu erheben. Die Überlagerung individuellen Verhaltens m i t dem Anspruch sozialer Erwartungen, die ,eigentliche 4 soziale Bedeutung dieses Verhaltens zu sein, gesteht dem betreffenden Individuum noch nicht einmal die bloße und endgültige Anpassung an diesen Anspruch zu. Indirekt muß dieser Anspruch immer wieder Anlaß dazu geben, von i h m abzuweichen 21 , damit er als solcher wenigstens generell fortbestehen kann. A u f diese Weise verbindet Erwartung und individuellen Erwartungsadressaten eine totalitäre Klammer, w e i l Delinquenz provoziert wird, u m dennoch den Delinquenten stets wieder restaurativ einpassen zu müssen 22 . 20
Vgl. N. Luhmann, Erwartungssicherung, S. 31 ff.; ders., Normen, S. 31. Vgl. H. Thome, Welt, S. 53 f.; außerdem etwa E. Durkheim, Regeln, S. 159. 22 Vgl. i n Bezug auf die Kategorie der Rolle etwa R. Dahrendorf, Homo Soziologicus, S. 27 ff.; F. Haug, K r i t i k , S. 25 ff. 21
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I. Subjektives System
3. Kognitives und normatives Erwarten a) Die Unterscheidung
der beiden Formen nach Luhmann
Die Entwicklung zur Unterscheidung von »kognitiv 4 und »normativ 4 verdeutlicht den sachlichen und historischen Abstand, den die soziologische und insbesondere systemtheoretische Diskussion gegenüber dem klassischen philosophischen Begriffspaar ,Denken 4 und ,Wollen 4 inzwischen gewonnen hat. Die Frage, inwiefern diese philosophischen Formen spezifische begriffliche Möglichkeiten der Konstitution von empirischen Inhalten durch ein Subjekt bezeichnen, hat sich dahin gewandelt, welche Leistungen jene beiden Weisen der U m weiterfahrung für ein System erbringen. Ihre logische Möglichkeit einer Gegenstandserfassung ist nicht fraglich, sondern ihre Funktion, ihre kontinuierbare systemische Zweckmäßigkeit. Was etwa bei Kant zu zwei grundsätzlich verschiedenen Vernunft- und Erkenntnisbereichen geführt hat, w i r d i n heutigen systemtheoretisch argumentierenden Sozialwissenschaften nurmehr als Problem funktional äquivalenter Anpassungsmodi eines Systems gegenüber ein und derselben Systemumwelt interpretiert 1 . Nicht innerhalb der Vernunft w i r d zwischen den beiden Bereichen alternativ unterschieden, sondern soziale und psychische Systeme haben unter strategischen Gesichtspunkten die „Wahl 4 4 zwischen kognitiver und normativer Umwelterfahrung 2 . Die Bedingungen für diese Wahl sind nicht durch differente Umwelten vorgegeben, vielmehr allein dadurch, was „je nach den Umständen 44 für das System von Vorteil ist 3 . Bei Luhmanns System konstituiert dementsprechend auch die Wahl zwischen den beiden Formen keine Zäsur i n der Systemumwelt. Die Differenzierung der beiden Einstellungsmöglichkeiten beschreibt Luhmann folgendermaßen: „Selbst w e n n Enttäuschungen sichtbar werden u n d als Gegenstand der Erfahrung i n das Wirklichkeitsbild eingebaut werden müssen, gibt es noch die Alternative, die enttäuschten Erwartungen zu ändern u n d der enttäuschenden W i r k l i c h k e i t anzupassen oder sie festzuhalten u n d i m Protest gegen die enttäuschende W i r k l i c h k e i t weiterzuleben. Je nachdem, welche Einstell u n g dominiert, k a n n man von kognitiven oder von normativen Erwartungen sprechen 4 ." 1
Vgl. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 44. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 52; ders., Normen, S. 34. 3 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 51. Vgl. die K r i t i k zu diesem P u n k t bei J. Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 219 f.; die Basis, von der Habermas seine K r i t i k formuliert, ist allerdings ihrerseits problematisch, insofern er den Gegenstandsbereich möglicher Erkenntnis als Dichotomie von ,Dingen' bzw. ,Ereignissen' u n d ,Personen' bzw. »Äußerungen' konzipiert (vgl. a.a.O., S. 212 f.; ders., Vorbereitende Bemerkungen, S. 101 ff.), denn die Frage ist, ob sich i n dieser Person/Ding-Differenzierung nicht das Problem der Grenze zwischen System u n d Außenwelt wiederholt. 4 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 42 (Hervorhebung N. L.). 2
3. Kognitives u n d normatives E r w a r t e n
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Diese Definition Luhmanns knüpft an der Bedeutung der Enttäuschung für die Erwartungsform an, nur an ihr sollen sich kognitive und normative Erwartungen voneinander unterschieden lassen 5 . Aber wenn sich tatsächlich, wie es Luhmann behauptet, ihr Unterschied nur am Fall der Enttäuschung festmachen ließe, dann müßte er implizit i n sich zusammenfallen: denn welche Erwartungsform liegt oder besser gesagt lag vor, wenn die Erwartung i n Erfüllung geht? U m diese Frage zu beantworten, muß man zwei Einschränkungen beachten. Zum einen muß man zunächst die Möglichkeit, daß der Enttäuschungsfall schon vor dessen Eintreten antizipiert und somit die Einstellung zu i h m generalisiert werden kann, außer Acht lassen. Denn seine Antizipierung ist von Luhmann nicht als begriffsnotwendig für die Unterscheidung behauptet, i m Gegenteil, „ f ü r den Erwartenden besteht kein abstrakter Zwang, sich i n allen Fällen i m voraus auf den einen oder den anderen Erwartungsstil festzulegen" 6 ; außerdem muß die Möglichkeit der Unterscheidung begrifflich gegeben sein, bevor ihre Antizipation angenommen werden kann. Z u m zweiten darf man nicht, u m Luhmanns Fassung des Unterscheidungskriteriums gerecht zu bleiben, auf Vorstellungen des Unterschieds von kognitiv und normativ rekurrieren, die nicht aus seiner Theorie, sondern aus sonstigen Wissenszusammenhängen her begründet sind; selbst wenn man sie i m einzelnen nicht beschreiben könnte, ist einem ihr Unterschied, ζ. B. i n Bezug auf statistisch begründete vs. moralische Erwartungen, natürlich gewiß. Die Frage ist daher nur, ob sich die Differenzierung zwischen kognitiven und normativen Erwartungen mit dem Kriterium, das Luhmann angibt, treffen läßt. T r i t t also das erwartete Ereignis ein, läßt sich kein Unterschied festmachen, i n diesem Fall kann es somit weder eine kognitive noch eine normative Erwartung gewesen sein. N i m m t man deshalb eine dritte, etwa eine neutrale Erwartungsform für diesen Fäll an, dann ergibt sich für das System das Problem, daß es sich nicht für diese neutrale Erwartung entscheiden könnte, denn anders als bei der Wahl zwischen kognitiver und normativer Erwartung würde deren Vorliegen automatisch aus dem vom System unabhängigen Eintreffen des erwarteten Ereignisses folgen. Aber selbst für den Fall der Enttäuschung der Erwartung muß von Luhmann eine solche indifferente Erwartungsform unterstellt sein 7 . Denn bis zum E i n t r i t t des der Erwartung widersprechenden Ereignisses, also solange die Erwartung die gültige Basis für die Orientierung des Systemverhaltens darstellt, könnte weder das System noch ein außenstehender Beobachter zwischen den beiden Möglichkeiten unterscheiden, hätte er nur das von Luhmann festgelegte 5 6 7
Vgl. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 45. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 44. Vgl. aber N. Luhmann, Normen, S. 36 („Es gibt keinen d r i t t e n Typ").
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I. Subjektives System
Kriterium. A u f dieser Basis kann es demnach weder kognitive noch normative Erwartungen geben. Vielmehr liegt i m Verlauf der Geltungsdauer der Erwartung immer nur die eine indifferente Erwartungsform vor, der nachträglich eine Entscheidung äußerlich hinzugefügt wird, ob sie weiterbestehen soll oder nicht. Auch wenn man nun die Überlegung hinzuzieht, daß die Reaktion auf die Enttäuschung vor E i n t r i t t des Enttäuschungsfalles antizipiert werden kann, bleibt die Frage bestehen, was für eine Rolle diese Entscheidung für die Differenzierung der beiden Formen spielen kann. A l l e i n die Tatsache, daß es sich u m eine „Wahl" handeln soll — und zwar einerseits u m eine Wahl der Vorwegnahme der Entscheidung oder nicht, andererseits u m die Wahl hinsichtlich der Fortsetzung der Erwartung i m Enttäuschungsfall selbst — beinhaltet, daß sich durch die (zweifache) Wahlentscheidung grundsätzlich an der Erwartungsform nichts ändern kann. Die Unterstellung der gleichbleibenden Indifferenz der Erwartungsform gegenüber einer Entscheidung, welche lediglich nach Opportunitätsgesichtspunkten vorgenommen wird, w i r d dadurch bestätigt, daß die antizipierte Entscheidung i m Verlauf der Geltungsdauer der Erwartung wieder geändert werden kann, sei es vor dem tatsächlichen E i n t r i t t der Enttäuschung, sei es nach diesem E i n t r i t t und vor der nächsten Enttäuschung. Außerdem w i r d diese Unterstellung auch dadurch bestätigt, daß sich beide Entscheidungsalternativen an ein und demselben Fall einer Enttäuschung orientieren können sollen. Würde die antizipierte Entscheidung tatsächlich verschiedene Erwartungsformen erzeugen, müßten verschiedene Formen von Enttäuschungen die Folge sein. Begrifflich hat jedoch Luhmann eine derartige Differenz nirgends vorausgesetzt. Abgesehen davon müßte schließlich die statt der Enttäuschung eingetretene Erfüllung der Erwartung bei einer Antizipation der Entscheidung je nach Entscheidungsresultat ebenfalls verschieden konstituiert sein. Aber gerade an der Erfüllung bzw. an Erfüllungsformen soll sich ja die Entscheidung nicht orientieren können. Nach alledem w i r d ersichtlich, daß Luhmann m i t dem von i h m vorgeschlagenen K r i t e r i u m die beabsichtigte Unterscheidung zweier Erwartungsformen nicht wirklich vornehmen kann. Ist aber doch eine wesentliche Differenz von kognitiver und normativer Erwartung impliziert, dann ist deren Merkmal bisher nicht genannt. So wie Luhmann die Verschiedenheit definiert, setzt er nur eine feststehende Struktur von Erwartung voraus, über die eine Entscheidung i m Enttäuschungsfall lediglich befindet, ob sie identisch fortgesetzt werden soll oder nicht. Da die Fortsetzung der Erwartung bei E i n t r i t t der Enttäuschung die normative Erwartung definieren soll, wäre die Bezeichnung n o r m a t i v ' der Name für den Bestand der indifferenten Erwartungseinstel-
3. Kognitives u n d normatives E r w a r t e n
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lung. M i t der Feststellung dieses Ergebnisses ist daher nur das gewonnen, was schon bei der Untersuchung der generellen Eigenschaften der Erwartungseinstellung feststand, daß sie nämlich eine normative Struktur bzw. eine Sollensstruktur auf weist; eine Unterscheidung nach kognitiv oder normativ, was den K e r n ihrer Differenz anbelangt, fehlt deswegen noch. Könnte sich das erwartende System letztlich indifferent gegenüber kognitiven oder normativen Orientierungswechseln verhalten, dann müßte dies zur Folge haben, daß die Erwartung gegenüber der Tatsache ihres Bestehens oder Nicht-Bestehens gleichgültig ist. Damit würde aber das Prinzip der Erwartung als Orientierungsmaßstab und -Sicherung hinfällig. Die explizite Differenzierung würde insofern allein auf die allgemeine Widersprüchlichkeit der Erwartungsform zurückführen, wenn nicht doch ein Unterschied der beiden Formen festgemacht werden kann. Das unterschiedliche Verhalten i m Enttäuschungsfall muß sich als Folge einer tiefer sitzenden Verschiedenheit kognitiven und normativen Erwartens begründen lassen. b) Kognitives
Erwarten
b.l.) Darstellung des Begriffs „Als kognitiv werden Erwartungen erlebt und behandelt, die i m Falle der Enttäuschung an die Wirklichkeit angepaßt werden 8 ." Durch die Anpassung an die Umwelt „lernt" das System 9 . Vergleicht man den Inhalt dieser Aussagen m i t der Weise der Konstituierung von ,Wirklichkeit' durch das System auf der Grundstufe der Sinnerzeugung, dann stellt sich das Problem, ob hier ,Wirklichkeit' noch dieselbe Bedeutung hat wie dort. W i r d das kognitiv erwartende System enttäuscht, so folgt daraus nicht, daß es hierauf seine kognitive Erwartungseinstellung bzgl. des erwarteten Inhalts vollständig aufgibt, sondern, daß es die Erwartung m i t einer durch das enttäuschende Ereignis veranlaßten Korrektur ihres Inhalts fortsetzt. Der Unterschied zwischen kognitiver und normativer Erwartung besteht insofern, da beide Erwartungen über den Enttäuschungsfall hinweg fortgesetzt werden, nur darin, daß die kognitive inhaltlich korrigiert wird, die normative nicht. Der Grund für die Fortsetzung trotz Enttäuschung ist insoweit noch für beide Formen derselbe und ergibt sich unmittelbar aus der notwendigen Differenz der beiden Inhaltsebenen von Erwartung und erwartetem Ereignis. Weder kann die Erwartung vollständig erfüllt noch vollständig enttäuscht werden, ein über die Enttäuschung hinausreichender 8 9
N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 42. N. Luhmann, Normen, S. 34 f.
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I. Subjektives System
A n t e i l bleibt immer bestehen und kann als solcher m i t dem enttäuschenden Inhaltsmoment konfrontiert werden. Die Frage ist also zunächst, was der besondere Grund dafür ist, daß die Konfrontation i m Falle der kognitiven Einstellung prinzipiell zur Korrektur der Erwartung führt: Der unmittelbare Schluß, der sich dem System angesichts des Dilemmas, i n welches es auf der Stufe der sinnhaften Erlebniskonstituierung gerät, immanent nahelegen muß, ist: es muß erstens seine Reflexion von den jeweils selegierten Erlebnisinhalten tatsächlich so trennen und systemintern ausdifferenzieren, wie es i n der allgemeinen Sinnkonstituierung unterstellt, aber bei den unmittelbar affirmativ und den bestimmt negativ erfahrenen Erlebnissen noch jeweils miteinander vermischt ist; zweitens muß es die ebenfalls n u r unterstellte Selbständigkeit der Objekte der Umwelt explizit anerkennen. Den zweiten Punkt kann das System n u r vollziehen, wenn es zugleich den ersten mitvollzieht. Denn die Anerkennung der Eigenständigkeit der von i h m aktuell erlebten Umweltgegenstände ist nur dann m i t seinem Anspruch, sich selbst zu konstituieren, vereinbar, wenn es systemintern zwischen dem Bereich der unmittelbaren Erlebnisselektionen und der Reflexion solcher Selektionen differenziert, weil diese systeminterne Unterscheidung es dem System erlaubt, seine Selbstdefinition auf diese Fähigkeit zur Reflexion zu beschränken. Dadurch gewinnt es zum einen die Möglichkeit, seine Selbstdefinition trotz des Wechsels der konkreten Erlebnisselektionen konstant zu halten, zum anderen, diese konkreten Selektionen reflexiv zu steuern. Aufgrund der internen Differenzierung zwischen Reflexion und Anwendung der Reflexion, aufgrund der Anerkennung der selbständigen inhaltlichen Bestimmtheit der Umwelt und aufgrund der Rezeption der Umwelt auf der Basis der reflexiv ermöglichten Steuerung der Erlebnisselektionen verhält sich jetzt das System kognitiv 1 0 . 10 Diese Beschreibung der kognitiven Einstellung klammert bewußt den intersubjektiven u n d den entwicklungspsychologischen bzw. genetischen Aspekt der kognitiven Einstellung aus, u m Luhmanns Begriff möglichst zu entsprechen. Was den ersten Aspekt anbelangt, so betont zwar auch L u h m a n n die soziale Bestimmung jeglicher individueller Umweltverarbeitung u n d Sinnkonstituierung (vgl. etwa Vertrauen, S. 18; Sinn, S. 51), seine grundbegrifflichen Kategorien sind jedoch hierauf nicht abgestellt; die K r i t i k seiner Fassung kognitiver Umweltanpassung setzt darum auch hauptsächlich hier an; vgl. etwa J. Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 218 ff. (vgl. i m übrigen ebd., S. 206 ff., zum Verhältnis kognitiver Schemata u n d umweltlichen Objektbereichen). I n Bezug auf mögliche entwicklungspsychologische Differenzierungen ist die obige Beschreibung der kognitiven Einstellung, insbesondere was die reflexive Steuerung der E r lebnisselektion betrifft, sicher bereits zu speziell, vgl. n u r L . Kohlberg, E n t wicklung, S. 8 ff.; J. Piaget, Einführung, S. 21 ff.; u m jedoch eine klare Abgrenzung zwischen Sinnkonstituierung u n d kognitiver Einstellung bei L u h m a n n vornehmen zu können, bedarf es dieses Kriteriums.
3. Kognitives u n d normatives Erwarten
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M i t der vom System nachvollzogenen Trennung von reflexiver Selektionssteuerung und Selektion der Einzelereignisse der Umwelt geht demnach eine Stabilisierung der System/Umwelt-Differenzierung einher, welche dem System nun die Bildung eines (gleichbleibenden) Selbstbewußtseins gegenüber den variierenden umweltlichen Ereignissen gestattet. Die Trennung ist allerdings nicht möglich, ohne daß das System zugleich die zwei implizierten Modalformen seiner Inhaltskonstituierung, die ,Möglichkeit' und die »Wirklichkeit' des Vorhandenseins von Umweltinhalten, i n Bezug auf die Selektion der Umweltereignisse ausdrücklich zueinander i n Beziehung setzt. Das System setzt daher nun eine selbständige Umwelt voraus, deren aktuelle W i r k l i c h keit' von reflexiv nachvollziehbaren Gesetzmäßigkeiten gesteuert wird, welche die ,Möglichkeit' der tatsächlich erfahrenen Ereignisabfolgen festlegen. Infolgedessen erzielt das System durch die Ausbildung der kognitiven Einstellung einen wichtigen Fortschritt i m Vergleich zur einfachen Sinnerfahrung. Es identifiziert sich als selbstbewußtes und aller konkreten Inhaltsbestimmung vorausgesetztes Reflexionsvermögen, und es unterstellt i n seiner Umwelt diejenige Form von Inhaltskonstituierung, die i h m strukturell gleicht, so daß es sich trotz der Anerkennung der Selbständigkeit der inhaltlichen Umweltentwicklungen m i t dieser Entwicklung je reflexiv identifizieren kann; es kann sich „anpassen" und dennoch seine Identität erhalten. Die aufgrund der kognitiven Einstellung gebildeten Erwartungen kennzeichnen, daß sich das System nach wie vor nicht einfach an die jeweilige Aktualität der Umwelt, sondern an deren ,innere' Systematik anpaßt. Für deren Erkenntnis ist es allerdings auf die aktuellen Ereignisse angewiesen, weil diese allein für es unmittelbar erfahrbar sind. Infolge der jetzt für die Umwelt unterstellten Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit muß eine inhaltliche Differenz der beiden Umweltebenen auf einen Fehler des Systems, nicht auf einen umweltlichen Faktor zurückgeführt werden. Das System ist wegen der Unabhängigkeit seines Reflexionsselbstbewußtseins von den bestimmten Inhalten daher auch nicht „enttäuscht" 11 , wie es Luhmann für den Fall der Abweichung der aktuellen Ereignisse von der kognitiven Erwartung voraussetzt. Vielmehr stellt es lediglich fest, daß es sich ,getäuscht' hat, und ändert deshalb den Inhalt seiner Erwartung, ohne daß es m i t der Änderung seine Identität aufgeben müßte. Bei dieser Darstellung der kognitiven Erwartungseinstellung ist die Frage allerdings noch zu kurz gekommen, inwiefern das System nicht nur die Möglichkeit zur Umweltanpassung ohne Identitätsverlust, sondern auch die Notwendigkeit einer solchen Anpassung unterstellt. Dem 11
Vgl. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 44 f., S. 50.
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I. Subjektives System
System kann es nicht frei stehen, ob es ,richtig' oder »falsch 1 erwartet, ob es sich täuscht oder nicht täuscht: Der Selbstdefinierung des Systems würde es widersprechen, wenn die Vorausgesetztheit und Eigenständigkeit seiner Umwelt nicht auf einer spezifischen Leistung der Anerkennung dieser Voraussetzung durch das System beruhen würde. Das heißt, die Form dieser Voraussetzung muß dem System selbst noch als Ausdruck seiner eigenen Konstituierung erscheinen. Das ist nur dann möglich, wenn das System eine Identität zwischen dem Zusammenhang der Umweltereignisse und dessen systeminternen Rekonstruktion herstellt, so daß i h m dieser Zusammenhang als durch sein Reflexionsvermögen rekonstituierbare Systematik nachgewiesen ist 1 2 . Stellt es demnach eine Abweichung zwischen interner Rekonstruktion und aktuellen Umweltereignissen fest, dann muß es versuchen, die aufgetretene Differenz intern abzugleichen, also den Nachweis der identischen Rekonstruierbarkeit der faktisch erlebten Umwelt erneut zu führen. Erst wenn es i h m gelingt, die Umwelt intern so zu interpretieren, daß die darauf gerichteten kognitiven Erwartungen von der Umwelt als richtige inhaltlich bestätigt werden, kann es seinen Selbstdefinierungsanspruch behaupten, weil insoweit die Umwelt i n ihrer Eigenständigkeit genau dem entspricht, was sich auch durch das Reflexionsvermögen systematisch begründen läßt. Resultat der kognitiven Tätigkeit des Systems muß daher immer sein, zu beweisen, daß die Umwelt i h m inhaltlich nichts voraus hat, was es nicht selbst reflexiv ebenso zu konstituieren vermag. Durch die Entwicklung der kognitiven Erwartungseinstellung erweitert zudem das System seine Kapazität, Umweltkomplexität zu reduzieren und zugleich zu erhalten, um eine neue Dimension. Da auf dieser Stufe der Umwelterfahrung innerhalb der Umwelt selbst die generalisierten Zusammenhänge identifiziert werden, die die Möglichkeit der aktuellen Umweltereignisse festlegen, selegiert das System nicht mehr Einzelerlebnisse, sondern Selektionsregeln und nur vermittelt über 12 Dies entspricht der traditionellen erkenntnistheoretischen Annahme, w o nach das umweltliche ,Sein' letztlich auf derselben »Vernunft 4 beruht, die auch das subjektive (systeminterne) Erkenntnisvermögen auszeichnet; vgl. n u r E. Husserl, Ideen, S. 329 ff. u n d hierzu M. Sommer, Selbsterhaltung, S. 358 ff. Entgegen Luhmanns eigener erkenntnistheoretischer Position unterstellen die Systeme, soweit sie (nicht n u r sinnkonstituierend, sondern) kognitiv eingestellt sind, daher auch das traditionelle wahrheitstheoretische Modell der ,adaequatio' von Erkenntnis u n d Gegenstand; vgl. ebenfalls E. Husserl, L o gische Untersuchungen, I I , S. 115 ff., vgl. allgemein die Beiträge i n G. S k i r bekk (Hrsg.), Wahrheitstheorien, außerdem J. Habermas, Wahrheitstheorien, S. 211 ff. I m Sinne Habermas' muß darüberhinaus das Interesse, welches die Erkenntnisse das k o g n i t i v eingestellten Systems steuert, auf den „ F u n k tionskreis instrumentalen Handelns" (Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 176) beschränkt sein, da systemische Lernvorgänge ausschließlich an der E r w a r t b a r k e i t empirischer Abläufe orientiert sind; vgl. J. Habermas, Erkenntnis, S. 143 ff., insbesondere S. 220.
3. Kognitives u n d normatives Erwarten
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diese noch die schon vorselegierten einzelnen Erlebnisse. Dementsprechend weist auch die ,Erhaltung von Komplexität' einen erweiterten Sinn auf. Nicht nur, daß es der Anspruch des kognitiv eingestellten Systems ist, selegierte Umweltkomplexität schon insofern zu erhalten, als es sie lediglich systemintern rekonstruiert, macht diese Erweiterung aus. Darüber hinaus stellen die i n der Umwelt unterstellten Reduktionsregeln selbst zugleich Regeln der Erhaltung der Umweltkomplexität dar. I n demselben Maß, i n dem diese Reduktionsregeln oder die Regeln der Bildung solcher Regeln usw. gegenüber dem Wechsel der aktuellen Umweltereignisse identisch bleiben, w i r d der Umwelt selbst die Aufrechterhaltung ihrer Komplexität unterstellt. b.2.) K r i t i k der kognitiven Einstellung Es ist kein Zufall, daß Luhmann die kognitive Erwartungseinstellung erst gar nicht isoliert, d. h. ohne gleichzeitig die normative Einstellung miteinzuführen, entwickelt hat. Gegen eine Annahme, das System könne sich tatsächlich ausschließlich i n der beschriebenen Weise kognit i v zu seiner Umwelt verhalten, sprechen einige Einwände, die sogleich behandelt werden, zu offensichtlich. Dennoch klärt es die Systematik der Rekonstruktion der Begriffe Luhmanns, die seinem Rechtsbegriff zugrundeliegen, wenn zunächst eine solche isolierte Analyse der kognitiven Erwartung vorgenommen wird. E i n Grund dafür ist, daß nach Luhmanns Fassung des Verhältnisses der beiden Erwartungsformen die kognitive Erwartung der normativen genau entgegengesetzt bestimmt ist: entweder das System lernt i m Enttäuschungsfall, oder es lernt nicht. Unterstellt man daher m i t Luhmann, daß das System zwischen den beiden Alternativen wählen kann, dann folgt i m Fall der Entscheidung für die kognitive Einstellung, daß das System i n Bezug auf einen bestimmten Inhaltsbereich ausschließlich kognitiv erwarten kann. Man kann das Problem der kognitiven Erwartungsform wie jedes systemische Problem letztlich an der Frage aufrollen, inwiefern das System i n der Lage ist, seine Grenze zur Umwelt aufrechtzuerhalten. Da das System keine Grenze zur Umwelt stabilisieren kann, ohne sich gleichzeitig ihr gegenüber sinnstiftend zu verhalten, kann man i n Bezug auf die kognitive Erwartung die Frage auch dahin stellen, inwiefern das System kognitiv erwarten und dennoch seine Umwelt sinnhaft erfahren kann. Das erscheint fraglich, weil das System durch die Sinnerzeugung eine W i r k l i c h k e i t ' seiner Umwelt voraussetzt, die mit der unterstellten A r t von Wirklichkeit auf der Stufe der kognitiven Erwartung nicht mehr vereinbar ist. Als sinnerzeugendes System unterstellt es der Umwelt eine Form unmittelbarer Gegebenheit, welche lediglich die Bedingung für seine kontingenten aktuellen Erlebnisselektionen bil-
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I. Subjektives System
det. Aus der internen Sicht des sinnhaft erlebenden Systems sollte jede Selektion beliebig negierbar und insofern inhaltlich austauschbar sein. I m Gegensatz hierzu die kognitive Selektionsweise: Nicht das System, sondern seine Umwelt selegiert die Aktualität seiner Erlebnisse. Jene umwelteigenen Selektionsregeln selegiert das System nicht aufgrund kontingenter Wahl, sondern durch Anpassung. Und die Kriterien für die Richtigkeit der Übernahme der umwelteigenen Selektionsregeln sind gerade die aktuellen Umweltereignisse, die das sinnerzeugende System kontingent bestimmen konnte. Damit steht man vor dem Problem, daß entweder das kognitiv eingestellte System ebenfalls sinnhaft erfahren kann, dann können die aktuellen Ereignisse jedoch keine Richtigkeitsvorschriften beinhalten, oder das kognitiv eingestellte System kann nicht (mehr) sinnhaft erfahren, dann widerspricht es insofern seiner Grundkonstitution. Es widerspricht sich also i n beiden A l ternativen. N u n kann man bedenken, ob das System nicht doch i n der Lage sein könnte, die Voraussetzung der Sinnerzeugung aufzugeben, ohne seine Eigenschaft, kognitiv erwartendes System zu sein, damit ebenfalls i n Frage zu stellen. Abgesehen von den Ergebnissen der Analyse des allgemeinen Zusammenhanges von Sinn- und Systemkonstitution scheitert diese Überlegung jedoch auch i m Hinblick auf die besondere Konstellation der kognitiven Erwartungseinstellung. Das kognitiv erwartende System muß genuin zwei Leistungen erbringen, u m sich der Umwelt anpassen zu können, ohne seine Identität zu verlieren. Es muß einerseits seine Reflexivität jenseits bestimmter Inhalte identisch erhalten und es muß andererseits innerhalb seiner Umwelt nach erwartungsbegründenden dominanten Inhaltsstrukturen u n d nach aktuellen Ereignissen differenzieren können. Ist aber das kognitive Reflexionsvermögen des Systems derart gleichbleibend bezüglich aller möglichen Inhalte unterstellt, dann scheint sich implizit seine Fähigkeit, vorausgesetzte Inhalte überhaupt rezipieren zu können, aufzulösen. Das Problem ist, wie das Reflexionsvermögen zwischen bestimmten Inhaltsmomenten, erst recht zwischen den prinzipiell verschiedenen umweltlichen Inhaltsebenen differenzieren können soll, ohne je schon über interne inhaltliche Unterscheidungskriterien zu verfügen, welche nicht ihrerseits ebenfalls wieder durch diese inhaltsfreie Einstellung gewonnen sind. Die kognitive Reflexion kann weder einen (kognitiv initiierten) Anfang haben noch selbst bei Voraussetzung eines wie immer begründeten Anfangs fortgesetzt werden 1 3 , wenn die aufgezählten Bedin13 Z u r Ersetzung der Fragen nach dem ,Anfang' durch solche, die nur nach der Fortsetzung' der Verstandestätigkeit (im H i n b l i c k auf die B i l d u n g empirischer Hypothesen) fragen, vgl. N. Goodman, Tatsache, S. 110 ff. (S. 113 ff.).
3. Kognitives u n d normatives Erwarten
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gungen eingehalten werden sollen. Da es nicht darum geht, vollends eine K r i t i k positivistischer Gegenstandskonstituierungen, auf die man hier stößt 14 , anzuschließen, sondern nur darum, den Faden dieser Rekonstruktion aufzuzeigen, genügt es, jeweils die Folgerungen so weit anzugeben, daß die nachfolgenden Kategorien i n der Systematik der Rechtssoziologie Luhmanns als Konsequenz erscheinen können. I n Betracht kommen zwei mögliche Auswege, u m der Notwendigkeit, die Selbstausschließung der kognitiven Reflexion von ihren umweltlichen Inhalten annehmen zu müssen, zu entgehen. Entweder man unterstellt, daß das inhaltsfrei reflektierende System vollständig unvermittelt die i h m äußerlich vorausgesetzten Inhalte aufnehmen kann 1 6 . Gegen diese Möglichkeit spricht jedoch, daß dann das System keinerlei Unterschied zu seiner Umwelt aufweisen, geschweige denn reflektieren könnte — die Umwelt müßte bereits i n Form eines kognitiv systematisierten Systems so existieren, daß sich das Ausgangssystem diesem bloß noch anzugleichen hätte. I n Bezug auf ,Denken' läßt sich das auch so formulieren, daß alles je schon gedacht sein müßte, daß also Denken immer nur schon Gedachtes identisch reproduzieren kann. Aber diese Annahme verschiebt das Problem nur auf einen unendlichen Regreß. Oder man unterstellt, daß das System intern und vor aller Rezeption der Umwelt völlig frei Inhaltskriterien entwickeln kann, m i t denen es die Umweltinhalte differenzieren kann. Diese Annahme führt auf die anfangs ausgeschlossene Bedingung zurück, daß das kognitiv eingestellte System nicht zugleich als selbständig sinnerzeugende Potenz vorausgesetzt werden darf 1 6 . Ein dritter möglicher Ausweg, nämlich die 14 »Positivistisch' bedeutet i n diesem Zusammenhang nicht dasselbe wie oben, S. 9. Während sich dort der Positivismusvorwurf auf Luhmanns Soziologie insgesamt bezieht (im Sinne einer Sozialtechnologie), w i r d hier die Weise erfaßt, i n der L u h m a n n die kognitive Wirklichkeitserkenntnis der von i h m zum Gegenstand gemachten Systeme unterstellt. I n diesem zuletzt genannten Sinn b e t r i f f t die K r i t i k daher die erkenntnistheoretischen Prämissen, von denen die behandelten Systeme selbst ausgehen (zum erkenntnistheoretischen Positivismus vgl. den Überblick bei B. Juhos, Formen des Posit i vismus, S. 27 ff.). D a m i t scheint ein weiteres grundsätzliches Dilemma auf. Die kognitive Orientierung der Systeme gehorcht nicht denselben Kriterien, die nach L u h m a n n für die systemtheoretische Rekonstruktion von Gesellschaft maßgeblich sein sollen. Da aber auf der anderen Seite die — kognitive — Selbstthematisierung von Soziologie als reflexive A n w e n d u n g der Systemtheorie auf ihre eigene gesellschaftliche F u n k t i o n stattfinden soll, laufen ,'Wirklichkeitsanpassung' i m kognitiven Sinn u n d ,Wirklichkeitsreduktion' i m systemtheoretischen Sinn einander zuwider; zur Selbstthematisierung vgl. N. Luhmann, Soziologische Aufklärung, S. 66 ff., S. 85 f.; ders., Selbststeuerung der Wissenschaft, S. 232 ff.; ders., Selbst-Thematisierung, S. 72 ff., S. 92 ff.; zu den hieraus resultierenden Problemen vgl. E. Herms, Problem, S. 351 f.; R. Döbert, Systemtheorie, S. 60; außerdem E. K o e n e n / K . Steinbacher, Wahrheitsfähigkeit, S. 98 ff.; K . Eder, Komplexität, S. 16 ff.; J. H a bermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 230. 15
Vgl. H. Schnädelbach, Erfahrung, S. 19.
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I. Subjektives System
Annahme, daß das System i n Bezug auf den einzelnen kognitiven A n passungsvorgang je schon über nicht kontingent gebildete interne K r i terien verfügt (Vorverständnis etc.), entfällt deshalb, weil dann die alternative Definition zur normativen Erwartung irreführend wäre 1 7 , abgesehen davon, daß dann auch die Bedingungen der Selbstreflexion und der Kontrolle der Erwartungsanpassung an die aktuellen Umweltereignisse nicht mehr erfüllt wären. Sowohl die Selbstdefinition des Systems als auch die negative Beziehung zur normativen Einstellung schließen solche vermittelnden Konstruktionen aus. Schließlich zeigt sich die spezifische Antinomie der kognitiven Erwartungseinstellung auch auf der semiotischen Basis des Systems. M i t der Anpassung an seine Umwelt unterstellt das System, daß die Umweltkonstitution implizit der seinigen entspricht, daß also seine zeichenhafte Konstitution m i t einer grundlegenden Implikation der Umwelt identisch ist. Der Unterschied zwischen kognitivem System und Umwelt kann, semiotisch gesehen, nur darin liegen, daß i n der Umwelt die Ebenen des Zeichenverhältnisses (Zeichen- und Objektebene) unmittelbar ungetrennt erscheinen, während das System sie intern voneinander differenzieren und diese Differenzierung reflektieren kann, um sich allein durch diese Fähigkeit von der Umwelt zu unterscheiden. A u f diese Weise ergeben sich zwei kognitive Tätigkeitsbereiche, deren Vermittlung das Problem der kognitiven Einstellung kennzeichnet. Einerseits muß es beanspruchen, sich streng rezeptiv gegenüber den Inhalten der Umwelt zu verhalten, indem es die extensionale Dimension der Umweltobjekte von den diese Dimension fundierenden, intensional zu fassenden Identifikationsregeln abschichtet. I n diesem kognitiven Tätigkeitsbereich erstellt das System m i t h i n Analysen der Gesetzmäßigkeiten seiner empirischen Umwelt. Andererseits muß es gesondert hiervon das formale System seiner internen Zeichenbildung als die gemeinsame innere Logik möglicher interner wie externer inhaltlicher Zusammenhänge reflexiv identifizieren. Zwar ist damit das unterstellte kognitive Verhalten des Systems stark vereinfacht beschrieben und nur auf diese zwei Pole — empirische Umweltanalyse und Selbstanalyse als formales Zeichensystem — h i n formuliert 1 8 , aber der Unterschied zwischen den beiden Polen, den das System i n jedem Fall voraussetzen 16 Die beschriebene Alternative, i n die die Untersuchung der kognitiven Einstellung führt, ist m i t der von W. Stegmüller, Metaphysik, S. 334 f. behandelten A l t e r n a t i v e ,objektive oder konventionelle Basis 4 parallelisierbar; Stegmüller diskutiert an i h r die „Paradoxie der Erfahrungskenntnis" (ebd.). 17 Vgl. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 44 („genau entgegengesetzte" Erwartungsformen). 18 Z u dieser Polarisierung vgl. H. Schnädelbach, Erfahrung, S. 23 ff., S. 63 ff.
3. Kognitives u n d normatives E r w a r t e n
63
muß, w i r d hierdurch deutlicher sichtbar. Denn die Frage ist, wie das System die Systematik seiner Zeichenkonstitution m i t den semantischen Dimensionen der Umwelt(-zeichen-)objekte systemintern vermitteln soll bzw. wie es diese Vermittlung umweltlich voraussetzen kann. I n Bezug auf die Semantik ergeben sich Alternativen, die sich nicht auflösen lassen. Entweder ist die intensionale Dimension der Umweltobjekte tatsächlich i n deren Extension bereits enthalten, dann wäre die systemische Möglichkeit der Trennung von Zeichen und Zeichenbedeutung, die das System definiert, letztlich nicht mehr gegeben. Oder aber die Eindeutigkeit der Unterscheidung von Intension und Extension w i r d beibehalten, dann ist die geforderte Vermittlung und damit die Fähigkeit, inhaltliche Erwartungen zu bilden, unmöglich. Die auf der Stufe des kognitiven Erwartens erfolgte systeminterne Ausdifferenzierung der sich über Zeichen vermittelnden Selbstreflexion, die zu einer auf Richtigkeitskriterien h i n kontrollierten Rezeption der empirischen Umwelt des Systems führen soll, zeigt, daß diese Stufe die Tendenz enthält, Zeichensystematik und Empirie getrennt zu erfassen, ohne daß eine widerspruchsfreie Vermittlung nachträglich hergestellt werden könnte. Die Folgerungen hieraus führen zunächst zu Luhmanns Begriff der normativen Erwartung. c) Normatives
Erwarten
c.l.) Darstellung des Begriffs Das Problem ist, wie das System die spezifische Antinomie der kognitiven Erwartungseinstellung vermeidet, ohne die Errungenschaften der Erwartungsform aufzugeben. Statt sein Reflexionsvermögen abstrakt und i m Unterschied zur ausschließlich der Umwelt zugerechneten Inhaltsbildung zu definieren, u m je erst nachträglich ihre Einheit herzustellen (was zur Trennung von Systemdefinition und Sinnerzeugung führte), muß es Reflexion und Inhaltsbildung als seine interne und vorgängige Leistung integrieren. Dadurch regrediert es allerdings nur dann nicht auf die Stufe des lediglich sinnerlebenden Systems, wenn es den Inhalt ausdrücklich als Ausfluß seiner Selektionsentscheidung intern bildet und i h n als solchen mit der Aktualität der einzelnen Umweltereignisse, deren Selbständigkeit es i m Unterschied zum bloßen Sinnerleben anerkennt, konfrontiert. Damit kann es die Fähigkeit der eigenen kontingenten Inhaltsbildung zurückgewinnen und zugleich die Form der Erwartungsbildung erhalten. Allerdings sind die beiden Ebenen der Erwartungsbildung gegenüber der kognitiven Einstellung neu verteilt. Der durch direkte Verknüpfung mit der systemischen Reflexivität generalisierte Erwartungszusammenhang w i r d jetzt intern, die ihn erfüllenden oder enttäuschenden aktuellen Ereignisse werden
64
I.
bjektives System
extern als Umwelt vorausgesetzt. Und die Konfrontation der beiden solchermaßen verteilten Ebenen konstituiert jetzt die explizite Normativität des Erwartens. Die Umwelt ist nicht unbedingt so, aber sie soll so sein, wie es das System von ihr erwartet. Besaß das System i n der kognitiven Erwartungseinstellung gar keine inhaltliche Freiheit mehr, so beansprucht sie das normativ erwartende System wieder vollständig. Gegenüber der Grundstufe der Sinnkonstituierung ist die inhaltliche Freiheit zu einer ausdrücklichen sachlichen Dominanz des Systems über seine Umwelt fortentwickelt, insofern die Umwelt jetzt inhaltlich an den beliebig durch das System strukturierten Erwartungszusammenhängen gemessen wird. Für die kognitive Erwartung war das Verhältnis von erwartetem Inhalt und aktueller Entsprechung eine rein umweltinterne Relation, deren Eintreten oder Nichteintreten das System nicht als sachliches, sondern nur als Reflexionsproblem i n einer gegenüber allen Inhalten gleichgültigen Weise der Richtigkeit oder Falschheit ihrer Rezeption berührte. Diese Gleichgültigkeit kann für das normativ erwartende System nicht mehr zutreffen. I m Unterschied zu beiden vorangehenden Stufen hat jetzt das System eine Beziehung zur Umwelt aufgenommen, die es sachlich i n deren aktuelle Entwicklung involviert. I n der kognitiven Einstellung besaß das System zwar Erwartungen, war aber sachlich nicht an deren Inhalten und somit auch nicht i n der Frage ihrer Erfüllung interessiert. I n der sinnerzeugenden Einstellung hatte das System zwar jeweils eine sachliche Beziehung zu seiner Umwelt, besaß i h r gegenüber aber keine Erwartungen und war insofern ebenfalls nicht an ihrer inhaltlichen Entwicklung interessiert. Gegenüber dieser sinnstiftenden Einstellung, i n der das System die aktuellen Erlebnisse von Umweltereignissen jeweils i m Lichte der aktuell nicht gewählten möglichen Ereignisse als sinnhaft erfuhr, konstituiert das normative System seine Inhalte als Alternative zur unmittelbaren und als solche durchaus anerkannten aktuellen Gegebenheit der Umweltereignisse überhaupt. Das System t r i t t jetzt i n Gestalt seines reflexiven Definitionsprinzips selbst, i n einem bestimmten von i h m gewählten Inhalt intern manifestiert, dem Umkreis aller empirischen Ereignisse der Umwelt gegenüber. Die Folge dieses Vergleichs ist der Anspruch des Systems auf aktuelle Übereinstimmung der Umwelt m i t dem von i h m gewählten Inhalt. Denn i n jedem sachlichen und zeitlichen Moment der Nichtübereinstimmung w i r d das System jetzt ausdrücklich durch die Umwelt i n Frage gestellt: denn es hat die Geltung seines generellen Konstitutionsprinzips m i t dem jeweils gewählten Inhalt verbunden. Diese asymmetrische Konfrontation enthält daher nicht nur die allgemeine Bestimmung des ,Sollens 4 ; vielmehr ist dieses Sollen m i t der subjektiven Identifikation des Systems verknüpft jetzt zu dessen ,Wollen 4
65
3. Kognitives u n d normatives E r w a r t e n ausgeformt 19. D a m i t
wird
ersichtlich,
daß das n o r m a t i v
eingestellte
System weder wieder unmittelbar zur kognitiven Einstellung wechseln k ö n n t e noch sich m i t
einem bloßen „Protest"
im
über-
Enttäu-
schungsfall a b f i n d e n k a n n 2 0 . G e r a d e w e i l es i n t e r n die K o n s t i t u t i o n des e r w a r t e t e n I n h a l t s w i l l k ü r l i c h u n d k o n t i n g e n t a u f g r u n d seiner S e l e k t i o n s f r e i h e i t v o r g e n o m m e n h a t , m u ß es v o n seiner U m w e l t d i e E n t sprechung u n b e d i n g t e r w a r t e n . E r f ü l l t
d i e U m w e l t seine
Erwartung
n i c h t , d a n n ist das S y s t e m j e t z t erst i m e m p h a t i s c h e n S i n n e
„ent-
täuscht"21. Die Übereinstimmung w i r d nicht n u r v o n der U m w e l t erw a r t e t , s o n d e r n ebenso v o m S y s t e m sich selbst gegenüber, da es sich n i c h t m e h r n u r als i n h a l t s f r e i e S e l e k t i o n s k o m p e t e n z r e f l e k t i e r t ,
son-
d e r n als E n t s c h e i d u n g s k o m p e t e n z , die sich j e sachlich festgelegt
von
seiner U m w e l t unterscheidet. (Es k a n n z w a r p r i n z i p i e l l j e d e einzelne i n t e r n e F e s t l e g u n g ebenso w i l l k ü r l i c h , w i e sie g e t r o f f e n ist, auch w i e d e r z u r ü c k n e h m e n , n u r k a n n es das n i c h t a u f a l l e E n t s c h e i d u n g e n ü b e r h a u p t a u s d e h n e n 2 2 , w e i l es d a n n v o n d e r S t u f e d e r n o r m a t i v e n E r w a r tung
auf
die
Stufe
der
w ü r d e ) . Das n o r m a t i v e
einfachen
Sinnentscheidungen
System definiert
sich selbst als
zurückfallen Adressaten
19 Einen soziologischen Begriff des ,Wollens', der einen echten Unterschied von ,Sollen' u n d ,Wollen' ausweist, findet man i n der rechtssoziologischen Diskussion nicht, auch nicht bei Luhmann. Das wäre bei einem rein systemtheoretischen Ansatz nicht verwunderlich, bei einem Ansatz, der darüberhinaus von dem subjektiven Sinn ausgeht, den Akteure m i t ihren H a n d lungen verbinden, ist es jedoch überraschend. Was sich hier niederschlägt, ist eine soziologische Nivellierung des Unterschieds von ego u n d alter ego, deren normative Erwartungen, je nachdem, ob sie ego oder alter ego zugerechnet werden, als eigene oder als fremde ,Sollens'-Anforderungen charakterisiert werden. D a m i t w i r d f ü r beide letztlich dieselbe Perspektive maßgeblich, die Sicht der U m w e l t bzw. der jeweiligen Adressaten einer normativen E r w a r tung. Wie sich hingegen ego selbst zu seinen Erwartungen verhält, bleibt offen (vgl. etwa die Normdefinitionen bei J. P. Gibbs, Norms, S. 586 ff., S. 591 f.; J. Blake / K . Davis, Norms, Values, S. 456 ff.; G. Spittler, Norm, S. 19 f.; R. Lautmann, Wert, S. 54 ff.; H. Keuth, Normbegriff, S. 680 ff.; außerdem A. Cicourel, Methode, S. 282 ff.). Nicht die Identifikation der Subjekte m i t ihren Erwartungen, sondern die Integration verschiedener Erwartungen ist von Interesse. Das begründet etwa die Schwierigkeit, subjektive moralische von rechtlichen Erwartungspositionen zu unterscheiden. Ebensowenig läßt sich auf dieser Basis klären, welchen Status normative Erwartungen i n Bezug auf Handlungserklärungen des jeweiligen Individuums haben (,Grund' vs. »Ursache'); vgl. A. Beckermann (Hrsg.), Handlungserklärungen; speziell zur Analyse des ,Wollens' etwa R. Brandt / J. K i m , Wünsche, S. 260 ff. 20 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 42. 21 Vgl. ebd., S. 54. 22 Vgl. zur hier unterstellten Differenzierung von Jeder' i m „ k o l l e k t i v e n " Sinn von ,jeder' i m „ d i s t r i b u t i v e n " Sinn N. Hoerster, Verallgemeinerung, S. 29 ff., S. 87. Keinesfalls aber läßt sich m i t der generellen Möglichkeit, jede bestimmte E r w a r t u n g zu ändern, i n Bezug auf das Verhältnis des Systems zu seiner normativen E r w a r t u n g begründen, daß der Enttäuschungsfall „als möglich vorausgesehen, . . . , aber i m voraus als für das E r w a r t e n irrelevant angesehen" w i r d (N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 43, Hervorhebung A . Z.).
5 Zlelcke
66
I.
bjektives System
seiner Erwartungen, werden sie nicht erfüllt, so ,will' das System, daß sie realisiert werden. M i t der normativen Einstellung macht sich das System zudem vorbehaltlos den Schluß zu eigen, daß Sollen Können impliziert 2 3 . A l l e r dings gilt dem System dieser Schluß aus der für seine Einstellung charakteristischen subjektiven Sicht der Normbildung. Nicht weil für das Sollen schon je die Vorabklärung m i t den kognitiv zu erfassenden Möglichkeiten der Umwelt unterstellt ist, sondern umgekehrt, weil das System i n Opposition zur kognitiven Einstellung seine Erwartungen den Umweltmöglichkeiten voraussetzt, muß die Umwelt (ebenso wie es selbst) das können, was gesollt ist. Das normativ eingestellte System beansprucht, die sachliche innere Herrschaft über seine äußere Umwelt innezuhaben. Da somit i m Falle der endgültigen Enttäuschung einer Erwartung seine Identität durch die Außenwelt immer nur i n einer für es äußerlichen Weise bestritten wird, kann es den enttäuschenden Nachweis, daß das subjektiv intendierte Sollen n u r subjektiv war, nicht akzeptieren. Eine Verarbeitung und konstruktive Integration der Enttäuschung führt das System nicht durch, seine Einstellung ist explizit als ,Nichtlernen' konstituiert. Daher ist bei dieser Einstellung an jeder Enttäuschung, die das System nicht vermeiden kann, die Umwelt »schuld4. Diese Schuld ist noch keine rechtliche oder moralische Kategorie, sondern aus der Sicht des Systems Ausdruck einer keinem konkreten Umweltfaktor zurechenbaren Macht, die einen prinzipiellen Widerspruch zu dem normativen Anspruch des Systems auf Umweltbeherrschung bildet und deshalb von i h m nirgendwo positiv identifiziert werden kann; je nach historischem Entwicklungsstand müssen dann überirdische oder unterirdische Mächte, Hexerei, Schicksal oder ,die anderen 4 etc. die Schuld übernehmen. Bei der normativen Einstellung sind die beiden Ebenen der Erwartungsbildung, generalisierter Inhaltszusammenhang und punktuelle erfüllende oder enttäuschende Ereignisse, auf System und Umwelt verteilt. Die Folge muß sein, daß die einzelnen Ereignisse nicht i n derselben Weise wie bei der kognitiven Einstellung auf die generalisierte, die gesollte, Ebene bezogen werden. Luhmann beschreibt das Verhältnis nur vage, wenn er Normativität als „Generalisierung" oder „Stabilisierung" der Erwartung i n der „Zeitdimension" charakterisiert 24 . Der Unterschied zur kognitiven Form, i n der j a ebenfalls, zumindest bis zum Zeitpunkt der Enttäuschung, zeitlich generalisierte Erwartungen 23 Vgl. M . Moritz, Verpflichtung u n d Freiheit, S. 131 ff.; G. J. Mavrodes, ,Is' to ,Ought 4 , S. 42 ff. 24 Ν . Luhmann, Rechtssoziologie, S. 94 f.; ders., Soziologie, S. 121; vgl. ders., Folgen formaler Organisation, S. 61 f.
3. Kognitives u n d normatives E r w a r t e n
67
bestehen, drückt sich zunächst nur dadurch aus, daß die normative Erwartung über den ,Zeitpunkt' der Enttäuschung ,hinaus 4 insgesamt Bestand hat. U m den Unterschied nachvollziehen zu können, aber auch, u m die zentrale Bedeutung, die die Zeitdimension nach Luhmann für das System/Umwelt-Verhältnis hat 2 5 , zu verstehen, empfiehlt es sich, einen Exkurs über die Konstitution der ,Zeit' i n Luhmanns Theorie einzufügen: c.2.) Die Zeit (1) Luhmann unterscheidet für die Generalisierung von Umweltentwürfen drei Dimensionen, die sachliche, die soziale und die zeitliche Dimension 26 . Was hierbei die zeitliche Dimension spezifizieren soll, erfährt bei i h m eine ambivalente Bestimmung. Zum einen ist sie das einzige Prinzip, das die Freiheit der sinnerzeugenden Umweltselektion des Systems w i r k l i c h einschränken kann: „Lediglich die Zeit, nicht die Wahl, vernichtet die Verwirklichungschance von Möglichkeiten dadurch, daß sie Ereignisse Vergangenheit werden läßt und ihnen dadurch die Möglichkeit entzieht, anders zu sein 2 7 ." A u f der anderen Seite ist die Zeit bei Luhmann ein systemischer Weltentwurf wie andere auch. Die Ausdifferenzierung der Zeit i n Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und deren verschiedene Rückbeziehungsmöglichkeiten, die je nach dem sozialen und evolutionären Standort des Systems i n Erscheinung treten, sollen keine ontologischen Gesetze, sondern variable Selektionsstrukturen des Systems i n Bezug auf seine Umwelt darstellen 28 . Einer genaueren Beschreibung dieser Seite der Bestimmung der Zeit bedarf es vorerst nicht. Denn entscheidend ist bereits die abstrakte Tatsache, daß das System eine durch es selbst konstituierte Bestimmung seiner Außenwelt als Schranke erfährt, die es trotz der Reflexivität bzw. Negativität seiner Selektionen nicht überschreiten kann. A n der zeitlichen Vergänglichkeit umweltlicher Ereignisse ist die Selektionsfreiheit des Systems zu Ende. I m Sinne eines irreversiblen Ubergangs von ,Möglichkeiten* zu »Wirklichkeiten* entscheidet die Zeit, nicht das System, dessen Leistung sie doch letztlich ebenfalls sein soll. Was die Zeit selbst ist, drückt Luhmann daher auch durch einen Widerspruch aus, sie sei die „Identität des Nichtidentischen" 29 . N u n kann man zwar möglicherweise jene geschilderte Ambivalenz i n dieser Aussage formuliert sehen, aber viel weiter ist man damit 25
Vgl. W. Schmidt, Theorie der Zeit, S. 374 ff. Vgl. N. Luhmann, Sinn, S. 48 ff.; ders., Rechtssoziologie, S. 64 ff.; ders., Soziologie, S. 121 f. 27 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 117. 28 Vgl. N. Luhmann, Weltzeit, S. 103 ff. 29 N. Luhmann, Sinn, S. 61 ; ebenso J. Heinrichs, Reflexion, S. 22. 28
5*
68
I.
bjektives System
bei der Klärung des Begriffs der Zeit noch nicht. Man muß deshalb den Widerspruch, den die Zeit demnach auch für Luhmann darstellt, i n der widersprüchlichen Grundkonstellation des System/Umwelt-Verhältnisses bzw. der Sinnkonstituierung aufzufinden versuchen. Für die Lokalisierung hat man den Anhaltspunkt, daß das System diesen Widerspruch i n Form der Einschränkung seiner sinnhaften Umwelterfahrung ausdrücklich erlebt. Damit aber hat man schon fast formuliert, was man wohl bei Luhmann unter Zeit zu verstehen hat. Die unendliche Reflexivität der Negation der Negation, die das System intern charakterisiert, muß auch für die Umwelt des Systems gelten, nur dort auf spezifische Weise ,nach außen4 gekehrt 3 0 . Denn die Umwelt ist nur dadurch definiert, daß sie dem System äußerlich ist, daß sie das Nicht-System ist. Folglich haben die der Umwelt angehörigen Gegebenheiten nur eine einzige feste Bestimmung i m Verhältnis zum System, die internen Negationen der Negationen äußerlich als unendlichen Regreß oder Progreß von Negationsschritten spiegelverkehrt darzustellen, nämlich als Abfolge irreflexibler Negationsrelationen, die für jeden möglichen Inhalt gleichermaßen gilt. Damit ist nicht die Möglichkeit, sondern die Wirklichkeit von Negativität i n Gestalt eines unendlichen Aufeinanderfolgens von Negationssequenzen unterstellt, von denen jede dadurch auf die anschließende Bezug nimmt, daß sie diese wiederum äußerlich negiert. Diese unendliche Kette einander äußerlicher und dennoch völlig identischer, weil inhaltlich gleichgültiger, Negationsrelationen bildet die kontinuierliche Folge der Zeit. Die Zeit, so kann man dies auch ausdrücken, stellt den impliziten Widerspruch der Negativität des Systems i n dessen unmittelbar erlebte Außenwelt transformiert dar. Was das System intern an keiner bestimmten Erlebnisselektion anerkennen w i l l , deren vorgängige wie auch immer geartete Bestimmtheit und Begrenztheit, holt es durch die Notwendigkeit, die Determinierung aller Inhalte durch die Zeit anerkennen zu müssen, insgesamt ungewollt nach. Während intern durch Negation jede Entscheidung rückgängig gemacht oder i m Status des Potentiellen erhalten werden kann, vereiteln die dem System äußerlichen Negationen der Zeit jedes Rückgängigmachen endgültig. Reversibilität der internen und Irreversibilität der äußeren Negationen entstammen demselben Prinzip. Die Zeit spiegelt aber nicht nur die I m p l i kation der System/Umwelt-Differenzierung i n der Umwelt wider, sondern bildet auch den spezifischen Mechanismus, diese Implikation umweltlich zu erfahren, ohne daß das System sein Konstituierungsprinzip selbst problematisiert sieht. Weil das System die Zeit als eine gegen80 Vgl. N. Luhmann, Vertrauen, S. 11: „Vielmehr konstituiert sich die Zeitlichkeit als jene doppelte Möglichkeit der Negation, die als Möglichkeit ebenso wie als Negation real ist, nämlich w i r k l i c h u n d m i t nachweisbarer Leistungsfähigkeit orientiert."
3. Kognitives u n d normatives E r w a r t e n
69
über jedem bestimmten Umweltereignis gleichbleibende Strukturierung der Umwelt erlebt, vermag es i n Bezug auf jedes einzelne Erlebnis die Vorstellung zu erhalten, daß es dessen Selektion kontingent vornehmen kann. Werden konkrete Möglichkeiten endgültig Vergangenheit, so kann das System dennoch annehmen, daß es diese bestimmte Möglichkeit hätte wählen können, wenn es nicht ganz bestimmte andere vorgezogen hätte. Dadurch, daß es i n der Erfahrung der Zeit die immanente Transzendierung der Erlebnisse i n Gestalt der außenweltlichen Transzendierung aller Einzelerlebnisse reproduziert, sieht es sich nie durch Einzelerlebnisse als Identität i n Frage gestellt. Aber diese I n fragestellung seiner Sinnkonstituierung findet statt, einfach durch den Zwang, innerhalb der je aktuellen Alternative Jetzt oder nie* wählen zu müssen. Gleichgültig wie es sich entscheidet, es entscheidet immer zuungunsten einer unbestimmten Menge von Inhalten, die unwiderruflich negiert, unwählbar und somit Vergangenheit werden. Das konstitutive A x i o m des Systems, seine absolute interne Negierung derjenigen inhaltlichen Selektionsschranken, die Selektion überhaupt erst ermöglichen, kann für das System nur aufrechterhalten werden, wenn die unumgängliche K r i t i k dieses Axioms i h m nicht i n der Form w i r k licher Schranken konkreter Inhaltsbestimmungen, sondern als pauschalierte und inhaltslose Geltung ihrer Relativität äußerlich entgegentritt. Genau diesen seine elementare Widersprüchlichkeit mystifizierenden Weg begeht das System durch Voraussetzung der Zeit. Die „Identität des Nichtidentischen" faßt sachlich generalisierend i n der Umwelt zusammen, was seinem Inhalt nach gerade als nicht generalisierbar, als nichtidentisch unterstellt ist. Da die Zeit selbst als inhaltliches Prinzip auf die Umwelt bezogen wird, wenn auch als perennierende Negation jeder festen und endgültigen Bestimmung, bildet sie eine Eigenschaft, die auf kein bestimmtes Erlebnis begrenzt werden kann, obwohl sie jedes bestimmte Erlebnis begrenzt 31 ; das Transzendierungsprinzip w i r d selbst zum unfaßbaren außenweltlichen Sachzusammenhang. Bezieht man die Zeitstruktur der Umwelt auf die Zeichenbasis des Systems, w i r d deutlicher, warum das System diese Struktur als einen unumkehrbaren Ablaufprozeß von Ereignisstufen wahrnimmt. W i r d die systemintern implizierte Zeichenebenenhierarchie, bei der die Zeichenebenen als Meta- bzw. Objektebenen i n beiden Richtungen (Metametaebenen usw. und Subobjektebenen usw.) i n unendlicher Wiederholung aufeinander folgen, i n die Außenwelt transformiert, dann muß die formale Struktur dieses Verweisungszusammenhanges dem System als ausgerichtete und unendliche Kette von abstrakten Verweisungsschritten erscheinen. Jeder (Meta-)Zeitpunkt zeigt auf den folgenden, 81
Vgl. N. Luhmann, Sinn, S. 56 f.; ders., Vertrauen, S. 11.
70
I.
bjektives System
der weiter auf den nächsten zeigt; jeder Zeitpunkt ist insofern ein identischer inhaltsloser außenweltlicher Zeichenpunkt, auf den sämtliche vorangehenden Metazeichenpunkte i n sukzessiver Reihenfolge hinweisen und der seinerseits auf alle folgenden weiterverweist, also nur als jeweils verschwindender Punkt identifiziert werden kann, da er immer nur als Zwischenschritt, stellvertretend für den nächsten, auftreten kann 8 2 . I m Gegensatz zur internen Zeichenebenenstruktur des Systems, wo die Reflexivität, d. h. die Umkehrbarkeit von Zeichenund Objektebene, unterstellt ist, gilt für den Außenbereich des Systems die Unumkehrbarkeit der Aufeinanderfolge der Zeitpunkthierarchie. Der unendliche Prozeß folgt der Meta/Objekt-Stufenabfolge absteigend entsprechend der immer gleichbleibenden Verweisungsrichtung, die die Zeitschritte formal hintereinander ordnet 3 3 . Damit ist noch nicht gesagt, wie sich das System an dieser Zeitabfolge orientiert. Denn i n welche Richtung dieses Prozesses sich das System orientiert und wie es seine inhaltlichen Selektionsmöglichkeiten i n diesen Prozeß einordnet, hängt von der speziellen Einstellungsform ab, die das System gegenüber seiner Umwelt einnimmt. (2) I m Hinblick auf die bisher behandelten Einstellungsformen der Sinnerzeugung, der kognitiven und der normativen Erwartungsbildung lassen sich drei Zeitorientierungen unterscheiden — unterstellt, die jeweilige Einstellungsweise würde vom System ausschließlich oder wenigstens überwiegend eingenommen; man kann sie als mythische 4 , ,kontinuitätsorientierte' und zukunftsorientierte' Zeiterfassung bezeichnen: A u f der Grundstufe reiner Sinnerfahrung geht das System noch von der Voraussetzung aus, daß es seine Erlebniskonstituierung auf die Umwelt bezogen unmittelbar frei und unbegrenzt vornehmen kann. Zwar ist es dabei an die zeitliche Sukzessionsordnung gebunden, aber welchen Standort es hierzu jeweils einnimmt und welche Inhalte es dieser unumgänglichen Abfolgesystematik zuordnet, scheint seiner internen kontingenten Entscheidung noch unmittelbar allein überlassen. Es erlebt sich daher zwar als zeitlich differenziert, aber i n einem zu82 H. Bergson beschreibt die auf die Außenwelt bezogene („räumliche") Zeit ebenfalls als Symbol bzw. A b b i l d des „inneren Ich" (Zeit u n d Dauer, S. 86 ff.), aber der hier dargelegte Zusammenhang reicht weiter: nicht das Subjekt w i r d symbolisch auf die Außenwelt projiziert u n d dadurch „exteriorialisiert", sondern das Subjekt ist selbst wesentlich als System von Symbolen konstituiert u n d erfährt seine eigene K o n s t i t u t i o n an den Objekten seiner Außenwelt als Zeitstruktur. 38 Auch bei G. H. Mead ist der „ J e t z t - Z e i t p u n k t " als abstrakte „Repräsentation des I n d i v i d u u m s " i n der physikalischen Außenwelt bestimmt, n u r fehlt bei i h m das Argument dafür, daß jeder dieser Jetzt-Zeitpunkte nicht isoliert gegeben ist, sondern u n m i t t e l b a r auf seinen Nachfolger verweist u n d sich von seinem Vorgänger abgrenzt; vgl. ders., Erfahrungsbasis, S. 160 f.
3. Kognitives u n d normatives E r w a r t e n
71
fälligen Wechsel der Zeitstufen, sowohl »vorwärts 4 als auch ,rückwärts 4 an der Zeitachse gesehen, also ungeordnet hinsichtlich ,Vergangenheit 4 , ,Gegenwart 4 oder ,Zukunft 4 , welche i n dieser Unterscheidung aus der Perspektive der Sinnerfahrung noch bedeutungslos sind. Da das sinnkonstituierende System i n Bezug auf seine Umwelt noch nicht notwendig zwischen vorgegebenem Umweltdatum und zugeschriebenem I n halt, allgemeiner zwischen Zeichen und Bedeutung differenziert, werden von i h m auch die analogen Zeitebenen vermischt. I n seiner Sinnwelt lebt es, von der dem kognitiven und dem normativen System nachher geläufigen Unterscheidung her betrachtet, zugleich i n seiner Vergangenheit, seiner Gegenwart und seiner Zukunft, i n einer Welt, i n der phantastisches und reales Zeitgeschehen noch untrennbar verbunden sind 8 4 . Gegenüber der mythischen Zeiterfahrung des sinnerlebenden Systems erkennt das kognitiv eingestellte System die Eindeutigkeit und Unumkehrbarkeit der Ausrichtung der Zeitachse an. M i t der Voraussetzung der Selbständigkeit der Inhaltskonstituierung innerhalb der Umwelt und ihrem rein rezeptiven Nachvollzug des sich hiervon unterschieden definierenden Systems w i r d die Zeit von i h m als »objektive 4 Zeit erfahren 35 . Und ebenso wie es insgesamt i n Beziehung auf die U m welt die Reflexionsposition, d. i. prinzipiell die jeweilige Metaposition, einnimmt, identifiziert es die umweltlichen Ereigniszusammenhänge von deren zeitlicher Metaposition her, die die jeweiligen Regeln des unmittelbar stattfindenden Geschehens enthält, m i t h i n von der Vergangenheit der Ereignisse her. Es steigt i n der Zeit- bzw. Zeichenpunkthierarchie nach oben, u m dort die Identität der Mechanismen auszumachen, die die aktuellen Ereignisse regulieren. Insofern könnte man sagen, das kognitive System orientiere sich an der Vergangenheit. Abel m i t dieser Charakterisierung t r i f f t man das spezifische Zeitverständnis dieser Einstellung nicht exakt. Denn das kognitive System fragt zwar immer weiter zurück i n der Zeitebenenhierarchie, aber nur, u m auf 34 Vgl. etwa H. Plessner, Zeit, S. 350, S. 352 ff. unter phylogenetischen u n d J. Piaget, Die B i l d u n g des Zeitbegriffs, S. 366 f. unter ontogenetischen Aspekten. 85 M i t der Anerkennung einer »objektiven 4 Zeit ist das System dann auch i n der Lage, eine »innere 1 bzw. »subjektive 1 Zeit von der objektiven, vorgegebenen Umweltzeit zu differenzieren. Da das systeminterne Zeitbewußtsein nicht n u r i n der Erfahrung des äußeren Zeitverlaufs bestehen kann, sondern zugleich die invariante Identität des Systems gegenüber der äußeren Zeit mitverarbeiten muß, enthält es eine Vermischung von reflexiver Aufhebung u n d gleichzeitiger Anerkennung der Zeitabhängigkeit des Systems. Diese Vermischung innerhalb des inneren Zeitbewußtseins stellt insbesondere unter phänomenolgischen Gesichtspunkten das eigentliche Problem des Zeitbegriffs dar; vgl. etwa E. Husserl, Zeitbewußtsein; ders., Ideen, S. 196f.; A . Schütz/ T. Luckmann, Lebenswelt, S. 67 ff.; vgl. außerdem N. Luhmann, Weltzeit, S. 109 ff.
72
I.
bjektives System
diese Weise nach vorne, d. h. von der jeweils vorausgesetzten auf die jeweils anschließende Ebene schließen zu können. Man könnte demnach ebenso gut sagen, es orientiere sich an der Zukunft und ziehe die Vergangenheit nur deshalb heran, um die Zukunft zu bestimmen. Wichtig ist, daß es durch die Differenzierung der jeweiligen Meta- und Objektzeitebene überhaupt erst die drei Formen der Zeit, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft unterscheidet. Vergangenheit i m kognitiven Sinn ist die je auf Ereignisse hinweisende Zeitebene, die die Regeln ihrer Identifizierbarkeit vorgibt, Zukunft diejenige, auf die hingewiesen wird. Und Gegenwart besteht i n der sich ständig verschiebenden Notwendigkeit ihres Zusammentreffens i n den jeweils unmittelbar erfahrbaren Ereignissen 36 . Infolge seines distanzierten Verhältnisses zur Umwelt erfaßt das kognitiv erwartende System den Unterschied von Vergangenheit und Zukunft der Umwelt lediglich als formalen Unterschied. Sachlich hat es keine andere Stellung zu deren Vergangenheit als zu deren Zukunft, letztlich w i r d sich i n der Zukunft das abspielen, was i n den Regeln oder den Regeln der Regelveränderungen der Vergangenheit angelegt ist. I n diesem Sinn allerdings erwartet das System, was immer schon gewesen ist 3 7 . Da selbst die Evolution der Umwelt auf diese Weise bereits i n einem unendlich fern zurückliegenden Uranfang der Welt begründet unterstellt werden kann, ist das angemessene Zeitmodell der rein kognitiven Einstellung eine Vorstellung von ,Ewigkeit', gegenüber der die jeweils aktuell stattfindenden Veränderungen, überhaupt die aktuellen Erlebnisse, von je verschwindender Bedeutung sind. I m Gegensatz hierzu steht die Zeiterfassung des normativ eingestellten Systems. Es konstituiert die Zeit nicht mehr nur als objektives und neutral ablaufendes Kontinuum, sondern subjektiv, ohne auf die Form der mythischen Zeiterfahrung zurückzufallen. Dies muß auch die Unterstellung bei Luhmann sein, wenn er die normative Erwartung als „zeitliche Gener alisier ung" umschreibt. Das normativ eingestellte System ordnet nicht einfach sachliche Zusammenhänge innerhalb des umweltlichen Zeitablaufs, sondern geht von der Möglichkeit der internen Konfrontation seiner Inhaltskonstituierung mit der jeweils gegebenen Umwelt und ihrer Zeitstruktur aus und definiert sich hierdurch aus seiner Sicht ein eigenes und selbstbestimmtes Zeitvermögen — dies bildet sein von der Umwelt je nicht determiniertes Zeitpotential, seine Zukunft. Da sich insofern der Zeitablauf für das normativ eingestellte 36
Vgl. G. H. Mead, Philosophie der Sozialität, S. 241 f. „ D i e kognitive Einstellung ist daher typisch auf fixierte Wahrheit u n d auf weiterlaufende vergangene Erfahrung angewiesen." (N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 129). Vgl. auch z.B. Leinfellner, Einführung, S. 170: „Hauptzweck der theoretischen Erkenntnis ist es, die invariante Ordnung . . . des Seienden . . . aufzustellen." 37
3. Kognitives u n d normatives E r w a r t e n
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System primär von seiner Zukunft her bestimmt 3 8 , konstituiert es damit auch erst seine Vergangenheit ebenso wie seine Gegenwart i m vollständigeren Sinn. Indem es seine Zukunft i n der Form inhaltlicher Erwartungen auf Übereinstimmung m i t der erfahrbaren Umwelt bildet, erlebt es nun sowohl den Fall der Übereinstimmung als auch den der Abweichung als die es unmittelbar selbst betreffende Gegenwart der Ereignisse. I m Falle der Erfüllung ist es sich selbst zeitlich gesehen gegenwärtig' und i m Falle der Abweichung ebenso, wenn auch auf negierte und deshalb als enttäuschend erfahrene Weise. I m Unterschied zum kognitiv erwartenden System kann daher das normativ erwartende die Gegenwart würdigen, weil sich i n ihr seine Zukunft entweder realisiert oder nicht realisiert. Darüber hinaus besteht allerdings m i t der jeweiligen Gegenwart des Systems seine Zukunft nicht mehr, sie ist vergangen. Erst recht gilt dies für den Zeitablauf über den als Gegenwart erlebten Zeitpunkt hinaus. Denn damit ist die Zukunft nicht nur als gegenwärtig realisierte, sondern insofern endgültig vergangen, als sich jetzt gegenwärtig wiederum eine neue Z u k u n f t des Systems realisiert, womit die ,alte' Zukunft unwiderruflich zur vergangenen Zukunft wird. Die Vernichtung seiner Zukunftsmöglichkeiten stellt das Erleben der Vergangenheit des normativ erwartenden Systems dar. Während sich das kognitiv erwartende System je gegenwärtig an der Einheit von objektiv vergangener und objektiv zukünftiger Umwelt orientiert, orientiert sich das normativ erwartende an der zukünftigen Einheit von systemischer und umweltlicher Gegenwart. Hieran läßt sich auf die K r i t i k der normativen Erwartungsform überleiten. Implizit muß das normativ eingestellte System die Erfüllung (und nicht nur die Enttäuschung) zu vermeiden versuchen, denn m i t der Gegenwart der Erfüllung geht seine Möglichkeit, die umweltliche Zeit an seinem eigenen Zeitmaßstab zu messen, je i n eine unverfügbare Vergangenheit über. c.3.) K r i t i k der normativen Einstellung Das Problem der normativen Erwartung illustriert die i h r von L u h mann zugeschriebene Eigenschaft, „kontrafaktisch" eingestellt zu sein. Luhmann fordert einesteils, daß „die übliche Entgegensetzung von Faktischem und Normativem . . . aufgegeben werden (sollte)" 39 . Andererseits definiert er selbst Normen als „kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen" 4 0 , wobei das ,kontra' sich gegen das Faktische und nicht, wie es seinem Vorschlag entspräche, gegen das Kognitive 38 39 40
Vgl. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 129. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 43. Ebd., S. 43.
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I.
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richtet („seinen adäquaten Gegensatz hat das Normative nicht i m Faktischen, sondern i m Kognitiven") 4 1 . N u n w i l l zwar Luhmann durch das Zurückweisen der Alternative von Faktischem u n d Normativem bzw. von „Sein und Sollen" 4 2 nur betonen, daß auch die kontrafaktische Einstellung des normativ erwartenden Systems selbst ein faktisches Verhältnis des Systems zu seiner Umwelt darstellt. Aber die Wahl desselben Begriffs ,faktisch' für diese beiden verschiedenen Tatbestände, für die i h n Luhmann verwendet, ist nicht zufällig, sondern charakterisiert das Dilemma der Definition der normativen Erwartungsform 4 3 . Die Darstellung der Besonderheit dieses Dilemmas gegenüber den allgemeinen Eigenschaften der Erwartungsform und gegenüber der kognitiven Form kann nach deren relativ ausführlicher Beschreibung entsprechend kurz gehalten werden, zumal sich einige Probleme der kognitiven Form hier, nur m i t umgekehrtem Vorzeichen, wiederholen. M i t der normativen Einstellung fördert das System die Implikationen der sinnhaften Umweltkonstituierung zu Tage und stellt zugleich die Konsequenzen, die zunächst zur kognitiven Einstellung führten, bei dieser aber die Bildung des jeweils erlebten Sinngehalts gänzlich der Umwelt überantwortete, wieder vom Kopf auf die Füße. Gegenüber der einfachen Sinnkonstituierung setzt es die selbständige ,Faktizität' der Umwelt nicht nur implizit, sondern explizit voraus, und i m Unterschied zur kognitiven Einstellung beansprucht es dennoch, den inhaltlichen Sinn seiner Umwelt als eigene Leistung zu konstituieren. Aber dadurch, daß es nun seinen Sinn nicht mehr n u r implizit, sondern explizit kontrafaktisch hervorbringt, hebt es den Widerspruch der einfachen Sinnkonstituierung nicht auf, i m Gegenteil. Dem abstrakten Grundproblem des Systems, eine Identität (welcher A r t auch immer) mit seiner Umwelt unterstellen zu müssen, damit es sich i m Unterschied zu ihr definieren kann, entgeht es nicht dadurch, daß es umgekehrt von der Umwelt nun die inhaltliche Identität m i t i h m erwartet, weil es i m plizit die ebenfalls normative Anforderung aufrechterhalten muß, daß die Umwelt i h m gegenüber nicht-identisch bleibt. Die System/UmweltGrenze ist eine normative Grenze 44 , und die normative Erwartungseinstellung muß erst recht daran festhalten. Die kontrafaktische Orientierung der normativen Erwartungsbildung kann sich daher nicht nur dadurch geltend machen, daß die Erwartung auch i m Enttäuschungsfall beibehalten wird. Sie muß darüber hinaus das Prinzip der Inhaltsbildung betreffen, m i t der Folge, daß ein entsprechender Inhalt i n der 41
Ebd., S. 44. Ebd., S. 43. 43 Vgl. die entsprechende K r i t i k bei F. von Benda-Beckmann, N o r m u n d Recht, S. 283 ff. 44 Vgl. etwa N. Luhmann, Verwaltungswissenschaft, S. 66. 42
3. Kognitives u n d normatives E r w a r t e n
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Umwelt des Systems eigentlich gar nicht vorkommen darf 4 5 . Das, was als Erfüllung der normativen Erwartung an die Umwelt erlebt wird, kann i n Bezug auf den gesamten jeweils involvierten normierten Erwartungsinhalt immer nur einen verschwindenden Anteil ausmachen. Der Umfang der inhaltlichen Erfüllung der Erwartung umfaßt den Bereich, i n dem das System m i t seiner Umwelt faktisch übereinstimmt, somit faktisch nicht mehr von dieser abgegrenzt werden kann. Hiergegen könnte sich allerdings der mögliche Einwand richten, daß die systeminterne Erwartungshaltung auch i m Falle der Erfüllung immer noch gesondert vorhanden ist, insofern sie überhaupt erst die Feststellung einer Übereinstimmung der beiden Seiten Innen und Außen sinnvoll macht. Aber was soll man sich unter dieser subjektiven Erwartungshaltung jenseits ihres m i t der Umwelt deckungsgleichen Inhalts vorstellen? Entweder ist sie i n der Tat, wie Luhmann schreibt, etwas Faktisches; dann aber wäre ihre spezifische faktische Beziehung auf den von i h r faktisch vorausgesetzten Inhalt anzugeben — weder eine eindeutige Innen/Außen-Abgrenzung noch eine Charakterisierung als kontrafaktisch wäre systematisch durchzuhalten. Oder aber sie fundiert tatsächlich das kontrafaktische Element der normativen Erwartung, dann wäre sie nur symbolisch faktisch 46 . Das führt auf die rein symbolische Konstitution des Systems zurück. Die symbolische Konstitution bedeutet für das normativ erwartende System, welches sich durch ,Nicht-Lernen' von dem kognitiv orientierten unterscheidet, daß es lediglich symbolisch seine Lernunwilligkeit aufrechterhalten kann, faktisch jedoch kontinuierlich zum Lernen gezwungen ist. Denn infolge der je unterstellten Abweichung der faktisch erlebten Umwelt — abgesehen von jenem verschwindenden, eben ,symbolischen Rest' der Erwartungserfüllung — erfährt das System seine Gegenwart permanent anders als erwartet. Die Unterscheidung dieser Einstellung gegenüber der kognitiven besteht daher letztlich auch nur symbolisch. Das kognitive System kann nur lernen, indem 45 Als Konsequenz der ausschließlich normativen Orientierung läßt sich daher auch eine unversöhnliche Gegnerschaft zwischen System u n d U m w e l t entwickeln. Denn am klarsten besteht die normative Systemidentität dann fort, w e n n die U m w e l t ihrerseits normativ als permanente Negation des normativen Anspruchs des Systems auf Selbsterhaltung definiert w i r d . Das ist die unbeschränkte Freund/Feind-Konstellation, die C. Schmitt zur G r u n d lage seines ,Begriff des Politischen', S. 7 ff. macht; vgl. zum Zusammenhang von L u h m a n n u n d Schmitt B. Willms, Funktion, S. 34 f. 46 E i n ähnliches Problem entsteht bei Habermas* Gebrauch des Terminus ,kontrafaktisch*. Allerdings ist zweifelhaft, ob Habermas damit dieselbe Bedeutung verbindet w i e Luhmann, da die ,kontrafaktische' Bezugnahme auf den wahrheitsverbürgenden Diskurs als prinzipiell uneinholbare Unterstellung konzipiert ist, Luhmanns normative Erwartungen jedoch — zumindest p r i m ä r — ihre volle faktische E r f ü l l b a r k e i t einschließen; vgl. J. Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 223.
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I.
bjektives System
es faktisch seine Umwelt normativ erfaßt, und das normative System kann nur nicht-lernen, indem es faktisch seine Umwelt kognitiv erlebt. Das, was hierbei ,faktisch' heißt, ist jeweils die äußere Gegenständlichkeit, deren Vorhandensein ebenfalls nur durch ihre Symbolisierung verbürgt ist. Wegen des unmittelbar negativen Verhältnisses der beiden Erwartungsformen kann ihre gegenseitige Vorausgesetztheit innerhalb der Umweltperspektive der jeweils anderen Form nicht als zwingende Korrektur zum Ausdruck gelangen. Da das normativ eingestellte System seine Erwartung primär auf eine nur mögliche Gegenwart, d. h. auf seine Zukunft, richtet, w i r d es durch keine einzelne faktisch eintretende und kognitiv zur Kenntnis genommene Enttäuschung dazu genötigt, seine normative Erwartung bezüglich des ganzen involvierten Inhalts, geschweige denn seine normative Einstellungsform insgesamt zu korrigieren. Allerdings unterliegt es auf diese Weise schließlich doch einer ständigen Zerreißprobe, da es einerseits dazu tendieren muß, möglichst viel Zukunft zu haben, u m durch die einzelnen Gegenwärtigkeiten möglichst wenig enttäuscht zu werden, andererseits um so mehr Vergangenheit hat, je mehr Zukunft es hervorbringt. Die Summierung seiner Vergangenheit bedeutet zugleich eine Summierung kognitiv anzuerkennender und normativ enttäuschender Anpassungszwänge. Das ist der Grund, warum langfristig normative Erwartungen doch korrigiert werden müssen, selbst wenn kurzfristig die Illusion, sie nicht-kognitiv bilden und aufrechterhalten zu können, bestehen mag.
I I . Objektives System 1. Der Rechtsbegriff bei Luhmann Die Basis der Definition des Rechts bildet der Begriff der normativen Erwartung. Von dieser Basis ausgehend entwickelt Luhmann seinen Rechtsbegriff i n zwei Schritten. M i t dem ersten w i r d ausgeführt, i n wiefern die drei Dimensionen normativer Erwartungen, die zeitliche, die sachliche und die soziale, getrennt voneinander generalisierbar sind. Dabei bedeutet ,zeitliche Dimension' die Normativität der Erwartungen i n dem beschriebenen Sinn ihrer zeitlichen Stabilisierung 1 . I n der ,sachlichen Dimension' finden Generalisierungen durch das Invariantsetzen von „Sinnzusammenhängen" statt, deren wichtigste Ausformungen die Sinnzusammenhänge „Person", „Rolle", „Programme" u n d „Werte" darstellen 2 . I n der ,sozialen Dimension' schließlich führt die Generalisierung zur „Institutionalisierung" von Normen 8 . M i t dem zweiten Schritt bestimmt Luhmann daraufhin die gesellschaftliche Funktion des Rechts i m Hinblick auf das Problem der „natürlichen Inkongruenz der drei Generalisierungsmechanismen" 4 u n d gewinnt daraus die folgende Definition: „(Es zeigt sich), daß sich Möglichkeiten sinnvoller Verbindungen (der drei Generalisierungsmechanismen) durchaus entdecken u n d zu evolutionär erfolgreichen Konfigurationen herausbilden lassen. I m Prinzip beruhen solche Kombinationsmöglichkeiten darauf, daß i n den einzelnen Dimensionen nicht n u r jeweils eine, sondern viele f u n k t i o n a l äquivalente Problemlösungen zur Verfügung stehen. I n der Zeitdimension gibt es ein beträchtliches Repertoire an Möglichkeiten der Enttäuschungserklärung u n d Enttäuschungsabwicklung, der Institutionalisierungsprozeß hat zahlreiche Varianten j e nachdem, welche Erwartungen von w e m erwartet werden, u n d die sachliche Sinnbildung läßt sich inhaltlich sowie nach Abstraktionsgraden den Erfordernissen anpassen, ohne an eine strikte L o g i k des Soseins der Welt gebunden zu sein. Dieses Überangebot von Möglichkeiten muß zunächst als Korrelat des Risikos von Erwartungsstrukturen überhaupt begriffen werden. Das Risiko w i r d dadurch gemildert, daß jeweils verschiedene Formen der Erlebnisverarbeitung u n d des Handelns bereitstehen, i h m zu begegnen. Die Selektionsmöglichkeit, die darin angelegt ist, k a n n jedoch nicht beliebig ausgeübt werden. Sie ist durch gewisse Erfordernisse der K o m p a t i b i l i t ä t vorweg schon eingeengt. Die Mechanismen der einzelnen Dimensionen w i r k e n schon 1 2 3 4
N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 64; ders., Normen, S. 41. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 85, S. 80 ff. Ebd., S. 64 ff. Ebd., S. 98.
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I I . Objektives System
i m Verhältnis zueinander selektiv. Sie begrenzen das, was für die jeweils anderen real möglich ist. I h r notwendiges Zusammenwirken bildet einen Satz von strukturellen Variationsschranken, welche die K o m p a t i b i l i t ä t der einzelnen Mechanismen miteinander sicherstellen. Das schließt abweichendes E r w a r t e n u n d Handeln, j a selbst abweichende Normprojektion, abweichende Institutionalisierung u n d abweichende I d e n t i f i k a t i o n v o n Erwartungszusammenhängen nicht effektiv aus, konstituiert aber eine engere A u s w a h l von Verhaltenserwartungen, die sowohl zeitlich als auch sozial als auch sachlich generalisiert sind u n d dadurch besondere Prominenz u n d Sicherheit ge-
nießen. Die in diesem Sinn kongruent generalisierten
normativen Verhal-
tenserwartungen w o l l e n w i r als das Recht eines sozialen Systems bezeichnen. Das Recht leistet selektive Kongruenz u n d bildet dadurch eine S t r u k t u r sozialer Systeme 5 ."
M i t der nur kursorischen Anführung der drei Dimensionen und ihrer verschiedenen Generalisierungsmöglichkeiten und der darauf aufbauenden zitierten Hinleitung, die Luhmann zur Begründung seiner Definition des Rechtsbegriffs vorausschickt, scheint gegenüber den analysierten Begriffen i n Abschnitt I. ein großer und komplizierter Sprung gemacht worden zu sein. Aber der Sprung ist nicht so groß und läßt sich als Konsequenz der Ergebnisse des ersten Abschnittes begreifen, wenn man an die Definition Luhmanns m i t zwei Fragen herangeht, um diesen Anschluß herzustellen. Z u m einen ist nach der Bedeutung der Bildung von Erwartungserwartungen für das Zustandekommen rechtlicher Verhaltenserwartungen, zum anderen nach dem Spezifikum der Kongruenzkriterien zu fragen, die das Recht von anderen ebenfalls „kongruent generalisierten Verhaltenserwartungen" unterscheiden. M i t der zweiten Frage läßt sich am besten beginnen, weil m i t ihrer Beantwortung zugleich die Berechtigung der ersten gezeigt werden kann. Luhmann macht i n dem wiedergegebenen Auszug keine genaueren Angaben darüber, welcher Mechanismus die Kongruenz der drei generalisierten Dimensionen normativer Verhaltenserwartungen sicherstellt. Auch i m übrigen Text der ,Rechtssoziologie4 fehlt die entsprechende Angabe®. Allgemein charakterisiert er lediglich die Notwendigkeit, daß überhaupt eine nicht-beliebige Selektion unter den verschiedenen Generalisierungsmöglichkeiten stattfindet, insofern die Selektion durch „gewisse Erfordernisse der Kompatibilität vorweg schon eingeengt" sei. Darüber hinaus führt er jedoch nur exemplarisch für „entwickeltere Gesellschaften" besonders günstige Generalisierungsformen i n den einzelnen Dimensionen an 7 , ohne deutlich zu machen, inwiefern ihre Kongruenz untereinander zu gewährleisten oder gar 5
N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 98 f. (Hervorhebung N. L.). Vgl. auch N. Luhmann, Positivität des Rechts, S. 179; ders., Gerechtigkeit, S. 134; ders., Rechtsdogmatik, S. 24; ders., Evolution des Rechts, S. 9; ders., Soziologie, S. 122; zu dieser Lücke vgl. H. Folkers, Recht, S. 416; T. W. Bechtler, Rechtsbegriff, S. 160 f. 7 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 100. β
1. Der Rechtsbegriff bei L u h m a n n
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spezifizierend für das Recht ist. Diese fortgeschritteneren Generalisierungen sind i n der zeitlichen Dimension die Enttäuschungsabwicklung durch „Sanktionen", i n der sozialen Dimension die Ausdifferenzierung von „Verfahren" und i n der sachlichen Dimension die Entwicklung von „Entscheidungsprogrammen" 8 . Ausdrücklich betont er aber, daß diese Mechanismen Recht nicht definieren 9 , abgesehen davon, daß immer noch ihre gegenseitige Verträglichkeit zu beschreiben wäre. Ebensowenig gibt die Abgrenzung, die Luhmann zwischen Recht und Sprache vornimmt, einen entscheidenden Hinweis. Auch auf Sprache t r i f f t seine Definition des Rechts unmittelbar zu, da „es normative, kongruent generalisierte Verhaltenserwartungen über richtiges Sprechen und Schreiben (gibt)" 1 0 . Der Unterschied von Recht und Sprache soll demgegenüber darin bestehen, daß „das Recht eine weit über die Regelung korrekter Rede hinausgehende Reduktionstechnik (benötigt), die aus dem Bereich dessen, was dank Sprache gesagt, gedacht und getan werden kann, das auswählt, was gesagt, gedacht und getan werden darf. Kongruenz des Erwartens w i r d i m Recht also für eine engere Selektion eingesetzt, die das durch Sprache Ermöglichte nicht annulliert, sondern als Möglichkeit ins Auge faßt und einer nochmaligen Reduktion unterw i r f t " 1 1 . Aber auch diese über Sprache vermittelte doppelte Selektivität gilt bei Luhmann für andere normative Strukturen eines sozialen Systems ebenso. Man kann zum Beispiel Religion als soziale Struktur analog zur Definition des Rechts bei Luhmann als kongruente Generalisierung normativer Verhaltenserwartungen beschreiben, bei der i n der zeitlich-normativen Dimension bestimmte abweichende Verhaltensweisen (etwa Sünden) m i t Sanktionen belegt werden, i n der sozialen Dimension (klerikale) Institutionen und Verfahren ausgebildet und i n der sachlichen Dimension über Werte, Programme und Rollen Sinnzusammenhänge erhalten werden. Auch hier liegt eine nochmalige Reduktion dessen vor, was aufgrund von Sprache an Sinnmöglichkeiten und Verhalten vorselegiert ist 1 2 . Was also ist die differentia specifica des Rechts gegenüber all den anderen nochmaligen Reduktionen sprachlicher Reduktionsvorgaben? Die Schwierigkeit, dieses Spezifikum anzugeben, könnte daher rühren, daß die Leistung des Rechts möglicherweise darin besteht, ausschließlich solche Regeln zu systematisieren, die die Selektivität der * Ebd., S. 100 ff. Ebd., S. 101. 10 Ebd., S. 104. 11 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 105 (Hervorhebung N. L.). 12 Vgl. N. Luhmann, Religiöse Dogmatik, S. 31; umgekehrt stellt sich dann dasselbe Problem, Religion von Recht oder anderen sinnhaften sozialen Strukturen abzugrenzen; vgl. Luhmanns entsprechende Problematisierung i n F u n k t i o n der Religion, S. 83. 9
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I I . Objektives System
Kongruenz, nicht aber die jeweilige Kongruenz der Erwartungen selbst betreffen. Das entspräche der systeminternen Konstruktion der Sinnerzeugung, wo ebenfalls nicht der bestimmte Erlebnisinhalt, sondern die abstrakte Tatsache seiner Selektivität den Erlebnissinn begründet. Recht bezöge sich so auf die immanente Transzendierbarkeit jeglicher (sachlicher und sozialer) Erwartungsintegration. A u f diese Weise gäbe es auch einen Unterschied zur Sprache ebenso wie zu den anderen kongruenten Generalisierungen normativer Verhaltenserwartungen. I m Hinblick auf Sprache wäre der Unterschied, daß deren Abstraktionsmöglichkeit allenfalls die Leistung der Sprachregeln, nicht aber zwingend auch die Sprachinhalte betrifft. Man spricht nicht notwendig so, daß von der Besonderheit der Inhalte reflexiv abstrahiert werden kann. I m Hinblick auf andere normative Systeme wie etwa Religion, aber auch Ideologie oder Liebe, wäre der Unterschied, daß deren Normativität jeweils an ganz bestimmte darin enthaltene Inhalte gebunden ist. Religion oder Liebe können (im Sinne Luhmanns) nicht wie das Recht ,positiv 4 werden, weil deren normativer Geltungsanspruch nicht vollständig von festen inhaltlichen Werten und Programmen abgelöst werden kann. Recht i m beschriebenen Sinn hingegen wäre diese Entwicklung zur Positivität immanent, wenn es lediglich die Möglichkeit der Veränderbarkeit jeder bestimmten Erwartungskongruenz konstituieren würde. E i n vorläufiger Beleg für die Annahme, daß Recht nur diese Ermöglichung beliebiger Kompatibilitäten zwischen den drei Erwartungsdimensionen reguliert, findet sich bei Luhmann an anderer Stelle, bei seiner Bestimmung der politischen Verfassung. Nachdem er feststellt, daß „der Rechtsstaat keine Verfassung i m üblichen Sinne (ist, sondern) möglicherweise die Rechtlichkeit der Verfassung selbst" betrifft, bemerkt er, daß es historisch „nicht falsch (war), i n der ersten Formulierung des Rechtsstaatsgedankens vom Begriff der Vernunft auszugehen; nur verwies dieser Begriff zu sehr auf die Erkenntnis von Bedingungen und Schranken der Kompatibilität und sah i n dieser Erkenntnis zugleich die Verwirklichungsbedingungen, während man heute i n dieser Hinsicht zweifeln muß und deshalb lieber die Kompatibilität selbst als Rechtsstaat bezeichnen sollte" 1 3 . Die Frage ist demnach, inwiefern die bloße „Kompatibilität selbst" als ausschlaggebendes K r i t e r i u m der Kongruenz der Erwartungsdimensionen gedacht werden kann. Da i m K e r n diese Frage zunächst darauf zielt, wie überhaupt beliebige normative Erwartungen verschiedener Individuen so miteinander verträglich sein können, daß ihre Übereinstimmung nicht erst von Fall zu Fall neu ausgehandelt werden muß, liegt es nahe, nun die Konstellation der Erwartung fremder Erwartungen zum Gegenstand der Untersuchung zu machen. 13
N. Luhmann, Politische Verfassungen, S. 180 f. (Hervorhebung Α . Z.).
1. Der Rechtsbegriff bei L u h m a n n
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a) Die normative Erwartungserwartung als Kern des Rechtsbegriffs Luhmanns Das Ergebnis der Analyse der kognitiven und der normativen E r wartung war, daß die kognitive Erwartung infolge ihrer Antinomien begrifflich auf die normative hinführt, diese aber entgegen ihrem ausdrücklich negativen Verhältnis zur kognitiven Einstellung implizit doch auf die kognitive Anpassung an die Umwelt verwiesen ist. Beide Erwartungsformen sind streng alternativ zueinander definiert, können aber ihre Prämissen nur erhalten, wenn sie auf die ausgeschlossene andere Form rekurrieren. E i n weiteres, nicht genanntes, aber i n der gesamten vorangehenden Analyse stillschweigend präsentes Ergebnis war, daß sich alle drei Stufen der System/Umwelt-Differenzierung, die sinnhafte, die kognitive und die normative Einstellung des Systems, von einem einzelnen, monologisch konstituierten System aus entwickeln ließen 14 . Luhmann führt seine sämtlichen systemtheoretischen Grundbegriffe wie System, Umwelt, Komplexität etc. vom Standpunkt eines isoliert voraussetzbaren Systems ein, ein notwendiger Bezug auf die Existenz weiterer Systeme w i r d zur Explikation jener Grundbegriffe an keiner Stelle benötigt. Das Problem ist, wie sich auf dieser Ausgangsbasis stabile soziale Beziehungen zwischen den Systemen unterstellen lassen. Die Verbindung dieses Problems m i t dem der beiden alternativen Einstellungsformen ist nicht willkürlich. Denn ein immanenter Ausweg aus dem Dilemma des gegenseitigen Ausschlusses der beiden Einstellungsformen trotz wechselseitiger Abhängigkeit kann für das System nur formuliert werden, wenn zugleich die Voraussetzung der Existenz anderer Systeme für jedes Einzelsystem gemacht w i r d : M i t der Ausbildung der beiden Erwartungsformen hat das System alle grundsätzlichen Möglichkeiten, sein widersprüchliches Verhältnis zur Umwelt durch rein systeminterne Reaktionen zu bewältigen, ausgeschöpft. Systemintern kann es sich entweder nur der Umwelt anpassen bzw. die Umwelt i m Innenbereich rekonstituieren (kognitive Einstellung) oder die Umwelt von innen her gesehen an sich anpassen bzw. die Umwelt nach seinen eigenen Prämissen intern konstruieren (normative Einstellung). Generell lautet daher der Schluß, den das System zur Bewältigung der Problematik seines Bestandes ziehen muß, diesen Bestand nicht mehr nur systemintern, sondern auch systemextern i n seiner Umwelt bereits vorauszusetzen, u m so der abstrakten Alternative System oder Umwelt zu entgehen. Das ist, da die System/ Umwelt-Differenzierung prinzipiell aufrechterhalten werden muß, nur möglich, wenn das System i n seiner Umwelt identische Systeme vor14 Vgl. N. Luhmann, Sinn, S. 31 ff.; zur K r i t i k an diesem P u n k t vgl. J. H a bermas, Theorie der Geselischaft oder Sozialtechnologie, S. 188; H. Haferkamp, Soziologie, S. 60 f.; F. Schneider, Systemtheoretische Soziologie, S. 29 ff.
6 Zlelcke
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I I . Objektives System
aussetzt und sich auf diese Voraussetzung i n seiner internen Organisation bezieht. Natürlich kann das System nicht durch bloße interne Reorganisation i n seiner Umwelt weitere Systeme erzeugen. Aber es kann bei entsprechender Ausbildung seiner internen Selektionsstruktur erreichen, daß i n der Umwelt vorhandene Systeme i n seine Innen/AußenDefinition einbezogen werden. Dadurch kann es nicht nur für sich eine neue Umwelt konstituieren, sondern die Tatsache, daß die anderen Systeme dies ebenfalls nachvollziehen, intern berücksichtigen, so daß i n diesem Sinn eine wechselseitige Interaktion der Systeme untereinander stattfinden kann. Geht man noch einmal von der singulären normativen Erwartung des Einzelsystems aus, dann läßt sich dieser Schluß noch etwas konkreter begründen. Da das normativ eingestellte System letztlich doch zu einer ständigen nachträglichen Anpassung an seine je gegenwärtig erlebte Umwelt genötigt ist, muß es beanspruchen, diesen Zwang durch die explizite Antizipation der kognitiven Anpassung innerhalb der normativen Einstellung selbst aufzuheben. Richtet sich das System hierauf ein, entsteht systemintern eine komplexe doppelt reflexive Erwartungsform, m i t der eine entsprechend komplexe externe Umweltdifferenzierung korrespondiert. Zunächst die systeminterne Folge: Durch die Berücksichtigung des kognitiven Elements i m Rahmen der normativen Einstellung ergibt sich für das System mehr als nur eine höhere Chance der Realisierung seiner Erwartungen. Es reflektiert seine normative Einstellung kognitiv und bezieht die solchermaßen eingesetzte kognitive Reflexion auf die normative Basis zurück. Was daher auf der Stufe der einfachen Sinnerfahrung als Negation der Negation zu beschreiben war, findet jetzt systemintern als Erwartung der Erwartung statt. Die beiden Erwartungsformen negieren einander gegenseitig und konstituieren dadurch ein absolut generalisiertes und mit jedem beliebigen Erwartungsinhalt kompatibles Erwartungsvermögen. Das System erwartet sich als normative Kompetenz, an die sich jede Einzelerwartung anzupassen hat. Und systemextern: Was Luhmann als normatives Erwarten von Erwartungen faßt 1 5 , das intersystemische Verhältnis individueller Erwartungen, ist nach dem, was die systeminterne Konstellation kennzeichnet, die komplementäre externe Seite des Innenverhältnisses. Das System kann sich nur dann als reflexive Normkompetenz erwarten, wenn es andere Systeme i n seiner Umwelt voraussetzt, die systemintern ebenso reflexiv erwarten wie es selbst, und wenn zwischen den Systemen diese Erwartungsweisen aufeinander bezogen sind. Denn die Prämissen der beiden singulären Erwartungselemente gelten i n der komplexen Form fort, sie werden 15 Vgl. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 33 f.; ders., Normen, S. 32; ders., Positivität des Rechts, S. 177.
1. Der Rechtsbegriff bei L u h m a n n
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nur reflexiv kombiniert. Das bedeutet einerseits, daß m i t dem kognitiven Erwartungselement unterstellt wird, daß dessen Inhalt vollständig der Umwelt des Systems angehört; das kognitive System paßt sich seiner Umwelt an. Da aber hier der Inhalt der kognitiven Einstellung die normative Einstellung ist, folgt daraus, daß diese bereits i n der Umwelt vorhanden sein muß, also als normativ erwartendes externes System. Und da sich andererseits den Prämissen des normativen Erwartungselements zufolge das System jeweils mit seinem Erwartungsinhalt identifiziert, folgt hieraus, daß sich das eine System m i t dem anderen normativ identifiziert — ohne die Differenz zu diesem aufzugeben, weil der normativ erwartete Inhalt eben kognitiv distanziert als Umwelt reflektiert wird. Diese wechselseitige externe Identifizierung und Distanzierung der Systeme untereinander ergibt damit das Verhältnis der Erwartung von Erwartungen i m Sinne Luhmanns. M i t der normativ-kognitiven Reflexivität der Erwartungsbeziehung der Systeme ist der Grundstein für das Rechtsverhältnis, das Luhmann mit seinem Rechtsbegriff definiert, gelegt. U m dies zu zeigen, ist es günstig, drei Aspekte dieser Beziehung auseinanderzuhalten, den personalen (b), den sachlichen (c) und den sozialen (d) Aspekt. Das Verhältnis dieses Fundaments des Rechts zur Zeichen- und Zeitstruktur der System/Umwelt-Relation w i r d erst i m Zusammenhang m i t der K r i t i k des Rechtsbegriffs Luhmanns (II.4.) betrachtet. b) Der personale Aspekt Das normative Erwarten von Erwartungen kann erschöpfend weder als ein Komplementärverhältnis (Parsons) 16 noch als ein Reziprozitätsverhältnis (Gouldner) 17 der wechselseitigen Erwartungen erfaßt werden. Die beteiligten Systeme stimmen nicht nur ihre Einzelerwartungen notgedrungen aufeinander ab, sondern konstituieren zugleich m i t ihrer normativen sozialen Integration eine reflexive Innen-Identität, auf deren Grundlage sich die gegenseitige Abstimmung der Einzelerwartungen nicht mehr nur als Zwang, wie i h n Hobbes thematisiert hat, darstellt. Luhmann kritisiert Parsons i n diesem Punkt 1 8 , ohne allerdings die Implikationen seiner K r i t i k voll i n seiner begrifflichen Ausarbeitung der Erwartungserwartungsbeziehung zu berücksichtigen. Da er nur das Außenverhältnis der Erwartungen des ego-Systems hinsichtlich der Erwartungen des alter-Systems i n den Blick nimmt, spricht er n u r 16
Vgl. T. Parsons / E. A . Shils, T o w a r d a General Theory, S. 14 ff., S. 105 ff. A. W. Gouldner, N o r m of Reciprocity, S. 161 ff. 18 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 33; zum ,Hobbesian problem 4 vgl. T. Parsons, The Social System, S. 36, S. 118 f.; ders., Evolution of A c t i o n Theory, S. 69 f.; zur Veränderung des Gesichtspunktes von der Reziprozität zur Ref l e x i v i t ä t bei L u h m a n n vgl. R. Damm, Systemtheorie, S. 67. 17
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das gegenseitige Orientierungsproblem der einzelnen Systeme angesichts der „doppelten Kontingenz" 1 9 ihrer unmittelbaren Erwartungsbildung an, nicht aber die Voraussetzungen, die hierfür innerhalb jedes Systems entwickelt sein müssen. Das Ausmaß des begrifflichen Übergangs von der Abstimmung singulärer normativer Erwartungen von Einzelsystemen zur Stabilisierung einer sozialen Konstellation, i n der fremde normative Erwartungen nicht nur zufällig erwartet werden können, zeigt sich daran, daß die einfachen normativen Erwartungen nach Luhmann durch die Einstellung, nicht zu lernen, charakterisiert sind. Stehen sich daher verschiedene solcher lernunwillig eingestellten Einzelsysteme gegenüber, dann kann auf dieser Grundlage keine dauerhafte normative Interaktion zwischen ihnen Zustandekommen20. Systeme, die nur normativ eingestellt sind, können keinen Dialog über Normen aufnehmen, da sie als nicht anpassungsfähig vorausgesetzt sind, es sei denn, sie verändern ihre Normbildung i n der geschilderten Weise. Das Ergebnis ist dann nicht n u r die Ermöglichung einer stabilen Chance zur Kommunikation über Normen, sondern eine neue Selbstdefinition der Einzelsysteme. Durch die kognitive Distanzierung von seiner normativen Einstellung und durch die reflexive normative Identifizierung m i t dieser kognitiven Distanzierung erreicht das System eine Verobjektivierung seiner Erwartungsbildung. A u f der Stufe des Sinns, der Stufe der reflexiven Negationskompetenz, lebte jedes beteiligte System i n seiner privaten Sinnwelt. Jetzt hingegen konstituieren die beteiligten Systeme durch die gegenseitige Negation und Affirmation der beiden Einstellungsformen eine Erwartungskompetenz, die privat nur insoweit erfahren und angewandt werden kann, als sie intersubjektiv m i t den anderen Systemen geteilt wird. Da die Systeme auf dieser Basis von ihrer sozialen Umwelt nurmehr das normativ i n Anspruch nehmen, was die anderen Systeme ebenso wie sie selbst konstituiert, erwarten sie die Anerkennung dieses Anspruches zu Recht Die Systeme erwarten normativ, soweit ihre Erwartungen Ausfluß jener reflexiven Kompetenz sind, nur die Aufrechterhaltung der Konstitutionsform der anderen mit, und da sie diese Form nicht beliebig selbst hervorbringen, sondern gegenseitig voraussetzen müssen, erwarten sie i m Rahmen eines Legitimationsverhältnisses zwischen System und Umwelt. Die Systeme integrieren sich nicht gegenseitig auf der Grundlage von Erwartungen, sondern von Erwartungskompetenzen bzw. der intersubjektiv identischen Erwartungskompetenz. Erst auf dieser Grundlage sind die Entscheidungen, welcher konkreten Einzelerwartung man sich anzupassen hat und 19
N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 32. Vgl. die entsprechende K r i t i k bei F. Maciejewski, Sinn, S. 143; H. Joas, Rollentheorie, S. 57 f.; vgl. außerdem J. Habermas, Interaktionskompetenz, S. 85 f. 20
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welcher nicht, zu fällen. K e i n einzelnes System kann die reflexiv generalisierte Kompetenz w i l l k ü r l i c h aus sich heraus behaupten oder bestreiten, es kann sie nur i n Anspruch nehmen. Dies ist das primäre K r i t e r i u m des Rechts: jede willkürliche normative Erwartung des einzelnen an die Umwelt zuzulassen, soweit sie auf der Inanspruchnahme der intersubjektiven reflexiven Erwartungskompetenz beruht. Für den Ubergang des subjektiven ,Wollens 4 zum rechtlichen ,Dürfen' bzw. der rechtlichen ,Befugnis' ist die Ausbildung der Unterscheidung des reflexiven Erwartungsvermögens von den einzelnen normativen Erwartungen entscheidend. Erstens setzt die willkürliche Bildung konkreter normativer Erwartungen der verschiedenen Systeme voraus, daß sie nicht die inner- und intersystemische Bedingung für W i l l k ü r erst m i t jeder einzelnen Erwartung, also von Fall zu Fall, erzeugen müssen. Denn das würde sowohl inner- als auch intersystemisch jede W i l l k ü r i m Keime ersticken, weil jede Erwartungserfüllung dem Z u fall, insbesondere dem Zufall anderer Erwartungen, überlassen wäre. W i l l k ü r ist möglich, wenn die generalisierte Bedingung der W i l l k ü r je bereits als realisiert vorausgesetzt werden darf — welche historischen Prozesse auch immer zur Durchsetzung dieser Bedingung geführt haben mögen. Zweitens gibt es nur auf diese Weise ein immanentes K r i t e r i u m für die Schranke der W i l l k ü r , nämlich nicht die W i l l k ü r der anderen, sondern die Aufrechterhaltung der Kompetenz zur W i l l k ü r , also — analog zur Selbsterhaltung der Systeme überhaupt — die Erhaltung des inner- und zugleich intersystemischen reflexiven Vermögens, beliebige Normen zu bilden 2 1 . Drittens können so die Systeme ihre Identität trotz wechselnder Erwartungskonkretisierungen bewahren, da ihre Kommunikation nicht über die bestimmten Erwartungen, sondern über die Erhaltung der Fähigkeit zu solchen Erwartungen gesteuert wird. Und viertens schließlich bietet die reflexive Negativität der Erwartungskompetenz dem Einzelsystem die Grundlage dafür, sich als freie Rechtsperson zu definieren. Zwar konstituiert jedes System diese K o m petenz m i t sämtlichen beteiligten Systemen gemeinsam, aber nicht von dem sozialen Zusammenhang abgeleitet, sondern ebenso originär als eigene Leistung. Es ist diese ausdrückliche reflexive Verdopplung der Erwartungserzeugung und die hierdurch aufrechterhaltene Innen/ Außen-Differenzierung der Systeme, die es jedem System erlaubt, sich gleich-ursprünglich als individueller Träger dieser umfassenden Kompetenz zu definieren. Die Einzelsysteme sind untereinander auf »gleichberechtigte* Weise ,frei'. 21 Vgl. Kants Rechtsbegriff (Metaphysik der Sitten, Einleitung i n die Rechtslehre, § B [S. 230]); K a n t bezieht ebenfalls die unmittelbare gegenseitige Beschränkung individueller Freiheiten auf eine, w e n n auch formale, Metaregel der Erhaltung ihrer allgemeinen Möglichkeit.
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N u n würde allerdings die Frage, welcher Freiheitsbegriff hiermit involviert ist, zu weit von der Rekonstruktion der Rechtssoziologie Luhmanns wegführen, da Luhmann keinen entsprechenden Begriff ausgearbeitet hat 2 2 . Immerhin kann ein Argument angeführt werden, das an die Determinismus/Indeterminismus-Debatte anschließt 23 . I n einem gewissen Sinn läßt sich die einfache normative Einstellung des Systems als Anspruch der Determinierung der Umwelt, die einfache kognitive Einstellung als Anerkennung der Determinierung des Systems durch die Umwelt übersetzen. I m Unterschied zu diesen beiden Stufen, auf denen das System alternativ zwischen Determinieren und Determiniertwerden zu wählen hatte (also erst die Dichotomie dieser Alternative konstituierte), wählt es auf der Stufe der Erwartungserwartungskonstellation nicht mehr zwischen den beiden Extremen, sondern verhält sich zu der Disjunktion selbst. Das bedeutet, daß es, statt von der Prämisse, entweder determiniert oder nicht determiniert zu sein, jetzt von der Prämisse, sowohl zu determinieren als auch determiniert zu werden, ausgeht und erst durch reflexive Beziehung auf diese Disjunktion die einzelnen normativen Erwartungen bildet. Insofern liegt hier jener Sachverhalt vor, den Luhmann m i t „Anschlußrationalität" bezeichnet 24 . Unter diesem Begriff sollen Verhaltensweisen erfaßt werden, bei denen Individuen angesichts unlösbarer Problemstellungen gar nicht erst intendieren, nach einer Lösung des betreffenden Problems zu suchen, sondern stattdessen die unmittelbare Unauflösbarkeit der Problemstellung als Faktum hinnehmen und hierauf ihre weitere Verhaltensorientierung aufbauen. Gegenüber diesem allgemeinen Fall liegt das Besondere der anschlußrationalen Entscheidungen, die auf der Basis der normativ-kognitiven Erwartungsbildung gefällt werden, darin, von dem Ausgangstatbestand der unauflöslichen Disjunktion Determinieren vs. Determiniertwerden auszugehen, aber die Erwartungskonstituierung reflexiv auf diesen Tatbestand zurückzubeziehen. Was die Systeme dabei gewinnen, ist, die jeweilige vorausgesetzte Grenze zwischen den beiden Gegensätzen kontingent selegieren zu können — eben weil sie das Prinzip, daß jede neue Grenzziehung wiederum die Disjunktion hervorbringt, anerkennen. Die Systeme definieren sich nicht als frei, weil sie ihre Umwelt unbeschränkt normieren zu können beanspruchen, sondern weil sie die jeweilige bestimmte Grenze zwischen Normierungsfreiheit und Normierungsbeschränkung auch anders festlegen können 2 5 . So wie sich die Systeme auf 22
Vgl. jedoch seine knappe Skizzierung i n ,Soziologie der Moral·, S. 59 ff. Vgl. N. Luhmann, Funktion, S. 26 f.; ders., Soziologie der Moral, S. 44; zur Debatte vgl. W. Stegmüller, Wissenschaftliche Erklärung, S. 486 ff.; M . Moritz, Indeterminismus, Determinismus, S. 13 ff.; außerdem den Überblick bei U. Pothast (Hrsg.), Freies Handeln. 24 N. Luhmann, Soziologie der Moral, S. 65. 23
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der grundbegrifflichen Stufe nur über ihre Grenzen definieren, so können sie die Freiheit ihrer Normbildung nur über die Begrenzung dieser Freiheit definieren. Und zugleich m i t der Anerkennung der Tatsache, daß diese Begrenzungen, insbesondere i n Gestalt der jeweils anderen Systeme, die immanente Bedingung ihrer Freiheit darstellen, werden die Grenzen variierbar. Welche Grenzen daher zwischen den konkreten Erwartungen der einzelnen Systeme gezogen werden, ist willkürlich entscheidbar, solange die generelle Bedingung solcher Entscheidungen eingehalten wird. Nicht Freiheit allein, sondern die Gleichursprünglichkeit der individuellen Freiheiten der Einzelsysteme begründet deren Eigenschaft als freie Rechtspersonen. c) Der sachliche Aspekt Luhmann unterteilt die Formen der sachlichen Identifizierung von Erwartungszusammenhängen i n die vier Bereiche Personen, Rollen, Programme und Werte. Die vier Identifikationsmuster sind jeweils so allgemein angelegt, daß sie als sachliche „Erzeugungsregeln für Einzelerwartungen fungieren" können 2 6 . Für die Reduktion komplexer sachlicher Sinn- und Erwartungsmöglichkeiten sollen Programme und Rollen am geeignetsten sein, da auf der einen Seite Erzeugungsregeln, die sich an Eigenschaften bestimmter Personen ausrichten, „zu konkrete", auf der anderen Seite Erzeugungsregeln aufgrund von Werten „zu abstrakte" Identifikationen bedingen 27 . Diese Einengung sachlicher Strukturbildung auf „den Primat der mittleren Sinnebenen" Rollen und Programme gilt nach Luhmann auch für das Recht 28 , und für fortgeschrittenere Phasen der Rechtsentwicklung erhalten schließlich Programme i n der Form von „Entscheidungsprogrammen" den alleinigen Primat 2 9 . Entsprechend der weiteren Untergliederung der Programme i n Konditional- und Zweckprogramme spitzt Luhmann diese Einengung darauf zu, daß ausdifferenzierte Rechtssysteme dann am leistungsfähigsten organisierbar sind, wenn sie auf konditionale Programme beschränkt werden 3 0 . I n der Einleitung zu diesem Abschnitt wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Beschreibung der sachlichen Dimension durch die Bezugnahme auf jene vier strukturierenden Regeln nicht allein für das 25 Vgl. N. Luhmann, Soziologie der Moral, S. 60. Den Tatbestand, der hier als reflexive Anschlußrationalität bezeichnet ist, diskutiert N. Howard, Rationality, S. 68 ff., als ,Metarationalität' unter spieltheoretischen Aspekten. 26 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 83. 27 Ebd., S. 92 f. 28 Ebd., S. 93. 29 Ebd., S. 102. 30 Ebd., S. 227 ff.
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Hecht charakteristisch sein kann. M i t der Präferenz der konditionalen Programmierung gibt er nun allerdings ein weiteres spezifizierendes K r i t e r i u m an. Obwohl er die These der Geeignetheit der konditionalen Programme i m wesentlichen für ausdifferenzierte Rechtssysteme, die besondere Funktionen für die anderen gesellschaftlichen Subsysteme zu erfüllen haben, ausgeführt hat 3 1 , kann man versuchen, ihre Begründung bereits i n seinem allgemeinen Rechtsbegriff, d. h. hier, i n dessen zentralen Konstituens, der normativ-kognitiven Erwartungsintegration, aufzufinden. Davor ist zunächst die Frage zu behandeln, welche allgemeine Relation derartige Erwartungsregeln m i t ihrem sachlichen Inhalt verbindet (1); ein Beispiel für solche Regeln, das die elementarste Beziehung der Einzelsysteme zu ihrer nicht-systemischen Außenwelt betrifft, ist das Eigentum der Rechtspersonen an Sachen (2). Danach läßt sich die Frage, ob die konditionale Orientierung oder die Zweckorientierung angemessener ist, leichter beantworten (3). (1) Beide singulären Formen, die normative und die kognitive Einstellung, differenzieren bei ihrer Inhaltskonstituierung zwischen der Sollensebene des Inhalts und dessen unmittelbarer Faktizität; sie unterscheiden sich dadurch voneinander, daß die Sollensebene einmal der Umwelt (kognitive Einstellung) und einmal dem System selbst (normative Einstellung) zugerechnet wird. Werden nun beide Formen zur reflexiven Erwartungsbildung vereint, dann gilt, daß das subjektive normative Sollen bereits auf ein umweltlich fundiertes ,objektives 4 Sollen rekurriert. Die Geltung dieses objektiven Sollens umfaßt sachlich sowohl die beteiligten Systeme, die füreinander die (soziale) Umwelt bilden, als auch die gemeinsame nicht-systemische Umwelt, die Außenwelt i m engeren Sinn. Da das objektive Sollen als Pendant zur internen rechtlichen Erwartungsbildung der Einzelsysteme die reflexive Struktur ihrer Erwartungskompetenz als um- und außenweltliches Verhältnis widerspiegelt, wandelt sich die unmittelbare Faktizität, auf die sich die singulären Erwartungseinstellungen beziehen, zum rechtlichen Sachverhalt' 8 2 . Was diesen gegenüber den bloßen Fakten der 81
N. Luhmann, Rechtsdogmatik, S. 31 ff. Der rechtswissenschaftliche Begriff des »Sachverhalts 1 grenzt gegenüber dem hier behandelten einen engeren Bereich ein, da Sachverhalt' dort i m wesentlichen n u r denjenigen tatsächlichen Gegenstandsbereich rechtlicher Regelungen umfaßt, der i n rechtlichen Entscheidungsprozessen dem zu lösenden ,Fall· zugrundeliegt; vgl. z.B. K . Larenz, Methodenlehre, S. 262ff.; J. Hruschka, Konstitution, S. 12 f.; W. Hassemer, Tatbestand, S. 55 ff.; A . K a u f mann, Recht, S. 243; außerdem den historischen Überblick bei R. Damm, N o r m u n d Faktum, S. 213 ff. H i e r ist dagegen allgemein der u m - u n d außenweltliche Geltungsbereich eines bestimmten Rechts oder einer bestimmten N o r m oder eines Komplexes von Rechtsnormen gemeint, jenseits der Frage, welche Modifikationen sich aus dem U r t e i l ergeben, das über die Auswahl, das Zurechtschneiden u n d die Subsumtion eines bestimmten sachlichen Z u sammenhanges entscheidet. 82
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Einzelerwartungen auszeichnet, ist die Gegenläufigkeit der beiden Unterstellungen, die i h n wesentlich konstituieren: Normativ müssen die beteiligten Systeme davon ausgehen, daß die um- und außenweltlichen sachlichen Inhalte bereits entsprechend der reflexiven Normerwartung strukturiert sind, daß also die generelle Intention der inneren Normerzeugung je bereits durch faktische Umstände objektiv »erfüllt* ist. A n dererseits müssen sie kognitiv ebenso davon ausgehen, daß m i t der Trennung von System und Umwelt bzw. System und Außenwelt auch die Differenzierung von Norm und den die Norm erfüllenden Fakten erhalten bleibt. Sachverhalt ist insofern diejenige Form sachlicher Sinnzusammenhänge, die je schon, gleichgültig aufgrund welcher Prozesse, unter dem Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung der reflexiven Normintegration aufbereitet sind. Je nachdem, ob man sich innerhalb der normativ-kognitiven Reflexion einseitig auf den Standpunkt des normativen Elements oder den des kognitiven Elements stellt, kann man die objektive Einheit oder aber die Selbständigkeit der beiden Seiten, Norm und Sachverhalt, konstatieren; aber beide Feststellungen haben nur i n Bezug auf ihre gegenseitige Integrierbarkeit ihren Sinn. Daß sich i m Hinblick auf diese Konstellation die methodologischen Differenzierungs- und Subsumtionsprobleme auch hier, d. h. systemtheoretisch, rekonstruieren lassen, ist ersichtlich, braucht aber an dieser Stelle für die Untersuchung nicht weiter verfolgt zu werden 3 3 . Dem Anspruch der rechtlichen Normbildung nach, so wie sie bisher beschrieben ist, stellt jedenfalls die reflexive kognitive Trennung und normative Vermittlung von Norm und Sachverhalt den Fortschritt dar, der 83 Was die Herstellung u n d Subsumtion von Sachverhalten u n d die I n t e r pretation rechtlicher Normtatbestände betrifft, ergeben sich insbesondere Berührungspunkte zur juristischen Hermeneutik. Die Ersetzung der P r ä misse der einfachen normativen Einstellung, die N o r m u n d F a k t u m als getrennte Sphären voraussetzt, durch die Prämisse, daß der Sachverhalt j e schon durch diejenige N o r m a t i v i t ä t s t r u k t u r i e r t sein muß, die die rechtliche Normierung ihrerseits kennzeichnet, bildet auch f ü r die Problemstellung der juristischen Hermeneutik den Ausgangspunkt; vgl. H. Coing, Hermeneutik, S. 18 ff.; A . Kaufmann, Analogie, S. 272 ff.; F. Müller, Normstruktur, S. 72 ff., S. 85; W. Hassemer, Tatbestand, S. 70 ff.; J. Esser, Vorverständnis, S. 21 ff., S. 136 f f ; J. Hruschka, Verstehen, S. 42 f. Berührungspunkte stellt auch L u h m a n n fest (Rechtssoziologie, S. 285 f.; vgl. auch Sinn, S. 30; ders., Juristische Entscheidung, S. 19; hierzu H. Ryffel, Rechtssoziologie, S. 113 f.), jedoch beschränkt auf das Problem der Kontrolle juristischer Entscheidungsprozesse. Der Zirkel, von dem i m Zusammenhang m i t dem hermeneutischen Verstehensprozeß die Rede ist (zur Rekonstruktion vgl. W. Stegmüller, Zirkel, S. 63 ff.; H. Göttner, Interpretation, S. 131 ff.), hat i m Rahmen des rekonstruierten Rechtsbegriffs bei L u h m a n n jedoch eine andere Dimension: zum einen deshalb, w e i l sich hier das Aufeinandertreffen der beiden entgegengesetzten Einstellungsformen (kognitiv/normativ) auswirkt — diesen Gegensatz w ü r d e die Hermeneutik nicht anerkennen; zum anderen aber hauptsächlich deshalb, w e i l die Z i r k u l a r i t ä t hier nicht allein ein Problem der Methode der N o r m interpretation bzw. Sachverhaltskonstitution darstellt, sondern das gesamte Rechtsverhältnis einbezieht; vgl. oben I . b) (2), was die Grundbegriffe anbelangt, u n d zum Rechtsbegriff selbst vgl. unten I I . 4.
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den sachlichen Spielraum für konkrete Einzelerwartungen und konkrete Abweichungen überhaupt erst ermöglicht, ohne jeweils die generelle Normkompetenz der Systeme zu tangieren. (2) Welche sachlichen Gegenstände zum möglichen Inhalt dieser A r t von Normbildung und insofern zum möglichen Sachverhalt rechtlicher Normen werden können, ist damit noch nicht gesagt. Da ihre spezifischen Eigenschaften von der jeweiligen Entwicklungsstufe des Rechtsverhältnisses abhängen, mag ein Beispiel genügen, das zugleich den einfachsten Anwendungsfall möglicher sachlicher Regelungsbereiche des Rechts betrifft. Systematisch (nicht historisch) am elementarsten ist der Anwendungsfall, der sich aus folgender Fragestellung ergibt. Wie grenzen sich die einzelnen Systeme auf der Basis der intersubjektiven Konstituierung ihrer Normierungskompetenz voneinander ab, und wor i n besteht die sachliche Ausfüllung des ,objektiven Sollens', wenn nichts weiter als die abstrakte Normkompetenz selbst vorausgesetzt ist? Beide Fragen zielen auf denselben Punkt. Wenn die Reflexivität der individuellen Normkompetenz nur möglich ist, wenn sie gleichursprünglich inner- und außersystemisch unterstellt ist, dann heißt dies, daß nicht nur die i n der Umwelt vorhandenen weiteren Systeme als gleichberechtigte Inhaber einer derartigen Kompetenz i n die innere Konstitution jedes Einzelsystems einbezogen sein müssen, sondern darüber hinaus, daß die gemeinsame Außenwelt der Systeme, auf die sich die jeweiligen Erwartungen sachlich unmittelbar beziehen, i n individuell zugeordnete Außenweltsegmente aufgeteilt sein muß. Denn die gleichursprünglichen Individualisierungen der Normkompetenz müssen individuelle Berechtigungen an den äußeren Gegenstandsbereichen eröffnen, um individuelle Konkretisierungen der identischen Kompetenz faktisch zu ermöglichen. Damit schließen die einzelnen Systeme, gerade weil sie die Gleichberechtigung der anderen Systeme intern einbeziehen, einander i n Bezug auf ihre jeweilige Außenwelt aus. Die inter subjektive Identität der Kompetenz kehrt sich hinsichtlich der normativen außenweltlichen Ordnung i n Nicht-Identität, i n Exklusivität um. Die Folgerichtigkeit, die hierin liegt, hat zwei Seiten und kennzeichnet diese Verhältnis der Systeme untereinander als Eigentumsverhältnis an außenweltlich exklusiv zugeteilten Sachen: A u f der einen Seite schlägt sich hier unter dem sachlichen Aspekt die spezifische Freiheitsbegründung der Rechtspersonen nieder. Ihre Freiheit soll nicht durch Schrankenlosigkeit, sondern durch die beliebige Veränderbarkeit vorausgesetzter Schranken konstituiert sein. Entsprechend lassen die einzelnen Systeme die willkürlichen sachlichen Konkretisierungen ihrer Normkompetenzen nicht einfach i n einer gemeinsamen Außenwelt faktisch aufeinanderprallen, sondern verfügen immer nur über jeweils vorausgesetzte, faktisch markierte Grenzen der
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individuellen sachlichen Willkürspielräume. Wie solche Eigentumsgrenzen tatsächlich einmal entstanden sind, spielt rechtlich keine Rolle, sondern nur, wie je schon vorhandene Eigentumsgrenzen so verändert werden können, daß das Prinzip, die außenweltliche Vergegenständlichung der individuellen Normkompetenzen, identisch bleibt. Wenn demnach Eigentum die Form der Verobjektivierung des subjektiven Sollens auf dieser Stufe darstellt, dann wäre es m i t h i n verkürzt, diese Form nur als Herrschaftsbeziehung individueller Systeme zu bestimmten Außenweltsegmenten zu bezeichnen. Vielmehr ist auch hier das Verhältnis der Individuen zur Disjunktion insgesamt, zur Disjunktion von Eigentum und Nicht-Eigentum bzw. von „Haben und Nichthaben", wie es Luhmann ausdrückt 34 , charakteristisch. Infolge der Gleichursprünglichkeit der individuellen Normkompetenzen konstituieren die einzelnen nicht nur i h r jeweiliges Eigentumsverhältnis zu dem betreffenden Außenweltausschnitt, sondern ebenso die Tatsache, NichtEigentümer i n Bezug auf die entsprechenden sachlichen Substrate der anderen Systeme zu sein. So ist jeder Eigentumsposition die Eigenschaft, eine bestimmte Verteilung der gemeinsamen Außenwelt de* Systeme zu repräsentieren, inhärent. Die Anerkennung dieser Inhärenz macht die jeweilige Verteilung von Eigentum und Nicht-Eigentum als Selektion sichtbar und erst hierdurch Eigentum intersystemisch verfügbar, ohne die Freiheitsbegründung der beteiligten Systeme jeweils mitzuverändern 3 5 . A u f der anderen Seite ist damit der elementare sachliche Sinnzusammenhang der Objektivierung der Systeme i n der Außenwelt fest34
N. Luhmann, Rechtsdogmatik, S. 62; vgl. ders., Selbst-Thematisierung,
S. 81. 35 Z u m Zusammenhang von Freiheit u n d Eigentum bemerkt Luhmann, daß die „üblichen Rechtfertigungen, (Eigentum) diene der Freiheit und Selbstverwirklichung des Einzelnen, sehr rasch ad absurdum zu führen" seien (Rechtsdogmatik, S. 60). Aber selbst die Möglichkeit dieses Nachweises, die — insbesondere (aber nicht nur) aus politökonomischer Perspektive — sicherlich besteht, ändert nichts daran, daß i n rechtsimmanenter Sicht die L e g i t i mation des Privateigentums nicht ohne wesentlichen Bezug auf individuelle Freiheitskonzeptionen auskommt (vgl. nur G. W. F. Hegel, Rechtsphilosophie, § 41 ff. oder ζ. B. BVerfGE 24, 389), selbst dann, wenn, w i e L u h m a n n zu Recht hinzufügt (ebd., S. 90, A n m . 130), i n solchen Konzeptionen zugestanden w i r d , daß der quantitative Umfang, i n dem der einzelne tatsächlich als Eigentümer über Sachen verfügt, „zufällig" ist (vgl. ebenfalls G. W. F. Hegel, ebd., § 49). Eigentum hat, immer aus rechtsimmanenter Sicht i n der hier rekonstruierten Weise, keinen notwendigen Bezug auf eine gerechte, etwa gleichmäßige, Verteilung von Gütern, sondern n u r auf die Tatsache, daß diese auf die einzelnen eindeutig, i m Sinne von Ja/Nein-Entscheidbarkeit, dissoziiert sind. Daß Eigentum dann allerdings n u r symbolische Freiheit fundiert, ist nicht überraschend, w e n n Recht überhaupt nur symbolisch Rationalität v e r körpert (siehe unten 4. b (2)) ; (vgl. i m übrigen zur Entwicklung des Eigentumsbegriffs i n Abhängigkeit von der Entwicklung des Kapitalismus etwa W. Däubler, u.a., E n t w i c k l u n g des Eigentumsbegriffs; F. Negro, Eigentum, S. 39 ff.).
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gelegt. Die Außenwelt der Erwartungserwartungsintegration stellt ein beliebig aufteilbares Konglomerat von Rachen* dar. Die »Sache4 ist das unmittelbare faktische Gegenstück zur generalisierten Normierungskompetenz der Individuen, aus der Sicht des kognitiven Einstellungselements die unmittelbar positiv gegebene Sinneinheit der Außenwelt, aus der Sicht des normativen Einstellungselements der w i l l k ü r l i c h verteilbare und verfügbare Gegenstand möglicher Erwartungskonkretisierung 36 . Sachen erfüllen weder noch enttäuschen sie die reflexiv integrierten Erwartungserwartungen, wie es Fakten i n Bezug auf Einzelerwartungen tun. Sie bilden vielmehr die komplementären, normativkognitiv bereits vorselegierten Bausteine der Willkürfreiheit der Systeme i n der Außenwelt. Den abstraktest möglichen Sachverhalt rechtlicher Normen stellen daher nicht sie, sondern die Beziehungen der Systeme zu den Sachen dar, die die Reflexivität der Erwartungsintegration beinhalten, das sind die Verfügungsmöglichkeiten der einzelnen Systeme über Sachen i m Rahmen der Erhaltung der wechselseitigen Willkürfreiheit. (3) Dieser einfache Fall rechtlicher Sachverhaltskonstituierung zeigt, daß die Alternative zweckorientierte vs. konditionale Programmierung 3 7 rechtsimmanent nicht zu einer endgültigen Eliminierung einer der beiden Möglichkeiten führen kann. Betrachtet man das Gesamtverhältnis, so muß man, zunächst entgegen Luhmanns These 38 , darauf abstellen, daß Recht zweckorientiert ist: es hat sich selbst zum Zweck. Das kann als Folge der Ableitung des Rechtsbegriffs aus dem allgemeinen Systembegriff auch gar nicht anders sein, denn ebenso wie das System durch reflexive Beziehung auf seine Selbsterhaltung definiert ist, ist das Rechtsverhältnis durch die Aufrechterhaltung seiner Möglichkeit, d. i. die normativ-kognitive Freiheit der Systeme, definiert. Jede Kategorie, die seine sachliche Dimension betrifft, muß auf die Reflexivität der Erhaltung der Normkompetenz und -integration direkt oder indirekt Bezug nehmen. Der Fortschritt der rechtlichen Erwartungsbildung gegenüber den singulären Erwartungsformen liegt gerade darin, daß die intersubjektive Erwartungsintegration nicht mehr über Einzelerwartungen, sondern über die jenseits aller Konkretisierungen gleichbleibende Identität der individuellen Möglichkeit, Erwartungen 89 Z u r rechtswissenschaftlichen Geschichte des Begriffs vgl. P. von Sokolowski, Sachbegriff, S. 4 ff. 87 Vgl. zu dieser Unterscheidung insbesondere T. E c k h o f f / K . D. Jacobson, Rationality, S. 32 ff. 88 Vgl. N. L u h m a n n , Routine, S. 122; ders., Recht u n d Automation, S. 35 ff.; ders., Verfahren, S. 133 f.; ders., Positives Recht u n d Ideologie, S. 192; ders., Rechtsdogmatik, S. 31 ff.; ders., Rechtssoziologie, S. 229 ff.; zur K r i t i k dieser These Luhmanns vgl. P. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 252 ff.; für den Bereich des Strafrechts vgl. W. Hassemer, K r i m i n a l p o l i t i k , S. 29; K . Lüderssen, E i n führung, S. 16 ff.; außerdem die unten i n A n m . 45 angegebene Literatur.
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zu bilden, hergestellt wird. Aber daraus kann man nicht schließen, daß Recht ausschließlich (selbst-)zweckorientiert sei. Denn erstens schrumpft die Selbstzweckorientierung, wenn sie absolut gilt, auf eine Tautologie zusammen, und zweitens ist hierbei die spezifische Gleichursprünglichkeit der systemischen und intersystemischen bzw. umund außenweltlichen Konstitution des rechtlichen Erwartungsverhältnisses außer Acht gelassen. N i m m t man diesen letzten Aspekt hinzu, dann kommt eine abstrakte Relation von Kondition und Zweck i n den Blick: Das Recht der einzelnen Syteme ist nur dann als Selbstzweck organisierbar, wenn die entsprechende Rechtsposition weiterer umweltlich beteiligter Einzelsysteme vorausgesetzt werden kann und wenn außenweltliche Manifestationen dieser Rechtspositionen vorhanden sind. Eben weil Recht als objektives Selbstzweckverhältnis konstituiert ist, muß es aufgrund objektiv unterscheidbarer Voraussetzungen immer auch schon äußerlich konditioniert sein. Recht macht Freiheit organisierbar, indem es sich auf die Notwendigkeit, die realen Bedingungen der Freiheit je schon immanent voraussetzen zu müssen, bezieht. N u r insofern diese reale Bedingtheit anerkannt wird, kann eine inhaltlich bestimmte Rechtsposition gegenüber Dritten behauptet werden. Umgekehrt entlastet dieses J u n k t i m zwischen rechtlicher Befugnis und ihrer der willkürlichen Entscheidung entzogenen Vorausgesetztheit jede sich darauf berufende willkürliche Wahrnehmung der Befugnis. Jede rechtliche Entscheidung ist also durch das Vorliegen einer von i h r unabhängigen Bedingung sachlich konditioniert. Und die Ebene des Zusammenhanges von individueller Willkürkompetenz und außenweltlichen Sachen, also die Ebene der einfachsten Sachverhaltensstrukturierung, kann unmittelbar nur durch konditionale Normen reguliert werden. Denn hier ist das Auseinandertreten von Bedingung (dem Vorliegen einer bestimmten Eigentumsposition an konkreten Sachen) und bedingter Entscheidung (einer bestimmten Verfügung über diese Sachen) noch durch keinen weiteren sachlichen Konnex notwendig vermittelt als den der abstrakten Verfügbarkeit der Sachen selbst. I n dieser Hinsicht kann man sagen, daß der elementare Typus der Rechtsregel nur die formale konditionale Programmierung von Befugnissen beinhaltet, weil der Zweck der möglichen Verfügungen inhaltlich absolut frei ist. Diese einfache konditionale Verknüpfung von Bedingung und Rechtsfolge bringt am unverm i t t e l t e n die direkte Einheit der kognitiven und der normativen Prämissen der rechtlichen Erwartungsbildung zum Ausdruck: Da die Anerkennung der selbständigen realen Bedingtheit des Rechts die p r i märe Folge des kognitiven Elements darstellt, entspricht die konditionale Strukturierung des rechtlichen Sachverhalts der analogen Wenndann-Formulierung für rein kognitiv erfaßte Umweltgesetzmäßigkei-
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ten. Dies kann aber n u r eine beschränkte Analogie sein, weil das kognitive Element nur i n Einheit m i t dem normativen den Sachverhalt bestimmen kann. Die Einheit macht sich darin geltend, daß die sachliche Vermittlung von Bedingung und Rechtsfolge prinzipiell nur über eine normative Entscheidung der betroffenen Rechtsinhaber hergestellt werden kann, die auf der elementaren Ebene des Rechts sachlich ungebunden Zwecke setzen kann. Die Variabilität des Konnexes zwischen zufälligen Bedingungen und an willkürlichen Zwecken orientierten Rechtsfolgen hat dort ihre Schranken, wo es u m die Natur der Folgen als Rechtsfolgen geht, dort nämlich, wo die Folgen die reflexive Identität des Rechtsverhältnisses berühren. Denn jede Folge muß so gesetzt werden, daß sie weiteren Entscheidungen wieder als immanente Bedingung des Rechtsprinzips dienen kann. Die mit der Reflexivität des Rechts gegebene einheitliche Selbstzweckorientierung ist m i t h i n i n jeder konditionalen S ach Verhaltsprogrammierung eingeschlossen. Das Spektrum möglicher Rechtsregeln läßt sich somit danach differenzieren, i n welchem Maß und auf welche Weise die Zweckorientierung nicht nur implizit, sondern explizit i n dem sachlichen Zusammenhang von Bedingung und Folge selbst zum Ausdruck gelangt. A l l e i n können beide Programmierungsformen Sachverhalte nicht strukturieren 3 9 . Aber sie müssen trotz ihrer gegenseitigen Abhängigkeit auseinandergehalten werden, weil sie den Unterschied von um- und außenweltlich vorausgesetzten und den systemisch erzeugten Inhalten repräsentieren. Erst aufgrund ihrer Differenzierung können sie i m Hinblick auf verschiedenartige sachliche Erfordernisse selektiv miteinander kombiniert werden. Die Zweckprogrammierung zeichnet sich jedoch gegenüber der konditionalen durch eine besondere Problematik aus. Dies folgt schon daraus, daß sie unmittelbar die Einheit des Rechts mit sich selbst als Sachprogramm formuliert enthalten muß. Entweder werden Zwecke m i t der zunehmenden Annäherung an dieses Ziel zunehmend abstrakt, so daß ihre Relevanz für einzelne Entscheidungen tendenziell unbestimmt bleibt. Oder es werden, sofern die Reflexivität des Rechts nicht nur die formale Einheit von Norm und Kognition, sondern deren jeweiligen um- und außenweltlich realisierten Gegenstandsbereich konkret umfaßt, materiale Zweckformulierungen tendenziell unübersehbar komplex, weil sie i n dieser Hinsicht letztlich auf die gesamte gesellschaftliche Realität ,des Rechts4 sowohl für den Zweckinhalt als auch für die Bezugnahme auf dessen Bedingungen kognitiv und normativ Rücksicht nehmen müssen. Diese auseinanderklaffende Schere macht plausibel, 39 Z u r Abhängigkeit rechtlicher Zweckprogramme v o n konditionalen Programmteilen vgl. nur W. Schmidt, Verwaltungsentscheidungen, S. 231 ff.; außerdem die Bemerkung von J. Esser, Vorverständnis, S. 146, Anm. 8.
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warum die konditionale Programmform historisch 40 wie auch systematisch für die Frage individueller und intersubjektiver Entscheidungspraxis vorrangig erscheint 41 . Auch wenn man nicht diesen zuletzt genannten Extremfall der Zweckprogrammierung, sondern Kombinationsmöglichkeiten der beiden Programmformen betrachtet, die sachliche Regulierungen mittlerer Reichweiten betreffen, bleibt die größere Schwierigkeit der Praktikabilität der zweckgerichteten Programmvariante i m Vergleich zur konditionalen bestehen. Während bei der konditionalen Form die Einheit von kognitiver und normativer sachlicher Strukturierung primär aus der kognitiven Perspektive gesehen wird, w i r d bei der zweckorientierten Form diese Einheit primär aus der normativen Perspektive gesehen; dadurch ist die kognitive Anpassung an die vorausgesetzten realen Faktoren der Normierung prinzipiell prekär, und ihr Gelingen kann immer nur nachträglich beurteilt werden. Gerade weil die Zweckorientierung den Spielraum möglicher Entscheidungen normativ eröffnet, muß sie die weitestmögliche kognitive (letztlich sozialwissenschaftlich begründete) 42 Einbeziehung bereits verwirklichter sachlicher Bedingungen des Rechts unterstellen, u m die vorausgesetzte Einheit von Norm und Kognition wahren zu können. Die Zweckorientierung findet daher als explizites Normprogramm vor allem dort am ehesten Anwendung, wo die normative Steuerung auf um- und außenweltlich manifeste normativ-kognitive Selbststeuerungsmechanismen (etwa i n bestimmten Bereichen des ökonomischen oder des politischen Systems, oder auch bei bewährten Institutionen, denen die Konkretisierung der Definition des Zwecks und seiner Bedingungen überlassen werden kann (ζ. B. Selbstverwaltungsorganen), etc.) zurückgreifen kann 4 3 . Die Begründung, die Luhmann für die funktionale Präferenz der konditionalen gegenüber der zweckgerichteten Programmierung an40
Vgl. W. R. Seagle, Weltgeschichte des Rechts, S. 157. Vgl. V. Aubert, Legal T h i n k i n g , S. 41 ff.; T. Eckhoff, Justice, S. 74 ff.; außerdem als Beispiele aus der Rechtswissenschaft etwa K . Engisch, E i n f ü h rung, S. 32; R. Zippelius, Methodenlehre, S. 32 f. 42 Vgl. G. Brüggemeier, E n t w i c k l u n g des Rechts, S. 25. 43 Bereits der abstrakte Tatbestand der unvermeidlichen Diskrepanz, welche zwischen der sachlich unbegrenzten u n d daher i m Prinzip für jedes soziale Steuerungsproblem indizierten Möglichkeit, i n eine rechtliche Zweckprogrammatik umgesetzt zu werden, u n d den tatsächlichen Restriktionen, denen diese Umsetzung i n ein rechtliches Programm, besonders aber die Durchführung solcher Programme unterliegt, weist auf ein permanentes Legitimationsproblem hin, i n das rechtlich hoch entwickelte Staaten geraten: es entsteht eine „Generalzuständigkeit des Staates f ü r Mängel u n d die V e r m u t u n g einer staatlichen Kompetenz f ü r die Behebung von Mängeln" (J. H a bermas, Legitimationsprobleme, S. 289); vgl. zu dieser durch das Recht generalisierten Legitimationsproblematik etwa C. Offe, Strukturprobleme, S. 27 ff. u n d die Beiträge i n R. Ebbighausen (Hrsg.), Bürgerlicher Staat; außerdem N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 191. 41
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führt 4 4 , reicht nicht hin. Da die Konstitution des Rechtsverhältnisses beide Programmierungsformen einschließt, kann eine Entscheidung für oder gegen eine der beiden nur dann begründet werden, wenn das Fortwirken der ausgeschlossenen Form i n einer infolge des Ausschlusses nicht mehr erreichbaren Implikationsebene legitimiert werden kann. Die höhere Leistungsfähigkeit der einen Form ist erst dann nachgewiesen, wenn die Kosten des Ausschlusses der anderen Form dazu i n ein Verhältnis gesetzt werden können (was auch immer das K r i t e r i u m für die Kosten sei), was aber eben dann, wenn sie nur implizit und insofern ungesteuert anfallen, kaum möglich ist. Z w a r t r i f f t Luhmann m i t seiner These den oben beschriebenen Zusammenhang, der die Vorrangigkeit der konditionalen Programmierung i m Hinblick auf die Regulierung elementarer Rechtsverhältnisse plausibel macht. Aber das heißt nicht, daß damit diese Vorrangigkeit unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Möglichkeiten legitimiert und aufrechtzuerhalten ist 4 5 . d) Der soziale Aspekt Die ausführlichere Untersuchung der reflexiven Erwartungserwartungsbeziehung beruht auf der These, daß i n dieser Beziehung bereits alle jene Elemente angelegt sind, die Luhmann i n seiner Definition des Rechts unterstellt. Insbesondere sollen sich hier bereits die Gründe dafür finden lassen, daß die kongruente Generalisierung der drei Erwartungsdimensionen nur an einem absolut formalen Kompatibilitätskriterium ausgerichtet ist, wonach allein die Möglichkeit, bei der Integration der Erwartungen von den konkreten Eigenschaften der beteiligten Personen, der zu regelnden Sachverhalte und der einbezogenen sozialen Konstellationen abstrahieren zu können, Maßstab der Kongruenz der Erwartungen sein soll. Eine Zwischenbemerkung zur Terminologie scheint deshalb angebracht. Luhmann differenziert die zeitliche, die sachliche und die soziale Dimension voneinander, hier jedoch werden der personale, der sachliche und der soziale Aspekt voneinander unterschieden. E i n Problem ist also die Korrelation von ,zeitlich' und ,personal·. E i n Grund, warum die Erfassung der normativen Erwartungsform als zeitbezogene Kategorie ungünstig ist, wurde bei der 44 Vgl. insbesondere N. Luhmann, Rechtsdogmatik, S. 38 ff.; aber auch die Einschränkungen i n »Ausdifferenzierung 1 , S. 130 f. u n d i n »Soziologie der Moral·, S. 95 u. S. 116 (Anm. 172); i m Sinne Luhmanns etwa C. Schöneborn, Schuldprinzip, S. 359. 45 Vgl. zur K r i t i k an Luhmanns These G. Teubner, Responsive Dogmatik, S. 182 ff.; J. Schmidt, Besprechung, S. 226 ff.; E. Schmidt, Normzwecke, S. 143 ff.; P. Schwerdtner, Rechtswissenschaft, S. 73; J. Münstermann, Rechtstheorie, S. 329 f.; vgl. außerdem die Diskussion über die Möglichkeiten der Folgenorientierung des Rechtssystems, neuer Überblick bei T. W. Wälde, F o l genorientierung.
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Untersuchung dieser Erwartungsform ausgeführt. Die Generalisierung der normativen Erwartungshaltung i n der Zeit ist nur dann eindeutig von der kognitiven abgrenzbar, wenn die systeminterne Begründung für das Festhalten an der Erwartung trotz Enttäuschung hinzugenommen wird. Ein zweiter Grund ist, daß die Beziehung des Rechtsverhältnisses insgesamt zur Zeit, die gegenüber der Beziehung der normativen Einstellung zur Zeit verändert ist, nur geklärt werden kann, wenn nicht eines seiner Teilmomente schon nur als zeitliche Generalisierung erfaßt ist. Und ein dritter Grund ist schließlich, daß nur durch die Identifizierung der systeminternen, personalen statt der äußeren, zeitbezogenen Perspektive das Verhältnis der individuellen Erwartungsbildung zur sozialen Erwartungsintegration präziser thematisiert werden kann. U m die soziale Dimension des Rechtsverhältnisses zu beschreiben, muß man noch einmal auf die Stufe singulärer normativer Verhaltenserwartungen zurückgehen. Denn dort setzt Luhmann an, wenn er als maßgeblichen Mechanismus der sozialen Stabilisierung von Verhaltenserwartungen das Prinzip der „Institutionalisierung" einführt 4 6 . Es sind hauptsächlich zwei Problembereiche, die die Institutionalisierung von Erwartungen erfordern. Erstens sind singuläre normative Erwartungen der Einzelsysteme, wenn sie andere Einzelsysteme einbeziehen, von der Zustimmung der betreffenden Systeme abhängig, um begründete Aussicht auf Erfüllung zu haben. Aber „ a l l e i n auf den Konsens des Adressaten der E r w a r t u n g (kann) es nicht ankommen: Er wäre zu leicht widerrufbar u n d damit auch zeitlich nicht stabilisierbar. Z w a r liegt der Gedanke verführerisch nahe, es müsse genügen, jeweils den zu motivieren, dessen Verhalten erwartet w i r d . . . . Aber das genügt nicht. . . . Das Ja oder N e i n würde damit von Launen, Situationen, Persönlichkeiten oder ,partnerschaftlichen' Einigungen abhängig werden. E i n längerfristiges Erwarten, ein Lernen von Erwartungen u n d ein E r w a r tungsvorgriff auf noch ziemlich unbekannte Situationen w ü r d e n dadurch unmöglich oder doch sehr erschwert werden 4 7 ."
Das zweite Problem liegt i n der „begrenzten Kapazität f ü r Aufmerksamkeit. Jede soziale I n t e r a k t i o n erfordert die W a h l von Sinn als Thema f ü r gemeinsame Aufmerksamkeit. Jeder Sinn aber impliziert mehr, als durch K o m m u n i k a t i o n expliziert werden kann48."
Von diesem letzten Punkt her ergibt sich gleichzeitig der Ansatz für das Lösungsprinzip beider Probleme. Da i n jeder sozialen Interaktion notwendig ein gemeinsamer Bestand an impliziertem Sinngehalt vorausgesetzt wird, u m i n die Interaktion eintreten, u m sie fortzusetzen 46 47 48
N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 64 ff.; ders., Normen, S. 41 f. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 71. Ebd., S. 68.
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oder um sie verändern zu können, und da i n keinem Fall dieser gemeinsame Sinn vollständig von der ausdrücklichen Zustimmung oder A b lehnung der aktuell Beteiligten abhängig gemacht werden kann, basieren selbst elementare Interaktionen auf einem unterstellten und i n bestimmtem Umfang unangreifbaren Konsens 49 . Andererseits könnte jedes der gemeinsam unterstellten Sinnmomente zu anderer Zeit von den beteiligten Individuen odfer zur selben Zeit von Dritten explizit thematisiert werden. Daher kann man diese Voraussetzung sozialer Interaktion auch dahingehend umschreiben, daß die Interaktion auf der Zustimmung der Beteiligten als möglicher Dritter beruht. Diese Unterstellung von Dritten, deren Konsens die aktuelle Interaktion trägt, bedeutet insofern, daß jedes der beteiligten Individuen selbst die Eigenschaft, gleichzeitig ein unbefragbarer und i n diesem Sinn anonymer Dritter zu sein, für sich impliziert. Jedes System stimmt dem unterstellten gemeinsamen Sinnbereich wie ein aktuell nicht Anwesender zu, dessen Rolle es selbst ebenso wie reale Dritte jederzeit übernehmen könnte, allerdings wieder mit einer entsprechenden, diesmal nur einen anderen Sinnbereich betreffenden Unterstellung eines weiteren D r i t ten usf. 50 . Nach Luhmann liegt i n der Generalisierung dieser Unterstellung darum auch der Mechanismus der Institutionalisierung begründet: „Gerade die Unbestimmtheit, Anonymität, Uneinschätzbarkeit u n d Unbefragbarkeit der relevanten D r i t t e n garantiert die Verläßlichkeit u n d Homogenität der Institutionen. Sie beruht auf der Neutralisierung aller A n h a l t s punkte dafür, daß bestimmte D r i t t e konkret etwas anderes erwarten k ö n n ten. Institutionen beruhen m i t h i n nicht auf der faktischen Ubereinstimmung abzählbarer Meinungsäußerungen, sondern auf deren erfolgreicher Überschätzung. I h r Fortbestand ist gewährleistet, solange fast alle unterstellen, daß fast alle zustimmen; j a möglicherweise sogar dann, w e n n fast alle u n t e r stellen, daß fast alle unterstellen, daß fast alle zustimmen 5 1 ."
N i m m t man diese Bestimmung der Institutionalisierung auf und verbindet sie m i t den Anforderungen, die sich aus der Bildung normativer Erwartungen vom Einzelsystem her gesehen ergeben, dann zeigt sich, daß die soziale Integration normativer Erwartungen auf der Basis der systematisierten Unterstellung des anonymen Dritten die adäquate Form ist, die normativ-kognitive Erwartungsbildung sozial zu etablieren und zu stabilisieren: Beim Aufeinandertreffen singulärer normativer Erwartungen verschiedener Individuen „ist es ein durchaus normales Geschehen, daß 49 Vgl. A. Schütz, Methodologie, S. 11 ff.; A. Cicourel, Cognitive Sociology, S. 33 ff.; T. J. Schef f, Consensus, S. 33. 50 Vgl. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 66; ders., Vertrauen, S. 18. 51 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 71; ähnlich ders., Institutionalisierung, S. 30; vgl. zu möglichen Interpretationen des »Dritten 4 etwa K . F. Schumann, Zeichen der Unfreiheit, S. 46 ff.; H. Popitz, Soziale Normen, S. 194.
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Normprojektionen i n K o n f l i k t geraten und die Norm des einen zur Enttäuschung des anderen w i r d " 5 2 . Aber diesen neutralen Standpunkt, von dem aus dieses Geschehen als „normal" beurteilt wird, teilt das jeweilige enttäuschte Individuum durchaus nicht. Denn seine normative Erwartung, strikt nicht-kognitiv orientiert, ist aus seiner Sicht nicht durch die Erwartungen anderer Individuen bedingt, vielmehr i m Prinzip der Umwelt gegenüber unbedingt postuliert. Bedingungen und i n sofern auch die Akzeptierung fremder Normen sind für es normativ nur dann gültig, wenn es sie selbst gesetzt hat. Fremde normative Erwartungen sind daher, abgesehen von diesen w i l l k ü r l i c h gesetzten Ausnahmen, seinen davon abweichenden Erwartungen gegenüber illegitim, ihr K o n f l i k t ist von i h m aus gesehen ein normativer Widerspruch. Die Möglichkeit ständiger Konflikte zwischen den Erwartenden erfährt infolge der unumgänglichen Unterstellung gemeinsam vorausgesetzter Sinngehalte der konfligierenden Erwartungen noch eine Verschärfung. A u f der Ebene aktuell auf greif barer Themen kann jedes normativ erwartende Individuum den Anspruch seiner Norm gegenüber dem der anderen Individuen behaupten, es kann sich m i t ihren explizit geäußerten Ansprüchen auseinandersetzen. Aber die anonymen Dritten sind unauffindbar und unbefragbar. Sie kann man für den Fall, daß die sozial unterstellten Normen von der individuellen abweichen, nicht verantwortlich machen. Entsprechend gering ist die Chance, die jeweils institutionell unterstellten Normen zugunsten der individuell beanspruchten umzugestalten 53 . So uneinschätzbar wie die Dritten muß derjenige Prozeß sein, aufgrund dessen sich die jeweiligen sozial unterstellten Normen durchsetzen — immer aus der Sicht der singulären normativen Erwartungseinstellung her gesehen. Es gibt zwar eventuell die Möglichkeit, das Zentrum der sozialen Normbildung individuell zu beeinflussen, aber immer nur zufällig i m Hinblick auf die ungesteuerte Fluktuation dieses Zentrums und i n keinem Fall den gesamten Umfang der individuellen Normbildung betreffend. I n der Rolle der anonymen Dritten ist daher i n der sozialen Dimension die immanente K r i t i k der singulären normativen Erwartungsbildung verkörpert. Die Tatsache, daß jedes normativ eingestellte Individuum sich selbst zugleich als Dritten i n einer Weise unterstellen muß, i n der dieser Dritte uneinschätzbar und uneinholbar ist, besagt nur, daß das normativ erwartende Individuum nicht das alleinige Subjekt seiner Erwartungsbildung sein kann. Da dies für alle normativ erwartenden Individuen gleichermaßen gilt, muß ihre Interaktion untereinander wesentlich durch ihre 52
N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 64. Vgl. P. B e r g e r / T . Luckmann, K o n s t r u k t i o n der Wirklichkeit, S. 58 ff. Berger / Luckmann beschreiben das Resultat zunehmender Verselbständigung sozialer Verhaltenserwartungen als gesellschaftliche „ O b j e k t i v i t ä t " (ebd., S. 62); die „Anonymisierung" i m Verhältnis zu den I n d i v i d u e n w i r d durch die B i l d u n g abstrakter Zeichensysteme (Sprache etc.) b e w i r k t (ebd., S. 72). 58
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gemeinsame Eigenschaft, Dritter zu sein, vermittelt sein, ein Dritter jedoch, dessen Normvorgaben noch prinzipiell inhomogen und instabil sind 5 4 . Für eine Generalisierung der unterstellten Konsensbildung, die m i t den anderen Dimensionen der normativen Erwartungen kongruieren kann, stellt sich deshalb das Problem, wie diese Form des normativen sozialen Konsenses auf eine stabile Grundlage gestellt werden kann und wie die Individuen ihren Anspruch, an der Erzeugung der für sie geltenden Normen nicht nur zufällig beteiligt zu sein, realisieren können. Die Lösung ist durch die Bedingungen der Institutionalisierung vorgegeben. Die normativ interagierenden Individuen müssen sich nicht n u r implizit, sondern explizit m i t ihrer unterstellten Rolle, zugleich gemeinsam anonyme Dritte darzustellen, identifizieren. Das heißt nicht, daß sie hierdurch sämtliche Sinnimplikationen sozialer I n teraktionen nun durch ausdrückliche soziale Konsensherstellung erfassen könnten. I m Gegenteil, die Übernahme der Position des „Dritterseins" 55 muß zur Bildung einer Metaebene führen, auf der die Ablösung der Normdefinitionen vom dem nur von Fall zu Fall zu erzielenden Konsens mit bestimmten Dritten stattfinden kann. Es w i r d nicht über wechselnde und inhaltlich bestimmte Normen m i t jeweils unübersehbaren Sinnimplikaten Übereinstimmung zu erreichen beansprucht, sondern lediglich über die Tatsache, daß intersubjektive Normsetzung i n Bezug auf Interaktionen sich nur an der abstrakten Generalisierbarkeit jedes Individuums als potentiellem Dritten orientieren soll. Jedes Individuum muß hierfür die soziale Negierung seines ursprünglich intendierten normativen Omnipotenzanspruches, welche i n der Gestalt des Dritten verkörpert ist, vorwegnehmen, u m auf diese Weise bereits intern die identisch bleibende Grundlegung jeder möglichen normativen Interaktion m i t anderen Individuen zu erzeugen. Werden auf der Basis dieser gegenseitigen, reflexiven Selbstabstraktion dann konkrete individuelle Normen gebildet, so ist i m Prinzip ihre soziale Kompatibilität eingeschlossen, weil die anderen sich ebenso verhaltenden Individuen dann gar nicht mehr vor das Problem gestellt sind, den bestimmten individuellen Norminhalten des einzelnen samt deren 54 I m Begriff des D r i t t e n verbergen sich zumindest zwei Figuren, erstens der ,Andere', zweitens der generalisierte Andere 4 . I n der Regel w i r d die Figur des »Anderen' bereits i m Zusammenhang m i t der K o n s t i t u t i o n des I n d i viduums behandelt, nicht erst als Problem der Institutionalisierung (vgl. etwa G. W. F. Hegel, Phänomenologie, S. 145 ff.; J. P. Sartre, Sein, S. 299 ff.; A . Schütz, Symbol, S. 360 ff.; ders., Phänomenologie, S. 174 ff.; R. D. Laing, E r fahrung, S. 12 ff.; außerdem M. Theunissen, Der Andere); zum generalisierten Anderen' vgl. G. H. Mead, Geist, S. 196 ff.; ders., Philosophie, S. 220 ff.; m i t kritischer I n t e n t i o n w i r d dagegen der Begriff des »generalisierten I n d i viduums' als Grundlage der Institutionenbildung bei H. Schelsky, Institution, S. 13 ff. u n d B. Willms, Institutionen u n d Interesse, S. 52 ff. gebraucht. 55 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 66.
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Implikationen Zustimmung erteilen zu müssen. Die Verlagerung der Normebene, über die Konsens unterstellt wird, ist das Entscheidende. Weder findet eine bloße ökonomische Ausnutzung von knappem sozialen Konsens statt 5 0 noch w i r d lediglich ein normatives (bzw. ethisches) M i n i m u m elementarer individueller und sozialer Bedürfnisse reguliert 5 7 . Vielmehr werden allein diejenigen Normen sozial etabliert, die diese Abstrahierung von individuell variierenden Normerwartungen systematisieren. Der Metaregel, daß sich jedes Individuum bei seiner Normsetzung wie ein möglicher Dritter verhalten soll, kann kein w i r k licher Dritter die Zustimmung verweigern. Sie kann deshalb unterstellt werden, ohne daß der faktische Konsens m i t wechselnden Dritten i m mer wieder hergestellt werden muß. Die Möglichkeit, diese Metaregel zu unterstellen, hat weitreichende Konsequenzen für die Normierung von Verhaltenserwartungen, da sie i m Gegensatz zur Unterstellung der fluktuierenden Dritten, die sich auf der Stufe der singulären Erwartungen grundsätzlich ungesteuert institutionell durchsetzen, generell explizierbar und gesteuert institutionalisierbar ist. Man kann bei dieser spezifischen Institutionalisierung leicht ersehen, daß es sich u m nichts anderes handelt als u m die Institutionalisierung der normativ-kognitiven Normierungskompetenz bzw. des elementaren Rechtsprinzips. Die kognitive Distanzierung von seiner partikularen Besonderheit als normativ erwartendes Individuum und die hierdurch erzeugte reflexive Generalisierung seiner individuellen normativen Position ist gleichbedeutend mit der Abstraktion von sich selbst als einzelnem Normgeber zugunsten seiner normativen sozialen Identität mit dem generalisierten Dritten 5 8 . Zugleich w i r d deutlich, daß sich die rechtliche Normsetzung auf einer Metaebene i m Verhältnis zu den einfachen normativen Erwartungen der interagierenden Individuen befindet. Es w i r d nicht dezisionistisch unterstellt, daß zu bestimmten normativen Erwartungen „fast alle zustimmen". Stattdessen w i r d die Erhaltung der intersubjektiv konstituierten Möglichkeit jedes Individuums, sich selbst distanziert zu reflektieren und auf dieser Basis als normative Potenz zu definieren, institutionalisiert, mehr nicht. Die Erhaltung dieser abstrakten Möglichkeit impliziert jedes Individuum, wenn es überhaupt normative Erwartungen bildet. Die Kompatibilität einzelner normativer Erwartungen verschiedener Individuen ist deshalb nicht Gegenstand rechtlicher Regelungen, sondern deren jeweils unterstellte Folge. Wie etwa verschiedene Rechtspersonen die Interessen an ihrem Eigentum i m einzelnen normieren, bleibt außer Betracht und w i r d ihrer unregulierten W i l l k ü r überlassen, solange die 56 57 58
Ebd., S. 67. Vgl. n u r G. Jellinek, Recht, S. 42 ff. Vgl. R. P. Calliess, Theorie der Strafe, S. 82.
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Fähigkeit, überhaupt über Eigentum zu verfügen, nicht tangiert wird. Recht ist also nicht einfach indifferent gegenüber den sozialen Folgen bestimmter Normen, vielmehr konstituiert es erst den Rahmen für diese Indifferenz für jedes beliebige Individuum 5 9 . Charakteristisch ist auch hier, ebenso wie i n den anderen beiden Dimensionen der normativ-kognitiven Erwartungsintegration, das reflexive Offenhalten einer Disjunktion statt der Eliminierung einer ihrer alternativen Seiten. Jedes Individuum soll i n die Lage versetzt sein, die Abgrenzung seiner Individualität von seinem generalisierten sozialen ,Drittersein' selbst zu normieren. Bezieht es sich reflexiv auf diese Grenze, so kann es sie zugleich nach seiner W i l l k ü r kontingent variieren und dennoch m i t der generellen Erhaltung der notwendigen Bedingung, sich selbst gegenüber Dritter zu sein, auch die Bedingung für die Unterstellbarkeit des sozialen Konsenses aufrechterhalten. Erst diese Einbeziehung der Disjunktion ,individuelle Normkompetenz vs. anonymisierte soziale Normkompetenz', die jedes Individuum intern nachvollzieht, macht es verstehbar, daß die Rolle des anonymen Dritten ausdifferenziert und ζ. B. als streitschlichtender Richter selbständig institutionalisiert w i r d 6 0 , ohne daß dessen Entscheidungen als Widerspruch zur individuellen Freiheit erfahren werden müssen. I n der Rolle des Richters kommt der systematische Schritt von der Stufe der singulären normativen Erwartungen zur rechtlichen Erwartungsbildung adäquat zum Ausdruck. Während auf der zuerst genannten Stufe der relevante Dritte, der die sich jeweils durchsetzende soziale Norm repräsentiert, uneinschätzbar und unbefragbar ist und gerade deshalb die soziale Norm zumindest temporär stabilisiert, ist der anonyme Dritte auf der Stufe der rechtlichen Erwartungsbildung als Konstituens des Rechts identifizierbar, er kann daher sozial ausdifferenziert und ,befragbar 4 gemacht werden 6 1 . Aus dem äußerlichen Zwang zur Anpas59 I n der Sprache des Utilitarismus heißt dies, daß der Rechtsinhaber von handlungsutilitaristischen Rücksichten auf D r i t t e zugunsten der normativen Unterstellbarkeit der (beschriebenen) regelutilitaristischen Verallgemeiner u n g befreit w i r d ; zur Unterscheidung der beiden Regeltypen vgl. R. B. Brandt, Regelutilitarismus, S. 133 ff.; J. Rawls, T w o Concepts, S. 3 ff.; Ν . Hoerster, Verallgemeinerung, S. 20 ff. 60 Vgl. hierzu T. Eckhoff, Die Rolle des Vermittelnden, S. 243 ff.; K . F. Röhl, Der konfliktsoziologische Ansatz, S. 109 ff. 61 A n dem Gesichtspunkt der Ausdifferenzierung u n d gleichzeitigen V e r m i t t l u n g der D i s j u n k t i o n »individuelle vs. soziale Normkompetenz' könnte schließlich auch die Rekonstruktion von Luhmanns Verfahrenstheorie ansetzen, sowohl was die Rollenverteilung I n d i v i d u u m (resp. Partei) vs. Richter anbelangt als auch hinsichtlich der L e g i t i m i t ä t richterlicher Entscheidungen. Die „heimliche Theorie des Verfahrens", derzufolge die Abnahme von E n t scheidungen auf der „Verstrickung i n ein Rollenspiel" beruht (N. Luhmann, Verfahren, S. 87), müßte dahingehend überprüft werden, ob das verfahrensmäßige Rollenspiel n u r eine spezielle F o r m des i n jeder rechtlichen I n t e r a k t i o n enthaltenen Rollenspiels darstellt, insbesondere i n Bezug auf
1. Der Rechtsbegriff bei L u h m a n n
103
sung w i r d eine regulierbare Bedingung der für alle Individuen identischen sozialen Konstitution. e) Zusammenfassung Ausgangspunkt Rechtsbegriffs:
dieses Abschnitts war
Luhmanns Definition
des
„Die . . . kongruent generalisierten normativen Verhaltenserwartungen wollen w i r als das Recht eines sozialen Systems bezeichnen. Das Recht leistet selektive Kongruenz u n d bildet dadurch eine S t r u k t u r sozialer Systeme."
Die These, die die Interpretation dieser Definition geleitet hat, ist, daß die drei Dimensionen der normativen Verhaltenserwartungen, die zeitliche (personale), die sachliche und die soziale Dimension, aufgrund eines identischen Prinzips generalisiert werden, so daß die Herstellung ihrer Kongruenz grundsätzlich auch dann gewährleistet ist, wenn die jeweiligen Ausprägungen der einzelnen Dimensionen sich wandeln. Nur i n diesem Fall ist es sinnvoll, m i t einer gleichbleibenden Bedeutung von dem ,Recht4 verschiedener sozialer Systeme zu sprechen. Das Prinzip, das sowohl die Generalisierung i n den einzelnen Dimensionen als auch die grundsätzliche Möglichkeit ihrer Kongruenz bewirkt, ist die Rückbeziehung normativer Erwartungen auf die Erhaltung der Bedingung ihrer allgemeinen Möglichkeit. Dies geschieht durch Integration der kognitiven Einstellung i n die normative Erwartungsbildung. Was die Individuen bzw. die individuellen Systeme dabei zu erreichen beanspruchen, ist die Etablierung der Freiheit ihrer Normbildung auf der Basis der Anerkennung systemfremder — sachlicher und sozialer — Faktoren dieser Freiheit. I m Gegensatz zur Stufe singulärer normativer Erwartungen, auf der die Konfrontation der systemischen Normen mit den systemfremden Faktoren immer erst nachträglich stattfindet, w i r d die Notwendigkeit dieser Konfrontation auf der Stufe der normativkognitiven Erwartungsbildung bereits prinzipiell vorweggenommen. Die ausdrückliche reflexive Einbeziehung vorausgesetzter Grenzen der Normbildung soll die Verfügbarkeit der jeweiligen bestimmten Grenzen konstituieren. Statt bestimmte personale Intentionen und Eigenschaften, bestimmte sachliche Strukturen oder bestimmte soziale Konstellationen zum Maßstab intersubjektiver Normgeltung zu erheben, w i r d allein die Möglichkeit, das jeweilige konkrete Verhältnis zwischen den einzelnen Faktoren der Erwartungsbildung wieder verändern zu können, systematisiert. Recht generalisiert nicht bewährte selektive Kongruenzen normativer Verhaltenserwartungen, sondern die personale und soziale Kompetenz, die jeweilige Selektivität der Kongruenz wieder zu negieren. die darin eingeschlossenen „Rollenübernahmen" (ebd., S. 83 ff.) entsprechend der für jedes I n d i v i d u u m involvierten d i s j u n k t i v e n Orientierung.
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I I . Objektives System
2. Die rechtliche Enttäuschungsabwicklung Einen allgemeinen Begriff dessen, wie die Enttäuschungsabwicklung bei Voraussetzung rechtlich integrierter Verhaltenserwartungen bestimmt ist, gibt Luhmann nicht an. Die „Sanktion" soll nur der „wichtigste und typischste Ausweg" für den Fall der Abweichung von intersubjektiven Normen sein 1 ; lediglich für „entwickeltere Gesellschaften" dokumentiert sie die „Rechtlichkeit einer Norm" 2 . Dennoch w i r d i m folgenden allein das Problem der Sanktion thematisiert, weil sich an i h r das Spezifikum der Enttäuschung rechtlicher Erwartungen (a) und der Reaktion auf solche Enttäuschungen (b) paradigmatisch untersuchen läßt. a) Die Enttäuschung rechtlicher
Erwartungen
Was die Besonderheit einer rechtlichen Enttäuschung i m Unterschied zur Enttäuschung einfacher normativer Erwartungen betrifft, w i r d man bei Luhmann allerdings vor ein Problem gestellt. Denn Luhmann verwendet unterschiedslos denselben Begriff von ,Enttäuschung', unabhängig davon, ob normative Erwartungen oder Erwartungserwartungen, ja sogar kognitive Erwartungen unerfüllt bleiben. Indessen läßt sich ganz abstrakt schließen, daß der Begriff der Enttäuschung beim Übergang von isolierten normativen Erwartungen zu ihrer gegenseitigen reflexiven Integration eine entsprechende grundlegende Wandlung erfahren muß. Luhmann führt zur Begründung der Durchführung von Sanktionen folgendes aus: „(Eine) Verständigung über die verletzte Norm, zumindest über h i n r e i chend wesentliche Sinnkomponenten der verletzten N o r m . . . ist oft nicht oder nicht rasch genug zu erreichen u n d besonders dann schwierig, w e n n am Verhalten die gegen die N o r m gerichtete Intention zu offenkundig zutage getreten ist. Dann ist man zunächst m i t seiner N o r m allein. Der wichtigste u n d typischste Ausweg aus dieser Zwangslage ist die Sanktion. Der E n t täuschte straft den Enttäuschenden m i t Blicken, Gesten, Worten oder Taten; sei es, u m i h n zu erwartungsgemäßem Verhalten zu motivieren, sei es auch nur, u m seine E r w a r t u n g demonstrativ über die Enttäuschung hinwegzubringen. Sein Versuch, die E r w a r t u n g nachträglich oder f ü r künftige Fälle durchzusetzen, dokumentiert zugleich am deutlichsten seine Entschlossenheit, die E r w a r t u n g festzuhalten 3 ."
Der Enttäuschte ist zunächst „ m i t seiner Norm allein". A u f der anderen Seite w i r d aber seine Entscheidung darüber, ob er an der verletzten Norm festhalten w i l l oder nicht, von den „Zuschauern", die „ i n ihren Erwartungserwartungen . . . verunsichert" werden, als „Klarstellung der Erwartungen des Enttäuschten erwartet" 4 . Insofern ist die 1 2 8
N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 60; vgl. ders., Normen, S. 38 f. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 100. Ebd., S. 60 (Hervorhebung N. L.).
2. Die rechtliche Enttäuschungsabwicklung
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Geltung einer normativen Erwartung auf der Stufe der Erwartungserwartungsbeziehungen nicht mehr dem Belieben des Einzelsystems überlassen. Das ändert aber nichts daran, daß trotz der intersystemischen Erwartungsbeziehung nach Luhmann die Verletzung der Norm zunächst nur eine isolierte Angelegenheit des einzelnen bleibt. N u r dieser ist enttäuscht, und nur die Unsicherheit der anderen Systeme, ob das enttäuschte System auf seiner Erwartung weiterhin besteht, begründet deren Anteilnahme an seiner Reaktion. Dieses gegenseitige Bedürfnis nach kalkulierbarer Sicherheit des Bestandes individueller Erwartungen stellt keine intersubjektive Erwartungsbeziehung hinsichtlich des Inhalts der verletzten Norm her. Die anderen Systeme sind durch die Verletzung der Norm nicht selbst betroffen, sie sind Zuschauer, die nur überhaupt eine eindeutige Reaktion des enttäuschten Systems erwarten, nicht etwa das Festhalten an der verletzten Norm. Da ihnen, was die Beseitigung ihrer Erwartungsunsicherheit anbelangt, m i t der Entscheidung des enttäuschten Systems, seine Erwartung für die Zukunft fallen zu lassen, prinzipiell genauso gedient ist wie mit der gegenteiligen Entscheidung, lassen sie das enttäuschte System m i t seinem Problem, seine Erwartung gegenüber dem Abweichenden positiv zu behaupten, allein (es sei denn, sie hätten zufällig eine ähnliche Erwartung wie die enttäuschte). Wenn aber von dem Enttäuschten nur die Auflösung der Alternative erwartet wird, entbehrt dieser jeder intersubjektiven Rechtfertigung, die Entscheidung für die Fortsetzung der Erwartung gegenüber dem Abweichenden mit ,Taten' etc. durchzusetzen. Erst recht gilt dies aus der Sicht des Abweichenden, zumal für i h n nicht die Auflösung der Erwartungsunsicherheit relevant sein kann, sondern einzig seine eigene normative Erwartung, daß sich der Enttäuschte i h m gegenüber gegen das Festhalten an der verletzten Norm entscheidet. Die Konstellation, die Luhmann der Sanktionierung von Normen zugrundelegt, erklärt daher zwar möglicherweise das Zustandekommen von Sanktionen, nicht aber deren immanente normative Legitimation gegenüber dem Abweichenden 5 . Eine solche Legitimation kann nur bestehen, wenn der Abweichende eine Norm verletzt, die er gemeinsam m i t dem unmittelbar Enttäuschten unterstellt. Diese Unterstellung macht er notwendig erst auf der Stufe der normativ-kognitiven Erwartungsbildung. Da hier die Freiheit der Erwartungsbildung n u r so konstituiert werden kann, daß sie dem einzelnen Individuum je gleichursprünglich m i t jedem beliebigen D r i t ten zukommt, kann irgendein Dritter die Normkompetenz eines Indi4
Ebd., S. 59. Jedenfalls dann, w e n n keine weiteren Zusatzannahmen gemacht werden, etwa die Mitgliedschaft von Enttäuschendem u n d Enttäuschtem i n einer f o r malen Organisation; vgl. N. Luhmann, Folgen formaler Organisation, S. 254 ff. 5
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viduums verletzen und zugleich seiner eigenen Normkompetenz widersprechen. Die spezifische Weise, i n der sich Recht zu seinen immanenten Disjunktionen verhält, begründet die Möglichkeit, daß Recht verletzt wird, ohne daß die verletzende Handlung den Rahmen des Rechts verlassen kann. Die reflexive Beziehung der rechtlichen Normbildung auf die Disjunktionen, die bisher beschrieben wurden, etwa die Disjunktion ,determinieren vs. determiniert werden 4 , ,Eigentum vs. Nichteigentum' oder ,individuelle Normkompetenz vs. Normkompetenz des anonymen Dritten 4 , läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß mit dem Recht die Freiheit der Normsetzung durch Einbeziehung der Grenzen dieser Freiheit erzeugt wird. Jedes Recht ist durch vorausgesetzte Grenzen bestimmt und beschränkt, und diese Grenzen werden durch gleichursprüngliche Rechtspositionen anderer Individuen oder Individuenverbände gebildet. Wegen der Gleichursprünglichkeit der verschiedenen Rechtspositionen steht die Befugnis zur Verfügung über diese Grenzen jeweils denen zu, deren Rechtspositionen verändert werden. Grenzübergriffe, die diese jeweilige Verteilung der Befugnisse außer Acht lassen, widersprechen dem Recht, sie sind rechtswidrig bzw. Unrecht. Der allgemeine rechtliche Geltungsanspruch kann aber durch derartige Ubergriffe nicht aufgehoben werden. Denn erstens kann Recht immer nur relativ zu bestimmten Grenzen, also immer nur beschränkt verletzt werden, und zweitens kann wegen der reflexiven Identität des Rechts i n Bezug auf jede beliebige Grenze eine Verletzung immer nur rechtsimmanent erfolgen, da lediglich Grenzen zwischen verschiedenen Rechtspositionen verschoben werden können: es kann also keine Grenze gegenüber dem Recht als solchem gezogen werden. Diese asymmetrische Relation zwischen kognitiv erfaßbarer und begrenzter Verletzungsmöglichkeit und normativer Unverletzlichkeit begründet die rechtliche Dichotomie von Recht und Unrecht. Recht stellt nicht nur die Negation von Unrecht dar (oder umgekehrt), sondern die reflexive Integration der Disjunktion Recht und Unrecht. Dieses Verhältnis des Rechts zu Abweichungen vom Recht hebt auch L u h mann hervor 6 . Das Problem für das rechtlich abweichende Individuum ist, daß es sich dem Anspruch des Rechts nicht entziehen kann, wenn es überhaupt als Rechtsperson gelten w i l l ; und selbst diese Bedingung kann es nicht allein aufheben, solange es mit den anderen Rechtspersonen interagiert, da es über den sozialen Aspekt seiner Rechtspersoneneigenschaft nicht individuell bestimmen kann. Es unterstellt mit jedem 6 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 124 ff., S. 359 f.; i m Ergebnis ebenso etwa Ε. E. Hirsch, V o m K a m p f des Rechts, S. 488. Dem läßt sich auch die von T. Geiger, Vorstudien, S. 83 beschriebene D i s j u n k t i o n von Normbefolgung vs. Sanktionierung der Abweichung zuordnen. A u f der formalen Ebene, auf der Geiger die beiden Verhaltensformen als gleichwertige Normerfüllungen feststellt, ist es dann freilich n u r noch ein terminologisches Problem, ob ,Unrecht' eine rechtlich relevante Kategorie ist oder nicht (vgl. ebd., S. 106).
2. Die rechtliche Enttäuschungsabwicklung
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Recht, das es wahrnimmt, zugleich die Rechtmäßigkeit der Einverleibung auch noch der Negation des Rechts i n den Geltungsbereich des Rechts. Die unrechtmäßige Handlung nimmt dasjenige Vermögen i n A n spruch, das durch Recht konstituiert wird, das Vermögen, die personalen, sachlichen und sozialen Grenzen normativer W i l l k ü r disponibel zu machen. Hierin ist sie m i t jeder rechtmäßigen Handlung identisch. Während aber die rechtmäßige Handlung dieses Vermögen dadurch erhält, daß sie die Setzung neuer Normen durch die Anerkennung vorausgesetzter »constraints' des Entscheidungsspielraumes vermittelt, w i r d durch die unrechtmäßige Handlung das Vermögen unvermittelt i n Anspruch genommen; vorausgesetzte Grenzen werden nicht beachtet. Dadurch läßt sich Unrecht nicht über die aktuelle Inanspruchnahme hinaus als Prinzip erhalten. Da unter dem sozialen Aspekt die i n sämtlichen Verfügungsakten unterstellte Identität dieses Vermögens gleichzeitig die Identität des anonymen Dritten, d. h. des generalisierten sozialen Konsenses, enthält, ist durch die Verletzung eines beliebigen Rechtsinhabers jeder Dritte betroffen. Die Enttäuschung, auf der Stufe singulärer normativer Erwartungen noch ausschließlich an ein subjektives Enttäuschungserlebnis eines bestimmten Erwartenden gebunden, hat jetzt einen objektiven Tatbestand. Unrecht liegt selbst dann vor, wenn kein konkreter Dritter die Abweichung als solche erlebt und moniert, da es genügt, wenn sie ein möglicher Dritter beanstanden müßte. Recht konstituiert Freiheit durch Generalisierung der Ausdifferenzierung, Unrecht entzieht Freiheit durch Entdifferenzierung der personalen, sachlichen und sozialen Entscheidungsdimensionen i m Einzelfall 7 . Insofern haben auch die ein rechtliches Interesse an der A b wehr des Unrechts, die nicht unmittelbar durch den einzelnen Übergriff berührt werden, da m i t jedem unrechtmäßigen A k t die Implikation verknüpft ist, daß Recht zwar als generelle Möglichkeit vorausgesetzt werden, nicht aber i m Einzelfall wirklich Bestand haben soll. Da die Institutionalisierung der rechtlichen Freiheit gerade darauf 7
Die rechtswissenschaftliche Diskussion u m den Unrechtsbegriff konzentriert sich gegenwärtig auf die Frage, ob der Unrechtstatbestand durch den (objektiven) »Erfolgsunwert' oder den (subjektiven) ,Handlungsunwert' oder durch beide gemeinsam bestimmt w i r d (abgesehen davon w i r d Unrecht als einfacher „Gegensatz zu Recht" gesehen, vgl. etwa P. Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 5). M i t der dargelegten system theoretischen Fassung des Unrechtsbegriffs sind die beiden einseitigen Positionen nicht vereinbar: die erste (objektive) deshalb nicht, w e i l es sich u m ein Problem personalen u n d sozialen Konsenses handelt, die zweite (subjektive — vgl. neuerdings D. Zielinski, Handlungs- u n d Erfolgsunwert; K . Lüderssen, Erfolgszurechnung, S. 181 ff.) nicht, w e i l Unrecht die sachliche u n d soziale Verobjektivierung des subjektiven Enttäuschungstatbestandes beinhaltet; zur vermittelnden Position vgl. i m Zivilrecht etwa K . Larenz, Lehrbuch, S. 537 ff. ; i m Strafrecht etwa D. Krauß, Unrecht, S. 19 ff.; außerdem bei beiden den Uberblick über die Diskussion.
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beruht, daß diese nicht immer wieder hervorgebracht und behauptet werden muß, sondern je auf ihre explizite Unterstellbarkeit rekurriert werden darf, stellt jeder unrechtmäßige A k t das Prinzip dieser Institution i n Frage. b) Die Sanktion Die ausdrückliche Unterstellung des Rechts besteht daher nur fort, wenn die Reaktion auf Unrecht ebenfalls unterstellbar, d. h. institutionalisiert ist. A n diesem Punkt setzt auch Luhmann an, u m die „Präferenz für Enttäuschungsabwicklung durch Sanktion" 8 zu begründen: „ U n t e r den vielen möglichen Strategien des Enttäuschungsverhaltens, die die Zeitbeständigkeit der normativen E r w a r t u n g gewährleisten sollen, scheiden i m Laufe der Entwicklung viele, zum Beispiel das Nichtwissen, die Schadenfreude, das sichtbare eigene Leiden, das Sichbeklagen bei Dritten, das Skandalschlagen als nicht mehr institutionalisierbar aus. Die Rechtlichkeit einer N o r m läßt sich i n entwickelteren Gesellschaften n u r noch an der Zusatznormierung der Enttäuschungsabwicklung durch Sanktionen bzw. erfolgreiche Erwartungsdurchsetzungen dokumentieren, denn n u r durch A b sicht u n d Versuch des Durchsetzens der E r w a r t u n g läßt sich unterstellter Konsens beliebiger D r i t t e r überzeugend demonstrieren. Dann w i r d die Geltung der N o r m als solche zum ausreichenden Sanktionsanlaß 9 ."
Es kann jedoch nicht genügen, die Notwendigkeit von Sanktionen allein damit zu begründen, daß sie die „besten Ansatzpunkte" für die Institutionalisierung bieten 1 0 . Denn damit w i r d nicht hinreichend spezifiziert, was die Rechtlichkeit dieser Reaktionsform i n Bezug auf A b weichungen ausmacht. Die Besonderheit rechtlicher Sanktionen gegenüber denen einfacher normativer Erwartungen muß sich aus dem rechtlichen Enttäuschungstatbestand ergeben, dem Unrecht. Was das Unrecht i m Unterschied zu den Abweichungen von jenen einfachen Erwartungen auszeichnet, ist, daß es die Geltung dessen unterstellt, wovon es abweicht. Und umgekehrt ist die reflexive Rückbezüglichkeit des Rechts der Grund dafür, daß Recht nur i n Beziehung auf die Disj u n k t i o n seiner Position und seiner Negation, d. i. Recht und Unrecht, definierbar ist. Das hat die auf den ersten Blick paradox erscheinende Konsequenz, daß Recht n u r unter der Bedingung möglich ist, daß auch Unrecht möglich ist, und daß Recht nur dann vollständig verwirklicht ist, wenn es sich gegenüber verwirklichtem Unrecht realisiert. Hier setzt sich fort, was i n der allgemeinen Sinn- und Sytemkonstitution angelegt ist, die Negation der Negation. Auch die Sinnerzeugung läßt sich als permanente Wiederherstellung von negiertem Sinn begreifen: Durch die jeweilige vorangehende Negation legt sich das System zu8
N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 101. Ebd., S. 100 f. 10 Ebd., S. 101.
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2. Die rechtliche Enttäuschungsabwicklung
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nächst auf einen bestimmten Inhalt fest, negiert dadurch aber zugleich implizit die Sinnhaftigkeit seines Umweltzugriffes, da sie darauf basiert, inhaltlich nicht festgelegt zu sein. Die nachfolgende Negation jener Negation stellt dann diese Sinnhaftigkeit des Zugriffes wieder her, bedarf aber, u m die nun eröffnete Möglichkeit der inhaltlichen Neubestimmung zu realisieren, ihrerseits wieder der Negation, usf. Dasselbe gilt für das Verhältnis von Recht und Unrecht 1 1 , nur daß es sich jetzt nicht nur u m ein systeminternes Verhältnis der permanenten Rekonstituierung der Sinnkompetenz, sondern u m ein intersystemisches Verhältnis der permanenten Rekonstituierung der Normkompetenz handelt. Dennoch scheint die Frage berechtigt, warum nicht bereits durch unmittelbar rechtmäßige Handlungen Recht adäquat verwirklicht werden könne. I n rechtmäßigen Handlungen werden jedoch nur beschränkte rechtliche Befugnisse virulent, nicht die i n allen derartigen Befugnissen unterstellte reflexive Identität des Rechts als solchem. Rechtmäßige Handlungen kennzeichnet es daher, daß sie die Unterstellung der Identität des Rechts, als solche, d. h. als Unterstellung, deren Vorhandensein die Gewähr für die Ausbildung und Wahrnehmung der verschiedenen und gleichursprünglichen Befugnisse bietet, belassen. Aber eine Unterstellung, von der gefordert ist, daß sie die auf i h r aufbauenden Möglichkeiten eben dadurch konstituiert, daß es bei einer bloßen Unterstellung bleibt, ist zwangsläufig unbestimmt. Die einzige immanente Möglichkeit, den Charakter der Unterstellung zu erhalten und sie gleichwohl als bestimmte i n Anspruch nehmen zu können, ist erst dann gegeben, wenn sie auf konkret bestimmte Weise angegriffen w i r d und dieser Angriff auf ebenso bestimmte Weise zurückgewiesen werden kann. Diese zweifache Bedingung w i r d dem Recht durch unrechtmäßige Handlungen vermittelt. Unrecht greift die Untersteilbarkeit des Rechts explizit, aber jeweils nur i n begrenztem Umfang an, impliziert gleichzeitig die prinzipielle Aufrechterhaltung der Unterstellbarkeit und kann somit auf adäquate Weise explizit auf die Geltung der Unterstellung zurückgeführt werden. Die Bedeutung 11 Trotz der identischen Terminologie w i r d unter »Negation der Negation 4 , sofern diese Formel zur Bestimmung der Sanktionierung unrechtmäßiger Taten verwendet w i r d , nicht immer dasselbe verstanden, insbesondere i m Verhältnis rechtsphilosophischer zu rechtssoziologischen Begriffsbestimmungen; vgl. einerseits etwa G. W. F. Hegel, Rechtsphilosophie, § 97 (nur i n den »Zusätzen4 überliefert), andererseits etwa M. Rehbinder, Die gesellschaftlichen Funktionen des Rechts, S. 357. L u h m a n n gebraucht diese Formel i m Z u sammenhang m i t seinem Sanktionsbegriff nicht. Das dürfte jedoch weniger daran liegen, daß er keine Beziehung zwischen der rechtlichen Reaktion auf Unrecht, w i e sie sich i n seinem System ergibt, u n d Hegels rechtsphilosophischer Bestimmung herstellen könnte (vgl. oben I., A n m . 43), sondern einfach daran, daß sein Sanktionsbegriff allgemeiner, auch für nichtrechtliche N o r men, gefaßt ist.
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rechtlicher Sanktionen reicht deshalb darüber, rechtliche Normen gegenüber Dritten „überzeugend zu demonstrieren" 12 , hinaus. Sie stellen den notwendigen Explikationsmechanismus dar, der Recht bestimmbar macht 1 3 und gleichzeitig seine Unterstellbarkeit bewahrt. Analog zur zeitlichen Strukturierung der Sinnkonstituierung besteht Recht daher i n einer permanenten sukzessiven Aufeinanderfolge von Negations- und Metanegationsschritten; kein einzelner Schritt, sondern der Prozeß ist es, i n dem durch laufende konkrete Infragestellung und konkrete Redefinierung die gleichbleibende Identität des Rechts W i r k lichkeit erhält. Aus der Bedeutung, die die Reaktion auf unrechtmäßig abweichendes Verhalten für Recht hat, ergeben sich Konsequenzen für die Rechtlichkeit der Sanktion. Negation des Unrechts heißt unmittelbar, daß das Recht gegenüber dem unrechtmäßigen Übergriff repressiv durchgesetzt wird. Andere denkbare Enttäuschungsabwicklungen, die nicht ausdrücklich an den konkreten personalen, sachlichen und sozialen Faktoren des unrechtmäßigen Akts ansetzen 14 , scheiden isofern aus, als sie die definite Explikation des Rechts anhand der Abweichung vereiteln. Das ist auch der Grund dafür, daß die Repression nicht maßlos sein darf, sondern an der notwendigen Begrenztheit des jeweiligen Unrechts orientiert sein muß. Da die Reaktion auf Unrecht ihren Sinn i n der Wiederherstellung der identischen Unterstellbarkeit des Rechts hat, ist die Repression gegenüber der unrechtmäßigen Handlung nur die eine Seite, die andere ist die Restitution der jeweiligen verletzten 12
N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 101; ähnlich G. Spittler, Norm, S. 23. Vgl. L. A. Coser, Some Functions, S. 173; V. W. Turner, Schism and Continuity, S. 329; Α. Schellhoss, K r i m i n a l i t ä t , S. 108; G. Spittler, Norm, S. 112 f. Die These der Bestimmung rechtlicher Normen durch Abweichung u n d die Reaktion auf die Abweichung liegt auch den Theorien des labeling approach zugrunde, wobei das methodologische Problem der inhaltlichen Definierung normgemäßen Verhaltens u n d das eigentliche soziologische Problem, welche sozialen Prozesse diese Definierung steuern, miteinander verbunden sind, w e n n auch i n unterschiedlicher Gewichtung; (vgl. die Darstellungen bei S. Ahrens, Außenseiter u n d Agent, S. 15 ff.; W. Keckeisen, Die gesellschaftliche Definition, S. 34 ff.; W. Rüther, Abweichendes Verhalten; zur K r i t i k des sog. »radikalen 4 Ansatzes unter methodologischen Gesichtsp u n k t e n vgl. K . Opp, Abweichendes Verhalten u n d Gesellschaftsstruktur, S. 202 ff.; L. Kuhlen, Objektivität, S. 91 ff.). I n Bezug auf den i m Text behandelten Zusammenhang müßte das Erkenntnisinteresse gegenüber dem, das dem Labeling-Ansatz zugrundeliegt, jedoch verändert formuliert w e r den: interessant ist nicht nur, nach welchen Regeln die Zuschreibung von Abweichung u n d die Definition der Normgeltung verläuft, sondern darüberhinaus, welche sozialen Bedingungen erfüllt sein müssen, damit die j e w e i l i gen Zuschreibungen zugleich den Anschein der »objektiven 4 Vorausgesetztheit der angewandten N o r m reproduzieren können, obwohl erst die Reaktion zu ihrer gültigen Bestimmung führt. 13
14 Vgl. die Beispiele bei P. Fauconnet, Verantwortlichkeit, S. 301 ff.; Ε. H. Liebhart, Zuschreibung, S. 214 ff.
2. Die rechtliche Enttäuschungsabwicklung
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Rechtsposition. Daß Repression und Restitution sachlich zusammenfallen, kann n u r einen Sonderfall ausmachen, der von wenig ausdifferenzierten Rechtsverhältnissen zeugt. Denn m i t zunehmender Ausdifferenzierung der personalen, sachlichen und sozialen Faktoren des Rechts, mit zunehmender Ausdifferenzierung verschiedener individueller Rechtspositionen und erst recht m i t zunehmender Differenzierung zwischen individuellen und nicht-individuellen Rechtspositionen muß auch eine Ausdifferenzierung zwischen repressiven und restitutiven Elementen rechtlicher Reaktionen auf Unrecht einhergehen. Aus systemtheoretischer Perspektive kann die Entwicklung auch nicht, wie es Dürkheims These beinhaltet, von überwiegend repressiven zu überwiegend restitutiven Sanktionsformen verlaufen 1 5 . Vielmehr ist es ihre, wenn auch zunehmend komplex vermittelte, Einheit, durch die die Sanktion die Identität des Rechts rekonstituiert. Ein weiterer bedeutsamer Punkt, der rechtliche Sanktionen von denen einfacher normativer Verhaltenserwartungen unterscheidet, bet r i f f t die Reichweite möglicher institutionalisierbarer Sanktionsziele. Aus der Tatsache, daß Recht durch die reflexive Einbeziehung der Disjunktion von Recht und Unrecht definiert wird, folgt nicht nur, daß die Legitimität rechtlicher Sanktionen auch von dem unrechtmäßig Abweichenden impliziert wird, sondern es folgt auch eine normative Schranke für die Wiederherstellung des Rechts. Ist Unrecht eine notwendige Bedingung des Rechts, dann muß die Wiederherstellung der Geltung des Rechts die Aufrechterhaltung der Möglichkeit des Unrechts berücksichtigen. Rechtliche Sanktionen müssen deshalb die zwiespältige Aufgabe erfüllen, das konkrete begangene Unrecht zu negieren und zugleich die Bedingungen für die generelle Möglichkeit unrechtmäßiger Handlungen zu erhalten. Das ist insbesondere für kriminalpolitische Zielsetzungen, sofern sie mit Sanktionen verbunden werden, die auf (kriminelles) Unrecht verhängt werden, von Bedeutung. K r i m i nalität muß unter diesem Gesichtspunkt nicht nur historisch oder soziologisch als ,normal· angesehen werden 1 6 , sondern auch rechtlich, solange ihre Häufigkeit einerseits die Selbstverständlichkeit der Unterstellbarkeit des Rechts noch nicht wesentlich außer K r a f t setzt, andererseits aber die laufende Respezifizierung dieser Selbstverständlichkeit aufgrund von durchführbaren Sanktionen erlaubt. Der anonyme Dritte, dessen Generalisierung die Grundlage für die Institutionalisierung von rechtlichen Sanktionen bildet, ist gleichzeitig auch der potentielle ano15 E. Durkheim, Teilung der sozialen Arbeit, S. 104 ff., S. 188 ff.; vgl. zur K r i t i k dieser These Dürkheims H. Steinert, Versuch, S. 81 f.; J. R. Hepburn, Sozial Control, S. 79. 16 Vgl. E. Durkheim, Regeln, S. 156 ff.; R. Κ . Merton, Social Structure, S. 132; M. Phillipson, Paradoxie, S. 126 ff.; Übersicht bei H. Haferkamp, Kriminalität.
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nyme Täter. Sobald er jedoch aus seiner Anonymität heraustritt und wirklich unrechtmäßige Taten begeht, muß durch Sanktionen versucht werden, die bloße Potentialität der Täterschaft wiederherzustellen 17 . 3. Die Positivität des Rechts Die Negativität der Sinnkonstituierung und die Positivität des Rechts sind die beiden Pole, zwischen denen sich Luhmanns Rechtssoziologie bewegt. Aber so extrem weit, wie es den Anschein hat, liegen die beiden Pole nicht voneinander entfernt. Allerdings muß man bei dem folgenden Versuch, den Begriff des positiven Rechts bei Luhmann i n die bisherige begriffliche Rekonstruktion einzuordnen, beachten, daß damit noch mehr als bei den vorangehenden Abschnitten gegenüber L u h manns Darlegungen eine enorme Abstraktion vorgenommen wird, nicht nur, was den systematischen Schritt von den Bestimmungen des allgemeinen Rechtsverhältnisses zur Positivierbarkeit dieses Verhältnisses anbelangt, sondern erst recht i m Hinblick auf Luhmanns Verarbeitung der historischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgeprobleme, die zur Ermöglichung positiven Rechts notwendig erfüllt bzw. bewältigt werden müssen. Da dieser umfangreiche Kontext hier nicht nachvollzogen werden kann, ist es sinnvoll, lediglich die Verträglichkeit der allgemeinen Angaben, die Luhmann zur Positivierung des Rechts macht, m i t den bisherigen Resultaten zu untersuchen. Luhmann charakterisiert die Positivität des Rechts folgendermaßen: „(Die) . . . Geltung des Rechts wird auf einen variablen Faktor bezogen: auf eine Entscheidung. D a m i t ist nicht die historische, kausalgenetische Rückrechnung gemeint, nicht das bloße Faktum, daß einmal ein Gesetzgeber 17 I n rechtswissenschaftlichen Äußerungen zu den kriminalpolitischen Funktionen des Strafrechts u n d der Strafe w i r d diese Schranke als k r i m i n o logischer Befund, als Schranke der E f f e k t i v i t ä t des Strafrechtssystems form u l i e r t (vgl. etwa E. Schmidhäuser, Straf recht, S. 42 ff.; R. M a u r a c h / H . Zipf, Strafrecht, S. 34 ff.), nicht als rechtliche Schranke. Unausgesprochen dürfte die Beschränkung als rechtliches Argument jedoch dort impliziert sein, w o die F u n k t i o n des Strafrechts nicht vorwiegend i m effektiven Rechtsgüterschutz, sondern i n der Aufrechterhaltung der (symbolischen) Geltung des Rechts trotz Vorhandenseins abweichende Verhaltensweisen gesehen w i r d ; vgl. etwa H. Welzel, Straf recht, S. 3; insbesondere W. Hassemer, K r i m i n a l politik, S. 123 ff., der i n den Vordergrund der Darstellung die Frage rückt, inwiefern Strafrecht die „Verarbeitung" des Konflikts, der aus abweichendem Verhalten entsteht, garantieren kann, — eine Frage, die weniger auf den Schutz von Rechtsgütern als auf die Erhaltung rechtlicher K o m m u n i k a tionschancen angesichts der eingetretenen Verletzung v o n Rechtsgütern gemünzt ist; vgl. auch G. Spittler, Probleme, S. 209 ff. I n dieselbe Richtung zielt die Argumentation Luhmanns, wonach Recht p r i m ä r nicht Verhalten, sondern Erwartungen steure (Erwartungssicherung, S. 31 ff.); nicht die Möglichkeit abweichenden Verhaltens soll effektiv verhindert, sondern die Einstellung effektiv gesichert werden, i m Falle von Abweichungen an der entsprechenden E r w a r t u n g festhalten zu können.
3. Die Positivität des Rechts
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oder Richter entschieden hatte. Das gab es immer. Deshalb ist auch die historische Tatsache gesetzgeberischer Entscheidung kein ausreichendes Indiz f ü r die Positivität des darin f i x i e r t e n Rechtes. Weder die römischen noch die spätgermanischen Volksgesetze haben i n vollem Umfange positives Recht geschaffen. Das K r i t e r i u m liegt nicht i n der ,Rechtsquelle', nicht i m einmaligen A k t der Entscheidung, sondern i m laufend aktuellen Rechtserleben. Positiv g i l t Recht nicht schon dann, w e n n dem Rechtserleben ein historischer A k t der Gesetzgebung i n Erinnerung ist — dessen Geschichtlichkeit k a n n traditionalem Rechtsdenken gerade als Symbol der Unabänderlichkeit dienen —, sondern nur, w e n n das Recht als k r a f t dieser Entscheidung geltend, als A u s w a h l aus anderen Möglichkeiten u n d somit als abänderbar erlebt w i r d . Das historische Neue u n d Riskante der Positivität ist die Legalisierung von Rechtsänderungen 1"
Das bedeutet nicht, daß der Gesetzgeber Recht allein durch seine Entscheidung erzeugen kann: „Der Prozeß der Rechtsbildung bezieht die gesamte Gesellschaft ein. I n i h n ist ein verfahrensmäßiger F i l t e r eingeschaltet, den alle Rechtsgedanken durchlaufen müssen, u m gesellschaftlich bindendes Recht zu werden. I n diesem Verfahren w i r d nicht das Recht, w o h l aber die Entweder/Oder-Struktur des Rechts erzeugt; w i r d über Geltung oder Nichtgeltung entschieden, nicht aber das Recht aus dem Nichts geschaffen. Es ist wichtig, diesen Unterschied i m Auge zu behalten, da sich andernfalls allzu leicht die Vorstellung der E n t scheidungsgesetztheit des Rechts m i t der ganz falschen Vorstellung einer faktischen oder moralischen Allmacht des Gesetzgebers verbindet 2 ."
Dennoch sprechen zwei Gründe dagegen, daß Recht ausschließlich kraft einer Entscheidung Geltung zu erlangen vermag. Da ist zum einen das Problem, daß die Entscheidung, die über »Geltung oder Nichtgeltung 4 des Rechts befindet, von anderen normativen, etwa moralischen, religiösen, ideologischen Entscheidungen über Recht unterschieden sein muß. Es kann nicht nur überhaupt eine Entscheidung sein. Damit die Entscheidung als juristische Entscheidung identifiziert werden kann, muß sie auf einem Recht zur Entscheidung beruhen. Die rechtssetzende Entscheidung kann zudem nicht mit der Entscheidung über künftig gültiges Recht zugleich über die Gültigkeit des ihr zugrundeliegenden Rechts kontingent mitentscheiden. Wäre dies möglich, würde die Unterscheidung gültig/ungültig hinfällig werden: bezüglich des jeweils durch die Entscheidung gesetzten Rechts könnte die Geltungsfrage nicht mehr gestellt werden, w e i l dann jede A n t w o r t darauf selbst eine ihr eigenes Entscheidungsrecht behauptende Entscheidung sein könnte, die beliebig m i t j a oder nein ausfallen kann. Zum anderen besteht neben dieser vorauszusetzenden Befugnis zur Entscheidung über Recht das Problem, daß die Entscheidung ihrem Inhalt nach rechtmäßig oder rechtswidrig sein können muß. Könnte 1
N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 208 f. (Hervorhebung N. L.). N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 208; vgl. auch ders., Positivität des Rechts, S. 182 f. 2
8 Zielcke
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rechtlich jeder Inhalt beschlossen werden, dann würde — selbst unterstellt, daß die Entscheidung aufgrund der Beteiligung der Betroffenen am Entscheidungsverfahren abgenommen werden würde 3 — wegen des Wegfallens einer vorausgesetzten Differenzierung zwischen Hecht und Unrecht auch Recht nicht mehr als solches identifiziert werden können. Denn Recht definiert sich nicht unmittelbar gegenüber anderen normativen Ordnungsprinzipien, sondern gegenüber Unrecht, seiner immanenten Negation. Die positive Entscheidung über die Geltung oder Nichtgeltung von Recht unterliegt daher diesen beiden Restriktionen. Sie muß formal gültig sein, da ein Recht zur Entscheidung vorhanden sein muß, und sie muß inhaltlich gültig, nämlich rechtmäßig sein. (1) I m Grunde führt Luhmanns These, daß die Geltung von Recht allein durch Entscheidung begründet werden kann, auf die Stufe singulärer normativer Erwartungen zurück, auf der die Bildung von Normen einzelner Individuen oder auch die Herstellung eines expliziten Konsenses über bestimmte normative Erwartungen zwischen verschiedenen Individuen nicht anders als durch willkürliche Entscheidung erfolgen kann 4 . Demgegenüber besteht die Errungenschaft rechtlicher Erwartungsbildung gerade darin, daß die Bedingung der Möglichkeit w i l l k ü r licher Entscheidungen nicht erst m i t jeder einzelnen Entscheidung m i t erzeugt werden muß. Die Gemeinsamkeit rechtlicher Entscheidungen liegt i n der Identität der gemeinsam unterstellten Normkompetenz, nicht i n der Willkürlichkeit der verschiedenen Entscheidungen selbst. Wegen der reflexiven Bezugnahme auf seine je schon vorausgesetzte Möglichkeit, gleichgültig wie diese Voraussetzung historisch zustandegekommen sein mag, kann rechtsimmanent die Frage nach der Erzeugung der Geltung von Recht überhaupt nicht sinnvoll gestellt werden. Denn darauf, daß diese Frage nicht mehr gestellt werden muß, beruht unter dem personalen Aspekt des Rechts die Freiheit des Individuums und unter dem sozialen Aspekt die Institutionalisierung des Rechts. Statt nach der Geltung des Rechts muß daher nach dessen Fortgeltung, nach dem Modus der Perpetuierung von Geltung gefragt werden. Stellt man die Frage so, dann läßt sich allerdings einsehen, daß dieser Modus wesentlich durch Entscheidungen geprägt wird, eben weil es die Möglichkeit kontingenten Entscheidens ist, die durch Recht konstituiert wird. Damit ist noch nicht das ,historisch Neue* der Positivität des Rechts benannt, nur der Punkt, wo das Problem der Positivität bereits i m Begriff des allgemeinen Rechtsverhältnisses angelegt ist. Aber es ist auch klar, daß das Problem rechtlicher Entscheidungen, die unmittelbar 3 Vgl. N. Luhmann, Positivität des Rechts, S. 188 f.; ders., Verfahren, S. 32 ff., S. 109 ff. 4 Vgl. H. Ostermeyer, Niklas Luhmanns Rechtssoziologie, S. 101 f.
3. Die Positivität des Rechts
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gesamtgesellschaftlich verbindlich sein sollen — also auf der Ebene, i n Bezug auf welche üblicherweise und auch von Luhmann die Positivierung des Rechts thematisiert w i r d —, von dem Problem individueller rechtlicher Entscheidungen nicht strukturell verschieden sein kann, sondern nur unterschiedlich komplexe institutionelle Voraussetzungen betrifft. Der Ausgangspunkt der Überlegungen ist, daß die Entscheidungen immer nur bereits geltendes Recht bzw. bereits vorhandene Rechtspositionen inhaltlich verändern; bei Luhmann kommt dies dadurch zum Ausdruck, daß er die Positivität des Rechts als „Legalisierung von Rechtsänderungen" 5 beschreibt. Daraus könnte man zunächst schließen, daß Recht letzten Endes doch, betrachtet man n u r genügend große Zeiträume der Aufeinanderfolge solcher Entscheidungen, insgesamt kraft dieser Setzungen gilt, die alle jeweils hätten anders ausfallen können. Aber damit t r i f f t man nicht den K e r n positiver Setzungen. Denn die Frage ist, welchen Schranken jede einzelne Entscheidung unterliegt. Nach Luhmann ist dies keine Frage eines bestimmten Prinzips, sondern eine Frage „günstiger oder ungünstiger Umstände" 6 . Wäre jedoch Opportunität die einzige Schranke, dann fiele Recht hinter die Stufe zurück, auf der es allein seine spezifische Leistung erbringen kann. Recht steuert die konkreten Möglichkeiten opportunistischer und innovativer Regelungen dadurch, daß es sich als generalisierte Bedingung solcher Möglichkeiten, d. h. als deren Metaregel identisch erhält. U m dies zu erreichen, muß es die Differenzierung zwischen Metaregel und der jeweiligen Inanspruchnahme der Metaregel i m Einzelfall aufrechterhalten. Normative Regelungen sind durch beliebig viele, synchron und diachron getätigte Entscheidungen immer wieder von neuem veränderbar, wenn jede bestimmte Änderung auf die Identität der Veränderungsmöglichkeit und deren Fortbestand verpflichtet ist, sei es, daß die Veränderungsmöglichkeit als individuelle Handlungsfreiheit, als Eigentum, als Verfahren oder als Institutionalisierung des Rechtsstaates ausgeformt ist. Die Positivität rechtlicher Entscheidungen hat insofern ihre Grundlage i n der nicht-positivierbaren, der reflexiven Negativität des Rechts. Jede Entscheidung, die über die Änderung eines geltenden Rechtszustandes verfügt, muß zum einen, um künftig geltendes Recht zu setzen, den Handlungsspielraum kontingenter I n anspruchnahmen i n dem neuen Recht (zumindest) erhalten, zum anderen das neue Recht so bestimmen, daß dieses wiederum verändert werden kann. Die bestimmte Negation, die jede rechtsändernde Entscheidung darstellt, ist demnach nur dann eine rechtliche Negation, wenn sie ihrerseits so negierbar ist, daß das Verhältnis der aufeinan5
N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 209. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 209; vgl. ders., Institutionalisierung, S. 38; ders., Positives Recht u n d Ideologie, S. 280 f. 6
8*
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derfolgenden Negationen die Reflexivität des Rechts als solche prozessierend repräsentiert 7 . Aus systemtheoretischer Sicht ist es daher zwecklos, nicht-positivierbares ,Naturrecht' und Positivität des Rechts voneinander zu isolieren oder gegeneinander auszuspielen. Naturrecht bedeutet i n diesem Z u sammenhang die Eigenart des Rechts, die Freiheit der Normsetzung auf sich selbst als je schon vorausgesetzte Möglichkeit zu beziehen, welche infolge dieser Reflexivität i n jeder konkreten personalen, sachlichen und sozialen Konstellation identisch zu erhalten ist. Daß diese Möglichkeit nur als je schon unterstelltes identisches Prinzip i n Anspruch genommen werden kann, macht ihre naturrechtliche 8 , daß ihre Transformierung von je vorgefundenen auf veränderte konkrete Konstellationen nur durch kontingente Entscheidungen erfolgen kann, ihre positive Seite aus 9 . (2) Dieser Zusammenhang der beiden Seiten läßt auch erkennen, warum es einer komplizierten historischen Entwicklung bedarf, bevor die Positivierung des Rechts etabliert werden kann — selbst wenn man die hierfür erforderlichen gesellschaftlichen Institutionen i m einzelnen nicht betrachtet. Die Rückbeziehung jeder rechtlichen Entscheidung auf bereits geltendes Recht und die Ausschließlichkeit ihrer Bindung an die Perpetuierbarkeit seiner Geltung beinhaltet, daß sich die Entscheidungen von jeder außerrechtlichen Tradition abkoppeln müssen, wenn sie i n der Tat rechtliche Entscheidungen sein sollen. Jede Bindung an ein anderes normatives Prinzip widerspricht der durch Entscheidung m i t sich selbst vermittelten Negativität des Rechts. Geht man jedoch streng von diesem Prinzip aus, dann existieren zunächst keinerlei Kriterien, an denen die einzelne Entscheidung die abstrakte Identität des Rechts 7
Z u r Rolle der Dogmatik i n dieser Reihe konsekutiver Negationen vgl. N. Luhmann, Rechtsdogmatik, S. 54. 8 Z u r Abstraktion des Naturrechtsgedankens auf das „bloße Festhalten an der Vorstellung von Unverfügbarkeit überhaupt" vgl. G. Ellscheid, N a t u r rechtsproblem, S. 28. 9 Genau genommen w i r d hier ,Positivität 4 , zumindest soweit auf die entsprechende Diskussion u m die Alternative Naturrecht/Positives Recht Bezug genommen w i r d , äquivok gebraucht, da die rechtsphilosophische, die rechtstheoretische u n d die rechtssoziologische Begriffsbildung zur ,Positivität 4 erheblich voneinander abweichen (vgl. hierzu W. Hassemer, Begriff des posit i v e n Rechts, S. 102 ff.), i n allen drei Bereichen w i r d aber die Tatsache, daß Recht durch Entscheidung gesetzt w i r d , f ü r seinen Charakter als positives Recht hervorgehoben; vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 9, S. 201; W. Ott, Rechtspositivismus, S. 20; zur Alternative selbst vgl. die Zusammenstellung bei W. Maihof er (Hrsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus; zur jüngeren Geschichte der A l t e r n a t i v e W. Rosenbaum, Naturrecht, insbes. S. 106 ff.; zur K r i t i k der A l t e r n a t i v i t ä t der beiden Positionen speziell H. Welzel, N a t u r recht u n d Rechtspositivismus, S. 333 f., S. 337 f.; zum Transformationscharakter des positiven Rechts etwa H. Coing, Rechtsphilosophie, S. 265 f.; R. P. Calliess, Theorie der Strafe, S. 89 f.
3. Die Positivität des Rechts
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vor und nach der Entscheidung festmachen könnte, es sei denn diejenigen überkommenen personalen, sachlichen und sozialen Situationen, i n die das der Entscheidung zugrundeliegende Recht eingebettet ist. Das aber hieße nichts anderes als bloße Fortsetzung dessen, was gesellschaftlich bereits an Normbeständen vorhanden ist. Bei einem solchen (hypothetisch ersten) Schritt wären auch rechtliche Normbestände von außerrechtlichen noch nicht zu trennen, weil das Unterscheidungskriter i u m noch absolut leer wäre: denn unmittelbar beläßt jede bloße Negation einer bestimmten Negation nur das bestehen, was vor den beiden Negationen schon vorhanden war. Entgegen ihrem Anspruch müßte diese erste Entscheidung also doch auf sonstige gesellschaftliche Traditionen zurückgreifen, von denen Recht gerade Befreiung verspricht. Die Anfänge der Entwicklung rechtlicher Normbildung sind daher notwendig von Traditionen überlagert, die anderen als rechtlichen Geltungsprinzipien gehorchen 10 . Recht muß deshalb, weil es selbst nur als perpetuiertes Prinzip zur Geltung gelangen kann, eine eigene Geschichte aufbauen, welche zunehmend übernommene traditionale Elemente durch i h m angemessene Elemente ersetzt. Erst wenn rechtliche Entscheidungen auf eine derartige Tradition zurückgreifen können, die hinreichend durch vorangegangene rechtliche Entscheidungen, etwa Gesetzgebungsakte, Präjudizien, dogmatisch stabilisierte rechtliche I n stitute und entsprechende personale Dispositionen usw. geprägt ist, kann eine Positivierung des Rechts i m Sinne der Erzeugung überwiegend rechtsimmanenter Entscheidungskriterien einsetzen 11 . Notwendige Bedingung für diesen Übergang ist, daß der systematisch implizierte Rekurs des Rechts auf sich selbst schließlich über jene Bindung an die eigene Tradition hinaus als expliziter Anspruch an die Rechtsgeltung erhoben wird. Diese Umstellung von impliziter auf explizite Reflexivität erfolgte historisch mit der Forderung nach Anerkennung des Naturrechts als Vernunftrecht, wonach Recht seine Vernunft ausschließlich aus sich selbst beziehen sollte. Naturrecht (in diesem Sinn) allerdings ist zwar radikal 1 2 , aber ohne jede immanente Konkretisierungsmöglichkeit, bloße rechtliche Tradition hingegen enthält diese Möglichkeit, konserviert jedoch nur, erst ihre Vermittlung begründet die spezifische Identität des Rechts, zugleich die Orientierung an vorgefundenen Strukturen und dennoch zunehmend erweiterte Entscheidungsspielräume zu ermöglichen. 10 Vgl. R. Thurnwald, Gestaltung des Rechts, S. 9 ff.; R. Schott, Funktionen des Rechts, S. 122 ff.; einschränkend W. R. Seagle, Weltgeschichte des Rechts, S. 166 ff.; N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 151 f. 11 Vgl. G. Radbruchs Bemerkung, daß die „Positivität des Rechts . . . selbst zur Voraussetzung seiner Richtigkeit (wird)". (G. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 165). 12 Vgl. J. Habermas, Naturrecht, S. 90 ff.; R. Bubner, Handlung, S. 288.
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(3) Von der Darstellung des Begriffs des positiven Rechts zur soziologischen Diskussion der darin enthaltenen Problematik, die Luhmann thematisiert hat, ist es ein weiter Schritt; die M i t t e l der abstrakten begrifflichen Analyse reichen hierfür nicht hin. Das heißt jedoch nicht, daß sich m i t den Ergebnissen der bisherigen Analyse nicht noch weitere Anhaltspunkte herausarbeiten ließen, die zur Strukturierung einer solchen Diskussion dienen könnten. Dafür zum Abschluß nur noch ein Beispiel. Da die Positivierung des Rechts bedeutet, daß die Setzung neuen Rechts nur dann rechtmäßig durch eine Entscheidung erfolgen kann, wenn die Entscheidung die je schon unterstellte Geltung des Rechts anerkennt und perpetuiert, folgt daraus, daß jede Entscheidung, welche diese Bedingung erfüllt, drei heterogenen Anforderungen genügt. Sie wendet erstens bereits geltendes Recht an, setzt zweitens neues Recht und stellt drittens ein Verhältnis dieser beiden gegenläufigen Seiten her, das die reflexive Identität des alten und des neuen Rechts bzw. überhaupt des Rechts ausdrückt. Aber es ist klar, daß einzelne Entscheidungen diesen systematischen Anforderungen nur i n extrem gelagerten Fällen auch faktisch genügen können. Eine so extrem gelagerte Konstellation ist etwa gegeben, wenn zwei Eigentümer jeweils über ihr Eigentum an einer Sache verfügen, indem sie die Sachen gegenseitig tauschen und sich reziprok i h r Eigentum daran übertragen. I n diesem Fall setzen beide Individuen i h r Eigentum an den bestimmten Sachen voraus und begründen durch ihre Entscheidung wiederum Eigentum. Welche konkreten Sachen sie tauschen, steht völlig i n ihrem Belieben; allein die Entscheidung, die sowohl sachlich als auch i n Bezug auf die beteiligten Personen ,anders hätte ausfallen können', transformiert gültig Eigentum; die Reflexivität w i r d durch die Reziprozität des Tauschaktes gewährleistet. Während jedoch i n diesem F a l l die drei A n forderungen nur deshalb problemlos miteinander vereinbart werden können, weil der involvierte sachliche Inhalt den betreffenden Rechtspositionen absolut äußerlich ist, wächst das Problem der Sicherstellung ihrer Vereinbarkeit i n dem Maße an, i n dem der Inhalt auf institutionalisierbare soziale Strukturen bezogen w i r d und letztlich von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung sein soll. Da sich die beiden ersten A n forderungen konträr zueinander verhalten, kann ihre Verträglichkeit nur gewährleistet werden, wenn die entsprechenden Entscheidungsmomente als selbständige Entscheidungspositionen ausdifferenziert werden, damit die gegensätzlichen personalen, sachlichen und sozialen Bedingungen, die sie jeweils voraussetzen oder bewirken müssen, unabhängig voneinander virulent werden können. Folgerichtig muß dann auch das dritte Entscheidungsmoment als selbständige Entscheidungsposition eingerichtet werden. I n Beziehung auf die gesamtgesellschaftliche positive Transformierung geltenden Rechts führt die selbständige
3. Die Positivität des
echts
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Institutionalisierung der drei Positionen zur Gewaltenteilung, zur Ausdifferenzierung der rechtssetzenden (legislativen), der rechtsanwendenden (exekutiven) und der rechtsprechenden (judikativen) Gewalt. Unbeschadet anderer, insbesondere macht- und demokratietheoretischer Zusammenhänge läßt sich daher das Prinzip der Gewaltenteilung bereits allein unter dem Aspekt der Positivierung des Rechts erörtern und auf entsprechende institutionelle Implikationen h i n untersuchen. Und unter diesem Aspekt verkörpert die rechtssetzende Gewalt demnach primär die Kompetenz zur kontingenten Selektion von Rechtsnormen, die exekutive Gewalt die Bindung rechtlicher Entscheidungen an jeweils vorgegebene rechtliche Regelungen und die judikative Gewalt die Kontrolle von Rechtssetzung und Rechtsanwendung i m Hinblick darauf, daß die beiden Gewalten, überhaupt die beiden Seiten, die jede rechtliche Entscheidung, sie sei privater oder staatlicher Natur, enthält, durch ihr Zusammenwirken die Identität des Rechts perpetuieren. Insoweit erschöpft sich das Prinzip der Teilung nicht darin, eine Machtbalance konkurrierender Gewalten zu ermöglichen 13 . Vielmehr erlaubt sie darüber hinaus, die vollkommen inhaltsleere Negativität des rechtlichen Entscheidungsprinzips gegenüber der sich verändernden Positivität rechtlicher Regelungsinhalte systematisch durchzusetzen. Durch die gesellschaftliche Ausdifferenzierung der Bindung rechtlicher Entscheidungen einerseits und der Veränderbarkeit des Rechts andererseits kann das jeweilige Verhältnis beider Positionen schließlich selbst verändert und sich wandelnden gesellschaftlichen Anforderungen angepaßt werden. Die exekutive Anwendung als solche kann als veränderbar, die Setzung neuen Rechts als variable Inanspruchnahme von Bindungen institutionalisiert werden, u n d die judikative Kontrolle läßt sich als selektive Herstellung der Reflexivität des Rechts handhaben 14 . Die Perspektiven, die auf diese Weise durch die Positivierung des Rechts eröffnet werden, scheinen unbegrenzt. Deshalb eignet sich dieser Punkt, mit der Darstellung des Rechtsbegriffs i n Luhmanns Theorie abzubrechen und die i n Bezug auf die Grundbegriffe begonnene K r i t i k an diesem Begriff fortzuführen. Die Institutionalisierung der Änder13 Entgegen der seit Montesquieu überwiegenden Meinung; vgl. den Überblick bei H. Rausch (Hrsg.), Gewaltentrennung; zur K r i t i k dieser Meinung vgl. auch Κ . H. Ladeur, Rechtssubjekt, S. 141 ff., der die Gewaltentrennung m i t der „zirkulären Bestimmung" des Rechtssubjekts begründet (ebd., S. 143); vgl. aus verfassungsrechtlicher Sicht beispielsweise K . Hesse, Grundzüge, S. 197. 14 Die Ausdifferenzierung der Gewalten geht darum ihrerseits m i t der Ausdifferenzierung solcher Prozesse einher, die über die jeweilige Relation der drei Gewalten bestimmen. L u h m a n n grenzt deshalb nicht n u r die drei Gew a l t e n untereinander ab, sondern das System der drei Gewalten auf der einen u n d das System der politischen Entscheidungen auf der anderen Seite; vgl. Funktionen der Rechtsprechung, S. 46 ff., Rechtssoziologie, S. 245; vgl. auch H. D. Jarass, Politik, S. 93 ff.
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barkeit des Rechts w i r d selbst zur Identätit des Rechts 15 , kein personaler, sachlicher oder sozialer Wandel, an den sich das Recht nicht anpassen könnte, bzw. mehr noch, der „steuerbare soziale Wandel" 1 6 rückt selbst i n den Bereich positivierbarer rechtlicher Regulierung; da die Ausdifferenzierung u n d Institutionalisierung der drei Gewalten nur jene Momente betrifft, die ebenso jede nicht-institutionelle, individuelle Rechtsentscheidung beinhaltet, ist die Variation und gegenseitige A n passungsfähigkeit staatlicher und privater Rechtsakte anscheinend durch keine prinzipielle Schranke gehemmt. Positivierung des Rechts und Verrechtlichung sämtlicher gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse scheinen einander wechselseitig unaufhaltsam zu verstärken. Aber die Frage ist, ob nicht aufgrund einer solchermaßen voranschreitenden Entwicklung des Rechts „das Gesellschaftssystem einen Zustand ansteuert, i n dem alles möglich und nichts mehr durchführbar ist — nämlich jede Neuerung juridifizierbar ist, sich aber auf dem Wege der Realisation früher oder später an gleichfalls berechtigten Gegenpositionen aufreibt" 1 7 . I m folgenden soll die Frage nicht beantwortet, sondern der Grund dafür untersucht werden, warum sich eine solche Frage auf der Grundlage von Luhmanns Rechtsbegriff notwendig ergibt. 4. Kritik des Rechtsbegriffs a) Rekapitulation Recht, definiert Luhmann, w i r d durch die kongruent generalisierten normativen Verhaltenserwartungen gebildet. Die sich an diese Begriffsbestimmung anschließende Ausgangsfrage der Analyse betraf das Problem, inwiefern die Kongruenz der drei Dimensionen der Erwartungsbildung angesichts der „natürlichen Inkongruenz ihrer Generalisierungsmechanismen" hergestellt oder gar auf Dauer gewährleistet werden kann. Das Problem stellte sich i n zwei Hinsichten. Erstens mußte das begriffliche K r i t e r i u m gefunden werden, das Luhmann als Spezifik u m der rechtlichen Herstellung jener Kongruenz i m Unterschied zu anderen normativen Regelungsprinzipien unterstellt, aber nicht nennt. Zweitens mußte dieses K r i t e r i u m mit den Grundbegriffen seiner Theorie i n Einklang gebracht werden können. Es lag nahe, den Grund für die Schwierigkeit bei Luhmann, das spezifische Kongruenzkriterium 15 I l l u s t r a t i v ist das Beispiel, das P. Häberle, Verfassungstheorie, S. 63, anführt, die Einrichtung der Monopolkommission durch § 24 b G W B : „Das Gesetz hat zu sich selbst eine A r t Enquete-Kommission auf Dauer eingerichtet! U n d es steuert die Prozesse seiner Interpretation und Änderung m i t H i l f e der Kommission . . . " (Hervorhebung P. H.). 16 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 298 ff. 17 Ebd., S. 301.
4. K r i t i k des Rechtsbegriffs
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des Rechts explizit zu machen, darin zu vermuten, daß durch Recht die Kongruenz der personalen, sachlichen und sozialen Dimension normativer Erwartungen nicht positiv durch Bezugnahme auf bestimmte inhaltliche Anforderungen der einzelnen Dimensionen, sondern negativ durch Generalisierung der abstrakten Voraussetzung, daß über die jeweilige Kombination der drei Dimensionen je wieder verfügt werden kann, hergestellt wird. Seinem Anspruch nach soll Recht hiernach die absolute gesellschaftliche Kompatibilität der drei Dimensionen normativer Erwartungsbildung unter beliebig vielen beteiligten Einzelsystemen ermöglichen, insofern es die gegenseitige Abstraktion von Personen, sachlichem Gehalt und sozialer Anerkennung von Normen systematisch unterstellt und erwartbar macht. Daß die einzelnen Individuen für ihre konkrete Erwartungsbildung von dieser Unterstellbarkeit ausgehen können, soll ihre jeweilige W i l l kürfreiheit begründen und i m Prinzip m i t derjenigen der anderen Individuen verträglich machen. Die Praktizierung eines je schon unterstellten Prinzips taucht als Problem bereits bei der allgemeinen System/ Umwelt-Konstellation auf. Schon für diese gilt, daß das System seine konstitutive Grenze nach außen nicht durch Handlungen, Selektionen oder Abgrenzungen hervorbringen kann, ohne immer schon das Bestehen einer solchen Grenze zu unterstellen 1 . Systemprobleme sind nur als Bestandserhaltungs-, nicht als Systemherstellungsprobleme formulierbar. Die Unterstellung, daß das System sich nicht herstellt, sondern erhält, heißt, daß es, auch wenn es seine Grenze nach außen und damit seine Identität laufend durch Selektionsakte neu definiert, jede dieser Definitionen auf der Grundlage einer vorgängig bestimmten Grenze vornimmt. Kein einzelner faktischer Definitionsakt kann diese Supposition vollständig aktualisieren. Luhmann spricht i n diesem Zusammenhang von der „logischen Diskontinuität von Handlung und System" 2 . Entsprechendes gilt für das Verhältnis von genereller Unterstellung und aktueller Herstellung des Rechts. Ebensowenig wie durch einzelne Handlungen m i t variierenden Inhalten ein System, d. h. eine reflexive Innen/Außen-Abgrenzung hervorgebracht werden kann, kann durch wechselnde Selektionen ein generelles Kompatibilitätssystem beliebiger individueller Normen erzeugt werden. Die einzelnen rechtlichen Normierungsakte rekurrieren daher darauf, daß das Prinzip der Differenzierung zwischen der personalen, sachlichen und sozialen Dimension gesellschaftlich bereits etabliert ist. Zwar setzt jeder dieser Akte immer bei einer ganz bestimmten Abgrenzung an, so wie er sie jeweils aktuell 1 Vgl. N. Luhmann, Systemtheorie, Evolutionstheorie, S. 194: „ . . . daß es bei Systemen u m Gegenstände geht, die sich als selbstimplikative V e r h ä l t nisse k o n s t i t u i e r e n . . . " 2 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 302; vgl. zur K r i t i k dieser Diskrepanz von Handlungs- u n d Systemrationalität G. Schmid, Systemtheorie, S. 214.
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vorfindet, aber er verändert diese Abgrenzung reflexiv so, daß die neue Abgrenzung ihrerseits verändert werden kann, um hierdurch insgesamt die Beliebigkeit der Abgrenzungen als Unterstellung jedes weiteren Akts aufrechtzuerhalten. (Diese Überlegung führte zur Unterscheidung von Recht und Unrecht. Rechtswidrige Selektionen nehmen ebenfalls diese Unterstellung i n Anspruch, begehen aber den Fehler, sie für vollständig aktualisierbar bzw. vollständig verfügbar zu halten.) Die Annahme, daß die Identität des Rechts notwendig als Unterstellung reproduziert werden muß, macht den Rückgriff auf die Figur der doppelten Negation erforderlich. Der Prozeß der Verdopplung der jeweiligen Negationen, der i m allgemeinen System/Umwelt-Verhältnis ausschließlich i m Innenbereich der Einzelsysteme stattfindet und deren subjektive Sinnerfahrung begründet, w i r d i m Rechtsverhältnis von allen Einzelsystemen als ihre Normkompetenzen gemeinsam konstituierender Prozeß intersubjektiv institutionalisiert. Jede bestimmte Festlegung von intersubjektiven normativen Erwartungen i n Bezug auf konkrete sachliche Gegenstände und auf einen konkreten Umkreis seiner sozialen Geltung w i r d als bestimmte Negation vorausgesetzter Festlegungen gesehen und so interpretiert, daß erst die Möglichkeit der Negation dieser Negation den rechtlichen Sinn der Normierung ausmacht. Dadurch w i r d eine rein formale Integration der Personen, ihrer sachlichen außenweltlichen Bezüge und ihrer sozialen Umwelt intendiert, da jede positive Setzung dieses abstrahierenden Relationsgefüges an das Postulat geknüpft ist, wiederum negiert werden zu können. Recht ist deshalb mit keiner bestimmten Kongruenz normativer Verhaltenserwartungen identisch, sondern allein m i t der Aufrechterhaltung des Metaregelsystems, das die Verfügbarkeit jeder beliebigen Kongruenz steuert. b) Die Kritik Die Frage, die sich für das System/Umwelt-Verhältnis allgemein stellte, ergibt sich auch hier. Ist i n der Tat die faktische Aufrechterhaltung einer prinzipiell durch keine bestimmte Handlung einholbaren Unterstellung, also einer Fiktion, widerspruchsfrei möglich? Die Errungenschaft, die m i t der rechtsförmigen gesellschaftlichen Integration individueller Systemerhaltung angezielt ist, w i r d zweifelhaft, wenn man etwa die Stellung genauer betrachtet, die das Rechtsverhältnis zu den beschriebenen Disjunktionen einnimmt. Die grundlegende Disj u n k t i o n ist zunächst einmal die bereits behandelte von System und Nicht-System bzw. System und Umwelt. Schon für diese grundbegriffliche Ebene gilt, daß die Disjunktion nicht aufgelöst w i r d i n dem Sinne, daß entweder System oder Nicht-System gegeben sein muß. Vielmehr konstituiert sich das System auf der Basis der Erhaltung der Disjunk-
4. K r i t i k des Rechtsbegriffs
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tion. Dennoch bleibt systemintern die Entscheidung für eine der beiden einander ausschließenden Alternativen nicht offen, da sich das System durch reflexive Negation der disjunktiven Negationsbeziehung zugleich selbst als die eine der beiden alternativen Seiten identifiziert. Dieses Modell der Voraussetzung einer Disjunktion und gleichzeitiger asymmetrischer Aufhebung setzt sich beim Rechtsverhältnis fort. Es genügt, sich noch einmal folgende Beispiele zu vergegenwärtigen: — die normative Aufhebung der Disjunktion von normativer kognitiver Erwartungseinstellung,
und
— das Verhältnis der Freiheit der Rechtspersonen zur Disjunktion von Freiheit und Nichtfreiheit (Notwendigkeit, Determiniert-werden) oder — das Verhältnis des Rechts zur Disjunktion von Recht und Unrecht. Kennzeichnend ist i n allen Fällen, daß das Recht seine Integrationsleistung dadurch zu erbringen beansprucht, daß konträre Erwartungsdispositionen auf den verschiedenen Stufen der gesellschaftlichen Erwartungsbildung gleichermaßen ermöglicht werden sollen. Die rechtliche Entscheidung findet nicht auf derjenigen Ebene statt, i n der die Alternativen jeweils einander gegenübertreten, sondern immer auf einer hierzu gebildeten Metaebene, so daß die Entscheidung, statt einfach eine Alternative auszuschließen, darauf gerichtet werden kann, die Möglichkeit alternativer Orientierungen selbst zu erhalten. Analog zur Grundkonstellation, wo das System, u m sich selbst zu erhalten, seine Negation, die Umwelt, miterhalten muß, erhalten rechtliche Entscheidungen die Negation der affimierten Erwartungsdisposition mit. Aber hierin liegt auch das Problem des systemtheoretischen Rechtsbegriffs. Die reflexive Erhaltung des Rechtsverhältnisses läßt sich lediglich als ständig unerfüllter Anspruch realisieren, da es je an die Bedingung geknüpft ist, negierbar bleiben zu müssen. Die Möglichkeit freier personaler Entfaltung und gleichzeitiger sozialer Integration der Individuen, also die Möglichkeit, die genuin durch das Recht eröffnet wird, muß i m Status bloßer Möglichkeit verbleiben, damit es seine erwartungssteuernde Geltung bewahren kann. Die charakteristische A n schlußrationalität, deren Institutionalisierung m i t dem Rechtsverhältnis angestrebt ist 3 , dreht sich damit i m Kreise. Jede konkrete Bewältigung disjunktiver Problemstellungen w i r d vereitelt, wenn sie Inhalt einer rechtlichen Verfügung ist. Denn diese unterliegt dem immanenten 3 Der Begriff der Anschlußrationalität taucht bisher, abgesehen von Luhmann, i n der Diskussion u m ,die Rationalität' des Rechts nicht auf. Sein Verhältnis zu dem i n dieser Diskussion verwendeten Rationalitätsbegriff ist noch zu klären; vgl. insbesondere den Überblick bei J. M. Priester, Rationalität, S. 459 ff.; außerdem J. Habermas, Überlegungen, S. 260 ff.
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Zwang, die Chance anschlußrationaler Entscheidungspraxis gesellschaftlich auf Dauer durchzusetzen, das heißt, immer die personalen, sachlichen und sozialen Strukturen zu sanktionieren, die wiederum unentscheidbare disjunktive Problemstellungen hervorbringen. So werden letztlich durch Recht n u r solche gesellschaftlichen Prozesse selektiv prämiiert, welche i n prinzipielle Entscheidungsdichotomien führen, denen dann rechtmäßig wieder aus dem Wege zu gehen erlaubt sein soll. Dieses Problem muß nicht für alle behandelten Disjunktionspaare i m einzelnen nachgewiesen werden. Da sich das Rechtsverhältnis i n dem der Rechtssoziologie Luhmanns folgenden Aufbau aus der Differenzierung von normativen und kognitiven Erwartungen ergab, läßt sich das Problem am einfachsten an der Verbindung dieser beiden Formen i m Recht erläutern: Die rechtliche Vermittlung der normativen und kognitiven Erwartungseinstellung kann die Hürde, die m i t dem gegenseitigen Ausschluß der beiden Einzelformen errichtet ist, nicht überwinden. Rechtliche Normen sollen auf der Grundlage dessen gebildet werden, was auch nach kognitiven Kriterien von der Umwelt erwartet werden kann, ohne daß die Frage eine Rolle spielen soll, wie es zu der jeweils aktuell gegebenen bestimmten Verteilung individueller und sozialer Normierungsmöglichkeiten (historisch) gekommen ist; allein der jeweils faktisch vorhandene Stand der verschiedenen Befugnisse ist maßgeblich und Ausgangspunkt ihrer kognitiv kontrollierten Inanspruchnahme und Veränderung. Läßt man einmal dieses Problem der Ausblendung der Genese beiseite, so stellt sich dennoch die Frage, wie die hierauf aufbauende Normbildung stattfinden kann. Zwar nimmt die rechtliche Normsetzung einen reflexiven Standpunkt gegenüber der jeweils manifestierten Unterscheidung zwischen normativer Umweltsteuerungsmöglichkeit und kognitiven Umweltanpassungserfordernissen ein, aber der Standpunkt ist nichtsdestoweniger unmittelbar nur normativ — von i h m aus gesehen müßte die vorausgesetzte Abgrenzung beliebig neu normiert werden können. Andererseits muß durch die rechtliche Normsetzung, um die Möglichkeit des reflexiven Standpunktes aufrechtzuerhalten, das Prinzip jener Abgrenzung i n der Umwelt erhalten werden. N i m m t man deshalb an, daß dieser reflexive Standpunkt nicht nur auf eine vorgängige Unterscheidung von normativer und kognitiver Erwartungsmöglichkeit Bezug nimmt, sondern auch selbst zugleich normativ und kognitiv bestimmt sein muß, dann stößt man hier wieder auf den Gegensatz der beiden Einstellungen, jetzt eben auf der Reflexionsebene, wo eine vorgängige Abgrenzung gerade noch nicht vorausgesetzt sein soll. Damit der Gegensatz nun nicht auf dieser Ebene zu einer gegenseitigen Blockierung der beiden Formen führt, muß zu der Reflexions-
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ebene eine weitere (Meta-)Reflexionsebene gebildet werden, von der aus die Differenzierung zwischen normativer und kognitiver Orientierung der ersten Reflexionsebene (und vermittels dieser die zugrundeliegende Abgrenzung) normiert wird. Da sich aber das Problem hier wiederholt, müssen immer höhere Normierungsebenen gebildet werder 4 . Die Hierarchie von Rechtsquellen ist daher nicht nur ein Ausfluß des Legitimierungsproblems von Rechtssetzungen5, sondern eine allgemeine Bedingung der Möglichkeit, rechtliche Normsetzung überhaupt perpetuieren zu können. Sie löst das Problem nicht, verteilt es nur auf verschiedene Entscheidungsebenen. Der Anspruch des Rechts, den Gegensatz von normativer Steuerung und kognitiver Anpassung i n der Konstitution einer reflexiven Normkompetenz normativ aufheben, aber kognitiv anerkennen zu können, kann nicht vermeiden, daß es letztlich nur zu einer beliebig aufteilbaren Hintereinanderschaltung von normativen Tautologien und sich je naturwüchsig einspielenden Abgrenzungen zwischen Steuerung und Anpassung kommen kann. Dieses Dilemma ist zwar ein grundsätzliches, es läuft aber dem A n spruch des Rechts nur implizit zuwider, explizit kann der Schein der Fortgeltung des Rechts hierdurch nicht zerstört werden. Infolge seiner negativen Konstitution kommt es nicht darauf an, wie sich die bestimmten Grenzen vorgegebener Normierungsbefugnisse faktisch herausgebildet haben, sondern einzig darauf, ob sie veränderbar, d. h. negierbar sind. I n der aufeinander folgenden Kette beliebiger Negationen, nicht i n den tatsächlichen Prozessen ihrer jeweiligen Genese kommt seine Identität zum Ausdruck. Allerdings treten deshalb die beiden Ebenen, die seiner normativen Geltung und die seiner realen Durchsetzung, systematisch auseinander. Trotz der Einbeziehung der kognitiven Erwartungseinstellung kann es aus dieser Diskrepanz der beiden Ebenen nicht lernen, weil die Disjunktion von Lernen und Nichtlernen aufrechterhalten werden muß. Das zeigt sich insbesondere am Verhältnis des Rechts zur Zeit (1) und zum Zeichen (2). (1) Den beiden singulären Erwartungsformen ließen sich zwei entgegengesetzte Zeitperspektiven zuordnen. Das rein normativ eingestellte System orientiert sich primär an seiner Zukunft, das kognitiv eingestellte an der Vergangenheit seiner Umwelt. Entsprechend der beanspruchten Integration der normativen und kognitiven Einstellung folgt für die rechtlich begründeten System/Umwelt-Verhältnisse der beteiligten Einzelsysteme, daß sie ihre normative Zukunft kognitiv an 4
Vgl. N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 265: „Das ist die S t r u k t u r der L e g i t i m i t ä t des Rechts: gemischt kognitiv/normatives E r w a r t e n normativen Erwartens kognitiven Erwartens normativen Erwartens." Der Regreß ist hier bereits angedeutet; daß L u h m a n n i h n i n der zitierten Weise abbricht, läßt sich aus dem Prinzip rechtlicher Erwartungsbildung nicht begründen. 5 I m Sinne Kelsens (Reine Rechtslehre, S. 228 ff.).
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ihre Vergangenheit binden und ihre kognitiv erfaßte Vergangenheit zugleich als normatives Potential ihrer Zukunftsbildung begreifen 6 . A u f diese Weise erfordern rechtliche Verfügungen unmittelbar keine Entscheidung mehr zwischen bloßer Zukunfts- oder bloßer Vergangenheitsorientierung, da sich die Systeme nunmehr an der Zukunfts-/Vergangenheits-Differenzierung selbst orientieren 7 . Dennoch resultieren hieraus keine Bedingungen, die den einzelnen Systemen erlauben w ü r den, ihre jeweilige Gegenwart selbständig zu erfassen. Die durch rechtliche Entscheidungen i n Bezug auf die Zukunft neu gesetzten Erwartungsgrundlagen werden insofern kognitiv an die Vergangenheit zurückgebunden, als i n ihnen die Tatsache, daß sie die zukünftige Vergangenheit der Systeme und damit die zukünftige reale Ausgangsbasis weiterer rechtlicher Verfügungen bestimmen, zu beachten ist. I n einen Widerspruch geraten die Entscheidungen deswegen, weil sie einerseits die Vergangenheit, so wie diese i n den personalen, sachlichen und sozialen Voraussetzungen der Entscheidungen unmittelbar vergegenständlicht ist, nur zur Kenntnis nehmen, soweit sie zugunsten einer variablen Zukunft verfügbar ist, weil sie aber andererseits durch diese Weise der Entscheidungssteuerung eine zukünftige Vergangenheit der Systeme akkumulieren, welche eine zunehmende Diskrepanz zwischen kognitiver Erfahrbarkeit und normativer Steuerbarkeit der Systementwicklung bedingt. U m den individuellen und sozialen Systemen eine positiv verfügbare Zukunft eröffnen zu können, muß zunehmend von ihrer realen Geschichte abstrahiert werden. Denn die Vergangenheit, die die Systeme durch rechtliche Entscheidungen über ihre Zukunft laufend konstituieren, muß folgerichtig i n dem Maße aus der Perspektive des Rechts herausfallen, i n dem sie eine nicht mehr variierbare kognitive Anpassung erfordert; und sie erfordert u m so mehr diese kognitive Anpassung, desto offener die normativ verfügbare Zukunft war, die die vorausgegangenen rechtlichen Entscheidungen geschaffen haben, weil aus diesen ehemaligen Zukunftsmöglichkeiten desto mehr kognitiv nicht kontrollierte faktische Vergangenheitsdeterminanten resultieren mußten. Daher muß die Gesellschaft, die die Integration ihrer normativen Entscheidungen hauptsächlich über rechtliche Verhältnisse und Entscheidungsdispositionen strukturiert, ihre historische Entwicklung um so mehr aus dem Auge verlieren, je mehr sie ihre Zukunft normativ öffnet, insofern diese eine immer folgenreichere Vergangenheit involviert. 6 Z u m Zusammenhang „temporaler Reflexivität" u n d „sozialer Reflexivit ä t " vgl. N. Luhmann, Weltzeit, S. 115 f. 7 Vgl. die A u f t e i l u n g dieser D i s j u n k t i o n bei G. Husserl, Recht u n d Zeit, S. 52 ff.; G. Husserl ordnet die rechtliche Orientierung an der Z u k u n f t der gesetzgebenden Gewalt, die Orientierung an der Gegenwart der Exekutive u n d die Orientierung an der Vergangenheit der Judikative zu.
4. K r i t i k des Rechtsbegriffs
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Charakteristisch für rechtlich institutionalisierte individuelle und soziale Entscheidungsvorgänge ist das Nebeneinander der reflexiven Kontrolle der Entscheidungen und der naturwüchsig und anarchisch ablaufenden Entwicklung der kognitiv erfahrbaren personalen, sachlichen und sozialen Faktoren der Entscheidungen. Normativ soll sich die Vergangenheit der Systeme letztlich aus ihrer Bestimmung der Zukunft ergeben, kognitiv jedoch werden die Zukunftsbestimmungen durch die unkontrolliert anwachsende Vergangenheit gesteuert. Die Anschlußrationalität, deren abstraktester sachlicher Ausdruck die Konditionalform von Rechtsregeln darstellt, scheint zwar gerade auf die Bewältigung dieses Dilemmas h i n zugeschnitten zu sein, indem die Postulierung normativ angestrebter Zustände konditional an kognitiv zu erfassende Bedingungen angeschlossen wird, deren Eintreten grundsätzlich rechtlich zufällig und deren historische Genese gleichgültig ist. Aber die Naturwüchsigkeit der Entwicklung der Bedingungen bestimmt auch den normativen Konnex von Bedingung und angestrebter Entscheidungsfolge und macht diesen Konnex insofern (anschluß-)irrational, als die Entscheidungsfolgen ihrerseits künftige Anschlußentscheidungen konditionieren sollen. Für die Zukunft w i r d demnach genau die kognitive Einbeziehung der Genese von Entscheidungsbedingungen erfordert, deren Außerachtlassen für die je tatsächlich sich einstellenden Bedingungen den eigentlichen Gewinn der Anschlußrationalität konstituieren soll. U m diese Form von Anschlußrationalität i n Bezug auf die Vergangenheit praktizieren zu können, muß man sie für zukünftige Vergangenheiten negieren. Da dieser Antagonismus für jedes rechtlich gesteuerte System gilt, läßt er sich auf das gesellschaftliche System insgesamt ebenso beziehen wie auf die individuellen Systeme, die Rechtspersonen. Für diese hat das Auseinandertreten der Rationalität, m i t der sie ihre Zukunft konstituieren, von derjenigen, m i t der sie ihre Vergangenheit selegieren, daher zur Folge, daß sie sich zugunsten ihrer rechtlichen Freiheit von ihrer faktisch ablaufenden Biographie entfremden. Die Zukunft, die sie zu erzeugen beanspruchen, setzt an ihrer Vergangenheit unter zwei Gesichtspunkten an, zum einen, soweit vorausgegangene Entscheidungen sich i n konkreten individuellen Rechtsbefugnissen niedergeschlagen haben, zum anderen, soweit sie sich auf die faktische Ausübung dieser Befugnisse auswirken. Da die rechtliche Identität der Individuen nur an der Aufrechterhaltung bzw. Verbesserung der Fähigkeit orientiert ist, je vorhandene Grenzen ihrer Entscheidungsfreiheit auch anders festlegen zu können, w i r d Vergangenheit unter dem zuletzt genannten Gesichtspunkt nur als Ursache für Beschränkungen dieser Fähigkeit relevant. Ideal wäre die Vergangenheit, die ausschließlich i n kontingent veränderbare Beschränkungen mündet. Eine solche Vergangenheit
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müßte von Individuum zu Individuum austauschbar sein; jede Rechtsperson müßte gleichermaßen die Vergangenheit des anonymen Dritten haben. Wenn dies aber das K r i t e r i u m darstellt, nach dem sich die Individuen selektiv zu ihrer tatsächlichen Vergangenheit verhalten, dann müssen die individuellen faktischen Prozesse der Entscheidungsfindung von den jeweiligen individuellen Entscheidungsbegründungen grundsätzlich abweichen. Denn die kognitive Wahrnehmung von Vergangenheit allein unter dem Aspekt, inwiefern sie verfügbare Konditionen einer offenen Zukunft enthält, macht für einmalige, individualisierte Genesen solcher Konditionen blind. Individuelle Motive, Attitüden, Anlagen etc., die die Entscheidung des Einzelnen faktisch beeinflussen, können daher von der Rationalität der Entscheidungsbegründung nicht erfaßt und kontrolliert einbezogen werden 8 . Der Rolle, die der anonyme Dritte bei der Konstitution der rechtlichen Selbstbestimmung spielt, entspricht es, daß das Individuum von seiner biographischen Entwicklung unaufhörlich wie von einem Fremden, irgendeinem realen Dritten gesteuert w i r d 9 . (2) Sinn und System bei Luhmann lassen sich auf eine spezifische Zeichensystematik zurückführen. Das kann, da sich sein Rechtsbegriff aus jenen Grundbegriffen herleitet, bei diesem nicht anders sein. Dennoch muß es m i t einigen kursorischen Bemerkungen hierzu sein Bewenden haben, weil die obige Darlegung der unterstellten Zeichensystemat i k zu wenig elaboriert ist, u m die i m Rechtsverhältnis nun auf wesentlich kompliziertere Weise enthaltene Systematik adäquat beschreiben zu können. I m Ergebnis lief die Analyse der Systemstruktur darauf hinaus, daß die Differenz zwischen System und Umwelt der Differenz zwischen 8 Die Differenz zwischen richterlicher Entscheidungsfindung u n d -begründung ist darum n u r ein Sonderfall; vgl. hierzu H. Rottleuthner, Richterliches Handeln, S. 98 ff.; N. Luhmann, Verfahren, S. 124; ders., Recht u n d A u t o mation, S. 51. 9 Die notwendige Anonymisierung, der die rechtliche Selbstbestimmung der I n d i v i d u e n unterliegt, k a n n man auch als Rationalität der sozialen Prozesse beschreiben, die zur Einigung der I n d i v i d u e n über ihre Normgeltung führen. Hierzu k a n n man einen Hinweis aufgreifen, den K . Eder, Rationalitätstypen des modernen Rechts (vgl. a.a.O., S. 252 ff.) unter anderem anhand des Kriteriums, ob ein „bloß virtueller Diskurs" die Generalisierungen des Rechts steuert oder ein „realer Diskurs" (vgl. zu dieser Unterscheidung ausführlicher K . Eder u. a., Gerechtigkeitsvorstellungen, S. 25 ff.; zum Verhältnis von „Diskurs u n d Rechtlichkeit" vgl. außerdem etwa W. Gast, Rechtserkenntnis, S. 54 ff.). Ob ein realer Diskurs aus dem dargestellten Dilemma des (systemtheoretisch konzipierten) Rechtsverhältnisses heraushilft, k a n n hier offen bleiben. Entscheidend ist, daß Recht i n dem rekonstruierten Sinn auf diese Differenz, d . h . auf die bloße Unterstellbarkeit der sozialen Auseinandersetzung u n d Einigung über rechtliche Normen rekurriert. Entsprechendes g i l t f ü r individuelle Rechtsentscheidungen. Durch die Ubersetzung i n d i vidueller Biographien u n d sozialer Entscheidungsprozesse i n rechtliche K a t e gorien gehen reale Auseinandersetzungen i n anspruchsbegründende F i k t i o nen über.
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einem sich selbst definierenden Regelsystem von Zeichenbeziehungen und dem i h m jeweils vorausgesetzten Bereich seiner möglichen »realen* Objekte entspricht. Aus der vollständigen internen Reflexivität der Regeln dieses Zeichensystems, aus der hieraus folgenden Austauschbarkeit und unbegrenzten Negierbarkeit jeder bestimmten Zuordnung von Zeichen und (Umwelt-)Objekt und schließlich aus der prinzipiellen Veränderbarkeit der Grenze zwischen internem System und externem Objektbereich ergab sich die Folgerung, daß auch die externen Objekte nur als Stellvertreter für reale Objekte, selbst n u r als Zeichen von Objekten unterstellt sind. Realität, so wie sie als Gegenstandsbereich möglicher Bezeichnungen aus der Innenperspektive des Systems vorausgesetzt wird, löst sich implizit i n einen unendlichen Regreß von kontingenten Bezeichnungsschritten auf und w i r d dadurch letztlich unfaßbar. So wie das System nur i n Gestalt der Bezeichnung seiner selbst, nur als Symbol eines Systems gedacht werden kann, so besitzt auch seine Umwelt nur symbolisch Realität. Zwar sollen Systeme i m Kontext der Soziologie Luhmanns keine bloßen Theoriesysteme oder erkenntnistheoretische Systematisierungsprinzipien, sondern i n psychischen und sozialen Tatbeständen faktisch wirkende Grundstrukturen darstellen, aber mehr als die Konstitution eines transzendentalen Subjekts und dessen Verhältnis zu der von diesem unerreichbaren Welt von realen Gegenständen beschreiben seine Begriffe nicht. I m manent lautet der Widerspruch i n Bezug auf den Begriff der Sinnkonstituierung, daß die als Systeme definierten Subjekte systematisch auf die bloße Möglichkeit einer Sinnstiftung verwiesen sind, die i n keinen wirklichen Sinn übergehen darf, ohne daß dadurch die Subjekte ihre Identität aufgeben. Umweltkomplexität ist irreduzibel, solange sie ausschließlich symbolisch reduziert werden kann, es sei denn, die Komplexität besteht selbst nur symbolisch, aber dann löst sich das ganze Problem auf. Bezieht man die semiotische Grundlegung auf die Bestimmungen des Rechtsbegriffs Luhmanns, so ist davon auszugehen, daß das Zeichenregelsystem, welches die Bedingungen der Bezeichenbarkeit und Interpretierbarkeit variierender umweltlicher Objekte und Objektzusammenhänge normiert, i m Recht zugleich als gemeinsames Regelsystem aller einzelnen vorausgesetzt und als solche perpetuiert wird. Zwei Besonderheiten sind es hauptsächlich, die Recht von der begrifflichen Grundstufe unterscheiden. Erstens ist das Regelsystem der Zeichenbildung und -interpretation als intersubjektives, für alle einzelnen gleichursprünglich gültiges Konstituens anerkannt, welches jetzt als Metaregelsystem, das infolge seiner Definierung durch sich selbst absolut formal und gleichgültig gegenüber jeder möglichen Konkretisierung ist, von seinen inhaltlichen Anwendungen, den einzelnen 9 Zielcke
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I I . Objektives System
Interpretationen und Bedeutungszuschreibungen, differenziert werden kann. Zweitens gilt i m Unterschied zum allgemeinen System/UmweltVerhältnis i m Rechtsverhältnis der Einzelsysteme untereinander nun die Tatsache explizit, daß die Um- und Außenwelt immer schon symbolisch mediatisiert ist, daß also die äußeren Gegenstandsbereiche rechtlicher Bedeutungsregeln je schon durch normative Interpretationen der um- und außenweltlichen Realität gebildet werden, durch solche normativen Interpretationen, die bereits i n ausdrücklicher A n wendung des formalen intersubjektiven Regelsystems getätigt wurden bzw. aktuell getätigt werden. Rechtlich werden daher nicht mehr unmittelbar bestimmte Realitätsbereiche, sondern bereits vorhandene normative Interpretationen solcher Bereiche reinterpretiert. Für elementare Rechtsbeziehungen zwischen Eigentümern bedeutet das etwa, daß bestimmte Objekte der Außenwelt den Einzelnen symbolisch dergestalt zugeordnet werden, daß sie die Interpretationsherrschaft über diese Zuordnung ausüben und die konkrete Verteilung dieser Zuordnungen untereinander beliebig verändern, d. h. neu interpretieren können 1 0 . Bedingung ist nur, daß sie die für alle einzelnen gleichursprüngliche Konstitution der jeweiligen Interpretationsherrschaft als Metaregel der Veränderung vorhandener interpretierter Zuordnungen gegenseitig anerkennen und aufrechterhalten. Aber die Ausübung dieser Herrschaft verstrickt die interagierenden Individuen i n undurchschaubare Interpretations- und Zuschreibungsprozesse und damit i n unbeherrschbare Prozesse ihrer rechtlichen Realitätserzeugung. Da die symbolischen normativen Zuordnungen bestimmter sachlicher und sozialer Positionen zu den Einzelsystemen und die individuellen und intersubjektiven Interpretationen solcher Zuordnungen die rechtlich relevante Realität der beteiligten Individuen bilden und da sie es sind, die ihrerseits der erneuten Interpretation unterliegen, w i r d rechtlich eine doppelbödige Form von Realität konstituiert. Denn i n dem Regreß der Hintereinanderschaltung der Interpretationsakte w i r d jeder Einzelakt, damit sich i n der Kette insgesamt Recht perpetuiert, dem jeweils nachfolgenden A k t als dessen Objektebene vorausgesetzt, muß aber zugleich als gleichwertiger Ausdruck der Metaregel des Rechts m i t diesem identifiziert werden können. Jeder Interpretations» bzw. Reinterpret ationsVorgang muß also sowohl Objektund (interpretierender) Bezeichnungsvorgang i n einem sein als auch die Trennung der beiden Ebenen voraussetzen. Diese Gleichzeitigkeit der Identität und Nichtidentität von Objekt und Symbol des Objekts, von Objekt- und Metaebene oder von Interpretation und Reinterpretation 10
Ob sich die Interpretationen von Zuordnungsrelationen zwischen Eigent ü m e r n u n d äußeren Objekten letztlich auf Interpretationen von Handlungen zurückführen lassen oder nicht, bleibt dahingestellt.
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läßt sich sachlich nicht ausdifferenzieren, da die Identifizierung der getrennten Ebenen auf der Reflexivität der rechtlichen Metaregulierung beruht, die sich gerade durch absolute Gleichgültigkeit gegenüber jedem möglichen Gehalt i n ihrer Anwendung auszeichnet. Welche individuelle und soziale Realität des Rechts sich durchsetzt, wo Interpretationen und symbolische Zuordnungen sachlich identisch bleiben oder reinterpretierend verändert werden, inwiefern gleichzeitige Interpretationsvorgänge verschiedener Individuen i n Bezug auf verschiedene Zuordnungsrelationen die Identität des Rechts verkörpern oder nicht, all dies entscheidet sich aufgrund von Gesetzmäßigkeiten, die von keinem der beteiligten Individuen identifiziert werden können. Recht spielt sich somit nicht auf einer symbolischen Normebene ab, die von den i h r zugrundeliegenden faktischen gesellschaftlichen Prozessen abgehoben ist. Vielmehr ist die rechtliche Interaktion i n diese Prozesse eingeschaltet, bewirkt i n ihnen aber einen permanenten Wechsel von Realitätsebenen, der sie für das Selbstverständnis der von ihnen betroffenen Individuen undurchdringlich macht. Die rechtlichen Interpretationsvorgänge fingieren die Identifizierbarkeit von Normund Objektebenen, gehen aber zugleich davon aus, daß die Fiktionen auch n u r symbolischen Charakter haben dürfen. Da aber diesen F i k tionen durch die jeweils an sie anschließenden entsprechenden Interpretationsvorgänge dieselbe Realität eingeräumt wird, wie sie sie für sich selbst i n Anspruch nehmen müssen, andererseits die Differenz von Fiktion und Realität, d. h. auch von Recht und Rechtswirklichkeit, bezüglich jeder bestimmten gesellschaftlichen Realität gewahrt bleiben muß, stoßen die Individuen ständig auf rechtliche Realitäten, die sie nicht hervorbringen wollten — die sie dennoch immer wieder so interpretieren müssen, als ob sie sie hervorgebracht hätten. Das transzendentale Verhältnis von Zeichenregelsystem und bezeichenbarer gesellschaftlicher Realität wird, wenn die Kompatibilität normativer gesellschaftlicher Interaktionsvorgänge durch Recht gewährleistet werden soll, selbst als reales Scharnier dieser Vorgänge institutionalisiert und muß daher deren grundsätzliche Widersprüchlichkeit zur Folge haben. I n der Tat sind die Individuen, die sich, Luhmanns Rechtsbegriff entsprechend, daran orientieren, die Kongruenz ihrer willkürlichen normativen Erwartungsbildung i n der Form des Rechts zu stabilisieren, deshalb darauf angewiesen, kontinuierlich zu lernen. Nicht die Erfüllung konkreter normativer Erwartungen läßt sich gesellschaftlich steuern 1 1 , sondern nur die Erhaltung der generalisierten Möglichkeit ihrer Erfüllung, d. i. die Erhaltung der symbolischen Geltung des Rechts. Bestimmte positiv normierte Entwicklungen lassen sich nicht sicher11
9·
Vgl. N. Luhmann, Erwartungssicherung, S. 31 ff.
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stellen, aber die Möglichkeit der Positivität des Rechts läßt sich etablieren. Das Prinzip ist immer dasselbe. Nicht die um- und außenweltliche Realisierung individueller Interpretationsherrschaft läßt sich garantieren, sondern nur die symbolisch institutionalisierten Ansprüche auf Ausübung einer solchen Herrschaft. Weder Freiheit und Gleichheit noch die Bewältigung konkreter Probleme und Konflikte können gewährleistet werden, n u r die symbolische Geltung des Freiheitsanspruchs, der Lösbarkeit von Konflikten, usf. Entgegen dem Optimismus, der Recht bei Luhmann auf der Oberfläche auszeichnet, indem es die Möglichkeit der Lösung sozialer Konflikte i n Aussicht stellt, beruht es daher insgeheim auf dem grundsätzlichen Pessimismus, daß nur noch die „Unauflöslichkeit" solcher Konflikte „als Lösung" 1 2 angeboten werden kann. Angesichts der beschriebenen Widersprüche ist zumindest dieser Pessimismus nicht angezeigt.
12
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