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Spätmittelalter, Humanismus, Reformation Studies in the Late Middle Ages, Humanism and the Reformation herausgegeben von Volker Leppin (Tübingen) in Verbindung mit Amy Nelson Burnett (Lincoln, NE), Berndt Hamm (Erlangen) Johannes Helmrath (Berlin), Matthias Pohlig (Münster) Eva Schlotheuber (Düsseldorf)
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Anna Sauerbrey
Die Straßburger Klöster im 16. Jahrhundert Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Geschlechtergeschichte
Mohr Siebeck
Anna Sauerbrey; Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Politikwissenschaft und Publizistik in Mainz und Bordeaux; 2005–09 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Universität Mainz; seit Frühjahr 2011 Mitarbeiterin der Meinungsredaktion des Tagesspiegels in Berlin.
Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 07 der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2005 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen. ISBN 978-3-16-151691-7 / eISBN 978-3-16-158607-1 unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISSN 1865-2840 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2012 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Sie lesen gern Vorworte? Ich auch. Oft sind sie rührend, manchmal skurril, zwischen den Zeilen entdeckt man schlecht kaschierte Feindschaften und große Liebe. Sie sind aber auch als Zeitdokumente interessant. Anhand der Vorworte zur geschichtswissenschaftlichen Literatur der Nachkriegszeit ließe sich eine Geschlechtergeschichte der Bundesrepublik schreiben. Als Autorinnen tauchen Frauen zunächst nur sehr selten auf. In den fünfziger und sechziger Jahren wird ihnen als Ehefrauen für Geduld, Verzicht und für das Abtippen der Manuskripte gedankt. Heute danken sie selbst oder erscheinen als Doktormütter und kundige Gesprächspartnerinnen. Auch diese Arbeit wäre ohne die Unterstützung scharfsinniger und wunderbarer Frauen nicht entstanden. Obwohl, wie später zu lesen sein wird, die kompensatorische Geschlechtergeschichte mittlerweile überholt ist, sei ihnen hier zuerst gedankt: Helga Sauerbrey, für das Vorbild-Sein, für den unerschütterlichen Glauben an ihre Tochter, für die Unterstützung in allen Lebenslagen und für das Korrekturlesen der Arbeit. Kristina Marx danke ich für herrliche Auszeiten in ihrem Garten und für das Korrigieren des Manuskriptes. Sigrid Hirbodian, ehemals Schmitt, danke ich für die Anregung zu dieser Arbeit, für unzählige gute Gespräche und für die stets konstruktive Kritik. Am Historischen Seminar der Universität Mainz haben Christine Kleinjung, Heidrun Ochs, Sabine Reichert, Regina Schäfer und Julia Schmidt-Funke das Entstehen der Arbeit mit vielen Ideen begleitet. Besonders Heidrun Ochs danke ich für viele spontane Diskussionen über den Schreibtisch hinweg. Mehrfach konnte ich Teile der Arbeit bei Treffen des Arbeitskreises geistliche Frauen im europäischen Mittelalter vorstellen und besprechen. Für Anregungen danke ich besonders Alison Beach, Letha Böhringer, Sabine Klapp und Gisela Muschiol. Ich danke Rolf Sauerbrey, für das Vorbild-Sein, für das unermüdliche Interesse am Wohl und Wehe frühneuzeitlicher Nonnen und Mönche und für die Unterstützung in allen Lebenslagen. Ich danke Johannes Marx, einfach für alles. Ich danke Harald Müller für kluge Bemerkungen und gute Gespräche, für den Freiraum, viel an dieser Arbeit schreiben zu können und für die Übernahme des Korreferats. Stellvertretend für alle Mitarbeiter der Straßburger Archive und Bibliotheken danke ich Bernhard Metz und Louis Schlaefli. Am Historischen Seminar in Mainz haben Gordon Blen-
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Vorwort
nemann, Franz Felten, Andreas Frings und Raoul Hippchen mitgeholfen, dass dieses Buch entstanden ist. Dank sagen möchte ich auch den Herausgebern dieser Reihe, besonders Johannes Helmrath, in dessen Berliner Kolloquium ich gute Anregungen für die Überarbeitung erhalten habe. Berlin, im Dezember 2011
Anna Sauerbrey
Inhaltsverzeichnis Abkürzungen ................................................................................. XIII Kapitel 1 Einleitung .......................................................................................... 1 1.1 Hinführung und Fragestellung...................................................................... 1 1.2 Forschungsstand ........................................................................................... 4
Kapitel 2 Theoretische Prämissen: Geschlechtergeschichte und Rational Choice. Auswege aus dem diskursiven Dilemma........................... 17 2.1 Theoretische Grundlagen der Geschlechtergeschichte: Das diskursive Dilemma ..................................................................... 17 2.2 Rational Choice als theoretische Alternative für die Geschlechtergeschichte .............................................................................. 25 2.3 Schlussfolgerungen und Vorgehen............................................................. 35
Kapitel 3 Das Fallbeispiel Straßburg. Überblick, Überlieferung und Forschungslage......................................................................... 39 3.1 Die Straßburger Klosterlandschaft im Umbruch ........................................ 39 3.2 Die Überlieferung ....................................................................................... 46 3.3 Der Forschungsstand: Straßburg in der Reformationszeit.......................... 51 3.4 Exkurs: Zur Ordenszugehörigkeit von St. Magdalena ............................... 54
VIII
Inhaltsverzeichnis
Teil 1
Diskurse, Akteure und Strukturen. Die Straßburger Klöster in ihrer Umwelt Kapitel 4 Der Diskurs über das Klosterleben im 16. Jahrhundert und seine Implikationen für die Geschlechtergeschichte................................ 63 4.1 Das „gefengnis menschlicher tyranney“. Der Klosterdiskurs in der Frühen Neuzeit ................................................................................. 64 4.2 Das Primat der Ehe und seine Bewertung in der Geschlechtergeschichte .................................................................... 71
Kapitel 5 Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates................................. 78 5.1 Der Rat als Akteur zwischen Bevölkerung, Kirchenkonvent und Reichspolitik........................................................................................ 78 5.1.1 Rat und Bevölkerung in der Frühphase der Reformation.............. 78 5.1.2 Der Einfluss des Kirchenkonvents auf die städtische Religionspolitik ............................................................................. 85 5.1.3 Die Grenzen des städtischen Handlungsspielraums in Reichsrecht und Reichspolitik................................................... 89 5.2 Klosterschließungen oder Klosterauflösungen? Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates im 16. Jahrhundert ......................................... 102 5.2.1 Eingriffe des Rates in das wirtschaftliche und religiöse Leben der Klöster. Klosterpolitik zwischen Strenge und Duldung ........ 102 5.2.2 Ursachen der Straßburger Politik der Duldung ........................... 116 5.2.3 Die Grenzen der Duldung............................................................ 128 5.3 Zusammenfassung. Klosterpolitik zwischen pragmatischer Milde und gewaltsamem Durchgreifen .................................................... 130 5.4 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen............................................. 131
Inhaltsverzeichnis
IX
Kapitel 6 Innerhalb der Stadtmauern, aber außerhalb der Stadtgemeinschaft? Klöster und städtische Gesellschaft.........134 6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente im 16. Jahrhundert ........... 135 6.1.1 Methodische Vorbemerkungen ................................................... 135 6.1.2 Die Sozialstruktur der Konvente im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts. Ein Faktor für Auflösung oder Überleben?..... 140 6.1.3 Der Wandel der Sozialstruktur der fortbestehenden Konvente im Verlauf des 16. Jahrhunderts .................................................. 153 6.2 Familien und Konvente im 16. Jahrhundert. Aggressionen und Allianzen..................................................................... 160 6.2.1 Konfessionalisierung und Familie: Mittel zur Herstellung konfessioneller Einheit innerhalb der Familie........................ 160 6.2.2 Kontinuität familiärer Verflechtung: Das Beispiel St. Margaretha ............................................................................. 172 6.3 Das Ausbleiben der Stiftungen im 16. Jahrhundert.................................. 177 6.4 Zusammenfassung: Innerhalb der Mauern, aber außerhalb der Gemeinschaft? .................................................................................... 181 6.5 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen............................................. 183
Kapitel 7 Der Einfluss der Reformation auf die Wirtschaft der Straßburger Klöster ..................................................................185 7.1 Wirtschaftskraft und Wirtschaftsweise der Klöster im Vergleich............ 186 7.2 Mehr Soll, weniger Haben: Die Verringerung der Einnahmen und die Erhöhung der Ausgaben der Klöster im Reformationszeitalter.......... 192 7.3 Die Folgen der Veränderung der Einnahmen- und Ausgabestruktur der Klöster ................................................................................................ 198 7.4 Zusammenfassung .................................................................................... 202 7.5 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen............................................. 202
X
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 8 Klöster und ihre Orden. Die Bedeutung von Ordensmacht und Ordenskultur............................................................................204 8.1 Die Situation der alten Orden im 16. Jahrhundert – Ein Überblick ......... 204 8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung: Das Verhältnis der Straßburger Klöster zu ihren Orden ................................................... 210 8.2.1 Von der Reformation überrumpelt: Franziskaner und Augustiner-Eremiten und ihre Straßburger Niederlassungen...... 210 8.2.2 Mit dem Orden gegen den Rat: St. Nikolaus und St. Margaretha ............................................................................. 214 8.2.3 Mit dem Rat gegen den Orden: Die Johanniter ........................... 217 8.2.4 Mit dem Orden gegen den Orden: Die Kartäuser (1591) ............ 223 8.2.5 Allein gegen alle: Die Reuerinnen von St. Magdalena ............... 230 8.3 Regel, Spiritualität, Observanz und Lebenspraxis – Zusammenhänge zwischen „Ordenskultur“ und dem Überleben von Klöstern in der Reformationszeit ............................................................................ 238 8.4 Zusammenfassung .................................................................................... 242 8.5 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen............................................. 244 Teil 2
Das Ich im Fokus. Mönche und Nonnen zwischen Opposition und Assimilation Kapitel 9 Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt .........................247 9.1 Identitäten zwischen Konfession, Geschlecht und Stand ......................... 247 9.1.1 Begriffsdefinition und Vorgehen................................................. 248 9.1.2 Konfessionelle und religiöse Identitäten ..................................... 252 9.1.3 Geschlechtsidentitäten ................................................................. 263 9.1.4 Standesidentität............................................................................ 269
Inhaltsverzeichnis
XI
9.2 „Clash“ der Kulturen. Überlegungen zum Zusammenhang von Frömmigkeitspraxis und Konversionsverweigerung am Beispiel der Frauenklöster St. Nikolaus und St. Margaretha........................................ 271 9.3 Perspektiven und Restriktionen. Lebenswege von Mönchen und Nonnen nach dem Klosteraustritt ...................................................... 286 9.4 Freunde und Feinde: Konventsgemeinschaften als Bezugsgruppen ........ 300 9.5 Zusammenfassung .................................................................................... 309 9.6 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen............................................. 309
Kapitel 10 Strategisches Handeln von Mönchen und Nonnen in Straßburg ...311 10.1 Opposition .............................................................................................. 311 10.1.1 Konfessionelle Opposition. Praxis des katholischen Kultus und Widerstand gegen die Predigt............................................. 311 10.1.2 Politische Opposition. Widerstand durch die Verweigerung von Ratsbefehlen und die Übertretung von Verordnungen ....... 320 10.1.3 Verbündete. Das Verhältnis der Klöster zu Bischof, Kaiser und untereinander ...................................................................... 331 10.2 Kooperation ............................................................................................ 339 10.2.1 „Temporisieren“. Gemeinsame Interessen, gemeinsame Strategien. Rat und Johanniter................................................... 339 10.2.2 Die Kartäuser zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Kooperation ........................................................ 341 10.3 Zusammenfassung .................................................................................. 345 10.4 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen........................................... 346
Kapitel 11 Schlussbetrachtung.........................................................................347
XII
Inhaltsverzeichnis
Anhang 1. Quellen- und Literaturverzeichnis..............................................361 1.1 Archivalisches Material ..................................................................... 361 1.2 Gedruckte Quellen ............................................................................. 362 1.3 Literaturverzeichnis ........................................................................... 364
2. Bericht einer Nonne über die Schließung des Klosters St. Nikolaus in Straßburg ...........................................................402 3. Prosopographie der Straßburger Nonnen, Mönche, Konversen und Klosterschüler des 16. Jahrhunderts .................413 Personen- und Sachregister ............................................................433
Abkürzungen ADBR AH AMS AST BDS BMS MGH Ms. RG WA WA TR UB
Archives départementales du Bas-Rhin Archives des hospices civiles Archives municipales de Strasbourg Archives du Chapitre des Saint-Thomas Bucer: Deutsche Schriften Bibliothèque municipale de Strasbourg Monumenta Germaniae Historica Manuskript Repertorium Germanicum Luther: Werke. Kritische Gesamtausgabe Luther: Werke. Kritische Gesamtausgabe, Tischreden Urkundenbuch
Kapitel 1
Einleitung 1.1 Hinführung und Fragestellung 1.1 Hinführung und Fragestellung
Im Jahr 1524 wandten sich fünf Brüder des Straßburger Dominikanerklosters an den Magistrat. Sie beschwerten sich über die zahlreichen und schlecht bezahlten Messverpflichtungen, die sie zu absolvieren hätten und über ihren Lesemeister, der ihnen in der Bevölkerung einen schlechten Ruf eingebracht habe, den der Prior aber dennoch protegiere. Dieser Prior, Nikolaus von Bläsheim, erlaube ihnen außerdem nicht, wie es die verehrte Obrigkeit verlange, das Bürgerrecht anzunehmen. Des Weiteren sei die wirtschaftliche Lage im Kloster sehr schlecht, man habe kaum genug, um die Kranken zu versorgen. Die Brüder hatten also den Entschluss gefasst, das Kloster zu verlassen, „dero und anderen ursachen halber und deß wier sehen, wie worlicher unser leben und wesen got abstillich, der welt ergerlich, unserer selen nochthielich ist und wier aber alle jung darin kumen, ettlich auß beschweng der eltern, etlich aus liebkosen und schmeichelei dahin verwerret, alß wier in einer hohen gottsdienst uber ander lutt lebten und die zytt unser leben verschlissen, daß wier zu wytter lere, handtwercken, arbeiten und allen gewerben versumet, unnytz und undethlich werden sin.“1
Gerade ein Jahr war es zu diesem Zeitpunkt her, dass Matthias Zell, der einer der populärsten Straßburger Prädikanten werden sollte, als erster die neue Lehre im Münster gepredigt hatte. Doch die reformatorische Bewegung war in der Stadt bereits deutlich zu spüren. Als das Domkapitel Zell des Münsters hatte verweisen wollen, kam es zu einem Aufruhr. Einige Handwerker zimmerten ihm eine Kanzel und er predigte fortan vor dem Münster. Luthers Schriften kursierten schon seit einigen Jahren und 1523 hatten sich Kaspar Hedio, Wolfgang Capito und Martin Bucer in Straßburg niedergelassen und rasch eine große Anhängerschaft gefunden. Der Rat war zwar noch vorsichtig, hatte aber schon mehrfach zu Gunsten der Anhänger der neuen Lehre entschieden. Nun richtete sich die Bevölkerung gegen die Klöster der Stadt. Der Augustinerprovinzial Konrad Treger war von protestantischen Eiferern gefangen gesetzt und dem Rat vorgeführt worden und auch im Kloster der zitierten Dominikaner war es zu Aus1
AMS, II, 61/7, Nr. 1.
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1. Einleitung
schreitungen gekommen. Die Argumente der Reformatoren gegen das Klosterleben waren den Predigerbrüdern offensichtlich schon gut vertraut. Anna Wurm von Geudertheim kam in diesen ereignisreichen Jahren 1523/1524 mit der protestantischen Lehre in Straßburg in Berührung. Ihr Bruder, Matthias Wurm, war ein Anhänger der neuen Lehre. Er drängte die junge Frau 1523, ihren Konvent, das Dominikanerinnenkloster St. Nikolaus, zu verlassen.2 Matthias wandte sich ebenfalls an den Rat mit der Bitte um Unterstützung in seinem Anliegen, dieser schrieb an Anna und erkundigte sich, ob sie freiwillig im Kloster sei oder den Wunsch habe auszutreten. Anna Wurm antwortete dem Rat mit einem Brief. Wäre sie nicht gern und freiwillig im Kloster, so schrieb die Nonne, dann wäre sie wohl nicht mehr darinnen. Weiter heißt es: „Ich bin in einem guten, fromen, seligen, ersamen, erberen, fridsamen, geistlichen wesen, darin ich zu sel und lib wol versorgt bin. […] Ich hab mich Gott ergeben mit wol bedachtem willen und verheissen, in ewiger küscheit im hie zu dienen, das will ich im auch mit siner hilf halten bis in min end. […] Ich weiß auch wol, das mich weder bobst, keiser, kunig oder bischof noch kein mensch uf erden über minen willen zwingen wurt oder zu zwingen hett ab zu ston von dem, das ich Gott verheissen hab.“3
Diese beiden Ausschnitte aus der reichen Straßburger Überlieferung verweisen bereits auf zwei zentrale Themen dieser Arbeit. Zum einen zeigen sie die gegensätzlichen Auffassungen vom Klosterleben, die in Straßburg in der Zeit des religiösen Umbruchs existierten, wenn auch die Auffassung der Reformatoren und Dominikaner bald dominieren sollte. Zum anderen werfen beide Quellenaussagen ein Schlaglicht auf die unterschiedlichen Reaktionen, mit denen Mönche und Nonnen in Straßburg und an vielen Orten im Reich im 16. Jahrhundert dem konfessionellen Wandel begegneten. Während einige Religiosen sich freiwillig für den Austritt entschieden und manche Gemeinschaften fast geschlossen bereit waren, ihre Güter den Obrigkeiten zu übergeben und sich mit Pensionen abfinden zu lassen, leisteten andere Konventualen und Klostergemeinschaften erbitterten Widerstand gegen die reformatorische Politik. Was jedoch bedingte die unterschiedlichen Reaktionen der Mönche und Nonnen auf die neuen gesellschaftlichen, religiösen und politischen Leitmotive und Anforderungen der Reformationszeit? Welche Faktoren beeinflussten die „Überlebenschancen“ eines Klosters in einer protestantischen Umwelt? Wie weit machte der Rat von seinen Machtmitteln Gebrauch, um die Klöster zu schließen, und wenn er sie nicht ausschöpfte, warum tat er 2
Matthias und Wolfgang Wurm hatten zunächst einen Rechtsstreit mit dem Kloster ausgetragen, der sukzessive auch zu einer konfessionellen Auseinandersetzung geriet, vgl. dazu Leonard: Nails in the Wall, S. 61ff. und ausführlich S. 166f. 3 AMS, II, 7/21, fol. 21.
1.1 Hinführung und Fragestellung
3
das nicht? Welche Rolle spielten religiöse, gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren für das Überleben von Klöstern? Mit welchen Strategien wehrten sich die Gemeinschaften gegen die Schließung und welche Perspektiven gab es für Mönche und Nonnen überhaupt außerhalb des Klosters? Wie weit ging die von Anna Wurm wohl eher trotzig postulierte Handlungs- und Entscheidungsfreiheit von Nonnen und Mönchen? Welche Unterschiede gab es zwischen Männer- und Frauengemeinschaften? Waren die zitierten Reaktionen der Nonne Anna und der dominikanischen Mönche womöglich geschlechtertypisch? Diesen Fragen wird in der vorliegenden Arbeit nachgegangen. Es gilt, den bislang in der Forschung vorherrschenden Darstellungen einige Differenzierungen hinzuzufügen. Bereits die beiden genannten Zitate zeigen, dass völlig unterschiedliche Reaktionen auf die reformatorische Bewegung koexistierten. Die Sichtweisen der älteren Forschung, die, je nach konfessioneller Ausrichtung entweder den „treuen“ Widerstand der Klöster betonte oder aber die „Befreiung“ der Mönche und Nonnen feierte, werden also zusammengeführt werden müssen.4 Auch die von der Landesgeschichte betonte Macht der Fürsten und Magistraten muss differenzierter betrachtet werden. Häufig standen politische, rechtliche und praktische Schwierigkeiten einer reibungslosen Implementierung der landesherrlichen oder städtischen Religionspolitik entgegen, so dass es sich lohnt, auch nach den Handlungsspielräumen der Konventualen zu fragen.5 Angestrebt wird also unter besonderer Berücksichtigung geschlechtergeschichtlicher Fragen die Auslotung und Neubewertung der Motive und Handlungsspielräume von Religiosen in einer protestantischen Umwelt. Räumlich liegt der Fokus der Untersuchung auf den Klöstern und der Klosterpolitik in Straßburg. Es wird aber eine systematische Bearbeitung der oben genannten Fragen angestrebt, mit dem Ziel, Antworten zu erarbeiten, die auch über die Grenzen der elsässischen Reichsstadt hinausweisen. Anhand von ergänzendem Quellenmaterial und Untersuchungen zu weiteren Reichsstädten und Regionen wird herausgearbeitet, ob Straßburg einen Sonderfall darstellt oder ob es ähnliche, vergleichbare Fälle gibt. Darüber hinaus soll in diesem räumlich begrenzten Untersuchungsfeld ein thematisch umfassender Ansatz verfolgt werden, der sowohl politik- als auch sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte aufgreift. Diese Vorgehensweise scheint sinnvoll, da die Situation der Klöster in der Reformationszeit zwar nicht unerforscht ist, der Forschungsgegenstand aber doch bislang kaum umfassend und systematisch behandelt wurde.
4 5
Vgl. für einen ausführlichen Forschungsüberblick den folgenden Abschnitt. Vgl. für einen ausführlichen Forschungsüberblick den folgenden Abschnitt.
4
1. Einleitung
1.2 Forschungsstand 1.2 Forschungsstand
Gerade in der älteren, konfessionell geprägten Forschung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ist ein systematischer Ansatz angesichts der Thematik kaum zu erwarten. Während protestantische Historiker „das Klosterleben vor allem als negatives Phänomen“ sahen, „das durch Luthers Tat beseitigt wurde“, bewerteten katholische Ordenshistoriker lediglich „den Aspekt persönlicher Treue oder Untreue der einzelnen Mönche, Klostervorsteher oder Landesherren zur alten Kirche“, so schon das Urteil von Ziegler. 6 „Fest und treu“ hätten die Nonnen zu ihrem Glauben gestanden, betonte etwa der Augsburger Domkapitular Leonhard Hörmann in seiner 1882 erschienenen Studie zum Augsburger Katharinenkloster.7 Der Historiker Emil Reicke dagegen griff in seiner Nürnberger Stadtgeschichte (1806) in der Behandlung der Klosterschließungen alte, auch von den Protestanten gern verwendete antiklerikale Topoi auf und schrieb über die vom Rat zunächst der Stadt verwiesenen Mönche als „saubere Gesellen“, die „ihren rohen Trieben mit unverhüllter Wildheit die Zügel schießen“ ließen.8 Marie-Théodore de Bussière wiederum stilisierte 1860 die letzte Priorin des Straßburger Klosters St. Nikolaus in Übernahme der konfessionellen Polemik einer zeitgenössischen Chronik regelrecht zu einer Heiligen des Widerstands gegen den Protestantismus.9 Aus katholischer Perspektive erschienen die protestantischen Räte und Landesherren häufig auch als
6
Vgl. Ziegler: Reformation und Klosterauflösungen, S. 586; Steinke: Paradiesgarten, S. 13. 7 Hörmann: Erinnerungen, S. 371. 8 Reicke: Reichsstadt Nürnberg, S. 800. Reicke zeigt aber gleichzeitig große Sympathie für Caritas Pirckheimer und den Widerstand ihres Konvents. Er sieht die Nonnen als unschuldige Opfer einer notwendigen Revolution, Reicke: Reichsstadt Nürnberg, S. 821. 9 Vgl. Bussière: Histoire des religieuses, S. 136ff. Vgl. für weitere, ältere und stark konfessionell geprägte Studien zu Klöstern in der Reformationszeit Falk: Die Drangsale norddeutscher Frauenklöster in der Reformationszeit (1894); Adam: Evangelische Kirchengeschichte, besonders S. 90ff.; Wilms: Dominikanerinnen (1920) und Baum: Magistrat und Reformation (1887). Kawerau: Die Reformation und die Ehe (1892) betont vor allem die befreiende Wirkung, die die Verehelichung ehemaliger Nonnen für Frauen insgesamt hatte. Ein Nachklang dieser Interpretation der reformatorischen Wirkung auf die Frauenklöster findet sich sogar noch bei Ozment: When fathers ruled (1983). Der Titel der Arbeit von Vierling zu den Straßburger Klöstern: Das Ringen um die letzten dem Katholizismus treuen Klöster Straßburgs (1914) deutet zwar auf eine starke konfessionelle Färbung hin, dank der völlig positivistischen Herangehensweise bleibt diese Studie aber bis heute ein wertvoller Überblick. Auch in der Nachkriegszeit erschienene Studien zeigen noch vereinzelt starke konfessionelle Tendenzen, wie etwa Schraders Studie zu den Magdeburger und Halberstädter Klöstern, vgl. Schrader: Ringen, Untergang und Überleben (1977).
1.2 Forschungsstand
5
gottlose Gauner, die in erster Linie am wertvollen Kirchengut interessiert waren.10 Aus jüngerer, postkonfessioneller Zeit existiert eine ganze Reihe von kürzeren Studien, die zumeist in Form von Aufsätzen in landesgeschichtlichen Zeitschriften erschienen sind. Diese sind zwar in der Regel frei von scharfer konfessioneller Polemik, konzentrieren sich aber zumeist nur auf Teilaspekte des Themas. Sie lassen sich in zwei Kategorien unterteilen. Ein Teil der Untersuchungen geht von der Politik der Landesherren und Magistrate aus und behandelt die Klosterschließungen im Kontext religionspolitischer Fragestellungen. Diese Studien haben die Bedeutung des Klosterguts und der zu Predigern gewordenen Mönche für den Erfolg und die Konsolidierung der reformatorischen Bewegung in Territorien und Reichsstädten herausgearbeitet sowie die Ziele und Nuancen der jeweiligen landesherrlichen Politik gegenüber den Klöstern verdeutlicht.11 In eine ähnliche Richtung zielen rechtshistorische Studien, die die problematische Säkularisierung des Klosterguts diskutieren.12
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Vgl. für das Motiv der hauptsächlich am finanziellen Ertrag der Klöster interessierten Obrigkeiten Bussière: Histoire des religieuses, S. 124; Vierling: Ringen, S. 232; Reicke: Geschichte der Reichsstadt, S. 814. 11 Einen guten Überblick über regionale Besonderheiten und die unterschiedlichen politischen Verhältnisse, denen einzelne Klosterlandschaften ausgesetzt waren, bieten zunächst die entsprechenden Abschnitte in den regionalen Klosterbüchern, vgl. beispielsweise Hansschmidt: Stifte und Klöster in der Zeit der Reformation, in: Westfälisches Klosterbuch, Bd. 3; Barth: Dominikaner, in: Handbuch der Bayerischen Kirchengeschichte, Bd. 2 und Maier: Orden und Klöster, in: Württembergisches Klosterbuch. Drei ältere, aber immer noch grundlegende Aufsätze zur Politik der Fürsten in einzelnen Territorien, die 1973 in einer themenbezogenen Ausgabe der Blätter für Deutsche Landesgeschichte erschienen sind, bieten ebenfalls wichtige Ansatzpunkte zur Erschließung der Thematik, vgl. Schreiner: Altwürttembergische Klöster; Schaab: Pfälzer Klöster vor und nach der Reformation und Grube: Altwürttembergische Klöster. Vgl. für die Pfalz außerdem Karst: Pfälzische Klöster (1963), für Hessen Franz: Hessische Klöster (1969) und für Brandenburg Ziegler: Klosteraufhebung in der Mark Brandenburg (1990/1991). In jüngerer Zeit hat sich Bünz für Sachsen der Thematik gewidmet, vgl. Bünz: Das Ende der Klöster in Sachsen. Schulze: Geistliche Reformpolitik, zeichnet das Interesse der Landesfürsten an den Klöstern auch in vorreformatorischer Zeit nach. Ähnlich fällt auch die Untersuchung bei Stievermann: Landesherrschaft und Klosterwesen aus. Johannes Schilling hat die Bedeutung ausgetretener Mönche für den Erfolg der Reformation in Hessen untersucht, vgl. u.a. Schilling: Bedeutung von Klöstern. Schindling wiederum untersuchte die ökonomische Bedeutung des Klosterguts für den Erfolg der Reformation in Straßburg, Nürnberg und Frankfurt, vgl. Schindling: Reformation in den Reichsstädten. 12 Vgl. dazu vor allem den von Irene Crusius 1996 herausgegebenen Sammelband und darin besonders Klueting: Enteignung oder Umwidmung, der die Anwendbarkeit des Begriffs der „Säkularisierung“ auf die Umwandlung von Kirchengut im 16. Jahrhundert diskutiert.
6
1. Einleitung
Eine vielleicht noch größere Anzahl von Autoren behandelt dagegen die Reformationszeit im Zuge klassischer Klostergeschichten oder aus der Perspektive einzelner Gemeinschaften, wiederum in landesgeschichtlichen Periodika. Diese Studien sind von ganz unterschiedlicher Qualität. Während einige Studien spannende Fallbeispiele liefern, konzentrieren sich gerade klassische Klostergeschichten häufig auf das Schicksal einzelner Personen und Konvente, wobei, etwas überspitzt formuliert, das reformatorische und politische Geschehen auf ein Hintergrundrauschen reduziert wird. Ein Teil dieser Studien tendiert auch dazu, Einzelpersonen, wie etwa die bekannte Nürnberger Äbtissin Caritas Pirckheimer, zu heroisieren.13 Die Bewertung des Widerstandes, der von den Klöstern ausging, variiert je nach Perspektive der Studien stark. Die klassisch landeshistorisch orientierten Studien tendieren dazu, die nur durch reichsrechtliche und politische Faktoren begrenzte Allmacht der Fürsten zu betonen und die Perspektive der Klostergemeinschaften weitgehend auszublenden. Kultur- und so13
Zahlreiche jüngere und ältere klassische Klostergeschichten widmen der Reformationszeit ein Kapitel, vgl. beispielsweise Erdin: Kloster der Reuerinnen; Bauer: Frankfurter Katharinen- und Weißfrauenstift; Baumann: Franziskanerinnen-Kloster St. Maria Stern und Herzog: Obermedlingen. Herzog, selbst Pfarrer in Obermedlingen, kann als Beispiel für die noch stark konfessionell geprägte, heroisierende Forschung gelten. Ein ausgewogenes Bild der Verhältnisse, die zur Schließung des Klosters Rechentshofen führten, zeichnet Rückert: Rechentshofen. Einen guten Überblick über die Vorgänge im Kloster Neuenwalde, der sowohl die Perspektive der Nonnen, als auch das politische Spannungsfeld berücksichtigt, gibt Graf: Kloster Neuenwalde. Enders: Schicksale Heiligengraber Klosterfrauen untersucht die Lebens- und Liebeswege einiger Heiligengraber Nonnen im 16. Jahrhundert. Den Versuch, einen Einzelfall mit strukturell wirksamen Faktoren zusammenzubringen macht auch Andraschek-Holzer: Frauenklosterschicksal, allerdings gelingt hier keine schlüssige Darstellung. Besonderes Interesse haben, wie bereits erwähnt, die Nürnberger Äbtissin Caritas Pirckheimer und ihr Konvent gefunden. Pirckheimer stammte aus einer humanistisch orientierten Patrizierfamilie und hat ein Selbstzeugnis über die Vorgänge in ihrem Kloster während der Reformationszeit hinterlassen, vgl. Pirckheimer: Denkwürdigkeiten. Vgl. zu den Denkwürdigkeiten Woodford: Nuns as Historians. Für Studien zur Äbtissin selbst vgl. Deichstetter (Hrsg.): Caritas Pirckheimer und darin besonders heroisierend Pfanner: Caritas Pirckheimer. Siehe auch Schlemmer (Hrsg.): Caritas Pirckheimer und Krabbel: Caritas Pirckheimer. Am Beispiel dieses Konventes wurden auch verschiedene Fragestellungen zum inneren Leben der Frauenklöster bearbeitet, vgl. unter anderem Knackmuß: Geschwisterbeziehungen und Strasser: Brides of Christ. Ein Sonderfall des reformatorischen Einflusses auf Frauenklöster war die Umwandlung katholischer Klöster und Stifte in evangelische Damenstifte. Auch diese Thematik ist zwar schon in Fallstudien untersucht worden, harrt aber noch einer systematischen monographischen Behandlung. Vgl. für jüngere Fallstudien Kugler: Vom katholischen Frauenkloster zum evangelischen Damenstift; Fasbender: Frauenstift Wetter und den Überblick von Boetticher: Chorfrauen und evangelische Damenstifte. An einer Dissertation zu den elsässischen Damenstiften im späten Mittelalter und in der Reformationszeit arbeitet Sabine Klapp (Universität Trier). Vgl. für einen Überblick über geschlechtergeschichtliche Studien das folgende Kapitel.
1.2 Forschungsstand
7
zialgeschichtliche Faktoren bleiben zumeist unberücksichtigt. Auch die freiwillige Aufgabe von Klöstern wird hier betont.14 Andere Autoren, die stärker in der katholischen Ordensforschung verwurzelt sind, heben, wenn auch nicht mit der Aggressivität der älteren konfessionellen Forschung, den Widerstand der Mönche und Nonnen gegen die reformatorische Bewegung hervor. Springer etwa betont, dass in der Provinz Saxonia kein einziges Dominikanerkloster von den Mönchen freiwillig aufgegeben worden sei.15 An systematischen und vergleichenden Studien, die beide Dimensionen, sowohl die politisch-rechtliche als auch die institutionell-individuelle in den Blick nehmen, fehlt es jedoch. Trotz der großen Bedeutung, die dem Kirchengut häufig für Verlauf und Erfolg der Reformation zugeschrieben wird,16 und obwohl die Reformatoren mit dem Mönchtum erstmals eine Institution existenziell in Frage stellten, die im gesamten Mittelalter eine enorme kulturgeschichtliche, politische und soziale Bedeutung gehabt hatte, sind den Klosterauflösungen des 16. Jahrhunderts bislang kaum Monographien gewidmet worden. Ein zentrales Thema der Reformationsgeschichte, so stellte schon Ziegler 1989 fest, ist der radikale Wandel des Ordenswesens im 16. Jahrhundert bislang nicht geworden.17 Ziegler selbst untersuchte, wenn auch auf die männlichen Ordenszweige beschränkt, in seinem Aufsatz von 1989 als erster systematisch verschiedene Faktoren, die für Überleben oder Schließung von Klöstern in der Reformationszeit verantwortlich sein könnten. Eine breitere Forschung, für die die vielfältigen Ideen, die Ziegler in seinem Aufsatz präsentiert, ein Impuls hätten sein können, folgte aber auf diese Publikation nicht. Der Aufsatz war in einem Band von Kaspar Elm erschienen und schien damit eher eine Art Epilog zur mittelalterlichen Ordensforschung zu bilden. Auch die Ordensforschung hat sich dem Thema bislang nicht monographisch gewidmet. 2002 konnte Gisela Muschiol vor allem für die Frauenklöster immer noch hohen Forschungsbedarf feststellen, etwa was den Stellenwert der überlebenden Frauenklöster in der Reformationszeit, das 14
Besonders betont wird die Macht der Fürsten bei Henze: Orden und ihre Klöster. Blaschke: Fiskus wiederum betont die freiwillige Aufgabe der Klöster. 15 Vgl. Springer: Dominikaner, S. 374. Vgl. für eine ähnliche Tendenz auch die Habilitationsschrift des katholischen Kirchenhistorikers Wolfgang Seibrich: Gegenreformation als Restauration, S. 470ff. 16 Vgl. Schilling: Klöster und Mönche in der hessischen Reformation; Schindling: Reichsstadt und Reformation. 17 Vgl. Ziegler: Reformation und Klosterauflösungen, S. 586. Schindling: Franziskaner und Klarissen, S. 98 bezeichnete 1987 die Situation altgläubiger Gemeinschaften in protestantischen Städten als „blinden Fleck“.
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1. Einleitung
Verhältnis weiblicher und männlicher Ordenszweige untereinander oder die Ursachen für den Widerstand der Klöster betrifft.18 Erst in den letzten Jahren sind einige Studien erschienen, die interessante Schlaglichter auf das Problem der Klosterschließungen in der Frühen Neuzeit werfen. Sie sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. Deutlich erleichtert wird die Arbeit am Thema neuerdings durch drei Bände, die von 2005 bis 2007, herausgegeben von Friedhelm Jürgensmeier und Elisabeth Schwerdtfeger, in der Reihe Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung erschienen sind.19 Die drei Bände enthalten insgesamt 31 Aufsätze zu den alten und neuen Orden des 16. und 17. Jahrhunderts, die einen Überblick über die Geschichte der jeweiligen Gemeinschaft sowie deren Verbreitung geben. Jeder Aufsatz bietet in einer Karte eine Übersicht über die geographische Verteilung der bestehenden, neu gegründeten oder geschlossenen Ordensniederlassungen. Damit ist in offensichtlich mühsamer Kleinarbeit ein Nachschlagewerk entstanden, auf das zukünftige Studien aufbauen können. Darüber hinaus sind in den letzten Jahren drei monographische Untersuchungen publiziert worden. Einen interessanten und neuen Ansatz verfolgt Barbara Steinke in ihrer im Jahr 2006 erschienenen, bei Berndt Hamm entstandenen Dissertation zum Nürnberger Katharinenkloster. Im Zentrum der Arbeit steht die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der Reform des Klosters und dem späteren Widerstand gegen die Reformation. Steinke fragt also vor allem nach möglichen theologischen und spirituellen Gründen für den Widerstand der Nonnen und untersucht erst in zweiter Linie die „sozialen Folgen des theologischen Umbruchs“.20 Ihre Quellen sind dementsprechend vor allem die Erbauungsbücher in der exzeptionellen Bibliotheksüberlieferung des Katharinenklosters.21 Auch Antje Rüttgardt, deren bei Johannes Schilling in Kiel entstandene Dissertation im Jahr 2007 erschienen ist, grenzt sich deutlich von den meisten der oben beschriebenen landesgeschichtlichen Studien ab, indem sie einen stark personell-individualistischen Blick auf das Phänomen der Klosteraustritte wirft. Im Zentrum ihrer Arbeit, die sich auf den Quellentyp der apologetischen Flugschrift stützt, stehen Lebenswege von Mönchen
18
Vgl. Muschiol: Frauenklöster in der Reformationszeit, S. 99ff.; vgl. ebenso in Bezug auf die Benediktinerinnen Ostrowitzki: Benediktinerinnen, S. 52. 19 Im Folgenden zitiert als „Orden und Klöster“ oder unter den Autoren des jeweiligen Aufsatzes. 20 Vgl. Steinke: Paradiesgarten, hier S. 3. Steinke gleicht ihre Ergebnisse zum Katharinenkloster mit der Situation in zwei weiteren Dominikanerinnenklöstern, der Gemeinschaft Zum Heiligen Grab in Bamberg und den Dominikanerinnen von Engelthal ab. 21 Vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 4ff.
1.2 Forschungsstand
9
und Nonnen, die ihre Klöster verlassen haben.22 Damit will Rüttgardt erstens einen „Beitrag zur Wirkungsgeschichte der reformatorischen Kritik am Mönchtum“ leisten und zweitens die „individuellen und strukturellzeitgeschichtlichen Voraussetzungen einzelner Fälle von Klosterflucht“ beleuchten.23 Beide Dissertationen haben interessante Anknüpfungspunkte und wertvolle Ergebnisse für die vorliegende Untersuchung geliefert. Die dritte Monographie zum Thema, eine Dissertation von Amy Leonard, wird unten in anderem Zusammenhang noch ausführlich behandelt. Die vorliegende Arbeit verfolgt in verschiedener Hinsicht allerdings einen anderen Ansatz. Zum einen wird versucht, thematisch breiter zu arbeiten, wenn auch der Fokus auf sozialgeschichtlichen Fragestellungen liegt. Zum anderen basiert diese Untersuchung nicht auf einem bestimmten Quellentypus, sondern berücksichtigt die gesamte Breite der Straßburger Überlieferung. Am wichtigsten aber ist, dass mit den beiden zitierten Monographien, wie auch mit den zahlreich vorliegenden Einzelfallstudien, weiterhin die Untersuchung struktureller und individueller Faktoren unverbunden nebeneinander steht. Die Arbeiten von Antje Rüttgardt und Barbara Steinke ergänzen zwar wichtige Aspekte auf der Mikroebene, indem sie einzelne Biographien und religiöse Motive untersuchen, klammern aber das politisch-konfessionelle Umfeld und strukturelle Faktoren wirtschaftlicher oder sozialgeschichtlicher Art aus. Das Desiderat einer systematischen Untersuchung, die beide Ebenen, die Mikro- und die Makroebene berücksichtigt, bleibt also bestehen. In dieser Arbeit wird daher ein struktur-individualistischer Ansatz zu Grunde gelegt, das heißt, sowohl politisch-gesellschaftliche als auch personale Erklärungsfaktoren sollen berücksichtigt werden. Nähere Erläuterungen zu diesem Ansatz finden sich in Kapitel 2.2. Es überrascht, dass bisher so wenige Studien zu den Klöstern in der Reformationszeit im Kontext der Frühneuzeitforschung entstanden sind, da zu zahlreichen aktuell verstärkt untersuchten Themen Material und Anknüpfungspunkte gefunden werden könnten. Das Thema ließe sich verorten in der immer noch florierenden Konfessionalisierungsforschung ebenso wie in der seit den letzten Jahren zu mehr Leben erwachenden Konversionsforschung. Auch im Kontext der frühneuzeitlichen Sozialdisziplinierung und in den neuerdings verstärkt auf Interesse stoßenden Forschungen zu Formen religiös und konfessionell motivierter Gewalt ließe sich das Thema 22
Vgl. Rüttgardt: Klosteraustritte. Rüttgardt knüpft damit an die Arbeiten ihres Doktorvaters zu den Lebenswegen hessischer Mönche in der Reformation an, vgl. Schilling: Klöster und Mönche in der hessischen Reformation; ders.: Gewesene Mönche; ders.: Johannes Schwan. 23 Rüttgardt: Klosteraustritte, S. 12 und S. 16.
10
1. Einleitung
bearbeiten. Wo es notwendig und sinnvoll ist, werden diese Bezüge in den jeweiligen Kapiteln aufgegriffen. Ein ausführlicher Überblick soll daher an dieser Stelle unterbleiben und lediglich für das Forschungsfeld geleistet werden, in dem die Arbeit sich zentral verortet: Die Geschlechtergeschichte. Die Verankerung der Arbeit in diesem Forschungsfeld ergibt sich wiederum aus der zentralen Fragestellung: Warum widersetzten sich einige Klöster der Reformation, während andere Klöster freiwillig aufgaben oder von der Obrigkeit geschlossen wurden. In der Literatur wurde bereits vielfach festgestellt, dass offenbar geschlechterspezifische Faktoren eine nicht unwesentliche Rolle spielten, da an vielen Orten Frauenklöster stärkeren Widerstand leisteten als Männerklöster.24 Ob tatsächlich auch weniger Frauenklöster geschlossen wurden, lässt sich nur schwer sagen. Die nun mit dem von Jürgensmeier und Schwerdtfeger herausgegebenen Überblick vorliegenden Zahlen weisen in die entgegengesetzte Richtung. So verloren Benediktiner und Prämonstratenser bis zur Jahrhundertmitte etwa gleich viele Häuser im männlichen wie im weiblichen Zweig, die Zisterzienserinnen reduzierten sich sogar bis 1555 deutlich stärker als ihre Ordensbrüder. Der Klarissenorden schrumpfte zwar deutlich schwächer als die Minoriten, allerdings deutlich stärker als die Franziskanerobservanten. Für die Dominikanerinnen liegen keine Zahlen vor.25 Dass Frauenklöster aber länger Widerstand leisteten und an manchen Orten auch in größerer Zahl überlebten als Männerklöster, zeigt auch das Straßburger Beispiel. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts überlebten dort drei von sieben Nonnenklöstern und drei von acht Mönchsgemeinschaften, darunter zwei Ritterhäuser.26 Eine der bislang angegebenen Begründungen für dieses Phänomen ist die „geistliche und wirtschaftliche Intaktheit“ vieler Frauenklöster infolge
24
Vgl. z.B. für die lüneburgischen Klöster Mager: Reformatorische Klosterpolitik, S. 569 und dies.: Gewissen gegen Gewissen, S. 157; für Halberstadt: Brück: Reformationsgeschichte des Bistums Halberstadt und Schrader: Ringen, Untergang und Überleben; für Magdeburg Ziegler: Klosteraufhebung, S. 77. Dieses Phänomen konstatiert für Augsburg ebenso wie allgemein auch Steinke: Paradiesgarten, S. 3; Leonard: Nails in the Wall, S. 5, S. 87; Rüttgardt: Diskussion, S. 77 und Deetjen: Kampf um die Klosterreformation, S. 45ff. Vgl. für diese Beobachtung unter besonderer Berücksichtigung der Klarissen Schindling: Franziskaner und Klarissen, S. 107f. 25 Vgl. für die Anzahl der geschlossenen und überlebenden Häuser im einzelnen Ostrowitzki: Benediktinerinnen, S. 47; Meier: Prämonstratenser und Prämonstratenserinnen, S. 11; Roth: Zisterzienser, S. 73; Eder: Zisterzienserinnen, S. 99; Frank: Klarissen, S. 125; Plath: Franziskaner-Konventualen, S. 137 und Ziegler: Franziskaner-Observanten, S. 163. 26 Ausgenommen in dieser Zählung sind das Regularkanonikerstift St. Arbogast, vgl. dazu ausführlich unten.
1.2 Forschungsstand
11
der noch stark wirkenden Reform des 15. Jahrhunderts.27 Aber auch sozioökonomische Faktoren werden angeführt, etwa die Tatsache, dass die „Versorgung“ der ehemaligen Nonnen gewährleistet werden musste und dass die Nonnen nach dem Klosteraustritt über deutlich beschränktere Handlungsspielräume als Mönche verfügten.28 Anton Schindling schlug 1987 vor zu untersuchen, „inwieweit religiöser Traditionalismus [...], soziale Faktoren im Zusammenhang mit dem allgemeinen Frauenbild der Zeit, eine lebendige Frauenspiritualität und -mystik und spezifische Defizite der reformatorischen Botschaft“ eine Rolle gespielt haben könnten. Er betonte, aufgrund mangelnder Untersuchungen könne noch kein Urteil gefällt werden.29 Das Phänomen, dass in Frauenklöstern stärkerer Widerstand geleistet wurde als in Männergemeinschaften, ist bislang tatsächlich zumeist nur in Nebensätzen erwähnt worden. Ausführlicher hat sich den Klosterschließungen aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive bislang nur Amy Leonard gewidmet. In ihrer bei Thomas Brady 1999 entstandenen, aber erst nach umfangreichen Veränderungen im Jahr 2005 im Druck erschienenen Dissertation untersucht Amy Leonard hauptsächlich die drei überlebenden Straßburger Frauenklöster St. Margaretha, St. Magdalena und St. Nikolaus im 16. Jahrhundert aus sozialund geschlechtergeschichtlicher Perspektive.30 Leonard kann in ihrer Arbeit wichtige Gründe für das Handeln der Nonnen herausarbeiten und gibt einen guten Einblick in die Strategien der drei Klöster.31 Allerdings bleibt die Politik des Straßburger Stadtrates weitgehend unberücksichtigt. Eine systematische Auslotung der Grenzen der Handlungsspielräume der Nonnen unterbleibt ebenso. Außerdem behandelt Leonard das Kloster St. Magdalena als Dominikanerinnenkloster. Diese Frauengemeinschaft gehörte aber dem Reuerinnenorden an.32 Daraus ergab sich für die Nonnen ein be27
Vgl. Mager: Gewissen gegen Gewissen, S. 158 und Steinke: Paradiesgarten, zusammenfassend S. 310ff., die herausarbeitet, dass die Reform zwar große Bedeutung für den Widerstand hatte, aber nicht allein ausschlaggebend war. Auch Gisela Muschiol vermutet einen Zusammenhang zwischen Reform und Reformation, mahnt aber weitere Einzelfallstudien an, vgl. Muschiol: Frauenklöster im Zeitalter der Reformation, S. 98f. 28 Vgl. Leonard: Nails in the Wall. 29 Vgl. Schindling: Franziskaner und Klarissen, S. 107f., hier 107. 30 Vgl. Leonard: Nails in the Wall. 31 Verschiedene Rezensenten haben sich lobend über Leonards Arbeit geäußert. Vgl. u.a. Johannes Schilling, in: Historische Zeitschrift, 268/2008; Anne Conrad, in: Archiv für Reformationsgeschichte, 36/2007 und Nigel Palmer, in: The Catholic Historical Review, 93/2007. 32 Vgl. Leonard: Nails in the Wall, S. 9. Das Missverständnis beruht vermutlich auf der vorübergehenden Inkorporation des Klosters in den Orden. Das Straßburger Magdalenenkloster war von 1281 bis 1291 in den Dominikanerorden inkorporiert, also etwas früher und etwas länger als die Inkorporation des Gesamtordens in den Dominikanerorden andauerte (1286–1289). Im 15. Jahrhundert gab es einen zweiten, mit einer Reform
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1. Einleitung
sonderer, von den Dominikanerinnen deutlich abweichender Status, wie im Verlauf dieser Untersuchung gezeigt wird. Auf die Situation der Männerklöster und der in der Frühphase der Reformation geschlossenen Frauenklöster geht Leonard nicht ein. Dennoch kommt sie zu dem Schluss, dass „Gender“ eine entscheidende Bedeutung für das Überleben der Frauenklöster hatte,33 ein Schluss, der letztlich nur aus dem Vergleich von Mönchen und Nonnen gezogen werden kann. Aufgrund dieser Lücken scheint eine erneute Beschäftigung mit den Straßburger Klöstern in der Reformationszeit auch aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive durchaus lohnenswert. Dabei wird auch auf die Ergebnisse von Leonard für die drei genannten Klöster zurückgegriffen, die einer Überprüfung an den Quellen standhielten. Der geschlechtergeschichtliche Ansatz, der dieser Arbeit zugrunde liegt, differiert dabei in zwei Punkten von Leonards Ansatz. Zum einen soll Geschlechtergeschichte als vergleichende Geschlechtergeschichte verstanden werden, das heißt, Männer- und Frauenklöster werden gleichermaßen in den Blick genommen, was bislang keineswegs selbstverständlich war.34 Zum anderen wird Geschlechtergeschichte als immanenter Bestandteil der Allgemeinen Geschichte verstanden. Damit entspricht der verfolgte Ansatz dem, was inzwischen in der Geschlechtergeschichte weitgehend als notwendig erachtet wird, wie im folgenden Überblick kurz gezeigt werden soll. Die Geschlechtergeschichte kann heute als etabliert gelten. In einer Bestandsaufnahme der Geschlechtergeschichte am Ende des zweiten Jahrtausends stellte die Amerikanerin Lynn Hunt euphorisch fest: „Gender history
des Klosters verbundenen Inkorporationsversuch seitens der Dominikaner, der aber letztlich ebenfalls nicht von Dauer war. Vgl. für eine ausführliche Behandlung dieses Problems sowie zahlreiche Quellenbelege S. 54ff. 33 Leonard kommt zu dem Schluss, dass der Faktor „gender“ wichtiger war als der Stand, als die Nonnen sich 1525 entscheiden mussten, ob sie das Kloster verlassen oder nicht, vgl. Nails in the Wall, S. 87. Auch die Ratspolitik gegenüber den Frauenklöstern sei wesentlich am Geschlecht der Frauen ausgerichtet gewesen, vgl. Nails in the Wall, S. 149. Des Weiteren sei das Selbstverständnis der Frauen stark durch ihr Geschlecht bestimmt gewesen, vgl. Nails in the Wall, S. 150. 34 Obwohl inzwischen ein allgemeiner Konsens herrscht, Geschlechtergeschichte als vergleichende Geschlechtergeschichte zu betreiben, ist dies längst noch keine Selbstverständlichkeit. Die meisten Publikationen in diesem Feld beschäftigen sich, ebenso wie die Arbeit von Amy Leonard, entweder mit Männern oder mit Frauen. Die Arbeitskreise Männer- und Geschlechterforschung (AIM) und Historische Frauen- und Geschlechterforschung tagten erst 2004 zum ersten Mal gemeinsam, vgl. dazu den Tagungsbericht von Susanne Hoffmann: Geschlechterkonkurrenzen.
1.2 Forschungsstand
13
is here to stay.“35 Tatsächlich ist inzwischen auch in Deutschland die Geschlechtergeschichte thematisch anerkannt und institutionell gefestigt.36 Zahlreiche Arbeitskreise37, Lehrstühle38 und Tagungen39 mit geschlechtergeschichtlichem Schwerpunkt zeugen davon.40 Mit der institutionellen und thematischen Anerkennung hat die Geschlechtergeschichte in Deutschland auch Paradigmen überwunden, die lange Zeit prägend für die Erforschung von Geschlecht in der Historie waren. Zum einen war die Geschlechtergeschichte zunächst in erster Linie Frauengeschichte. Ziel der frühen Beschäftigung mit dem Geschlecht in der Geschichte war es, in Abgrenzung zu etablierten Forschungstraditionen, Frauen in der Geschichte aufzuspüren und sichtbar zu machen. Diese Art der Geschlechtergeschichte, die „her-story“, wird inzwischen, beinahe abfällig, als „history of lacks“ und als „kompensatorisch und kontributo35
Hunt: The Challenge of Gender, S. 59. Wie rasant der „Aufstieg“ der Geschlechtergeschichte sich vollzogen hat, belegt der Blick in Forschungsüberblicke von vor etwa zehn Jahren. Noch Gabriela Signori (1997) und Martina Kessel (2000) äußerten sich pessimistisch über den Stand der Geschlechtergeschichte in Deutschland, besonders im Vergleich zu den USA, vgl. Signori: Frauengeschichte/Geschlechtergeschichte/Sozialgeschichte, S. 53; Kessel: Geschichtswissenschaft, S. 124. 36 So etwa das Fazit von Bea Lundt im Jahr 2006, vgl. Lundt: Einleitung, S. 1ff. Vgl. auch die insgesamt positive, wenn auch nur mit Einschränkungen für die Zukunft optimistische Einschätzung von Opitz: Um-Ordnungen der Geschlechter, S. 9ff., S. 49ff., S. 221ff. und S. 237ff. 37 Die Forscher sind vernetzt im Arbeitskreis Historische Frauen- und Geschlechterforschung (AKHFG), der Mitglied im internationalen Dachverband der International Federation of Research in Women’s History (IFRWH) ist, sowie im Arbeitskreis für Interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung (AIM). Der Forschungszweig verfügt über eigene Publikationsorgane, vgl. etwa die Reihe „Geschichte und Geschlecht“, herausgegeben seit 1992 von Heide Wunder, Gisela Bock und Karin Hausen sowie die Zeitschrift L’ Homme. 38 Inzwischen gibt es vier als geschlechtergeschichtlich ausgewiesene Lehrstühle in Deutschland (FU Berlin, Bielefeld, Magdeburg, Bochum) und mehrere geschlechtergeschichtliche Studiengänge und Graduiertenkollegs. 39 Selbst auf dem Historikertag, der sich bis 2004 der geschlechtergeschichtlichen Perspektive weitgehend verweigerte, fand sich im Jahr 2006 zumindest eine Sektion, die auch im Titel einen geschlechtergeschichtlichen Anspruch erkennen ließ, vgl. Gebhard: Querschnittsbericht (2006), S. 3ff. Vgl. zu den weiter zurückliegenden Historikertagen Hausen/Wunder: Einleitung, S. 14ff. und auch Kolbe: Querschnittsbericht (2004). Zum Historikertag 2008 ist bislang kein Querschnittsbericht Geschlechtergeschichte erschienen. 40 Vgl. für einen Forschungsüberblick auch die inzwischen zahlreichen Handbücher und Einführungen zu den Gender-Wissenschaften. Besonders fundiert und empfehlenswert für die Geschlechtergeschichte ist Opitz: Um-Ordnungen der Geschlechter. Vgl. des Weiteren allgemeine Einführungen: Braun/Stephan: Gender Studien; Dies: Gender@Wissen; Bußmann/Hof: Genus. Geschlechterforschung; Becker: Handbuch Frauenund Geschlechterforschung.
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1. Einleitung
risch“ beurteilt.41 Dorothee Wierling hat die Abkehr von der Frauengeschichte sogar als provokanten Appell formuliert: „Keine Frauengeschichte nach dem Jahr 2000!“42 Mit der „Frauengeschichte“ wurden auch zwei eng mit diesem Paradigma verbundene Forschungstendenzen aufgegeben, erstens die Patriarchatsforschung, die die von Männern beherrschten politischen, gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen ausschließlich als systematischen Unterdrückungsapparat interpretierte,43 zweitens die enge Bindung der Geschlechtergeschichte an die politische Emanzipationsbewegung.44 Die jahrzehntelange Dominanz der Frauengeschichte hat allerdings dazu geführt, dass die geschlechterspezifische „Männergeschichte“ bis heute hinterherhinkt. Die Männergeschichte, so ist zu lesen, sei noch „terra incognita“,45 ein „schwaches Rinnsal“.46 Auch in der vorliegenden Untersuchung machte sich das Fehlen an geschlechtergeschichtlichen Studien, die sich auch mit männlichen Geschlechterbildern in der Geschichte beschäftigen, bemerkbar. Während Frauenklöster und Nonnen bereits vielfach unter geschlechtergeschichtlichen Gesichtspunkten untersucht wurden, fehlen solche Studien für Mönche.47 Inhaltlich ging die männerzentrierte Geschlechtergeschichte ähnliche Wege wie der weibliche Zweig. Auch hier herrschte zu Anfang klar die
41
Hunt: The Challenges of Gender, S. 78; Gebhard: Querschnittsbericht (2006), S. 4. So der Titel ihres Beitrags in: Geschichtswissenschaft vor 2000. Festschrift für Georg G. Iggers. S. 440ff. 43 Extreme Ausläufer der Patriarchatsforschung mündeten in die Kreation des Mythos des Matriarchats als Ursprung der Geschichte in prähistorischer Zeit und in nicht europäischen Gesellschaften. Vgl. dazu die Schriften von Heide Göttner-Abendroth, u.a. „Die Göttin und ihr Heros“, 1980. Vgl. zur Entwicklung der Patriarchats- und Matriarchatsforschung Opitz: Um-Ordnungen der Geschlechter, S. 18ff. Dieser Zweig der Geschlechtergeschichte sollte allerdings nicht überbetont werden, da er sich letztlich als Sackgasse herausstellte und seit den siebziger Jahren kaum mehr verfolgt wird. 44 Zur „Verschwesterung“ von Frauengeschichte und Frauenbewegung vgl. Lundt: Einleitung, S. 4; Opitz: Um-Ordnungen der Geschlechter, S. 16ff.; Hunt: The Challenges of Gender, S. 78. 45 Hausen/Wunder: Einleitung, S. 12. 46 Dinges: Einleitung: Geschlechtergeschichte – mit Männern! S. 8. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommen auch Ute Frevert, Thomas Kühne und Wolfgang Schmale, vgl. Frevert: Männergeschichte, S. 31ff.; Kühne: Staatspolitik, Frauenpolitik, Männerpolitik, S. 260; Schmale: Einleitung, S. 7. Letzter sah noch 1998 die Männergeschichte als etwa ein Vierteljahrhundert im Vergleich zur Frauengeschichte im Verzug. Deutlich optimistischer äußerte sich 2005 Walter Erhart in einem Forschungsbericht, vgl. Erhart: Forschungsbericht, S. 157. 47 Vgl. für die Bedeutung der Geschlechtergeschichte für die Deutung von Klosterschließungen und das Defizit an Studien, die sich auf Männer – in diesem Fall Mönche – beziehen, ausführlich den Überblick in Kapitel 4.2. 42
1.2 Forschungsstand
15
Opferperspektive vor.48 Ins Visier der Forschung gerieten zunächst vor allem diejenigen Männer, die von anderen Männern unterdrückt worden waren, wie etwa homosexuelle Männer.49 Im gleichen Zuge stuften einige Forscher die Zuschreibung der Täterrolle, die sie von Seiten der Frauengeschichte wahrnahmen, als unproduktiv ein.50 Das Verhältnis zwischen Männer- und Frauengeschichte war also durchaus nicht immer konfliktfrei. Ein schlüssiges Programm der Männergeschichte, das auch das Verhältnis zur Frauengeschichte berücksichtigt, formulierte Ute Frevert 1991. Sie betonte die Bedeutung der vergleichenden Perspektive, forderte einen differenzierten Blick auf Männer verschiedener sozialer Gruppen, Altersgruppen, ethnischer Abstammungen und religiöser Zugehörigkeiten, forderte die Betrachtung der Veränderungen von Männlichkeit über die Zeit und bekannte sich damit zu der These, dass Männlichkeit konstruiert und damit zeit- und raumabhängig sei.51 Erhart verknappt dieses Forschungsprogramm auf vier Begriffe: „Historizität, Pluralität, Widersprüchlichkeit, Instabilität“.52 Damit ist im Prinzip auch das Programm der Geschlechtergeschichte insgesamt formuliert. Geschlechtergeschichte versteht sich heute als vergleichende Geschlechtergeschichte. Sie „eröffnet eine Perspektive auf die ‚Relationalität‘ der (mindestens) zwei Geschlechter, ihrer Zuschreibungen, Konstruktionen und Handlungsspielräume in der Vergangenheit und in den retrospektiven Bildern“.53 Die Geschlechtergeschichte setzt dabei auf die tief greifende Erklärungskraft der Kategorie „Geschlecht“ auch für die Allgemeine Geschichte. Damit verbunden wird teilweise sogar die Forderung, die Kategorie „Geschlecht“ müsse praktisch in jede umfassende historische Analyse mit einbezogen werden. Es sei das Ziel der Frauen- und Geschlechtergeschichte, so Claudia Opitz, „die einseitige Perspektivierung 48
Nachhaltig beeinflusst wurde die Männergeschichte von Klaus Theweleits zweibändigem Werk „Männerphantasien“ (1977/1978). Darin kommt Theweleit zu dem Schluss, dass die Frauen- und Gewaltfantasien der Freikorpsmänner eine extreme Form allgemeiner Ängste und Sexualfantasien seien. Diese psychoanalytische Deutung von Männlichkeit beeinflusste die Forschung deutlich und anhaltend, verstellte aber auch immer wieder den Blick auf Differenzierungen. Dennoch kann Theweleit als eine Art Simone de Beauvoir der Männergeschichte gelten. Vgl. zur Bedeutung von Theweleit auch Erhart: Forschungsbericht, S. 183. Wichtige konzeptionelle Anstöße gab auch Connell: Masculinities, der von vielen, kulturell generierten „Männlichkeiten“ ausgeht. 49 Vgl. Hunt: The Challenge of Gender, 78ff. und Frevert: Männergeschichte, S. 35f. 50 Vgl. Kühne: Männergeschichte als Geschlechtergeschichte, S. 9f. 51 Vgl. Frevert: Männergeschichte, S. 36f. 52 Vgl. Erhart: Forschungsbericht, S. 163. 53 Gebhard: Querschnittsbericht (2006), S. 4. Vgl. für ähnliche Definitionen auch den für die Wandlung der Frauengeschichte zur Geschlechtergeschichte wegweisenden Essay von Joan W. Scott: Gender: A Useful Category und Lundt: Einleitung, S. 4.
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1. Einleitung
bisheriger Geschichtsschreibung und -forschung sichtbar zu machen und durch eine umfassende, beide Geschlechter berücksichtigende Geschichtsschreibung zu ersetzen.“54 Umgekehrt heißt dies aber auch, dass die Geschlechtergeschichte die Ergebnisse der Allgemeinen Geschichte zu berücksichtigen hat.55 Die vorliegende Arbeit verfolgt also den Ansatz der vergleichenden Geschlechtergeschichte, wobei Geschlechtergeschichte als Bestandteil der Allgemeinen Geschichte verstanden wird, so dass auch allgemeine soziale, kulturelle, politische und wirtschaftliche Entwicklungen mit einbezogen werden und auf ihre Wechselwirkung mit geschlechtergeschichtlichen Phänomenen untersucht werden sollen. Neben der Verknüpfung von Allgemeiner Geschichte und Geschlechtergeschichte ist aber auch eine Verknüpfung von Mikro- und Makroebene in der Gender-Forschung bislang zu kurz gekommen. Dies hängt vor allem mit den theoretischen Prämissen der Geschlechtergeschichte zusammen. Im folgenden Abschnitt sollen diese Prämissen näher untersucht werden sowie eine alternative theoretische Herangehensweise vorgeschlagen werden, die eine Integration strukturorientierter und personal zentrierter Geschichtsschreibung erlaubt.
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Opitz: Um-Ordnung der Geschlechter, S. 221. Vgl. Hausen: Die Nicht-Einheit der Geschichte, S. 35ff.; Richter/Schraut: Art. Geschlecht und Geschichte, S. 626ff.; Medick/Trepp: Geschlechtergeschichte und allgemeine Geschichte, Einleitung, S. 8; Gebhard: Querschnittsbericht, S. 4. 55 Zur Definition des Verhältnisses zwischen Allgemeiner Geschichte und Geschlechtergeschichte liegen sehr unterschiedliche Vorschläge vor. Die Italienerin Gianna Pomata etwa wählt die filmische Metapher der „Close-Ups“ und „Long-Shots“ zur Beschreibung dieser schwierigen Liaison. Während die Geschlechtergeschichte die Mikrogeschichte darstelle (als Close-Up), stelle die Allgemeine Geschichte die Makrogeschichte dar (als Long-Shot, also Panoramaeinstellung). Um einen ganzen Film entstehen zu lassen, gelte es, beide Einstellungen in sinnvollem Maße zu kombinieren, vgl. Pomata: Close-Ups und Longs-Shots, S. 113ff. Karin Hausen dagegen hält eine völlige Integration der Geschlechtergeschichte in die Allgemeine Geschichte für ebenso wünschenswert wie auch aus institutionellen Gründen für unmöglich, vgl. Hausen: Die Nicht-Einheit der Geschichte, S. 51ff. Auch Regina Wecker hat sich skeptisch über die Aussichten einer vollständigen Integration geäußert, da die Ergebnisse der Geschlechtergeschichte so manche Master-Erzählung der Allgemeinen Geschichte empfindlich störe, vgl. Wecker: Nutzen und Nachteil, S. 51. Hans Medick und Anne-Charlott Trepp wiederum halten eine vollständige Integration für möglich, wenn auch weit von der Umsetzung entfernt, vgl. Medick/Trepp: Geschlechtergeschichte und allgemeine Geschichte, Einleitung, S. 8.
Kapitel 2
Theoretische Prämissen: Geschlechtergeschichte und Rational Choice. Auswege aus dem diskursiven Dilemma 2.1 Theoretische Grundlagen der Geschlechtergeschichte: Das diskursive Dilemma 2.1 Theoretische Grundlagen der Geschlechtergeschichte
In den Gender Studies, in die sich auch die Geschlechtergeschichte einordnen lässt, findet sich eine lebendige Vielfalt von theoretischen Grundlagen und Konzeptionen.1 Das 2004 erschienene Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, das einen Überblick über Theorie und Praxis bietet, verzeichnet theoretische Verknüpfungen mit Theorien des postmodernen Sozialkonstruktivismus, mit Rollentheorien, mit Modernisierungstheorien, mit der Systemtheorie, mit Rassismustheorien und mit Pierre Bourdieus Habituskonzept. Darüber hinaus werden zahlreiche Forschungsfelder mit sehr eigenständiger Konzeption genannt, wie etwa die Patriarchatsforschung, die Queer Theory und der Postkolonialismus.2 Hinzu kommt im Bereich der Geschichtswissenschaft eine relativ rege Teilnahme am spacial turn, also eine Einbettung der Geschlechtergeschichte in Raumkonzepte. 3 Sucht man in diesem theoretischen Vielklang nach zentralen Motiven, die für die Ausrichtung der Gender Studies insgesamt von Bedeutung sind, stößt man auf den Begriff der Identität beziehungsweise der Geschlechtsidentität.4
1
Zu dieser Einschätzung kommen auch Medick/Trepp: Geschlechtergeschichte und allgemeine Geschichte, Vorwort, S. 8ff. 2 Vgl. Becker/Kortendiek: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Dass die große Vielfalt von Theorien und ihren unterschiedlichen Auslegungen zu Schwierigkeiten im interdisziplinären Dialog führen kann, zeigte sich etwa auf der Tagung „Gender im Blick – Geschlechterforschung in den Geschichts- und Kulturwissenschaften“ (Berlin 2007). Vgl. dazu den Bericht von Crasemann u.a., http://hsozkult.geschichte.huberlin.de/tagungsberichte/id=1920 (29.2.2008). 3 Vgl. u.a. Hubrath: Geschlechter-Räume. 4 Vgl. Breger: Art. Identität, S. 47ff. Im Zusammenhang mit dem Begriff der Identität ist in den vergangenen Jahren auch die Körpergeschichte als wichtiges Forschungsgebiet nicht nur der Geschlechtergeschichte sehr populär geworden, vgl. z.B. Schmale: Einleitung, S. 20ff. und Tanner: Wie machen Menschen Erfahrungen?
18
2. Theoretische Prämissen
Schon bei Simone de Beauvoir findet sich eine Idee, die bis heute prägend für die Geschlechtergeschichte und die Gender Studies insgesamt ist: die Idee, dass die Geschlechtsidentität nicht naturgegeben, sondern sozial konstruiert sei. In „Das andere Geschlecht“ hat Beauvoir einen sehr häufig zitierten Leitsatz der Gender-Forschung formuliert, hier zunächst noch bezogen auf die Frau allein: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“5 Seit den siebziger Jahren wird, ausgehend von dieser Prämisse, in einem großen Teil der Geschlechterforschung daher unterschieden zwischen „Sex“, dem englischen Begriff für das biologische Geschlecht, und „Gender“, dem englischen Begriff für das linguistische Geschlecht, der hier das sozial konstruierte Geschlecht bezeichnet.6 Der Begriff „Gender“ hatte dabei den Vorteil, sowohl Mann als auch Frau zu umfassen und außerdem zu implizieren, dass das Verhalten von Männern und Frauen, ihre Stellung in der Gesellschaft und ihre geschlechtliche Identität nicht biologisch determiniert, sondern durch ein Geflecht gesellschaftlicher Regeln geschaffen sind.7 Die dichotomische Unterscheidung zwischen „Sex“ und „Gender“ hat aber auch viel Kritik erfahren. Allen voran und bis heute prägend waren die Überlegungen der amerikanischen Poststrukturalistin Judith Butler in ihrer Schrift „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1990). Indem die Unterscheidung zwischen „Sex“ und „Gender“ ein biologisch festgelegtes Geschlecht zulasse, forciere sie auch weiterhin die dichotomische Konstruktion sozialer Geschlechter, so Judith Butler. Sie postulierte, dass auch die biologischen Geschlechter „medizinische Fiktionen“ seien, produziert durch „wissenschaftliche Diskurse, die im Dienst anderer politischer und gesellschaftlicher Interessen stehen“. Der Körper sei eine „Konstruktion [...]. Man kann nämlich den Körpern keine Existenz zusprechen, die der Markierung ihres Geschlechts vorherginge.“ Ausgehend von dem Wunsch, die „Zwangsordnung“ der Trias biologisches Geschlecht – Geschlechtsidentität – sexuelle Orientierung aufzulösen, erklärt Butler, eine Identifika5
De Beauvoir: Das andere Geschlecht, S. 265. Etabliert wurde die Unterscheidung von Stoller: Sex and Gender, der wiederum die Ergebnisse zahlreicher soziologischer, psychologischer und medizinischer Studien zusammenträgt. Darüber, wann und wo das Begriffspaar zum ersten Mal auftauchte, herrscht Uneinigkeit. Claudia Opitz schreibt die Prägung der Begriffe den Sexualwissenschaftlerinnen Joan Money und Anke Ehrhard (1972) zu, Silke Göttsch verweist auf die amerikanische Anthropologin Gayle Rubin als Urheberin (1975), vgl. Opitz: UmOrdnungen der Geschlechter, S. 69ff.; Göttsch: Geschlechterforschung und historische Volkskunde, S. 3. 7 Wegen dieser Vorteile wird der Begriff auch heute noch verwendet, trotz aller Kritik. Er ist für das gesamte Forschungsfeld der Geschlechterstudien – Gender Studies – namengebend geworden. Vgl. für ein neueres Plädoyer für seine Weiterverwendung Braun/Stephan: Gender Studien, Einleitung, S. 9f. 6
2.1 Theoretische Grundlagen der Geschlechtergeschichte
19
tion des Körpers und eine kategorische Zuordnung zu einem bestimmten Geschlecht sei nicht letztgültig möglich, sondern könne nur vor dem Hintergrund bestimmter Diskurse existieren.8 Sie geht also über die Annahme der sozialen Konstruktion von Gender auf der Basis biologischer und körperlicher Voraussetzungen hinaus, indem sie selbst letztere zum erkenntnistheoretischen Problem erklärt.9 Judith Butler ist für diese Position häufig kritisiert worden. Gerade auch feministische Forscherinnen wie Seyla Benhabib haben Judith Butler angegriffen, weil sie durch ein Verschwinden der Kategorie „Frau“ die Möglichkeit der politischen Forderung nach einer Gleichstellung derselben in Gefahr sahen.10 Dennoch kann man sagen, dass sich diese Perspektive, die man allgemeiner als dekonstruktivistisch bezeichnen könnte und die in der Geschichtswissenschaft dem linguistic turn zugeordnet werden kann, erstaunlich fest in der Geschlechterforschung etabliert hat. Judith Butler hat hier sicherlich den radikalsten Anspruch und nicht viele mögen ihr in die epistemologischen Abgründe ihres Werkes folgen. Darüber aber, dass Geschlecht als soziale Konstruktion zu betrachten ist und dass es ein wichtiger Untersuchungsgegenstand auch von Geschlechtergeschichte sei, die Mechanismen der Erschaffung dieser Kategorie zu „dekonstruieren“, herrscht vielfach noch heute Einigkeit.11 8
Vgl. Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, hier S. 11, 23, 27 und sinngemäß S.
39. 9
Diese Exegese folgt Seyla Benhabib, die Butlers Postulat von der „Nicht-Existenz“ des Körpers auf eine erkenntnistheoretische Ebene verschiebt. Dies scheint mir ein sinnvolles und mit Butlers Schriften kohärentes Verständnis zu ermöglichen, vgl. Benhabib, Feminismus und Postmoderne, S. 14f. 10 Vgl. für Kritik an Butlers radikaler Dekonstruktion Benhabib: Feminismus und Postmoderne, besonders S. 14ff. Zuletzt plädierte überraschenderweise Joan Scott für die Abschaffung der Kategorie „Gender“, allerdings nicht, weil sie die Idee der sozialen Konstruktion von Geschlecht verwirft, sondern weil der Begriff in der allgemeinen Sprache seinen subversiven Charakter verloren habe und inzwischen wieder nichts anderes als eine biologische Unterscheidung zwischen Mann und Frau bezeichne, vgl. Scott: Millenial Fantasies, S. 19ff. Dritte wiederum, wie Barbara Duden, versuchten, durch modifizierte Begriffsbildung und Begriffsdefinition einen Konsens in diesem Streit zu finden, allerdings wenig überzeugend, vgl. Duden: Genus und das Objekt der Volkskunde, S. 66ff. Vgl. für eine medizinische Untersuchung des Problems Hagemann-White: Sozialisation. Weiblich – männlich? S. 42, vgl. auch S. 29ff. und S. 42ff. Teilweise fiel die Kritik an Butler auch polemisch aus. So fragte etwa Laura Lee Downs: „If woman is just an empty category, then why am I afraid to walk alone at night?“ Hier wiedergegeben ist das titelgebende Zitat ihres Essays von 1993. 11 Vgl. zum hartnäckigen Erfolg des Dekonstruktivismus auch Opitz: Um-Ordnungen der Geschlechter, S. 68. Auch deshalb ist die vergleichende Perspektive in den Gender Studies bedeutsam, funktioniert die Konstruktion von Gender doch gerade über die Ab-
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2. Theoretische Prämissen
Rekurriert wird dabei häufig, wie ja auch von Butler selbst, auf die Diskursanalyse Michel Foucaults.12 Zwar hat sich Foucault als Historiograph konkret mit der Geschlechtergeschichte nicht beschäftigt. Er bietet aber mit seinem Gedanken, dass die Entstehung von Identität, ja überhaupt von Subjekten, durch Diskurse, durch „Mikropraktiken der Macht“ verursacht wird, den Nährboden für die grundlegende Prämisse der Geschlechterforschung.13 Gleichzeitig offeriert er mit der Technik der Diskursanalyse oder auch, im Foucault’schen Duktus, mit der „Archäologie“ beziehungsweise „Genealogie“ Methoden zur Entschlüsselung der Erschaffungsmechanismen von geschlechtlicher Subjekt-Werdung und Identität.14 Zentral für die Übernahme des Begriffs „Gender“ und den Anschluss der Geschlechtergeschichte an eine moderate postmoderne Position war Joan W. Scotts Essay „Gender: A Useful Category of Historical Analysis“ (1986).15 In Abgrenzung zur Patriarchatsforschung sowie zu psychoanalytischen Schulen der Geschlechterforschung wollte Joan W. Scott den Begriff „Gender“ auch für die (macht-)politische Geschlechtergeschichte urbar machen. Sie schloss sich grundsätzlich dem Konzept an, dass Gender eine sich ständig erneuernde, nicht fixierte Kategorie sei und befürwortete pringrenzung zwischen den beiden Geschlechtern, vgl. Stephan: Im toten Winkel, S. 17. Gerade in der auf männliche Identitäten bezogenen Forschung überwog längere Zeit eine psychoanalytische Herangehensweise, u.a. auch geprägt durch Theweleits Pionierarbeit, vgl. Erhart/Herrmann: Der erforschte Mann? S. 11ff. 12 Vgl. für Butlers explizite Bezugnahme auf Foucault: Das Unbehagen der Geschlechter, S. 9ff. 13 Vgl. zu Foucaults Bedeutung für die Geschlechterforschung Bührmann: Geschlecht und Subjektivierung, S. 123ff. Zentrale Gedanken zur Subjektivierung finden sich in Foucaults Schrift „Was ist Kritik?“ In der älteren Forschung ist Foucaults Werk häufig als disparat angesehen worden und wurde in verschiedene Phasen mit sich teilweise widersprechendem Tenor unterteilt. Die neuere Forschung tendiert allerdings dazu (wie Foucault in seinen späten Jahren wohl auch selbst), die auch für die Geschlechterforschung so zentralen Fragen nach Subjektwerdung, Identität und ihren Bedingungen als Klammern seines Werks zu betrachten, vgl. Bührmann: Geschlecht und Subjektivierung, S. 128. Vgl. dazu auch die Einleitung in demselben Band von Marcus S. Kleiner: Foucault, S. 7ff. 14 Vgl. zu Foucaults Begrifflichkeit Bublitz: Archäologie und Genealogie, S. 27ff. Foucault selbst stellt seine Methode unter anderem in „Archäologie des Wissens“ vor. 15 Über die Bedeutung von Joan W. Scott für die amerikanische und deutsche Geschlechterforschung herrscht weitgehend Einigkeit, vgl. Opitz: Um-Ordnungen, S. 58ff. Martina Kessel und Gabriela Signori datieren den Wechsel von der Frauen- zur Geschlechtergeschichte auf das Erscheinen von Joan W. Scotts Essay, vgl. Kessel/Signori: Geschichtswissenschaft, S. 119. Die Geschlechtergeschichte verortet sich dabei wie kaum ein anderer Zweig der Geschichtswissenschaft theoretisch, während in der Allgemeinen Geschichte der Nutzen theoriegeleiteten Arbeitens weiterhin umstritten ist. Vgl. für einen Band, der zu letzterer Frage unterschiedliche Positionen vereint Hacke/Pohlig: Theorie in der Geschichtswissenschaft.
2.1 Theoretische Grundlagen der Geschlechtergeschichte
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zipiell die dekonstruktivistische Perspektive.16 Sie definierte Gender als „a constitutive element of social relationships based on perceived differences between the sexes“. Gender sei aber auch „a primary way of signifying relationships of power“.17 Geschlecht werde konstruiert über kulturell verfügbare Symbole, normative Konzepte, die die Bedeutung der Symbole herstellen, durch Systeme wie Verwandtschaft, durch politische Strategien, durch die Gesellschaft sowie über die Ausbildung einer geschlechtlichen Identität. Dies seien die Kategorien, die die Geschlechtergeschichte zu untersuchen habe.18 Inzwischen haben die von Scott vorgeschlagenen Gender-Kategorien und das dekonstruktivistische Konzept auch in die Forschungen zur Frühen Neuzeit Einzug gehalten. Arlette Farge und Natalie Zemon Davis etwa widmen den dritten Band von Georges Dubys und Michelle Perrots „Geschichte der Frauen“ der Analyse von Gender-„Diskursen“ und dem Handlungsspielraum der Frauen innerhalb dieser Diskurse.19 Auch Merry E. Wiesner greift auf das dekonstruktivistische Vokabular zurück. Sie sieht die frühneuzeitlichen Frauen zwischen „biology and sexuality“ und „socially constructed gender“.20 Im Sinne des Diskurses als „Sagbares“ sind die narrativen Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit in den Blick genommen worden.21
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Vgl. Scott: Gender: A Useful Category. S. 1056ff. Scott: Gender: A Useful Category. S. 1067. 18 Vgl. Scott: Gender: A Useful Category, S. 1067ff. 19 Farge/Zemon Davis: Geschichte der Frauen, S. 11. 20 Vgl. Merry E. Wiesner: The Reformation of the Women, S. 193ff., hier S. 207 und 208. Wiesner stellt dabei die These auf, dass sich die frühneuzeitlichen Frauen dieser Unterscheidung schon bewusst waren. 21 So fordert etwa Erhart, eine „narratologische Theorie der Männlichkeit“ in das Zentrum des Arbeitens zu stellen, vgl. Erhart: Forschungsbericht, S. 218. Mit dem „Erzählen als kulturelles Handeln zur Konstruktion von Geschlecht“ hat sich für das Mittelalter vor allem Bea Lundt beschäftigt, vgl. Lundt: Narrating Gender, S. 201ff. Ein weiteres theoretisches Konzept, das in der Frühneuzeitforschung zur Anwendung gekommen ist und von ähnlichen Prämissen ausgeht, ist die Rollentheorie, auf die vor allem Heide Wunder zurückgreift. Sie untersucht unter anderem die „gender norms“, die Geschlechterrollen festlegten, ihre Implementierung und die „Instanzen“, die sie durchsetzten, um eine bestimmte „Ordnung der Geschlechter“ aufrechtzuerhalten, vgl. Wunder: Gender norms and their reinforcement, S. 39ff.; dies.: Normen und Institutionen der Geschlechterordnung, S. 57ff. und dies: Geschlechtsidentitäten, besonders S. 135. Auch ein Großteil der Männlichkeitsforschung ist rollentheoretisch orientiert. Kaum eine männliche Rolle vom „Kastraten über die Männlichkeit des Klerikers bis zum Soldaten, Dandy oder König“, der nicht eine Studie gewidmet worden wäre, wie Schmale feststellt, vgl. etwa Martin Dinges: Hausväter, Priester, Kastraten. Schmale bedauert, dass die Rollenbilder häufig zusammenhangslos nebeneinander stehen, „ohne in befriedigender Weise in die entsprechenden kulturellen Figurationen eingeordnet zu sein.“ Schmale: Geschichte der 17
22
2. Theoretische Prämissen
Schon zur Jahrtausendwende aber begann sich sowohl in der Geschlechtergeschichte als auch in der Allgemeinen Geschichte eine gewisse Diskurs-Sättigung abzuzeichnen.22 Richard J. Evans beschrieb 1998 das Gefühl der Verunsicherung und der Krise, die der „Angriff“ der als „relativistisch“ beschimpften Postmodernisten auf die Geschichtswissenschaft in England auslöste und die heftigen Debatten, die auf dieses Gefühl folgten.23 Auch er selbst lehnte den Kern der postmodernen Sichtweise ab: „Die Vergangenheit ist weitaus mehr als nur ein Text, und der Versuch, sie als Text zu lesen, erfaßt bloß einen kleinen Teil der Wirklichkeit. Soziale und politische Ereignisse sind etwas anderes als literarische Texte.“24 Andrea D. Bührmann warnte 2001 vor einem „linguistischen Idealismus“ und mahnte die Verortung von Diskursen in konkreten Urheber- und Herrschaftsverhältnissen an sowie die Berücksichtigung ihrer Rückwirkungen auf Individuen.25 Auch die in England lehrende australische FrühneuzeitForscherin Lyndal Roper, die sich schon vielfach der Kategorie „Geschlecht“ gewidmet hat, untersuchte 1999 die „Krise“ der Geschichtswissenschaft und konstatierte vor lauter Diskursanalysen das „ungute Gefühl [...], daß etwas fehlt.“26 Sie benannte wie Evans mehrere Probleme, die Historikern durch die Konzentration auf sprach- und diskursanalytische Untersuchungen entstanden sind. Erstens sei es schwierig, mit den Mitteln der Diskursanalyse historischen Wandel zu erklären und glaubhaft zu machen, „warum ein Diskurs an Überzeugungskraft verliert und von einem neuen Diskurs abgelöst wird.“27 Zweitens monierte sie das Fehlen interaktiver Elemente im Diskurs und kritisierte das Ausblenden des Körpers und substantieller, materieller Erfahrungen. Ihre Antwort auf viele dieser Probleme ist die Beschäftigung mit psychologischen Zugängen, die eine Beziehung zwischen dem Wort und dem Menschen herstellen sollen.28
Männlichkeit, S. 13. Das gleiche moniert Bernd-Ulrich Hergemöller für das Mittelalter, vgl. Hergemöller: Masculus et femina, S. 3. 22 Vgl. für eine ähnliche Einschätzung: Abrams/Harvey: Introduction: Gender and Gender Relations in German History, 5ff. 23 Vgl. Evans: Fakten und Fiktionen, S. 11ff. 24 Evans: Fakten und Fiktionen, S. 110. 25 Vgl. Bührmann: Chancen und Risiken angewandter Diskursforschung, S. 243ff., hier S. 244. 26 Roper: Jenseits des linguistic turn, S. 452. Vgl. zum Unbehagen über den linguistic turn aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive auch Opitz: Um-Ordnungen der Geschlechter, S. 65ff.; Hunt: The Challenge of Gender, S. 74ff. 27 Roper: Jenseits des linguistic turn, S. 462. 28 Vgl. Roper: Jenseits des linguistic turn, S. 462ff. Lyndal Ropers Essay zeigt wie viele ihrer Arbeiten ihre faszinierende Fähigkeit zu vielschichtigen Erklärungen und Problematisierungen. Dass sie den Weg zu einem neuen Verständnis des Hexenwahns, der ihr hier als Beispiel für ihre theoretischen Überlegungen dient, allerdings über kör-
2.1 Theoretische Grundlagen der Geschlechtergeschichte
23
Viel zentraler aber scheint mir Ropers Gedanke, dass „Historikerinnen und Historiker in der Lage sein sollten, von handelnden Menschen, von Individuen zu sprechen“, was mit der Diskursanalyse nicht möglich ist.29 Diese Forderung war schon 1994 von Kathleen Canning in Reaktion auf Joan Scotts „Gender“-Schrift formuliert worden, blieb aber zunächst weitgehend ungehört: „Key, however, in analyzing how discourses change, how subjects contest power in its discursive form, and how their desires and discontents transform or explode discursive systems is the concept of agency.“30 Foucault blendet Akteure, Handlungen und Intentionen im Wesentlichen aus. Seine „Diskurse“, die über das Sagbare und Nicht-Sagbare entscheiden und eine symbolische Ordnung von Welt bestimmen, sind mehr oder weniger frei von konkreten Urhebern, sie werden von disparaten Machtstrukturen erzeugt.31 Auch die Regeln, die den Diskurs ausmachen, wie etwa Ausschließung und Verbot, „der Wille zur Wahrheit“ oder die Begrenzung der Teilnehmer am Diskurs sind scheinbar von niemandem und doch auch wieder von allen gleichzeitig gemacht.32 Abgesehen davon, dass Foucaults Theorie kaum empirisch operationalisiert werden kann, da er selbst seine Begriffe nicht oder nicht eindeutig definiert,33 macht es der Mangel an Akteuren und an klaren Benennungen von Gesetzen, nach depermystische, psychoanalytische Ansätze der siebziger Jahre gangbar machen will, ist nicht unmittelbar einleuchtend. 29 Roper: Jenseits des linguistic turn, S. 463. 30 Canning: Feminist History after the Linguistic Turn, S. 377. Dabei verwirft sie den Diskursbegriff nicht völlig, sondern versucht ihn mit Handlungsfähigkeit und Erfahrungen ihrer Akteure, Arbeiterinnen der Weimarer Republik, zu kombinieren, vgl. ebd., S. 379ff. 31 Nach Achim Landwehr müssen bei dem in der Geschichtswissenschaft verwendeten Diskursbegriff mindesten drei Formen unterschieden werden: Diskurse im linguistischen Sinne, Diskurse im Sinne von Habermas und Diskurse im Sinne von Foucault. Die meisten Autoren (gerade der Geschlechtergeschichte) beziehen sich allerdings auf Foucault, so dass hier von Foucaults Diskursbegriff ausgegangen werden soll. Foucault selbst definiert den Diskursbegriff nicht eindeutig. Achim Landwehr rekonstruiert dessen Diskursbegriff als „symbolische Ordnung [...], die den mit diesem Diskurs vertrauten Subjekten das gemeinsame Sprechen und Handeln erlaubt.“ Vgl. Landwehr: Geschichte des Sagbaren, S. 65ff., hier S. 77. Zum (Fehlen der) Urheber des Diskurses vgl. Foucault: Archäologie des Wissens, besonders S. 178: Es gäbe, so Foucault, „keine große anonyme Stimme [...], die notwendig durch die Diskurse eines jeden spräche“. Auffällig ist etwa, dass Foucault verschiedene Möglichkeiten nennt, festzustellen, ob zwei Aussagen zu demselben Diskurs gehören – die gemeinsame Urheberschaft ist nicht darunter, vgl. S. 48ff. 32 Vgl. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. 10ff., hier S. 15. 33 Vgl. hierzu die Auseinandersetzungen mit Foucault in Bezug auf dessen Nutzen für die Geschichtswissenschaft bei Graf: Diskursanalyse und radikale Interpretation, S. 72 sowie Frings/Marx: Wenn Diskurse baden gehen, S. 82f.
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2. Theoretische Prämissen
nen Diskurse funktionieren, praktisch unmöglich, historischen Wandel zu erklären.34 Geschichte besteht aber eben nicht nur in der Konstruktion von „Identitäten“ oder „Seins-Weisen“, sondern gerade auch in deren Veränderungen. Ohne Akteure, die letztlich Personen oder Gruppen von Personen sind, kommen als Urheber von Veränderungen (der Diskurse, der Geschichte, der Strukturen, der Gesellschaft) jedoch praktisch nur noch metaphysische Kräfte in Frage, deren Anführung sicherlich bei den meisten Wissenschaftlern Befremden auslösen würde. In der Gender-Forschung sind verschiedene mehr oder weniger weitreichende Versuche gemacht worden, das menschliche Agieren in die Diskursanalyse zu integrieren, allerdings ohne allzu weit von grundlegenden Positionen des Dekonstruktivismus abzuweichen.35 Auch Judith Butler hat sich zu Möglichkeiten der Einbeziehung von Handlungen in die dekonstruktivistische Position geäußert. Auf Seyla Benhabibs normative Forderung, die Aufgabe der Konzepte „Intentionalität, Verantwortlichkeit, Selbstreflexivität und Autonomie“ sei schon aus 34
Vgl. für eine theoretische Herleitung des Problems Graf: Diskursanalyse und radikale Interpretation sowie Frings/Marx: Wenn Diskurse baden gehen. Während Rüdiger Graf in erster Linie anhand sprachphilosophischer Überlegungen unter Bezugnahme auf Donald Davidson zeigen kann, dass ohne „Sprecher“ (also im Foucaultschen Duktus: ohne Urheber des Diskurses) eine Verständigung gar nicht möglich ist (also gar kein Diskurs zustande kommen kann), zeigen Andreas Frings und Johannes Marx, dass aus Mangel an funktionsfähigen Gesetzen für die Makroebene eine wissenschaftliche Erklärung im Sinne Hempels nur über die Mikroebene, also über die Erklärung der Handlungen einzelner Akteure, möglich ist (siehe dazu auch unten). Inwieweit Foucaults „Konzepte“ den Status von Theorien einnehmen dürfen, wird inzwischen sogar in Foucault-Handbüchern mit einem vorsichtigen Fragezeichen versehen, so z.B. von Gary Gutting: „They are temporary scaffoldings, erected for a specific purpose, that Foucault is happy to abandon to whomever might find them useful, once he has finished his job.“ Gutting: Foucault, S. 16. 35 So auch Opitz: Um-Ordnungen der Geschlechter, S. 65ff. Ein Ansatz ist etwa das Konzept des Doing Gender, das sich bei näherem Hinsehen allerdings als weit weniger dynamisch erweist als sein Titel suggeriert. In Anlehnung an Konzepte der interaktionstheoretischen Soziologie (Georg Herbert Mead, Erving Goffman) ebenso wie an Foucaults Konzept der Konstruktion von Subjektivität und Identität wird davon ausgegangen, dass Geschlechtsidentität eines „fortlaufenden Herstellungsprozesses“ bedürfe. Durch „Performanz“ werde Gender symbolisch sichtbar gemacht. Der Begriff der Performanz ist eine etwas krude Eindeutschung des vielschichtigen englischen Begriffs der „performance“, der sich sowohl auf die Ausführung einer Sache, als auch auf dessen theatralische Inszenierung beziehen kann. Im hier gebrauchten Sinne meint „performance“ die Darstellung von Geschlecht durch Handlungen, Sprechakte oder z.B. durch Kleidung. Vgl. für eine knappe Darstellung des Konzeptes: Gildemeister: Art. Doing Gender, S. 132ff.; Dagmar Hoff: Performanz/Repräsentation, S. 162ff.; Opitz: Um-Ordnungen der Geschlechter, S. 73ff. Kritik am Doing-Gender-Konzept übte u.a. Helga Kotthoff: Was heißt eigentlich doing gender? Eine Variante nennt sich auch staging gender, vgl. Opitz: Um-Ordnungen der Geschlechter, S. 76ff.
2.2 Rational Choice als theoretische Alternative
25
politischen Gründen nicht wünschenswert,36 plädierte sie für eine Neudefinition von Handlungsfähigkeit als Möglichkeit, Diskurse umzudeuten.37 Diskurse unterlägen dem Zwang zur Erneuerung und Wiederholung. Komme der Diskurs an einen solchen Punkt des Neubeginns, dann sei er offen für „Umdeutung, Wiederentfaltung und subversive Zitate von innen und für Unterbrechungen“.38 Offen bleibt dennoch die Frage, warum neue Diskurse entstehen und alte Diskurse abgelöst werden. Diese Windungen sind Ausdruck des theoretischen Dilemmas, in dem sich die Gender Studies und auch die Geschlechtergeschichte befinden. Die Gender Studies haben ihre zentrale Forschungsfrage so eng mit der dekonstruktivistischen Position verknüpft, dass sie kaum in der Lage sind, alternative Konzepte, wie etwa das handelnde Subjekt, zu integrieren. Die Annahme des starken Wirkens diskursiv-sozialer Strukturen aufzugeben, hieße, sich auch von der Prämisse der diskursiv erzeugten Geschlechtsidentität zu verabschieden. Das zentrale Forschungsprogramm der Gender Studies – die Dekonstruktion der Mechanismen, die Geschlechtsidentitäten und -normen produzieren – wäre dann ebenfalls hinfällig. Die radikalste Alternative zur postmodernen Position wäre dann die Rückkehr zu einem naturdeterministischen Geschlechtermodell. Da aber inzwischen ein breiter Konsens darüber besteht, dass die Einbeziehung des Faktors Gender im Sinne von sozial konstruierten Geschlechterunterschieden bedeutsam und zielführend ist, gilt es im Folgenden nach Wegen zu suchen, die eine Beibehaltung der konstitutiven Annahmen der Geschlechtergeschichte ermöglichen, aber den Ansatz auch für die Einbeziehung individuell motivierten Handelns öffnen.
2.2 Rational Choice als theoretische Alternative für die Geschlechtergeschichte 2.2 Rational Choice als theoretische Alternative
Gerade die in dieser Arbeit untersuchte Thematik zeigt, dass diskursive Strukturen als erklärendes Moment allein nicht ausreichen. Obwohl sich sowohl der Diskurs über das Klosterleben als auch die Diskurse über Geschlechterrollen im 16. Jahrhundert stark wandelten, waren sie doch nicht allein bestimmend.39 In der vorliegenden Arbeit solen ja gerade auch diejenigen Klöster und ihre Religiosen untersucht werden, die sich den dominierenden Religions- und Geschlechterdiskursen in Straßburg nicht unter36
Vgl. Benhabib: Feminismus und Postmoderne, S. 13ff., hier S. 13. Butler: Replik auf Seyla Benhabib, S. 125. 38 Butler: Replik auf Seyla Benhabib, S. 125. 39 Vgl. für eine Rekonstruktion der betreffenden Diskurse Kapitel 4.2. 37
26
2. Theoretische Prämissen
ordneten. Dabei kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Mönche und Nonnen völlig unabhängig von den Diskursen über ihre Lebensweise oder die ihrem Geschlecht angemessene Rolle in der Gesellschaft handeln konnten. Eine Theorie aus den Sozialwissenschaften, die den handelnden Menschen zwar als zentrales Erklärungsmoment begreift, aber in auch soziale Strukturen und Diskurse zu integrieren vermag, ist die Rational-ChoiceTheorie. Sie könnte in dem beschriebenen Dilemma der Geschlechtergeschichte Abhilfe schaffen und befruchtend wirken. Sie wird daher im Folgenden kurz vorgestellt. Die Idee, auf der Rational Choice basiert, wird auch als „methodologischer Individualismus“ bezeichnet. Darunter wird die Annahme verstanden, dass soziale Phänomene auf das Handeln Einzelner zurückzuführen sind.40 Das Menschenbild, das dem methodologischen Individualismus in der Rational-Choice-Theorie zugrunde liegt, ist der homo oeconomicus.41 Dem homo oeconomicus werden folgende Eigenschaften zugesprochen: Er verfolgt seinen individuellen Nutzen und er hat geordnete Präferenzen, die er soweit umzusetzen versucht, wie die Restriktionen seiner Umwelt es zulassen.42 Aus diesem einfachen Modell sind zahlreiche Untermodelle entwickelt worden, die mit Akronymen bezeichnet werden.43 Bedeutend für Ra40
Die grundlegende Idee der Theorie, nämlich dass Menschen gemäß individueller Interessen und nicht etwa im Sinne des allgemeinen Nutzens bzw. des göttlichen Willens handeln, wurde erstmals von Machiavelli (1469–1527) und Hobbes (1588–1679) formuliert. Ausgearbeitet wurde das Programm von den Nationalökonomen und schottischen Moralphilosophen des 18. Jh., zu nennen sind etwa David Hume, Adam Ferguson und Adam Smith, und schließlich im 19. Jh. von David Ricardo, John Stuart Mill und Jeremy Bentham weiterentwickelt. Letztere machten die Idee erstmals auch für nicht ökonomische Phänomene nutzbar. Die Moderne erreichte das Forschungsprogramm mit Anthony Downs ökonomischer Demokratietheorie der 50er Jahre, die das Programm der Neuen Politischen Ökonomie begründete. Bedeutend für das theoretische Konzept in seiner aktuellen und in dieser Arbeit verwendeten Form sind vor allem die Arbeiten von James S. Coleman ab Mitte der achtziger Jahre, die im Folgenden ausführlich berücksichtigt werden, vgl. für eine wissenschaftsgeschichtliche Einordnung Marx: Vielfalt und Einheit, S. 102ff.; Blaug: Economic Theory, S. 576f. Vgl. für einen Überblick über Rational Choice in seiner modernen Form Kunz: Rational Choice. 41 Im Wesentlichen wird in der Soziologie zwischen zwei verschiedenen Menschenbildern unterschieden, dem homo sociologicus und dem homo oeconomicus. Im Modell des homo sociologicus wird davon ausgegangen, dass der Mensch sein Handeln in erster Linie nach sozialen Regeln und Rollen auslegt, vgl. Esser: Allgemeine Grundlagen, S. 231 und 236. 42 Vgl. Esser: Allgemeine Grundlagen, S. 231 und 236. 43 Der homo sociologicus existiert unter anderem als SRSM (Socialized, Role-playing, Sanctioned Man) und als OSAM (Opinionated, Sensitive, Acting Man), vgl. Esser: Allgemeine Grundlagen, S. 232ff. Für die hier entwickelte Argumentation reicht zumindest
2.2 Rational Choice als theoretische Alternative
27
tional Choice ist vor allem eine Variante des homo oeconomicus, die von Siegwart Lindenberg entwickelt wurde, der „RREEMM“. Lindenberg erläutert: „These letters stand for: Resourceful: man can search for and find possibilities; he can learn and be inventive; Restricted: man is confronted with scarcity and must substitute (choose); Expecting: man attaches subjective probabilities to (future) events; Evaluating: man has ordered preferences and evaluates (future) events; Maximizing: man maximizes (expected) utility when choosing a course of action; Man.“44 Damit sind die wichtigsten Komponenten des Rational-Choice-Modells benannt: Restriktionen, Erwartungen, Bewertungen und die Selektionsregel der Nutzenmaximierung.45 James S. Coleman hebt außerdem die Zielgerichtetheit und Intentionalität menschlicher Handlungen hervor, die sich aus dem von Lindenberg dargestellten Menschenbild ergeben. Entscheidungen erwachsen demnach nicht allein aus unreflektiertem, sozial erlerntem oder diskursiv determiniertem Verhalten, sondern (auch) aus bewussten, überdachten Entscheidungen.46 Aus diesen Eigenschaften, die dem homo oeconomicus zugeordnet werden, wird in der Rational-Choice-Theorie ein Handlungsgesetz abgeleitet, das es ermöglichen soll, das Handeln des Menschen zu erklären oder sogar zu prognostizieren. Der Mensch, so Coleman, erhofft sich von jeder Handlungsalternative einen bestimmten Nutzen und wird diejenige Handlung wählen, die seinen Nutzen maximiert.47 Eine Variante dieses Handlungsgesetzes, die auch als SEU-Theorie (Subjective-Expected-Utility-Theorie) bezeichnet wird, berücksichtigt obendrein, wie hoch der Akteur die Wahrscheinlichkeiten einschätzt, dass eine Handlung die erhofften Konsequenzen nach sich ziehen wird. Das Handlungsgesetz lautet dann, hier in der Formulierung von Kunz: „Von mehreren Handlungsalternativen, die ein Akteur in Erwägung zieht, wählt er diejenige, für die die perzipierten
für den homo sociologicus diese grundlegende Unterscheidung. Vgl. für verschiedene Untermodelle Esser: Allgemeine Grundlagen, S. 232ff. und Lindenberg: New Political Economy, S. 100ff. 44 Lindenberg: New Political Economy, S. 100, Hervorhebungen im Original. 45 Vgl. Esser: Rational Choice, S. 231; Ders.: Allgemeine Grundlagen, 236ff. und 245. Esser übersetzt „resourceful“ mit „Findigkeit“. Das Prädikat beschreibt die Eigenschaft des Menschen, auch neue Wege gehen zu können, die nicht von Normen oder Institutionen vorgesehen sind. 46 Coleman betont dabei, dass Intentionalität nur auf der Ebene der Individuen, nicht aber auf der Ebene von Systemen unterstellt werden dürfe: „The appropriate theoretical strategy for sociology, if I am correct, is not to discard notions of purpose, goaldirectedness, and homeostasis [...], but to limit their employment to the level of actors in the social system – not positing them for the system itself.“ Coleman: Theory of Action, S. 1312. 47 Coleman: Grundlagen der Sozialtheorie, S. 17.
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2. Theoretische Prämissen
Handlungskonsequenzen am positivsten bewertet und am sichersten erwartet werden [...].“48 Für dieses Handlungsgesetz sprechen seine Klarheit und seine universelle Anwendbarkeit auch über die Soziologie hinaus, etwa in den Geschichtswissenschaften. Coleman sieht einen weiteren Vorteil der Theorie darin, dass durch das einfache Handlungsgesetz der Fokus der Forschung dahin verschoben wird, die Komplexität der Situation des Handelnden zu erfassen.49 Denn der Mensch handelt nicht im leeren Raum, sondern ist, wie schon Lindenberg festgestellt hat, „restricted“. Diese Restriktionen können z.B. rechtlicher, moralischer oder materieller Art sein. Güter sind knapp und soziale Normen schränken das Repertoire der möglichen Handlungsalternativen ein. Darüber hinaus verursacht jede Handlung nicht nur Nutzen, sondern auch „Kosten“. Eine Handlung „kostet“ den Handelnden zum Beispiel den Nutzen, den eine alternative Handlung herbeigeführt hätte.50 Auch Abhängigkeiten und Hierarchien zwischen verschiedenen Akteuren müssen berücksichtigt werden,51 ebenso wie die eingeschränkten mentalen Fähigkeiten der Handelnden. Aufgrund der Komplexität seiner Umwelt ist der Mensch in der Regel nur in der Lage, kurzfristig alle Kosten und Nutzen abzuwägen, die längerfristigen Folgen auch außerhalb seines engeren Umfeldes werden nicht wahrgenommen und sind häufig auch nicht erwünscht.52 Eine zentrale Aufgabe von Soziologie und Geschichtswissenschaft ist es nun aber, nicht nur individuelles Handeln, sondern auch Phänomene auf der gesellschaftlichen Ebene, also auf der Makroebene, zu untersuchen und
48
Kunz: Rational Choice, S. 45. Das SEU-Modell versucht, die Entscheidungsfindung mathematisch darzustellen und zu prognostizieren, wie sich ein Akteur entscheiden wird. Der Wert, den die Rechnung hervorbringt, wird als SEU bezeichnet, als „Subjective Expected Utility“. Dabei werden die erwartete Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses und dessen Nutzen multipliziert und mit den Wahrscheinlichkeiten und erwarteten Nutzen alternativer Ereignisse addiert, vgl. ebd; vgl. auch Esser: Rational Choice, S. 238 und ders.: Allgemeine Grundlagen, S. 222. 49 Vgl. Coleman: Grundlagen der Sozialtheorie, S. 23f. Für die Anforderungen an Handlungsgesetze vgl. Esser: Rational Choice, S. 231. 50 Diese Kosten werden als „Alternativ- oder Opportunitätskosten“ bezeichnet und müssen bei der Entscheidung mit berücksichtigt werden. Kunz: Rational Choice, S 36f. und Esser: Allgemeine Grundlagen, S. 220ff. 51 Vgl. für verschiedene Modelle der Interdependenz zwischen Akteuren Coleman: Grundlagen der Sozialtheorie, S. 36ff. und 53ff., zu Herrschaftsverhältnissen S. 84ff. 52 Daraus ergeben sich erste scheinbare „Anomalien“ von Rational Choice. Häufig folgen aus kurzfristig kalkulierten Handlungen nicht intendierte, weil nicht bedachte Folgen, vgl. Esser: Allgemeine Grundlagen, S. 228f.
2.2 Rational Choice als theoretische Alternative
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allgemein gültige Erklärungen zu geben. Gleichzeitig lassen sich aber kaum allgemein gültige Gesetze für die Makroebene finden.53 Das zentrale Anliegen der Soziologie ist es daher laut Coleman zu untersuchen, wie sich die Handlungen einzelner Akteure zu gesellschaftlichen Veränderungen zusammenfügen und wie diese Veränderungen in Umkehr wieder das Verhalten des Einzelnen beeinflussen. Diesen Prozess der Transformation oder Aggregation beschreibt Coleman wie folgt: „It is the process through which individual preferences become collective choices; the process through which dissatisfaction becomes revolution; through which simultaneous fear in members of a crowd turns into a mass panic; through which preferences, holdings of private goods, and the possibility of exchange create market prices [...].“54 Bezogen auf die Frage, die in dieser Arbeit im Vordergrund steht, ließe sich ergänzen: Wie ergeben sich aus den Interessen und dem Handeln einzelner Nonnen, Mönche, Ratsherren, Ordensvertreter, evangelischer Prädikanten und altgläubiger Prediger die beschriebenen Konsequenzen für die Straßburger Klosterlandschaft und wie wirken diese Veränderungen zurück auf die Handelnden? Coleman wie auch die ihm nachfolgenden Vertreter von Rational Choice fordern zur Bearbeitung soziologischer und historischer Fragestellungen einen Dreischritt der Erklärung. Zunächst gelte es, die „Logik der Situation“ zu erfassen. Hierbei wird durch die Beschreibung der Situation des Handelnden eine Verbindung hergestellt zwischen der Makroebene, also der allgemeinen sozialen Situation, und der Mikroebene, der spezifischen Situation des Einzelnen. Darauf folgt die „Logik der Selektion“. In diesem Schritt wird versucht, das individuelle Handeln des Akteurs zu erklären, nämlich, warum er sich für eine bestimmte Handlungsalternative entscheidet. Hier wird eine Verbindung zwischen zwei Elementen auf der Mikroebene hergestellt, zwischen „Akteur“ und „sozialem Handeln“. An dieser Stelle kommt das oben beschriebene allgemeine Handlungsgesetz zum Einsatz. Im dritten Schritt, der „Logik der Aggregation“, werden die Auswirkungen des individuellen Handelns zusammengefasst und zu einem all53
Coleman: Theory of Action, S. 1310. Zur Lösung dieses Problems knüpfte Coleman mit seinen Überlegungen an die frühen Arbeiten von Parsons an. Dessen frühe Theorie war Colemans Meinung nach „fundamental because it allowed connecting intentions of persons with macrosocial consequences. Thus the functioning of society as well as the engine of social change could be grounded in the purposive actions of individuals, taken in particular institutional and structural settings that shaped the incentives and thus the action. Social theory with this kind of grounding made possible a connection between the individual and society, and it even made possible a conception of how social systems might be shaped by human will.“ Parsons verlagerte zu Colemans Verdruss seine Forschungen später auf die Makroebene, nach Colemans Meinung sehr zum Nachteil der Sozialwissenschaften, vgl. ebd, S. 1312ff. 54 Coleman: Theory of Action, S. 1321.
30
2. Theoretische Prämissen
gemeinen Ergebnis aggregiert.55 Der zweite und dritte Schritt können prognostisch sein, eine Charakteristik, die in der Geschichtswissenschaft aber in der Regel entfällt. In der Beschäftigung mit der Vergangenheit ist das Ergebnis ebenso wie die Handlung zumeist bekannt und erfordert lediglich eine Begründung. Die graphische Darstellung dieses Erklärungsmodells wird auch als „Badewanne“ bezeichnet. Abbildung 1: Das struktur-individualistische Modell der Erklärung56
Soziale Situation
Kollektives Explanandum
Logik der Situation
Logik der Aggregation
Akteur
Handlung Logik der Selektion Handlungsgesetz
Die Komplexität der Wirklichkeit kann und soll auf diese Weise nicht abgebildet werden. Weder die Rückwirkungen der veränderten sozialen Situation auf die „Logik der Situation“ sind hier miteinbezogen, noch der
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Einfache Regeln für das Aggregieren von Einzelhandlungen existieren zum Beispiel in Wahlsystemen. Dort lässt sich tatsächlich von den aggregierten individuellen Wahlentscheidungen auf die Sitzverteilung im Parlament schließen. Dieser häufig zitierte Fall ist allerdings eine Ausnahme, zumeist existieren keine „allgemeinen und formalen Regeln“, vgl. Esser: Allgemeine Grundlagen, S. 97. Vgl. für das dreischrittige Vorgehen insgesamt: Coleman: Theory of Action, 1322ff.; Esser: Rational Choice, S. 234f.; Esser: Allgemeine Grundlagen, S. 94ff. Esser bezeichnet dies auch als „Transformation“. Anders als für die Logik der Selektion können für die Transformation laut Esser häufig keine allgemeinen Regeln angegeben werden, sondern müssen von Situation zu Situation individuell analysiert werden. 56 Auch bei Coleman findet sich die Graphik am Beispiel von Max Webers Theorie von protestantischer Ethik und der Entstehung des Kapitalismus, Coleman: Theory of Action, S. 1322. Vgl. zur Tradition der Darstellungsform auch Esser: Allgemeine Grundlage, S. 98f.
2.2 Rational Choice als theoretische Alternative
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Zeitverlauf.57 Problematisch ist dies vor allem für diejenigen Wissenschaftler, die versuchen, mit dem Modell quantifizierend zu arbeiten.58 Aufgrund der Beschaffenheit des Materials und der Fragestellung ist es für diese Arbeit völlig ausreichend, auf der qualitativen Ebene zu verbleiben. Die zentrale Idee ist es, historische Abläufe unter Rückgriff auf die Mikroebene zu erklären, da nur hier allgemeine Gesetze anwendbar sind. Die Mikroebene kann dabei wiederum aus kleineren Systemen bestehen, bis hinunter zu Individuen. Wie weit man „hinabsteigen“ muss, hängt davon ab, wie erklärungswirksam die Untersuchung von Subsystemen sein kann.59 Da beide Ebenen in der Rational-Choice-Theorie verknüpft werden, ist es nicht notwendig, an dieser Stelle die in der Geschichtswissenschaft Anfang der siebziger Jahre virulente Debatte zwischen Strukturalisten und historischen Anthropologen wieder aufzunehmen, zumal auch hier inzwischen versöhnende Positionen gefunden wurden.60 Auch in dieser Arbeit kann und soll nicht die individuelle Situation jedes Mönchs und jeder Nonne untersucht werden. Auch für alle gemeinsam relevante Charakteristika ihrer Konvente und ihrer Umwelt können interessant sein. Für den Historiker, der seine Daten nicht beliebig erheben kann, sind hier die Grenzen der Überlieferung ausschlaggebend. Der handlungstheoretische Ansatz von Rational Choice hat auch scharfe Kritik hervorgerufen. Was von den Vertretern der Theorie als großer Vorteil gesehen wird – das einfache und allgemein anwendbare Handlungsge57
Vgl. Kunz: Rational Choice, S. 24. Es sind bereits verschiedene Versuche gemacht worden, das Modell zu erweitern und operationalisierbar zu machen. Zumindest, so Esser, müsse man sich in der Realität eine Vielzahl von „Badewannen“ hintereinander vorstellen. Vgl. Esser: Allgemeine Grundlagen, S. 102ff. Auch eine vertikale Ergänzung des Modells, etwa durch eine Meso-Ebene ist möglich (Mehr-Ebenen-Modell), vgl. Esser: Allgemeine Grundlagen, S. 112ff. 58 Es gibt vielfältige Versuche, das Handlungsgesetz und die „Badewanne“ zu formalisieren und quantitativ anwendbar zu machen, vgl. für Beispiele Coleman: Grundlagen der Sozialtheorie, Bd. 3, S. 46ff. Für eine historische Anwendung vgl. z.B. Avner Greifs Formalisierung der Handlungsmöglichkeiten genuesischer Handelsgilden, Greif: Institutions, S. 110ff. Greifs Werk bietet zahlreiche mathematisch formalisierte Darstellungen verschiedener Handlungsabläufe. 59 Vgl. Coleman: Grundlagen der Sozialtheorie, S. 3ff. 60 Die Debatte, an der unter anderem Hans-Ulrich Wehler, Wolfgang J. Mommsen, Jürgen Kocka und Richard von Dülmen beteiligt waren, fand zwischen den Mikro- und Alltagshistorikern auf der einen und den klassischen Sozialhistorikern auf der anderen Seite statt und drehte sich um die Frage, ob eher Individuen oder Strukturen Motoren historischer Prozesse seien, vgl. für eine Zusammenfassung der Debatte Landwehr: Struktur oder Handlung, S. 325ff. und Müller: Das Individuelle und das Allgemeine, der die Debatte bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgt und letztlich Struktur und Individuum bis in die Jetztzeit als konkurrierende Ansätze betrachtet.
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2. Theoretische Prämissen
setz – wurde als tautologisch, simplizistisch, und inhaltsleer bezeichnet.61 Ein guter Teil der Kritiker bezieht sich auch auf das aus der Ökonomie entlehnte Menschenbild, von dem der Ansatz ausgeht. Lindenberg reformuliert die Kritik und spitzt sie zu: „This homunculus [der homo oeconomicus] is seen as an atomistic unit endowed with materialistic cravings, sly, fully informed and utterly indifferent to the happiness of others (unless, of course, he can gain from this happiness). The cutthroat robber baron of the 19th century would come closest to this construction [...].“62 Diese Kritik wirft den Vertretern des Ansatzes vor, die Motive der Handelnden auf „harte“ Anreize wie Geld und andere materielle Interessen zu reduzieren und psychische, moralische und emotionale Faktoren zu vernachlässigen.63 Bis Ende der achtziger Jahre gab es auch innerhalb der Rational-ChoiceFraktion eine Diskussion darum, welche Anreize handlungsleitend seien. Ein Teil der Theoretiker wie etwa Olson (1965) ging zunächst davon aus, dass eher harte, also in erster Linie materielle Anreize das Handeln bedingen würden.64 Dagegen wandte sich aber schon Karl-Dieter Opp, der anhand empirischer Studien zeigte, dass gerade auch „weiche“ Anreize wie Normen und Werte handlungsleitend sein können.65 Moderne Vertreter von Rational Choice, wie etwa Kunz und Esser, gehen von einer „grundsätzlichen Offenheit von Rational Choice für unterschiedliche Motive“ aus und weisen damit einen der Kernpunkte der Kritik zurück.66 Handlungsleitend sei die „Rationalität aus Sicht des Akteurs und nicht eine angenommene, vom Beobachter gesetzte oder ‚objektive‘ Rationalität.“67 Menschen, so Esser an anderer Stelle, würden eben nicht naturgesetzartig immer gleich agieren, sondern mit jeder Handlung einen subjektiven Sinn verbinden.68 61
Vgl. für einen Überblick (und für Entkräftungen) Kunz: Rational Choice, S. 134ff. Pointierte Kritik haben unter anderem geäußert: Denzin: Reading Rational Choice Theory; Green/Shapiro: Pathologies of Rational Choice Theory; Strubar: Grenzen des Rational-Choice-Ansatzes und Zey: Criticisms of Rational Choice Models. 62 Lindenberg: New Political Economy, S. 100. 63 Vgl. Kunz: Rational Choice, S. 134ff. Denzim etwa vermisst den Aspekt der Emotionalität, vgl. Reading Rational Choice Theory, S. 172ff.; Green und Shapiro: Pathologies fordern die Berücksichtigung von psychologischen Faktoren und von moralischethischen Überzeugungen, vgl. Pathologies. 64 Vgl. Olson: Logik kollektiven Handelns, 1965, S. 59ff. Olson räumt hier ein, dass soziale Anreize in kleinen Gruppen eine ebenso wichtige Rolle spielen können wie materielle Anreize. Je größer aber die Gruppe und je abstrakter ihr Zusammenhalt, je mehr spielen materielle Anreize eine Rolle, so Olson. Vgl. dazu auch Zey: Criticisms, S. 15ff. 65 Vgl. Opp: Soft incentives, S. 87ff. Vgl. zur Bedeutung von Normen und Sanktionen auch Coleman: Grundlagen der Sozialtheorie, S. 311ff. 66 Kunz: Rational Choice, S. 147. 67 Esser: Rational Choice, S. 240, Hervorhebungen im Original. 68 Esser: Allgemeine Grundlagen, S. 83.
2.2 Rational Choice als theoretische Alternative
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Das Besondere für die Soziologie und auch für die Geschichtswissenschaft ist in diesem Zusammenhang, dass aus mentalen, subjektiven Einstellungen und Einschätzungen sichtbare Ereignisse und Handlungen in der „realen“ Welt erwachsen: „If men define situations as real, they are real in their consequences.“69 Der Akteur erzeugt eine subjektiv wahre „Konzeption“ von Wirklichkeit, nach der er handelt. Die Konsequenzen seines Handelns sind real, ganz gleich, ob seine subjektive Konzeption der Wirklichkeit entspricht oder nicht.70 Dabei kann dem beobachtenden Soziologen oder Historiker das Handeln einer Person durchaus „irrational“ im alltagssprachlichen Verständnis des Wortes vorkommen. Erscheine dem Beobachter eine Handlung als unvernünftig, so liege dies zumeist daran, dass er den Standpunkt des Akteurs noch nicht durchdrungen habe, meinte schon Coleman.71 In dieser grundsätzlichen Offenheit oder, mit den Worten der Kritiker, „Inhaltsleere“ der Theorie liegt der große Vorteil des Ansatzes für Historiker bei der Untersuchung vormoderner Epochen. Es gilt, unter Berücksichtigung aller verfügbaren Informationen, das heißt sowohl kultureller als auch materieller Faktoren, zu versuchen, die subjektive Weltsicht der Akteure zu rekonstruieren, um ihr Handeln zu erklären. So lässt sich die Sinnhaftigkeit von Handlungen aufzeigen und hermeneutisch erfassen, die dem modernen Menschen nur absurd erscheinen können – wie etwa die der Geißelfahrten des Pestzeitalters oder die der Hexenverfolgungen des 16. und 17. Jahrhunderts.72 Das Verfahren, die subjektive Weltsicht der Akteure zu rekonstruieren, wird im Rahmen von Rational Choice auch als „Konstruktion von Brückenannahmen“ oder „Definition der Situation“ bezeichnet.73 Zur Erhe69
Dieser als Thomas-Theorem bekannt gewordene Satz findet sich in William I. und Dorothy S. Thomas: „The Child in America“ (1928), S. 572. Vgl. dazu auch Esser: Definition der Situation, S. 3. 70 Vgl. Esser: Definition der Situation, S. 4f. nach Ideen von William I. Thomas und Florian Znaniecki. 71 Vgl. Coleman: Grundlagen der Sozialtheorie, S. 22. Auch Kunz ist der Meinung, dass die meisten der dem Rational-Choice-Ansatz vorgeworfenen, empirisch beobachteten „Anomalien“ sich auf Wahrnehmungsfehler der Akteure zurückführen lassen. Bei einer korrekten Rekonstruktion der subjektiven Wahrnehmung der Akteure würden deren Wahrnehmungsfehler deutlich werden, die Handlung erscheine dann nicht mehr irrational, vgl. Kunz: Rational Choice, S. 134ff. 72 Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass bei dieser Rekonstruktion sowohl kulturelle als auch materielle Faktoren berücksichtigt werden müssen. Vgl. für einen ersten Versuch, die in der Soziologie traditionell opponierenden Stränge der Idealisten und Materialisten zu integrieren, Lindenberg: Rationalität und Kultur, S. 249ff. 73 Vgl. Kunz: Rational Choice, S. 104. Selbst eingefleischten Vertretern von Rational Choice ist bewusst, dass die Erstellung und Auswahl dieser Definition der Situation von
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2. Theoretische Prämissen
bung der entsprechenden strukturellen und individuellen Faktoren stehen unterschiedliche Methoden bereit.74 So kann etwa eine historische Erzählung als Brückenhypothese gelten. Solche Erzählungen, die auch als „analytic narratives“ bezeichnet werden, versuchen, die subjektive Situation der historischen Akteure und ihre Interessen nachzuzeichnen.75 Die Erzählung selbst wiederum ist eine herkömmliche und bewährte Methode historischen Arbeitens. Zwar war sie zeitweilig von strukturalistischen Ansätzen verdrängt worden, ist aber in jüngerer Zeit wiederentdeckt worden.76 Dass Narrativisten implizit und explizit auf denselben Grundlagen wie Rational Choice aufbauen, hält Kiser für selbstverständlich: „The most obvious basis for the elective affinity between narrative and rational choice is that both focus on individual choice and action.“77 Ebenso wie in der klassischen Narrative zerfällt die Rational-Choice-Erklärung in einen Strang von Einzelhandlungen, die erst in ihrer Zusammenschau für Makrophänomene verantwortlich gemacht werden. Sowohl in der klassischen Narration als auch in der Rational-Choice-Erklärung werden historische Prozesse demnach anhand von einzelnen Handlungsentscheidungen erzählt. Erzäh-
den Handelnden nicht jedes Mal von Neuem erfolgt, sondern dass gerade im Alltag häufig auf standardisierte Konzeptionen zurückgegriffen wird. Dieses auch „framing“ genannte Phänomen wird in einem eigenen Forschungszweig untersucht, vgl. Esser: Defintion der Situation, S. 12ff. Das beschriebene menschliche Verhalten ist auch empirisch belegbar und stellt aus der Sicht von Esser keine grundlegende Bedrohung der Annahme von Rationalität dar, lässt es sich doch selbst als rationales Handeln verstehen, vgl. Esser: Definition der Situation, S. 30. Es belegt, dass das automatische Abspulen erlernter Verhaltensweisen vor allem in alltäglichen Situationen erfolgt, deren Handlungskonsequenzen gering sind (low-cost-Situationen), vgl. Fazio: Multiple Processes; vgl. auch Lindenberg: Rationalität und Kultur, S. 267ff. 74 Möglich sind etwa der Rückgriff auf „Common-Sense-Wissen“, die analytische Setzung von Hypothesen oder die empirische Erhebung, vgl. Kunz: Rational Choice, S. 104ff. Auch hier bieten sich Anknüpfungspunkte für weitere, speziellere Theorien. So kann hier die „Strukturbindung“ der Akteure berücksichtigt werden. Das „Schwellenwertmodell“ geht etwa davon aus, dass ein Individuum seine Handlung erst vollzieht, wenn genügend andere Personen einer Bezugsgruppe ähnlich gehandelt haben, vgl. Granovetter: Threshold Models of Collective Behavior. 75 Vgl. Bates et al.: Analytic Narratives. 76 Nach einer Phase, in der die strukturalistischen, funktionalistischen und quantitativen Methoden der Annales-Schule und der amerikanischen „cliometricians“ diese Methode verdrängt hatten, erlebte und beschrieb Lawrence Stone gegen Ende der 70er Jahre ihre Wiederbelebung. Darin sah er auch eine inhaltliche Wende, zurück zu einer stärkeren Fokussierung auf das Individuum, vgl. Stone: The Revival of Narrative, S. 23. 77 Kiser: The Revival of Narrative, S. 324. Vgl. zur Debatte um Narrativismus und Rational Choice auch Roberts: Introduction und Marx: Geschichtswissenschaft und Politikwissenschaft.
2.3 Schlussfolgerungen und Vorgehen
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lung und Erklärung gleichen sich in ihrer Struktur. In der historischen Erzählung kommt lediglich die Chronologie hinzu.78
2.3 Schlussfolgerungen und Vorgehen 2.3 Schlussfolgerungen und Vorgehen
Rational Choice scheint in vielerlei Hinsicht einen viel versprechenden Ansatz für die vorliegende Untersuchung zu bieten. 1. Aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive könnte Rational Choice einen Weg aus dem beschriebenen diskursiven Dilemma weisen. Da Rational Choice den Akteur als erklärendes Moment betrachtet, ist es möglich, wie etwa von Lyndal Roper gefordert, „von handelnden Menschen zu sprechen“.79 Gleichzeitig lassen sich mit der Theorie strukturelle und diskursive Elemente berücksichtigen, die in die Rekonstruktion der Situation des Akteurs einfließen. Aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive ist dies bedeutsam, da so das Paradigma der Gender Studies, die Annahme der sozialen Konstruktion von Geschlechtsidentitäten, aufrechterhalten werden kann. Hinter diese Kernannahme zurückzuweichen, hieße, sich wieder einem naturdeterministischen Verständnis von „Geschlecht“ zuzuwenden. Dieser Schritt wird durch bisherige Studien der Gender-Forschung nicht gerechtfertigt, erwies sich doch die Hypothese der sozialen Konstruktion bislang als fruchtbar. Dass Geschlecht zeit- und raumabhängig sozial konstruiert wird, wurde vielfältig nachgewiesen. Rational Choice kann darüber hinaus, indem es den dekonstruktivistischen Ansatz integriert und ergänzt, Anomalien erklären, wie etwa das Abweichen einzelner Individuen von dominierenden Diskursen. In diesen Fällen muss nach Handlungsanreizen gefahndet werden, die die diskursiven Restriktionen außer Kraft zu setzen vermochten. 2. Rational Choice basiert auf einer struktur-individualistischen Methode, das heißt, die Erklärung erfolgt durch eine Verknüpfung von Mikro- und Makroebene, zwischen Individuum und Umwelt. Indem sich die vorliegende Arbeit an dieser Methode orientiert, wird einem doppelten Forschungsdesiderat Rechnung getragen.80 78
Vgl. Kiser: The Revival of Narrative, S. 325. Roper: Jenseits des linguistic turn, S. 462. 80 Für die Allgemeine Geschichte ist die struktur-individualistische Perspektive ebenfalls in jüngerer Zeit von prominenter Seite gefordert worden, vgl. etwa Schilling: Disziplinierung oder Selbstregulierung, S. 632ff. (2002). Auch Martin Heckel stellt 2005 fest: „Geschichte wird nicht nur von den großen überindividuellen Bewegungen geformt, sondern auch unerwartet und unberechenbar bestimmt von der Freiheit menschlichen Wollens und vom unbegreiflichen Zufall.“ Heckel: Konfessionalisierung in Koexistenz79
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2. Theoretische Prämissen
Erstens lässt sich so die Forderung der modernen Geschlechtergeschichte nach einer stärkeren Verzahnung von Allgemeiner Geschichte und Geschlechtergeschichte erfüllen. Zweitens ergibt sich das Desiderat eines struktur-individualistischen Ansatzes aus der bisherigen Forschung zu Klöstern in der Reformationszeit, die in der Regel entweder auf die Mikrooder auf die Makroebene fokussierte. Eine Studie, die beide Ebenen verknüpft, steht, wie oben gezeigt, noch aus. 3. Ein dritter Vorteil aktueller Varianten von Rational Choice liegt darin, durch die Rekonstruktion der subjektiven Rationalität von Individuen auch „weiche“ Handlungsanreize, zum Beispiel religiöse, emotionale und psychologische Motive, berücksichtigen zu können. Damit lässt sich gerade im konfessionellen Zeitalter das Handeln vormoderner Individuen erklären, ohne ihnen „Irrationalität“ unterstellen zu müssen. Die Gefahr von anachronistischen Interpretationen von Handlungsmotiven lässt sich verringern. Im Folgenden möchte ich aus den genannten Gründen den beiden ersten Schritten des Dreischritts der Erklärung nach der Rational-Choice-Theorie folgen.81 Zuerst gilt es, die Religiosen in ihrer politischen, rechtlichen, konfessionellen und wirtschaftlichen Umwelt zu betrachten, also als Teil von Strukturen und Organisationen, die ihre Handlungsmöglichkeiten begrenzten, oder aber auch Handlungsmöglichkeiten eröffneten. Damit wird der Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen individuelle Entscheidungen überhaupt erwartbar sind. Unter bestimmten Umständen, so wird gezeigt werden, konnten frühneuzeitliche Religiose durchaus frei sein, über Austritt oder Verbleib im Kloster zu entscheiden. Wie diese Umstände bedingt waren, und welche individuellen Interessen eine Entscheidung für oder gegen den Klosteraustritt motivierten, ist die Kernfrage dieser Arbeit. Die Studie gliedert sich demnach in zwei Teile. Der erste Hauptteil (Kapitel vier bis acht) klärt in einer klassischen landesgeschichtlichen Studie die Rahmenbedingungen, unter denen die Religiosen handelten, es wird die „Logik der Situation“ erfasst. Dies ist notwendig, um die individuellen Wahrnehmungswelten zu erschließen, in denen sich die handelnden Mönnöten, S. 653. Auf Rational Choice rekurrieren bislang explizit aber nur wenige Historiker. Vgl. für einen interessanten Ansatz Frings: Sowjetische Schriftpolitik (2007) und Greif: Institutions, der Theorien rationalen Handelns auf die mittelalterlichen Handelsnetze Genuas und des Maghreb untersucht (2006). Vgl. auch die Beiträge von Ewert, Roehl, Uhrmacher, Schläppi und Wolf in Bd. 32/2007 von Historical Social Research/Historische Sozialforschung. 81 Der dritte Schritt, die „Logik der Aggregation“ entfällt, da das Ergebnis bekannt ist und so zum Ausgangspunkt der historischen Untersuchung wird.
2.3 Schlussfolgerungen und Vorgehen
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che und Nonnen bewegten. Somit wird die Grundlage für das Eintauchen in die Introspektive im zweiten Hauptteil gelegt. Es geht darum, strukturelle und diskursive Restriktionen und Handlungsrahmen der Akteure zu erfassen, aber auch durch die Außenwelt bedingte konstituierende Elemente der Selbstwahrnehmung der Religiosen. Dazu sollen zum einen kurz die in der Forschung bereits umfassend behandelten relevanten Diskurse noch einmal wiedergegeben werden. Dabei handelt es sich vor allem um den Kloster- und den Geschlechterdiskurs. Beide Diskurse waren im 16. Jahrhundert infolge der Reformation einem Wandel unterworfen und hatten starken Einfluss auf die Selbstwahrnehmung der Akteure. Neben den Diskursen spielten für die Handlungsmöglichkeiten der Nonnen und Mönche aber auch rechtliche und politische Restriktionen eine bedeutende Rolle. Daher wird in Kapitel fünf die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates behandelt, die in diesem Umfang noch nicht dargestellt worden ist. Der Straßburger Rat wird dabei selbst wiederum als Restriktionen unterworfener Akteur betrachtet. Diese Restriktionen sind im Fall Straßburgs vor allem im Reichsrecht sowie im Einfluss des Kirchenkonventes auf die städtische Politik zu suchen. Deutlich konkretere Verknüpfungen zwischen den Konventen und ihrer Umwelt ergeben sich durch die Einbettung der Konvente in die städtische Gesellschaft. Mit Hilfe der prosopographischen Methode werden die Verknüpfungen (oder eben Nicht-Verknüpfungen) zwischen den Klöstern und der städtischen Gesellschaft in Kapitel sechs dargestellt. Für die Selbstwahrnehmung der Konvente als Teil der städtischen Gemeinschaft spielt die Erschließung dieses Beziehungsgeflechtes eine ebenso große Rolle wie für das Ausloten von Handlungsspielräumen, dienten doch, so kann gezeigt werden, Familienmitglieder als Mittler der Interessen der Gemeinschaften. Kapitel sieben und acht widmen sich den Rahmenbedingungen, die sich für das Handeln der Nonnen und Mönche aus ihren Beziehungen zu den Orden und aus den sich deutlich wandelnden wirtschaftlichen Bedingungen des 16. Jahrhunderts ergeben. Gerade die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, so wird gezeigt werden, hatten erheblichen Einfluss auf die Handlungsspielräume und das Sicherheitsempfinden der Konventualen. Im zweiten Hauptteil (Kapitel neun und zehn) steht das „Ich“ im Fokus. Im Sinne der „Logik der Selektion“, dem zweiten Schritt der Rational-ChoiceErklärung, soll nun vor der Folie der im ersten Teil erschlossenen Wahrnehmungswelt der Mönche und Nonnen ihr Handeln auf der individuellen Ebene erklärt werden. Es geht darum, die subjektive Rationalität der Nonnen und Mönche zu durchdringen. Da im Falle von Religiosen Bekenntnis, Identität und Alltagspraxis besonders eng verknüpft waren, konzentriert sich Kapitel neun auf diese drei Aspekte und ihre Interdependenz.
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2. Theoretische Prämissen
Zunächst werden verschiedene Facetten der Identität von Nonnen und Mönchen untersucht, die im 16. Jahrhundert starken Kontingenzen ausgesetzt waren: Die Geschlechtsidentität sowie die konfessionelle und die Standesidentität. Am Beispiel der Klöster St. Nikolaus und St. Magdalena wird außerdem nach religiösen Ursachen des größeren Widerstands der Frauenklöster gegen die Reformation gefragt. In einem weiteren Unterkapitel wird versucht, aus den bekannten Lebenswegen von Nonnen und Mönchen Rückschlüsse auf alltagspraktische Handlungsrestriktionen zu ziehen. Außerdem werden die Individuen in ihrer unmittelbarsten Umwelt, der Klostergemeinschaft, betrachtet. Während dieses auf das „Ich“ fokussierende Kapitel vor allem die Entscheidung zwischen Klosteraustritt und Verbleib behandelt, sich also mit Mönchen und Nonnen in der Frühphase der Reformation beschäftigt, widmet sich Kapitel zehn denjenigen, die sich bereits für das Bleiben im Kloster entschieden haben. Untersucht wird, mit welchen Strategien die Nonnen und Mönche des 16. Jahrhunderts ihre Lebensweise verteidigten. Hier geht es auch darum, vor dem Hintergrund der „Logik der Situation“ die Handlungsmöglichkeiten und -grenzen der Religiosen aufzuzeigen. Dem Schwerpunkt auf geschlechtergeschichtliche Fragestellungen wird in beiden Hauptteilen durch gesonderte Zusammenfassungen Rechnung getragen, die die im Rahmen der einzelnen Kapitel erarbeiteten, geschlechtergeschichtlichen Teilergebnisse verdichten und ergänzen. Enthält das Kapitel bereits eine explizite Auseinandersetzung mit der Thematik, entfallen diese Zusammenfassungen.
Kapitel 3
Das Fallbeispiel Straßburg. Überblick, Überlieferung und Forschungslage Die Reichsstadt Straßburg bietet sich aus mehreren Gründen für die Untersuchung der dargelegten Fragestellung besonders an. Erstens ist die Quellenlage zur städtischen Geschichte wie auch zu den Klöstern im 16. Jahrhundert außergewöhnlich gut. Aufgrund dieser günstigen Voraussetzung hat die Straßburger Reformationszeit außerdem seit vielen Jahrzehnten ein reges Interesse in der Frühneuzeitforschung gefunden, so dass die Straßburger Reformationsgeschichte im Allgemeinen als sehr gut aufgearbeitet gelten kann. Schließlich bietet Straßburg mit seiner ebenfalls ungewöhnlich großen Vielfalt an unterschiedlichen monastischen Gemeinschaften ein geradezu modellhaftes Untersuchungsfeld. Im Folgenden soll zur Orientierung ein knapper Überblick über die Straßburger „Klosterlandschaft“1 und ihren Wandel im 16. Jahrhundert gegeben und anschließend die Quellen- und Forschungslage dargestellt werden. Den einleitenden Teil muss eine Klärung der Ordenszugehörigkeit des Klosters St. Magdalena abschließen, da sich hierzu in der Literatur bislang widersprüchliche Angaben finden.
3.1 Die Straßburger Klosterlandschaft im Umbruch 3.1 Die Klosterlandschaft im Umbruch
Insgesamt besaß die Reichsstadt Straßburg im späten Mittelalter ein sehr lebendiges religiöses Leben und eine außergewöhnlich diversifizierte „Klosterlandschaft“. Die Stadt mit ihren etwa 20.000 Einwohnern unterhielt im 13. und 14. Jahrhundert nicht weniger als 21 Klöster im engeren Sinne2 – ausgenommen die Stifts- und Semireligiosengemeinschaften.3 1
Der Begriff der Klosterlandschaft wird sehr vielfältig verwendet, besonders häufig im Zusammenhang mit zisterziensischer Landschaftserschließung. Unter „Klosterlandschaft“ soll hier aber nicht eine durch Klöster gebildete oder geprägte mehr oder minder virtuelle Kulturlandschaft verstanden werden. Der Begriff bezeichnet einfach die Summe der Klöster im Straßburger Stadtgebiet. Vgl. zum Begriff der Klosterlandschaft Czaja: Klosterlandschaften und den Beitrag von Franz Felten in dem voraussichtlich 2009 erscheinenden Band zum Landschaftsbegriff von Harald Müller und Heidrun Ochs. 2 Vgl. Rapp: Réformes et Réformation, S. 397. Nach Einschätzung von Sigrid Schmitt besaß die Stadt im späten Mittelalter „das wohl breiteste Angebot an religiösen Gemein-
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3. Das Fallbeispiel Straßburg
Aufgrund von zumeist kriegsbedingten Zusammenlegungen von Gemeinschaften bestanden von diesen Klöstern zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch 15, sieben Frauen- und acht Männerklöster.4 Unter den Männerklöstern sind zunächst die wie so häufig in den Städten besonders präsenten Bettelordensgemeinschaften zu nennen.5 Dominikaner, Franziskaner, Augustiner-Eremiten und Karmeliter unterhielten Häuser in der Reichsstadt.6 1335 wurde darüber hinaus am Westende der Vorstadt Koenigshofen eine Kartause gegründet, die, anders als die meisten Klöster extra muros, bis zu ihrer Schließung außerhalb der Stadtumfriedung verblieb.7 Des Weiteren zählten zu den Straßburger Männerklöstern zwei Ritterhäuser, ein Deutschordenshaus und eine Johanniterkommende. Während über das schaften für Frauen in einer Stadt des Deutschen Reichs überhaupt“, Schmitt: Straßburger Frauenkonvente, S. 72. 3 Vgl. für einen Überblick über die Beginengemeinschaften Schmitt: Geistliche Frauen; Pfleger: Kirchengeschichte, S. 89ff. Vgl. zu den Straßburger Beginen auch Patschovsky: Straßburger Beginenverfolgung; Phillips: Beguines in Medieval Strasbourg; von Heusinger: Beginen am Mittel- und Oberrhein zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Unter den Stiftsgemeinschaften sind das Regularkanonikerstift St. Arbogast sowie die Säkularstifte St. Thomas, Alt-St. Peter und Jung-St. Peter, das Domkapitel und das Damenstift St. Stephan zu nennen. Vgl. für einen Überblick die jeweiligen Artikel und Kapitel in Barth: Elsässische Kirchen; Pfleger: Kirchengeschichte und Kothe: Kirchliche Zustände. 4 An dieser Stelle sollen die Geschichten der einzelnen Gemeinschaften nicht ausführlich dargestellt werden, da dies für fast alle Gemeinschaften an anderer Stelle nachzulesen ist. Vgl. für die Geschichten der Frauengemeinschaften Schmitt: Geistliche Frauen, S. 405ff. Einen Überblick über die Klöster sowie die ältere Literatur bieten Barth: Elsässische Kirchen; Pfleger: Kirchengeschichte und Kothe: Kirchliche Zustände. Vgl. für weitere Literaturangaben zu den einzelnen Gemeinschaften die Anmerkungen im folgenden Abschnitt. 5 Vgl. für interessante Anmerkungen zum Diktum von Isnard W. Frank, die Bettelorden hätten sich nur in den genuin städtischen Wirtschaftsformen entwickeln können Rüther: Bettelorden, S. 183ff. Er kann zeigen, dass die Orden mit abnehmender Strenge des Besitzverbotes auch mit klassischen Formen des Landbesitzes wirtschafteten. 6 Sie wurden in den Jahren 1224 (Dominikaner), 1222 (Franziskaner) und 1265 (Augustiner-Eremiten) gegründet. Über die Frühphase der Geschichte des Klosters der Karmeliter ist nicht viel bekannt, auch kein genaues Gründungsdatum. Vgl. zu den Klöstern der Bettelorden vor allem die jüngere Monographie von Rüther: Bettelorden (1997) und den Aufsatz von Rapp: Mendikanten und Straßburger Gesellschaft (1981). Knappe Klostergeschichten finden sich in Barth: Elsässische Kirchen und Pfleger: Kirchengeschichte. Vgl. zu den Dominikanern auch Schmidt: Notice. Mit der Gemeinschaft der Franziskaner hat sich Rapp eingehender in verschiedenen Aufsätzen beschäftigt, vgl. Rapp: Franciscains et Réformation; ders.: Straßburg – Franziskaner. 7 Vgl. zur Baugeschichte, zum Bauplatz, zur genauen Lage der Gebäude und zur Klostergeschichte Passmann: Kartause. Außer der Kartause blieb nur das Regularkanonikerstift St. Arbogast außerhalb der Mauern. Vgl. zur spätmittelalterlichen Geschichte der Kartause auch die ältere Literatur, etwa Hug: Visitationsrezess (Edition mit Anmerkungen); Barth: Strassburger Kartause als Mutterkloster und Ingold: Les Chartreux en Alsace.
3.1 Die Klosterlandschaft im Umbruch
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Deutschordenshaus mangels Quellen fast nichts bekannt ist,8 ist die Quellenlage für die Geschichte der Johanniterkommende günstig. Der Insellage geschuldet ist ihr Beiname „Zum grünen Wert“ oder „viridis insula“. Das Straßburger Haus war eine Priesterkommende mit zwei Standorten, Straßburg und Schlettstadt.9 Einige wenige Hinweise finden sich darauf, dass bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts in Straßburg auch ein Haus der Antoniter bestand. Über die Auflösung dieser Gemeinschaft, Austritte, Pensionsforderungen oder die Übergabe von Gütern zu Beginn der Reformation, die sich in den Ratsprotokollen finden müssten, gibt es allerdings keine Hinweise. Lediglich Grandidier gibt an, die Kirche sei 1529 vom Rat geschlossen worden. Dass zu diesem Zeitpunkt aber noch eine Gemeinschaft existierte, scheint angesichts fehlender Belege unwahrscheinlich.10 Ebenfalls zu den kleineren Klöstern der Stadt gehörte das 1298 gegründete Kloster der Wilhelmiten, über das allerdings ebenfalls nicht viel bekannt ist.11 Die zahlreichen Straßburger Frauenklöster wurden zum größten Teil während der religiösen Bewegung des 13. Jahrhunderts gegründet. Zunächst sind die beiden Klarissenklöster zu nennen, St. Klara auf dem Wert und St. Klara am Rossmarkt.12
8
Aufgrund des Mangels an Quellen fehlen Abhandlungen zum Deutschordenshaus. Vgl. lediglich die kurzen Beiträge in Pfleger: Kirchengeschichte, S. 84 und Barth: Elsässische Kirchen, Sp. 1363. 9 Vgl. Rödel: Großpriorat Deutschland, S. 181. Auf der Insel existierte ein Vorgängerbau, eine Filiation der Benediktinerabtei Altdorf, deren Gebäude Merswin für die Klostergründung kaufte, vgl. Pfleger: Kirchengeschichte, S. 76. Vgl. zur Frage, ob Schlettstadt als „membrum“ des Straßburger Hauses gelten kann ebd., S. 193f. und Barth: Elsässische Kirchen, Sp. 1393ff. Die Literatur zur Johanniterkommende wird ansonsten dominiert von Fragen zum legendären Mystiker und Gründer Rulman Merswin, vgl. dazu u.a. Grandidier: Nouvelles Œuvres; Denifle: Dichtungen des Gottesfreundes; Rieder: Gottesfreund vom Oberland und in jüngerer Zeit Wand-Wittkowski: Mystik und Distanz. 10 Die wenigen Hinweise darauf, dass ein Antoniterkloster überhaupt existierte, sind vereinzelte Stiftungsurkunden aus dem 14. Jahrhundert. Alle Belege aus dem 15. Jahrhundert beziehen sich auf die Kirche. Laut Pfleger und Barth wurde die Kirche 1446 erweitert, vgl. Pfleger: Kirchengeschichte, S. 83 und Barth: Elsässische Kirchen, Sp. 1241. Laut Mariotte: Sources manuscrites, S. 215 existiert noch ein Inventar des ehemaligen Klosterarchivs. Kothe: Kirchliche Zustände, S. 41ff. erwähnt die Antoniter gar nicht. 11 Vgl. zur Geschichte des Klosters der Wilhelmiten Kothe: Kirchliche Zustände, S. 43; Barth: Elsässische Kirchen, Sp. 1516 und Pfleger: Kirchengeschichte, S. 83. Rüther plädiert dagegen, die Straßburger Wilhelmiten, wie Kothe, zu den Bettelordensklöstern zu zählen, vgl. Rüther: Bettelorden, S. 89ff. 12 Vgl. Barth: Elsässische Kirchen, Sp. 1391 und Schmitt: Geistliche Frauen, S. 45ff. und besonders S. 154ff.
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3. Das Fallbeispiel Straßburg
Bis 1352 entstanden darüber hinaus nicht weniger als sieben Dominikanerinnenklöster in der Stadt,13 von denen am Anfang des 16. Jahrhunderts nach mehreren kriegsbedingten Zusammenlegungen noch vier existierten: St. Margaretha, St. Marx, St. Nikolaus und St. Katharina.14 In den siebziger Jahren des 14. Jahrhunderts versuchten drei der Konvente, St. Katharina, St. Marx und St. Nikolaus, den Dominikanerorden zu verlassen und sich dem Bischof direkt zu unterstellen, womöglich, um den Status von Kanonissen zu erlangen.15 Dieser Versuch schlug allerdings fehl. Nur St. Marx gelang es 1518, zumindest formal für einige wenige Jahre bis zur Auflösung des Klosters aus dem Orden exemt zu werden.16 Schließlich ist das Reuerinnenkloster St. Magdalena zu nennen, auf das unten noch einmal näher eingegangen wird. Nicht nur aufgrund der großen Anzahl der Straßburger Klöster war die Stadt um 1500 ein wichtiger Standort sakraler Gemeinschaften, auch aus Perspektive der Orden hatte sie Bedeutung. Zwar konnten nur wenige Gemeinschaften in Straßburg für die Observanzbewegung gewonnen werden. Lediglich die Dominikanerinnenklöster St. Agnes, St. Nikolaus und St. Margaretha und das Reuerinnenkloster St. Magdalena wurden im 15. Jahrhundert reformiert.17 St. Katharina, das ebenfalls dominikanisch war, kann wohl nach einem späten Reformversuch 1492/1493 zumindest als regeltreuer gelten.18 Darüber hinaus war in der Kartause, die wie der gesamte Orden keine Reformbewegung kannte, das spirituelle Leben wohl bis in das 15. Jahrhundert intakt.19 Die männlichen Bettelordenskonvente hinge13
St. Agnes, St. Elisabeth, St. Johannes Baptist, St. Katharina, St. Margaretha, St. Nikolaus und St. Marx, vgl. Barth: Elsässische Kirchen, Sp. 1369ff. St. Marx spielte eine besondere Rolle für die Ausweitung des Ordens in der Provinz Teutonia. Die constitutiones des Klosters wurden von vielen Konventen übernommen, die Nonnen wurden in neu entstehende Klöster geschickt, vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 31ff. 14 Vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 31ff.; Barth, Elsässische Kirchen, Sp. 1369ff. und Pfleger: Kirchengeschichte, S. 88. St. Agnes war in St. Margaretha, St. Johannes in St. Marx und St. Elisabeth zum Teil in St. Nikolaus sowie in St. Marx aufgegangen. 15 Vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 123ff. und Rapp: Réformes et Réformation, S. 106. 16 Vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 69. 17 Vgl. zu den Dominikanerinnen Meyer: Buch Reform Predigerordens, S. 80ff. Vgl. zu dieser Reform ausführlich die Analyse von Schmitt: Geistliche Frauen, S. 227ff. Vgl. zu St. Magdalena Barth: Elsässische Kirchengeschichte, Sp. 1375ff. 18 Annette Barthelmé betonte, dass die Observanz nicht eingeführt worden sei, vgl. Barthelmé: Réforme dominicaine. Dies sei aber nicht das Ziel der Reform im Kloster gewesen, so Wittmer. Zumindest müsse man von einer „halben Reform“ ausgehen, vgl. Wittmer: Reformversuche, S. 423. So auch Sigrid Schmitt, die allerdings auch auf die dünne Quellenlage verweist, vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 469ff. 19 Vgl. Passmann: Kartause IV, S. 143f. und Pfleger: Kirchengeschichte, S. 84f. Die Visitatoren, die das Kloster 1495 besuchten, konnten keine Regelverstöße feststellen, vgl. Hug: Visitationsrezess.
3.1 Die Klosterlandschaft im Umbruch
43
gen schlossen sich den Observanzbewegungen ihrer Orden im 15. Jahrhundert nicht an. Als 1517 der Franziskanerorden in einen observanten und einen konventualen Zweig geteilt wurde, verblieben die Straßburger bei den Konventualen.20 Ebenso wie ihre Straßburger Brüder gehörten die beiden Klarissenklöster ab 1517 zu den Minoriten.21 War also die Observanzbewegung in Straßburg insgesamt wenig aufgenommen worden, kam der elsässischen Reichsstadt doch als Zentralort Bedeutung in der Ordensgeschichte zu. Die Dominikaner kamen hier seit dem 13. Jahrhundert häufig zum Kapitel zusammen,22 auch zahlte das Haus die höchsten Kontributionen in der Provinz.23 Nicht weniger bedeutend war das Haus der Franziskaner. Es war Sitz der oberdeutschen Provinzverwaltung und Provinziale vom 13. bis zum 16. Jahrhundert.24 Noch kurz vor der Schließung verlegten auch die Augustiner ihre Provinzverwaltung nach Straßburg. 1518 nahm der Provinzial und letzte Obere des Konvents, Konrad Treger, seinen Sitz in der Stadt.25 Alle drei Klöster unterhielten außerdem Schulen.26 Die Straßburger Schule der Dominikaner kann als die bedeutendste Ordensschule Deutschlands neben Köln gelten.27 Auch der Straßburger Johanniterkommende kam innerhalb ihres Ordens eine gewisse Bedeutung zu. Zwar rangierte sie in der Ordenshierarchie als Priesterkommende in den unteren Rängen, zeichnete sich aber durch großen Wohlstand aus. Die Kommende galt als die reichste im Großpriorat
20
Vgl. für die Dominikaner Schmidt: Notice, S. 215ff. Vgl. für die Franziskaner Rapp: Observance et Réformation, S. 152 und Degler-Spengler: Oberdeutsche Minoritenprovinz, S. 43. 21 Vgl. Degler-Spengler: Oberdeutsche Minoritenprovinz, S. 43. 22 Vgl. Rüther: Bettelorden, S. 70f.; Pfleger: Kirchengeschichte, S. 77ff. und Schmidt: Notice, S. 164f. 23 Rüther: Bettelorden, S. 160. Die Straßburger Dominikaner zahlten neun Gulden im Jahr im Vergleich zu sechs Gulden aus Basel, Freiburg und Wien sowie vier Gulden aus Trier, vgl. ebd. Die genaue Konventsgröße ist nicht bekannt. 24 Vgl. Rüther: Bettelorden, S. 162f. Vgl. zur Bedeutung des Hauses auch Rapp: Straßburg – Franziskaner, S. 12ff. 25 Vgl. Barth: Elsässische Kirchen, Sp. 1353ff. Vgl. zur Person Konrad Tregers Vermeulen: Konrad Treger. 26 So befand sich das studium generale der oberdeutschen Franziskaner in Straßburg, seit 1306 unterhielten auch die Augustiner eine höhere Ordensschule für die Provinz Rheinland-Schwaben im Straßburger Haus. Das studium generale der Augustiner wurde im 14. Jahrhundert zwischenzeitlich nach Mainz und dann nach Konstanz verlegt, war aber seit 1455 wieder fest in Straßburg etabliert, vgl. Rüther: Bettelorden, S. 171f. Vgl. zum studium generale der Franziskaner Rüther: Bettelorden, S. 165ff. 27 Vgl. zur Klosterschule der Dominikaner Barth: Elsässische Kirchen, Sp. 1363ff. und Schmidt: Notice, S. 202f.
44
3. Das Fallbeispiel Straßburg
Deutschland. Dies änderte sich auch nach der Einführung der Reformation und trotz der Steuerforderungen der städtischen Obrigkeit nicht.28 Diese dichte, vielfältige und bedeutende Klosterlandschaft veränderte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts völlig. Bis zum Ende des Jahrhunderts reduzierten sich die beschriebenen 15 Straßburger Männer- und Frauenklöster29 durch obrigkeitliche Klosterschließungen und durch von den Gemeinschaften selbst initiierte Klosterauflösungen auf vier Gemeinschaften. Die Reformation wurde in Straßburg relativ rasch und nach anfänglichem Zögern schließlich mit der Unterstützung der Stadtherren eingeführt. Eckdaten der Einführung des neuen Glaubens, die im zweiten Hauptteil der Arbeit näher betrachtet wird, sind die Jahre 1523/24, 1525 und 1529. In den Jahren 1523/1524 wurde die neue Lehre zunehmend öffentlich gepredigt; für den Fortgang der Reformation wichtige neugläubige Prediger siedelten sich in der Stadt an. 1525 wurde ein erstes, wenn auch später wieder aufgehobenes, Verbot der Frauenklöster ausgesprochen. 1529 schließlich wurde der alte Kultus aus allen Kirchen der Stadt gebannt. Von diesem Datum an gilt die Stadt als konstant protestantisch. Selbst in der Phase des Interims wurde die Zugehörigkeit der Obrigkeit und der Stadtbevölkerung zum neuen Glauben nicht grundsätzlich in Frage gestellt.30 Die ersten Austritte von Apostaten begannen um 1523. Zunächst traten Brüder aus der Johanniterkommende und aus dem Franziskanerkloster aus.31 Die Franziskaner waren es auch, die 1525 als erste ihre Güter dem Rat übergaben und ihre Gemeinschaft auflösten.32 Im selben Jahr folgten gleich mehrere Frauenklöster nach Verhandlungen mit dem Rat ihrem Beispiel und übergaben der Stadt ihre Güter. Zu Beginn des Jahres 1525 waren die Nonnen von St. Klara auf dem Wert noch in das Klarissenkloster auf dem Rossmarkt umgesiedelt worden, da ihre Gebäude außerhalb der Stadtmauern lagen und durch den im Elsass tobenden Bauernkrieg gefähr28
Vgl. Rödel: Großpriorat Deutschland, S. 191, der sich auf einen Visitationsbericht im Zentralarchiv des Johanniterordens auf Malta bezieht. Die lokale Überlieferung zur Wirtschaftsgeschichte bestätigt, dass die Kommende außergewöhnlich hohe Einnahmen, zumeist aus ländlicher Grundherrschaft, bezog. Vgl. dazu ausführlich unten. 29 Ausgenommen ist hier St. Arbogast, das etwa Pfleger: Kirchengeschichte, S. 75ff. als Kloster führt. Mit einbezogen in diese Anzahl ist noch St. Marx. 30 Vgl. zur Einführung der Reformation und zur Klosterpolitik im Besonderen unter Einbeziehung der entsprechenden Literatur sehr ausführlich Kapitel 4.1. 31 Erste päpstliche Dispense vom Gelübde hatten drei Mönche des Augustinerklosters schon 1517 und 1518 erlangt. Allerdings erreichte der Provinzial Konrad Treger die Rücknahme der Dispense und die Rückweisung der Mönche in das Kloster, vgl. Rüther: Bettelorden, S. 322 und Vermeulen: Konrad Treger, S. 48f. Vgl. dazu auch die Exzerpte aus Ratsprotokollen, AMS AST, 37/1 und AMS II, 21/3. 32 Vgl. zur Schließung des Franziskanerklosters auch Rüther: Bettelorden, S. 318ff. und Rapp: Franciscains et Réformation, S. 155.
3.1 Die Klosterlandschaft im Umbruch
45
det waren.33 Beide Klarissengemeinschaften lösten sich im April 1525 auf, die Nonnen kehrten zunächst zu ihren Familien zurück. Die Auflösung von St. Katharina folgte im Mai, die von St. Marx im September. 1530 gaben die Dominikaner, 1533 die Wilhelmiten, 1534 die Augustiner und 1538 schließlich die Karmeliter ihre Gemeinschaften auf. Die Konvente waren bis dahin schon stark geschrumpft, so waren etwa aus dem Augustinerkloster bereits 1524 alle bis auf vier Mönche ausgetreten.34 Die Prozesse der Auflösung waren im Einzelnen sehr unterschiedlich. Manche Klöster nahmen die Initiative in die eigene Hand. So richteten die Nonnen von St. Klara auf dem Wert Schreiben an den Rat ebenso wie an den Papst. Den Papst baten sie darum, weltliche Kleider tragen, die Predigt besuchen und bei Verwandten übernachten zu dürfen. Den Rat baten sie direkt um Verheiratung oder sonstige Versorgung und boten an, ihr Klostergut der Stadt zu übergeben.35 Sie verließen ihr Kloster, um die Predigt zu hören.36 Auch St. Klara am Rossmarkt, St. Marx und St. Katharina ließen sich bereitwillig auflösen, wenn auch die Initiative nicht eindeutig von den Frauen selbst ausging. Andere Konvente waren gespalten, so etwa die Gemeinschaften der Dominikaner, Franziskaner und Augustiner, in deren Klöstern sich die jeweiligen Oberen energisch und gegen den Willen der Konvente gegen die Auflösung wehrten.37 Insgesamt dezimierte diese erste Austritts- und Schließungswelle, die 1523 begann, bis 1538 die Zahl der Straßburger Klöster bereits auf sechs. Während dieser Phase verschwanden die männlichen Bettelordensgemeinschaften gänzlich. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts blieben nur die Kartause, das Deutschordenshaus, die Johanniter, das Reuerinnenkloster St. Magdalena und die Dominikanerinnenklöster St. Nikolaus und St. Margaretha bestehen. Nach einer Phase der Konstanz schloss der Magistrat schließlich im Verbund mit dem Generalkapitel des Kartäuserordens 1591 auch die Kartause. Ein Jahr später legte der Rat die Gemeinschaften St. Nikolaus und St. Margaretha zusammen. Das Kloster St. Nikolaus war defizitär und wurde der Veruntreuung von Gütern beschuldigt.38 33
Vgl. Specklin: Collectanées, S. 510. Vgl. Vermeulen: Konrad Treger, S. 100ff. Vgl. zur Auflösung der Karmeliter Vierling: Ringen, S. 30. 35 Vgl. AMS AST 35/4 und AMS II, 24/24. 36 Vgl. Specklin: Collectanées, S. 502. 37 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 9.4. 38 Vgl. zur Schließung der Kartause Clausing: Streit um die Kartause, S. 3ff. und Vierling: Ringen, S. 115ff. Auch Charles Cuissard beschäftigt sich ausführlich mit der Affäre, besonders aus der Perspektive Heinrichs IV., vgl. Cuissard: Bongars. Die betreffenden Unterlagen finden sich in ADBR G 1686 und in AMS II, 28/24; AMS II, 29a; AMS II, 34/14 und AMS II, 35/7. Motive und Strategien von Rat und Ordensleitung in 34
46
3. Das Fallbeispiel Straßburg
Um 1600 blieben also nur das Haus des Deutschen Ordens und die Johanniterkommende bestehen sowie die Reuerinnengemeinschaft St. Magdalena und ein letztes Dominikanerinnenkloster, St. Margaretha. Innerhalb von 100 Jahren war in Straßburg das Klosterwesen, eine Institution, die im gesamten Mittelalter einen festen Platz in der Stadt eingenommen hatte, auf magere Reste reduziert worden. Hunderte von Mönchen und Nonnen hatten ihre Gemeinschaften verlassen, über Jahrhunderte hinweg gestiftete und erwirtschaftete Güter waren in die Hände der Stadt übergegangen.
3.2 Die Überlieferung 3.2 Die Überlieferung
KlosterordnungGenerationen von Historikern, Mediävisten und Frühneuzeitspezialisten haben gleichermaßen die exzeptionell gute Straßburger Überlieferung in Einleitungen gerühmt.39 Dem ist beinahe nichts hinzuzufügen. Sowohl für das 15. als auch für das 16. Jahrhundert sind die handschriftliche Überlieferung und die im Druck vorliegenden Quellen außergewöhnlich reich. Quellen zur Geschichte der Konvente im 16. Jahrhundert finden sich in der städtischen Überlieferung, in den Beständen, die aus den Klöstern selbst stammen und, wenn auch in geringerem Maße, in der bischöflichen Überlieferung. Die wichtigste Quelle in der städtischen Überlieferung sind sicherlich die Ratsprotokolle, die für die Jahre 1539 bis 1789 überliefert sind.40 Auch dieser überaus komplexen Situation werden unten noch ausführlich diskutiert. Vgl. zur Schließung von St. Nikolaus Leonard: Nails in the Wall, S. 130ff.; de Bussière: Histoire des religieuses, S. 122ff.; Vierling: Ringen, S. 114ff. und Wilms: Dominikanerinnen, S. 212ff. Vgl. unter den Quellen vor allem die Ratsprotokolle, besonders (4. April 1592), fol. 140v ff. Der Ratsbeschluss zur Schließung des Klosters findet sich in gleich lautenden Abschriften u.a. in AMS II, 39/1; AMS II, 41–42b/2, Nr. 22 und ADBR H 3061/8. Die Schließung von St. Nikolaus ist auch besonders gut dokumentiert, weil ein detaillierter Bericht einer Nonne erhalten ist, vgl. ADBR H 3061. Vgl. zum Reichskammergerichtsprozess um das Kloster Kratsch: „Vierklosterstreit“; ders.: Justiz – Religion – Politik und Heckel: Reformationsprozesse. 39 Zum späten Mittelalter etwa Schmitt: Geistliche Frauen, S. 3f.; Rüther: Bettelorden, S. 29 und Rapp: Réformes et Réformation, S. 9f. Für die Frühe Neuzeit vgl. Abray: The People’s Reformation, S. 14f., die sich bei den Straßburger Ratsherren und Klerikern bedankt „for preserving their papers“. Vgl. auch Brady: Ruling Class, S. 43, der allerdings betont, dass die untere Mittelschicht und Unterschicht in den Quellen kaum greifbar ist, da einige für die Sozialgeschichte wichtige, serielle Quellen, wie Steuerregister und Gerichtsprotokolle, verloren sind. Vgl. für einen Überblick über die Straßburger Quellenbestände aus Mittelalter und Früher Neuzeit insgesamt Mariotte: Sources manuscrites, der auch auf die entsprechenden Findbücher verweist. 40 Es lässt sich nachweisen, dass der Rat seine Sitzungen schon ab 1386 protokollierte. Diese frühen Protokolle sind allerdings seit dem 18. Jahrhundert aus unbekannten
3.2 Die Überlieferung
47
die Protokolle der Dreizehner und der Fünfzehner, der Ratsausschüsse für innere und äußere Angelegenheiten, liegen ab 1571 beziehungsweise 1599 vor.41 Zentral für die in dieser Arbeit behandelte Fragestellung sind aber vor allem die sehr ausführlichen Exzerpte die Klöster betreffend aus den Ratsprotokollen, die ab dem Jahr 1523, also früher als die eigentlichen Ratsprotokolle, bis zur Jahrhundertmitte verfügbar sind. Der Rat hat dem Historiker hier einige Arbeit abgenommen, indem er, teilweise nach Gemeinschaften, teilweise thematisch geordnet, alle Entscheidungen im Rahmen der Klosterpolitik heraussuchen ließ, um einen Leitfaden für die künftige Arbeit zu haben.42 Die stichprobenhafte Überprüfung einzelner Jahrgänge der Ratsprotokolle hat ergeben, dass die Exzerpte vermutlich weitgehend vollständig und wortwörtlich sind. Für die zweite Hälfte des Jahrhunderts muss allerdings mit Ausnahme der Johanniter auf die vollen Protokolle zurückgegriffen werden. Darüber hinaus sind auch, beginnend 1524, Protokolle des Ausschusses der Klosterherren überliefert, die teilweise ebenfalls zu bestimmten Themen exzerpiert wurden. Da dieses Gremium aber mit alltäglichen Verwaltungsfragen beauftragt war und meist keine politischen Entscheidungen traf, sind diese Akten für eine qualitative Auswertung weniger interessant, bieten aber prosopographisches Material.43 Wichtige Dokumente zur Geschichte der Klöster im 16. Jahrhundert, die auf städtischer Seite entstanden sind, sind des Weiteren die Protokolle der unregelmäßig stattfindenden Visitationen des Regiments in den Konventen. Diese geben besonders für die Frauenklöster Aufschluss über die Größe der Gemeinschaften, über die Namen der Konventualen und andere biographische Details, über verschiedene Vorkommnisse in den Klöstern, Streitigkeiten zwischen den Konventualen und über die Interessen der städtischen Obrigkeit. Auch als Ego-Dokumente sind sie interessant.44 Ne-
Gründen verschollen, vgl. dazu im Detail Mariotte: Sources manuscrites, S. 77ff. Die Protokolle finden sich in den Archives Municipales de Strasbourg in der Série R. 41 Auch die Protokolle der Dreizehner und Fünfzehner finden sich in den Archives Municipales, vgl. Mariotte: Sources manuscrites, S. 82ff. 42 Die Exzerpte sind erhalten in den Archives Saint Thomas, einer Unterabteilung des Stadtarchivs, unter den Nummern 35 bis 37. Sie umfassen insgesamt mehrere hundert Folioseiten. 43 Die Exzerpte aus den Protokollen der Klosterherren finden sich ebenfalls in den Archives Saint Thomas, 35 bis 37, aber auch verstreut in anderen Serien, vgl. u.a. AMS VI, 699/2; AMS VI, 699/3; AMS II, 53/14; AMS AST 135/3. 44 Zur Visitation in St. Nikolaus 1545 vgl. AMS II, 41–42a/5. Zur Visitation in den Klöstern St. Margaretha und St. Magdalena 1592 vgl. AMS II, 7/19. Im selben Jahr wurde auch St. Nikolaus visitiert, vgl. AMS II, 39/18. 1594 wurde St. Margaretha erneut visitiert, vgl. AMS II, 41–42b/2, Nr. 29. Aus den Männerklöstern ist ein Protokoll über ei-
48
3. Das Fallbeispiel Straßburg
ben den Visitationsprotokollen legte der Rat in Streitfällen, in die die Klöster involviert waren, auch Akten an, die eine ganze Fülle an Materialien unterschiedlicher Provenienz bieten.45 An ediertem Material, das aus der städtischen Überlieferung stammt, ist zunächst das Urkundenbuch der Stadt zu nennen. Zwar reicht die eigentliche Urkundensammlung nur bis in das Jahr 1400, allerdings ist die politische Korrespondenz Straßburgs für die Jahre 1517 bis 1555 publiziert worden. Diese zweite Abteilung des Straßburger Urkundenbuches bietet wertvolle Aufschlüsse über die Kloster- und Reformationspolitik der Stadt und über die politischen Beziehungen des Rates zum Kaiser und zu den Reichsständen.46 Darüber hinaus liegen eine Sammlung der Straßburger Polizeiverordnungen sowie eine weitere mit verschiedenen einzelnen Dokumenten zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte vor.47 Im weiteren Sinne der städtischen Überlieferung zuzuordnen sind auch die verschiedenen städtischen Chroniken, die aus dem 16. Jahrhundert erhalten sind und im Druck vorliegen. Zu nennen ist zuerst die Chronik von Sebastian Brant (1457– 1521). Der bekannte Humanist orientierte sich in seiner Darstellung der Stadtgeschichte stark an den Ratsprotokollen, zu denen er als Syndikus und Stadtschreiber Zugang hatte. Seine Annales können für die Frühphase des 16. Jahrhunderts also auch als Substitut für die fehlenden Ratsprotokolle genutzt werden.48 Des Weiteren haben Chroniken der Straßburger Bürger Sebald Büheler und Daniel Specklin überdauert.49 Ergänzend zu
ne Visitation im Haus der Dominikaner erhalten, vgl. AMS II, 61/7, Nr. 2 sowie eines über eine Visitation in der Kartause, vgl. AMS AST 36/5, fol. 42r f. 45 Umfangreiches Aktenmaterial findet sich beispielsweise zur Schließung der Kartause, vgl. AMS II, 38/17. Die Akte enthält Abschriften von Korrespondenz mit allen involvierten Streitparteien, unter anderem dem Generalkapitel des Kartäuserordens und dem Kaiser. 46 Vgl. Urkunden und Akten der Stadt Straßburg. Abt. 1: Urkundenbuch der Stadt Straßburg; Abt. 2: Politische Correspondenz der Stadt Straßburg im Zeitalter der Reformation. 47 Vgl. Brucker (Hrsg.): Zunft- und Polizei-Verordnungen; Eheberg (Hrsg.): Verfassung-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte. 48 Die unter dem Titel „Annales de Brant“ veröffentlichten, chronikalischen Notizen wurden von Nachfolgern weitergeführt und gehen daher deutlich über Brants Lebenszeit hinaus, vgl. Brant: Annales. Vgl. zu den Annales auch Mariotte: Sources Manuscrites. 49 Der katholische Straßburger Bürger Sebald Büheler verfasst seine Chronik zwischen 1586 und 1588, gibt aber auch Ereignisse aus der Frühphase der Reformation wieder, die ihm wahrscheinlich mündlich tradiert wurden, vgl. Büheler: Chronique. Der Chronist Daniel Specklin, ein Festungsbaumeister, schrieb im selben Zeitraum an seiner Chronik, allerdings aus protestantischer Perspektive, vgl. Specklin: Collectanées. Beide Chroniken sind 1870 verbrannt, allerdings aus Exzerpten verschiedener Straßburger Wissenschaftler und Archivare rekonstruiert und veröffentlicht worden.
3.2 Die Überlieferung
49
diesen Quellen finden sich aus der städtischen Überlieferung gewonnene prosopographische Hilfsmittel. So ist etwa das Straßburger Bürgerbuch für die Jahre 1440 bis 1530 ediert, ebenso wie die Ratslisten für das gesamte 16. Jahrhundert.50 Die Überlieferung der Klöster findet sich heute mit wenigen Ausnahmen in den Archives de la Ville und in den Archives départementales in Straßburg.51 Keine der in der vorliegenden Arbeit behandelten Gemeinschaften existiert heute noch. Das Stadtarchiv verfügt über die Bestände der im 16. Jahrhundert aufgelösten Klöster. Nach der Auflösung übernahm die Stadt einen Großteil des klösterlichen Schriftgutes, vor allem natürlich die Rechnungsbücher und andere Unterlagen zur Wirtschaftsführung, die von den verschiedenen städtischen Stiftungen benötigt wurden, die das Klostergut nach den Auflösungen verwalteten. Ein guter Teil des Wirtschaftsschriftgutes findet sich daher auch in den Archives des hospices civiles réunis de Strasbourg, die heute eine Unterabteilung des Stadtarchivs bilden. Die Klosterarchive der erst im 18. Jahrhundert aufgelösten Klöster St. Margaretha, St. Magdalena, des Deutschen Ordens und der Johanniter hingegen gingen an die Vorgängereinrichtung des Bezirksarchivs des Départements Bas-Rhin und befinden sich heute dort in der Série H. Auch Teile der Dokumente aus dem 1592 geschlossenen Kloster St. Nikolaus finden sich in diesem Bestand.52 Schließlich finden sich auch in der bischöflichen Überlieferung Dokumente, die die Klöster betreffen. Zwar waren die Kontakte zwischen Bischof und Klöstern im 16. Jahrhundert nicht besonders eng. Direkte Korrespondenz findet sich also nur vereinzelt. Akten zu bestimmten Ereignissen und Streitfällen betreffend die Klöster legte aber auch der Bischof an. Diese sind in die Série G der Archives départementales eingegangen.53
50
Vgl. Wittmer/Meyer: Livre de Bourgeoisie und Hatt: Liste des membres. Ein weiteres Hilfsmittel ist Kindler von Knobloch: Goldenes Buch. Ausführlich werden die Möglichkeiten und Grenzen der verschiedenen Hilfsmittel im Zuge der prosopograpischen Auswertung der Konventsmitglieder behandelt. 51 Eine Ausnahme ist die Bibliothek des Klosters St. Nikolaus, die sich in der Staatsbibliothek zu Berlin befindet, vgl. Hornung: Handschriftensammler und Lentes: Gebetbuch und Gebärde. 52 Ein Teil der Nonnen siedelte nach der Schließung von St. Nikolaus nach St. Margaretha um, dabei wanderten offenbar auch vereinzelte Dokumente nach St. Margaretha. 53 Umfangreiche Akten zum jahrelang andauernden Rechtsstreit um die Schließung der Kartause hat offenbar auch die bischöfliche Administration gesammelt, vgl. ADBR G 1686. Auch der Streit um die Wahl des Komturs Heinrich Dreyer hat Akten hinterlassen, vgl. ADBR G 1677. Vgl. für Korrespondenz zwischen Klöstern und Bischof beispielsweise ADBR G 1674.
50
3. Das Fallbeispiel Straßburg
Neben dem Wirtschaftsschriftgut und dem Schriftgut der städtischen Verwaltung haben sich sowohl in den Beständen des Stadt- als auch des Bezirksarchivs Dokumente erhalten, die für eine struktur-individualistische Untersuchung von besonderem Wert sind, da sie auch Aufschluss über das Verhalten von Einzelpersonen geben. Dazu zählen eine nicht geringe Anzahl von Selbstzeugnissen, zumeist Briefe und Suppliken, aber auch Schätze wie das Geschenkbuch von St. Nikolaus, ein tagebuchartige Bericht einer Nonne über die Schließung ihres Klosters, der im Anhang ediert ist, das Memorialbuch aus St. Magdalena und das Diarium des Johanniterkomturs Martin Fabri.54 Aus St. Magdalena und St. Margaretha sind außerdem Klosterchroniken überliefert, die zwar erst im 18. Jahrhundert entstanden sind, aber wohl auf zeitgenössisches Material zurückgreifen und die Reformationszeit ausführlich würdigen.55 Einschränkend zu dieser insgesamt hervorragenden Überlieferungslage ist lediglich anzumerken, dass sich die Quellen nicht gleichmäßig auf die einzelnen Gemeinschaften verteilen. Für die in der ersten Schließungswelle bis 1538 aufgelösten Klöster ergibt sich schon aufgrund des kürzeren Untersuchungszeitraums ein weitaus geringerer Quellenumfang. Aus einigen Klöstern, besonders aus dem Deutschordenshaus, aus dem Haus der Wilhelmiten und der Gemeinschaft der Karmeliter sind so gut wie gar keine Quellen überliefert. Auch in der städtischen Überlieferung tauchen diese Gemeinschaften kaum auf und mussten daher in dieser Untersuchung weitgehend unberücksichtigt bleiben.56 Auch in die prosopographische Auswertung konnten sie aufgrund mangelnder Daten nicht mit einbezogen
54
Vgl. für den Bericht einer Nonne ADBR H 3061. Das Geschenkbuch von St. Nikolaus verzeichnet alle Geschenke, die das Kloster von 1576 bis 1592 verschickt hat, vgl. AMS II, 39/20. Das „Diarium“ ist eine Mischung aus einem Missivenbuch und persönlichen Aufzeichnungen des Johanniterkomturs Martin Fabri, vgl. ADBR H 1633-1634. Das Seelbuch von St. Magdalena findet sich in AMS VIII, 193. 55 Beide Chroniken sind im Jahr 1738 entstanden. Die Chronik von St. Margaretha befindet sich in der Bibliothèque Municipale de Strasbourg, Ms. 901. Die Chronik von St. Magdalena befindet sich in der Bibliothek des Straßburger Priesterseminars (Grand Séminaire), Ms. 210. 56 Aus dem Konvent der Karmeliter sind lediglich Rechungen von 1480 und 1503/04 in den Archives de l’Hôpital erhalten. Auch zum Deutschorden existieren fast ausschließlich Dokumente aus der Wirtschaftsführung des Klosters, vgl. ADBR H 2249 bis 2281. Akten sind lediglich zum Streit um den Abriss der Gebäude im Jahr 1633 erhalten, vgl. AMS II, 50 bis 52. Zu den Wilhelmiten existieren zwei Rechnungen und andere einzelne Stücke zur Wirtschaft des Klosters in ADBR G 1706 sowie einige Stücke betreffend die Übergabe der Güter an den Rat und die Zahlung von Pensionen an die ausgetretenen Mönche in AMS AH 1300.
3.3 Der Forschungsstand
51
werden.57 Besonders intensiv untersucht werden konnten hingegen die Kartause, die Johanniter sowie die drei Frauenklöster St. Magdalena, St. Nikolaus und St. Margaretha, zum einen, da sie bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes bestanden, zum anderen, da für alle fünf Klöster die Quellenlage sehr gut ist. Trotz dieses bedauerlichen Mangels ist die Überlieferung aber insgesamt exzellent, sowohl im Umfang, als auch in der gattungsmäßigen Vielfalt. Dies ist besonders für die thematisch breit angelegte Fragestellung, die in dieser Arbeit verfolgt wird, von Bedeutung und war ein wichtiger Grund dafür, den Untersuchungsschwerpunkt nach Straßburg zu verlegen. Punktuell werden die Straßburger Quellen durch im Druck vorliegende Materialien aus anderen Reichsstädten und Territorien ergänzt.
3.3 Der Forschungsstand: Straßburg in der Reformationszeit 3.3 Der Forschungsstand
Wohl auch aufgrund der exzeptionell guten Überlieferungssituation, hat die Erforschung der Straßburger Reformationsgeschichte eine lange und dichte Tradition.58 Erste Arbeiten entstanden bereits im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert,59 seitdem ist die Beschäftigung mit der elsässischen Reichsstadt im 16. Jahrhundert nicht abgebrochen. Dabei hat die Stadt auch über die Grenzen der elsässischen Landesgeschichte hinaus bekannte und renommierte Historiker angezogen, zu nennen sind etwa Anton Schindling, Francis Rapp und Thomas A. Brady.60 57
Aus dem Kloster der Wilhelmiten sind einige wenige Namen bekannt, die in den prosopographischen Anhang aufgenommen wurden, allerdings für eine statistische Auswertung nicht ausreichten. Vgl. für alle Namen AMS AH 1300 und ADBR G 1706. 58 Nach Einschätzung von Sigrid Schmitt gehört die Stadt zu den für das 16. Jahrhundert am besten erforschten Städten im Reich, vgl. Schmitt: Auflösung, S. 159. 59 Unter den älteren Werken zu nennen ist etwa die 1830–1833 erschienene, dreibändige Geschichte der Reformation im Elsass von Timotheus Wilhelm Röhrich, der den regionalen Schwerpunkt klar auf Straßburg legte. Des Weiteren existiert eine Reformationsgeschichte Straßburgs von Julius Rathgeber (1875), eine von Marie Théodore de Bussière (1860) und eine für die Frühphase der Reformation von Adolf Baum (1887). Diese Arbeiten sind dem Geschichtsverständnis ihrer Zeit gemäß einerseits stark deskriptiv, andererseits deutlich von konfessionellen Ressentiments geprägt. So bescheinigt etwa Erdmann Weyrauch ganz richtig der Reformationsgeschichte von Marie Théodore de Bussière „ein ungewöhnliches Maß an konfessionalistischer Aggressivität“, Weyrauch: Konfessionelle Krise, S. 77. Weiterhin wichtige Nachschlagewerke sind die „Evangelische Kirchengeschichte der Stadt Straßburg“ von Johann Adam (1922) und Ulrich Crämers Verfassung und Verwaltung Straßburgs (1931), der bis heute einzige Überblick über die Details der Verfassung der Stadt im 16. Jahrhundert, auch mit wichtigen Hinweisen über die Entwicklung seit dem späten Mittelalter. 60 Vgl. vor allem Rapp: Réformes et Réformation und Brady: Ruling Class.
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3. Das Fallbeispiel Straßburg
Eine Hochphase der Beschäftigung mit der Straßburger Reformationsgeschichte waren die sechziger und siebziger Jahre. Ein dem AnnalesMitbegründer Lucien Febvre gewidmeter Tagungsband mit dem Titel „Strasbourg au cœur religieux du XVIe siècle“ (1977) versammelt auf beeindruckende Weise alle, die an dieser Hochphase teilhatten. Von französischer Seite waren Philippe Dollinger, Georges Livet, Pierre Levresse, Marc Lienhart, Francis Rapp, Jean Rott und François-Joseph Fuchs beteiligt. Die bis heute starke anglophone Straßburgforschung ist im Tagungsband vertreten mit Miriam Usher Chrisman, Thomas Brady und James Kittelson. Von deutscher Seite nahmen Anton Schindling und Bernd Moeller an der Tagung teil. Alle diese Namen stehen dafür, dass Straßburgs Sozialund Religionsgeschichte, seine Institutionen und auch die Verwurzelung der Reformation im späten Mittelalter heute so gut erforscht sind wie vielleicht in keiner anderen Reichsstadt.61 Die amerikanische Forschung war dabei stärker sozialgeschichtlich, die französische eher mentalitäts- und strukturgeschichtlich orientiert, wobei keiner der Straßburger Reformationshistoriker als methodischer Dogmatiker gelten kann. Während die französische Geschichtswissenschaft seit den achtziger Jahren offenbar das Interesse an Straßburgs 16. Jahrhundert verloren hat, setzt sich die angloamerikanische Forschungstradition bis heute fort, wenn auch mit einer deutlich geringeren Publikationsdichte. Zuletzt erschienen James Kittelsons „Towards an Established Church“ (2000) und eine Dissertation von John D. Derkson zu den Straßburger Sektierern (2002).62 In61
Philippe Dollinger hat zentrale Arbeiten zur Differenzierung des Straßburger Patriziats im späten Mittelalter vorgelegt, vgl. Dollinger: Patriciat noble et patriciat bourgeois. Er hat aber auch zur Frage der Toleranz im frühneuzeitlichen Straßburg gearbeitet, vgl. Dollinger: La tolérance. Auch René-Pierre Levresse hat Untersuchungen sowohl zur spätmittelalterlichen als auch zur frühneuzeitlichen Geschichte der Stadt vorgelegt, vgl. Levresse: Origines de l’officialité; ders.: Survie du catholicisme. Marc Lienhards Studien zur Straßburger Reformationsgeschichte sind gesammelt in Lienhard: Un temps, une ville, une Réforme. Die Aufsätze von Jean Rott sind gesammelt in Rott: Investigationes historicae. Georges Livet ist Herausgeber der mehrbändigen Straßburger Stadtgeschichte, vgl. Livet: Strasbourg des origines à nos jours. Die Arbeiten von Francis Rapp sind an anderer Stelle ausführlich zitiert. Miriam Usher Chrisman hat 1967 eine Straßburger Reformationsgeschichte vorgelegt, vgl. Chrisman: Strasbourg. Vgl. für das Hauptwerk von Thomas Brady: Ruling Class. James Kittelsons Reformationsgeschichte ist die jüngste unter den genannten, vgl. Kittelson: Established Church (2000). Anton Schindling hat die Straßburger humanistische Hochschule monographisch untersucht, vgl. Schindling: Humanistische Hochschule. Bernd Moeller hat verschiedene Aufsätze zur Reformationsgeschichte am Straßburger Beispiel publiziert, vgl. u.a. Moeller: L’édit. Eine Zusammenfassung der jüngeren Forschung bietet Brady: Die Stadt. 62 Vgl. Derkson: Religious Nonconformists. Gemäß neuerer Trends der Reformationsforschung rückten noch stärker als in den 60er und 70er Jahren in den letzten beiden Jahrzehnten die unteren Schichten und der prozessuale Charakter der Einführung der Reformation in das Blickfeld, so etwa in Lorna Jane Abrays: The People’s Reformation und
3.3 Der Forschungsstand
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zwischen ist allerdings auch kaum ein Teilaspekt der Straßburger Reformation geblieben, dem keine Studie gewidmet worden wäre.63 Lücken bestehen allenfalls noch für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts.64 Auch die Geschlechtergeschichte Straßburgs im 16. Jahrhundert ist bislang nur selektiv bearbeitet worden.65 Während also die Erforschung der allgemeinen Reformationsgeschichte wenige Lücken aufweist, existiert für die Straßburger Klöster im 16. Jahrhundert neben der bereits diskutierten Arbeit von Amy Leonard bisher keine aktuelle und umfassende Studie. In den genannten Arbeiten zur Reformationszeit spielt die Klosterpolitik des Rates eine untergeordnete Rolle. Einzelne kleinere, aber wichtige Arbeiten zu den Klöstern im 16. Jahrhundert hat Francis Rapp publiziert.66 Der letzte Gesamtüberblick über die monastischen Gemeinschaften der Stadt in der Reformationszeit ist Vierlings „Das Ringen um die letzten dem Katholizismus treuen Klöster Straßburgs“ (1914). Ansonsten existieren zahlreiche verstreute Aufsätze und kleinere Arbeiten vor allem aus der Zeit zwischen 1850 und 1950, die größtenteils in den Zeitschriften für elsässische Regionalgeschichte und ihauch bei James Kittelson: Established Church. Beide Autoren bemühen sich um eine Korrektur der Betonung des Einflusses obrigkeitlicher Herrschaft und stellen den Konsens- und Verhandlungscharakter der Einführung der Reformation in Straßburg heraus. 63 Lee Palmer Wandel hat sich etwa dem Straßburger Bildersturm in vergleichender Perspektive angenommen, vgl. Wandel: Voracious Idols. Eine bereits erwähnte Dissertation von John D. Derkson beschäftigt sich mit den verschiedenen Gruppen von Sektierern und ihrem Stand in Straßburg, vgl. Derkson: Religious Nonconformists. Zahlreiche Fallstudien existieren auch zu den Protagonisten der Reformation. So erschien erst 2003 ein neuer Band mit Arbeiten zu Martin Bucer, vgl. Arnold/Hamm: Martin Bucer. 64 Thomas Bradys grundlegende Studie zur Straßburger Gesellschaft im 16. Jahrhundert etwa hat noch keine Fortsetzung für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts gefunden, vgl. Brady: Ruling Class. Nach Meinung von Abray hat diese Lücke ab 1550 zu einer Überinterpretation des geistigen und institutionellen Niedergangs in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts geführt, vgl. Abray: The People’s Reformation, S. 13. 65 Einen knappen Überblick zur Frühphase der Reformation, in dem sie sich auch auf die Frauenklöster bezieht, bietet Chrisman: Women and the Reformation (1972). Auch Thomas Brady bietet in diesem Zusammenhang einige Gedanken. Am Rande eines Aufsatzes über den Antiklerikalismus des 16. Jahrhunderts sucht er nach Verbindungen zwischen der Schließung der Frauenklöster und der sich verändernden Stellung der Frau in der Reformationszeit insgesamt, vgl. Brady: Anticlericalism (1993). Verschiedene kleinere Arbeiten existieren auch zu Leben und Person der Katharina Zell. Die Ehefrau des Reformators Matthias Zell verfasste selbst reformatorische Pamphlete und brachte sich so in Konflikt mit den Straßburger Prädikanten, vgl. Becker-Cantarino: Frauen in den Glaubenskämpfen; Bainton: Women of the Reformation. Mit den Straßburger Pfarrfrauen beschäftigt sich auch Heitz-Muller: Femmes et Réformation. Vgl. für eine Auseinandersetzung mit der Arbeit von Amy Leonard oben. 66 Vgl. z.B. Rapp: Observance et Réformation; ders.: Vie religieuse; ders.: Franciscains et Réformation.
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3. Das Fallbeispiel Straßburg
ren Schriftenreihen erschienen sind.67 Ein Handbuchprojekt der Société d’histoire de l’Eglise d’Alsace, das René Bornert 1982 im Archiv für elsässische Kirchengeschichte vorgestellt hat und das einen Überblick über die Geschichte der elsässischen Klöster bis in die Neuzeit hätte bieten sollen, wurde nie realisiert.68 Gut untersucht ist aber die Vorgeschichte der Klöster im 14. und 15. Jahrhundert. Mit der Habilitationsschrift von Sigrid Schmitt liegt hier für die Frauenklöster eine moderne und umfassende Arbeit vor, die demnächst im Druck erscheint.69 Mit den Männerklöstern der Bettelorden hat sich Andreas Rüther beschäftigt.70
3.4 Exkurs: Zur Ordenszugehörigkeit von St. Magdalena 3.4 Exkurs: St. Magdalena
Aufgrund hinreichender Vorarbeiten der Forschung kann auf eine Darstellung der Geschichte der einzelnen Klostergemeinschaften an dieser Stelle verzichtet werden. Eine Ausnahme ist jedoch das Kloster St. Magdalena, das im Folgenden näher untersucht wird. In der Literatur finden sich widersprüchliche Angaben zur Ordenszugehörigkeit dieses Klosters. Da dieser Frage aber im Rahmen der Untersuchung grundlegende Bedeutung zukommt, soll die Diskussion an dieser Stelle noch einmal aufgegriffen werden. Unsicherheit besteht vor allem darüber, ob das Kloster dem Dominikaner- oder dem Reuerinnenorden angehörte, eine Frage, die sich aufgrund der verschiedenen Inkorporationsversuche des späten Mittelalters stellt. Sicher ist, dass das Kloster als Reuerinnenkloster gegründet wurde und die Frauen, wie viele andere Pönitenten auch, nach der Augustinusregel lebten.71 In den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts, als der Orden insgesamt in eine Krise geriet und zahlreiche Einzelklöster versuchten, den oh67
Vgl. unter anderem Pfleger: Geschichte des Reuerinnenklosters (1937); de Bussière: Histoire des religieuses dominicaines (1860); Clausing: Streit um die Kartause (1906); Schmidt: Notice (1876); Die wichtigste ältere Literatur zu den Klöstern findet sich jeweils bei Barth: Elsässische Kirchen. Zu den Straßburger Johannitern finden sich Hinweise in Rödel: Großpriorat Deutschland (1972). 68 Das Handbuch sollte sich auf das benediktinische Mönchtum konzentrieren und hätte damit die in Straßburg stark vertretenen Bettel- und Ritterorden ausgeklammert, vgl. Bornert: Un projet, S. 330f. 69 Vgl. Schmitt: Geistliche Frauen. 70 Vgl. Rüther: Bettelorden. 71 Vgl. Pfleger: Kirchengeschichte, S. 89; ders.: Geschichte des Reuerinnenklosters, S. 32. Vgl. zur Bedeutung der Augustinusregel für den Orden insgesamt Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 11f.
3.4 Exkurs: St. Magdalena
55
nehin losen Verbund zu verlassen, kamen auch die Straßburger Reuerinnen in Konflikt mit ihrem Generalpropst Witicho.72 Witicho war vor seiner Berufung zum Ordensoberen Prior des Straßburger Klosters gewesen. Sein ehemaliger Konvent wandte sich nun mit der Unterstützung des Bischofs dem Dominikanerorden zu. Die Frauen wurden zunächst dem Schutz des Bischofs unterstellt und trugen auf dessen Geheiß hin die Dominikanerinnentracht. 1281 erhielten sie vom Generalkapitel der Dominikaner die Bestätigung, dass sie in den Orden inkorporiert worden seien, also schon fünf Jahre bevor der gesamte Reuerinnenorden für kurze Zeit der Oberaufsicht der Dominikaner unterstellt wurde (1286–1291).73 Die Priorin des Straßburger Konvents nahm allerdings schon im Jahr nach der Bestätigung der Inkorporation 1281 wieder am Generalkapitel des Reuerinnenordens teil. Auch im Dominikanerstreit, der wenige Jahre später ausbrach, stellten sich die Reuerinnen nicht auf die Seite ihrer neuen Ordensväter.74 1291 wurde die Inkorporation der Straßburger Reuerinnen rückgängig gemacht, also im selben Jahr, in dem die vorübergehende Inkorporation des gesamten Magdalenenordens in den Dominikanerorden durch Papst Nikolaus IV. widerrufen wurde.75 1437 versuchten die Dominikaner allerdings erneut, Einfluss auf die Straßburger Reuerinnen zu gewinnen. Der Rat wünschte eine Reform des Klosters und wandte sich gemeinsam mit dem reformwilligen Teil des Konvents an den päpstlichen Legaten Julian, der gerade am Basler Konzil teilnahm. Dieser beauftragte den Dominikaner Peter von Gengenbach mit der Reform. Der Dominikaner visitierte die Reuerinnen, versuchte, die dominikanische Lebensweise einzuführen und verlegte auch eine Gruppe von dominikanischen Reformschwestern aus Himmelkron und Liebenau in das Kloster.76 Laut Amy Leonard ist bei dieser Gelegenheit das Kloster erneut inkorporiert worden und bis zu seiner Schließung im Dominikaneror72
Vgl. zur Krise des Ordens Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 73. Vgl. zum Konflikt der Straßburger Reuerinnen mit Witicho Schmitt: Geistliche Frauen, S. 88ff. Vgl. ausführlich zur Struktur des Ordens und zur Rolle des Generalpropstes unten Kapitel 8.2.5. 73 Vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 88ff. und Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 77ff. Simon druckt auch die Bestätigung des Generals der Dominikaner ab, dass sie „sub cura recipiantur nostri ordinis“, ebd., Nr. 146, S. 247. Vgl. auch Pfleger: Geschichte des Reuerinnenklosters, S. 7ff. Später geben die Nonnen laut Pfleger und Simon sogar an, sie seien schon 1251 durch den Kardinallegaten Hugo von Saint-Cher dem Dominikanerorden anempfohlen worden, zunächst aber ohne Erfolg, vgl. Pfleger: Geschichte des Reuerinnenklosters, S. 8 und Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 70. 74 Vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 88ff. 75 Vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 424 und Pfleger: Geschichte des Reuerinnenklosters, S. 11 und Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 95ff. Dementsprechend nimmt die Straßburger Priorin auch 1308 an der Neuwahl des Generalpriors der Reuerinnen teil. 76 Vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 426 und Pfleger: Geschichte des Reuerinnenklosters, S. 13ff.
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3. Das Fallbeispiel Straßburg
den verblieben. Leonard beruft sich dabei auf die Bulle Eugens IV. vom 4. Juli 1437, in der der Papst einer Supplik Peters von Gengenbach „pro parte Priorisse [...] et majoris partis Conventus prefati Monasterii“ stattgibt. In der Supplik hatte Gengenbach um die Billigung der Exemtion des Klosters aus dem Orden der Pönitenten und um die Eingliederung in den Dominikanerorden gebeten.77 Der Rat allerdings billigte diese Maßnahme nicht. Die Reuerinnen hatten sich über die Übernahme aller Ämter durch die auswärtigen Reformnonnen und die Spaltung, die dadurch in ihrer Gemeinschaft entstanden war, beschwert – ein Zerwürfnis, das sich selbst in der zitierten Formulierung der päpstlichen Bulle spiegelt. Die Stadtoberen forderten daher Peter von Gengenbach auf, die Reformschwestern wieder aus dem Kloster zu schicken und wandten sich an den Generalpropst der Reuerinnen mit der Bitte um sein Eingreifen. Zwar stellte sich der Kardinallegat Julian auf die Seite der Dominikaner und forderte vom Rat die Fortsetzung der Reform. Er konnte sich aber offenbar nicht gegen die Stadt durchsetzen. Die Reformschwestern wurden schließlich in anderen Straßburger Dominikanerinnenklöstern untergebracht. Sowohl Sigrid Schmitt als auch Lucien Pfleger gehen daher davon aus, dass dieser Inkorporationsversuch scheiterte. Die päpstliche Bestätigung der Inkorporation hatte offenbar de facto keine Wirkung.78 Aus den Quellen des 16. Jahrhunderts lässt sich deutlich ablesen, dass die Reuerinnen nicht dem Dominikanerorden angehörten. Beziehungen lassen sich vielmehr weiterhin zum Reuerinnenorden, vereinzelt auch zum Augustinerorden belegen. In der cura monialium etwa tauchen keine Prediger auf. Es sind vielmehr Beichtväter aus dem Säkularkanonikerstift Jung-St. Peter und aus dem Kloster der Wilhelmiten nachweisbar.79 Schon ein päpstliches Privileg von 1474 hatte den Frauen freigestellt, auch Säkularpriester als Beichtväter zu wählen.80 Ein weiterer Hinweis, dass St. Magdalena nicht dem Dominikanerorden unterstellt war, lässt sich zur Mitte des Jahrhunderts finden. Als der Dominikanerprovinzial 1550 eine Beschwerde an den Straßburger Rat richtete und sich über Eingriffe in das Klosterleben beklagte, bezog er sich damit allein auf die beiden verbliebenen Dominikanerinnenhäuser, St. Margare77
Bullarium Ordinis FF. Praedicatorum, Bd. 3, S. 73. Vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 427; Pfleger: Geschichte des Reuerinnenklosters, S. 14f. und S. 31. 79 Die Beichtväter aus Jung-St. Peter belegt Pfleger: Geschichte des Reuerinnenklosters, S. 15. Ein Wilhelmit findet sich im Seelbuch der Reuerinnen: Michel Dietmar, † 1511, vgl. AMS VIII, 193. Auch 1517 bitten die Frauen um einen Beichtvater der Wilhelmiten, vgl. AMS AH 1285. 80 Vgl. ADBR H 2975/11. 78
3.4 Exkurs: St. Magdalena
57
tha und St. Nikolaus.81 Es ist sehr unwahrscheinlich, dass St. Magdalena von dieser Beschwerde ausgenommen worden wäre, hätte es zu diesem Zeitpunkt zum Dominikanerorden gehört, unterlag es doch den gleichen Belastungen wie die beiden anderen Frauenklöster. Dagegen finden sich Hinweise auf Verbindungen zum Reuerinnenorden, wenn diese auch grundsätzlich schwerer zu belegen sind, da der Orden eine lose Struktur hatte. 1499 informieren Reuerinnen aus der Oberlausitz die Straßburgerinnen über die Wahl eines neuen Propstes und erhalten auch Antwort von den Straßburger Schwestern.82 Aus dem Jahr 1517 ist eine Urkunde des Generalpropstes des Reuerinnenordens, Peter Schormann, erhalten, der den Nonnen die Wahl eines Wilhelmiten als Beichtvater erlaubt.83 Nach der Einführung der Reformation, die das Reuerinnenhaus überlebte, richteten die Nonnen 1525 die Bitte an den Rat, „das sy uns lossen blyben under der gehorsam unser gentzen ordens probst [...] der mit unser verwilligung erwelet ist und zu Rom bestetigt.“ Wahlmodus und Bezeichnung des Oberen weisen daraufhin, dass auch hier der Generalpropst des Reuerinnenordens gemeint ist.84 Auch in den Ratsprotokollen werden die Frauen von St. Magdalena durchgehend als „reuwerin“ bezeichnet.85 1551 beschwerten sich die Nonnen beim Bischof über den Generalpropst des Reuerinnenordens.86 Dieses Schreiben deutet erneut auf ein Zugehörigkeitsgefühl der Frauen zu diesem Orden hin. Andererseits verweist die Beschwerde auch schon darauf, dass die ohnehin lose Bindung der Reuerinnen untereinander und zu ihrem Generalpropst sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch weiter auflöste. 1562 starb der Generalpropst Martin Titzmann und es scheint, als sei nach seinem Tod kein weiterer Ordensoberer gewählt oder eingesetzt worden.87 Die Straßburger Quellen deuten ebenfalls auf diesen Befund hin. Bei einer Inquisition im Jahre 1592 fragt der Rat die Magdalenerinnen explizit nach ihrer Ordenszugehörigkeit. Die Priorin antwortet darauf, sie „habe 81 82
Vgl. AMS II, 57/1. Vgl. Skobel: Lauban, S. 92f. Dazu gibt es leider keine Straßburger Gegenüberliefe-
rung. 83
Vgl. ADBR H 2975/10. Im Findbuch von Spach wird der Aussteller irrtümlich als Generalprior der Augustiner bezeichnet. 84 Vgl. AMS AH 1285. 85 Vgl. u.a. AMS AST, 37/4; AMS AST 35/11. 86 Vgl. ADBR H 2975. 87 So die These von Skobel: Lauban, S. 95, für die sich in der ausgesprochen dünnen Literatur zum Reuerinnenorden weder weitere Belege noch Widerlegungen finden ließen. Die Straßburger Quellen bestätigen den Befund. Während sich verschiedene Generalpröpste des 15. Jahrhunderts im Repertorium Germanicum nachweisen lassen, ist dieser Weg für das 16. Jahrhundert aber leider nicht möglich.
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3. Das Fallbeispiel Straßburg
kein provincial der sie besuch“.88 In einem Gutachten zu den verbliebenen Frauenklöstern stellt der Rat daher auch fest, dass das Kloster St. Magdalena „khein sonder orden oder provincial hatt“.89 Zumindest für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts aber kann eine Anbindung an den Reuerinnenorden noch angenommen werden. Eine Zugehörigkeit zum Dominikanerorden kann dagegen ausgeschlossen werden. Verwirrung könnte lediglich die Selbstbezeichnung der Nonnen stiften. Wie bereits erwähnt, befolgten die Reuerinnen die Regel des Augustinus. Taucht also der „ordo sancti augustini“ in der Eigenbezeichnung der Frauen auf, ist nicht ganz deutlich, ob damit die Zugehörigkeit zum ordo regularis oder aber die institutionelle Ordenszugehörigkeit gemeint war. Gerade in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, also nachdem mit dem Generalpropst ein wichtiges Bindeglied des Reuerinnenordens entfallen war, bezeichnen sich die Nonnen von St. Magdalena häufig nach ihrer Regel. 1592 etwa gaben die Nonnen bei einer Ratsvisitation an, „sie haben den Augustiner und die zu Sankt Claus in undis und Sankt Margred Dominicer orden oder predig orden“.90 1597 bezeichnen die Frauen ihr Kloster als „sant augustins ordens“.91 Konkrete Hinweise auf eine Anbindung an den Augustinerorden, wie etwa Korrespondenz oder Privilegien finden sich allerdings keine. Auch die Nonnen betonen, keinen Provinzial zu haben. Daher scheint es wahrscheinlich, dass sie sich hier lediglich in Bezug auf ihre Regel von den Dominikanerinnen abzugrenzen versuchen. Akkurater titulieren sich die Frauen in einem Rechtsstreit um 1651. Hier bezeichnen sie sich als „Gotteshauß zue den Reweren Sankt Maria Magdalena Ordens under der Regell Sankti Augustini“.92 Diese Bezeichnung ist eine schon im späten Mittelalter gängige Bezeichnung für den Reuerinnenorden.93 Vermutlich hatten auch die Nonnen von St. Magdalena selbst Schwierigkeiten, sich einem konkreten Orden zuzuordnen. Die traditionelle Anbindung an den Reuerinnenorden scheint noch bestanden zu haben, gleichzeitig aber mangelte es den Nonnen gerade in der zweiten Hälfte des 16. 88
Die Nonnen von St. Nikolaus hatten wiederum Unterstützung durch ihren Provinzial erhalten, der gegen den Rat vor dem Reichskammergericht wegen der Schließung des Klosters klagte. Die städtische Obrigkeit befürchtete nun, wegen der Reuerinnen ähnlichen Klagen ausgesetzt zu sein und fragte deshalb die Frauen, ob sie auch von einem Provinzial oder Oberen besucht würden, vgl. AMS II, 7/19. 89 Vgl. AMS AST 135/3, fol. 11v. 90 AMS II, 7/19. 91 Sie bezeichnen sich als „gottes haus Sankt Maria Magdalena alhier zu Straßburg sant augustins ordens“, AMS II, 63/2. 92 ADBR H 2975/15. 93 Vgl. Pfleger: Geschichte des Reuerinnenklosters, S. 74, die Chronik befindet sich im Priesterseminar als Ms. 210. Vgl. zur Selbst- und Fremdbezeichnung des Ordens im Spätmittelalter Kleinjung: Frauenklöster, S. 131f.
3.4 Exkurs: St. Magdalena
59
Jahrhunderts an einer institutionellen Einbindung und klaren Ansprechpartnern. Wie sich die Restbeziehung zum Reuerinnenorden genau gestaltete und an wen sich die Nonnen außerdem um Unterstützung wandten, wird noch genauer untersucht werden.94
94
Vgl. hierzu besonders Kapitel 8.2.5.
Teil 1
Diskurse, Akteure und Strukturen. Die Straßburger Klöster in ihrer Umwelt Im folgenden, ersten Teil wird die „Logik der Situation“ rekonstruiert. Dabei geht es darum, strukturelle Merkmale der Umwelt der Klöster zu erfassen und zu ermitteln, inwieweit diese Merkmale Handlungsrestriktionen darstellten oder Handlungsräume für die Gemeinschaften und die einzelnen Religiosen eröffneten. Es gilt abzuwägen, wie stark das Handeln der Religiosen von gesellschaftlichen, politischen, diskursiven oder rechtlichen Zwängen bestimmt war, um die Bedeutung erkennen zu können, die individuelle Handlungsmotive überhaupt entfalten konnten. Zunächst wird noch einmal die Debatte um das Klosterleben aufgegriffen, die Martin Luther angestoßen hatte und die als Ausgangspunkt der Klosterauflösungen des 16. Jahrhunderts gelten kann. Welche Politik sich aus diesen Diskursen in Straßburg ableitete wird in Kapitel fünf untersucht. Kapitel sechs geht auf die gesellschaftlichen Veränderungen in Straßburg ein. Untersucht wird, wie sich das Verhältnis der Familien zu den Klöstern veränderte. Des Weiteren werden die Auswirkungen der Reformation auf die Klosterwirtschaft und die Reaktionen der Orden auf den Umbruch im 16. Jahrhundert untersucht.
Kapitel 4
Der Diskurs über das Klosterleben im 16. Jahrhundert und seine Implikationen für die Geschlechtergeschichte Die Kritik am Klosterleben und am Zölibat nahm einen zentralen Platz in der Theologie Martin Luthers ein und prägt auch heute die evangelische Kirche. Bernd Moeller stellte noch im Jahr 2000 fest: „Man kann den Protestantismus geradezu definieren als die Kirche ohne Mönche, ohne Nonnen und ohne Zölibatäre. [...] Bis heute ist an dieser Stelle die Scheidung der Konfessionen unüberbrückbar.“1 Der Diskurs über das Klosterleben blieb schon im 16. Jahrhundert nicht den Sphären der Theologen verhaftet, sondern verbreitete sich rasch in der Bevölkerung. Im Jahr 1562 schrieb der Klosterhauptmann Joachim zu Kleinow, ein Amtmann des Herzogs Christoph von Mecklenburg, einen Bericht über die Einführung einer evangelischen Klosterordnung im adligen Kloster Dobbertin. Das Schreiben, das unter anderem die gewaltsame Ausweisung der letzten altgläubigen Klosterfrauen behandelt, endet mit dem Fazit: „So iss nhu im Lande tho Mekelenborch, deme Heren sy ewich Loff, des Satans Nest verstoret.“2 Nachdem das Mönchtum über Jahrhunderte hinweg kaum fundamental in Frage gestellt worden war, hatte sich unter dem Einfluss reformatorischer Schriften die Bewertung des Klosterlebens im öffentlichen Diskurs innerhalb weniger Jahrzehnte in den protestantischen Territorien und Städten radikal gewandelt. Die vormals als sakrale Orte des Gebetes und des religiösen Lebens wahrgenommenen Gemeinschaften waren zu „Nestern Satans“, oder auch, wie bei Martin Luther, zum „gefengnis menschlicher tyranney“ geworden.3 Im Folgenden sollen die wichtigsten Argumente der Reformatoren gegen das Klosterleben und ihre Verbreitung in Straßburg aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für die behandelte Fragestellung noch einmal kurz zusammengefasst werden, wenn auch bereits zahlreiche Publikationen zu 1
Moeller: Wenzel Lincks Hochzeit, S. 342. Zu Kleinow: Bericht, S. 309. 3 Hier zitiert aus Ursach und Antwort, WA 11, S. 338. Vgl. zu dieser Metapher ausführlich unten. Vgl. zum Ideal des Klosterlebens vor der Reformation Steinke: Paradiesgarten, besonders S. 103ff. Die Existenzberechtigung der Klöster und die Sinnhaftigkeit des Daseins der Mönche und Nonnen ist abgesehen von John Wyclifs Kritik über Jahrhunderte nicht angezweifelt worden, vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 101 und Lohse: Mönchtum, zu Wyclif besonders S. 176ff. 2
64
4. Der Diskurs über das Klosterleben im 16. Jahrhundert
dieser Thematik vorliegen. Dabei wird sich auch zeigen, dass bereits hier erste Geschlechterdifferenzen spürbar werden.
4.1 Das „gefengnis menschlicher tyranney“. Der Klosterdiskurs in der Frühen Neuzeit 4.1 Das „gefengnis menschlicher tyranney“
Als Hauptschrift Luthers zum Ordensleben gilt De votis monasticis Martini Lutheri iudicium. In De votis legt der Reformator seine Argumente in ihrer ausführlichsten und am weitesten entwickelten Form vor. Gleichzeitig gilt das Erscheinen der Schrift im Jahr 1521 als Initialzündung des öffentlichen Diskurses über das Klosterleben, einer ersten Austrittswelle aus den Klöstern und einer Reihe von Eheschließungen Weltgeistlicher.4 In fünf Schritten demontiert der Reformator in dieser während seines Aufenthaltes auf der Wartburg verfassten Schrift Sinn und Rechtmäßigkeit des Ordenslebens.5 Zentral ist erstens das Argument, das Klosterleben leite sich nicht aus der Heiligen Schrift ab, sondern sei „hominum inventum“, Menschenwerk. 4
Vgl. zur Bedeutung von De votis als Hauptschrift zum Klosterleben Steinke: Paradiesgarten, S. 213f.; Franzen: Zölibat und Priesterehe, S. 29ff.; Stamm: Luthers Stellung zum Ordensleben, S. 160. Steinke zeigt für Nürnberg die starke Abhängigkeit lokaler Flug- und Sendschriften gegen das Klosterleben von De votis, vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 227. Erste Priester hatten auch schon nach dem Erscheinen von An den Christlichen Adel deutscher Nation geheiratet. Vgl. zu An den Christlichen Adel auch Buckwalter: Priesterehe, S. 64ff. Die Passagen zum Klosterleben in An den Christlichen Adel zielen allerdings noch stärker auf eine Veränderung des Klosterlebens und der Gelübde als auf deren grundsätzliche Unvereinbarkeit mit dem Glauben, vgl. An den christlichen Adel, WA 6, S. 439f., 443f., 461. Die Entwicklung von Luthers grundsätzlicher Ablehnung der Gelübde aus einer deutlich offeneren Position in seinen frühen Schriften legt auch Lohse: Mönchtum und Reformation dar. Neue Akzente in der Bewertung von Luthers theologischem und persönlichem Abschied vom Klosterleben setzt Schäufele: „iam sum monachus“. Nach Schäufele hat Luther sich nicht zögerlich, sondern in zwei konsequent durchdachten Schritten geistig vom Mönchtum gelöst: Mit der Entwicklung eines evangelischen Mönchtums und schließlich der völligen Aufgabe des Klosterlebens. Noch stärker betont Hamm die „Allmählichkeit“ von Luthers Abschied vom Mönchtum, vgl. Hamm: Naher Zorn und nahe Gnade, hier S. 126. 5 Vgl. De votis, WA 8, S. 573ff. Vgl. für eine ausführliche Interpretation Stamm: Luthers Stellung zum Ordensleben, S. 49ff.; Lohse: Mönchtum, S. 263ff. und Rüttgardt: Klosteraustritte, S. 27ff. Vgl. für einen Überblick über ältere Auslegungen von Luthers Argumentation gegen das Klosterleben Stamm: Luthers Stellung zum Ordensleben, S. 1ff. Dass Luther das Klosterleben ablehnte, wird in der Regel aus seiner Theologie, nicht aus seiner eigenen Biographie als Mönch begründet. Vgl. für eine Auseinandersetzung mit Luther als Mönch und für seine biographische Beziehung zu den AugustinerEremiten Leppin: Martin Luther, S. 28ff.
4.1 Das „gefengnis menschlicher tyranney“
65
Das Prinzip sola scriptura hatte Luther bereits an anderer Stelle dargelegt, beruft sich in De votis aber noch einmal auf das Christuswort: „Ego via, veritas et vita.“6 Luther kritisiert in diesem Zuge außerdem die Unterscheidung zwischen einem Stand der Vollkommenen und einem Stand der Unvollkommenen, die die Ordensleute aus der irrigen Unterscheidung zwischen evangelischen Räten und evangelischen Geboten ableiten würden. Die Annahme, die Befolgung der Räte – Gehorsam, Armut und Keuschheit – sei einem gesonderten Stand und nicht der gesamten Christenheit aufgetragen, sei falsch und unbegründet.7 Zweitens, so wird in De votis deutlich, war das Ordensleben mit Luthers Ablehnung der Werkgerechtigkeit unvereinbar. Da das Heil durch den Glauben erlangt werden müsse, nicht durch fromme Werke, sei das Klosterleben überflüssig, so der Reformator. Luther beruft sich dabei auf das Pauluswort: „Omne quod non est ex fide, peccatum est.“8 Wenn aber die Gelübde nicht aus dem Glauben ableitbar seien, müssten sie demnach Sünde sein: „Ex quo inferimus, monastica vota, si ex fide non sint, esse peccata.“9 Allein diese beiden Argumente, die Prinzipien sola scriptura und sola fide, genügen Luther, um in De votis zu einem radikalen Zwischenfazit zu kommen, indem er alle Mönche von ihren Gelübden freispricht und erklärt, diese seien vor Gott nichtig: „Ego plane huius solius verbi autoritate, cum sit verbum spiritus sancti, qui est deus noster benedictus, Amen, ausim universos monachos a suis votis absolvere et cum fiducia pronunciare, vota eorum esse coram deo reproba et nulla.“10
Dennoch führt Luther im Folgenden drei weitere Argumente gegen das Klosterleben an. Das Ablegen bindender Gelübde laufe der jedem Menschen mit der Taufe geschenkten evangelischen Freiheit zuwider. Mit der Taufe habe der Mensch bereits Rechtfertigung erfahren, er müsse also in die Werke keine Hoffnung mehr setzen, sein Gewissen sei frei. Niemandem sei es gegeben, die durch die Taufe erlangte evangelische Freiheit aufzugeben, und nicht nur das: Die evangelische Freiheit zu verletzen sei nicht weniger schlimm, als den Glauben zu verleugnen und vom Glauben abzufallen.11 Die Gelübde würden dem Gewissen unnötige Fesseln anle6
Joh., 14,6. De votis, WA 8, S. 578. De votis, WA 8, 578ff., hier 578. Vgl. dazu auch Stamm: Luthers Stellung zum Ordensleben, S. 50f.; Lohse: Mönchtum, S. 364f. 8 Röm., 14, 23. De votis, WA 8, S. 591. 9 De votis, WA 8, S. 591. Vgl. zu diesem Abschnitt ausführlich Lohse: Mönchtum, S. 366. 10 De votis, WA 8, S. 597. Vgl. dazu auch Stamm: Luthers Stellung zum Ordensleben, S. 50ff.; Buckwalter: Priesterehe, S. 201ff.; Lohse: Mönchtum, S. 366f. 11 Vgl. De votis, WA 8, S. 605f. 7
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4. Der Diskurs über das Klosterleben im 16. Jahrhundert
gen.12 Des Weiteren würden die Mönche mit den Gelübden gegen die menschliche Vernunft verstoßen, die ein natürliches Gespür für das Schlechte habe.13 Schließlich nennt Luther verschiedene biblische Gebote, gegen die die Ordensleute direkt verstoßen würden. Dazu zählt er den Gehorsam gegenüber den Eltern und den Dienst am Nächsten.14 Ein weiteres Gebot, gegen das das Klosterleben verstoße und das Luther an dieser und anderer Stelle besonders hervorhebt, ist das Fortpflanzungsgebot in Genesis 1, 28: „Wachset und mehret euch.“15 Daran anknüpfend geißelt Luther besonders das Keuschheitsgelübde als im Widerstreit mit Gottes Willen. Während dieses Argument in De votis noch eine untergeordnete Rolle spielt, wird die Auseinandersetzung mit dem Keuschheitsgelübde in verschiedenen Folgeschriften zu einem zentralen Punkt in Luthers Auseinandersetzung mit dem Ordensleben insgesamt. In Vom ehelichen Leben etwa, einer Schrift, die ein Jahr nach De votis erschienen ist, schreibt der Reformator über Genesis 1, 28, dieses Gebot sei „nicht eyn gepot sondern mehr denn eyn gepott, nemlich eyn gottlich werck, das nicht bey uns stehet zuverhyndern odder noch zulassen, sondern ist eben also nott als das ich eyn manß bild sey, und nottiger denn essen und trincken, fegen und außwerffen, schlaffen und wachen.“16
Der Fortpflanzungstrieb, so Luther, liege in der Natur des Menschen, es sei nicht in seiner Hand sich dagegen zu erwehren. Zwar liest sich aus manchen Bemerkungen des Reformators weiterhin eine gewisse Wertschätzung der sexuellen Enthaltsamkeit: Die Gabe der Keuschheit sei „seltzam“17 und „ein gottis gabe“.18 Sie sei aber auch bei Weitem nicht so verbreitet wie die Klöster.19 Den meisten Menschen sei es unmöglich, das Keuschheitsgelüb12
Nach Ansicht von Lohse habe Luther tatsächlich erst in der Festlegung auf diesen Widerspruch zwischen den Gelübden und der evangelischen Freiheit das Mönchsideal „theologisch endgültig überwunden“, vgl. Lohse: Mönchtum, S. 378. 13 De votis, WA 8, S. 629ff. Vgl. dazu Stamm: Luthers Stellung zum Ordensleben, S. 55; Lohse: Mönchtum, S. 368f. Über die genannten fünf Argumente hinaus werden im Klosterdiskurs häufig auch utilitaristische Erwägungen genannt. Die Klöster galten den Städten als zu nichts mehr Nutze, vgl. dazu Steinke: Paradiesgarten, S. 241ff. 14 Vgl. De votis, WA 8, S. 617ff. Vgl. dazu ausführlich Stamm: Luthers Stellung zum Ordensleben, S. 54f. 15 Vgl. De votis, WA 8, S. 574ff. Vgl. dazu auch Franzen: Zölibat und Priesterehe, S. 27f; Moeller: Wenzel Lincks Hochzeit, S. 323f.; Steinke: Paradiesgarten, S. 230ff. und Buckwalter: Priesterehe, S. 105f. 16 Vom ehelichen Leben, WA 10,2, S. 276. Vgl. zu dieser Schrift Buckwalter: Priesterehe, S. 60f. Buckwalter sieht in Vom ehelichen Leben eine komprimierte Fassung von De votis in der Volkssprache, vgl. ebd., S. 111. 17 Vom ehelichen Leben, WA 10,2, S. 279. 18 Ursach und Antwort, WA 11, S. 967. 19 Ursach und Antwort, WA 11, S. 967ff. Vgl. zu Ursach und Antwort auch Rüttgardt: Diskussion, S. 90f. Vgl. zum Stellenwert der Keuschheit bei Luther auch Buckwalter:
4.1 Das „gefengnis menschlicher tyranney“
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de einzuhalten. Luther spottet, wenn man schon etwas geloben wolle, so solle man schwören „die nassen dyr selb nicht ab beyssen, das kanstu halten“.20 Im Umkehrschluss hieß dies für den Wittenberger Reformator, dass das Keuschheitsgelübde bereits überall gebrochen werde. Er stellt fest: „Und wo man das will weren, da ists dennoch ungeweret und geht duch hurerey und stummen sund seynen weg, denn es ist natur und nicht wilkore hierynne.“21 Bereits in De votis beschimpfte Luther die Klöster daher als „lupanaria Satanae“, als Bordelle Satans. Nirgends gehe es unkeuscher zu als unter jenen, die Keuschheit gelobt hätten.22 Aus der Ablehnung des Klosterlebens und des Zölibats leitete Luther das Primat der Ehe ab, die Ehe wird zum Imperativ: „Item, eyn iglicher hab seyn weyb und eyn ygliche yhren man, zu meyden hurerey.“23 In der Forschung ist darauf hingewiesen worden, dass Luther mit De votis keineswegs auf die sofortige Auflösung des Ordenswesens zielte, sondern dass aus theologischer Perspektive trotz der Radikalität der Argumente in De votis eine Reform des Klosterlebens und vor allem der Gelübde denkbar gewesen wäre.24 Auch waren dem Reformator wohl die praktischen Grenzen der Umsetzung seiner Kritik deutlich. Eine Ad-hoc-Schließung sämtlicher Klöster hat Luther nie gefordert. Der Wittenberger zeigte sich Priesterehe, S. 60ff. Buckwalter findet gerade in den frühen Luther-Schriften Hinweise darauf, dass der Reformator weiterhin dem zölibatären Leben die höhere Wertigkeit zuschrieb. Seine intensive Auseinandersetzung mit dem Keuschheitsgelübde sei aus seelsorgerischen Anliegen heraus entstanden, da er überzeugt war, dass das Zölibat für die meisten Mönche und Priester nicht einzuhalten wäre. 20 Vom ehelichen Leben, WA 10,2, S. 284. 21 Vom ehelichen Leben, WA 10,2, S. 276. 22 De votis, WA 8, S. 583. Die Rhetorik der Flugschriften, die die Priester- und Mönchsehe propagierten, spiegelt nach Ansicht von Buckwalter dabei auch das Selbstverständnis der neuen evangelischen Geistlichkeit und weist darauf hin, dass der Vorwurf der Unkeuschheit bis zu einem gewissen Grad topisch ist, vgl. Buckwalter: Priesterehe, S. 296. 23 Kor., 7, 2. Vom ehelichen Leben, WA 10,2, S. 292. 24 Vgl. vor allem Stamm, der betont, Luther habe das Ordensleben nicht als solches abgelehnt, sondern lediglich den bindenden Charakter und den Glauben an die Werkgerechtigkeit. Luther habe sich vielmehr um ein mit Gottes Willen vereintes Ordensleben bemüht, vgl. Stamm: Luthers Stellung zum Ordensleben, zusammenfassend S. 161f. Auch Stamm muss allerdings zugestehen, dass Luther die Umsetzung eines mit Gottes Wort in Einklang stehenden Ordenswesens in seiner Zeit für unmöglich hielt, vgl. ebd., S. 58. Steinke betont, die lutherischen Vorstellung vom schwachen Menschen stehe mit der Vorstellung der Berufung in der altgläubigen Theologie nicht im Gegensatz. Auch in der altgläubigen Theologie gelte die Berufung keineswegs als ausreichend. Die Bekehrung müsse von den Mönchen und Nonnen praktisch täglich wiederholt werden, vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 110.
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4. Der Diskurs über das Klosterleben im 16. Jahrhundert
pragmatisch. Als sich etwa im Juni 1537 ein Edelherr von Plesse an ihn wandte und ihn um Rat bat, wie er mit zwei Klöstern in seiner Herrschaft verfahren solle, antwortete der Reformator: „[...] der Kloster halben ist das mein bedenckenn, Euer Gnaden soll die Munche lassen im Kloster noch ein Zeit thun yhre weise. Vielmehr mugen Euer Gnaden solches inn Nonnenkloster verschaffen [...].“25 Dennoch wurden die skizzierten Argumente Luthers schnell und weit verbreitet und wurden letztlich, wie sich auch am Straßburger Beispiel zeigen lässt, unter Magistraten und Fürsten rezipiert und zur theologischen Begründung politischen Handelns gegen das Ordenswesen herangezogen. Dass auch in Straßburg Luthers Argumente gegen das Klosterleben weite und schnelle Verbreitung fanden, lässt sich etwa an der eingangs bereits zitierten Gefängnis-Metapher zeigen. Anknüpfend an die Betonung der evangelischen Freiheit, die er im Widerstreit mit dem Klosterleben sah, hatte Luther an verschiedenen Stellen die Klöster als „gefengnis“ bezeichnet.26 Diese Metapher taucht in Straßburg mehrfach unter Mönchen und Städtern auf. So senden etwa die Kartäuser 1526 ihrem Pfleger einen Zettel, in dem es heißt: „Die gefangenen armen Carthußler, uwer unterthone, begeren un bitten zu gedencken gegen den Closterherren, sye zu erlösen uß dem kercker und cutten irer gefenkniß.“27 Auch in einem Streit zwischen den beiden Straßburger Bürgern Matthias und Wolfgang Wurm und dem Kloster St. Nikolaus um den Austritt der Schwester der beiden Wurm, Anna, geben die Brüder an, ihr Anliegen sei es, „sy der abgötlichen gefangnuß zu erlösen“.28 Die Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation, in der die Gefängnismetapher auftaucht, wurde 1520 erstmals in Straßburg gedruckt. Eine besondere Rolle aber spielte auch in der elsässischen Reichsstadt bald aus ganz praktischen Gründen Luthers Auseinandersetzung mit dem Zölibat, dem Keuschheitsgelübde und der Priester- und Mönchsehe. Kurz nach 25
Zitiert nach von Boetticher: Chorfrauen, S. 223. Von Boetticher bezieht sich auf ein nicht publiziertes Schreiben Luthers im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv Hannover, Cal. Br. 33, Nr. 727. 26 Die Gefängnismetapher findet sich in An den Christlichen Adel, WA 6, S. 440: „Aber darnach hat man es [das Kloster] gefasset mit gelubden und ein ewig gefencknisz darusz gemacht [...]“. Hier zitiert aus Ursach und Antwort, WA 11, S. 338. 27 Zettel, eingebunden in Exzerpte aus den Ratsprotokollen zur Kartause, AMS AST 36/5, zwischen fol. 12 und 13, Autograph eines Kartäusers Leonhart, wahrscheinlich Leonard Stoffel. 28 AMS II, 7/21, fol. 31. Auch andernorts ist die Gefängnis-Metapher zum beliebten Allgemeinplatz geworden. In einer Bitte der Frankfurter Barfüßer an den Rat um Pension und Übernahme der Klostergüter heißt es: „uns umb fridden unsers gewissens und umb unsere seelen haile willen aus dieser Babilyonischen gefengnus...[zu] erlosen [...]“, zitiert nach Jahns: Frankfurt und Schmalkaldischer Bund, S. 117, Kürzungen und Ergänzungen der Autorin.
4.1 Das „gefengnis menschlicher tyranney“
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dem Erscheinen von An den Christlichen Adel wurde eine erste altgläubige Auseinandersetzung mit Luthers Forderungen gegen das Zölibat aus der Feder des Franziskanermönchs und Satirikers Thomas Murner gedruckt. Die Schriften De votis und Vom ehelichen Leben wurden 1522 in Straßburg publiziert. Im selben Jahr forderte der ehemalige Karmeliter Tilman von Lyn, einer der ersten neugläubigen Prediger in der Stadt, öffentlich die Priesterehe und stellte damit auch die Sinnhaftigkeit der mönchischen Gelübde in Frage.29 1522 äußerte sich ebenfalls der bekannte Prediger Matthias Zell in seiner Christlichen Verantwortung im Sinne Luthers zur Priesterehe, wohl schon unter dem Einfluss von De votis.30 Noch größere öffentliche Aufmerksamkeit aber wurde der Thematik der Priesterehe zuteil, als der Leutpriester Anton Firn in St. Thomas öffentlich seine Eheschließung verkündete und im November 1523 die Ehe vor den Toren des Münsters unter großer Aufmerksamkeit der Bevölkerung von Matthias Zell segnen ließ.31 Die von Zell gehaltene Predigt erschien kurz darauf unter dem Titel Collation auff die einfuerung M. Anthonij und Katherine seines ehelichen gemahels im Druck. In dem darauf folgenden Rechtsstreit zwischen dem Kapitel, das Firn seines Amtes entheben wollte und dem Leutpriester und seinen Unterstützern, entstanden mehrere weitere Flugschriften. Noch bis zum Ende des Jahres heirateten fünf weitere Straßburger Priester.32 In Straßburg fand die Auseinandersetzung um die Ehe also in außerordentlich öffentlicher Weise statt, so dass eine weite Verbreitung von Elementen dieses Diskurses auch in der Bevölkerung angenommen werden kann. Das Thema der Mönchsehe veranlasste auch Straßburgs Chefreformator Martin Bucer zu seiner wohl einzigen intensiveren Auseinandersetzung mit dem Klosterleben. Obwohl Bucer wie Luther ehemaliger Mönch war und auch geheiratet hatte, beschäftigte er sich mit dem Mönchtum weniger intensiv als der Wittenberger Reformator.33 Der ehemalige Dominikaner kam 1523 gemeinsam mit seiner Ehefrau, Elisabeth Silbereisen, einer ehemali29
Vgl. Buckwalter: Priesterehe, S. 221ff. Vgl. zu dieser Schrift Buckwalter: Priesterehe, S. 224ff. 31 Dieses Ereignis findet auch Niederschlag in der Straßburger Chronistik, vgl. Specklin: Collectanées, S. 499; Brant: Annales, Teil 2, S. 70ff.; Büheler: Chronique, S. 71. 32 Vgl. dazu Buckwalter: Priesterehe, S. 230ff. und Stafford: Domesticating the Clergy, S. 150f. Stafford interpretiert die Priesterehe als wichtiges Element in dem auch in sozialen Spannungen begründeten Bestreben, die Standesgrenze zwischen geistlichem und weltlichem Stand aufzuheben und den Klerus zu „domestizieren“, vgl. ebd., zusammenfassend S. 233ff. So auch Brady: Anticlericalism, S. 202ff. 33 Die Durchsicht der Bucer-Bibliographie hat ergeben, dass eine Bucerschrift ähnlich De votis nicht existiert. Die Verantwortung vor dem Straßburger Rat bleibt wohl die einzige intensivere Auseinandersetzung mit der Thematik, vgl. Verantwortung, BDS 1. 30
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4. Der Diskurs über das Klosterleben im 16. Jahrhundert
gen Nonne, nach Straßburg. Er verheimlichte seine Ehe nicht, sondern zeigte sie selbst beim Bischof an, der sich beim Rat um Unterstützung bemühte, um Bucer belangen zu können.34 Der ehemalige Dominikaner musste sich daraufhin vor dem Rat verantworten und griff dabei auf die zentralen Argumente aus De votis zurück.35 Bucers Argumentation in der vor dem Magistrat vorgetragenen Verantwortung, die wahrscheinlich kurze Zeit später im Druck erschien, ist zwar weniger stark strukturiert und weniger ausführlich als Luthers De votis, die wesentlichen Punkte der evangelischen Freiheit, der Unbegründbarkeit der Gelübde aus der Schrift und des Widerspruchs zu göttlichen Geboten aber greift der Neu-Straßburger wieder auf. Er fordert, „das alle die, so Christo im tauff gelobt und teüffel sampt sein wercken widersagt haben, mit keinem gelübdt noch gebott einicher creaturen moegen verstrickts und verbunden werden, dem nach zuo leben, das die menschen erdacht haben und das hynderlich ist zuo halten, das gott gebotten und Christus gelert hat.“36
Bucer geht dann im Einzelnen auf die Gelübde der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams ein und zeigt, inwieweit sie mit göttlichen Geboten im Widerstreit stehen.37 Auch Bucer hielt gerade das Zölibat für einen „unreinen“ Zustand. Weil Mönche ungeachtet ihrer Unfähigkeit keusch zu leben den Klosterstand angenommen hätten, hätten sie „zuor huorerey und zuo ungenanter unkeüschheit hyemit rum gemacht“. Zwar sei es „von gott frey gelasßen [...] allen Christen, in der Ee oder uß der Ee zuo leben, so ferr das sye das erwoelen, mit welchem sye am besten ire lenden gürten, das ist den fleischlichen lüsten ein zaum inlegen und mit erbarem wandel leüchten den nechsten zuor besserung“.
Doch sei es nur wenigen gegeben, tatsächlich Keuschheit zu halten, „darumb mag auch kein christenmensch on Ee eweig zuo bleiben, wie die münch und nunnen thuon, geloben.“38 Ob bei dieser oder einer anderen Gelegenheit, auch die Straßburger Stadtherren rezipierten die zentralen Argumente aus De votis. Zwar scheute der Magistrat in seinem Schrifttum aus rechtlichen Ursachen zumeist vor einer religiösen Begründung seines politischen Handelns zurück, in einer Erklärung zu seinen religionspolitischen Maßnahmen aus dem Jahr 1530 finden sich aber die wichtigsten reformatorischen Argumente gegen 34
Vgl. dazu die Exzerpte aus Ratsprotokollen bei Brant: Annales, Teil 2, S. 62ff. Vgl. dazu Buckwalter, Priesterehe, S. 227f.; Selderhuis: Bucer und die Ehe, S. 174. Selderhuis betont, dass auch in Bucers Theologie die Frage der Ehe eine zentrale Rolle spielt und dass Bucer zu Unrecht lediglich für seine liberalen Äußerungen zur Ehescheidung bekannt sei. 36 Verantwortung, BDS 1, S. 162. 37 Vgl. Verantwortung, BDS 1, S. 164ff. 38 Vgl. Verantwortung, BDS 1, S. 166f., hier S. 167 und 168. 35
4.2 Das Primat der Ehe
71
das Klosterleben noch einmal kompakt zusammengefasst, ergänzt durch ebenfalls populäre utilitaristische Überlegungen. Es wird festgestellt, „das das closter leben, zu unseren zyten widder Gott ist mitt syn eigenem uffsetzen und angenommener wyß, on den Rechten verstandt gots wort, uffkhommen. Sy ein beschwerung vil armer lüt, dan es fürdere unnutzem miessiggang, gebe ursach widder gott zu leben, in dem das es die ee pflegt zu verboten, under besonder personen gehorsam sich begeben und nitt blybe in gemeiner ordnung und in jedermans dienstbarkheit noch der Regell der lieb und es verstricke sich zu eyn selbserwelten gots dienst, als zu dem Messen, zu irren siben zyten, zu dem unverstendigen gesang, das gar dem glauben an gott durch Christum abbrüchig, darumb ier eigennutziger miessiggang undt absünderung wider bruderliche lieb sey.“39
4.2 Das Primat der Ehe und seine Bewertung in der Geschlechtergeschichte 4.2 Das Primat der Ehe
Untersuchungen zu Geschlechterdiskursen in der Frühen Neuzeit haben ein höchst ambivalentes Bild der Epoche gezeichnet. Einerseits sei die Frühe Neuzeit eine Zeit relativer Offenheit der Geschlechterdiskurse gewesen, besonders im Vergleich zum 17. und 18. Jahrhundert.40 Geschlechterrollen, so Lynn Hunt, konnten verhandelt werden.41 Gleichzeitig wurde vielfältig festgestellt, dass sich in der Frühen Neuzeit, besonders im 16. Jahrhundert, im Zuge von Humanismus und Renais39
AMS AA, 415, fol. 97r f. Diese These geht zurück auf die körpergeschichtlichen Arbeiten von Thomas Laqueur. Er vertrat die These, dass im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit noch die biologische Vorstellung des „Ein-Geschlecht-Modells“ gängig war. Nach den Vorstellungen der Humoralpathologie waren Frau und Mann noch nicht durch feste, äußerliche oder organische geschlechtliche Merkmale bestimmt, sondern vielmehr durch ein unterschiedliches Verhältnis von Körpersäften, vgl. Laqueur: Auf den Leib geschrieben, S. 87ff. Vgl. zum nachhaltigen Erfolg von Laqueurs Thesen Erhart: Forschungsbericht, S. 170. Vgl. zur Offenheit und Vielfältigkeit der Geschlechterbilder in der frühen Neuzeit auch Erhart/Herrmann: Der erforschte Mann? S. 17; Roper: Blut und Latze und Anthony Fletcher: Gender, Sex & Subordination.In jüngerer Zeit ist aus der These von der relativen Offenheit der Geschlechterverhältnisse in der im anglo-sächsischen Raum populären Psychohistorie die Hypothese abgeleitet worden, die Frühe Neuzeit sei eine Zeit der starken Verunsicherung von Männlichkeiten gewesen. Ein Gefühl der Angst („High Anxiety“) und der Krise habe den frühneuzeitlichen Mann bestimmt, vgl. z.B. Breitenberg: High Anxiety; Long: High Anxiety; Hadley: Masculinity in Medieval Europe. Diese These scheint allerdings auch aufgrund mangelnder Quellenbelge m. E. wenig plausibel. 41 Vgl. Hunt: The Challenges of Gender, S. 74ff. In jüngerer Zeit ist die Verhandelbarkeit von Geschlechterrollen in Mikrostudien auch für die scheinbar von klarer Rollenverteilung geprägte Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts nachgewiesen worden, vgl. für das Hamburger Bürgertum Trepp: Sanfte Männlichkeit und für Nürnberg Habermas: Frauen und Männer. 40
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4. Der Diskurs über das Klosterleben im 16. Jahrhundert
sance, das Verhältnis zwischen den Geschlechtern deutlich gewandelt hat und neue Leitbilder von Männlichkeit und Weiblichkeit entstanden.42 In Bezug auf weibliche Lebensformen ist der durch Reformation und Renaissance hervorgerufene Wandel der Geschlechterbilder von vielen GenderForschern als Veränderung zu Ungunsten der Frau interpretiert worden. Schon in den siebziger Jahren bezweifelten Joan Kelly und Eleanor McLaughlin noch aus frauenhistorischer Perspektive den vermeintlichen Reform- und Fortschrittscharakter des 16. Jahrhunderts unter provokativen Titeln. Joan Kelly etwa fragte: „Did Women have a Renaissance?“,43 während Eleanor McLaughlin überlegte: „Was there a Reformation in the Sixteenth Century?“44 Joan Kelly versuchte zu zeigen, dass Frauen im 15. und 16. Jahrhundert in Italien eine Abdrängung in das „Private“, das heißt in den Haushalt, erfuhren und dass das Ideal der keuschen Frau maßgebend wurde. An diese Untersuchung knüpfte noch in den neunziger Jahren Lyndal Roper an, die Kellys Thesen für Augsburg teilweise bestätigen konnte.45 Lyndal Roper hat in diesem Zusammenhang von der „Domestizierung“ der Frau gesprochen.46 Seit der Arbeit von Eleanor McLaughlin spielt in dieser Diskussion auch das Klosterleben eine wichtige Rolle. Der Wegfall dieser weiblichen Lebensform zugunsten eines Primats der Ehe in der protestantischen Theologie ist immer wieder negativ als Reduktion der Vielfalt weiblicher Lebensformen interpretiert worden.47 Antje Rüttgardt postuliert: „Damit trug die reformatorische Polemik gegen das weibliche Religiosentum [...] in der Folge wesentlich mit dazu bei, die (legitimen) Möglichkeiten weiblicher Lebensgestaltung auf die Rolle als Ehefrau und Mutter zu beschränken.“48 42
Vgl. für dieselbe Einschätzung Abrams/Harvey: Introduction: Gender relations in German history, S. 6; Roper: Ödipus und der Teufel, S. 109ff. Wolfgang Schmale etwa postuliert in Bezug auf Männlichkeiten die Entstehung eines „Neuen Adam“. Klugheit, Mut, Gerechtigkeit, Kontrolle des Körpers bzw. Mäßigkeit seien die Ideale des „Viertugendmannes“ gewesen, vgl. Schmale: Geschichte der Männlichkeit. S. 25ff. Dem gegenüber steht das Bild roher Initiationsrituale unzivilisierter junger Patrizier, das Lyndal Roper zeichnet, vgl. Roper: Ödipus und der Teufel, S. 109ff. 43 Kelly: Did Women have a Renaissance? 44 McLaughlin: Was there a Reformation in the Sixteenth Century? 45 Vgl. Kelly: Did Women have a Renaissance?, besonders S. 21 und S. 41; Roper: Das fromme Haus, besonders S. 9ff. und S. 54ff. 46 Roper: Frommes Haus, S. 9. Ebenso Westphal: Kirchenzucht, S. 155. 47 Vgl. u.a. Rüttgardt: Diskussion, S. 71. Noch im 19. und 20. Jahrhundert war die Ehe lediglich als rechtliche, moralische oder theologische Institution untersucht worden, erst in jüngerer Zeit wird sie auch als Mittel der Konstruktion von Geschlechterdiskursen verstanden, vgl. Burghartz: Umordnung, S. 167f. 48 Rüttgardt: Diskussion, S. 71. Vgl. ähnlich auch Henze: Kontinuität und Wandel, S. 150, die einen interkonfessionellen Vergleich zwischen reformatorischem und tridentinischem Eheverständnis vornimmt.
4.2 Das Primat der Ehe
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In dem beschriebenen Wandel sieht sie einen „Paradigmenwechsel“ im Geschlechterdiskurs der Frühen Neuzeit.49 Dem haben sich viele Forscherinnen angeschlossen.50 Diese Interpretation der Auswirkungen des von Luther angestoßenen Diskurses um das Klosterleben und die Ehe steht allerdings nicht unangefochten im Raum.51 Tatsächlich sind mit der beschriebenen Bewertung mehrere Probleme verknüpft. Erstens basiert diese Interpretation auf einer grundsätzlich positiven Bewertung des Klosterlebens von Frauen. In manchen Arbeiten sind Frauenklöster regelrecht zu freiheitlichen Enklaven weiblichen Wirkens in patriarchalischen Gesellschaften stilisiert worden.52 Dem haben unter anderem Luise Schorn-Schütte und Steven Ozment die gleichberechtigte Stellung von Mann und Frau im lutheranischen Haushalt entgegengehalten. Gerade bei Ozment geht die positive Bewertung der Geschlechterbeziehung in der Ehe einher mit einer entsprechend negativen Sicht auf das weibliche Religiosentum, das als Symptom misogyner klerikaler Tendenzen interpretiert wird.53 Die verschiedenen Maßnahmen der Sozialdisziplinierung frühneuzeitlicher Obrigkeiten, die etwa von Lyndal Roper und Heide Wunder als Vollstreckungsinstrument der Patriarchen zur Zementierung der Geschlechterverhältnisse gesehen werden, sind umge49 Rüttgardt: Diskussion, S. 94. Dem schließt sich Moeller: Wenzel Lincks Hochzeit, S. 333 an. Ähnlich, wenn auch deutlich positiver schon die Bewertung von Kawerau: Reformation und Ehe, S. 2. 50 Ähnlich haben sich auch geäußert: Wiesner: Women and Gender; dies.: Gender, Church and State, S. 84ff.; Maclean: Renaissance Notion, S. 75ff.; McLaughlin: Was there a Reformation in the Sixteenth Century?, S. 39ff.; Hufton: Frauenleben, besonders S. 662f.; Göttsch: Geschlechterforschung und historische Volkskunde, S. 9ff.; S. 192; Abrams/Harvey: Introduction: Gender relations in German history, S. 6f.; Wunder: Normen und Institutionen der Geschlechterordnung, besonders S. 70; Farge/Zemon Davis: Geschichte der Frauen, S. 11. Laut Heide Wunder wurde der neue Diskurs allerdings nicht von den Reformatoren allein getragen, sondern fand willige Vervielfältigung im zünftischen Handwerk und unter den Humanisten, vgl. Wunder: Gender norms and their reinforcement; dies.: Geschlechtsidentitäten und dies.: Normen und Insitutionen der Geschlechterordnung. An anderer Stelle hebt Wunder aber auch die Beteiligung „religiös autorisierter“ Frauen am reformatorischen Diskurs hervor, vgl. Wunder: Frauen in der Reformation, S. 308ff., hier S. 316. 51 Vgl. für einen knappen Überblick über die Debatte Lotz-Heumann/Ehrenpreis: Reformation und konfessionelles Zeitalter, S. 95ff. oder Opitz: Um-Ordnungen der Geschlechter, S. 89ff. 52 Eine romantisierende Darstellung findet sich vor allem bei Lorenz: Vom Kloster zur Küche, S. 7ff. 53 Vgl. Schorn-Schütte: Gefährtin und Mitregentin, S. 109ff.; Ozment: When fathers ruled, zur Bewertung des Klosterlebens besonders S. 9. In der älteren Literatur findet sich diese Position in der protestantisch konfessionell geprägten Literatur, etwa bei Kawerau: Reformation und Ehe.
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4. Der Diskurs über das Klosterleben im 16. Jahrhundert
kehrt auch als Bruch mit dem Gewaltmonopol der Hausväter gedeutet worden. Frauen sei etwa vor Ehegerichten die Möglichkeit zur Klage und damit zur Verteidigung ihrer Position geboten worden.54 Darüber hinaus ist auch ganz allgemein der postulierte Wandel der Geschlechterdiskurse im 16. Jahrhundert in Frage gestellt worden. Die bisherige Forschung gehe möglicherweise der reformatorischen „Erneuerungs-Rhetorik“ auf den Leim. Der Geschlechterdiskurs der Frühen Neuzeit sei kein „neues widerspruchsfreies Gesamtkonzept“ gewesen.55 Ungeachtet dessen, wie ein (vermeintlicher) Wandel der Geschlechterdiskurse vor dem Hintergrund der Bewertung des Klosterlebens abschließend zu interpretieren ist, zeigt ein Blick in die Quellen, dass zumindest bei Luther tatsächlich eine besonders negative Bewertung des weiblichen Religiosentums im Vergleich zum Mönchtum zu finden ist. In seiner Schrift Ursach und Antwort, daß Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen (1523)56, die ähnlich wie De votis weit reichenden Einfluss auf die zeitgenössischen Diskurse hatte, forderte Luther besonders die Eltern von Nonnen dazu auf, ihre Kinder aus den Klöstern zu nehmen.57 Er begründete seinen Vorstoß vor allem aus dem Argument gegen das Keuschheitsgelübde. Besonders Frauen, so Luther, sei die Einhaltung dieses Gelübdes selten gegeben. Gleichzeitig bezog der Reformator den bereits mehrfach zitierten Reproduktionsauftrag aus Gen., 1, 28 besonders auf das weibliche Geschlecht: „Denn eyn weybs bild ist nicht geschaffen, jungfraw tzu seyn, sondern kinder zu tragen [...].“58 Drastischer noch hat Luther seine geschlechterspezifische Funktionszuschreibung in Vom ehelichen Leben be54
Vgl. Schmidt: Sozialdisziplinierung, S. 655f. Burghartz: Umordnung, S. 183; Schnell: Frauendiskurs, Männerdiskurs, S. 282. Untersuchungen zur Reformation in Großbritannien sind zu dem Schluss gekommen, dass die Aufklärung viel deutlicher als die Reformation einen Wandel der Geschlechterdiskurse herbeigeführt habe, vgl. Mendelson/Crawford: Women in Early Modern England; Fletcher: Gender, Sex and Subordination. Ähnlich fällt das Urteil von Joel F. Harrington aus. Er zweifelt zum einen den radikalen Wandel des Diskurses an, stellt aber vor allem die Möglichkeiten der Implementierung der sozialdisziplinarischen und religiösideologischen Ehevorstellungen von Reformatoren und protestantischen Obrigkeiten in Frage, vgl. Harrington: Reordering Marriage, S. 277. Lyndal Roper hingegen hält an der These des Wandels fest, vgl. Roper: Gender and the Reformation, S. 299f. 56 Ursach und Antwort entstand als öffentliche Verteidigungsschrift für den Torgauer Bürger Leonard Koppe, der zwölf Insassen des Klosters Marienthron, darunter Luthers spätere Frau Katharina von Bora, zur Flucht aus dem Klosters verholfen hatte, vgl. WA 11, S. 387f. 57 Vgl. zur Rolle von Ursach und Antwort im Klosteridiskurs Steinke: Paradiesgarten, S. 214; Stamm: Luthers Stellung zum Ordenswesen, S. 61f.; Rüttgardt: Diskussion, S. 82. Vgl. zur Auffordderung an die Eltern der Religiosen Ursach und Antwort, WA 11, S. 396f. 58 Ursach und Antwort, WA 11, S. 398. 55
4.2 Das Primat der Ehe
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schrieben, eine Schrift, die ihm nicht ganz zu Unrecht den Ruf des Misogynen eingebracht hat: „Also soll auch das weyb inn seynen wercken dencken, wenn sie das kind seuget, wieget, badet unnd ander werck mit ihm thutt und wenn sie sonst erbeyttet und ihrem man hilfft und gehorßam ist: Es sind alles eyttell guldene, edele werck. Alßo soll man auch das weyb trosten und stercken ynn kindes notten […], also sagen: ‚Gedenck, liebe Greta, das du eyn weyb bist, und diß werck gott an dyr gefellet, troste dich seyns willens frolich und laß yhm seyn recht an dyr. Gib das kind her und thu datzu mit aller macht, stirbstu drober, so far hyn, wol dyr, Denn du stirbist eygentlich ym edlen werck und gehorßam gottis.“59
Welchen Einfluss derartige Zuschreibungen tatsächlich auf das Eheleben hatten und wie weit sich daraus eine besondere Verschlechterung der Stellung der Frau in der Frühen Neuzeit ableiten lässt, kann an dieser Stelle nicht abschließend entschieden werden. Schon in Martin Bucers Auseinandersetzung mit dem Keuschheitsgelübde stehen „münch und nunnen“ undifferenziert im Verdacht sittlicher Übertretungen.60 Doch blieb Luthers Postulat nicht ohne Folgen. Der Reformator knüpfte mit seinen Überlegungen an die schon im späten Mittelalter verbreitete Vorstellung größerer sexueller infirmitas der Frauen an.61 Gerade weibliche Religiosen standen häufig unter dem öffentlichen Verdacht, hinter den Klostermauern, den Blicken der Stadtgemeinschaft und der Aufsicht weltlicher Männer entzogen, ein freizügiges Leben zu führen.62 Im 16. Jahrhundert finden sich Elemente dieses Diskurses nicht selten unter den Argumenten, die bei der Schließung von Frauenklöstern vorgebracht werden, so auch in den Straßburger Quellen.63 Zu nennen ist ein Dokument, das im Zusammenhang mit der Schließung von St. Nikolaus entstanden ist. In Reaktion auf ein vom Dominikanerprovinzial Konrad Zittard erwirktes kaiserliches Mandat gegen die Stadt hatte der Rat eine Kommission mit dem Verfassen der Exzeption beauftragt. Bei der überlieferten Schrift handelt es sich um einen Entwurf dieser Verteidigungsschrift, der wohl aufgrund 59
Vom ehelichen Leben, WA 10, 2, S. 296. Vgl. dazu auch Steinke: Paradiesgarten, S. 231. 60 Vgl. Verantwortung, BDS 1. 61 Vgl. Ursach und Antwort, WA 11, 397f. Vgl. dazu auch Rüttgardt: Diskussion, S. 90ff. 62 Vgl. dazu Schmitt: Geistliche Frauen, S. 339ff., die die Skandale in den beiden Straßburger St.-Klara-Klöstern im 15. Jahrhundert untersucht. Hier gerieten Verhältnisse zwischen den Frauen und ihren Beichtvätern ins Visier der Stadtobrigkeit. Vgl. zu diesem Topos allgemeiner auch Uffmann: Innen und außen, S. 192f und Roper: Frommes Haus, S. 197f. 63 Auch im Fall der Schließung des Klosters Frauenalb tauchen ähnliche Vorwürfe auf. Hier wird sogar der Vorwurf des Mordes an illegitimen Kindern erhoben, vgl. Kratsch: Justiz – Religion – Politik, S. 103ff.
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4. Der Diskurs über das Klosterleben im 16. Jahrhundert
seines stark polemischen Tons in dieser Form nie vor das Kammergericht gebracht wurde.64 Während die Ratsprotokolle und der Beschluss zur Zusammenlegung von St. Nikolaus und St. Margaretha lediglich wirtschaftliche Gründe für die Entscheidung anführen,65 bezieht sich das Regiment in seiner Verteidigung mit unverhohlenem Spott auch auf das sittliche Leben der Nonnen. In der Schrift heißt es, die Nonnen seien „weit von ir berumten jungfreulich leben gewest und mit heimlicher hurerey und buberey lang zeit umgangen“.66 Den Nonnen wird der Umgang mit Priestern vorgeworfen, auch sei eine ehemalige Priestermätresse, von der die Beichtväter des Klosters „nun genug und satt gehabt“ in St. Nikolaus untergebracht worden. Eine der ehemaligen Nonnen habe außerdem einen Sohn geboren. Die Kommission bemerkt dazu sarkastisch, dies komme womöglich von „closterlicher fruchtbarkeit, da man sagt, das der schatten von clostern fruchtbar mache.“67 Abgesehen davon, ob diese Vorwürfe zutreffen, wird anhand dieser Schrift zumindest deutlich, dass dem geschlechterspezifischen Diskurs über die infirmitas weiblicher Religiosen als politisches Argument eine für die Existenzchancen von Frauenklöstern durchaus wichtige Rolle zukommen konnte. Der Rat konnte hier an alte Topoi anknüpfen, die durch die Reformatorische Lehre zumindest an Aktualität gewonnen hatten und sie womöglich sogar verstärkten. Zu einer abschließenden und allgemeinen Bewertung eines möglichen Diskurswandels sind darüber hinaus wohl noch weitere Studien notwendig. In diesem Zuge wäre es wünschenswert, auch die Auswirkungen eines möglichen Wandels auf Männer und Mönche zu untersuchen. Da sich Luthers Reproduktionsimperativ scheinbar vor allem auf Frauen als Gebärende bezieht, ist der Diskurswandel in der Frühen Neuzeit bislang vor allem als ungünstig für die Stellung der Frau interpretiert worden. Wie sich dieser Wandel für Männer auswirkte, blieb dabei unberücksichtigt.68 Da Männer in der Familienhierarchie der Frühen Neuzeit als „Hausväter“ über ihren Ehefrauen standen, wurde stillschweigend unterstellt, dass sie von der Verengung der Lebensformen, die durch die Entwertung des zölibatären und gemeinschaftlichen religiösen Lebens zustande kam, nur profitiert haben können. Außer Acht ist bisher geblieben, dass der Imperativ der Ehe für Männer in ähnlichem Maße galt und auch für sie nicht immer ohne Schwierigkeiten zu realisieren war. Auch die neue Wertigkeit des „tätigen 64
Vgl. AMS AST 170/35. Vgl. Ratsprotokolle (2. Februar 1592), fol. 32v ff. und (8. April 1592), fol. 140v ff. 66 AMS AST 170/35, fol. 272. 67 AMS AST 170/35, fol. 275. 68 Zu diesem Schluss kommt auch Roper: Gender and the Reformation, S. 294. Einer der wenigen Sammelbände ist Dinges: Hausväter, Priester, Kastraten. 65
4.2 Das Primat der Ehe
77
Lebens“ gegenüber der vita contemplativa hatte für Männer einen gravierenden Wandel idealer Männlichkeitsvorstellungen zur Folge, der ebenfalls bislang weitgehend unbeachtet geblieben ist.
Kapitel 5
Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates 5.1 Der Rat als Akteur zwischen Bevölkerung, Kirchenkonvent und Reichspolitik 5.1 Der Rat als Akteur
Im folgenden Kapitel wird die Klosterpolitik des Stadtrates als einer der wichtigsten strukturellen Faktoren der Umwelt der Straßburger Mönche und Nonnen untersucht. Polarisierend könnte man die in diesem Kapitel untersuchte Frage folgendermaßen stellen: Kann in Straßburg tatsächlich von „Klosterschließungen“ im Sinne obrigkeitlicher, gewaltsamer Eingriffe gesprochen werden? Oder handelte es sich vielmehr um „Klosterauflösungen“, also von den Gemeinschaften selbst eingeleitete Aufhebungen der Klöster? Zunächst muss dabei der „Rat und Einundzwanzig“, das zentrale Gremium der Straßburger Stadtobrigkeit, selbst als Akteur betrachtet und nach den Grenzen seines Handlungsspielraums gefragt werden. Innerstädtisch, das hat die Forschung zur Straßburger Reformationsgeschichte herausgearbeitet, hatten im 16. Jahrhundert vor allem zwei Gruppen Einfluss auf die Politik des Rates: die unteren Handwerkerschichten und der Kirchenkonvent. Sie sollen im ersten Abschnitt genauer betrachtet werden. Des Weiteren müssen die Handlungsrestriktionen, die sich aus der reichsrechtlichen Lage ergaben, in den Blick genommen werden. Im zweiten Abschnitt werden dann die religionspolitischen Maßnahmen, die der Rat ergriff, genauer untersucht und mit denen anderer protestantischer Territorien und Reichsstädte verglichen. 5.1.1 Rat und Bevölkerung in der Frühphase der Reformation Noch Robert Stupperich hat das Verhältnis von Rat und Bürgerschaft in Straßburg in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts als ein Bild der Harmonie gezeichnet. Rat und Bürger, so Stupperich 1941, „standen treu zusammen, um das Werk der Reformation, wenn auch vorsichtig, so doch gründlich und entschieden durchzusetzen.“1 Diese Sichtweise, die Thomas
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Stupperich: Straßburgs Stellung, S. 249.
5.1 Der Rat als Akteur
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Brady als „romantisch“ bezeichnet, muss sicherlich modifiziert werden.2 Ebenso, wie sich in der vor allem in den achtziger Jahren geführten Debatte um die Frage nach der Reformation „von unten“ oder „von oben“ eine mittlere Position etabliert hat, die eine dialektische Beziehung zwischen „Volksreformation“ und Rats- oder Fürstenreformation postuliert, kann auch in Straßburg von einer wechselseitigen Beeinflussung, wenn auch nicht von einem harmonischen Miteinander von Rat und Bevölkerung gesprochen werden.3 Tatsächlich kamen in Straßburg wichtige Impulse zur Einführung der Reformation „von unten“. Die frühe Euphorie wurde vor allem von den niedrigen Handwerkerschichten wie den Gärtnern, den Fischern, den Bootsmachern und den kleinen Ladenbesitzern getragen, die zwar wenig politischen Einfluss hatten, aber aufgrund ihrer Anzahl kaum ignoriert werden konnten.4 Die Reformvorstellungen dieser Gruppe waren radikal. Rapp resümiert: „Ils voulaient une refonte totale des institutions ecclésiastiques, un changement radical de la vie religieuse.“5 Gleichzeitig sympathisierten die kleinen Handwerker mit den ab 1524 im Elsass revoltierenden Bauern. Die Forderung nach einer Reform des religiösen Lebens war eng verbunden mit der Forderung nach sozialen Reformen, die sich wiederum auch gegen die Geistlichkeit richtete, die als Empfänger von Zehnten, Gülten und Zinsen in den Fokus geriet.6 Zwar gelang es dem Magistrat, den Frieden in der Stadt im Großen und Ganzen zu sichern. Jedoch weisen einzelne Ereignis2
Brady: Ruling Class, S. 204, Anm. 15. Vgl. für eine Problematisierung und Integration verschiedener Reformationsmodelle vor allem Hamm: Reformation „von unten“, S. 256 ff. Hamm stellt besonders für die Städte die wechselseitige Beeinflussung von Bevölkerung und Rat dar, sieht die Humanisten als Scharnier zwischen den beiden Kräften und betont die theologischen Kontinuitäten der Zeit vor/nach 1525. Auch Reinhard resümierte zuletzt, „Volksreformation“ und „Ratsreformation“ müssten im Zusammenhang gesehen werden, es könne höchstens phasenweise ein Übergewicht der einen oder anderen Bewegung festgestellt werden, vgl. Reinhard: Reichsreform und Reformation, S. 290. Vgl. für Straßburg Brady: Ruling Class, S. 200ff. 4 Vgl. Rapp: Réformes et Réformation, S. 476; Rott: Artisanat, S. 143; Bei den Gärtnern, Fischern und Bootsmachern handelt es sich um Zünfte, die in der von Martin Alioth für das Mittelalter etablierten und von Brady für das 16. Jahrhundert untersuchten Zunfthierarchie am unteren Ende rangierten, vgl. Alioth: Zünfte und Patriziat, S. 293ff.; Brady: Ruling Class, S. 118ff.; Rott: Artisanat, S. 143ff. Allein die Gärtner machten aber laut Rott ein Sechstel bis ein Fünftel aller Zunfthandwerker aus, vgl. ebd. 5 Rapp: Réformes et Réformation, S. 476. 6 Vgl. Brady: Ruling Class, S. 199. Auch Stafford hat die Position vertreten, dass die Reformation vor allem eine Kanalisierung sozialer Unzufriedenheit gewesen sei, die sich gerade gegen die privilegierte Position des Klerus richtete, vgl. Stafford: Domesticating the Clergy, S. 233ff. und ders.: Anticlericalisme, S. 63ff., wobei hier sicherlich der sozialkritische und antiklerikale Aspekt überbetont wird. 3
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5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
se, von denen gerade auch die Klöster der Stadt betroffen waren, auf die aufgebrachte Stimmung gegenüber Klerikern und Ordensgeistlichen hin. 1523 brachte eine aufgeregte Menge den Augustinerprovinzial Konrad Treger in ihre Gewalt, der mit seinen antilutherischen Schriften einer der bekanntesten Ordensgeistlichen der Stadt geworden war. Die Bürger brachten den Ordensmann gemeinsam mit einigen ebenfalls spontan in Haft genommenen Dominikanern vor den Magistrat. Der Franziskanerguardian Thomas Murner, ein gleichermaßen bekannter antilutherischer Pamphletist, hatte die Stadt rechtzeitig verlassen.7 Im selben Jahr kam es zwischen mehreren Mönchen und zwei Bürgern im Dominikanerkloster zu einer Schlägerei. Offenbar hatte sich der Streit dadurch entzündet, dass einer der Männer während der Messe pfiff „wie ein Nachtgall“, wodurch sich die Mönche beleidigt fühlten. Es kam zu einem Wortwechsel, in dessen Verlauf die Mönche den Prediger Matthias Zell als „Ketzer“ bezeichnet haben sollen. Daraufhin flog Chorgestühl und einer der Bürger erlitt eine Kopfverletzung.8 Kurze Zeit später drang eine aufgebrachte Menge in das Franziskanerkloster ein und zerstörte die Druckerpresse, auf der Thomas Murner seine antilutherischen Schriften vervielfältigen ließ.9 Mehrfach versammelten sich auch vor anderen Klöstern protestierende Menschenmengen. Vor dem Kloster der Karmeliter forderten 20 Personen, das Lesen der Messe und die Spendung der anderen Sakramente zu unterlassen, sie gaben an, man forderte dies „uß bevelch der gemein“.10 Der Straßburger Chronist Büheler berichtet darüber hinaus auch von einer Gruppe von angeblich 600 Personen, „handwerckern und sonst allerley hudelmansgesindt“, die das Kloster der Augustiner, St. Arbogast und die Kartause geplündert hätten, diese Angaben scheinen allerdings übertrieben.11 Anderweitig verbürgt ist lediglich ein Überfall auf einen Weintransport der Kartäuser 1525, der in einem öffentlichen Saufgelage endete.12 7
Vgl. Vermeulen: Konrad Treger, S. 26. Vgl. zu diesem Vorfall auch Dollinger: Leben Thomas Murners, S. 32; Lienhard: Murner und die Reformation, S. 71f. und Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 75ff. Auch der zeitgenössische Chronist Büheler berichtet über die Festnahme der Mönche und beziffert die Zahl der Gefangenen auf 20, vgl. Büheler: Chronique, S. 73. 8 Vgl. AMS 37/1, fol. 4r ff., Protokoll der Aussagen der Beteiligten vor dem Rat. 9 Von der Druckerei im Franziskanerkloster berichtet auch Specklin: Collectanées, S. 500. Vgl. dazu auch Lienhard: Aufbruch und Entfaltung, S. 22 und Rapp: Franciscains et Réformation, S. 159. 10 AMS 37/1, fol. 46r, so der Bericht des Priors der Karmeliter vor dem Rat. 11 Vgl. Büheler: Chronique, S. 73. Büheler, geboren 1529, war kein Augenzeuge. Er war außerdem Katholik und neigte dazu, das Ausmaß des Leidens seiner Glaubensgenossen zu übertreiben. Vgl. zu Büheler: Dacheux: Introduction, S. 23ff. 12 Vgl. Rott: Artisanat, S. 145ff.; Vierling: Ringen, S. 23. Vgl. auch AMS AST 35/5. Laut Büheler handelte es sich bei den Männern um Gärtner, vgl. Büheler: Chronique, S.
5.1 Der Rat als Akteur
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Auf diese teilweise gewaltsame Stimmung in der Bevölkerung reagierte der Rat mit größter Vorsicht. So ließ er zwar die ihm von der Menge überstellten Dominikaner laufen, setzte aber den prominenten Treger solange in Haft unter Druck, bis dieser Urfehde geschworen hatte.13 Im Fall der Schlägerei in der Dominikanerkirche beließ es der Rat bei einer Ermahnung an beide Parteien.14 Selbst die Bürger, die „von der gemein“ die Absetzung der Messe gefordert hatten, ließ der Rat lediglich „fründtlicher weyse, doch nitt ernst“ auffordern, dass „sy solchs eigen ingriffs still standt.“15 Nur im Falle des Saufgelages ging der Rat gegen einige der Beteiligten wegen Störung des Friedens vor.16 Chrisman fasst die Haltung des Rates in diesen ersten Jahren der reformatorischen Bewegung daher wie folgt zusammen: „Policy was made from crisis to crisis, from incident to incident, and the Rat accepted new responsibilities and functions irresolutely and with reluctance.“17 Auch Lienhard beurteilt die Straßburger Religionspolitik als „vorsichtig“ und „abwartend“.18 Tatsächlich lässt sich nicht nur in der passiven, sondern auch in der aktiven Politik gegenüber den Klöstern in der Frühphase der Reformation eine umsichtige Haltung ablesen. So forderte der Rat etwa schon 1525 die Klosterherren auf, mit den Dominikanern über Pensionen zu verhandeln. Bewilligt wurden die Zahlungen endgültig aber erst 1527. Und auch zu diesem Zeitpunkt beschloss der Rat, die Klostergüter nicht sofort zu übernehmen, sondern die Angelegenheit „ein zeit lang treyben [zu] lassen“.19 Erst weitere drei Jahre später, 1530, als die Mönche dem Rat explizit anboten, ihre Gefälle zu übergeben und eine Zessionsurkunde zu siegeln, übernahm der Rat die Güter.20 Trotz dieses im Einzelnen vorsichtigen Vorgehens setzte der Rat bis zur Abschaffung der Messe 1529 aber zahlreiche Forderungen gerade in Bezug auf die Einschränkung der geistlichen Privilegien um, schaffte Freiräume für die Verbreitung der neuen Lehre und führte so letztlich einen radikalen 74. Neben den Übergriffen auf die Klöster sind auch weitere reformatorische Initiativen der Bevölkerung überliefert. So forderten etwa verschiedene Gemeinden in einer Petition, der Rat möge ihnen evangelische Prediger geben, vgl. Chrisman: Strasbourg, S. 115 und S. 138. 13 Die Akten zum Fall Konrad Treger sowie dessen eigenhändige Urfehde finden sich in AMS VI, 701a/14 und in Abschrift in AMS AST 173/3. Die Anklage bezog sich auf das Verfassen eines „Schmachbuches“. 14 Vgl. AMS 37/1, fol. 4r ff. 15 AMS 37/1, fol. 46r. 16 Vgl. Rott: Artisanat, S. 145ff.; Vierling: Ringen, S. 23. 17 Chrisman: Strasbourg, S. 132. 18 Lienhard: Aufbruch und Entfaltung, S. 25. 19 AMS VI, 699/2, fol. 11v. 20 Die Zessionsurkunde der Dominikaner findet sich in AMS AH 194 und in Abschrift in AMS VI, 299/2.
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5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
Wandel im Verhältnis zwischen den geistlichen Einrichtungen und ihrem städtischen Umfeld herbei. So billigte er die evangelische Predigt ausdrücklich und ließ 1523 die antilutherische Spottschrift des Franziskaners Thomas Murner Vom großen lutherischen Narren beschlagnahmen.21 1524 beschlossen die Schöffen auf Anfrage des Rates, dass zukünftig die Prediger von der Stadt bestimmt werden sollten. Die bis dahin von den Gemeinden gewählten Prädikanten wurden bestätigt. Der Rat erließ eine Almosenordnung, die den geistlichen Einrichtungen die Verwaltung wohltätiger Stiftungen entzog und in die städtische Hand überführte.22 Er schaffte die Ewigrente ab (1523),23 richtete das Gremium der Klosterherren ein (13. April 1524) und erließ auch sonst zahlreiche Verordnungen die Klöster betreffend.24 1525 forderte der Magistrat alle Welt- und Ordensgeistlichen auf, den städtischen Schutz und Schirm anzunehmen, eine Aufforderung der sich weder Stiftsherren und Pfarrgeistliche, noch die Mönche und Nonnen entziehen konnten. Die Geistlichen übernahmen damit alle finanziellen Verpflichtungen der Bürger und unterstellten sich den weltlichen Gerichten.25 Grenzen setzte der Rat dem reformatorischen Drängen „von unten“ vor allem dort, wo er den städtischen Frieden bedroht sah. So unterdrückte er den drohenden Ikonoklasmus zu Anfang des Jahres 1523 mit schweren Strafen auf Plünderungen und Zerstörungen von Kirchenräumen. Den Einschränkungen nahm er wiederum die Schärfe, indem er das Bilderverbot in Kirchen selbst amtlich machte.26 Die Gründe für diese Nachgiebigkeit des Rates sind sicherlich auch in der religiösen Haltung der Ratsherren zu suchen. Schon vor 1525 sympathi-
21
Vgl. Rapp: Réformes et Réformation, S. 473f.; Moeller: L’édit, S. 51ff. Schon im 15. Jahrhundert hatte der Rat Bestrebungen unternommen, die Almosenvergabe der Stadt zu regeln. Vgl. dazu die Verordnungen in Brucker: Zunft- und PolizeiVerordnungen, S. 3ff. 23 Vgl. zum Verbot der Ewigrente auch Rott: Artisanat, S. 149f. 24 Vgl. Rapp: Réformes et Réformation, S. 474ff. Die ersten Klosterherren waren Bernhard Wurmser, Peter Ellenhardt, Melchior Zuckmantel, Matthies Pfarrer, Kaspar Hofmeister, Siegfried Bietenheim und Kaspar Baldung, vgl. Baum: Magistrat und Reformation, S. 105. 25 Vgl. Rapp: Réformes et Réformation, S. 474. Brady sieht in der „Integration“ des Klerus in die städtische Gesellschaft ein Hauptkriterium für das Gelingen der Reformation in Straßburg, vgl. Brady: Anticlericalism, S. 171f. Auch Stafford vertritt diese Ansicht, er hat dafür den Begriff der „Domestizierung“ geprägt, vgl. Stafford: Domesticating the Clergy, zusammenfassend S. 233ff. 26 Vgl. für das Taktieren des Stadtrates Rapp: Réformes et Réformation, S. 477; Abray: The People’s Reformation, S. 38ff. und Chrisman: Strasbourg, S. 118ff. Zum Ikonoklasmus in Straßburg vgl. auch Wandel: Voracious Idols. 22
5.1 Der Rat als Akteur
83
sierte ein Großteil der Stadtoberen mit der neuen Lehre.27 Oberstes Ziel einer Mehrheit im Rat scheint aber vor allem die Aufrechterhaltung des städtischen Friedens gewesen zu sein.28 Noch als der Rat durch die erste Heirat eines Klerikers, Anton Firn, unter Entscheidungsdruck geriet, mahnte der mit einem „Bedenken“ beauftragte Ausschuss zur Vorsicht, „domit fried erhalten und uffrür vermiden blieb“.29 Letztlich war der Stadtfrieden aber ohne Konzessionen an den Willen eines Großteils der Bevölkerung nicht aufrechtzuerhalten.30 Die Legitimität des Regiments stützte sich auf den Konsens der Stadtbevölkerung.31 Als Wächter über den Gemeinen Nutzen der Stadt fühlte sich der Rat darüber hinaus der Aufrechterhaltung des Friedens verpflichtet.32 Dementsprechend häufig legten die Stadtherren in den zwanziger Jahren des 16. Jahr-
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Über die religiösen Einstellungen der einzelnen Ratsherren ist nicht viel bekannt. Brady macht drei Gruppen aus: Die Eiferer, die Politiker und eine kleinere Gruppe von Gegnern der neuen Lehre, vgl. Brady: Ruling Class, S. 208. 28 Vgl. Rapp: Réformes et Réformation, S. 473f. Vgl. für die Haltung des Rates in der Frühphase der Reformation auch Baum: Magistrat und Reformation, S. 17ff. und Moeller: L’édit, S. 51ff. Brady interpretiert die Zögerlichkeit des Rates als Sorge einer Elite um den Verlust ihrer Macht, vgl. Brady: Ruling Class, S. 197ff. 29 Brant: Annales, S. 72. Anton Firn war Leutpriester in St. Thomas. Matthias Zell nahm die Eheschließung vor und predigte über den Ehestand, vgl. dazu Specklin: Collectanées, S. 499 und Büheler: Chronique, S. 71. Siehe in der Forschungsliteratur Willer: Hohe Zeit, S. 169ff. Eine Analyse der prekären Situation des Rates nach der Heirat Firns findet sich auch bei Moeller: L’édit, S. 51ff. 30 Auch Moeller sieht im Erhalt des Stadtfriedens ein zentrales Motiv städtischer Reformationspolitik, vgl. Moeller: Reichsstadt und Reformation, S. 27. 31 Vgl. Schreiner: Teilhabe, S. 39ff. In diesem Zusammenhang ist diskutiert worden, ob auf Grund des politischen Partizipationsanspruches der Stadtbürger der Begriff des „Republikanismus“ zur Bezeichnung der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtverfassung angemessen ist. Besonders Heinz Schilling sprach sich in Abgrenzung zu dem von Troeltsch und Gierke postulierten Niedergang der städtischen politischen Kultur in der Frühen Neuzeit, vor allem mit Blick auf die norddeutschen Städte, und im Widerspruch zum von Maschke betonten Obrigkeitscharakter des Stadtregiments für die Verwendung des Begriffs aus, vgl. Schilling: Städtischer Republikanismus, zusammenfassend 203f.; ders. Stadt und frühmoderner Territorialstaat, 223ff.; ders.: Stadtrepublikanismus und Interimskrise, besonders S. 212ff. Berechtigte Bedenken gegen die Verwendung des Begriffs hat Wolfgang Mager erhoben, der sich für den Begriff der „konsensgestützten Herrschaft“ in Anlehnung an Haller ausspricht, vgl. Mager: Genossenschaft, zusammenfassend S. 119ff. Vgl. für eine differenzierte Analyse der Verhältnisse in oberschwäbischen Städten Kießling: Städtischer Republikanismus, S. 178ff. 32 Jörg Rogge konnte die wichtige Legitimationsfunktion des Begriffs des Gemeinen Nutzens am Augsburger Beispiel plausibel machen, vgl. Rogge: Für den Gemeinen Nutzen.
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5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
hunderts Entscheidungen den Schöffen vor und setzten damit auch auf die öffentliche Inszenierung von Konsens.33 Das Rezept hatte Erfolg. Rott resümiert: „En effet, par une série de décisions, toutes approuvées par les échevins, le Sénat avait pris les devants et satisfait une partie importante des aspirations populaires, dispensant ainsi la masse des petits artisans de faire une révolution.“34 Damit kann der Einfluss der Bevölkerung und vor allem der kleinen Handwerker auf die Politik gegenüber den Klöstern und anderen geistlichen Einrichtungen der Stadt in der Frühphase der Reformation durchaus als erheblich bezeichnet werden. Das Abebben der Unruhen nach der Niederschlagung der Bauernaufstände im Elsass 1525 kann daher auch kaum mit der einsetzenden „Ratsreformation“ und der Unterdrückung der Reformation „von unten“ begründet werden. Vielmehr waren zu diesem Zeitpunkt schon so viele der reformatorischen Forderungen in Straßburg umgesetzt worden, dass weitere öffentliche Willensbezeugungen nicht mehr notwendig waren.35 Dass die Bevölkerung auch im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts eine politische Kraft darstellen konnte, zeigen die Unruhen angesichts der Einführung des Interims. Während der Rat mit Rücksicht auf das angespannte Verhältnis zu Karl V. und seinem Bruder Ferdinand die Messe in den drei Interimskirchen zu tolerieren bereit war, schuf die Bevölkerung vollendete Tatsachen: Die Priester der Interimskirchen Alt-St. Peter, JungSt. Peter und des Münsters verließen wegen wiederholter Unruhen während der Messe aus Angst vor Gewaltanschlägen 1559 die Stadt. Zwar brauchte der Rat noch weitere zwei Jahre, bis er diesen Zustand durch die offizielle Rückgabe der drei Kirchen an die Protestanten legitimierte. Das schleichende Ende des Interims in Straßburg aber war eingeleitet.36
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So fragt der Rat die Schöffen etwa um Erlaubnis für die Bestrafung der Gruppe von Randalierern, die das Weinfass der Kartäuser leergetrunken haben, vgl. Rott: Artisanat, S. 145. Auch die Entscheidung über die Abschaffung der Messe in der gesamten Stadt legt der Rat den Schöffen vor (20. Februar 1529), vgl. Chrisman: Strasbourg, S. 172. 34 Rott: Artisanat, S. 149. 35 Vgl. zu diesem Phasenwechsel Abray: The People’s Reformation, S. 37. Diese Einschätzung für Straßburg deckt sich mit dem, was Hamm allgemein vermutet, vgl. Hamm: Reformation „von unten“, S. 283. Zwar hatte der Rat eine direkte Beteilungung an den Bauernunruhen untersagt und geahndet, versuchte aber – vergeblich – eine Mittlerrolle zwischen Adel und Bauern einzunehmen. Vgl. dazu Willer: Hohe Zeit, S. 188ff. und Rott: Strasbourg et la guerre des paysans, S. 76ff. 36 Vgl. Brady: Ruling Class, S. 276ff.; Weyrauch: Konfessionelle Krise, S. 132; Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 277ff. Kittelson betont, der Rat habe es durch seine passive Haltung überhaupt erst möglich gemacht, dass „people enter the church with rocks and snowballs hidden under their coats“ und sieht daher im Ende des Interims einen orchestrierten „plot“ von Rat, Kirchenkonvent und Bevölkerung, vgl. Kittelson: Established Church, S. 85f.
5.1 Der Rat als Akteur
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5.1.2 Der Einfluss des Kirchenkonvents auf die städtische Religionspolitik Ebenfalls bereits in der Frühphase der Reformation etablierte sich eine zweite Kraft, die die Religionspolitik des Stadtrates im gesamten 16. Jahrhundert mit zu gestalten versuchte. Zwar gründete sich der Kirchenkonvent als Gremium der protestantischen Prediger der Stadt erst 1544 als Institution. Doch fanden schon seit den 1520er Jahren regelmäßige Treffen aller protestantischen Prediger im Haus von Matthias Zell statt. Auch hatten die Prediger, noch im Verbund mit allen Pfarrern, Kirchspielpflegern, Lehrern und Doktoren der artes liberales 1533 und 1539 bereits zwei Synoden in der Stadt abgehalten.37 Der institutionalisierte Kirchenkonvent bestand dann allerdings nur aus Predigern.38 Martin Bucer wurde zum ersten Vorsitzenden gewählt, Hedio wurde sein Stellvertreter.39 Der auf Initiative der Prädikanten gegründete Konvent hatte keine verfassungsmäßig festgeschriebenen Befugnisse in der Stadt.40 Zur Durchsetzung seiner Ziele setzten die Prediger, vor allem Martin Bucer, vielmehr auf die Unterstützung durch die weltliche Obrigkeit. Denn Bucer befürwortete zwar in dogmatischen Fragen eine tolerante Position, da er die christliche Gemeinschaft nicht als Lehr- sondern als Glaubensgemeinschaft interpretierte.41 Auch lehnten er und die anderen Prädikanten mit dem Hinweis auf die Freiheit des Gewissens mit Gewalt erzwungene Konversi-
37
Vgl. zur Vorgeschichte des Konvents Abray: The People’s Reformation, S. 68f. Vgl. zu den Synoden Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 177ff. Aus der ersten Straßburger Synode ging auch Straßburgs erste Kirchenordnung hervor, die 1534 veröffentlicht wurde und die die Tetrapolitana sowie 16 von der Synode vereinbarte Artikel zur Grundlage der rechtmäßigen Lehre in der Stadt als verbindlich erklärt, vgl. Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 184. Vgl. zur Kirchenordnung aus liturgischer Sicht auch Bornert: Réforme, S. 170ff. 38 Vgl. Kittelson: Established Church, S. 47. 39 Vgl. Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 190. Ab Marbachs Amtsperiode nennen sich die Vorsitzenden „Superintendenten“, vgl. Kittelson: Established Church, S. 73. 40 Es wäre trügerisch, vom monolithischen Auftreten des Konventes nach außen auch auf seine innere Einheit zu schließen. Es gab sowohl dogmatische als auch politische Differenzen. Vgl. besonders für die Auseinandersetzung zwischen dem lutherisch gesinnten Marbach und dem Calvinanhänger Zanchi Kittelson: Established Church, S. 89ff. Insgesamt zeichnete sich der Konvent aber durch seine große personelle Kontinuität und dogmatische Einheit aus. Abray betont die persönlichen Kontakte der Prediger untereinander, die auch in den Heiraten der Familien untereinander deutlich werden, vgl. Abray: The People’s Reformation, S. 70. 41 Vgl. Hamm: Toleranz und Häresie, S. 99f. Vgl. zu Bucers Ekklesiologie auch Hammann: Martin Bucer, besonders S. 127ff. Vgl. zu verschiedenen Aspekten von Bucers Theologie und seiner Rolle in der innerprotestanitschen Auseinandersetzung die Beiträge von Hamm, Buckwalter, Timmermann, Simon und Hazlett in Simon: Martin Bucer.
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5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
onen ab. Stattdessen sollte „unermüdlich weitergepredigt werden.“42 Dass Bucer ein Ius reformandi im Sinne eines umfassenden und nach innen gerichteten Rechts zum Bekenntnisbann gefordert hätte, kann man also nicht sagen.43 Gleichzeitig aber verteidigte Bucer das Ius reformationis, also die Reformationspflicht der weltlichen Obrigkeit, etwa gegen die Angriffe Erasmus’.44 1535 befand er in seinen Dialogi, „daß das gesatz der natur vermoege, das alle obren, yeder nach dem gwalt, den im Gott verlihen hatt, dahin zum fürnemesten trachten sollen, das bey den seinen der ware Gottesdienst recht eingefueret und erhalten werde, das er naemlich auff die religion, dieselbige bey den seinen zu fürderen, sein gesetze und straffen, das ist, die gantze regierung, richte“.45
Die Grenzen dieses obrigkeitlichen Handelns sah Bucer allein in der Schrift: „Wir haben aber noch ain vil hoeher liecht, die hailig geschrifft, darin uns Gott geleeret hatt, wie wir im dienen und was wir der religion halb handlen sollen. Daher sollen wir in allem unser leer und rath nemen.“ 46
Diese obrigkeitliche Aufgabe bezog Bucer sowohl auf die Abschaffung des alten Kultus als auch auf die Auseinandersetzung mit den „newirrigen“.47 Um den Rat in der Praxis dazu zu bewegen, die Ziele der Prädikanten zu seinen eigenen zu machen, griffen Bucer, Hedio und ihre Nachfolger auf
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Vgl. Lienhard: Religiöse Toleranz, S. 17ff., hier S. 17. Gegenüber de Kroon und Dollinger betont Lienhard insgesamt stärker den Aspekt der Toleranz. Zum Verhältnis von protestantischer Ethik und Politik vgl. auch Schorn-Schütte: Eigenlogik, S. 15ff. 43 Dass Bucer das Ius reformandi gefordert hätte, meint etwa Wolgast: Bucers Vorstellungen, S. 148. Nach Schneiders Analyse befürworteten aber weder Luther noch Melanchthon ein Ius reformandi im Sinne des obrigkeitlichen Bekenntnisbannes, sondern lediglich ein Ius reformationis im Sinne einer allen Christen unabhängig von ihrer verfassungsmäßigen Stellung obliegenden Pflicht gegenüber dem Evangelium und seiner Verbreitung. Ebenso wie Luther und Melanchthon vertrat auch Bucer die Auffassung, dass die Glaubensüberzeugung durch das Wort herbeigeführt werden müsse. Zur Förderung der Predigt allerdings sahen auch Bucer, Luther und Melanchthon große Freiheiten und Pflichten der weltlichen Obrigkeit vor, vgl. Schneider: Ius reformandi, S. 52ff. 44 Vgl. de Kroon: Bucers Obrigkeitsverständnis, S. 162f. Zur Auseinandersetzung mit Erasmus vgl. besonders ebd., S. 1ff. und Krüger: Bucer und Erasmus, S. 583ff. Ius reformationis übersetzt Schneider mit „Reformationspflicht“, vgl. Schneider: Ius reformandi, S. 138f. 45 Dialogi, BDS 6,2, S. 116. Die Dialogi entstanden als Stellungnahme im Augsburger Streit um das Ius reformationis des dortigen Magistrats. Vgl. zu in ähnlichen Situationen entstanden Rechtsgutachten anderer Reformatoren den Überblick bei Schneider: Ius reformandi, S. 136ff. 46 Dialogi, BDS 6,2, S. 116. 47 I.e. den Sektierern. Vgl. Dollinger: La tolérance, S. 243; Kittelson: Established Church, S. 39ff.
5.1 Der Rat als Akteur
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eine „variety of lobbying techniques“ zurück.48 Der Konvent supplizierte an den Rat oder entsandte Delegationen zu persönlichen Anhörungen. Ebenso pflegten die Prädikanten persönliche Kontakte zu Ratsherren und Pflegern, etwa bei regelmäßigen gemeinsamen Abendessen.49 Die Lobbyarbeit der Prädikanten konnte aber auch mit Drohungen einhergehen. So warnten die Prädikanten 1554 das Regiment, sein Verhalten von den Kanzeln herab als sündhaft anzuprangern, sollten sich die Ratsherren nicht zu einem schärferen Vorgehen gegen die durch das Interim in der Stadt in einigen Kirchen wieder eingeführte Messe entschließen können. Mit eingeschlossen in diesen Protest des Jahres 1554 wurde auch die Ausübung des katholischen Kultus in den Frauenklöstern.50 Insgesamt spielte die Abschaffung der verbliebenen Klöster im Kanon der Forderungen des Kirchenkonvents aber eine untergeordnete Rolle. Die Auseinandersetzung mit den Sektierern, die Disziplinierung der Gläubigen in Sachen Gottesdienstbesuch, Spiel, Sexualmoral und Bettel, das Bildungswesen, die neue Liturgie und die Abschaffung des Interims machten den überwiegenden Teil der Anfragen der Prädikanten aus.51 Darüber hinaus bemühte sich der Konvent um die Disziplinierung und Kontrolle der eigenen Mitglieder.52 Aus der Zeit vor dem Interim dokumentiert Vierling überhaupt keine spezifisch gegen die verbliebenen Klöster gerichteten Eingaben des Konvents.53 Auch während der Auseinandersetzung zwischen Kirchenkonvent und Rat um das Interim dominierte die Frage nach den Interimskirchen. In einer Eingebung der Prädikanten an den Rat im August 1554 wird die Messe in den Frauenklöster nur als einer von vierzehn Unterpunkten als Ärgernis erwähnt, von den Männerklöstern ist gar nicht die Rede.54 Marbachs erstes großes Projekt im Amt des Superintendenten richtete sich ebenfalls nicht gegen die verbliebenen katholischen Einrichtungen der Stadt, sondern zielte darauf ab, die Ordnung in den eigenen Gemeinden
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Abray: The People’s Reformation, S. 81. Vgl. Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 277ff. 50 Vgl. Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 186. 51 Vgl. Emich: Straßburg auf dem Weg zur Konfessionalisierung, S. 141f. Vgl. zu den Leitmotiven des Kirchenkonvents auch Abray: The People’s Reformation, S. 76. Abray liefert eine systematische Auswertung des Inhalts der Suppliken der Prädikanten, vgl. Abray: The People’s Reformation, S. 246ff. 52 Vgl. Abray: The People’s Reformation, S. 69. 53 Vgl. Vierling: Ringen. Für das Ausbleiben der Forderungen während des Interims vor 1554 ist ein Zusammenhang mit der Amtszeit Hedios von 1548 bis 1552 denkbar. Hedio wird von verschiedenen Autoren als zahnlos charakterisiert, vgl. Abray: The People’s Reformation, S. 73. 54 Vgl. Vierling: Ringen, S. 91. 49
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zu verbessern, die nach seiner Ansicht aus dem Ruder gelaufen war.55 Erst nach der faktischen Abschaffung des Interims 1561 wandten sich die Prädikanten den verbliebenen Klöstern zu und forderten den Rat zu deren Schließung auf.56 Obwohl der Rat nicht im Sinne der Prediger reagierte, dauerte es zehn Jahre, bis Marbach ein weiteres Bedenken erstellte, in dem er empfahl, die Messe bei den Johannitern und in den Frauenklöstern abzuschaffen (1572). Die Obrigkeit selbst hatte die Gründung des Kirchenkonvents zunächst begrüßt.57 Der Konvent versuchte allerdings bald, möglichst große Unabhängigkeit vom Rat zu erlangen, indem sich die Prädikanten Versuchen des Rates widersetzten, ihre theologischen Schriften zu begutachten und zu zensieren.58 Vielmehr beanspruchten sie in doktrinären Fragen die alleinige Spruchmacht. Diese Haltung des Konventes fasst Abray wie folgt zusammen: „In the beginning the evangelical preachers had stressed their desire to serve the laity, but undoubtedly they intended to serve the community as leaders.“59 Der Rat wiederum war nicht bereit, eine zweite Autorität neben der eigenen in der Stadt zu akzeptieren. Politiker wie Jakob Sturm setzten sich für die Unabhängigkeit der weltlichen gegenüber der religiösen Autorität ein, selbst wenn der Rat auf deren Sachverstand angewiesen blieb.60 Aber nicht nur die Angst vor einem Machtverlust gegenüber dem Kirchenkonvent, auch der häufig pragmatischere Blickwinkel der Stadtherren verhinderte zumeist eine direkte Umsetzung der Forderungen der Prädikanten. Auf Marbachs Forderungen nach der Schließung der Konvente 1561 und 1572 reagierte der Rat mit einem Verweis auf den Augsburger Religionsfrieden. Statt die Klöster zu schließen, erneuerte das Regiment 1561 55
Marbach verfasste eine vierzigseitige Kirchenagenda, in der er diese Ziele darlegte. Mittel zur Umsetzung sollten umfangreiche Visitationen sein, vgl. Kittelson: Established Church, S. 74ff. 56 In einem Rechtsgutachten legte Marbach dar, die Schließung der Klöster kollidiere nicht mit dem Reichsrecht, vgl. AMS AST 35/6 (28. Mai 1575) und Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 297. 57 Die Gründung einer „christlichen Gemeinschaft“ aus Gemeindemitgliedern und Pfarrern, die Bucer, Fagius, Marbach, Schnell und Lenglin 1547 vornahmen und die der strengeren Durchsetzung der Kirchenzucht dienen sollte, ging dem Rat allerdings offenbar zu weit. Die Gemeinschaft löste sich nach Bucers Emmigration ein Jahr später auf, vgl. Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 192ff; Dollinger: La tolérance, S. 246; Kittelson: Established Church, S. 57ff. 58 Vgl. Abray: The People’s Reformation, S. 75. 59 Abray: The People’s Reformation, S. 67. 60 Vgl. Dollinger: La tolérance, S. 245; Emich: Straßburg auf dem Weg zur Konfessionalisierung, S. 133ff., hier S. 175. Kittelson zeichnet ein wesentlich harmonischeres Bild des Verhältnisses von Rat und Kirchenkonvent, kann aber weniger überzeugen als Dollinger und Emich, vgl. Kittelson: Toward an Established Church, S. 13.
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das Verbot der Aufnahme neuer Ordensmitglieder und forderte die Konventualen auf, die Messe abzustellen.61 Auch 1574 folgten die Herren ihren Juristen, die von einem rigorosen Vorgehen abrieten.62 Der direkte Einfluss der Prädikanten auf die Ratspolitik war also begrenzt. Allerdings griffen die Stadtherren auf die „Kernkompetenzen“ der Prediger zurück und engagierten Mitglieder des Konventes zur Erstellung der Klosterordnungen oder als Prädikanten in den Klöstern.63 5.1.3 Die Grenzen des städtischen Handlungsspielraums in Reichsrecht und Reichspolitik Die Religionspolitik der Straßburger – die Abschaffung der Messe und die Veränderungen in den Klöstern – entbehrte wie auch in anderen Reichsstädten während des gesamten 16. Jahrhunderts einer eindeutigen Rechtsgrundlage. Vor 1555 war das Ius reformandi reichsrechtlich nicht anerkannt.64 Erst der Augsburger Religionsfrieden etablierte das Recht der weltlichen Territorien, die Religionsverhältnisse innerhalb ihres Herrschaftsbereichs zu bestimmen und zu verändern. Dies galt jedoch weder für die geistlichen Territorien noch für die Reichsstädte. Erst der Westfälische Frieden schuf eine eindeutige Rechtsgrundlage.65 Nach innen stellte die Legitimation der dennoch praktizierten religionspolitischen Veränderungen in der Regel kein Problem dar. Schließlich mussten die Städte zumeist keinen Bekenntniszwang ausüben, wie ihn später das Ius reformandi den weltlichen Fürsten zusprach. Vielmehr herrschte, wie in Straßburg auch, der umgekehrte Fall vor, dass große Teile der Bevölkerung auf die Einführung des neuen Glaubens drangen.66 Gegenüber Kaiser und Reich allerdings musste diese verfassungsrechtliche Anmaßung begründet werden. Schon vor dem Augsburger Religionsfrieden versuchten Straßburg und andere Reichsstädte daher mit verschiedenen argumentativen Hilfskonstruktionen, ihre Religionspolitik zu legitimieren. Ab 1526 konnten sie sich dabei auf die „Verantwortungsformel“ berufen. Diese Formel war ein „Produkt der Verlegenheit“ des Speyrer Reichstags, nachdem deutlich geworden war, dass das Wormser Edikt 61
Vgl. Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 300. Vgl. Vierling: Ringen, S. 107f. 63 Belegt ist nur Hedios Mitarbeit an der Ordnung für St. Margaretha von 1548/1549, vgl. AMS II, 41–42b/2. Auf dieser Ordnung basiert die 1555 für alle Klöster erlassene Ordnung. Es scheint aber wahrscheinlich, dass der Rat die Prädikanten auch beim Erstellen der Ordnung von 1585 zu Rate zog. 64 Vgl. für eine Definition Heckel: Art. Ius reformandi, Sp. 1053. Schneider charakterisiert das Ius reformandi als „ein im 16. Jahrhundert neu geschaffenes Recht ohne direkte Abkunft aus einem mittelalterlichen Titel“, Schneider: Ius Reformandi, S. 535. 67 Vgl. Gotthard: Religionsfrieden und politisches System, S. 54. 66 Vgl. Schneider: Ius reformandi, S. 147. 62
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nicht durchsetzbar sein würde. Sie besagte, dass jede Obrigkeit solchermaßen gemäß dem christlichen Glauben regieren solle, wie sie es verantworten könne.67 Bucer, Luther und Melanchthon begründeten die Reformationspflicht (wenn auch nicht das Reformationsrecht) der weltlichen Obrigkeiten wie oben gezeigt außerdem theologisch, eine Sichtweise, die protestantische Advokaten adaptierten.68 So argumentierte etwa der Straßburger Jurist Franz Frosch in Bezug auf die Frage, ob der Augsburger Rat das Kloster St. Katharina reformieren dürfe, dass es die rechtliche Pflicht einer jeden Obrigkeit sei, Abhilfe zu schaffen und Reformen durchzuführen, wenn sie „erkenne, das die Lehre und Ceremonien in ihrem Gebiet falsch, ungerecht und abgöttisch“ seien. Die Obrigkeit müsse dann die Sitten der heiligen Schrift gemäß wieder herstellen.69 Dennoch waren sich die Straßburger der Dürftigkeit dieser Argumente offenbar bewusst. Ihre Unsicherheit in Hinblick auf die Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens spiegelt sich in der politischen Korrespondenz der Stadt. Nicht nur im Falle des Augsburger Katharinenklosters tauschten die Städte untereinander Rat und Sachkompetenz aus.70 Auch mit der Reichsstadt Nürnberg korrespondierten die Elsässer seit 1521 über das Vorgehen in Religionssachen.71 Allein eine Drohung Thomas Murners im Jahr 1524, sich über die Zustände in Straßburg und besonders in seinem Kloster beim päpstlichen Legaten Campegius, der sich gerade in Nürnberg aufhielt, zu beschweren, war dem Rat eine Anweisung an zwei Gesandte wert, sich nach dem Fortgang der Angelegenheit umzuhören.72 Mit dem Augsburger Interim (1548)73 sollte eine vorläufige Regelung der kirchlichen Verhältnisse gewährleistet werden, die vor allem der Frie67
Vgl. Schneider: Ius reformandi, S. 92ff., hier S. 93; Hoffmann: Reichsstädte und Augsburger Religionsfrieden, S. 302f. 68 Vgl. dazu Schneider: Ius reformandi, S. 52ff. 69 Politische Correspondenz, II, S. 197. Franz Frosch, geboren in Nürnberg, gestorben 1540, war fest angestellter Advokat der Stadt Straßburg, vgl. Brady: Ruling Class, S. 191, Anm. 81. 70 Auch die Augsburger entschlossen sich zur Reformation erst nach Einholung mehrerer Rechtsgutachten, vgl. für eine ausführliche Analyse der Gutachten und eine Einordnung der Autoren Peutinger, Rehlinger, Hel, Hagk und Langnauer Gößner: Weltliche Kirchenhoheit, S. 103ff. 71 Vgl. Politische Correspondenz, I, S. 73, S. 87, S. 90ff., S. 97 etc. Vgl. auch Vierling, S. 42. 72 Vgl. Politische Correspondenz, I, S. 89f. 73 Der zeitgenössischer Titel des 1548 als Reichsgesetz verabschiedeten Textes ist „Der Römischen Kaiserlichen Maiestat erclärung, wie es der Religion halben im hailigen Reich biß zu außtrag des gemainen Concili gehalten werden soll.“ Die maßgebliche Edition ist diejenige von Mehlhausen (Hrsg.): Augsburger Interim.
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denswahrung gewidmet war, bis die Kircheneinheit auf dem bereits tagenden Konzil in Trient wieder hergestellt werden würde.74 Zwar nutzte der Kaiser seine beherrschende militärische Stellung nach dem Schmalkaldischen Krieg nicht zu einer umfassenden Rekatholisierung protestantischer Territorien.75 Auch enthielt das Interim in einigen strittigen theologischen Fragen wie etwa der Rechtfertigungs- und der Sakramentlehre Formelkompromisse.76 Doch lehnten die katholischen Stände die Annahme des Interims wegen der Zugeständnisse beim Laienkelch und bei der Priesterehe ab, so dass der Vertrag als protestantisches Partikularrecht erlassen wurde.77 Außerdem sollte mit dem Interim der katholische Kultus zumindest ergänzend in allen Territorien und Reichsstädten wieder eingeführt werden: „Item in den alten ceremonien, so die allgemein kirch bei der messe gebraucht, soll man nit endern, dann sie seindt alle zu dem, das man in der meß handlet, ganntz bequem. Und sovil den gebrauch dieses heiligen amts angeet, sollen in einer jeden statt, auch in einer jeden kirchen [...] alle tag zum wenigsten zwo meß gehalten werden.“78
Diese Bestimmung war für zahlreiche protestantische Reichsstände kaum zu akzeptieren. Die kriegerischen Auseinandersetzungen wurden auch nach der Verabschiedung in Teilen des Reiches weitergeführt. Mit den Städten erwiesen sich die Verhandlungen über die Umsetzung des Interims als besonders schwierig – neben den Hansestädten, Konstanz, Magdeburg und Nürnberg leisteten vor allem auch die Straßburger Widerstand.79 Versuche 74
So die Interpretation der Religionspolitik Karls V. bei Horst Rabe, der auch im Schmalkaldischen Krieg selbst das „Doppelziel der kaiserlichen Religionspolitik ‚Konzil und interimistische Ordnung‘“ verwirklicht sieht, vgl. Rabe: Augsburger Interim, S. 14, Hervorhebung des Autors. Rabes hier zitierter Beitrag im Archiv für Reformationsgeschichte von 2003 stellt eine Überprüfung und Überarbeitung seiner eigenen Monographie zum Interim von 1971 dar. 75 Rabe betont etwa, dass die unmittelbar nach dem Schmalkaldischen Krieg geschlossenen Aussöhnungsverträge mit den oberdeutschen Reichsständen keine religionspolitischen Forderungen enthielten, vgl. Rabe: Augsburger Interim, S. 15. 76 Vgl. für Analysen der Debatten, die der theologische Gehalt des Interims unter protestantischen Theologen auslöste, den von Irene Dingel und Günther Wartenberg herausgegebenen Tagungsband: Politik und Bekenntnis. 77 Karl V. ließ wegen des Widerstands der Altgläubigen durch seinen Vizekanzler Seld erklären, das Interim gelte nicht für die katholischen Stände, sie schlossen sich aber der Annahmeerklärung der Stände an, vgl. Weyrauch: Konfessionelle Krise, S. 61f.; Schneider: Ius reformandi, S. 149. 78 Mehlhausen (Hrsg.): Augsburger Interim, S. 134. 79 Vgl. Rabe: Augsburger Interim, S. 65f. und S. 95ff. Vgl. zu den Verhandlungen mit Straßburg auch Politische Correspondenz, IV,2. Selbst die Unterschrift des zur Vermittlung hinzu gerufenen Bucer musste mit Haft erzwungen werden, vgl. Rabe: Augsburger Interim, S. 66f. Im Gegensatz zu neueren Interpretationen der Religionspolitik Karls V. wurde der Kaiser von den städtischen Zeitgenossen als „Büttel“ des Papstes und seine
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derselben, einen gemeinsamen Widerstand der Städte zu organisieren, scheiterten allerdings.80 Anders als in süddeutschen Städten wie in Augsburg versuchte Karl V. 1548 in Straßburg nicht, in die Stadtverfassung einzugreifen, sondern beschränkte sich darauf, den Elsässern den Interimsvertrag zu oktroyieren, der die Einführung des interimistischen und die Ausübung des katholischen Kultus in der Stadt garantieren sollte.81 Dennoch sträubte sich die Stadt gegen die wortgetreue Umsetzung. Der aufgeregte Widerstand der Bevölkerung hatte den Rat, der Aufstände befürchtete, außenpolitisch unbeweglich gemacht. Die Stadt versuchte daher, den Kaiser zu Zugeständnissen zu bewegen. Die Straßburger schlugen vor, das Interim nur in einigen Kirchen umzusetzen. Diesen Vorschlag nahm Karl nicht an. Er willigte jedoch ein, dass die Stadt mit dem Bischof über die genaue Umsetzung des Interims verhandeln sollte.82 Mit dem Bischof einigte sich die Stadt 1549 darauf, in den vier Kirchen Münster, Alt-St. Peter, Jung-St. Peter und Allerheiligen den alten Kultus wieder zu dulden und die Stiftsgeistlichkeit auf zehn Jahre unter ihren städtischen Schutz zu nehmen, ohne ihr das Bürgerrecht und die Bürgerpflichten aufzunötigen. In den übrigen Kirchen sollten die Straßburger gemäß dem interimistischen Kultus Gottesdienst feiern, de facto wurde aber der protestantische Kultus weitergeführt.83 Die Einführung des Interims und die Angst der militärisch besiegten Straßburger vor weiteren Zwangsmaßnahmen Karls V. wirkten sich deutlich auf die Politik gegenüber den Klöstern aus. Die Messe konnte wieder Politik als ganz dem alten Kultus verpflichtet wahrgenommen. Dies konnte Schilling etwa für die nordwestdeutschen Städte zeigen, vgl. Schilling: Stadtrepublikanismus und Interimskrise, S. 226. In den Hansestädten bewirkte das Interim dadurch das Gegenteil seiner ursprünglichen Intention, nämlich ein Zusammenrücken der Städte untereinander und eine innere Vereinheitlichung und Festigung des Protestantismus, vgl. Postel: Die Hansestädte und das Interim, S. 192. 80 Vgl. Rabe: Augsburger Interim, S. 97. Während Rabe diesen Widerstand der Städte als „ärgerliche“ Sabotage der kaiserlichen Ausgleichsbemühungen sieht, interpretiert ihn Weyrauch als berechtigte Ablehnung der „drakonischen“ kaiserlichen Politik gegenüber den Reichsstädten, vgl. Rabe: Augsburger Interim, S. 65; Weyrauch: Konfessionelle Krise, S. 52f., hier 52. Nur scheinbar werden damit die Auseinandersetzungen um die Deutung des Interims zwischen den national-protestantischen und den katholischen Historikern des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen. Vgl. zur Forschungsgeschichte Schorn-Schütte: Interim im europäischen Kontext, S. 20ff. 81 Vgl. dazu Hoffmann: Reichsstädte und Augsburger Religionsfrieden, S. 302. 82 Vgl. Weyrauch: Konfessionelle Krise, S. 143. Zu den drohenden Unruhen in der Stadt vgl. ebd., 134ff. Weyrauch betont, dass es sich bei den Gesprächen mit dem Bischof nicht um eine Verhandlung des eigentlichen Rechtstextes handeln konnte, da dieser ja bereits als Reichsrecht auch für Straßburg Gültigkeit erlangt hatte. 83 Vgl. zur Einführung des Interims Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 274ff. und Weyrauch: Konfessionelle Krise, S. 150ff.
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offener praktiziert werden und der Rat erließ den Nonnen von St. Margaretha das Hören der protestantischen Predigt. Gerade die Sanktimonialen wurden mutiger und verhandelten mit dem Rat über eine Senkung ihres Schirmgelds, hatten damit allerdings keinen Erfolg. Der Rat räumte ihnen aber wieder ein Mitbestimmungsrecht bei der Wahl der Schaffner ein. Zwar setzte der Rat sein Verbot, neue Konventsmitglieder aufzunehmen, nicht aus, dennoch vergrößerten sich in dieser Zeit die Konvente. Vierling resümiert: „Nach dem Vorausgegangenen wich also der Rat auf der ganzen Linie vor den Frauen zurück, ebenso wie in der Frage des Gottesdienstes zu St. Johann.“84 Mit dem Augsburger Religionsfrieden85 wurde ein weiterer Schritt in Richtung einer Verrechtlichung des Verhältnisses zwischen den Religionsparteien gemacht. Er sollte die friedliche Koexistenz bis zur nach wie vor angestrebten Wiedervereinigung der Kirche gewährleisten und tat dies auch bis zu einem gewissen Grad.86 Der politische Frieden erhielt hier größere Priorität als die theologische Wahrheitsfrage.87 Die reichsweite Einheit des Kirchenrechts aber wurde zugunsten des Kompromisses aufgege84
Vgl. Vierling: Ringen, S. 87ff., hier S. 90. Aus Anlass des 450. Jubiläums des Augsburger Religionsfriedens sind zahlreiche hochkarätige Monographien und Tagungsbände erschienen. Zunächst zu nennen ist Axel Gotthards 2004 erschienene Monographie zum Thema, die umfassend Entstehung und Folgen abwägt und positiv aufgenommen worden ist, vgl. Gotthard: Augsburger Religionsfrieden. Vgl. auch die Rezension von Heinhard Steiger in sehepunkte 6/2006. Gotthards Thesen finden sich zugespitzt auch in einem der Tagungsbände, die anlässlich des Jubiläums erschienen sind, vgl. Schilling/Smolinsky: Der Augsburger Religionsfrieden (2007). Vgl. auch die Tagungsbände von Wüst/Kreuzer/Schümann: Der Augsburger Religionsfrieden, Graf: Der Augsburger Religionsfrieden (2006) und Gärtner: Religionsfreiheit und Frieden (2007). Nennenswert ist auch der von Carl A. Hoffmann und anderen herausgegebene Katalog zur Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg: Als Frieden möglich war (2005), der ebenfalls zahlreiche profilierte Autoren mit Aufsätzen versammelt. Für einen Forschungsüberblick auch über die ältere Literatur vgl. Gotthard: Augsburger Religionsfrieden (2004), S. 24ff. und Hoffmann: Themenschwerpunkt, S. 251ff. Im Folgenden beziehe ich mich vor allem auf diese und weitere Neuerscheinungen, da sie ältere Forschungen kritisch verarbeiten. Die Reichstagsakten zum Augsburger Reichstag erscheinen im Jahr 2009. 86 Vgl. zur Bewertung des Religionsfriedens u.a. Heckel: Konfessionalisierung in Koexistenznöten, S. 663ff., der den Religionsfrieden als „Notrechtsordnung“ charakterisiert und dessen Wiedervereinigungsgebot betont. Erst mit dem Westfälischen Frieden sei die Übergangsqualität der itio in partes abgeschafft worden. Vgl. zum Westfälischen Frieden ebd., S. 679. Im 16. Jahrhundert sei der „katholische Charakter des Reiches“ nicht angetastet worden, vgl. ders.: Religionskonflikt, S. 22. Auch Wolgast charakterisiert das neue Recht als „politischen Frieden“, vgl. Wolgast: Religionsfrieden als politisches Problem, S. 59ff., hier 95, ebenso Gotthard: Augsburger Religionsfrieden (2004), S. 198ff. 87 Diese Prioritätensetzung lässt sich schon in anderen Reichsabschieden des 16. Jahrhunderts belegen, vgl. Gotthard: Augsburger Religionsfrieden (2004), S. 198ff. 85
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5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
ben. Einheit im Glauben existierte nunmehr nur auf der Ebene der Territorien, wodurch sich konfessionell geprägte Rechtspositionen entwickelten, die letztlich die „Polarisierung vorantrieben“.88 In der Frage des Ius reformandi der fürstlichen Reichsstände wurde aber zumindest bis auf wenige Unklarheiten und Ausnahmen Klärung geschaffen.89 Dies kann für die Reichsstädte nicht gesagt werden.90 Ihr Ius reformandi blieb umstritten. Dies lag zum einen am „Problem der prekären Reichsstandschaft“ der Städte.91 Ungeklärt war, ob ihre Reichsunmittelbarkeit vor allem mit einer besonderen Treue- und Gehorsamspflicht gegenüber dem Kaiser verbunden war oder ob sie tatsächlich auch mit besonderen Freiheitsrechten gegenüber dem Reich einherging. Des Weiteren zielte der Augsburger Religionsfrieden in Bezug auf die Reichsstädte darauf ab, die durch das Interim garantierte Ausübung des alten Kultus zu zementieren.92 In § 27 des Religionsfriedens heißt es für die Reichsstädte: „Nachdem aber in vielen Frei- und Reichsstädten die bede Religionen, nemlich unser alte Religion und der Augspurgischen Confession Verwandten Religion ein Zeit hero im Gang und Geprauch gewesen, so sollen dieselbigen hinfüro auch also pleiben und in denselbigen Stetten gehalten werden, und derselben Frei- und Reichstet Burger und andere Einwoner, geistlich und weltlichs Stands, friedlich und ruhig bei und neben einander wonen, und kein Teil des anderen Religion, Kirchengepreuch oder Cerimonien abzutun oder ine darvon zu tringen understen [...].“93
Dass der Frieden mit diesem Artikel in den bikonfessionellen Städten den Status quo festschrieb, ließe sich als implizite, aber gewollte Negierung eines reichsstädtischen Ius reformandi interpretieren. Darüber herrscht allerdings in der Forschung ebenso wenig Einigkeit wie unter den Zeitgenos-
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So u.a. Gotthard: Religionsfrieden und politisches System, S. 43. Vgl. ähnlich auch Heckel: Konfessionalisierung in Koexistenznöten, S. 663. Vgl. zu den Verhandlungen um den Einbezug der Reichritter und Reichsstädte Schneider: Ius Reformandi, S. 154f. 89 Unklar blieb das Ius reformandi der Reichsritterschaft und die Frage nach dem Status landesherrlicher Klöster, ausgenommen waren geistliche Fürsten. Selbst das Ius reformandi der Fürsten lässt sich allerdings nur aus der Kombination verschiedener Paragrafen wie dem Auswanderungsrecht ableiten, während die Formel „Cuius regio, eius et religio“ erst später geprägt wurde, vgl. Schneider: Ius reformandi, S. 169ff. 90 Hoffmann: Reichsstädte und Augsburger Religionsfrieden, S. 303f.; vgl. dazu auch Pfeiffer: Der Augsburger Religionsfrieden und die Reichsstädte. 91 Gotthard: Augsburger Religionsfrieden (2004), S. 260. 92 So Gotthard: Augsburger Religionsfriede (2004), S. 138. Wie schon beim Interim gelang es den Städten nicht, effizienten Widerstand gegen den Paragrafen zu organisieren, vgl. ebd., S. 143. 93 Bis zum Erscheinen der Reichstagtagsakten im Jahr 2009 bleibt die maßgebliche Edition des Textes Brandi (Hrsg.): Der Augsburger Religionsfriede, hier S. 49f.
5.1 Der Rat als Akteur
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sen.94 Fest steht, dass Kaiser und Reichsstände im Zuge der Diskussion um den Aachener Händel auf dem Reichstag 1582 zwar die umstrittene Reichsstandschaft der Städte bestätigten, ein Ius reformandi derselben aber nicht anerkannten.95 Carl A. Hoffmann charakterisiert die durch den Frieden in den Reichsstädten geschaffene Situation daher als „Teillösung [...], die für die Zukunft zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten, Streitfälle und Konflikte heraufbeschwor.“96 Die rechtliche Situation blieb in den Reichsstädten also unsicher, was sich auch in der unterschiedlichen Rechtsauslegung zeigte. Die Auslegung des Friedens hing gerade in den Reichsstädten wie schon vor 1555 vom konfessionellen Standpunkt ab. Das Recht blieb, wie Gotthard es formuliert hat, „ancilla theologiarum“.97 De facto wurde das Ius reformandi in zahlreichen Städten praktiziert.98 Die Argumentation der Reichsstädte zur Begründung strittiger religionspolitischer Entscheidungen knüpfte an verschiedenen Punkten an. Zum einen stritt man um den Zeitpunkt, an dem der Status quo „gemessen“ werden sollte. Da im § 27 kein Normaljahr festgelegt worden war, blieb hier Spielraum für Interpretationen. Straßburg etwa argumentierte, man habe die Messe 1529 abgeschafft und habe daher als rein protestantisch zu gelten. Die im Zuge des Interims eingeführte Duldung der Messe in vier Kirchen habe keine rechtliche Relevanz. In Bezug auf die Sonderverhandlungen des Jahres 1548 mit dem Bischof behaupteten die Straßburger weiter, das Interim als solches habe man nie eingeführt.99 Andere Juristen argumentierten, ihre Stadt falle ganz grundsätzlich nicht unter den Paragraphen, da er sich 94
Während Eberhard Naujoks wie Hoffmann und Gotthard die Meinung vertritt, der Religionsfrieden habe den Reichsstädten das Ius reformandi abgesprochen, betont Schindling vor allem die Unsicherheit, die durch den § 27 geschaffen wurde, vgl. Naujoks: Vorstufen der Parität, S. 29; Schindling: Reformation in den Reichsstädten, S. 80ff; Hoffmann: Reichsstädte und Augsburger Religionsfrieden, S. 306; Gotthard: Augsburger Religionsfrieden (2004), S. 258ff. 95 Vgl. Gotthard: Augsburger Religionsfrieden (2004), S. 261. 96 Hoffmann: Reichsstädte und Augsburger Religionsfrieden, S. 297. Martin Heckel betont, dass die Mehrdeutigkeit der Rechtssprache Kompromisse überhaupt erst ermöglicht habe, vgl. Heckel: Deutschland im konfessionellen Zeitalter, S. 44. Vgl. so auch Reinhard: Reichsreform und Reformation, S. 351 und Gotthard: Augsburger Religionsfrieden (2005), S. 23. 97 Gotthard: Augsburger Religionsfriede (2005), S. 25. Die unterschiedlichen Auslegungen des Reichsrechts, besonders des Augsburger Religionsfriedens durch alt- und neugläubige Juristen hat Strohm herausgearbeitet, vgl. Strohm: Konfessionsspezifische Zugänge, S. 127. 98 Vgl. Hoffmann: Reichsstädte und Augsburger Religionsfrieden, S. 306ff. mit zahlreichen Beispielen und Gotthard: Augsburger Religionsfrieden (2004), S. 262. 99 So die Argumentation im Zusammenhang mit dem Reichskammergerichtsprozess um das 1592 geschlossene Kloster St. Nikolaus, vgl. AMS II, 6/3, S. 2. Vgl. dazu auch Kratsch: Justiz – Religion – Politik, S. 93f.
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5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
nur auf paritätische Städte beziehe, man selbst aber 1555 rein katholisch beziehungsweise evangelisch gewesen sei. Straßburg argumentierte außerdem, der Paragraph habe keine Gültigkeit für die Stadt, da man ihm 1555 nicht zugestimmt habe.100 Obwohl Straßburg wie auch andere Städte sich um eine günstige juristische Auslegung des Friedens bemühten, betrieben die Straßburger insgesamt eine relativ umsichtige Religionspolitik, um die kaiserliche Auslegung des Städteparagrafen nicht zu offen in Frage zu stellen. Zwar war die militärische Exekution des Städteparagrafen in Donauwörth 1608 in den sechziger und siebziger Jahren des 16. Jahrhundert noch nicht absehbar, doch zeichneten sich schon verschiedene sich verschärfende Konflikte zwischen Kaiser und Städten ab.101 Wie schwer sich der Straßburger Rat mit der Abwägung zwischen der kaiserlichen Auslegung des Reichsrechts und seinen eigenen religionspolitischen Interessen tat, zeigt eine Debatte im Magistrat im Jahr 1575. Es ist einer der wenigen Einblicke, die die Protokolle auch in die Auseinandersetzungen und Parteiungen innerhalb dieses Gremiums zulassen. Der Rat erwog in dieser Sitzung die Möglichkeit der Abschaffung der Messe in der Johanniterkommende und den Frauenklöstern und ließ dazu theologische und rechtliche Gutachten vortragen.102 Die Prädikanten rieten in ihrem Gutachten zur Abschaffung der Messe. Einige Ratsherren schlossen sich ihnen an und argumentierten im Rat, „das man Godt mehr dann Menschen zu gehorsamen schuldigh, alles umb der ehre Godtes willen in schantz zu schlagen, zu guth, ehr, nahrung, leib und leben.“103 Die städtischen Rechtsgelehrten Dr. Gremp, Dr. Betzhen und Dr. Neru allerdings 100
Vgl. Schneider: Ius reformandi, S. 234f. Vgl. zu den verschiedenen Unklarheiten des § 27 auch Gotthard: Augsburger Religionsfrieden (2004), S. 252ff. 101 Zu nennen sind etwa der Aachener Händel und die Konflikte um die reformierten Gemeinden in Köln. Auch die Straßburger Streitigkeiten zählen zu den „Schulbeispielen“, vgl. Schneider: Ius Reformandi, S. 228ff., hier S. 231. Vgl. für eine Überblick über verschiedene Konflikte auch Gotthart: Augsburger Religionsfrieden (2004), S. 254ff. Zum Reichskammergericht ist in jüngerer Zeit eine Flut von Publikationen entstanden, verwiesen sei an dieser Stelle lediglich auf die Reihe Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich. 102 Vgl. AMS AST 35/6, 44v. Weitere Gutachten zur Abschaffung der Messe in den Klöstern ließ der Rat 1587 und 1589 erstellen, vgl. Pfleger: Geschichte des Reuerinnenklosters, S. 53. Weitere Gutachten, die sich nicht explizit auf die Klöster beziehen, sondern allgemein die Abschaffung der Messe abwägen finden sich in AMS AST 87/16 ff. 103 AMS AST 35/6, 44v. Das Petruswort, dass man „Gott mehr als die Menschen fürchten müsse“ (Apg., 5, 29) wird interessanterweise von Streitern beider Konfessionen ins Feld geführt. Mit dem selben Wort begründete auch ein Visitator gegenüber den Straßburger Kartäusern, warum sie ihren Ordensregeln, nicht den Verordnungen des Magistrats zu folgen hätten, vgl. AMS II, 28/17, Nr. 8.
5.1 Der Rat als Akteur
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waren zu dem Schluss gekommen, die Pläne der Stadt seien „geverlich und hochbedenklich“.104 Daraufhin entspann sich eine heftige Debatte. Diejenigen Ratsherren, die sich dem Gutachten der Juristen anschlossen, erinnerten daran, „was fur gefahr, nachwil und schaden gemeiner stadt darauff stande, dann der Bischoff wurd sich der sachen ahnnehmen, ahn Cammergericht Mandata außpringen, die werden uff die Pein deß Religionfriedens gestellt sein, die ist dem Landfrieden gleich. Parirt man nicht, so kempt man in die acht; seie nicht vonnoeten meine herren zu bekriegen, seie nuhr umb ein solch briefliches zu thun, so werde alle commertio niedergelegt, die burger doerffen nicht auß oder ein wanndern, darzu wirdt der Bischof lachen [...]. Zu dem hedt man sich zu befehren, das man das jenig so man noch hedt auch verlieren mochte. Der Bischoff werde seine drey stifft wider begehren, Mess darinnen zumachen.“ 105
Tatsächlich konnte sich der Rat trotz offenbar weiterhin hoher Besuchszahlen der Messe in St. Johann bis 1590 nicht zu einem Vorgehen entschließen.106 Als er es dann tat, wandten sich die Johanniter unter expliziter Berufung auf den Religionsfrieden tatsächlich an den Kaiser.107 Die Verhandlung solcher strittigen Eingaben an den Kaiser war Aufgabe des Reichskammergerichts. Das Reichskammergericht war, nach heftigen Streitigkeiten um die Frage seiner Zuständigkeit in Religionssachen in den dreißiger und vierziger Jahren,108 im Augsburger Religionsfrieden als zentrale Instanz für Entscheidungen auch in konfessionellen Streitfragen festgesetzt worden. Durch die Visitation 1560 wurde die paritätische Besetzung der Senate mit Assessoren beider Konfessionen geregelt: „Die Unparteilichkeit der Gerichtsfunktionen war das Ziel.“109 Dies stellte eine Wende in der Bedeutung des Kammergerichts dar. Bis 1555 war das Gericht zunächst zum „zentralen Instrument des ‚rechtlichen Krieges‘ gegen die evangelische Lehre und Bewegung“ geworden. Die Gegenwehr gegen diesen „Krieg“ war nicht zuletzt Anlass zur Gründung
104
Vgl. AMS AST 35/6, fol. 34r ff., hier fol. 36v. AMS AST 35/6, fol. 44v. 106 Vgl. AMS 35/6, fol. 49r ff. 107 Vgl. ADBR H 1407/7, Nr. 1 (21. März 1595). 108 Zu etablieren versuchten die altgläubigen Kräfte das Gericht als entscheidende Instanz, besonders in Fragen der Entfremdung von Kirchengut auf dem Augsburger Reichstag 1530, bis zum Augsburger Religionsfrieden allerdings akzeptierte die protestantische Seite diese Zuständigkeit nicht und rekusierte unter Berufung auf den Nürnberger Religionsfrieden (1532) mehrfach das Gericht als befangen, vgl. Smend: Reichskammergericht, S. 138f. und S. 144ff. Vgl. zu den Streitigkeiten vor 1555 Schelp: Reformationsprozesse, S. 67ff. 109 Vgl. Heckel: Religionsprozesse des Reichskammergerichts, hier S. 584. Vgl. zur Verankerung der Funktion des Gerichts im Religionsfrieden Schneider: Ius reformandi, S. 214. 105
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5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
des Schmalkaldischen Bundes gewesen.110 Als Karl V. in den Friedensverhandlungen mit den Straßburgern 1547 forderte, das Reichskammergericht endgültig auch als Instanz in Religionsangelegenheiten anzuerkennen, gab der mit der Frage betraute städtische Ausschuss demzufolge zu bedenken, dass dergestalt „alle geistlichen, der bischof, die bettelorden und alle anderen sondere personen der ordnung halben, so alhie umb der religion willen beschehen, gemeine stat anlangen [...]. [...] so wurden solliche personen allen iren gefallen gegen gemeiner stadt erlangen und gemeiner stat nit allein schimpf und spot, sondern ein sollicher schaden darus mogen ervolgen, der ir nit treglich und ganz verderblich sein wurde.“111
Einen fairen Prozess erwartete die Reichsstadt 1547 also vor dem Kammergericht nicht. Nach dem Religionsfrieden konnte nun das Reichskammergericht von beiden Seiten in Anspruch genommen werden.112 Klagepunkte von evangelischer Seite waren häufig die Einschränkung des Ius emigrandi, Auseinandersetzungen um Mischehen und Kalenderstreitigkeiten. Katholische Institutionen klagten über materielle Belastungen durch ihre andersgläubigen Landesherren und entfremdetes Kirchengut.113 Zwar war echte Unparteilichkeit letztlich nicht möglich, da gerade in den unklaren oder strittigen Punkten des Religionsfriedens, wie bereits gezeigt, konkurrierende konfessionelle Rechtsauslegungen entstanden.114 Dies zeigt der Ausfall des Reichskammergerichts, der sich in den Revisionssachen der achtziger und neunziger Jahre ankündigte und 1601 schließlich mit dem Scheitern der
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Heckel: Religionsprozesse des Reichskammergerichts, S. 576. Vgl. auch Schelp: Reformationsprozesse, S. 51ff. Schon die Speyrer Konvention hatte u.a. die gemeinsame Gegenwehr gegen die Reichsorgane zum Ziel gehabt, vgl. Smend: Reichskammergericht, S. 138. 111 Politische Correspondenz, IV, 1, S. 589. Es handelt sich um den Bedacht der Ausschussmitglieder über die von Granvella präsentierten Bedingungen des Kaisers (29. Januar 1547). Der Ausschuss war besetzt mit den elder statesmen Straßburgs, Jakob Sturm, Hans von Lindenfels, Heinrich von Müllenheim und dem frisch geadelten Konrad Joham von Mundolsheim. 112 Vgl. Heckel: Konfessionelles Zeitalter, S. 95; Kratsch: Justiz – Religion – Politik, S. 48. Es fehlt allerdings eine quantitative Analyse aller Streitsachen und Kläger, so dass keine Aussage darüber möglich ist, wie hoch der Anteil an Religionsprozessen unter den Klagen war, vgl. ebd. 113 Vgl. für einen knappen Überblick Kratsch: Justiz – Religion – Politik, S. 46ff. 114 Eine Strategie zur Auflösung dieser Konflikte war eine Konzentration der Streitigkeiten auf die weltlichen Anteile der Streitsachen, während die eigentlichen Religionsfragen ausgeklammert wurden. Ohnehin war häufig die Entfremdung von Kirchengut Klagegrund, vgl. Heckel: Religionsprozesse, S. 587ff. und Ruthmann: Religionsprozesse, S. 10.
5.1 Der Rat als Akteur
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Deputation besiegelt wurde.115 Heckel und andere schreiben dem Gericht dennoch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durchaus eine befriedende Funktion zu.116 Auch gegen die Stadt Straßburg wurden verschiedene Reichskammergerichtsprozesse anhängig, alle betrafen Klöster oder Stifte der Stadt. Gerade in der Phase vor dem Augsburger Religionsfrieden zeigte sich, dass die Befürchtungen der Straßburger nicht unberechtigt waren, sondern dass Kaiser und Bischof über das Gericht versuchten, das Reichsrecht gegen die Stadt zu exekutieren. Die Stadt überstand zwar insgesamt alle Prozesse glimpflich: In jedem Fall konnte eine Achterklärung vermieden werden.117 Dennoch schränkten die Prozesse und die Aussicht auf die Exekution des Reichsrechts den städtischen Handlungsspielraum erheblich ein. Beispielhaft lässt sich dies am Prozess um die Kartause zeigen.118 Als 1540 der Prior der Kartause starb, schlug der Pfleger, Daniel Mueg, dem Rat vor, das Kloster zu schließen. Zwar konnte sich der Rat dazu nicht durchringen, der Pfleger aber nahm die Schlüssel des Klosters an sich und ließ die beweglichen Güter inventarisieren. Karl V. erließ daraufhin zunächst ein
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Revisionssachen des Reichskammergerichts wurden von einer Visitationskommission entschieden, die wiederum in einem bestimmten Turnus von verschiedenen Reichsständen besetzt wurde. Als nun 1588 unter diesen Reichsständen der protestantische Bistumsadministrator Magdeburgs an der Reihe war, weigerten sich die übrigen Stände, mit ihm gemeinsam die Kommission zu besetzen. Revisionsinstanz wurde der Reichstag (1594) und dann die ordentliche Reichsdeputation (1598), die allerdings 1601 am so genannten Vierklosterstreit ebenfalls scheitert. Eine knappe Zusammenfassung der negativen Auswirkungen des Augsburger Religionsfriedens auf die Reichsorgane, auch auf das Reichskammergericht findet sich bei Gotthard: Religionsfrieden und politisches System, S. 45ff. und Ruthmann: Religionsprozesse, S. 554. Vgl. detailliert zur Vorgeschichte und zum Ablauf der entscheidenden Sitzung der Deputation Kratsch: Justiz – Religion – Politik, S. 154ff. 116 Vgl. Heckel: Reformationsprozesse, S. 9ff. Diese Meinung wird vor allem in der neueren, weniger stark „urteilszentrierten“ Forschung vertreten, vgl. Diestelkamp: Reichskammergericht im Rechtsleben, S. 474ff. Vgl. dazu teilweise einschränkend Ruthmann: Religionsprozesse, S. 569ff. Anders noch Smend, der gerade in den Religionsprozessen vor 1555 nur die Legitimation kriegerischen Vorgehens der Altgläubigen sah, während er die Bedeutung der eigentlichen Streitgegenstände als gering einschätzt, vgl. Smend: Reichskammergericht, S. 143. 117 Vgl. Schelp: Reformationsprozesse, zusammenfassend S. 245ff. 118 Außer dem Prozess um die Kartause klagte Bischof Wilhelm zweimal gegen die Stadt. Im ersten Fall ging es um die Restitution der Güter des Regularkanonikerstifts St. Arbogast, im zweiten Fall um die Einsetzung zweier städtischer Pfleger im Damenstift St. Stephan. Beide Prozesse verschleppte die Stadt mit Hilfe des Schmalkaldischen Bundes, so dass kein Urteil erfolgte, vgl. Schelp: Reformationsprozesse, S. 75ff. und S. 110ff.
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5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
Mandat, das die Rückgabe der Schlüssel befahl.119 Als der Rat das Mandat ignorierte, wurde die Stadt für den 8. Oktober 1540 zur Achterklärung vorgeladen.120 Diese Drohgebärde zeigte Wirkung. Der Rat wandte sich um Hilfe an Philipp von Hessen und bemühte sich um Schadensbegrenzung. Man habe schon nach dem Erlass des kaiserlichen Mandats die Wachtruppe aus dem Kloster genommen und die Verwaltung einem von den Mönchen gewählten Prior übergeben. Man sei auch bereit, die jetzige Situation im Kloster weiter zu dulden. Wie solle man sich verhalten?121 Um Zeit zu gewinnen, wies der Rat unter Berufung auf den Nürnberger Religionsfrieden (1532) das Reichskammergericht ab. Dabei ging es vor allem darum, die Streitsache als Religionssache anerkennen zu lassen, was schließlich gelang, praktisch in letzter Minute vor der Achterklärung. Die Schlüssel wurden zurückgegeben, aber auch der Orden musste einen Kompromiss schließen und akzeptierte die Einsetzung eines dem Rat genehmen Priors. Auch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, nach dem Augsburger Religionsfrieden, wurden Klagen gegen die Straßburger anhängig. 1592 klagte der Dominikanerprovinzial Zittard gegen die Schließung des Klosters St. Nikolaus sowie die in St. Margaretha in diesem Zusammenhang vorgenommenen Veränderungen.122 Zittard konnte am 29. April 1592 ein mandatum inhibitorum erwirken, das der Rat allerdings ignorierte.123 Die Stadt reichte 1594 Exzeptionen ein,124 ein Urteil erfolgte aber nie, der Dominikanerorden enthielt nie eine Entschädigung für das geschlossene Kloster.125 Günstiger für die katholische Seite war das Urteil zum im selben Zeitraum laufenden Prozess der Reuerinnen, die 1597 gegen den Rat vor Gericht zogen.126 Klagepunkt war vor allem, dass der Rat zwei Frauen im 119
Vgl. für den gesamten Vorgang Politische Correspondenz, III, S. 97ff. Vgl. dazu auch Clausing: Streit um die Kartause, S. 5; Schelp: Reformationsprozesse, S. 172ff. 120 Vgl. Politische Correspondenz, III, S. 112, Vorladung auch in AMS II, 28/17, Nr. 5. 121 Vgl. AMS II, 28/17, Nr. 9 (14. März 1541). 122 In der Klageschrift ist zwar von drei Frauenklöstern die Rede, es werden aber nur St. Nikolaus und St. Margaretha behandelt, vgl. Kratsch: Justiz – Religion – Politik, S. 98f. 123 Vgl. AMS II, 6/2 und AMS X, 417. 124 Vgl. Abschriften und interessante, weil teilweise stark polemische Entwürfe in AMS II 6/3; AMS II 6/8 und AMS AST 170/35. 125 Vgl. Kratsch: Justiz – Religion – Politik, S. 98, Anm. 44. 126 Da in dem zeitgleich verhandelten Prozess des Provinzials Zittard von drei Klöstern die Rede ist, tauchen in der Literatur häufig Verwechslungen auf. Auch Schneider gibt falsch an, die Klage um die beiden zugewiesenen kranken Frauen, deren Revision Teil des „Vierklosterstreits“ wird, betreffe St. Margaretha, vgl. Schneider: Ius reformandi, S. 232. Vgl. zur Klärung Kratsch: Justiz – Religion – Politik, S. 98.
5.1 Der Rat als Akteur
101
Kloster untergebracht hatte, die nach Auskunft der Nonnen beide krank waren. Die Nonnen unterstellten den Frauen, Spione des Rates zu sein. Die Reuerinnen beklagten außerdem die hohen Pensionszahlungen und die Eingriffe des Rates in ihre Vorratshaltung.127 Sie klagten offenbar tatsächlich persönlich, was auch den Rat verwunderte, der sich bemühte, herauszufinden, wer die Nonnen unterstützte, aber zu keinem Schluss kam.128 Erstaunlich schnell erging 1598 ein erstes Urteil gegen die Stadt, das die Einwendungen des Rates zurückwies. Der Rat ging allerdings in Revision und damit wurde der Prozess um St. Magdalena ein Fall des in der Rechtsund Verfassungsgeschichte bekannten „Vierklosterstreits“. Weiter gegen das Kloster vorzugehen, wagte der Rat allerdings dennoch nicht.129 Insgesamt war also die rechtliche Lage der Reichsstädte, auch Straßburgs, im 16. Jahrhundert unsicher. Zwar versuchten sie in Anlehnung an die jeweilige Rechtslage Argumente für ein reichsstädtisches Recht auf eine unabhängige Religionspolitik zu finden. Dennoch waren sie de facto gezwungen, ihre Politik zumindest zu mäßigen, barg doch jeder radikale Schritt die Möglichkeit einer Zitation vor das Reichskammergericht und der Reichsacht in sich. Der politische Handlungsspielraum der Straßburger war damit erheblich eingeschränkt, wenn auch die Stadt immer wieder das Risiko einging, vom Reichsrecht nicht gedeckte Veränderungen vorzunehmen.
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Vgl. AMS II, 63/2. Der Prozess der Nonnen von St. Magdalena hat in der städtischen Überlieferung geringeren Niederschlag gefunden als der Prozess des Dominikanerprovinzials Zittard. Außer der hier zitierten Korrespondenz mit dem Rat ist die Beauftragung des Anwalts vom 31. Mai 1597 erhalten, vgl. AMS II, 63/15. Der Rat beschäftigte sich mit dem Fall in mehreren Sitzungen, es ging ihm aber zunächst vor allem darum, wer den Nonnen bei der Erstellung der Supplik geholfen haben könnte, vgl. Ratsprotokolle (2. Mai 1597), fol. 204v f.; (14. Mai 1597), fol. 229v und (21. Mai 1597), fol. 239r. In den Folgemonaten ist der Rat offensichtlich zu stark mit dem Kapitelstreit befasst, als dass er sich um das Mandatum hätte bemühen können. Die Exzeptionen des Rates finden sich laut Kratsch im HstA München, Kasten schwarz 5696. Kratsch druckt die Citation und den Bescheid des Gerichts ab, vgl. Kratsch: Justiz – Religion – Politik, S. 233ff. 128 Vgl. Ratsprotokolle (2. Mai 1597), fol. 204v f.; (14. Mai 1597), fol. 229v. Vgl. auch Kratsch: Justiz – Religion – Politik, S. 99. 129 Unter dem Begriff „Vierklosterstreit“ werden vier unabhängige Prozesse verstanden, die am Reichskammergericht um die Jahrhundertwende zusammengefasst wurden. Dadurch, dass dieser Prozess die ohnehin ins Stocken geratenen Revisionsprozesse 1601 endgültig blockierte, kommt ihm konfessionspolitisch nach Auffassung von Kratsch einige Bedeutung zu. Ruthmann: Religionsprozesse, S. 555f. und S. 578f. zieht diese Interpretation in Zweifel und mahnt zu einer vorsichtigeren Beurteilung, betont aber, dass zu einer abschließenden Interpretation noch Forschungen nötig seien.
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5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
5.2 Klosterschließungen oder Klosterauflösungen? Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates im 16. Jahrhundert 5.2 Klosterschließungen oder -auflösungen
5.2.1 Eingriffe des Rates in das wirtschaftliche und religiöse Leben der Klöster. Klosterpolitik zwischen Strenge und Duldung Bernd Moeller hat in seinem zum Klassiker gewordenen Essay zur reichsstädtischen Reformation die Religionspolitik der Magistrate als Vollendung der im 15. Jahrhundert begonnenen Eingliederung des Klerus in die Sakral- und Wirtschaftsgemeinschaft der Städte gedeutet.130 Die „Teilhabe aller an den Lasten und Pflichten“ der Stadtgemeinschaft und damit die faktische Aufhebung des Standesunterschiedes zwischen Geistlichen und Laien hat auch Schilling als ein wesentliches Charakteristikum der Verfassung der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt herausgearbeitet.131 Diese Sichtweise ist allerdings nicht unumstritten geblieben. Thomas Brady etwa betonte die auch im 16. Jahrhundert noch virulenten innerstädtischen Konflikte, die die vermeintlich homogene Sakralgemeinschaft im Inneren gespalten hätten.132 Auch die Untersuchung von Landstädten und Städten, in denen die Reformation scheiterte oder erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eingeführt wurde, hat die Deutung der Reformation als einheitliches städtisches Ereignis in Frage gestellt.133 Eine Verallgemeinerung ist also sicherlich unzulässig. Dennoch lässt sich am Beispiel Straßburgs eine in den Kontext der Moeller’schen Interpretation passende Kontinuität der städtischen Bemühungen zur Eingliederung des Klerus in die Stadtgemeinschaft seit dem späten Mittelalter erkennen. Seit dem 14. Jahrhundert versuchte der Magistrat, den Klerus und die Ordensgeistlichkeit stärker in die städtische Kontrolle und die bürgerlichen Pflichten einzubinden. Den Klöstern wurden Pfleger verordnet, die das letztgültige Zustimmungsrecht zu allen An- und Verkäufen haben soll-
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Vgl. Moeller: Reichsstadt und Reformation, besonders S. 23ff. Ähnlich auch die Interpretation von Schindling: Reformation in den Reichsstädten, S. 68ff. Siehe zur Herleitung der Reformation aus antiklerikalen Strömungen auch Goertz: Pfaffenhass und groß Geschrei. 131 Schilling begreift diesen Aspekt neben den „Grund- und Freiheitsrechten“, den Partizipationsrechten und der Legitimation des Rates aus dem Konsens der Gemeinde als eine der vier „Säulen“ des städtischen Republikanismus in der Frühen Neuzeit, vgl. u.a. Schilling: Städtischer Republikanismus, S. 164f. und ders.: Konfessionelle Stadt, S. 60. 132 Vgl. Brady: Ruling Class, S. 142. 133 Vgl. u.a. die Untersuchung Sribners zur gescheiterten Reformation in Köln, Sribner: No Reformation und zu den spät reformierten Städten von Greyerz: Late CityReformation.
5.2 Klosterschließungen oder -auflösungen
103
ten.134 Sie wurden zum Ungeld, zu Wegzöllen und zum Mühlgeld herangezogen, in den Frauenklöstern wurde die Höhe der Mitgift sowie das Erbrecht der Frauen reguliert, um den Abfluss von Geldern in die Tote Hand zu verringern.135 So bezogen sich auch die ersten Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der reformatorischen Bewegung standen, auf die weitere Eingliederung der Ordensgeistlichkeit in die städtische Gesellschaft, wenn diese Eingriffe auch deutlich über die mittelalterlichen Bestrebungen hinausgingen. Der Rat zwang zunächst alle Klöster in den Schutz und Schirm der Stadt.136 1524 erarbeiteten die Ratsherren Peter Ellenhard, Klaus Kniebis und Gerhard von Scherburg einen Mustervertrag, den alle Mönche und Nonnen unterzeichnen mussten.137 Die Religiosen schworen der Stadt die Treue, unterwarfen sich der städtischen Gesetzgebung und sollten ihre Siegel abliefern. Jeder neue Konventuale sollte der städtischen Kanzlei bekannt gemacht und innerhalb von acht Tagen in ein gesondertes Buch eingetragen werden. Das Schirmgeld betrug vier Schilling von hundert Pfund Kapital, das entspricht 0,2 Prozent.138 Neben den Einkünften, die dem Rat durch seine neuen Schirmverwandten zuteil wurden, hatte der städtische Schirm Bedeutung als Druckmittel, um das Wohlverhalten der Klöster zu garantieren. So drohte der Rat 1575, als er mit den Johannitern um das Abhalten der Messe in der Kommende verhandelte, mit dem Entzug des Schirms.139 Mit dem Abschluss der Schirmverträge verstand sich der Rat nun auch endgültig als legitime Obrigkeit der Klöster und diese als organischen Bestandteil der Stadt.140 Eingriffe in das innere Leben der Klöster 134
Vgl. Pfleger: Kirchengeschichte, S. 129, der 1367 als Datum der Einführung nennt. In die selbe Zeit fallen Maßnahmen, die die Gerichtsfreiheit des Klerus einschränkten, vgl. ebd. 125ff. Die Konflikte zwischen Stadt und Geistlichkeit lassen sich aber auch bis zum Dominikanerstreit in das 13. Jahrhundert zurück verfolgen, vgl. dazu Rüther: Bettelorden, S. 229ff. und Schmidt: Notice, S. 178ff. 135 Die verschiedenen Verordnungen hat Brucker gesammelt, vgl. Brucker: Zunft- und Polizei-Verordnungen, besonders S. 294ff. Vgl. auch Rapp: Réformes et Réformation, S. 410ff. Vgl. für eine detaillierte Studie der Ausdehnung der städtischen Herrschaft auf die kirchlichen Institutionen, auch für die Bedeutung der Schutzverträge am Beispiel Memmingens Kießling: Stadt und Kloster, besonders S. 185ff. 136 Vgl. Vierling: Ringen, S. 19f.; Baum: Magistrat und Reformation, S. 101; Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 75. Die meisten Klöster nahmen den Schutz im Zusammenhang mit dem Bauernkrieg 1525 an. 137 Vgl. AMS AST 35/5, fol. 1r ff. und AMS II, 5/6. Das Deutschordenshaus war schon seit dem 15. Jahrhundert Schirmverwandter der Stadt. 138 Vgl. den Schirmvertrag der Kartäuser in ADBR G 1686/1, für die Johanniter AMS AST 35/5, S. 1ff. 139 Vgl. das Missivenbuch der Johanniter, ADBR H 1637, fol. 7v. 140 Deutlich wird dieses Verständnis des Rates etwa im Konflikt zwischen den Johannitern und dem Markgrafen von Baden 1534 um die Zahlung der Türkensteuer. Während
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5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
hielt der Rat für sein Recht und seine Pflicht, eine Sichtweise, die immer wieder Ansatzpunkt für Reibereien zwischen Rat und Klöstern bot.141 Auch über das Schirmgeld hinaus bezog der Rat die Klöster in die bürgerlichen Lasten mit ein, obwohl das 1524 erlassene Gebot, das Bürgerrecht anzunehmen nur für den Welt- und Stiftsklerus, nicht aber für die Ordensgeistlichkeit galt.142 So forderte er das volle Stallgeld, das ebenso wie das Schirmgeld permanenter Gegenstand von Verhandlungen zwischen dem Rat und besonders den Johannitern bleiben sollte.143 Um das Wirtschaftsleben der Klöster besser kontrollieren zu können, inventarisierte der Rat zwischen 1524 und 1526 die beweglichen Güter der Klöster und zwang diejenigen, die noch keine städtischen Schaffner beschäftigten, solche anzunehmen, wogegen sich allerdings einige Klöster, wie die Kartause, lange und erfolgreich wehrten.144 Der Rat nahm außerdem Urkunden und Wertgegenstände mancher der Gemeinschaften auf dem Pfennigturm in Verwahrung.145 Bis 1525 war allerdings niemand zum Austritt aus dem Kloster gezwungen oder aufgefordert worden. Dass der Rat tatsächlich nicht nur eine Integration der Konvente in die städtische Gesellschaft, sondern auch ihre Aufhebung erwog, zeigte sich erstmals mit der Verordnung vom 18. Mai 1525, mit der alle Nonnen aufgefordert wurden, ihre Klöster zu verlassen.146 Dieser Bescheid ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Erstens richtete er sich dezidiert nur an die Frauenklöster. Möglich ist, dass zu diesem Zeitder Markgraf die Kommende, die Gefälle in seinem Herrschaftsgebiet besaß, gesondert besteuern wollte, argumentierte der Rat, das Haus sei schon in der Türkensteuer der Stadt veranschlagt worden. Das Einkommen des Hauses wurde also offenbar als Bestandteil des städtischen Haushalts behandelt, vgl. AMS II, 53/14, fol. 3v. 141 Vgl. AMS II, 28/17, Nr. 18, fol. 2v, Akten zum Streit um die Wahl eines Priors der Kartause (1541). Beispielhaft sind auch die häufigen Streitigkeiten zwischen Rat und Johannitern und dem Rat und St. Margaretha um Wallbauarbeiten, vgl. ADBR H 3062/2 (1569); AMS II, 53/22 (1573); AMS II, 53/24 (1587, 1593, 1594, 1610) und ADBR H 1407/7 (o.D.). 142 Vgl. dazu Baum: Magistrat und Reformation, S. 72f.; Vierling: Ringen, S. 21. Zahlreiche Welt- und Stiftsgeistliche folgten dem Befehl, viele verließen aber auch die Stadt, um das Bürgerrecht zu umgehen. Vgl. für eine leider unvollständige Liste der Geistlichen, die zwischen 1518 und 1529 das Bürgerrecht annahmen Baum: Magistrat und Reformation, S. 204ff. Es muss weiterhin zurückgegriffen werden auf Wittmer/Meyer: Livre de Bourgeoisie. 143 Vgl. etwa AMS AST 35/6, fol. 21r f. und fol. 29v ff. (1568). 144 Vgl. Vierling: Ringen, S. 29f. Zahlreiche Klosterinventare sind entweder in den Ratsprotokollen oder in sonstigen städtischen Akten überliefert, vgl. u.a. das Inventar der Johanniter in AMS II, 53/14, das Inventar der Klarissen am Rossmarkt in AMS AST 35/3 und das Inventar der Kartause in AMS AST 36/5, fol. 1r. 145 Vgl. für die Johanniter AMS AST 35/5 (13. Februar 1527). 146 Vgl. u.a. AMS AST 35/11, fol. 3v. Der Beschluss fehlt bei Brant: Annales.
5.2 Klosterschließungen oder -auflösungen
105
punkt dem Rat ein Befehl an alle Religiosen nicht notwendig erschien, da ohnehin bereits zahlreiche Mönche die Klöster verlassen hatten. So stand etwa der Franziskanerkonvent zu diesem Zeitpunkt bereits praktisch leer.147 Die Übergabe des Klosters vollzog sich allerdings erst im September.148 Interessanter noch ist aber die Tatsache, dass der Rat nur wenige Wochen später, am 16. Juni 1525, seinen Befehl in eine Bitte ummünzte.149 Gründe für diesen Rückzug lassen sich in den Exzerpten aus den Ratsprotokollen lediglich erahnen.150 Nicht unerheblich war sicherlich die Reaktion der Frauen. Die Klosterherren, die den Reuerinnen den ersten Befehl des Rates mitgeteilt hatten, berichteten später vor dem Rat, dass „sich aber die frauen ubel gehobt“.151 Die Frauen aus St. Nikolaus, St. Magdalena und St. Margaretha folgten der Verordnung nicht, sondern bombardierten den Rat mit Protestnoten.152 Am 1. Juni teilte derselbe Ausschuss mit, er habe nochmals die Frauenklöster besucht, „nachdem vil geschrey der closter halb gewesen“.153 Denkbar ist, dass nicht alle Familien damit einverstanden waren, ihre Töchter wieder aufzunehmen. Konkrete Belege für ein Intervenieren der Familien gibt es allerdings nicht.154 Sicherlich aber hatten die Klosterherren erkannt, dass man nicht alle Frauen ohne Weiteres hinaus schicken konnte. So betonten etwa die Nonnen von St. Nikolaus in einer Supplik, sie seien alt und wüssten nicht, wohin.155 Dies zeigt sich auch darin, dass man sich nach dem 1. Juni zunächst darauf verlegte, zumindest das Kloster St. Magdalena als eine Art Sammelstelle für alte und kranke Nonnen bestehen zu lassen.156 Die Rücknahme des Befehls, die Klöster zu verlassen, mag auch in der allgemeinen rechtlichen Unsicherheit des Rates begründet gewesen sein. 147
Vgl. Rapp: Franciscains et Réformation, S. 155. Vgl. Rüther: Bettelorden, S. 318. 149 Vgl. u.a. AMS AST 35/11, fol. 3r. 150 Ein Abgleich mit den vollständigen Ratsprotokollen ist hier leider nicht möglich, da sie erst ab dem Jahr 1539 überliefert sind, vgl. Mariotte: Sources manuscrites, S. 77ff. 151 AMS AST 35/9, fol. 4v; vgl. auch AMS AST 35/11, fol. 3v ff. 152 Vgl. u.a. AMS AH 1286, AMS AH 8042,2 und AMS AST 35/9. Vgl. auch Baum: Magistrat und Reformation, S. 124, der im Verhalten der Nonnen den Hauptgrund für die Rücknahme der Verordnung sieht. 153 AMS AST 35/9, fol. 4v. 154 Leonard schreibt zwar: „Parents wrote to the magistrates complaining that their daughters spent the days praying and crying and longing for their former lifes.“ Vgl. Leonard: Nails in the wall, S. 86. Direkte Belege hierfür konnten nicht gefunden werden. 155 Vgl. AMS AH 8042,2. Auch Leonard stellt diesen Strategiewechsel des Rates fest und nimmt an, dass der Einfluss der Familien ausschlaggebend war für den Strategiewechsel, vgl. Leonard: Nails in the Wall, S. 84f. 156 Vgl. AMS AST 35/9, fol. 4v f. 148
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5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
Andere religionspolitische Maßnahmen wurden sogar mehrfach revidiert. So wurde im Jahr 1525 die Messe in den Klöstern erst gänzlich untersagt (4. April), dann wiederum eine Messe pro Tag zugelassen (8. April) und schließlich wieder ein völliges Verbot verhängt (6. Mai).157 Nachdem dieser zaghafte Versuch einer Schließung aller Frauenklöster politisch gescheitert war, verlegte sich der Rat auf eine andere Strategie. Wie in zahlreichen anderen Reichsstädten und Territorien auch, unterband er die Rekrutierung von Nachwuchs und überließ so die Gemeinschaften ihrem biologischen Schicksal.158 Dieses Vorgehen wurde im August 1525 von den Klosterherren entwickelt und dem Rat vorgelegt, der darüber allerdings nicht – vielleicht in schmerzhafter Erinnerung an die nicht durchsetzbare Verordnung vom Mai – allein entscheiden wollte und die Angelegenheit an die Schöffen verwies. Diese stimmten dem Ratsbeschluss im September 1525 zu.159 Begleitet wurde das Verbot der Neuaufnahme von Konventsmitgliedern von einer Reihe von Maßnahmen, die sich gegen das religiöse und wirtschaftliche Leben der Klöster richteten. Dazu gehörte das Verbot der cura monialium durch Mönche und andere altgläubige Geistliche, das bereits erwähnte Verbot der Messe, das in den Klöstern schon vier Jahre vor der Abschaffung des alten Kultus in der gesamten Stadt verhängt wurde, und die Einsetzung von Prädikanten.160 Auch wirtschaftlich wurden die Klöster stark belastet. Neben der Besteuerung wogen vor allem die Pensionszahlungen für ausgetretene Mönche und Nonnen schwer auf den Klosterwirtschaften.161 Darüber hinaus förderte der Rat die Austritte von Mönchen und Nonnen, indem er ihnen Pensionen in Aussicht stellte, deren Zahlung
157
Vgl. Vierling: Ringen, S. 42ff. Auch Schelp sieht den Strategiewechsel des Rates im reichsrechtlichen Kontext, vgl. Schelp: Reformationsprozesse, S. 61f. Vgl. ebenso allgemein Ruthmann: Religionsprozesse, S. 523ff. 158 Fuchs bezeichnet diese Strategie des Rates als Einschüchterungspolitik („politique d’intimidation“), Fuchs: Catholiques, S. 150. Dieselbe Strategie verfolgte auch der Nürnberger Stadtrat, vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 253f. Siehe für eine Vergleich mit anderen Reichsstädten und Territorien unten. 159 Vgl. AMS AST 35/11, fol. 6r ff. Vgl. dazu auch Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 92; Vierling: Ringen, S. 39. 160 Hedio und in seiner Nachfolge Bucer predigten in St. Margaretha, bei den Reuerinnen hatte Mathis Pfarrer das Amt des Prädikanten inne, vgl. AMS AST 35/9 (1525); AMS AST 35/11 (1525). Die Vorgänge sind auch dargestellt bei Vierling: Ringen, S. 41ff. und Baum: Magistrat und Reformation, S. 118. 161 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 7.2.
5.2 Klosterschließungen oder -auflösungen
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durch die Klöster garantierte und die gerade in der Frühphase der Reformation so wichtige Straffreiheit in Aussicht stellte.162 Die Umsetzung dieser Strategie betrieb der Rat allerdings mit geringer Konsequenz. Obwohl vor allem die Nonnen und auch die Johanniter das Verbot der Aufnahme von neuen Konventsmitgliedern kontinuierlich unterwanderten, blieb ein harsches Vorgehen die Ausnahme. Das Verbot der Aufnahme von Novizinnen versuchte der Rat in den Frauenklöstern vor allem mit Hilfe von Visitationen zu implementieren.163 Tatsächlich stießen die Visitatoren dabei auch regelmäßig auf Frauen, die nicht im Kloster hätten sein dürfen.164 Konsequenzen zog der Rat aber kaum aus diesen Verstößen gegen das Hauptelement seiner Strategie zur Schließung der Klöster. Geldstrafen, die gegen die Nonnen verhängt wurden, wurden offenbar nicht bezahlt.165 Den Nonnen von St. Nikolaus wurde zwar einmal wegen Fehlverhaltens während der Predigt gedroht, sie „on pension uß dem closter [zu] thun“, umgesetzt wurde diese Drohung aber offenbar nicht.166 Der Rat machte sogar selbst Ausnahmen von seinem Verbot. 1549 gestattet er St. Margaretha die Aufnahme von sechs Frauen aus Hagenau.167 Mit der Klosterordnung von 1555 gab der Rat das grundsätzliche Verbot der Aufnahme neuer Konventsmitglieder schließlich ganz auf. Zwar gestattete er zunächst nur die Aufnahme von Bürgerstöchtern und behielt sich die Erlaubnis über die Aufnahme auswärtiger Frauen vor. Dennoch kann die Klosterordnung als grundsätzlicher Strategiewechsel gedeutet werden.168 Die Klöster sollten nun offenbar in protestantischer Form weiter bestehen. Im Kloster sollte die Predigt gehalten, auf Deutsch gesungen und der Katechismus unterrichtet werden, die Nonnen sollten „weiblicher Ar162
Zahlreiche einzelne Pensionsanfragen und Bewilligungen prägen die Ratsprotokolle. Ähnlich ging auch der Rat von Nürnberg vor, in dem er die Forderung des Dominikanerordens, entlaufene Mönche mit Gewalt zurück zu bringen, abschlug, vgl. Reicke: Geschichte der Reichsstadt, S. 797. Die Straßburger erlaubten die Klosteraustritte ausdrücklich im Mai 1524, vgl. Vierling: Ringen, S. 30. 163 Verschiedene Protokolle solcher „Inquisitionen“ in den Frauenklöstern sind erhalten, vgl. etwa AMS II, 57/11 für die Untersuchung im Kloster St. Margaretha (1545). Im selben Jahr wurde St. Nikolaus visitiert, vgl. AMS II, 41–42a/5 und AMS AST 36/8, S. 3. Vgl. für die Visitation von 1537 in St. Nikolaus und St. Margaretha AMS AST 35/10, fol. 12r f. 164 Vgl. für St. Margaretha AMS AST 35/10, fol. 13v. Vgl. für St. Nikolaus AMS II, 41–42a/5, fol. 1r. 165 Vgl. AMS AST 36/8, S. 3. 166 Vgl. AMS AST 36/8, fol. 11v. 167 Ratsprotokolle (19. Juni 1549), vgl. zu den Hintergründen ausführlich Kapitel 6.2.2. 168 Vgl. AMS II, 57/13. Die Ordnung liegt gedruckt vor in Vierling: Ringen, S. 92ff. Die Klosterordnung von 1585 erlaubte ebenfalls ausdrücklich die Aufnahme von Bürgerinnen, vgl. AMS II, 41–42b/2, S. 17.
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beit“ nachgehen. Die ewigen Gelübde sollten abgeschafft werden, Austritte waren weiterhin erwünscht.169 Der Vergleich mit der Klosterpolitik anderer Reichsstädte und Territorien zeigt, dass die bis hierhin dargestellte Straßburger Klosterpolitik vergleichsweise milde, wenn auch nicht außergewöhnlich war.170 Eine schnelle, planmäßige und flächendeckende Aufhebung von Klöstern durch Landesherren und städtische Magistrate gelang nur in wenigen Fällen.171 Ein Beispiel für eine solche Politik ist die Landgrafschaft Hessen. Hier verordnete Landgraf Philipp bereits 1527 die Einziehung aller Klöster, ein Beschluss, der sehr zügig und konsequent umgesetzt wurde. Noch im selben Jahr fanden umfangreiche Inventarisierungen statt und Philipps Abfindungskommissare traten ihre Rundreise zu den geistlichen Gemeinschaften der Landgrafschaft an. Tatsächlich konnten sie auch von fast allen Gemeinschaften Zessionen erlangen, obwohl offenbar keine „unmittelbare Gewalt“ angewandt wurde.172 Schon im Frühjahr 1528 waren praktisch alle Gemeinschaften aufgelöst und die Klostergüter in die Hand des Landgrafen übergegangen, der diese vergleichsweise freizügig einsetzte.173 Mit derselben Methode konnten unter der Ägide von Luther und Melanchthon zahlreiche kursächsische Klöster aufgehoben werden.174 Relativ erfolgreich lief auch die Aufhebung der Klöster in Württemberg ab. Sie zog sich allerdings über Jahrzehnte hin, eine Tatsache, die in den knappen Darstellungen der Klosterbücher häufig kaum deutlich wird.175 Schnell und reibungslos wie in Hessen funktionierte die Aufhebung der Klöster zumeist nicht. Dies konnte ganz grundsätzlich in den religionspolitischen Vorstellungen der Landesherren begründet sein. So verfolgten vor 169
Vgl. Vierling: Ringen, S. 92ff. Der folgende Überblick kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, da bisher keine übergreifende oder vergleichende Studie zur Klosterpolitik im Reich verfügbar ist. Hier wird also der Eindruck wiedergegeben, der sich bei der Lektüre ausgewählter Einzelstudien ergeben hat. Vgl. für einen knappen Überblick auch Ziegler: Reformation und Klosterauflösung, S. 595ff. 171 Schrader, der den Umgang mit den Klöstern durch unterschiedliche Herrschaften in den Hochstiften Magdeburg und Halberstadt untersucht hat, sieht die gezielte Schließung von Klöstern als spezifisch städtische Politik, während die Ritterschaft eher für die Umwandlung der Klöster in evangelische Gemeinschaften plädiert hätte, vgl. Schrader: Ringen, Untergang und Überleben, S. 86f. Es wäre interessant, diese These an weiteren Beispielen zu überprüfen. 172 Vgl. Franz: Hessische Klöster, S. 153ff., hier 156; Schilling: Klöster und Mönche in der hessischen Reformation, besonders S. 220ff.; Seibrich: Monastisches Leben, S. 486ff. 173 Vgl. Franz: Hessische Klöster, S. 158ff. 174 Vgl. Bünz: Ende der Klöster in Sachsen, S. 80ff. 175 Vgl. Grube: Altwürttembergische Klöster, S. 142; Maier: Orden und Klöster, S. 109ff. Genauer bei Deetjen: Studien zur württembergischen Kirchenordnung, S. 160ff. 170
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allem weniger mächtige Fürsten als die Großen von Hessen und Kursachsen keine Auflösungs-, sondern vielmehr eine Bekehrungspolitik. In „evangelisierter“ Form, unter Abschaffung altgläubiger liturgischer Elemente, sollten die Klöster weiterexistieren. So wie Straßburg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gab man etwa im welfischen Calenberg-Göttingen unter der Herrschaft von Elisabeth von Calenberg-Göttingen (1540–1547) den Klöstern zwar eine evangelische Kirchenordnung, unternahm aber ansonsten keine Maßnahmen zu ihrer Schließung.176 Auch Ottheinrich von Pfalz-Neuburg schränkte zwar das religiöse Leben in den Klöstern ein, untersagte aber nicht die Aufnahme von neuen Konventsmitgliedern und nahm so das Fortbestehen der Klöster hin, denen er eine evangelische Kirchenordnung gab.177 Noch umsichtiger ging sein Verwandter, Pfalzgraf Friedrich II., vor. Erst 1551 kam es zur Einziehung von zwölf Klöstern, die zu diesem Zeitpunkt aber schon praktisch ausgestorben waren. Selbst für diesen Schritt wurde das kuriale Einverständnis eingeholt. Ansonsten erließ Friedrich die aus Neuburg übernommene Kirchenordnung.178 Auch Joachim II. von Brandenburg, der dem neuen Glauben zuneigte, verordnete den Klöstern vor allem eine evangelische Ordnung, wenn er auch gleichzeitig Kirchengüter einzog, wo es möglich war, um seine maroden Finanzen zu verbessern.179 Die in protestantische Einrichtungen umgewandelten Klöster wurden an manchen Orten auch als Schulen genutzt. So setzte etwa der evangelische Administrator Joachim Friedrich (1566–1610) im Hochstift Magdeburg auf die Umwandlung von Klöstern in Schulen und auf die innere Reform der Einrichtungen. Dabei wurden Teile des alten Kultus in den Klöstern erhalten.180 Konsequent verwirklicht wurde die Nutzung der evangelisierten Männerklöster zu Bildungszwecken auch in Braunschweig-Wolfenbüttel unter der Herrschaft des Herzogs Julius (1568–1589).181
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Vgl. Mager: Reformatorische Klosterpolitik, S. 562. Vgl. Westphal: Frau und lutherische Konfessionalisierung, S. 144ff. 178 Vgl. Karst: Pfälzische Klöster, S. 40ff. Nach Friedrichs Tod übernahm Ottheinrich auch die Herrschaft über die Kurpfalz. Energisch ging gegen die Klöster aber erst der calvinistisch gesinnte Friedrich III. vor (1559–1576). Bis dahin hatten sich über 30 Klöster und Stifte im Kurfürstentum halten können, vgl. Zeeden: Kleine Reformationsgeschichte, S. 67ff. 179 Vgl. Ziegler: Klosteraufhebung in der Mark Brandenburg, S. 76. Ziegler betont, dass im brandenburgischen politischen Klima „Widerstand, wenigstens zeitweise, durchaus möglich“ war, ebd. S. 77. 180 Vgl. Schrader: Ringen, Untergang und Überleben, S. 39ff. 181 Mager betont allerdings, dass es sich bei der Herrschaft Herzog Julius’ eher um eine Ausnahme handelt, vgl. Mager: Reformatorische Klosterpolitik, S. 566ff. 177
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Auch häufige Politik- oder Konfessionswechsel verhinderten sowohl in manchen Reichsstädten,182 als auch – zumeist dynastisch bedingt – in einigen Territorien ein energisches, strategisches oder längerfristiges Engagement zur Schließung aller Klöster.183 Des Weiteren scheint die Reform und Abschaffung des Ordenswesens vielerorts Kirchenpolitik zweiter Priorität gewesen sein. Oft nahm man sich zuerst der Reform des Weltklerus an, der schließlich auch als Multiplikator der neuen Lehre dienen sollte, und erst dann widmete man sich den Religiosen.184 Häufiger war aber sicherlich der Fall, dass die Klöster durch politische Zwänge geduldet werden mussten. Ein Beispiel für politisch erzwungene Toleranz bietet Frankfurt. Zwar billigte der Frankfurter Rat den Austritt von Mönchen und sagte ihnen Pensionen zu.185 Durch den starken Einfluss Albrechts von Brandenburg, die enge Anbindung der Stadt an den Kaiser als Ort der Königswahl sowie aus Angst vor dem Verlust des Status als Messestadt wagte es Frankfurt im Gegensatz zu Straßburg, Nürnberg oder Ulm nie, härter gegen die Klöster vorzugehen.186 Die Stadt wandelte lediglich zwei Frauenklöster in Versorgungshäuser für arme Frauen um. Eine geplante Inventarisierung der Klostergüter der Dominikaner und Karmeliter 1537 wurde durch einen Reichskammergerichtsprozess verhindert.187 182
Ein Beispiel für derartige Wechsel ist die später paritätische Reichsstadt Augsburg. Gerade in der ersten Phase der Reformation bis 1534 verfolgte der Rat eine „Politik der Mitte und Milde“, vgl. Gößner: Weltliche Kirchenhoheit, S. 217. Als die Stadt dann die Reformation einführte, erzwang sie den Exodus aller Religiosen und Kleriker, musste aber als bikonfessionelle Reichsstadt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mehrere Klöster restituieren und selbst zwei protestantische Frauenklöster zur Rückkehr zum alten Kultus zwingen, vgl. Hoffmann: Konfessionell motivierte Konflikte, S. 102ff; Gößner: Nonnenklöster, 109ff.; Naimer: Augsburger Klöster, besonders S. 270ff. 183 Beispiele sind die dynastischen Wechsel von Ulrich zu Christoph von Württemberg, von Ottheinrich zu Friedrich III. in der Kurpfalz sowie von Ottheinrich zu Wolfgang (1559–1569) in Pfalz-Neuburg, vgl. Handbuch Baden-Württembergische Geschichte, Bd. 1,2, S. 176ff.; Karst: Pfälzische Klöster, S. 36ff.; Zeeden: Kleine Reformationsgeschichte, S. 56ff.; Westphal: Frau und lutherische Konfessionalisierung, S. 152ff. 184 So auch die Einschätzung von Westphal in Bezug auf Pfalz-Neuburg, vgl. Westphal: Frau und lutherische Konfessionalisierung, S. 140. Unter den Reichsstädten lässt sich dies in Ulm beobachten, vgl. Endriß: Ulmer Reformationsjahr, S. 24ff. 185 Vgl. Jahns: Frankfurt und Schmalkaldischer Bund, S. 117. 186 Vgl. zur Reformationspolitik der Stadt Frankfurt Schnettger: Reformation in Frankfurt, S. 30ff., der den Beitritt der Stadt zum Schmalkaldischen Bund und damit die außenpolitische Absicherung auch als Wendepunkt in der Innenpolitik herausarbeitet. In der Religionspolitik sei Frankfurt mehr mit Augsburg vergleichbar, so auch Jahns: Frankfurt und Schmalkaldischer Bund, 171ff. Auch Jahns nennt Straßburg explizit als Gegenbeispiel zur Frankfurter Politik, vgl. ebd., S. 245f. 187 Vgl. Jahns: Frankfurt im Zeitalter der Reformation, S. 184ff. Ähnlichen Zwängen unterlag Herzog Ulrich von Württemberg. Zwar strebte der Fürst nach seiner Rückkehr in das Herzogtum 1534 grundsätzlich die Aufhebung der Klöster an, doch scheiterte eine
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Dort, wo man die Auflösung der Klöster systematisch betrieb, setzte man wie auch in Straßburg zumeist auf die Strategie, die Gemeinschaften aussterben zu lassen. Diese Politik kam sowohl in Reichsstädten, als auch in Territorien zum Tragen.188 Der Druck auf die Klöster ging in manchen Fällen zunächst von der Bevölkerung aus, so etwa in Nürnberg und Magdeburg.189 Erste Schritte der Landesherren und Magistrate waren dann häufig, ebenso wie in Straßburg, Inventarisierungen,190 die Eingliederung in das Bürgerrecht oder sonstige Besteuerungen, das Verbot der Messe und der cura monialium, die Verordnung evangelischer Prädikanten, das Verbot, neue Konventsmitglieder aufzunehmen, und die Zusammenlegung von schrumpfenden Konventen.191 Manche Obrigkeiten fanden schnelle und effiziente Wege, ihre Konvente aus der Stadt zu drängen. Der Rat von Magdeburg untersagte etwa das Almosensammeln, was 1542 die Franziskaner aus wirtschaftlichen Gründen zum Auszug aus der Stadt zwang.192 Der Ulmer Rat stellte die Domi-
flächendeckende Schließung letztlich am Widerstand der Religiosen. Vor radikalen Maßnahmen wiederum schreckte Ulrich, dessen Ius reformandi im Kaadener Vertrag in der Schwebe gelassen worden war, zurück, vgl. Deetjen: Studien zur Württembergischen Kirchenordnung, S. 196ff. Vgl. zu den territorialpolitischen Implikationen auch Schreiner: Altwürttembergische Klöster und Handbuch Baden-Württembergische Geschichte, Bd. 1.2, S. 176ff. 188 Schleswig-Holstein unter Johann dem Älteren ist ein Beispiel für die durch einen Landesherrn praktizierte Politik, die Klöster aussterben zu lassen. Der Fall des innerhalb einer Generation durch diese Politik stark dezimierten und dann eingezogenen Augustiner-Chorherrenstifts Bordesholm wurde 1566 vor dem Reichskammergericht verhandelt, vgl. Ruthmann: Religionsprozesse, S. 523ff. 189 Vgl. für Nürnberg Vogler: Nürnberg 1524/1525, S. 33ff.; Reicke: Geschichte der Reichsstadt, S. 813; Gößner: Nonnenklöster, S. 108. Vgl. für Magdeburg: Schrader: Ringen, Untergang und Überleben, S. 30. 190 Ziegler betont, dass Inventarisierungen auch von katholischen Landesherren durchgeführt wurden, um in vom Aussterben bedrohten Konventen „eine Vernichtung großer materieller Werte zu verhindern“, vgl. Ziegler: Klosteraufhebung in der Mark Brandenburg, S. 74. 191 Vgl. dazu auch Ziegler: Reformation und Klosterauflösung, S. 595. Der klassische Maßnahmenkatalog findet sich etwa in Nürnberg, vgl. Reicke: Geschichte der Reichsstadt Nürnberg, S. 817ff. Im Erzbistum Magdeburg setzte der protestantische Elekt Sigismund das Programm um (1561/62), vgl. Schrader: Ringen, Untergang und Überleben, S. 33ff. Bis auf das Verbot der Aufnahme von Novizinnen lassen sich diese Maßnahmen auch in Pfalz-Neuburg während der ersten Reformation Ottheinrichs (1546–1552) beobachten, vgl. Westphal: Frau und lutherische Konfessionalisierung, S. 140ff. Vgl. für die Anwendung dieser Maßnahmen in mitteldeutschen Fürstentümern Ziegler: Klosteraufhebung in der Mark Brandenburg, S. 74. Vgl. für Zürich Wehrli-Johns: Zürcher Predigerkonvent, S. 223ff. 192 Das später von evangelischen Elekten regierte Hochstift Magdeburg war zu dieser Zeit noch katholisch, allerdings vermochten es die Bischöfe kaum, ihre Stadtherrschaft
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nikaner, die sich geweigert hatten, beim Examen der gesamten Geistlichkeit im Stadt- und Landgebiet 1531 die Artikel der Prädikanten gutzuheißen, unter Hausarrest, so dass sie, ebenso wie die Ulmer Franziskaner, noch im selben Jahr die Stadt verließen.193 In Zürich vertrieben städtische Knechte Augustiner und Dominikaner aus ihren Klöstern.194 Andere Städte fanden ebenfalls mehr oder weniger direkte Wege der Ausweisung Geistlicher.195 Zur Anwendung physischer Gewalt kam es aber nur selten, häufig waren besondere Umstände der Grund. So sind etwa einige Fälle von Gewaltanwendung gegen Religiose im Zusammenhang mit dem Bauernkrieg und den Kampfhandlungen des Schmalkaldischen Krieges überliefert.196 Vereinzelt halfen Amtmänner bei der Räumung von Klöstern mit Schlägen nach. Die adligen Nonnen des Klosters Dobbertin in Mecklenburg, die sich weigerten, die evangelische Ordnung des Herzogs Christoph anzunehmen, wurden 1562 „geslot, getrecket, gesleget“, um sie zum Verlassen des Klosters zu bewegen. Der Amtmann bemerkte selbst: „[...] iss dit ein selsam Spectakel geworden.“197 Zumeist aber versuchte man wie in Straßburg, die
über die Landstadt Magdeburg in Religionssachen zu praktizieren, vgl. für die Gründe Schrader: Ringen, Untergang und Überleben, S. 30. 193 Vgl. für einen Überblick über die Ulmer Reformationsgeschichte Trostel: Kirchengut, S. 99f.; Endriß: Ulmer Reformationsjahr, 29ff.; Specker/Weig: Einführung Reformation in Ulm, S. 188f. Zu den Ulmer Klöstern existiert noch keine umfangreichere Studie, wobei die in der Literatur nur beiläufig erwähnte Umwandlung der mit den Geschlechtern der Stadt besetzten Franziskaner-Tertiarinnensammlung in ein evangelisches Damenstift interessant sein könnte. 194 Vgl. Wehrli-Johns: Zürcher Predigerkonvent, S. 227. 195 Ausweisungen gab es etwa in Frankfurt, Augsburg und Göttingen, vgl. Jahns: Frankfurt und Schmalkaldischer Bund, S. 119; Schlotheuber: Franziskaner in Göttingen, S. 50. Im ansonsten weniger radikalen Nördlingen wurde die Tertiarin Anna Schmidin der Stadt verwiesen, weil sie am Totenbett eine Kerze abgebrannt hatte und in Streit mit einem Prädikaten geraten war, vgl. Rublack: Nördlingen, S. 197. Auch Nürnberg wies einzelne Ordensgeistliche, die sich zu offen zur alten Lehre bekannten, aus der Stadt, wie etwa den Karmeliterprior Andreas Stoß, vgl. Reicke: Geschichte der Reichsstadt Nürnberg, S. 187. 196 Vgl. zur Bedeutung des Bauernkriegs für Klosterauflösungen Ziegler: Reformation und Klosterauflösung, S. 595. Einer der blutigsten Vorfälle ereignete sich im vor den Toren von Halberstadt gelegenen Augustiner-Chorherrenstift Hamersleben. Die Bürger Magdeburgs warfen den Mönchen vor, die Angreifer unterstützt zu haben und töteten bei einem Überfall auf das Kloster 15 Mönche, vgl. Schrader: Ringen, Untergang und Überleben, S. 31. Ebenfalls während des Bauernkrieges kam es in Pfalz-Neuburg zu einer versuchten gewalttätigen Auflösung des Klosters Obermedlingen, vgl. dazu das Selbstzeugnis einer Nonne: Aufzeichnungen einer Nonne, S. 114f. Vgl. zur Politik Ottheinrichs Westphal: Frau und lutherische Konfessionalisierung, S. 128ff. 197 Zu Kleinow: Bericht über die Einführung der evangelischen Klosterordnung, S. 307.
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Befolgung der Verordnungen mit Hilfe von Visitationen und Drohungen sicherzustellen. Maßnahmen wie Hausarrest und Ausweisung gehörten bereits zu den radikaleren Implementierungsbestrebungen. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich Straßburg selbst zu diesen vergleichsweise milden Methoden zunächst nicht entschließen konnte. Erfolge anderer Städte wie Nürnberg, in denen der Rekrutierungsstopp noch im 16. Jahrhundert tatsächlich zum Ende aller Frauengemeinschaften führte, konnte Straßburg dementsprechend nicht erzielen.198 Kann Straßburg deshalb als „tolerant“ bezeichnet werden? Gab die Stadt ihren Bürgern einen gewissen Freiraum, unterschiedliche Glaubensvorstellungen zu leben? Den Ruf religiöser Toleranz hat Straßburg bisher vor allem wegen des vergleichsweise milden Vorgehens gegen die Sektierer genossen.199 Zwar verhängte der Rat immer wieder Gefängnisstrafen und verwies Einzelne und Gruppen der Stadt, lehnte aber Hinrichtungen von Sektierern ab.200 Während der Kirchenkonvent die Einheit der Kirche und damit die Beseitigung der Sektierer anstrebte, war der Rat bereit, sie zu tolerieren, solange sie sich unauffällig verhielten und nicht den Stadtfrieden gefährdeten.201 Für diese relativ nachsichtige Haltung des Rates in Religionsfragen sind verschiedene Gründe genannt worden. Während Dollinger betont, der Rat habe seine Unabhängigkeit gegenüber den Prädikanten wahren wollen, hebt Abray die Bedeutung des paternalistischen Selbstverständnisses der Ratsherren sowie die grundsätzliche Achtung vor dem Gewissensentscheid hervor, die der protestantischen Lehre inne wohne.202 Insgesamt ist der Verwendung des Begriffs der „Toleranz“ in der Frühen Neuzeit jedoch problematisch. Der moderne Toleranzbegriff entstand erst im 19. Jahrhundert, während das 16. Jahrhundert lediglich eine Form der pragmatischen Toleranz kannte: „Le but ultime d’une semblable tolérance n’était pas le maintien du pluralisme, mais le rétablissement du con-
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Die letzte Engelthaler Nonne starb 1580. Pillenreuth, vor den Toren der Stadt gelegen, wurde von Markgraf Albrecht Alkibiades niedergebrannt. Die letzte Äbtissin von St. Klara starb 1590, das Katharinenkloster starb 1596 aus, vgl. Reicke: Geschichte der Reichsstadt Nürnberger, S. 818ff. 199 Zur Toleranz in Straßburg vgl. Abray: Limits, S. 94. 200 Vgl. Lienhard: Religiöse Toleranz: S. 33ff. Nur zwei Hinrichtungen sind aus Straßburg überliefert, eine wegen Bigamie, vgl. Dollinger: La tolérance, S. 246. Vgl. für einen reichsweiten Vergleich Brady: Limits of Religious Violence, S. 137. 201 Vgl. Derksen: Religious Nonconformists, zusammenfassend S. 259ff. 202 Vgl. Dollinger: La tolérance, S. 248, der vorschlägt, statt von Toleranz eher von „Milde“ und „Duldung“ zu sprechen, vgl. Abray: Limits, S. 97ff.
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5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
sensus, de l’unité et le triomphe de la vérité.“203 Das Bedeutungsspektrum des Wortes „tolerieren“ erstreckte sich über „gewähren, sich gefallen oder über sich ergehen lassen.“204 Sowohl Repgen als auch Heckel und Wolgast haben gegen die Verwendung des Begriffs zur Bezeichnung frühneuzeitlicher politischer Praxis daher Bedenken angemeldet. „Der Staat“, so Heckel, war ein christlicher Staat, „der es für unerläßlich hielt, sich auf eine einzige Religion zu stützen. Toleranz im allgemeinen Sinn wurde nur von Außenseitern als Forderung vertreten.“205 Wolgast betont, es könne sich bei Toleranz im 16. Jahrhundert nur um „widerwillig hingenommene, aus politischen Gründen ertragene Toleranz“ gehandelt haben.206 Zudem wäre es zu kurz gegriffen, die Abwesenheit von physischer Gewalt als Abwesenheit von konfessioneller Gewalt zu deuten. So konnten Greyerz und Siebenhüner herausarbeiten, dass im Reich der „seit der Glaubensspaltung herrschende Kampf um Wahrheit und Seelen [...] über weite Strecken medial, kulturell und strukturell geführt“ wurde.207 Auch Abray betont mit Bezug auf die Straßburger Politik, das „Toleranz“ nicht die „policy of choice“ war, „but always one undertaken to stave off a larger disaster“.208 Die Ursachen für die relative Milde im Umgang mit den Straßburger Klöstern ergaben sich also sicherlich nicht aus einer aufgeklärten politischen Haltung, sondern vielmehr aus akuten politischen Zwängen. War also das ursprüngliche Ziel des Rates, die Klöster zu schließen allein am Widerstand der Nonnen und an der Furcht vor der Reichsacht gescheitert? Das Vorgehen des Magistrats gegen die Kartause und das Kloster St. Nikolaus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sprechen gegen diese An203
Bérenger: Tolérance ou paix de religion, S. 5. Vgl. zur Toleranz in der Frühen Neuzeit auch Kaplan: Divided by Faith und Klaus Schreiner in den Geschichtlichen Grundbegriffen, besonders S. 472ff. 204 Schreiner: Toleranz, S. 450. 205 Heckel: Konfessionalisierung in Koexistenznöten, S. 661, Hervorhebung Heckels. Vgl. auch Repgen: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Vgl. zur Problematik des Begriffs auch Kamen: Intoleranz und Toleranz. Lutz sammelt verschiedene ältere Schriften zu diesem Thema in: Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit. 206 Wolgast: Religionsfrieden als politisches Problem, S. 95. 207 Vgl. Greyerz/Siebenhüner: Einleitung, S. 14ff., hier S. 14. Gerade wegen dieser Überlegungen ist es sicher sinnvoll, für die Frühe Neuzeit von einem Gewaltbegriff auszugehen, der psychische oder auch symbolische Formen der Gewalt mit einbezieht. Vgl. zur Problematik des Gewaltbegriffs zwischen violentia und potestas in der Frühen Neuzeit die verschiedenen Beiträge in Ulbrich/ Jarzebowski/Hohkamp: Gewalt in der Frühen Neuzeit und auch den Forschungsüberblick von Schmidt-Funke in sehepunkte 8/2008. Die Aussage von Greyerz und Siebenhüner bezieht sich explizit nur auf das Reich. Vgl. zu den äußerst gewaltsamen konfessionellen Auseinandersetzungen in Frankreich u.a.: Crouzet: Les guerriers de Dieu. 208 Abray: Limits, S. 96.
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nahme. Nachdem der Rat schon einmal 1540 erste Schritte in Richtung einer Aufhebung der Kartause unternommen hatte und an der drohenden Reichsacht gescheitert war, ließ er 1591 die Mönche endgültig aus ihrem Kloster in ihren Stadthof eskortieren, wo sie sich auf unbestimmte Zeit aufhalten mussten.209 Die Klosteranlage ließ das Regiment indessen schleifen.210 Auch in St. Nikolaus griff der Rat ein Jahr später hart durch.211 Der Vorgang ist im Bericht einer Nonne aus St. Nikolaus gut dokumentiert.212 Das Regiment ließ zunächst die Schlösser im Kloster austauschen, so dass die Nonnen nicht hinaus und niemand zu ihnen hinein konnte. Am 11. März 1592 kam erneut eine Delegation des Rates in Begleitung von vier „foltueren“ und des Blutschreibers, also der Knechte und des Schreibers der peinlichen Gerichtsbarkeit, und verhörte die Nonnen einzeln.213 Schließlich wurde der Teil der Nonnen, die sich weigerten, das Kloster zu verlassen, nach St. Margaretha gebracht, die übrigen gingen zurück in ihre Familien.214 Bei der Verhaftung der Priorin spielte sich eine gewaltsame Szene ab, die im Bericht einer Nonne wiedergegeben wird. Die Priorin „hat sich in der kirch vor St. Angnesen altar mit beitten armen an ein steinern seul, so bei dem altar gewesen, geschlagen, sich vermeint, so zu erretten, die weillen es in der freiheit und in der kirgen gewessen. Hat aber alles nit geholfen, sundern die herren seind mit großem grimmen und gran, wie tirannen und nit wie menschen, in die kirch getretten, des morgens um 7 uhren [...] und haben unser würdige mutter priorin Susanna Primin mit gewalt von der seullen gerissen und sie zu der kirchen hinaus getragen und auf den wagen gesetzt und in den turm gefencklich in gelegt.“215
Dieses heftige und konsequente Vorgehen gegen die beiden Klöster zeigt, dass der Rat durchaus über die Mittel verfügte, die Klöster aufzuheben, 209
Vgl. AMS II, 29a/2, besonders Nr. 1 und 3. Die wiederholten Suppliken der Kartäuser, die um Erlaubnis bitten, die Stadt verlassen zu dürfen, verweigert der Rat, vgl. Ratsprotokolle (9. März 1592), (29. März 1592). 210 Vgl. für eine ausführliche Diskussion der komplexen Situation der Schließung der Kartause Kapitel 8.2.4. Eine ausführliche Darstellung findet sich auch bei Clausing: Streit um die Kartause und bei Passmann: Kartause VI. Die Hauptquellen finden sich in ADBR G 1686, AMS II, 28/24, AMS II, 29a/2, AMS II, 29a/7 und AMS II, 34/14. 211 Vgl. für den Ratsbeschluss Ratsprotokolle (8. April 1592). Mehrere Abschriften des Dekretes sind erhalten, u.a. in ADBR H 3061/8, AMS II, 39/1 und AMS II, 41–42b/2, Nr. 22. 212 Der tagebuchartige Bericht einer Nonne, der eventuell zur Vorbereitung der Beschwerde des Provinzials vor dem Reichskammergericht dienen sollte, findet sich in ADBR H 3061. Auf dieser sehr zeitnah entstandenen Quelle beruht der ausführliche Bericht in der Chronik von St. Margaretha über das selbe Ereignis, vgl. BMS Ms 901, S. 228ff. 213 Vgl. ADBR H 3061, hier fol. 3r. 214 Vgl. ADBR H 3061, fol. 12v ff. 215 ADBR H 3061, fol. 20r f.
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und in bestimmten Situationen auch bereit war, die Reichsacht in Kauf zu nehmen. Es könnte also vermutet werden, dass dem Rat über weite Strecken des 16. Jahrhunderts nicht die Mittel, sondern der Wille fehlte, strenger gegen die Gemeinschaften vorzugehen. Im folgenden Kapitel soll daher untersucht werden, welche Interessen der Rat am Fortbestand der Klöster hatte.216 5.2.2 Ursachen der Straßburger Politik der Duldung Dass reformatorische Obrigkeiten wirtschaftliche Interessen am Erhalt von Klöstern hatten, ist eine vergleichsweise neue Erkenntnis. Etablierter und nahe liegender ist zunächst die schon von den Zeitgenossen geäußerte Vermutung, gerade der Reichtum der Kirche sei es gewesen, der Magistrate und Fürsten überhaupt zur Unterstützung der Reformation gedrängt habe, um eben jene Güter und Vermögen zu säkularisieren.217 So sah etwa Vierling 1914 eine der wichtigsten Ursachen der Religionspolitik des Straßburger Rates in dessen „pekuniären“ Interessen an den Klöstern. Die Reformation sei „eine willkommene Gelegenheit“ gewesen.218 Tatsächlich wird auch in der neueren Forschung noch ein enger, wenn auch nicht linearer Zusammenhang zwischen Kirchengut und Reformation gesehen. Schindling spricht den Kirchengütern eine entscheidende Rolle in der reichsstädtischen Reformation zu. Der Reichtum der Kirche habe einerseits als Auslöser für die Reformation gewirkt und sei ein Anlass für den „Pfaffenhass“ der Laien in den Städten gewesen. Aber auch für den Erfolg der Reformation sei die Verwendung der Kirchengüter entscheidend gewesen, etwa wenn sie für den Aufbau der evangelischen Kirche genutzt wurden.219 216
Der Zeitpunkt war relativ günstig. Im Mai 1592 starb überraschend der energische Bischof Manderscheid und damit ein potenzieller Kläger. Außerdem zeichnete sich bereits ab, dass die Neuwahl wegen der konfessionellen Gegensätze im Kapitel schwierig werden würde, vgl. zu Manderscheids Tod Hahn: Johann Manderscheid, S. 120f. Doch die Weichenstellungen für die Schließung von St. Nikolaus waren zu diesem Zeitpunkt schon vollzogen, der Ratsbeschluss datiert auf April 1592. 217 Der Vorwurf, die neugläubigen Fürsten und Magistrate seien „Kirchenräuber“ war gängig, vgl. Schnabel-Schüle: Kirchenvermögen, S. 147. Vgl. zur Problematik des Begriffs der Säkularisierung Heckel: Säkularisation, S. 35f. Heckel betont, dass die Güter häufig gar nicht für weltliche Zwecke, sondern für die Zwecke einer anderen Konfession gebraucht wurden. Vgl. zum Begriff auch Klueting: Enteignung oder Umwidmung, S. 58ff. 218 Vierling: Ringen, S. 16. 1896 urteilte Reicke ähnlich über die Politik des Nürnberger Stadtrates, vgl. Reicke: Geschichte der Reichsstadt Nürnberg, S. 814. Vgl. für die Beurteilung des Kirchengutes in der älteren Forschung die zentrale Schrift von Ritter: Ursprung des Restitutionsediktes. 219 Vgl. Schindling: Reformation in den Reichsstädten, S. 68ff.
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Aus letzterem Grund befürworteten auch die meisten Reformatoren die Umwidmung von Kirchengut, um sie zur Besoldung der Pfarrer, zur Aufbesserung des Vermögens der Kirchenfabriken, zur Versorgung der Armen und zu anderen wohltätigen Zwecken zu verwenden. Luther und Bucer sahen kein Problem darin, wenn säkulare Mächte die Güter zu diesen Zwecken verwalteten.220 Doch auch für profanere Zwecke wurde das Kirchengut verwendet. Einige Territorien nutzten die Kirchengüter, um ihren Staatshaushalt zu sanieren, so etwa das Kurfürstentum Sachsen. Andere stockten mit den eingezogenen Vermögen ihre maroden Verteidigungshaushalte auf.221 Diese Diskrepanz zwischen den Vorstellungen der evangelischen Theologen und der Praxis einiger Fürsten führte auch zu Debatten innerhalb des protestantischen Lagers.222 Der Schmalkaldische Bund setzte nach längeren Verhandlungen drei Bereiche der legitimen Verwendung fest: Die Besoldung von Pfarrern, der Unterhalt von Schulen und die soziale Fürsorge.223 In den meisten Fällen wurden die Kirchengüter auch tatsächlich im Sinne dieser Vorgaben verwendet. Ganz unabhängig von der Verwendungsart hätte die Restitution der Klostergüter in jedem Fall in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Territorien in wirtschaftliche Bedrängnis gebracht und wurde dementsprechend heftig während der Interimsverhandlungen diskutiert.224 Auch die Straßburger hatten kein Interesse daran, die von ihnen eingezogenen Kirchengüter zurück zu geben. Jakob Sturm gab in den Interimsverhandlungen zu Protokoll: „obschon seinen herrn die restitution der guter 220
Vgl. für eine Überblick Kratsch: Justiz – Religion – Politik, S. 19ff. Vgl. ausführlicher zu Martin Bucers Ansichten Stupperich: Bucer und die Kirchengüter, S. 161ff. Vgl. beispielhaft die Lutherschrift Ordnung eines gemeinen kastens, WA 12, S. 11ff. Vgl. auch Bucer: Erleütherung, BDS 2, S. 400ff. 221 Vgl. Mager: Reformatorische Klosterpolitik, S. 560f.; Schnabel-Schüle: Kirchenvermögen, S. 150. Besonders während des Schmalkaldischen Krieges spielten die Kirchengüter eine strategische Rolle. Die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes befürchteten, die Geistlichkeit könne sich offen auf die Seite des Kaisers schlagen und ihn finanziell unterstützen. Philipp von Hessen forderte deshalb offen die Einziehung aller Kirchengüter, vgl. Politische Correspondenz, IV, 1, S. 377f. 222 Diese Frage spiegelt sich auch in der politischen Korrespondenz der Stadt Straßburg, vgl. Politische Correspondenz, II, S. 530f. Vgl. zur Argumentation der Zeitgenossen auch Klueting: Enteignung oder Umwidmung, S. 79f. 223 Vgl. Schnabel-Schüle: Kirchenvermögen, S. 150. 224 Vgl. Kratsch: Justiz – Religion – Politik, S. 3. Endgültig geregelt wurde die Frage der mittelbaren Kirchengüter schließlich in § 19 des Augsburger Religionsfriedens. Darin wurde festgelegt, dass diejenigen mittelbaren Kirchengüter „dero possession die geistlichen zu zeit des Passawischen vertrags oder seithero nit gehabt“ auch nicht mehr zurückgefordert werden sollten. Zur Problematik der Formulierung und den daraus entstehenden Konflikten vgl. Ruthmann: Religionsprozesse, S. 484f. Vgl. zu den Auslegungsmöglichkeiten des § 19 auch Kratsch: Justiz – Religion – Politik, 39ff.
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nit hochbeschwerlich, so were es doch ander halben ein unmöglichs und dient nit zu friden.“225 Tatsächlich waren zum Zeitpunkt der Interimsverhandlungen die Güter der aufgelösten Klöster fest in verschiedenen Stiftungen des Straßburger Haushaltes integriert und dienten sozialen und karitativen Zwecken.226 1523 hatte das Regiment das städtische Almosen eingerichtet, eine Stiftung, die die zentrale Verteilung der von den kirchlichen Einrichtungen angenommenen Almosen übernehmen sollte. In diese Stiftung wurde ein Teil der Güter von St. Marx überführt.227 Die Güter von St. Klara auf dem Wert gingen an das Weisenhaus, St. Katharina ging im Vermögen des Blatternhauses auf, die Besitzungen von St. Klara am Rossmarkt kamen dem Spital zugute.228 Das Gut der Franziskaner wurde zur Einrichtung eines Schulfonds verwendet, das Vermögen des Dominikanerklosters teilten sich Spital, Almosen, Elende Herberge, Waisenhaus und Blatternhaus, während die Konventsgebäude seit 1535 als Unterkunft für Schüler genutzt und 1538 in ein Gymnasium umgewandelt wurden. Die Kirche der Dominikaner wurde eine der wichtigsten protestantischen Kirchen der Stadt, besonders während des Interims, als im Münster wieder katholisch gepredigt wurde.229 Die Güter der Augustiner wurden der Elenden Herberge zugeschlagen.230 Martin Bucer und die Prädikanten der Stadt forderten darüber hinaus in einer Supplik von 1524, auch die noch bestehende Kartause und die Non225
Protokoll Jakob Sturms über die Verhandlungen des Interimsausschusses auf dem Augsburger Reichstag, 10., 11. und 20. Februar 1548, Politische Correspondenz, IV, 2, S. 863. Schon in den Vorverhandlungen hatten die Straßburger betont: „[...] wiewol wir dasselbig lichtlicher dan etlich fursten ze thun“, sei es ihnen dennoch „beschwerlich“, vgl. Politische Correspondenz, IV, 1, S. 556, Aufzeichnungen Konrad Johams über eine Beratung der Verordneten, 1547, wahrscheinlich 4. Januar. 226 Vgl. Winckelmann: Fürsorgewesen, 1. Teil, S. 109ff. Vgl. zu den Beratungen über die Verwendung der Klostergüter in Straßburg das im Auftrag des Rates erstellte Gutachten von Martin Bucer: Erleütherung, BDS 2, S. 400ff. sowie das Gutachten der Klosterherren AMS AST 36/7; AMS AST 100/17 und AMS AST 135/3. Das Gutachten in AMS AST 36/7 wird vom Rat als Beschluss übernommen am 19. Oktober 1529. 227 Das Klostergut von St. Marx ging vollständig, das der Dominikaner teilweise in dieser Stiftung auf, vgl. AMS AST 36/7. Vgl. zu den Aufgaben des Almosens auch die 1523 erlassene Almosenordnung in Brucker: Zunft- und Polizei-Verordnungen, S. 3ff. Vgl. für eine Auflistung der von den Klöstern bisher empfangenen und nun dem Almosen überschriebenen Stiftungen Winckelmann: Fürsorgewesen, 2. Teil, S. 93. 228 Vgl. AMS AST 36/7. 229 Vgl. für die Franziskaner AMS AST 100/17. Vgl. für die Dominikanergüter die Festlegung in deren Abtretungsurkunde AMS AH 194. Vgl. für die Geschichte der Gebäude des Dominikanerklosters Schmidt: Notice, S. 219. Vgl. zur Bedeutung des Gymnasiums für den Protestantismus in Straßburg Schindling: Humanistische Hochschule. 230 Vgl. für die Augustiner die Abschrift der Verzichtserklärung in AMS II, 5/8, fol. 22r.
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nenklöster zu schließen „alss die sonderlich reich und mächtig und doch der gemeyn nit vil nutz bringen.“ Die Güter dieser Klöster sollten ebenfalls für schulische Zwecke genutzt werden.231 Diesem Wunsch der Prädikanten kam der Rat allerdings nicht nach. Die Straßburger fürchteten offenbar, eines der wichtigsten Argumente in der Debatte um die rechtlich prekäre Verwendung des Klostergutes aufgeben zu müssen, nämlich, dass man schließlich keines der Klöster aktiv säkularisiert habe, sondern nur die Güter der sich selbst auflösenden Klöster anderweitig verwende.232 Diese Verwendung ließ sich mit Hilfe der Argumentation Luthers und anderer Reformatoren verteidigen. Die Kirchengüter, so ein Argument, seien „furt und furt zu grossem nachteil der kirchen von den bepstischen pfaffen wider ir eigen geschriben recht verschwendet“ worden.233 Der Rat aber führe sie zurück „ad veros usus secundum canones“,234 dazu habe man als städtisches Regiment und somit als Vertretung der Bürger, die die Güter gestiftet hätten, eine besondere Pflicht.235 Gegen Positionen, wie die Philipps von Hessen, der eine freie Verwendung der Klostergüter besonders zu militärischen Zwecken gefordert hatte, wandten die Straßburger sich auch innerhalb des Schmalkaldischen Bundes ausdrücklich. So antwortet Jakob Sturm auf die Forderung des Landgrafen: „[...] so acht ich auch nit, das der von stetten meinong sei, die kirchengüter also under ir administration zu bringen, dorinnen noch irem zeitlichen nutz zu handlen, sonder allein, das si der kirchen und zu derselben nutz wider brocht möchten werden; und dannocht dasselb auch nit durch kriegerisch emporung, do man, wie e.f.g. schreiben, wol meer verlieren mocht, dan der kirchen gewinnen.“236
Insgesamt lässt sich also feststellen, dass die Straßburger zwar die Güter aufgelöster Klöster für karitative und schulische Zwecke verwendeten, gezielten Säkularisierungen aber ablehnend gegenüber standen. Eine kausale 231
Vgl. Erleütherung, BDS 2, S. 402f, hier 403. So die Instruktion der Dreizehner an die mit den Interimsverhandlungen beauftragten Gesandten Jakob Sturm, Marx Hag und Hans von Odratzheim, vgl. Politische Correspondenz, IV, 2, S. 810 (30. November 1547). 233 Politische Correspondenz, II, S. 522. 234 Politische Correspondenz, IV, 2, S. 867. Der ständische Interimsausschuss scheiterte nicht zuletzt an der Uneinigkeit über die Frage der Kirchengüter, Straßburg vertrat dabei eine der radikalsten Positionen. Nach nur drei Sitzungen waren die Fronten so verfahren, dass Karl V. sich entschloss, die Kommission nicht mehr einzuberufen und statt dessen eine geheime Kommission aus Rechtsgelehrten und Theologen einzusetzen, vgl. Rabe: Augsburger Interim, S. 48ff. 235 Vgl. unter anderem die Reaktion des Rates auf die Restitutionsforderung des Bischofs betreffend St. Arbogast 1551, Politische Correspondenz, V, S. 226. Vgl. auch die Argumentation des Rates zur Rechtfertigung der Beschlagnahmung der Urkunden der Johanniter, AMS AST 35/5 (13. Februar 1527). 236 Politische Correspondenz, II, S. 616 (7. Juli 1539). 232
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Beziehung zwischen einem finanziellen Interesse an den Klostergütern und der bis zur Jahrhundertmitte praktizierten Politik des Rates lässt sich daher nur bedingt herstellen. Bei genauerer Betrachtung lassen sich vielmehr verschiedene wirtschaftliche Interessen des Rates finden, die für eine tolerante Politik gegenüber den Klöstern sprachen. So waren die Klöster etwa Auftraggeber für das lokale Handwerk. 1525 heißt es in den Ratsprotokollen: „wie allso die Closter alle uf einmol solten abgestellt werden, das do die tagliche nutzung und narung, so bizher manchem handtwercksmann zuerhaltung syns wybs und kynder furstendig gewesen, entzogen unnd er der selbigen bereubt muest syn.“237
Die Maler und Bildhauer hatten an den Rat „um Brot“ suppliziert, die Veränderungen an den Klöstern und im Kirchenwesen würden sie um ihr Einkommen bringen.238 Diese – wenn auch singuläre – Überlegung des Rates wirft ein neues Licht auf einen häufig in der Reformationsforschung postulierten Zusammenhang zwischen städtischem Antiklerikalismus und dem Erfolg der Reformation. So wurde bisher angenommen, dass die städtischen Handwerker die Konkurrenz der klösterlichen Wirtschaft fürchteten und die Steuerfreiheit der Klostergewerbe missgünstig betrachteten, was in diesen städtischen Gruppen zu einem breiten Antiklerikalismus und damit einer große Offenheit gegenüber der neuen Lehre geführt habe.239 Ohnehin betrieb aber keines der Straßburger Klöster intensiv ein Gewerbe. Die Gemeinschaften finanzierten sich vielmehr aus Zinsen und Gülten. Neben ihrer Funktion als Brotgeber fungierten die Klöster vor allem als Finanzdienstleister, gerade auch für das städtische Regiment. Zwar sind zur öffentlichen Verschuldung des Straßburger Haushaltes keine seriellen Quellen erhalten, eine von Brady ausgewertete Aufstellung aus dem Haushaltsjahr 1533–1534 zeigt aber, dass allein die Klöster 17,1 Prozent der gesamten städtischen Darlehen zur Verfügung gestellt hatten, weitere 12,8 Prozent stammten von Stiftskirchen.240 Da die Klöster nach den Reformen des 16. Jahrhunderts durch die Pflegereien in quasi städtischer Hand waren, wurden sie immer wieder um zinslose Darlehen angesucht. Als die öffentlichen Finanzen sich nach dem 237
Vgl. AMS AST 35/11, fol. 7r (1. September 1525). Vgl. Brant: Annales, S. 113. 239 Vgl. Goertz: Pfaffenhass und groß Geschrei, S. 58. 240 Vgl. auch Brady: Ruling Class, S. 160ff. und S. 227. Die Gesamtsumme der von den Klöstern zur Verfügung gestellten Gelder belief sich auf etwa 41.400 Gulden, die Gesamtverschuldung der Stadt auf 242.400 Gulden, vgl. ebd., S. 161, Tabelle 12. Diesen Aspekt betont auch Moeller: Deutschland im Zeitalter der Reformation, S. 41. Er verweist auf das Beispiel Kiel, wo zwischen 1488 und 1530 fast die Hälfte des Kapitalbedarfs der Bürger von kirchlichen Einrichtungen aufgebracht wurde. 238
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Schmalkaldischen Krieg in desolatem Zustand befanden, legte Jakob Sturm dem Rat verschiedene Vorschläge zur Verbesserung der Haushaltslage vor, unter anderem die Verringerung der Zinssätze von Darlehen von fünf auf vier Prozent. Der Rat solle auf die Geldgeber Druck ausüben, indem er einen Teil der Darlehen mit höherem Zinssatz ablöse. Außerdem solle man in den Klöstern, Stiften und Pflegereien, in denen „ein nambhaft bargelt vorhanden“ um zinslose Darlehen ansuchen. Die Johanniter liehen dem Rat daraufhin 1548 zinsfrei 4.000 Gulden, die der Rat von 1550 an mit jährlich 1.000 Gulden zurück zahlen sollte.241 Eine Liste von 1549 belegt, dass neben den Johannitern zahlreiche weitere Klöster dem Rat zinslose Darlehen gewährten. Insgesamt 14.361 Pfund hatte der Rat nach dieser Liste erhalten. Davon hatte allein die Kartause 3.150 Pfund, die Johanniter 2.100 Pfund und St. Magdalena 630 Pfund beigesteuert. Das übrige Kapital stammte aus den Stiften, aus der Domfabrik und aus verschiedenen städtischen Pflegschaften wie etwa aus dem Topf der Schulherren. Nach einer späteren Aufstellung wuchs der Betrag bis 1552 sogar auf 22.527 Pfund, wobei nun die Klöster mit insgesamt 2.982 Pfund beteiligt waren.242 Um die Klöster als Finanzdienstleister zu bewahren, musste der Rat sie aber – zumindest dem Augenschein nach – als unabhängige Institutionen erhalten.243 Jakob Sturm wies darauf hin, dass die Johanniterkommende im Fall des Aussterbens der Gemeinschaft in die Verwaltung des Ordens übergehen würde, der sicherlich weitaus weniger freigiebig unverzinst Geld verleihen werde.244 Außerdem befürchtete der Rat, dass beim Übergehen der Klöster in die städtische Hand Schuldner der Klöster ihre Zinszahlungen einstellen könnten.245 Dafür finden sich zahlreiche Beispiele in den 241
Der Rat verwendete offenbar das Darlehen, um 11.000 Gulden Auslösung für das Dorf Ensisheim zusammenzubringen, das König Ferdinand arrestiert hatte, vgl. Politische Correspondenz, IV, 2, S. 903, auch Anm. 1. Vgl. für das Gutachten Jakob Sturms ADBR H 1408. 242 Vgl. für beide Listen AMS II, 10/14. Bei den Johannitern scheinen Komtur und Kustos darüber hinaus auch aus ihren Privatvermögen entliehen zu haben, da beide explizit mit eigenen Beträgen aufgeführt sind – 1.500 respektive 1.000 Pfund. 243 Ähnliche Überlegungen stellte offenbar der Rat von Nördlingen an. Er erhielt das Karmeliterkloster trotz eines Übergabeangebot der Mönche, „um die Einkünfte zu sichern“, vgl. Rublack: Nördlingen, S. 181ff. Auch der Baseler Rat schließt mit den Johannitern ein Abkommen, in dem diese sich zur Zahlung von regelmäßigen Abgaben verpflichteten. Die Johanniter hatten dem Rat klar gemacht, dass er das Kloster nicht selbst verwalten könnte, indem sich der Schaffner mit sämtlichen Zinsbüchern aus der Stadt abgesetzt hatte, vgl. Maier: Strategies of Survival, S. 358. 244 Vgl. ADBR H 1408. 245 Vgl. dazu auch Vierling: Ringen, S. 67. Ob die Befürchtungen des Rates gerechtfertigt waren, lässt sich nur schwer sagen. Zwar lässt sich etwa anhand der Rechnungen der Franziskaner nachvollziehen, dass der Korpus der Pfennigzinsen in den Jahren nach der Schließung (1525) bis 1530 um etwa ein Viertel schrumpfte, dies könnte aber auch an
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Quellen. Als der Rat 1540 nach dem Tod des Priors Schongau überlegte, was weiterhin mit dem Kloster geschehen solle, merkte einer der namenlosen Gutachter an, man solle die Klostergüter übernehmen, auch wenn dann die Möglichkeit bestehe, das „furstenheren kein zins geben sollten“.246 Ein anderer Gutachter kritisierte den wankelmütigen Rat, der „zins gulten fur das ware wortt gottes ansehen wollt.“247 Besorgt war man vor allem um die Zins- und Gülteinnahmen aus der Hand katholischer Fürsten und Herren oder aus Gefällen in deren Herrschaftsgebieten. Dass diese Sorge nicht unberechtigt war, zeigte sich 1592, nach der Schließung der Kartause. Als Reaktion darauf wies der Graf von Hanau die Zinspflichtigen der Kartäuser in seinem Herrschaftsgebiet an, die Gefälle nicht mehr zu zahlen.248 Der Rat ließ daraufhin eine Übersicht erstellen, die die Gefälle aus Rechten der Kartause außerhalb der Stadt verzeichnet und die Konfession des jeweiligen Landesherren vermerkt, nämlich ob diese „unserer religion“ oder „katholisch“ waren.249 Auch 1530, als das Dominikanerkloster in die städtische Hand überging, prüfte der Rat die Herkunft der Zins- und Gülteinnahmen und gab den Klosterherren den Auftrag, darüber zu beratschlagen, wie man garantieren könne, dass „die selbigen zins und gulten nit arrestirt oder versperrt werd.“250 Den Rat bewegte im Falle der Dominikaner offenbar auch die Sorge, die Zahlung der Pensionen der Mönche, zu der sich der Rat laut Zessionsvertrag verpflichtet hatte, könne ein Verlustgeschäft werden.251 Auch im Falle der Frauenklöster plagten den Rat ähnliche Bedenken. 1535 beschlossen die Stadtherren, einen Teil der Zinseinnahmen der Reuerinnen und der Dominikanerinnen von St. Margaretha der Münsterfabrik zu überschreiben, um das Fließen dieser Zinsen auch nach dem Aussterben der Gemeinschaften zu garantieren: „damit, so die frauen abgengen, das der pfalzgraf nit understuende nicht mehr zu zinsen.“252
abgelösten Renten liegen, die nicht reinvestiert wurden, vgl. für die Rechnungsbücher der Franziskaner AMS AH 8098 und AMS AST 1091. Weitere Dokumente zur Wirtschaftsführung finden sich in AMS AST 1066–1132. 246 AMS II, 28/17, Nr. 26. 247 AMS II, 28/17, Nr. 26. 248 Ratsprotokolle (5. Februar 1592), fol. 38r ff. 249 AMS II, 34/3. Weitere Fälle von durch altgläubige Herren gesperrte Gefälle tauchen aber zumindest in den Ratsprotokollen nicht auf. 250 AMS VI, 699/2, fol. 15r. 251 Der Auftrag an die Klosterherren erfolgte im Zuge des detailliert in den Ratsprotokollen festgehaltenen Feilschens um die Höhe der Pensionen, vgl. AMS VI, 699/2, fol. 14r ff. 252 AMS AST 35/11, 18r. Gemeint ist hier Pfalzgraf Ludwig V., der zwar 1538 Laienkelch und Predigt erlaubte, selbst aber bis zu seinem Lebensende katholisch blieb. Erst sein Nachfolger Friedrich II. bekannte sich offen zum protestantischen Glauben. Geplant
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Neben den rein finanziellen Interessen des Rates am Fortbestand der Klöster, ließen auch sozio-ökonomische Gründe das Regiment zögern, mit den Klöstern kurzen Prozess zu machen: Es ging um die „Versorgung“ unverheirateter Frauen.253 Die moderne Frauenklosterforschung hat sich um eine Neubewertung des „Versorgungsaspektes“ der Frauenklöster bemüht. In der älteren Forschung war angezweifelt worden, dass Frauenklöster die sakrale Funktion für Familien und Stadtgemeinschaft in demselben Maße erfüllten wie die religiösen Männergemeinschaften. Vielmehr sei das Hauptmotiv für Gründung, Ausstattung und Beschickung von Frauenklöstern die Unterbringung „überschüssiger“, nicht verheiratbarer Töchter gewesen.254 Frauenklöster erscheinen in dieser Logik als reine „Versorgungsanstalten“.255 Sie werden damit reduziert auf eine Art lebenslange Abschiebehaft für bürgerliche und adelige Töchter ohne Aussichten auf dem Heiratsmarkt. Diese Interpretation ist inzwischen in mehrfacher Hinsicht angezweifelt worden. Schon die zugrunde liegende These eines Frauenüberschusses im späten Mittelalter konnte nicht universell bestätigt werden.256 Des Weiteren ist die Annahme, das religiöse Leben der Frauen sei weniger lebhaft gewesen als das der
war des Weiteren die Überschreibung der Zinsen der Markgrafen von Baden, vgl. AMS AST 35/11, fol. 14r. Der Handel scheiterte allerdings am Widerstand der Nonnen, die trotz der Versprechungen des Rates nicht einwilligten. Zwei Jahre später haben die Nonnen die entsprechenden Urkunden noch immer nicht gesiegelt, vgl. AMS AST 35/11, fol. 18r f. und zu St. Margaretha AST 35/9, fol. 14r. 253 Diese Funktion der Straßburger Dominikanerinnenklöster hebt auch Amy Leonard hervor, vgl. Leonard: Nails in the Wall, S. 150. 254 Diese Meinung findet sich unter anderem bei Kießling: Bürgerliche Gesellschaft und Kirche. S. 239. Vgl. auch Höing: Kloster und Stadt. S. 170. Die Betonung der curae mulierum als primäre Funktion und auch als Gründungszweck der Frauenklöster geht zurück auf eine Arbeit von Karl Bücher von 1910, der die These aufstellte, der „Frauenüberschuss“ des Spätmittelalters habe überhaupt erst zur Gründung von Frauenklöstern geführt, vgl. Bücher: Die Frauenfrage im Mittelalter. S. 18f. Bücher bezieht sich auf die Gründungswelle von Frauenklöstern im 15. Jahrhundert. In jüngerer Zeit ist die Idee von Venarde auf die erste Gründungswelle im 11. und 12. Jahrhundert übertragen worden, vgl. Venarde: Women’s Monasticism. S. 89ff. 255 Der Begriff fällt sowohl bei Kießling: Bürgerliche Gesellschaft und Kirche. S. 245 als auch bei Höing: Kloster und Stadt. S. 170. 256 Edith Ennen und Kurt Wesoly konnten zeigen, dass der von Bücher behauptete Frauenüberschuss keineswegs so eindeutig belegbar ist, wie bisher angenommen, vgl. Bücher: Die Frauenfrage im Mittelalter. S. 18f.; Ennen: Frauen im Mittelalter, S. 141ff. und Wesoly: Der weibliche Bevölkerungsanteil, S. 83f. Wesoly geht zwar von einem Frauenüberschuss aus, verortet das Phänomen aber nur in den bürgerlichen Schichten, vgl. ebd. S. 83ff.
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männlichen Religiosen, wohl in dieser Pauschalität nicht haltbar.257 Auch von der moderneren Forschung wird aber nicht von der Hand gewiesen, dass Frauenklöster die Funktion „Versorgung“ de facto dennoch ebenso wie Männerklöster und Bischofssitze erfüllten – wenn auch ihr Zweck ein anderer war und sich die Frauengemeinschaften selbst nicht als Versorgungsgemeinschaften verstanden.258 Welche Rolle also spielte diese soziale Funktion in der Reformationszeit? In den sieben Straßburger Frauenklöstern lebten um die Jahrhundertwende etwa 200 Frauen aller Altersgruppen. Als der Rat im Mai 1525 alle Frauen aufforderte, die Klöster zu verlassen, mussten also etwa 200 Nonnen, Laienschwestern und Anwärterinnen aller Altersgruppen von heute auf morgen anderweitig versorgt werden. Dass diese Tatsache für die Stadt möglicherweise ein Problem darstellte, könnte man, wie bereits dargestellt, daraus ablesen, dass der Rat die Verordnung schon im September desselben Jahres revidierte.259 Deutlicher noch wird dieses Problem in dem Entwurf einer Klosterordnung für St. Margaretha, den Hedio in den Jahren 1548/1549 anfertigte.260 Die Ordnung regelte unter anderem den Klostereintritt, aber auch das Verlassen des Klosters. Dazu heißt es: „Wann ein Conventfrauen, nach dem sie dreysig jahr alt worden, im Closter verharret, soll sie dannach ihr leben im Closter zuvollenden verbunden sein. Daneben ist ihr zugelaßen, im zwentzigsten und dreyßigsten jahren ihres alters vom Closter abzutreten, der gestalt, wo sie nach ausgang des zwentzigsten Jahres im Closter pleibet, soll ihr vor dem dreiysigsten ihar daß Closter zuverlaßen nit gegönnt werden.“261
Die ewigen Gelübde, die Luther und auch Hedio aus theologischen Gründen ablehnten, werden hier also aus sozio-ökonomischen Gründen wieder eingeführt. Erreichte eine Frau ein Alter, in dem eine Heirat nicht mehr wahrscheinlich war, sollte sie im Kloster bleiben. So konnten die gesellschaftlichen Kosten ihrer Versorgung vermieden werden, die die Familien 257
So die These von Gisela Muschiol: Weibliche Orden, S. 182ff; vgl. auch dies.: „Versorgungsfälle“, besonders S. 14f. Vgl. ebenfalls die Ergebnisse von Schmitt: Geistliche Frauen und Denne: Frauenklöster in Freiburg. 258 Gisela Muschiol fordert, den Versorgungsaspekt zu „entmoralisieren“. Die Tatsache, dass Frauen in Klöstern und Stiften „versorgt“ wurden, hat, anders als etwa im Falle von Bischofssitzen und Kanonikaten, die ebenfalls als Apanagen dienten, zu einer Minderbewertung des geistlichen Lebens der Frauen geführt. Es gelte aber, auch bei den weiblichen Gemeinschaften die vor allem religiös begründete Existenzberechtigung im Auge zu behalten, vgl. Muschiol: Frauenklöster im Zeitalter der Reformation, S. 99f. 259 Vgl. zum Ablauf Vierling: Ringen, S. 35 und Baum: Magistrat und Reformation, S. 123f. 260 Nachdem der Rat den Frauen gedroht hatte, ihnen die Kinder abzunehmen, die sie im Kloster großzogen, sollten sie weiter dem alten Kultus folgen, hatten die Frauen um eine evangelische Ordnung angesucht, vgl. AMS II, 57/16. 261 AMS II, 41–42b/2.
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oder der Rat hätten tragen oder die aus dem Klostervermögen hätten beglichen werden müssen. Auch spätere Entwürfe sehen ähnliche Regelungen vor, so etwa ein Entwurf von 1588/1589. In dieser Variante sollten Frauen, nachdem sie mehr als 20 Jahre im Kloster gelebt hatten, ihre Mitgift nicht mehr zurückerhalten, falls sie sich für einen Austritt entschieden.262 Die hier zitierten Verordnungsentwürfe wurden letztlich nicht implementiert. Die Klosterordnung für alle Frauenklöster von 1555 stellt jeder Frau den Austritt jederzeit frei.263 Auch die Erneuerung dieser Ordnung von 1585 kennt keine Einschränkungen für den Klosteraustritt.264 Irgendwo im internen Entscheidungsprozess zwischen Rat und Prädikanten muss die von Hedio vorgesehene Klausel zugunsten der protestantischen Ideale gekippt worden sein, ohne dass dies in den Quellen noch nachvollziehbar wäre. Deutlich wird durch die Entwürfe aber, dass Rat und Prädikanten die sozialen Kosten der Klosterschließungen durchaus in Erwägung zogen. Leonard resümiert für die Frauenklöster: „Practically speaking, society still needed the houses [...].“265 Inwieweit sich ein Versorgungsproblem auch für ehemalige Mönche ergab, ist schwieriger zu erkennen. Zumindest spielte diese Erwägung den Ratsprotokollen nach zu urteilen in der Politik der Stadtherren keine Rolle. Allein lebende ehemalige Mönche waren für die Stadt, solange sie nicht bettelten, eine tolerable Erscheinung. Dass dieses mangelnde Problembewusstsein der Stadtherren nicht bedeuten musste, dass ehemalige Mönche problemlos in die Gesellschaft integriert wurden, wird noch diskutiert werden. Über dieses bereits im 15. Jahrhundert bestehende symbiotische Verhältnis zwischen Stadt und Klöstern hinaus, versuchte der Rat im 16. Jahrhundert, weiteren Profit zu erschließen. Eine neue Nutzungsmöglichkeit, von der nicht nur Straßburg zu profitieren versuchte, war die Einrichtung von Schulen in den Klöstern. Dies entsprach auch Bucers Vorstellung von der Verwendung der Klöster: „dan Stifft und klöster, da sy am besten geweßen, seind sy schulen gewesen, daruß man fug hat, sy anzusuchen.“266 In
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AMS II, 57/14. Nur Frauen aus armen Familien, die die Nonnen ohne Gegenleistung im Kloster erzogen, sollten bis zum 18. Lebensjahr im Kloster als Dienerinnen bleiben, „auf das sie (die Nonnen) auch wider genieß haben“, vgl. den Abdruck der Ordnung in Vierling: Ringen, S. 94. 264 AMS II, 41–42b/2, 17. 265 Leonard: Nails in the Wall, S. 8. 266 Erleütherung, BDS 2, S. 404. Fast wortgleich Luther: An den christlichen Adel, WA 8, S. 439. 263
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5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
Straßburg wurde in St. Margaretha um 1547 ein „züchthaus“ eingerichtet, das der religiösen Unterweisung von Mädchen dienen sollte.267 Ungewöhnlicher war die Nutzung der Kartause. Sie wurde über die Jahre zum städtischen Wirts- und Gästehaus. Der Rat ließ in diesem Kloster diplomatische Gesandtschaften unterbringen und richtete in den Gebäuden Festessen aus. Ein detaillierter Bericht über ein solches Fest entstand im Rahmen einer Visitation von 1586. Unangemeldet besuchte der Visitator Peter von Ittingen die Kartause und wurde Zeuge eines üppigen Gastmahls, das der Rat im Kloster abhielt. Nach dem Bericht des Visitators kamen die Städter mit acht Wagen und zwölf Reitern, besetzten acht Tafeln und ließen sich von einem Koch ein festliches Mittags- und Abendmahl servieren. Schon zum Mittagessen wurden sechs Sorten Fisch kredenzt. Das Mahl wurde von Musik begleitet, zwischendurch spielten die Herren Würfel. Die Städter forderten die Mönche dabei auf, sich zu ihnen an die Tische zu setzen, spotteten über ihre Kapuzen und „füllend sie voll wein, damit sie ir gauckelspyl könnend aus innen machen, und die Religion verlachen“.268 Der offensichtlich schockierte Visitator bemerkte außerdem, dies sie kein zufällig beobachteter Einzelfall, vielmehr hätten die Mönche angegeben, die Ratsherren kämen „alle tag“ in ihr Kloster, sowohl der Rat und Einundzwanzig als auch die Geheimen Stuben, teilweise brächten sie ihre Töchter und Ehefrauen mit. Der Prior resümiert: „Summa Summarum die Carthauser haltend sie wie Juden und ellender wider man in der Türckey die Mönche haltet, unnd meynnend, sie erhaltend sie alls praebendarios [...]. Es ist alles bößer, wider ichs schreiben kan.“269 Der Prior der Kartause, Schustein, erstellte in den 80er Jahren eine Auflistung über die Ausgaben, die die Kartause für städtische Zwecke hatte. Auch darin ist die regelmäßige Verköstigung des großen Rates beim „morgend und abend imbis“ erwähnt.270 1588 habe das Kloster Gesandtschaften der Berner und Züricher beherbergen müssen, deren Besuch allein das Kloster 40–50 Gulden gekostet habe.271 Ein weiterer Grund für die relative Zurückhaltung in der Straßburger Politik könnte auch in den inneren Auseinandersetzungen im Rat liegen. Darüber allerdings ist insgesamt wenig bekannt, geben doch die Ratsprotokolle nur selten, wie im oben geschilderten Streit um die Abschaffung der Messe in St. Johann, die Debatten wieder, sondern zumeist nur die Ent267
Vgl. AMS II, 57/16. Leonard geht davon aus, dass alle Frauenklöster in Schulen umgewandelt wurden, Belege konnten aber nur für St. Margaretha gefunden werden, vgl. Leonard: Nails in Wall, S. 57. 268 Vgl. AMS II, 35/7, Nr. 1, hier fol. 8v-r. 269 Vgl. AMS II, 35/7, Nr. 1, fol. 8v-r. 270 AMS AST 100/70, Nr. 1. 271 Vgl. AMS AST 100/70, Nr. 1.
5.2 Klosterschließungen oder -auflösungen
127
scheidungen. Ein Quellenkorpus, wie ihn etwa Gößner für den Religionsausschuss in Augsburg vorgefunden hat, anhand dessen sich die Meinungsbildung im Rat rekonstruieren ließe, liegt nicht vor.272 Die spärlichen Hinweise auf katholisch gebliebene Ratsherren hat Fuchs zusammengetragen. Seine Belege für die Existenz einer katholischen Ratsminderheit zeigen aber auch die geringe Toleranz, die die protestantische Mehrheit innerhalb des Regiments walten ließ. So zitiert Fuchs aus einer Untersuchung des Rates im Jahr 1540, die ergab, „das etlich Herrn des Regiments dise Karwoch zu Eschau zum Sacrament gangen“. Die Konsequenz, die der Rat aus dieser ihm offenbar von aufgebrachten Nachbarn zugetragenen Information zieht, lautet, man wolle „erfaren wer sie seyen und wenn man erfar, soll man lut des mandats straffen.“273 Auch Brady konstatiert das Verschwinden einiger traditioneller Ratsfamilien und vermutet religiöse Ursachen.274 Es scheint also unwahrscheinlich, dass diese kleine Gruppe, die zudem namentlich nicht zu greifen ist, ihre konfessionellen Ansichten zugunsten der Klöster im Rat geltend machen konnte. Des Weiteren lassen sich zwar mit Brady und Mathis radikale und weniger radikale protestantische Ratsherren ausmachen, welche Strategien sie aber jeweils in der Klosterpolitik verfolgten, lässt sich bis auf die genannten Ausnahmen nicht rekonstruieren.275 Gut dokumentiert sind lediglich die unterschiedlichen Meinungen um die Annahme des Interims 1548, die ebenfalls Brady ausgewertet hat. Hier zeigt sich, dass die Zünfte tendenziell stärker eine militante Verteidigung der Religion vertraten, während die Konstofler eher bereit waren, Reformen rückgängig zu machen und den Vertrag zu unterschreiben. Auch hieraus lassen sich aber schwerlich die Meinungen zur Klosterpolitik ableiten.276 Auch die in Teilen überlieferten Protokolle der Klosterherren bieten leider keine Einblicke in die internen Entscheidungsfindungsprozesse und möglichen konfessionellen Auseinandersetzungen. Der Ausschuss der Klosterherren tagte erstmals 1524.277 Im Dezember 1527 gab der Rat dem 272
Vgl. Gößner: Weltliche Kirchenhoheit, S. 92ff. Vgl. Ratsprotokolle, 5. Juni 1540, zitiert nach Fuchs: Catholiques, S. 144, Anmerkung 14. 274 Vgl. Brady: Ruling Class, S. 230. 275 Brady unterscheidet zwischen „zealots“ und „politiques“. Er sieht unter den Eiferern junge Nicht-Patrizier in der Überzahl. Zum gespaltenen Rat auch Brady: Rulings Class, S. 208ff. Als zentrale Führungsgruppe im Magistrat macht Mathis in Anlehnung an Brady in der Frühzeit der Reformation die drei Ammeister Klaus Kniebis, Mathis Pfarrer, Martin Herlin sowie den Nichtammeister Jakob Sturm aus, vgl. Mathis: Trois Ammeister, S. 35f. 276 Vgl. Brady: Ruling Class, S. 258ff. 277 Vgl. Vierling: Ringen, S. 19; Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 90. Vierling sieht darin eine Reaktion auf das Gerücht, vier Frauenklöster hätten versucht, sich 273
128
5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
Gremium eine feste Ordnung und institutionalisiert es damit dauerhaft. Mitglied waren vier Angehörige des Rates, drei Bürger und ein Konstofler, von denen jedes Jahr die Hälfte neu berufen werden sollte.278 Der Einfluss der Klosterherren auf die Klosterpolitik des Rates scheint allerdings gering gewesen zu sein. Der Ausschuss diente wohl vielmehr dazu, den Rat in den Alltagsdingen der Verwaltung der Klöster zu entlasten. Die Klosterherren betätigten sich kaum konzeptionell. Schon in der Ordnung von 1527 wird der Ausschuss angewiesen, sich in Angelegenheiten, die ihm „zu schwer oder nambhafft“ erschienen, an den Rat zu wenden, eine Formulierung, die ähnlich in der Ordnung von 1581 wiederholt wird.279 Das Protokollbuch der Klosterherren bestätigt, dass diese vom Rat vorgesehene Aufgabenteilung in der Praxis beachtet wurde. Die Klosterherren kümmerten sich in erster Linie um die Details der Abwicklung einzelner Klöster. Sie regelten Rückforderungen von Gütern durch Verwandte, den Verkauf von beweglichen Gütern, nahmen Pensionsforderungen und andere Ansprüche ehemaliger Klosterinsassen entgegen und kümmerten sich um die Besoldung der verbliebenen Klosterangestellten.280 Rückschlüsse auf den Einfluss konfessioneller Einstellungen einzelner Ratsherren auf die Klosterpolitik der Stadt lassen sich auch aus den Protokollen der Klosterherren schon aufgrund ihres vergleichsweise unkritischen Aufgabenspektrums nicht ableiten und bleiben damit im Dunkeln. 5.2.3 Die Grenzen der Duldung Aus den skizzierten Interessen des Rates ergeben sich auch klar die Grenzen der moderaten Politik des Straßburger Stadtrates. Diese waren zum einen ökonomischer, zum anderen konfessioneller Art. Der Rat betrachtete die Vermögen und Besitzungen der Klöster als Teil des Gemeingutes der Stadt, da sie von den Bürgern gestiftet wurden und dem städtischen Schutz und Schirm unterstanden. Der Rat sah sich deshalb in der Verantwortung, einzugreifen, wenn er dieses Gut bedroht sah. Dies wird deutlich, als der Rat begründen musste, warum er 1591 die Gebäude der Kartause schleifen ließ. Das Kloster, so die Argumentation, stehe unter unter den Schutz des Bischofs zu stellen. Nun habe man die Klöster besser beobachten wollen. 278 Vgl. für die Ordnung der Klosterherren AMS VI, 699/3. Als Entschädigung erhielten die Klosterherren von den Klöstern die Jahrespension eines ausgetretenen Konventualen, wenn ein solcher starb. 1581 wurde die Ordnung geändert. Statt der vier Ratsherren wurden nun nur noch drei in das Gremium abgeordnet, die vom Rat gewählt wurden, und zwar je einer aus dem Einundzwanziger, dem Dreizehner und dem Fünfzehner, vgl. AMS II, 41–42b/2. Eine weitere Abschrift der Ordnung von 1581 findet sich in AMS VI, 480/1. 279 Vgl. AMS VI, 699/3 und AMS II, 41–42b/2. 280 Vgl. AMS VI, 699/3.
5.2 Klosterschließungen oder -auflösungen
129
dem Schutz und Schirm der Stadt und sei seit Jahren vom Rat verwaltet worden, „das wir jemand anderen, wer auch der sein mag, einige rechtmessige anspruch zu drist oder forderung nicht gestatten oder einraumen können noch sollen.“281 Die Johanniter erinnerten die Stadtherren im Zuge von Streitigkeiten daran, „das hauß liege in meiner herren stadt und die stadt nicht im hauß“.282 Dementsprechend rigoros war das Vorgehen des Rates, wenn er diesen Besitzstand gefährdet sah. Als die Johanniter sich 1526 der Inventarisierung widersetzten, drohte der Rat, man werde das Kloster bis auf Weiteres besetzen lassen, sollten die Mönche nicht kooperieren.283 Ähnlich erging es den Kartäusern 1529. Die Pfleger prüften in diesem Jahr die Rechnung und stießen auf Ungereimtheiten. Sie warfen dem Kartäuser, der das Amt des Schaffners inne hatte, Unterschlagung vor. Er wurde in den Turm gelegt und verhört.284 Auch das rigorose Vorgehen des Rates gegen St. Nikolaus 1592 kann in diesem Kontext gesehen werden. Durch einen Zufall war der Rat auf wirtschaftliche Missstände in den Klöstern St. Magdalena und St. Nikolaus aufmerksam geworden. Scharwächter hatten beobachtet, dass die Nonnen mitten in der Nacht Vorräte in Säcken aus dem Kloster brachten. Die anschließende Untersuchung ergab, dass die Klöster hoch verschuldet waren. Die mit einem Gutachten betrauten Ratsherren beschlossen, es müssten „verenderung [...] fürgenomen oder zugesehen werden, das die clöster gar zu grund gang und inn sich selbs verderben“.285 So beschloss der Rat schließlich, zwei der drei Klöster, St. Margaretha und St. Nikolaus, zusammenzulegen.286 Die konfessionellen Grenzen der „Toleranz“ des Rates werden dann deutlich, wenn die Messe in den Klöstern nicht mehr nur im Stillen gefeiert wurde, sondern drohte, öffentlichkeitswirksam zu werden. Während man den Gewissenszwang ablehnte, strebte man durchaus konfessionelle Homogenität im öffentlichen Raum an. So erlaubte der Rat den Nonnen von St. Nikolaus, St. Margaretha und St. Magdalena zwar 1525 im August, die Messe zu feiern, allerdings nur, solange sie dies „hemlich“ tun würden.287 Als in den siebziger Jahren im Johanniterkloster vermehrt die Messe besucht wurde, ging der Rat rigoros gegen die Besucher vor. In St. Johann, so lässt der Rat nachzählen, gingen an manchen Sonntagen wieder
281
AMS II, 29a/2. AMS AST 35/6, fol. 45v (3. Mai 1578). 283 Vgl. AMS II, 53/14, fol. 1r. 284 Vgl. AMS AST 36/5, fol. 22r. 285 Ratsprotokolle (2. Februar 1592), fol. 33v. Die Priorin von St. Nikolaus gibt in einem Schreiben an dem Rat selbst die hohe Verschuldung zu, beteuert aber, dies sei nicht ihre Schuld, vgl. AMS IV 68/160. 286 Ratsprotokolle (8. April 1592), fol. 140v ff. 287 Vgl. AMS AST 35/11, fol. 6r. 282
130
5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
200 Personen zur Messe.288 Der Rat stellte daraufhin Wachen auf, die die Messbesucher abschrecken sollten.
5.3 Zusammenfassung. Klosterpolitik zwischen pragmatischer Milde und gewaltsamem Durchgreifen 5.3 Zusammenfassung
Die Sorge um den städtischen Frieden, die unsichere reichspolitische Lage sowie die vielfältigen praktischen Interessen des Rates am Fortbestand der Klöster führten in Straßburg insgesamt dazu, dass der Rat eine vergleichsweise umsichtige Klosterpolitik betrieb. Zwar war die Politik des Rates anfangs auf die Schließung der Klöster ausgerichtet, wandelte sich im Laufe des Jahrhunderts aber mehr und mehr zu einer offenen Duldung der verbliebenen Häuser und einer Art ständig verhandelter Koexistenz. Durch den Rat erzwungene „Klosterschließungen“ im Sinne obrigkeitlicher, gewaltsamer Eingriffe gab es letztlich nur gegen Ende des Jahrhunderts, in den Fällen der Kartause und von St. Nikolaus (1591/1592). Die Politik, die auf ein biologisches Ende der Konvente setzte, fruchtete hingegen wegen mangelnder Durchsetzung nicht und wurde 1555 mit dem Erlassen der Klosterordnung aufgegeben, die eine regulierte Rekrutierung vorsah. Die Klosterauflösungen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts gingen also auf die Initiative der Klosterleute zurück, wenn auch der Rat unterstützend wirkte, indem er Pensionen und Straffreiheit in Aussicht stellte. Die Duldung der verbliebenen Klöster sollte allerdings nicht mit aufgeklärter religiöser Toleranz verwechselt werden. Besser könnte man von pragmatischer Milde sprechen. Gleichzeitig war der Rat aber auch jederzeit bereit, hart durchzugreifen, nämlich dann, wenn er seine ökonomischen oder konfessionspolitischen Interessen durch die Klöster gefährdet sah. Insgesamt ergab sich jedoch für Nonnen und Mönche ein beachtlicher Handlungsspielraum, der, je nach reichspolitischer Lage, auch ständig neu verhandelt werden konnte. Für die individuellen Religiosen bedeutete das ein nicht unerhebliches Maß an Freiheit, aber auch die Notwendigkeit, selbst zu einem Entschluss über Austritt oder Verbleib im Kloster zu kommen. Die Gründe für das Überleben bestimmter Klöster sind also sicherlich auch innerhalb der Klostermauern zu suchen. Welche Faktoren möglicherweise das Überleben der Klöster förderten und welche Strategien die Nonnen und Mönche zum Überleben entwickelten, soll in den folgenden Kapiteln ausführlich untersucht werden.
288
Vgl. u.a. AMS AST 35/6, fol. 42r ff. (1578).
5.4 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen
131
5.4 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen 5.4 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen
Bereits im Zuge spätmittelalterlicher Maßnahmen der Sozialdisziplinierung in Straßburg wird die besondere Sorge der Stadtobrigkeit um die Regulierung der weiblichen Sexualität deutlich. Dies spiegelt sich in Kleiderordnungen, Ehe- und Sittenordnungen und auch in den Klosterordnungen des 15. Jahrhunderts. Schon 1480 gebot der Rat, dass „fürbas keyn mannesnam in dehein frowencloster [...] gän sol one urlop eines stettmeiesters, der dann rihtet, oder eines ammeisters“. Selbst, wer dabei erwischt wurde, nur einen Blick durch das Fenster eines Frauenklosters werfen zu wollen, musste mit hohen Geldstrafen rechnen.289 Mit dem Beginn der Reformation wurde die Sittenzucht als ein Element der Sozialdisziplinierung ausgebaut und auch weiterhin waren Frauen in besonderer Weise Ziele der Verordnungen. Wie bereits gezeigt, gehen viele Gender-Historiker davon aus, dass durch die Reformation verstärkte Geschlechterdiskurse dazu führten, dass die Regulierung der weiblichen Sexualität in der Ehe ein zentraler Gegenstand obrigkeitlicher Maßnahmen wurde.290 Diese Entwicklung wird an verschiedenen Stellen auch in der Klosterpolitik des Rates deutlich. Während der Rat gegenüber verbliebenen und ehemaligen Mönchen lediglich ein gewisses patriarchalisches Interesse an deren materieller Versorgung durch Pensionen erkennen ließ, sorgte er sich in Bezug auf ehemalige und gebliebene Nonnen auch um deren sittliches Leben. So empfanden es die Stadtherren offenbar als völlig inakzeptabel, dass sich Nonnen als unverheiratete Frauen frei in der Stadt bewegten. In der Zeit des religiösen Umbruchs der frühen zwanziger Jahre waren etwa die Nonnen der beiden St. Klara-Klöster in die Predigt gegangen. Der Rat ließ den Frauen von St. Klara am Rossmarkt daraufhin mitteilen, dass „meyne herren ab irem us und in gan missfallens tragen und ir meynung sey, das sie sich im closter still und redlich halten und nyemans zu inen herin lassen dann ir gute gesypten
289
Vgl. Brucker: Zunft- und Polizei-Verordnungen, besonders S. 292, 297f., und S. 456ff., hier S. 297. Vgl. für einen Überblick über geschlechterspezifische Untersuchungen zur Sozialdisziplinierung Schilling: Profil und Perspektiven, S. 17ff. Interessanterweise kommt Schilling zu dem Schluss, die Disziplinierungsforschung habe auf die Geschlechtergeschichte sehr befruchtend gewirkt, umgekehrt zieht er diesen Schluss aber nicht. 290 Vgl. zur Bedeutung der Sittenzucht in sozialdisziplinarischen Maßnahmen des 16. Jahrhunderts Simon: Ordnungsbilder, S. 120ff. Vgl. zur Bedeutung obrigkeitlicher Maßnahmen in Bezug auf die Regulierung weiblicher Sexualität und Rollenbilder Roper: Das fromme Haus, besonders S. 54ff. und Wunder: Normen und Institutionen der Geschlechterordnung, S. 58ff.
132
5. Die Klosterpolitik des Straßburger Stadtrates
freund, noch sye auch nit heruss gen, sonderen wellen inen ein christlichs predicant ins closter bestellen, der inen predigt.“291
Als der Schaffner berichtet „ein unerbar wesen“ habe sich im Kloster verbreitet, drohte der Rat sogar, die Frauen in den Turm legen zu lassen.292 Auch in St. Klara auf dem Wert sollte das „zu und von gen abgestellt und verhuetet“ werden.293 Die Kontrolle über das sittliche Leben ehemaliger Nonnen setzte der Rat auch nach dem Klosteraustritt fort. So verlangte etwa der Ammeister 1525, dass einigen ehemaligen Nonnen von St. Klara auf dem Wert die Pension gestrichen werden solle, weil sie „sich uppigklich halten und Bulschaft tryben“.294 Zuvor schon hatte der Rat allgemein beschlossen, dass nur solche Frauen Pensionen erhalten sollten, die schicklich lebten und nicht in einem „ergerlichen oder uppigen wesen“.295 An ähnliche Bedingungen waren die Pensionszahlungen ehemaliger Mönche nicht gebunden, auch ist keine vergleichbare Drohung mit der Abererkennung der Pension überliefert. Der Skandal um St. Nikolaus 1592 steht ebenfalls in diesem Kontext. Wie bereits gezeigt wurde, spielten hier zeittypische Geschlechterdiskurse eine wichtige Rolle in der Argumentation des Rates. Die (vermeintlichen) sittlichen Vergehen der Frauen waren nicht nur ein Grund zur Schließung des Klosters, sondern zogen auch eine strafrechtliche Verfolgung nach sich. Der Nonne Elisabeth Müllerin, die angeblich eine Affäre mit dem Scherer Bonaventura hatte, wurde der Prozess gemacht296 und auch die Priorin Susanna Brünnin wurde mehrere Jahre lang inhaftiert.297 Ähnliche Vorgänge in Männerklöstern hingegen zogen gar keine Maßnahmen des Rates nach sich. 1554 verhaftete der Rat einige als „Huren“ und „Metzen“ bezeichnete Frauen, des „üppigen, schandtlichen lebens“ wegen, das sie mit dem Komtur der Johanniter getrieben hätten. Die Frauen werden in den Turm gelegt, der Komtur allerdings bleibt ungestraft. Die Pfleger werden lediglich ermahnt, zu überwachen, dass niemand außer den
291
AMS AST 35/3, S. 9ff. (1524). AMS AST 35/3, S. 10. 293 AMS AST 35/4, S. 11f. 294 AMS AST 35/4, S. 24. 295 AMS AST 35/11, fol. 4v. 296 Die Verhörprotokolle sind erhalten in AMS II, 7/19, AMS II, 39/18 und AMS ii, 41–42b/2. Die Urfehde Elisabeths ist in AMS II, 39/9 erhalten. 297 Die Priorin war mindestens drei Jahre lang inhaftiert. 1596 und 1599 bitten die Nonnen von St. Nikolaus und andere Geistliche um ihre Freilassung, vgl. AMS II, 39/15 (1596) und AMS II, 41–42a/14 (1599). 1599 schwor Susanna Brünnin Urfehde und wurde dann nach St. Margaretha entlassen, vgl. AMS II, 39/59, Nr. 8. 292
5.4 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen
133
Mönchen im Kloster lebe und dass der Komtur für seine Lebensweise nicht die Güter des Hauses verschleudere.298
298
Vgl. AMS AST 35/6, fol. 23r.
Kapitel 6
Innerhalb der Stadtmauern, aber außerhalb der Stadtgemeinschaft? Klöster und städtische Gesellschaft Die Beziehungen zwischen Klöstern und Stadt erschöpften sich keineswegs in der Religionspolitik und den Visitationen des Regiments. Traditionell bestand vielmehr eine enge Verflechtung zwischen den geistlichen Gemeinschaften und den Straßburger Familien, aus denen sich die Gemeinschaften rekrutierten und von denen sie Stiftungen empfingen.1 Im folgenden Kapitel soll untersucht werden, ob und wie stark sich diese traditionelle Verflechtung im Zuge der Konfessionalisierung wandelte und welche Relevanz familiäre Bindungen und die Sozialstruktur der Konvente für den Bestand der Klöster und die Handlungsspielräume der Religiosen hatten. Zunächst werden die Ergebnisse der prosopographischen Untersuchung dargelegt. Dabei wird erstens gefragt, ob aufgelöste und überlebende Klöster sich in ihrer Sozialstruktur unterschieden, ob also womöglich ein bestimmtes Sozialprofil eher zur Auflösung von Klöstern führte, als ein anderes. Zweitens wird der Wandel der Sozialstruktur der Gemeinschaften im Verlauf des 16. Jahrhunderts dargestellt. In einem zweiten Schritt wird die Verflechtung von Klöstern und Stadtgemeinde auf der qualitativen Ebene untersucht. Dabei werden konfessionelle Konflikte zwischen Konventualen und Familien ebenso in den Blick genommen wie das Fortwirken familiärer Allianzen über konfessionelle Divergenzen hinaus. Abschließend wird die Bedeutung des Wandels der Stiftungskultur im 16. Jahrhundert behandelt.
1
Grundlegend für das Verständnis der symbiotischen Beziehung zwischen Stadt und Kirche sind die Arbeiten von Rolf Kießling, vgl. vor allem Kießling: Bürgerliche Gesellschaft und Kirche. Jüngere Arbeiten, die den Zusammenhang besonders in Bezug auf die Klöster untersuchen sind etwa Schmitt: Geistliche Frauen; Kleinjung: Frauenklöster; Denne: Frauenklöster in Freiburg und Rüther: Bettelorden.
6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente
135
6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente im 16. Jahrhundert 6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente
6.1.1 Methodische Vorbemerkungen Mit der Habilitationsschrift von Thomas A. Brady liegt für Straßburg eine fundierte Analyse der Straßburger Gesellschaft vor, die für das 16. Jahrhundert klar die Grenzen zwischen den sozialen Gruppen und auch die Merkmale des Straßburger „Patriziats“ herausarbeitet.2 Die folgende Untersuchung der Sozialstruktur der Straßburger Klöster kann daher auf dem von Brady erarbeiteten Schema aufbauen. Im Folgenden soll daher zunächst das zugrundeliegende Gesellschaftsmodell kurz erläutert werden. Die gesellschaftliche Struktur Straßburgs scheint zunächst einfach: Unterschieden werden kann unter den Vollbürgern zwischen dem „Patriziat“ und den Zünften, wobei das Patriziat, anders als in anderen Städten, relativ leicht als die Gruppe der Mitglieder der beiden Konstofeln Zum Hohensteg und Zur Mühlstein zu umgrenzen ist.3 Zünfte und Patrizier teilten sich die politische Macht im Rat, wobei die Zünfte mit zwei Dritteln der Ratssitze ein deutliches Übergewicht besaßen.4 Diese Dominanz des Handwerks in 2
Vgl. Brady: Ruling Class. Brady setzt für Straßburg die Begriffe „Patriziat“ und „Konstofel“ gleich: „A patrician (Constofler) was a gentleman who was either the son of a patrician or was found by the other patricians to be worthy of membership in their Constofel. Except for demonstrable direct descent from a patrican, no formal qualification conferred a right to admission – not a patent of nobility, nor a noble marriage, nor the reputation of living nobly.“ Brady: Ruling Class, S. 67. 1472 hatte der Rat zwar formale Kriterien festgelegt, die erffüllt sein mussten, um in die Konstofeln aufzusteigen, diese verpflichteten die Konstofler allerdings nicht zur Kooptation. Der interessante Beschluss ist gedruckt bei Eheberg (Hrsg.): Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte, Nr. 92, S. 242ff. Die für das 14. Jahrhundert von Dollinger herausgearbeitete Unterscheidung innerhalb der Konstofler zwischen „edlen“ und „burgern“ spielt nach dem gemeinsamen Exodus der beiden Gruppen 1419 keine Rolle mehr. Vgl. zu dieser Unterscheidung Dollinger: Patriciat noble et patriciat bourgeois. Vgl. zur Herkunft der „edlen“ aus Ministerialenfamilien des Bischofs Levresse: Origines de l’officialité und Mosbacher: Kammerhandwerk, Ministerialität und Bürgertum. Die Herkunft aus edlen oder bürgerlichen Familien war aber wohl auch im 16. Jahrhundert noch in der kollektiven Erinnerung verankert und konnte so punktuell an Bedeutung gewinnen. Brady dokumentiert einige Fälle, vgl. Brady: Ruling Class, S. 116f. 4 Vgl. zur Straßburger Verfassung im 16. Jahrhundert Crämer: Verfassung und Verwaltung. Der 1482 erarbeitete Schwörbrief, der diese Gewichtung festlegte und bis 1681 Bestand haben sollte, ist gedruckt in Chroniken der deutschen Städte, Bd. 9, S. 946ff. Vgl. für einen Überblick über die Entwicklung der zünftischen Dominanz im Rat: Dollinger: L' évolution politique, S. 229ff. und ders. in der Straßburger Stadtgeschichte: La ville libre à la fin du Moyen Âge, S. 99ff. 3
136
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
der Straßburger Gesellschaft des 16. Jahrhunderts ist allerdings nur eine scheinbare. Brady arbeitet eine Gruppe von reichen Rentiers und Händlerfamilien heraus, die aufgrund des Zunftzwanges und weil sie nie Zugang zu einer Konstofel fanden, zwar den Zünften angehörten und diese auch im Rat repräsentierten, von ihrer Lebensweise her aber kaum der Gruppe der Handwerker geordnet werden können.5 Brady bezeichnet diese Gruppe als „guild aristocracy“.6 Diese Gruppe dominierte das politische Leben, auch innerhalb der Zünfte. Wie schon Alioth und in jüngerer Zeit auch von Heusinger für das 14. und 15. Jahrhundert gezeigt haben, war zwar in den Schwörbriefen eine paritätische Verteilung der Ratssitze auf alle Zünfte vorgesehen. De facto aber beherrschten wenige Zünfte das politische Leben, indem Mitglieder der einflussreicheren Zünfte strategisch die Zunft wechselten, um weitere Ratsmandate wahrzunehmen.7 Brady definiert eine Gruppe von acht Zünften, die sich durch den besonderen Reichtum ihrer Mitglieder auszeichneten und in der auch die „guild aristocracy“ beheimatet war. Diese acht Zünfte umfassten 95% derjenigen Männer, die zu Ross dienten, „an indication of the concentration of wealth at this end of the hierarchy“.8 Zu den acht Zünften zählt Brady die Zünfte Zum Encker, Zum Spiegel, Zur Blume, Zum Freiburg, Zur Luzern, Zur Möhrin, Zur Steltz und die Tucher. Die Mitglieder dieser Zünfte hatten das Übergewicht im Rat, da sie durch strategische Zunftwechsel zwei Drittel der Mandate besaßen, obwohl in ihnen nur etwa ein Drittel der zünftischen Bevölkerung vertreten war. Ähnliche Verhältnisse galten für die Ausschüsse der Dreizehner und Fünfzehner.9 Eine vergleichbar exklusive Gruppe wie unter den Zünften kann Brady auch unter den Patriziern herausarbeiten. Er definiert für vier Zeitabschnitte des 16. Jahrhunderts jeweils die zehn „politically most active patrician families“ in Straßburg, die in den Tabellen in diesem Abschnitt als „Top Ten“ jeweils gesondert ausgewiesen werden.10 Zusammen machten diese politisch aktiven Patrizier und die Gruppe der „guild aristocracy“ nach Bradys Einschätzung etwa 5
Vgl. Brady: Ruling Class, S. 104ff. Brady: Ruling Class, S. 110. 7 Vgl. Alioth: Zünfte und Patriziat, 293ff. Die Zahl der Zünfte wurde mit dem Schwörbrief von 1482 auf 20 reduziert, vgl. für einen Überblick über die Neuordnung der Zünfte Hatt: Liste des membres, S. 1f.; Crämer: Verfassung und Verwaltung, S. 90ff. und von Heusinger: Corporations, S. 481f. Von Heusinger stellt fest, dass die kleine Gruppe der einflussreichen Zünfte auch am häufigsten die Ammeister stellte. Vgl. dazu dies.: Die Zunft im Mittelalter, S. 136ff. Von Heusinger behandelt auch den Sonderfall geadelter Zunftmitglieder, die nicht in die Konstofeln aufgenommen wurden. 8 Brady: Ruling Class. S. 120. 9 Vgl. Brady: Ruling Class, S. 174f. 10 Vgl. Brady: Ruling Class, S. 53 und S. 360ff. 6
6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente
137
80% aller Ratsherren aus. Der Begriff der „Zunftherrschaft“, den der Schwörbrief von 1482 zu legitimieren scheint, kann also nur mit starken Einschränkungen verwendet werden: „Reformation Strasbourg was ruled by a rentier-merchant aristocracy, whose common economic interests and social bonds overrode nearly all distinctions of estate.“11 Schematisch lässt sich die von Brady erarbeitete Gliederung der Straßburger Gesellschaft wie folgt darstellen: Tabelle 1: Schematischer Überblick über die Straßburger Gesellschaftsstruktur nach Thomas A. Brady Konst. A
Politisch aktive Konstoflerfamilien (inklusive „Top Ten“)
Konst. B Zünft. C
Nicht politisch aktive Konstoflerfamilien Ratsfamilien aus den Zünften Zum Encker, Zum Spiegel, Zur Blume, Zum Freiburg, Zur Luzern, Zur Möhrin, Zur Steltz und der Tucher (Zunftgruppe 1)
Zünft. D
Ratsfamilien aus den Zünften der Brotbecker, Kürschner, Küfer, Gerber, Weinsticher, Schneider, Schmiede, Schuhmacher, Fischer, Zimmerleute, Gärtner und Maurer (Zunftgruppe 2)
Zünft. E Zünft. F Zünft. G N. Straß. n.n. Landadel
Politisch nicht aktive Familien Zunftgruppe 1 Politisch nicht aktive Familien Zunftgruppe 2 Nicht zünftische, nicht patrizische Straßburger Nicht Straßburger Kann nicht eingeordnet werden Landadel
Patriziat
Zünfte
Andere
Die politisch und finanziell dominanten sozialen Gruppen sind nach Brady die Gruppen A, C und D, wobei zu bedenken ist, dass auch in der Gruppe D de facto die „guild aristocracy“ stark vertreten war, was sich allerdings in den Ratslisten aufgrund der strategischen Zunftwechsel nicht ohne Weiteres für den Einzelfall feststellen lässt.12 Zur Verortung von Familien und Einzelpersonen in den einzelnen Gruppen liegen als Hilfsmittel neben Bradys prosopographischem Anhang die Ratslisten inklusive der Listen der Stettmeister, Ammeister, der Fünfzehner und der Dreizehner in Edition vor.13 Auch das Straßburger Bürger11
Vgl. Brady: Ruling Class, S. 179, hier S. 195. Leonard unterscheidet in ihrer Arbeit lediglich zwischen „elite“ und „nonelite“, wobei sie unter „elite“ wohl die zünftisch-patrizische Ratselite versteht, den Begriff allerdings nicht näher erläutert, vgl. Leonard: Nails in the Wall, S. 86. 13 Vgl. Hatt: Liste des membres. 12
138
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
buch ist für den Zeitraum von 1440 bis 1530 ediert.14 Weitere Hinweise liefert Kindler von Knoblochs Goldenes Buch der Stadt Straßburg.15 Darüber hinaus sind für das 14., 15. und 16. Jahrhundert weitere prosopographische Informationen in diversen Monographien verfügbar.16 Anhand dieser Hilfsmittel wurden die bekannten Namen der Straßburger Konventualen den verschiedenen Gruppen in Bradys Gesellschaftsmodell zugeordnet. Die Problematik der prosopographischen Methode, die auf der Zuordnung zu sozialen Gruppen anhand von Namensgleichheit beruht, kann hier nicht extensiv diskutiert werden. Zuletzt hat von Heusinger für Straßburg auf Schwierigkeiten hingewiesen.17 Soweit möglich, wurden zusätzliche Informationen, die für oder gegen die Zuordnung zu einer bestimmten Familie sprachen, wie etwa die Höhe einer Mitgift oder Informationen über den Herkunftsort, hinzugezogen. Allerdings war dies aufgrund des lückenhaften Quellenmaterials nicht immer möglich, Fehler bei der Zuordnung können daher, wie zumeist bei der Arbeit mit der prosopographischen Methode, nicht völlig ausgeschlossen werden.18 Im Folgen14
Vgl. Wittmer/Meyer: Livre de bourgeoisie. Das Straßburger Bürgerbuch enthält nur die Vollbürger. Die Listen der Schultheißenbürger sind bis auf ein Buch, das die Jahre 1505, 1506 und 1507 enthält, verloren. Auch Ausbürgerlisten finden sich bis auf einen Jahrgang aus dem 14. Jahrhundert keine mehr, vgl. dazu die Einleitung von Wittmer in Livre de bourgeoisie, S. XII. Vgl. für einen knappen Überblick über die verschiedenen Formen des Straßburger Bürgerrechts Dollinger: La ville libre à la fin du Moyen Âge, S. 105ff. 15 Vgl. Kindler von Knobloch: Goldenes Buch. Das Goldene Buch enthält das von Julius Kindler von Knobloch (1842–1911), Mitglied der Badischen Historischen Kommission, zu bedeutenden Straßburger Familien und adeligen Ausbürgerfamilien gesammelte genealogische Material. 16 Vgl. für die Zünfte von Heusinger: Die Zunft im Mittelalter, S. 360ff., die 4000 namentlich bekannte Zunftmitglieder auflistet. Vgl. für die namentlich bekannten Mönche und Stifter der Bettelordenskonvente bis in das erste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts Rüther: Bettelorden, S. 369ff. Vgl. für die namentlich bekannten geistliche Frauen im Zeitraum von 1250 bis 1525 Schmitt: Geistliche Frauen, S. 506ff. Vgl. für die namentlich bekannten Nonnen der Konvente St. Katharina, St. Magdalena, St. Nikolaus und St. Margaretha im 16. Jahrhundert Leonard: Nails in the Wall, S. 157ff. Wesentlich ausführlicher ist der prosopographische Anhang der ungedruckten Version dieser Arbeit von 1999, der zusätzlich herangezogen wurde, im Folgenden zitiert als Leonard: Nuns Prosopography. Vgl. für die Pfleger der Konvente sowie für die mit Besetzung der mit Religionsangelegenheiten betrauten Ratsausschüsse im 16. Jahrhundert Abray: The People’s Reformation, S. 229ff. 17 Vgl. von Heusinger: Die Zunft im Mittelalter, zusammenfassend S. 343f. Sie verweist etwa darauf, dass sich einige Familien in einen zünftischen und einen patrizischen Zweig teilten und das Kinder und Eltern unterschiedliche Namen tragen konnten. 18 Gerade die Möglichkeit, meine Zuordnungen für die Konvente St. Nikolaus, St. Magdalena, St. Margaretha und St. Katharina mit den Ergebnissen von Leonard zu vergleichen, hat gewisse Problematiken deutlich gemacht. So ordnet Leonard etwa alle Nonnen mit dem Namen „Müller“ und „Heußler“, die im 16. Jahrhundert verbreitet waren,
6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente
139
den sollen einige Hinweise gegeben werden, die für die Interpretation der Ergebnisse von Bedeutung sind. Insgesamt konnte ich für den Zeitraum 1500 bis 1600 die Namen von 518 Konventualen der von mir bearbeiteten Klöster aus den Quellen gewinnen. Die entsprechenden Listen finden sich im prosopographischen Anhang.19 In den meisten Fällen konnten die einzelnen Personen mit einer Jahreszahl verknüpft werden, nicht selten sind auch zusätzliche Informationen wie der Herkunftsort, das Alter oder die Höhe der Pension bzw. der eingebrachten Güter bekannt sowie ob und wann die Person aus dem Kloster ausgetreten ist.20 Bezieht man die Informationen über die Größe der Konvente mit ein, scheint es wahrscheinlich, dass damit ein sehr hoher Anteil, zwischen 90 und 100% der Konventualen des 16. Jahrhunderts, namentlich bekannt ist.21 Problematischer dagegen ist die sehr unterschiedliche Greifbarkeit sozialer Gruppen mit den genannten Hilfsmitteln. Die meisten patrizischen Familien sowie die politisch aktiven Zunftfamilien sind mit den genannten Hilfsmitteln praktisch vollständig greifbar. Die in den Tabellen dargestellten Kategorien A, B, C, D und „Ratsfamilien“ bilden also in etwa den tatsächlichen prozentualen Anteil dieser Gruppen an der Gesamtgruppe ab.22 den Ratsfamilien Müller und Heußler zu, auch, wenn zusätzlich Quelleninformationen belegen, dass die Nonnen etwa als Laienschwestern oder Köchinnen im Kloster lebten und nur eine sehr geringe Mitgift eingebracht hatten, also vermutlich keiner der besser gestellten gesellschaftlichen Gruppen angehörten. Auch die mir bekannte geographische Herkunft aus Orten außerhalb Straßburgs kann dazu führen, dass zu Leonard abweichende Zuordnungen vorgenommen wurden, vgl. Leonard: Nails in the Wall, S. 157ff. 19 Das Material basiert auf den Quellen der 15 um 1500 in Straßburg existierenden Klöster. Ausgeklammert wurden unter diesen 15 mangels Quellematerial die Karmeliter und die Deutschordensritter sowie aufgrund des unsicheren Status zwischen Kloster und Stift die Frauen von St. Marx. Die sieben bekannten Namen von Wilhelmiten finden sich im Anhang, aufgrund der geringen Zahl wurden sie aber in die statistische Auswertung nicht mit einbezogen. 20 Eine wichtige Quelle für die Namen der Konventualen sind die Visitationsberichte des Rates, da hier auch jeweils vollständige Konventslisten entstanden sind. Diese Listen enthalten häufig auch Informationen über Alter und Herkunft der Personen. Aber auch Zufallsfunde in den Ratsprotokollen sowie Nekrologien oder andere Dokumente aus den Konventen selbst geben Aufschluss über die Insassen. 21 Eine Ausnahme ist St. Margaretha im ersten Viertel des Jahrhunderts. Laut der Klosterchronik lebten um 1524 49 Nonnen und Laienschwestern im Kloster, von denen aber nur 19 Namen bekannt sind, vgl. BMS Ms. 901, S. 124. Für den übrigen Zeitraum scheint aber auch für St. Margaretha die Datenlage gut zu sein. 22 Als politisch aktiv bzw. als „Ratsfamilien“ werden dabei nur diejenigen Familien eingestuft, die tatsächlich in der Generation der oder des im Kloster lebenden Konventualen aktiv waren, da es hauptsächlich um die Ermittlung möglicher politischer Einflussnahme geht. Hier besteht ein weiterer Unterschied zur Zuordnung von Leonard. Sie stuft Familien als „politically activ“ ein, die zwar im 14. oder 15. Jahrhundert im Rat saßen,
140
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
Schwieriger stellt sich die Zuordnung bei den nicht politisch aktiven Zunftfamilien sowie nicht Straßburger Familien dar. Die Möglichkeit, Personen diesen Gruppen zuzuordnen ist von zufällig über den Namen hinaus überlieferten Informationen abhängig.23 Dementsprechend können die angegebenen prozentualen Anteile der Gruppen E, F und H lediglich als Annäherung gelten. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass sich in der Gruppe X, die für manche Konvente und Zeiträume sehr groß ausfällt, vor allem nicht politisch aktive Zunftfamilien und nicht Straßburger verbergen. Des Weiteren soll hier auch darauf hingewiesen werden, dass die Fallzahlen bei der Aufgliederung der Konvente in einzelne soziale Gruppen sehr klein werden und die angegebenen prozentualen Anteile daher eher der verhältnismäßigen Orientierung dienen. In den Tabellen werden jeweils beide Werte, Anzahl und prozentualer Anteil, angegeben. 6.1.2 Die Sozialstruktur der Konvente im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts. Ein Faktor für Auflösung oder Überleben? Im Folgenden soll zunächst die Sozialstruktur der Konvente im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts bis zum für die Klöster der Stadt so entscheidenden Jahr 1525 untersucht werden. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob sich die Sozialstruktur der während der ersten Schließungswelle aufgelösten und erhaltenen Klöster signifikant unterschied, also ob möglicherweise ein Zusammenhang besteht zwischen der sozialen Herkunft der Mönche und Nonnen und den Überlebenschancen ihrer Gemeinschaften. Zunächst werden Frauen- und Männerklöster getrennt behandelt, anschließend miteinander verglichen. Die Auswertung der bekannten Namen der Straßburger Nonnen zu Beginn des 16. Jahrhunderts zeigt zunächst, dass die von Sigrid Schmitt für das 13. bis 15. Jahrhundert skizzierte Rangordnung der Klöster in etwa die gleiche geblieben ist.24 Die von ihr herausgearbeiteten Trends – wie das insgesamt immer häufigere Auftreten zünftischer Familien, besonders in den refor-
im 16. Jahrhundert aber nicht, vgl. Leonard: Nuns Prosopography, S. 261f. und Hatt: Liste des membres. 23 Ich habe mich gegen eine Zuordnung isoliert erscheinender Namen mit Hilfe des Bürgerbuchs entschieden, da mir die Gefahr falscher Zuordnungen anhand der Fülle der Namen und unterschiedlichen Herkunftsorte und des eingegrenzten Zeitraums (1440– 1530) zu groß erscheint. Nur für den Fall, dass zusätzliche Informationen über Verwandtschaften oder die Herkunft der Familie bekannt waren, habe ich das Bürgerbuch hinzugezogen, vgl. Wittmer/Meyer: Livre de Bourgeoisie. 24 Vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 73ff. Vgl. zur Bedeutung des Ansehens, mit dem die Aufnahme einer Tochter in einen Konvent mit einem bestimmten „Sozialprofil“ für die Familien verbunden war ebd., S. 326ff.
6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente
141
mierten Konventen, oder der Rückgang des Anteils hochadeliger Familien – scheinen in der Sozialstruktur von 1525 ihre Fortsetzung zu finden.25 Der gesellschaftlich exklusivste Konvent war um 1525 noch das Klarissenkloster St. Klara am Rossmarkt, mehr als die Hälfte aller Konventualen entstammte dem Patriziat. Dieser Konvent war auch attraktiv für den Landadel, so dass adelige und patrizische Familien zusammen sogar fast 60 Prozent der Nonnen stellten. Gleichzeitig weist St. Klara eine hohe Verflechtung mit den politischen Eliten auf: Über zwei Drittel der Nonnen kamen aus Ratsfamilien, fast ein Viertel der Familien gehören zu den Top Ten des Patriziats.26 Vergleichbar mit St. Klara am Rossmarkt war das Dominikanerinnenkloster St. Katharina, in dem ebenfalls ein hoher Anteil der Konventualen dem Patriziat und dem Adel entstammte und in dem zahlreiche Rats- und Top-Ten-Familien vertreten waren.27 Auch die Dominikanerinnen von St. Margaretha zählten zu denjenigen Klöstern, die ein Übergewicht patrizischer Töchter in ihren Reihen beherbergten. Zwar fiel dieser Überschuss nicht so deutlich aus wie in St. Katharina und St. Klara am Rossmarkt. Ebenso war die Verflechtung mit Ratsfamilien insgesamt etwas geringer ausgeprägt. Dafür finden sich in St. Margaretha um 1525 besonders viele Frauen, deren Familie Brady unter die Top Ten des Patriziats zählt: Etwa ein Fünftel der Konventualen entstammte dieser Gruppe.28 In den übrigen drei Klöstern St. Nikolaus, St. Magdalena und St. Klara auf dem Wert herrschte vermutlich ein deutlicher Überschuss zünftischer Konventualinnen. Schon die eindeutig den Zünften zuzuordnenden Personen ergeben ein Übergewicht (in St. Nikolaus und in St. Magdalena) oder aber ein paritätisches Verhältnis zwischen Zünften und Patriziat (in St. Klara auf dem Wert). Gleichzeitig lassen sich in St. Klara auf dem Wert und St. Magdalena eine vergleichsweise größere Anzahl von Personen als in St. Klara am Rossmarkt, St. Katharina und St. Margaretha nicht eindeutig zuordnen, so dass in diesen Konventen eine größere Anzahl von Frauen aus nicht politisch aktiven Zunftfamilien oder auswärtigen Familien ver25
Vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 73ff. Schmitt modifiziert damit die Angaben von Kothe, der für das 14. Jahrhundert davon ausgeht, dass die Frauenklöster „den Töchtern der wohlhabenden Patrizier reserviert“ waren, Kothe: Kirchliche Zustände, S. 49. 26 Gleichzeitig lag der Anteil der Nonnen, die der Gruppe X angehörten und damit wahrscheinlich nicht Straßburger Familien oder aber sozial niedriger gestellten Zunftfamilien angehörten, unter 20%, vgl. unten Tabelle 2. 27 Vgl. Tabelle 2. Vgl. für alle Namen der Konventualen den prosopographischen Anhang. 28 St. Margaretha weist einen Anteil von 36,8% an patrizischen Familien auf im Vergleich zu St. Katharina und St. Klara am Rossmarkt. Landadelige Familien finden sich keine, vgl. Tabelle 2. Hier muss aber auch noch einmal darauf hingewiesen werden, dass für St. Margaretha die Datenlage für die Jahre 1500–1525 vergleichsweise unsicher ist.
142
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
mutet werden muss.29 Sehr unterschiedlich fällt die familiäre Verflechtung mit dem Rat in diesen drei Gemeinschaften aus. Während St. Nikolaus und St. Magdalena einen vergleichsweise hohen Anteil an Töchtern aus Ratsfamilien beherbergten, sind in St. Klara auf dem Wert zu Beginn des 16. Jahrhunderts gar keine politisch aktiven Familien mehr vertreten.30 Vergleicht man nun die drei im ersten Drittel des Jahrhunderts geschlossenen Klöster (St. Klara auf dem Wert, St. Klara am Rossmarkt, St. Katharina) mit den drei fortbestehenden Konventen (St. Nikolaus, St. Magdalena, St. Margaretha), so lassen sich keine eindeutigen Merkmale der sozialen Zusammensetzung feststellen, die in einer der beiden Gruppen überwogen. Tabelle 2: Vergleich der Sozialstruktur der 1525 geschlossenen und erhaltenen Frauenklöster Geschlossene
Erhaltene
St. Kath.
St. Kl. a.R.
St. Kl. a. W.
24
34
15
Konst. A Konst. B Zünft. C Zünft. D Zünft. E Zünft. F Zünft. G N. Straß. n.n. Landadel Gesamt Straßburg
20,8% 20,8 4,2 4,2 12,5 4,2 0 4,2 4,2 25
50% 4,3 6,5 10,9 4,3 0 0 0 4,3 19,6
0% 20 0 0 13,3 6,7 0 0 0 60
66,7
76,1
Gesamt zünftisch
25
Patrizier und Adel
Bekannte Namen
Gesamt Andere 29 30
St. Magd.
St. Marg.
St. Nik.
37
19
34
23,6% 15,1 3,6 5 10,1 3,6 0 1,4 2,8 34,9
8,1% 13,5 0 13,5 5,4 5,4 0 5,4 0 48,6
26,3% 10,5 5,3 5,3 0 15,8 0 0 0 36,8
14,7% 2,9 11,8 20,6 2,9 2,9 0 11,8 0 32,4
16,4% 9 5,7 13,1 2,8 8 0 5,7 0 39,3
40
60,9
45,9
63,2
55,9
55
21,7
20
22,2
24,3
26,3
38,2
29,6
45,8
58,7
20
41,5
21,6
36,8
17,6
25,4
0
0
0
0
0
0
0
0
Vgl. Tabelle 2. Vgl. Tabelle 2.
Mittel Geschl.
Mittel Erhalt.
143
6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente
Geschlossene
Top Ten
Erhaltene
St. Kath.
St. Kl. a.R.
St. Kl. a. W.
Mittel Geschl.
St. Magd.
St. Marg.
St. Nik.
Mittel Erhalt.
8,3
23,9
0
10,7
5,4
21,1
11,8
12,7
Zwar wurden mit St. Klara am Rossmarkt und St. Katharina zwei der aus patrizischer Sicht „exklusivsten“ Konvente der Stadt geschlossen, so dass die geschlossenen Klöster im Schnitt stärker patrizisch geprägt erscheinen, doch konnte auch das fortbestehende St. Margaretha einen vergleichbar hohen Anteil an patrizischen Familien aufweisen und überbot St. Katharina sogar noch, was den Anteil der Top-Ten-Familien betrifft. Auch ist der Anteil der Rats- und Top-Ten-Familien in beiden Gruppen im Mittel etwa gleich groß.31 Die Untersuchung des Verhaltens der Patrizier innerhalb der überlebenden Konvente weist ebenfalls darauf hin, dass Mitglieder dieser Gruppe nicht grundsätzlich für die Auflösung der Klöster verantwortlich gemacht werden können. Nachdem 1525 der Rat im Mai einen Befehl an alle Nonnen erlassen hatte, die Klöster zu verlassen, traten tatsächlich fast alle Nonnen aus den Klöstern aus. Eine Liste dieser Konventualinnen ist aus St. Nikolaus überliefert. Sie lässt sich vergleichen mit der Liste derjenigen Frauen, die nach der Rücknahme des Befehls wenige Wochen später in den Konvent zurückkehrten.32 Dieser Vergleich ergibt, dass in St. Nikolaus der Anteil patrizischer Töchter unter den zurückgekehrten Nonnen sogar etwas höher war als unter den endgültig ausgetretenen Frauen.33 Lediglich Töchter aus Ratsfamilien – patrizische wie zünftische – kehrten zu einem deutlich geringeren Anteil zurück. Ähnliches lässt sich in St. Margaretha beobachten. Hier bleibt der Anteil patrizischer Töchter, wie auch die Sozialstruktur des Konventes insgesamt, nach 1525 zunächst konstant. Das Ausbleiben der Ratstöchter lässt sich allerdings nicht bestätigen.34
31
Vgl. Tabelle 2. Die Listen finden sich teilweise doppelt in AMS II, 39/11; AMS II, 41–42a/1; AMS II, 41–42b/2 und AMS II, 41–42a/10. 33 Vgl. Tabelle 3. 34 Vgl. dazu im folgenden Unterkapitel die Tabelle 13. 32
144
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
Tabelle 3: Gegenüberstellung der 1525 endgültig ausgetretenen und der wieder zurückgekehrten Nonnen von St. Nikolaus 1525 endgültig ausgetreten
%
Zurückgekehrt
%
34 5 1 4 7 1 1 0 4 11
14,7 2,9 11,8 20,6 2,9 2,9 0 11,8 32,4
15 3 0 0 3 0 2 0 3 4
20 0 0 20 0 13,3 0 20 26.7
19
55,9
8
53,3
Gesamt zünftisch
13
38,2
5
33,3
Gesamt patrizisch
6
17,6
3
20
Gesamt Andere Ratsfamilien Top Ten
0 16 4
0 47,1 11,8
0 3 2
0 20 13,3
Gesamt Konst. A Konst. B Zünft. C Zünft. D Zünft. E Zünft. F Zünft. G N. Straß. n.n. Gesamt Straßburg
Des Weiteren könnte der scheinbar unterschiedliche Widerstandsgeist patrizisch und zünftisch dominierter Konvente auch dritten Merkmalen geschuldet sein. So konnte Sigrid Schmitt, wie bereits erwähnt, feststellen, dass die Einführung der Reform des 15. Jahrhunderts zu einer Veränderung der Sozialstruktur in den Konventen führte und die damit einhergehende strengere Lebensform patrizische Familien zum Rückzug aus diesen Klöstern bewog.35 Möglich ist also, dass nur scheinbar das entscheidende Merkmal für das Überleben der Klöster die zünftische Dominanz unter den Konventualen war, eigentlich aber die Reform das Überleben der Gemeinschaften beeinflusste. In Straßburg waren es die drei reformierten Frauenklöster, die fortbestanden.36
35
Vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 73ff. Barbara Henze vermutet hingegen, dass sich der Bruch des Adelsmonopols in landsässigen Klöstern im Zuge der Reformen des 15. Jahrhunderts negativ auf die Überle36
6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente
145
Bei allen Unterschieden im Detail müssen außerdem insgesamt die Gemeinsamkeiten aller Straßburger Frauenklöster zu Anfang des 16. Jahrhunderts betont werden. So gibt es keine rein zünftischen oder rein patrizischen Konvente und auch keine Gemeinschaften, in denen sich ausschließlich die politisch aktiven Eliten versammelten. Insgesamt ist also wahrscheinlich das Verhältnis der unterschiedlichen sozialen Gruppen in den weiblichen Gemeinschaften nur in geringem Maße ausschlaggebend gewesen für die Überlebenschancen eines Klosters im Jahr 1525.37 Auch für die männlichen Bettelordenskonvente lässt sich eine soziale Hierarchie festlegen, die mit von Rüther herausgearbeiteten Tendenzen des späten Mittelalters korrespondiert. Zwar weist Rüther das Urteil von Pfleger zurück, die Franziskaner seien die „Lieblinge der niederen Klassen“ gewesen, während die Dominikaner das „höhere Bürgertum“ angezogen hätten.38 Er stellt vielmehr heraus, dass die Sozialstruktur aller Bettelordenskonvente in Straßburg im späten Mittelalter diversifiziert gewesen sei.39 Die prosopographische Untersuchung Rüthers für den Dominikanerkonvent im 14. Jahrhundert zeigt dennoch eine tendenziell, wenn auch nicht exklusiv patrizische Ausrichtung.40 Ebenso wie in den Frauenklöstern zeichnete sich aber auch bei den Dominikanern bereits im 15. Jahrhundert
benschancen der Klöster in der Reformationszeit auswirkte, da diese so mächtige Alliierte verloren, vgl. Henze: Orden und ihre Klöster, S. 96f. 37 Zu diesem Schluss kommt unter Betrachtung der Konvente St. Magdalena, St. Nikolaus, St. Margaretha und St. Katharina auch Amy Leonard, vgl. Leonard: Nails in the Wall, S. 87. 38 Pfleger: Kirchengeschichte, S. 76. Sydow stellt hierzu fest, die Prediger hätten sich mit ihren theologisch raffinierteren Predigten eher an „gehobenere Schichten“ gewandt, während die Franziskaner sich auch in der Predigt an den Bedürfnissen der weniger gebildeten Bevölkerung orientierten. Was die Rekrutierung betrifft, stellt er fest, dass die Oberschichten zwar im Verlauf des 15. Jahrhunderts den Bettelorden als Stifter treu blieben, die Zahl der Ordensmitglieder aus dem Patriziat aber abnahm, vgl. Sydow: Bürgerschaft und Kirche, S. 23. 39 Vgl. Rüther: Bettelorden, S. 119. So auch schon Kothe: Kirchliche Zustände Straßburgs, S. 42f. Beide Arbeiten beziehen sich dabei sowohl auf die soziale Zusammensetzung der Gemeinschaften wie auch auf die familiäre Herkunft der Stifter. Bei Rüther werden beide Kategorien leider nicht immer sauber getrennt, vgl. Rüther: Bettelorden, S. 119ff. Ob es tatsächlich grundsätzlich unterschiedliche Ausrichtungen der Sozialstruktur zwischen Franziskanern und Dominikanern gegeben hat, ist in der Forschung noch nicht abschließend geklärt worden, vgl. auch Wehrli-Johns: Zürcher Predigerkonvent, S. 55ff. 40 Rüther ordnet von 110 bekannten Brüdern zwischen 1330 und 1393 30 dem Patriziat (27,3%) und 20 dem Handwerk (18,2%) zu, vgl. Rüther: Bettelorden S. 120f. Vgl. auch Turck: Recrutement, S. 45ff.
146
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
eine Zunahme zünftischer Familienmitglieder in der Gemeinschaft ab.41 Diese Entwicklung setzte sich im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts fort. Tabelle 4: Sozialstruktur des Dominikanerkonvents 1500–1530
Bekannte Namen Konst. A Konst. B Zünft. C Zünft. D Zünft. E Zünft. F Zünft. G N. Straß. Landadel n.n. Gesamt Straßburg Gesamt zünftisch Gesamt patrizisch Gesamt Andere Ratsfamilien Top Ten
1500–1530
%
29 1 1 1 1 1 4 0 5 0 15 9 7 2 0 3 0
3,4 3,4 3,4 3,4 3,4 13,8 0 17,2 0 51,7 31 24,1 6,9 0 10,3 0
Patrizische Familien sind zu Beginn des 16. Jahrhunderts nur noch durch zwei Mitglieder bei den Predigern vertreten, während der zünftische Anteil an der Gemeinschaft mindestens ein Viertel betrug.42 Weitere zünftische Mitglieder könnten sich erneut in der Gruppe derjenigen verstecken, die sich nicht zuordnen lassen und die hier über die Hälfte der Konventualen ausmachten. Anders als in den Frauenkonventen kann man aufgrund des studium generale, das Teil des Straßburger Konventes war, und aufgrund der größeren Mobilität der Mönche sicher von einem hohen Anteil auswärtiger Brüder ausgehen. Unter den mobilen Dominikanern herrschte eine hohe Fluktuation, Professen gingen auf Predigt- oder Studienreisen, auswärtige Mönche wurden für einige Zeit im Kloster beherbergt.43 Pfleger urteilt: „Das ganze Rheinland von Köln bis Basel finden wir bei den Do41
Vgl. Rüther: Bettelorden, S. 122ff. Zu überlegen wäre, ob dieser Rückgang patrizischer Söhne zusammenhing mit neuen Karrierewegen, etwa an den immer zahlreicheren Universitäten, die sich im 15. Jahrhundert für patrizische Söhne eröffneten. 42 Vgl. Tabelle 4. 43 Vgl. Rüther: Bettelorden, S. 160.
147
6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente
minikanern Straßburgs vertreten.“44 Die familiäre Verflechtung mit den politischen Eliten der Stadt war dementsprechend im Vergleich zu den Frauenklöstern gering. Im 14. Jahrhundert noch vorwiegend patrizisch besetzt, zumindest unter den Straßburger Konventualen,45 entwickelte sich der Konvent der Augustiner bis zum Jahr 1500 ähnlich wie die Gemeinschaft der Dominikaner. Auch hier traten zunehmend die Zünfte in den Vordergrund. Für die Jahre 1500 bis 1534 lassen sich keine patrizischen Familienangehörigen mehr im Konvent nachweisen.46 Tabelle 5: Sozialstruktur des Augustinerklosters 1500–1534
Bekannte Namen Konst. A Konst. B Zünft. C Zünft. D Zünft. E Zünft. F Zünft. G N. Straß. Landadel n.n. Gesamt Straßburg Gesamt zünftisch Gesamt patrizisch Gesamt Andere Ratsfamilien Top Ten
1500–1534
%
23 0 0 1 3 1 2 2 4 0 10 9 7 0 2 4 0
0 0 4,3 13 4,3 8,7 8,7 17,4 0 43,5 39,1 30,4 0 8,7 17,4 0
Etwas mehr als die Hälfte der Zunftangehörigen stammte aber aus Ratsfamilien. Gleichzeitig ist, wie bei den Dominikanern, der Anteil auswärtiger Mönche sehr hoch.
44
Pfleger: Kirchengeschichte, S. 79. Rüther widerspricht hier Kothe, der den Konvent als Zunftdomäne einordnet. Auf diesen Widerspruch geht Rüther nicht näher ein, vgl. Rüther: Bettelorden, S. 123, vgl. Kothe: Kirchliche Zustände, S. 43. 46 Vgl. Tabelle 5. 45
148
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
Auch im Barfüßerkonvent lebten offenbar im 14. und 15. Jahrhundert patrizische und zünftische Straßburger Söhne gemeinsam, wobei hier ebenfalls im 14. Jahrhundert ein Überschuss an Patriziern zu verzeichnen war, der sich im 15. Jahrhundert aufzulösen begann.47 Zu Anfang des 16. Jahrhunderts finden sich keine Patrizier mehr im Konvent. Allerdings stammten diejenigen zünftischen Familien, die bei den Franziskanern vertreten waren, anders als im Augustinerkloster, eher aus den weniger einflussreichen Zünften und aus nicht politisch aktiven Familien. Insgesamt findet sich nur ein Mönch im Zeitraum von 1500 bis 1525, der aus einer Ratsfamilie stammte.48 Tabelle 6: Sozialstruktur des Franziskanerklosters 1500–1525
Bekannte Namen Konst. A Konst. B Zünft. C Zünft. D Zünft. E Zünft. F Zünft. G N. Straß. Landadel n.n. Gesamt Straßburg Gesamt zünftisch Gesamt patrizisch Gesamt Andere Ratsfamilien Top Ten
1500–1525
%
20 0 0 1 0 4 2 0 5 0 8 7 7 0 0 1 0
0 0 5 0 20 10 0 25 0 40 35 35 0 0 5 0
In der Kartause und in der Johanniterkommende waren Straßburger traditionell zu einem noch geringeren Anteil als in den Bettelordenskonventen vertreten. Barth stellt für die Kartause fest: „Die Insassen [...] waren grösstenteils Nichtelsässer.“49 Zwar genoss die Kartause offenbar noch bis zum 47
Vgl. Kothe: Kirchliche Zustände, S. 43 und Rüther: Bettelorden, S. 122. Rüther stellt gleichzeitig fest, dass die Stifter von Anfang an vorwiegend aus dem Zunftbürgertum stammten, vgl. ebd. 48 Vgl. Tabelle 6. 49 Barth: Elsässische Kirchen, Sp. 1423.
149
6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente
Ende des 15. Jahrhunderts in der Stadt ein großes Ansehen. So illustre Patrizierfamilien wie die Wetzel, die Andlau, die Bulach, die Uttenheim, die Müllenheim, die Zorn, die Bock, die Böcklin, die Sturm und die Kageneck nutzten das Kloster als Grablege.50 Auch als Adressat von Schenkungen, Stiftungen und Seelgeräten war die Kartause offenbar beliebt unter den besser gestellten Schichten der Stadt.51 Die Mönche selbst allerdings entstammten selten der städtischen Gemeinschaft, Passmann spricht davon, dass unter ihnen viele „nordischer Herkunft“ gewesen seien.52 Die Feststellung, dass die Kartause vornehmlich außerhalb Straßburgs rekrutierte, wird durch die Liste der Konventsmitglieder bestätigt, die sich im Schirmvertrag zwischen der Kartause und der Stadt von 1525 findet und die die Basis bildet für die aus dem Zeitraum 1500–1525 bekannten Namen.53 Tabelle 7: Sozialstruktur der Kartause 1500–1525
Bekannte Namen Konst. A Konst. B Zünft. C Zünft. D Zünft. E Zünft. F Zünft. G N. Straß. Landadel n.n. Gesamt Straßburg Gesamt zünftisch Patrizier und Adel Gesamt Andere Ratsfamilien Top Ten
50
1500–1525
%
31 0 0 2 1 0 1 0 14 0 13 4 4 0 0 3 0
0 0 6,5 3,2 0 3,2 0 45,2 0 41,9 12,9 12,9 0 0 9,7 0
Vgl. Passmann: Kartause I, S. 119. Vgl. Passmann: Kartause IV, S. 144. 52 Passmann: Kartause IV, S. 143f. Passmann nennt allerdings keine Quellen. Auch Pfleger gibt an, die Straßburger Kartäuser hätten „meist aus dem nördlichen Deutschland“ rekrutiert, vgl. Pfleger: Kirchengeschichte, S. 84f. Vgl. zum Stand um 1525 Tabelle 7. 53 Vgl. ADBR G 1686, 1, S. 1. 51
150
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
So stammten von den 31 bekannten Mönchen, die zwischen 1500 und 1525 in der Kartause lebten, überhaupt nur vier eindeutig aus Straßburger Familien. Diese vier Mönche gehörten dem Zunftbürgertum an, drei von ihnen stammten aus Ratsfamilien. Die von Passmann postulierte, vorwiegend norddeutsche Herkunft lässt sich anhand der aus der Liste im Schirmvertrag von 1525 bekannten Herkunftsorte allerdings nicht bestätigen. Die Mönche, deren Herkunftsorte bekannt sind, kommen tatsächlich eher aus dem südlichen und südwestlichen Reich54. Die Johanniter schließlich könnten im 16. Jahrhundert auch als der unbekannte Konvent bezeichnet werden. Mit einem Anteil von 66,7% für das erste Viertel des Jahrhunderts und sogar 82,8% für den Rest des Jahrhunderts ist die Zahl der nicht verortbaren Personen so groß, dass es kaum möglich ist, eine zuverlässige Aussage über das Haus zu treffen. Es lässt sich lediglich feststellen, dass höchst wahrscheinlich kaum Straßburger in der Kommende vertreten waren.55 Interessant ist allerdings, dass sich sowohl zwischen 1500 und 1525 als auch zwischen 1525 und 1633 einige wenige Namen finden, die sich Straßburger Zunftfamilien zuordnen lassen.56 Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, als dass der Konvent in der älteren Literatur – die allerdings spärlich ist – als exklusiv patrizisch bezeichnet wurde.57 Doch schon unter den Konventualen, die Rödel für 1495, den Zeitpunkt der ersten von ihm untersuchten Visitation nennt, finden sich Namen, die zwar den Händlerzünften, nicht aber den Konstofeln zugeordnet werden können.58 Unter 54
Die angegebenen Herkunftsorte sind Resbach, Brück, Minheim, Mühlnheim, Calw bei Pforzheim und Speyer, vgl. ADBR G 1686/1. 55 Vgl. dazu Tabelle 8 sowie im folgenden Unterkapitel Tabelle 10. 56 Es handelt sich um die Mönche Johann Mesinger († 1527), Laurenz Meyer (1599), Wilhelm Waldeck († 1638), Alexander von Villingen (ausgetreten 1525) und Konrad Wannenmeyer (Komtur, † 1610), vgl. Prosopographie sowie Tabelle 8 und unten Tabelle 10. 57 Vgl. Kothe: Kirchliche Zustände, 103ff. Kothe beruft sich auf die Arbeiten von Grandidier (1752–1787, alle Werke erst posthum zwischen 1865 und 1900 erschienen), der feststellte, die Kommende sei dem Patriziat vorbehalten gewesen, das heißt allen, die nachweisen konnten, dass weder Eltern noch Großeltern ein Handwerk ausgeübt hatten, vgl. Grandidier: Nouvelle œuvres inédites. Kothe selbst stellt ebenfalls fest, dass Stifter wie Bewohner im Mittelalter exklusiv patrizisch gewesen seien, vgl. Kothe: Kirchliche Zustände, S. 105f. Pfleger äußert sich nicht zur sozialen Zusammensetzung des Klosters, sondern bemerkt nur, dass die Pfleger der Johanniter nach dem Willen des Gründers Rulman Merswin aus dem Patriziat stammen mussten, vgl. Pfleger: Kirchengeschichte, S. 84. 58 Vgl. Rödel: Großpriorat Deutschland, S. 184. 1495 findet sich etwa ein Martin Melbroech. Die Melbroech oder Melbrüge waren eine wohlhabende Straßburger Händlerfamilie, die allerdings nicht einer Konstofel, sondern der Zunft der Kornköffer angehörte. Auch ein Philipp Sybotter findet sich, ein Name, der einer politisch aktiven Goldschmie-
151
6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente
den 1495 im Kloster lebenden Mönchen kann vielmehr nur ein Name, Conrad Wolf, einer Konstoflerfamilie zugeordnet werden.59 Tabelle 8: Die Sozialstruktur der Johanniterkommende zwischen 1500 und 1525
Bekannte Namen Konst. A Konst. B Zünft. C Zünft. D Zünft. E Zünft. F Zünft. G N. Straß. Landadel n.n. Gesamt Straßburg Gesamt zünftisch Patrizier und Adel Gesamt Andere Ratsfamilien Top Ten
1500–1525
%
33 0 1 1 0 1 0 0 8 0 22 3 2 1 0 2 0
0 3 3 0 3 0 0 24,2 0 66,7 9,1 6,1 3 0 6,1 0
Dafür, dass die patrizische Exklusivität, die vom Gründer sicherlich vorgesehen war, schon in den Jahrzehnten vor der Reformation aufgeweicht worden war und das Haus zumindest auch für Angehörige der reicheren Zünfte geöffnet wurde, sprechen weitere Hinweise. 1529 etwa forderte der Rat anlässlich der Neuwahl eines Johanniterpflegers von den beiden patrizischen Amtsinhabern in Abweichung von der bisherigen Regelung, nun auch einen Zünftigen hinzuzuziehen.60 Die beiden Pfleger, Hans Bock und Ludwig Böcklin, widersetzten sich zwar, der Rat dekretierte aber wenig später, dass in Zukunft immer zwei Pfleger aus den Zünften oder zumindest dem Rat stammen müssten und nur noch ein Pflegerposten den derfamilie zugeordnet werden kann. Thomas Gyger könnte der Familie Giger/Geyger angehören, eine Familie, die ebenfalls in den höhergestellten Händlerzünften zu finden ist, vgl. für alle: Hatt: Liste des membres. Rödel liefert keine Einordnung der Namen. 59 Vgl. Rödel: Großpriorat Deutschland, S. 184. Eine Familie Wolf findet sich allerdings auch unter den Händlerzünften, vgl. Hatt: Liste des membres, S. 573f. 60 Vgl. AMS AST 35/5 (7. Januar 1529).
152
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
Konstofeln reserviert sein sollte.61 Für eine Verankerung eher im Milieu der reichen Händler und Zünfte spricht auch, dass diejenigen ausgetretenen Johanniter, die das Bürgerrecht kauften, keineswegs den Weg in die Konstofeln fanden, sondern mit den Zünften dienten.62 Möglicherweise zeigt sich hier der von Brady postulierte starke Zusammenhalt zwischen den Gruppen der Konstofler und der reichen Händler und Patrizier, so dass der Standesunterschied nur noch im Falle der Verteidigung alter Rechte, wie im Zuge der Besetzung eines Pflegeramtes, relevant wurde.63 Die Frage nach der Zugehörigkeit einzelner Johanniter zum Zunftbürgertum sollte aber nicht den Blick darauf verstellen, was die Kommende im 16. Jahrhundert vor allem charakterisierte, nämlich höchstwahrscheinlich eine insgesamt sehr geringe familiäre Verflechtung mit der Stadt und ihren Eliten. Vergleicht man die Sozialstruktur der drei geschlossenen Konvente (Augustiner, Barfüßer und Dominikaner) mit der Sozialstruktur der beiden überlebenden Konvente (St. Johann und Kartause), so ist der auffälligste Unterschied die bei weitem geringere familiäre Anbindung an die städtische Gesellschaft in den beiden überlebenden Konventen. Ob die familiäre Einbindung ausschlaggebend war für die Entscheidung der Augustiner, Barfüßer und Dominikaner, die Klöster dem Rat zu übergeben oder ob hier vielmehr die Gemeinsamkeiten als Bettelordensklöster überwogen, lässt sich allerdings nur schwer sagen. Möglich ist, dass Mönchen, die aus städtischen Familien stammten, der Weg einer Übergabe der Klostergüter in die Hand ihrer den Rat lenkenden Familienmitglieder nahe liegender erschien, als einer Gemeinschaft, die zwar Stiftungen von Bürgern empfangen hatte, die allerdings keine persönlichen Verbindungen zur politischen Elite der Stadt hatte. Denkbar ist auch, dass Johanniter und Kartäuser, die über Jahrhunderte hinweg Rekrutierungsstrukturen aufgebaut hatten, die unabhängig waren von der Gunst der Straßburger Bevölkerung, nach 1525 weniger Schwierigkeiten hatten, neue Mitglieder anzuwerben, als diejenigen Konvente, die sich stärker auf die städtische Gemeinschaft stützten. Die Intensität der Verflechtung der Konvente mit der Straßburger Bevölkerung macht außerdem – und das ist wenig überraschend – auch den wichtigsten Unterschied zwischen Männer- und Frauenkonventen im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts aus. Während in den Frauenklöstern etwa die Hälfte bis zu zwei Drittel der Nonnen eindeutig Straßburger Familien zu-
61
Vgl. AMS AST, 35/5 (23. April 1529). Vgl. die Einträge ausgetretener Johanniter in Wittmer/Meyer: Livre de Bourgeoisie, Nr. 8012, Nr. 8062, und Nr. 7513. 63 Vgl. Brady: Ruling Class, S. 195. 62
6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente
153
geordnet werden können,64 sind es in den Männerklöstern lediglich zwischen circa zehn und 40 Prozent.65 De facto fiel die Differenz wohl noch größer aus, da sich vermutlich unter den Nonnen der Gruppe X mehr Straßburger verstecken, als unter den Mönchen derselben Kategorie. Gleichzeitig lässt sich bei den Frauen insgesamt ein höherer Anteil patrizischer Familien feststellen. Übergreifende Merkmale, die geschlossene Männer- und Frauenkonvente gegenüber fortbestehenden Männer- und Frauenkonventen gemeinsam hätten, lassen sich keine finden. 6.1.3 Der Wandel der Sozialstruktur der fortbestehenden Konvente im Verlauf des 16. Jahrhunderts Da sowohl in der Johanniterkommende als auch in der Kartause die Herkunft eines Großteils der Mönche unbekannt ist, lassen sich auch über die Entwicklung der Sozialstruktur der beiden Klöster im Verlauf des 16. Jahrhunderts nur sehr bedingt Aussagen machen. Zu beobachten ist jedoch, dass die wenigen Kartäuser aus Straßburger Familien, die sich im ersten Viertel des Jahrhunderts noch feststellen ließen, nach 1525 völlig verschwanden. Die Verflechtung mit den politischen Eliten der Stadt sank dementsprechend auf Null. Gleichzeitig wuchs der Anteil derer, die sich eindeutig Herkunftsorten außerhalb Straßburgs zuordnen lassen.66 Dieser generelle Eindruck bestätigt sich punktuell im Bericht über eine Visitation des Rates aus dem Jahr 1540. In diesem Jahr befanden sich nur noch fünf Mönche im Kloster. Der Pfleger der Kartause, Daniel Mieg, stellte fest, dass keine Straßburger Professen anwesend seien, drei seien auswärtige Brüder, die mit Wissen der Pfleger im Kloster lebten, unter ihnen der spätere Prior Michael Bacharach. Die beiden anderen Mönche, die er antraf, kannte der Pfleger nicht.67
64
Vgl. Tabelle 2. Vgl. die Tabellen 4 bis 8. 66 Vgl. Tabelle 9. 67 Vgl. AMS AST 36/5, fol. 42r f. 65
154
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
Tabelle 9: Die Veränderung der Sozialstruktur der Kartause im 16. Jahrhundert 1500–1525 Bekannte Namen Konst. A Konst. B Zünft. C Zünft. D Zünft. E Zünft. F Zünft. G N. Straßb. Landadel n.n. Gesamt
%
31
1525–1600
%
Veränderung %
19
0 0 2 1 0 1 0 14 0 13 4
0 0 6,5 3,2 0 3,2 0 45,2 0 41,9 12,9
0 0 0 0 0 0 0 12 0 7 0
0 0 0 0 0 0 0 63,2 0 36,8 0
0 0 -6,5 -3,2 0 -3,2 18 0 -5,1 -12,9
Gesamt zünftisch
4
12,9
0
0
-12,9
Patrizier und Adel
0
0
0
0
0
Gesamt Andere
0
0
0
0
0
Ratsfamilien
3
9,7
0
0
-9,7
Top Ten
0
0
0
0
0
Wenig änderte sich in der Johanniterkommende. Eine geringe Anzahl von Personen, die Straßburger Familien zugeordnet werden können, lässt sich aber bis zum Abriss der Gebäude der Kommende 1633 noch in der Gemeinschaft finden. Der Anteil derer, die eindeutig Herkunftsorten außerhalb Straßburgs zugeordnet werden können, sinkt in dem Maße, indem der X-Wert steigt, hier handelt es sich also um ein Quellenproblem.68
68
Vgl. Tabelle 10.
155
6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente
Tabelle 10: Die Veränderung der Sozialstruktur der Johanniterkommende 1500–1525 Bekannte Namen Konst. A Konst. B Zünft. C Zünft. D Zünft. E Zünft. F Zünft. G N. Straß. Landadel n.n.
%
33
1525–1633
%
Veränderung %
29
0 1 1 0 1 0 0 8 0 22
0 3 3 0 3 0 0 24,2 0 66,7
0 0 2 0 1 0 0 2 0 24
0 0 6,9 0 3,4 0 0 6,9 0 82,8
0 -3 3,9 0 0,4 0 0 -17,3 0 16,1
Gesamt Straßburg
3
9,1
3
10,3
1,3
Gesamt zünftisch
2
6,1
3
10,3
4,3
Patrizier und Adel
1
3
0
0
-3
Gesamt Andere Ratsfamilien Top Ten
0 2 0
0 6,1 0
0 2 0
0 6,9 0
0 0,8 0
Wegen dieses außerordentlich hohen Wertes von sozial nicht verortbaren Bewohnern der Kommende ist es auch kaum sinnvoll, über Veränderungen in der Sozialstruktur des Klosters zu spekulieren. Wesentlich umfangreicher ist wiederum das für die fortbestehenden Frauenklöster vorliegende Material. Eine erste Auswertung findet sich schon bei Leonard, die vor allem feststellt, dass diejenigen Familien, die sie der „Elite“ zuordnet, also vor allem zünftische und patrizische Ratsfamilien, bis zum Ende des 16. Jahrhunderts fortfahren, Töchter in den drei verbliebenen Frauenkonventen unterzubringen.69 Betrachtet man die Konvente einzeln und unterscheidet zwischen verschiedenen Phasen des 16. Jahrhunderts, so lassen sich dieser Beobachtung einige Ergänzungen und Modifikationen hinzufügen. Auffällig ist vor allem, dass sich sowohl patrizi-
69
Vgl. Leonard: Nails in the Wall, S. 85ff.
156
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
sche als auch zünftische Familien, besonders die im Rat aktiven, immer stärker aus den Klöstern zurückziehen. In St. Nikolaus verläuft diese Entwicklung besonders kontinuierlich. Zwar lässt sich Leonards Aussage bestätigen, dass die Klöster gegen Ende des 16. Jahrhunderts auch von patrizischen und zünftischen Ratsbürgern noch beschickt wurden. Ihr Anteil an den Gemeinschaften wird allerdings immer geringer. Tabelle 11: Veränderungen der Sozialstruktur von St. Nikolaus im Verlauf des 16. Jahrhunderts70 1500– 1525 Bekannte Namen Konst. A Konst. B Zünft. C Zünft. D Zünft. E Zünft. F Zünft. G N. Straßb. n.n. Straßburger Zünftige Patrizier Andere Ratsfamilien Top Ten
34 5 1 4 7 1 1 0 4 11 19 13 6 0 16 4
%
14,7 2,9 11,8 20,6 2,9 2,9 0 11,8 32,4 55,9 38,2 17,6 0 47,1 11,8
1525– 1555 27 3 1 1 4 0 2 1 7 8 12 7 4 1 8 2
%
11,1 3,7 3,7 14,8 0 7,4 3,7 25,9 29,6 44,4 25,9 14,8 3,7 29,6 7,4
1555– 1592 48 1 0 3 2 3 2 1 14 20 14 12 1 0 6 1
%
Veränderung
2,1 0 6,3 4,2 6,3 4,2 2,1 29,2 41,7 29,2 25 2,1 0 12,5 2,1
-12,6 -2,9 -5,5 -16,4 3,3 1,2 2,1 17,4 9,3 -26,7 -13,2 -15,6 0 -34,6 -9,7
So sanken der Anteil patrizischer Familien in St. Nikolaus zwischen 1525 und 1600 von etwa 18 auf zwei Prozent, der Anteil zünftischer Familien von knapp 40 Prozent auf ein Viertel und der Anteil von Ratsfamilien von circa 47 auf 13 Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil von Frauen aus Familien der weniger einflussreichen Zünfte, die nicht politisch aktiv waren, an. Deutlich wuchs aber vor allem auch der Anteil von nicht Straßburgern, der 70
Die Phaseneinteilung ergibt sich aus der bereits skizzierten Entwicklung der Ratspolitik. Während der Rat von 1525 bis 1555 die Strategie verfolgte, die Klöster aussterben zu lassen, sollten die Nonnen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nach einer evangelischen Klosterordnung leben.
157
6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente
sich fast verdreifachte. Sicher Straßburger Familien zuzuordnen sind gegen Ende des Jahrhunderts nur noch ein Drittel der Nonnen von St. Nikolaus.71 Dieselbe Tendenz ist auch in St. Margaretha und St. Magdalena zu beobachten, setzt hier allerdings später ein. So veränderte sich im Kloster der Reuerinnen zur Jahrhundertmitte hin das Verhältnis von zünftischen und patrizischen Nonnen sogar zunächst zu Gunsten der Patrizierinnen, der Anteil an Ratsfamilien stieg. Bis zum Ende des Jahrhunderts lässt sich aber dieselbe Entwicklung wie in St. Nikolaus beobachten. Patrizische Töchter verschwanden nun völlig aus der Gemeinschaft, während der Anteil der Frauen aus nicht politisch aktiven Zunftfamilien ebenso deutlich stieg wie der Anteil auswärtiger Frauen.72 Tabelle 12: Veränderung der Sozialstruktur von St. Magdalena im Verlauf des 16. Jahrhunderts 1500– 1525 Bekannte Namen Konst. A Konst. B Zünft. C Zünft. D Zünft. E Zünft. F Zünft. G N. Straß. Landadel n.n.
%
37
1525– 1555
%
31
1555– 1600
%
Veränderung
17
3 5 0 5 2 2 0 2 0 18
8,1 13,5 0 13,5 5,4 5,4 0 5,4 0 48,6
4 3 1 4 0 0 0 0 0 19
12,9 9,7 3,2 12,9 0 0 0 0 0 61,3
0 0 0 2 0 2 0 4 2 7
0 0 0 11,8 0 11,8 0 23,5 11,8 41,2
-8,1 -13,5 0 -1,7 -5,4 6,4 0 18,1 11,8 -7,5
Gesamt Straßburg
17
45,9
12
38,7
4
23,5
-22,4
Gesamt zünftisch
9
24,3
5
16,1
4
23,5
-0,8
Gesamt patrizisch
8
21,6
7
22,6
0
0
-21,6
Gesamt Andere Ratsfamilien Top Ten
0 8 2
0 21,6 5,4
0 9 3
0 29 9,7
0 2 0
0 11,8 0
0 -9,9 -5,4
71 72
Vgl. Tabelle 11. Ebenso die Feststellung von Leonard, vgl. Nails in the Wall, S. 87. Vgl. Tabelle 12.
158
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
Ähnlich, aber insgesamt noch stärker ausgeprägt, lässt sich eine patrizische Dominanz um die Jahrhundertmitte in St. Margaretha beobachten. Da sich hier der Beginn des verstärkten Eintritts patrizischer Töchter in den Quellen genauer bestimmen lässt, wurde eine leicht veränderte zeitliche Gliederung zugrunde gelegt.73 Während sich nach 1525, wie bereits erwähnt, die Sozialstruktur in kleinerem Maßstab zunächst replizierte, fällt um 1545 eine starke Veränderung der sozialen Zusammensetzung auf. Da zu dieser Zeit praktisch keine weiteren zünftischen Nonnen eintraten, wurde der Konvent zu einer fast exklusiv patrizisch-adeligen Gruppe. Der Anteil der Top-Ten-Familien an der Gemeinschaft stieg sogar vom ohnehin zu Beginn des Jahrhunderts vergleichsweise hohen Niveau noch weiter an auf über ein Drittel. Überraschend ist auch, dass der prozentuale Anteil derer, die sich eindeutig als Straßburger bestimmen lassen, sogar noch stieg.74 Tabelle 13: Veränderung der Sozialstruktur in St. Margaretha im Verlauf des 16. Jahrhunderts 1500– 1525 Bekannte Namen Konst. A Konst. B Zünft. C Zünft. D Zünft. E Zünft. F Zünft. G N. Straßb. Landadel n.n. Gesamt Straßburg
73
%
19
1525– 1544
%
15
1545– 1580
%
19
1592/ 159475
%
Differenz76
23
5 2 1 1 0 3 0 0 0 7
26,3 10,5 5,3 5,3 0 15,8 0 0 0 36,8
4 1 1 1 0 3 0 0 0 5
26,7 6,7 6,7 6,7 0 20 0 0 0 33,3
8 5 0 0 0 0 0 3 1 2
42,1 26,3 0 0 0 0 0 15,8 5,3 10,5
2 1 0 0 1 3 0 14 0 2
8,7 4,3 0 0 4,3 13 0 60,9 0 8,7
-17,6 -6,2 -5,3 -5,3 4,3 -2,7 0 60,9 0 -28,1
12
63,2
10
66,7
13
68,4
7
30,4
-32,7
Vgl. für eine Auswertung der ergänzenden Quellen und einer ausführlichen Diskussion der Gründe unten. 74 Vgl. Tabelle 13. 75 Da für die Jahre 1592 und 1594 Listen vorliegen, die praktisch alle bekannten Namen für das letzte Viertel des 16. Jahrhunderts enthalten, wird hier auf dieses einzelne Datum zurück gegriffen, vgl. AMS II, 7/19 und AMS II, 39/18, Nr. 3. 76 Dargestellt ist hier die Veränderung von 1592 im Vergleich zum Zeitraum 1500– 1525.
159
6.1 Die Sozialstruktur der Straßburger Konvente
1500– 1525
%
1525– 1544
%
1545– 1580
%
1592/ 159477
%
Differenz78
Gesamt zünftisch
5
26,3
5
33,3
0
0
4
17,4
-8,9
Patrizier und Adel
7
36,8
5
33,3
14
73,7
3
13
-23,8
Gesamt Andere
0
0
0
0
0
0
0
0
0
Ratsfamilien Top Ten
7 4
36,8 21,1
6 3
40 20
8 7
42,1 36,8
2 1
8,7 4,3
-28,1 -16,7
Diese exklusive soziale Zusammensetzung hatte allerdings keine Konstanz. Sie war wohl das Ergebnis einer situativ entstandenen Mode oder Notwendigkeit innerhalb eines bestimmten Kreises patrizischer Familien, begünstigt durch die Besetzung von für den Konvent wichtigen politischen Entscheidungspositionen mit Familienmitgliedern.79 Zwei Listen mit den Namen aller Nonnen von St. Margaretha, die rund 40 Jahre später entstanden sind, zeigen ein völlig gewandeltes Bild, das aber dem entspricht, was sich zur selben Zeit in St. Magdalena und St. Nikolaus beobachten lässt.80 Über 60 Prozent der Nonnen kamen nun nicht mehr aus Straßburg. Ratsfamilien und Top-Ten-Familien hatten sich zwar nicht vollständig, aber doch sehr deutlich aus den Konventen zurückgezogen. Innerhalb der Gruppe der Straßburger überwogen nun die Zünftischen gegenüber den Adeligen, allerdings war der Anteil Straßburger Familien insgesamt stark gesunken. Für alle überlebenden Klöster, für die ausreichend Material vorliegt, lässt sich im Großen und Ganzen also ein relativ einheitliches Entwicklungsbild zeichnen. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts zogen sich die Straßburger Familien insgesamt, überproportional stark aber die patrizischen sowie die im Rat aktiven Familien aus den Klöstern der Stadt zurück. Dass diese Entwicklung aber keineswegs kontinuierlich verlaufen musste, zeigen die Beispiele St. Magdalena und St. Margaretha. Zwar verminderte sich die Zahl der Religiosen insgesamt, die Sozialstruktur aber blieb zunächst relativ konstant. Vielmehr setzte dieser Rückzug erst mit der Jahrhundertmitte, 77
Da für die Jahre 1592 und 1594 Listen vorliegen, die praktisch alle bekannten Namen für das letzte Viertel des 16. Jahrhunderts enthalten, wird hier auf dieses einzelne Datum zurück gegriffen, vgl. AMS II, 7/19 und AMS II, 39/18, Nr. 3. 78 Dargestellt ist hier die Veränderung von 1592 im Vergleich zum Zeitraum 1500– 1525. 79 Vgl. dazu detailliert unten in diesem Kapitel. 80 Vgl. AMS II, 7/19; AMS II, 39/18, Nr. 3 und Tabelle 13.
160
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
also mit der nächsten Generation, verstärkt ein. Die Reformationsgeneration hingegen brachte ihre Töchter auch unter den veränderten religionspolitischen Bedingungen noch in den Konventen unter. Erneut zeigt sich, dass der vermeintlich radikale Bruch, der sich aus der Religionspolitik des Rates, dem Verbot der Messe und den versuchten Klosterschließungen in den Jahren 1525–1529 ableiten ließe, nicht in allen Lebensbereichen zu beobachten ist. Während eine Mitgliedschaft im Rat, wie Brady zeigen konnte, für altgläubige Familien nach 1529 nicht mehr möglich war,81 war der soziale Makel, eine Tochter in einem der verbliebenen Konvente unterzubringen, offenbar zu vernachlässigen. Dennoch lässt sich ein überdurchschnittlich hoher Rückgang von Ratsfamilien beobachten. Möglicherweise deutet auch das darauf hin, dass im Rat die konfessionelle Homogenität besonders angestrebt wurde. Eine mögliche Erklärung ist, dass zumindest in der öffentlichen Meinung die Konvente nicht mehr als religiöse, sondern vielmehr als soziale Einrichtungen angesehen wurden, obwohl die Frauenklöster bis 1555 noch nicht über eine evangelische Klosterordnung verfügten. Woher die zahlreichen auswärtigen Konventualen stammten, die gegen Ende des Jahrhunderts über die Hälfte der Konventualen ausmachten, wird noch zu diskutieren sein.82
6.2 Familien und Konvente im 16. Jahrhundert. Aggressionen und Allianzen 6.2 Familien und Konvente im 16. Jh.
Im Folgenden wird die Untersuchung der Beziehungen zwischen den Konventen und Konventualen und den Straßburger Familien anhand weiterer Quellen qualitativ erweitert. Dabei wird zunächst gefragt, welche Bedeutung die konfessionellen Divergenzen hatten, die sich zwischen protestantischen Familien und ihren im Kloster lebenden Verwandten ergeben konnten. Am Beispiel von St. Margaretha soll anschließend gezeigt werden, unter welchen Umständen familiäre Interessen gegenüber religionspolitischen Interessen überwiegen konnten. 6.2.1 Konfessionalisierung und Familie: Mittel zur Herstellung konfessioneller Einheit innerhalb der Familie Die Bedeutung von Konversionen einzelner Familien für das Fortbestehen oder die Schließung der Klöster lässt sich auf der statistisch-quantifizierenden Ebene nicht untersuchen. Zu gering sind letztlich die Kenntnisse über die konfessionelle Ausrichtung einzelner Familien. Brady kann zwar 81 82
Vgl. Brady: Ruling Class, S. 212. Vgl. dazu Kapitel 10.1.2.
6.2 Familien und Konvente im 16. Jh.
161
einige wenige Personen als religiöse Eiferer der frühen Reformation, andere als konservativ oder sogar als Verteidiger des alten Glaubens ausmachen. Doch handelt es sich hierbei um vergleichsweise wenige Namen. Auch zogen sich konfessionelle Linien häufig quer durch die Familien, was die Arbeit mit der prosopographischen Methode besonders erschwert.83 Wie bereits gezeigt, war die offene Praxis katholischer Überzeugungen nach 1529 ohnehin, gerade in den politischen Eliten, schwierig, so dass altgläubige Familien schwer zu identifizieren wären.84 Die Straßburger Gesellschaft bleibt für den heutigen Betrachter eine scheinbar homogene, protestantische Glaubensgemeinschaft. Auch die Kombination der wenigen verfügbaren Informationen liefert keine Ergebnisse. In den geschlossenen beziehungsweise überlebenden Konventen lässt sich jedenfalls keine unterschiedliche Konzentration der von Brady als „zealots“ oder altgläubig charakterisierten Familien erkennen.85 Die einzige Beobachtung, die die Untersuchung einzelner Familiennamen in den Frauenklöstern ergibt, ist, dass sich einige Familien völlig aus den Klöstern zurückzogen. So finden sich nach 1525 etwa keine Zuckmantel, keine Pfaffenlapp, keine Armbruster und keine Sturm mehr in Straßburger Konventen.86 Frauen aus diesen Familien hatten bis 1525 zahlreich in den geschlossenen Gemeinschaften St. Klara am Rossmarkt und St. Katharina gelebt.87 Andere Familien hingegen, die ebenfalls in geschlossenen Konventen stark vertreten waren, wie die Böcklin oder die Wurmser, wichen auf andere Klöster aus und finden sich noch bis zum Ende des 16. Jahrhunderts in St. Nikolaus, St. Magdalena und St. Margaretha.88 Die verschwundenen Familien lassen sich zwar nicht den von Brady beschriebenen Eiferern zuordnen, dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass konfessionelle Gründe diese Familien bewogen, keine Töchter mehr in den Straßburger Frauenklöstern unterzubringen. Näher kommt man der Bedeutung konfessioneller Divergenzen, untersucht man die Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Nonnen und ihren Familien. Berichte über Verwandte, die versuchten, ihre Töchter zum Austritt aus dem Kloster zu bewegen, bis hin zu mit Gewalt erzwungenen 83
Als „zealots“ bezeichnet Brady die Herren Klaus Kniebis, Egenolf Röder von Diersburg, Bernhard Ottfriedrich, Diet von Worms, Martin Herlin, Daniel Mieg, Jakob Meyer, Hans Lindenfels und Matthies Pfarrer. Als altgläubig zu erkennen sind Andreas Mieg, Gottfried von Hohenburg, Conrad von Duntzenheim, Hans Ebel, Martin Betscholt, Caspar Hoffmeister, Andreas Drachenfels, vgl. Brady: Ruling Class, S. 211. 84 Vgl. Fuchs: Catholiques, S. 144. 85 Vgl. Prosopographie. 86 Vgl. Prosopographie. 87 Vgl. Prosopographie. Vgl. dazu auch Schmitt: Geistliche Frauen, S. 567 und 596ff. 88 Vgl. Prosopographie. Nach 1525 finden sich noch fünf Frauen mit dem Namen Böcklin, vier mit dem Namen Wurmser.
162
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
Klosteraustritten sind in der Frühen Neuzeit nicht selten.89 Die Konflikte entstanden dadurch, dass die Nonnen und Mönche zwar noch Teil ihrer Familie waren, gleichzeitig aber auch durch den Eintritt in das Kloster bis zu einem gewissen Grad aus der Familie ausgeschlossen waren. Das Mittelalter und auch die beginnende Frühe Neuzeit waren eine Zeit, in der „partizipative“ Identitäten vorherrschten. Stärker als mit einer individuell gestalteten Biographie hat sich das Individuum mit sozialen Gruppen, vor allem mit der Familie identifiziert, eine Tatsache, die immer wieder dazu verleitet hat, dass Mittelalter als Zeit misszuverstehen, die keine Individualität gekannt habe.90 Mönche und Nonnen spielen in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle. Gemäß geistlichen Idealvorstellungen bedeutete der Eintritt in das Kloster das symbolische Brechen mit der umgebenden Welt und ihrer strengen Standesgesellschaft. Alois Hahn bezeichnet diese „Semantik“ des Mönchtums als „freiwillige Selbstexklusion“, als „Exklusion aus der Inklusion in den Stand“.91 Auch die Zeitgenossen kannten dieses Idealbild. Conrad Celtis etwa hat in seiner Descriptio Urbis Norimbergae die Aufnahmezeremonie im Klarissenkloster St. Klara mit einer Beerdigung verglichen. Er verstand den Eintritt in das Kloster als „social death“.92 Dass diese Idealvorstellung in der Realität selten zutraf, ist inzwischen vielfältig gezeigt worden. Die klare Trennung von Kloster und Welt war eine Illusion. Die Söhne und Töchter blieben ihren Familien religiös verbunden, indem sie für die Memoria ihrer Familien Sorge trugen. Aber auch im praktischen Alltag der Klöster wirkte die Hierarchie der Standesgesellschaft weiter, etwa, wenn es um die Vergabe von Ämtern ging. Die Familie und damit auch der Stand spielten weiterhin eine Rolle.93 Die Klöster 89
Vgl. für das Baseler Reuerinnenkloster, das seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts dem Dominikanerorden inkorporiert war Erdin: Kloster der Reuerinnen, S. 126. Vgl. für das Nürnberger Klarissenkloster unten in diesem Abschnitt. Vgl. für Augsburg die Quellensammlung von Wiesner-Hanks (Hrsg.): Convents Confront the Reformation, S. 27ff. 90 Vgl. etwa die Auseinandersetzung mit Niklas Luhmanns entsprechender Interpretation bei Alois Hahn/Cornelia Bohn: Partizipative Identität, S. 3ff. und auch Hahn: Wohl dem, der eine Narbe hat, S. 43ff. Vgl. des Weiteren Schlotheuber: Norm und Innerlichkeit. 91 Hahn/Bohn: Partizipative Identität, S. 16f. Vgl. dazu auch Gleba: Monastisches Selbstverständnis, 147ff. 92 Vgl. Strasser: Brides of Christ, S. 193ff., Zitat S. 195. Vgl. zu den normativen Vorstellungen der Klausur unter den spätmittelalterlichen Klosterreformern besonders für die Frauenklöster Steinke: Paradiesgarten, S. 45ff. 93 Vgl. zur religiösen Anbindung der Nonnen und Mönche an die Familien Hahn: Partizipative Identität, S. 23. Für Kanoniker und Kanonissen haben unter anderem Rudolf Holbach und Marietta Meier, letztere unter starker Betonung des Versorgungsaspektes, gezeigt, wie familiäre Identitäten in religiösen Gemeinschaften weiterwirkten, vgl. Holbach: Identitäten von Säkularkanonikern, S. 19ff. und Meier: Warum adlige Frauen in ein
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blieben eingebunden „in die Identitätskonstruktion einer stratifizierten Gesellschaft.“94 Gleichzeitig aber ging das Individuum in einer neuen Gemeinschaft auf, der Klostergemeinschaft.95 Ulrike Strasser kann eine starke Identifikation der von ihr untersuchten Nürnberger Klarissen mit ihrer Gemeinschaft auch im 16. Jahrhundert belegen.96 Die Identität von Mönchen und Nonnen balancierte also schon in vorreformatorischer Zeit zwischen Familie und Klostergemeinschaft.97 Während aber im späten Mittelalter im Rahmen der stark jenseitszentrierten Frömmigkeit das Dasein als Religiose und die Familiezugehörigkeit noch gut vereinbar waren, entstanden in der Reformationszeit in protestantisch gewordenen Familien Spannungen zwischen den Geistlichen und ihren Familien. Dies betraf besonders die Nonnen. Der wohl bekannteste Bericht über Konflikte zwischen neugläubigen Familien und ihren altgläubigen Verwandten im Kloster ist derjenige der Nürnberger Äbtissin Caritas Pirckheimer über die erzwungenen Klosteraustritte, die sich 1525 in ihrem St. Klara-Kloster ereigneten. Der Bekanntheitsgrad dieser Berichte rührt einerseits daher, dass die Denkwürdigkeiten der Caritas Pirckheimer in einer kritischen Edition vorliegen.98 Aber auch die Dramatik, die diese begnadete Vermarkterin der katholischen Sache ihrer Erzählung zu verleihen verstand, ist sicherlich ein Grund
Stift oder Kloster eintraten, S. 107ff. Für Straßburg hat Sigrid Schmitt sowohl religiöse als auch starke säkulare Verbindungen zwischen spätmittelalterlichen geistlichen Frauen und ihren Familien nachweisen können, vgl. Schmitt: Geistliche Frauen. Zum theologischen Dilemma zwischen Elterngehorsam und Vokationsgehorsam vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 103. 94 Hahn: Partizipative Identität, S. 25. 95 Vgl. Feld: Mittelalterliche Klosterfrauen, S. 621ff. und Strasser: Brides of Christ, S. 209. 96 Strasser: Brides of Christ, S. 200. Strasser kann hier aber auch Unterschiede zwischen den einzelnen Frauen aufzeigen. Besonders ausgeprägt war die Identifikation mit der Gemeinschaft bei den den Konvent dominierenden Angehörigen der Familie Pirckheimer. Vgl. zum Konvent der Caritas Pirckheimer mit ähnlichem Tenor auch Barker: Caritas Pirckheimer, S. 259ff. Zu denselben Ergebnissen kommt auch Gudrun Gleba. Anhand der Schriften der Scriptrix des Kloster Herzebrock in Westfalen, Anna Roeder, zeigt sie, dass die Intensität der Identifikation mit der Gemeinschaft sich auch im Laufe eines Lebens wandeln konnten. Als die schon hoch betagte Anna Roeder in Konflikt mit ihrer Gemeinschaft gerät, nimmt die jahrzehntelang völlig angepasste Frau eine sehr kritische Haltung gegenüber ihrem Konvent ein und stellt sich wieder stärker auf die Seite ihrer Familie, vgl. Gleba: Monastisches Selbstverständnis, S. 152ff. 97 So auch die Einschätzung von Steinke in Bezug auf das Nürnberger Katharinenkloster. Steinke sieht dabei in der jeweils stärkeren Identifikation mit der Familie bzw. dem Konvent auch ein starkes Motiv für bzw. gegen den Klosteraustritt in der Reformationszeit, vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 69. 98 Die Denkwürdigkeiten der Caritas Pirckheimer, herausgegeben von Josef Pfanner.
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dafür, dass sie so häufig erwähnt wird.99 Sicherlich handelt es sich bei der humanistisch gebildeten Äbtissin insgesamt um eine Ausnahmeerscheinung. Dennoch lässt sich anhand des Berichts die Konfliktlinie zwischen Klosterinsassen und Verwandten exemplarisch zeigen, weshalb im Folgenden Passagen des Berichts noch einmal aufgegriffen werden sollen. In Nürnberg ging der Druck auf einige Frauen im St. Klara-Kloster vor allem von protestantisch gesinnten Müttern von Klosterfrauen aus. Die erste, die den Austritt ihrer Tochter aus dem Kloster verlangte, war Ursula Tetzel. Ihre Tochter Margaret wehrte sich gegen das Ansinnen der Mutter und blieb zunächst im Kloster. Nachdem erste Gespräche am Redefenster des Klosters keinen Erfolg zeigten, versuchte Ursula Tetzel, verstärkt durch weitere Mütter von Nonnen des Klara-Klosters, ihr Ansinnen mit Petitionen an den Rat durchzusetzen.100 Die Schwester der Äbtissin, Clara Pirckheimer, die ebenfalls Nonne im Klarissenkloster war, beschreibt die Vehemenz, mit der die Bürgerinnen ihren Willen zum Ausdruck brachten, in einem Brief an ihren Bruder Willibald: „Es sind gestern die weiber da gewest und also poß und spiczig gewest, das ich mir gedacht, wenn sunst kein pein in der hell wer denn solche poß weiber, es wolt sich ains vor sundten huten, das es nit zu in bedorft.“101
Trotz der Appeasement-Politik der Äbtissin, die den Müttern erlaubte, ihre Töchter allein zu sprechen und auch den Sichtschutz am Redefenster des Klosters entfernen ließ, kündigten die Frauen schließlich an, ihre Töchter mit Gewalt aus dem Kloster zu holen.102 Das Zusammentreffen zwischen den schließlich in die Kirche eingelassenen Müttern und ihren Töchtern aber eskalierte. Während vor dem Kloster das Volk in Erwartung des Spektakels, das die herausgeführten Nonnen bieten würden, zusammenlief, stritten sich in der Kirche Mütter und Töchter auf das Heftigste. Die Nonne 99
Vgl. zu den erzwungenen Klosteraustritten in den Denkwürdigkeiten zuletzt – allerdings nicht besonders aufschlussreich – Lippe-Weißenfeld Hamber: Caritas Pirckheimer, S. 247ff. Vgl. außerdem Gößner: Nonnenklöster, S. 108f; Bennewitz: Zwischen Eigensinn und Tugend, S. 30; Guth: Caritas Pirckheimer, S. 13ff. und Strasser: Brides of Christ, S. 193ff. Das entsprechende Kapitel bei Krabbel: Caritas Pirckheimer, S. 154ff ist im Wesentlichen eine Abschrift der Denkwürdigkeiten. Nicht immer werden die Denkwürdigkeiten mit der nötigen Quellenkritik behandelt. Der Person Caritas Pirckheimers sind bereits zahlreiche mehr oder minder konfessionell verbrämte Studien gewidmet worden. Vgl. für einen Überblick über die ältere Literatur Barker: Caritas Pirckheimer, S. 259ff. 100 Vgl. Pirckheimer: Denkwürdigkeiten, S. 14. 101 Brief der Nonne Clara Pirckheimer an ihren Bruder Willibald, gedruckt in Dümmler (Hrsg.): Neun Frauenbriefe, hier S. 333. 102 Die drei Nonnen waren Margaret Tetzel, Katharina Ebner und Clara Nützel, vgl. Denkwürdigkeiten, S. 79. Vgl. zur Stellung und zu den Verwandtschaftsbeziehungen der Frauen Bennewitz: Zwischen Eigensinn und Tugend, S. 25.
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Katharina Ebner soll laut dem Bericht Caritas Pirckheimers zu ihrer Mutter gesagt haben: „Du pist ein mutter meins flaysch, aber nit meins geist, dann du hast mir mein sel nit geben, darumb pin ich dir nit schuldig gehorsam zu sein in den dingen, die wider mein sel sind.“103 Es folgte eine längere Auseinandersetzung, in der, so Caritas Pirckheimer, dieselbe Katharina lange, „dapfferlich und bestendiglich“ ihre Meinung begründete, warum sie im Kloster bleiben wolle „und beweret alle ire wort mit der heiligen geschrif[!] und fing sie in allen iren worten und sagt in, wie sie so großlich wider das heilig ewangelium handelten.“104 Schließlich wurden die Frauen tatsächlich mit Gewalt aus dem Kloster geführt: „Das geschrey und gefecht hörenten die swestern alles inn dem kor und auch die weltlichen leut, die vor der kirchen stunden. [...] Da man sie nun auf die wogen wolt seczen vor der kirchen wurd aber großer jamer, ruften die armen kindt mit lauter stym zu den leuten und clagten in, sie lieden gewalt und unrecht [...], heten unsere kinder imer laut geschreyen und geweynnt, het die Ebnerin ir Ketherlein in den mundt geschlagen, das es angefangen het zu pluten.“105
Die hier beschriebene Szene muss vor allem als die Sicht der Äbtissin auf die Konflikte zwischen Konventualen und Familien gedeutet werden. Die Abführung der Nonnen aus dem Kloster war Teil von Pirckheimers Strategie zur öffentlichen Inszenierung des starken Willens ihrer Klosterfrauen. Sie hatte den Müttern nicht erlaubt, den Hintereingang des Klosters zu benutzen, sondern zwang sie, mit ihren Töchtern den Weg durch die Menschenmenge vor dem Kloster zu nehmen.106 Dennoch wird deutlich, dass in der durch die religiösen Auseinandersetzungen aufgeheizten Stimmung in der Stadt auch das Verhältnis zwischen alt- und neugläubigen Mitgliedern derselben Familie aufs Äußerste gespannt gewesen sein muss. Zumindest Caritas Pirckheimer sah darin nicht nur eine konfessionelle Auseinandersetzung, sondern auch einen Konflikt zwischen der familienähnlichen, religiösen Bindung der Nonnen an den Konvent und Christus und der Bindung an die biologische Familie, wie die zitierte Reflexion, die die Äbtissin Katharina Ebner in den Mund legte, deutlich macht.
103
Vgl. Pirckheimer: Denkwürdigkeiten, S. 79ff., hier S. 81. Vgl. Pirckheimer: Denkwürdigkeiten, S. 81. 105 Vgl. Denkwürdigkeiten, S. 83. Ähnliches ereignete sich in Nürnberg 1525 auch im Katharinenkloster, vgl. dazu Steinke: Paradiesgarten, S. 256f. Die drei aus dem St. KlaraKloster geführten Frauen heirateten wenig später, vgl. Bennewitz: Zwischen Eigensinn und Tugend, S. 30. 106 Der gewünschte Effekt wurde, so zumindest die Einschätzung der Äbtissin, erreicht: Die Bevölkerung hatte Mitleid mit den Nonnen und äußerte Unverständnis gegenüber der Härte der Mütter. Vgl. Denkwürdigkeiten, S. 79ff. Vgl. zu Pirckheimers diskursiver Strategie auch die Analyse von Knackmuß: KlausurUnterDruck, besonders S. 49ff. 104
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Aus Straßburg sind, wenn auch nicht in dieser Ausführlichkeit, ähnliche Vorfälle aus der Frühzeit der Reformation überliefert.107 Bereits 1522 sprach Klaus Kniebis , einer der von Brady als „zealots“ charakterisierten Ratsherren, mit seiner Tochter Margarethe an der Winde des Klosters St. Nikolaus. Margarethe war gerade 14 Jahre alt und bat ihren Vater, ihr zu erlauben, den Habit für das Probejahr anzulegen. Der Vater allerdings wollte sie zurück in die Welt holen, mindestens bis sie 16 oder 17 Jahre alt wäre. Die Priorin, Ursula von Mörsmünster, versuchte einen Kompromiss vorzuschlagen, der Widerwillen seiner Tochter aber verärgert Klaus Kniebis derartig, dass er ankündigte, Margarethe in zwei Tagen ganz aus dem Kloster zu nehmen. Alle weiteren Vermittlungsversuche der Priorin scheiterten, so dass „das kint ellend gangen, sich verjomert und betrübt, das si zusehenlich an iren lib und kreften abgenomen hett“.108 Der Priorin bleibt schließlich nur, dem Mädchen einige Wort zum Abschied zu sagen, wobei sie betont: „Ich wolt dich aber lieber sehen in ein grab legen, denn das ich dich müß sehen in die welt gon. So er dich aber je haben will, so gib ich dich uß miner hant in sin hant, uß miner sorg in sin sorge.“109
Welche Druckmittel Klaus Kniebis einsetzte oder ob sein Wort als Ratsherr und Pfleger des Klosters genügte, wird aus diesem Bericht, dem offenbar einige Seiten fehlen, nicht deutlich. Zumindest aber führten auch hier konfessionelle Divergenzen zu Konflikten innerhalb der Familie.110 Auch die von Caritas Pirckheimer verdeutlichte Dimension der quasifamiliären Einbindung und des Bruchs mit einer emotional-religiösen Heimat wird hier deutlich. Etwas anders gelagert war der Fall des Streits zwischen den Brüdern Matthias und Wolfgang Wurm von Geudertheim und ihrer Schwester Anna. Schon viele Jahre, bevor die protestantische Lehre in Straßburg die ersten Anhänger fand, in den Jahren 1511 und 1512, hatte sich ein Rechtsstreit zwischen den Brüdern und dem Kloster St. Nikolaus, in dem Anna lebte, entwickelt.111 Die Brüder Wurm hatten offenbar vom Konvent eine 107
Vgl. zum Folgenden auch Leonard: Nails in the Wall, S. 66ff. Vgl. den Bericht der Priorin über diesen Vorfall. Das Original ist erhalten in AMS II, 7/20, gedruckt findet es sich bei Brady: Documents on Communalism, S. 210ff., hier S. 211. 109 Brady: Documents on Communalism, S. 211. 110 Dem Bericht fehlen fol. 27v und fol. 28v, vgl. Brady: Documents on Communalism, S. 211f. und AMS AST II, 7/20. Vgl. zu den Ämtern von Klaus Kniebis Abray: The People’s Reformation, S. 235 und Brady: Ruling Class, S. 326f. Katharina wird drei Jahre später mit Caspar Engelmann verheiratet, vgl. ebd., S. 326. 111 Die Akten, die der langjährige Streit hinterlassen hat, finden sich in AMS II, 7/21. Eine Zusammenfassung des Streits findet sich auch bei Leonard: Nails in the Wall, S. 61ff. 108
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Rente auf ein Stück Land gekauft, die die Nonnen allerdings ab etwa 1511 aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht mehr zahlten. Gleichzeitig hatten die Brüder bei Annas Konventseintritt dem Kloster ein jährliches Leibgeding aus Annas Erbschaft zugesagt, das sie ab 1517 nun als Antwort auf die eingestellten Rentenzahlungen ebenfalls nicht mehr zahlten.112 Der Streit wurde zunächst mit den üblichen Mitteln ausgetragen. Während Matthias und Wolfgang mit ihren Kontakten zu elsässischen Niederadeligen und mit der Fehde drohten, erlangten die Nonnen vom Bischof einen Bannbrief gegen Matthias Wurm. Der Rat entschied schließlich zu Gunsten der Brüder (1522) und dekretierte, dass die Zahlungen wieder aufgenommen werden müssten.113 Wie Amy Leonard herausgestellt hat, vermischen sich in diesem Konflikt ab 1522 rechtliche und konfessionelle Argumente. Matthias prangerte in seinen Schreiben zunehmend das Klosterleben an sich an. Er wetterte gegen die Bereicherung der Klöster durch Erbschaften, die den in der Welt lebenden Verwandten, die sich „gemert“ hätten, bitter fehlen würden. Statt den Wohlstand in der Welt zu erhalten, gebe man das Erwirtschaftete den „speluncken [...], die wyder all götlich geschrift erfunden sint“. Die Klöster würden nach dem Prinzip verfahren: „gib her, trag her, gib mir, mangel dir, inen das gelt, unß den leren seckel.“114 Dass die Zeiten sich geändert hatten, zeigt auch der beißende Sarkasmus, mit dem Matthias 1524 auf den Bannbrief reagierte, der ihm von den Nonnen zugesandt wurde: „Im andern, das ir mir yetzt ein ban brief schicken, als ob irs schon gewunnen hetten [...], so bin ich vil als uber erschrocken als ein esel, dem ein sach empfallet, ich hab auch sytther von grossem schrecken in der nacht nie kein ough uffgethan und ist mir der win und sunst alles gar erleydtt [...]. Ich lob Jesus Christus, unsern herren, das ir mit dem bann nit so fil vermogen, als ir gern tätten und mich auch von Got nit scheiden mogen, es wurd sunst mir und andern zu ziten ubel gen.“115
Ab 1523 forderten die Brüder aber außer ihrer Rente auch den Austritt ihrer Schwester Anna, die sie „der abgötlichen gefangnuß zu erlösen“ begehrten.116 Matthias Wurm publizierte sein Anliegen nun in Flugschriften und wandte sich an den Rat mit der Bitte, seine Schwester persönlich sehen zu wollen.117 Offensichtlich erhielten die Brüder dabei Unterstützung vom bereits erwähnten Klaus Kniebis, dem Vater der 1522 aus dem Klos112
Vgl. Leonard: hierzu die ausführliche Rekonstruktion des Streits bei Nails in the Wall, S. 61; vgl. auch AMS II, 7/21, fol. 28. 113 AMS II, 7/21, fol. 28. Dieser Aufforderung kamen die Nonnen aber offensichtlich zunächst nicht nach. 114 AMS II, 7/21, fol. 28. 115 AMS II, 7/21, fol. 37. Vgl. dazu auch die Bewertung von Leonard: Nails in the Wall, S. 64. 116 AMS II, 7/21, fol. 31. 117 Vgl. AMS II, 7/21, fol. 31.
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ter gezwungenen Margarethe Kniebis. Die Priorin berichtete außerdem an den Rat, dass Matthias Wurm an einem Tag mit nicht weniger als 30 Personen vor dem Kloster erschienen wäre, um den Austritt seiner Schwester zu fordern, „des wir erztlich erschrocken sint“.118 Im März 1523 bewilligte der Rat schließlich den Brüdern ein persönliches Gespräch mit der Nonne.119 Anna allerdings zeigte sich durch die Übergriffe ihrer Brüder wenig beeindruckt. In Briefen erteilte sie ihnen mit großem Selbstbewusstsein eine Absage: „Er dar mit sagen, das ich gefangen bin, wie wol ich gefangen bin mit dem lyb, das ich doch gut williglichen agenomen hab von Gottes willen und mich von den gnaden Gottes nie geruwen hett, so doch min hertz und min gemüt frelich in Gott.“120
Sie betont, dass die Brüder keine Rechtsgewalt über sie hätten und sie nicht zwingen könnten, das Kloster zu verlassen.121 Tatsächlich konnten Wolfgang und Matthias ihre Schwester wohl zunächst nicht zum Austritt bewegen. Allerdings kehrte Anna nach 1525 nicht nach St. Nikolaus zurück, nachdem sie das Kloster mit den anderen Nonnen vorübergehend hatte verlassen müssen. Über die Gründe dafür ist leider nichts bekannt.122 Nach 1525 beruhigte sich die Lage in Straßburg. Erst in Zusammenhang mit der Schließung von St. Nikolaus ist ein weiterer Fall eines erzwungenen Klosteraustritts bekannt. 1592 zwang die Familie Braun eine Angehörige, die Schwester Katharina Braun, das Kloster zu verlassen.123 Die Hintergründe dieses Austritts sind unklar. Offenbar teilte sich die Familie Braun in einen katholischen und einen protestantischen Zweig. Die Priorin Susanna Brünnin (Braun) war die Schwester von Adolf Braun, der die 118
AMS II, 7/21, fol. 34. Vgl. Leonard: Nails in the Wall, S. 63. 120 AMS II, 7/21, fol. 21. 121 Vgl. AMS II, 7/21, fol. 21. 122 Auch Leonard konnte keine weiteren Informationen über Annas weiteres Leben finden, vgl. Nails in the Wall, S. 64. Ein ähnlicher Briefverkehr zwischen einer Nonne und ihrem Bruder, der auch zu öffentlichen Pamphleten führte, entwickelt sich in der Auseinandersetzung des Augsburger Bürgers Bernhard Rem mit seiner Schwester Katharina, die sich ebenfalls weigerte, aus ihrem Kloster auszutreten. Die Briefe sind gedruckt bei Wiesner-Hanks (Hrsg.): Convents Confront the Reformation, S. 27ff. Bernhard veröffentlichte Teile dieser Korrespondenz als Flugschrift, vgl. Rem: Sendbrief. 123 Der Vorfall wird in dem Rat von Stettmeister Friedrich Prechter ausführlich vorgetragen, vgl. Ratsprotokolle (18. März 1592), fol. 108r ff. Auch im Bericht einer Nonne über die Schließung von St. Nikolaus wurde der erzwungene Austritt Katharinas wiedererzählt, allerdings sind die entsprechenden Seiten stark beschädigt bzw. fehlen, vgl. ADBR H 3061. Vollständig ist diese Version der Ereignisse in der Chronik von St. Margaretha überliefert, vgl. BMS Ms. 901, S. 229ff. Vgl. dazu auch verschiedene Suppliken der Nonnen an den Rat in AMS II, 39. 119
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Zunft zur Luzern bis 1570 im Rat vertreten hatte und als altgläubig gilt.124 Es ist allerdings der protestantische Pfarrer Martin Braun, ein Cousin der Nonne, der ihren Austritt aus dem Konvent fordert, eine Aktion, die vom Rat ausdrücklich bewilligt wird, da Katharina ohne das Wissen der Pfleger in das Kloster gekommen war.125 Über die Gründe, warum die Familie 1592 den Austritt Katharinas wünschte, kann nur spekuliert werden. Wahrscheinlich ist, dass der Wunsch im Zusammenhang stand mit dem neu erwachten Interesse des Rates an den Frauenklöstern. Scharwachen hatten in einer Nacht Anfang Februar 1592 die Nonnen von St. Magdalena dabei erwischt, wie sie „allerhand uß dem closter [...] in Säcken getragen“, woraufhin der Rat eine Untersuchung in St. Nikolaus und bei den Reuerinnen einleitete und deren Wirtschaftführung kontrollierte.126 Möglicherweise wollte die Familie einem Skandal zuvorkommen, in den der katholische Teil der Familie involviert war: Susanna Brünnin wurde später vorgeworfen, ihren Brüdern Adolf und Jakob Geld aus der Konventskasse zugeschanzt zu haben und damit die schwierige finanzielle Lage des Konvents noch verschärft zu haben.127 Auch hatten im März 1591 einige Mitglieder des Kirchenkonvents den Rat zu einer umfassenden Reform in den Klöstern angehalten, unter ihnen Johann Pappus. Möglicherweise beeilte sich der protestantische Pfarrer Martin Braun im Sinne seiner Vorgesetzten zu handeln, nun da deren Interesse an den Frauenklöstern wieder zu erwachen schien. In jedem Fall scheint der erzwungene Austritt der Katharina Braun noch weniger als die Vorfälle der Jahre 1522–1525 Ausdruck spontanen reformatorischen Eifers zu sein. Dennoch gingen Martin Braun und seine Helfer mit großer Gewalt vor. Nachdem sich die Nonnen gegenüber einer Delegation des Rates zunächst geweigert hatten, Katharina freiwillig herauszugeben, ließen Braun und mehrere andere Verwandte der Nonne die Türen des Klosters mit Hilfe städtischer Gefängnisknechte öffnen und holten Katharina aus der Krankenstube des Konventes. Der Priorin drohten sie, man werde sie „an derselben statt herausnehmen“, sollte sie nicht einwilligen.128 Katharina fiel vor den anwesenden Herren auf die Knie und willigte 124
Vgl. Hatt: Liste des membres, S. 410 und Abray: The People’s Reformation, S.
124. 125
Vgl. Ratsprotokolle (24. Februar 1592) und Ratsprotokolle (26. Februar 1592); Chronik St. Margaretha, BMS Ms. 901, S. 229. Vgl. auch Leonard: Nails in the Wall, S. 134. 126 Vgl. Ratsprotokolle (2. Februar 1592), fol. 32v ff. 127 Vgl. den Entwurf zu einer Verteidigungsschrift des Rates: AMS AST 170/35 und auch Ratsprotokolle (2. Februar 1592), fol. 32v ff. Die Anschuldigung war von der Schaffnerin des Konvents, Katharina Schenk, erhoben worden, vgl. AMS II, 39/3. 128 Vgl. Ratsprotokolle (26. Februar 1592), fol. 73r. Vgl. dazu auch den noch dramatischeren Bericht, der aber in den Grundzügen mit dem Bericht Prechters in den Ratspro-
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erst ein, das Kloster zu verlassen, als man ihr versprach, sie „wider ihr gewissen, auch zu keiner heurhat wider ihren willen nicht zu tringen.“129 Der Widerstand der Nonne stimmte offenbar selbst den anwesenden Stettmeister, Friedrich Prechter, nachdenklich, der mit seinem Bericht im Rat den Beschluss erwirkt „der frundschafft der Herren mißfallen anzeigen, auch ein paar herren ordnen, die selbes bey der Bräunin enschuldig.“130 Katharina wird zwar auch auf ihre Supplikation hin nicht erlaubt, ins Kloster zurückzukehren, ihr wird aber freigestellt, wo sie leben möchte.131 So unterschiedlich die dargestellten Fälle erzwungener Klosteraustritte sind, lassen sich doch einige Gemeinsamkeiten bezüglich des Verhältnisses zwischen den Konventualen und ihren Familien ableiten. Gerade in der Frühphase der Reformation zielte das mehr oder minder gewaltsame Vorgehen der Verwandten darauf, die konfessionelle Einheit des Familienverbandes zu garantierten und war sicherlich nicht zuletzt durch die echte Sorge um das Seelenheil der „abgöttisch“ lebenden Verwandten begründet, wenn auch die Fälle der Familien Wurm und Braun zeigen, dass sich konfessionelle und andere Interessen durchaus überlagern konnten. Deutlich zeigt sich aber am Fall der Wurm und der Kniebis, dass die Klöster ihre religiöse Funktion für die Familien verloren hatten. Annas Anwesenheit im Konvent und das dem Kloster gezahlte Leibgeding wurden nicht mehr als religiöse Absicherung der Familie Wurm empfunden, sondern als finanzielle und heilsmäßige Belastung, eine Situation, die nur durch den Austritt der Nonne bereinigt werden konnte. Dennoch führte gerade der religiöse Eifer der Familienangehörigen zu einer grundsätzlichen Infragestellung der familiären Bindungen, wie im Fall der Nürnberger Nonnen, aber auch Annas und Katharinas. Die Frauen mussten sich die Frage stellen, welche Bindung ihnen mehr bedeutete, diejenige an Glauben und Klostergemeinschaft oder diejenige an die Familie. Wie so häufig sind diese spektakulären Fälle des mehr oder weniger erfolgreich erzwungenen konfessionellen Gehorsams als Konfliktfälle in den Quellen besonders häufig und ausführlich dokumentiert. Nicht unerwähnt bleiben sollen aber auch diejenigen Fälle, in denen die Religiosen dem Ansinnen ihrer Verwandten freiwillig folgten, etwas, das eher unbeachtet von der Öffentlichkeit geschah und vor allem nicht in das Bild passte, das die monastische Chronistik in der Regel vom Widerstandsgeist der Konventualen zu zeichnen versuchte. tokollen übereinstimmt, Chronik St. Margaretha, BMS Ms. 901, S. 229 und ADBR H 3061, fol. 1r. 129 Ratsprotokolle (26. Februar 1592), fol. 74v. 130 Ratsprotokolle (26. Februar 1592), fol. 74v-r. 131 Vgl. für Katharinas Supplikation Ratsprotokolle (4. März 1592), fol. 84r f.
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Bedeutsam ist in den Frauenklöstern in diesem Zusammenhang vor allem der Bruch der Klausur durch Verwandte. In Straßburg hatte im November 1524 der Bürger Hans Bildhauer an den Rat suppliziert, um seine Cousine in St. Margaretha sehen zu dürfen. Der Rat beschloss daraufhin, dass es allen Bürgern möglich sein solle, ihre Verwandten in den Klöstern zu sprechen, und dass dies im Beisein der Pfleger zu geschehen habe.132 Damit war die Exklusion der Frauen aus ihren Familien, die sie auch von deren Konversion zunächst ausgeschlossen hatte, teilweise aufgehoben. Anna Wurm hatte 1523 noch an ihren Bruder schreiben können: „Do ich profeß geton hab, hatt man mir furgehalten, min frund nimer me zu sehen, die beschlützde streng und hert zu halten, das hab ich mit gutem willen verwilligt und daruf profeß gedon, ich wills mit der hilf Gottes auch halten.“133
Mit der Entscheidung des Rates, die Verwandten in die Klöster zu lassen, wurde dieses Rückzugsgebiet geöffnet und eine Lücke geschaffen in der Isolation, die besonders die Frauenklöster anfänglich vor dem neuen Gedankengut geschützt hatte. Die Familienangehörigen konnten nun als Botschafter der neuen Lehre fungieren. Die Cousine von Hans Bildhauer jedenfalls verließ nach seinem Besuch das Kloster freiwillig.134 Aus Männerklöstern sind Fälle erzwungener Austritte nicht bekannt. Auch Briefwechsel, wie derjenige zwischen Anna und Matthias Wurm oder den Augsburger Geschwistern Rem sind m.W. nicht überliefert. Ein wichtiger Grund war sicherlich die unterschiedliche rechtliche Situation der Frauen. Während Frauen auch nach der Volljährigkeit unter der Autorität der Väter standen, war dies bei den Männern nicht der Fall. Schon die Straßburger Beispiele zeigen die Bedeutung der rechtlichen Dimension. Während Anna Wurm, deren Vater bereits verstorben war, sich darauf berufen konnte, dass sie volljährig und ihr Bruder nicht ihr Vormund sei, musste sich die minderjährige Margaret Kniebis dem Willen des Vaters fügen.135 Auch Caritas Pirckheimer versuchte, rechtliche Argumente gegen Ursula Tetzel zu nutzen.136 Verbunden mit der rechtlichen Vormundschaft mag ein besonderes Verantwortungsgefühl protestantischer Familien für 132
Vgl. AMS AST 35/9, fol. 2v-r. Die Nonnen wehrten sich zwar unter Berufung auf ihre Statuten gegen diese Entscheidung des Rates, konnten allerdings nichts bewirken, vgl. die Suppliken der Nonnen von St. Nikolaus und St. Magdalena in AMS AST 35/11, fol. 2r und AMS II, 7/21, fol. 34. 133 AMS II, 7/21, fol. 21. 134 Vgl. AMS AST, 35/9, fol. 2r-3v. 135 Vgl. dazu auch Leonard: Nails in the Wall, S. 67. 136 Vgl. Pirckheimer: Denkwürdigkeiten, S. 23. Caritas Pirckheimer argumentiert: „Auch die muter, wiewol die pillich von kinden geert sollen werden, nit den gewalt uber die kinder als die vetter haben, auch die nit untter muterlichen gewalt wie untter vetterlichen sind [...] so hat die clegerin nit macht, ir tochter wider irn willen auß dem closter zu nemen.“
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im Kloster lebende, weibliche Verwandte gewesen sein.137 Ein vergleichbares Vorgehen gegen einen Mönch, der sich der Konversion seiner Familie verweigerte, wäre also nicht denkbar gewesen. 6.2.2 Kontinuität familiärer Verflechtung: Das Beispiel St. Margaretha Während im vorangegangenen Abschnitt Beispiele dafür dokumentiert wurden, wie konfessionelle Divergenzen Konflikte zwischen Familien und ihren im Kloster lebenden Verwandten provozieren konnten, soll im Folgenden an einem Beispiel gezeigt werden, dass familiärer Zusammenhalt konfessionelle Divergenzen überwiegen konnte. Deutlich zeigt sich das von der Straßburger Religionspolitik unbeeindruckte Fortwirken familiärer Verflechtung an einem Beispiel aus dem Jahr 1549. Entgegen seiner eigenen Strategie, die Klöster aussterben zu lassen, ließ der Rat auf Bitten des Landvogtes von Hagenau in diesem Jahr fünf Nonnen im Kloster St. Margaretha zu, weil „derselb Eltern dem closter guts gethon“ und sie „vor auch im closter gewesen“, wie es lapidar in den Ratsprotokollen heißt.138 Die Nonnen hatten vorher alle fünf im Reuerinnenkloster in Hagenau gelebt.139 Untersucht man die Zusammenhänge zwischen den an diesem ungewöhnlichen Vorgang beteiligten Personen genauer, ergibt sich das Bild eines dichten Beziehungsgeflechtes.140 Zentrum und Knotenpunkt dieser Beziehungen ist Egenolf Röder, Mitglied 137
So führt auch Sigrid Schmitt die Eingliederung der Frauenklöster in das städtische Kontrollsystem im Spätmittelalter nicht nur auf die realpolitischen Interessen des Rates, sondern auch auf das besondere Verantwortungsgefühl der Ratsherren für ihre im Kloster lebenden Töchter zurück, vgl. Schmitt: Auflösung, S. 177ff. 138 Ratsprotokolle (19. Mai 1549), fol. 256r. 139 Vgl. BMS Ms 901 (Chronik St. Margaretha), dazu auch die Exzerpte aus den Ratsprotokollen AMS AST 37/4, S. 18f. und die Ratsprotokolle selbst (19. Mai 1549), fol. 256v ff. In Hagenau wurde die Reformation erst 1565 eingeführt, wenn auch schon seit den dreißiger Jahren gerade in der Ratselite der Stadt eine starke protestantische Gruppe vorhanden war und evangelische Prediger in der Stadt predigen durften, vgl. Grasser/Traband: Histoire de Haguenau, S. 87ff. Das Hagenauer Reuerinnenkloster galt seit 1469 als reformiert. Ältere Kontakte zwischen den beiden Klöstern ließen sich nicht feststellen, allerdings ist das Hagenauer Reuerinnenkloster bisher nur sehr kursorisch behandelt worden, vgl. etwa die ältere Arbeit von Gunzert: Hagenauer Kirchenleben, S. 23ff. Traditionell herrschten allgemein enge Kontakte zwischen Straßburg und Hagenau, auch in kirchlicher Hinsicht. So war etwa St. Klara auf dem Wert zunächst in Hagenau gegründet und später nach Straßburg umgesiedelt worden und unterhielt noch im 15. Jahrhundert enge Kontakte in die Stadt, vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 437. Auch ließen sich die Pfleger der Hagenauer Reuerinnen bei der Reform des Klosters von ihren Straßburger Kollegen beraten, vgl. Gunzert: Hagenauer Kirchenleben, S. 23ff. 140 Vgl. zur Rekrutierung auch Leonard: Nails in the Wall, S. 85ff. Die Aufnahme der fünf Frauen aus Hagenau 1549 wird hier nicht genauer beleuchtet.
6.2 Familien und Konvente im 16. Jh.
173
der Konstofel zum Hohensteg. Röder, der wohl ein beachtliches Vermögen besaß und über großen Landbesitz in Straßburg und Baden sowie bischöfliche und andere Lehen verfügte, war 1549 sowohl Stettmeister als auch Klosterherr und Pfleger von St. Margaretha und damit ein wichtiger Entscheidungsträger, was Veränderungen in diesem Konvent betraf.141 Mit dreien der fünf Nonnen, denen 1549 der Wechsel nach St. Margaretha gestattet wurde, war Röder verschwägert. Agnes Wurmser war die Tochter des 1540 verstorbenen Bernhard Wurmser von Vendenheim, der ebenfalls als Stettmeister und in zahlreichen anderen Funktionen politisch aktiv gewesen war. Röders Schwester Brigitte war mit Bernhards Bruder Jakob verheiratet.142 Das Konnubium pflegten die Röder von Diersburg auch mit denen von Fegersheim, dem Geschlecht der Nonne Ursula Fegersheim, die 1949 nach St. Margaretha gekommen war.143 Über die von Fegersheim lässt sich auch eine Verbindung zwischen Röder und der dritten patrizischen Nonne herstellen, die 1549 wechselte. Elisabeth von Mittelhausen war eine Verwandte des politisch sehr aktiven Adolf von Mittelhausen, dessen Familie Allianzen zu den von Fegersheim pflegte.144 Aber nicht nur mit diesen drei neuen Nonnen war Röder verbunden. Im Röder als Pfleger unterstellten Kloster St. Margaretha lebten 1545 bereits mehrere nähere und entfernte Verwandte des Pflegers. Zu nennen sind zuerst Anna und Walburga Böcklin, die als „evangelische Nonnen“ im Kloster waren. Über Bernhard Wurmser, den Vater der 1549 hinzukommenden Agnes, waren Anna und Walburga mit Röder verschwägert.145 Beide, Anna und Walburga, waren ebenfalls aus einem Kloster in Hagenau nach St. Margaretha gewechselt.146 Annas und Walburgas Brüder waren vermutlich Ulman und Claus Böcklin, wobei Ulman als Stettmeister und Pfleger der Johanniter ebenfalls religionspolitisch aktiv war.147 Eine weitere Verwandte der beiden Böcklin-Nonnen, Martha Böcklin, lebte ebenfalls 1545 im 141
Vgl. zu Röders Stellung und Besitz die prosopographischen Anhänge in Brady: Ruling Class, S. 342 und Abray: The People’s Reformation, S. 239; Vgl. zu seiner Funktion als Pfleger und Klosterherr auch AMS AST 35/9; AMS II, 28/17, Nr. 28; AMS AST 35/6, AMS AST 36/5, fol. 18v; AMS II, 57/11. 1543 hatte er auch im Dreizehner gedient, vgl. Hatt: Liste des membres, S. 669. Vgl. zum Folgenden unten Graphik 2. 142 Vgl. Brady: Ruling Class, S. 342f und 356. Vgl. zu den Ratsperioden der Wurmser Hatt: Liste des membres, S. 575. 143 Vgl. Kindler von Knobloch: Goldenes Buch, S. 82. 144 Vgl. Kindler von Knobloch: Goldenes Buch, S. 201. Vgl. zu Adolf von Mittelhausen Brady: Ruling Class, S. 335 und Hatt: Liste des membres, S. 496 und 604. 145 Annas und Walburgas Mutter war wahrscheinlich Ursula Wurmser von Vendenheim, die Schwester Bernhards, vgl. Brady: Ruling Class, S. 304. Diese Vermutung deckt sich mit der Selbstaussage der beiden Nonnen, die Röder als ihren Vetter bezeichnen, vgl. AMS AST 37/4 und AMS II, 57/11. 146 Vgl. AMS AST 37/4; AMS II, 57/11. 147 Vgl. Abray: The People’s Reformation, S. 231.
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6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
Kloster.148 Auch eine namensgleiche Verwandte Röders findet sich 1546 im Kloster, Beatrix Röder, Tochter von Andreas Röder, einem Vetter des Klosterpflegers.149 Um die selbe Zeit wie Beatrix Röder war außerdem Juliana von Neuenstein in das Kloster gekommen, Tochter eines Rittergeschlechts aus der Ortenau, deren Vater 1529 das Straßburger Bürgerrecht erworben hatte, ein Geschlecht, dass ebenfalls Allianzen zu den Röder von Diersburg unterhielt.150 Des Weiteren lebten die aus Straßburger Patrizierfamilien stammenden Frauen Agnes Zorn (die Priorin des Konvents), Agnes Berer sowie eine von Kageneck und eine Marx 1545 im Konvent.151 Abbildung 2: Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Nonnen von St. Margaretha 1549 und politischen Entscheidungsträgern152 Agnes Wurmser Elisabeth von Mittelhausen Bernhard Wurmser †, Stettmeister Adolf von Mittelhausen, Ratsherr, später Stettmeister
Ursula von Fegersheim
Egenolf Röder, Pfleger St. Margaretha, Stettmeister, Klosterherr
Anna und Walburga Böcklin
Ulman Böcklin, Stettmeister
Martha Böcklin Beatrix Röder
148
Juliana von Neuenstein
Über die Namensgleichheit hinaus lässt sich bei Martha der Verwandtschaftsgrad nicht genauer bestimmen. Ihr Vater ist Philipp Böcklin, der aber zumindest nicht politisch aktiv war, vgl. AMS II, 57/11; AMS II, 57/16. 149 Vgl. AMS AST, 37/4, S. 17; AMS II, 57/11. 150 Ein Hans von Neuenstein diente in der Konstofel zum Hohensteg, also in derselben Konstofel wie Egenolf Röder, vgl. Kindler von Knobloch: Goldenes Buch, S. 227; Wittmer/Meyer: Livre de bourgeoisie, S. 501 und AMS AST 37/4, S. 17. Eine weitere niederadelige Tochter ist womöglich Agnes von Schönau. Dass sie dem badischen Geschlecht der von Schönau angehörte, ist wahrscheinlich angesichts ihrer Mitschwestern, lässt sich aber nicht belegen. Es sind keine von Schönau als Straßburger Bürger in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bekannt, vgl. Kindler von Knobloch: Goldenes Buch, S. 324ff. 151 Vgl. AMS II, 57/11. 152 Die fett dargestellten Namen sind die Namen der in St. Margaretha lebenden Frauen. Schwarze Linien stellen direkte und eindeutig belegte Verwandtschaftsbeziehungen dar, gestrichelte Linien nicht näher bestimmbare Verwandtschaftsbeziehungen bei Namensgleichheit oder Familienverbindungen durch wiederholtes Konnubium.
6.2 Familien und Konvente im 16. Jh.
175
Diese illustre Runde noch junger, höherer Töchter machte St. Margaretha in den Jahren 1545 bis 1550 zu einem bemerkenswerten Sammelort patrizischer und niederadeliger Frauen in Straßburg, wie bereits die prosopographische Analyse ergeben hat. Offenbar hatten einige Familien in den ersten Jahrzehnten nach der Einführung der Reformation ihre Töchter in Klöstern der Umgebung, wie im Reuerinnenkloster von Hagenau, untergebracht und begannen nun, sie in die Stadt zurückzuholen und in St. Margaretha anzusiedeln. Sympathie für den alten Glauben lässt sich daraus kaum ableiten. Beatrix Röder gibt an, ein „Gast“ zu sein und will sich nicht einkleiden lassen.153 Die beiden Böcklerinnen bezeichnen sich als evangelisch.154 Dennoch untergrub das Handeln der Konstoflerfamilien die religionspolitische Strategie des Rates, der ja beabsichtigte, die Klöster aussterben zu lassen und die Klostergüter zu übernehmen. Wie dieser Vorgang ablaufen konnte und dass der gut vernetzte Pfleger Egenolf Röder darin tatsächlich eine aktive Rolle spielte, zeigt sich am Beispiel der Aufnahme von Beatrix Röder und Juliana von Neuenstein. Diese waren offenbar zunächst hinter dem Rücken des Rates in das Kloster gekommen, bereits 1537 taucht der Name Beatrix Röder auf.155 1546 suchten nun ihre Verwandten vor dem Rat um Legitimation ihres Status an. Persönlich verwendeten sich am 27. Februar zwei Personen für Beatrix und Juliana: Beatrix’ Cousin Jos Münch, Abkömmling einer reichen Straßburger Handelsfamilie, die auf dem Finanzmarkt tätig war, und der Klosterpfleger Egenolf Röder. Die beiden gaben an, dass die „sach an den Graf Wilhelmen gelangt“, der das Verbleiben der Frau unterstütze. Egenolf Röder bittet, „das man auch umb seinß willen [Röders Willen] sie diser bitt gewehre, das werd gedacht graf von Fürstenberg nachbarlich wider verdienen“.156 Die Familie Wilhelms von Fürstenberg stammte, wie die von Neuenstein, aus dem Badischen. Röder wünschte sich wohl deshalb ein Handeln im Sinne des Grafen, weil dieser einer seiner Kreditnehmer war, ein „Kunde“ seiner Finanzgeschäfte, den er ungern verärgern wollte.157 Der Rat beschloss, „Ihnen jezmals abschlagen, so dann die reformation fürgenomen wärn und diß beede noch vorhand, soll geschen, was gutt sein werd.“ Auf erneutes Anfragen Röders wird Beatrix und Juliana aber zumindest ein Verweilen von einem weiteren Monat gestattet.158 153
Vgl. AMS II, 57/11. Vgl. AMS AST 37,4; AMS II, 57/11. 155 Vgl. AMS AST 37/4, S. 17. 156 AMS AST 37/4, S. 210. 157 Brady kennt zumindest eine „große“ Rente, die Röder 1523 vom Grafen gekauft hat, vgl. Brady: Ruling Class, Anhang A, S. 343. 158 Vgl. AMS 37/4, S. 17f. „Reformation“ spielt hier auf die geplante Einführung einer evangelischen Klosterordnung an. 154
176
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
Dieselbe Formulierung findet sich drei Jahre später, als der Verbleib der Nonnen Böcklin, Mittelhausen und Fegersheim aus Hagenau diskutiert wird. Gerade das Jahr 1549 war eigentlich kein günstiges Jahr für das Straßburger Patriziat. Eine größere Gruppe wohlhabender Händler- und Konstoflerfamilien verließ zwischen August und September 1548 aufgrund der internen Streitigkeiten über die Annahme des Interims die Stadt und gab damit ihre politischen Ämter auf.159 Unter den Exilanten waren auch Verwandte der genannten Nonnen: Adolf von Mittelhausen sowie Ulman und Claus Böcklin.160 Zwar kehrte ein Großteil der Exilanten im Sommer 1549, etwa zeitgleich mit der Übersiedlung der Nonnen nach Straßburg zurück. Bis sie ihre politischen Ämter wieder aufnehmen konnten, dauerte es aber einige Jahre. So ist Adolf von Mittelhausen erst ab 1551 wieder im Rat vertreten.161 Dennoch entschloss sich der Rat, das Vorgehen der Familien zu tolerieren. Als bei einer Visitation festgestellt wurde, dass die Frauen aus Hagenau im Kloster lebten und die Nonnen ihr Recht, Frauen aufzunehmen mit Privilegien zu belegen versuchten, „ist nichts erkannt und hatt mans ein gutt sach lassen sein.“162 Einige Monate später ließ der Rat die Frauen ausdrücklich zu.163 Die Duldung der genannten höheren Töchter war allerdings kein Automatismus. Noch 1534 hatte der Rat ein ähnliches Ansuchen eines anderen Konstoflers rundweg abgelehnt.164 In diesem Jahr hatte Jakob von Schauenburg, der einem badischen Freiherrengeschlecht entstammte, aber das Straßburger Bürgerrecht besaß und der Konstofel zum Mühlstein angehörte, versucht, zwei Frauen in St. Margaretha unterzubringen. Dabei handelte es sich um seine Tochter und seine unverheiratete Schwägerin, deren Vater, Peter Ellenhart, kurz zuvor verstorben war und um deren Versorgung er nun offenbar besorgt war.165 Möglicherweise hoffte er, dass man für die 159
Vgl. Weyrauch: Konfessionelle Krise, S. 134ff. und 150ff.; Brady: Ruling Class, S. 280ff. 160 Vgl. für eine Liste aller Exilanten Brady: Ruling Class, Anhang E, S. 377ff. 161 Vgl. Brady: Ruling Class, S. 286f.; Hatt: Liste des membres, S. 496. Die genauen Rückkehrdaten einzelner Personen sind nicht bekannt. Es scheint aber unwahrscheinlich, dass die Rückkehr Adolfs von Mittelhausen in Verbindung steht mit der Umsiedlung seiner entfernten Verwandten Elisabeth. 162 Vgl. AMS AST 37/4, S. 20. 163 Der Fall zeigt Parallelen zu einem von Sigrid Schmitt analysierten Ereignis im Kloster St. Klara auf dem Wert 1413. Nach einem Skandal konnten die Nonnen hier ein ähnlich dichtes Netz von einflussreichen Verwandten aktivieren, um kirchenrechtliche Folgen abzuwenden, vgl. Schmitt: Straßburger Frauenkonvente, S. 73ff. 164 AMS AST 35/9 (1534); AMS AST 37/4, S. 2. 165 Vgl. AMS AST 35/9 (1534) und AMS AST 37/4, S. 2. Vgl. zu Jakob von Schauenburg Kindler von Knobloch: Goldenes Buch, S. 307ff, besonders S. 311 und Wittmer/Meyer: Livre de Bourgeoisie, S. 725. Die Verbindungen zwischen den Familien El-
6.3 Das Ausbleiben der Stiftungen im 16. Jh.
177
Tochter Ellenharts eine Ausnahme machen würde, war der verstorbene Konstofler Ellenhart doch neben seiner langjährigen Amtszeit als Ratsherr und Stettmeister auch Klosterherr und Pfleger von St. Margaretha gewesen.166 Sein Anliegen wurde in diesem Fall allerdings von den Nonnen, nicht von einem Ratsherrn, vor dem Rat vorgetragen und prompt abgelehnt. Möglicherweise weist die Rücksichtnahme des Rates auf die familiären und geschäftlichen Interessen Egenolf Röders und der anderen beteiligten Konstofler 1549 schon auf die durch das Interim bedingte mildere Klosterpolitik des Rates zur Jahrhundertmitte hin. Möglicherweise reichten aber auch 1534 die Würden des verstorbenen Ellenhart, der keine Söhne hinterlassen hatte, nicht aus, um die mangelnde Vernetzung Schauenburgs wettzumachen, dessen Familie stärker in Baden verwurzelt war.167 1549 dagegen finden sich die meisten der beteiligten Familien unter den von Brady ermittelten „ten politically most active patrician families“ in Straßburg.168 Während also einige Familien, wie die Wurm 1525 oder die Braun 1592 die Hilfe des Rates mobilisierten, um ihre altgläubigen Töchter aus den Klöstern zu zwingen, überwog in anderen Familien, wie den Röder von Diersburg oder den Böcklin das Interesse an der Versorgung der Töchter die konfessionellen Vorbehalte.
6.3 Das Ausbleiben der Stiftungen im 16. Jahrhundert 6.3 Das Ausbleiben der Stiftungen im 16. Jh.
Eine weitere bedeutende Dimension familiärer Verknüpfungen zwischen Klöstern und Stadtgemeinschaft im Mittelalter war die Anbindung der Familien durch Stiftungen. Mit ihren Stiftungen verpflichteten die Bürger die Konvente zu Mess- oder Gebetshandlungen, die zur Erlangung des Seelenheils nach dem eigenen Tod oder dem Tod eines Verwandten dienen soll-
lenhart und von Schauenburg waren sehr eng. Ellenhart wurde in der Schauenburg’schen Familiengrablege in Lautenbach beerdigt, vgl. Brady: Ruling Class, S. 311. 166 Vgl. AMS AST 35,9; AMS AST 37,4; AMS VI, 699/3; vgl. auch Brady: Ruling Class, Anhang A, S. 310f. 167 Die Schauenburger kauften nur vereinzelt das Straßburger Ausbürger- oder Bürgerrecht und waren erst ab 1560 im Rat vertreten. Jakob selbst diente nicht, vgl. Kindler von Knobloch: Goldenes Buch, S. 311 und Hatt: Liste des membres. Die Ellenharts starben in männlicher Linie mit Peter Ellenhart aus, vgl. Brady: Ruling Class, Anhang A, S. 311. 168 Vgl. Brady: Ruling Class, Anhang B, S. 361. Für die Jahre 1525–1562 finden sich sowohl die Böcklin, die von Mittelhausen, die Röder von Diersburg als auch die Wurmser unter den „Top Ten“.
178
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
ten.169 Diese zweckgebundenen Gaben hatten neben der religiösen eine soziale Dimension, indem sie „das Zusammenwirken des Stifters mit den Stiftungsorganen“ begründeten. Die Klöster wurden zu Vollstreckern des Stifterwillens.170 Durch diese „vertragliche Form des Erinnerns“ entstand eine Art imaginierter Gemeinschaft zwischen Stiftern und Stiftungsempfängern.171 Mitglieder dieser Gemeinschaft waren dabei immer auch die Toten, deren Gedenken durch die Gebets- oder Messverpflichtungen wach gehalten wurde und deren virtuelle Anwesenheit unter den Lebenden evoziert wurde.172 Mit der Memoria verknüpft war aber gleichzeitig das diesseitige Interesse der Stifter an Selbstdarstellung, an der Demonstration von Macht und Wohlstand. Indem die Stifter in Wort, Bild und Symbol oder als Verstorbene im Grabe sogar körperlich präsent waren, wurde der Kirchenraum zum Repräsentationsraum der Familien und stellte damit eine räumliche Verbindung zwischen Kloster und Stifterfamilie her.173 Mit der Reformation veränderten sich Form und Bedeutung der Memoria. Zwar wurde weiter gestiftet und die Präsenz der Toten im Kirchenraum, etwa in Stifterbildern, blieb zunächst eine Konstante. Mit der Kritik an der Werkgerechtigkeit musste aber die besonders in den Klöstern geübte Gebetsmemoria ins Abseits geraten. Gestiftet wurde nun häufiger nicht nur an Kirchen, sondern an gemeinnützige Einrichtungen wie Hospitäler oder Armenstiftungen, aber auch für Brücken, Brunnen und den Erhalt der Stadtmauern.174
169
Der Beziehung zwischen Familien und Klöstern sowie der Memoria allgemein sind inzwischen zahlreiche Studien gewidmet worden, die hier nicht einzeln genannt werden können. Exemplarisch genannt sei hier für die jüngere Forschung der von Hamm, Leppin und Schneider-Ludorff herausgegebene Sammelband: Media Salutis. Vgl. für einen Überblick über aktuelle Tendenzen der Memoriaforschung auch Borgolte: Zur Lage der deutschen Memoria-Forschung, S. 21ff. 170 Vgl. Borgolte: Stiftungen des Mittelalters, S. 83f., hier S. 84. Den Sinn der Stiftungen zur Erlangung von Seelenheil hat zuerst Karl Schmid pointiert herausgearbeitet, vgl. Schmid: Stiftungen für das Seelenheil. 171 Staub: Memoria, S. 290. 172 Vgl. dazu prägend für die weitere Forschung Oexle: Gegenwart der Toten, hier besonders S. 19ff. 173 Vgl. Oexle: Art. Memoria, Sp. 510ff. Vgl. dazu neuerdings auch Benjamin Scheller: Gedenken und Geschäft, S. 133ff. und ders. monographisch: Memoria an der Zeitenwende. 174 Vgl. dazu zusammenfassend Oexle: Memoria als Kultur, S. 53ff. Wegen dieser Gleichzeitigkeit von Bruch und Kontinuität spricht Oexle von „einem unterschiedlichen Verlauf der Ideen- gegenüber der Mentalitätsgeschichte“. Vgl. zum Wandel in der Frühen Neuzeit auch Poeck: Wohltat und Legitimation, S. 1ff.; Rexroth: Stiftungen, besonders S. 117ff.; Staub: Memoria, besonders S. 318ff. und die sehr gelungene Fallstudie zur Memoria Jakob Fuggers des Reichen von Scheller: Memoria an der Zeitenwende.
6.3 Das Ausbleiben der Stiftungen im 16. Jh.
179
In Straßburg ist diese Entwicklung bereits ab der Mitte des 15. Jahrhunderts zu beobachten. Rapp konstatiert insgesamt einen Rückgang der Stiftungen an geistliche Einrichtungen, während Stiftungen an gemeinnützige Institutionen, wie an das Hospital und das Frauenwerk, von den Gläubigen weitergeführt wurden.175 Nach 1517 kam es sehr wahrscheinlich auch in Straßburg zu einem weitgehenden Stopp der Stiftungen an die Klöster. Nähere Informationen hierzu finden sich allerdings nur für die Johanniterkommende, St. Magdalena und St. Margaretha. Aus St. Johann und St. Magdalena sind Anniversare, aus allen drei Klöstern Urkunden über einzelnen Stiftungen überliefert.176 Die Johanniterkommende war ursprünglich sehr beliebt unter den Straßburger Bürgern. In den ersten dreißig Jahren ihres Bestehens (1371– 1400) erhielt die Kommende nicht weniger als 84 Stiftungen und Schenkungen.177 Für das 15. Jahrhundert verzeichnet das Anniversar immerhin noch 66, von 1500 bis 1522 29 Jahrzeitstiftungen. Unter den Stiftern finden sich dabei zahlreiche Familien der Straßburger Führungsschichten. Laut Anniversar beauftragten die Familien Bock, Obrecht, Zorn, Mittelhausen, Ottfriedrich, Merswin und Mülnheim die Johanniter mit Gebetsgedenken. Mit dem Jahr 1522 brechen die Stiftungen fast völlig ab. Bis 1600 ist nur eine weitere Stiftung im Anniversar verzeichnet. Ein Balthasar von Sinsenheim, offenbar kein Straßburger Bürger, stiftete 1573 ein Totengedenken.178 Auch die übrigen Schenkungen an die Johanniter reichen nur bis in das erste Viertel des 16. Jahrhunderts.179 Erst im 17. Jahrhundert werden 175
Vgl. Rapp: Réformes et Réformation, S. 398ff. Die wenigen Ausnahmen, wie St. Klara am Rossmarkt, kann Rapp als scheinbare identifizieren. Zwar ebben in St. Klara am Rossmarkt die Stiftungen nicht so stark ab wie in anderen Konventen, jedoch kamen diese Stiftungen nicht dem Gesamtkonvent, sondern einzelnen Frauen zu Gute. Der Befund von Rapp steht im Kontrast zu der von Moeller skizzierten Entwicklung in anderen Städten und Landschaften. Moellers Beobachtung zu Folge kam es vielerorts im 15. Jahrhundert noch einmal zu einer Zunahme von Messstiftungen und anderen Ausdrucksformen gesteigerter Frömmigkeit und erst um 1517 zu einem rapiden Einbruch, vgl. Moeller: Frömmigkeit um 1500, S. 74f. 176 Das Seelbuch von St. Magdalena findet sich in AMS VIII, 193. Es wurde 1513 unter Übernahme der Eintragungen aus einem älteren Buch begonnen und umfasst das 15. bis 18. Jahrhundert. Das spätmittelalterliche Original befindet sich in der Bibliothek des Grand Séminaire, Strasbourg. Das Anniversar der Johanniterkommende ist eine Abschrift aus dem 17. Jahrhundert und umfasst das 15. bis 17. Jahrhundert, vgl. ADBR H 1614. Die urkundliche Überlieferung aus St. Magdalena findet sich in ADBR H 2974/6 bis 10, die Überlieferung von Stiftungen aus der Johanniterkommende in ADBR H 1389 und 1390. Die Stiftungsurkunden von St. Margaretha finden sich in ADBR H 3125. 177 Vgl. Rapp: Réformes et Réformation, S. 400. 178 Vgl. ADBR H 1614. 179 Vgl. ADBR H 1390.
180
6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
die Jahrzeitstiftungen in der Kommende wieder häufiger, allerdings ohne annähernd das Niveau der vorreformatorischen Zeit zu erlangen. Für das gesamte 17. Jahrhundert sind nicht mehr als 23 Jahrzeitstiftungen verzeichnet.180 Das Seelbuch des Reuerinnenklosters dagegen verzeichnet für die Zeit zwischen 1517 und 1600 immerhin noch 31 Stiftungen. Allerdings gehen davon acht auf Geistliche und vier auf Bedienstete des Klosters zurück.181 Weitere drei Stifter kommen als Verwandte von nach 1517 im Konvent lebenden Nonnen in Frage.182 Es finden sich unter den übrigen Stiftern aber auch vereinzelt Namen, die möglicherweise den wenigen altgläubigen Straßburger Familien des 16. Jahrhunderts zuzuordnen sind.183 Weitere Schenkungen erhielten die Reuerinnen nach 1517 allerdings wohl nicht.184 Gerade im Vergleich mit dem 15. Jahrhundert kann deshalb auch für die Reuerinnen von einem Rückgang der Zuwendungen ausgegangen werden. Noch im Jahr 1480 hatten die Reuerinnen für den Neubau ihrer Kirche innerhalb der Stadtmauern in wenigen Monaten mit Hilfe eines päpstlichen Ablasses nicht weniger als 2.674 Gulden eingenommen.185 Auch die Dominikanerinnen von St. Margaretha erhielten wahrscheinlich während des 16. Jahrhunderts überhaupt keine Stiftungen mehr. Zwar ist hier kein systematisches Verzeichnis der Stiftungen erhalten. Das Konvolut aber, das noch für das 15. Jahrhundert zahlreiche Urkunden über Stiftungen sammelt, enthält kein einziges Dokument aus dem 16. Jahrhundert. Angesichts der ansonsten sehr guten Überlieferungslage von Besitzurkunden sowie Rent- und Zinsverschreibungen für das 16. Jahrhundert in demselben Konvolut scheint es wahrscheinlich, dass es sich bei dieser Lücke nicht um einen Überlieferungszufall handelt.186
180
Vgl. ADBR H 1614. Unter den Geistlichen sind mehrere Kanoniker aus Jung St. Peter, ein Kanoniker des Hohen Stifts, zwei Beichtväter der Reuerinnen und Mönche aus Klöstern außerhalb Straßburgs, vgl. AMS VIII, 193. Leider ist für den Großteil der Jahrzeitgedenken des 16. Jahrhunderts die Höhe der Stiftung nicht vermerkt. 182 So könnte Jakob Frantzen († 1548) mit der Nonne Katharina Frantz († 1525), Urban Meyer († 1578) mit der Nonne Jakobe Meyer († 1540) und Anna Steudin († 1572) mit der Priorin Katharina Steudin († 1572) verwandt gewesen sein, vgl. AMS VIII, 193. 183 In den 70er Jahren des 16. Jahrhundert stiften Personen mit dem Namen Braun, vgl. AMS VIII, 193. Ein Zweig der Familie Braun galt, wie oben erwähnt, als katholisch. Auch der Name Johannes Lutz († 1574) taucht als Stifter auf. Drei Nonnen desselben Namens finden sich um die selbe Zeit im Kloster St. Nikolaus, möglicherweise ebenfalls ein Hinweis auf eine ansonsten nicht näher bestimmbare katholische Straßburger Familie. 184 Die einzige urkundlich überlieferte Stiftung aus dem 16. Jahrhundert ist eine Messstiftung des Nikolaus Böcklin von 1506, vgl. ADBR H 2975/8. 185 Vgl. Pfleger: Geschichte des Reuerinnenklosters, S. 22. 186 Vgl. ADBR H 3125. 181
6.4 Zusammenfassung
181
Das Wegfallen der Stiftungen an die Klöster hatte vielschichtige Auswirkungen. Neben den wirtschaftlichen Folgen, die noch diskutiert werden, war ein weiteres Abnehmen der Verflechtung mit der Stadtgemeinschaft die Konsequenz. Zwar waren in den männlichen Bettelordenskonventen sowie in den Frauenklöstern häufig die Stifterfamilien mit den Familien der Konventualen identisch.187 Für andere Konvente aber, wie etwa für die Kartause und die Johanniter, die sich nur zu einem sehr geringen Teil aus der Straßburger Gesellschaft rekrutierten, waren die Stifterfamilien ein wichtiger Konnex zur städtischen Gesellschaft. Die imaginierte Gemeinschaft zwischen Klöstern und Stiftern mit ihrer vertraglich festgelegten Aufgabenteilung löste sich auf. Gleichzeitig musste es mit der Ablehnung der Gebetsmemoria durch die Reformatoren zu einer, so Steinke, „utilitaristischen Infragestellung der Existenzberechtigung“ der Klöster kommen. Denn mit der Reformation verloren die Klöster eine ihrer wichtigsten Funktionen: als Garanten des Seelenheils der Verstorbenen.188
6.4 Zusammenfassung: Innerhalb der Mauern, aber nicht innerhalb der Gemeinschaft? 6.4 Zusammenfassung
Die genaue Gewichtung von sozialem Status und Familie auf der einen und konfessionellen Banden und Überzeugungen auf der anderen Seite lässt sich in der Reformationszeit nur schwer bestimmen. Verschiedene Studien der vergangenen Jahre lassen vermuten, dass Blut dicker als Taufwasser war. So konnte Peter Lang schon 1980 für die Ulmer Gesellschaft zeigen, dass altgläubige Abweichler innerhalb der herrschenden Oberschichten eher toleriert wurden als in den niederen sozialen Schichten der Stadt, die keine familiären Bindungen zum Stadtrat hatten. Der Ulmer Rat erlaubte ab den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts altgläubigen Patriziern auf Anfrage Haustaufen, Trauungen und Beerdigungen nach dem alten Ritus, Praktiken, die ansonsten streng verboten blieben.189 Ähnliches konnte Derksen für die Straßburger Toleranzbereitschaft gegenüber Sektierern 187
Vgl. für die männlichen Bettelordensklöster Rüther: Bettelorden, S. 129ff. Vgl. für die Frauenklöster Schmitt: Geistliche Frauen, S. 322ff., die im Eintritt einer Tochter in einen Konvent auch eine personelle Absicherung der in diesem Kloster verankerten Memoria sieht. Vgl. ähnlich auch Rapp: Réformes et Réformation, S. 398ff. Nicht immer aber mussten sich Stifterkreis und Familienkreis überschneiden, wie Christine Kleinjung am Wormser Beispiel herausstellt, vgl. Kleinjung: Frauenklöster, S. 279. 188 Vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 241ff., hier S. 241. Vgl. zur Bedeutung der Memoria auch Schmitt: Geistliche Frauen, S. 322ff. 189 Vgl. Lang: Katholische Minderheit, S. 92f und 96. Vgl. auch ders. monographisch: Ulmer Katholiken, besonders S. 135ff.
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6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
zeigen und Schindling für mit Adeligen besetzte Ritterhäuser, Domkapitel und Stifte.190 Auch Barbara Henze äußert die Vermutung, dass bei manchen Klöstern die „Einbindung in das Sozialgefüge via Familie stärker war als die mögliche Fremdheit des religiösen Lebenswandels“.191 Der Straßburger Befund stützt diese Ergebnisse. Letztlich tolerierte der Rat Entscheidungen seiner Bürger, die die städtische Religionspolitik konterkarierten, wenn diese Bürger denn aus ausreichend hohen gesellschaftlichen Schichten stammten. Er sah ebenso darüber hinweg, wenn Straßburger Patrizier ihre Töchter in den Konventen versorgten, wie wenn Ratsherren die konfessionelle Einheit ihrer Familie durch erzwungene Austritte sicherstellten. Umso bedeutsamer ist die hier festgestellte, immer weiter abnehmende Verflechtung von Klöstern und städtischen Eliten im 16. Jahrhundert. Waren die verbliebenen Klöster gegen Ende des 16. Jahrhunderts nur noch Institutionen innerhalb der Stadtmauern, nicht mehr aber Teil der städtischen Gemeinschaft? In religiöser Hinsicht waren die Bande zwischen Stadtgemeinschaft und Klöstern sicherlich zerschnitten. Dass Straßburger Familien ihre Töchter weiterhin in Konventen unterbrachten, kann in den meisten Fällen kaum als religiöser Akt gewertet werden, wie die Überlegungen zum Ausbleiben von Stiftungen im 16. Jahrhundert und zu den Überzeugungen einzelner Familien gezeigt haben. Ein weiterer Beleg findet sich auch darin, dass die Namen der Familien der Konventualen kaum unter den Stiftern der Klöster auftauchen. In St. Magdalena finden sich gerade die Familien reicherer Nonnen nicht im Anniversar.192 Diese Feststellung muss aber keinen Nachteil für Klöster bedeutet haben. Es könnte umgekehrt vermutet werden, dass die Klöster auch deshalb in Straßburg überleben konnten, gerade weil sie nicht mehr als religiöse, sondern als soziale Institutionen angesehen wurden. Dieser Wandel in der Fremdwahrnehmung der Klöster könnte auch erklären, warum der Ablösungsprozess von der Straßburger Gesellschaft sich in sozialer Hinsicht soviel weniger radikal als in religiöser Hinsicht darstellt. Der Wandel der Sozialstruktur der Konvente vollzog sich wesentlich langsamer als das harsche Durchgreifen einzelner Familien in der Frühphase der Reformation vermuten ließe. Straßburger Familien verschwanden nie völlig aus den Frauenklöstern der Stadt, während die Stiftungen abrupt abbrachen. Auch ein Blick auf die Priorinnen der Klöster bietet Indizien dafür, dass die Klostergemeinschaften sich weiterhin an der Straßburger 190
Vgl. Derksen: Religious Nonconformists, S. 260; Schindling: Reformation in den Reichsstädten, S. 80f. 191 Vgl. Henze: Orden und ihre Klöster, S. 96f., hier S. 104. 192 So fehlen etwa die Namen der Wurmser, Spender, Ottfriedrich, Voltz und Böcklin, vgl. AMS VIII, 193 und Prosopographie.
6.5 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen
183
Gesellschaft orientierten. Obwohl der Anteil der auswärtigen Frauen in allen drei Konventen stark stieg, stammten die Priorinnen der drei Konvente überdurchschnittlich häufig aus Straßburger Familien, besonders aus Familien der Straßburger Oberschicht. Auch im 16. Jahrhundert nahm eine Nonne „den sozialen Status ihrer Familie mit in den Konvent.“ Ihre Wahrnehmung war weiterhin stark davon geprägt, mittelbar, über die Familienbande, Teil der städtischen Gemeinschaft zu sein.193
6.5 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen 6.5 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen
Geschlechterspezifische Unterschiede zwischen Männer- und Frauenklöstern ließen sich zunächst in der sozialen Zusammensetzung der Gemeinschaften feststellen. Während unter den mobileren männlichen Konventualen deutlich mehr Personen nicht aus Straßburg stammten, wurden die Frauenklöster von Mitgliedern Straßburger Familien dominiert. Ob sich daraus für Männer- oder Frauenklöster ein distinkter Vor- oder Nachteil ergab, ist schwer zu sagen. Insgesamt deutet der Straßburger Befund darauf hin, dass die familiäre Einbindung zu Beginn der Reformation nicht entscheidend war für Auflösung oder Schließung, weder in den Frauen, noch in den Männerkonventen. Mögliche Unterschiede resultieren wohl eher aus dritten Merkmalen der Frauen- und Männerklöster, die diesen Unterschied in der lokalen Einbindung erst herbeiführten, wie etwa der völlig andere Anspruch an die Bildung von Mönchen und Nonnen. Dennoch ließen sich – anhand des umfangreicheren Quellenmaterials für die Frauenklöster hauptsächlich an ihrem Beispiel, für die Mönche daher nur ex negativo – wichtige geschlechterspezifische Unterschiede in der Beziehung der Konventualen zu ihrer Umwelt herausarbeiten. Während für Nonnen etwa zahlreiche Beispiele erzwungener Klosteraustritte belegt sind, sind derartige Vorkommnisse für Mönche m.W. nicht überliefert. Dies lag sicherlich am unterschiedlichen rechtlichen Status der Männer und Frauen, aber wahrscheinlich auch an einem durch geschlechterspezifische Diskurse verursachten besonderen Verantwortungsgefühl der Familien für ihre im Kloster lebenden Töchter. Im konfessionell veränderten Verhältnis zwischen Familie und Konventualen fiel am Beispiel der Frauenklöster ein weiterer geschlechterspezifischer Aspekt auf. Zumindest die reformierten Klöster waren noch streng 193
Schmitt: Geistliche Frauen, S. 335. In St. Nikolaus stammten die namentlich bekannten Priorinnen weiterhin überwiegend (drei von fünf) aus politisch aktiven Zunftfamilien, in St. Margaretha aus patrizischen Familien. In St. Magdalena stammte die Hälfte der bekannten Priorinnen aus politisch aktiven Patrizier- oder Zunftfamilien.
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6. Innerhalb der Stadtmauern, außerhalb der Stadtgemeinschaft
klausuriert, was gerade die Frauen von der Konversion ihrer Familien ausschloss. Die Rolle von Familienmitgliedern als Multiplikatoren der Lehre war durch die Einschließung begrenzt und wurde erst durch die in Nürnberg und Straßburg zum Zweck von Besuchen zwangsweise gelockerten Klausurbestimmungen möglich. Mönche hingegen lebten weniger abgeschirmt von ihrer Umwelt und kamen viel eher durch Verwandte oder andere Kontakte zur städtischen Gesellschaft mit der neuen Lehre in Berührung. Vom Ausfallen der Stiftungen wiederum waren Männer- wie Frauenklöster gleichermaßen betroffen. Obwohl in den Frauenklöstern weiterhin städtische Familien vertreten waren, stifteten deren Verwandte ebenso wenig an diese Konvente wie an die weniger verflochtenen Männergemeinschaften.
Kapitel 7
Der Einfluss der Reformation auf die Wirtschaft der Straßburger Klöster Die monastische Wirtschaftsgeschichte ist kein zentrales Untersuchungsfeld der Ordensforschung.1 Eine Ausnahme bilden zwar die Zisterzienser, zu denen sowohl Studien zur Wirtschaftsführung einzelner Klöster als auch zum Orden insgesamt recht zahlreich sind.2 Für die männlichen Zweige der Bettelorden liegen außerdem Studien vor, die der Frage nach der Umsetzung des Armutsideals nachgehen.3 Zur Wirtschaftsgeschichte der übrigen Orden4 und besonders zu den Frauenklöstern liegen allerdings bisher nur sehr wenige Studien vor.5 Die Frage, wie sich die Veränderungen in protestantischen Territorien und Städten auf die Wirtschaft der fortbestehenden Klöster auswirkten, ist m. E. bisher nur von Steinke in ihrer Dissertation zu den Nürnberger Frauenklöstern behandelt worden.6 Dabei konnte gerade in der Frühen Neuzeit, wie bereits gezeigt wurde, die Wirtschaftlichkeit der Klöster eine zentrale Rolle spielen, waren es doch häufig finanzielle Aspekte, die zur Auflösung von Gemeinschaften führten
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Zu dieser Einschätzung kommt auch Bernhard Lübbers in seiner Rezension von Hendrik Weingartens Wirtschaftsgeschichte des Klosters Zwiefalten, http://www.sehepunkte.de/2008/02/11401.html (29. Mai 2008). Vgl. optimistischer und in jeder Hinsicht grundlegend für die weitere Erforschung der Wirtschaftsgeschichte der Orden Kehnel: Heilige Ökonomie, S. 269ff. 2 Vgl. für einen Überblick Immo Eberl: Die Zisterzienser. 3 Vgl. u.a. Melville/Kehnel: In proposito paupertatis; Rüther: Bettelorden; Berg: Bettelorden und Stadt und Neidiger: Armutsbegriff und Wirtschaftsverhalten. 4 Zentral ist hier immer noch der von Kaspar Elm 1992 herausgegebene Sammelband Erwerbspolitik und Wirtschaftsweise mittelalterlicher Orden und Klöster. Vgl. für einen Überblick über die Literatur zum Thema klösterliche Finanzwirtschaft Schlunk: Kloster und Kredit, S. 36ff. Vgl. für die Wirtschaftsführung stiftischer Gemeinschaften neuerdings den von Sönke Lorenz und Andreas Meyer herausgegebenen Sammelband Stift und Wirtschaft (2007), der die Vorträge der fünften und letzten Tagung des DFG-Projekts zu den baden-württembergischen Stiftskirchen versammelt. 5 Vgl. für einen aktuellen, knappen Forschungsüberblick zur Wirtschaftsgeschichte der Frauenklöster Gechter: Frauenklöster und -stifte, S 133. Einen knappen Überblick über die Wirtschaftsweise verschiedener weiblicher Ordenszweige, ebenfalls unter Verweis auf bestehende Desiderata, bietet Rösener: Haushalt und Gebet, S. 79ff. 6 Vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 279f.
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7. Reformation und Klosterwirtschaft
oder zumindest als Argument für deren Schließung angeführt wurden.7 Ziel des folgenden Kapitels ist es demnach zu untersuchen, welche Auswirkungen die Reformation auf die Straßburger Klosterwirtschaften hatte und ob diese Effekte indirekt oder direkt zur Schließung oder Auflösung von Gemeinschaften führen konnten. Es geht darum zu ermitteln, ob der Wandel wirtschaftlicher Strukturen die Handlungsspielräume der Religiosen begrenzte.
7.1 Wirtschaftskraft und Wirtschaftsweise der Klöster im Vergleich 7.1 Wirtschaftskraft und Wirtschaftsweise der Klöster
Vergleicht man die wirtschaftliche Situation der Straßburger Klöster im 16. Jahrhundert, stellt sich die Frage, ob die Wirtschaftsführung der unterschiedlichen Ordenshäuser und auch der männlichen und weiblichen Ordenszweige überhaupt vergleichbar ist, ob also überhaupt von einem Einfluss der Reformation auf „die“ Klosterwirtschaft gesprochen werden kann.8 Sicherlich muss festgehalten werden, dass die Straßburger Klöster mit sehr unterschiedlichen finanziellen Voraussetzungen in das 16. Jahrhundert gingen. Als Vergleichsgröße dienen im Folgenden der Korpus der Pfennigzinsen9 sowie die Höhe der Einnahmen aus Korngülten,10 da diese die beiden größten Posten in den Rechnungen darstellen und weitaus weniger schwanken als die Einnahmen insgesamt, die häufig von einzelnen größeren Verkäufen und den aktuellen Getreidepreisen abhängig waren.11 Dieses Verfahren bietet sich auch deshalb an, da die Klöster kaum über größere Bargeldbestände verfügten. Wie in der Wirtschaft geistlicher Einrichtungen üblich, war es auch in den Straßburger Klöstern gängige Praxis, frei gewordenes Kapital sofort zu reinvestieren. Das „Hauptgut“ der Klös-
7
Marianne Gechter verweist darauf, dass dies im Falle der Frauenklöster auch schon im Mittelalter häufig der Fall war, vgl. Gechter: Frauenklöster und -stifte, S. 133. 8 Vgl. zum Vergleich der Wirtschaft unterschiedlicher Orden grundsätzlich bejahend Kehnel: Heilige Ökonomie, S. 273ff. 9 Also die für ein Jahr erwartbaren Einnahmen aus Kreditzinsen und Pfennigzinsen aus grundherrschaftlichen Rechten nach Abrechnung abgelöster Kreditzinsen und Addition neu gekaufter Zinsen. Die tatsächlichen Einnahmen konnten je nach Zahlungsfähigkeit der Schuldner und Zinspflichtigen und je nach Intensität des Eintreibens von dieser Summe erheblich abweichen. Besonders gut lässt sich dies am Straßburger Beispiel an den seriell vorhandenen Rechnungen von St. Margaretha feststellen, vgl. ADBR H 3253 bis H 3259. Aus den Jahren 1534 bis 1608 sind für dieses Kloster 19 relativ gleichmäßig über den Zeitraum verteilte Jahrrechnungen erhalten. 10 Für diese Summe gilt dasselbe wie für den Korpus der Pfennigzinsen, vgl. ebd. 11 Ebenso verfährt Rapp: Réformes et Réformation, S. 257.
7.1 Wirtschaftskraft und Wirtschaftsweise der Klöster
187
ter ist also in den Einnahmen aus Zinsen und Gülten relativ gut abgebildet.12 Problematisch ist hier lediglich die nur scheinbar objektive Quellengruppe der Rechnungen. Da Stallgeld und Ungeld anteilig berechnet wurden, ist es denkbar, dass zumindest diejenigen Klöster, die ihre Rechnungen noch selbst anfertigten, ihre Einnahmen bewusst klein rechneten.13 Da die Rechnungen aber in allen Klöstern von den Pflegern kontrolliert wurden, kann von halbwegs realistischen Angaben ausgegangen werden. Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass unter den Pfennigzinsen nicht alle Geldgeschäfte der Klöster auftauchen müssen. So sind etwa für St. Magdalena Kreditgeschäfte in größeren Dimensionen belegt, die keinen Eingang in die Summe der Pfennigzinsen fanden.14 Legt man dennoch diese Zahlen als Orientierungswert zugrunde, lässt sich ebenso wie in der prosopographischen Analyse eine Rangordnung feststellen, nun bezogen auf den Wohlstand der Klöster. In dieser Hierarchie standen die Johanniter mit Abstand an der Spitze. Hinweise auf den Reichtum der Kommende finden sich schon in den erzählenden Quellen. Als 1522 päpstliche Gesandte in die Stadt kamen, wurden sie bei den Johannitern untergebracht.15 Die Rechnungen der Kommende bestätigen diesen Eindruck. Die Johanniter verfügten 1525/1526 über Pfennigzinsen von 800 Pfund und Einnahmen aus Korngülten von 4.005 Vierteln und konnten die Einnahmen aus Pfennigzinsen bis zur Mitte des Jahrhunderts sogar auf 923 Pfund steigern.16 Dies waren beachtliche Summen: Der Getreidepreis schwankte im 16. Jahrhundert zwar stark, stieg aber tendenziell an, er be12
Vgl. dazu an sächsischen Beispielen Blaschke: Bedeutung kirchlicher Institutionen, S. 567. Blaschke multipliziert die Einnahmen aus Pfennigzinsen mit dem gängigen Zinssatz von 5%, um das eingelegte Kapital zu errechnen, vgl. Blaschke: Bedeutung kirchlicher Institutionen, S. 562. Allerdings ist aus den Straßburger Rechnungen nicht ersichtlich, welche Einnahmen in der Kategorie „Pfennigzins“ Zinsen aus grundherrschaftlichen Rechten darstellen und welche aus Rentengeschäften stammen. Grundsätzlich unterschieden die Zeitgenossen begrifflich nicht eindeutig zwischen diesen beiden Zinsformen, vgl. Trusen: Rentenkauf im Spätmittelalter, S. 142. Vierling schätzt zwar, dass ein Großteil der aufgeführten Korngülten und Zinsen aus Verleihgeschäften stammten, vgl. Vierling: Ringen, S. 9. Dennoch soll von einer Hochrechnung wegen dieser Unsicherheiten hier abgesehen werden. Vierlings Verfahren, aus der Höhe des gezahlten Schirmgelds auf das Kapital einzelner Klöster zu schließen, ist ebenfalls nicht verwendbar, da nicht für alle Klöster die Höhe des Schirmgelds bekannt ist. 13 Vgl. den Fall von vermuteter Rechnungsfälschung in der Kartause, AMS AST 36/5, fol. 22r. Vgl. zur Frage, inwieweit die Klöster ihre Güter noch selbst verwalteten Kapitel 10.1.2. 14 Siehe unten in diesem Abschnitt detailliert. 15 Vgl. Specklin: Collectanées, S. 493. 16 Vgl. die Rechnungsbücher der Kommende in ADBR H 1985.
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7. Reformation und Klosterwirtschaft
wegte sich in etwa zwischen zwei und vier Pfund pro Viertel.17 Selbst, wenn die Johanniter nur ein Viertel ihres Getreides verkauften, waren sie damit dem Empfinden der Zeit nach beinahe Millionäre. Ein Handwerkermeister verdiente in Straßburg etwa 25 Pfund im Jahr.18 Über ähnlich hohe Einkommen an Pfennigzinsen konnte St. Margaretha verfügen. Die Dominikanerinnen hatten 1527/28 Rechte auf 568 Pfund und konnten diesen Betrag bis zum Ende des Jahrhunderts fast verdoppelt (1.023 Pfund im Jahr 1591). Hinzu kamen Einnahmen aus Korngülten in Höhe von 1.460 (1527/1529) beziehungsweise 2.488 Vierteln (1591).19 Es folgt die Kartause, die sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts wirtschaftlich ebenfalls verbessern konnte von (womöglich klein gerechneten) 262 Pfund Pfennigzinsen im Rechnungsjahr 1525/1526 auf 578 Pfund im Jahr 1591. Im selben Jahr nahm die Kartause außerdem 1.600 Viertel an Korngülten ein.20 In einer ähnlichen Größenordnung bewegten sich die Zinseinnahmen der Reuerinnen von St. Magdalena. Ihre Rechte an Pfennigzinsen betrugen zwischen 652 (1522/1523) und 541 (1547/1548) Pfund.21 Größere Zinsgeschäfte schloss das Kloster im 16. Jahrhundert mit dem Bischof von Speyer sowie mit Propst und Kapitel von Weißenburg und den Markgrafen von Baden ab.22 Die männlichen Mendikanten gehörten in Straßburg, wie allgemein – auch im Vergleich mit den Frauenkonventen derselben Orden – eher zu den „wirtschaftlich unbedeutenderen geistlichen Anstalten“.23 Dominikaner, Franziskaner und Augustiner in Straßburg verfügten über Einnahmen 17
Ein Viertel entsprach dabei 111,43 Liter Getreide. Vgl. zu Maßen und Gewichten in Straßburg Winckelmann: Fürsorgewesen, S. XIV und Rüther: Bettelorden, S. 331. Vgl. zu den Getreidepreisen Kintz: Société strasbourgeoise, S. 250ff. und Gechter: Frauenklöster und -stifte, S. 141. Vgl. für die unterschiedlichen Preise für Hafer, Roggen und Weizen um 1542 auch AMS II, 7/20, Nr. 38. 18 Vgl. Brady: Jacob Sturm, S. XI. Brady über Geldwerte im Straßburg des 16. Jahrhunderts: „200 fl. was considered quite a lot of money; 500 made one well off; and 5.000 fl. made one the equivalent of a modern millionaire.“ (S. XI). Umrechnung von Gulden in Pfund nach Kintz: Société strasbourgeoise, S. 251, der ein Pfund mit 240, einen Gulden mit 126 Pfennig beziffert. Vgl. zu den Löhnen im 16. Jahrhundert Fuhrmann: Löhne und Vermögensverhältnisse, S. 835. Nach Aussage von Fuhrmann lagen die Straßburger Löhne damit deutlich über den ansonsten in den größeren Städten üblichen. 19 Vgl. ADBR H 3253 bis H3259. 20 Vgl. AMS AH 8096 (Rechnung 1525/1526, nur Geldrechnung). Vgl. auch die Beschwerde des Priors über Zugriffe des Rates auf die Güter des Klosters 1591, AMS AST 100/70, Nr. 1 21 Vgl. die wenigen erhaltenen Rechnungsjahrgänge von St. Magdalena in AMS AH 1282. 22 Vgl. Vierling: Ringen, S. 10. 23 Vgl. für die Wirtschaft der Bettelorden insgesamt Neidiger: Armutsbegriff und Wirtschaftsverhalten, S. 226.
7.1 Wirtschaftskraft und Wirtschaftsweise der Klöster
189
aus Pfennigzinsen in der Dimension von 316 bis 462 Pfund und 438 bis 621 Vierteln aus Korngülten.24 In einer ähnlichen Größenordnung wie bei den männlichen Mendikanten bewegten sich die Einnahmen der Dominikanerinnen von St. Nikolaus und der beiden Klaraklöster. St. Nikolaus verfügte über Einnahmen von 401 (1525/26) beziehungsweise 360 Pfund (1542).25 Die Pfennigzinsen von St. Klara auf dem Wert beliefen sich auf 387 (1534/1535), diejenigen des Schwesterklosters am Rossmarkt auf 442 Pfund (1525/26).26 Alle drei zuletzt genannten Frauenklöster verfügten allerdings im Vergleich zu den männlichen Bettelordenskonventen über recht beträchtliche Korngülten (um 1.200 Viertel).27 Das Schlusslicht dieser wirtschaftlichen Hierarchie bildete St. Katharina mit einem Einkommen von nur 269 Pfund Pfennigzinsen und lediglich 677 Vierteln an Korngülten.28 Aus den genannten Zahlen ergibt sich auch, dass die Straßburger Klöster zwar wirtschaftlich unterschiedlich potent waren, dass sie sich allerdings in ihrer Wirtschaftsweise mit Ausnahme der Johanniter nur geringfügig unterschieden. Als Stadtklöster erzielten sowohl Männer- als auch Frauenklöster einen Großteil ihres Einkommens aus Pfennigzinsen in der Stadt und dem Umland, während Einkünfte in Naturalien aus Korngülten und deren Verkauf eine vergleichsweise geringe Rolle spielten.29 Auch, wenn die Anteile der Zinsen aus Rentengeschäften und der Zinsen aus grundherrschaftlichen Rechten in den Rechnungsbüchern nicht gesondert aufgeführt werden, ist doch wahrscheinlich, dass die Einnahmen aus Kre24
Vgl. für die Dominikaner die Rechnungen in AMS AH 4613 (1526); AMS AH 195 (1527); AMS II, 61/2 (1530–1531) und AMS AH 4614 (1532–1537), für die Franziskaner AMS AH 8098 (1524/1525) und AMS AST 1091 (1526–1532, mit Lücken) und für die Augustiner AMS AH 1298 (1524/1525), letztere ist nur eine Geldrechnung, über die Einnahmen an Korngülten aus dem Augustinerkloster ist nichts bekannt. Die Rechnungen der aufgehobenen Klöster wurden auch nach deren Schließung von städtischen Schaffnern weitergeführt. Die Einnahmen aus den Klostervermögen wurden als separate Töpfe im Haushalt der jeweiligen gemeinnützigen Einrichtungen erhalten, in denen sie aufgegangen waren. 25 Vgl. die Rechnungen des Kloster in AMS II, 7/20, Nr. 38 (1542) und AMS AH 8094 (1525/1526). 26 Vgl. für St. Klara am Rossmarkt die Rechnung in AMS AH 182, für St. Klara auf dem Wert AMS AH 1870. 27 Vgl. dazu die oben angeführten Rechnungen. 28 Vgl. die Rechnung in AMS AH 1852 (1525). Es sind außerdem Rechnungen aus der Zeit nach der Schließung erhalten, vgl. AMS AH 10808. 29 Vgl. so auch Rapp: Réformes et Réformation, S. 258. In St. Margaretha schwanken die Einnahmen aus verkauftem Getreide sehr stark. Während in manchen Jahren gar kein Getreide verkauft wurde, lagen die Einnahmen in anderen Jahren zumeist zwischen 100 und 500 Pfund, immer aber unter der Höhe der Einnahmen aus Pfennigzinsen, vgl. ADBR H 3252 bis 3259.
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7. Reformation und Klosterwirtschaft
ditgeschäften überwogen:30 Rentenverkäufe spielten eine wesentliche Rolle in der Klosterwirtschaft um 1500.31 Dies gilt auch für die Bettelordenskonvente, die ihre Wirtschaftsweise im 15. Jahrhundert im Wesentlichen an die stadttypischen Wirtschaftsformen angeglichen hatten.32 Haupteinkünfte der Bettelordenskonvente waren dementsprechend Zinsen aus Rentenkäufen und zu Leibzucht vergebenen Häusern.33 Einkünfte aus seelsorgerischer Tätigkeit spielten laut Rüther eine untergeordnete Rolle.34 Auch die Frauenklöster waren, ebenso wie die Bettelordenskonvente, im Geldgeschäft tätig. Obwohl die Wirtschaft der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Frauenklöster weiterhin ein Desiderat der Ordensforschung darstellt, konnten in diesem Bereich in den letzten Jahren einige Topoi der älteren Forschung korrigiert werden. So wurde etwa nachgewiesen, dass auch in Frauenklöstern sehr wohl Skriptorien bestanden, dass Textil- und 30
Vgl. für einen Überblick über die unterschiedlichen Formen von Zinsen und Renten Dubleb: Aspect de la vie économique, S. 23ff.; Schlunk: Kloster und Kredit, S. 43; Trusen: Rentenkauf im Spätmittelalter, S. 141ff. Vgl. zu den kirchenrechtlichen Grundlagen des Rentenkaufs ebd., S. 147ff. 31 Vgl. zur Bedeutung der Klöster als Kreditgeber Schlunk: Kloster und Kredit, S. 57. Die These von Lamprecht, die Klöster hätten nach 1300 ihre Rolle als Kreditgeber verloren, ist seit längerem widerlegt, vgl. Schlunk: Kloster und Kredit, S. 73; Lamprecht: Deutsches Wirtschaftsleben, Bd. 1,1, S. 1449. Fuhrmann zeigt allerdings, dass auch die öffentlichen Kassen der Stadträte im 15. und 16. Jahrhundert immer stärker „eine Bankfunktion“ übernahmen, vgl. Fuhrmann: „Öffentliches“ Kreditwesen, S. 15. Ob und wie die Kreditgeschäfte der Geistlichkeit davon betroffen waren, untersucht er allerdings nicht. Kreditgeber waren allerdings vor allem die Stadtklöster. Für die landsässigen elsässischen Klöster kann Rapp nachweisen, dass sie vor allem von grundherrschaftlichen Rechten lebten, vgl. Réformes et Réformation, S. 249. Inwieweit umgekehrt die Klöster für den städtischen Finanzmarkt eine Rolle spielten, lässt sich nur schwer sagen. Für Straßburg liegt hierzu bislang keine Studie vor. Insgesamt spielten die Klöster auf den städtischen Finanzmärkten im Spätmittelalter eine sehr unterschiedliche Rolle, die auch von den jeweiligen Wirtschafsstrukturen und der Ratspolitik der Städte abhängig war, vgl. Schlunk: Kloster und Kredit, S. 70f., der verschiedene Einzelstudien zusammenfasst. Vgl. für Straßburg Rapp: Réformes et Réformation, S. 256ff., der Anhaltspunkte aus der Perspektive der Klöster bietet. Vgl. für einen knappen Überblick über den Kreditmarkt in Straßburg, allerdings ohne Berücksichtigung der geistlichen Institutionen Kintz: Société strasbourgeoise, S. 424ff. 32 Vgl. Rüther: Bettelorden, S. 183ff. Ihre Zinsgeschäfte tätigten die Straßburger Bettelorden allerdings sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, besonders im Umfeld der Termineien, vgl. Rüther: Bettelorden, S. 327, der mit dieser Feststellung die These vom genuin städtischen Betätigungsfeld der Bettelorden zu modifizieren versucht. Vgl. zur Wirtschaftsweise der Bettelorden auch Neidiger: Armutsbegriff und Wirtschaftsweise, S. 207ff. 33 Vgl. Rüther: Bettelorden, S. 191. Zu den selben Ergebnissen kommt Müller für die Hildesheimer Mendikantenklöster, vgl. Müller: Bettelorden in der Wirtschaft, S. 75ff. 34 Vgl. Rüther: Bettelorden, S. 205.
7.1 Wirtschaftskraft und Wirtschaftsweise der Klöster
191
Handarbeiten wirtschaftlich dagegen eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielten.35 Marianne Gechter konnte für Köln sogar zeigen, dass Frauenklöster im 16. Jahrhundert wesentlich stärker als Männerklöster in Renten investierten. Auch in Köln spielte hingegen das Gewerbe eine untergeordnete Rolle.36 Ähnliches lässt sich auch für Straßburg feststellen. Insgesamt scheinen die Straßburger Klöster, auch die Frauenklöster, wenig handwerklich produziert zu haben.37 Umso mehr Zeugnisse liegen für Finanzgeschäfte von Nonnen vor. St. Nikolaus verlieh 1565 immerhin 210 Pfund an den Grafen von Zweibrücken zu fünf Prozent Zinsen.38 St. Magdalena handelte sogar mit noch größeren Summen. Die Nonnen gaben den Grafen von Salm einen Kredit von 57839 und der Stadt 1549 630 Pfund.40 Von der Münsterfabrik erhielten die Reuerinnen ab 1539 jährlich 367 Pfund an Renten, was bei einem gängigen Zinssatz von fünf Prozent satten 7.340 Pfund an eingelegtem Kapital entspricht. Die Rente konnte erst 1624 abgelöst werden, taucht aber in den Rechnungen des Klosters nicht auf.41 Vermerkt sind allerdings die Zahlungen des Bischofs von Straßburg, der im Rechnungsjahr 1522/23 788 Pfund bei den Reuerinnen aufnahm. Auch die Kartäuser und Johanniter gehörten zu den Gläubigern der Nonnen.42 Insgesamt erscheinen die Reuerinnen also als kapitalstarke Finanzdienstleister. Das einzige Kloster, dessen Wirtschaftsweise sich abhebt, war die Johanniterkommende. Während die Einnahmequellen der Bettelordenskonvente, Kartäuser und Frauenklöster zu großen Teilen aus der Stadt stammten, lagen die Hauptfinanzquellen der Johanniter außerhalb der Mauern.
35
Vgl. Gechter: Frauenklöster und -stifte, S. 143ff. Rösener stellt für Söflingen fest, dass Geld- und Naturalzinsen aus Grundbesitz die größte Einnahmequelle bildeten, vgl. Rösener: Haushalt und Gebet, S. 85. Vgl. zur Bewertung der Kunstproduktion weiblicher Religiosen Gerchow/Marti: ‚Nonnenmalereien‘, S. 143ff. Vgl. zu Skriptorien in Frauenklöstern Beach: Women as Scribes und den von Gabriela Signori herausgegebenen Band Lesen, Schreiben, Sticken und Erinnern. 36 Vgl. Gechter: Frauenklöster und -stifte, S. 163ff. und S. 171. 37 Auch die Kartäuser bewirtschafteten ihre recht umfangreichen Ländereien an 88 verschiedenen Orten nicht selbst, sondern lebten aus den Pachteinnahmen, vgl. Passmann: Kartause II, S. 93ff. Die relativ große Konversengemeinschaft bewirtschaftete lediglich die unmittelbar zum Kloster gehörigen Gärten und Felder. Vgl. für die Wirtschaft der Frauenklöster Schmitt: Geistliche Frauen, S. 75. 38 Vgl. ADBR G 1709/7. 39 Ohne Datum, wird zu Beginn des 17. Jahrhunderts angemahnt, vgl. ADBR G 1692. 40 Zinsfrei, vgl. AMS II, 10/14. 41 Vgl. die Aufstellung des Frauenwerks über die dem Kloster gezahlten Zinsen, offenbar anlässlich eines Prozesses um diese Rente, ADBR G 1692 und AMS AH 1282 (Rechnungen St. Magdalena). 42 Vgl. AMS AH 1282 (1522/1523).
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7. Reformation und Klosterwirtschaft
Von den 923 Pfund, die die Johanniter 1549/1550 an Zinsen einnahmen, kamen nur 16 Prozent aus der Stadt „und umb die stadt“.43 Auch die hohen Einnahmen aus Korngülten, die ein Vielfaches anderer Klöster ausmachten, deuten auf eine stärkere Finanzierung aus grundherrlichen Rechten hin.44 Von den ansonsten im Orden üblichen, relativ hohen Abgaben an die Ordenszentrale war die Straßburger Kommende befreit, eventuell ein weiterer Grund für die Prosperität der Straßburger Johanniter.45 Insgesamt standen die Klöster um 1500 wirtschaftlich nicht schlecht da. Im Vergleich mit den Zahlen, die aus der Erhebung des Kaiserzehnten 1419 vorliegen, lässt sich für die meisten Klöster eine Verbesserung der Einkommen im Laufe des 15. Jahrhunderts feststellen, ganz entgegen dem, was Rapp für die landsässigen elsässischen Klöster feststellt. Offenbar verfügten Straßburgs Religiosen über freies Kapital, dass sie investieren und somit ihre Einnahmen aus Pfennigzinsen ausbauen konnten. Rapp führt dieses Phänomen zum einen auf die Eigenwirtschaft der Mönche mit ihrem Privatbesitz zurück.46 Gerade für die Frauenklöster ließe sich die wirtschaftliche Verbesserung auch auf sinkende Konventualenzahlen im 15. Jahrhundert zurückführen.47
7.2 Mehr Soll, weniger Haben: Die Verringerung der Einnahmen und die Erhöhung der Ausgaben der Klöster im Reformationszeitalter 7.2 Mehr Soll, weniger Haben
Trotz der relativ stabilen Wirtschaftslage der Klöster um 1500 haben die Einführung der Reformation und die Religionspolitik des Rates mehreren Gemeinschaften erheblich zugesetzt. Die neuen Belastungen, die die Klöster tragen mussten, waren vielfältiger Art. Zuerst sind die Einnahmeausfälle zu nennen. Wie bereits dargestellt, ist für das 16. Jahrhundert praktisch mit einem völligen Ausfallen von Stiftungenund Schenkungen zu rechnen. 43
Vgl. ADBR H 1985 (1549/1559). Vgl. ADBR H 1985. Dies entspricht dem, was Rödel für die Kommenden in Mainz und Niederweisel feststellt, vgl. Rödel: Erwerbspolitik und Wirtschaftsweise, S. 105ff. Auch die Johanniter bestellten ihre Güter allerdings nicht selbst, sondern lebten von den Einkünften aus Verpachtung sowie von Gülten. 45 Rödel errechnet einen prozentualen Anteil an den erwirtschafteten Überschüssen von 16%, die allgemein an den Orden als Responsion abgeführt werden mussten, vgl. Rödel: Erwerbspolitik und Wirtschaftsweise, S. 112. 46 Vgl. Rapp: Réformes et Réformation, S. 258. Vgl. auch Kaiser: Zehnt des Bistums Straßburg, S. m83ff. 47 Vgl. Rapp: Réformes et Réformation, S. 260f. 44
7.2 Mehr Soll, weniger Haben
193
Wie groß die dadurch verursachten Ausfälle waren, lässt sich allerdings nur schwer beziffern. Über die Höhe der Einnahmen aus Schenkungen liegen aus dem späten Mittelalter nur wenige Hinweise vor. Nicht alle geistlichen Einrichtungen führten, wie die Münsterfabrik, ein liber donationum, aus den Straßburger Klöstern ist kein derartiges Register überliefert. Nötig wäre also eine Auswertung von Einzelurkunden über Schenkungen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann.48 Hinweise liefern zunächst nur die Selbstaussagen der Religiosen. Die Franziskaner behaupteten 1524 in einer Denkschrift an den Rat, durch die Religionsänderungen würden ihnen jährlich 100 Pfund an Einnahmen aus Almosen und Schenkungen verloren gehen, also Einnahmen in der Größenordnung von einem Viertel bis zu einem Drittel dessen, was sie darüber hinaus aus Pfennigzinsen erhielten. Es scheint allerdings wahrscheinlich, dass diese Zahl, wie schon Rapp feststellt, „quelque peu gonflé“ gewesen sein mag.49 Rüther geht für die Barfüßer bereits im 15. Jahrhundert von sinkenden Einkommen aus Schenkungen aus.50 Gerade die Bettelorden dürften aber tatsächlich vom Ausfall der Schenkungen und Almosen besonders betroffen gewesen sein. Zwar hatten die Mendikanten, wie bereits gezeigt, ihre Wirtschaftsweise derjenigen der übrigen Orden angeglichen. Dennoch waren sie sicherlich noch in stärkerem Maße von Almosen abhängig als ihre „besitzenden“ Mitreligiosen.51 Es ist daher möglich, dass in der Reformationszeit die besondere Abhängigkeit der Bettelorden von Schenkungen und Einnahmen für seelsorgerische Tätigkeiten, das heißt ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von der Gunst der Bürger, ihnen besonders nachteilig gewesen ist. Da die Straßburger Bettelordenshäuser allerdings schon relativ früh geschlossen wurden, lässt sich diese These am Straßburger Beispiel nicht prüfen. Auch die Einnahmeausfälle an Jahrzeitstiftungen und anderen Seelgeräten lassen sich nur schwer schätzen. Die Klöster legten unterschiedliche 48
Vgl. zu den Veränderungen im Schenkungsverhalten an das Frauenwerk Rapp: Réformes et Réformation, S. 401f. 49 Rapp: Réformes et Réformation, S. 401. 50 Leider unterscheidet Rüther nicht zwischen Schenkungen von festen Beträgen und Seelgerätstiftungen oder Rentenkäufen, so dass die von ihm angegebenen Zahlen hier nicht vergleichbar sind, vgl. Rüther: Bettelorden, S. 203. 51 Hecker hat in seiner Untersuchung zu den Bettelorden und ihrem Verhältnis zur Stadt die These aufgestellt, dass das privilegium immunitatis für die Bettelorden im Vergleich zum Weltklerus eine geringere Bedeutung hatte, da sie weniger Eigenbesitz hatten und kaum Gewerbe betrieben. Er stellt fest, dass die Bettelorden sich in den zahlreichen Konflikten um die fiskalischen Privilegien der Geistlichkeit im späten Mittelalter selten beteiligten und sich teilweise sogar auf die Seite der Stadt stellten. Dies bedeutet aber umgekehrt auch eine besondere Abhängigkeit von der Gunst der Bürger, vgl. Hecker: Bettelorden und Bürgertum, S. 153ff.
194
7. Reformation und Klosterwirtschaft
Preise für ihre religiösen Dienstleistungen fest, die außerdem von Angebot und Nachfrage abhängig und damit Konjunkturzyklen unterworfen waren. So waren etwa die Straßburger Franziskaner im Zuge der abnehmenden Stifterbereitschaft im 15. Jahrhundert gezwungen, den Preis für ein Anniversar zu halbieren.52 Geht man mit Rüther von Zahlungen von im Schnitt jährlich einem Pfund pro Jahrzeitstiftung aus und legt die Zahlen zugrunde, die das Anniversar der Johanniter bietet, so dürften die Einbußen aus dieser Stiftungsform etwa 50 bis 150 Pfund jährlicher Einnahmen betragen haben, wenn man außerdem berücksichtigt, dass wahrscheinlich bereits eingerichtete Anniversare nicht dauerhaft weiter gezahlt wurden.53 Zweitens wurden die Klosterwirtschaften durch den Abzug von Kapital belastet. Belegt sind Rückforderungen von Seelgeräten und Schenkungen. So verlangte ein Christoph Rodt 1529 15 Pfund zurück, die sein Vater den Johannitern geschenkt hatte.54 1525 forderten Appolonia Völtschin und ihre Schwester ihre Seelgerätstiftungen aus St. Marx zurück, da dort die Messe nicht mehr gelesen werde.55 Der Rat beschloss zwar, sich mit diesen Angelegenheiten zu befassen, ob es tatsächlich jemals zu einer Auszahlung gekommen ist, ist allerdings nicht nachvollziehbar. Größere Verluste hatten die Klöster durch die Rückforderungen der Nonnen und Mönche selbst, die beim Austritt die Auszahlung ihrer dos forderten und in dieser Forderung vom Rat unterstützt wurden. Am Beispiel von St. Marx lässt sich dies gut zeigen. Aus dem Klostergut des 1525 aufgelösten Klosters oder Stifts wurden den zehn ausgetretenen Frauen insgesamt 397 Pfund ausgezahlt. Neben diesem festen Kapital erhielten die Frauen auch Zinsbriefe. Hinzu kamen aus dem Vermögen von St. Marx im selben Jahr 321 Pfund an Pensionszahlungen für die ausgetretenen Frauen.56 Die regulären Einnahmen des Klosters aus Pfennigzinsen beliefen sich 1525/1526 auf lediglich 426 Pfund, die Einnahmen aus Korngülten lagen aber im hohen vierstelligen Bereich.57 Obwohl im Falle von St. Marx zu diesem Zeitpunkt keine Gemeinschaft mehr mit dieser Finanzdrainage leben musste, zeigt der Fall doch die Dimensionen auf, die den Klöstern an 52
Vgl. Rüther: Bettelorden, S. 205. Vgl. Rüther: Bettelorden, S. 205. Vgl. das Anniversar der Johanniter, ADBR H 1614. Die Johanniter erhielten im 15. Jahrhundert 66 Anniversarstiftungen und hatten laut Rapp in den Gründungsjahrzehnten bereits 84 Stiftungen und Schenkungen erhalten, vgl. Rapp: Réformes et Réformation, S. 400. 54 Vgl. AMS AST 35/5 (26. April 1529). 55 Vgl. AMS AH 1358. 56 Vgl. AMS AH 1359 (Rechnung St. Marx 1525/1526). Vgl. zum Status von St. Marx Schmitt: Geistliche Frauen, S. 491. 57 Vgl. AMS AH 1359, reine Geldrechnung. Die letzten greifbaren Angaben über die Korngülten aus St. Marx beziehen sich auf das Rechnungsjahr 1520/1521, in diesem Jahr erhielten die Frauen 3791 Viertel an Korngülten, vgl. AMS AH 8090. 53
7.2 Mehr Soll, weniger Haben
195
Kapital verloren gehen konnten. Ähnlich hoch waren die Verluste in St. Nikolaus, einer fortbestehenden Gemeinschaft. Laut einer Aufstellung von 1545 hatte das Kloster bis zu diesem Zeitpunkt insgesamt 1.534 Pfund an eingebrachtem Gut an ausgetretene Frauen zurückgezahlt.58 Neben dem Ausfall von Schenkungen und Stiftungen sowie den Belastungen durch Kapitalentzug bedeutete die Eingliederung der Klöster in das städtische Abgabensystem im Zuge der reformatorischen Politik des Rates neue Belastungen für deren Haushalte. Auch dieser Prozess hatte bereits im späten Mittelalter begonnen,59 wurde nun aber konsequent zu Ende geführt. Wie die übrigen Straßburger Bürger auch, zahlten die Klöster nun das Ungeld, eine Art Umsatzsteuer, die prozentual auf gewerbliche Erzeugnisse, besonders Wein und Korn, im Fall der Klöster auch auf Kapitalund Gülteinnahmen erhoben wurde. Laut einer Berechnung des Schaffners von St. Nikolaus zahlte das Kloster auf alle Zins- und Korneinnahmen und Verkäufe zehn Schilling auf 100 Pfund an Ungeld.60 Auch die einzige direkte Steuer der Stadt, das Stallgeld, mussten die Klöster im 16. Jahrhundert zahlen. Das Stallgeld war eine prozentuale Vermögenssteuer von drei Schilling auf 100 Gulden Vermögen (1 Prozent), die auf der Grundlage von Selbstschätzung von allen Bürgern gezahlt werden musste.61 Das Stallgeld war Gegenstand beständigen und hartnäckigen Feilschens zwischen dem Rat und den Klöstern. Besonders die Johanniter versuchten, über die Höhe ihrer Abgaben zu verhandeln.62 Sie zahlen 1549 66 Pfund Stallgeld plus 33 Pfund als Beteiligung an der städtischen „Türkensteuer“. Die Kartäuser zahlten 1591 sogar 100 Pfund, St. Magdalena 1547/1548 31
58
Vgl. AMS II, 41–42a/10. Ähnliche Effekte der Reformation kann Steinke für die Nürnberger Frauenklöster feststellen, vgl. Paradiesgarten, S. 279f. 59 Bereits 1300 hatte der Rat Schenkungen und Vermächtnisse an geistliche Institutionen auf 1/100 des Besitzes eines Bürgers beschränkt. 1471 wurde das Erbrecht der Nonnen beschnitten. Vgl. zu Etablierung, Konflikten um und Aufhebung der geistlichen Standesprivilegien am Bsp. Colmars, Schlettstadts und Straßburgs Demandt: Konflikte, S. 136ff., zu Straßburg besonders S. 150f. 60 Der Schaffner addierte hierbei sowohl die Jahreseinnahmen (jeweils im Geldwert) als auch die Vorräte des Klöster. Veranschlagt wurden außerdem zwei Weinberge und ein Haus, allerdings nicht alle Besitzungen des Klosters, vgl. AMS II, 7/20, Nr. 38. Vgl. zum städtischen Ungeld in Straßburg auch Crämer: Verfassung und Verwaltung, S. 130. 61 Crämer weist auch auf die Probleme der vormodernen Verwaltung bei der Einziehung dieser Steuer hin, vgl. Verfassung und Verwaltung, S. 131f. Das Stallgeld war im Zusammenhang mit der Erhebung der „Türkensteuer“ 1532 von zwei auf drei Schilling von 100 Gulden angehoben worden, vgl. ebd. 62 Vgl. zu den Verhandlungen zwischen Rat und Johannitern um 1550 AMS II, 53/14, fol. 5r f. und AMS AST, 35/6, fol. 21v. Johanniter und Kartäuser weigerten sich 1535 ganz, die „jarschatzung“ zu zahlen. Vgl. AMS AST 35/5 (12. April 1535).
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7. Reformation und Klosterwirtschaft
Pfund.63 Des Weiteren waren die Klöster als Schirmverwandte der Stadt zur Zahlung des Schirmgelds verpflichtet, einem festgesetzten Betrag, der gegen Mitte des Jahrhunderts zwischen 30 und 40 Pfund pro Kloster betrug.64 Über die bürgerlichen Steuern hinaus forderte der Rat von den Klöstern Beiträge zu gemeinnützigen Stiftungen. Mehrere Klöster mussten in die Stiftung St. Marx einzahlen, einen Topf im Haushalt des Gemeinen Almosens. Diese Zuwendungen erfolgten auf gesonderte „Bitten“ des Rates unregelmäßig65 oder aber als jährliche Zuwendungen.66 Auch kleinere Beträge zur sozialen Versorgung einzelner Personen bezog der Rat aus den Klöstern. So mussten die Johanniter eine Zeit lang einem alten Söldner wöchentlich sieben Heller, einem Totengräber 2 Heller und einer armen Frau einmalig 38 Gulden zahlen.67 Neben diesen Abgaben, die dem städtischen Haushalt zu Gute kamen, verpflichtete der Rat die Klöster zur Zahlung von jährlichen Pensionen an ausgetretene Konventualen. Diese Zahlungen konnten unterschiedlich hoch ausfallen, je nachdem, wie vielen ehemaligen Religiosen ein Kloster verpflichtet war. Besonders in den Jahren nach der ersten Austrittswelle 1525 waren die Beträge teilweise sehr hoch. So zahlte St. Margaretha 1527/1528 314 Pfund an Pensionen, St. Nikolaus 1525/26 140 Pfund und St. Magdalena 1547/1548 174 Pfund. Diese Zahlungen entsprachen in St. Margaretha 28 Prozent, in St. Nikolaus 15 Prozent und in St. Magdalena acht Prozent der Gesamteinnahmen der jeweiligen Klöster in den genannten Jahren.68
63
Vgl. für die Johanniter ADBR G 1677, für die Kartäuser AMS AST 100/70, Nr. 1 und für St. Magdalena AMS AH 1282. 64 Vgl. die Aufstellung über die von verschiedenen geistlichen Einrichtungen gezahlten Schirmgelder in AMS II, 121/10. Die Stifte wurden höher veranschlagt als die Klöster. Alt- und Jung-St. Peter sowie das Hochstift zahlten zwischen 60 und 120 Pfund Schirmgeld. 65 Die Johanniter zahlen 1567 ausnahmsweise 100 Pfund in die Stiftung St. Marx und an die Elende Herberge, da der Rat in diesem Jahr vor dem Zweiten Hugenottenkrieg flüchtende französische Protestanten zu versorgen hatte, vgl. AMS II, 53/5. 66 St. Margaretha und St. Nikolaus zahlten jährliche Beträge in die Stiftung St. Marx, vgl. AMS II, 57/1, zumeist in der Höhe einer oder mehrerer Pensionen ausgetretener Frauen. Die Kartäuser steuerten jährlich 100 Viertel Korn bei, vgl. AMS AST 100/70, Nr. 1. Bis mindestens 1550 zahlten die Johanniter 80 Viertel Frucht jährlich an das Gemeine Almosen, vgl. ADBR G 1677. 67 Vgl. die Beschwerde des Johannitermeisters Georg Schilling in ADBR G 1677. 68 Vgl. AMS AH 8092 (Rechnung St. Margaretha 1527/1528); AMS AH 8094 (Rechnung St. Nikolaus 1525/1526); AMS AH 1282 (Rechnung St. Magdalena 1547/1548).
7.2 Mehr Soll, weniger Haben
197
Gegen Ende des Jahrhunderts verringerten sich allerdings die Ausgaben für Pensionen deutlich.69 Unklar ist, inwieweit die Männerklöster für Pensionen aufkamen. Der Komtur der Johanniter weigerte sich 1526 förmlich zu zahlen. Auch tauchen Pensionszahlungen in den überlieferten Rechnungen nicht auf.70 Aus einer Beschwerde des Johannitermeisters Georg Schilling von 1549 geht allerdings hervor, dass die Johanniter zwischenzeitlich insgesamt 100 Gulden, 80 Viertel Frucht und drei Fuder Wein an fünf „apostati“ gezahlt hatten.71 Teilweise griff der Rat den Klöstern bei Zahlungsschwierigkeiten wohl auch unter die Arme. Als der Klosterherr Mathis Pfarrer und der Ratsherr Hans Bock 1525 darum baten, aus dem Klostergut der aufgelösten Gemeinschaft von St. Klara 2.000 Gulden aufnehmen zu dürfen, um die Pensionen der ausgetretenen Frauen aus St. Nikolaus und St. Magdalena zahlen zu dürfen, wurde ihr Antrag bewilligt.72 Weniger ins Gewicht als die Pensionen fielen die verpflichtenden Zahlungen an die Pfleger, Schaffner und die protestantischen Pfarrer, die in den Klöstern predigten.73 Dennoch waren auch diese Zahlungen Gegenstand von Klagen der Religiosen.74 Insgesamt hatten die Klöster also neben den Ausfällen auf der Einnahmenseite mit erheblichen Zusatzausgaben zu kämpfen. In St. Magdalena etwa summieren sich um die Jahrhundertmitte Ausgaben für Ungeld, Stallgeld, Pensionen, Pfarrergehälter und Schirmgeld auf mehr als 300 Pfund jährlich, also über ein Viertel der gesamten jährlichen Geldeinnahmen des Klosters um diese Zeit.75 Hinzu kamen unregelmäßige Übergriffe des Rates auf die Güter der Klöster, wie etwa die bereits thematisierte Unterbringung von Gesandtschaften in der Kartause.76 St. Magdalena beschwerte
69
St. Margaretha zahlte 1578 nur noch 83 Pfund für Pensionen und Gesindegehälter insgesamt, vgl. ADBR H 3253 bis H3259. In den späteren Jahren werden Pensionen und Gesindegehälter leider nicht mehr getrennt aufgeführt. 70 Vgl. AMS AST 35/5, S. 5 f.; ADBR H 1985. 71 Vgl. ADBR G 1677. 72 Vgl. AMS AST 35/11, fol. 8v. 73 Die Pfleger erhielten eine Aufwandsentschädigung von nur drei bis vier Pfund pro Jahr, vgl. z.B. Rechnung Franziskaner AMS AST 1091, Rechnungen der Dominikaner AMS AH 195 und Rechnung der Johanniter ADBR H 1985. Ein Schaffner verdiente zwischen 15 und 20 Pfund im Jahr. St. Margaretha zahlte dem Prädikanten Symphorian Altbiesser, Pfarrer der Gemeinde St. Stephan, 1534 13 Pfund jährliches Gehalt, vgl. ADBR H 3252. Vgl. zu Altbiesser Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 69. 74 Vgl. die Anklagepunkte des Dominikanerprovinzials 1550 in AMS II, 57/1. 75 Vgl. für die Einzelbelege oben. 76 Vgl. AMS AST 100/70, Nr. 1.
198
7. Reformation und Klosterwirtschaft
sich ebenfalls über unangekündigte Zugriffe des Rates auf den Kornspeicher des Klosters.77 Zwar hatten die Klöster im 16. Jahrhundert kleinere Gemeinschaften zu versorgen als noch im späten Mittelalter. Dies ermöglichte das Einspeichern und den Verkauf von Getreide sowie die Investition freigewordenen Kapitals.78 Auch scheinen die Zins- und Rentenzahlungen nicht von konfessionellen Streitigkeiten betroffen gewesen zu sein, sondern kontinuierlich gezahlt worden zu sein.79 Dennoch ist insgesamt mit erheblichen Zusatzbelastungen der Klosterhaushalte durch die genannten Steuern, Ausgaben und Mindereinnahmen zu rechnen.
7.3 Die Folgen der Veränderung der Einnahmen- und Ausgabestruktur der Klöster 7.3 Die Folgen der Veränderung
In einem Schreiben an den Bischof aus dem Jahr 1599 beschwerten sich die Nonnen von St. Magdalena, der Rat versuche mit Absicht, ihr Kloster in den finanziellen Ruin zu treiben, um einen Grund für die Schließung vortäuschen zu können. Der Rat wolle sie, so die Nonnen „gar außtilgen, mürbmachen, und letzlich auch das Closter allein sub quali quali praetextu zu seinen handen nehmen“.80 Zumindest nahm der Rat den wirtschaftlichen Ruin der Klöster durch Besteuerung und Pensionsforderungen billigend in Kauf. Diese Strategie wäre nicht ungewöhnlich. Auch für Nürnberg konstatiert Steinke, dass die Politik des Rates auf eine systematische finanzielle Schwächung der verbliebenen Frauenkonvente ausgerichtet war. Das Nürnberger Katharinenkloster verschuldete sich jedes Jahr bis zu seiner Schließung weiter und hatte 1577 insgesamt 2.173 Gulden Schulden.81 Allerdings lassen sich für Straßburg die Folgen der Reformation für die Klosterhaushalte nicht pauschalisieren. Sowohl abnehmende Wirtschafts77
Vgl. Beschwerde bei der bischöflichen Administration, ADBR G 1692/6. Eine ähnliche Beschwerde trugen die Nonnen 1597 vor das Reichskammergericht, vgl. vgl. AMS II, 63/2. 78 Rüther kann den positiven Einfluss sinkender Konventualenzahlen schon für das 15. Jahrhundert feststellen, vgl. Rüther: Bettelorden, S. 205. 79 Es konnte kein Fall von konfessionell motivierten Renten- oder Zinsstreitigkeiten gefunden werden. Ganz offensichtlich wurden Zinsen und Renten unabhängig von der Konfession weiter an die Klöster gezahlt. Auch die Lehnsverhältnisse zwischen Patriziern und dem Bischof scheinen keineswegs verändert worden zu sein, vgl. Brady: Ruling Class, S. 362ff. 80 ADBR G 1692. Die Nonnen beziehen sich hier zum einen auf die Pensionszahlungen, zum anderen auf eine außergewöhnliche Abgabe von 160 Viertel Frucht und 100 Gulden, die sie zu zahlen hatten. 81 Vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 297f.
7.3 Die Folgen der Veränderung
199
kraft und Verschuldung sind zu beobachten, als auch wirtschaftliche Prosperität. Zu den wirtschaftlich weniger glücklichen Klöstern zählte tatsächlich das Kloster der „mürb“ gemachten Nonnen von St. Magdalena. Hier lässt sich eine mögliche Folge der veränderten Wirtschaftsbedingungen in der Reformationszeit beobachten. Die städtischen Klöster bezogen, wie gezeigt, einen Großteil ihrer Einnahmen aus Zinsen. Wuchsen die laufenden Belastungen, mussten mehr abgelöste Zinsen für Ausgaben eingesetzt werden und standen nicht für Investitionen am Rentenmarkt zur Verfügung. Dementsprechend verringerten sich wiederum die Zinseinnahmen. St. Magdalena und St. Nikolaus gehörten zu denjenigen Klöstern, deren Korpus an Pfennigzinsen sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts stetig verringerte.82 Ein weiterer Grund für das Abnehmen der Pfennigzinsen ist, dass Rentengeschäfte mit Klöstern auch der Einrichtung von Seelgeräten dienen konnten, eine Einnahmequelle, die mit der Reformation ebenso zurückging wie andere Stiftungen und Schenkungen.83 Die Nonnen von St. Magdalena gaben außerdem gegen Ende des Jahrhunderts an, sie hätten sich bereits verschulden müssen. In einem Schreiben an den Rat von 1597 fassen sie ihre wirtschaftliche Situation zusammen. Demnach hätten sie schon 473 Pfund aufnehmen müssen, um die Pensionen der Ausgetretenen zu bezahlen. Insgesamt hätten sie für den Unterhalt ehemaliger Nonnen schon 945 Pfund ausgegeben (ohne Angabe des Zeitraums). Die Ausgaben würden das Einkommen „weit“ übersteigen, „und wir des wegen nichts gewissers, dann unser Gottshauß undergang zuerwarttenn.“84 Im Gegensatz zur ersten Jahrhunderthälfte, in der St. Magdalena noch stark im Kreditgeschäft engagiert war, scheint sich die Situation der Reuerinnen bis zum Ende des Jahrhunderts also tatsächlich deutlich verschlechtert zu haben. Leider liegen für die Zeit nach 1549 keine Rechnungen mehr vor, anhand derer sich diese Selbstaussagen prüfen lassen würden. Während der von den Reuerinnen befürchtete Untergang ihres Kloster dennoch auf sich warten ließ, wurde das Kloster St. Nikolaus 1592 unter dem Vorwurf der Misswirtschaft und der hohen Verschuldung geschlossen. Während sich die Vorwürfe der Misswirtschaft nur schwer überprüfen las82
Vgl. AMS AH 8094; AMS II, 39/12 (St. Nikolaus) und AMS AH 1282 (St. Magdalena). Die Verringerung des Zinskorpus lässt sich auch anhand der nach der Schließung weitergeführten Rechnungen des Barfüßerklosters beobachten, vgl. AMS AH 8098 und AMS AST 1091. 83 Vgl. Trusen: Rentenkauf im Spätmittelalter, S. 141 und 145f. Vgl. auch Müller: Bettelorden in der Wirtschaft, S. 69f. Gerade im Hochmittelalter war diese Form des Rentenkaufs sehr verbreitet. 84 Vgl. AMS II, 41–42a/12, Nr. 16.
200
7. Reformation und Klosterwirtschaft
sen, finden sich zahlreiche Belege dafür, dass St. Nikolaus tatsächlich über Jahrzehnte hohe Schulden angehäuft hatte.85 Bereits 1542 stellte der Schaffner fest, das Kloster sei tief in den roten Zahlen.86 1575 nahm das Kloster mindestens 1.000 Gulden bei Jung-St. Peter auf.87 Beim Kapitel hatten die Nonnen offenbar 1.500 Gulden Schulden.88 1591 liehen sich die Dominikanerinnen außerdem beim Magistrat 2.000 Gulden,89 1592 bestätigte auch die Priorin selbst die Verschuldung der Gemeinschaft in einem Schreiben an dem Rat, beteuerte aber, dies sei nicht ihr Fehler.90 Ob die hohe Verschuldung von St. Nikolaus auf die gestiegenen Ausgaben und die zurückgegangenen Einnahmen zurückgeführt werden können oder ob Misswirtschaft die Ursache war, lässt sich nicht entscheiden. Sicherlich waren die durch die Reformation bedingten Veränderungen aber Teil des Problems. Dass Klöster auch trotz der erschwerten Bedingungen prosperieren konnten, zeigen die Fälle der Kartause, der Johanniter und der Dominikanerinnen von St. Margaretha. Zwar schrieb der Kartäuserprior in einer „beschwernus“ an den Rat 1591, er müsse sich „offermals verwundern [...], wie wir in solcher schweren haußhaltung in diesen schweren jahren bey einem solchen geringen einkomen noch allso bestehen können.“91 Für eine tatsächliche Verschuldung liegen allerdings keine Belege vor. Vielmehr konnten die Kartäuser ihre Einnahmen aus Pfennigzinsen im Laufe des 16. Jahrhunderts verdoppeln.92 Ähnlich stellt sich die Situation in der Johanniterkommende und in St. Margaretha dar. Auch diese Klöster scheinen im 16. Jahrhundert wirtschaftlich zu wachsen und können ebenfalls ihre Einnahmen aus Zinsen mehr als verdoppeln.93 Im Falle der Johanniter und der Kartäuser lässt sich
85
Die Vorwürfe der Misswirtschaft wurde von der Nonne Katharina Schenk erhoben. Die Schaffnerin des Konvents warf der Priorin vor, ihren Verwandten Geld zugeschustert zu haben, vgl. AMS II, 39/3; AMS II, 39/18. Der Rat übernahm diese Vorwürfe in seiner Begründung der Schließung des Klosters, vgl. die Exzeptionen des Rates im Reichskammergerichtsprozess, AMS II, 6/3. 86 Aufstellung der Schulden von St. Nikolaus, vgl. AMS II, 5/20, Nr. 38. Vgl. auch das Urteil des Ordens AMS II, 41–42a/12 (1555). 87 Vgl. AMS II, 7/20, fol. 43. Eine weitere Bitte um 500 Gulden ohne Datum findet sich AMS II, 39/16. 88 Vgl. AMS II, 39/3. 89 Vgl. AMS X, 415. 90 Vgl. AMS IV, 68/160. 91 AMS AST 100/70, Nr. 1. 92 Vgl. AMS AH 8096; AMS AST 100/70, Nr. 1. 93 Vgl. für die Johanniter ADBR H 1986. Vgl. für St. Margaretha ADBR H 3253 bis H3259. Im Jahr 1550 verpfändeten die Nonnen von St. Margaretha zwar Kultgegenstände
7.3 Die Folgen der Veränderung
201
dieser wirtschaftliche Erfolg möglicherweise durch die schrumpfenden Gemeinschaften erklären. Während die Kartause 1525 aus ihrem Einkommen 25 Personen zu versorgen hatte, waren es in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nie mehr als fünf.94 Ähnliches gilt für die Johanniter. Ihr Konvent schrumpfte von 14 Personen im Jahr 1495 auf vier gegen Ende des 16. Jahrhunderts.95 Auch die gestiegenen Kornpreise könnten den wirtschaftlichen Wohlstand gerade dieser Gemeinschaften erklären. Relevant war die wirtschaftliche Stärke der Klöster aus zwei Gründen. Erstens, weil, wie in der Analyse der Ratspolitik gezeigt wurde und wie der Fall St. Nikolaus deutlich macht, der Rat defizitäre Klöster nicht zu dulden bereit war. Aber auch auf die persönlichen Entscheidungen der Mönche und Nonnen konnte die Prosperität der Klöster einen Einfluss ha-ben. So gaben die Dominikaner 1524 in ihrer Bitte an den Rat auch die schlechte wirtschaftliche Lage ihrer Gemeinschaft als Grund für ihren Austrittswunsch an. Man habe kaum genug Geld, um die Kranken im Siechenhaus zu versorgen.96 Deutlicher noch wird dieser Aspekt in der Narratio der Zessionsurkunde der Nonnen von St. Katharina: „In dem auch so were, das gemelt ir closter mit sambt desselben behußungen ganz und gar buwfellig, dass sie sich in iren zellen und Convent stuben auch in der kuchen und Cruzgang weder tag noch nacht zu wetters zeiten am truckenen nit halten mochten, deshalben wo sie schon lenger in dem closter pliben, musten sie getrungner not halb dasselbig buwen. So werent aber die järlichen gefelle zins und gülten also schmal und gering, das sie bloß ire leibs narung davon haben möchten und das zu buwen gar unermuglich.“97
Verglichen mit einer Rechnung aus St. Katharina aus dem Jahr 1525 hatte das Kloster tatsächlich ein relativ niedriges Zinskorpus. Möglicherweise war die Lebensqualität im Kloster der Dominikanerinnen so gering, dass die Nonnen ein Leben in der Welt vorzogen.
gegen eine Anleihe von 400 Gulden, vgl. AMS II, 57/19. Für eine dauerhafte Verschuldung finden sich aber keine Belege. 94 Vgl. ADBR G 1686/1; AMS II, 28/22 und AMS II, 35/7, Nr. 1. 95 Vgl. Rödel: Großpriorat Deutschland, S. 184; AMS II, 28/22. 96 Vgl. AMS II, 61/7, Nr. 1, fol. 2. Hier gelten erneut die Vorbehalte gegenüber der Quellengruppe der Suppliken. Möglicherweise handelt es sich bei der postulierten Armut auch um einen Topos, der das Mitleid der Obrigkeit erregen sollte. Auch die Frankfurter Barfüßer begründeten ihren Austrittswunsch neben theologischen Argumenten mit ihrer Verarmung, vgl. Jahns: Frankfurt und Schmalkaldischer Bund, S. 117. 97 AMS AH 1848 (1525). In der Regel folgten Verzichtserklärungen einem festen Formular, wie es etwa in Württemberg von der Kanzlei entwickelt worden war, vgl. Sehling (Hrsg.): Kirchenordnungen, Bd. 16, S. 81. Diese Stelle kann aber als ungewöhnlich und daher bemerkenswert erachtet werden. Vgl. zu Verzichtserklärungen als Quelle auch Schilling: Klöster und Mönche in der hessischen Reformation, S. 220ff., der ebenfalls interessante Abweichungen vom üblichen Formular feststellen kann.
202
7. Reformation und Klosterwirtschaft
7.4 Zusammenfassung 7.4 Zusammenfassung
Die Reformation und die Religionspolitik des Stadtrates bedingten zum einen Einnahmeausfälle, zum anderen gestiegene Ausgaben. Die Klöster mussten auf Stiftungen und Schenkungen verzichten und ausgetretenen Konventualen ihre dos zurückzahlen. Gleichzeitig sollten sie nach dem Willen des Rates die Pensionszahlungen für ausgetretene Mönche und Nonnen übernehmen, Ungeld und Stallgeld zahlen und wurden auch unregelmäßig um Beiträge zu gemeinnützigen städtischen Stiftungen angesucht. Dies führte in einigen Klöstern wiederum dazu, dass freigewordenes Kapital aus abgelösten Krediten und Renten nicht reinvestiert werden konnte und weiter zu sinkenden Einnahmen beitrug, ein Teufelskreis, aus dem nur schwer herauszufinden war. Nicht alle Klöster allerdings waren von diesen Mechanismen gleichermaßen betroffen, wenn sie sich auch in ihrer Wirtschaftsweise mit Ausnahme der Johanniter nicht grundlegend unterschieden. Während in St. Nikolaus und St. Magdalena eine deutliche Schwächung der Klosterwirtschaft zu beobachten ist, die in St. Nikolaus sogar mit zur Schließung der Gemeinschaft beitrug, prosperierten die Kartause, die Johanniter und St. Margaretha. Gründe dafür waren wahrscheinlich die deutlich geschrumpften Gemeinschaften sowie die steigenden Kornpreise des 16. Jahrhunderts. Das Beispiel St. Nikolaus zeigt aber, dass die Kraft der Klosterwirtschaft durchaus Bedeutung haben konnte, war doch der Rat nicht bereit, defizitäre Gemeinschaften zu tolerieren.
7.5 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen 7.5 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen
Für die Wirtschaftsführung der Klöster können nur sehr geringfügige Unterschiede zwischen Männer- und Frauenklöstern festgestellt werden. Was die Wirtschaftskraft der Klöster vor der Reformation, ihre Einkommensstruktur und die durch die Reformation und die Religionspolitik des Rates erzeugten Effekte angeht, ließen sich keine grundlegenden Unterschiede zwischen Männer- und Frauenklöstern feststellen. Allerdings konnten verschiedene interessante genderspezifische Fragestellungen, wie sie von der Mittelalterforschung inzwischen entdeckt werden – etwa der Einfluss der Klausur auf die Wirtschaftsweise von Frauenklöstern98 und unterschiedli-
98
Diese Frage stellt auch in der Mittelalterforschung weiterhin ein Desiderat dar, vgl. Gechter: Frauenklöster und -stifte, S. 134. Verwiesen werden kann bisher auf die Arbeiten von Nyberg: Ökonomische Lage des Birgittenklosters, S. 245ff. und Gleba: Reform-
7.5 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen
203
che normative Vorstellungen über den wirtschaftlichen Bedarf von männlichen und weiblichen Gemeinschaften99 – im Rahmen der eng gesetzten Fragestellung dieses Kapitels nicht untersucht werden.
praxis und materielle Kultur. Marianne Gechter selbst untersucht die Frage für die Kölner Frauenklöster und -stifte, vgl. ebd. S. 173ff. 99 Interessante Anhaltspunkte für die unterschiedliche Erwartungshaltung an die Wirtschaftskraft von Männer- und Frauenklöstern kann Gilomen-Schenkel in ihrer Untersuchung eines Streits im Doppelkloster Interlaken 1472 geben. Hier wurde die Verteilung der Ressourcen zwischen der Männer- und Frauengemeinschaft diskutiert, wobei die Frauen den größeren Anteil der Einnahmen für sich reklamierten. Die bischöflichen Richter aber, die den Streit schlichten sollten, entschieden zu Gunsten der Kanoniker, „da der Männerkonvent viel größere Lasten für beide Konvente trage für Rechtswahrung, Tagleistungen, Gastfreundschaft.“ Die Forderungen der Frauen widersprächen „Anstand, Vernunft und Rechtspflicht“, vgl. Gilomen-Schenkel: Pfründen und Einkünfte, hier S. 139.
Kapitel 8
Klöster und ihre Orden. Die Bedeutung von Ordensmacht und Ordenskultur Nachdem die Bedeutung der Ratspolitik, der Wirtschaftskraft der Gemeinschaften und der städtischen Gemeinschaft für Schließung oder Überleben der Klöster untersucht wurde, kommt in diesem Kapitel ein weiterer struktureller Faktor der Umwelt, in der die Straßburger Mönche und Nonnen handelten, in den Blick. Es geht um die Frage, welche Bedeutung die Orden für das Fortbestehen einzelner Klöster im 16. Jahrhundert hatten. Konnten und wollten Provinzverwaltungen und Generalkapitel ihre Niederlassungen im Widerstand gegen reformatorische Landesherren und Magistrate unterstützen und wenn ja, wie? Welche Strategien entwickelten die alten Orden im 16. Jahrhundert, um dem religiösen Umbruch zu begegnen und wie wirkten sich diese Strategien auf die einzelnen Straßburger Niederlassungen und die Handlungsspielräume der Religiosen aus? Zunächst gilt es, die drastischen Veränderungen, die das Ordenswesen im 16. Jahrhundert aufgrund des reformatorischen Umbruchs durchlief, noch einmal knapp darzustellen. In einem zweiten Schritt werden dann diejenigen Orden genauer in den Blick genommen, denen die Straßburger Klöster angehörten, die Beziehungen zwischen den einzelnen Niederlassungen und der Ordensleitung werden untersucht und jeweils in die Situation des Gesamtordens eingeordnet.
8.1 Die Situation der alten Orden im 16. Jahrhundert – Ein Überblick 8.1 Die Situation der alten Orden im 16. Jh.
Wolfgang Seibrich hat es abgelehnt, für das 16. Jahrhundert von einer „in ihren Grundfesten gefährdeten Klosterwelt“ zu sprechen.1 Wenn auch das Ordenswesen möglicherweise nicht existenziell bedroht war, wird man aber dennoch von einer fundamentalen Krise sprechen müssen. Bereits in der ersten Phase der Reformation bis zum Augsburger Religionsfrieden
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Seibrich: Monastisches Leben, S. 485.
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verloren die alten Orden2 zahlreiche Niederlassungen im Reich. In den verbliebenen Häusern reduzierte sich der Personalbestand teilweise drastisch.3 Seibrich muss aber insofern Recht gegeben werden, als dass es zu differenzieren gilt. Von den Verlusten waren die einzelnen Orden und auch Ordenszweige unterschiedlich stark betroffen. Auch zwischen observanten und nicht observanten Ordenszweigen, etwa bei den Franziskanern, konnten die Verluste stark variieren.4 Des Weiteren fielen die Unterschiede – und das ist angesichts der territorial-konfessionellen Struktur des Reiches nicht weiter überraschend – auch regional, also in den verschiedenen Ordensprovinzen, sehr unterschiedlich aus. Die meisten Schwankungen sind auf die Politik protestantischer Landesherren zurück zu führen. Allerdings muss festgestellt werden, dass in katholischen Territorien zwar insgesamt weniger Häuser aufgehoben wurden, dass aber das Ordensleben in den verbliebenen Klöstern oft verfiel, so dass auch für diese Regionen von einer Krise gesprochen werden kann.5 Insgesamt bietet die Zahl der verlorenen Niederlassungen nur einen Richtwert und sagt wenig aus über die Personalstärke der Orden oder das religiöse Leben in den einzelnen Gemeinschaften.6 Daher lässt sich auch 2
Der Begriff „alte Orden“ bezieht sich im Folgenden auf alle bis 1500 gegründeten Orden in Abgrenzung zu den im 16. Jahrhundert gegründeten Reformorden. 3 Einen nach Orden geordneten Überblick, der auch jeweils die Anzahl der Niederlassungen nennt, gibt es neuerdings mit dem von Friedhelm Jürgensmeier und Elisabeth Schwerdtfeger herausgegebenen, dreibändigen Sammelband Orden und Klöster. Vgl. für eine Schätzung der Zahl der verlorenen Häuser im 16. Jahrhundert auch Ziegler: Reformation und Klosterauflösung, S. 587. Zu den einzelnen Orden ist die Forschungslage ansonsten sehr unterschiedlich. Während zu einigen Orden so gut wie gar keine Forschungsliteratur existiert, wie etwa für die Franziskaner-Minoriten, vgl. Plath: Franziskaner, S. 144f., ist die Geschichte anderer Orden, wie etwa der Johanniter, in der Frühen Neuzeit vergleichsweise gut erforscht. In der vergleichenden Ordensforschung insgesamt bestehen noch zahlreiche Desiderate, vgl. Felten: Wozu treiben wir vergleichende Ordensgeschichte? 4 Die Verluste rangieren von rund 30 Prozent unter Benediktinern und Ritterorden bis zu 50 Prozent unter den meisten Bettelorden. Vgl. für ausführliches Zahlenmaterial Jürgensmeier/Schwerdtfeger: Orden und Klöster. 5 Vgl. für eine Studie am Beispiel des Mainzer Erzstiftes Seibrich: Monastisches Leben, S. 477ff. und 539. 6 Häufig bestanden Häuser weiter, in denen gar keine aktive Gemeinschaft mehr lebte. Karl Suso Frank stellt für die Klarissen fest, dass sich zwar die Zahl der Ordenshäuser lediglich um 22 Prozent verringerte, dass sich aber die Anzahl der Schwestern etwa halbierte, vgl. Frank: Klarissen, S. 125. Über die Zahl der Ordensmitglieder ist allerdings nur in wenigen Fällen etwas bekannt, vgl. zu diesem Problem Isnard W. Frank: Nachtridentinische Erneuerung, S. 447. Vgl. dazu ebenfalls Nickel: Franziskaner-Konventualen, der anhand der Paderborner Quellen zeigt, wie schwierig es sein kann, festzustellen, ob in einem de jure bestehende Haus tatsächlich noch eine Gemeinschaft bestand oder nicht.
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schwer prüfen, ob, wie so häufig vermutet, tatsächlich insgesamt mehr Nonnen als Mönche in den Klöstern verblieben. Auch zwischen den ersten und zweiten Orden wird aber differenziert werden müssen. Wenn auch die Vermutung, dass mehr Männer- als Frauenklöster geschlossen wurden, wie bereits erwähnt, wohl nicht immer und überall zutraf, war wahrscheinlich der Widerstand der Frauenklöster vielerorts größer.7 Wie stark die Krise war, in die die alten Orden zwischen 1517 und 1555 gerieten, lässt sich also aufgrund der starken regionalen Unterschiede und der Divergenzen zwischen den einzelnen Orden und ihren Zweigen tatsächlich kaum pauschal beziffern. Dass das alte Ordenswesen aber in eine heftige Krise schlitterte, dürfte anhand der sich in den Zahlen andeutenden Verluste an Vermögensmasse und Personal ebenfalls unstrittig sein. Eine neue Phase begann für die Geschichte der alten Orden mit dem Konzil von Trient. Wenn das Konzil auch seine Wirkung nicht sofort und nicht radikal entfaltete – auch auf die Orden nicht – so traten doch insgesamt in den folgenden Jahrzehnten der katholischen Konfessionalisierung8 spürbare Veränderungen auf.9 Nicht alle führten allerdings zur Konsolidierung der alten Orden. 7
Alle Zahlen nach Jürgensmeier/Schwerdtfeger: Orden und Klöster. Benediktiner und Prämonstratenser verloren bis zur Jahrhundertmitte etwa gleich viele Häuser im männlichen wie im weiblichen Zweig, die Zisterzienserinnen reduzierten sich sogar bis 1555 deutlich stärker als ihre Ordensbrüder. Der Klarissenorden schrumpfte zwar deutlich schwächer als die Minoriten, allerdings deutlich stärker als die Franziskanerobservanten. Für die Dominikanerinnen liegen keine Zahlen vor. 8 Während in der englischsprachigen Forschung noch um eine Bezeichnung für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, besonders für den Prozess der katholischen Reform, gerungen wird – die Begriffe „early modern Catholicism“ (John O’Malley), „the refashioning of Catholicism“, „Frühmoderner Katholizismus“ (beide Robert Bireley O’Malley) und „Catholic Renewal“ (Hsia) werden debattiert – hat sich in der deutschen Forschung der Begriff „konfessionelles Zeitalter“ bzw. „katholische Konfessionalisierung“ (Reinhard) weitgehend durchgesetzt und soll daher auch hier verwendet werden, vgl. für einen knappen und präzisen Überblick über die Forschungsdebatte im In- und Ausland Ehrenpreis/Lotz-Heumann: Reformation und konfessionelles Zeitalter, S. 75ff. und Weiß: Katholische Reform, S. 13. Vgl. ausführlicher und aus katholischer ebenso wie usamerikanischer Perspektive O’Malley: Trent, besonders S. 106ff. und 119ff. Vgl. für die Genese des Begriffs „katholische Konfessionalisierung“ aus dem Konfessionalisierungsparadigma Brady: Confessionalization, S. 7ff. Zentral für die Begriffsklärung war auch der Aufsatz von Hubert Jedin: Katholische Reformation, der erstmals 1946 erschienen ist. 9 Aus der Flut der Literatur zum Tridentinum seien hier nur zwei vergleichsweise jüngere Gesamtbewertungen erwähnt. Vgl. zur Frage der Wirkungen des Tridentinums und der damit verknüpften Frage der „Modernisierung“ der Kirche die ausgewogene Position bei Reinhard: Das Konzil von Trient, besonders S. 37ff. Reinhard unterscheidet zwischen absoluten und relativen Modernisierungseffekten des Konzils. Seine Hauptwirkung aber
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Auch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts schlug die Entwicklung einzelner Orden und ihrer Zweige sehr unterschiedliche Richtungen ein. Während sich einige Orden, wie etwa die Dominikaner, die AugustinerEremiten und die Minoriten wieder leicht erholten und einige Niederlassungen zurückgewinnen konnten, der Ritterzweig der Johanniter und die Franziskanerobservanten bis 1648 sogar ein Plus an Häusern gegenüber 1500 verbuchen konnten, verloren in der Zeit der katholischen Konfessionalisierung Zisterzienser, Kartäuser, die Frauenorden und die Priesterhäuser der Ritterorden weiter deutlich an Substanz.10 Die Gründe für diese Entwicklungen waren unterschiedlich. Die anhaltenden Verluste waren einerseits auch in der zweiten Jahrhunderthälfte durch die religiösen und politischen Effekte der reformatorischen Bewegung begründet. Auch weiterhin wurden in protestantischen Städten und Territorien Klöster aufgelöst, außerdem litten die Orden unter Nachwuchsproblemen.11 Ein anderer wichtiger Faktor aber war die katholische Konfessionalisierung selbst, die sowohl positive als auch negative Effekte auf die Situation der alten Orden hatte. Positiv wirkte sich für die männlichen Ordenszweige die Ordensreform aus, die auf dem Tridentinum beschlossen worden war. Der „Mythos Trient“ führte in einigen Orden zu Reform- und Restaurationsbestrebungen. Restaurative Bemühungen wurden in mehreren alten Orden besonders in der Zeit zwischen 1580 und dem Westfälischen Frieden betrieben. Im günstigeren politischen Klima, besonders nach, aber auch schon vor dem Restitutionsedikt (1629) bemühten sich die Orden um die Rückgabe verlorenen Klosterguts.12 Die Agierenden waren hier weniger einzelne Klöster, habe das Konzil durch die Entwicklung des „Mythos Trient“, einer neuen Grundidee für die Kirche, entwickelt, siehe vor allem S. 40f. Vgl. zur Bewertung auch Ganzer: Antrieb oder Hemmschuh, S. 144f., der ebenfalls die Ambivalenz des Tridentinums hervorhebt. Jüngere Studien, etwa von Dieter Weiß und Wolfgang Brückner haben vor allem für die alltägliche Frömmigkeitspraxis ergeben, dass das Tridentinum erst im 18. Jahrhundert Wirkung zeigte, vgl. Pfeifer: Tagungsbericht Konfessionalisierungsparadigma, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2206 (31.7.2008). 10 Vgl. für alle Zahlen Jürgensmeier/Schwerdtfeger: Orden und Klöster. 11 Vgl. Weiß: Katholische Reform, S. 87. Vgl. für diese Strategie bei den Dominikanern Springer: Dominikaner, S. 31. 12 Nach der nicht ganz unproblematischen Einschätzung von Seibrich gingen die Bemühungen sogar darüber hinaus. Die „(totale) Restauration der Reichskirche, eine Wiederherstellung der kirchlichen und kirchenpolitischen Verhältnisse des Hohen Mittelalters“ sei das wenn auch stärker von Wunschdenken als von Realitätssinn geprägte Ziel der alten Orden gewesen, vgl. Seibrich: Gegenreformation als Restauration, S. 2. Vgl. dazu kritisch Heinrich Richard Schmidt: Rezension von: Wolfgang Seibrich: Gegenreformation, S. 756, der vor allem die Inkongruenz der Argumentation Seibrichs kritisiert, der an anderer Stelle ebenso die wirtschaftlichen und politischen Interessen der Orden als zentrales Motiv der Restaurationsbemühungen darstellt.
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8. Klöster und Orden
als vielmehr die Ordensverbände. Zum Beispiel erlebten die FranziskanerObservanten in der nachtridentinischen Zeit einen deutlichen Aufschwung. Neue Häuser wurden gegründet, so dass der Orden 1648 sogar mehr Gemeinschaften zählte als um 1500. Gleichzeitig wuchs auch die Größe der einzelnen Gemeinschaften wieder deutlich an.13 In anderen Orden, die bereits über eine zentrale Struktur verfügten, wie die Kartäuser, übernahmen die Provinzialkapitel und das Generalkapitel die Vertretung der Ordensinteressen.14 Die Bemühungen waren nicht selten von Erfolg gekrönt. Vielerorts konnte Klostergut zurück erlangt und auch gegen jesuitische und episkopale Interessen verteidigt werden. Eine innere Erneuerung des alten Ordenswesens gelang aber bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts nur sehr bedingt.15 Diese Problematik lässt sich zumindest teilweise darauf zurückführen, dass die alten Orden Konkurrenz bekommen hatten. Zahlreiche Reformorden waren gegründet worden, unter denen die Jesuiten nur der prominenteste waren. Karl Suso Frank fasst prägnant zusammen: „Die nächste ordensgeschichtliche Epoche (ab 17. Jh.) gehört den Kongregationen [...]“, eine Entwicklung, die sich auch in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts schon ankündigte.16 Die Reformorden unterschieden sich in mehrfacher Hinsicht von den mittelalterlichen Orden. In Verfassung, Lebensweise und Apostolat orientierten sie sich an den Regularkanonikern. Sie legten nur einfache Gelübde ab. Ihre Frömmigkeit war nach außen statt nach innen gekehrt, missionarisch statt kontemplativ. Damit waren sie „modern“ im tridentinischen Sinne, aber auch „modisch“ im Sinne von „populär“. Der nachtridentinischen Kirche jedenfalls mussten die neuen Orden nützlicher erscheinen als ihre mittelalterlichen Verwandten. Jesuiten, Kapuziner, Serviten und andere leisteten einen Beitrag zur Erneuerung der ecclesia, die das Konzil in Auftrag gegeben hatte.17 Dementsprechend wurden die neuen Gemeinschaften gefördert und wuchsen bis zum Westfälischen Frieden in beacht-
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Vgl. Ziegler: Franziskaner-Observanten, S. 197ff. Vgl. Seibrich: Gegenreformation als Restauration, S. 21ff. 15 Vgl. Seibrich: Gegenreformation als Restauration, S. 334ff. und S. 697ff., der allerdings nur die „alten Orden“ im mediävistischen Sinne, also Benediktiner, Prämonstratenser, Zisterzienser und Kartäuser näher untersucht. 16 Frank: Art. Orden, Sp. 1093. 17 Vgl. zum Charakter der neuen Orden im Kontext der Tridentinischen Reform Henze: Orden und ihre Klöster, S. 105; DeMolen: Religious Orders; Herzig: Zwang zum wahren Glauben, S. 88f. Vgl. auch die Bewertung von Ganzer: Konzil von Trient, S. 232 und Frank: Art. Orden, Sp. 1093. 14
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lichem Ausmaß. Die bekannteste und beeindruckendste Erfolgsgeschichte ist sicherlich die der Jesuiten.18 Dass die Erfolgsgeschichte der einen Schwierigkeiten für die anderen bedeuten konnte, liegt auf der Hand. Alte und neue Orden koexistierten nicht einfach, sondern standen in Konkurrenz zu einander. Dieser Konkurrenzkampf drehte sich häufig um das verbliebene oder restituierte Klostergut der alten Orden, das nicht selten an die Jesuiten verloren ging. Eine statistische Übersicht über den Jesuiten zugesprochene Klöster, die ehemals den alten Orden gehörten, existiert noch nicht. Henze, Plath, Springer und Seibrich nennen allerdings zahlreiche Beispiele, die in die Zeit zwischen 1551 und 1629 datieren.19 Besonders offensiv versuchten die Jesuiten mit dem Restitutionsedikt 1629, Vermögensmasse der alten Orden zu erlangen, konnten aber wohl de facto deutlich weniger Güter in ihre Hand bringen, als ursprünglich angestrebt.20 Von diesen negativen Auswirkungen der katholischen Konfessionalisierung – der Umverteilung des Klosterguts zugunsten der Reformorden – scheinen die Frauenklöster in besonderem Maße betroffen gewesen zu sein. Zwar fehlen hier noch Studien und Zahlen für einzelne Orden. Es zeigt sich aber am Beispiel von Benediktinerinnen, Zisterzienserinnen und Prämonstratenserinnen, dass diese zwischen 1555 und 1648 nicht nur im Vergleich zur ersten Phase der Reformation deutlich mehr Niederlassungen verloren, sondern auch im Vergleich zu ihren Ordensbrüdern.21 Das Konzil von Trient hatte in seiner 25. Sitzung, in der die Ordensreform beschlossen wurde, mit der Erneuerung der Bulle Periculoso Bonifaz’ VIII. noch einmal die strenge Klausur für alle Frauenklöster betont. Zwar betraf dies in erster Linie die neuen Frauengemeinschaften, die sich schon mit aktiven Missionen gegründet hatten, verbaute aber auch den Frauenklöstern der alten Orden den Weg zu der „moderneren“ vita activa im Sinne der tridentinischen Reform, auch wenn die strengen Klausurregeln de facto nicht selten unterlaufen wurden.22 Indem sie so vom Konzil auf eine
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Vgl. zur Entwicklung des Ordens kurz: O’Malley: The Society of Jesus, S. 154ff. Für die Entwicklung anderer Reformorden des 16. Jahrhunderts vgl. die übrigen Aufsätze in DeMolen: Religious Orders. 19 Vgl. Henze: Orden und ihre Klöster, S. 100f.; Plath: Franziskaner-Konventualen, S. 153f.; Seibrich: Gegenreformation als Restauration, S. 66f., Anm. 125; Springer: Widerstand und Anpassung, S. 313, Anm. 30; Ders.: Dominikaner, S. 31. 20 Vgl. Seibrich: Der große Verdrängungsversuch, S. 77. 21 Vgl. für alle Zahlen Jürgensmeier/Schwerdtfeger: Orden und Klöster. 22 Vgl. Conrad: Ehe, Semireligiosentum und Orden, S. 539; Muschiol: Weibliche Orden, S. 192f. Vgl. zu den neu gegründeten Frauengemeinschaften Bireley: Neue Orden; Conrad: Ursulinen und Jesuitinnen. In den neuen semireligiosen Bewegungen der
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8. Klöster und Orden
innerliche, kontemplative Frömmigkeit beschränkt wurden, mussten sie derselben katholischen Reformbewegung als unmodern gelten.23 Insgesamt war die Zeit der katholischen Konfessionalisierung für die alten Orden also gleichzeitig eine Phase der Restauration, aber auch neuer Verluste. Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling zählen zu einem der Merkmale von „Konfessionalisierung“ die Vereinheitlichung der Lehre nach innen in der Abgrenzung nach außen.24 Die Chancen, die sich durch die Vereinheitlichung des katholischen Glaubens unter dem Dach einer neuen, aktiveren Frömmigkeit für die Orden boten, konnten die alten Gemeinschaften aber kaum ohne Preisgabe ihrer Identität wahrnehmen und fielen so häufig denselben Vereinheitlichungsbestrebungen zum Opfer. Auch hier gilt allerdings wieder das Gebot zur Differenzierung. Im Folgenden soll daher noch einmal genauer die Entwicklung der für Straßburg relevanten Orden untersucht werden und am Fallbeispiel geprüft werden, ob und wie sich die Entwicklungen in den Gesamtorden vor und nach 1555 auf die einzelnen Häuser auswirkten.
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung: Das Verhältnis der Straßburger Klöster zu ihren Orden 8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
8.2.1 Von der Reformation überrumpelt: Franziskaner und AugustinerEremiten und ihre Straßburger Niederlassungen Minoriten, Klarissen und Augustiner-Eremiten, deren Klöster sich bereits in der Frühphase der Reformation in Straßburg rasch selbst auflösten, gehörten auch insgesamt zu den von der neuen Lehre am stärksten betroffenen Orden. Zwar lehnt Ziegler es ab, von einer generell höheren „Gefährdung“ der Bettelorden zu sprechen, doch verloren insgesamt im Vergleich nachtridentinischen Zeit fanden Frauen aber auch neue Wege der religiösen Entfaltung, vgl. Conrad: Ehe, Semireligiosentum und Orden, S. 536ff. 23 Der Versuch des Jesuitenordens, nach dem Erlass des Restitutionsediktes seine eigene Basis auszubauen, indem er vom Kaiser die Umverteilung des Klostergutes zugunsten des eigenen Ordens zu erwirken versuchte, werfen ein Schlaglicht auf die Geringschätzung der Frauenklöster. Vgl. dazu Seibrich: Der große Verdrängungsversuch, S. 76ff. 24 Vgl. Reinhard: Gegenreformation als Modernisierung; ders.: Katholische Konfessionalisierung; Schilling: Konfessionalisierung im Reich. Vgl. zu den Auswirkungen der konfessionellen Vereinheitlichung auch das Urteil von Ganzer: Aspekte der katholischen Reformbewegung, S. 210. Ganzer bezieht sich hier vor allem auf humanistische und spiritualistische Reformströmungen, die im Zuge der Inquisition unterdrückt wurden, aber auch das Wegfallen der kontemplativen Lebensformen ließe sich aus meiner Sicht als theologische Verengung interpretieren.
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
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zu landsässigen Klöstern und Frauenklöstern vor allem die männlichen Zweige der Bettelorden in ihrem urbanen Umfeld besonders viele Niederlassungen.25 Die Minoriten verbuchten nicht nur im Vergleich zu anderen Orden, sondern auch im Vergleich zu den observanten Franziskanern die stärksten Verluste im Reformationszeitalter. Sie verloren 67 % ihrer Häuser, in der oberdeutschen Provinz fielen die Verluste mit 40% etwas geringer aus.26 Gleichzeitig finden sich unter den Konventualen besonders viele spätere Reformatoren.27 Auch der zweite Orden der Franziskaner, die Klarissen, verlor insgesamt etwas mehr als die Hälfte, in der oberdeutschen Provinz etwas weniger als die Hälfte ihrer Niederlassungen.28 Dieses schlechte Abschneiden in der Konfrontation mit der neuen Lehre kam allerdings nicht völlig unangekündigt. Schon in den Jahrzehnten vor Luthers Thesenanschlag befand sich der Franziskanerorden in einer Phase der Restrukturierung. 1517 vollzog Papst Leo X. die sich seit 100 Jahren ankündigende Trennung des Ordens in einen observanten und einen konventualen Zweig.29 Die Straßburger Klarissen und Franziskaner blieben beim minoritischen Zweig.30 Trotz des großen Rechtfertigungsdrucks, der durch die päpstliche Approbation der Observanten für die weniger streng lebenden Konventualen entstand, schätzt Francis Rapp den wirtschaftlichen und personellen Zustand der Konventualen in der oberdeutschen Provinz um 1517 nicht allzu pessimistisch ein.31 Der Reformation jedoch hatten die Konventualen seiner Ansicht nach wenig entgegenzusetzen: „[...] la plupart des Cordeliers semblent avoir été bousculés par la Réformation. Ils subirent ce flot révolutionnaire plus qu’ils ne contribuèrent à l’orienter.“32 Zu den Problemen, mit denen der Orden angesichts der Reformation kon25
Vgl. Ziegler: Reformation und Klosterauflösung, S. 601; Schindling: Franziskaner und Klarissen, S. 103ff. 26 Vgl. für die Anzahl der verlorenen Häuser Plath: Franziskaner-Konventualen, S. 137. Vgl. für die oberdeutsche Provinz Degler-Spengler: Oberdeutsche Minoritenprovinz, S. 43. Vgl. für eine Bewertung der Situation in den Reichsstädten Schindling: Franziskaner und Klarissen, S. 103. 27 Vgl. für Beispiele aus der oberdeutschen Provinz Degler-Spengler: Oberdeutsche Minoritenprovinz, S. 47. 28 Vgl. Frank: Klarissen, S. 127 und S. 133; Degler-Spengler: Oberdeutsche Minoritenprovinz, S. 43. 29 Vgl. allgemein zur Situation des Ordens um 1500 Moorman: A History; Ziegler: Franziskanerobservanten zwischen Reform und Gegenreformation; Plath: FranziskanerKonventualen und Schindling: Franziskaner und Klarissen. 30 Vgl. Degler-Spengler: Oberdeutsche Minoritenprovinz, S. 43. 31 Vgl. Rapp: Franciscains et Réformation, S. 152. 32 Rapp: Franciscains et Réformation, S. 163 . Ebenso Schindling: Franziskaner und Klarissen, S. 103.
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8. Klöster und Orden
frontiert war, kam ab den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts die Konkurrenz zu den bereits erwähnten Kapuzinern. Die Konventualen sahen sich also im 16. Jahrhundert von gleich drei Seiten bedrängt: Einerseits von den Observanten, die auf eine strengere Regelbefolgung pochten und eine wichtige Rolle in der katholischen Erneuerung spielten, von den neu entstandenen Kapuzinern, die sich einer weltzugewandteren Frömmigkeit verschrieben und nicht zuletzt von den Reformatoren, die das klösterliche Leben grundsätzlich in Frage stellten.33 Die Ordensleitung brauchte lange, um eine Strategie zur Konsolidierung zu entwickeln. Erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts richtete die oberdeutsche Provinz in Maihingen ein Seminar ein, um qualifiziertes Nachwuchspersonal auszubilden. Die Entwicklung der Provinzstudien bildete in der Folgezeit einen Schwerpunkt der Arbeit der Provinziale, aber auch Restitutionsbemühungen und Neugründungen von Häusern wurden nun unternommen.34 Auch hier standen den Minoriten allerdings wieder die Observanten im Wege, mit denen sie um Restitutionsansprüche konkurrierten.35 Für das Straßburger Haus kamen die Konsolidierungsbestrebungen des Ordens allerdings deutlich zu spät. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde kaum Unterstützung spürbar. Der in dieser Phase amtierende Provinzial, Bartholomäus Hermann (1529–1545), stand vielmehr im Ruf, mit der neuen Lehre zu sympathisieren. Er verkaufte mehrere Konvente an Städte seiner Provinz, ein Schaden, den sein Nachfolger, Heinrich Stolleisen (1545–1556), nur teilweise wieder wettmachen konnte.36 Auch, was die drei Straßburger Franziskanerniederlassungen betrifft, sind nur halbherzige Restitutions- und Entschädigungsbemühungen zu verzeichnen. Der Provinzial Georg Hoffmann (1510–1529), selbst ehemaliger Lektor des Straßburger Hauses, supplizierte 1525 um eine Entschädigung an den Rat, als sich abzeichnete, dass das Franziskanerkloster und die beiden St. Klara-Klöster sich auflösen würden. Der Rat beschloss daraufhin, dem Orden die im Vergleich zum Wert der Besitzungen der drei Klöster lächerliche Summe von insgesamt 30 Gulden zu zahlen, damit verschwindet der Vor-
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Vgl. zum Verhältnis von Konventualen und Observanten Elm: Verfall und Erneuerung. Vgl. zur Rolle der Franziskaner-Observanten in der katholischen Erneuerung Schindling: Franziskaner und Klarissen, S. 109. 34 Vgl. Degler-Spengler: Oberdeutsche Minoritenprovinz, S. 48; Plath: FranziskanerKonventualen, S. 154. Vgl. für die Erneuerung am Beispiel Westfalens Hardick: Ostwestfalen im Plangefüge. 35 Die Konflikte um konkurrierende Ansprüche wurden teilweise vor Gericht ausgetragen, vgl. am Beispiel Göttingens Schlotheuber: Franziskaner in Göttingen, S. 83ff. 36 Vgl. Degler-Spengler: Oberdeutsche Minoritenprovinz, 72f.
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
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gang dann auch schon aus den Akten.37 Erst 1549, wahrscheinlich in Zusammenhang mit dem Interim, forderte Provinzial Heinrich Stolleisen die Restitution aller drei Klöster.38 Auch dieser Vorgang versandete aber, zu einer Verhandlung vor dem Reichskammergericht kam es offenbar nicht. Obwohl der Straßburger Männerkonvent im späten Mittelalter als Sitz des studium generale und als Zentrum der Provinz eine große Rolle gespielt hatte, schien dem Orden offenbar die religionspolitische Situation in der Stadt zu aussichtslos, als dass er eine Wiederbelebung des Hauses energischer in Angriff genommen hätte.39 Ähnlich ging es auch den Augustinern. Dass der Provinzial der Augustiner-Eremiten sich um dieselbe Zeit wie Stolleisen um die Restitution des Hauses bemühte, geht lediglich aus einem Antwortschreiben des Rates hervor. Der Rat antwortete auf die Forderung des Ordensmannes mit dem üblichen Verweis auf die Verzichtserklärungen der Konventualen. Der Orden scheint seine Bemühungen daraufhin nicht weiter verfolgt zu haben.40 Tatsächlich waren wohl auch die Augustiner-Eremiten nicht in der Lage, um jedes einzelne Haus gerichtlich zu streiten. Auch sie hatten bis zum Jahr 1555 rund die Hälfte ihrer Häuser im Reich verloren und in den übrigen Häusern mit starkem Personalmangel zu kämpfen. Anders als im Fall der oberdeutschen Minoriten verwendete allerdings der in Straßburg residierende rheinisch-schwäbische Provinzial der Augustiner-Eremiten, Konrad Treger (1518–1542), einige Energie darauf, den Widerstand des Ordens zu formieren. In der Frühphase der Reformation bestand seine Strategie vor allem darin, abgefallene Ordensbrüder mit Kirchenstrafen belegen zu lassen und zu versuchen, sie in den Orden zurückzuzwingen, so auch im Fall vierer Brüder seines eigenen, des Straßburger Konvents. Treger klagte außerdem 1524 um das Kloster Worms vor dem Reichskammergericht und hielt in seiner Amtszeit immerhin zwei Provinzialkapitel ab.41 Da aber bald zahlreiche Stadt- und Landesherren zum neuen Glauben übergingen und verfolgten ehemaligen Mönchen Schutz boten, war diese Strategie nur selten von Erfolg gekrönt. Auch seinen eigenen 37
Vgl. AMS AST 35/3, S. 21. Die Supplik des Provinzials selbst ist nicht überliefert, sie wird lediglich in den Ratsprotokollen zu St. Klara am Rossmarkt erwähnt, ihr Inhalt wird aber nicht detailliert wiedergegeben. 38 Vgl. AMS II, 5/8, fol. 2r ff. 39 Vgl. zur Bedeutung des Straßburger Hauses für die oberdeutsche Provinz Rapp: Straßburg – Franziskaner, S. 12ff. Erst 1682, nach dem Einmarsch Ludwigs XIV., gelang den Franziskaner-Observanten die Gründung eines neuen Klosters in der Stadt, vgl. Ziegler: Franziskaner-Observanten, S. 197. 40 Vgl. AMS II, 5/8, fol. 10r f. Der Name des Provinzials ist nicht überliefert. Es handelte sich wahrscheinlich um Melchior Rubelius (1549–1560). 41 Vgl. zur Klage gegen die Straßburger Konventualen AMS II, 21/13. Die Provinzialkapitel fanden 1524 und 1538 statt, vgl. Vermeulen: Konrad Treger, S. 116ff.
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8. Klöster und Orden
Konvent konnte Treger nicht retten. Insgesamt gingen in der rheinischschwäbischen Provinz bis 1543 15 von 26 Konventen verloren.42 Erfolgreiche Reform- und Restitutionsbestrebungen unternahm auch Luthers Orden erst mit dem Ende des 16. Jahrhunderts. Auf Initiative des Generalvikars für Deutschland, Felice Milensio, wurde ein studium generale in Ingolstadt eingerichtet, eine Neugründung, die mit Konventualen aus Bayern besetzt werden konnte. Auch die Kölnische Provinz konnte durch Neugründungen expandieren.43 8.2.2 Mit dem Orden gegen den Rat: St. Nikolaus und St. Margaretha Restitutions- oder Entschädigungsbemühungen für das dritte in der Frühphase der Reformation aufgelöste Männerkloster, die Gemeinschaft der Dominikaner in Straßburg, sind nicht überliefert. Umso energischer waren die Bemühungen des Ordens um die beiden überlebenden Dominikanerinnenhäuser, die im Folgenden näher beleuchtet werden sollen. Auch die Dominikaner waren von der reformatorischen Bewegung in der bereits beschriebenen Weise – Verlust von Klostergut und Personal – stark betroffen, wenn auch nicht im selben Ausmaß wie Franziskaner und Augustiner-Eremiten.44 Die einzige nachvollziehbare Bemühung der Ordensleitung zu Gunsten der Einzelkonvente in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bestand darin, 1530 beim Kaiser zwei Privilegien zu erwirken, von denen man Kopien an alle (noch bestehenden) Konvente verschickte.45 Restaurative und reformerische Bemühungen begannen in der Teutonia erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts mit den Amtszeiten der Provinziale Johannes Kosseler (1574–1586) und Konrad Zittard (1587–1606), damit 42
Vgl. Vermeulen: Konrad Treger, S. 64ff. Vgl. für die Zahlen zur rheinischschwäbischen Provinz Tremp: Freiburg, S. 99. 43 Vgl. Wernicke: Augustiner-Eremiten, S 65f. 44 Vgl. für einen Überblick über den Zustand des Dominikanerordens im 16. Jahrhundert Springer: Dominikaner, S. 21ff.; Frank: Nachtridentinische Erneuerung, S. 447. Vgl. zum Personalmangel der Häuser im Gebiet des heutigen Bayern ausführlicher Barth: Dominikaner, S. 716f. Im Gegensatz zu anderen Orden liegt im Falle der Dominikaner eine Monographie vor, die sich auch mit den möglichen Gründen für die starken Verluste des Ordens beschäftigt. Springer verweist etwa auf den Spott, der dem Orden aus humanistischen Kreisen entgegenschlug („Dunkelmännerbriefe“) und sie als gestrig erscheinen ließ, vgl. Springer: Dominikaner, S. 18f. Vgl. dazu ausführlicher, auch zu Luthers Verhältnis zu den Dominikanern im Besonderen ders.: Widerstand und Anpassung, S. 39ff. 45 Vgl. Springer: Widerstand und Anpassung, S. 300, der elf Konvente in Reichs-, Bischofs-, Residenz- und Landstädten untersucht. Vgl. für den Widerstand einzelner Dominikaner und ihre Biographien die hagiographische Darstellung von Paulus: Deutsche Dominikaner.
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
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allerdings deutlich früher als bei Minoriten und Augustiner-Eremiten.46 Die Strategie, die Kosseler und Zittard zur Restauration des männlichen Ordenszweiges einleiteten, lässt sich dank der Monographie von KlausBernward Springer recht gut nachzeichnen. Zittard richtete zunächst Zentralnoviziate ein. Ein Ausbildungs- und Reformzentrum war die Niederlassung in Augsburg, die so personalstark wurde, dass von dort Brüder zur Verstärkung in andere Häuser verlegt werden konnten.47 Dieses Prinzip der Transfiliation von Mönchen wurde schon im 16. Jahrhundert ausgiebig genutzt.48 Darüber hinaus wurden in Not geratene Konvente finanziell unterstützt. Beide Maßnahmen wurden jeweils im Einzelfall vom Generalkapitel angeordnet.49 Hinzu kamen zu Beginn des 17. Jahrhunderts die üblichen Restitutionsklagen. Was die Situation dominikanischer Frauenklöster betrifft, ist die Forschungslage bedeutend schlechter.50 Schon ein reichsweiter Überblick über die verlorenen Niederlassungen der Dominikanerinnen existiert nicht. Die Zahlen für die Konvente im heutigen Bayern, inklusive der protestantischen Reichsstädte und Pfalz-Neuburg zeigen ein recht düsteres Bild: Von 16 Dominikanerinnenklöstern waren Mitte des 17. Jahrhunderts sieben erloschen.51 Der Frage, wie der Orden mit seinen Frauenklöstern verfuhr, kann man sich daher nur annähern.52 Es scheint aber, als sei die Strategie des Ordens zumindest zwiespältig gewesen. 1558 hatte der Dominikaner Bartholomäus Kleindienst dem Provinzkapitel der Teutonia seine Schrift Triplex ratio vorgelegt, in der er Vorschläge für eine Erneuerung des darniederliegenden Dominikanerordens machte. Darin schlug er unter anderem die Zentralisierung der Ausbildung vor. Finanziert werden sollte diese durch den Verkauf heruntergekommener Ordensniederlassungen: 46
Vgl. Springer: Widerstand und Anpassung, S. 316. Vgl. Springer: Widerstand und Anpassung, S. 359; Barth: Dominikaner, S. 718ff. 48 Vgl. Springer: Widerstand und Anpassung, der etwa für Worms Prediger aus der Germania inferior nachweisen kann, S. 170. Vgl. auch ebd. S. 314 und S. 317 und Barth: Dominikaner, S. 717. 49 Vgl. Springer: Widerstand und Anpassung, S. 359f. 50 Ein Beitrag zu den Dominikanerinnen fehlt in Jürgensmeier/Schwerdtfeger: Orden und Klöster. Eine Ordensgeschichte von einem Nichtdominikaner fehlt bislang ebenfalls. Die im Orden selbst entstandene Literatur ist kaum brauchbar. Wilms OP: Dominikanerinnen (1948) hat rein hagiographischen Wert. Ähnlich kompilatorisch, wenn auch etwas nüchterner die neueren Arbeiten von Walz OP: Dominikaner und Dominikanerinnen; Hinnebusch OP: Kleine Geschichte und Ashley OP: The Dominicans. 51 Vgl. Barth: Dominikaner, S. 713. 52 Auch Gisela Muschiol betont, dass das Verhältnis der Orden zu ihren weiblichen Niederlassungen im 16. Jahrhundert ein bislang weitgehend unbearbeitetes Feld ist, vgl. Muschiol: Frauenklöster im Zeitalter der Reformation, S. 110. 47
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8. Klöster und Orden
„Sumptus porro pro fratrum sustentatione necessarios facile quoque habebimus, si aliqui conventus, qui alias aut periclitantur, ne diripiantur ab haereticis, aut sunt destituti fratribus atque ita inutiles, vendantur, et in sanctissimum hunc usum apostolica auctoritate [...] convertantur.“53
Kleindienst machte deutlich, dass er dabei auch an Frauenklöster dachte, „quarum non pauca adhuc monasteria supersunt.“54 Zwar wurden die Vorschläge Kleindiensts nicht in vollem Umfang umgesetzt, der Orden griff in der Folgezeit allerdings mehrfach auf Besitzstand und Einkünfte von Frauenklöstern zur Finanzierung seiner Studienorganisation zurück.55 Untersuchungen zu einzelnen Klöstern konnten stellenweise aber auch Unterstützung des Ordens für die Frauenklöster feststellen.56 Fest steht, dass Konrad Zittard nach der Schließung von St. Nikolaus in Straßburg 1592 eingriff und vor dem Reichskammergericht klagte.57 Der Prozess verlief zwar im Sande, bereitete dem Rat aber dennoch Sorge. Er verhörte 1594 die Nonnen über ihr Verhältnis zum Provinzial. Diese gaben an, der Provinzial besuche sie nur alle drei Jahre und auch nur „vor der winden“. Er habe sich nie lange aufgehalten und sie hätten ihn nicht zu dieser Klage aufgefordert.58 Möglicherweise waren die Beziehungen zwischen Provinzial und Klöstern aber enger, als die Nonnen hier zugeben. Die Schaffnerin des Konvents, die 1594 die Priorin Susanna Brünnin wegen Misswirtschaft und Korruption denunzierte, gibt an, es habe ein reger Briefverkehr zwischen Konvent und Ordensprovinzial geherrscht.59 Der Provinzial klagt 1592 nicht nur vor dem Reichskammergericht um die Güter von St. Nikolaus, sondern nahm direkten Kontakt zu den Nonnen auf und hielt sie zu aktivem Widerstand an. Noch 1594 befahl er ihnen, in ihr Kloster zurückzukehren oder zumindest beim Rat vorzusprechen, um zu erreichen, dass sie in Zukunft zurückkehren könnten.60 Gleichzeitig machte sich Konrad Zittard bei verschiedenen katholischen Fürsten für das Kloster St. Nikolaus stark. Auf sein Bitten fordern Ferdi53
Kleindienst: Triplex ratio, S. 85. Vgl. Kleindienst: Triplex ratio, S. 84ff., hier S. 85. 55 Vgl. Frank: Nachtridentinische Erneuerung, S. 451ff. Vgl. für Beispiele ebd., S. 458, Anm. 41. Ein Beispiel ist das Kloster Obermedlingen, dass 1651 vom Zweitorden an den ersten Orden überging, vgl. Herzog: Obermedlingen, S. 19. 56 Für das Augsburger Kloster St. Katharina setzte sich Konrad Zittard ein, vgl. Hörmann, Erinnerungen, S. 365. Für Nürnberg kann dagegen Steinke keine Zuwendung feststellen, vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 278. 57 Vgl. zum Prozess genauer Kapitel 5.1.3. 58 Vgl. AMS II, 6/5. 1592 hatten die Nonnen bei einer anderen Visitation erwähnt, alle vier bis fünf Jahre Besuch vom Provinzial zu empfangen, vgl. AMS II, 7/19, fol. 21r. 59 Vgl. AMS II, 39/3. Überliefert ist leider keine Korrespondenz, wie überhaupt die Korrespondenz zwischen geistlichen Einrichtungen die Übernahme der Klosterarchive in städtische Hand offenbar selten überlebt hat. 60 Vgl. AMS II, 39/13 und AMS II, 39/18. Abschrift auch in AMS X, 418. 54
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
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nand von Österreich,61 Pfalzgraf Friedrich IV., Bayernherzog Wilhelm V. und der Mainzer Erzbischof Wolfgang von Dalberg den Rat auf, die Nonnen in ihrem Kloster zu restituieren.62 Denkbar ist, dass der Orden mit seinem energischen Vorgehen im Straßburger Fall ein Exempel zu statuieren versuchte. Zittard reagierte mit seiner Klage auf einen besonderen Affront, die gewaltsame Schließung einer zwar finanziell labilen, aber personell starken und intakten Gemeinschaft in einer Phase der Konfessionalisierung, in der die Zeiger insgesamt eher auf Restitution gestellt waren und die Orden restaurative Bestrebungen begonnen hatten. Möglicherweise wollten die Dominikaner unabhängig davon, ob es sich um ein Männer- oder Frauenkloster handelte, klarstellen, dass man über die rechtlich kritische Entfremdung von Klostergut nicht mehr hinweg sehen werde. Dafür könnte auch sprechen, dass das Eintreten eines Provinziales für die Nonnen innerhalb der Straßburger Überlieferung recht singulär ist.63 Es ist also fraglich, ob die Unterstützung für St. Margaretha und St. Nikolaus im Kontext einer kohärenten dominikanischen Politik zu Gunsten der Frauenklöster zu sehen ist. 8.2.3 Mit dem Rat gegen den Orden: Die Johanniter Die Straßburger Johanniter gehörten zum Priesterzweig des Ritterordens. Die Ordenskapläne bildeten zwar im Orden die Mehrheit, rangierten aber in der Hierarchie unter den ritterlichen Ordensmitgliedern. Sie waren vom Meisteramt ebenso ausgeschlossen wie von anderen zentralen Ämtern.64 Die Tendenz, die Priesterbrüder als Ordensmitglieder minderen Ranges anzusehen, verstärkt sich im Reformationszeitalter und sollte auch für die Straßburger Kommende bedeutsam werden. In die neue Epoche startete der Orden der Johanniter mit vergleichsweise ungünstigen Voraussetzungen.65 Der Orden steckte bereits gegen Ende 61
Der Bruder Maximilians II. und Onkel des herrschenden Königs Rudolph II. Vgl. die Suppliken, die explizit auf Zittard Bezug nehmen, in AMS II, 41–42a, AMS II, 6/1 und in AMS II, 8/5. 63 Nur einmal, 1550 hatte Provinzial Johann Pesselius (1545–1558) sich zuvor für die Nonnen von St. Nikolaus und St. Margaretha eingesetzt.Vgl. AMS II, 57/1. 64 1495 lebten im deutschen Großpriorat 322 Ordenskapläne und 40 Ritter, vgl. Rödel: Großpriorat Deutschland, S. 410f. Vgl. zur Stellung der Priesterbrüder im Johanniterorden zusammenfassend Nicholson: Knights Hospitaller, S. 81f.; Rödel: Großpriorat Deutschland, S. 16f. 65 Die Forschungssituation zum Johanniterorden im 16. Jahrhundert ist entgegen dem noch pessimistischen Urteil von Anthony Luttrell (1980) inzwischen nicht schlecht, vgl. Luttrell: The Hospitallers of Rhodes, S. 245. Zahlreiche Einzelstudien zur Reformationszeit versammelt der Band von Johannes A. Mol, Klaus Militzer und Helen J. Nicholson: The Military Orders and the Reformation (2004). Eine Sammlung von Aufsätzen zu zahlreichen, auch frühneuzeitlichen Spezialproblemen der Ordensgeschichte findet sich in 62
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8. Klöster und Orden
des 15. Jahrhunderts in einer Identitätskrise. Die Zeit der Kreuzzüge war vorbei und die Johanniter mussten ihre Ziele neu definieren.66 1522 verloren die Kreuzritter Rhodos an den osmanischen Sultan Suleiman, mehrere Jahre lang war die territoriale Zukunft des Ordens ungewiss, bis Karl V. den Johannitern Malta, Gozo und Tripolis zu Lehen überließ.67 Dass Malta, wie 1563, immer wieder erfolgreich gegen eine türkische Übermacht verteidigt werden konnte, erhöhte zwar das Prestige des Ordens, das unter dem Verlust von Rhodos gelitten hatte. Die Ordenszentrale war aber auch stark mit dem Auf- und Ausbau von Verteidigung und Verwaltung auf Malta beschäftigt und entsandte erst 1540 Visitatoren ins Reich, um die Lage im von der Reformation gebeutelten deutschen Großpriorat zu überprüfen.68 Darüber hinaus waren die Auswirkungen dieser mediterranen Siege und Niederlagen des Johanniterordens für die einzelnen Häuser, die stark regional eingebunden waren, nicht unmittelbar bedeutsam.69 Dennoch bilden sie das Panorama, vor dessen Hintergrund die durch die Reformation bedrängte deutsche Zunge ihre Politik ausrichten musste. Im Reich wurde die Krise des Johanniterordens besonders deutlich durch den Abfall der Ballei Brandenburg. Zwar beschlossen die Brandenburger Fürsten, die Ballei als Verwaltungseinheit bestehen zu lassen, dem Orden aber war sie entfremdet. 1577 bekannte sich Herrenmeister Hohenstein zur Formula concordiae und damit offen zum Luthertum.70 Dort, wo im Reich die Häuser des Johanniterordens bestehen blieben, kam nach Einschätzung von Rödel das geistliche Leben weitgehend zum Erliegen: „In vielen Ordenshäusern amtierten lediglich Verwalter [...].“ Das Gleiche ist wohl für die karitative Betätigung des Ordens im Reich anzunehmen.71 Trotz der krisenhaften Situation unmittelbar vor der Reformation und dem Abfall der Ballei Brandenburg verlor der Johanniterorden insgesamt dem ebenfalls von Helen Nicholson herausgegebenen zweiteiligen Sammelband The Military Orders. Welfare and Warfare (1998). 66 Vgl. Rödel: Großpriorat Deutschland, S. 39ff. 67 Vgl. für die Erlangung Maltas Nicholson: Knights Hospitaller, S. 191 und auch die allerdings aus Ordenssicht stark gefärbte Darstellung von von Waldburg-Wolfegg: Orden auf Malta, S. 191ff. 68 Vgl. Nicholson: Knights Hospitaller, S. 124. Vgl. weiter Rödel: Johanniterorden, S. 151 und ders.: Großpriorat Deutschland. 69 Vgl. für Überlegungen zum Spannungsfeld zwischen universeller Ausrichtung und regionaler Einbindung der Ritterorden Elm: Ordines militares, zusammenfassend S. 357. 70 Vgl. für einen Überblick über die Entwicklung der Ballei hin zum Protestantismus Sarnowsky: Vorgeschichte und Anfänge, S. 126ff. Ähnlich erging es dem Deutschen Orden, hier ging der preußische Ordensstaat verloren, vgl. Seiler: Strukturelle Wandlungen, S. 141f. 71 Vgl. Rödel: Johanniter, hier S. 153; ders. Großpriorat Deutschland, S. 409ff. Vgl. zur Situation des Ordens in Österreich Dauber: Johanniter-Malteser Orden, S. 490ff.
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
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aber vergleichsweise wenige Niederlassungen im Reich. Die Zahl der Ritterhäuser konnte nach anfänglichen Einbrüchen bis 1648 sogar ausgebaut werden.72 Dieses Phänomen war paradoxerweise womöglich gerade in der Krise begründet, die der Orden im Mittelmeer zu bewältigen hatte. Die Ritterorden konnten in den Auseinandersetzungen mit den Osmanen, die gerade in der Frühphase der Reformation virulent waren, ihren Nutzen unter Beweis stellen und die eigene Identität reformulieren: „Das alte Ordensideal des Heidenkampfes konnte [...] nahtlos an die neue Gegebenheit der Türkenkriege angepaßt werden.“73 Als Priesterhaus war das Straßburger Haus demnach aus vielfältigen Gründen besonders gefährdet. Luthers Kritik am Klosterleben ließ sich eher auf die monastisch lebenden Ordenskapläne als auf die Ritter münzen und die Unterstützung des regionalen Adels, auf die sich die Ritterhäuser verlassen konnten, fehlte.74 Außerdem stellte sich die Rekrutierung von Priestern als schwieriger heraus als die Rekrutierung von Rittern.75 Hinzu kam nun, dass die Rechtfertigungsstrategie der Ritterorden, die Berufung auf den militärischen Nutzen für die europäische Christenheit, auf die Priesterhäuser nicht passte. Dementsprechend unterstützten Deutscher Orden und Johanniterorden ihre Priesterhäuser nicht im gleichen Maße wie ihre Ritterhäuser. Die Kosten-Nutzen-Rechnung der Orden war einfach: „Ritterbrüder stabilisierten die Verankerung im Sozialmilieu, Priester hingegen verursachten Kosten.“76 In Folge dieser Politik und der übrigen Schwierigkeiten, mit denen sich die Priesterhäuser konfrontiert sahen, gingen sowohl im Deutschen als auch im Johanniterorden die Priesterzweige praktisch völlig ein. Die Johanniter verloren bis 1648 84%, die Deutschordensritter 87% ihrer Priesterhäuser.77 Diese Politik zeigt sich auch an zwei Versuchen des Ordens im 16. Jahrhundert, das Straßburger Haus in ein Ritterhaus umzuwandeln oder zumin72
Vgl. für die Zahlen Rödel: Johanniterorden, S. 141. Vgl. für einen Überblick über den Ausbau der Ordensniederlassungen auch Sire: Knights of Malta, S. 200ff. Vgl. für einen Überblick über die ähnliche Entwicklung des Ordens in der Schweiz Maier: Strategies of Survival, S. 355ff. 73 Seiler: Strukturelle Wandlungen, S. 173, hier in Bezug auf den Deutschen Orden. 74 Das stellt auch Johannes A. Mol für das Priesterhaus in Utrecht fest, vgl. Mol: Trying to Survive, S. 101. Er konstatiert auch, dass die Priesterbrüder des Deutschen Ordens ähnliche Probleme hatten. Vgl. für die Geschichte weiterer Priesterhäuser im Großpriorat Deutschland in der Reformationszeit Rödel: Protestanten und Katholiken, S. 28ff. 75 Vgl. Borchardt: Johanniter in Deutschland, S. 107. 76 Seiler: Strukturelle Wandlungen, S. 171. 77 Vgl. für den Deutschen Orden Seiler: Strukturelle Wandlungen, S. 171. Zahlen zum Deutschen Orden bei Weiß: Der Deutsche Orden, S. 125. Vgl. für die Johanniter Rödel: Johanniterorden, S. 141.
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8. Klöster und Orden
dest finanziell stärker für den Orden nutzbar zu machen. Erstmals wurde der Konflikt zwischen dem Ritter- und dem Priesterzweig des Ordens deutlich im Jahr 1533. Der bereits erwähnte Großprior Johann von Hattstein (1512–1546) warb in diesem Jahr beim Straßburger Rat für die Umwandlung des Hauses in ein Ritterhaus.78 Den Pflegern, die mit dem Großprior im Auftrag des Rates verhandelten, versuchte der Großprior die Umwandlung schmackhaft zu machen, indem er die gemeinsame Interessenlage von Stadt und Orden betonte: Die Stadt wolle schließlich „keine pfaffen haben, daran sey ime auch nit gelegen“. Er schlage vor, dass „man ein Ritterhaus daruß machte und der Statt ettliche pferd helte“.79 Hattstein lockte weiter damit, die Güter des Johanniterhauses zwischen Stadt und Orden aufzuteilen. Dem Rat wolle er die Mobilien des Hauses überlassen, er selbst werde die Zinsen und Pachten übernehmen. Trotz des recht lukrativen Angebots Hattsteins konnte der Rat sich allerdings nicht zu einem Handel entschließen.80 Die Verhandlungen wurden offenbar ergebnislos abgebrochen und die Kommende blieb ein Priesterhaus. Ein zweiter Versuch des Ordens, auf das Haus zuzugreifen ereignete sich 1549, kurz nach der Erhebung des deutschen Großpriors Georg Schilling von Cannstatt in den Reichsfürstenstand (1548). Das Großpriorat hatte damit den Status eines geistlichen Fürstentums erlangt. Dem kam in den juristischen Auseinandersetzungen um das Ius reformandi „erhebliche Bedeutung“ zu.81 Aber auch für die Straßburger Kommende sollte die Erhebung Schillings Folgen haben. Schilling, ein württembergischer Niederadeliger, war ab 1534 Großbailli von Deutschland und ab 1546 in Personalunion auch Großprior der kleineren Verwaltungseinheit deutsches Großpriorat. Bei der Verteidigung von Rhodos und im Dienst Karls V. hatte er sich militärische Meriten und eine beachtliche Reputation erarbeitet.82 1549, ein Jahr nach seiner Erhebung in den Reichsfürstenstand, fiel Schillings Fokus auf das reiche Straßburger Haus zum Grünen Wert, das seit der durch den Gründer Rulman Merswin geschickt verhandelten Schenkung an die Johanniter im 14. Jahrhundert nur sechs Goldgulden jährlich an Responsionen entrichtete. Schilling woll-
78
Vgl. dazu die Exzerpte aus den Ratsprotokollen, AMS AST 35/5. Vgl. AMS AST 35/5 (29. Dezember 1533). 80 Vgl. AMS AST 35/5 (29. Dezember 1533). 81 Vgl. dazu Borchardt: Johanniter in Deutschland, S. 103ff., hier 104. Vgl. auch Hafkemeyer: Großpriorat Deutschland, S. 299. Der Deutschmeister des Deutschen Ordens hatte diese Würde bereits seit 1494 inne. 82 Vgl. zu Georg Schilling von Cannstatt den Überblick bei Walburg-Wolfegg: Orden auf Malta, S. 196ff. und Rödel: Großpriorat Deutschland, S. 45ff. Instruktives zu Leben und Person Georg Schillings findet sich auch in dessen Briefen, die teilweise bei Meisner: Deutsche Johanniterbriefe publiziert sind. 79
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
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te nun offenbar das Haus für den Orden, wenn nicht für sich persönlich, nutzbar machen. Anlass zum Eingreifen gab die Wahl eines neuen Komturs in Straßburg. Als Schilling zu Ohren kam, dass der alte Obere, Gregor Beytt, im Sterben lag, wies er seinen Vetter Bombast, den Komtur des Hauses in Dorlisheim an, ihn unverzüglich zu unterrichten, sollte er von Beytts Tod hören, damit das Haus seiner, Bombasts, Verwaltung unterstellt werden könne.83 Nachdem die Straßburger dennoch selbständig einen neuen Komtur aus ihrer Mitte, Heinrich Dreyer, gewählt hatten, kündigte Schilling sogar eine persönliche Reise nach Straßburg an, um sich der Dinge anzunehmen. Die Wahl Dreyers erkannte er nicht an. Schilling argumentierte zunächst, es seien nicht ausreichend Straßburger Mönche für eine kanonische Wahl anwesend gewesen.84 Tatsächlich gab es hier Interpretationsspielraum, da Straßburg und Schlettstadt zwar bereits im 15. Jahrhundert zu einer Kommende vereinigt worden waren, aber unklar blieb, welche Professen, Straßburger, Schlettstetter oder beide, zur Wahl des Komturs berechtigt sein sollten. Der Konflikt um die Wahl weitete sich aber rasch zu einem Grundsatzstreit über den Status des Hauses zum Grünen Wert aus. Schilling bemängelte die Unterwerfung der Straßburger Ordenskapläne unter den Straßburger Rat und das widerstandslose Zahlen der von der Stadt geforderten Abgaben. Dies schade dem Orden. Es sei offensichtlich, dass die Priestermönche „dem Rath zu Straßburg mehr dann irem Orden und uns gehorsam und gunstig“.85 Schilling forderte daher, das Haus solle ihn als Obersten anerkennen, zu den weltlichen Pflegern sollten noch zwei Pfleger des Ordens hinzu gewählt werden, die Rechnungen sollten ihm vorgelegt werden, das Haus solle offenlegen, in welchem Umfang es Abgaben an die Stadt zahle und eine Ordensschule solle in Straßburg eingerichtet werden.86 Man müsse „das bewürt ordenshauss und dessen personen auß dem weltlichen gewald und unpillich vilfältigen beschwerden erretten“.87 Nach einer Unterredung mit Schilling fasst Jakob Sturm vor dem Rat das Anliegen des Großpriors wie folgt zusammen: Schilling wolle „das haus inn die Ritterbrüder hand [...] bringen.“88 83
Vgl. ADBR H 1632, Nr. 2, Schreiben vom 4. Januar 1549. In ADBR H 1632 findet sich eine Abschrift aller wichtigen Dokumente zu diesem Streit in Codexform. Die Originale sind in Aktenform in ADBR H 1396 gesammelt. 84 Vgl. ADBR H 1632, Nr. 4. 85 Vgl. ADBR H 1632, Nr. 7 und Nr. 8, hier Nr. 8. Vgl. auch AMS II, 53/25. Vgl. auch die Verteidigungsschrift der Straßburger Johanniter in AMS II, 53/19. 86 Vgl. AMS II, 53/14 (Exzerpte aus Ratsprotokollen, 7. Februar 1549). Eine Abschrift des Schreibens findet sich auch in ADBR H 1632, Nr. 10. 87 Vgl. ADBR G 1677. 88 AMS AST 35/6, fol. 16r.
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8. Klöster und Orden
Die Straßburger Johanniter interpretierten Schillings Engagement ebenfalls als Angriff auf ihren Status und ihre Exemtion. Die Mönche auf dem Grünen Wert argumentieren, das Haus sei ausdrücklich als Priesterhaus gegründet worden – eine Tatsache, die Georg Schilling in Frage stellte – und die Exemtion diene eben gerade dazu, dass der Ritterzweig keinen Einfluss auf das Haus gewinne. Sie gehen davon aus, dass die Bestrebungen Schillings zur Übernahme des Hauses letztlich darauf zielten, ihre Gemeinschaft in ein Ritterhaus umzuwandeln.89 Auf die Seite Schillings stellte sich der vom Kaiser mit der Streitschlichtung zugunsten des Großpriors und Reichsfürsten beauftragte Straßburger Bischof.90 Die Mönche auf dem Grünen Wert erhielten Unterstützung vom Straßburger Rat. Beide Parteien appellierten nach Rom und an das Reichskammergericht.91 Unter Vermittlung des Straßburger Rates und des Bischofs wurde schließlich ein Formelkompromiss geschlossen, der im Wesentlichen darin bestand, dass sich der Straßburger Konvent seine Unabhängigkeit erkaufte. Die Konventualen mussten versichern, weiter die Messe zu feiern und den alten Kultus zu behalten. Sie erkannten Schilling formal als „Iren Ordenlichen Obern“ an, die Exemtion blieb davon aber unberührt. Heinrich Dreyer wurde als Komtur bestätigt. Offiziell blieb es auch bei der Verpflichtung von nur sechs Goldgulden an Responsionen. „Freiwillig“ und aus „sonderer Neigung, so sie zu dem Orden haben“ sollten die Straßburger Mönche nun aber auch die Zinsen aus 1.000 angelegten Gulden jährlich abführen.92 Schilling hatte sein Ziel also teilweise erreicht. Das Straßburger Priesterhaus beteiligte sich zumindest finanziell stärker an den Aufgaben des Gesamtordens. Derartige Streitigkeiten um die Zahlung der Responsionen waren zunächst nichts Ungewöhnliches. Bereits im späten Mittelalter waren die Abgaben an den Orden ein häufiges Streitthema zwischen der zentralen Ordensverwaltung auf der Ebene der Balleien und den unteren Gliedern des Ordens, aber auch zwischen Balleien und dem Gesamtorden gewesen.93 Auch zwischen den Straßburger Johannitern und ihrem Orden hatte es schon zu früheren Zeiten Unstimmigkeiten in dieser Frage gegeben.94 89
Vgl. ADBR H 1632, Nr. 7, Nr. 8 und Nr. 12. Vgl. die Instruktion in ADBR H 1677, ADBR H 1632, Nr. 6. 91 Vgl. ADBR H 1632, Nr. 15ff. 92 Vgl. ADBR H 1623. 93 Vgl. etwa für das komplizierte und im 15. und 16. Jahrhundert ständig verhandelte Verhältnis der Ballei Brandenburg zum Orden auch in Hinblick auf die finanzielle Eigenständigkeit der Ballei Sarnowsky: Vorgeschichte und Anfänge, S. 124ff. Vgl. für Überlegungen zum Problem im Orden insgesamt Luttrell: The Hospitallers of Rhodes, S. 256f. 94 Strittig war etwa, ob Straßburg und Schlettstadt gemeinsam veranschlagt werden sollten und wenn ja, wie hoch. Vgl. dazu die umfangreiche Korrespondenz zwischen dem 90
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
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Dass die Straßburger den Konflikt aber im Zusammenhang mit einer versuchten Umwandlung ihrer Kommende in ein Ritterhaus sahen, zeigt, dass sich die Priesterbrüder des Johanniterordens gegen Mitte des 16. Jahrhunderts auch gegen ihren eigenen Orden in einer Verteidigungshaltung befanden. Die Ereignisse um die Wahl Heinrich Dreyers sollten zunächst der letzte grundsätzliche Angriff auf die Unabhängigkeit und den Status des Straßburger Hauses bleiben. Dass der Orden ausgerechnet im Jahr 1549 den Druck erhöhte, um die Zahlung höherer Responsionen zu erreichen, war neben dem grundsätzlichen Konflikt zwischen Rittern und Ordenskaplänen wohl auch mit den persönlichen Interessen Georg Schillings verbunden. Bereits bei seiner Ernennung 1546 zum Großprior hatte Schilling langwierig über Zahl und Art der Kommenden, die ihm mit diesem Amt zufallen sollten, verhandelt. Nachdem er nun, 1548, zu den Reichsfürsten gehörte, scheint sein Finanzbedarf – wohl schon allein wegen der hohen Repräsentationskosten – erneut gestiegen zu sein.95 Nach dem Ende von Schillings Amtszeit setzt sich der Antagonismus zwischen Orden und Grünem Wert nicht fort. Im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts und zu Anfang des 17. Jahrhunderts stellte sich der Orden vielmehr an die Seite der Straßburger Priesterkommende. Als die Straßburger in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts mit dem Rat in Konflikt um die Abhaltung der Messe gerieten, setzte sich der deutsche Großprior beim Kaiser für das Haus ein.96 Auch von den Großprioren Philipp Riedesel von Camberg (1594–1598) und Arbogast von Andlau (1607–1612) sind Interventionen zugunsten der Straßburger überliefert.97 8.2.4 Mit dem Orden gegen den Orden: Die Kartäuser (1591) Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts hatten die Straßburger Kartäuser nur wenig Kontakt zu ihrem Orden. Die Isolationsstrategie des Rates fruchtete bei ihnen wohl ähnlich gut wie im Fall der Johanniter. Es finden sich nur wenige Hinweise darauf, dass die Straßburger Kartause überhaupt mit dem Provinz- oder Generalkapitel kommunizierte. 1558 musste der Großprior in Grenoble den Prior der Freiburger Kartause und Konvisitator am Rhein, Mathias, bitten, nach Straßburg zu reisen und die Wahl des Priors Philipp Meyer zu überprüfen. Die Wahl sei ihm zwar angezeigt worden, allerdings
Straßburger Haus und dem Orden in ADBR H 1371. Häufig wurden wie 1549 auch diese Zahlungen als „freiwillige“ Kontributionen deklariert. 95 So auch Vierling: Ringen, S. 62ff. Siehe auch Rödel: Großpriorat Deutschland, S. 183. 96 Vgl. ADBR H 1407, Nr. 1. 97 Vgl. ADBR H 1407, Nr. 4, 5, 7, 9 und 13.
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8. Klöster und Orden
nur vom Rat der Stadt, daher könne er die Bestätigung nicht vornehmen.98 Auch die von den Statuten vorgesehenen Visitationen im Zwei-Jahres-Takt sind wohl im 16. Jahrhundert in Straßburg nicht mehr durchgeführt worden. Eine für 1574 geplante Visitation scheiterte wahrscheinlich am Stadtrat.99 1586 überraschte Peter von Ittingen die Kartäuser mit einer unangekündigten Visitation und äußerte sich in seinem vernichtenden Bericht schockiert über die Zustände in der Kartause.100 Funktionierende und regelkonforme Kommunikation zwischen Orden und Einzelkartause hätte anders ausgesehen. Erst 1591 geriet das Kloster in den Fokus der Ordensleitung – allerdings in keiner für die Straßburger Kartäuser besonders erquicklichen Art und Weise. Zwar war es der Stadtrat, der 1591 mit der Begründung, die Gebäude stellten ein militärisches Risiko dar, die Kartause vor den Toren der Stadt schleifen ließ.101 Doch zu diesem Zeitpunkt war die Kartause streng genommen bereits verkauft. Der Orden hatte 1586 (ratifiziert 1588) die Güter des Hauses dem katholischen Grafen Schomberg überlassen und das Schicksal der Kartause damit besiegelt, wenn auch Schomberg seine Rechte bis zu seinem Tod 1590 offenbar nicht geltend gemacht hat.102 Gemäß der Einschätzung Vierlings war für die Entscheidung des Ordens vor allem die darniederliegende Disziplin der Mönche ausschlaggebend gewesen.103 Auszüge aus den cartae, den Akten des Generalkapitels der Kartäuser geben ein etwas differenzierteres Bild der Zusammenhänge.104 98
Vgl. AMS II, 28/18. In diesem Jahr baten die Provinzialvisitatoren der Rheinischen Provinz, Hugo Mechout und Bernhard von Boppard den Straßburger Rat, das Kartäuserkloster visitieren zu dürfen. Eine Antwort ist nicht erhalten. Dass die Visitation aber tatsächlich stattfand, scheint unwahrscheinlich, vgl. AMS II, 28/20. 100 Vgl. AMS II, 35/7, Nr. 1. 101 Vgl. für die Begründung des Rates AMS II, 29a/2. Vor den Mauern gelegene Klöster in Kriegszeiten in die Stadt zu verlegen oder schleifen zu lassen, war durchaus gängige Praxis. Im Zuge der Burgunderkriege wurden mehrere Frauengemeinschaften in die Stadt verlegt. Die Trierer Kartause vor den Toren der Stadt war schon 1525 im Zuge des Bauernkriegs geschleift worden, ähnlich erging es der Hildesheimer Kartause, vgl. zu den Kartausen Hogg: Kartäuser, S. 162. 102 Vgl. für einen Überblick über den Ablauf der Streitigkeiten Vierling: Ringen, S. 144 und Clausing: Streit um die Kartause, S. 5f. 103 Vierling: Ringen, S. 144. 104 Die Auszüge wurden den Straßburger Mönchen offenbar im Zuge der Streitigkeiten vom Orden zugestellt und finden sich daher in der Straßburger Überlieferung, vgl. ADBR G 1686. Die Akten des Generalkapitels der Kartäuser, die cartae, sind für das 15. Jahrhundert relativ vollständig erhalten, Simmert schätzt für die frühere und spätere Zeit aber etwa sechs Siebtel Verluste, vgl. Simmert: Geschichte der Generalkapitel, S. 690. Darüber hinaus existieren aber umfangreiche Auszüge, die in den Provinzen überdauert haben. Seit 1982 werden die vollständigen cartae ebenso wie die Exzerpte im Band 100 der vergleichsweise schlecht zugänglichen und beständig mit Finanzierungsproblemen 99
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
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Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der Orden im Fall der Schließung der Straßburger Kartause keineswegs als Einheit auftritt. Gegenüber standen sich die Ordensleitung, vertreten durch den Prior der Großkartause, und die Visitatoren der rheinischen Provinz. Beide Seiten verfolgten völlig unterschiedliche Interessen. In den erwähnten Auszügen aus den cartae sowie in diversen Schreiben des Priors der Großkartause, werden die Motive der Ordensleitung deutlich.105 Der Orden berief sich zunächst ebenfalls auf die von Vierling angeführten Verstöße gegen die Regel in der Straßburger Kartause. 1592 ließ man die Straßburger wissen, man beobachte schon seit vielen Jahren die Situation in ihrer Gemeinschaft und das Kapitel habe festgestellt, dass „nullum prorsus vestigium, imo nec spem reformationis in domo vestrae superesse“.106 Das Seelenheil der dort lebenden Mönche sei in Gefahr.107 Der Orden machte allerdings auch keinen Hehl daraus, dass er den Erlös des Verkaufs der Straßburger Kartause gut anderweitig verwenden könnte. Nicht einen Pfennig solle den Straßburger Kartäusern zukommen, man wolle das Geld für die verarmten und beschädigten Häuser der Provinz verwenden.108 In jedem Fall, so heißt es in einem Schreiben des Ordensgenerals von September 1590, sei es besser, „unam domum amittere quam plures“.109 In einem Schreiben des Priors der Großkartause, Hieronymus, von 1592 werden die Überlegungen des Ordens noch einmal knapp zusammengefasst. Der Geldsegen für den übrigen Orden „salutem utilius fuisset quam paucos monachos cum magno suae salutis pericolo in Argentinensis domo retinere.“110 Es ging um das kollektive Heil der Ordensgemeinschaft, aber auch um deren konkrete Existenz. Für die Vertreter der Rheinprovinz war die Situation anders gelagert. Mit dem Straßburger Haus und seinen Gefällen verlor die Provinz einen Teil ihrer ohnehin schwindenden Vermögensmasse. Die Visitatoren waren ganz offensichtlich nicht bereit, dies nur gegen die vage Zusage der Ordensleitung hinzunehmen, man werde für eine bessere Versorgung der im Reichsgebiet gelegenen Häuser sorgen, vor allem nicht, nachdem die Stadt Straßkämpfenden Analecta Cartusiana von James Hogg publiziert, allerdings zunächst ohne Kommentar oder Register. Vgl. zur Überlieferung der cartae auch Goder: Im Gebet vereint, S. 76 und Sargent: Handschriften der Cartae, S. 5ff. 105 Vgl. für die Akten zum Streit um die Straßburger Kartause vor allem die umfangreichen Aktensammlungen AMS II, 29a/2, ADBR G 1686 und AMS AST 169/74. 106 ADBR G 1686/16, Nr. 4, S. 1. Es unterzeichnet Hieronymus, Prior der Großkartause im Jahr 1592, ohne nähere Datumsangabe. 107 ADBR G 1686/16, Nr. 5, S. 1. 108 Vgl. ADBR G 1686/16, Nr. 2. 109 ADBR G 1686/16, Nr. 1, S. 1. 110 ADBR G 1686/16, Nr. 4, S. 2.
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8. Klöster und Orden
burg die Gebäude 1591 hatte schleifen lassen. Für die verbliebenen Straßburger Mönche war die Frage der Entschädigung außerdem eine Frage der Existenz.111 So zumindest schilderte es der Prior Johann Schustein. Aus seinem Exil in einem Haus der Jesuiten in Molsheim schreibt er einen Bittbrief an einen „Herrn Doctor Thum“, sich für die Restitution der Güter einzusetzen. Darin skizziert er auch seine persönliche Situation: „Und muß (leidter gott erbarms) jetzundt in meinen alten tagen große arbeitt haben, mit hin und witder lauffen, muß auch hunger, durst, keldt und grosse armut litde.“112 Dementsprechend groß war auch die Verbitterung der Straßburger Mönche angesichts der unnachgiebigen Haltung der Ordensleitung.113 Neben der persönlichen Armut, die der Prior litt, brauchte er Geld für das neue Haus, das er in Molsheim zu gründen beabsichtigte. Für dieses neue Haus forderten Schustein und die Visitatoren der Rheinprovinz von der Stadt die Restitution der Güter und eine Entschädigung114 und appellierten 1592 in erster Instanz an die Kurfürsten von Mainz und Trier, 1593 an den Kaiser.115 Die Ordensleitung war mit diesem Vorgehen zunächst einverstanden, nämlich solange, wie es sich nur um Restitutionsforderungen gegen die Stadt Straßburg handelte. Das änderte sich 1595. In diesem Jahr übernahm der französische König als weltlicher Schutzherr der Kartäuser den Vertrag zwischen dem Orden und dem Grafen Schomberg über den Verkauf der Güter und überließ diesen wiederum den Straßburgern gegen einen umfangreichen Schuldenerlass. Damit war der bis dato rechtlich nicht gesicherte Abriss des Hauses 1591 ex post legitimiert.116 Gleichzeitig galten die Schadensersatzforderungen der rheinischen Kartäuser aber nun auch gegen den französischen König.117 Heinrich IV. allerdings hatte nicht die Absicht, in Form von Entschädigungszahlungen noch einmal größere Summen in „seine“ Kartause zu investieren und übte Druck auf das Generalkapitel aus, die Forderungen fallen zu lassen, den dieses wiederum an die rheinischen Visitatoren weitergab.118 Damit war der Antagonismus zwischen Ordensleitung und Provinz hergestellt. Die Ordensleitung teilte 111
Da die Stadt alle Gefälle eingezogen hatte, hatten die Mönche kein Einkommen mehr. Die Mönche hofften zwischenzeitlich, ihre Rechte zurückerlangen zu können und davon in ihrem Stadthof weiterzuleben, vgl. AMS II, 29a/2, Nr. 6. 112 ADBR G 1686/6, Nr. 4, S. 2. 113 Die Wut der Straßburger Mönche leuchtet zwischen den Zeilen eines Briefes des Priors der Großkartause an die Straßburger auf. Dort bezieht sich Hieronymus auf „vestras litteras, quarum acerbitatem et vehementiam excusamus ob conceptum de recenti domus vestrae demolitione dolorem“, ADBR G 1686/16, S. 2. 114 Vgl. die Liste, die in ADBR G 1686/8 überliefert ist. 115 Vgl. Clausing: Streit um die Kartause, S. 18ff. 116 Eine Kopie des Vertrags findet sich in AMS II, 34/14. 117 Vgl. Clausing: Streit um die Kartause, S. 32ff. 118 Vgl. ADBR G 1686/3.
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
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den Visitatoren in dringlichem Ton mit, Heinrich IV. drohe mit der Pfändung aller gallischen Besitzungen der Kartäuser. Die Urkunden über die Pfändung durch den König seien bereits ausgestellt, es würden nur noch die Exekutionsmandate fehlen.119 Unmöglich könne man „resistere [...] absolutae regis voluntati“.120 Energisch und unter Berufung auf das Gehorsamsgelübde wurden die Visitatoren aufgefordert, mit allen Gewalten Bevollmächtigte zum nächsten Generalkapitel zu schicken und die Abtretung an den König formell zu akzeptieren.121 De facto geschah dies allerdings erst, nachdem die Modalitäten der Abfindung tatsächlich geregelt waren.122 Zusammenfassend kann man sagen, dass die Straßburger Kartäuser unter ihren Ordensbrüdern sowohl Unterstützer als auch Widersacher fanden: Provinzvertreter und Ordensleitung verfolgten in der Angelegenheit diametral entgegengesetzte Interessen.123 Wie fügt sich der komplizierte Streit um die Straßburger Kartause in die Situation und die Aktivitäten des Kartäuserordens im Reformationsjahrhundert ein? Im 15. Jahrhundert hatten die schweigenden Mönche ihre Blütezeit erlebt und zählten 198 Männer- und sechs Frauenklöster in Europa.124 Im Reformationsjahrhundert mussten aber auch die Kartäuser schwere Verluste hinnehmen. 1520 zählte der Kartäuserorden in den vier deutschen Provinzen 56 Häuser, 1596 waren es nur noch 28, Neugründungen hatte es gar keine gegeben.125 Nicht nur anhand des Straßburger Beispiels lassen sich widersprüchliche Strategien ausmachen, wie mit diesem durch die Reformation verursachten Schrumpfungsprozess umzugehen sei. Einerseits scheint der Orden
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ADBR G 1686/3, S. 1. ADBR G 1686/3, S. 1. 121 ADBR G 1686/3, S. 3. 122 Vgl. Clausing: Streit um die Kartause, S. 56ff. 123 Dass die Ordensleitung in Grenoble das letzte Wort behielt, ist im Kartäuserorden, der wie kaum ein anderer zentralistisch strukturiert war, kaum verwunderlich. Der Großprior war ein „konstitutioneller Monarch“, kontrolliert allein durch das Generalkapitel. Vgl. zur Verfassung der Kartäuser Cygler: Generalkapitel, S. 259ff., hier S. 300. Vgl. zur Verfassungsentwicklung und zentralistischen Struktur des Ordens auch Simmert: Geschichte der Generalkapitel. 124 Vgl. Cygler: Generalkapitel, S. 313. 125 Statistik nach Stöhlker: Bedeutung der Reichskartause Buxheim, S. 27. Vgl. auch die Zahlen bei Hogg: Kartäuser, S. 153, der für das Jahr 1500 46, für das Jahr 1555 37 und für das Jahr 1548 34 Kartausen zählt. Vgl. für eine Bewertung des Zustands des Kartäuserordens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch Seibrich: Gegenreformation als Restauration, S. 28f. 120
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8. Klöster und Orden
in Reaktion auf diese Verluste eine Strategie der Konzentration verfolgt zu haben. Andererseits kämpfte man mancherorts um jedes Kloster.126 Konzentrationsprozesse lassen sich abgesehen von der bewussten Schließung der Straßburger Kartause vor allem im Bereich der Elitenbildung beobachten. Dabei war sicherlich die zentralistische Struktur des Ordens von Vorteil, die eine Planung für den Gesamtorden erlaubte. Die Kartausen in Buxheim und Köln wurden im 16. Jahrhundert zu regelrechten Kompetenzzentren ausgebaut.127 In Tückelhausen wurde außerdem ein Zentralnoviziat eingerichtet.128 Von diesen Standorten aus wurde die „Revitalisierung“ des Ordens betrieben.129 Führungskräfte wurden aus diesen Zentren, ähnlich wie bei den Dominikanern, in schwächelnde Häuser versetzt. In ein modernes Bild gefasst, könnte man dieses neue Führungspersonal als „mobile Sanierer“ bezeichnen. Der letzte Prior der Straßburger Kartause gehörte zu dieser Gruppe. Er war Professe der Trierer Kartause, hatte aber vor seinem Priorat in Straßburg bereits in Freiburg und in Koblenz gewirkt.130 Offenbar wollte der Orden diese Strategie gegen Ende des 16. Jahrhunderts mit einer Bildungsoffensive verbinden, wofür sich Hinweise in der untersuchten Straßburger Überlieferung finden. In der Begründung für die Schließung der Straßburger Kartause wird vom Generalprior auch die Finanzierung der Ausbildung von Personal als Schließungsgrund genannt. Man wolle das Geld unter anderem für den Unterhalt deutscher Seminaris-
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Vor allem die von James Hogg regelmäßig veranstalteten Kongresse für Kartäuserforschung gaben Anlass zu nützlichen Einzelstudien über die Kartäuser in der Reformationszeit. 1983 war der Kongress ganz diesem Thema gewidmet, vgl. Hogg: Die Kartäuser und die Reformation. Eine weitere, sehr knappe Auseinandersetzung liegt vor von Nobert Trippen für die Kölner Kartause, vgl. Trippen: Kölner Kartause. Ein Überblick steht noch aus. 127 Während Stöhlker in erster Linie die Rolle Buxheims betont, nennen Trippen, Goder und Wienand auch Köln als geistiges Zentrum, vgl. Trippen: Kölner Kartause, S. 12ff und Goder: Aufzeichnungen des Tückelheimer Priors, S. 79. Auch Sigrun Haude betont die politische Bedeutung der Kölner Kartause. Sie bezeichnet St. Barbara als „center of Catholic reform“ und hebt den finanziellen Wohlstand des Kölner Hauses hervor, vgl. Haude: The Silent Monks Speak up, S. 125ff., hier S. 126. 128 Vgl. Stöhlker: Kartause Buxheim, Bd. 2, S. 166. 129 Stöhlker: Bedeutung der Reichskartause Buxheim, S. 29. 130 Vgl. zu Johannes Schustein ADBR G 1686/6; AMS II, 28/22 Nr. 1 und 2; AMS II, 31a/3. Vgl. auch Passmann: Kartause VI, S. 121. Beispielhaft ist auch der Lebenslauf des Priors und Visitators Nicolaus Comitius Osterwick († 1594). Osterwick war Professe der Kölner Kartause, ab 1561 aber im Auftrag des Generalkapitels Prior der verarmten Kartause Vogelsang. 1566 zog er nach Mainz zur Unterstützung der dortigen Mönche weiter und wurde 1575 zur Sanierung der Tückelheimer Kartause herangezogen, vgl. Goder: Aufzeichnungen des Tückelheimer Priors, S. 77ff.
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
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ten in Rom einsetzen, „ad populandum postmodum Alemaniae domos bonis et pie instructis religiosis“.131 Unklar bleibt in der Quelle, wie diese Unterstützung konkret gemeint war, wer die vom Ordensgeneral in dem zitierten Schreiben genannten „Germani in seminario urbis Romae“ waren und welches „seminarium“ gemeint war.132 Hatten sie einmal Profess abgelegt, war den Kartäusern der Besuch einer externen Ausbildungsstätte nicht mehr möglich.133 Dennoch finden sich seit dem 15. Jahrhundert zahlreiche Universitätsabsolventen im Kartäuserorden, die vor der Profess die artes liberales an Universitäten im deutschsprachigen Raum studiert hatten.134 Möglicherweise versuchte der Orden, mit Hilfe von Stipendien nun auch Absolventen der neuen und prestigeträchtigen römischen Universität für den Orden zu gewinnen, der 1551 gegründeten und 1584 von Gregor XIII. neu ausgestatteten und umbenannten Universitas Gregoriana. Gemeint sein könnten dabei mit „seminarium“ das 1552 ebenfalls auf Initiative des Trienter Konzils von Ignatius von Loyola gegründete Collegium Germanicum, das der Unterbringung deutscher Studenten der Gregoriana dienen sollte.135 Beide, Collegium und Universität, waren zwar mit dem Ziel der besseren Ausbildung des Weltklerus gegründet worden, den Absolventen war der Ordenseintritt aber prinzipiell freigestellt und die Gruppe der Alumnen war gerade im 16. Jahrhundert noch heterogen.136 Konkrete Belege dafür, dass Absolventen der Gregoriana oder Alumnen des Collegium Germanicum in
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Vgl. ADBR G 1686/16, Nr. 4, S. 2. ADBR G 1686/16, Nr. 4, S. 2. 133 Vgl. Hogg: Kartäuser, S. 153. Als zentrale Ausbildungsstätte für Novizen existierte lediglich Tückelhausen. 134 Vgl. Lorenz: Ausbreitung und Studium, S. 12ff, der zahlreiche Beispielkarrieren anführt. Vgl. auch Mertens: Kartäuser-Professoren. 135 Vgl. zur Gründungsgeschichte und zu den Aufgaben des Collegium Germanicum Schmidt: Collegium Germanicum. Vgl. zu Gründung und Zielsetzung der späteren Gregoriana Weiß: Katholische Reform, S. 135f., hier 135. Zur Gregoriana existiert noch keine nicht-jesuitische Gesamtdarstellung. Vgl. daher behelfsweise Garcia-Villoslada: Storia del Collegio Romano und Caraman: University of the Nations. Die Orden selbst gründeten mit Ausnahme der Dominikaner (1577) erst in der Neuzeit eigene Kollegien in Rom, vgl. Gatz: Art. Kollegien und Seminarien, Sp. 180. 136 Vgl. für das Collegium Germanicum Schmidt: Collegium Germanicum, S. 19, S. 38ff., S. 62ff. Die Jesuiten bildeten zu dieser Zeit in Rom wie im Reich zahlreiche Weltkleriker, aber auch Angehörige der alten Orden aus. Die Jesuitenhochschule Dillenburg nahm längere Zeit auch junge Mönche aus den alten Orden Südwestdeutschlands auf, vgl. dazu Henze: Orden und ihre Klöster, S. 101. Vgl. auch Becker: Das Verhältnis der Jesuiten zu den alten Orden, S. 224, der zeigt, dass im Erzbistum Trier trotz der Sorgen der Ordensoberen zahlreiche Benediktiner an der in der Lehre jesuitisch dominierten Trierer theologischen Fakultät studierten. 132
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8. Klöster und Orden
den Kartäuserorden eintraten, der Orden also seine Idee tatsächlich umsetzen konnte, ließen sich allerdings keine finden.137 Neben dieser bildungspolitischen Konzentrationsstrategie scheint der Orden aber auch versucht zu haben, möglichst viele der wenigen verbliebenen Häuser zu erhalten.138 Auch der Kartäuserorden hatte mit Personalmangel zu kämpfen. Anstatt die personell schwachen Standorte wie im Fall Straßburgs zu schließen, versuchte man aber, wie im Dominikanerorden auch, durch die Transfiliation von Mönchen aus anderen Regionen, schwache Häuser zu erhalten. Koordiniert wurden die Versetzungen vom Generalkapitel, das die Mönche von der Tätigkeit in einer Kartause entband und sie in Ämter in einer anderen einsetzte.139 Belegt ist diese Strategie für Erfurt, Astheim, Prül und Mainz.140 Auch nach Straßburg wurden vor 1591 mehrfach auswärtige Brüder verlegt, um das Kloster am Leben zu erhalten.141 Sosehr der Straßburger Fall sich insgesamt in die Strategie des Ordens einpasst – die Schließung einer Kartause durch das Generalkapitel blieb ein Einzelfall im 16. Jahrhundert. Schließlich ergab sich die Konzentration von Ressourcen und Personal in der Regel von allein durch die Auflösung von Klöstern durch weltliche Obrigkeiten. 8.2.5 Allein gegen alle: Die Reuerinnen von St. Magdalena Soweit eine Einschätzung möglich ist – der Forschungsstand zu den Reuerinnen ist insgesamt und auch für das 16. Jahrhundert sehr schlecht – war die Lage des Reuerinneordens in der Reformationszeit derjenigen anderer 137
Es existieren keine Matrikel oder Absolventenlisten des Gregoriana. Unter den bei Caraman: University of the Nations aufgelisteten Absolventen der Gregoriana, die Päpste wurden oder aber heilig oder selig gesprochen wurden, finden sich zwar Ordensmitglieder, aber keine Kartäuser. Auch Zufallsfunde über die Biographien einzelner Kartäuser blieben aus, allerdings kann hier keineswegs der Anspruch der Vollständigkeit erhoben werden. Ein Verzeichnis der Alumnen und Konviktoristen des Collegium Germanicum findet sich bei Schmidt: Collegium Germanicum, S. 217ff. Hier lassen sich ebenfalls verschiedene Ordensmitglieder der alten Orden identifizieren, da Kartäuser aber erst nach dem Studium in den Orden hätten eintreten können, führt für die oben gestellt Frage auch diese Liste nicht weiter. 138 Vgl. ähnlich Stöhlker: Bedeutung der Reichskartause Buxheim, S. 29f. und Trippen: Kölner Kartause, S. 12f. 139 Vgl. Kurt: Auswirkung auf die Erfurter Kartause, S. 107f. Laut Kurt begann man mit der externen Besetzung des Priorats kurz nach dem Bauernkrieg. 140 Vgl. Schlegel: Schicksal der sechs Kartausen, S. 74; Büttner: Kartause Astheim, S. 129 und Goder: Aufzeichnungen des Tückelhausener Priors, S. 79. 141 Vgl. für das Jahr 1574 AMS II, 28/20. Eine erste Gruppe kam wohl schon 1526 nach Straßburg, vgl. AMS AST 36/5, fol. 12v.
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
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Orden nicht unähnlich.142 Um die Jahrhundertwende bestanden nach einer Schätzung von André Simon rund 50 Häuser nördlich der Alpen inklusive Böhmen.143 Simon nennt elf Häuser, die während der Reformationszeit aufgehoben worden sind, erhebt aber keinen Anspruch auf die Vollständigkeit dieser Liste.144 Die überlebenden Konvente hatten wohl ebenso wie die Klöster anderer Orden mit Rekrutierungsproblemen zu kämpfen.145 Trotz der in Grundzügen ähnlichen Betroffenheit des Reuerinnenordens, muss die Frage nach dem Verhältnis des Gesamtordens zum Straßburger Kloster in diesem Fall anders gestellt werden. Nicht ganz zu unrecht wurden die Reuerinnen als die „seltsamste“ unter den Ordensgründungen des 13. Jahrhunderts bezeichnet.146 Zumindest in seiner Struktur ist der Orden der Reuerinnen keinem der Zweit- oder Drittorden anderer Verbände vergleichbar. Um zu klären, ob und wie der besondere Charakter des Reuerinnenordens sich in der Reformationszeit auswirkte, soll im Folgenden zunächst allgemein das Verhältnis der Einzelklöster zum „Gesamtorden“ untersucht werden. Nachdem Rudolf, ein Hildesheimer Kanoniker, 1225 in Worms ein Haus und wenig später möglicherweise auch eines in Köln für bußfertige Prostituierte gegründet hatte, konnte er wenige Jahre später verschiedene päpst142
Bis auf die immer noch viel zitierte Arbeit von Simon (1918): L’ordre des Pénitentes, der die Geschichte des Ordens in den ersten Jahrzehnten nach seiner Gründung untersucht, sich also auf das 13. Jahrhundert beschränkt, sind keine übergreifenden Ordensgeschichten verfügbar, was wohl auch an der schlechten Quellenlage liegt. Vgl. ansonsten aber Grotefend: Die büssenden Schwestern und Cariboni: Gregorio IX e la nascità. Bei Grotefend und Simon finden sich auch zentrale Quellen zur Gründungsgeschichte. Mit den Straßburger Reuerinnen im Spätmittelalter hat sich Sigrid Schmitt befasst, vgl. Schmitt: Geistliche Frauen. Christine Kleinjung widmet sich in ihrer Dissertation den Wormser Reuerinnen, vgl. Kleinjung Frauenklöster. In Bonn arbeitet Cornelia Schomacher derzeit an einer Dissertation zu den Kölner Reuerinnen. Vgl. für weitere Einzelstudien auch die Anmerkungen im folgenden Abschnitt. 143 Vgl. Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 103. 144 Simon nennt als aufgehobene Häuser Daleschitz (Mähren), Frankenberg-Goslar, Frankfurt a. M., Freiberg (Sachsen), Hagenau (stirbt 1571 aus), Magdeburg, MariensteinZweibrücken, Mühlhausen (in Thüringen, heißt auch Brückenkloster), Prenzlau (Brandenburg), St. Johann-Kanskirchen (Pfalz) und Würzburg, vgl. Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 105ff. Simon nennt unter den aufgehobenen Häusern auch Basel, das allerdings seit 1304 dem Dominikanerorden inkorporiert war, vgl. Erdin: Kloster der Reuerinnen, S. 1ff. 145 Die Gemeinschaft des Klosters Lauban in der Lausitz schrumpfte zum Beispiel in der Reformationszeit von 38 auf acht Konventualen, vgl. Skobel: Lauban, S. 151. Das wenige Jahre nach dem Bauernkrieg ausgestorbene Kloster Kanskirchen in der Pfalz hatte schon um die Jahrhundertwende mit Personalproblemen zu kämpfen, bereits 1502 lebten dort nur noch zwei Nonnen, vgl. Weber: Reuerinnenkloster zu Kanskirchen, S. 87. 146 Köster: Mainz in der Geschichte, S. 243.
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8. Klöster und Orden
liche Privilegien für seine weitere Arbeit und die bereits bestehenden Häuser erlangen.147 Zentral war die Bulle Religiosam vitam eligentibus vom 10. Juni 1227, die, wie Simon herausstellt, weniger einen Orden an sich konstituierte als vielmehr ein Formular darstellte, das es den jeweiligen regionalen Prälaten ermöglichte, Häuser dem Zusammenschluss der Magdalenerinnen in der Alemania zuzuordnen: „[...] cette Bulle constitue une sorte de titre juridique pour l’ensemble des couvents des Pénitentes qui l’acceptent, mais elle ne constitue pas par elle-même, les couvents en un groupe véritablement centralisé.“148 Als Verwalter des Zusammenschlusses sollte ein praepositus generalis oder praepositus maior, also ein Generalpropst fungieren, der das Recht hatte, Klosterobere zu bestätigen und die Rechnungen der Einzelklöster zu prüfen. Er wurde vom Generalkapitel gewählt, das wiederum mit einer Abgeordneten aus jedem Konvent beschickt wurde. Zwischen Klöstern und Generalpropst wurde die Ebene der Provinziale geschaffen, die drei Provinzen vorstehen sollten.149 Trotz dieser scheinbar mit anderen Orden vergleichbaren, zentralen Struktur, blieben dennoch nach dem Diktum von Religiosam alle dem Verband zugehörigen Häuser allein der päpstlichen Gewalt unterstellt.150 Die Kompetenzen des Generalpropstes beschränkten sich auf die Verwaltung, die einzelnen Häuser blieben eigenständig. Anders als bei den zweiten Orden der Bettelmönche kannten die Reuerinnen keine „transpersonale Ordensspitze“, die übergeordnete Struktur erschöpfte 147
Die Gründungsgeschichte des Ordens liegt im Dunkeln und ist lediglich in einer Passage der Kolmarer Annalen überliefert, vgl. De rebus Alsaticis ineuntis saeculi XIII, MGH SS 17, S. 234. Wie genau das Wirken Rudolfs aussah und zu bewerten ist, wird daher dahingestellt bleiben müssen. Vgl. zur Mainzer Synode und den Beschlüssen betreffend die Reuerinnen Köster: Mainz in der Geschichte, S. 245f. Vgl. zur Ordensgründung auch Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 21ff. Die in Italien und Frankreich gelegenen Häuser, die gängigerweise derselben Büßerinnenbewegung zugerechnet werden, aus der nördlich der Alpen der Reuerinnenorden entstand, wurden von vornherein nicht in die Ordensstruktur mit einbezogen. Häuser von Büßerinnen bestanden in Paris, Marseille, Toulouse, Montpellier, Avignon, Rom, Messina, Viterbo und Bologna, vgl. Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 3ff. und Köster: Mainz in der Geschichte, S. 244. Ob die Häuser südlich und westlich der Alpen und die Häuser der Alemania tatsächlich zu einer Bewegung gehörten und wenn ja, warum sie in Religiosam nicht berücksichtigt wurden, gehört zu den zahlreichen Desiderata betreffend den Reuerinnenorden. 148 Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 24. Vgl. für die weitere Privilegierung des Ordens, vor allem durch Gregor IX. Grotefend: Büssende Schwestern, S. 303ff., der die Privilegien sammelt, und Cariboni: Gregorio IX e la nascità, S. 26ff. Cariboni liefert auch die Einordnung der Bulle Religiosam vitam eligentibus in die päpstliche Approbationspolitik vor dem Hintergrund des Ordensgründungsverbots des IV. Laterankonzils. 149 Die Provinzen waren wohl drei: Die Rheinprovinz, die Mainzer Provinz und die Provinz der westlichen Länder (monasteria in partibus orientalibus). Vgl. zur Ordensstruktur Frank: Art. Reuerinnen, Sp. 1182; Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 56f. 150 Vgl. Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 24ff.
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
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sich vielmehr in der Person des Generalpropstes: „Es dominierte also das persönliche Element“.151 Von vornherein war also die Organisation des Magdalenerinnenordens sehr lose. Ein weiteres Merkmal des Ordens war, wie bereits angeklungen, dass ein männlicher Ordenszweig de facto nicht existierte. Denjenigen Reuerinnenhäusern, die sich dem Verbund anschlossen, hatte Gregor IX. 1232 die Statuten von St. Sixtus verordnet.152 Der männliche Zweig aber, der, wie im dominikanischen Vorbild, Verwaltung und seelsorgerische Betreuung der weiblichen Häuser übernehmen sollte, entwickelte sich sehr schwerfällig: „Il fut réduit à quelques sujets difficilement recrutés pour le service de chaque monastère et resta, de fait, comme une partie accessoire dans l’Ordre des Pénitentes.“153 Der Generalpropst hatte beständig Schwierigkeiten, genügend Personen für die Seelsorge der Frauen aufzutreiben und griff daher häufig auf Zugehörige anderer Orden oder Weltgeistliche zurück.154 Reuerbrüder lassen sich überhaupt nur selten belegen. Im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Straßburg finden sich zumindest keine. Nach dem Inkorporationsversuch der Dominikaner sind auch die ursprünglich vorgesehenen männlichen Prioren nicht mehr nachweisbar.155 Neben dem Generalpropst sind im 13. Jahrhundert auch so genannte Konservatoren der Reuerinnen belegt, die die Frauen in Rechts- und Verwaltungsangelegenheiten unterstützten. Belegt sind meist Weltgeistliche.156 Wahrscheinlich ging diese Position ebenfalls zurück auf die Initiative des großen Gönners der Reuerinnen, Gregor IX. Er hatte 1227 und 1228 mit zwei litterae de curia den deutschen Bischöfen die Protektion und Förderung des neuen Ordens ans Herz gelegt. Cariboni sieht darin einen Versuch 151
Kleinjung: Frauenklöster, S. 174. Papst Gregor IX. hatte den Frauen in Religiosam zunächst die Benediktregel und die Konstitutionen der Zisterzienser verordnet, vgl. Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 32f und Cariboni: Gregor IX e la nascità, S. 27ff. 153 Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 56. 154 Vgl. Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 44ff.; Vgl. zu den Problemen am Beispiel der Wormser Reuerinnen Kleinjung: Frauenklöster, S. 134ff. 155 Christine Kleinjung weist einen späteren Ordenspropst nach, von dem vermutet werden kann, dass er zuvor Bruder der Wormser Reuerinnen war, vgl. Kleinjung: Frauenklöster, S. 137. Cornelia Schomacher hingegen kann für die Kölner Reuerinnen, die sie in ihrer Dissertation bearbeitet, keine Reuerbrüder nachweisen. Ich bedanke mich herzlich bei Cornelia Schomacher für die freundliche Mitteilung. Vgl. für Straßburg Schmitt: Geistliche Frauen, S. 339ff. Um festzustellen, ob und wie weit ein männlicher Ordenszweig sich überhaupt entwickelte und wann er möglicherweise wieder verschwand, sind noch weitere Fallstudien nötig. Vgl. zu den Prioren des Straßburger Klosters Pfleger: Geschichte des Reuerinnenkloster, S. 15. 156 Vgl. Kleinjung: Frauenklöster, S. 138f., hier 138. Vgl. auch Köster: Mainz in der Geschichte, S. 250f. 152
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8. Klöster und Orden
des Papstes, die Bischöfe in die Unterstützung der Magdalenerinnen mit einzubeziehen.157 Ob das Amt der Konservatoren im 14., 15. und 16. Jahrhundert noch bestand, ist nicht geklärt. Aus Straßburg ist zwar ein Schreiben von 1551 überliefert, in dem Sebastian Pighinus, päpstlicher Legat, auf Bitten der Straßburger Reuerinnen den „[...] Episcopum Argentinensem [...] conservatorem, curatorem, administratorem, defensorem et seu protectorem et rectorem“ ernennt. Allerdings wird Erasmus hier ausdrücklich zum Konservator nur des Straßburger Reuerinnenkloster, nicht des Gesamtordens erklärt. Eine erneute Ernennung des Straßburger Bischofs zum Konservator des Klosters erfolgte 1625, dieses Mal durch Papst Urban VIII. persönlich.158 Gegen Mitte des 17. Jahrhunderts wurde dann laut Pfleger St. Magdalena endgültig der Jurisdiktion des Bischofs unterstellt. Ob es sich hierbei tatsächlich um dem „Konservator“ des 13. Jahrhunderts vergleichbare Ämter handelt, ist fraglich. Vermutlich wird hier eher ein Schutzverhältnis zwischen Bischof und Einzelkloster begründet.159 Insgesamt war für viele Reuerinnenklöster im Mittelalter die Zugehörigkeit zu diesem losen Ordensverband ohne mächtigen Patron wenig attraktiv. Schon gegen Ende des 13. Jahrhunderts geriet der Orden in die Krise, zahlreiche Einzelklöster desertierten. Einige wurden dem Zisterzienserorden, die meisten aber dem Dominikanerorden inkorporiert.160 Die Chronik des Speyrer Reuerinnenklosters beschreibt das Kalkül der Nonnen. Sie seien
157
Vgl. Cariboni: Gregorio IX. e la nascità, S. 39ff. Vgl. Pfleger: Geschichte des Reuerinnenklosters, S. 63. 159 Schreiben vom 16. April 1551, vgl. ADBR H 2975. Ein Schirmgeld zahlten die Reuerinnen dem Bischof aber offenbar nicht. 1592 gaben sie in einer Inquisition an, ihm keine „Steuern“ zu zahlen, gemeint ist hier wohl ein Schirmgeld, vgl. AMS II, 7/19, fol. 28r. 160 In der Diözese Meißen etwa kündigten alle Klöster dem unbeliebten Generalpropst Witicho den Gehorsam auf, vgl. Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 73. Vgl. zum Verhalten der Straßburger Reuerinnen im Konflikt mit Witicho Schmitt: Geistliche Frauen, S. 88ff. Vgl. zum Übertritt einzelner Klöster zum Dominikanerorden am Beispiel der Basler Reuerinnen Erdin: Kloster der Reuerinnen, S. 7 und für Freiburg Denne: Frauenklöster in Freiburg, S. 76ff. Dem Dominikanerorden standen die Büßerinnen durch die Statuten von St. Sixtus – wenn auch den Dominikanerinnen inzwischen erneuerte Konstitutionen verordnet worden waren – und durch die häufige Übernahme der cura monialium durch die Prediger nahe. Von 1286 bis 1291 wurden die Reuerinnen den Dominikanern sogar vorübergehend gänzlich inkorporiert. 158
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
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„unwillig und ihrem aigenem orden zu wider worden, derweil sie verspurt, daß der general probst die contribution genommen und dannoch nit haben konnen beschutzt werden vor dem bischoff, thumb capitul und ihre beamten.“ 161
Umgekehrt war aber auch das Amt des Generalpropstes wohl nicht besonders attraktiv. Die Liste der Pröpste ist unvollständig und keiner von ihnen hatte nach Einschätzung von Simon ein großes Gewicht.162 Im 16. Jahrhundert waren die von den Speyrer Magdalenerinnen des 13. Jahrhunderts beklagten Begehrlichkeiten von Bischof und Kapitel nun abgelöst worden durch die Begehrlichkeiten protestantischer Räte und Territorialherren. Dass die Problematik des mangelnden Schutzes und der mangelnden Anbindung an einen Orden im 16. Jahrhundert aus Sicht der Nonnen immer noch bestand, zeigen auch die Straßburger Quellen. In dem bereits erwähnten Schreiben, in dem Legat Sebastian Pighinus den Straßburger Bischof zum Konservator ernennt, spiegelt sich auch die besondere Lage der Reuerinnen im 16. Jahrhundert. Die Ernennung des Bischofs erfolgte deshalb, weil sich die Straßburger Magdalenerinnen über das mangelnde Engagement ihres Generalpropstes, Peter Schormann, beschwert hatten.163 Dieser sei keine Hilfe weil er „monasterio continue abfuerit, ac conservationem, curam, administrationem, defensionem et seu protectionem et regimem huismodi penitus neglexerit, prout adhoc abest et negligit de praesenti“.164
Der hier erwähnte Peter Schormann hatte schon 1489 seinen Magister gemacht und war 1499 zum Generalpropst gewählt worden.165 Es ist also anzunehmen, dass er 1551 schon ein greises Alter erreicht hatte und vermutlich nicht mehr allzu mobil war. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Straßburger Nonnen angeben, er sei seit 20 Jahren im Amt, während Schormann wohl de facto schon seit 50 Jahren amtierte. Die Kontakte zum Orden waren also offenbar so lose, dass im Kloster keine Daten über die Wahl des letzten Generalpropstes zu finden waren und sich 161
Armgart (Hrsg.): Chronik, S. 298. Der Propst hatte das Recht, von den Konventen eine Kontribution zu seinem Unterhalt zu erheben, die etwa die Speyrer Reuerinnen im 13. Jahrhundert als „zimblich hart und schwer“ empfanden. Die Chronik ist im 17. Jahrhundert entstanden, gibt aber für die mittelalterliche Periode fast im Wortlaut ältere Dokumenten wieder. 162 Dokumente aus der Verwaltung des Ordens sind kaum überliefert, vgl. Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 56f. 163 Der Inhalt der Supplik der Reuerinnen wird im Ernennungsschreiben wiedergegeben, vgl. ADBR H 2975, die Supplik selbst ist wohl nicht erhalten. Die Straßburger Reuerinnen geben auch 1592 an, sie seien nie von einem Provinzial besucht worden, vgl. AMS II, 7/19, fol. 29. 164 ADBR H 2975. 165 Vgl. Skobel: Lauban, S. 93.
236
8. Klöster und Orden
die Nonnen auf ihr eigenes Gedächtnis verlassen mussten. Der Schwerpunkt des Ordens lag darüber hinaus im 16. Jahrhundert offenbar in den östlichen Reichsgebieten. Am Generalkapitel von 1499 in Freiberg in Sachsen nahmen nur Priorinnen aus Sachsen, Schlesien und der Oberlausitz teil. Diese konsultierten zwar ihre Mitschwestern am Rhein brieflich, um deren Meinung zur Wahl zu erfahren und erhielten auch Antwort. Wie eng die Kontakte insgesamt waren, lässt sich aber nicht abschätzen.166 Selbst wenn Kontakte bestanden hätten, wäre es dennoch fraglich, wie stark die Reuerinnen von ihrer Ordensanbindung hätten profitieren können, denn auch im 15. und 16. Jahrhundert trifft zu, was Simon bereits für die Pröpste des 13. Jahrhunderts vermutet hat: Die meisten waren eher kleine Lichter.167 Zwischen 1410 und 1469 waren mehrere Mönche Generalpröpste des Ordens.168 1469, nachdem sein Vorgänger, der Mönch Nikolaus Malticz das Amt niedergelegt hatte, fiel es dem Meißener Kanoniker Johannes Wissenbach, Doktor beider Rechte, zu, offenbar ein typischer adeliger Pfründenjäger des Spätmittelalters, der bislang in den Listen der Generalpröpste fehlte. Er hatte dank erfolgreich erlangten Dispenses Kanonikate in Meißen, Naumburg und Merseburg inne, in Erfurt war er Kantor. Darüber hinaus wurde er nun als prepositus des Reuerinnenordens konfirmiert. Ob er neben seinen zahlreichen Kanonikaten Zeit fand, die Interessen eines wenig bedeutsamen Frauenordens zu vertreten, dürfte fraglich sein.169 Die Pröpste des 16. Jahrhunderts waren ebenfalls Weltgeistliche, wenn auch allen Anscheins nach deutlich schlechter ausgestattet als Wissenbach. Der besagte Peter Schormann, der 1499 zum Generalpropst gewählt wurde, war Magister der Universität Leipzig und hatte wohl nur die niederen Weihen empfangen. Skobel erwähnt, dass Kardinal Raimund Peraudi in seinem Bestätigungsschreiben Schormann rät, sich um weitere Benefizien zu bemühen, da die Finanzierung seiner Besoldung als Generalpropst unsicher 166
Laut Skobel finden sich Briefe der Straßburger Reuerinnen im Laubaner Klosterarchiv, vgl. Skobel: Lauban, S. 94. 167 Vgl. für die Liste der Generalpröpste Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 138 und Skobel: Lauban, S. 92f. Beide Listen sind nicht vollständig. Vgl. dazu die Ergänzungen im Text, die sich aus einer Durchsicht des Repertorium Germanicum ergeben haben. Für das 16. Jahrhundert ist ein Abgleich leider nicht möglich. 168 Johann Gerber, der 1410 und 1426 bezeugt ist, war möglicherweise Dominikanermönch, vgl. RG, Bd. II, 1, Sp. 633. Über Johann Hase (Haze) von Grossenheim, der 1435 bezeugt ist und 1455 stirbt, ist nichts Näheres bekannt, vgl. RG, Bd. VII, S. 253, Nr. 2252. Nikolaus Maltuz war Prior eines nicht näher benannten Klosters in Breslau, er resignierte 1469, vgl. ebd. 169 Vgl. RG, Bd. IX, 1, S. 657, Nr. 4402 und RG, Bd. VIII, 1, S. 549f., Nr. 3930. Johannes Wissenbach findet sich nicht in den Listen von Skobel: Lauban, S. 91f. und Simon: L’Ordre des Pénitentes, S. 138.
8.2 Unterstützung, Kontrolle, Vernachlässigung
237
sei – ein weiterer Hinweis darauf, dass dieses Amt wenig lukrativ und damit wenig prestigeträchtig gewesen sein dürfte.170 Der letzte Generalpropst der Reuerinnen, Martin Titzmann, war wohl ebenfall nur Pfarrer, er betreute eine Gemeinde in Jauer in Schlesien. Nach seinem Tod 1562 wurde nach Ansicht von Skobel kein weiterer Generalpropst gewählt.171 Sicherlich aber wäre ohnehin von keinem der genannten Pröpste des 16. Jahrhunderts zu erwarten gewesen, dass sie in der Manier eines Konrad Zittard katholische Reichsfürsten zu Intervention hätten bewegen können. Kurt Köster bewertete das Fehlen eines männlichen Zweiges im Reuerinnenorden 1948 folgendermaßen: „Gerade bei den Reuerinnen aber mußte sich das Fehlen eines fähigen und fest organisierten männlichen Ordenszweiges umso tragischer auswirken, als eben hier die besondere soziale Struktur des weiblichen Elementes eine straffe und kluge Leitung dringend erfordert hätte.“172 Wenn auch Kösters Bewertung heute ein Schmunzeln hervorrufen mag, so wäre doch zu erwarten gewesen, dass er für das 16. Jahrhundert Recht behalten sollte, weniger aufgrund des besonderen Charakters „der Frau an sich“, als vielmehr aus machtpolitischen Gründen. Auf das Straßburger Reuerinnenkloster scheint sich aber das Fehlen einer zentralen und einflussreichen Ordensspitze nicht negativ ausgewirkt zu haben, auch wenn die Nonnen selbst diesen Mangel thematisierten. Nicht anders als den beiden Dominikanerinnenhäusern gelang es den Magdalenerinnen, ihre Niederlassung gegen den Rat zu verteidigen. Auch konnte gezeigt werden, dass der Einfluss eines zentralen Verbandes in den anderen, straffer organisierten Orden entweder vom Rat ausgebremst wurde, oder sich aber ohnehin erst gegen Ende des hier betrachteten Zeitraums formieren konnte. Es scheint also, als sei den Reuerinnen ihre aus Kösters Sicht „seltsame“ Struktur zunächst im Vergleich nicht nachteilig gewesen. Inwieweit die Frauen ihre Handlungsweisen anpassen mussten, wird im zweiten Teil ausführlich behandelt werden.
170
Ob und welche weiteren Pfründen Schormann möglicherweise erlangen konnte, ist nicht bekannt, vgl. Skobel: Lauban, S. 93f. Schormann fehlt ebenfalls in der Liste der Generalpröpste bei Simon: L’ordre des Pénitentes, S. 138. Laut Skobel war Schormanns Nachfolger im Amt (ab 1522) Nikolaus Buscher, über den nicht viel mehr bekannt ist, als dass er Pfarrer in Brüx (heute Most in Tschechien) war und sich sein Name in den Matrikeln der Universität Leipzig findet, vgl. Skobel: Lauban, S. 93. Dies widerspricht aber dem Straßburger Quellenbefund in ADBR H 2975. Vermutlich war Buscher lediglich Propst des Laubaner Klosters. 171 Vgl. Skobel: Lauban, S. 95. 172 Köster: Mainz in der Geschichte, S. 248.
238
8. Klöster und Orden
8.3 Regel, Spiritualität, Observanz und Lebenspraxis – Zusammenhänge zwischen „Ordenskultur“ und dem Überleben von Klöstern in der Reformationszeit 8.3 Regel, Spiritualität, Observanz und Lebenspraxis
Aus den im vorangegangenen Abschnitt bereits teilweise dargestellten Statistiken über die Verluste der einzelnen Orden ergibt sich zunächst ein so einfaches wie klares Ergebnis: Nicht alle Orden litten gleichermaßen unter der Reformation.173 Ziegler etabliert folgende Reihenfolge. Am stärksten betroffen waren die Bettelorden, es folgen die „großen Feldklöster“, und die geringsten Verluste erlitten Stifte und Frauenkonvente.174 Hier nur die unterschiedliche regionale Verbreitung oder das politische Geschick der Orden als Mechanismen zu vermuten, hieße aber, einen wichtigen Aspekt der Ordensgeschichte, den religiös-theologischen Aspekt oder die „Ordenskultur“ außer Acht zu lassen. Das Operieren mit diesem weichen Kriterium ist allerdings nicht unproblematisch. Ein Beispiel soll aber zumindest die Schwierigkeiten verdeutlichen und die Widersprüchlichkeiten aufzeigen, die sich auf der Suche nach allgemein gültigen Korrelationen zwischen Ordenskultur und der Situation der Orden in der Reformationszeit ergeben können. In einem Brief zur Lage in der Stadt, adressiert an ihren Schwager in Ulm, spricht die Straßburger Nonne Ursula Ehinger (1525) von dem Druck des Rates auf „unß, zu zeichen die reformierten clöster“ und fügt hinzu: „Die andern syn lang hin.“175 Wie schon die Zeitgenossin feststellte, waren es in dieser wie auch in anderen Reichsstädten häufig die observanten Klöster, die in größerer Zahl Widerstand gegen die neue Lehre leisteten als ihre nicht reformierten Mitbrüder und -schwestern. Auch in der Forschung ist dieser Zusammenhang schon häufig postuliert worden.176 Francis Rapp hat für die überlebenden Straßburger Frauenklöster eine Verbindung zwischen Observanz und Widerstand hergestellt. Die Observanz habe das spirituelle Leben im Kloster nachhaltig, auch bis in das 16. Jahrhundert hinein, be173
Vgl. Jürgensmeier/Schwerdtfeger: Orden und Klöster. Ein erster Erklärungsversuch zu diesem Problem findet sich bei Ziegler: Reformation und Klosterauflösung, S. 586ff. 174 Vgl. Ziegler: Reformation und Klosterauflösung, S. 608. 175 AMS AH 8042, Nr. 3. 176 Vgl. für die ältere Forschung Schrader: Ringen, Untergang und Überleben, S. 89 für die Stifte Magdeburg und Halberstadt und Wilms: Dominikanerinnen, S. 178. In jüngerer Zeit hat Gisela Muschiol für Frauenklöster unter dem Vorbehalt weiterer Forschungen auf einen möglichen Zusammenhang verwiesen, vgl. Muschiol: Frauenklöster und Reformation, S. 98. Vgl. für Franziskaner-Observante und Minoriten sowie für dem observanten und nicht observanten Zweig angehörende Klarissenklöster Schindling: Franziskaner und Klarissen, S. 105ff.
8.3 Regel, Spiritualität, Observanz und Lebenspraxis
239
lebt. Die Intensität des religiösen Lebens wiederum habe die Nonnen davon abgehalten, sich der neuen Lehre zuzuwenden.177 Auch Barbara Steinke sieht einen starken, wenn auch nicht uneingeschränkt gültigen Zusammenhang zwischen Observanz und Widerstand für das von ihr untersuchte Kloster St. Katharina in Nürnberg. Die Nonnen hätten die Ideale der weiblichen Observanz verinnerlicht. Die Inhalte der dominikanischen Reform – die strenge Klausur, die Besinnung auf das Gebet, eine intensive vita communis, aber auch die von den Reformern teilweise bekämpften affektiv-innerlichen Elemente der Braut- und Erlebnismystik – seien „offensichtlich eine solide Basis für Widerstand gegen die protestantische Ablehnung des Klosterstandes“ gewesen.178 Gleichzeitig konstatiert Steinke aber auch, dass es sekundäre Elemente der Reform gab, die die Auflösung der Klöster vereinfacht haben. So wurde etwa, als 1428 das Nürnberger Katharinenkloster reformiert wurde, der Privatbesitz der Nonnen auf dem Rathaus als Ewiggeld angelegt und von nun an vom Pfleger des Konventes verwaltet, so dass die Nonnen finanziell weit stärker als vor der Reform vom Wohlwollen der städtischen Verwalter abhängig waren.179 So finden sich denn auch Stimmen, die für die von ihnen untersuchten Orden den von Rapp und Steinke hergestellten positiven Zusammenhang zwischen Observanz und Widerstand zurückweisen. Plath und Ziegler etwa sehen die besonders krassen Unterschiede im Widerstand der observanten und konventualen Franziskaner nicht in der strengeren Lebensweise der ersteren begründet. Nach Ansicht von Plath könne man über die Gründe, warum die Minoriten sich schneller als die Observanten der Reformation anschlossen, letztlich „nur spekulieren“.180 Mögliche Gründe sieht er weniger in einer spezifischen Frömmigkeit der Observanten. Denkbar sei aber, dass die Konventualen durch das Terminieren früher und leichter in Kontakt mit der lutherischen Lehre kamen. Innerhalb des Ordens konnte sich die Lehre dann durch die hohe Mobilität der Mönche zwischen den einzelnen Häusern schnell ausbreiten. Außerdem pflegten die Minoriten engere Kontakte zu den städtischen Gesellschaften, in denen sie lebten.181 Johann Baptist Freyer wiederum sieht mögliche Gründe für die hohen Verluste der Konventualen auch in Luthers
177
Vgl. Rapp: Observance et Réformation, S. 54. Steinke: Paradiesgarten, S. 310. Vgl. zur Rekonstruktion des observanten Frömmigkeitsideals im Nürnberger Katharinenkloster ebd., besonders S. 101ff. 179 Vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 19. 180 Plath: Franziskaner-Konventualen, S. 151. 181 Vgl. Plath: Franziskaner-Konventualen, S. 151; Ziegler: Franziskaner-Observanten, S. 186ff. 178
240
8. Klöster und Orden
besonderer Polemik gegen die Franziskaner allgemein. Der Bettel stand im Widerspruch zu Luthers hoher Wertschätzung der Arbeit.182 Für wieder andere Orden und Ordenszweige lässt sich schon statistisch kein Zusammenhang zwischen den Überlebenschancen von Klöstern und ihrer Zugehörigkeit zur Observanz herstellen. „In der Stellung zur Reformation gab es keinen Unterschied zwischen observanten und konventualischen Klarissen“, stellt etwa Karl Suso Frank fest.183 Zu demselben Schluss kommt Springer für die Dominikaner. Die spezifische und intensivere Frömmigkeit der observanten Dominikaner sei „ziemlich irrelevant“ für deren Überlebenschancen im Zeitalter der Reformation gewesen.184 Schließlich stellen einige Autoren sogar einen umgekehrten als den eingangs dargestellten Zusammenhang zwischen Widerstand und Observanz fest. Die Reform des 15. Jahrhunderts sei, so etwa Kaspar Elm, der Verbreitung der Reformation sogar förderlich gewesen. Die penible theologische Auseinandersetzung zwischen observanten und konventualen Franziskanern, die von den Zeitgenossen mit Unverständnis verfolgt wurde, hätte zum schlechten Ruf des Ordenswesens insgesamt beigetragen. Des Weiteren sei die durch die Reform nötige wirtschaftliche Restrukturierung der Klostervermögen in den Städten – etwa die Abschaffung des Privatbesitzes – den Interessen der Bürger und Stifter teilweise abträglich gewesen und habe die Bettelordensklöster in der Gunst der Bevölkerung sinken lassen.185 Wieder andere Autoren vermuten, dass gerade gegen den Willen der Gemeinschaft reformierte Konvente sich möglicherweise schneller der Reformation zugewandt haben.186 Das Beispiel der (vermeintlichen) Korrelation zwischen Observanz und Widerstand und die Heterogenität der Antworten verweist bereits auf verschiedene Probleme, die sich bei der Untersuchung von „Ordenskultur“ im Reformationszusammenhang ergeben. Erstens müsste gefragt werden, was unter „Ordenskultur“ überhaupt verstanden werden soll. Während Rapp und Steinke sich im genannten Beispiel auf die unterschiedliche Frömmigkeitspraxis von observanten und nicht reformierten Konventen beziehen, untersuchen Ziegler und andere Unterschiede in der Lebensweise. Auch der Vergleich unterschiedlicher Regeln und Konstitutionen wäre unter dem 182
Vgl. Freyer: Einfluss der franziskanischen Theologie, S. 233. Gleichzeitig stellt Freyer zahlreiche enge Berührungspunkte zwischen lutherischer und franziskanischer Theologie fest, vgl. ebd. 234ff. 183 Frank: Klarissen, S. 132. 184 Springer: Widerstand und Anpassung, S. 335. 185 Vgl. Elm: Verfall und Erneuerung, S. 236. 186 Vgl. McNamara: Sisters in Arms, S. 391ff. Diesen Zusammenhang kann Steinke für das Kloster Engelthal bei Nürnberg ebenfalls belegen, vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 311.
8.3 Regel, Spiritualität, Observanz und Lebenspraxis
241
Dach der „Ordenskultur“ denkbar, ebenso wie die Untersuchung dominierender theologischer Strömungen, Bildungstraditionen oder Rekrutierungsstrategien. Zunächst müsste also eine schlüssige Begriffsdefinition gefunden werden. Im selben Zuge müsste definiert werden, in welchen Quellen „Ordenskultur“ überhaupt greifbar wird.187 Zweitens stellt sich im Zuge der Herstellung allgemeiner Zusammenhänge das Problem, dass nicht nur große Unterschiede zwischen den Orden herrschten, sondern es auch innerhalb eines Ordens oder Ordenszweiges an Homogenität mangeln konnte. Ein besonders prägnantes Beispiel hierfür sind die Ritterorden. Teilten die Verteidiger von Rhodos und die vergleichsweise beschaulich und in starker mystischer Tradition lebenden Straßburger Ordenskapläne überhaupt eine Kultur?188 Drittens weisen schon die Überlegungen von Ziegler und Plath zu den unterschiedlichen Verlusten observanter und konventualer Ordenszweige darauf hin, dass neben der „Kultur“ eines Ordens auch sekundäre Faktoren für die Offenheit gegenüber der Reformation verantwortlich sein konnten. Die Bildungsnähe oder -ferne der Orden könnte etwa ein solcher Faktor sein.189 Genannt wird in der Literatur auch häufig die Dominanz unterschiedlicher sozialer Gruppen, die von Orden mit einer bestimmte „Kultur“ angezogen wurden.190 Schließlich fehlt es, nicht nur für die Reformationszeit, an Forschungsliteratur. Ziegler kommt etwa für die Franziskaner zu dem Schluss: „Ob es eine spezifisch observante Frömmigkeit gegeben hat, ist noch nicht untersucht.“191
187
Eine mögliche Quellenbasis wären sicherlich die Klosterbibliotheken und ihre Kataloge. Steinke kann für das Nürnberger Katharinenkloster auf eine Bibliothek zurückgreifen, aus der Ausleihlisten überliefert sind, ein sicherlich seltener Fall, vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 7. Andernorts bleibt zumeist im Dunkeln, ob und wie die Mönche und Nonnen ihre Bibliothek nutzten. Das gilt auch für die beiden aus Straßburg überlieferten Bibliothekskataloge aus der Kartause, AMS AST 100/70, Nr. 2, und aus der Johanniterkommende, vgl. Wittero: Catalogus Codicum Manuscriptorum. Beide Kataloge sind m. W. noch nicht bearbeitet worden. 188 Diese Frage stellt ähnlich auch Elm: Spiritualität der geistlichen Ritterorden, S. 468f. Vgl. dazu ebenfalls Luttrell: The Hospitallers of Rhodes, S. 249ff. Zwar kann Kaspar Elm trotz der Vielfalt der Lebensformen unter dem Dach der Ritterorden eine „Idee der Ritterorden“ herauskristallisieren, inwieweit diese Idee aber jeweils Auswirkungen zeigte, ließe sich nur regional untersuchen, vgl. Elm: Spiritualität der geistlichen Ritterorden, S. 472. 189 Hierzu ausführliche Überlegungen bei Ziegler: Reformation und Klosterauflösung, S. 611ff. 190 Vgl. Henze: Orden und ihre Klöster, S. 97 und Schindling: Reformation in den Reichsstädten, S. 80ff., die sich vor allem auf die Dominanz des Adels in den von der Reformation vergleichsweise wenig betroffenen Ritterhäusern und Stiften beziehen. 191 Ziegler: Franziskaner-Observanten, S. 186.
242
8. Klöster und Orden
Die zahlreichen Probleme und Desiderata stehen einer systematischen Untersuchung dieser Problematik im Wege. In Kapitel 9.2 wird am Beispiel zweier Frauenklöster jedoch ein Teilaspekt der Thematik, die Bedeutung der unterschiedlichen Frömmigkeitspraxis in Männer- und Frauenklöstern, untersucht.
8.4 Zusammenfassung 8.4 Zusammenfassung
Insgesamt steckte das alte Ordenswesen im 16. Jahrhundert trotz starker regionaler Unterschiede und Divergenzen zwischen den einzelnen Orden und ihren Zweigen in einer schweren Krise. Dies gilt sowohl für die erste Phase der Reformation bis 1555 als auch für die Zeit der katholischen Konfessionalisierung. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts konnten sich zwar einige, wenn auch bei weitem nicht alle Orden, konsolidieren. Insgesamt war aber auch die Phase der katholischen Konfessionalisierung bestenfalls eine Phase der Ambivalenz. Klostergut konnte zurück erlangt werden, aber durch die Konkurrenz mit den neuen Orden und die zunehmende Bedeutung der vita activa verlor mancher mittelalterliche Orden weiter an Boden. Es entsteht der Eindruck, dass die Orden insgesamt relativ lange brauchten, um auf die reformatorischen Ereignisse zu reagieren. Selbst zentralistisch organisierte Orden wie die Kartäuser oder die Dominikaner ließen erst ab der Mitte des Jahrhunderts, wenn auch teilweise schon vor den abschließenden Sitzungen des Tridentinums, einen strategischen Umgang mit der Krise erkennen.192 Die Ordensobrigkeit war schließlich kein von der Reformation unberührtes, unabhängiges Organ, sondern hatte selbst mit organisatorischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Gerade in der Frühphase der Reformation waren die einzelnen Klöster also stark auf sich gestellt.193 Die in der zweiten Jahrhunderthälfte entwickelten Konsolidierungsstrategien der einzelnen Orden waren einander recht ähnlich. Die Orden teilten ihr schwindendes Personal zum Erhalt von vom Aussterben bedrohten Klöstern auf, teilweise sogar über die Grenzen des Reiches hinweg. Bei Dominikanern und Kartäusern ist außerdem eine Konzentrationsstrategie zu erkennen. Man verkaufte niedergegangene Standorte und investierte den Erlös anderweitig. Mehrere Orden starteten auch Ausbildungsoffensiven. Darüber hinaus engagierten sich die Ordensleitungen als Kläger um die
192
Vgl. zu den Maßnahmen der Dominikaner Frank: Nachtridentinische Erneuerung, S. 460. 193 Vgl. so auch für die Franziskaner Plath: Franziskaner-Konventualen, S. 151.
8.4 Zusammenfassung
243
Restitution verlorenen Klosterguts vor dem Reichskammergericht, sowohl vor als auch in Zusammenhang mit dem Restitutionsedikt. Die Untersuchung des Straßburger Fallbeispiels hat weiter gezeigt, wie unterschiedlich sich für ein einzelnes Kloster der Einfluss der Orden auswirken konnte und dass das Einzelkloster, je nach strategischer Ausrichtung des Ordens, sogar in Antagonismus zu übergeordneten Strukturen geraten konnte. Während zum Beispiel der Dominikanerorden sich insgesamt wohl wenig für seine Frauenklöster einsetzte, klagte der Provinzial Konrad Zittard um Restitution des 1592 geschlossenen Klosters St. Nikolaus. Anders erging es den Johannitern. Der Ritterorden richtete sich im 16. Jahrhundert noch stärker an den Ritterhäusern aus, deren Prestige durch das Engagement des Ordens in der Türkenabwehr hoch war. Um die Priesterhäuser hingegen bemühte sich der Orden kaum – im Gegenteil, wie das Straßburger Beispiel zeigt. Mehrfach mussten sich die Straßburger Ordenskapläne gegen Umwandlungs- und Vereinahmungsversuche durch den Orden wehren. Die Kartäuser wiederum, die insgesamt eine ausgeklügelte, von ihrer zentralistisch organisierten Ordensleitung gesteuerte Personalpolitik zum Erhalt in Not geratener Standorte betrieben, entschlossen sich letztlich, das Straßburger Haus aufzugeben. Um die vom Generalkapitel eingeleitete Schließung kam es zu einem Konflikt, in dem sich auch innerhalb des Ordens verschiedene Parteiungen gegenüberstanden. Ein besonderer Fall waren schließlich die Reuerinnen. Da sie über keine funktionierende, übergeordnete Ordensstruktur verfügten, waren alle Häuser auf sich selbst gestellt. Dass die Straßburger Reuerinnen sich dennoch so erfolgreich behaupten konnten, verweist auf den Handlungsspielraum, den auch weibliche Religiosen haben konnten. Insgesamt ist wohl im Vergleich zu den Handlungsmöglichkeiten der Straßburger Mönche und Nonnen und der Bedeutung der Ratspolitik der Einfluss der Orden auf den Erhalt der Häuser gering einzuschätzen. Die Orden fungierten bestenfalls als Kommunikationsrelais zu einflussreichen Fürsprechern, wie im Fall der Dominikaner, oder unterstützten, wie im Fall der Kartause, die Häuser personell. Dass sich aber auch Klöster wie St. Magdalena ohne Hilfe eines Ordens oder die Johanniter sogar gegen ihren Orden behaupten konnten, zeigt die insgesamt eher geringe Bedeutung der Ordenspolitik für die einzelnen Häuser. Die Beantwortung der Frage, welchen Einfluss die „Ordenskultur“ auf das Überleben der Klöster in der Reformationszeit hatte, ließ sich an dieser Stelle nicht systematisch beantworten. Der Begriff der „Ordenskultur“ stellte sich bei näherer Betrachtung als zu umfänglich und zu vage dar, zudem fehlt es an Studien, auf die eine Untersuchung aufbauen könnte.
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8. Klöster und Orden
8.5 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen 8.5 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen
Die vielfach geäußerte Vermutung, dass gerade in der ersten Phase der Reformation bis 1555 mehr Frauen- als Männergemeinschaften bestehen blieben, kann anhand des neuerdings vorliegenden statistischen Materials nicht uneingeschränkt bestätigt werden.194 So verzeichnen etwa Benediktinerinnen und Zisterzienserinnen größere Verluste als ihre männlichen Ordensbrüder. Allerdings liegen für die Dominikanerinnen, für die das Zutreffen dieser Vermutung aufgrund der vorliegenden Fallstudien wahrscheinlich scheint, bislang keine Zahlen vor. Mit dem Tridentinum, das ohnehin für die alten Orden eine ambivalente Rolle spielte, verschlechterte sich besonders die Situation der Frauenklöster insgesamt weiter. Noch einmal auf die strenge Klausur und damit die vita contemplativa festgelegt, mussten die Frauen dem kämpferischen Katholizismus, überspitzt formuliert, als unnützes Anhängsel erscheinen. Ob und wieweit sich diese Geringschätzung auch auf das Verhältnis zwischen ersten und zweiten Orden auswirkte, kann aufgrund mangelnder Studien nicht abschließend beurteilt werden. Im Dominikanerorden lässt sich zwar die Tendenz belegen, Frauenklöster zugunsten des ersten Ordens aufzugeben. Diese Entwicklung ist allerdings in Straßburg in keiner Weise spürbar. Vielmehr bemühte sich der Orden gerade in der Phase der Restauration um die Klöster St. Nikolaus und St. Margaretha. Ein besonderer Fall, zu dem sich ebenfalls weitere Einzelstudien sicher lohnen würden, sind die bislang nur sehr schlecht erforschten Reuerinnen. Trotz des Mangels an männlicher Protektion, der gerade in der älteren Literatur als eine Art Geburtsfehler des Ordens dargestellt wurde, überlebten nicht wenige Reuerinnenklöster die Reformation. In Straßburg zumindest konnten sich die Frauen auch ohne männliche Mittler behaupten.
194
Vgl. Jürgensmeier/Schwerdtfeger: Orden und Klöster.
Teil 2
Das Ich im Fokus. Mönche und Nonnen zwischen Opposition und Assimilation Während im vorangegangen Teil dieser Studie vor allem die strukturellen Merkmale der Klöster sowie das politische und diskursive Umfeld des 16. Jahrhunderts untersucht wurden, soll nun das „Ich“ in den Fokus rücken. Denn neben den obrigkeitlich erzwungenen Klosteraufhebungen verließen auch viele Mönche und Nonnen, in Straßburg wie an anderen Orten, freiwillig ihre Klöster. Diesem Phänomen des „Auslaufens“ der Mönche und Nonnen aus den Klöstern, wie es von den Chronisten der frühen Reformation mit Erstaunen registriert wurde, haftete zwar aus Sicht der Zeitgenossen das Charakteristikum der Massenhaftigkeit an.1 Es kam aber letztlich durch zahlreiche individuelle Entscheidungen zum Verbleiben im oder zum Auszug aus dem Kloster zustande. Auf der Mikroebene zerfällt der Auszug der Religiosen aus den Klöstern in eine Vielzahl von Einzelgeschichten, Einzelbiographien und spezifischen Entscheidungssituationen, die im Folgenden anhand von Beispielen untersucht werden sollen. Dabei gilt es zunächst, die subjektive Rationalität der Individuen nachzuvollziehen und die „Logik der Selektion“ zu ermitteln. Hatten sich die Religiosen für das Verbleiben im Kloster entschieden, ergab sich eine neue Handlungssituation. Der Rationalität der Nonnen und Mönche, die ihre Lebensweise gegen die Eingriffe des Rates verteidigten, ist Kapitel zehn gewidmet. Es wird gezeigt, wie die Religiosen ihre Handlungsspielräume nutzten, welche Strategien sie verfolgten und wo ihrem Agieren Grenzen gesetzt waren.
1
Vgl. für dieses Motiv in der Straßburger Chronistik Büheler: Chronique, S. 72 und Specklin: Collectanées, S. 502 und 508. Luther selbst soll in einer Tischrede 1532 gesagt haben, Mönche und Nonnen schmölzen wie Schnee in der Sonne dahin. Vgl. zu diesem Ausspruch und zum Topos des „Auslaufens“ allgemein Rüttgardt: Klosteraustritte, S. 11.
Kapitel 9
Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
Im folgenden Kapitel steht die subjektive Rationalität der Entscheidung für oder gegen den Klosteraustritt im Zentrum. Angesetzt wird an Eckpunkten, an denen die Religiosen unabhängig von ihrer individuellen Biographie ähnlich stark von den Kontingenzen des konfessionellen Zeitalters betroffen waren: Identität, Religiosität und Lebenspraxis werden in den Blick genommen. Gerade im Falle von Nonnen und Mönchen waren diese drei Aspekte eng verbunden. So bedeutete der Wechsel der Konfession in der Regel auch die Aufgabe einer spezifischen Lebensform, der Klosteraustritt auch immer eine Re-Defintion der Identität und einen Wandel der gelebten Religiosität. Ohne die Abwägung alltagspraktischer Restriktionen und Perspektiven wiederum war der Klosteraustritt und damit die Umsetzung eines Wandels der konfessionellen Identität nicht möglich. Im folgenden Kapitel sollen alle drei Aspekte untersucht werden, um den Abwägungsprozess und die Entscheidungswege von Mönchen und Nonnen plausibel zu machen. Im Falle der Lebenspraxis werden sowohl die Optionen außerhalb des Klosters geprüft als auch die Bedeutung der Klostergemeinschaft untersucht.
9.1 Identitäten zwischen Konfession, Geschlecht und Stand 9.1 Identitäten zwischen Konfession, Geschlecht und Stand
Im Folgenden sollen die Identitäten von Mönchen und Nonnen und die besonderen Anforderungen, die der religiöse und gesellschaftliche Wandel an deren „Selbigkeit“ stellte, untersucht werden. In der Konversionsforschung wird der Konfessionsübertritt auch als „religiöser Identitätswechsel“ bezeichnet. Einem häufig längeren Prozess der Gewissensprüfung folgte die religiöse Re-Definition der Selbigkeit des Gläubigen.1 Im Falle von Mönchen und Nonnen war dieser religiöse Iden1
Die Definition der Konversion als „religiöser Identitätswechsel“ hat Hubert Knoblauch geprägt, vgl. Knoblauch: Religion, Identität und Transzendenz, S. 353. Vgl. zur Begriffsgeschichte der Konversion auch Lotz-Heumann/Mißfelder/Pohlig: Konversion und Konfession, S. 17ff. Vgl. zum Begriff aus religionssoziologischer Perspektive Pollack: Begriff und Phänomen der Konversion, S. 49ff.
248
9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
titätswechsel zumeist verbunden mit dem Austritt aus dem Kloster. Gerade deshalb waren im Falle der Konversion nicht nur die konfessionelle oder religiöse Identität eines Religiosen, sondern auch andere „Teilidentitäten“ von diesem Wandel betroffen. Wie im Folgenden gezeigt wird, definierten sich Mönche und Nonne auch als Teil einer Gemeinschaft und eines Standes. Auch eine spezifische Geschlechtsidentität konnte mit dem Religiosentum verbunden sein. Die Konversion war also in vielerlei Hinsicht mit einer Re-Definition des „Ich“ verbunden und ihre Verweigerung ermöglichte es umgekehrt mehrere Facetten der Selbigkeit zu wahren. 9.1.1 Begriffsdefinition und Vorgehen Die Untersuchung von Identitäten wirft verschiedene Probleme auf. Zunächst stellt sich die Frage, was der Begriff der Identität überhaupt meint. Der Terminus ist so schillernd und wird so vielfältig untersucht, dass Andreas Reckwitz von einer „Pandorabüchse der Identitäten“ spricht2 und Lutz Niethammer wortgewaltig und viel zitiert über jenes „Plastikwort“ schimpft, über den „eitlen Tand [...] semantischen Geflirrs“.3 Die Untersuchung von „Identitäten“ hat interdisziplinär Konjunktur, der Begriff ist in aller Munde.4 Beschränkt man sich bei der Suche nach einer Definition aber auf die für die Geschichtswissenschaft bedeutsamen Ansätze, die vor allem aus der Soziologie und der Psychologie entlehnt sind, lässt sich relativ rasch eine Schneise in den definitorischen Dschungel schlagen.5 Unterschieden wird zunächst zwischen personaler Identität (Ich-Identität) und kollektiver Identität, also der Identität einer Gruppe.6 Unter personaler Identität wird die „Selbigkeit“ einer Person zwischen den Ansprüchen der Gesellschaft und der individuellen Biographie, zwi2
Reckwitz: Der Identitätsdiskurs, S. 35. Niethammer: Kollektive Identität, S. 33. Lutz Niethammer bezieht sich dabei vor allem auf den Begriff der „kollektiven Identität“. Sein essayistischer Band zur Konjunktur dieses Begriffs aus dem Jahr 2000 ist entstanden aus der Sorge um das Wieder-in-ModeKommen kollektiver Identitäten an der Jahrtausendwende, vgl. ebd., S. 9ff. Sein Diktum vom „Plastikwort“ bezeichnet den Gebrauch des Identitätsbegriffs in der modernen Medien- und Politiklandschaft. Den Begriff des „Plastikworts“ entlehnt er von Uwe Pörksen. Merkmale von „Plastikwörtern“ nach Pörksen sind unter anderem PseudoWissenschaftlichkeit, Inhaltsarmut und Beschränkung auf die Wortsprache, vgl. Niethammer: Kollektive Identitäten, S. 34f. Niethammer bezieht sich auf Uwe Pörksen: Plastikwörter. 4 Vgl. für einen knappen Forschungsüberblick Pyka: Geschichtswissenschaft und Identität, S. 380ff. 5 Außer in der Soziologie und in der Psychologie spielt der Begriff auch in der Logik und in der Pädagogik eine Rolle. Mit dem hier verwendeten Identitätsbegriff haben diese Konzepte allerdings wenig gemein. Vgl. für einen Überblick Prinz/Loch: Art. Identifikation, Sp. 138ff. und Lorenz: Art. Identität, Sp. 144ff. 6 Vgl. Straub: Art. Identität, S. 278 und Dubiel: Art. Identität, Ich-Identität, Sp. 148ff. 3
9.1 Identitäten zwischen Konfession, Geschlecht und Stand
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schen unterschiedlichen Rollenerwartungen und dem Wollen und Vermögen des Einzelnen verstanden.7 Dieses Modell wurde von der amerikanischen Soziologie der vierziger bis sechziger Jahre, die durch Talcott Parsons, Erving Goffman und George Herbert Mead geprägt wurde und deren Gedanken Jürgen Habermas aufgenommen hat, entwickelt.8 Wie auch Habermas deutlich macht, basiert dieses Identitätskonzept in erster Linie auf rollentheoretischen Überlegungen. Das Individuum lernt im Prozess der Sozialisation verschiedene mögliche, auch sich widersprechende TeilIdentitäten kennen und muss daraus ein „Ich“ bilden9 oder, in der verkürzten Formulierung von Lucien Febvre: „[...] l’individu n’est jamais que ce que permettent qu’il soit et son époque, et son milieu social.“10 Febvre unterschlägt dabei die Leistung des Einzelnen, die unterschiedlichen Identitätsangebote zu einem individuellen Selbstverständnis zu kombinieren. Dies kommt stärker zum Ausdruck in einer Definition von Marcus Pyka, die im Folgenden leitend sein soll. Ich-Identität kann demnach verstanden werden als „Mittel, mit dessen Hilfe der Mensch sich selbst den Eindruck von ‚Selbigkeit‘ verleiht – also den Eindruck von Kontinuität, von Kohärenz und von Konsistenz angesichts der zahlreichen Kontingenzen der Existenz sowie der Erfahrungen von Differenz im Verlaufe eines Lebens.“11 Verglichen mit dem Begriff der personalen Identität wohnt dem Begriff der kollektiven Identität eine besondere Problematik inne. Wie Straub mit Niethammer feststellt, gehört der Terminus „zum Vokabular der ideologisch-politischen Mobilmachung“.12 Dennoch lässt sich der Begriff der „kollektiven Identität“ losgelöst von den von Niethammer befürchteten 7
Dabei werden dem Individuum von verschiedenen Autoren unterschiedlich gute Chancen einer festen Positionierung zugesprochen. Habermas etwa sieht die Positionierung des Ich zwischen Selbst und Gesellschaft als chronologische Folge, als Prozess der „Individuierung“, vgl. Habermas: Moralentwicklung und Ich-Identität, S. 68. Straub dagegen versteht das Streben des Individuums nach Ich-Identität stets nur als „Aspiration“, vgl. Straub: Art. Identität. S. 279. 8 Vgl. Reckwitz: Der Identitätsdiskurs, S. 26ff.; Straub: Art. Identität, S. 279ff.; Dubiel: Art. Identität, Ich-Identität, Sp. 148ff. Prinz/Loch: Art. Identifikation, Sp. 143. In Auseinandersetzung mit den Genannten entwickelte Habermas seine Ideen u.a. in folgenden Texten: Moralentwicklung und Ich-Identität, S. 63ff.; Können komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden, S. 92ff. und Stichworte zu einer Theorie der Sozialisation, S. 118ff. Zum Problem partizipativer Formen der Identität in der Vormoderne vgl. den Überblick von Hahn: Wohl dem, der eine Narbe hat, S. 43ff. 9 Vgl. zur soziologischen Einordnung Reckwitz: Der Identitätsdiskurs, S. 26ff. und Habermas: Stichworte zu einer Theorie der Sozialisation, S. 118ff. 10 Febvre: Histoire et psychologie, S. 211. 11 Pyka: Geschichtswissenschaft und Identität, S. 382. 12 Straub: Art. Identität, S. 293. Niethammer spürt besonders der politischen Bedeutung „kollektiver Identitäten“ in der Nachkriegszeit nach, sowohl für linke als auch für rechte Strömungen, vgl. Kollektive Identität, S. 460ff.
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Bezügen zu Volk, Stamm oder Nation verwenden. Kollektive Identitäten können als relativ verstanden werden, als zeitabhängige Konstrukte, deren Herausbildung historischen Zufällen unterliegt.13 Das Graduiertenkolleg „Gesellschaftsvergleich in historischer, soziologischer und ethnologischer Perspektive“ verwendet etwa folgende Definition: „Kollektive Identitäten [...] sind das historische Resultat von bindungsstiftenden Praktiken, Semantiken und institutionellen Regimes, in denen ein Wir-Gefühl gegenüber Anderen durch ritualisierte Handlungen und schematische Deutungen oft unabsichtlich geformt und gefestigt wird.“14 Kollektive Identitäten sind demnach kulturelle Phänomene. Jürgen Straub betont darüber hinaus, dass Gruppenidentitäten davon abhängig sind, dass sich die einzelnen Individuen zu ihnen bekennen und sie mittragen: „Es gibt sie nicht ‚an sich‘ [...].“15 Eines der Probleme der Bestimmung von Identitäten zeichnet sich hier schon ab: Das genaue Verhältnis von kollektiver Identität und Ich-Identität lässt sich nur sehr schwer definieren. Beim Versuch der Bestimmung gerät man schnell in die Gefahr tautologischer Schlüsse: Einerseits adaptiert das Individuum kollektive Identitäten, andererseits trägt es zur Bildung derselben bei.16 Auch das Verhältnis der Teilidentitäten eines Individuums untereinander bleibt nebulös. Während ältere sozialwissenschaftliche Autoren wie Erik Erikson, George Herbert Mead und Talcott Parsons in erster Linie die Konstanz und Kontinuität von Identität zwischen verschiedenen sozialen Anforderungen postulierten, betonen Autoren der neunziger Jahren wie Kenneth Gergen, Douglas Kellner und Frederic Jameson, dass das Individuum „multiple selves“ ausbilde, also „Teilidentitäten“, die es „gleichzeitig nebeneinander aufrechterhalten und in unterschiedlichen Kontexten zum Einsatz bringen“ könne.17 Letztere Definition entspringt aber wohl eher der Erfahrung der Moderne und lässt sich auf die Standesgesellschaft der Frühen Neuzeit nicht anwenden.18
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Vgl. Rammert: Kollektive Identitäten, S. 10ff., Assmann/Friese: Einleitung, S. 12. Rammert: Kollektive Identitäten, S. 11. Eine ähnliche Definition legen Aleida Assmann und Heidrun Friese zu Grunde, Assmann/Friese: Einleitung, S. 12. Sie gehen davon aus, dass „Identität über kulturelle Symbole und diskursive Formationen befestigt wird.“ 15 Straub: Art. Idenität, S. 299. 16 Vgl. Straub: Art. Idenität, S. 290ff. und Pyka: Geschichtswissenschaft und Identität, S. 391. 17 Vgl. Reckwitz: Der Identitätsdiskurs, S. 26ff. Auch Habermas geht davon aus, dass Erwachsene wenn nötig neue Identitäten ausbilden können, vgl. Moralentwicklung und Ich-Identität, S. 85. 18 Franz-Josef Arlinghaus hat für das Mittelalter in Kombination rollentheoretischer und systemtheoretischer Überlegungen festgestellt, dass „Erwartungen an die Person und ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht oder Gruppe gerichtet“ wurden „unab14
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Auch in der Gender-Forschung wird die Problematik sich überschneidender „multiple selves“ schon längere Zeit wahrgenommen. Geschlechtsidentität, das ist inzwischen weitgehend Konsens, kann immer nur eine Teilidentität unter vielen sein, deren Einfluss auf das Ganze im Einzelfall jeweils ausgelotet werden muss. Geschlecht ist immer, wie es Andrea Griesebner formuliert, eine „mehrfach relationale Kategorie“, die in Kombination mit anderen sozialen Kategorien wie Stand, ethnische Zugehörigkeit oder Religion jeweils andere Bedeutungen annehmen und unterschiedliche Auswirkungen für die Ich-Identität des Individuums haben kann.19 Im Folgenden sollen aus systematischen Gründen dennoch verschiedene Teilidentitäten modellhaft isoliert betrachtet werden. Wo es die Quellenlage zulässt, wird versucht, die Abhängigkeit von Geschlechtsidentität und anderen Teilidentitäten zu beleuchten. Ausgewählt wurden diejenigen Teilidentitäten, die in den Quellen aufscheinen und die im 16. Jahrhundert besonderen Spannungen ausgesetzt waren: Die konfessionellen und religiösen Identitäten der Mönche und Nonnen sowie ihre an ihr Religiosentum geknüpfte Standesidentität. Des Weiteren werden die Quellen auf mögliche Erkenntnisse über die Geschlechtsidentität der Mönche und Nonnen geprüft. Da die Frage der Identität zwischen Gemeinschaft und Familie bereits behandelt worden ist, soll sie hier nicht noch einmal aufgeworfen werden.20 Als Quellengrundlage dienen vor allem Selbstzeugnisse und EgoDokumente.21 Verwendet werden sowohl Konversionsberichte und Briefe als auch Verhörprotokolle und Suppliken. Diesen Quellengruppen wohnt eine besondere Problematik inne. Während in Selbstzeugnissen, gerade in Konversionsberichten, mit autobiographisch-literarischen Konstruktionen, Topoi und Glättungen sowie einer religiösen Schreibmotivation zu rechnen
hängig davon, in welchem Teilsystem sie sich gerade aufhält“, Arlinghaus: Mittelalterliche Rituale, S. 120. 19 Vgl. Griesebner: Geschlecht als mehrfach relationale Kategorie, S. 129ff. Derselbe Gedanke findet sich auch bei Ulbrich: Frauen im Dorf. Vgl. dazu auch Marietta Meiers Untersuchung zu adeligen Stiftsdamen des 18. Jahrhunderts: „Methoden, die eine der Kategorien [Stand, Familie, Geschlecht; A.S.] ausser [sic] acht lassen, führen zu blinden Flecken“. Meier: Warum adlige Frauen in ein Stift oder Kloster eintraten, S. 111. 20 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6.2.1. 21 Letztlich sind drei Möglichkeiten der Messung von Ich-Identitäten denkbar: Erstens die direkte Messung, etwa über reflexive Ich-Aussagen in Ego-Dokumenten, zweitens die indirekte Schlussfolgerung auf Identitäten aus den Handlungen und Verhaltensweisen der Individuen und schließlich die indirekte Messung von Ich-Identitäten über kollektive Teilidentitäten, vgl. beispielhaft für letzteren Weg Holbach: Identitäten von Säkularkanonikern, S. 19ff. Hier können aufgrund der günstigeren Quellenlage die erste und zweite Methode kombiniert werden. Vgl. zur Unterscheidung zwischen Selbstzeugnissen und Ego-Dokumenten Schulze: Ego-Dokumente, S. 13f.
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ist,22 muss bei der Auswertung von Ego-Dokumenten die vielfältige Spiegelung der Erwartungen und Motive von Adressat und Autor berücksichtigt werden. Bei Verhörprotokollen ist außerdem die Beschaffenheit der Verhörsituation, der starre Rahmen des Fragenkatalogs und der Filter des Schreibers zu beachten. Diese Punkte werden im Einzelfall wieder aufgegriffen.23 9.1.2 Konfessionelle und religiöse Identitäten In besonders starke Identitätskrisen konnten Mönche und Nonnen in der Reformationszeit naturgemäß durch konfessionell-religiöse Kontingenzen geraten. Die Straßburger Quellen kennen sowohl glühende Verteidiger beider Lehren als auch Zweifler. Im Folgenden sollen einige mögliche Reaktionen auf die neuen Anforderungen der Umwelt und die daraus folgenden Identitätskonstruktionen anhand von Einzelfällen dargestellt werden. Der Prozess der Neudefinition der religiösen Identität bis hin zum öffentlichen Bekenntnis in der Konversion konnte langwierig und schwierig sein. Zwar beschrieben viele Mönche und Nonnen in den von Antje Rüttgardt untersuchten apologetischen Flugschriften der frühen Reformation aus missionarischen Motiven ihre erste Begegnung mit der lutherischen Lehre als Erweckungserlebnis und als Gefühl der Befreiung. Der Schritt zur Konversion und schließlich zum Klosteraustritt aber war zumeist ein längerer Prozess. Mit welchen inneren Qualen, Ängsten, Gefühlen von Verzweiflung und Anfechtung er verbunden sein konnte, hat Berndt Hamm am Beispiel Martin Luthers eindrücklich nachgezeichnet.24 Auch die „Erfah22
Vgl. zur Problematik und zu den Charakteristika von Konversionsberichten Rüttgardt: Klosteraustritte, S. 324ff. und Bremer: Conversus. Vgl. zum Zusammenhang zwischen Narration, Individualität und Religion Korsch: Einleitung, S. 1ff. Korsch bringt die Spannung zwischen erzähltem Lebenslauf und Religiosität auf den Punkt: „Biographie wurzelt in einem religiösen Grund.“ Korsch: Einleitung, S. 7. Vgl. zur Problematik von Selbstzeugnissen allgemein die Einleitung von Kaspar von Greyerz und anderen in dem von von Greyerz, Hans Medick und Patrice Veit herausgegebenen Band zu europäischen Selbstzeugnissen in der frühen Neuzeit und auch die verschiedenen Beiträge in demselben Band. Zentrale Probleme und Charakteristika der Quellengattung behandelt auch Sabine Schmolinsky: Selbstzeugnisse im Mittelalter. Vgl. speziell zu topischen Elementen in religiösen Autobiographien am Beispiel des Bildes des Spiegels Mascuch: The ‚Mirror‘ of the Other, S. 55ff. 23 Möglichkeiten und Probleme der Auswertung von Gerichtsprotokollen, besonders der Reichskammergerichtsprotokolle bewertet Schulze: Zeugenbefragungen, S. 319ff. Auf Probleme der Verhörprotokolle aus Malefizprozessen geht Wolfgang Behringer: Verhörprotokolle ein. Auch Lyndal Roper hat sich mit letzterer Quellengattung intensiv beschäftigt, vgl. Roper: Jenseits des linguistic turn. Zum Wert von Ego-Dokumenten allgemein vgl. Schulze: Ego-Dokumente. 24 Vgl. Hamm: Naher Zorn und nahe Gnade, besonders S. 112ff.
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rung zunehmender Abgrenzung (‚Mobbing‘) bzw. Isolation innerhalb der Klostergemeinschaft“ konnten eine Rolle spielten.25 Auch musste der Übertritt zum anderen Glauben nicht in der Absolutheit erfolgen, wie sich ihn die Reformatoren gewünscht hätten: „Viele Konvertiten überschritten die Grenze zwischen Glaubenswelten nicht endgültig, vielmehr hielten sie sich in einer Grenzzone auf. Die Glaubensformen, die dabei entstanden, waren extrem vielfältig [...].“26 Deutlich wird das Prozesshafte des Glaubensübertritts in der Lebensbeschreibung des Abts des Zisterzienserklosters Bronnbach, Clemens Leusser. Leusser war zwar kein Straßburger, da er aber vergleichsweise ausführlich seine Konversion beschreibt, soll sein Fall dennoch aufgegriffen werden. Der Abt von Bronnbach berichtet in seiner vita von seinen ersten Kontakten mit dem Protestantismus und über den Gewissenskonflikt, der durch die Kenntnis der lutherischen Schriften in ihm ausgelöst wurde. Anders als in Konversionsberichten, die als Pamphlete veröffentlicht wurden, trägt Leussers vita autobiographische Züge. Sein Konversionsbericht zielt daher zwar auf biographische Kohärenz, ist aber nicht durch konfessionelle Interessen geleitet. Rückblickend auf die Zeit vor seiner Konversion beschreibt er sich als „emulator maximus monachorum traditionum“.27 Nachdem er zum Abt gewählt worden und so mehr Kontakt mit der Außenwelt gehabt habe, so Leusser, habe er aber begonnen sich mit den Schriften Luthers, Melanchthons und anderer Reformatoren zu beschäftigen, „ob causam non solum nullum quietum statum habui vitae, verum eciam tota consciencia mea gravissime perturbata et omnibus modis distracta fuit.“28 Zunächst habe er noch (1549) auf eine Lösung der Glaubensfragen durch das Tridentinum gehofft, sei aber von dessen Beschlüssen derart enttäuscht gewesen, dass er geradezu gezwungen gewesen sei, sich für die neue Lehre einzusetzen. Folgt man der Darstellung der Konversion in der Lebensbeschreibung Leussers, trug er sich etwa zwei Jahre mit Zweifeln an seinem Bekenntnis, bis er sich offen der neuen Lehre anschloss (1551).29 Nach der
25
Vgl. Rüttgardt: Klosteraustritte, zusammenfassend S. 324ff., hier 328. In der Konversionsforschung stehen sich Modelle gegenüber, die eher das Prozesshafte des Glaubenswechsels bzw. eher den radikalen Wandel desselben betonen. Mir scheinen erstere Modelle überzeugender. Einleuchtend sind etwa die Gedanken von Kim Siebenhüner, die nach Susan Stanford Friedman mit dem Modell der Grenze operiert, vgl. Siebenhüner: Glaubenswechsel, S. 250f. 26 Siebenhüner: Glaubenswechsel, S. 258. 27 Leusser: Lebensbeschreibung, S. 254. Leusser verfasst seine Lebensbeschreibung 1568, wenige Jahre vor seinem Tod, im Alter von 50 Jahren. 28 Leusser: Lebensbeschreibung, S. 257. 29 Vgl. Leusser: Lebensbeschreibung, S. 256f.
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Entscheidung für die neue Lehre allerdings verfolgte Leusser seine reformatorischen Ziele unter Inkaufnahme diverser Konflikte.30 Wie stark die persönlichen Identitätskrisen sein konnten, die mit dem Klosteraustritt verbunden waren, zeigt auch ein Beispiel aus der Straßburger Überlieferung. Agnes Wurmserin war Nonne in St. Nikolaus. Als das Kloster 1592 aufgelöst wurde, war sie 22 Jahre alt. Sie zog zunächst zu einer Verwandten, Appolonia Botzheim, geborene Meyerin. Drei Jahre später entschloss sie sich offenbar spontan während einer Reise, nicht nach Straßburg zurückzukehren, sondern wiederum in ein Kloster einzutreten. In einem Brief an ihre Verwandten entschuldigte sie sich vielmals und begründete ihren Schritt. Sie habe diese Flucht, die auch im Rat Thema werden würde, nicht geplant. Nun sei sie aber froh, ihren geistlichen Stand wieder angenommen zu haben, „die wil ich doch alle die zit einen nagenten wurm an minem herzen hab getragen, das ich doch weder grunen noch digen hab kinen, wie ir selber wol gesehen hant.“31 Agnes hatte sich offenbar trotz ihrer jungen Jahre außerhalb des Klosters nicht zurecht gefunden. Trotz ihres weltlichen Lebens fühlte sie sich weiterhin als Nonne. Daher nutzte sie die erste Gelegenheit, um in das Kloster zurückzukehren.32 Sie entschied sich also bewusst dafür, ihre Identität als Nonne wieder mit ihrem Lebensentwurf in Einklang zu bringen. Während Agnes Wurmserin und Clemens Leusser mit ihrem Gewissen haderten, entschieden sich andere Religiose aus recht profanen Gründen für oder gegen das Kloster. Belegt sind solche Motive etwa in einem Schreiben der ehemaligen Straßburger Nonne Paulina Furterin. Paulina war als Schülerin im Kloster St. Nikolaus aufgewachsen und forderte nun, nach ihrem Klosteraustritt, eine Pension von ihrem ehemaligen Konvent, den dieser nicht zu zahlen bereit war. Die Sache gelangte vor den Rat. In der Begründung für ihr Handeln mischt Paulina die übliche Konversionsrhetorik mit praktischen Argumenten. Zwar schreibt sie, sie sei „verblendet“ gewesen, als sie Profess abgelegt habe und habe sich von ihrer Mutter überzeugen lassen, dass das „Closterleben nichts anders dan ein Stand und Ordnung des leidigen antichrists“ sei. Paulina gibt aber auch an, sie habe den geistlichen Stand, nur angenommen, weil sie so von ihrer Dienstboten30
Die Konflikte mit den Bischöfen von Mainz und Würzburg führten schließlich zur Absetzung Leussers als Abt von Bronnbach, vgl. Leusser: Lebensbeschreibung, S. 261ff. 31 AMS II, 39/14. Der Ausdruck „weder grunen noch digen“ könnte als „weder leben noch sterben“ übertragen werden. „Grunen“ bedeutet im Mittelhochdeutschen frisch werden, gesunden, sich erholen; „digen“ bedeutet vertrocknen, vgl. Lexer: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. 32 Vgl. AMS II, 39/14. Den Brief reichten Agnes’ Verwandte an den Rat weiter, wie eine Marginalie belegt. Der Rat untersuchte die Angelegenheit. Agnes’ Brief ist in den Akten zu dieser Untersuchung überliefert. Die „Fluchthelferin“, Anna Morgin, wurde deshalb belangt.
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tätigkeit in der Krankenstube befreit worden sei. Als sich nach dem Tod einer Tante die Gelegenheit bot, zu heiraten, habe sie aus dem Kloster wieder austreten wollen.33 Gerade im Fall von weiblichen Religiosen muss hintergefragt werden, inwieweit theologische Reflexion dem Klosteraustritt zu Grunde lag. Die Selbstaussage der Nonne Anna Böcklerin, die 1545 als „evangelische“ Nonne in St. Margaretha lebte, zeigt, dass Konversionen häufig in eher unbestimmte Glaubenswelten münden konnten. Bei einer Ratsvisitation wurde Anna, die mit ihrer ebenfalls protestantischen Schwester im Kloster lebte, nach ihrer religiösen Überzeugung gefragt. Im Protokoll findet sich folgende Aussage: „sy sey in anfang ser hefftig wider das evangelium gewesen, hab davon weder horen noch lesen wollen […] biß zu lest. Hab sy dannacht auch wissen wollen, was es doch sey und angefangen zelesen und durch die gnad Gottes sovil erfaren und befund, das eben vil mißbreuch eingerissen seyen.“34
Von Nonnen sind insgesamt wenige Berichte über Konversionen überliefert. Sicherlich hatten weibliche Religiosen im Vergleich zu Mönchen aufgrund des unterschiedlichen Bildungsniveaus häufig kaum intellektuellen Zugang zu den theologischen Argumenten der Reformatoren.35 Die Vorstellungen der Straßburger Nonne Anna Böcklerin jedenfalls scheinen eher vage zu sein. Zwar ist es schwierig, zu bewerten, inwieweit die vom Schreiber der Ratsvisitatoren notierte Aussage dem entsprach, was Anna tatsächlich sagte und noch schwieriger, inwieweit dies ihrem Empfinden entsprach. Die deutlichen Unterschiede zwischen den Antworten in diesem Protokoll allerdings könnten darauf hinweisen, dass die Aussagen nahezu wortwörtlich notiert wurden oder dass der Schreiber zumindest versuchte, den lapidaren Charakter von Annas Antwort stilistisch wiederzugeben. Wie stark sie sich tatsächlich als Protestantin fühlte oder inwieweit sie in diesem Verhör und mit dem Studium der Lutherschriften den Erwartungen des Rates und ihrer hochrangigen protestantischen Verwandten zu entsprechen versuchte, lässt sich allerdings nicht entscheiden. Dass es aber auch Frauen gab, die sich intensiv mit ihrem Glauben beschäftigten, zeigt ein Brief von Anna Tucher, einer konvertierten Nonne im Kloster Engelthal bei Nürnberg. Als sie ihre Verwandte Cordula Poemer bittet, sie aufzunehmen, versieht sie den Brief mit einer mehrseitigen, durch zahlreiche Bibelstellen angereicherten Begründung für ihre Ablehnung des Klosterlebens, die auch stilistisch durchaus beeindruckt. Beim
33
Vgl. AMS II, 41–42a/12, Nr. 12. AMS II, 57/11. 35 Vgl. Rüttgardt: Klosteraustritte, S. 18ff. 34
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Verfassen der Begründung lagen Anna Tucher vermutlich protestantische Schriften vor.36 Nicht nur durch Unkenntnis, auch durch das Nachwirken von Elementen des alten Glaubens konnten Glaubenswelten entstehen, die gerade in der Frühphase der Konfessionsbildung zwischen Alt und Neu changierten. Das Klosterleben galt als sicherer Weg zum ewigen Seelenheil, wer es aufgab, den beschlich möglicherweise das Gefühl, eine sichere Anleihe gegen ein Risikopapier zu tauschen.37 Wie stark Teile des alten Glaubens selbst bei überzeugten Konvertiten nachwirken konnten, zeigt sich darin, dass gerade in der Frühphase der Reformation erstaunlich viele Mönche Autorisation für den Klosteraustritt bei ihren geistlichen Obrigkeiten suchten. Zu überlegen wäre, ob dieser Schritt möglicherweise darüber hinausgeht, nur eine weltliche Bestrafung vermeiden zu wollen. Die Bestrebungen der Mönche könnten möglicherweise als tiefe Verunsicherung im Glauben gedeutet werden. So versuchte etwa der humanistisch orientierte Straßburger Kartäuser Otto Brunfels 1521, die päpstliche Absolvierung von seinen Klostergelübden zu erlangen.38 Über den kaiserlichen Rat Jakob Spiegel, mit dem er in Briefverkehr stand, bemühte er sich, den päpstlichen Nuntius Aleander für seine Sache zu gewinnen. In seinem Brief an Spiegel bringt er zunächst seine starke evangelische Überzeugung und seinen Willen zum Martyrium zum Ausdruck: „In caussa veritatis et evangelii etiam parentes odio et fratres, si hos videro contraire veritati. evangelicus sum, paratus eciam quodcumque subire supplicium cum Luthero pro veritate.“39
Das Klosterleben verurteilt er harsch: „Non video alium fructum monasticae vitae quam ut dupliciter me faciant filium Gehennae.“40 Im Fortgang des Briefes führt er dann allerdings aus: „Non desideramus absolvi a votis substancialibus, manebunt inviolata.“41
36
Ihr Brief ist gedruckt bei Dümmler (Hrsg.): Neun Frauenbriefe, S. 329ff. Christoph Burger zeigt anhand mittelalterlicher Quellen, dass das Klosterleben als „via securior“ verstanden wurde, vgl. Burger: Leben als Mönch, S. 15ff. 38 Vgl. Brunfels: Brief an Jakob Spiegel, S. 491ff. Vgl. zur Person Otto Brunfels auch Müller: Habit und Habitus. 39 Brunfels: Brief an Jakob Spiegel, S. 492. Satzanfänge sind die diesem Druck klein wiedergegeben. 40 Brunfels: Brief an Jakob Spiegel, S. 493. „filius Gehennae“ lässt sich als „Sohn der Hölle“ übersetzen. 41 Brunfels: Brief an Jakob Spiegel, S. 493. Spiegel erfüllte Brunfels’ Hoffnung auf Fürsprache offenbar nicht. Er schickte den Brief des Kartäusers vollständig an Aleander weiter, was Brunfels, der den Nuntius in seinem Brief zwar als „doctum hominem“, aber auch als „Lutheri inimicum et veritatis persequutorem“ bezeichnet hatte, sicherlich nicht nützlich gewesen sein dürfte, vgl. dazu auch die Einleitung zur Edition. 37
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Brunfels gibt sich also einerseits kämpferisch und unerschrocken in seinen neuen Überzeugungen. An der Gültigkeit der Essenz seiner Gelübde als Mönch und Priester jedoch wagte er (noch) nicht zu rühren. Dieser religiöse Zwiespalt war sicherlich gerade in der Frühzeit der Reformation nicht selten. Einen so offensiven Bruch mit dem Klosterleben, wie ihn Luther wagte, vermieden viele Mönche und Nonnen. Die Nonnen von St. Klara am Rossmarkt und St. Klara auf dem Wert versuchten mit Unterstützung des Rates an Dispense zu gelangen. Ihnen wurden dafür sogar Mittel aus dem Klostervermögen zur Verfügung gestellt.42 Selbst Martin Bucer gab bei seiner Ankunft in Straßburg an, er sei nie Mönch gewesen, was ihm das vom Papst angewiesene bischöfliche Gericht in Speyer bestätigt habe. Allerdings ist im Einzelfall gerade in der Frühzeit der Reformation schwer zu entscheiden, inwieweit religiöse Reminiszenzen oder aber die Angst vor rechtlichen Folgen diese Bemühungen motivierten.43 Trotz der in individuellen Fällen verschwimmenden Grenzen konfessioneller Identität spielte die religiöse Abgrenzung im Allgemeinen für die einzelnen Nonnen und Mönche, aber auch für die Gemeinschaften eine wichtige Rolle. Der erfolgreiche Widerstand gegen die Reformation konnte zu einem identitätsstiftenden Moment werden. Dies zeigt eine Chronik aus St. Margaretha, die zwar erst 1738 entstand, aber auf ältere, teils verlorene Dokumente aus dem 16. Jahrhundert zurückgeht.44 Die Chronik widmet der „Verfolgung“ durch die Lutheraner im 16. Jahrhundert ein ausführliches Kapitel.45 Verschiedene Episoden, die wahrscheinlich überzeichnet sind, porträtieren die Nonnen als mutige und gewitzte Gegnerinnen der Protestanten. Eine Anekdote handelt davon, wie sich der Konvent unter Anleitung der Priorin der Predigt durch Martin Bucer zu entziehen versuchte. Zunächst verstopften sich die Nonnen, so berichtet die Chronik, die Ohren. Aber auch diese Methode war der Priorin schließlich „nicht gar sicher“. Also wies sie ihre Nonnen an, hölzernen Engelsstatuetten die 42
Vgl. AMS AST, 35/3 und 35/4. Vgl. Bucer: Verantwortung, BDS 1, S. 159: „Und diß ist also rechtlich erkannt worden durch den erwürdigen und gelerten herren Antonium, goetlicher schrifft Doctor und Weyhbischoff zuo Speir, verordneter richter durch den hochgebornen Fürsten Bischoff zuo Speir, dem der Bapst die sach zuo richten befolhen hat.“ Der erwähnte Weihbischof Antonius Engelbrecht wird später selbst evangelischer Prediger in Straßburg, vgl. ebd., Anm. 16. 44 Die Handschrift findet sich in der Stadtbibliothek Straßburg, vgl. BMS Ms. 901. Nachgewiesen werden kann die starke Abhängigkeit von älteren Quellen am Bericht einer Nonne über die Schließung des Klosters St. Nikolaus 1592, der in den Archives départementales überliefert ist, vgl. ADBR H 3061. Die Chronik von St. Margaretha übernimmt den Bericht bis in Einzelheiten. Auch die im Folgenden berichtete Episode geht vermutlich auf ältere Versatzstücke zurück, die allerdings nicht überliefert sind. 45 Vgl. BMS Ms. 901, S. 121ff., hier S. 121. 43
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Schleier anzuziehen und diese statt ihrer selbst hinter der Chorschranke zu postieren. Die Figuren mussten nun „der Closterfrawen stelle vertretten und dem lastermaul auf der Cantzel aufwarden.“46 Die Priorin von St. Nikolaus, Susanna Brünnin, die in St. Margaretha nach der Zusammenlegung der beiden Klöster gestorben war, wird in der Chronik sogar mit einer kleinen Mirakelerzählung gewürdigt. Als „vil jahr nach dem absterben dieser seeligen Mutter“ bei Arbeiten auf dem Klosterfriedhof ihr Grab geöffnet wurde, sei „ein übernatürlich guter Geruch auß dem grab herauß“ geströmt, so dass der herbeigeeilte Konvent „darvon gantz erquickhet und gestärckhet worden. in dem grab wurde auch kein eintziges beinlein, ja kein ahnzeichen von einem da gelegenen leichnahmb gefunden, wodurch Gott ohne zweiffel anzeigen wollte, daß er die seel dieser seiner getrewen dienerin sampt dem leib in den himel aufgenohmen habe.“47
Auch die Klosterchronik von St. Magdalena, die im selben Jahr wie die der Dominikanerinnen entstand, stilisiert die Nonnen zu tapferen Kämpferinnen gegen die Reformation. Die Priorin habe „mannhaft“ mit dem Prädikanten Matthias Zell debattiert, heißt es in der Chronik.48 Das Fragment eines Berichts über die Reformationszeit aus dem selben Kloster, das vermutlich schon im 16. Jahrhundert entstand, erzählt außerdem, auch in St. Magdalena hätten sich die Nonnen die Ohren verstopft, um die Predigt nicht hören zu müssen. Die Reuerinnen hätten außerdem Hunger und Durst gelitten, da ihnen alle Vorräte gesperrt worden seien, um sie zum Austritt zu bewegen. Nur durch die Hilfe einer Magd, die ihnen Brot über die Konventsmauer geworfen habe, hätten sie überleben können.49 Der Widerstand der Nonnen der Reformationszeit ging also in die Erinnerungskultur und damit auch in die Identitätskonstruktion späterer Konvente ein. Durch die chronikalischen Texte werden die Schwestern der Reformationszeit wie Heilige nachfolgenden Generationen von Religiosen als Vorbilder vorgehalten, der himmlische Lohn für die Standhaftigkeit im Glauben wurde, der hagiographischen Praxis folgend, in Aussicht gestellt. Kreiert wurde das Idealbild der „wehrhaften Nonne“, die nicht nur theologisch ranggleich mit den evangelischen Prädikanten war, sondern durch Witz und Tücke, aber auch durch christliche Leidensbereitschaft den re46
Vgl. BMS Ms. 901, S. 136. Für einen wahren Kern der Geschichte spricht die Gegenüberlieferung in einer Denkschrift des Kirchenkonventes von 1592, vgl. AMS AST 135/5. Der Kirchenkonvent empfahl, die Nonnen die Predigt vom Kirchenraum aus hören zu lassen, es habe „allerley unordnung“ gegeben, die Nonnen hätte „etliche Götzen an ire stell gestellt“. Zumindest verlegt die Chronik von St. Margaretha die Geschichte aber in die Zeit von Martin Bucer, also mindestens 50 Jahre zurück. 47 BMS Ms. 901, S. 253f. 48 Vgl. Bibliothèque du Grand Séminaire, Ms. 210, fol. 22v. 49 Vgl. Bibliothèque du Grand Séminaire, Ms. 2101/R.
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formatorischen Übergriffen trotzte, ein Idealtypus, der auch in weiteren zeitgenössischen Schriften schon auftauchte, wie im Zuge der Rekonstruktion von Geschlechtsidentitäten zu zeigen sein wird Nicht nur für kollektive, auch in der Konstruktion individueller Identitäten konnte die Konfession eine zentrale Rolle spielen. Zwei besonders glühende Verfechter ihres Glaubens in Straßburg waren der Augustinerprovinzial Konrad Treger und der Franziskaner Thomas Murner. Beide bezogen einen wichtigen Teil ihrer Identität aus der Abgrenzung gegen die neue Lehre. Besonders Murner ist bis heute als beißender antireformatorischer Satiriker bekannt.50 Auch in seiner eigenen Zeit erlangte der Barfüßer durch seine derbe Sprache und sein „aufbrausendes und streitsüchtiges Temperament“ eine gewisse Bekanntheit. Er wurde zum Spott protestantischer Pamphlete und Schriften.51 Auch mit seinem Konvent geriet er wegen seiner Überzeugungen in Konflikt.52 Murner jedoch war von seinem Glauben nicht abzubringen. Er war schon als Kind im Straßburger Franziskanerkonvent zur Schule gegangen und dort 1494 mit 19 Jahren zum Priester geweiht worden. Seine Überzeugungen waren geprägt von elsässischen Humanisten wie Brant und Wimpfeling, er verehrte wie sie die Schriften Jean Gersons und hatte wohl in seiner Jugend Geiler von Kaysersberg im Straßburger Münster predigen hören.53 So war der Geistliche zwar überzeugt von der Reformbedürftigkeit der Kirche, identifizierte sich aber auch stark mit ihren Institutionen, mit der monastischen bzw. klerikalen Lebensweise und mit dem Papsttum. Luther musste ihm daher als Ketzer erscheinen.54 50
Die geschichtswissenschaftliche Literatur hat sich allerdings in jüngerer Zeit nicht mehr ausführlich mit Thomas Murner befasst. Zuletzt erschien ein schmaler Band zu Thomas Murners Frankfurter Jahren, vgl. Fischer: Thomas Murner in Frankfurt. Ansonsten liegt ein Ausstellungskatalog mit Beiträgen von Philippe Dollinger, Marc Lienhard und Heribert Smolinsky zu einer Murner-Ausstellung in der Landesbibliothek Karlsruhe von 1987 vor. Vgl. für einen knappen Überblick zur älteren historischen MurnerForschung Dollinger: Leben Thomas Murners, S. 32ff. Größere Aufmerksamkeit hat Murner in jüngerer Zeit in der Literatur- und Sprachwissenschaft erfahren. 51 Vgl. Dollinger: Leben Thomas Murners, S. 24; Lienhard: Murner und die Reformation, S. 70ff. und Rapp: Franciscains et Réformation, S. 154ff. Man spielte Murner in Straßburg einen bösartigen Streich. Murner, der ein lateinisches Traktat des englischen Königs Heinrich VIII. übersetzte, wurde mitgeteilt, der König wünsche ihn kennen zu lernen. In London angekommen, stellte sich diese Nachricht allerdings als Ente heraus, vgl. Dollinger: Leben Thomas Murners, S. 31. 52 Für den Spott der Straßburger Mönche über ihren Mitkonventualen vgl. AMS II, 21/21. 53 Grundlegend erforscht wurde der elsässische Humanismus von Otto Herding und seinem Schüler Dieter Mertens. Vgl. u.a. Mertens: Jakob Wimpfeling und ders. Humanismus und Reformation. 54 Murner äußerte sich allerdings kritisch über die observanten Zweig seines Ordens, vgl. Smolinsky: Thomas Murner, S. 38f. und Dollinger: Leben Thomas Murners, S. 22.
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
Diese stark im alten Glauben verwurzelte Identität äußerte sich zum einen in Murners Schriften, zum anderen in seiner beständigen Konfliktbereitschaft, die er sowohl in Straßburg als auch auf seinen zahlreichen Reisen auslebte. Trotz der sich in Straßburg immer weiter aufheizenden Stimmung und der beginnenden Konflikte mit seinen der neuen Lehre zugeneigten Konventsbrüdern veröffentlichte Murner 1522 in Straßburg sein antilutherisches „Meisterwerk“ Von dem grossen Lutherischen Narren.55 Darin parodierte Murner in der Rolle des „lutherischen ertznarren“ die reformatorischen Lehren und warf dem Wittenberger vor, den „bunthschuch [zu] schnueren [...] das er den einfaltigen menschen angenem bleib.“56 In seiner eigenen Vorrede zu dieser Schrift wird deutlich, dass sich Murner einerseits durch die Schmähungen der Lutheranhänger gekränkt fühlte, sich andererseits aber auch mit der Rolle als Luthergegner identifizierte und sich durch seine wenn auch zweifelhafte Bekanntheit durchaus geschmeichelt fühlte: „Sie haben mir ein karsthansen57 gemacht, Ein großen narren herfür bracht, Das crütz auch wider mich uß geben, Vil affenspil gethon da neben Und warlich dapffer umb getriben, Es wer in wol halb uber bliben.58 [...] Wolhin! kan ich sunst nichtz uff erden, Dan wie ein nar sol beschworen werden Und wie man schelmen sol erkennen, Ein iden mit seinem namen nennen, So wil ich mein meisterschafft Mit leib und guot und aller krafft Underston an euch probieren [...]. [...] Wer weiß, der glaub moecht etwas schaffen, Das euwere narren / euwere affen Ein mal doch müsten von euch scheiden, Das ir darnach mich nit me beleiden.“59 55
Einschätzung nach Lienhard: Murner und die Reformation, S. 70. Das Traktat ist erschienen als Bd. IX der Deutschen Schriften Murners. Es sind nur zwei Drucke erhalten, einen davon konserviert die Bibliothèque Nationale et Universitaire unter der Signatur R 100 314. 56 Vgl. Murner: Lutherischer Narren, besonders S. 122ff., Zitate S. 92 und 214. 57 Damit bezieht sich Murner auf die bekannteste Spottschrift gegen ihn, den „Karsthans“, ein Theaterstück, in dem Murner, wie so häufig dargestellt als Katze, in der Disputation der Figur des Bauern Karsthans unterliegt. 58 Im Sinne von: Die Hälfte hätte auch gereicht, vgl. Anmerkungsteil der Edition des Lutherischen Narren, S. 295. 59 Murner: Lutherischer Narren, S. 93f.
9.1 Identitäten zwischen Konfession, Geschlecht und Stand
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Murners Selbstvertrauen und seine offensichtliche Kampfeslust und Zuversicht wurden allerdings bald gedämpft. Das Traktat, das insgesamt keine besonders große Verbreitung fand, wurde in Straßburg rasch beschlagnahmt. Murner verlegte sich auf die Predigt, musste sich aber mit der wachsenden Beliebtheit der neuen Lehre auch dem wachsenden Unmut der Straßburger Bevölkerung stellen. Bucer und Capito griffen seine Predigten in öffentlichen Vorlesungen an, 1524 willigte Murner in eine halböffentliche Disputation im Franziskanerkloster ein, die er nach Ansicht der Zuhörer verlor.60 Die Menge war daraufhin so aufgebracht, dass sie die Druckerei zerstörte, die Murner im Kloster zur Verbreitung seiner Schriften eingerichtet hatte. Man versuchte auch, ihn zu ergreifen, doch Murner hatte im letzten Augenblick die Stadt verlassen.61 Habhaft wurde die Menge an diesem Tag eines anderen: Konrad Tregers. Ihm wurde zur selben Zeit, zu der Murner mit Bucer und Capito disputierte, vom Rat der Prozess gemacht, weil er Schmähschriften gegen dieselben Straßburger Prädikanten verfasst hatte. Treger machte jedoch keine Anstalten, die Stadt zu verlassen. Auch weigerte er sich nach seiner Ergreifung zunächst, zu widerrufen. Schließlich, so schrieb Treger in seiner Verteidigungsschrift, sei keiner der Prädikanten in der Lage, seine Thesen zu widerlegen. „[...] muss harumb eracht werden, das sy nits dar wydder ynbringen können noch wyssen (alß ich ouch gloub von keynem mönschen sollich myn schriben umb gestossen mög werden) und [sie, die Prädikanten] doch allein inzug und ursach suchen die worheit zu verkleiden und zu bedecken und sich wysen nit wöllen lossen.“62
Trotz seiner misslichen Lage sprach aus Treger wie aus Murner weiterhin die Inbrunst dessen, der sich theologisch auf der sicheren Seite glaubte und nur darauf warten musste, dass auch die Übrigen wieder zu Vernunft kämen. Seine Verhaftung durch den Rat stellte Treger als ein Martyrium dar, dass er um seines, des wahren Glaubens willen durchlebte: „Ich wer ouch ein schlechter zarrter christ, wo ich nit me dann ich byß här erlytten hab, umb myns gloubens wyllen erlyden möcht.“63 So wie Murner den satirischen Spott, der gegen ihn publiziert wurde, als Auszeichnung empfand, sah Treger seine Verhaftung als Prüfung seines Glaubens. Für beide Mönche war die Opposition zum Luthertum zentrales Element ihrer Identitätskonstruktion. Der alte Glaube blieb für sie das In60
Vgl. Lienhard: Murner und die Reformation, S. 71f. Vgl. Lienhard: Murner und die Reformation, S. 71f. Murner predigte noch einige Jahre in der Schweiz und nahm an weiteren Disputationen teil. 1532 zog er sich nach Oberehnheim zurück, wo er 1537 starb. Vgl. Dollinger: Leben Thomas Murners, S. 32; Rapp: Franciscains et Réformation, S. 154ff. 62 AMS VI, 701/14, Nr. 10, fol. 20r. 63 AMS VI, 701/14, Nr. 10, fol. 22v. 61
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terpretationsraster des Weltgeschehens. Beide gingen in ihrer Rolle auf, der eine als Satiriker, der andere als selbst ernannter Märtyrer. Beide waren eher bereit, äußere Konflikte und Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen, als ihre Ich-Identität den sich verändernden Normen ihrer Umwelt anzupassen. Eine ähnlich starke und von äußeren Einflüssen unbeeindruckte konfessionelle Identität lässt sich auch bei konvertierten Mönchen beobachten. Überliefert ist etwa der Fall des jungen Johannitermönchs Georg, der 1523 den Komtur mit der Bitte konfrontierte, den Konvent verlassen zu dürfen.64 Er sei nicht mehr bereit, „die zytt, die er lebte, im closter also unnutzlich zu bringen“.65 Als der Komtur ihm die Bitte abschlug, drohte der junge Mönch damit, einfach fortzulaufen. Der Komtur rief nun den ganzen Konvent zusammen und es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Oberen und dem austrittswilligen Mann. Der Komtur drohte, ihn „per virtutem sancte obedientie [...] ad carceres“ zu werfen.66 Als der Mönch sich weigerte, die Strafe anzunehmen, und der Komtur befahl, ihn zu ergreifen, kam es zu einer regelrechten Schlägerei, in deren Verlauf der junge Mann verletzt wurde, wie ein anderer Mönch berichtete, der den Vorfall dem Rat meldete: „do loffen sie all zu were die roßenden hund, und gryffen in an greulich wie die juden Christen im Gartten raufften, im das hor uß zerissen, in mit iren helsthen klemern syn angesicht, also das im das blutt an allen ortten heruß drang.“67
Dabei hätten die Konventsbrüder Georg auf das Wüsteste beschimpft. Nur die anderen lutherisch gesinnten Mönche hätten verhindert, dass man ihn umbrachte. Der Anblick des Geschlagenen „solt ein steins hertz erwicht haben.“68 Georg wurde anschließend in den Kerker geworfen, es gelang ihm jedoch wenig später, zu fliehen und das Kloster zu verlassen.69 Ähnlich wie Murner und Treger war Georg also bereit, erhebliche Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen, um seine neugläubige Identität offen zu legen und zu verteidigen. Verbunden mit der konfessionellen Identität war in Georgs Fall aber auch soziale Kritik. Noch auf dem Weg in den Kerker soll er dem Komtur zugerufen haben: „Qui confidunt in divitiis, corruent.“70 Der Berichterstatter, der mit Georg sympathisierte, fügte hinzu, der Komtur beute die Bauern und Zinsleute des Klosters aus und betrü64
Vgl. AMS II, 53/17. Georgs Nachname ist leider nicht bekannt. AMS II, 53/17, fol. 2r. 66 AMS II, 53/17, fol. 2r. 67 AMS II, 53/17, fol. 3v. 68 AMS II, 53/17, fol. 3v. 69 AMS II, 53/17, fol. 4v. 70 AMS II, 53/17, fol. 3v, vgl. Sprüche, 11, 28. 65
9.1 Identitäten zwischen Konfession, Geschlecht und Stand
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ge sie sogar, indem er keine Quittungen ausstelle und dann die Gülte zweimal fordere.71 9.1.3 Geschlechtsidentitäten Wie bereits dargestellt, ist die Geschlechtsidentität nur eine von vielen Teilidentitäten, die von anderen Teilidentitäten dominiert werden kann. So wurde in der Gender-Forschung schon darauf hingewiesen, dass unter Umständen ein Mann und eine Frau der gleichen ethnischen Zugehörigkeit ähnlichere Identitätskonzepte haben können als etwa zwei Frauen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit.72 Teilweise trifft dies auch auf mittelalterliche Mönche und Nonnen zu. Die Identität von männlichen und weiblichen Religiosen konnte ähnlicher sein als die von Männern und Frauen aus anderen Lebensbereichen. Wenn auch die Rechte an herrschaftlicher und wirtschaftlicher Souveränität im Einzelnen abwichen, wenn auch die Regeln für das Leben geistlicher Frauen nach geschlechtsspezifischen Vorstellungen angepasst wurden, so hatten sie doch unter einander größere Ähnlichkeit in der Lebensführung als im Vergleich zu nicht geistlichen Menschen derselben Epoche.73 Ebenso waren Mönche und Nonnen gleichermaßen vom Wandel der Geschlechterbilder betroffen, der sich im Zuge von Humanismus und Reformation im 16. Jahrhundert vollzog.74 Während allerdings der Einfluss dieses Wandels auf die Identität von Nonnen bereits mehrfach untersucht wurde, sind Arbeiten zu den Geschlechtsidentitäten von Mönchen rar gesät.75 Auch die Quellenbasis ist dünn.76 Aus Straßburg sind verhältnismä71
AMS II, 53/17, fol. 4v. Vgl. Griesebner: Geschlecht als mehrfach relationale Kategorie, S. 134. 73 Vgl. auch Hergemöller: Masculus et Femina, S. 35. 74 Vgl. Kapitel 4.2. 75 Robert N. Swanson sieht die Identität von mittelalterlichen Mönchen als einen „state of gender limbo“. Er reduziert die Geschlechtsidentität der Mönche einzig auf den Konflikt zwischen sozial erwünschtem sexuellen Begehren und zölibatärer Lebensweise. Diese Sichtweise scheint mir wenig überzeugend, vgl. Swanson: Angels Incarnate, S. 160ff., hier S. 174. Die bereits zitierte Untersuchung von Holbach zu Säkularkanonikern bietet wichtige Anhaltspunkte, ist aber nicht ohne Einschränkungen auf das Mönchtum übertragbar, vgl. Holbach: Identitäten von Säkularkanonikern, S. 19ff. Weitere Untersuchungen zu den Identitäten von Mönchen im Spätmittelalter beziehen sich in erster Linie auf die Ordenskultur, weniger auf die Ich-Identität der Religiosen, vgl. Haude: The Silent Monks Speak Up und Sarnowsky: Identität und Selbstgefühl der geistlichen Ritterorden. 76 Ein umfangreicher wissenschaftlicher Diskurs über die Stellung der Frau wurde bereits seit ca. 1400 geführt. Die ausgetauschten Schriften über den Charakter der Frauen und die Geschlechterordnung werden häufig unter dem Begriff Querelle des Femmes subsummiert. Hier soll allerdings die Frage nach der individuellen Geschlechtsidentität im Vordergrund stehen. Vgl. zur Querelle zuletzt Engel/Hassauer/Rang/Wunder: Querelle des Femmes. 72
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
ßig viele Quellen überliefert, die Anhaltspunkte für die Geschlechtsidentität von Nonnen liefern und in denen Unterschiede zwischen den Geschlechtern sogar explizit thematisiert werden. Für Mönche finden sich hingegen kaum Hinweise. Die möglichen Ursachen sind vielfältig. Der Hauptgrund ist sicherlich der durch das größere Interesse des Rates am Innenleben der Frauenklöster bedingte Materialüberschuss an Selbstzeugnissen von Frauen. Denkbar ist aber auch, dass „Männlichkeit“ selbstverständlicher war als „Weiblichkeit“ oder dass der Verteidigungsdruck für die Mönche geringer war, da männliche Stereotype, auch die neu erwachsenden, insgesamt positiver konnotiert waren. Diese Hypothesen bleiben allerdings Spekulation. Einen der wenigen Einblicke in die Identitätskrisen von Mönchen, die die sich wandelnden Geschlechterbilder hervorriefen, bietet das eingangs bereits zitierte Bittschreiben der Dominikaner an den Rat. Ein Teil des mit dem Prior zerstrittenen Konvents wandte sich 1524 an den Rat und bat, sie aus dem Kloster zu befreien.77 In ihrem Schreiben blicken die sechs Unterzeichner mit großer Bitterkeit auf ihr bisheriges Leben zurück, „alß wier in einer hohen gottsdienst uber ander leut lebten und die zytt han unser leben verschlissen, daß wier zu wytter lere, handtwercken, arbeiten und allen gerwerben versumet, unnytz und undethlich worden sin.“78
Hier scheinen die neuen Männlichkeitsideale durch, die von den Reformern geprägt worden waren. Die vita contemplativa verlor als Ideal für Männer an Wert. Während für Frauen Ehe und Reproduktion propagiert wurden, galten für Männer Fleiß und Arbeit als neue Leittugenden.79 Die Mönche, die offenbar mit Luthers Schriften vertraut waren,80 übernahmen diese Ideale, ohne sich in der Lage zu sehen, sie zu verwirklichen, da sie,
77
Vgl. AMS II, 61/7, Nr. 1 Auch diese Supplik ist quellenkritisch problematisch. Zahlreiche Suppliken mit ähnlichem Anliegen verfolgten die Strategie, Mitleid zu erregen, um das Gewünschte zu erreichen. In der Regel handelt es sich dabei in späterer Zeit um Pensionsforderungen der Mönche. Regelrecht berüchtigt war etwa der ehemalige Kartäuser Hans Kalb, der mehrfach um Erhöhung seiner Pension bat und praktisch jedes Mal ein neues Leiden vorzuweisen hatte, vgl. AMS AST 36/5, fol. 6v, 7r, 8r, 13r, 14v, 15r, 16v, 17v, 17r, 23v. Die Supplik der Dominikaner allerdings wurde in der Frühphase der Straßburger Reformation gestellt, als der Rat die Praxis, den Mönchen Pensionen zu zahlen noch nicht entwickelt hatte. Auch der emotionale Ton lässt auf einen authentischen Kern der Selbstaussage schließen. 78 AMS II, 61/7, Nr. 1. 79 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 4. 80 So bezeichnen die Mönche etwa ihr Kloster als „gefengnis“, womöglich in Anlehnung an Luthers Wort vom Kloster als „gefengnis menschlicher tyranney“, vgl. dazu auch ausführlicher Kapitel 4.1.
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wie sie schreiben, ihr Leben bereits „verschlissen“ haben.81 Auch die Vorstellung, „uber“ anderen Leuten zu stehen, ließ sich nach Luthers Ablehnung der Geistlichkeit als eigenem Stand nicht mehr aufrecht erhalten. Hatten sich die Mönche als Elite innerhalb der Kirche verstanden, waren sie nach reformatorischem Verständnis nun Gleiche unter Gleichen.82 Dieser eindeutige Bruch der geschlechtlichen Identität und damit der biographischen Kohärenz der Mönche kommt im bitteren Unterton der Supplik zum Ausdruck. Auch die Suppliken von Nonnen an den Rat sind in dieser Hinsicht interessant. Problematisch sind die vielfältigen Spiegelungen von Verhalten und Erwartungen, die charakteristisch für diese Quellengattung sind. Selbstdarstellungen werden hier zumeist instrumentell eingesetzt, mit Blick auf den erwünschten Erfolg der jeweiligen Bitte an den Rat. Gerade die Spiegelung der Erwartungshaltung des Rates kann aber im Kontext der Rekonstruktion von Geschlechterbildern interessant sein. Ins Auge stechen in den Suppliken der Nonnen zunächst die zahlreichen typischen „Bescheidenheits- und Unterwerfungstopoi“.83 Die Nonnen bezeichnen sich selbst als „arme betrübte verlossene kinder“, als „arme werlose closter frauwen“ und auch als „arme unverstendige frauwen personen“.84 Es finden sich zahlreiche Beispiele für einen instrumentellen und beinahe ironischen Umgang mit diesem Stereotyp.85 1537 wurden die Nonnen von St. Nikolaus vom Stadtrat ermahnt, weil sie drei junge Mädchen aufgenommen hatten. Darauf antworteten die Nonnen, sie hätten diese nicht aus „frevele ungehorsamkeit“ aufgenommen, sondern das Vergehen sei allein auf ihren „wyblichen unverstand“ zurückzuführen. Man habe nicht verstanden, dass der Rat mit dem Verbot nicht nur Novizinnen, sondern auch Kinder und Schülerinnen gemeint habe.86 Dass die Nonnen die Modalitäten tatsächlich nicht kannten, scheint unwahrscheinlich. Ihren „unverstand“ schürzten die Sanktimonialen offensichtlich nur vor und adaptieren die von ihnen vermutete Fremdwahrnehmung des Rates. Für diese Taktik finden sich zahlreiche weitere Beispiele. 81
Von zweien der unterzeichnenden Mönche ließ sich das ungefähre Alter ermitteln. Thomas Schwein ist 1523 etwa fünfzig, Thomas Bremer vermutlich etwas über dreißig Jahre alt. 82 Vgl. zum Selbstverständnis der Mönche als „Kerntruppe der auf Erden streitenden Kirche“ Burger: Leben als Mönch, S. 17ff. 83 Eva Kormann beschäftigt sich mit dieser strategischen Selbstverkleinerung in autobiographischen Zeugnissen aus der Zeit des Dreißigjähriges Krieges, vgl. Kormann: Selbstvergewisserung, S. 59ff, Begriff S. 72. 84 ADBR G 1692/6; ADBR H 3061; AMS II, 57/15. 85 Das stellt auch Leonard fest, vgl. Leonard: Nail in the Wall, S. 97. 86 AMS II, 41–42a/6.
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
Im selben Jahr wurden die Reuerinnen vom Rat ermahnt, weil sie auf Latein gesungen hatten. Darauf antworteten die Frauen, sie hätten nur versucht, ob sie noch singen könnten. Sie hätten auf Latein gesungen, denn sie seien „nun zu alt in teutsch zu singen zu lernen“.87 Auch die Nonnen von St. Margaretha bedienten sich dieser Taktik. Als sie 1545 vom Rat aufgefordert wurden, ihr Kloster aufzugeben, antworteten sie, sie könnten ohne Einwilligung ihrer Oberen ihren Glauben nicht ändern und baten den Rat, sie als „arme, disser sachen [der Glaubenssachen] unverstendige frauwen personen“ im Kloster ihr Leben beschließen zu lassen.88 Ähnliche Strategien sind auch aus Klöstern außerhalb Straßburgs überliefert. Besonders deutlich wird das Vorgehen der Nonnen in einer Episode aus dem Jahr 1524, die die Priorin Wiborada Fluri in ihrer tagebuchartigen Chronik der Franziskanerterziarinnen von St. Gallen schildert: „Darnach am Samstag nach Sant Valentines tag do schick man unß ain ratsknecht, der bot uns uf an mentag fur rat und solten unser husbrief und gestiftbrief mit uns bringen. Also giengent unser zwo Schwöstern. Do fraget uns der burgermeister, wo wir die brief heten. Do saiten wir, wir habent nit verstanden, ob wir zinsbrief oder was brief wir nehmen solten. Wir wolten hören, was si unser wolten.“89
Dies sind zunächst nur amüsante Anekdoten, die gut zum Bild der renitenten Nonne passen, wie es auch aus Beschwerden verzweifelter Prädikanten in Straßburg und andernorts bekannt ist und wie es, wie bereits gezeigt, von der monastischen Chronistik gezielt kreiert wurde.90 Deutlich wird aber dennoch, dass die Nonnen sich bestimmter Gender-Stereotype ihrer Zeit bewusst waren und sie, etwa in ihren Suppliken, instrumentalisierten. Doch wie sahen die Nonnen sich selbst? Hinweise gibt ein Bericht über die Reformation im Bistum Halberstadt, der aus St. Nikolaus überliefert ist. Der nicht genau datierte Bericht ist von der Hand der Priorin Susanna Brünnin geschrieben und entstand wahrscheinlich kurz bevor der Konvent 1592 mit dem Kloster St. Margaretha
87
AMS AST 35/10, fol. 12r. AMS II, 57/15. 89 Fluri: Bericht über das Frauenkloster St. Leonhard, S. 22. 90 Vgl. etwa die Beschwerde des Prädikanten Johannes Lenglin beim Straßburger Rat, AMS II, 41–42a/7. Sein Schicksal teilte z.B. Johann Geyling, der auf Befehl Ulrichs von Württemberg im Kloster Lichtenstern predigen sollte. 1538 bat er seinen Landesherren um Schützenhilfe. Die Nonnen seien „nach aller getoner predig halstarrig blieben“. Daher richtete er an den Fürsten „mein ganz unterdenig bitt, dieselbeigen [den Befehl] wollen ir der eptissin sampt ganzem convent noch einmal schreiben, damit die halsstarrigen erfaren, das alle freuntliche ermanung, die e.g. amptman an sie getan, und mein getrew arbait aus e.f.g. bevelch und nit, wie sie es sampt iren trostern deuten, aus unserm aigen fürnemen geschehn sei.“ Das Schreiben ist gedruckt in Rauscher: Aus dem Lande von Brenz und Beugel, hier S. 82 und 83. 88
9.1 Identitäten zwischen Konfession, Geschlecht und Stand
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zusammen gelegt wurde.91 Darin wird berichtet von der Standhaftigkeit und Klugheit der Halberstädter Nonnen im Widerstand gegen den 1591 konvertierten Halberstädter Bischof Heinrich Julius. Eine Episode berichtet von einer Disputation zwischen einer Zisterzienserin aus dem Kloster St. Jakob und dem visitierenden Kanzler des Administrators um die Frage, ob Maria eine Sünderin sei. Die Nonne, so der Bericht, gewann die Disputation mit dem Argument, wenn Maria eine Sünderin sei, hätte sie ja auch sündiges Fleisch an Jesus weitergegeben und der könne dann nicht der Erlöser sein. Der Kanzler habe sich daraufhin geschlagen geben müssen und Gott um ein Zeichen angerufen, falls er wirklich Unrecht habe. Unter den Amenrufen der Nonnen sandte Gott tatsächlich ein Zeichen.92 Eine andere Disputation, von der berichtet wird, führte die Äbtissin Magdalena von Werden aus dem Kloster Herdersleben in lateinischer Sprache.93 Wie auch in der Chronik von St. Margaretha wird hier das Bild der wehrhaften Nonne evoziert und den Nonnen des Klosters St. Nikolaus als Leitbild vorgehalten. Neben konfessionellen Elementen werden aber auch geschlechterspezifische Elemente dieser Identitätskonstruktion deutlich. Interessant ist vor allem das Ende des Berichts. Dort heißt es: „Dem noch aber der furst [Heinrich Julius] solche stantthaftigkeit der closterfrauwen fernomen, soll er gesagt haben, myne nonen halten sich beßer als myne pfaffen und also haben diße jungfrawen manlich den ersten kezer sturm und anlauff wyderstand gethon.“ 94
91
Der Bericht findet sich unter der Signatur AMS II, 39/7. Die Hand stimmt überein mit der Schrift der eigenhändigen Urfehde der Susanna Brünnin, vgl. AMS II, 39/59, Nr. 8. Auch ein Archivarsvermerk ordnet den Bericht Susanna Brünnin zu. Woher Susanna ihre Informationen bezog, ist unklar. Ähnlichkeiten hat der aus Straßburg überlieferte Text mit einem Bericht des Mainzer erzbischöflichen Kommissars in Heiligenstadt, Buntte. Der Bericht war vom Mainzer Erzbischof Wolfgang von Dahlberg in Auftrag gegeben worden, der sich als zuständiger Metropolit um die Situation in Halberstadt sorgte, wo sein Suffraganbischof Heinrich Julius 1591 durch seine Eheschließung den Übergang zum Protestantismus herbeigeführt hatte. Der Bericht des Mainzer Kommissars ist ausführlich besprochen bei Brück: Reformationsgeschichte des Bistums Halberstadt, S. 25f. Nach Angaben von Brück befindet er sich in den Reichsreligionssachen des Mainzer Erzkanzlerarchivs im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv im Faszikel 7, „acta Halberstatt et mutatam religionem ibidem concernentia“, fol. 139f. 92 Welche Form dieses Zeichen genau hatte, wird nicht näher ausgeführt, vgl. AMS II, 39/7, fol. 3r. 93 Vgl. AMS II, 39/7, fol. 2v. 94 AMS II 39/7, fol. 4v. Das Zitat wurde schon mehrfach aufgegriffen, etwa von Schrader: Ringen, Untergang und Überleben, S. 50 und Brück: Reformationsgeschichte des Bistums Halberstadt, S. 25. Zuletzt hat Merry E. Wiesner diese und ähnliche Quellenstellen gesammelt, die sie als Beleg für die aktive Haltung der Frauen gegenüber der Reformation anführt. Allerdings gibt Wiesner die Urheber der jeweiligen Zitate nicht korrekt wieder, vgl. Wiesner: Reformation of the Women, S. 193ff., besonders S. 198.
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
Dieser Schlusssatz zeigt, dass die Nonnen von St. Nikolaus durchaus in der Kategorie „Gender“ dachten.95 Das Phänomen, dass Frauenklöster stärker als Männerklöster Widerstand leisteten, das auch von der Forschung konstatiert worden ist, war den Nonnen offenbar bewusst. Darüber hinaus scheinen sie diese Tatsache als Umkehrung geschlechterspezifischer Stereotype verstanden zu haben. Dass Frauenklöster sich widerstandsfähiger zeigten, musste ihnen als Widerlegung der These von der infirmitas der Frauen im Glauben erscheinen. Nicht Männer, sondern Frauen standen fest im „kezer sturm“. Nicht ohne Stolz beriefen sie sich dabei auf die Würdigung durch die – wenn auch durch die Konversion geminderte – bischöfliche Autorität. Ein gewisses Bewusstsein für geschlechterspezifische Stereotype und eine kritische Auseinandersetzung mit denselben ist kein Straßburger Spezifikum. Wiederum ist es Caritas Pirckheimer, bei der sich verdeutlicht findet, was die Straßburger Quellen lediglich andeuten. Auch in der von Caritas Pirckheimer geprägten Oratio apologetica (1529) wird auf das Thema der größeren Standhaftigkeit der Nonnen gegen die Reformation Bezug genommen. Die Gegner der Nonnen ärgere es, das schwächere Geschlecht den Männern in dieser Frage überlegen zu sehen: „Sed et illud praecipue eos cruciat, quod vident sexum infirmiorem longe viris tam praestantibus esse fortiorem, stabiliorem, continentiorem.“96 Gleichzeitig erkennt der Bericht aus St. Nikolaus über die Reformation in Halberstadt bestimmte Attribute, die die Nonnen charakterisieren – Kampfgeist, Beständigkeit, Klugheit, Gelehrtheit – als typischerweise männlich an. In den dem Bischof in den Mund gelegten Worten werden die Frauen als „manlich“ bezeichnet. Die Sanktimonialen schrieben sich diese Ideale zu, erkennen aber, dass sie nicht mit den weiblichen Stereotypen der sie umgebenden Welt in Einklang waren. Wiederum ist es Caritas Pirckheimer, die diese Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung noch einmal deutlicher formuliert. In einem Brief an Conrad Celtis teilte sie ihm ihre Freude über seine Entdeckung und Edition der Schriften der 95
Dieser Befund steht im Kontrast zu dem, was Caroline Walker Bynum in einer vergleichenden Studie zu männlichen und weiblichen religiösen Autoren des späten Mittelalters feststellt. Laut Walker Bynum bedienten sich Frauen einer weniger geschlechtsspezifisch aufgeladenen Sprache, während männliche Autoren ein dezidiert dichotomisches Bild vertraten, in dem Männern die üblichen Charakteristika Macht und Rationaltiät und Frauen die nicht weniger stereotypen Merkmale Schwäche, Begierde und mangelnder Verstand zugeschrieben werden, vgl. Walker Bynum: Female Imagery, S. 257ff. 96 Die Oratio ist vermutlich stark von Caritas Pirckheimer selbst geprägt worden, wenn auch ihr Bruder Willibald Pirckheimer, der sich für den Erhalt des Klosters einsetzte, als Autor zeichnet und wohl auch starken Einfluss auf die Form genommen hat, vgl. dazu die Einleitung von Pfanner: Briefe, S. 236, Textzitat S. 297. Vgl. zur Beziehung zwischen Wilibald und seinen Schwestern im Kloster auch Knackmuß: Geschwisterbeziehungen.
9.1 Identitäten zwischen Konfession, Geschlecht und Stand
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frühmittelalterlichen Dichterin Hrotsvit mit und rechnete gleichzeitig ab mit der Abschätzigkeit, die weiblichen Werken von Seiten der hohen Gelehrten normalerweise entgegengebracht werde: „Plane non possum non fateri fecisse vos contra consuetudinem multorum eruditorum vel forte potius superborum, qui abusive nituntur omnia verba, facta ac ditamina mulierum in tantum parvipendere, quasi uterque sexus non unum haberet conditorem, redemptorem ac salvatorem, non animadvertentes manum summi artificis adhuc non esse abbreviatam.“97
Die in diesen Schriften offensichtlich werdende Differenz zwischen ihrer „Selbigkeit“ und der Welt überbrückten die Nonnen offenbar mit identitätsfördernden Maßnahmen und mit feinem Spott, den man hinter den „Unterwerfungstopoi“ ihrer Korrespondenz mit dem Rat vermuten könnte.98 9.1.4 Standesidentität Mit der Einführung der Reformation, der Unterstellung aller Klöster unter den städtischen Schutz und Schirm und der Eingliederung in das städtische Abgabensystem hatte der Rat den Standesunterschied zwischen Geistlichkeit und Laien endgültig nivelliert. Aus den Identitäten der Mönche und Nonnen allerdings ließ sich das Standesbewusstsein nicht per Verordnung tilgen. Die mentale Abgrenzung zum Laienstand dauerte an. Dies zeigt sich zunächst im Zuge der Bemühungen des Rates, die Klosterangehörigen zur Unterzeichnung von Schirmverträgen zu bewegen. Nikolaus von Bläsheim, Prior der Dominikaner, war einer derjenigen, die sich 1524 zunächst weigerten, den städtischen Schirm anzunehmen. Es gehe nicht an, so Bläsheim, „zwischen der geistlichkeit in Straßburg und dem leyenvolck ordnung oder satzung zu machen“, die Mönche hätten einem höheren Gehorsam zu folgen, nämlich dem klösterlichen.99 Als Begründung fügt er an, mit der Unterstellung unter die städtische Obrigkeit würden „die schuldig obedientz und gehorsam der ergeben ordensleut dadurch benomen und den sunder der ungehorsamkeit stat gegeben.“100 In Protestschreiben an das kaiserliche Regiment berief sich Bläsheim auf die Autonomie des geistlichen Standes und prangerte die Machenschaften des Rates an.101 Auch der Franziskaner Thomas Murner bestand auf den Standesunterschied, wie Bläsheim als einziger in seinem Konvent. Die übrigen Fran-
97
Pfanner: Briefe, S. 101. Ob das Geschlechter-Bewusstsein der Nonnen so weit ging, dass sie sich der vermeintlich größeren Machtfülle religioser Frauen bewusst waren und deshalb das Leben im Kloster dem Leben in der Ehe vorzogen, wie Leonard vermutet, ist allerdings fraglich, vgl. Leonard: Nails in the Wall, S. 83. 99 Vgl. AMS II, 5/5, Nr. 1, fol. 58v. 100 AMS II, 5/5, Nr. 1, fol. 58v. 101 Vgl. AMS II, 5/5, Nr. 2. 98
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
ziskaner berichteten dem Rat, Murner habe gesagt, „seyen consienz vermog nit, das er sich welttlicher oberkeyt under wirfflich mach [...].“102 Nicht weniger als die Mönche betonten auch die Nonnen weiterhin ihren Stand. Aufgefordert, ihr Kloster zu verlassen, antworteten etwa die Nonnen von St. Margaretha 1545 dem Rat, sie seien „geistliche personen [...] [die] nit allein unsrer Religion halb verpflicht, sondern auch verglüpt sin dem closter, one verwiss unsers oberers nichts zubegeben, zuendern oder geding zulassen.“103 Noch 1592, als die Frauen von St. Nikolaus aus ihrem Kloster gezwungen werden, empören sie sich über den schlechten Umgang mit ihnen, den „geistlichen Jungfrauen“.104 Äußeres Symbol der Zugehörigkeit zum geistlichen Stand ebenso wie Ausdruck der religiösen Identität war der Habit. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es im 16. Jahrhundert häufig im Zentrum der Konflikte stand. Es wurde sowohl von den Religiosen als auch vom Rat als Symbol wahrgenommen, mit dem Identitätspolitik betrieben werden konnte.105 Konvertierte Mönche baten in der Frühzeit der Reformation den Rat häufig darum, die Messe besuchen zu dürfen und „ire cleydung abzuthun“, wie etwa eine Gruppe von Straßburger Kartäusern 1525.106 Schon vier Jahre zuvor hatte Otto Brunfels versucht, vom Tragen des Habits dispensiert zu werden.107 Andersherum trugen die Nonnen noch bis zum Ende des Jahrhunderts weiterhin ihre geistliche Kleidung als Ausdruck ihrer Konfessions- und Standeszugehörigkeit. Der Rat versuchte mehrfach, dem entgegenzuwirken. Ein Kompromissvorschlag an die Nonnen von St. Margaretha und St. Magdalena 1525 lautete, dass die Nonnen weiter im Kloster leben dürften, so sie denn bereit seien, dies „on ir habit kutten [...], in ersamen weltlichen cleydern“ zu tun.108 Diese Forderung konnte der Rat aber offensichtlich nicht aufrecht erhalten und stellte es wenige Wochen später den Frauen frei, ob sie ihren Habit weiter tragen wollten oder nicht.109 1545 forderte der Rat die Nonnen von St. Nikolaus wiederum auf, weltliche Kleidung zu tragen, stieß jedoch auch hier auf Widerstand. Die Nonnen gaben an, sie hätten „kein lust zur andern erbar cleidung“.110 Auch die erneute Verordnung 1585, „keine sondere“ Kleidung zu tragen schlug offensichtlich fehl: 102
AMS II, 21/21, S. 1. AMS II, 57/15, fol. 2v. 104 ADBR H 3061, fol. 16v. 105 So auch das Urteil von Steinke in Bezug auf das Nürnberger Katharinenkloster, vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 68f. 106 AMS AST 36/5, fol. 5v. 107 Vgl. Brunfels: Brief an Jakob Spiegel, S. 491. 108 Vgl. AMS AST, 35/9, fol. 4v f., hier fol. 4r und AMS AST 35/11, fol. 4r f. 109 Vgl. AMS AST, 35/11, fol. 6r. 110 AMS II, 41–42a/5, fol. 3v. 103
9.2 „Clash“ der Kulturen
271
Bei der Zusammenlegung der Dominikanerinnenklöster 1592 trugen die Nonnen von St. Nikolaus noch ihren Habit.111 Die Zugehörigkeit zum geistlichen Stand hatte demnach wohl noch einen festen Platz im kollektiven Bewusstsein der Gemeinschaften. Wie bedeutsam dieser Aspekt allerdings tatsächlich für die Identität der einzelnen Religiosen war, bleibt unklar. Das Argument der privilegierten Standeszugehörigkeit wurde häufig auch instrumentell gebraucht – etwa zur Wahrung des Besitzstandes.
9.2 „Clash“ der Kulturen. Überlegungen zum Zusammenhang von Frömmigkeitspraxis und Konversionsverweigerung am Beispiel der Frauenklöster St. Nikolaus und St. Margaretha 9.2 „Clash“ der Kulturen
Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt, durchbrachen die zahlreichen Veränderungen des 16. Jahrhunderts die Kontinuität der Identitäten von Nonnen und Mönchen und verlangten von vielen Religiosen eine Reformulierung ihrer Ich-Identität. Dabei waren eine Verweigerungshaltung und eine bewusste Abgrenzung gegen Angebote neuer sozialer Identitäten nicht selten. Nonnen, so scheint es, verweigerten sich der Neudefinition, die mit der Aufgabe ihrer Lebensweise verbunden war, häufiger als Männer. Die Frage nach den Ursachen dieses stärkeren Widerstands hat, wie im ersten Teil bereits deutlich wurde, auch eine sozialgeschichtliche Antwort. Die Erklärung scheint allerdings noch nicht ausreichend. Erste Ansätze für eine über soziale Faktoren hinausführende religionsgeschichtliche Erklärung hat Barbara Steinke mit ihrer Arbeit zum Nürnberger Katharinenkloster geliefert. Sie ist vor allem der Frage nachgegangen, inwieweit der theologische Kern der dominikanischen Observanz den Widerstand der Nonnen erklären könnte.112 Im Folgenden soll in diesem Kontext ein weiterer Aspekt untersucht werden: Die spezifische Frömmigkeitspraxis der Frauenklöster. Aufgrund der günstigen Quellenlage werden dabei die Dominikanerinnen von St. Margaretha und St. Nikolaus im Zentrum der Untersuchung stehen.113
111
Vgl. die Klosterordnung von 1585, AMS II, 41–42b/2, Nr. 17, S. 102 und ADBR H 3061. 112 Vgl. Steinke: Paradiesgarten, zusammenfassend S. 315ff. Denselben Zusammenhang postuliert auch Mager: Gewissen gegen Gewissen, S. 158ff. 113 Spätestens mit dem Katalog zur Ausstellung Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern, die 2005 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn und im Ruhrlandmuseum in Essen gezeigt wurde, kann die Vorstellungswelt mittelalterlicher Frauenklöster als gut erforscht gelten. Vgl. zu den
272
9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
Im Zuge der Reformation erfuhr auch die Frömmigkeitspraxis einen tief greifenden Wandel. Einer der ersten, der diesem Phänomen einen Namen gab, war Max Weber, der das Wort von der „Entzauberung der Welt“ prägte. Die Idee, dass eine nüchterner gewordene Religiosität ohne die dem Katholizismus innewohnenden, „magischen Tendenzen“ die Welt „entzaubert“ habe, geht zurück auf die zweite, überarbeitete Fassung von Max Webers bekannter, 1904/05 erstmals veröffentlichter Schrift „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“.114 Webers Gedanke lässt sich folgendermaßen skizzieren: Durch den Protestantismus, besonders in seiner calvinistischen Spielart, sei jeder Art ökonomisch-magischer Frömmigkeit als Mittel zum Heilserwerb die Grundlage entzogen worden. Damit einher gegangen sei eine allgemeine Diskreditierung des Heiligen ebenso wie des Aberglaubens. Dies habe letztlich zu jenem „illusionslosen und pessimistisch gefärbten Individualismus“ geführt, der nach Weber eine der Grundlagen der protestantischen Arbeitsethik und des Kapitalismus bildet.115 Weber sah dabei die Entsakralisierung der Welt nicht nur als Werk des Protestantismus, sondern als universalgeschichtlichen Fundamentalprozess, wenn er auch dem Bruch mit dem Katholizismus im 16. Jahrhundert eine erhebliche Bedeutung in diesem Prozess einräumte: „Dies: der absolute (im Luthertum noch keineswegs in allen Konsequenzen vollzogene) Fortfall kirchlich-sakramentalen Heils [im Puritanismus], war gegenüber dem Katholizismus das absolut Entscheidende. Jener große religionsgeschichtliche Prozeß der Entzauberung der Welt, welcher mit der altjüdischen Prophetie einsetzte und im Verein mit dem hellenisti-
grundsätzlichen Problematiken, die sich bei der Rekonstruktion weiblicher Frömmigkeit ergeben und einen sehr knappen Überblick über die damit verknüpften Forschungsdebatten Walker Bynum: Weibliche Frömmigkeit, S. 120f. Vgl. auch den von Sigrid Schmitt herausgebenen Band Frauen und Kirche, der das Phänomen weiblichen Religiosentums vom Frühmittelalter bis in das 19. Jahrhundert beleuchtet. Die Klöster St. Nikolaus und St. Margaretha bieten sich wegen ihrer überaus guten Überlieferung an. Aus St. Nikolaus ist etwa ein Korpus von Predigthandschriften überliefert, vgl. dazu Rüther/Schiewer: Predigthandschriften. 114 Vgl. zu den prägnanten Unterschieden der beiden Ausgaben Lichtblau/Weiß: Einleitung, zur „Entzauberung“ besonders S. XXIIIf. Lichtblau und Weiß betonen, dass Webers ursprüngliches Paradigma der Entstehung des Kapitalismus ohne die These von der „Entzauberung der Welt“ auskam und dass Weber dieses Element wohl erst im Zuge der Entwicklung religionssoziologischer Erwägungen in späteren Ausgaben ergänzte. Vgl. für die ursprüngliche Fassung von 1904/1905 die textkritische Ausgabe von Lichtblau/Weiß. Vgl. für die um die genannte These ergänzte Fassung die Ausgabe der „Protestantischen Ethik“ in den Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie, Bd. 1. 115 Vgl. Weber: Protestantische Ethik (1920), hier S. 95. Vgl. dazu auch Walsham: Disenchantment, S. 498ff., die einen Überblick über die Rezeptionsgeschichte für den englischsprachigen Raum gibt.
9.2 „Clash“ der Kulturen
273
schen wissenschaftlichen Denken, alle magischen Mittel der Heilssuche als Aberglaube und Frevel verwarf, fand hier seinen Abschluß .“116
Bis heute hat Webers These ebensoviel Einfluss ausgeübt wie Widerspruch erfahren. Die Kritik richtete sich in jüngerer Zeit zunächst gegen die von Weber entwickelten Schlüsse bezüglich der Modernisierung der Gesellschaft und der Entstehung des Kapitalismus.117 Aber auch die These der Entzauberung an sich ist in zahlreichen Einzelstudien in Frage gestellt worden. Gerade in der englischsprachigen Forschung herrscht inzwischen die Einsicht vor, „that the Reformation did not effect as dramatic or complete a break with the Catholic past as has often been alleged“. Zu Unrecht lasse Weber außerdem die Reformatoren in einem voraufklärerischen Licht erscheinen. Als Beispiele für das Fortleben des Übernatürlichen in der protestantischen Ethik sind etwa der starke Teufelsglaube, der Glaube an göttliche Strafen und Tendenzen zum Personenkult zu nennen.118 Gleichzeitig ist auch die in der These implizierte naive Wundergläubigkeit des mittelalterlichen Menschen angezweifelt worden.119 Einzelstudien haben die Verhandelbarkeit von protestantischem Ideal und aus dem Katholizismus überkommenen Ritualen und Vorstellungen in der Frömmigkeitspraxis sowie die Kreation zahlreicher „Ersatzhandlungen“ nachweisen können. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass bestimmte Elemente der spätmittelalterlichen Frömmigkeit der neuen Lehre weichen mussten. „Protestant theology did in many respects constitute a significant and original assault upon the assumptions that buttressed the medieval economy of the sacred.“120 Im Folgenden soll argumentiert werden, dass vor allem diejenigen Elemente betroffen waren, die den Kern der Spiritualität vieler mittelalterlicher Frauenklöster ausmachten. Die Nüchternheit des lutherischen Kultus, wie sie Weber mit seinem Wort von der „entzauberten Welt“ beschrieben hat, stand gerade zu der sinnlich-körperlichen, magischen, objektbezogenen und emotionalen Frömmigkeitspraxis der spätmittelalterlichen Frauenklöster in scharfem Kontrast und musste daher auch auf besondere Ablehnung von Seiten der Frauen stoßen.121 116
Weber: Protestantische Ethik (1920), S. 94f., Hervorhebungen im Original. Ein besonders im anglophonen Raum einflussreicher Kritiker ist Robert Scribner, vgl. u.a. Magic and the formation of Protestant popular culture und The Reformation, popular magic and the „disenchantment of the world“. 118 Vgl. für einen sehr guten Überblick über jüngere Fallstudien sowie eine überzeugenden Gesamtbewertung Walsham: Disenchantment, S. 505ff., hier S. 500. 119 Vgl. Walker Bynum: Miracles and Marvels, zusammenfassend S. 817. 120 Walsham: Disenchantment, S. 506. Vgl. ebenso Karant-Nunn: Christians’ Mourning, S. 107ff. 121 Vgl. für ähnliche Beobachtungen auch Schmitt: Auflösung, S. 181f. und Roper: Das fromme Haus, S. 206. 117
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
Im Folgenden soll diese These unter besonderer Berücksichtigung der Frömmigkeitspraxis in den Klöstern St. Nikolaus und St. Margaretha genauer untersucht werden. Dazu soll zunächst noch einmal die spezifische Frömmigkeit in Frauenklöstern allgemein und in den genannten Klöstern im Besonderen dargestellt werden. In einem zweiten Schritt wird diese Praxis mit den in Straßburg besonders durch Bucer geprägten neuen Vorstellungen kultischer Praxis kontrastiert. Religiosität und Frömmigkeitspraxis des 15. Jahrhunderts sind inzwischen gut untersucht. Bernd Moeller und andere haben die Merkmale „Intensität“ und „Kirchennähe“ herausgearbeitet. Phänomene wie Wallfahrten und Heiligenverehrung erreichten einen Höhepunkt.122 Ein Charakteristikum der spätmittelalterlichen Religiosität waren auch ihre Körper- und Objektbezogenheit sowie die große Emotionalität in der Frömmigkeitspraxis.123 Eine einheitliche Bewertung der Zeit aus frömmigkeitsgeschichtlicher Perspektive ist dabei allerdings kaum möglich. Dinzelbacher spricht von „einer Fülle von quasi auseinanderlaufenden, auch gegensätzlichen Erscheinungsformen“.124 Beide, Moeller und Dinzelbacher, sehen dabei sowohl Tendenzen zu fast hysterischer Erregung wie auch zu einer schlichten, innerlichen Frömmigkeit. Verbunden seien diese Elemente durch „viel Gefühlstiefe und innere Teilnahme“ gewesen.125 Diese Tendenzen spiegeln sich auch, oder vielleicht gerade, in den Frauenklöstern. Ausgangspunkt der Betrachtung der Frömmigkeitspraxis in spätmittelalterlichen Frauenklöstern muss immer die Klausur sein. Zum einen war die Klausur eng mit der Frage der Observanz verbunden, wie Gisela Muschiol herausgearbeitet hat: „Nur ein strikt klausuriertes Kloster galt als gutes Kloster [...].“ Im Zuge der Reform des 15. Jahrhunderts wurden „klausuriert“ und „reformiert“ häufig gleichgesetzt.126 Zum anderen lassen sich viele der besonderen Züge der Frömmigkeitspraxis in Frauenklöstern aus der klausurierten Lebensweise der Sanktimonialen ableiten.127 Die Reformer des 15. Jahrhunderts beriefen sich bei der Einführung der strengen Form der Klausur in Frauenklöstern auf eine Erneuerung der Bul122
Vgl. Moeller: Frömmigkeit um 1500, S. 75ff.; Dinzelbacher: Handbuch der Religionsgeschichte, S. 48ff.; ebenso Angenendt: Geschichte der Religiosität. Vgl. zu Frömmigkeitsformen des 15. Jahrhunderts auch Signori: Räume, Gesten, Andachtsformen, S. 114ff. 123 Vgl. Karant-Nunn: Christians’ Mourning, S. 109. 124 Dinzelbacher: Handbuch der Religionsgeschichte, S. 48 125 Vgl. Moeller: Frömmigkeit um 1500, S. 75ff., hier 81; Dinzelbacher: Handbuch der Religionsgeschichte, S. 58ff. 126 Gisela Muschiol: „Versorgungsfälle“, S. 13. Vgl. ebenso auch Uffmann: Innen und außen, S. 206. 127 Vgl. Hamburger: The Visual and the Visionary, S. 35ff.
9.2 „Clash“ der Kulturen
275
le Periculoso. In observanten Frauenklöstern war demnach nicht nur der Ausgang der Nonnen untersagt, sondern es wurden auch strengste Vorkehrungen für die passive Klausur getroffen.128 Nur durch mit blickdichtem Stoff verhängte und vergitterte Redefenster und in Anwesenheit weiterer Schwestern durften die Nonnen im Idealfall mit Besuchern Kontakt haben. Auch mit ihren Beichtvätern sollten die Frauen nur durch diese Fenster sprechen. Gegenstände wurden durch die Winde, die ebenfalls keinen Blickkontakt zuließ, ausgetauscht. An der Messe nahmen die Frauen auf einer den Blicken des Priesters und gegebenenfalls der Gemeinde entzogenen Nonnengallerie teil, während diese Chorschranke umgekehrt kaum die Sicht in den Altarraum zuließ.129 Aus der Sicht der männlichen Ordensreformer diente die Klausur vor allem dazu, die unverheirateten Frauen von der Welt fernzuhalten und zu verhindern, dass sie die ihnen unterstellte weibliche Zügellosigkeit auslebten.130 Die Einschließung sollte aber auch dazu dienen, den Sinn für das geistliche Leben durch das Ausblenden jeglicher weltlicher Eindrücke zu schärfen. Die Klausur müsse gehalten werden, schreibt eine Schwester aus St. Gallen, „umm die liebe unsers himelischen gesponsen. Dz wir dester geschickter werdint zu den hailigen wirdigen sacramenten unn des bas behalten mugind die dri (waesilichen) gelübten des wir schuldig sind.“131
Das hier besonders interessierende Straßburger Kloster St. Nikolaus wurde 1431 mit Hilfe von Schwestern aus Colmar und Basel reformiert und war nach Ansicht von Francis Rapp auch im 16. Jahrhundert noch observant.132 Tatsächlich weisen darauf nur spärliche Hinweise in den Quellen hin. So 128
Vgl. zu Periculoso Brundage/Makowski: Enclosure of Nuns, die in Periculoso (1298) einen auch durch neue Genderstereotype bedingten Bruch mit der bisherigen Klausurpraxis sehen. 129 Vgl. Uffmann: Innen und außen, S. 192ff. Vgl. zur Architektur der Klausur besonders Hamburger: The Visual and the Visionary, S. 44ff. Vgl. zur Entwicklung der Nonnenempore und ihrer kultischen Begründung Muschiol: Liturgie und Klausur. Zur Winde vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 45ff. Vgl. für die zahlreichen Ausnahmen und Unregelmäßigkeiten in Bezug auf die Klausur die Beispiele bei Hamburger: The Visual and the Visionary, S. 38ff. 130 Vgl. Uffmann: Innen und außen, S. 192. Vgl. für eine ausführliche Analyse des Blicks der Reformer Johannes Busch und Johannes Meyer auf die Nonnen dies.: Rosengarten, S. 66ff. 131 Chronik des Klosters St. Katharina, St. Gallen, zitiert nach Uffmann: Innen und außen, S. 204. Die Chronik befindet sich im Klosterarchiv von St. Katharina in Will, I, a 87. 132 Vgl. zum Prozess der Reform in Straßburg Schmitt: Geistliche Frauen, S. 267ff. Vgl. auch Meyer: Buch Reform Predigerordens. Zum Zustand der Observanz im 16. Jahrhundert vgl. Rapp: Spiritualität, S. 362 und ders.: Vie religieuse, S. 16.
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erwähnen die Nonnen etwa ihre Winde, die offenbar noch zum Warenaustausch genutzt wurde.133 In St. Margaretha verfolgten die Nonnen die ihnen verordnete Predigt weiterhin von der der Sicht entzogenen Nonnenempore aus.134 Doch schon aufgrund der strengen Aufsicht des Rates über das Sittenleben der Nonnen und der Tatsache, dass Beschwerden über die Verletzung der Klausur fehlen, kann davon ausgegangen werden, dass zumindest die aktive Klausur gehalten wurde und auch im 16. Jahrhundert das Leben der dominikanischen Nonnen in Straßburg arm an äußeren Reizen war. Dieser Mangel ist häufig als eine Ursache dafür genannt worden, warum mystische Tendenzen im 14. und 15. Jahrhundert gerade in Frauenklöstern so verbreitet waren. Ulrike Strasser hat die enge Verknüpfung von Einschließung und brautmystischen Vorstellungen aufgezeigt.135 Die Einschließung bedeutete, sich von der real erfahrbaren Welt abzuwenden, hin zu einer geistig-religiösen Vorstellungswelt. Dieser Akt wurde in vielen männlichen Ordensgemeinschaften in dieser Konsequenz nicht vollzogen und könnte die gerade in Frauenklöstern starke mystische Tendenz erklären. Die Gründe könnten aber auch in den unterschiedlichen Betätigungen von Mönchen und Nonnen liegen. Während Mönche predigten, schrieben oder unterrichteten, war das Gebet die Hauptbeschäftigung der Nonnen. In der Visionsliteratur dominieren daher als einziger mittelalterlicher Literaturgattung die Schriften von Frauen.136 Die Mystik bot den Nonnen einen Zugang zur Gotteserkenntnis ab vom Studium gelehrter theologischer
133
Vgl. AMS II, 6/5. Vgl. AMS AST 135/5. 135 Die Trennung von der biologischen Familie in der Zeremonie der Profess wurde in den Nürnberger Klöstern als „Brauttag“ gefeiert. Die Nonnen imaginierten sich in der Tradition der Brautmystik als Gesponsen Christi, dementsprechend finden sich Elemente der Hochzeitssymbolik im Akt der Einkleidung, etwa das Anstecken eines Rings, vgl. Strasser: Brides of Christ, S. 196f. und Steinke: Paradiesgarten, besonders S. 149ff. und S. 176ff. Zur Sexualisierung des Konzepts Steinke: Paradiesgarten, S. 170f. 136 Vgl. Newman: Visionäre Texte und visuelle Welten, S. 106f. Die Gleichsetzung von weiblicher Frömmigkeit und „primitiver“ Volksfrömmigkeit ist in der jüngeren Forschung kritisch beleuchtet worden. Vor allem wurde gefordert, die negative Bewertung der weiblichen Frömmigkeit aufzugeben, vgl. für ein Plädoyer gegen eine Verabsolutierung dieser Frömmigkeitsformen als die weibliche Frömmigkeit Walker Bynum: Weibliche Frömmigkeit, S. 119ff. Die Debatte um die Bewertung und Besonderheiten weiblicher Frömmigkeit und die Integration religioser Frauen in die Strukturen der Kirche und der Orden im Mittelalter wird dabei nicht ohne Polemik geführt. Vgl. etwa zur Forschungsdebatte um die vermeintliche Frauenfeindlichkeit der Zisterzienser mit einem klaren Plädoyer für sachliche Argumente Felten: Der Zisterzienserorden und die Frauen, besonders S. 122ff. 134
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Schriften, einen intuitiven und affektiven Weg der Frömmigkeit. Emotionen wie Gottesliebe, Christusliebe und Sehnsucht standen im Zentrum.137 In Straßburg wurde die mystische Tradition durch Meister Eckhart begründet, der Anfang des 14. Jahrhunderts im dortigen Dominikanerkonvent lebte und auch Prior war. Eckhart selbst predigte schon in den dominikanischen Frauenklöstern, nach ihm übernahm sein Schüler Johannes Tauler die Seelsorge. Tauler verstarb in St. Nikolaus, wo er seine Schwester besuchte.138 Zwar geht Pfleger davon aus, dass die Zeit der intensiven Mystik in den Frauenklöstern den Tod Taulers im Jahr 1361 nicht lange überdauerte.139 Ein Nachklang der hohen mystischen Phase des 14. Jahrhunderts findet sich aber noch in den Exerzitien, die die Frauen im 15. und auch im 16. Jahrhundert praktizierten. Mystische Erbauungsliteratur war den Nonnen von St. Nikolaus in ihrer Bibliothek überliefert.140 Dass sie diese Schriften im 16. Jahrhundert noch lasen, zeigen wiederum die Bilder, die die Frauen produzierten und die Motive der Braut- und Passionsmystik aufgriffen. Ein Bild aus dem 16. Jahrhundert zeigt etwa eine Schwester, die ihre Lippen auf die Seitenwunde Christi presst, möglicherweise eine Umsetzung von Taulers Aufforderung, in der Seitenwunde Christi Zuflucht zu suchen.141 Auch im Dominikanerinnenkloster St. Margaretha spielte die Mystik zumindest zu Anfang des 16. Jahrhunderts noch eine Rolle. In dieser Zeit sammelte die Nonne Anna Schott (1450–ca. 1525), die Schwester des Straßburger Humanisten Peter Schott d. J., mystische Schriften für ihre Mitschwestern in einem Codex.142 Ebenfalls eng verknüpft mit dem Aspekt der Klausur war die außerordentliche Visualität der Frömmigkeitspraxis in spätmittelalterlichen Frauen137
Vgl. für eine Rekonstruktion anhand der Schriften der Bibliothek des Nürnberger Katharinenklosters Steinke: Paradiesgarten, S. 149ff. In den Kreisen der dominikanischen Klosterreformer war die Mystik, gerade die Brautmystik, wegen ihres emotionalen und teilweise auch erotisierten Tons nicht unumstritten, verbreitet war sie aber dennoch, vgl. Steinke: Paradiesgarten, S. 156ff. 138 Vgl. Rapp: Spiritualität, S. 347; ders.: Prière, S. 207ff. 139 Vgl. Pfleger: Kirchengeschichte, S. 138ff.; ebenso Schmidt, Notice, S. 202ff. und Rapp: Spiritualität, S. 348 und 362. 140 Ein Teil der Gebetbücher und Predigthandschriften des Kloster befindet sich in der Staatsbibliothek zu Berlin. Sie wurden von Rapp, Rüther und Lentes ausgewertet, vgl. Rüther/Schiewer: Predigthandschriften, S. 190f., tabellarische Übersicht über die überlieferten Handschriften S. 192f. Vgl. für eine Analyse auch Rapp: Prière; ders.: Vie religieuse; ders.: Observance et Réformation, S. 50f. und die Dissertation von Thomas Lentes: Gebetbuch und Gebärde. 141 So die Auslegung von Rapp: Vie religieuse, S. 24. Das Bild ist nicht erhalten, aber im Geschenkbuch der Nonnen beschrieben, in dem diese von 1576 bis 1592 alle Präsente, die sie geistlichen und weltlichen Personen machten, vermerkten, vgl. AMS II, 39/20. Thomas Lentes arbeitet nach Angaben von 2004 an einer Edition des Geschenkbuches. 142 Vgl. zum Codex Schlechter: Deutsche mystische Handschrift, S. 462ff.
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klöstern. Bilder hatten in den Frauenklöstern eine im Vergleich zur Gesamtgesellschaft noch gesteigerte Bedeutung, die Jeffrey Hamburger und Robert Suckale sogar als „disproportional“ bezeichnen.143 Den Grund dafür sehen die Autoren darin, dass die Frauen einen „Ausgleich für das Entbehren von Dingen, Personen und Räumen durch die Begrenzung der Klausur“ suchten. „Bildwerke ermöglichten den Nonnen, auf eine Pilgerschaft im Geiste zu gehen, ohne je einen Fuß vor die Klostermauern zu setzen.“144 Bildliche Darstellungen regten zu Visionen an, die die Nonnen aus der ansonsten extrem nach innen ausgerichteten, kontemplativen Welt herausführen konnten.145 Das Betrachten von Bildern diente als eine Art „gymnastique cultuelle“.146 Dabei zielten die Bilder auch auf die Erzeugung von Emotionalität und physischen Reaktionen wie Abscheu, Schmerz oder Mitgefühl, wie beispielsweise Darstellungen des gekreuzigten, blutüberströmten Christus oder Darstellungen von Märtyrern mit den Instrumenten ihrer Folter.147 Bilder konnten Heilige aber nicht nur darstellen. In der mittelalterlichen Vorstellung waren sie in Darstellungen ebenso präsent wie sie es in Reliquien waren. Auch zwischen Bildern und der Heiligenverehrung, die in Frauenklöstern ebenfalls eine im Vergleich zu Männerklöstern gesteigerte Rolle spielte, besteht also eine enge Verknüpfung.148 Von den Heiligen und ihrer bildlichen Präsenz erwartete man Hilfe und Unterstützung, sie fungierten als Mittler und Fürsprecher zwischen den Konventualen, der himmlischen Sphäre und Gott und sollten vor Gefahren wie Krieg, Epidemien oder Naturkatastrophen schützen.149 Die Nonnen von St. Nikolaus traten aber nicht nur als Konsumentinnen von Bildern auf, sondern auch als Künstlerinnen. Bilder machten einen nicht unwesentlichen Teil der Präsente aus, mit denen die Nonnen im 16. Jahrhundert Freunde und Verbündete, aber auch solche, die es werden sollten, bedachten. Etwa 70 Bilder pro Jahr verschenkten die Nonnen, offenbar
143
Vgl. Hamburger/Suckale: Zwischen Diesseits und Jenseits, S. 35. Hamburg/Suckale: Zwischen Diesseits und Jenseits, S. 34. 145 Vgl. für Beispiele Hamburger: The Visual and the Visionary, S. 80ff. und Newman: Visionäre Texte und visuelle Welten, 114. 146 Alexandre-Bidon: Images et objets, S. 1189, hier vor allem bezogen auf die Frömmigkeitspraxis von Laien. Alexandre-Bidon betont aber, dass diese Form der Frömmigkeit zuerst in den Klöstern gepflegt worden war und durch die Predigt im Spätmittelalter auch in den Laienalltag integriert wurde. 147 Vgl. Karant-Nunn: Christians’ Mourning, S. 113. 148 Vgl. Röckelein: Gründer, Stifter und Heilige, S. 72ff. 149 Vgl. Röckelein: Gründer, Stifter und Heilige, S. 72; Lentes: Gewänder der Heiligen, S. 143f. 144
9.2 „Clash“ der Kulturen
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waren immer zwei Nonnen als „Malerinnen“ beschäftigt. Auch als Auftraggeberinnen an lokale Maler traten sie in Erscheinung.150 Zentraler noch als die Präsenz der Heiligen aber war die Anwesenheit des Heilands in der Eucharistie. Die Verehrung der Hostie „became a central, if not a dominant, characteristic of female spirituality“.151 Berichte über mittelalterliche Nonnen, die in Visionen während der Messe Christus aus der Hostie sprechen hörten, oder aber die Hostie sahen, obwohl die Wand der Nonnenempore die Sicht auf die Kommunion eigentlich versperrte, bezeugen die konkrete Bedeutung, die die Eucharistie in der Vorstellungswelt der Sanktimonialen einnahm.152 Generell spielte der Körper, der eigene, wie auch der vorgestellte Christuskörper, eine nicht unbedeutende Rolle in der Frömmigkeit der Frauenklöster.153 Das Blut Christi, die Marterwerkzeuge und extrem plastische Darstellungen des Schmerzensmannes wurden zu einem beliebten künstlerischen Thema in der Kunst der Frauenklöster. In der Passionsmystik strebten Nonnen danach, das Leiden Christi am eigenen Körper nachzuempfinden.154 Eines der wenigen überlieferten Andachtsbildchen, das von einer Nonne aus St. Nikolaus gemalt wurde, deutet darauf hin, dass die intensive Auseinandersetzung mit Blut, Passion und Leib Christi auch hier zur religiösen Programmatik gehörte. Auf der Miniatur einer unbekannten Malerin aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts beugt sich der am ganzen Körper und im Gesicht aus zahlreichen Wunden blutende Christus von der Martersäule zu einer ihn umarmenden Nonne in einem weißen Habit herab. Die in einem Schriftband zu lesende Inschrift, dem Christus in den Mund gelegt, lautet: „O myn kint gib mir din hertz, so wurt gemiltert myn grosser smertz. entpfo mich in din arm, dz ich mich dyn ewigclich erbarm.“ Die übliche Darstellung des Schmerzensmannes ist hier auf die Spitze getrieben: Nicht einzelne Blutrinnsale sind zu erkennen, vielmehr ist der ganze Körper rot dargestellt. Die süßlich und kindlich anmutende Darstellungsweise der Gesichter und das entrückte Lächeln der Nonne stehen dabei in scharfem Kontrast zur martialischen Darstellung des blutenden Körpers
150
Vgl. Lentes: Bildgeschenke, S. 26ff. Hamburger: The Visual and the Visionary, S. 89. 152 Vgl. Hamburger: The Visual and the Visionary, S. 89ff. 153 Caroline Walker Bynum hat die These aufgestellt, die mittelalterliche weibliche Frömmigkeit an sich habe eine besonders körperliche Qualität gehabt, diese These blieb aber nicht unhinterfragt. Vgl. Walker Bynum: Fragmentierung und Erlösung. Vgl. zur Kritik an dieser These Uffmann: Körper und Klosterreform, S. 195 und 211ff. 154 Vgl. Dinzelbacher: Handbuch der Religionsgeschichte, S. 73f. Vgl. zur Passionsmystik in Frauenklöstern Steinke: Paradiesgarten, S. 162. 151
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und verweisen auf die fromme Verklärung der Szene.155 Der Körper des Christus spielte darüber hinaus in Vorstellungen von Mutterschaft für den Säugling Jesus eine Rolle in den Frauenklöstern.156 Die Körperlichkeit der Frömmigkeitspraxis bezog sich aber nicht nur auf den Christuskörper, sondern auch auf den Körper der Sanktimonialen selbst, er war Bestandteil des dominikanischen Reformprogramms. Dabei ging es nicht nur um die Disziplinierung der vermeintlich typisch weiblichen Schwäche, sondern auch um die Schulung des Körpers, um Haltung und um das Erlernen der Gesten in der Liturgie. Gestus und Mimik sollten beständig unter Kontrolle gehalten werden, sie wurden „zum Maßstab für die geforderte Frömmigkeit und Innerlichkeit“.157 Auch die Straßburger Dominikanerinnen hatten ein gestenreiches Repertoire körperbezogener frommer Handlungen. Am Palmsonntag sollten sie mit über dem Kopf gefalteten Händen beten, in Erinnerung an die Dornenkrone. Jeden Montag dachten sie an die Nägel, die die Gliedmaßen Christi durchbohrt hatten und pressten dabei fest die Hände aufeinander.158 In ihrem Kreuzgang hielten sie Prozessionen ab.159 Aus St. Margaretha sind noch aufwendigere Exerzitien überliefert. Ähnlich der von Felix Fabri in seiner „Sionpilgerin“ vorgeschlagenen Weise, sollte sich der Konvent zur Vorbereitung auf das Osterfest auf eine geistige Wallfahrt ins Heilige Land begeben. In einer anderen Übung begleiteten die Nonnen im Geiste Christus in die Wüste und verblieben dort zwei Tage um zu fasten.160 Ein weiterer Hinweis darauf, wie konkret die Frauen ihre Religiosität verstanden, ist der Einsatz von Objekten, der wiederum eng mit anderen Visualisierungstendenzen verbunden war. Diese Objekte konnten realiter im Kloster vorhanden sein, erinnert sei hier etwa an die Stoffkrönchen, die als
155
Überliefert ist das Bild in einem Stundenbuch aus St. Margaretha. Eine Abbildung findet sich im Katalog zu Krone und Schleier, S. 124; Katalogtext ebd. S. 463. Vgl. zum Geschenkbuch der Nonnen von St. Nikolaus und der Bildproduktion in diesem Kloster Lentes: Bildgeschenke. 156 Vgl. Walker Bynum: Weibliche Frömmigkeit, S. 125f. 157 Vgl. Uffmann: Körper und Klosterreform, S. 200ff., hier 203. Uffmann setzt sich dabei besonders mit den Reformschriften von Johannes Meyer auseinander. Ein besonders extremer Ausdruck der körperbezogenen Frömmigkeitspraxis sind die etwa aus dem Dominikanerinnenkonvent Unterlinden im Elsass im 14. Jahrhundert überlieferten Selbstgeißelungen, vgl. Newmann: Visionäre Texte und visuelle Welten, S. 112. 158 Vgl. Rapp: Spiritualität, S. 354. 159 Vgl. Rapp: Vie religieuse, S. 19f. Diese Praxis ist auch aus dem 16. Jahrhundert überliefert, vgl. AMS II, 39/20 und ADBR H 3061. 160 Vgl. Rapp: Spiritualität, S. 356. Vgl. zur Religiosität elsässischer Frauenklöster auch ders.: Prière, S. 207ff.
9.2 „Clash“ der Kulturen
281
symbolische Brautkronen fungierten oder an Christkindwiegen.161 Die Objekte konnten auch lediglich imaginiert werden, wie etwa in der mittelalterlichen Vorstellung eine Wiege für das Jesuskind oder ein Kranz für die Mutter Maria „gebetet“ werden konnten, eine Praxis, die auch in den Frauenklöstern verbreitet war.162 Überhaupt waren Elemente der quantifizierten Frömmigkeit, die im Spätmittelalter insgesamt verbreitet war, ein zentrales Element der religiösen Praxis der Frauenklöster. Als Zentren des Gebets und der Memoria wiederholten die Frauen schier endlos Gebete zu bestimmten Zwecken, wie etwa der Erstellung eines himmlischen Gewandes, aber auch zwecks Ablass für lebende oder bereits verstorbene Verwandte und Stifter.163 Auch im Elsass wurde den Dominikanerinnen von ihren Beichtvätern das vielfache Wiederholen von Gebeten empfohlen, dabei sollten sie sich bestimmte Objekte oder Körper vorstellen. In einem Erbauungsbuch aus dem späten 15. Jahrhundert empfahl der Prediger Johannes Kreutzer den Frauen, täglich 15 Vaterunser zu beten. Im Jahr ergab sich so in etwa die legendäre Zahl der Wunden Christi.164 Visualität, Körperlichkeit und Objektbezogenheit waren also zentrale Merkmale der Frömmigkeitspraxis in spätmittelalterlichen Frauenklöstern. Insgesamt lässt sich sagen, dass auch die Religiosität der Nonnen von St. Margaretha und St. Nikolaus selbst in ihrem mystischen Nachklang ungemein veräußerlicht, konkret und haptisch war. Gerade diese Elemente aber waren es, die Bucer, der für die Gottesdienstreform und die religiöse Unterweisung in Straßburg mit seinen Reformschriften und Katechismen prägend war, aus der alltäglichen Frömmigkeitspraxis der Straßburger entfernen wollte. Diese Tendenz zeigt sich schon in Bucers Abendmahlsverständnis. Bucer, der in der Forschung vor allem als Ireniker und Vermittler in der Abendmahlslehre gilt, stand dennoch in der Frage der Realpräsenz in Opposition zu Luther und hat gemeinsam mit Capito die Auffassung der Straßburger in dieser Frage bestimmt. In Straßburg herrschte in den Kirchen, aber auch auf dem Markt der Flugschriften die auch von Karlstadt und Zwingli vertretene symbolische Abendmahlslehre vor, die die physische
161
Vgl. Muschiol: Liturgie und Ritus, S. 43f., Siehe auch die Abbildungen von Christkindwiegen in Krone und Schleier, S. 458 und 459. 162 Vgl. dazu Lentes: Gewänder der Heiligen, S. 121ff. 163 Vgl. zur quantifizierten Frömmigkeit Dinzelbacher: Handbuch der Religionsgeschichte; Lentes: Gewänder der Heiligen, S. 121ff. und Angenendt: Gezählte Frömmigkeit. 164 Vgl. Rapp: Spiritualität, S. 535.
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
Anwesenheit des Christus in der Eucharistie verneinte.165 In der für den Straßburger Gottesdienst und das Bekenntnis zentralen Schrift Grund und Ursach aus gotlicher schrifft der neüwerungen [...] zu Straßburg fürgenomen (1524) stellte Bucer klar, in Straßburg werde das Abendmahl „zuo gedechtnuß des tods unsers herren und keins weg für ein auffopfferung seins leibs und bluots halten“. Die Vorstellung, Christi Leib und Blut werde im Abendmahl erneut geopfert sei „ein grewlicher und aller schedlichster fund satane [...] und des woren Antichrists.“166 Ähnlich deutlich sprach sich Bucer gegen die Verehrung von Bildern aus. Seine Überlegungen hierzu fanden Eingang in den Artikel 22 der Tetrapolitana, finden sich aber bereits in Grund und Ursach. Im März 1530 entschied der Straßburger Rat, alle Bilder und Heiligenaltäre aus den Straßburger Kirchen entfernen zu lassen. Bucer verteidigte diese in der Bevölkerung unpopuläre Entscheidung mit der Schrift Das einigerlei Bild bei den Gotgläubigen an orten da sie verehrt, nit mögen geduldet werden.167 Der Reformator plädierte dabei nicht gegen bildliche Darstellungen an sich, aber gegen deren Verehrung.168 Seine Argumentation geht vom alttestamentarischen Bilderverbot und von den Sprüchen der Kirchenväter aus.169 Er kam zu dem Schluss, dass die Verehrung von Bildern „warem glauben und der liebe Gottes abbrüchlich“ sei: „Dann der recht glaub und Gottes lieb erfordert, das man Gottes allenthalben erkenne, förchte, ehre und seiner werck allein und in allen ortten und zeiten warneme, in drinnen preise und lobe.“
Die Bilder seien das Werk des Teufels, um die Menschen vom wahren Glauben abzulenken.170 Dementsprechend, so Bucer, sei das Beschauen von Bildern Zeitverschwendung, ja sogar gefährlich: „Nun so man sein [Jesu] bildnuß an hültzen, steynenen, silberen, güldinen creutzen lang anschawt und sich meynt gleich andechtig zu sein, richt man anders nüt auß, dann das 165
Besonders Thomas Kaufmann hat Bucers Rolle als „eigenständiger Exeget“ in der Abendmahlsfrage betont, vgl. Kaufmann: Streittheologie, S. 249. Vgl. zu Bucers Abendmahlslehre ebd., S. 241ff. Vgl. ausführlich zur Entwicklung der Abendmahlstheologie und der Stellung der Straßburger im Abendmahlsstreit ders. monographisch: Abendmahlstheologie. Vgl. zu Bucers Abendmahlstheologie auch Hazlett: Eucharistic communion, S. 73ff. 166 Grund und Ursach, BDS 1, S. 206 und S. 217. 167 Vgl. dazu die Einleitung zu Das einigerlei Bild, BDS 4, S. 161ff. Vgl. zu Bucers Haltung zu den Bildern auch Muller: Bucer et les images, S. 227ff. 168 Laut Muller sind Bucers Ansichten über die Bilder im Vergleich zu denen anderer Reformatoren nicht besonders originell, vgl. Muller: Bucer et les images, S. 228. 169 Vgl. Das einigerlei Bild, BDS 4, S. 166. 170 Das einigerlei Bild, BDS 4, S. 167. In der nicht seltenen Argumentation mit dem Teufelswerk zeigen sich die Grenzen von Webers Konzept der protestantischen „Entzauberung“ der Welt.
9.2 „Clash“ der Kulturen
283
man sich selbst betreugt und faelschlich mitt nüt troestet, daduch man zuo allem guotten desto farlessiger würdt.“171
Das Betrachten von Bildern, so Bucer, führe zu einer Form der Andacht, die eine „fleischliche, fliegende“ sei. „Bistu Christen, so hoer, das wort württ dich zuo allem guotten zuo bewegen, übrig genuog sein.“172 Nicht nur im Falle der Bildverehrung aber, auch insgesamt wandte sich Bucer gegen jede Form der veräußerlichten Glaubenspraxis. Gott habe seinem Volk, den Juden, zahlreiche Rituale gegeben, „derhalb, das sie dem geyst nach kinder waren, und vil eusserlicher ermanung bedorfften“. Nun aber sei die Zeit gekommen, „gott im geist alleyn und der warheit zu dienen“.173 In Grund und Ursach ist es daher ein zentrales Anliegen Bucers und der anderen Straßburger Prädikanten, den Gottesdienst von allen Äußerlichkeiten zu befreien. Die liturgischen Gewänder wurden abgeschafft ebenso wie die Elevation.174 Auch das Repertoire an Gesten und Gebärden, dass bisher die Messe gestaltet hatte, wurde nach dem Willen Bucers bereinigt. Aus seiner Begründung in Grund und Ursach liest sich deutlich sein Widerwille gegen die alten Riten: „Also was ist es anders, dann ein lauter gespoet und gauckelwerck, das die meßmacher über altar treiben? Do fallen sye auff die knew, sehen gen hymel, schlagen die hend zuosamen, klopffen an die brust, lond ein geproell auß, eben als ob sye gantz voller rew und schmertzens weren über ire sünd und dürffen in demselbigen clagen, winden und biegen leichtfertigen weybern nachsehen [...]. Ein elender batz kan solch andacht und rew allein in sye bringen.“
Bucers Gegenentwurf sah die rein geistige Übung von Frömmigkeit und Glauben vor. Jeder Gestus lenke nur vom Glauben ab und grenze an abergläubische Praktiken.175 Im selben Sinne äußerte sich Bucer in Grund und Ursach auch zur Heiligenverehrung. Er berichtete in dieser Passage von dem Kult, der um das Grab der Heiligen Aurelia in seiner Pfarrkirche vor seinem Amtsantritt gepflegt worden war, und entlarvte die Reliquien der Aurelia, einer der 11.000 Jungfrauen der Ursula, mit den üblichen Argumenten als Mummenschanz. Bei der Aushebung des Grabes habe man festgestellt, dass „die bein, die man gefunden, ser groß und ungleich, das sye nit haben künden von eim coerper da sein, nemlich einer junckfrawen“.176 Folglich spricht Bucer den Heiligen ihre Rolle als Wunderwirker und Mittler zwischen Gott und den Menschen ab. 171
Das einigerlei Bild, BDS 4, S. 170. Grund und Ursach, BDS 1, S. 273 173 Das einigerlei Bild, BDS 4, S. 168. 174 Grund und Ursach, BDS 1, S. 206, S. 118ff. 175 Vgl. Grund und Ursach, BDS 1, S. 237ff., hier S. 237. 176 Grund und Ursach, BDS 1, S. 273. 172
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
„Gott sol man mit glauben an allen orten anrueffen und nit die abgestorbnen heilgen, dann man hat des kein wort gottes, so ist auch niemant barmhertziger und geneigter uns zuo helffen, dann unser gott und vater [...].“177
Bucers Predigten im Dominikanerinnenkloster St. Margaretha sind nicht überliefert. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass die Straßburger Prädikanten die neuen Idealvorstellungen von Frömmigkeit in die Frauenklöster trugen und die bestehende Praxis der Frauen angriffen. Darauf deuten auch die zahlreichen Konflikte zwischen Prädikanten und Nonnen hin, die in Kapitel 10.1.1 näher betrachtet werden. Die Untersuchung der unterschiedlichen Praktiken zeigt bereits, dass es beim Aufeinandertreffen von Prädikanten und Nonnen zu einem regelrechten „clash“ der Frömmigkeitskulturen kommen musste. Versteht man die von Weber mit dem Schlagwort der „Entzauberung der Welt“ beschriebenen Veränderungen als eine Rationalisierungsmaßnahme in Bezug auf veräußerlichte, magisch anmutende und emotionale Rituale, Gesten und andere kultische Praktiken, gewinnt sie im Kontext der Verweigerungshaltung der Frauenklöster gegenüber dem neuen Kultus durchaus Erklärungskraft. Die neuen Kultformen, wie sie von Bucer entworfen wurden, waren insofern nüchterner, „moderner“ und „entzaubert“ im Sinne Webers, als dass sie von den Gläubigen ein höheres Maß an Abstraktion verlangten und stärker geistige als äußerliche Übungen in den Vordergrund stellten. Susan Karant-Nunn hat diese Tendenzen wie folgt zusammengefasst: „In general, the new programm strove to dampen the outer demonstration of religious fervor, though not piety itself.“178 Gerade die Frömmigkeitspraxis observanter Dominikanerinnenklöster wie St. Nikolaus und St. Margaretha aber war in ihrer Visualität, Körperlichkeit und Objektbezogenheit sehr konkret, emotional und veräußerlicht. In der Abgeschiedenheit der Klausur spielten Gesten, körperlich dominierte Rituale, Objekte und vor allem das Visuelle eine bedeutende Rolle, möglicherweise zur Kompensation der Reizarmut in der Klausur. Besonders die in den Frauenklöstern bedeutenden Formen veräußerlichter Frömmigkeit, die Verehrung von Heiligen und auch die Memoria als Form der Kommunikation zwischen den Lebenden und den Toten konnten aber aus der Logik der protestantischen Lehre heraus keinen Platz in der neuen Frömmigkeitspraxis finden.179 Möglicherweise forderte die neue Lehre von den Straßburger Nonnen also ein höheres Maß an Preisgabe althergebrachter Lebensweisen als von Mönchen oder Laien, eine Adaptionsleistung, die die Frauen schlicht verweigerten. 177
Grund und Ursach, in BDS 1, S. 273. Karant-Nunn: Christians’ Mourning, S. 111. 179 Vgl. dazu allgemein, ohne besonderen Bezug zu den Frauenklöstern Walsham: Disenchantment, S. 506. Vgl. Weber: Protestantische Ethik (1920), S. 84ff. 178
9.2 „Clash“ der Kulturen
285
Dass, wie gezeigt, in den Frauenklöstern eine spezifische Form der Frömmigkeit vorherrschte, die mit der neuen Frömmigkeitspraxis in besonderer Weise inkompatibel war, ist klar auf die unterschiedlichen Ideale zurückzuführen, an denen männliches und weibliches Religiosentum orientiert war. Eine Bewertung spezifisch weiblicher Frömmigkeit, als der Frage, ob und wenn ja warum sie als weniger intellektuell anspruchsvoll zu gelten habe, soll hier außen vor gelassen werden. Fest steht aber, dass unterschiedliche Akzente gesetzt wurden. Während in Männerklöstern entweder die Elemente Bildung und Geistigkeit oder auch, wie in den Bettelorden, Aktivität im Vordergrund standen, hielt man für Frauen eine besonders affektorientierte Frömmigkeit für angemessener.180 Den meisten süddeutschen Schwestern fehlten wohl die dem Bildungsideal der Zeit entsprechenden Lateinkenntnisse und natürlich jegliche Kenntnis der an den Universitäten unterrichteten artes liberales und auch der Theologie, wenn auch glänzende Ausnahmeerscheinungen wie Caritas Pirckheimer immer wieder hervorgehoben werden.181 Bildung war etwa in den dominikanischen Frauenklöstern keine Tugend per se. Marie-Luise Ehrenschwendtner hat für die süddeutschen Dominikanerinnen festgestellt: „Die Schwestern sollten nur lernen, was sie brauchten, nichts darüber hinaus.“182 Zwar wurden den Nonnen wohl von ihren theologisch gebildeten Beichtvätern viele Grundkenntnisse vermittelt, die Lektüre der lutherischen Schriften und das Verstehen seiner theologischen Argumentation wären für einen Großteil der Frauen aber ungewohnt gewesen. Eine Auseinandersetzung mit den vergleichsweise abstrakten Idealen des Luthertums war den meisten Dominikanerinnen wohl nicht möglich. Sie nahmen in erster Linie die äußerlichen Veränderungen wahr, die der protestantische Kultus in ihrer alltäglichen Frömmigkeitspraxis bedeutet hätte.183 Auch vor diesem Hintergrund erscheint der Rückzug in eine Verweigerungshaltung gegenüber dem Neuen plausibel. 180
Vgl. zur Debatte um die Bewertung der Spiritualität weiblicher Religiosen u.a. Hamburger/Suckale: Zwischen Diesseits und Jenseits, die betonen, dass weibliche Spiritualität auch eine „hochintellektuelle Komponente“ hatte, S. 37. Vgl. dazu auch Walker Bynam: Weibliche Frömmigkeit, S. 119 und Karant-Nunn: Christians’ Mourning, S. 113. 181 Eva Schlotheuber vermutet, dass in norddeutschen stärker als in süddeutschen Frauenklöstern nach der Reform mehr Wert auf das Erlernen der lateinischen Sprache gelegt wurde, vgl. Schlotheuber: Ebstorf, S. 185. Neben Ebstorf konnte die Autorin auch im Braunschweiger Kreuzkloster, bei den Zisterzienserinnen in Wöltingerode, in Derneburg, Wienhausen und Isenhagen Lateinkenntnisse der Schwestern nachweisen, vgl. dies.: Klostereintritt und Bildung, S. 273ff. 182 Vgl. Ehrenschwendtner: Bildung der Dominikanerinnen, hier S. 336. Vgl. für einen Überblick über die Forschung im Bereich Frauenklöster und Bildung Schlotheuber: Klostereintritt und Bildung, S. 264f. 183 Vgl. zur Bedeutung der Seelsorger für die Bildung der süddeutschen Dominikanerinnen Ehrenschwendtner: Bildung der Dominikanerinnen, S. 249ff.
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
Schließlich muss an dieser Stelle noch einmal auf die bereits im ersten Teil gestellte Frage nach einem Zusammenhang zwischen Observanz und Widerstand zurückgekommen werden. Ein Zusammenhang ließe sich aus den in diesem Kapitel angestellten Überlegungen heraus zumindest für die beiden besonders untersuchten dominikanischen Frauenklöster bejahen. Wie gezeigt wurde, resultierten viele typische Elemente der Frömmigkeitspraxis der Frauenklöster erst aus der strengen Klausur. Es ist also durchaus denkbar, dass die strenge Observanz dazu führte, dass die mit den Bucer’schen Vorstellungen besonders inkompatiblen Elemente der Frömmigkeitspraxis in den Klöstern St. Nikolaus und St. Margaretha noch intensiver gelebt und ernster genommen wurden als beispielsweise in den beiden Straßburger Klarissenklöstern. Gleichzeitig ließen sich überkommene Praktiken in observanten und damit streng klausurierten Gemeinschaften sicherlich deutlich leichter konservieren. Es kann also festgestellt werden, dass im Fall von St. Nikolaus und St. Margaretha durchaus ein indirekter Zusammenhang zwischen Widerstand und Observanz bestand.
9.3 Perspektiven und Restriktionen. Lebenswege von Mönchen und Nonnen nach dem Klosteraustritt 9.3 Perspektiven und Restriktionen
Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, war die Entscheidung, ob ein Mönch oder eine Nonne aus dem Kloster austrat, abhängig von kulturellen Faktoren, die in die Identitätskonstruktion des Individuums eingingen, aber auch spezifische religiöse Einstellungen und Erwartungen prägten. Dass die Individuen dabei nicht völlig losgelöst von gesellschaftlichen Einflüssen handeln konnten, ergibt sich schon aus dem Modell der Identität, dass sich zu guten Teilen aus sozialen oder kollektiven Identitäten speist.184 Darüber hinaus waren die Mönche und Nonnen aber auch praktischen Restriktionen unterworfen. Der Glaubenswechsel, das hat auch die Konversionsforschung herausgearbeitet, war in der Frühen Neuzeit eben keine Privatangelegenheit, sondern hatte immer auch gesellschaftliche und politische Implikationen.185 Erst eine mehr oder weniger bewusste Abwägung aller sozialen und praktischen Restriktionen gegenüber den individuellen Neigungen und dem persönlichen Gewissen führte zur Entscheidung für oder gegen einen Glaubenswechsel. Für Mönche und Nonnen galt dies 184
Die Frage, inwieweit in der Vormoderne überhaupt von autonomen Individuen gesprochen werden kann, ist in den letzten Jahren intensiv untersucht und nur mit Einschränkungen bejaht worden, vgl. zur Forschungsdebatte Schlotheuber: Norm und Innerlichkeit. Zentral sind die Arbeiten von Richard van Dülmen und Jerrold Seigel, vgl. van Dülmen: Die Entdeckung des Individuums; Seigel: The Idea of the Self. 185 Vgl. Lotz-Heumann/Mißfelder/Pohlig: Konversion und Konfession, S. 21f.
9.3 Perspektiven und Restriktionen
287
in besonderem Maße, war doch mit dem Übertritt zum anderen Glauben und mit der Entscheidung, das Kloster zu verlassen, auch immer die Aufgabe einer Lebensform und Versorgungssituation verbunden. Diese konkreten, alltagspraktischen Restriktionen sollen in den folgenden beiden Unterkapiteln anhand von Quellenbeispielen untersucht werden. Der Abwägungsprozess einzelner Personen für oder gegen einen Klosteraustritt ist in den Quellen häufig schlecht greifbar.186 Über die konkreten Möglichkeiten und Perspektiven, aber auch die Schwierigkeiten, mit denen Nonnen und Mönche nach dem Klosteraustritt konfrontiert waren, können aber ihre Lebenswege Auskunft geben. Auch diese sind nicht immer leicht zu verfolgen. In den Straßburger Archivalien lassen sich Informationen hierzu vor allem in Pensionsforderungen und -quittungen, aber auch aus dem Bürgerbuch der Stadt entnehmen.187 Im Folgenden soll trotzdem versucht werden, anhand von Lebenswegen und Selbstaussagen von Straßburger Nonnen und Mönchen und anhand des wenigen, was in der Literatur zu diesem Thema zu finden ist, einen Überblick über mögliche Perspektiven und Restriktionen zu geben. In einem Ratsbedenken aus dem Jahr 1525 heißt es über die Versorgung ausgetretener Mönche: Die „jungen gesunden Munch synd zu furderen und zu triben, das sy handtearbeit lernen, sich zu erneren. [...] Die alten aber und unvermeglichen möchten darnoch geschickter weyß in ein kloster mit geringer Expens ir leben lang erhalten werd.“188
Wie schon der Rat in diesem Gutachten feststellte, war eine der bedeutendsten Restriktionen aus dem Kloster auszutreten sicherlich das Alter der jeweiligen Konventualen. Dies zeigt sich auch in der prosopographischen Auswertung. Wie in Kapitel 6.1.2 für die Frauenklöster gezeigt werden konnte, spielte der soziale Stand der Nonnen und Mönche 1525 eine untergeordnete Rolle in der Entscheidung für oder gegen einen Austritt. Die Sozialstruktur der Konvente replizierte sich regelrecht nach dem vorübergehenden Auszug. Dies ließ sich besonders am Beispiel von St. Nikolaus zeigen. Aus diesem Kloster liegen Informationen über die 1525 endgültig 186
Zwar liegen Konversionsberichte vor und auch apologetische Flugschriften ehemaliger Mönche und Nonnen, diese sind aber quellenkritisch nicht unproblematisch und legen auch in der Regel eher eine theologische, denn eine praktische Begründung vor. Vgl. zur Problematik und den besonderern Entstehungskontexten apologetischer Flugschriften Rüttgardt: Klosteraustritte, S. 18ff. und Schilling: Gewesene Mönche, S. 8ff. Vgl. zu Konversionsberichten Siebenhüner: Glaubenswechsel, S. 265f. 187 Erhalten sind die Pensionsquittungen für Nonnen der Klöster St. Klara am Rossmarkt, vgl. AMS AH 183, St. Klara auf dem Wert, vgl. AMS AH 1874 und AMS AH 10707–10734 und St. Katharina, vgl. AMS AH 1854. Des Weiteren geben erneut die Ratsprotokolle und die Exzerpte Auskunft. 188 AMS AST 135/4.
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
ausgetretenen und wieder zurückgekehrten Konventualinnen vor.189 Ein anderer möglicher Vergleich zwischen Ausgetretenen und Verbleibenden, ebenfalls am Beispiel von St. Nikolaus, zeigt, dass vielmehr das Alter der Konventualen entscheidend war. Als die Dominikanerinnenklöster 1592 zusammengelegt wurden, mussten sich alle Nonnen von St. Nikolaus entscheiden, ob sie in die Welt gehen, oder in das Kloster St. Margaretha wechseln wollten. Gleichzeitig wurden alle Frauen nach ihrem Alter befragt. Das Ergebnis dieser Befragung ist deutlich: Es sind die jüngeren Frauen, die sich gegen das Klosterleben entscheiden, wie auch der folgende Überblick zeigt. Tabelle 14: Alter der 1592 ausgetretenen bzw. nach St. Margaretha gewechselten Nonnen von St. Nikolaus.190 1592 endgültig ausgetreten Name Margarethe Balwiner Peternella Rebin Maria Egel Elisabeth Müller Dorothea Rösch Katharina Schenk Ursula Übler Maria Wannenmayer Agnes Wurmser
1592 nach St. Margaretha gewechselt
Alter
Name
Alter
ca. 30 ca. 27 42 54 ca. 26 60 23 30 22
Susanna Brünnin Barbara Voltz Katharina Handschuh Gertrud Krämer Anna Lutz Agnes Pfleger Anna Schach
50 ca. 50 ca. 50 47 ca. 58 ca. 50
Unter den Frauen, die in die Welt gehen sind demnach nur drei Frauen, die älter als 30 Jahre sind. Zwei von ihnen hatten besondere Gründe auszutreten. Katharina Schenk war mit der Priorin Susanna Brünnin verfeindet. Die Schaffnerin hatte die Priorin beim Magistrat angeschwärzt. Nach ihrem Klosteraustritt lebte sie als Gast im Damenstift St. Stephan. Elisabeth Müller wiederum war in den Verdacht geraten, ein Verhältnis mit dem Scherer
189
Vg. oben Kapitel 6.1.2, Tabelle 3. Vgl. für das Alter der Nonnen das Protokoll der Ratsvisitation, AMS II, 7/38, Nr. 19. Einige Nonnen gaben ihr exaktes Alter an, andere gaben an, wie lange sie bereits im Kloster lebten und dass sie als Kind eingetreten seien. In diesen Fällen wurde von einem Eintrittsalter von etwa zehn Jahren ausgegangen. Welche Nonnen austraten oder nach St. Margaretha wechselten, verzeichnet ein Bericht einer Nonne aus St. Nikolaus, vgl. ADBR H 3061. 190
9.3 Perspektiven und Restriktionen
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des Klosters gehabt zu haben, weshalb der Rat in der Folgezeit einen Prozess gegen sie führte.191 Das Alter spielte also bei der Entscheidung für oder gegen einen Klosteraustritt eine erhebliche Rolle, ein Schluss, der auch für andere Regionen und Orden, auch für die Männerklöster, Gültigkeit zu haben scheint.192 Die unterschiedlichen Perspektiven von älteren und jüngeren Menschen werden in der folgenden, genaueren Betrachtung einzelner Lebenswege deutlich. 1525 berichtete der protestantische Straßburger Chronist Daniel Specklin über konvertierte Nonnen, Mönche und Weltgeistliche: „vil geistliche lernten handwercker, namen weiber; die nonen menner, wer do wolt; zogen die kutten aus, daten andere ehrbare kleider ahn“.193 Diesen chronikalischen Vermerk übernahm noch Schmidt in seiner Studie zu den Straßburger Dominikanern (1876) fast wörtlich. Bei ihm heißt es, die Dominikaner seien ausgetreten, „les uns pour s’occuper de travaux manuels, les autres pour remplir les fonctions de maître d’école.“194 Gefragt werden muss jedoch, ob es sich bei diesen Aussagen lediglich um Topoi handelt, um die literarische Umsetzung von Luthers Idealvorstellung vom arbeitsamen ehemaligen Mönch und der zur sittsamen Ehefrau gewordenen ehemaligen Nonne und wie weit dieses Bild überhaupt mit den gesellschaftlichen Realitäten korrespondierte.195 In der Forschung herrscht zumindest Einigkeit darüber, dass die Perspektiven von ehemaligen Nonnen nach dem Klosteraustritt wesentlich schlechter waren als die ehemaliger Mönche und dass dies einer der wichtigsten Gründe dafür war, warum Frauenklöster die Reformation mancherorts zahlreicher überlebten als Männerklöster. Annette von Boetticher etwa stellt fest: „Da es für die Frauen keinen Ersatzberuf gab wie für ehemalige
191
Vgl. zu Katharina Schenk AMS II, 39/3; AMS II, 6/8, S. 4; ADBR H 3061; AMS II, 7/38, Nr. 19; AMS II, 41–42b/2, fol. 53 und AMS II, 42b/12. Vgl. zu Elisabeth Müllerin ADBR H 3061; AMS II, 7/38, Nr. 19; AMS II, 39/9, Nr. 2; AMS II, 41–42a/2, S. 54 und AMS X, 410. 192 Auch aus dem Magdalenerinnenkloster Lauban traten 1525 die jüngeren Nonnen aus, vgl. Skobel: Magdalenerinnen, S. 200. Dasselbe stellt Erdin für das Dominikanerinnenkloster Zu den Steinen in Basel fest, vgl. Erdin: Kloster der Reuerinnen, S. 138. Plath macht für die Minoriten diese Beobachtung, vgl. Plath: Franziskaner-Konventualen, S. 152. 193 Vgl. Specklin: Collectanées, S. 508. 194 Schmidt: Notice, S. 218. 195 Vgl. zu Luthers Vorstellungen von der Idealbiographie ehemaliger Mönche und Nonnen Kapitel 4.1.
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
Mönche, die vielfach evangelische Pastoren wurden, drohte ihnen, wenn sie nicht heiraten konnten, der gesellschaftliche Abstieg.“196 Sicherlich erschwerte schon allein die Klausur ein einfaches Verlassen der Klöster.197 Hatten sich Nonnen einmal für den Klosteraustritt entschieden oder wurden dazu gezwungen, blieb aber vor allem die Frage, wo sie ein Auskommen finden konnten. Für die schon unter den zeitgenössischen Chronisten beliebte Vorstellung, verarmte ehemalige Nonnen würden zahlreich ihren Unterhalt im Frauenhaus verdienen, gibt es weder in Straßburg noch in Nürnberg Belege.198 Dennoch gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass der Klosteraustritt viele Nonnen zunächst vor das existentielle Problem stellte, eine Unterkunft und Unterhalt finden zu müssen. Die Probleme spiegeln sich in einem Brief der Nonne Anna Tucher, die der neuen Lehre anhing und aus dem Kloster Engelthal bei Nürnberg austreten wollte. Sie schrieb an ihre Verwandte Cordula Poemer und bat diese um Aufnahme in ihre Familie, „den der her Endreß Tucher wil mich nit annemen, er hat selber IV enykla; er thut greulich, hat sorg, er muß mir etwas geben, so ich doch nichts an zu beger.“199 Anna Tucher versprach der Verwandten, „ich will euch warlich nit schad zu eurem hauß sein, ich will nit feiern, ich will auch neen, was euch in das gehort spinen oder was ir mir zu erbeten gebt, ich wil euch der kynder warten, ihr durfts mir kein wein zu trinken geben.“ 200
Im Fall einer anderen Nürnberger Nonne kam es gar nicht erst so weit, dass die Frau sich an ihre Familie wandte. Der Bruder der austrittswilligen Nonne Anna Schwarzer schrieb ihr mit der Bitte, nicht zurück in die Familie zu kommen, da diese finanzielle Schwierigkeiten habe und man ohne-
196
von Boetticher: Chorfrauen, S. 228. Vgl. auch Mager: Reformatorische Klosterpolitik, S. 569; Ziegler: Klosteraufhebung in der Mark Brandenburg, S. 77; Muschiol: Frauenklöster im Zeitalter der Reformation, S. 103; Schrader: Ringen, Untergang und Überleben und Brück: Reformationsgeschichte des Bistums Halberstadt. Vgl. für eine ausführliche Diskussion der Bewertung der unterschiedlichen Lebenschancen von Männern und Frauen in der Frühen Neuzeit Kapitel 4.2. 197 Vgl. dazu und zu weiteren Unterschieden zwischen den Handlungsmöglichkeiten von Männern und Frauen Rüttgardt: Klosteraustritte, S. 327f. 198 Steinke kann einige Formulierungen aus der Nürnberger Chronistik als topisch entlarven, vgl. Steinke, Paradiesgarten, S. 270. In den Straßburger Chroniken von Büheler, Specklin und Brant taucht diese Behauptung nicht auf. 199 Annas Schreiben ist gedruckt bei Dümmler (Hrsg.): Neun Frauenbriefe, hier S. 329. 200 Vgl. Dümmler (Hrsg.): Neun Frauenbriefe, S. 330. Im Brief folgt eine längere, mit zahlreichen Bibelbelegen versehene Begründung ihrer Bekehrung zur neuen Lehre. Siehe zu Anna Tucher auch Steinke: Paradiesgarten, S. 297f.
9.3 Perspektiven und Restriktionen
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hin schon um die Erbschaft streite. Annas Austritt werde alles nur weiter komplizieren.201 Das Problem, das der Bruder der Anna Schwarzer schildert, hatte der Augsburger Ratsherr Johann Rehlinger bereits als ein grundsätzliches erkannt und stellte sich deshalb gegen die Aufhebung der Klöster. In einem Gutachten gab Rehlinger zu bedenken, dass die Nonnen nicht ohne Weiteres in die Familien integriert werden könnten, sondern vielmehr dort Streitigkeiten vor allem wegen erbrechtlicher Fragen verursachen würden.202 Tatsächlich tauchte das Problem der widerwilligen Integration von Nonnen in die Erbengemeinschaft auch in Straßburg auf. Es spiegelt sich in einem Schreiben der Nonne Ursula Ehinger, die 1525 nach dem Willen des Rates aus dem Kloster St. Nikolaus austreten sollte. Nachdem der Ratsbefehl zum Verlassen der Klöster an alle Nonnen ergangen war, schrieb sie an ihren Schwager in Ulm und bat ihn, ihr zu helfen: „Nun min hertz lieber swager und schwester, so ruff ich uch an in minen großen netten, das ir mir zu hülff kumen.“ Ursula machte sich vor allem Sorgen um eine standesgemäße finanzielle Versorgung. Offenbar hatte es in der Familie der Ehinger ohnehin schon Streit um die Erbschaft der Mutter gegeben, aus der ihr Bruder Hartmann ihr einen Teil vorenthalten hatte. Sie bat jetzt Schwager und Schwester, noch einmal von Hartmann zu fordern, ihr ihren Teil der Erbschaft zukommen zu lassen. Ihre Existenznot wird in dem Brief deutlich: „Ach, min lieber getruwer schwager, ich ruf uch an als minen vatter in minen nöten, min liebe schwester als min mutter, verlon mich nit.“203 Aus Ursulas Brief geht darüber hinaus hervor, dass es anderen Nonnen ihrer Gemeinschaft nicht anders ging als ihr. Offenbar konnten viele nicht zu ihren Familien zurückkehren. Aus der Zeit der Schließung von St. Nikolaus 1592 ist ein Fall belegt, in dem eine Mutter vor dem Rat mit der expliziten Bitte vorsprach, ihr ihre Tochter nicht zu schicken. Auch die Tochter, Maria Wannenmeyer, wollte nicht zu ihren Eltern, da diese sie nur
201
Vgl. zu Anna Schwarzer auch Pirckheimer: Denkwürdigkeiten, S. 144ff. und Bennewitz: Frauen in der Nürnberger Reformationszeit, S. 18f. 202 Vgl. dazu Gößner: Nonnenklöster in Nürnberg und Augsburg, S. 109f. Das Problem der Versorgung und der Aufnahme in die Erbengemeinschaft war nach der Einschätzung von Franz nicht nur für den bürgerlichen, sondern auch für den adeligen Stand virulent, vgl. Franz: Hessische Klöster, S. 159. 203 AMS AH 8042/3. Ursula Ehinger gehörte nicht zu den Nonnen, die 1525 wieder in das Kloster zurückkehren. Es scheint also, als habe die Familie eine Lösung gefunden, über die allerdings nichts weiter bekannt ist. Vgl. zu Ursula Ehinger, die in den Folgejahren mehrfach an den Rat um ihr eingebrachtes Gut supplizierte, auch AMS AST 35/10, fol. 5r; AMS II, 41–42b/2, fol 53r; AMS II, 39/11 und AMS II, 41–42a/10.
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
„wider ins Pabstum instecken“ würden.204 Denkbar sind ähnliche Bitten an den Rat auch für das Jahr 1525, hier fehlen allerdings die ausführlichen Ratsprotokolle, in den Exzerpten ist nichts dergleichen zu finden. Aus dem Verbleib der Frauen wird aber deutlich, dass wahrscheinlich auch 1525 einige Familien in ähnlicher Weise die Aufnahme ihrer Verwandten verweigerten. Ursula Ehinger blieb 1525 zunächst mit der Schaffnerin ihres Klosters in einem eigenen Haus, die sei „ein Zörnin von gutem geschlecht“. Die Priorin wiederum wolle in einem anderen Haus einige jüngere Frauen beaufsichtigen, die ebenfalls nicht zu ihren Verwandten könnten.205 Auch aus anderen Straßburger Klöstern gibt es Hinweise, dass die Frauen nicht wussten, wo sie unterkommen sollten. 1525 baten vier ausgetretene Frauen aus St. Magdalena ihren städtischen Schaffner, in dem Haus wohnen zu dürfen, dass vormals für den Beichtvater des Klosters verwendet worden war. Sie hätten sonst keine „heymweysung“. Der Rat bewilligte die Bitte und verpflichtete die Nonnen zu Mietzahlungen von jährlich 12 Gulden. Unter den Frauen war immerhin eine Angehörige der ausgesprochen wohlhabenden Wurmser-Familie, Dorothea Wurmserin.206 Ähnliche „Wohngemeinschaften“ lediger ehemaliger Nonnen kann auch Lyndal Roper für Augsburg nachweisen. Bis 1553 lebten zwei Frauen, die das Sternkloster 1537 verlassen hatten, gemeinsam in einem Haus in der Jakobervorstadt.207 Neben diesen außerklösterlichen Gemeinschaften finden sich auch im Bürgerbuch Hinweise, dass einige Frauen zunächst allein zu leben. So kauften zwei Frauen des Klosters St. Katharina das Bürgerrecht und wurden eigenständige Zunftmitglieder. Sie ließen sich auch in Pensionsangelegenheiten nicht von Ehemännern, sondern von Vormündern vertreten. Wie diese Frauen ihren Unterhalt verdienten, ist unklar.208 Susan KarantNunn belegt für Zwickau zwei Nonnen als Lehrerinnen einer städtischen Mädchenschule, diese müssen aber als rare Ausnahme gelten.209 Vermutlich lebten die meisten ehemaligen Nonnen von ihren Pensionen.
204
Maria Wannenmeyer kam 1592 schließlich bei einer Ratsfamilie, den Kniebis unter, vgl. Ratsprotokolle (16. April 1592), fol. 164r. 205 Vgl. AMS AH 8042/3. 206 Vgl. AMS AST 35/11, fol. 4v, 6v und 12v; AMS VIII, 193. 207 Vgl. Roper: Das fromme Haus, S. 193. 208 Eine der genannten Nonnen war Brigitta von Oberkirch, wahrscheinlich aus Oberkirch im Elsass, als deren Vogt Blesy Baumgärtner auftrat, vgl. AMS AH 1848 und Wittmer/Meyer: Livre de Bourgeoisie, Nr. 8237. Die andere war Barbara von Rothenburg, deren Vogt der Ratsherr Jörg Berer war, vgl. AMS AH 1848 und Wittmer/Meyer: Livre de Bourgeoisie, Nr. 8238. 209 Vgl. Karant-Nunn: Transmission, S. 40.
9.3 Perspektiven und Restriktionen
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Eine weitere Option für Frauen, die keine Möglichkeit hatten, in ihre Familien zurückzukehren, war auch der Eintritt in eines der verbliebenen Klöster. Nicht wenige der Nonnen des 1525 aufgelösten Klosters St. Katharina gingen diesen Weg. Die Patrizierin Margarethe von Landsberg etwa wechselte in das Damenstift St. Stefan, wo sie später Äbtissin wurde.210 Dorothea von Windeck, ebenfalls eine ehemalige Nonne von St. Katharina, wechselte in ein Kloster in Speyer.211 Mehrere Frauen aus St. Magdalena traten in das Hagenauer Reuerinnenkloster ein. Zwei von ihnen, die beide angesehenen und reichen patrizischen Familien angehörten, gaben dabei explizit als Grund an, nicht bei ihren Familien bleiben zu können.212 Auch nach der Schließung von St. Nikolaus 1592 trat eine junge Frau in ein anderes Kloster in Schlettstadt ein.213 Wie viele Frauen tatsächlich den von Luther avisierten Weg einschlugen und sich verheirateten, lässt sich nicht quantifizieren und variierte sicherlich stark von Gemeinschaft zu Gemeinschaft. Gemäß der Pensionsquittungen des Klosters St. Klara auf dem Wert, die im Falle einer Ehe von den jeweiligen Ehemännern gesiegelt wurden, heirateten über die Hälfte aller Frauen nach der Aufhebung dieses Klosters, nämlich acht der 15 ehemaligen Nonnen.214 Aus St. Katharina sind deutlich weniger Ehen überliefert, allerdings sind im Gegensatz zu St. Klara auf dem Wert in diesem Fall die Pensionsquittungen nur für die ersten zwei Jahre nach der Klosterschließung überliefert. In diesem Zeitraum heiratete aber immerhin ein Viertel der ehemaligen Sanktimonialen, nämlich sechs von 24.215 Diese Zahlen weichen im Wesentlichen nicht ab von den Verhältnissen, die Lyndal Roper anhand ähnlicher Quellen für die Frauen des Augsburger Sternklosters beschrieben hat. Von sieben der 22 ausgetretenen Frauen ist bekannt, dass sie heirateten, von fünfen, dass sie sicher unverheiratet blieben.216 210
Vgl. AMS AH 1848; AMS AH 10729. Vgl. AMS AH 10808. 212 Die beiden Patrizierinnen sind Clara Ottfriedrich, vgl. AMS AST 35/11, fol. 5r, 4v, 8r, 10r, 12v; AMS AH 1286/3 und AMS VIII, 193 sowie Elisabeth Voltzin, vgl. AMS AST 35/11, fol. 5r, 4v, 8r, 10r, 12v; AMS AH 1286/3. Außerdem nach Hagenau wechseln Margreth Philips, vgl. AMS VIII, 193; AMS AST 35/11, fol. 9r und 4v; AMS II, 63/12; AMS AH 1286 und Maria Stifferin, vgl. AMS VIII, 193; AMS AST 35/11, fol. 9r, fol. 4v; AMS AH 1286. 213 Die Nonne Ursula Übler, vgl. AMS II, 39/9; ADBR H 3061; AMS II, 7/38, Nr. 19; AMS II, 41–42a/2, S. 54; AMS X, 418. 214 Die Pensionsquittungen von St. Klara auf dem Wert. sind erhalten für die Jahre 1534–1571, vgl. AMS AH 10707–10734. 215 Die Pensionsquittungen von St. Katharina sind erhalten für die Jahre 1525–1527, vgl. AMS AH 10701. 216 Vgl. Roper: Das fromme Haus, S. 193. 211
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
Die Ehen konnten standesgemäß sein, waren es aber wohl nicht immer. Insgesamt sind zu wenige Fälle bekannt, in denen sowohl der Stand der ehemaligen Nonne als auch der des Ehemanns ermittelt werden konnte, um allgemeine Schlüsse zu ziehen. Einige Beispiele weisen aber darauf hin, dass einige der ausgetretenen Frauen unter dem Stand ihrer Herkunft heirateten. Die Patrizierin Clara Buman etwa, ausgetreten aus St. Klara auf dem Wert, heiratete Hans Melbrüge, der einer der ärmeren, nicht ratsfähigen Zunftfamilien angehörte.217 Eine andere Frau aus St. Klara auf dem Wert mit Namen Elisabeth heiratete sogar einen kranken Schinder, möglicherweise war Elisabeth aber nur Laienschwester.218 Dennoch ist denkbar, dass in der Situation der plötzlichen Vermehrung heiratsfähiger Frauen auf dem innerstädtischen Markt Abstriche am Standesdenken zugunsten einer halbwegs gesicherten Versorgung gemacht wurden. Erdin stellt etwa für das Dominikanerinnenkloster Zu den Steinen in Basel fest, dass sich die ehemaligen Nonnen, zunächst 13 Frauen, zum größten Teil recht schnell verheirateten. Er konstatiert dabei, dass es sich bei vielen der Ehegatten um Angehörige „jener revolutionären Schicht“ der Handwerker gehandelt habe, die die frühe Reformation in Straßburg wie in Basel trugen und die vom noch skeptischen Basler Rat teilweise mit Urfehde und Haft in ihrem Eifer gebremst wurden. Drei der Nonnen heirateten auch kurz zuvor ausgetretene Mönche, einen Deutschordenskaplan, einen ehemaligen Augustiner und einen ehemaligen Zisterzienserabt. Die Heirat mit ehemaligen Mönchen und Kleriker behielt, wenn sie auch in den protestantischen Städten nicht geahndet wurde, in der Frühphase der Reformation eine gewisse Anrüchigkeit. Die Ehen der Basler Nonnen waren demnach zwar durchaus standesgemäß, die genannten Geistlichen stammten aus guten Familien.219 Die Partner allerdings kamen aus Kreisen, von denen vermutet werden kann, dass sie sich aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen den ehemaligen Nonnen besonders verpflichtet fühlten, und nicht aus der gesamten Breite der Stadtgesellschaft. Dass diese noch pragmatischer als ohnehin zeitüblich geschlossenen Ehen auch zu einigem Elend führen konnten, zeigt der Fall der Nonne Ursula Toplerin, die im Kloster Engelthal in der Nähe von Nürnberg lebte. Um aus dem Kloster zu kommen, heiratete sie, halb auf Druck ihrer Familie, halb freiwillig 1524 den protestantisch gesinnten ehemaligen Dominikaner Jobst Kern. Trotz dieser Schritte fühlte sie sich weiterhin an ihr 217
Vgl. zu Clara Buman AMS AST 35/4; AMS AH 1870 und AMS AH 1874. Vgl. AMS VI, 699/3, fol. 20r. 219 Vgl. Erdin: Kloster der Reuerinnen, S. 139ff. Vgl. für die Problematik früher Ehen ehemaliger Straßburger Mönche und Geistlicher Chrisman: Women and the Reformation, S. 148, die unter anderem die Beispiele Bucer, Capito, Hedio und Augustin Drenss untersucht. Mit diesen Fällen befasst sich auch Brady: Anticlericalism. 218
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Keuschheitsgelübde gebunden und verweigerte den Vollzug der Ehe, woraufhin Kern sie nach eigener Aussage im späteren Prozess vor dem landesherrlichen Gericht schlug. Dass es sich hierbei um einen besonders schwerwiegenden Fall handelte, zeigt sich darin, dass das Gericht die Rückkehr der ehemaligen Nonne in ihr Kloster tolerierte, eine ausgesprochen seltene Entscheidung.220 Darüber, wie oft ehemalige Mönche bzw. Weltgeistliche dem Beispiel Bucers und Luthers folgten und Allianzen mit ehemaligen Nonnen schlossen, lässt sich keine quantitative Aussage machen. Aus Straßburg sind zwei Fälle bekannt: Der in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts konvertierte Johanniter Marx von Oltung heiratete eine ehemalige Begine und die Nonne Ursel von Westhusen aus dem Kloster von St. Klara am Rossmarkt heiratete kurz nach der Schließung des Klosters einen „pfaff“.221 Eine besondere Häufung von Heiraten zwischen ehemaligen Nonnen und Ordens- oder Weltgeistlichen ist aber nicht festzustellen. Die Optionen ehemaliger Klosterfrauen waren also tatsächlich begrenzt. Hinterfragt werden muss aber auch, ob die Chancen ehemaliger Mönche tatsächlich um so vieles besser waren. Bekannt sind vor allem Beispiele von Karrieristen. Clemens Leusser etwa, der bereits mehrfach erwähnte konvertierte Abt von Bronnbach (*1518–†1572), musste 1560 auf Druck des Bischofs von seinem Amt zurücktreten. Er konnte aber in den Dienst des Grafen von Wertheim eintreten, ein Amt, das er bis zu seinem Tod inne hatte.222 Auch Reformatoren wie Martin Bucer und Martin Luther konnten ihre Lebenswege mehr oder minder erfolgreich gestalten. Karrieren wie diese standen aber nur den besonders gebildeten unter den ehemaligen Mönchen offen. Die Zahl derjenigen etwa, die evangelische Geistliche wurden, war wohl weniger groß, als erwartet werden könnte. Zwar hat Johannes Schilling für Hessen zugespitzt formuliert: „Ohne Mönchtum keine Reformation.“223 Doch wurden in Hessen insgesamt nur 60 der etwa 300 von den Klosterschließungen durch Landgraf Philipp betroffenen Mönche evangeli-
220
Der Fall findet sich auch bei Steinke: Paradiesgarten, S. 268 und bei Rublack: Hat die Nonne den Pfarrer geküßt?, S. 108ff. Der Fall ist dokumentiert in Briefen, die gedruckt sind bei Clemen: Leidensgeschichte. 221 Vgl. für Marx von Oltung AMS AST 35/5; AMS II, 53/17; AMS VI, 699/3. Vgl. für Ursel von Westhusen AMS AST 35/3; AH 769, S. 3. Vgl. für das Beispiel des Predigers Hartmann Ibach Schilling: Gewesene Mönche, S. 19. 222 Vgl. Leusser: Lebensbeschreibung. 223 Vgl. Schilling: Gewesene Mönche, S. 33, vgl. für eine Liste der hessischen Mönche, die den Pfarrerberuf annahmen ders.: Klöster und Mönche in der hessischen Reformation, S. 226ff.
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
sche Pfarrer.224 Vielen, die diesen Weg einschlugen, fehlte darüber hinaus gerade in der Frühzeit der Reformation noch die feste Anstellung, weshalb nicht wenige ehemalige Mönche als Wanderprediger vagabundierten. Aus Straßburg sind keine solchen Fälle bekannt. Johannes Schilling beschreibt aber den Lebensweg des ehemaligen Mönchs Hartmann Ibach. Nach seinem Klosteraustritt war der ehemalige Mönch nicht weniger als sieben Jahre lang – bald mit Frau und Kind – in Hessen und Sachsen als Wanderprediger unterwegs, bis er 1528 eine feste Anstellung in Marburg erlangen konnte. Dabei war Ibach bis auf sein Einkommen aus Predigten völlig mittellos. Sein väterliches Erbe war in Form seiner Mitgiften bei den Johannitern und, da er das Kloster einmal gewechselt hatte, bei den Franziskanern geblieben. Sein Leben als Wanderprediger empfand Ibach offenbar als sehr strapaziös. 1533, im Alter von 46 Jahren, wandte er sich an den Landgrafen von Hessen mit der Bitte um finanzielle Unterstützung, sein Leben als Wanderprediger habe ihn die Gesundheit gekostet. Ibach starb im selben Jahr.225 In der Verwaltung des Landgrafen fanden in Hessen nur wenige ehemalige Mönche Verwendung.226 Gängiger, besonders für die weniger gebildeten Mönche, waren wohl der Weg in den Bürgerstand und das Erlernen eines Handwerks. In Straßburg kauften sechs von 20 ehemaligen Franziskanern das Bürgerrecht.227 Unter den ehemaligen Dominikanern und Augustinern sind nur drei beziehungsweise zwei Mönche bekannt, die Bürger wurden, allerdings wurden diese Konvente erst 1530 und 1534 endgültig aufgelöst, während das Bürgerbuch nur bis in das Jahr 1530 ediert ist.228 Dabei war die politische Situation in Straßburg für ehemalige Mönche vergleichsweise günstig. Selbst protestantische Reichsstädte verwehrten teilweise ehemaligen Mönchen in der Frühphase das Bürgerrecht. Nürnberg etwa erlaubte verheirateten Mönchen zunächst nicht einmal, im Stadtgebiet zu wohnen.229 224
Vgl. Franz: Hessische Klöster, S. 159f. Vgl. Schilling: Gewesene Mönche, S. 18ff. 226 Vgl. Franz: Hessische Klöster, S. 159f. 227 Vgl. Wittmer/Meyer: Livre de Bourgeoisie: Hans Spatz, Nr. 7978 und 6766; Ludwig Kuchenschaffner (Koch), Nr. 8010; Hans Kugel, Nr. 7623; Hans Ungerer, Nr. 8153; Jakob Müller, Nr. 7741 und Hans Specht, Nr. 7604. Die Liste ehemaliger Geistlicher, die das Bürgerrecht in Straßburg kauften, bei Baum: Magistrat und Reformation, S. 204ff. ist bei weitem nicht vollständig. 228 Vgl. Wittmer/Meyer: Livre de Bourgeoisie. Dominikaner: Johannes Murer, Nr. 7924; Christoph von Weldenstein, Nr. 7955. Augustiner: Philipp Heinrich, Nr. 8192; Wolfgang Schultheiß, Nr. 7273. Schultheiß war der erste Straßburger Priester, der heiratete, vgl. dazu Vermeulen: Konrad Treger, S. 48; Rüther: Bettelorden, S. 322 und AMS II, 21/48. 229 Vgl. Reicke: Geschichte der Reichsstadt, S. 800. 225
9.3 Perspektiven und Restriktionen
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In Straßburg und in anderen Städten konnten aber dank der liberaleren Bürgerrechtsvergabe nicht wenige Mönche tatsächlich als Handwerker Fuß fassen. Eine Erfolgsbiographie im Sinne Luthers konnte beispielsweise der ehemalige Straßburger Barfüßer Jakob Ständel vorweisen. Nachdem er das Kloster verlassen hatte, ging er nach Hagenau und lernte dort das Handwerk der Rotgerber. Er heiratete und bekam Kinder. Erst spät im Leben verarmte er, weil er nach eigener Aussage wegen der Teuerung sein Handwerk hatte aufgeben müssen und nun als Tagelöhner sein Brot verdiente – Schicksalsschläge, die aber nichts mit seiner Vergangenheit im Kloster zu tun hatten. Im Jahr 1578, wahrscheinlich schon weit über 70 Jahre alt, bat er den Straßburger Rat um eine Pension aus dem Gut der Barfüßer. In seinem Anliegen unterstützte ihn der Magistrat von Hagenau, da Jakob in seinem Handwerk sehr angesehen gewesen sei.230 Mehrere ehemalige Barfüßer dienten auch in den angesehenen Straßburger Zünften Zum Spiegel und Zur Möhrin. Von einigen ist bekannt, dass sie heirateten.231 Manch ehemaliger Mönch empfing das Straßburger Bürgerrecht nicht durch Kauf, sondern über die Heirat mit einer Bürgerin, so etwa der ehemalige Johanniter Alexander Berne, der 1524 von Anna, der Tochter des Fischers Caspar Meytag, das Bürgerrecht empfing.232 Auf die gleiche Weise wurde der ehemalige Kartäuser Christoph von Mühlheim Bürger der Stadt. Er heiratete 1526 Appolonia, die Tochter des Schneiders Jörg Armbruster, empfing von ihr das Bürgerrecht und diente in der Zunft seines Schwiegervaters.233 Einen ganz ähnlichen Weg ging auch der Basler Franziskaner Johannes Schwan, dessen Biographie und Klosteraustritt Rüttgardt und Schilling ausführlich untersuchen. Schwan war von 1524 bis 1526 Drucker in Straßburg, wo er auch seine eigene Apologie druckte. Er heiratete die Witwe seines Vorgängers in der Werkstatt, Balthasar Beck, und erwarb so das Straßburger Bürgerrecht und ein Auskommen.234 Andere Mönche konnten in ihrem Handwerk sogar an ihre Tätigkeit im Kloster anknüpfen. Andreas Waldner etwa, ein ehemaliger Johanniter, der im Kloster als Maler tätig gewesen war, kaufte 1526 das Bürgerrecht und 230
Vgl. AMS II, 21/38. Vgl. für Hans Spitz AMS AST 1091; für Ludwig Kuchenschaffner (Koch) AMS AST 1091, AMS VI, 699/3, AMS AST 36/9; für Nikolaus Sponer AMS AST 1091, AMS VI, 699/3, AMS AST 36/9; für Hans Kugler AMS AST 1091, AMS VI, 699/3; für Hans Unger AMS AST 1091, AMS VI, 699/3; für Jakob Müller AMS AST 1091, AMS VI, 699/3 und für Hans Specht AMS AST 1091. 232 Vgl. Wittmer/Meyer: Livre de Bourgeoisie, Nr. 7513 und AMS AST 35/5. 233 Vgl. Wittmer/Meyer: Livre de Bourgeosie, Nr. 8130; ADBR G 1686/1 und AMS AST 36/5, fol. 7v. 234 Vgl. Rüttgardt: Klosteraustritte, S. 38ff.; Schilling: Johannes Schwan, S. 141ff. und auch Schilling: Gewesene Mönche, S. 8ff. 231
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
diente in der Zunft Zur Steltz, der Zunft der Maler, Bildhauer und Glaser.235 Wieder andere Mönche erlernten als Autodidakten einen völlig neuen Beruf. Der ehemalige Straßburger Kartäuser Michel Herr, der mit dem Altammeister Philipp von Otenheim verschwägert war, verdingte sich erst als Verwalter, dann als Arzt im Straßburger Spital. Er erhielt offenbar keine regelmäßige Pension, aber Zuschüsse, um seinen neuen Beruf zu erlernen und auszuüben, nämlich 1525 100 Gulden für Arzneien, Bücher und Kleidung. Durch die Heirat mit einer Zunftwitwe erhielt er auch das Bürgerrecht und diente Zum Spiegel.236 Die Betätigungsfelder ehemaliger Mönche vom Arzt bis zum Wanderprediger waren also tatsächlich deutlich vielfältiger als diejenigen ehemaliger Nonnen, wenn sich auch eine Konzentration auf das Ausüben eines Handwerks – denn als solches hatte letztlich auch der Arztberuf in der Frühen Neuzeit zu gelten – herauszukristallisieren scheint. Dennoch finden sich auch einige Belege dafür, dass auch ehemalige Mönche nach dem Klosteraustritt in Schwierigkeiten und Armut geraten konnten. Ihre Chancen auf eine gesellschaftliche Integration hatte der Augsburger Ratskonsulent Rehlinger, der schon Bedenken gegen die Schließung der Frauenklöster geäußert hatte, ebenfalls als gering eingeschätzt.237 Tatsächlich verschwindet über die Hälfte der namentlich bekannten Straßburger Barfüßer nach der Schließung des Klosters völlig aus den Straßburger Akten. Möglicherweise traten einige von ihnen in andere Franziskanerklöster ein. Eva Schlotheuber etwa konnte die Spur einiger ehemaliger Göttinger Franziskaner in noch bestehende Klöster verfolgen.238 Auch Klaus-Bernward Springer nennt Beispiele ehemaliger Dominikaner, die katholische Geistliche blieben. Er kann sie als Benediktinermönche nachweisen, einige erlangten von der Pönitentiarie Dispense von ihren Gelübden und waren als Weltpriester tätig.239 Auch der noch vor der Klosterschließung ausgetretene ehemalige Straßburger Dominikaner Erhard von Kremps verdingte sich als katholischer Weltgeistlicher. Er bat allerdings 1529 den Rat um eine Pension. Er habe seit einigen Jahren sein Geld mit Messlesen in der Stadt verdient und sei nun, da der alte Kultus verboten sei, seines Einkommens beraubt.240 235
Vgl. Wittmer/Meyer: Livre de Bourgeoisie, Nr. 8062; AMS AST 35/5. Vgl. Wittmer/Meyer: Livre de Bourgeoisie, Nr. 8676 und für die zahlreichen Anfragen Heers beim Stadtrat AMS AST 36/5, fol. 6r, 19r, 25r, 28r, 40r, 41r, 44r und AMS II, 28/16, Nr. 15 und Nr. 16. 237 Vgl. dazu Gößner: Nonnenklöster in Nürnberg und Augsburg, S. 109f. 238 Vgl. Schlotheuber: Franziskaner in Göttingen, S. 58f. 239 Vgl. Springer: Dominikaner, S. 27. 240 Vgl. AMS II, 60/16. 236
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Auch andere Dominikaner hatten offenbar Schwierigkeiten, Unterkunft und Unterhalt zu finden. Noch vier Jahre nach der Auflösung der Gemeinschaft hausten drei Mönche im verlassenen Klostergebäude, die offenbar nicht wussten, wohin.241 Ähnlich erging es dem alten Kartäuser Hans Vach. Er war bereit, das Kloster zu verlassen, wusste aber nicht, wo er wohnen sollte. 1525 verschaffte ihm der Rat eine Kammer im Haus der Münsterfabrik, eine jährliche Pension von 52 Gulden und Gesinde, das nach ihm sehen sollte. Dennoch empfand Hans Vach diese Lebensweise wohl als unkomfortabel und ließ sich schon ein Jahr später vom Prior der Kartause überreden, zurückzukehren.242 Auch der ehemalige Kartäuser Caspar Hofmeister gab 1527 dem Rat gegenüber an, er sei alt, arm und müsse betteln.243 Einige der Mönche verließen die Stadt und versuchten sich anderweitig zu etablieren. Vier ehemalige Johanniter teilten dem Rat schon 1526 mit, sie seien in andere Städte gezogen und würden ein Handwerk ausüben. Sie seien aber dennoch arm und „mit kindern überfallen“ und bäten daher um Pension.244 Eine interessante Persönlichkeit war offenbar auch der ehemalige Kartäuser Hans Kalb, der wohl zumeist mittellos war. Er taucht mit geradezu enervierender Regelmäßigkeit mit Pensionsforderungen in den Ratsprotokollen auf. 1525 supplizierte der ehemalige Mönch erstmals um Pension. Die Klosterherren bemühten sich sogar um eine Unterkunft für ihn und brachten ihn zur Untermiete im Haus eines Hans Schnepfen unter mit der Begründung, man wolle verhindern, dass er zum Dieb werde. Dennoch wird Hans kurz darauf des Stehlens verdächtigt. Einige Jahre später bat er um die Erhöhung der Pension. Er gab an, er sei blind, arm und verrückt, seine Frau sei schwanger und könne daher nicht mehr so viel arbeiten. Er habe Straßburg verlassen und lebe in Ettenheim. 1526 verhandelten die Klosterherren mit dem Rat in Hans’ Heimatstadt Kalb über seine Pension. Die Stadtherren zogen in Betracht, ihn in das Spital aufzunehmen. Der Prior allerdings weigerte sich die Pension zu zahlen, weil Hans nicht so blind sei, wie er tue. Außerdem hatte der ehemalige Kartäuser offenbar eine Schmähschrift gegen das Kloster verfasst. 1527 verschwindet der Name aus den Protokollen.245 Aus seinem patriarchalischen Selbstverständnis heraus und aus Sorge um die Akzeptanz seiner Religionspolitik war der Straßburger Rat ganz offen241
Heinrich Schimpach, Hans Mußler und Thomas Premerius, vgl. AMS AH 4614. Vgl. ADBR G 1686/1; AMS AST 36/5, fol. 7v und 14v. 243 Vgl. AMS VI, 699/3. 244 Vgl. AMS II, 53/18, die Mönche sind Johannes Latomus, Alexander von Villingen, Marx von Oltung und Wolfgang von Bergheim. 245 Vgl. AMS AST 36/5, fol. 6v, 7r, 8r, 13r, 14v, 15r, 16v, 17v, 17r und 23v und AMS II, 28/16. 242
300
9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
sichtlich bemüht, ehemalige mittellose Mönche und Nonnen aus dem Stadtbild fern zu halten und kam den Ausgetretenen zumeist weit mit Unterstützung entgegen, sei es durch Geldzahlungen für Werkzeuge oder Bücher, sei es als Garant der Pensionen, die gerade weiter bestehende Gemeinschaften nur widerwillig auszahlten.246 Religiose beiderlei Geschlechts mussten, wenn sie nicht eine andere Möglichkeit fanden ihren Lebensunterhalt zu verdienen, von den gezahlten Pensionen leben. Die Höhe der Pensionen wurde von den Stadtherren abhängig vom Vermögen des jeweiligen Klosters berechnet. Die Nonnen des vergleichsweise armen Klosters St. Katharina erhielten demnach nur 40 Gulden, die Laienschwestern 16 Gulden jährlich.247 Die Nonnen von St. Klara auf dem Wert erhielten mit 27 Pfund etwas mehr, auch hier gab man den Laienschwestern aber nur 10 Pfund.248 Die Dominikaner erhielten nach längeren Verhandlungen 52 Gulden und Hausrat.249 Damit hatten die meisten Nonnen und Mönche deutlich weniger als ein Handwerker zur Verfügung, von dem, was die Laienschwestern erhielten, ließ sich in Straßburg nicht leben. Hinzu kam die starke Teuerung im 16. Jahrhundert, die das Geld entwertete. Wer tatsächlich nur seine Pension zur Verfügung hatte, hatte kein sonderlich komfortables Auskommen. Die Pensionen allein waren also sicherlich nicht Anreiz und Sicherung genug, aus dem Kloster auszutreten.
9.4 Freunde und Feinde: Die Konventsgemeinschaften als Bezugsgruppen 9.4 Freunde und Feinde
Nonnen und Mönche, die grundsätzlich bereit waren, das Kloster zu verlassen, mussten ihre persönlichen Perspektiven und Möglichkeiten prüfen. Diejenigen, die dazu tendierten, zu bleiben, mussten sich darüber Rechenschaft ablegen, ob sie auch bereit waren, weiterhin mit ihren Mitschwestern oder -brüdern zusammen zu leben. Neben der Identifikationsmöglichkeit, die die Gemeinschaften boten und die familiäre Identitätsangebote ersetzen konnten, sind sicherlich auch die emotionalen Bindungen nicht zu 246
Auch dem ehemaligen Kartäuser Leonard Steffelin wird Geld für Werkzeuge gewährt, vgl. AMS AST 36/5 fol. 7r, 11v, 24 und AMS VI, 699/3. 247 Vgl. für die Berechnung der Pension und die Höhe der Pension in St. Katharina AMS AH 1851. 248 Vgl. AMS AH 1870. 249 Vgl. AMS VI, 699/2, fol. 14r ff. Zum Vergleich: Auch in Hessen schwankten die Pensionen stark. Adelige Klosterfrauen erhielten 100 Gulden jährlich plus Getreiderationen, Bettelordensbrüder erhielten 50 Gulden, vgl. für einen Überblick Franz: Hessische Klöster, S. 160f.
9.4 Freunde und Feinde
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unterschätzen.250 Gegenüber dem Rat betonten besonders die Straßburger Nonnen mehrfach die Bedeutung der Gemeinschaftlichkeit. Als die städtische Obrigkeit 1525 alle Frauen aufforderte, die Klöster zu verlassen, schrieben die Nonnen von St. Magdalena zurück, die Herren mögen ihre „lannge bywonung, schwesterliche und herzliche liebe, frud und einigkeit, inn deren wir je und je mit einander, ettliche uff 27 jar, ettliche darob und darunder gelept und gewont“ berücksichtigen. Sie wollten „die uberige zyt unsers lebens gern also by einander schlyssen“.251 Ganz ähnlich äußerten sich die Frauen von St. Nikolaus, um die Schließung ihres Klosters 1592 abzuwenden: „Do haben wir die herren gebeten, uns bei einander zu lassen, wir wellen gern nomen wasser und brodt essen, man sol uns nur bei einander in unsserm kloster lassen.“252 Die Konvente waren nicht nur Religions-, sondern auch Lebensgemeinschaften und damit der Nährboden, auf dem enge Freundschaften, aber auch bittere Feindschaften kultiviert wurden. Die Entscheidung für oder gegen das Bleiben in der Gemeinschaft war sicherlich auch von diesen ganz konkreten sozialen Beziehungen abhängig. Dafür bieten sich in Straßburg und außerhalb zahlreiche Bespiele. Wie eng die Freundschaften zwischen Konventualen sein konnten, zeigt, dass sie auch über Klosteraustritt und Klosterschließung hinaus lange Bestand haben konnten. Ein Beispiel ist aus dem Kloster Wienhausen im Fürstentum Lüneburg überliefert. Die Herzogin Appollonia war von ihrer Familie auf Druck der protestantischen Brüder Otto und Ernst von Braunschweig-Lüneburg 1527 aus dem Kloster gelockt worden.253 1531 floh auch ihre Freundin, die Äbtissin Katharina Remstede aus dem Kloster. Als diese schließlich 1537 nach Wienhausen zurückkehren konnte, schrieb ihr Apollonia einen Brief, der ausdrückt, wie eng die Freundschaft zwischen den beiden war: 250
Vgl. für Fallstudien zu Freundschaften von Nonnen und Mönchen Signori: Freundschaftsdokumente; Evangelisti: Rooms to share, die Freundschaften und Feindschaften im Konvent San Giulia in Brescia untersucht, und Rüther: Monastische Korrespondenz, der die Bedeutung schriftlicher Kommunikation für den Erhalt monastischer Freundschaft anhand von relativ lose zusammengestellten Beispielen vom frühen Mittelalter bis zur Reformation untersucht. Sigrid Schmitt kann die Bedeutung von persönlichen Beziehungen am Beispiel der Straßburger Klarissen aufzeigen, vgl. Schmitt: Straßburger Frauenkonvente, S. 89. Besonders die „geistige Freundschaft“ zwischen Männern und Frauen, meist zwischen einem geistigen Lehrer und einer spirituell oder mystisch begabten Nonne, hat in der Mediävistik in jüngerer Zeit einige Aufmerksamkeit gefunden. Im folgenden Abschnitt geht es aber um alltägliche Freund- und Feindschaften. 251 Vgl. AMS AH 1286/1. 252 Vgl. ADBR H 3061, fol. 4. Amy Leonard sieht in der „Solidarität“ der Nonnen eine wichtige Ursache für das Überleben der von ihr untersuchten Straßburger Dominikanerinnenklöster, vgl. Leonard: Nails in the Wall, S. 8. 253 Vgl. Mager: Gewissen gegen Gewissen, S. 162.
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„Des ich dan langest byn begerende gewest, das ich den dack ableben müchte, das M.v. wydder zu weynhausen kem, wolt gott das ich nhu balt noch eyn mall ad M.v. kumen, das solt myr gaudium super gaudium seyn.“
Appollonia schickte der Äbtissin Geschenke und unterzeichnete den Brief mit „abbatissa filia vestra fidelissima ad mortem usque“.254 Ein verblüffend ähnliches Freundschaftsdokument ist auch aus Straßburg überliefert. Die Nonne Ursula Ublerin, die bei der Schließung von St. Nikolaus ausgetreten und in ein Kloster in Schlettstadt eingetreten war, schrieb drei Jahre nach der Auflösung von St. Nikolaus an ihre ehemalige Mitschwester Agnes Wurmser, die bei Verwandten lebte: „Mine dusentfaltige herzfruntliche gruß, myn liebes agnessin. Wie es dir goth, von wie du lebst, möchte ich mitt großer begird wol vernemen. [...] ist mir, ich möchte uff dißem erdrich nith liebers haben, dan daß du ein mol zu mir spacierest. Ach, lieber schatz, hab mir nitt verungütt, daß ich dir uff daß nuw jar nitt geschryben, ist niemanth von den mynen wegferttig gewesen, hab ich den frembde ouch nitt vertruwen wellen, dwyl ich dir etwas schöns und kunstrichs stucklin vereern well, daß dir lieb und angeneme wurtt sin. Aber dwyl die faßnacht nun herzu ruckt, hett ich herzlich gern, daß du zu mir kemest und die gütt jar selber holtest [...] Grüße unser mutter priorin, subpriorin und die swestern alle frintlich, wan du zu inen kumbst.“
Ursula unterzeichnete ihren Brief, ebenso wie die Herzogin Appolonia, mit einer besonders vertraulichen Grußformel: „din truwe gespiel bis in myne tod“.255 Über die enge Freundschaft zwischen Ursula und Agnes hinaus zeigt der Brief auch, dass die ausgetretene Agnes noch Kontakt zu den in St. Margaretha lebenden Nonnen der ehemals eigenständigen Gemeinschaft von St. Nikolaus hatte. Die Verbindungen waren offenbar noch sehr eng. Agnes Wurmser verließ, wie bereits erwähnt, noch im selben Jahr (1595) ihre Verwandten ohne deren Einwilligung und floh zu ihrer Freundin Ursula in das Schlettstetter Kloster. Der Rat belangte daraufhin Anna Morgin, eine ehemalige Laienschwester von St. Nikolaus, weil sie Agnes bei der Flucht geholfen habe.256 Dafür, dass die Frauen auch nach dem Klosteraustritt noch freundschaftliche Kontakte hielten spricht auch ein Beispiel aus St. Magdalena. Dort trafen ehemalige Schwestern und Konventualinnen sich zum gemeinsamen
254
Brandis (Hrsg.): Quellen zur Reformationsgeschichte, S. 394. AMS X, 419 (1595). Die „gütt jar“ waren traditionelle Neujahrsgeschenke. 256 Der Rat verfolgte die Sache, da Agnes ihre Verwandten ohne Vorwarnung und ohne deren Einwilligung verlassen hatte, weshalb sich vermutlich auch das persönliche Schreiben der Ursula Ubler in der städtischen Überlieferung befindet, vgl. AMS II, 6/8, S. 6. Anna Morgin schwor 1595 Urfehde, vgl. AMS II, 39/9. Vgl. zum Schreiben von Agnes an ihre Verwandten, in dem sie ihre Flucht begründet AMS II, 39/14. 255
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Bad und zu gemeinsamen Mahlzeiten, wie der empörte Schaffner des Klosters dem Rat mitteilte.257 Keineswegs aber war die in diesen Briefen zum Ausdruck kommende Harmonie in Klostergemeinschaften allgegenwärtig. Zu vielfältig war das Konfliktpotential in den Gemeinschaften, das durch den seit den zwanziger Jahren in die Konvente einsickernden konfessionellen Sprengstoff verschärft wurde. Einer, der die neue Lehre rezipierte und dadurch mit seinem Prior in Konflikte geriet, war der Kartäuser Otto Brunfels. Brunfels war wahrscheinlich einer der ersten Mönche, die mit dem reformatorischen Gedankengut in Straßburg in Kontakt kamen. Der Kartäuser bemühte sich stark um Anschluss an humanistische Kreise. In der Kartause hatten elsässische Humanisten wie Geiler von Keysersberg, Jakob Wimpfeling, der Ammeistersohn Peter Schott, Sebastian Brant und Hieronymus Gebwiler verkehrt und auch die Bibliothek lässt humanistische Einflüsse vermuten.258 Schon 1519 stand der aus Mainz stammende Magister Brunfels in Kontakt mit evangelischen Humanisten wie Wolfgang Capito und Pellikan.259 Über den Schlettstetter Humanisten Beatus Rhenanus, mit dem er Briefe wechselte, versuchte Brunfels auch mit Erasmus Kontakt aufzunehmen, den er verehrte. Erasmus jedoch signalisierte Desinteresse, was den Mönch tief kränkte.260 Brunfels Briefe belegen, dass er schon früh gut informiert war über das aktuelle reformatorische Geschehen im Reich: Im November 1520 hatte er Luthers wohl im Juli des gleichen Jahres erschienene Schrift An
257
Vgl. AMS AH 1286/7, undatiert. Vgl. Passmann: Kartause, S. 145f. Die Bibliothek der Kartäuser enthielt Werke der lateinischen und griechischen Antike sowie Schriften zeitgenössischer Humanisten, vgl. Schmidt (Hrsg.): Katalog der Bibliothek der Straßburger Kartause, S. 55, 64. In der jüngeren Humanismusforschung werden Bibliotheksbestände allein allerdings nicht mehr als ausreichendes Kriterium für die humanistische Orientierung einer Klostergemeinschaft gewertet, vgl. Müller: Habit und Habitus, S. 6f. 259 Vgl. Roth: Otto Brunfels, S. 286. 260 Zum Funktionieren humanistischer Zirkel sowie zu den Zugangsbedingungen zu denselben vgl. Müller: Habit und Habitus, der herausstellt, dass sich die Zugehörigkeit zum Zirkel der Humanisten vor allem von der Akzeptanz durch Gleichgesinnte definierte. Vgl. zu verschiedenen Aspekten des Humanismus als „intellektuellem Habitus“ die gesammelten Aufsätze von Helmrath: Wege des Humanismus. Zu den Beziehungen zwischen Humanisten und Reformatoren im Elsass vgl. den Ausstellungskatalog Humanisme et Réforme. Zu den genannten Humanisten vgl. Lembke/Müller: Humanisten. 2009 erscheint voraussichtlich der Band zur Tagung 550 Jahre Sebastian Brant (2007). Vgl. zu Otto Brunfels’ Bestrebungen um Kontakt mit Erasmus Roth: Otto Brunfels, S. 287; Hartfelder: Otto Brunfels, S. 256f. 258
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den christlichen Adel deutscher Nation gelesen und verfügte über eine Abschrift der päpstlichen Bannbulle gegen den Reformator.261 Seine Gesinnung hielt Brunfels zunächst gegenüber der Klostergemeinschaft geheim, teilte aber seine Gewissenszweifel mit Beatus Rhenanus. Das Verhältnis zwischen Brunfels und seinem Prior, Martin Gallitius, war offensichtlich schlecht. Kryptisch und in Bibelzitaten verklausuliert bezeichnete Brunfels seinen Oberen Anfang August 1520 als Satan und Tyrannen. Ganz offensichtlich fürchtete er sich aber noch, offen zu sprechen, vielleicht aus Angst, seine Briefe könnten überprüft werden. Er fügte nur hinzu: „Intelligis, quid velim.“262 Seine feindseligen Gefühle dem Prior gegenüber, so schreibt er an Rhenanus, lege er nicht offen, er antworte seinem Oberen weiterhin mit Freundlichkeit und Ehrerbietung.263 Im Folgebrief vom 29. August 1520 klingt Brunfels schon kampfeslustiger. Er war verärgert, da der Prior vor einigen Stadträten Erasmus verunglimpft habe. Er habe den Humanisten als Häretiker bezeichnet, dabei sei es doch der Prior selbst, der den Sinn der Heiligen Schrift verdrehe. Brunfels, der sich selbst als Humanist sah, obwohl er in den inneren Kreisen wohl eher eine Randerscheinung blieb, spottete, ganz in Erfüllung „humanistischer Elitenrethorik“, auch über die Bildungslücken seines Priors.264 Wie er sich allerdings dem „Tyrannen“ gegenüber verhalten sollte, wusste Brunfels nicht. Sollte er offen mit ihm brechen? Der Prior der Freiburger Kartause, mit dem Brunfels ebenfalls in Kontakt stand, hatte ihm davon abgeraten. Nun bat er Rhenanus um Rat, dem er vertraute: „quod tibi de hac tentatiuncula visum fuerit, hoc faciam, verba tua mihi erunt oraculum.“265 Brunfels’ Briefe erlauben eine Blick in einen Konvent kurz vor der Spaltung. Einige Mönche haben lutherische Schriften rezipiert und sind von deren Richtigkeit überzeugt, trauen sich aber noch nicht, ihren Glauben offen zu bekennen. Die Reformation hatte Straßburg noch kaum erreicht, Unterstützung von außen war in den frühen zwanziger Jahren wenig zu erwarten. Gleichzeitig ist zu erahnen, dass die Klosterleitung versuchte, die neuen Gedanken zu unterdrücken. Der Prior wurde für den neugläubigen Brunfels zum Kristallisationspunkt seiner Abneigung gegen den alten Glauben und zum willkommenen Feindbild. Brunfels schrieb, der Prior habe ihn wie Weizen gesiebt. Dieses in eine Ich-Aussage verkehrte Bibel261
Vgl. Horawitz (Hrsg.): Briefwechsel des Beatus Rhenanus, Nr. 182, S. 252f. Vgl. zu diesem Briefwechsel auch knapp Müller: Habit und Habitus, S. 332. 262 Horawitz (Hrsg.): Briefwechsel des Beatus Rhenanus, Nr. 176, S. 244. 263 Horawitz (Hrsg.): Briefwechsel des Beatus Rhenanus, Nr. 176, S. 243. 264 Horawitz (Hrsg.): Briefwechsel des Beatus Rhenanus, Nr. 177, S. 245. Vgl. zum in den Briefen der „Klosterhumanisten“ häufig aufscheinenden Topos des in der Klostergemeinschaft isolierten humanistischen Mönchs Müller: Habit und Habitus, zusammenfassend S. 362f., hier 363. 265 Horawitz (Hrsg.): Briefwechsel des Beatus Rhenanus, Nr. 177, S. 246.
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zitat könnte auf konkrete Kontrollmaßnahmen des Priors hinweisen, wie etwa die Erforschung des Gewissens im Gespräch oder eine Zellendurchsuchung.266 Sollte der Prior sich um Brunfels Gewissen gesorgt haben, waren seine Bemühungen vergeblich. Kurze Zeit nach dem letzten überlieferten Brief an Rhenanus im November 1520 verließ Brunfels das Kloster.267 Während Otto Brunfels 1520/1521 noch vorsichtig war, offen mit dem Prior zu brechen, hatten sich die Verhältnisse bis 1524 schon so zugunsten der Neugläubigen verschoben, dass die Franziskaner gegen ihren Oberen, Thomas Murner, offen den Aufstand proben konnten. Murner, durch seine Schriften, wie bereits gezeigt, beliebte Zielscheibe neugläubiger Angriffe, hatte auch in seinem Konvent einen schweren Stand. Die Mönche wandten sich offen gegen ihn. Als Murner etwa als einziger der Franziskanergemeinschaft erklärte, sein Gewissen erlaube ihm nicht, die neue Lehre und den Schutz und Schirm der Stadt anzunehmen, schlug ihm aus seinem Konvent nur Hohn und Spott entgegen. Die Mönche schrieben in sarkastischem Ton an den Rat, „das es frylich ein seltzammer heilger geist mus sin, der yme disse ingeschlagene consienz gemacht hett, das er euer gnaden als von gott inngesetzter ordenlicher oberkeyt nit darff gehorchen oder tribut geben vonn dem gulden, den er allein mit essen, drincken und schloffen verdient.“268
Besondere Schwierigkeiten gab es, war das Zusammenleben konfessionell gespaltener Konvente auf Dauer angelegt. Aus Straßburg ist nur der Fall der beiden gegen Mitte des Jahrhunderts in St. Margaretha lebenden evangelischen Frauen Anna und Walburga Böcklin überliefert. Hier kam es zu Konflikten, in die auch der Rat involviert war und die das alltägliche Ringen um den Glauben verdeutlichen. Die beiden Böcklerinnen wollten „das evangelium“ hören, während die anderen Nonnen versuchten, sie dazu zu bringen, am Stundengebet teilzunehmen, „die siben zeitt sing“. Auch, dass die Böcklerinnen sich weigerten, den Habit zu tragen, sorgte für den Unmut der altgläubigen Nonnen. Diese forderten vom Rat, man möge den Böcklerinnen das Hören der Predigt untersagen, man möge ihnen „papistische bücher“ geben, nicht wie der Schaffner, der ihnen „ein ewangelisch buch kaufft“. Die beiden Böcklerinnen machten zudem keinen Hehl daraus, dass sie lediglich im Kloster 266
„criberet me sicut triticum“, Horawitz (Hrsg.): Briefwechsel des Beatus Rhenanus, Nr. 176, S. 243. Vgl. Lukas, 22, 31. 267 Vgl. Roth: Otto Brunfels, S. 288. Ohne die Absicherung durch eine Pension, wie sie später in Straßburg für ausgetretene Mönche gezahlt wurde, war er zunächst mittellos. Er wandte sich an den bekennenden Lutheraner Franz von Sickingen und machte anschließend eine Karriere als Lehrer, Prediger und Gelehrter. 268 AMS II, 21/21, S. 1.
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
seien, „das sie da ihr nahrung haben“ und baten den Rat um Erlaubnis, die Predigt in St. Aurelien hören zu dürfen, was der Rat ihnen gerne erlaubte.269 Ähnliche Konflikte sind auch aus gemischtgläubigen Gemeinschaften außerhalb Straßburgs überliefert. Die protestantische Nonne Anna Tucher berichtet etwa aus dem Kloster Engelthal bei Nürnberg über Streitigkeiten. Die Altgläubigen würden die Neugläubigen bei ihren Verwandten anschwärzen. „wen sy horen, das eine hynauß wil, so sachen sye an, was sye kunen, das es verhyndert wer. Auch etlich, die zu dem wort gotes syn haimlich gefallen, do sye gehort haben, das myn uns so grawsam mit gefaren, do syn sye wider abgefalen, haben gesagt: das machet sye unnsynig.“270
Im Zisterzienserinnenkloster Rechentshofen in Württemberg führten die Auseinandersetzungen zwischen evangelischen und katholischen Nonnen sogar zu Schlägereien im Refektorium.271 Häufig handelte es sich bei den Konflikten aber wohl auch um generellen Unmut, Missgunst und Streitigkeiten von Klostergemeinschaften, die in der Reformationszeit dann konfessionell überlagert wurden. Ein Beispiel ist der Straßburger Dominikanerkonvent. Hier kam es 1524 zu einer Spaltung zwischen dem Prior, Nikolaus von Bläsheim und seinen Anhängern sowie einer protestantischen Fraktion. Nikolaus von Bläsheim stellte sich als einer der wenigen Mönche im Konvent gegen die Reformation, zog damit aber ähnlich wie Thomas Murner nur den Hass und Spott seiner Konventualen auf sich.272 Der Prior hatte versucht, die Verbreitung der neuen Lehre mit Verboten zu verhindern. Er untersagte den evangelisch gesinnten Mönchen den Ausgang und den Besuch der Predigt und erlaubte ihnen nicht, in den Schutz und Schirm der Stadt einzutreten. Bläsheim forderte damit allerdings eine offene Meuterei heraus.273 Eine Ratsvisitation zeigt sehr deutlich die Fronten. „Nyd und haß“ seien im Kloster, sagte der Mönch Thomas Bremer aus.274 Auf der Seite des Priors standen lediglich die Mönche in höheren Ämtern, nämlich der Subprior, der Kellerer, der Zinsschaffner und einige auswärtige Mönche. Diese Gruppe war offenbar von lästigen Pflichten wie dem Messlesen befreit. Der vorreformatorische Keim der Streitigkeiten scheint darin zu liegen, dass es einen privilegierten Kernkonvent gab. So klagten die Mönche gegenüber den Visitatoren über 269
Vgl. AMS AST 37/4, S. 9ff. und AMS II, 57/11. Dümmler (Hrsg.): Neun Frauenbriefe, S. 332. 271 Vgl. Rückert: Rechentshofen, S. 87. 272 Vgl. u.a. AMS II, 5/7. In diesem Schreiben fordert das kaiserliche Regiment den Rat auf, den Dominikanerprior nicht zu verfolgen und auch Verfolgungen seitens der Mönche zu unterbinden. 273 Vgl. AMS II, 61/7, Nr. 3. 274 AMS II, 61/7, Nr. 2, fol. 7v. 270
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ungleiche Präsenzgelder, die im Krankheitsfall gestrichen würden, was allgemein als ungerecht empfunden wurde. Die Strafen seien gegenüber den einfachen Mönchen zu hart, während privilegierte Mönche, wie der Zinsschaffner, sogar eine Konkubine und Kinder hätten, ohne belangt zu werden. Einige Mönche seien auch vom Fasten exemt.275 Für die übrigen, so beschwerte sich der Mönch Johannes Murer, gebe es auch außerhalb der Fastenzeiten häufig nur Suppe und Gemüse.276 Der Subprior führte die ganze „irrung“ darauf zurück, dass der Küchenschaffner wegen einer Strafe beleidigt sei.277 Gleichzeitig scheint es sich bei dem Streit auch um einen Generationenkonflikt gehandelt zu haben. Friedrich, der Kellerer, sagt aus, er könne über den Prior nichts Schlechtes sagen, nur „die Jungen Convent brudern“ seien ungehorsam.278 Die rebellierenden protestantischen Mönche versagten schließlich Nikolaus von Bläsheim den Gehorsam und wählten einen anderen zum Prior, woraufhin Nikolaus aus der Stadt floh und Siegel und Schlüssel des Klosters mit sich nahm. Bis zur Übergabe der Klostergüter durch die letzten Mönche 1530 sollte er nicht in seinen Konvent zurückkehren.279 Auch die Priorin von St. Nikolaus, Susanna Brünnin, polarisierte ihren Konvent.280 In diesem Konflikt scheinen ebenfalls konfessionell gefärbte alltägliche Streitigkeiten im Vordergrund zu stehen. Susanna Brünnin geriet offenbar in einen Streit mit der Schaffnerin des Klosters, Katharina Schenk. Worin der Konflikt begründet war, ist nicht bekannt. Laut der tendenziösen Chronik von St. Margaretha war Katharina Schenk Protestantin und versuchte, die neue Lehre unter den Schwestern des Konvents zu verbreiten.281 Denkbar scheint aber ebenfalls, dass sich die beiden Frauen als Konkurrentinnen gegenüber standen. Katharina Schenk war die älteste Nonne im Konvent, dennoch war die zehn Jahre jüngere Susanna zur Priorin gewählt worden.282 In jedem Fall schwärzte Katharina Schenk ihre Priorin beim Rat wegen Misswirtschaft an. Als Susanna Brünnin Priorin ge275
Vgl. AMS II, 61/7, Nr. 2. Vgl. AMS II, 61/7, Nr. 2, fol. 3r f. 277 Vgl. AMS II, 61/7, Nr. 2. 278 Vgl. AMS II, 61/7, Nr. 2, fol. 4r. 279 Vgl. AMS II, 60/17; AMS II, 5/5; AMS II, 61/1 und AMS VI, 699/2. 280 In der Literatur wird häufig eine charismatische Führungspersönlichkeit als wichtiger Faktor im Überlebenskampf der Konvente genannt, vgl. Westphal: Frau und lutherische Konfessionalisierung, S. 134; Specker/Weig: Einführung der Reformation in Ulm, S. 189 und die Literatur zu Caritas Pirckheimer. Im Straßburger Fall lässt sich, wie die genannten Beispiele ehrgeiziger Prioren und Priorinnen belegen, dieses Diktum nicht bestätigen. 281 Vgl. Chronik St. Margaretha, BMS Ms. 901, vgl. zu dieser Episode auch die Einschätzung von Leonard: Nails in the Wall, S. 136. 282 Vgl. für das Alter der Nonnen AMS II, 7/38, Nr. 19. 276
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worden sei, so Katharina Schenk vor dem Rat, seien „die brunen“, also die Verwandten der Priorin, „her zu gestoben wie die mocken im august“ und die Priorin hätte mehrmals mehrere hundert Gulden an sie verteilt.283 Ein Teil des Konvents blieb der Priorin aber auch über deren Verhaftung und die Schließung des Konvents hinaus treu ergeben. Die Anhängerinnen bettelten um die Freilassung der Priorin, um die sie „mangen tüffen suffzen loßen und heyßen threhen vergießen“ würden.284 Denunziationen bei den in Visitationen omnipräsenten Ratsherren wurden offenbar zu einem strategischen Mittel innerklösterlicher Zänkereien. Die Laienschwester Agnes Steußin, die im Kloster St. Margaretha lebte, beschwerte sich 1545 bei den Ratsvisitatoren zunächst über das Essen. Die Schaffnerin gebe ihnen zu wenig und zu schlechtes. Was man früher den Armen vor die Tür gegeben habe, wärme man nun für die Laienschwestern auf. Prompt fügte sie eine skandalöse Information hinzu: „die schaffnerin und die and Leyenschwester, die Margreth, habs mit einand.“285 Selbst die ansonsten um das sittliche Leben der Klöster sehr besorgten Stadtherren gingen dieser wahrscheinlich aus Zwist und Rache motivierten Anschuldigung nicht nach. Schließlich suggeriert eine Auseinandersetzung im Johanniterhaus, dass es sich bei den konfessionellen Konflikten nicht unbedingt um durch gebildete, theologische Disputationen geführte Auseinandersetzungen handelte, sondern dass auch persönliche Animositäten und geradezu kindische Zänkereien bestimmend sein konnten. Der Johanniter Johannes Mesinger wurde Anfang der zwanziger Jahre vom Rat aufgefordert, seine auch außerhalb der Kommende bekannt gewordenen Streitigkeiten mit der Gemeinschaft darzulegen. Mesinger gab unter anderem eine Szene im Refektorium wieder. Das Gespräch zwischen den Mönchen sei auf die Prediger gekommen, die neuerdings in der Stadt die neue Lehre verbreiteten. Der Prior habe daraufhin gesagt, diese seien alle Ketzer und Nichtsnutze. Johannes erzählt weiter: „Und do seit ich, sie seiten das heylig ewangelion und die gettlich worheit. Do seit der prior, ich soltt schwetzen, ich were ein esselkopp und ein schitz. do seit ich zu im, er were ouch einer und heitt er sollt schweigen. [...] Do hieß er mich ein leker und ein buben und ich sollt selbst schweigen. und do güngen mier in die Complet.“286
283
Vgl. für die Anzeige beim Rat in AMS II, 7/20, Nr. 31. Vgl. AMS II, 39/15. 285 AMS II, 57/11. 286 AMS II, 53/18, Nr. 13. „Schitz“ könnte „Schütz“ heißen, eine Bezeichnung für einen kastrierten Schafbock, vgl. Grimmsches Wörterbuch, Bd. 15, Sp. 2123. „Leker“ bedeutet Lügner. 284
9.5 Zusammenfassung
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9.5 Zusammenfassung 9.5 Zusammenfassung
Die Entscheidungssituationen von Mönchen und Nonnen für oder gegen einen Klosteraustritt sind vielzählig und biographisch einzigartig. Dennoch lassen sich anhand der untersuchten Aspekte bestimmte Merkmale erkennen, die diese Situationen kennzeichneten. Unterschieden werden kann zwischen intrinsischen und extrinsischen Motiven der Religiosen. Durch die politischen und religiös-konfessionellen Kontingenzen des 16. Jahrhunderts und vor allem die reformatorische Kritik an ihrer Lebensweise waren Mönche und Nonnen gezwungen, ihre Identität als Religiose zu reflektieren und sich im sich auffächernden Spektrum der Glaubensvorstellungen zu positionieren. Schwierig war dies für Religiose besonders deshalb, da nicht nur ihr Bekenntnis, sondern auch ihre Lebensweise, ihr Stand und auch ihre Geschlechtsidentität mit ihrer konfessionellen Positionierung eng verwoben waren. Dementsprechend breit war auch das Spektrum der Reaktionen auf die religiösen Neuerungen, das von der schlichten Verweigerung der Reformulierung der Ich-Identität bis hin zu Mönchen und Nonnen reichte, die ihre Konversion und ihren neuen Glauben zum zentralen Element ihrer Selbigkeit ausbauten. Häufig ist aber auch zu beobachten, dass die Religiosen zwischen altem und neuem Glauben schwankten, Teile des alten Glaubens beibehielten, oder aber einen sehr pragmatischen Umgang mit den Konfessionen pflegten. Gerade weil eine Konversion im Falle von Religiosen noch stärker als in der Frühen Neuzeit allgemein immer auch die Wahl einer neuen Lebensweise mit sich brachte, waren Mönche und Nonnen in ihrer Entscheidung stark von den Perspektiven abhängig, die ein Leben außerhalb des Klosters bot. Alltagspraktische Restriktionen wie die Frage nach Unterkunft, Unterhalt, Beruf, Heirat und dem Bleiberecht in einer Stadt oder einem Territorium mussten erwogen, ein neuer Lebensentwurf imaginiert und umgesetzt werden. Dazu gehörte auch, dass die Zugehörigkeit zur Konventsgemeinschaft, die auch eine Lebensgemeinschaft war, aufgegeben wurde. Je nachdem, wie intakt das Gemeinschaftsleben war, konnten die Freunde oder Feinde im Konvent zusätzlicher Ansporn für den Klosteraustritt sein, oder aber eine Restriktion darstellen.
9.6 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen 9.6 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen
Gerade in der Frage der alltagspraktischen Perspektiven nach dem Klosteraustritt hatten Nonnen deutlich geringere Handlungsmöglichkeiten. Konnten sie nicht in ihre Familien zurückkehren oder heiraten, blieb die Unter-
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9. Mönche und Nonnen zwischen Kloster und Welt
kunft in einer außerklösterlichen Lebensgemeinschaft, die allerdings als Lebensmodell unüblich und sicherlich mit einem sehr geringen sozialen Prestige versehen waren. Mönche hingegen ergriffen, wie an zahlreichen Einzelfällen gezeigt werden konnte, eine Vielzahl unterschiedlicher Berufe vom Handwerker bis zum evangelischen Prediger. Allerdings gilt es, die Perspektiven ehemaliger Mönche nicht zu überschätzen, die stark vom Bildungsgrad der Religiosen, und, ebenso wie bei den Nonnen, vom Alter abhängig waren. Nicht nur handfeste, praktische Probleme aber können den häufig größeren Widerstand von Nonnen gegen die Annahme der Reformation erklären. Wie gezeigt werden konnte, stand auch die spezifische Frömmigkeitspraxis der Frauenklöster der Annahme protestantischer Klosterordnungen entgegen. Während Martin Bucer in Straßburg für einen nüchternen Kultus eintrat, der von allen Äußerlichkeiten bereinigt und damit im Weber’schen Sinne „entzaubert“ sein sollte, herrschte in den untersuchten dominikanischen Frauenklöstern eine haptische, objektbezogene und visuelle Frömmigkeitspraxis vor. Die Praxis der Nonnen war damit in besonderem Maße inkompatibel mit den Idealvorstellungen der Reformatoren und traf daher auf größte Ablehnung von Seiten der Frauen. Zurückzuführen ist die besondere Frömmigkeitspraxis der Frauenklöster auf unterschiedliche Bildungsideale für Nonnen und Mönche, die den Nonnen von vornherein den Zugang zu den theologischen Diskursen des Reformationszeitalters erschwerten. Dass sich weibliche Religiose stärker gegen die Reformation wehrten als männliche, war den Nonnen dabei durchaus bewusst, wie im Zuge der Untersuchung der spezifischen Geschlechtsidentitäten der Frauen gezeigt werden konnte. In verschiedenen chronikalischen Schriften und EgoDokumenten lässt sich das in den Frauenkonventen generierte Idealbild der wehrhaften Nonne finden, ein Bild, mit dessen Hilfe die Nonnen Identitätspolitik betrieben und dass sie nachwachsenden Konventualen gemäß der hagiographischen Praxis zur Nachahmung empfohlen. Der himmlische Lohn wurde in Aussicht gestellt.
Kapitel 10
Strategisches Handeln von Mönchen und Nonnen in Straßburg In den vorangegangenen Abschnitten stand die Entscheidung der Mönche und Nonnen für oder gegen einen Klosteraustritt im Vordergrund. Das folgende Kapitel fokussiert nun auf diejenigen Gemeinschaften, in denen sich ein Kern von Individuen für die Beibehaltung der monastischen Lebensweise entschieden hatte. Gefragt wird nach den Handlungsmöglichkeiten und -strategien der Mönche und Nonnen zur Verteidigung ihrer Lebensweise. Das Verhältnis zum Rat und die Auslotung und Verhandlung der Beziehungen zu den Klöstern gilt es also noch einmal aus der Perspektive der Nonnen und Mönche zu beleuchten. Bereits in der Untersuchung der Klosterpolitik des Magistrats hat sich gezeigt, dass der Rat seine Ziele nicht uneingeschränkt umsetzen konnte und gewisse städtische Interessen der Schließung der Klöster gegenüber standen. Auch durch strukturelle Merkmale der Klöster ergaben sich Handlungsmöglichkeiten für die Nonnen und Mönche. Im Folgenden soll untersucht werden, wie die Konventualen den sich so ergebenden Handlungsraum nutzten. Im Großen und Ganzen lassen sich dabei in Bezug auf die Interaktion mit der städtischen Obrigkeit zwei unterschiedliche Handlungsstrategien herausarbeiten: Opposition und Kooperation.
10.1 Opposition 10.1 Opposition
10.1.1 Konfessionelle Opposition. Praxis des katholischen Kultus und Widerstand gegen die Predigt Besonders die drei Frauenklöster St. Margaretha, St. Nikolaus und St. Magdalena bestanden nicht nur institutionell weiter, sondern, so weit die Quellen einen Einblick zulassen, auch als genuin altgläubige, monastische Gemeinschaften. So sehr sich der Rat auch bemühte, die Nonnen durch Verbote und Bekehrungsversuche vom alten Glauben abzubringen, das Orgeln, Singen und Messelesen wollte in den drei Frauenklöstern nicht aufhören. Dies führte unweigerlich zu Konfrontationen mit den Prädikanten, die besonders in der ersten Hälfte des Jahrhunderts regelmäßig in den Klöstern predigten. In St. Margaretha hatte in der Frühzeit der Reformation
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10. Strategisches Handeln von Mönchen und Nonnen
zunächst Kaspar Hedio dieses Amt inne, dann Martin Bucer (April bis Juni 1525), schließlich auch Matthias Zell. Offenbar war aber keiner der Prediger mit seinem Amt sehr zufrieden, alle gaben es schnell wieder auf.1 Wer in den zwanziger Jahren in St. Nikolaus predigte, ist nicht bekannt, sicher war aber auch diesem Kloster ein Prediger verordnet worden. Möglicherweise hatten die Klöster aber zwischenzeitlich keine evangelischen Seelsorger, da sich keine willigen Kandidaten finden ließen. Erst um 1540 ist Johannes Lenglin, der Sekretär Bucers, in St. Nikolaus bezeugt.2 Wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, standen sich die Vorstellungen der Prädikanten und die Vorstellungen der Nonnen über ein gutes und frommes Leben diametral gegenüber. Eine einfache Methode des Widerstands der Nonnen gegen die Predigt war, sie nicht zu hören. Die Nonnen von St. Margaretha und St. Magdalena, verstopften sich, wie bereits in anderem Zusammenhang geschildert, die Ohren. Hinter den Chorschranken saßen zu Bucers Zeiten einmal nicht die Nonnen selbst, sondern Engelstatuen.3 Auch die Nonnen von St. Nikolaus erschienen zu Predigten in ihrem Kloster ganz einfach nicht. 1536 beschloss der Rat, die Chorschranke entfernen zu lassen, „das man sehen konne, das sie darinn sitzen“.4 Ähnliche Strategien sind auch aus Klöstern in anderen Teilen des Reiches überliefert. Im Kloster Wienhausen im Fürstentum Braunschweig-Lüneburg musste der Herzog die Predigt ebenfalls mit Nachdruck durchsetzen: „[...] ein auffmerker in der Chor-Thür war gestellet, acht zu haben ob man auch fleissig zuhörete.“5 Es konnte aber auch zur direkten Konfrontation zwischen Predigern und Nonnen kommen. Die Klosterchronik von St. Margaretha berichtet zum Beispiel über eine Auseinandersetzung zwischen der Priorin Bock und Martin Bucer. Als Bucer zum Predigen in das Kloster kam, habe die Priorin ihn als ehemaligen Dominikaner angesprochen und gesagt, als seine Ordensschwester beweine sie seinen Lebenswandel.6 Laut der Klosterchronik brachten diese Worte Bucer völlig aus der Fassung. Er sei erbost gewesen und habe erwidert, die Nonnen hätten wohl seinen Predigten nicht richtig zugehört, das Klosterleben sei nicht von Gott eingesetzt, die Frauen 1
Zu den Amtszeiten der Prediger vgl. Vierling: Ringen, S. 41f. Vgl. zu Lenglin Bopp: Evangelische Geistliche und Theologen, Nr. 3128. Laut dem Eintrag in Bopp war Lenglin von 1528–1537 Sonntagsprediger in St. Nikolaus. 1540 ist er aber in den Quellen des Stadtarchivs immer noch bezeugt, vgl. AMS II, 41–42a/7. 3 Vgl. zu St. Magdalena Bibliothèque du Grand Séminaire, Ms. 2101/R. Vgl. zu St. Margaretha BMS Ms. 901, S. 136. Vgl. auch AMS AST 135/5. 4 AMS AST 35/10, fol. 11v. 5 Chronik des Klosters Wienhausen, hrsg. von Horst Appuhn, hier zitiert nach Brandis: Quellen zur Reformationsgeschichte, S. 366, der ebenfalls längere Passagen der Chronik wiedergibt. 6 Chronik St. Margaretha, BMS Ms. 901, S. 140. 2
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seien „daub und dörricht“.7 Als die Priorin daraufhin das Klosterleben verteidigte, sei Bucer nur noch erzürnter gewesen: „da gingen dem doctor die gall an“. Der Prädikant habe die Priorin mit „feurigem ahngesicht“ bedroht, so dass die anderen Nonnen sich schützend um sie hätten stellen müssen.8 Wie die meisten Erzählungen in der St. Margaretha-Chronik, ist auch dieser Abschnitt wohl in erster Linie auf die postwendende Mythologisierung des Reformationskonventes ausgelegt. Darauf, dass die Geschichte um den Konflikt mit Martin Bucer einen wahren Kern enthält, deuten aber schon die kurzen Amtszeiten der Prädikanten hin. Dafür spricht auch die Überlieferung aus den anderen Frauenklöstern. Aus St. Nikolaus sind ebenfalls Auseinandersetzungen mit den Prädikanten überliefert. 1549 weigerte sich der Prediger Johann Lenglin, weiter in St. Nikolaus zu predigen. Daraufhin vom Rat befragt, entschuldigte sich die Priorin wie folgt: „wann er gepredigt, so hab sy ime alle vleissig zugehört, sy wisse auch noch alles wol, was er gepredigt. Und darumb sy ime villeicht nit alles thun wollen, was er gewollt, hab er inen nit mehr predigen wollen, und gesagt, sy syen nit werth das sy das Gotzwort horen sollen. Mogen auch, das er oder ein ander inen wider predige, wollen sy ime gern zuhören.“9
Die Priorin schreibt weiter, es stimme nicht, dass, wie der Prädikant behaupte, sie „in der predigen mitt schlofen, lachen und andren unzuchtigen gebeide als mit kopf schutteln“ dasäßen.10 Die Nonnen gingen gleichzeitig zum Gegenangriff über. Der Prediger habe sie nur angeschwärzt, um das Predigen zu vermeiden, „dar mitt siner frawen wuchentlich der halb gulden in die kuchen unverdient wider werden möchte. aber euer gnaden mitt grundt der worheit zu beruchten: So hatt er uns in sine predigt fur und fur dem duffel befolhen und geben, mit huppen schelten und anzeigung, was die Böpst, Cardinal, munch und pfaffen by zeit irs lebens ye und allwegh in Clöstern und andren ortt vollpracht haben und das wortt gottes hyerin wenig bedocht, sonder von synen predigen mehr Ergernis dan gütts abgenomen haben.“
Die Nonnen baten den Rat weiter, sie nicht zu bestrafen. Falls der Prediger bereit sei, wieder bei ihnen Gottesdienst zu halten, „und uns das wortt gottes wie recht lernen und anzeigen, das wellen wyr mitt gottes gnoden gern hören“. Johann Lenglin ersuchte den Rat dennoch um seine Entlassung.11 7
Chronik St. Margaretha, BMS Ms. 901, S. 141. Chronik St. Margaretha, BMS Ms. 901, S. 141ff. Vgl. zu dieser Episode der Chronik und zur Quellenkritik auch die Überlegungen von Leonard: Nails in the Wall, S. 80f. 9 AMS II, 41–42a/7, fol. 2v. 10 AMS II, 41–42a/7, fol. 2v. 11 AMS II, 41–42a/7, vgl. zu dieser Episode auch Leonard: Nails in the Wall, S. 100f. Die Auseinandersetzungen zwischen Prädikanten und Klöstern waren insgesamt nicht selten. Vgl. für weitere Fallbeispiele Skobel: Lauban, S. 208f. und Rückert: Rechentsho8
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Nicht nur in den Konflikten mit den Predigern äußerte sich die konfessionelle Opposition der Nonnen. Sie hielten außerdem eisern an überkommenen Traditionen und an ihrer im vorangegangenen Kapitel skizzierten „magischen“ Frömmigkeitspraxis fest, obwohl sie auf besondere Schwierigkeiten in der Aufrechterhaltung des alten Kultus stießen. Bei der Pflege ihrer Riten waren sie auf die Unterstützung von Priestern angewiesen. Das Problem der cura monialium war kein neues für die Nonnen, verschärfte sich aber durch das Verbot des alten Kultus in der Stadt.12 Rapp geht aufgrund dieser besonderen Schwierigkeiten davon aus, dass die Sanktimonialen von St. Nikolaus zwischen 1529 und dem Interim die Messe praktisch gar nicht feiern konnten.13 Doch die Nonnen waren offenbar findiger, als man annehmen könnte. Insgesamt schafften es alle drei überlebenden Frauenklöster, zumindest ab und an die Messe feiern zu lassen. Die immer wieder im Rat diskutierten Beschwerden weisen jedenfalls darauf hin, dass die Frauen auch in der Zeit zwischen 1529 und 1548 hartnäckig am alten Kultus festhielten. 1537 erreichte den Rat eine Beschwerde, dass die Reuerinnen das Stundengebet gesungen hatten.14 1538 kam den Herren zu Ohren, ein Wilhelmit habe einen Schlüssel zum Kloster St. Nikolaus und halte dort die Messe.15 1545 wurde der Stadtobrigkeit berichtet, der Kustos der Johanniter halte gelegentlich die Messe in St. Margaretha.16 Noch mutiger wurden die Frauen in der Zeit nach der Einführung des Interims. 1554 nahmen die Reuerinnen Frauen „mit sonderen offenlich gebarung“ auf, also mit einer größeren, öffentlichen Professfeier.17 Im selben Jahr beschwerten sich die Prädikanten, in allen Frauenklöstern seien die „papistischen“ Gebräuche wieder aufgenommen worden.18 1556 erreichte den Rat eine Beschwerde, die Nonnen von St. Nikolaus würden orgeln und singen.19 Dieselbe Beschwerde wiederholte sich 1558. Die Frauen von St. Nikolaus hätten schon wieder „Mess singen und orglen lassen“, heißt es.20 Aus St. Nikolaus existiert außerdem eine Liste der Messen, Predigten und
fen, S. 86f. Vgl. auch den Brief, in dem der württembergische Prediger Johannes Geyling um seine Entlassung von der Predigt im Kloster Lichtenstein bittet (1538): Rauscher: Aus dem Lande von Brenz und Beugel, S. 82ff. 12 Die Liturgie der Frauenklöster war schon im Spätmittelalter auf Formen ausgerichtet, die auch ohne die Anwesenheit eines geweihten Priesters gefeiert werden konnten, vgl. Muschiol: Zeit und Raum, S. 41f. und 46. 13 Vgl. Rapp: Vie religieuse, S. 17. 14 Vgl. AMS AST 35/10, fol. 12r. 15 Vgl. AMS AST 35/10, fol. 14r. 16 Vgl. AMS II, 57/11. 17 AMS AST 37/2, S. 84. 18 Vgl. AMS AST 178/1. 19 Vgl. AMS AST 37/3, S. 37. 20 AMS AST 37/3, S. 38.
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Beichten, die der Beichtvater Philipp Kegelhoff in den Jahren 1563–1565 gehalten und gepredigt hat. Der Priester war demzufolge in dieser Phase fast jeden zweiten Tag im Kloster mit liturgischen Handlungen beschäftigt.21 Indem sie jeden Bekehrungsversuch verweigerten, wurden die Nonnen in der Stadt bald zu einem Kuriosum, einem historisch anmutenden Relikt aus einer anderen Zeit. Rat und Prädikanten gingen mal mehr, mal weniger umsichtig mit den Frauen um.22 1592 war die Entfernung der Bilder aus den Straßburger Kirchen schon 60 Jahre her. Ratsherren, Prädikanten und Bevölkerung gehörten einer Generation an, die schon vollständig im neuen Glauben und mit der reformierten Frömmigkeitspraxis aufgewachsen war. Als der Kirchenkonvent nun anlässlich der Zusammenlegung der Dominikanerinnenklöster darüber beriet, ob in den Klosterkirchen der verbliebenen Konvente St. Margaretha und St. Magdalena in Zukunft öffentlich der evangelische Gottesdienst unter Anwesenheit der Frauen gehalten werden sollte, hatten selbst die Prediger Bedenken. Zumindest, so teilten sie dem Rat mit, müsse man dem Volk aber zu verstehen geben, sich nicht über die Frauen lustig zu machen, um sie nicht zu verprellen.23 Die Nonnen feierten nicht nur weiterhin die Messe, sondern hatten auch die spezifische Frömmigkeitspraxis über Generationen hinweg in ihrem klausurierten Mikrokosmos konserviert. Als ihnen die Reuerinnen von St. Magdalena 1579 eine wundertätige Heiligenstatue schenkten, ehrten die Dominikanerinnen von St. Nikolaus die Statue bei deren Ankunft mit einer Prozession im Kreuzgang.24 Auch Bildproduktion und Bildverehrung blieben lebendig. In der Kirche von St. Margaretha fanden sich 1592 immer noch Heiligenbilder und anderer Schmuck.25 Das Geschenkbuch von St. Nikolaus aus dem 16. Jahrhundert belegt, dass das Malen von Heiligenbildern als ausgeprägte Tradition im Kloster fortgeführt wurde. Es scheint wahrscheinlich, dass die Miniaturen nicht nur verschenkt wurden, sondern 21
Die Liste diente wahrscheinlich dem Nachweis der Bezahlung des Priesters. Im Jahr 1563 hielt Kegelhoff 156 gesungene Messen und elf gelesene Messen, 74 Predigten und nahm 13 Mal die Beichte ab. Für die Jahren 1564 und 1565 sind 322 gesungene Messen und 32 gelesene Messen, 127 Predigten und 19 Beichtrituale verzeichnet, vgl. AMS II, 39/17. 22 Bis zu einem gewissen Grad gehörte die Rücksicht auf lieb gewonnene Traditionen zum pädagogischen Konzept der Prädikanten. Bucer begründet etwa in Grund und Ursach die Beibehaltung der liturgischen Gewänder bis zum Jahr 1530 damit, „das wir die leüt guotwillig behielten, biß sye das wort gefasseten“, vgl. Grund und Ursach, BDS 1, S. 231. 23 Vgl. AMS AST 135/5. 24 Vgl. Geschenkbuch St. Nikolaus, AMS II, 39/20; vgl. auch Rapp: Vie religieuse, S. 20. 25 Vgl. AMS AST 135/5.
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weiterhin auch in der Andachtspraxis der Nonnen Verwendung fanden.26 Außer Bildern, Geld und Lebkuchen verschenkten die Nonnen von St. Nikolaus auch religiöse Gegenstände, die ebenfalls auf eine weiterhin stabile, altgläubige Frömmigkeitspraxis verweisen: Reliquienkissen und Rosenkränze sind unter den Geschenken.27 Einen interessanten Einblick in die Frömmigkeitspraxis der Nonnen von St. Nikolaus bietet auch ein kleines Konvolut aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, das bei der Schließung des Klosters den zeitgenössischen Vermerk erhielt „Allerhand Nonnenwerck dorahn nicht viel gelegen“.28 Ein Zettel in dieser Sammlung vermerkt die Gebete, die jede Schwester im Todesfall einer Mitschwester zu erledigen hatte, darunter das „gebetllin herr ich bitt dich durch den schmerzen diner wunden“, das in der mythischen Anzahl der Wunden Christi besprochen werden sollte. Im Todesfall einer Schwester betete der ganz Konvent gemeinsam einen Marienmantel, bestehend aus 90.000 Ave Maria.29 In einem Heftchen in demselben Konvolut findet sich außerdem eine Liste von Heiligen und anderen Persönlichkeiten, die das Kloster schützen sollten. Paradoxerweise wird in dem kurzen Text zur Veranschaulichung die himmlische Hierarchie allegorisch mit den Straßburger Verfassungsorganen gleichgesetzt. Die heilige Dreifaltigkeit sei der Magistrat, den man um alles bitte, heißt es. Der Konvent habe des Weiteren vier Prokuratoren, die sie vor dem Magistrat vertreten würden. Als solche werden genannt: Maria, Johannes der Täufer, die Jungfrau Susanna und der heilige Ignatius von Antiochien. Weitere Heilige bilden einen Einundzwanziger, einen Fünfzehner und einen Dreizehner, ebenfalls Straßburger Verfassungsorgane.30 Sowohl Elemente der gezählten Frömmigkeit wie auch die Vorstellung von Heiligen als Fürsprecher der Lebenden vor Gott waren also noch sehr lebendig. Selbst als das Kloster 1592 kurz vor der Schließung stand, nahmen die Frauen Zuflucht in ihren alten Ritualen und hielten eine Prozession in ihrem Kloster ab: „also haben wir grosse, schwere gebet dag und nacht und crützgäng gedon.“ Dass dieses Buhlen um Gottes Gunst und um die Abwendung der Schließung keinen Erfolg zeitigte, führt die Schreiberin des zitierten Berichts über die Schließung des Klosters darauf zurück, dass auch die im Geiste bereits abtrünnig gewordenen Frauen an den Ritualen teilnahmen und daher deren Wirkkraft beeinträchtigt war: 26
Vgl. Rapp: Vie religieuse, S. 21 und Lentes: Bildgeschenke. Vgl. Lentes: Bildgeschenke, S. 20. 28 AMS II, 39/17. 29 Die Anzahl der Wunden Christi wird hier allerdings mit 6676 beziffert, vgl. AMS II, 39/17. 30 Vgl. AMS II, 39/17. 27
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„ist aber woll zu erarchten, das diese gebet nicht ein fellich gewesen, dis weil nit ein guter wil bestundlich zu bleiben bei allen gewesen und der abtrinnigen mer dan der bestendlichen gewessenden.“31
Weiter entfernt von Luthers Rechtfertigungslehre können religiöse Vorstellungen kaum sein. Annette von Boetticher hat für die evangelischen Damenstifte festgestellt, dass viele an lieb gewonnenen Gewohnheiten festhielten, auch wenn sich manche Konvente von Stiftsdamen zum evangelischen Glauben bekannten und Teile der protestantischen Klosterordnungen lebten: „[...] lieb gewordene Marienstatuen und Heiligenbilder wurden häufig an entlegener Stelle vor dem Zugriff der Visitatoren in Sicherheit gebracht“.32 Auch die Horen wurden teilweise beibehalten, im Kloster Mariengarten mussten die Visitatoren noch 1588, 40 Jahre nach Einführung der Reformation feststellen, dass die Stiftsdamen weder eine Lutherbibel noch die Kirchenordnung besaßen. Häufig, so die Einschätzung von Annette von Boetticher, konnte der innere Wandel erst in der zweiten Generation vollzogen werden, als bereits im Elternhaus protestantisch erzogene Frauen die Reformationsgeneration ersetzten.33 Die Nonnen von St. Nikolaus und St. Margaretha schafften es sogar, ihre Frömmigkeitspraxis über Generationen hinweg zu konservieren. Durch die Abgeschiedenheit der Klausur und die stark konservative Haltung der Nonnen, die offenbar von Generation zu Generation weitergegeben wurde, schützten die Nonnen von St. Nikolaus, St. Margaretha und St. Magdalena ihre bisherige Praxis vor der Infiltration mit den in der Stadt vorherrschenden, neugläubigen Strömungen. Im Ergebnis war zum Zeitpunkt der Schließung von St. Nikolaus 1592 die Frömmigkeitspraxis in beiden Klöstern immer noch an den „Moden“ des späten 15. Jahrhunderts orientiert. Die „Entzauberung“ der Frömmigkeitspraxis war an ihnen vorbeigegangen. Gleichzeitig stärkte die Beibehaltung der alten Praxis die Nonnen sicherlich in ihrem Widerstand, indem sie ihrer Lebensweise den Sinn erhielt. Auch in Männerklöstern hatten die Mönche bald erkannt, dass Wort und Schrift der Lutheraner eine Gefahr für die Gemeinschaften darstellten. In der Schrift Triplex Ratio, mit der der Dominikaner Bartholomäus Kleindienst 1558 seinem Orden erklärte, warum seine Lage so schlecht sei, ging der Mönch auch auf die Gründe für den Personalmangel des Ordens ein. Ursachen dafür seien unter anderem die Überzeugungskraft und der Unter31
ADBR H 3061, fol. 8r. Von Boetticher: Chorfrauen, S. 225. 33 Vgl. von Boetticher: Chorfrauen, S. 225f. Vgl. dazu auch Wurm: Kloster Dobbertin. In Dobbertin wurden die altgläubigen Frauen 1562 aus dem Kloster entfernt, sie kehrten allerdings teils heimlich zurück, bekehrten ihre Schwestern und führten den katholischen Kultus wieder ein. 32
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haltungswert der protestantischen Schriften. Wenn die Neugläubigen die Mönche nicht „viva voce“ aus dem Kloster schwatzen könnten, dann würden sie sie mit ihren Schriften locken: „Omitto jam, quod nonnulli plus amant libros scurrilitate quam devotione plenos.“34 In einigen Klöstern zog man ähnlich wie in den Frauenklöstern die entsprechenden Konsequenzen. Clemens Leusser berichtet in seinem Konversionsbericht über das strenge Verbot lutherischer Schriften vor seinem Amtsantritt als Abt, das vor allem von den älteren Mönchen durchgesetzt worden sei. Er selbst sei deshalb so lange ein glühender Anhänger der alten Lehre geblieben, da er nichts als altgläubige Predigten zu hören bekommen habe: „[...] audivi lectiones praeceptorum et aliis vacabam lectionibus papisticae religionis authorum. [...] nam ab incunabulis aliam nec audieram nec didiceram, et sub caceris pena prohibitum fuit in coenobio, ne quis lutheranorum libros legeret, sed pocius ut istos velut sathanam ipsum fugeret, seniores persuadebant monachi.“35
Auch im Straßburger Johanniterkloster wurde gerade in der Frühzeit der Reformation eine extrem restriktive Strategie gegenüber neugläubigen Einflüssen angewandt, wie das bereits zitierte Beispiel des verprügelten und in den Kerker geworfenen Konvertiten Georg belegt.36 Auch der bekennende Lutheraner Johannes Mesinger wurde von den gemeinsamen Mahlzeiten im Refektorium ausgeschlossen, als „ketzer“ beschimpft und von seinem Mitbruder Wilhelm geschlagen.37 Ab den dreißiger Jahren allerdings scheint der Eifer der Johanniter für den alten Kultus erkaltet zu sein. Bis zur Mitte des Jahrhunderts hatten die Mönche die Messfeier wohl praktisch eingestellt. Zumindest fehlen die für die Frauenklöster so zahlreich überlieferten Belege dafür, dass das Messverbot des Rates übertreten worden wäre. Einen Hinweis bietet auch die Begründung, mit der Komtur und Rat die 1541 geplante Ordensvisitation zu verhindern suchten. Man habe, so heißt es in einem Ratsschreiben, an der Religion „besserung und anderung furgenomen“, was es dem Orden zu verheimlichen gelte.38 Dafür, dass das Haus protestantisch geworden wäre, gibt es aber keine Hinweise. Zumindest in den Ortschaften, in denen der Komtur das Recht der Pfarrbesetzung hielt, setzte er weiterhin katholische Geistliche ein.39
34
Kleindienst: Triplex ratio, S. 73. Leusser: Lebensbeschreibung, S. 254. 36 Vgl. AMS II, 53/17 und ausführlich oben S. 262f. 37 Vgl. AMS II, 53/18, Nr. 13. 38 Vgl. AMS II, 52/16, fol. 2r. 39 Vgl. AMS AST 35/6 (9. Februar 1563). 35
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Möglicherweise parierten die Mönche lediglich aufgrund äußerer Umstände, verstanden sich aber dennoch als katholische Gemeinschaft. Dafür spricht, dass es in den sechziger und siebziger Jahren zu einer Renaissance des alten Kultus unter dem Komtur Erasmus Sutter (1567–1578) und seinem Nachfolger Andreas Wilhelm (1578–1595) kam. Um 1575 häuften sich die Berichte, auf dem Grünen Wert werde wieder öffentlich die Messe abgehalten.40 Darüber, wer und wie viele Personen die Messe im Kloster besuchten, finden sich verschiedene Angaben. Der Rat beklagte sich, die Johanniterkirche werde auch von „burgerlichen personen“ und von „vilem Jung gesindle auß der statt“ aufgesucht und forderte den Komtur mehrfach auf, die Türen des Klosters für die Öffentlichkeit zu schließen. Die Stadtherren drohten sogar mit dem Entzug des Schirms.41 Der Komtur gab zunächst zu, es seien „allerhandt geistlich und weltlich, hochs und nid standts personen, auch Burg und Burgers Söhn, jung und alt“, die in seine Kirche kämen.42 Kurz darauf spielte Erasmus Sutter aber die Bedeutung des Zustroms herunter und teilte mit, es handele sich lediglich um Angehörige und Gesinde des Domkapitels und des Stifts Jung-St. Peter.43 Die Aufforderung aber, die Messe nicht öffentlich zu halten, ignorierte der Komtur. Er antwortete dem Rat, er habe bisher keinem Adeligen oder Bürger je Tisch oder Kirche versagen können. Der Rat selbst möge die nötigen Mittel ergreifen, wenn ihm daran gelegen sei, dass seine Bürger die Messe nicht mehr besuchten. Ihm sei es „beschwerlich“ und „würde mir auch gegen meiner und meines Ordens Oberkait schwerlich zu verandtwurten sein“.44 Die Drohung, den Johannitern den städtischen Schirm zu entziehen, machte der Rat nicht wahr. Dementsprechend blieb alles beim Alten. Erst im April 1578 brachten einige Ratsherren die Frage erneut im Magistrat ein. Sie waren besorgt. Man habe den Eindruck, dass „die Baepstische Mess ie mehr und mehr zuonimbt, nicht allein zuo S. Johann, sondern ahn mehr orten sich erhebt“.45 Der Rat debattierte darüber, ob nun andere Maßnahmen als nur „guotlich ahnseuchen“ ergriffen werden müssten. Ab Sommer 1578 postierten die Stadtherren Wachen vor dem Kloster, die die Bürger abschrecken sollten, allerdings ebenfalls nur mit mäßigem Erfolg.46 Am Ostertag 1579 zählten die Knechte 250 Personen, die die Messe be40
Vgl. vor allem die zu den Johannitern angelegten Exzerpte aus den Ratsprotokollen, AMS AST 35/6. 41 ADBR H 1637. 42 ADBR H 1637, fol. 8v. 43 Vgl. AMS AST 35/6, fol. 36v f. (Juni bis Oktober 1575). 44 ADBR H 1637, fol. 10v. 45 AMS AST 35/6, fol. 43v. 46 Vgl. AMS AST 35/6, fol. 45r ff.
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suchten.47 Der Andrang bleibt Thema in den Ratsprotokollen bis 1590, ohne dass der Rat sich dazu durchringen konnte, die Messe endgültig zu verbieten.48 In der Literatur wird der zunehmende Besuch der Kirche der Johanniter mit einer durch die katholische Konfessionalisierung bedingten Renaissance des alten Glaubens in Verbindung gebracht. In Straßburg waren die siebziger Jahre auch die ersten Amtsjahre Bischof Manderscheids, der sich entschlossener als sein Vorgänger Erasmus gegen den protestantischen Rat stellte und diesem den traditionellen Eid verweigerte. Auch gab es Berichte über das Auftreten von Jesuiten in der Stadt, die 1570 mit der Unterstützung Manderscheids ein Kolleg in Molsheim gegründet hatten, sowie über die Vergrößerung der Konvente.49 Dennoch blieb die Wirkung der katholischen Erneuerung in Straßburg insgesamt begrenzt. 250 Messbesucher in einer Stadt mit rund 20.000 Einwohnern machen noch keine Renaissance. Eine deutliche Wende im strategischen Handeln der Johanniter aber ist nicht zu übersehen. Gegen Ende des Jahrhunderts riskierten die Mönche zugunsten der öffentlichen Praxis des alten Glaubens, ihren Schirm zu verlieren. Dass sie damit im politischen Klima der Zeit nach dem Augsburger Religionsfrieden ihren Handlungsspielraum richtig einschätzten, zeigt sich darin, dass der Rat sich trotz wiederholter Debatten nicht zum Handeln entschließen konnte. 10.1.2 Politische Opposition. Widerstand durch die Verweigerung von Ratsbefehlen und die Übertretung von Verordnungen Es existierte in Straßburg wohl kaum eine Klosterverordnung, die nicht im 16. Jahrhundert von der einen oder anderen Gemeinschaft unterwandert worden wäre. Die Ratsprotokolle verzeichnen minutiös die Verstöße – jedenfalls dann, wenn sie den Stadtherren zu Ohren kamen. Das Spektrum der gebrochenen Verordnungen ist groß. Es reichte davon, dass die Johanniter unautorisiert ihr Getreide verkauften bis zur Verweigerung der Zahlung des Schirmgelds.50 Besonders offen opponierten die Nonnen der drei 47
Vgl. AMS AST 35/7, fol. 52r f. Vgl. AMS AST 35/7. Vgl. zum gesamten Vorgang auch die vom Rat erstellte Zusammenfassung, AMS AST 36/8 und den Bericht in Büheler: Chronique, S. 132 und 136. 49 Vgl. Vierling: Ringen, S. 113ff. und Bornert: Réforme, S. 245f. Vgl. zu Johann von Manderscheid auch Abray: The People’s Reformation, S. 92 und Hahn: Johann Manderscheid, besonders S. 9ff. Vgl. zur Niederlassung der Jesuiten: Châtellier: Einführung des tridentinischen Katholizismus, S. 386. Manderscheid schwor den Eid erst 1578, vgl. Büheler: Chronique, S. 134. 50 Vgl. für unautorisierten Getreideverkauf AMS AST 35/6 (30. Mai 1573). Vgl. für die Verweigerung des Schirmgeldes durch die Johanniter ab 1565 AMS AST, 35/6, fol. 39r f. 48
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überlebenden Frauenklöster St. Nikolaus, St. Margaretha und St. Magdalena gegen die Politik des Rates. Ein politisches Ziel des Rates, das sich nur schlecht durchsetzen ließ, war die wirtschaftliche Kontrolle der Klöster. Dass der Rat die Finanzen der Klöster zu kontrollieren versuchte, war kein Novum. Bereits im späten Mittelalter hatte sich der Straßburger Stadtrat bemüht, Kontrolle über die Vermögensverwaltung der Klöster zu gewinnen.51 In Straßburg begannen die Auseinandersetzungen zwischen Rat und Geistlichkeit um die Frage der Erbberechtigung von Klöstern und Religiosen, die aus städtischer Sicht einen Verlust von bürgerlicher Finanzkraft an die Tote Hand darstellte.52 1367 richtete der Rat das Pflegeramt für alle bestehenden Klöster ein. Eine Aufgabe der Pfleger war es, die Wirtschaftsführung der Gemeinschaften anhand der Rechnungen zu kontrollieren.53 Eine Sonderstellung nahmen schon im 14. Jahrhundert die Johanniter ein. Aufgrund der Regelungen, die der bürgerliche Gründer Rulman Merswin mit der Fundationsurkunde getroffen hatte, waren die Mönche von Anfang an relativ stark der städtischen Kontrolle unterworfen. Bei der Fundation hatte Merswin 1371 die Aufsicht dreier Pfleger über das Haus festgeschrieben.54 Bettelordenshäuser gerieten ebenfalls mancherorts früh unter städtische Verwaltung. Besonders die observanten Häuser waren aufgrund der rechtlichen Behelfskonstruktionen, die die Einhaltung des Armutsideals ermöglichen sollten, teilweise gezwungen, ihre Güter von Laien verwalten zu lassen.55 Die Straßburger Niederlassungen der Dominikaner und Franziskaner waren allerdings nicht observant. Zwar hatten die Straßburger Barfüßer nach 1330 für einige Zeit weltliche Schaffner, um gewissen Reformvorstellungen zu genügen. Um 1500 wurden ihre Güter aber wieder von Brüdern des Konvents verwaltet. Auch die Straßburger Dominikaner
51
Vgl. dazu allgemein Isenmann: Deutsche Stadt, S. 210ff. Vgl. für eine detaillierte Studie der städtischen Einflussnahme am Beispiel Memmingens Kießling: Stadt und Kloster, besonders S. 159ff. 52 Bereits im 13. Jahrhundert kam es zu einem heftigen Konflikt zwischen Dominikanern und Franziskanern sowie dem Stadtrat um diese Frage. Vgl. zum so genannten Dominikanerstreit Rüther: Bettelorden, S. 229ff.; Pfleger: Kirchengeschichte, S. 92ff. und Schmidt: Notice, S. 165ff. 53 Vgl. zur Bestellung der Pfleger S. 102. Vgl. auch Demandt: Konflikte, S. 151. 54 Vgl. zur Gründung und den Modalitäten der Gründungsurkunde die Chronik der Johanniter, Abschrift u.a. in ADBR H 1383 und die Gründungsurkunde in UB Straßburg, Bd. 5, Nr. 934, S. 720. 55 Vgl. dazu Neidiger: Armutsbegriff und Wirtschaftsverhalten, S. 207ff. Auch weltgeistliche Verwalter konnten eingesetzt werden. Neidiger geht besonders auf die Reformvorstellungen der unterschiedlichen observanten Strömungen im Franziskanerorden ein, diskutiert aber auch Dominikaner und Augustiner-Eremiten.
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und Augustiner-Eremiten hatten im späten Mittelalter fast immer eigene Brüder als Schaffner.56 Den Frauenklöstern wurden ebenfalls seit dem 14. Jahrhundert Pfleger und Schaffner verordnet.57 Die Pfleger traten als juristische Vertreter der Frauenklöster nach außen auf.58 Die Schaffner erstellten die jährliche Rechnung, die sie den Äbtissinnen beziehungsweise Priorinnen sowie dem Pfleger vorlegen mussten.59 Die Nonnen waren dennoch weiterhin an der Verwaltung der Klöster beteiligt. Sie erhielten vom Schaffner einen Betrag zur Verwendung für Haushaltsanschaffungen und den alltäglichen Bedarf der Gemeinschaft, Priorinnen und Äbtissinnen tauchen auch in Urkunden über Gütergeschäfte auf. Die Frauen hatten also im Spätmittelalter zumindest ein Mitbestimmungsrecht in der wirtschaftlichen Verwaltung ihrer Güter.60 Mit der Einführung der Reformation versuchte der Rat, seine Kontrolle über die Wirtschaftsführung der Klöster auszudehnen. 1524 ordnete er an, dass alle Klöster von weltlichen Schaffnern verwaltet werden sollten und erließ eine Schaffnerordnung. Die Schaffner sollten die „zinß, gulten, schulden und anders“ verwalten, die Rechnung legen und überschüssige Bargeldbestände auf die Münze bringen. Sie sollten den Pflegern rechenschaftspflichtig sein.61 Gleichzeitig erweiterte der Rat mit einer neuen Pflegerordnung die Kompetenzen derselben in der Wirtschaftsverwaltung. Bargeld aus ausgelösten Krediten sollte nur noch mit Wissen der Pfleger reinvestiert werden dürfen. Explizit nur für die Frauenklöster beschloss der Rat auch, dass sie ohne Einwilligung der Pfleger keine Häuser oder andere Liegenschaften mehr für den Kauf von Leibgedingen oder Renten nutzen sollten.62 Ein Jahr später hielt der Rat aber auch die Pfleger der Männerklöster an, „dass sie davor seyen“, dass die Klöster Güter ohne ihr Wissen veräußern würden – dieser Beschluss ist allerdings wesentlich vager formuliert, als die Beschränkungen, die den Frauenklöstern auferlegt wur56
Vgl. Rüther: Bettelorden, S. 199f. Während die Pfleger zumeist besonders angesehene Bürger waren, häufig Altammeister oder Altstettmeister, konnten die Schaffner sowohl geistliche als auch weltliche Personen sein, vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 298. Schmitt kann zahlreiche Konversen als Schaffner in Frauenklöstern nachweisen. 58 Schmitt interpretiert die Einsetzung der Pfleger nicht nur als Kontrolle, sondern auch als Fürsorge des Rates aus Sorge um die nahen Angehörigen, die viele der Ratsherren in den Frauenklöstern hatten, vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 299. 59 Ordensgeistliche sind als Kontrolleure der Jahrrechnungen im späten Mittelalter nicht mehr bezeugt, vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 303, allerdings konnte Schmitt Ordensgeistliche als Kontrolleure der internen Äbtissinnenrechnungen nachweisen. 60 Vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 303. 61 Die Schaffnerordnung findet sich unter anderem in AMS AST 36/5, fol. 3r ff., hier fol. 3r. 62 Die Pflegerordnung ist unter anderem überliefert in AMS AST 36/5, fol. 2r f. 57
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den.63 Die Schaffner, die die Nonnen wohl bis zur Einführung der Reformation selbst ausgesucht hatten, sollten nun vom Rat bestellt werden und sollten Bürger sein.64 Weitere Einschränkungen der Selbstverwaltung der Klöster in Wirtschaftsangelegenheiten nahm der Rat vor, indem er Schenkungen oder Verkäufe liegender Güter an die Klöster verbot (1525).65 Später im 16. Jahrhundert schränkte der Rat außerdem den Getreidehandel der Klöster ein (1571).66 Die Umsetzung dieser Verordnungen ist allerdings nur bedingt gelungen. Sogar die traditionell eng an die Stadt gebundenen Johanniter verwalteten ihre Güter noch selbst. Zwar hatten die Johanniter neben ihren drei Pflegern weltliche Schaffner, die die Rechnungen erstellten.67 Auch die Barschaft des Klosters wurde in einer Truhe verwahrt, zu der nur die Pfleger die Schlüssel hatten.68 Dennoch traf der Komtur der Johanniter wichtige wirtschaftliche Entscheidungen auch im 16. Jahrhundert selbst, wie unter anderem aus dem Diarium des Komturs Martin Fabri hervorgeht.69 Auch die Kartäuser wehrten sich gegen die Kontrolle durch einen weltlichen Schaffner.70 Ob dem Rat die Durchsetzung überhaupt gelang, ist unklar, zumindest bis 1529 erstellten die Kartäuser ihre Rechnungen in Eigenregie. Möglicherweise nutzten die Mönche ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit, um ihre Steuerabgaben zu reduzieren, indem sie ihren Haushalt bewusst klein rechneten. Jedenfalls meldeten Hans von Blumenau und Georg Pfitzer, beide Pfleger der Kartause, 1529 vor dem Rat, sie hätten das Kloster inspiziert und es scheine ihnen, die Kartäuser hätten Bargeld vergraben. Auch hätten sie mehr Korn auf dem Speicher, als sie in ihrer Rechnung angeben würden.71 Ähnlich verfuhren die Nonnen von St. Niko63
Vgl. AMS II, 53/14 (Auszüge aus den Ratsprotokollen, 20. März 1525). Vgl. dazu einen im Auftrag des Rates erstelltes Gutachten über die Bestellung der Pfleger und Schaffner aus dem 16. Jahrhundert, AMS II, 57/41, fol. 2 f. Vgl. hierzu auch Schmitt: Geistliche Frauen, S. 301. 65 Vgl. Vierling: Ringen, S. 18. 66 Die Klöster sollten ihr Getreide nur noch auf den städtischen Märkten zum Verkauf anbieten und benötigten für alle weiteren Verkäufe die Genehmigung des Rates, vgl. Vierling: Ringen, S. 106. 67 Vgl. die Rechnungen der Johanniter in ADBR H 1986–1987, die von weltlichen Schaffnern aufgestellt wurden. 68 So die Beschwerde des Johannitermeisters Georg Schilling 1549, vgl. ADBR G 1677. 69 Auch eine Streitigkeit zwischen der Gärtnerzunft und den Johannitern um eine Pachterhöhung, die der Komtur angeordnet hatte, wird vom Komtur selbst ausgetragen (1590), vgl. AMS II, 53/23. Das Diarium (1559–1562) findet sich in ADBR H 1633– 1634. 70 Vgl. zu dieser Auseinandersetzung zwischen Rat und Kartause AMS AST 36/5, fol. 8v f.; AMS II, 28/3 und AMS II, 28/14. 71 Vgl. AMS AST 36/5, fol. 22r. 64
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laus. Um ihre Barschaft vor Zugriffen des Rates zu schützen, brachten die Nonnen Geld außerhalb der Stadt in Sicherheit. 1590 ließen sie von einem befreundeten Geistlichen, ihrem Beichtvater Dietrich Gebhard, eine Truhe mit Silber nach Offenburg in Sicherheit bringen.72 Auch die Einsetzung von weltlichen Verwaltern verlief in den Frauenklöstern nicht konfliktfrei. Die Nonnen von St. Margaretha beschwerten sich über den Beschluss des Rates und monierten vor allem die Tatsache, dass sie an der Auswahl des Schaffners nicht mehr beteiligt sein sollten.73 Die Klosterämter, die traditionell für die Wirtschaftsführung der Gemeinschaften vorgesehen waren, wurden in allen drei Frauenklöstern während des gesamten 16. Jahrhunderts weiterhin vergeben. So gab es in St. Nikolaus 1592 eine Frau, die sich als Schaffnerin bezeichnete sowie eine Oberweinkellerin und eine Unterweinkellerin.74 Auch 1545 ist für St. Nikolaus eine Schaffnerin belegt.75 In St. Margaretha tauchen die Ämter der Schaffnerin, Unterschaffnerin und Kellerin im ganzen 16. Jahrhundert auf.76 Das gleiche gilt für St. Magdalena.77 Dass diese Ämtervergabe nicht nur nominell erfolgte, zeigt ein Streit zwischen den Nonnen von St. Nikolaus und ihrem Schaffner, der ein Schlaglicht auf die Verteilung der Kompetenzen zwischen den Nonnen und ihrem städtischen Verwalter wirft. Der Schaffner beschwerte sich 1555 beim Rat, er könne sein Amt nicht richtig ausfüllen, da die Nonnen ihm alle Informationen vorenthalten würden. Er habe keinen Überblick über die fälligen Zinsen, über die Dinghöfe und andere Klostergüter außerhalb der Stadt. Die Nonnen würden alle Handwerker in bar bezahlen, ohne ihn davon zu unterrichten. Dafür müsse er alle möglichen Schreibarbeiten erledigen, die Nonnen würden sich weigern, ihm einen Schreiber zur Verfügung zu stellen.78 Des Weiteren hätten die Nonnen einen eigenen Läufer eingestellt, der mit seiner Frau und seiner Tochter im Kloster wohne und teilweise die Wirtschaftsverwaltung übernehme.79 Die Nonnen von St. Nikolaus hielten 1555 also wohl einen Großteil der Verwaltung ihrer Güter in eigener Hand, während der Schaffner praktisch nur die Rechnung zusammen stellte, die dem Rat zu übergeben war. Das entsprach dem Aufgabenbereich, den weltliche und geistliche Schaffner auch im Spätmittelalter für die Frauen übernommen hatten, nämlich hauptsächlich diejenigen Geschäf72
Vgl. AMS II, 39/10. Nach der Schließung des Klosters bemühte sich der Rat um die Rückgewinnung der Truhe. 73 Vgl. AMS AH 8046 (1525). 74 Vgl. ADBR H 3061, fol. 11. 75 Vgl. AMS II, 41–42b/2, fol. 53r. 76 Vgl. AMS 41–42b/2, Nr. 29; AMS II, 57/11. 77 Vgl. AMS II, 7/19. 78 Vgl. AMS II, 42b/13. 79 Vgl. AMS II, 41–42a/12, Nr. 7; AMS AST 37/2, S. 87.
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te, die außerhalb der Klausur zu erledigen waren.80 Auch die Reuerinnen beschäftigten 1554 einen zweiten Schaffner, der ihrer und nicht der Ägide des Rates unterstand.81 Auf die Beschwerde des Schaffners hin griff der Rat in St. Nikolaus durch und ließ zumindest den von den Nonnen eingestellten Läufer verhaften.82 Bis zum Ende des Jahrhunderts scheinen sich die Frauen aber wieder ihrer Wirtschaftsführung bemächtigt zu haben. Bei einer Untersuchung in den Klöstern St. Magdalena und St. Nikolaus 1592 stellte der Rat fest, die Priorinnen hätten den Pflegern Geschäfte unterschlagen, „ihr eygen innemen und ausgeben gehabt“ und insgesamt „untreülich haus gehalten.“83 Bis zu einem gewissen Grad war es den Nonnen demnach möglich, Verordnungen des Rates schlicht zu ignorieren. Dies zeigt ein weiteres Beispiel aus der Wirtschaftsführung der Reuerinnen. Im Jahr 1535 drängte der Rat die Nonnen, Zinseinnahmen von Fürsten der Münsterfabrik zu überschreiben, um den Erhalt der Zinsen auch nach dem Aussterben der Frauen zu gewährleisten. Die Nonnen weigerten sich aber mindestens bis 1538 diesem Handel zuzustimmen. Dem Rat teilten sie mit, sie seien des vorgeschlagenen Handels „unlustig“. Als die Stadtherren sie weiter drängten, die Urkunden zu siegeln, und den Nonnen die ausgefertigten Schriftstücke von einem städtischen Schreiber vorlegen ließen, versuchten die Frauen sogar, den Schreiber zu bestechen. Sie boten ihm 50 Gulden, sollte er die Urkunden mit dem städtischen Siegel versehen. Offenbar spekulierten die Reuerinnen darauf, sich später auf die Ungültigkeit der Schriftstücke berufen zu können. Der Rat versuchte schließlich, die Reuerinnen mit einem Deal zu ködern. Sollten sie die Überschreibung der Zinsen bewilligen, werde man drei Nonnen, die in ein Hagenauer Kloster gewechselt waren, wieder nach Straßburg zurückkehren lassen, „damit sie meiner hern gutten willen spüren“. Ob dieser Handel zustande kam, bleibt aber offen.84 Die Strategie der Reuerinnen zwischen offener Verweigerung, Verschleppung und List ist ebenfalls typisch für das Handeln der dominikanischen Nonnen. Legte der Rat den Frauen Geldstrafen auf, zahlten diese einfach
80
Vgl. Schmitt: Geistliche Frauen, S. 301f. Marianne Gechter findet in Köln eine ähnliche Aufgabenteilung vor, vgl. Frauenklöster- und stifte, S. 175. Für die Kölner Zisterzienserinnen kann Gechter sogar nachweisen, dass sie für das Tätigen bestimmter Geschäftsgänge von den Ordensoberen unter bestimmten Auflagen von der Klausur dispensiert wurden. 81 Vgl. AMS AST 37/2, S. 84. 82 Vgl. AMS II, 41–42a/12, darin mehrere Suppliken der Priorin des Klosters, die um die Freilassung des Mannes bittet. 83 Ratsprotokolle (2. Februar 1592), fol. 32v ff. 84 Vgl. AMS AST 35/11, fol. 14r ff. Vgl. auch AMS AST 37/4, Zitat S. 3.
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nicht.85 Befahl der Rat den Nonnen, gegen seinen Willen in die Klöster aufgenommene Frauen wieder fortzuschicken, kamen die Nonnen dem nicht nach.86 Stattdessen verlegten sich die Frauen auf Verhandlungen. Wenn man die Frauen herausschicke, würden sie ja doch nur anderswo in ein Kloster gehen „darinn sie zu seel und lieb verdorben“, argumentierten etwa die Frauen von St. Nikolaus. Da sei es doch besser, sie blieben in Straßburg. Dort höre man in den Klöstern zumindest die evangelische Predigt. Der Rat solle doch abwarten, „ob sie durch hörung der predigt eines andern bericht und selbs das evangelim annemen und us dem orden gehen möchten.“87 Gelegentlich empfingen die Nonnen die Ratsherren auch einfach mit „scharpfen reden.“88 Allzu offener Widerstand gegen den Rat und seine Anweisungen konnte allerdings auch scheitern. Mutig geworden durch die Einführung des Interims und angespornt durch eine Aufforderung ihres Provinzials kündigten die Nonnen von St. Nikolaus im Januar 1550 dem Magistrat offen die Kooperation. Sie teilten den Stadtherren rundheraus mit, man werde dem Rat keinen Einblick mehr in die Rechnungen des Klosters gewähren. Auch die Prädikanten werde man nicht mehr einlassen, und man werde keine Abgaben und keine Pensionen mehr zahlen.89 Der Rat reagierte darauf mehr als ungehalten. Er drohte den Nonnen offen. Die Herren ließen die Nonnen wissen, „wo sie sich nhun also gegen mein hern setzen, hetten sie zu erachten, das ihnen auch beschwerlichs hingegen volgen möchte“.90 Im Februar 1550 knickten die Nonnen ein und zahlten die verlangten Abgaben und Pensionen weiter.91 Ebenso unverhohlen drohte der Rat den Reuerinnen, als diese 1597 ihre Pensionszahlungen verweigerten. Die Nonnen sollten die Zahlungen fortsetzen, „domit sich nit selbst aus dem Sattel heben“.92 Essentiell für das Überleben der Klöster war der Widerstand gegen das vom Rat verhängte Rekrutierungsverbot. Wollten sie länger als eine Gene85
So erinnerten etwa die Klosterherren 1580 den Rat daran, die Nonnen von St. Nikolaus schuldeten ihm noch eine Strafe, weil sie gegen den Willen des Rates neue Konventualen aufgenommen hätten und sich „gantz ungehorsamlich erzeygt“, vgl. AMS AST 36/8, Zitat S. 3. 86 Belegt sind Fälle aus den Klöstern St. Nikolaus und St. Margaretha, vgl. AMS AST 37/4, S. 16f. (1546). 87 So die Nonnen von St. Nikolaus 1545, vgl. AMS AST 37/4, S. 15. 88 Vgl. AMS AST 35/19, fol. 12r, St. Margaretha (1537). 89 Besonders eine jährliche Abgabe für das städtische Almosen wird genannt, vgl. AMS AST 37/2, S. 66ff. 90 AMS AST 37/2, S. 69. 91 AMS AST 37/2, S. 71ff. 92 Ratsprotokolle (21. Mai 1597), fol. 239r.
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ration überleben, mussten die Gemeinschaften die strenge Beschränkung bei der Aufnahme von Novizen unterwandern. Auch in diesem Punkt waren die Nonnen deutlich aktiver als die Kartäuser und die Johanniter. Während in der Kartause und auf dem grünen Wert im 16. Jahrhundert nie mehr als vier bis fünf Mönche lebten, wuchsen die Frauengemeinschaften in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wieder auf zehn bis 20 Personen an, ein Niveau, dass die Johanniter erst im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts annähernd wieder erreichten.93 Auch in diesem Punkt verfolgten die Nonnen eine Strategie, die zwischen Widerstand und Kooperation schwankte. Trotz des Verbotes nahmen die Frauen immer wieder Novizinnen auf. So fand der Rat 1537 in St. Margaretha „ettliche“ neue Frauen vor.94 In St. Nikolaus gaben zwar 1545 bei einer Visitation alle Frauen an, sie seien schon „bey 20 jor dorinnen“, gehörten also noch zu den bereits vor dem Verbot im Konvent lebenden Frauen. Der aufgeweckte Schreiber aber kennzeichnete mehrere Frauen im Protokoll mit einem Kreuz und vermerkte: „Nota: diß [diese Frau] ist kein 20 jor alt.“95 Im selben Jahr fand der Rat auch in St. Margaretha neue Frauen vor.96 Wurden sie erwischt, argumentierten die Nonnen in der Regel, die Mädchen seien keine Novizinnen, sondern Schülerinnen, die nach ihrer Ausbildung das Kloster wieder verlassen würden. Diese Begründung wurde zum Standardargument der Frauen. Als die Priorin von St. Nikolaus 1545 vom Rat gefragt wurde, warum sie junge Frauen aufgenommen habe, antwortete sie, sie sei von den Eltern darum gebeten worden, „das sy in zucht uferzogen werden, schreiben und lesen lernen“.97 Die Subpriorin setzte sogar – offenbar in vollem Bewusstsein der sozio-ökonomischen Realitäten – spitz hinzu: „wen es denselb gelegen, mögen sys widernemen.“98
93
In St. Margaretha lebten 1545 elf, in St. Nikolaus 13 und in St. Magdalena vier Nonnen, vgl. dazu die Visitationsprotokolle, AMS II, 57/11; AMS II, 41–42a/5 und für St. Magdalena AMS II, 63/12. 1592 lebten in St. Margaretha 16, in St. Nikolaus 20 und in St. Magdalena elf Nonnen, vgl. die Visitationsprotokolle aus demselben Jahr, AMS II, 7/19. Im Kloster der Johanniter lebten 1541 nur noch zwei, 1586 vier und 1633 acht Priesterbrüder, vgl. AMS AST 35/6, fol. 11r (1541); AMS II, 28/22 (1586) und AMS II, 53/30 (1633). In der Kartause lebten 1540 fünf und 1591 noch drei Mönche, vgl. AMS II, 28/17 (1540) und ADBR G 1686 (1592). 94 Vgl. AMS AST 35/10, fol. 13v; AMS AST 37/4, S. 4f. 95 AMS II, 41–42a/5, fol. 1r. 96 Vgl. AMS II, 57/11. 97 Vgl. AMS II, 41–42a/5, fol. 2v und AMS II, 57/11. 98 AMS II, 57/11. Die Nonnen von St. Nikolaus argumentierten in einem anderen Konflikt (1537) auch mit der Not und Armut der Mädchen, die sie aufgenommen hätten, sie würden als Dienerinnen im Kloster leben, vgl. AMS II, 41–42a/6.
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Der Rat beäugte die vermeintliche Erziehung im Kloster skeptisch. 1537 ließ er Schülerinnen, die in St. Nikolaus lebten, wieder herausnehmen.99 Diese Skepsis war begründet. Die Pfleger berichteten dem Rat 1545, die Nonnen würden die Mädchen „auch uff ihr clösterlich leben“ unterweisen, „wie wol sie sich verantworten sie habens nhur umb zucht und lehr willen darin“.100 Tatsächlich finden sich viele der zunächst als „Schülerinnen“ deklarierten Frauen später als Schwestern wieder. Eine Liste aller Nonnen aus St. Nikolaus aus der Zeit um 1570 verzeichnet fünf Frauen als Schülerinnen, die bei der Schließung 1592 als Nonnen nach St. Margaretha umsiedelten.101 Beide Seiten, Rat und Nonnen, handelten wohl in vollem Bewusstsein der Strategie des jeweils anderen. Wie bereits gezeigt, war der Rat in bestimmten Fällen bereit, die Aufnahme neuer Frauen in die Klostergemeinschaft zu tolerieren. St. Margaretha strebte 1547 sogar eine Legalisierung dieser Rekrutierungsstrategie an und bat den Rat um die offizielle Anerkennung als „züchthus“, also als Schule.102 Ohne einen Hehl daraus zu machen, dass sie in ihrem Ansinnen eine Möglichkeit zur Bestandssicherung ihres Klosters sahen, baten die Nonnen 1547 den Rat, ihnen bei der Erziehung junger Mädchen im Kloster behilflich zu sein, „darmut euer Gnaden spuren und erfaren, das wir die Jugent furgeschribbner maß ufzuziehen gneigt und aller argwon des widerspennigen gmuts, so euer Gnaden gegen uns mochte ingebildet, werd abgeton“.103
Die Nonnen versprachen, die Mädchen nur bis zum „mannbaren“ Alter im Kloster zu behalten. Nur einige wenige „arme“ Töchter sollten länger im Kloster bleiben.104 Die Stadtherren berieten mit „vil reden“ über die Sache. Viele waren skeptisch und vermuteten – zu Recht – eine verdeckte Rekrutierungsmaßnahme. Doch das Angebot der Nonnen passte dem Rat sehr gut. Die Stadtherren waren dabei, im Zuge von Bestrebungen der Sozialdisziplinierung und auch unter dem Druck der Prädikanten, das Schulwesen in Straßburg auszubauen.105 Der Rat bewilligte daher das Anliegen der Nonnen, be99
Vgl. AMS AST 37/4, S. 2ff. Vgl. für die Suppliken der Nonnen um Bleiberecht für die Mädchen AMS X, 406. 100 AMS AST 37/5, S. 11 und S. 19. 101 Vgl. AMS II, 42b/12; ADBR H 3061. 102 Diesen Aspekt hat bereits Amy Leonard herausgearbeitet, deren Interpretation ich mich an dieser Stelle anschließe, vgl. Leonard: Nails in the Wall, S. 88f. 103 AMS II, 57/16. 104 Vgl. AMS II, 57/16. 105 Vgl. Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 217f.; Emich: Straßburg auf dem Weg zur Konfessionalisierung, S. 141f.; Leonard: Nails in the Wall, S. 90. Zur 1538 gegründeten Lateinschule vgl. Schindling: Humanistische Hochschule.
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schloss aber auch Vorsichtsmaßnahmen. Die Schülerinnen sollten vierteljährlich befragt werden, wie sie unterrichtet würden, und Kaspar Hedio wurde mit dem Entwurf einer Klosterordnung beauftragt.106 Amy Leonard sieht in diesem Vorgehen den entscheidenden Schachzug der Nonnen von St. Margaretha, der eine Wende im Überlebenskampf des Konvents herbeigeführt habe: „The nuns, supported by the Strasbourg families, had succesfully maneuvered the council into giving them what they wanted by convincing the council that it was in its best interest.“107 Eine wichtige Form des Widerstands war es also, den Anschein der Kooperation zu erwecken. Der unmittelbare Nutzen des „Zuchthauses“ für die Stadt war tatsächlich gering. Einige der Frauen, die als Schülerinnen in das Kloster kamen, stammten zwar tatsächlich aus den besseren Straßburger Familien. Viele aber kamen aus kleineren Orten und Städten im Umland. Die Nonnen von St. Margaretha gaben 1549 zu, nachdem wieder Hagenauer Frauen im Kloster gefunden worden waren, der Landvogt von Hagenau vermittle ihnen eintrittswillige Töchter.108 Eine ähnliche Situation herrschte in allen drei Frauenklöstern. Die Auswertung der bekannten Herkunftsorte auswärtiger Nonnen ergibt, dass die Frauenklöster hauptsächlich aus katholisch gebliebenen oder gemischt-konfessionellen kleineren Ortschaften im Elsass rekrutierten. Diese Feststellung trifft vor allem für die zweite Hälfte des Jahrhunderts zu, als allmählich die Reformationsgeneration in den Klöstern verstarb. So lebten in St. Nikolaus bis 1545 noch einzelne Frauen aus Sachsen, Württemberg oder Heidelberg. In der zweiten Jahrhunderthälfte stammten alle Konventualinnen aus dem Elsass.109 Eine festgesetzte Mitgift gab es offenbar nicht mehr. In St. Nikolaus variierte die Mitgift zwischen vier und 172 Pfund, unabhängig davon, ob die Frauen als Nonnen oder als Laienschwestern eintraten.110
106 Vgl. zum „Bedenken“ des Rates ebenfalls AMS II, 57/16. Vgl. zur Regelung der Schulpraxis in den Klosterordnungen unter anderem AMS II, 41–42b/2, 17 und AMS II, 75/14. 107 Vgl. Leonard: Nails in the Wall, S. 89. 108 Vgl. AMS AST 37/4, S. 18f. 109 Aus St. Nikolaus ist insgesamt von 20 auswärtigen Nonnen der Herkunftsort bekannt. Ähnliches gilt für St. Margaretha. Von 14 Frauen, die nicht aus Straßburg stammten und deren Herkunft bekannt ist, stammten elf aus katholischen oder gemischtkonfessionellen Gebieten, acht davon aus katholischen Orten im Elsass. Die übrigen stammten aus Rottweil (katholisch) und Zürich. Aus St. Magdalena sind nur fünf Herkunfsorte außerhalb Straßburgs bekannt, vier lagen in katholischen Gebieten im Elsass, der fünfte ist das ebenfalls katholische Bingen. Ermittlung der Konfessionen nach Wolfram/Gley: Elsaß-Lothringischer Atlas, Karte 17b. 110 Vgl. AMS II, 41–42a/10.
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Anders als die Nonnen kümmerten sich die Straßburger Männerklöster wohl nicht aktiv um die Rekrutierung von Nachwuchs. Die Kartäuser profitierten hauptsächlich von der vom Orden organisierten Transfiliation von Mönchen. In Straßburg kam schon 1526, kurz nach dem Austritt der ersten konvertierten Mönche „ein wagen voll Cartheueser“ aus anderen Konventen an. Der Rat reagierte darauf, indem er die Aufenthaltserlaubnis von Mönchen, die nicht in Straßburg Profess abgelegt hatten, radikal einschränkte.111 Erst aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, aus der Amtszeit des Priors Philipp Meyer, gibt es Hinweise, dass die Kartäuser sich auch selbständig um Nachwuchs bemühten. 1574 wandten sich Hugo Mechout und Bernhard Bopardiensis, Prioren von Rethel und Trier und Visitatoren der Rheinischen Provinz, an den Rat. Sie baten, in Zukunft mehr Personen nach Straßburg schicken zu dürfen und dort zu visitieren. Der Straßburger Prior, Philipp Meyer, habe sein Haus in den vergangenen Jahren „so gleich in abgangs neigett mitt ettlichen darzu qualifizierten, tuchtigen personen versehen und besetzt, auff das sein gedachtes hauß zu gottes ehren, der loblichen stadt und aller gemeiner wolfartt, insbesonders aber zu der armen trost und notturfft underhalten werden moegte.“
Gleichzeitig hatte der Prior aber wohl auch um weiteres Personal beim Orden angesucht. Die Visitatoren wollten das Haus mit weiteren „tuchtigen, qualifizierten, vermerge unsers ordens Regel unstrafflichen personen auß unserem und anderen Conventen, auf erganger besehener ansuch und postulation unbeschwerlichen versehen und besetzen“.112
Dementsprechend stammten diejenigen Kartäuser, deren Herkunftsorte bekannt sind, aus Städten wie Trier und Koblenz, in denen ebenfalls Kartausen existierten. Auch aus dem Badischen und aus Jülich stammten Straßburger Kartäuser.113 Der Einzugsraum der Straßburger Kartause war damit deutlich weiter als derjenige der Frauenklöster. Die Johanniter bemühten sich ebenfalls nicht besonders aktiv um Nachwuchs. Aus dem Johanniterhaus ist nur eine Meldung über die unerlaubte Aufnahme von Nachwuchs erhalten. 1554 kam dem Rat zu Ohren, dass die Mönche einen „knaben“ aufgenommen hätten.114 Diejenigen Mönche, die im Kloster lebten, kamen größtenteils aus dem Südwesten des Reiches. Die Konventualen stammten aus Baden, Trier, Württemberg, der Pfalz und dem Elsass. Von drei Mönchen, die nach Einführung der Reformation eintraten und nicht aus Straßburger Familien kamen, ist der Her111
Vgl. AMS AST 36/5, fol. 12r f. Vgl. zur Rekrutierung der Kartäuser auch AMS II, 28/20, Nr. 1 und 2. 113 Aus der Kartause sind insgesamt 20 Herkunftsorte von nicht Straßburger Mönchen überliefert. Am engsten scheinen die Verbindungen zu Trier gewesen zu sein. 114 Vgl. AMS AST 37/4, S. 25. 112
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kunftsort bekannt. Sie stammten aus katholischen Orten, allerdings ist dieser Befund bei der geringen Zahl der Fälle wenig aussagekräftig. 10.1.3 Verbündete. Das Verhältnis der Klöster zu Bischof, Kaiser und untereinander Das Verhältnis der Einzelklöster zu ihren Orden wurde bereits ausführlich diskutiert. Im Folgenden soll untersucht werden, welche anderen Verbündeten die Klöster in ihrem Widerstand suchten. Ein nahe liegender Verbündeter der Klöster wäre der Straßburger episcopus gewesen. Allerdings besaßen die Straßburger Bischöfe im 16. Jahrhundert, anders als etwa Albrecht von Brandenburg in den Auseinandersetzungen mit Frankfurt, „weder Macht noch Mittel, um sich dem Vordringen der Reformation und der Stadt Straßburg zu widersetzen“.115 Wilhelm von Hohenstein, der das Amt des Bischofs bis 1541 innehatte, hatte 1509 einen letzten Versuch gewagt, eine Kirchenreform im Elsass durchzuführen. Nachdem dieser Versuch am Widerstand des Kapitels und der Kurie gescheitert war, verbrachte er den Rest seiner Amtszeit mit Versuchen der territorialen und finanziellen Konsolidierung – noch immer litt das elsässische Stift unter den Spätfolgen der verschwenderischen Amtsführung des Bischofs Wilhelm von Diest († 1439). In der Reichspolitik engagierte sich Hohenstein kaum.116 Wilhelms Nachfolger, Erasmus von Limburg (1541–1568), war ebenfalls kein großer Politiker. Dem Protestantismus stand der Bischof tolerant beziehungsweise indifferent gegenüber. Er war humanistisch gesinnt und stammte aus einer Adelsfamilie, die auch protestantische Zweige hatte. Es verbreiteten sich sogar Gerüchte, Erasmus selbst neige dem neuen Glauben zu.117 Der Rat hoffte demnach anfangs auf eine Verständigung mit dem Bischof über kirchliche Fragen. Die Gespräche kamen aber nicht in Gang, wohl auch, weil Erasmus andere Prioritäten setzte. „Ein dringendes Herzensanliegen war ihm die Reform auf keinen Fall.“118 Konflikte zwischen Stadt und Bischof drehten sich weiter um die Themen, die schon seit dem späten Mittelalter die zentralen Streitpunkte gewesen waren: die geistliche 115
Châtellier: Einführung des tridentinischen Katholizismus, S. 386. Vgl. für die Rolle Albrechts von Brandenburg als Schutzherr des Katholizismus in Frankfurt Jahns: Frankfurt im Zeitalter der Reformation, S. 170. 116 Vgl. zu Diest Rapp: Réformes et Réformation, S. 122ff. Zur versuchten Reform Wilhelms von Hohenstein vgl. ebd., S. 376ff. Vgl. zu Wilhelm von Hohenstein auch Wolff: Reichspolitik, zusammenfassend S. 339ff. Vgl. zur Lage des Bistums in der ersten Hälfte des Jh. Châtellier: Einführung des tridentinischen Katholizismus, S. 386 f. 117 Vgl. Hahn: Erasmus von Limburg, S. 11ff. Neuere Bischofsgeschichten als die Arbeiten von Hahn aus den zwanziger und dreißiger Jahren liegen leider nicht vor. 118 Vgl. Hahn: Erasmus von Limburg, S. 108.
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Gerichtsbarkeit, die Heranziehung der Weltgeistlichkeit zu Steuern, die Rechte des bischöflichen Schultheißen in Straßburg und der Eid, den der Bischof der Stadt traditionell leistete. Auch die Chancen, die sich im Zuge des Interims boten, ließ Erasmus weitgehend ungenutzt verstreichen. Als der Rat das Interim de facto außer Kraft setzte, indem er den städtischen Klerus zur Annahme eines Schirmvertrags drängte, der Religionsangelegenheiten nicht umfasste, ließ es Erasmus sowohl gegenüber seinem eigenen Klerus, als auch gegenüber Rat und Kaiser an Entschlossenheit fehlen, so dass die Stadt letztlich mit dem Bruch des Interimsvertrags durchkam.119 Auch Erasmus’ Nachfolger, Johann von Manderscheid (1568–1592) war zunächst kein Eiferer der katholischen Sache. Hahn beschreibt ihn mehr als Politiker denn als Kirchenmann, der von dem sowohl mit Protestanten als auch mit Katholiken besetzten Kapitel von beiden Seiten in der Hoffnung gewählt worden war, er möge sich für ihre Sache einsetzen.120 Tatsächlich blieb Johann Katholik und entwickelte sich in den letzten zehn Jahren seiner Amtszeit, vielleicht unter dem Einfluss der Jesuiten, zu einem strengen Reformer, der Welt- und Ordensgeistlichkeit mit Visitationen überzog.121 Die Straßburger Klöster aber hatten vom Bischof nichts zu erwarten. Sie waren größtenteils exemt und hatten daher kein enges Verhältnis zum Bischof. Tatsächlich war Erasmus von Limburg ebenso wie sein Nachfolger Johann von Manderscheid hauptsächlich damit beschäftigt, die Interessen des Weltklerus zu verteidigen. Johann von Manderscheid strebte zwar eine Reform der Klöster an und versuchte, sie wieder enger an den Bischofsstuhl zu binden und zu Abgaben zu bewegen, beschränkte sich dabei aber auf die elsässischen Klöster außerhalb Straßburgs, wohl auch, weil er der Stadt in seinen Machtmitteln unterlegen war.122 Insgesamt sind nur wenige Hinweise darauf überliefert, dass sich die Straßburger Bischöfe aktiv für die Stadtklöster einsetzten. 1524 kursierten Gerüchte, Bischof Wilhelm von Hohenstein habe die Nonnen von St. Marx, St. Margaretha, die Reuerinnen und St. Nikolaus unter seinen Schutz genommen. Der Rat sorgte sich deswegen und erkundigte sich unter anderem bei den Frauen von St. Marx, die sich entschuldigten, sie hätten nicht gewusst, dass es dem Rat nicht zusagen würde, wenn sie sich dem Bischof unterstellten. Offenbar hatte es schon Absprachen darüber gege119
Vgl. zu den Konflikten zwischen Stadt und Bischof vor dem Interim Hahn: Erasmus von Limburg, S. 117ff. Vgl. zur Rolle Erasmus’ in den Interimsverhandlungen ebd., S. 136ff. und Weihrauch: Konfessionelle Krise, S. 134ff. Vgl. zur Abschaffung des Interims ebd., S. 247ff. 120 Vgl. zu Wahl und Bestätigung Manderscheids Hahn: Johann Manderscheid, S. 1ff. 121 Vgl. zu Manderscheids Reformaktivitäten Hahn: Johann Manderscheid, S. 77ff. 122 Vgl. zur Klosterreform Manderscheids Hahn: Johann Manderscheid, S. 83ff.
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ben, dass ein bischöflicher Rat bei der Rechnungslegung in St. Marx anwesend sein sollte. Der Rat bestand allerdings darauf, dass die Rechnung nur von den Pflegern des Rates abzunehmen sei, und befahl außerdem allen Nonnen, keinen Schutz außer seinen anzunehmen.123 Noch 1592 war der Rat besorgt, die Nonnen von St. Nikolaus und St. Margaretha könnten ein zu enges Verhältnis zum Bischof haben. Bei einer Visitation erkundigten sich die Stadtherren, ob die Frauen Schutzgeld an den Bischof zahlen würden, was die Frauen allerdings verneinen.124 Tatsächlich fehlen jegliche Belege für ein Schutzverhältnis zwischen dem Bischof und den Frauenklöstern, die über das Gerücht von 1524 hinausgingen. Auch gegenüber den übrigen Klöstern ist nur ein punktuelles Eingreifen des Bischofs überliefert. Wilhelm von Hohenstein bemühte sich 1532 um die Restitution der Güter von St. Arbogast, das allerdings als Regularkanonikerstift mit traditionell enger Bindung an den Bischof eine besondere Rolle einnahm.125 Erasmus von Limburg versuchte 1547 im Zuge von Verhandlungen über die Rechte des Weltklerus in der Stadt, beim Kaiser auch die Restitution der Güter des stiftsähnlichen Klosters St. Marx und der Barfüßer zu erreichen und bemühte sich auch, diese Forderungen im Interimsvertrag zu verankern, den Erasmus im Auftrag des Kaisers mit der Stadt verhandelte. Auch dieses Anliegen blieb aber, ebenso wie Wilhelms Bemühen um die Restitution von St. Arbogast, ohne Erfolg.126 Zu den übrigen Klöstern hatte der Bischof offensichtlich keine freundschaftlichen Verbindungen. Als Erasmus von Limburg 1549 vom Kaiser mit der Schlichtung des Streits um die Wahl des Komturs und die Unterstellung des Johanniterhauses unter Georg Schilling eingeschaltet wurde, verwendete er sich keineswegs für das Straßburger Haus, sondern versuchte, im Sinne Schillings zu schlichten.127 Selbst zu St. Magdalena bestand offenbar kein besonders enges Verhältnis. Wie bereits gezeigt, war Erasmus von Limburg 1551 zum Konservator des Straßburger Reuerinnenklosters ernannt worden.128 Schon Erasmus’ Nachfolger Manderscheid scheint diese Rolle aber nicht mehr ausgeübt zu haben. Überliefert sind Suppliken der Reuerinnen an Manderscheid, in denen sich die Nonnen über die Machenschaften des Rates in ihrem 123
Vgl. AMS AST 35/8 und AMS AST 35/11, fol. 1r f. AMS II, 7/19, fol. 20ff. 125 Der Bischof strebte ein Verfahren vor dem Reichskammergericht an, vgl. dazu Politische Correspondenz, II, S. 13f., S. 183ff. und S. 201ff. Vgl. dazu auch Schelp: Reformationsprozesse, S. 67ff. Vgl. zum Verhältnis des Bischofs zu St. Arbogast auch Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 91ff. und Hahn: Erasmus von Limburg, S. 83ff. 126 Vgl. Politische Correspondenz, IV, 2, S. 821; AMS AA 1575. 127 Vgl. AMS AST 35/6, fol. 17; vgl. auch ADBR G 1677. 128 Vgl. ADBR H 2975. 124
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Kloster beschweren.129 Das Werben der Reuerinnen scheint allerdings ins Leere gelaufen zu sein. Auf die Suppliken erfolgte wohl keine Reaktion. Als die Nonnen 1597 vor das Reichskammergericht zogen, taten sie dies – auch zur Überraschung des Rates – ohne die Unterstützung des Bischofs oder eines anderen mächtigen Patronen.130 Gerade in den langen Amtszeiten der Bischöfe Wilhelm von Hohenstein und Erasmus von Limburg hatten die Klöster also wenig Unterstützung vom Bischof zu erwarten. Beide Bischöfe hatten genug damit zu tun, ihre Machtstellung zu konsolidieren und die Interessen des Säkularklerus zu verteidigen. Johann von Manderscheid setzte sich zwar energischer für eine katholische Reform ein, auch er mied aber den Konflikt mit der mächtigen Stadt, zumal eine Anbindung der verbliebenen Gemeinschaften ihm kaum Gewinn eingebracht hätte. Anders als der Bischof war der Kaiser, trotz seiner räumlichen und hierarchischen Ferne, für die Straßburger Klöster eine wichtige Appellationsinstanz. Zwar zeigten die von den habsburgischen Kaisern ausgebrachten Mandate und Privilegien nicht immer unmittelbar Wirkung, sie erinnerten den Rat aber an die reichsrechtlichen Regelungen und mahnten ihn zur Vorsicht.131 Zur Strategie der Nonnen gehörte es deshalb, ihre Privilegien regelmäßig vom Kaiser bestätigen zu lassen, um sich dann vor dem Rat auf den schriftlich bestätigten, besonderen Schutz des Kaisers berufen zu können.132 St. Nikolaus bemühte sich 1556 um ein kaiserliches Privileg, wie es auch die Nonnen von St. Margaretha besäßen.133 Letztere erlangten 1541 und 1550 auf ihr Bitten von Karl V. und 1559 von Ferdinand I. Bestätigungen aller ihrer kaiserlichen Privilegien.134 Auch St. Magdalena erlangte 1594 ein Schutzprivileg Rudolphs II., das die Nonnen prompt dem Rat vorlegten, um zu belegen, dass sie keine weiteren Abgaben zu zahlen hätten.135 Neben dem allgemeinen Schutz, den sich die Nonnen von den kaiserlichen Urkunden erhofften, wandten sich sowohl Frauen- als auch Männer129
Vgl. ADBR G 1692. Vgl. dazu AMS II, 63/2 und Ratsprotokolle (2. Mai 1597), fol. 204v f. und (14. Mai 1597), fol. 229v. Vgl. zum Prozess auch Kratsch: Justiz – Religion – Politik, S. 98ff. 131 Vgl. etwa Karls V. Eingreifen in die Streitigkeiten um die Priorenwahl in der Kartause (1540). Das auf Ansuchen des Generalkapitels der Kartäuser ausgebrachte Mandat führte immerhin dazu, dass der Rat von seinen Schließungsplänen Abstand nahm, auch, wenn die gewünschte Prioratsbesetzung letztlich nicht durchsetzbar war, vgl. oben Kapitel 5.1.3. 132 Vgl. unter anderem St. Margaretha, AMS II, 57/15. 133 Vgl. ADBR G 1709/5. 134 Vgl. AMS II, 57/12 (1541); AMS II, 57/18 (1550) und ADBR H 3061/7 (1559). 135 Vgl. AMS II, 63/2; Abschriften des Privilegs in AMS II 63/3. 130
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klöster mit konkreten Bitten um Intervention in Religionsangelegenheiten an den Kaiser. In einer Supplik von 1567 an Maximilian II. führten die Nonnen von St. Nikolaus ihre zahlreichen Privilegien auf und erinnerten an ein Mandat, das ihr Provinzial 1559 von Ferdinand I. für sie erwirkt habe und das ihnen volle Religionsfreiheit gewähre. Ihre Religion könnten sie allerdings immer noch nicht frei praktizieren, sondern würden darin vom Rat stark behindert. Er verweigere ihnen den Empfang des Sakraments.136 Auch die Johanniter wandten sich 1595 im Konflikt mit dem Rat um die öffentliche Feier der Messe an den Kaiser und beklagten, dass ihre freie Religionsausübung beeinträchtigt sei. Tatsächlich intervenierte der Kaiser zu ihren Gunsten.137 Rudolph II. schaltete sich auch in die Streitigkeiten um die Schließung der Kartause und von St. Nikolaus ein.138 Die Berufung auf kaiserliche Mandate war allerdings nicht immer hilfreich. Als eine Reuerin dem Rat bei einer Visitation 1555 trotzig antwortete, „sie hetten freiheit von königlicher Majestät und ach den befelch ihre ceremonien zu halten“, waren die Herren erbost und drohten wie üblich mit der Schließung des Klosters.139 Gleichzeitig bemühte sich der Rat, zu unterbinden, dass die Klöster sich an den Kaiser um Hilfe wandten. Der Chronist Specklin berichtet, dass eine Supplik der Nonnen von St. Nikolaus an den Kaiser von 1567 den Straßburger Gesandten übergeben worden sei. Den Appell an den Kaiser legte der Rat den Nonnen als Treuebruch aus und belegte die Nonnen nach Angaben von Specklin mit einer Strafe von 1.000 Gulden und 400 Viertel Frucht.140 Untereinander verbanden die Straßburger Klöster wahrscheinlich recht enge Beziehungen. Schon allein wirtschaftlich waren alle geistlichen Einrichtungen Straßburgs durch ein dichtes Netz von Zins- und Rentengeschäften miteinander verknüpft.141 Darüber hinaus ist allerdings kaum Korrespondenz zwischen den geistlichen Einrichtungen Straßburgs oder mit Klöstern außerhalb der Stadt erhalten. Die zahlreichen Hinweise auf Kommunikationsstrukturen legen aber die Vermutung nahe, dass es sich bei der mangelnden direkten Überlieferung eher um ein Quellenproblem handelt, das
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Vgl. AMS II, 39/19 und ADBR G 1709/8. Vgl. ADBR H 1407, Nr. 1, 7, 9, 13. 138 Vgl. für den Fall der Kartause ADBR G 1686/5 ff.; AMS II, 30; AMS II, 32/2. Vgl. das Mandatum inhibitorum zugunsten von St. Nikolaus in AMS II, 6/2. Ferdinand von Österreich, der Onkel Rudolphs II., verwendete sich in der Sache der Schließung von St. Nikolaus für die Nonnen, vgl. AMS II, 41–42a. 139 Vgl. AMS AST 37/3, S. 36. 140 Vgl. Specklin: Collectannées, S. 560f. 141 Vgl. dazu Kapitel 7.1 und die dort im einzelnen aufgeführten Rechnungsbücher der Klöster, aus denen sich die engen Beziehungen gut ableiten lassen. 137
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womöglich dadurch bedingt ist, dass der Rat versuchte, die Korrespondenz der Konventualen einzuschränken und zu kontrollieren. Besonders dicht sind Hinweise für ein Kommunikationsnetz mit anderen Klöstern für die Dominikanerinnen von St. Nikolaus. Der bereits erwähnte, 1555 vom Rat verhaftete Läufer der Nonnen, so die Beschwerde des Schaffners, habe unter anderem an den Kontrollen von Verwaltern und Pflegern vorbei die Korrespondenz der Nonnen besorgt. Der Schaffner beschwerte sich: „denselbigen [den Läufer] schicken sie hien und wider in die Clöster, jetzt ghen Fryburg, dan ghon Colmar, jetzt dahiyn, dan dorthien, davon noch umb allemall myne hern die pfleger noch ich wissen haben.“142
Hinweise auf Kommunikationsbeziehungen der Nonnen von St. Nikolaus finden sich auch im Geschenkbuch des Konvents. Die Nonnen hielten offenbar Kontakt mit Gemeinschaften unterschiedlicher Orden: mit den Dominikanerinnen von Renting in der Nähe von Sarrebourg, mit den Klarissen in Freiburg, mit den Zisterzienserinnen von Königsbruck und Lichtenthal und den Benediktinerinnen von Schwarzach, aber auch mit den Kanonissen von Maseveaux.143 Mit diesen Klöstern tauschten nicht nur die Nonnen von St. Nikolaus Bücher aus. In der Bibliothek der Benediktinerinnen von Schwarzach fand sich auch eine mystische Sammelhandschrift aus der Feder der Straßburgerin Anna Schott, die in St. Margaretha lebte.144 Auch anlässlich der Zusammenlegung der Dominikanerinnenhäuser finden sich Hinweise auf enge Kommunikationsbeziehungen. Im Bericht einer Nonne von St. Nikolaus heißt es: „Underweillens sind uns brief kumen von geistlichen persohnen, dorun mir vermandt seindt worden zu standthaftigkeit und uns wol getröst.“145 Auch die Reuerinnen hatten brieflichen Kontakt mit anderen Klöstern, zumindest mit den Reuerinnenklöstern in den östlichen Reichsgebieten.146 St. Margaretha wiederum scheint enge Kontakte zu den Johannitern unterhalten zu haben. Ein ausgetretener Johanniter berichtete 1525 dem Rat, der Komtur halte die Messe in St. Margaretha, außerdem werde „ein brieff uber den andern“ zu St. Margaretha gebracht „und das auch der prior zu sant margreth vil mol gang“.147 Über die Inhalte des Briefverkehrs lässt sich nur spekulieren. Dass aber auch Informationen über den Gang der Re-
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AMS II, 41–42a/12, Nr. 7. Vgl. Rapp: Vie religieuse, S. 26; AMS II, 39/20. 144 Vgl. Schlechter: Deutsche mystische Handschrift, S. 462. 145 ADBR H 3061, fol. 6v. 146 Vgl. Skobel: Lauban, S. 93, der Straßburger Briefe im Klosterarchiv von Lauban belegt. 147 AMS II, 53/18. 143
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formation in Straßburg, die Politik des Rates und die Möglichkeiten des Widerstands ausgetauscht wurden, scheint wahrscheinlich. Schon allein, weil es nicht mehr viele katholische Geistliche in der Stadt gab, waren die Kloster- und Stiftsgeistlichen aufeinander angewiesen. Die Frauen benötigten die Unterstützung katholischer Geistlicher in der cura monialium. Bei der Wahl des Komturs Heinrich Dreyer waren der Dekan von Jung-St. Peter sowie Stiftsherren aus Einrichtungen außerhalb Straßburgs als Zeugen anwesend.148 Der Komtur der Johanniter wiederum, Andreas Wilhelm, bezeugte gemeinsam mit dem Dekan von Jung St. Peter die Wahl des Priors Schustein in der Kartause.149 Darüber hinaus existierte eine St. Ursula-Gebetsverbrüderung, an der neben zahlreichen Laien verschiedene Straßburger Klöster und weitere geistliche Einrichtungen im Südwesten des Reiches beteiligt waren. In Straßburg gehörten die Augustiner, die Kartäuser, St. Nikolaus, St. Margaretha, St. Katharina, die Johanniter und St. Klara zur Bruderschaft.150 Auch zu den Jesuiten existierten womöglich lose Verbindungen. Die Jesuiten kamen in den sechziger Jahren in das Straßburger Bistum. 1557 verhandelte Canisius mit dem Straßburger Bischof Erasmus über die Gründung einer Jesuitenschule im Elsass, der Bischof stand den Jesuiten allerdings sehr ablehnend gegenüber und das Vorhaben wurde zunächst nicht durchgesetzt. Erneute Verhandlungen mit demselben Bischof zehn Jahre später verliefen ähnlich. Erst unter Johann von Manderscheid fruchteten die Gespräche. Ende der siebziger Jahre wurde unter finanzieller Beteiligung des Bischofs eine Jesuitenschule in Molsheim gegründet.151 Auch in Straßburg traten die Jesuiten, offenbar sehr zum Missfallen des Rates, ab 1576 auf. Laut Adam standen sie in enger Verbindung zu den Johannitern, die wiederholt Jesuiten beherbergten. Ein Jesuit trat in den siebziger Jahren bei Disputationen in Straßburg auf. 1581 verlängerte der Rat den Schutz für die Klöster nur unter der Bedingung, dass sie keine Jesuiten oder andere „Fremde“ aufnehmen würden.152 Ansonsten lassen sich aber 148
Vgl. ADBR H 1632, Nr. 1, fol. 2v. Vgl. die Wahlurkunde in AMS II, 28/22 (1586). 150 Vgl. dazu AMS II, 82/55, Liste der Gebete, die aus Anlass der Einweihung des St. Ursula Schiffleins in St. Katharina gesprochen wurden. Vgl. auch Schnyder: Ursulabruderschaften. Da Schnyder sich auf codikologische und literaturwissenschaftliche Fragestellungen konzentriert, steht eine sozialgeschichtliche Analyse der Bruderschaft noch aus. Die beteiligten Klöster können leider nur über das Ortsverzeichnis erschlossen werden. Außerhalb Straßburgs reichten die Arme der Bruderschaft in der Ost-WestAusdehnung von Straßburg bis nach Nürnberg und in der Nord-Süd-Ausdehnung von Köln bis nach Bern. Der Schwerpunkt lag aber im Elsass und in Baden. 151 Vgl. Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 302ff.; Châtellier: Einführung des tridentinischen Katholizismus, S. 388. 152 Vgl. Adam: Evangelische Kirchengeschichte, S. 302ff. 149
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keine Aktivitäten der Jesuiten oder engere Kontakte zu den Klöstern der Stadt nachweisen.153 Als letzte Gruppe von Verbündeten sind die Pfleger der Klöster zu nennen. Zwar waren die meisten der Klosterpfleger gleichzeitig Ratsherren. Besonders häufig hatten Mitglieder des Ausschusses der Klosterherren ein Pflegeramt inne. Doch ihre Rolle war zumindest ambivalent. Die Pflegerordnung von 1525, die für alle Klöster gültig war, definierte die Aufgabe der Pfleger wie folgt: „Closter personen, auch deren habe und gueter, getrewlich zu irem rechten zubewaren und darzu bevolhen und beholffen zu syn.“154 Demnach kontrollierten die Pfleger zwar die Klöster im Auftrag des Rates. Sie überwachten die Rechnungen und die Schaffner, um der Veruntreuung von Gütern vorzubeugen. Sie sollten benachrichtigt werden, falls die Aufnahme neuer Konventualen anstand, entschieden über den Verkauf von Mobilien oder Liegenschaften und waren verpflichtet, jeden Verstoß gegen die Ordnung der Obrigkeit zu melden.155 Doch der in der Pflegerordnung formulierte Auftrag machte sie auch zu Bewahrern und Beschützern der Konventualen und ihrer Güter. Die Nonnen von St. Nikolaus erkannten offenbar das Potential dieser ambivalenten Stellung und pflegten ganz gezielt freundschaftliche Bande zu den Schaffnern und Pflegern. Im Geschenkbuch des Konvents tauchen Pfleger und Schaffner häufig als Empfänger von Aufmerksamkeiten auf.156 Dass die Pfleger in ihrer Stellung als Bewahrer der Klöster in Konflikt mit der Politik des Rates kommen konnten, zeigt sich am Beispiel von St. Magdalena. Ebenso wie die Nonnen stellten sich die Pfleger 1536 gegen die Pläne des Rates, Zinseinkünfte an die Münsterfabrik zu überschreiben. Sie wurden daraufhin vor dem Rat ermahnt, dass „sie sich darzu schicken und gedenken, das sie der statt mehr verwandt, dann dem haus.“157 Insgesamt fehlte es den Straßburger Klöstern an mächtigen Beschützern, die ihre Hand über sie hätte halten können. Den besten Schutz boten das Reichsrecht und sein Garant, der Kaiser. Dass die Klöster dies erkannt hatten, zeigt sich darin, dass sie ihn am häufigsten um Schutz ansuchten. Der Bischof oder der katholische Adel des Elsass hingegen, die theoretisch als Protektoren in Betracht gekommen wären, besaßen im 16. Jahrhundert nicht die Machtposition, sich dem Straßburger Rat entgegen zu setzen. 153
Dass die Kartäuser möglicherweise Kontakte zu ihnen pflegten, ließe sich daraus ableiten, dass der letzte Prior der Kartause nach dem Abriss der Gebäude eine Zeit lang im Jesuitenhaus in Molsheim lebte, vgl. ADBR G 1686/6. 154 Vgl. unter anderem AMS AST 36/5, fol. 2r f., hier 2r. 155 Vgl. AMS AST 36/5, fol. 2r f. 156 Vgl. Lentes: Bildgeschenke, S. 25 und AMS II, 39/20. 157 Vgl. AMS AST 37/2, S. 73.
10.2 Kooperation
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10.2 Kooperation 10.2 Kooperation
10.2.1 „Temporisieren“. Gemeinsame Interessen, gemeinsame Strategien. Rat und Johanniter Nicht immer mussten die Interessen der Klöster und die Interessen des Rates entgegengesetzter Natur sein. Besonders die Johanniter kooperierten mit dem Rat. Die enge Kooperation mit der Stadt hatte in der Johanniterkommende eine lange Tradition. Das Kloster war 1371 vom ehemaligen Kaufmann und Mystiker Rulman Merswin gegründet worden. Rulman Merswin war eine schillernde Figur. In die Religions- und Literaturgeschichte ist der Mystiker und Aussteiger als Erfinder des „Gottesfreundes vom Oberland“ eingegangen.158 In der Gründung des Johanniterklosters allerdings bewies er praktischen Sinn. Er schenkte das von ihm erworbene und restaurierte Haus auf dem grünen Wert zwar nach Verhandlungen mit verschiedenen anderen Orden den Johannitern, ließ es aber von allen Abgaben befreien.159 Gleichzeitig legte er fest, dass das Haus von drei städtischen Pflegern beaufsichtigt werden sollte. Schon von der Gründung an galt, dass die Johanniter nicht das Recht hatten, etwas zu „versetzen, verkumberen, verouffen oder verenderen one der vorgenanten drier phleger und ir nochkomen gunst, wissende und willen.“ Auch in der Aufnahme neuer Konventualen konnten die städtischen Pfleger mitsprechen.160 Von dieser traditionellen Anbindung an die Stadt scheinen die Johanniter im 16. Jahrhunderts profitiert zu haben.161 Wie bereits in Kapitel 8.2.3 dargestellt, mussten die Johanniter mehrfach Übergriffe ihres Ordens abwehren, wobei ihnen der Rat zur Hilfe kam. Ein weiteres Beispiel, in dem die Motive beider Seiten deutlich werden, ist der Fall der versuchten Ordensvisitation von 1541. 1540/1541 158
Vgl. zu Rulman Merswin mystischen Schriften und zur Identifikation des Gottesfreundes zuerst Denifle: Dichtungen des Gottesfreundes; Rieder: Gottesfreund vom Oberland und in jüngerer Zeit Steer: Rulman Merswin sowie Wand-Wittkowski: Mystik und Distanz. 159 Vgl. zu den Verhandlungen Merswins mit verschiedenen Interessenten die Chronik der Johanniter, ADBR H 1383. 160 UB Straßburg, Bd. 5, Nr. 934, S. 720. 161 Die Gründungsgeschichte findet sich auch im Pflegermemorial des Klosters. Verschiedene Versionen des Memorials sind gedruckt bei Rieder: Gottesfreund vom Oberland. Abschriften der Chronik und des Pflegermemorials finden sich in den Straßburger Archiven, u.a. unter ADBR H 1383, ADBR H 2190 und AMS II, 54. Die Gründung des Klosters ebenso wie die besondere Rolle der Pfleger und des Gründers Rulman Merswin untersucht eine im Jahr 2008 bei Harald Müller entstandene Examensarbeit von Nicole Nitschke.
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führte der Johanniterorden erstmals, seit die reformatorische Bewegung sich im Reich verbreitet hatte, eine groß angelegte Visitation seiner zisalpinen Häuser durch.162 Der Komtur des Straßburger Hauses allerdings fürchtete die Visitation. Er sei besorgt, teilte er dem Rat mit, die Visitation „werde ime ein beschwerd ufflegen oder zumutt und das hauß underston zu reformieren“. Wie bereits gezeigt, fand zu dieser Zeit aller Wahrscheinlichkeit nach kein regelgerechtes Leben mehr in der mit nur vier Mönchen besetzten Kommende statt, was der Prior zu kaschieren hoffte. Er bat deshalb die Stadt „sie wöll innen das haus und ine in schutz und schirm halten wie bitzhür.“ Das Haus sei ohnehin exemt.163 Der Rat wiederum, der ebenfalls kein Interesse daran haben konnte, dass der Orden ihn möglicherweise vor dem Reichskammergericht wegen vorgenommener Religionsänderungen belangte, sagte dem Komtur bereitwillig zu, man werde weder eine Visitation noch eine Reform zulassen.164 Energisch stellte sich der Rat den Visitatoren entgegen. Nicht minder entschlossen wagte es der Visitator, der Komtur der Kommende von Dorlisheim, Bombast, dennoch in die Stadt einzureiten, „offen mit 2, 3 oder mehr pferd, als ob er das recht hab“. Eine Visitation des Hauses aber fand nicht statt.165 Der Rat übernahm die Verhandlungen mit dem Visitator. Er argumentierte mit der Exemtion des Hauses und den übrigen Besonderheiten der Fundation. Der Rat übernahm auch ganz praktisch die Auseinandersetzung mit dem Orden, indem er offenbar den Großteil der Korrespondenz bestritt.166 Nicht nur gegenüber dem Orden, auch gegenüber weltlichen Forderungen berief sich der Komtur gerne auf den Schutz und Schirm der Stadt. Als etwa der Markgraf von Baden 1534 für Ländereien der Johanniter in seinem Territorium die Türkensteuer einziehen wollte, antwortete der Komtur, der Rat von Straßburg sei seine „weltliche Obrigkeit“ und veranschlage bereits alle seine Einkünfte bei der Zahlung der Türkensteuer. Die Stadt intervenierte in diesem Konflikt ebenfalls zu Gunsten der Johanniter, wenn auch mit unbekanntem Ausgang.167 Offenbar befanden die Johanniter über Generationen hinweg, dass der Schutz und Schirm der Stadt ihnen mehr nützte als schadete und waren daher gerne bereit, auf ihre völlige Unabhängigkeit zu verzichten und der Stadt Steuern zu zahlen. Im Streit mit Georg Schilling 1549, der den 162
Vgl. dazu Rödel: Großpriorat Deutschland. Vgl. AMS II, 53/14, fol. 3r. 164 Vgl. AMS II, 53/14, fol. 3r. 165 Vgl. AMS AST 35/6, fol. 11ff. und fol. 14r. Bombast war der Spitzname Georgs von Hohenstein. Er war der Vetter des Meisters der Johanniter in Deutschland, Georg Schilling und folgte diesem 1554 als Großprior des Ordens in Deutschland nach. 166 Vgl. AMS II, 53/14 (2. November 1549) und AMS II, 56/16. 167 Vgl. die Akten dazu in AMS II, 53/21. 163
10.2 Kooperation
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Straßburger Johannitern vorwarf, dem Haus und dem Orden durch die enge Kooperation mit der Stadt zu schaden, legten die Straßburger ihre pragmatische Strategie offen. Im Reich herrsche nun einmal ein „gefarlichs lauffen [...], das wir auch die selben [Beschränkungen] vom fridlebens wegen und grössern schaden zu für khomen dan zumal also gedulden und der zytt noch sehen auch der besserung erwarthen, zuvorab, weil danocht die beschwerung dem hauß nitt verderblich, sonder gantz Träglich gewess, wir auch darneben solichen uerwigigenn zittenn an zittlichem vermög und intrate nit allein nit ab, sondern zugenommen, auch sich mönglich gebessertt hatt, daretwan andere gotzheuser so nit also temporisieren wöllen, [...] schaden und abgang erlitten und enpfangen habenn.“168
Ähnlich wie die Nonnen von St. Nikolaus versuchte der Komtur daher auch gezielt, das vergleichsweise gute Verhältnis zum Rat zu pflegen. Im Missivenbuch von St. Johann ist eine Einladung des Komturs Erasmus Sutter aus dem Jahr 1575 überliefert. Der Komtur bat die Ratsherren zu einem „Imbiß“ und zur Verkostung des neuen Weins ein, „von weg guoter nachpaurschafft“.169 Dabei handelte es sich offenbar um ein alljährliches Ritual. Der Rat nahm die Einladung an, obwohl zur selben Zeit Johanniter und Obrigkeit über die verstärkt öffentlich gefeierte Messe in der Kommende heftig im Streit lagen.170 Abgesehen von den Streitigkeiten um die Messe in den siebziger bis neunziger Jahren, sind keine grundsätzlichen Differenzen zwischen Rat und Johannitern überliefert. Die bekannten Auseinandersetzungen resultieren eher aus einer Feinjustierung des Gebens und Nehmens. Der Beitrag der Johanniter zu Wallbauarbeiten oder die Verfügungsrechte über Gassen im Bezirk des Klosters sind typische Konfliktpunkte, also nichts, was in Zusammenhang mit dem durch die Reformation neu definierten Verhältnis zwischen Kloster und Stadt stünde.171 10.2.2 Die Kartäuser zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Kooperation Auch die Kartäuser kooperierten in vielen Punkten mit dem Rat. Von allen überlebenden Klöstern handelten sie am wenigsten eigenständig. Ob es sich hierbei allerdings wie im Falle der Johanniter um ein bewusst gewähltes Kalkül handelte, ist fraglich. Die angepasste Haltung der Kartäuser beginnt in konfessionellen Fragen. Spätestens in der zweiten Jahrhunderthälfte hatten sie ihr regelgetreues Leben offenbar aufgegeben. Aus den dreißiger und vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts sind noch vereinzelte Nachrichten über das Fortleben des 168
Vgl. ADBR H 1632, Nr. 7, S. 3. Vgl. ADBR H 1637, fol. 6r. 170 Vgl. ADBR H 1637, fol. 6r. 171 Vgl. zu den Streitigkeiten um Wallbauarbeiten, die in den Jahren 1587, 1593, 1594 und 1610 virulent waren AMS II, 53/24. 169
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katholischen Kultus überliefert. 1530 verhängte der Rat eine Geldbuße gegen die Kartäuser, weil sie die Messe gefeiert hatten.172 Aus dem Jahr 1536 ist überliefert, dass der Prior der Kartause einen ehemaligen Mönch, der ausgetreten war und nun im Sterben lag, aufsuchte und zu überreden versuchte, sich Absolution erteilen zu lassen und in das Kloster zurückzukehren.173 Auch 1540 wurde noch die öffentliche Messe gehalten und Verstorbene nach altem Ritus auf dem Klosterfriedhof beerdigt.174 Ob neben der Messe aber noch regeltreu im Kloster gelebt wurde, ist schwer zu entscheiden. Eine Rechnung von 1526/27 führt unter den Küchenausgaben immerhin nur Fischgerichte auf. Mehr Hinweise gibt es allerdings nicht für ein Fortbestehen des Kartäuserlebens.175 Umso mehr Belege finden sich dafür für einen völligen Verfall des religiösen und moralischen Lebens in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Dem Visitationsbericht Peters von Ittingen zufolge (1586), war ein religiöses Leben im Kloster nicht mehr denkbar, hatten doch die Ratsherren die Kartause in ein öffentliches Wirtshaus verwandelt.176 Auch der spätere Prior Johann Schustein berichtete in einem Brief an den Visitator der Rheinprovinz aus dem Jahr 1583, in dem er um seine Versetzung bittet, über den moralischen Verfall im Kloster. Es seien sogar regelmäßig Dirnen bei den Mönchen. Er schreibt weiter, dass die Mönche „sodomiticum peccatum committere“.177 Vermutlich erfolgte die Einstellung des religiösen Lebens aber erst in zweiter Linie aus einer kooperativen Haltung oder weil man den Rat milde stimmen wollte. Die Gemeinschaft war so stark geschrumpft, dass ein regelkonformes Leben kaum möglich scheint. Auch war die Kartause sicherlich das Kloster, in dem die Eingriffe des Rates am gewaltsamsten ausfielen. Zu Beginn des Jahrhunderts gibt es noch Hinweise darauf, dass die Mönche versuchten, den Rat im Kleinen zu befrieden, um den Erhalt ihres Klosters zu sichern. Sie kamen etwa, anders als die Nonnen und die Johanniter, bereitwillig der Verpflichtung nach, neue Mönche und neues Personal beim Rat in das gesonderte Bürgerbuch eintragen zu lassen, das für Geistliche in der Kanzlei geführt wurde. Erhalten ist ein Begleitschreiben,
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Vgl. AMS AST 37/3, S. 32. Vgl. AMS AST 36/5, fol. 32r. 174 Vgl. AMS II, 28/17, Nr. 26. 175 Vgl. AMS AH 8096. 176 Vgl. AMS II, 35/7, Nr. 1. Vgl. dazu auch die Belege in AMS II, 31a/3, Nr. 1 und AMS AST 100/70, Nr. 1. 177 AMS II, 31a/3, Nr. 1. 173
10.2 Kooperation
343
mit dem der Prior der Kartause, Martin, 1529 zwei neue Bäckergesellen des Klosters auf die Ratsstube schickt.178 Aber schon im Konflikt zwischen Kloster, Orden und Rat um die Priorenwahl im Jahr 1540 ist das Verhalten der Straßburger Kartäuser ausgesprochen passiv. Da der Rat aus wirtschaftlichen und rechtlichen Gründen – der Kaiser hatte mit dem Bann gedroht – sein eigentliches Ziel, die Schließung der Kartause, nicht durchzusetzen vermochte, verlegte er sich auf die zweitbeste Option: Die Einsetzung eines gut kontrollierbaren, das heißt eines lokalen Priors.179 Die Straßburger Kartäuser beugten sich dem Willen des Rates. Sie nahmen die Unterstützung offen an und betonten gegenüber ihrem Orden, der Rat werde den missliebigen externen Prior, Lambert Pascualis, den der Orden für die Kartause vorsah, nicht einlassen.180 1542 musste der Prior der Großkartause den lokalen Prior Michael Bacharach bestätigen.181 Ob der Straßburger Konvent in diesem Fall strategisch handelte, um einen unliebsamen und womöglich reformwilligen externen Prior zu verhindern, ist fraglich. Der Rat unterband offenbar teilweise die Korrespondenz mit dem Orden, wie aus einer Beschwerde des Visitators Gobelinus hervorgeht.182 Zumindest aber zensierten die Stadtherren Schreiben der Kartäuser an ihren Orden. Einen Brief an Gobelinus lässt der Rat an die Mönche zurückgehen mit der Anweisung „inen sagen, die wort, als ob sie den prior uß forcht hetten welln muessen, herußtun.“183 Der Kartäuserorden versuchte, sich gegen die Isolationsstrategie des Rates zur Wehr zu setzen. Visitator Gobelinus erinnerte die Mönche in einem Schreiben in scharfem Ton daran, sie seien ihren Ordensoberen, nicht der weltlichen Herrschaft unterstellt. Sie hätten müssen „magis timuisse deum quam homines“. Sollten sie den Rat als Obrigkeit anerkennen, werde man sie als Abtrünnige betrachten.184 Zumindest aus der Sicht des Ordens also kooperierte der Straßburger Konvent schon zu eng mit dem Rat.
178
Vgl. AMS II, 28/12. Die Akten zu den Streitigkeiten, auch die wichtigsten Prozessunterlagen, finden sich vor allem in AMS II, 28/17. Vgl. zu demselben Vorgang aus der Perspektive des Rates AMS AST 35/6, fol. 42r f. und Politische Correspondenz, III, S. 97ff. 180 Vgl. AMS II, 28/17, Nr. 17. 181 Vgl. AMS II, 28/17, Nr. 23. Lambert Pascualis, der vom Orden für die Aufgabe vorgesehen war, legte aus Frustration den Habit ab und bat den Rat, in Straßburg seine Tage als Bürger beenden zu dürfen, vgl. AMS II, 28/17, Nr. 24. 182 Vgl. AMS II, 28/17, Nr. 8. 183 Vgl. AMS AST 35/6, fol. 48v. 184 AMS II, 28/17, Nr. 8. Der Rat, der diesen Brief offenbar auch zu Gesicht bekommen hat, kommentierte nicht unzutreffend: „hawt myne hern mer grob inn kessel und leert die conventuales hubsch ding“, vgl. AMS AST 36/5, fol. 44v. 179
344
10. Strategisches Handeln von Mönchen und Nonnen
In der Zeit nach 1540 mehren sich die Anzeichen dafür, dass der Rat praktisch vollständig die Kontrolle über die Kartause übernommen hatte. Er führte nun für die Mönche jegliche Kommunikation mit dem Orden. Nicht die Kartäuser selbst, sondern der städtische Notar Theobald Hortulum meldete 1557 nach Grenoble, dass die Kartause einen neuen Prior, den Trierer Professen Philipp Meyer, gewählt habe.185 Auch der spätere Prior Schustein von Edinger beschrieb in seinem bereits erwähnten Brief an den Visitator der Rheinprovinz das hierarchische Verhältnis von Rat und Kartause. Er gab unter anderem eine Situation aus dem Jahr 1583 wieder. In diesem Jahr habe der Rat den Kreuzgang des Klosters unangekündigt mit Szenen bemalen lassen, die Schustein offensichtlich als anstößig empfand.186 Der im Umgang mit dem Rat noch unerfahrene Schustein hatte daraufhin nach eigener Aussage „verborum modesti“ an die Stadtherren geschrieben und um Entfernung der Malereien gebeten. Der Rat antwortete ihm, wenn es einer der Mönche wage, die Bemalung zu entfernen, werde man das Kloster abbrennen. Über die harsche Antwort war Schustein selbst so überrascht, dass er dem Visitator mitteilte, er wisse bis heute nicht, ob die Ratsherren „joco vel serio“ gesprochen hätten.187 Diese Episode zeigt zum einen die große Abhängigkeit der Kartause von der Stadt, andererseits aber auch das ungeschickte und wenig strategische Vorgehen der Mönche. Der Ton gegenüber den schweigenden Mönchen jedenfalls ist deutlich schärfer als derjenige gegenüber den Johannitern. Möglicherweise schätzten die Kartäuser anfangs ihre Überlebenschancen besser ein, wenn sie mit dem Rat kooperierten und waren daher bereit, Kontrollen des Rates in Kauf zu nehmen. Anders als die Johanniter und die Frauenklöster aber gerieten sie im Verlauf des 16. Jahrhunderts völlig unter die Herrschaft des Rates, der ganz offensichtlich im Falle der Kartäuser wesentlich willkürlicher und härter verfuhr als im Falle der anderen Klöster.188 Insgesamt sind daher die Handlungsspielräume der Kartäuser als sehr gering einzuschätzen. Ob die Mönche dem Rat für seine Unterstützung im Konflikt um die Wahl von 1540 also tatsächlich „vleissigen danck 185
Vgl. AMS II, 28/18. Eine genauere Beschreibung der Bemalung erfolgt nicht, Schustein schreibt allerdings etwas von einem Giganten, womöglich wurde der Kreuzgang mit Fabelwesen bemalt, was durchaus der Mode der Zeit entsprochen hätte, vgl. AMS II, 31a/3, Nr. 1. 187 AMS II, 31a/3, Nr. 1. 188 An der Lebensweise der Kartäuser an sich lag der Misserfolg der Straßburger wohl nicht. Sigrun Haude etwa hat für die Kölner Kartause gezeigt, dass die Mönche im 16. Jahrhundert durchaus nicht mehr nur die schweigenden Eremiten waren, als die sie vom Heiligen Bruno gegründet worden waren, sondern sich durch den Druck von Pamphleten und das Abfassen von Traktaten aktiv an den Debatten der Zeit beteiligten, vgl. Hause: The Silent Monks Speak Up. 186
10.3 Zusammenfassung
345
gesagt“ haben, wie die Stadtherren in einem abschließenden Bericht über die Konflikte offensichtlich sarkastisch dem Domkapitel mitteilten, ist fragwürdig.189
10.3 Zusammenfassung 10.3 Zusammenfassung
Noch einmal hat sich gezeigt, dass die überlebenden Klöster in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf der Basis grundsätzlicher Kooperation – das heißt, die Anerkennung des Rates als Obrigkeit und Schutzherren und das Zahlen der damit verbundenen Abgaben – durchaus über einen gewissen Handlungsspielraum verfügten. Diesen Handlungsspielraum nutzten die Klöster allerdings sehr unterschiedlich. Besonders offensiv opponierten die Nonnen von St. Nikolaus gegen den Rat. Gegen dieses Kloster liegen am häufigsten Beschwerden vor, sowohl was die Feier der Messe betrifft, als auch die Aufnahme von Nachwuchs und offene Verstöße gegen die wirtschaftliche Kontrolle des Rates. Die Dominikanerinnen von St. Margaretha versuchten geschickter, den Anschein von Kooperation aufrechtzuerhalten. Besonders zu nennen ist hier das Bemühen um die städtische Anerkennung als Schule, die die Rekrutierungsstrategie der Nonnen bis zu einem gewissen Grad legitimierte. Die Johanniter bewahrten sich ihre Unabhängigkeit zumindest institutionell. Traditionell kooperierte das Kloster, das seit seiner Gründung im 14. Jahrhundert von drei städtischen Pflegern überwacht wurde, eng mit dem Rat. Diese Kooperation setzten die Johanniter mit Erfolg auch im 16. Jahrhundert fort. Da sie grundsätzlich die Schutzherrschaft des Rates akzeptierten und diese sogar strategisch gegen unliebsame Ansprüche ihres Ordens einsetzten, schufen sie sich Handlungsspielräume, etwa in der Ausübung des katholischen Kultus, der seit den siebziger Jahren eine Renaissance im Kloster erlebte. Möglicherweise färbte auch das Image des Ritterordens auf die Straßburger Kommende ab und nötigte den Rat zu einer gewissen Vorsicht, auch wenn die Niederlassung auf dem grünen Wert als Priesterhaus nicht mit Adeligen besetzt und traditionell lose an den Orden gebunden war. Weniger glücklich handelten die Kartäuser. Zwar ist in der ersten Hälfte des Jahrhunderts noch die Praxis des katholischen Kultus nachweisbar. Insgesamt aber wurde das Kloster sowohl institutionell als auch religiös ausgehöhlt und existierte praktisch nur noch pro forma. Wahrscheinlich fand ein religiöses Leben kaum mehr statt, während der Rat sich mit großer Willkür an den Liegenschaften und dem Einkommen des Klosters be189
AMS II, 28/17, Nr. 28.
346
10. Strategisches Handeln von Mönchen und Nonnen
diente. Die verbliebenen Mönche ignorierte der Rat wohl weitgehend, sie selbst wirkten wohl eher als Verwalter und Statthalter.
10.4 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen 10.4 Geschlechtergeschichtliche Beobachtungen
Festzustellen ist, dass alle drei Frauenklöster stärker Widerstand gegen die Klosterpolitik des Rates leisteten als die Kartäuser und die Johanniter. Unterschiede zeigen sich besonders im Widerstand gegen die Abschaffung des alten Kultus. Alle drei Frauenklöster schafften es trotz ihrer Kooperation in einzelnen Punkten, ihren klösterlichen Charakter und den alten Kultus bis zum Ende des Jahrhunderts zu verteidigen. Sie widersetzten sich erfolgreich der „Entzauberung“ ihrer Frömmigkeitspraxis, wie sie von den protestantischen Predigern angestrebt wurde, und konservierten in ihrem klausurierten Mikrokosmos die Klosterwelt des 15. Jahrhunderts. Indem sie es schafften, auch weiterhin Nachwuchs zu rekrutieren, konnten sie auch die Größe der Gemeinschaften bis zum Ende des Jahrhunderts in einem Maße erhalten, das ein religiöses Leben möglich machte. Dies gelang ihnen, obwohl der Rat sich gerade im Fall der weiblichen Gemeinschaften auch stark um die Kontrolle des inneren Klosterlebens bemühte. Die Handlungsmöglichkeiten von Nonnen und Mönchen im Widerstand gegen den Rat scheinen sich nicht grundsätzlich unterschieden zu haben. Möglicherweise kam den Frauen hier ihre stärkere Anbindung an die Stadtgemeinschaft zugute, die die Ratsherren vor drakonischen Maßnahmen zurückschrecken ließ. Ebenso wie Johanniter und Kartäuser legten auch die Frauen weiterhin Wert auf eine unabhängige Wirtschaftsverwaltung, die sie wohl auch weitgehend gegen den Widerstand des Rates durchsetzen konnten.
Kapitel 11
Schlussbetrachtung Luthers antimonastische Theologie war motiviert aus der Sorge um das Gewissen und Heil jedes einzelnen Religiosen. „Wollt Gott“, schrieb der Reformator 1523, „ich kund [...] alle gefangene gewissen erredten und alle kloster ledig machen.“1 Luthers Infragestellung der jahrhundertealten Institution Kloster hatte allerdings umfassende gesellschaftliche und politische Auswirkungen, die weit über die Biographien einzelner Mönche und Nonnen hinausreichten. Die Schließung und Aufhebung von Klöstern ging einher mit der Umverteilung großer Gütermassen, die die Klöster seit ihrer Gründung durch Stiftungen, Schenkungen und Bewirtschaftung ihrer Liegenschaften gesammelt hatten. Aus dem Klostergut speisten sich die landesherrliche Reformation, der Prozess der Territorialisierung, aber im späten 16. und beginnenden 17. Jahrhundert auch die kämpferische tridentinische Kirche, die restituierte Klostergüter der mittelalterlichen Orden den Jesuiten und anderen Reformkongregationen überschrieb. Ehemalige Mönche prägten den Fortgang der reformatorischen Bewegung als Theologen. Die Ordensgeschichte gelangte an eine Wende und sollte mit der Abwertung kontemplativer Lebensformen durch das Tridentinum in der zweiten Jahrhunderthälfte gleich die nächste Volte schlagen. Der Erfolg von Luthers Theologie, der das Ordenswesen in eine fundamentale, wenn auch nicht existenzielle Krise stürzte, war zum einen bedingt durch die landesherrliche und städtische Implementierungspolitik. Reichsweit wurde in protestantischen Städten und Territorien versucht, Klöster zu schließen. Aber auch die zahlreichen Entscheidungen einzelner Religiosen für den Klosteraustritt führten dazu, dass das Verlassen der Klöster zu einem Massenphänomen wurde. An diesem Punkt des Ineinandergreifens von Makro- und Mikroebene hat die vorliegende Arbeit angesetzt. Ziel war die Auslotung und Bewertung der Motive und Handlungsspielräume von Religiosen in Auseinandersetzung mit den Restriktionen ihrer protestantischen Umwelt. Daran anknüpfend wurde die Frage nach den Faktoren, die die „Überlebenschancen“ von Klöstern in der Reformationszeit bedingten, gestellt. Angestrebt wurde in 1
Ursach und Antwort, WA 11, S. 395.
348
11. Schlussbetrachtung
Abgrenzung zu bisherigen Studien eine systematische Untersuchung, die sowohl über die Skizzierung der städtischen Klosterpolitik als auch über die Betrachtung einzelner Klostergeschichten hinausführen sollte. Die Perspektive war dabei eine thematisch umfassende. Sowohl politik- als auch sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte wurden berücksichtigt. Ausgehend von dem in der Forschung schon mehrfach konstatierten Phänomen, dass Frauenklöster sich vielerorts Reformations- und Schließungsversuchen stärker widersetzten als Männerklöster, wurde besonders die geschlechtergeschichtlich vergleichende Perspektive eingenommen. Im Folgenden werden die Ergebnisse noch einmal thesenhaft zusammengefasst und abschließend bewertet. Im ersten Hauptteil wurden zunächst verschiedene strukturelle Faktoren auf der Makroebene untersucht mit Hinblick auf die Frage, inwieweit sie Einfluss auf den Fortbestand oder die Schließung der Klöster hatten und inwieweit sie Handlungsspielräume für die Gemeinschaften und die einzelnen Religiosen eröffneten. Die einzelnen Faktoren lassen sich folgendermaßen hierarchisieren: 1. Politische Bedingungen. Die wichtigste Rahmenbedingung der Handlungsspielräume von Klostergemeinschaften und Religiosen war sicherlich die städtische Klosterpolitik. Bereits Walter Ziegler hat zwar festgestellt, dass die Annahme flächendeckender obrigkeitlicher Klosterschließungen nicht haltbar ist, sondern eine Vielzahl von politischen, strukturellen und individuellen Faktoren zur Auflösung von Klöstern führte.2 Aber auch Ziegler sieht die institutionelle Ebene, die Ebene politischer und rechtlicher Einbettung, weiterhin als die wichtigste an.3 Diese These konnte am Straßburger Beispiel bestätigt werden. Die Straßburger Klosterpolitik bildet den Rahmen, innerhalb dessen andere Faktoren ihre Wirkung erst entfalten konnten. Die vergleichsweise großen Handlungsspielräume der Straßburger Konvente ergaben sich aus der Politik der pragmatischen Milde, die der Rat gegenüber Klöstern betrieb. Nachdem ein Versuch der Auflösung aller Frauenklöster 1525 gescheitert war, verlegte sich der Rat auf die in vielen Städten praktizierte Strategie, die Aufnahme von Nachwuchs zu untersagen und zu hoffen, die Konvente würden aussterben. Diese Strategie wurde allerdings von den Religiosen systematisch unterwandert und schließlich auch von der städtischen Obrigkeit aufgegeben. Im Jahr 1555 erließ der Rat eine protestantische Klosterordnung für die Frauenklöster, die eine von den Pflegern kontrollierte Aufnahme von Nachwuchs vorsah. Das ur2
Vgl. Ziegler: Reformation und Klosterauflösung, S. 596f. Vgl. Ziegler: Reformation und Klosterauflösung, S. 614. Vgl. ebenso Henze: Orden und ihre Kloster, S. 91. 3
11. Schlussbetrachtung
349
sprüngliche Ziel der Klosterpolitik, die Schließung aller städtischen Klöster, wurde damit aufgegeben. Die meisten der Klosteraufhebungen in Straßburg waren daher „Klosterauflösungen“, also von den Gemeinschaften selbst herbeigeführte Übergaben des Klosterguts. „Klosterschließungen“ im Sinne obrigkeitlicher Gewaltakte gab es hingegen nur gegen Ende des Jahrhunderts. 1591 exekutierte der Rat eine Rationalisierungsmaßnahme des Generalkapitels in Grenoble gegen die Kartause, 1592 legte er das defizitäre Kloster St. Nikolaus mit den Dominikanerinnen von St. Margaretha zusammen. Bedingt war diese vergleichsweise milde Klosterpolitik durch verschiedene Restriktionen, aber auch Interessen des Rates. Im Bewusstsein, dass ein Ius Reformandi der Reichsstädte reichsrechtlich nicht begründbar war und aufgrund der Befürchtung, das Reichsrecht könne gegen die Stadt exekutiert werden, wie es 1548 mit dem Augsburger Interim der Fall war, sah der Rat mehrfach von radikalen Veränderungen in Religionssachen ab. Außerdem konnte gezeigt werden, dass die städtische Obrigkeit wirtschaftliche und sozio-ökonomische Interessen am Fortbestand der Klöster hatte. Die Straßburger Stadtherren, die einen häufig klammen Haushalt zu verwalten hatten, schätzten die Klöster als Geber unverzinster Kredite. Auch die realistische Befürchtung, bei der Schließung könnte der Wert des Klosterguts gemindert werden, indem Gefälle von katholischen Landesherren arretiert würden, hielt den Rat von einem radikalen Vorgehen gegen die Klöster ab. Er beschränkte sich vielmehr darauf, die Wirtschaftskraft der Häuser indirekt durch Steuern und unregelmäßige Eingriffe in die Klosterhaushalte abzuschöpfen. Auch die Funktion der Klöster als „Versorgungsanstalten“ spielte im Kalkül der Stadtpolitik eine Rolle, wusste man doch nicht, wo man die große Anzahl besonders weiblicher Religiosen unterbringen sollte. Der Vergleich mit anderen Reichsstädten und Territorien hat gezeigt, dass die Straßburger Klosterpolitik zwar milde, aber nicht außergewöhnlich war, gelang doch in den wenigsten Herrschaften mit Ausnahme prominenter Beispiele wie der Landgrafschaft Hessen eine schnelle, planmäßige und flächendeckende Schließung der Klöster. 2. Die Klosterwirtschaft. Große Bedeutung für die Überlebenschancen eines Klosters kommt auch deren wirtschaftlicher Prosperität zu. Die Wirtschaftlichkeit der Klöster war in Straßburg Bedingung für das Überleben der Gemeinschaft, da der Rat hier die Grenzen seiner Duldungsbereitschaft zog. Gleichzeitig trug die wirtschaftliche Lage zur Attraktivität des Klosterlebens für die verbliebenen Konventualen bei. Die Bedingungen für einen ausgeglichenen Haushalt allerdings waren, so konnte gezeigt werden, schlecht. Klöster mussten mit Einnahmeausfällen umgehen, da Stiftungen und Schenkungen ausblieben. Sie mussten au-
350
11. Schlussbetrachtung
ßerdem die Pensionen ausgetretener Konventualen und eingebrachtes Gut auszahlen, wodurch das Kapital der Klöster deutlich geschmälert wurde. Gleichzeitig wurden die Klöster in das städtische Abgabensystem integriert, zahlten Steuern und wurden vom Rat auch in unregelmäßigen Abständen zu außergewöhnlichen Zahlungen zu wohltätigen Zwecken herangezogen. Die Straßburger Männer- und Frauenklöster lebten mit Ausnahme der Johanniter in erster Linie aus Zinsen von angelegtem Kapital. Die Schmälerung der Einnahmen und die Erhöhung der Ausgaben führten dazu, dass freigewordenes Kapital nicht mehr reinvestiert werden konnte, und sich so die Zinseinnahmen und damit die regelmäßigen Einkünfte der Klöster verringerten. Die Klöster St. Magdalena und St. Nikolaus scheinen gegen Ende des 16. Jahrhunderts kurz vor dem Ruin gestanden zu haben. Andere Klöster, wie die Johanniter, die Kartause und St. Margaretha allerdings prosperierten im 16. Jahrhundert – möglicherweise aufgrund schrumpfender Konventualenzahlen. 3. Diskurse. Die Bedeutung von Diskursen, gerade auch von geschlechterspezifischen Diskursen, kann als Faktor für die Handlungsmöglichkeiten von Religiosen und die Überlebenschancen von Klöstern in der Frühen Neuzeit nicht negiert werden. Diskurse hatten nicht nur eminente Bedeutung im Rahmen der allgemeinen Anfechtung des klösterlichen Lebens, sondern wurden auch konkret als Argumentationshilfe bei der Schließung von Klöstern herangezogen. Während sich beispielsweise aus den Ratsprotokollen vor allem wirtschaftliche Motive zur Zusammenlegung der beiden Dominikanerinnenklöster St. Nikolaus und St. Margaretha (1592) erschließen, argumentierte der Rat öffentlich auch mit vermeintlichen sittlichen Vergehen der Nonnen, eine Streitschrift, in der auf zeittypische Stereotype von der sexuellen infirmitas von nicht verheirateten Frauen Bezug genommen wird. Diese Motive finden sich auch in Luthers Schriften. Geschlechterspezifische Diskurse scheinen insofern nicht Ursache, aber Vollstreckungshilfe von Klosterschließungen gewesen zu sein. Zudem beeinflussten Geschlechterdiskurse die unterschiedlichen Perspektiven und Lebensmöglichkeiten von Frauen und Männern, die wiederum Auswirkungen auf die Entscheidung für oder gegen den Klosteraustritt haben konnten, wie im zweiten Teil ausführlich gezeigt wurde. 4. Das Sozialprofil der Konvente und die Bedeutung familiärer Bindungen. Der Einfluss familiärer Bindungen zwischen Klöstern und Stadtgemeinschaft muss differenziert gesehen werden. Die soziale Gruppenzugehörigkeit der Konventualen und die „Sozialprofile“ der Konvente, die sich daraus ergaben, spielten per se für Bestand oder Schließung der Klöster eine untergeordnete Rolle. Keine der sozialen Gruppen in Straßburg war – mit
11. Schlussbetrachtung
351
Ausnahme der Ratsfamilien – unter ausgetretenen Konventualen besonders stark präsent. Punktuell aber konnte der soziale Rang einer Familie als Kapital eingesetzt werden, mit Hilfe dessen politische Entscheidungen herbeigeführt wurden. Im Fall von St. Margaretha hat die Intervention des politisch aktiven, patrizischen Klosterpflegers dazu geführt, dass entgegen dem Aufnahmeverbot Töchter von Konstoflern in das Kloster eintreten konnten. Gezeigt werden konnte, dass der Rat auf die Interessen besonders hoch gestellter Patrizier auch dann Rücksicht nahm, wenn diese seine eigenen religionspolitischen Ziele – das Aussterben der Konvente – konterkarierten. Insofern konnten sich Verflechtungen zum Rat punktuell stabilisierend auf die Bestandschancen eines Klosters auswirken. Dieses soziale Kapital musste aber konkret aktiviert werden, um wirksam zu werden. Auch die Beobachtung, dass die Verflechtung zwischen städtischer Gesellschaft und Klostergemeinschaft im Verlauf des 16. Jahrhunderts deutlich abnahm, muss vorsichtig beurteilt werden. Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Abnehmen der Verbindungen zwischen Klöstern und Gesellschaft und den Klosterschließungen 1591/1592 lässt sich nicht herstellen. Indem sich die Straßburger Familien im 16. Jahrhundert immer stärker aus den Konventen zurückzogen, nahm aber sicherlich das Interesse an deren Fortbestand sowie die Möglichkeit, konkrete Verbindungen strategisch zu aktivieren, ab. Eine Rolle spielte die Familienzugehörigkeit der Konventualen auch auf der Ebene individueller Beziehungen. Gerade in der Frühzeit der Reformation führten konfessionelle Divergenzen zwischen Konventualen und ihren Familien zu heftigen Konflikten. Vom Glaubensübertritt der Familien waren die Konventualen zumeist durch ihre räumlich wie ideell exkludierte Lebensweise ausgeschlossen. Dennoch versuchten viele Familien gerade ihre in Klöstern lebenden Töchter für die neue Lehre zu gewinnen, was nicht selten zu erzwungenen Klosteraustritten führte. Für Mönche sind solche familiären Gewaltmaßnahmen nicht belegt, was vermutlich auch durch die anders geartete rechtliche Stellung von Männern begründet werden kann. Andererseits konnten die Familien aber auch als Multiplikatoren der neuen Lehre wirken und die freiwillige Konversion von Konventualen herbeiführen. 5. Der Einfluss der Ordensgemeinschaften. Die Orden waren größtenteils gerade in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts so geschwächt, dass sie kaum in der Lage waren, einzelne Häuser zu unterstützen. Ihr Einfluss auf die Handlungsräume der Klostergemeinschaften und einzelner Religiosen war daher insgesamt gering. Bis zur Jahrhundertmitte verloren viele Orden bereits ein Drittel bis die Hälfte ihrer Niederlassungen. Zwar muss regional und nach Orden und Or-
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11. Schlussbetrachtung
denszweigen differenziert werden, von einer Krise kann aber durchaus gesprochen werden. Für viele Orden setzte sich diese Krise auch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts fort. Zwar konnten sich einige Gemeinschaften konsolidieren, andere Orden aber verloren weiter an Substanz, da besonders in der nachtridentinischen Zeit die Konkurrenz zu den Reformorden hinzukam. Von dieser Entwicklung scheinen die Frauenklöster besonders betroffen gewesen zu sein, wobei hier zu einer abschließenden Beurteilung noch weitere Forschungen nötig sind. Die Orden entwickelten unterschiedliche Konsolidierungsstrategien, die zumeist erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts oder sogar erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts implementiert wurden. Dazu gehörten Klagen um die Restitution verlorenen Klosterguts, die Gründung von Schulzentren und weitere Bildungsmaßnahmen, die finanzielle Unterstützung in Not geratener Gemeinschaften sowie in den Männerorden die Transfiliation von Mönchen auch über die Grenzen des Reiches hinaus, um personell schwache Gemeinschaften zu stützen. Die Straßburger Gemeinschaften profitierten von diesen Maßnahmen allerdings nur in geringem Maße. Das von den Bettelordensgemeinschaften in die Hand der Stadt übergebene Klostergut konnte nicht zurückerlangt werden. Auch der Reichskammergerichtsprozess um das mit den Dominikanerinnen von St. Margaretha zusammengelegte Kloster St. Nikolaus wurde zu keinem Urteil geführt. Johanniter und Kartäuser waren von den Strategien ihrer Orden sogar negativ betroffen. Die Johanniter richteten ihr Vorgehen im 16. Jahrhundert noch eindeutiger auf die im Kampf gegen die Osmanen zu frischem Prestige gelangten Ritterhäuser aus und versuchten, Priesterkommenden in Ritterhäuser umzuwandeln. Auch das Straßburger Haus wurde mehrmals Ziel dieser Bestrebungen, konnte sich aber mit Hilfe der Stadt zur Wehr setzen. Die wohl tatsächlich sehr heruntergekommene Kartause wurde von der Ordensleitung verkauft. Der insgesamt geringe Einfluss der Orden zeigt sich auch am Beispiel von St. Magdalena. Die ohnehin losen übergeordneten Strukturen des Reuerinnenordens lösten sich mit dem Tod des wahrscheinlich letzten Generalpropstes der Reuerinnen (1562) auf. Dennoch schafften es die Straßburger Pönitenten, sich gegen Übergriffe des Rates zu behaupten. Im zweiten Hauptteil wurde eine intensivere Annäherung an die einzelnen Religiosen versucht. Im Zuge der Anwendung der Rational-ChoiceTheorie galt es neben der Erörterung der Makrostrukturen vor allem, die subjektive Konzeption von Wirklichkeit zu erarbeiten, aus der heraus die Religiosen kalkulierten und handelten. Ziel war es, die individuellen, auch die sich dem alltagssprachlichen Verständnis von Rationalität entziehenden religiösen, kulturellen oder mentalen Motive der Nonnen und Mönche zu durchdringen und ihre Abhängigkeit von und Rückwirkung auf Struktu-
11. Schlussbetrachtung
353
ren der Makroebene aufzuzeigen. Da die verschiedenen Motive jeweils biographisch einzigartig waren, ist eine Hierarchisierung hier an dieser Stelle nicht sinnvoll. Identitäten. Anhand von Selbstzeugnissen wurden die konfessionellen, sowie die Standes- und Geschlechtsidentitäten von Mönchen und Nonnen untersucht. Der Glaubenswechsel und der Klosteraustritt, so konnte gezeigt werden, waren mit einer Re-Definition nicht nur der religiösen Identität verbunden, waren doch gerade unter Religiosen die verschiedenen Teilidentitäten eng miteinander verwoben. Anhand von Fallbeispielen konnte gezeigt werden, dass die protestantische Lehre sowohl neue Identitätsangebote für Nonnen und Mönche barg, als auch lediglich zur konfessionellen Abgrenzung und der Verfestigung bereits vorhandener Identitäten wirken konnte. In vielen Fällen konnte aber auch das Prozesshafte und Unfertige von Konversionen, also von „religiösen Identitätswechseln“ aufgezeigt werden. Elemente alter Glaubensvorstellungen wurden in von der neuen Lehre geprägte Identitäten übernommen, Konfessionswechsel endeten in religiösen Grauzonen. Anhand der Frauenklöster konnte gezeigt werden, dass innerhalb der Konvente gezielt Identitätspolitik betrieben wurde. Das Ideal der „wehrhaften Nonne“, die den protestantischen Widersachern mit Witz, Tücke und Beständigkeit begegnete, wurde den Konventualinnen der hagiographischen Praxis folgend vorgehalten, um sie auf den Widerstand gegen den Protestantismus einzuschwören und sie in ihrer altgläubigen Identität zu bestärken. Den Nonnen waren dabei Geschlechterdifferenzen ganz offensichtlich bewusst. Sie erkannten den stärkeren Widerstand weiblicher Gemeinschaften gegen die Reformation und entwickelten daraus eine positive, spezifisch weibliche konfessionelle Identität. Religiosität und Frömmigkeit. Auch die spezifische Frömmigkeitspraxis von Klostergemeinschaften ist von Bedeutung in der Rekonstruktion subjektiver Wahrnehmungswelten. Aus Gründen der Überlieferung wurden zur Veranschaulichung der Bedeutung religiöser Praxis für die Entscheidung für oder gegen den Klosteraustritt die Dominikanerinnenklöster St. Margaretha und St. Nikolaus ausgewählt. Die religiöse Praxis der beiden Frauenklöster, so konnte gezeigt werden, war insgesamt sehr konkret und stark veräußerlicht. Objektbezogenheit, Visualität, die Ausrichtung auf die Memoria und Elemente der spätmittelalterlichen Frömmigkeitsökonomie konnten als zentrale Merkmale herausgearbeitet werden. Gerade diese Charakteristika aber fanden im protestantischen Glauben allgemein, aber auch in der maßgeblich von Martin Bucer in Straßburg implementierten Frömmigkeitspraxis keinen Platz mehr. Bucers Vorstellung nach sollte Gott vor allem durch den Glauben, nicht in Äußerlichkeiten geehrt werden.
354
11. Schlussbetrachtung
In diesem Sinne trifft gerade auf die Straßburger Frömmigkeitspraxis Webers Wort von der „Entzauberung“ des neuen in Abgrenzung zu den „magischen“ Tendenzen des alten Kultus zu. Von Nonnen wurde in diesem Sinne eine höhere Adaptionsleistung verlangt als von Mönchen, die vergleichsweise abstraktere Frömmigkeitsformen pflegten. Eine mögliche Erklärung für den größeren Widerstand von Nonnen gegen die Reformation könnte also sein, dass viele Nonnen diese vergleichsweise schwierigere Anpassung verweigerten. Gerade dieser Aspekt würde sicherlich eine konkrete Gegenuntersuchung anhand der Frömmigkeitspraxis in Männerklöstern lohnen, die am Straßburger Beispiel aufgrund mangelnder Quellen nicht geleistet werden konnte. Lebensperspektiven und Gemeinschaftlichkeit als Restriktionen. Neben diesen intrinsischen Motiven der Religiosen, wurden auch die alltagspraktischen Schwierigkeiten eines Klosteraustritts untersucht. Im Zuge dessen wurden Fallbeispiele von Lebenswegen nach dem Klosteraustritt ausgewertet. Die Optionen ehemaliger Nonnen im Leben nach dem Klosteraustritt waren begrenzt: Sie konnten in ihre Familien zurückkehren oder heiraten. Dass dies nicht immer möglich war, zeigt, dass sich in Straßburg gerade in der Frühphase der Reformation auch außerklösterliche Wohngemeinschaften ehemaliger Nonnen zusammenfanden, die vom Rat toleriert wurden. Auch ehemalige Mönche sind in solchen „Wohngemeinschaften“ belegt, ein Hinweis darauf, dass die Perspektiven von Männern zwar vielfältiger, aber durchaus nicht grundsätzlich aussichtsreich waren. Zwar lassen sich Straßburger Mönche in diversen unterschiedlichen Berufen belegen: Als Handwerker, Ärzte, katholische Priester und protestantische Pfarrer. Doch scheint auch unter den Mönchen, ebenso wie unter den Nonnen, das Alter der Konventualen ein wichtiges Austrittshemmnis gewesen zu sein. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Bedeutung der Konventsgemeinschaft und die vielfältigen Facetten von Freundschaft und Feindschaft, die das Zusammenleben im Kloster mit sich brachte. Auch diese sozialen Beziehungen wurden teilweise durch die Konfessionalisierung kompliziert. Im Einzelfall konnten sie sich ebenso wie andere alltagspraktische Gründe auf die Entscheidung für oder gegen einen Klosteraustritt auswirken, wie anhand von Fallbeispielen gezeigt wurde. Strategisches Handeln von Nonnen und Mönchen. Gerade weil die Straßburger Klosterpolitik vergleichsweise milde war, kam in dieser Reichsstadt dem strategischen Handeln der Konvente große Bedeutung zu. Es konnte gezeigt werden, wie die fortbestehenden Gemeinschaften ihre Lebensweise verteidigten, aber auch, wo die Grenzen ihrer Handlungsspielräume lagen.
11. Schlussbetrachtung
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Das strategische Handeln von Nonnen und Mönchen oszillierte zwischen Opposition und Kooperation. Das Diktum von Barbara Henze, die feststellt, nur diejenigen altgläubigen Institutionen wären bestehen geblieben, die dem städtischen „Zugriff“ entzogen waren, lässt sich am Straßburger Beispiel nicht bestätigen.4 Alle überlebenden Klöster waren vergleichsweise eng mit der Stadt verbunden, unterstanden ihr rechtlich und wirtschaftlich und hatten keine übermächtigen Protektoren. Teilweise war es gerade die enge Anbindung an die Stadt, die die Klöster strategisch auszunutzen wussten.5 Die seit ihrer Gründung dem Stifterwillen gemäß eng mit der Stadt verbundenen Johanniter richteten ihre Strategie auf die Kooperation mit dem Rat und auf ein gegenseitiges Geben und Nehmen aus. Rat und Ordensbrüder hatten konvergierende Interessen: Die Abwehr der Bestrebungen des Ordens, der das Priester- in ein Ritterhaus umwandeln und dasselbe enger an den Orden binden wollte, war gleichermaßen Ziel der Ordensbrüder wie der Stadtherren. Darüber hinaus war das Haus überdurchschnittlich wohlhabend und als attraktiver Steuerzahler Objekt wohlwollender Standortpolitik des Stadtrates. Die Abgaben, die die Johanniter zu zahlen hatten, konnten sie wiederum leicht entbehren. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erlebte das Haus sogar eine Renaissance des katholischen Kultus, die der Rat zwar zu unterbinden versuchte, in letzter Konsequenz aber nur durch einen Bruch der bisherigen Beziehungen hätte unterdrücken können. Der Rat entschied sich dagegen, das symbiotische Verhältnis blieb bestehen. Auch die Nonnen von St. Margaretha bemühten sich um ein ausgeglichenes Verhältnis zum Rat. Sie boten dem Rat ihr Kloster als „Zuchthaus“ an. Damit beugten sie dem drohenden Funktionsverlust ihres Klosters vor, führten der Stadt die Nützlichkeit der monastischen Institution vor Augen und eröffneten eine weitere Möglichkeit zur Rekrutierung von Nachwuchs.6 Nicht immer aber war die Haltung der Gemeinschaften kooperativ, auch offene Opposition gehörte zum strategischen Handeln der Mönche und Nonnen. Innerhalb gewisser Grenzen hatten die Gemeinschaften den Spielraum, Ratsverordnungen schlicht zu ignorieren. Die Übertretung von Verordnungen reichte vom Verkauf von Getreide außerhalb der Stadt, vom Untergraben der wirtschaftlichen Kontrolle des Rates durch Parallelhaushaltung und von der Feier der Messe bis hin zur nicht autorisierten Aufnahme neuer Konventualen. Gerade der Widerstand gegen die restriktive Aufnahmepolitik der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war überlebens4
Vgl. Henze: Orden und ihre Klöster, S. 93f. Vgl. so auch Leonard: Nails in the Wall, S. 9. 6 Vgl. Leonard: Nails in the Wall, S. 89. 5
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11. Schlussbetrachtung
notwendig für die Konvente, wollten sie nicht innerhalb einer Generation ihrem biologischen Schicksal zum Opfer fallen. Verbündete allerdings fanden die Klöster nur bedingt. Die Straßburger Bischöfe hatten ein geringes Interesse an den Stadtklöstern und auch nicht die Machtmittel, sich gegen den Rat durchzusetzen. Gezielte Versuche der Reuerinnen, den Bischof als Schutzherren zu gewinnen, schlugen fehl. Am aussichtsreichsten war die Appellation an den Kaiser. Die habsburgischen Kaiser intervenierten mehrfach zu Gunsten von Straßburger Gemeinschaften und stellten den Frauenklöstern auf ihr Ansuchen hin Schutzbriefe aus, deren direkter Einfluss zwar wahrscheinlich gering war, aber möglicherweise die Stadt in ihrer Umsicht, reichsrechtliche Regelungen zumindest dem Anschein nach zu wahren, bestärkten. Klare Grenzen setzte der Rat der Renitenz der Gemeinschaften wiederum in finanziellen Angelegenheiten. So setzte die Obrigkeit die Zahlung der Pensionen an ausgetretene Konventualen, die er sonst aus eigenen Mitteln hätte sichern müssen, mit großer Vehemenz durch. Die geringsten Handlungsmöglichkeiten unter den verbliebenen Klöstern hatten die Kartäuser. Sie konnten weder auf Verknüpfungen zur Stadtgesellschaft zurückgreifen, noch wurden sie durch das Prestige eines mächtigen, von Adeligen dominierten Ordens geschützt, wie es bei den Johannitern der Fall gewesen sein mag. Der Widerstand der Kartäuser war gering. Die regeltreue Lebensweise, ja selbst die regelmäßige Feier der Messe hatten die schweigenden Mönche wohl spätesten in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts aufgegeben. Der Rat nutzte das Kloster als Wirtshaus, die drei bis vier Mönche, die dort noch lebten, wurden als Verwalter und Präbendare toleriert. Die Abschaffung des alten Kultus und seiner Institutionen konnte nur ein gradueller Prozess sein. Zu eng war die alte Kirche und mit ihr die Institution Kloster mit der Gesellschaft verflochten, als dass alle Verbindungen mit einem einfachen Beschluss gekappt werden konnten. Die Auflösung der Klöster bedeutete, wie Sigrid Schmitt zeigen konnte, nicht weniger als eine „Umformung der Urbanität“.7 Dementsprechend wandelte sich die Beziehung zwischen Klöstern und Stadt nach der Einführung der Reformation nur langsam, wenn auch stetig. Zu beobachten ist noch bis zum Ende des 16. Jahrhunderts die Parallelität von zunehmender Entfremdung und dem Fortwirken der Symbiose zwischen Stadt und Kloster. Während die Konvente ihre wirtschaftliche und sozio-ökonomische Bedeutung für die Stadt behielten, hatten sie ihre religiöse Funktion bereits in den zwanziger 7
Unter „Urbanität“ werden die „sozialen, politischen und kulturellen Konstanten der Stadt“ verstanden. Sigrid Schmitt bezieht sich hier besonders auf die Straßburger Frauenklöster, vgl. Schmitt: Auflösung, S. 159 und 172ff.
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Jahren des 16. Jahrhunderts eingebüßt. Resultat war ein Verhältnis ständig neu verhandelter Koexistenz. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts hatten die Verbindungen zwischen Stadt und Klöstern deutlich abgenommen. Der religiöse Wandel der Straßburger Gesellschaft führte dazu, dass die Klöster gegen Ende des 16. Jahrhunderts zwar innerhalb der topographischen Umfriedung lagen, aber an der Peripherie der imaginierten Stadtgemeinschaft gedacht wurden. Der ersten nachreformatorischen Generation waren gerade die religiösen Praktiken der Frauenklöster zum Kuriosum geworden. Die Nonnen mussten den Straßburgern als museale Relikte aus einer anderen Zeit erscheinen. Die Handlungsräume, die sich den Gemeinschaften eröffneten, ergaben sich aus der milden Politik des Rates, aber auch aus der Diskrepanz zwischen Selbstwahrnehmung und Funktionszuschreibung. Während sich zumindest die Frauenklöster und in der zweiten Jahrhunderthälfte auch die Johanniter als religiöse Enklaven verstanden und versuchten, den alten Kultus so weit wie möglich zu praktizieren, wurden sie von der Stadtobrigkeit als Teil des städtischen Fürsorgewesens, als Schulen, Pensionate, Versorgungsinstitutionen und Finanziers von Vorhaben zum Wohle des Gemeinen Nutzens angesehen. Als solche konnte die Stadt die Klöster in Einvernehmen mit ihrem protestantisch-missionarischen Impetus dulden. Durch ihre zumindest teilweise kooperative Haltung trugen Gemeinschaften wie St. Margaretha und die Johanniter strategisch zur Verfestigung dieser Fremdwahrnehmung des Rates bei und schufen so Handlungsspielräume nach innen und außen.8 Gerade die Identität der Gemeinschaften und einzelnen Religiosen als Mönche und Nonnen, die Konservierung religiöser Praktiken und Glaubensvorstellungen und die konfessionelle Abgrenzung nach außen aber machten ein Überleben der Gemeinschaften von innen heraus erst möglich. Bedeutsam für die Entscheidung der Einzelnen, das religiöse Leben weiterzuführen, scheint, dass das Klosterleben weiterhin ein Sinnversprechen barg. War das religiöse Leben einer Gemeinschaft bereits zersetzt und die Heilsaussicht dieses Lebensentwurfs beschädigt, musste der Gegenentwurf, die Aufwertung des Laienstandes, die Neubewertung von Ehe, Familie und tätigem Leben im Protestantismus besonders attraktiv erscheinen. Umso bedeutsamer sind daher die bewusste Aufrechterhaltung des alten Kultus und der teils handfeste Widerstand gegen die Bekehrungsversuche der Prädikanten in den Frauenklöstern, die man als strategisches Handeln auslegen kann. Auch im Johanniterhaus fallen Renaissance des Kultus und personelles Erstarken des Konventes zusammen. Dieser Kausalzusammen8
Zu ähnlichen Ergebnissen kam Amy Leonard bereits für die Dominikanerinnenklöster, vgl. Leonard: Nails in the Wall, S. 6f.
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11. Schlussbetrachtung
hang erklärt auch, warum observante Gemeinschaften mancherorts im Vorteil waren, da die Belebung der Spiritualität, die die Reform des 15. Jahrhunderts mit sich gebracht hatte, auch im 16. Jahrhundert fortwirken konnte. Im Einzelnen allerdings, so konnte gezeigt werden, ist der Zusammenhang von Observanz und Widerstand gegen die Reformation komplex und facettenreich und lässt sich bislang nicht verallgemeinern. Auch hier sind weitere Fallstudien notwendig. Die konstante Konservierung altgläubiger Praktiken gelang aber möglicherweise nicht nur in observanten, sondern auch in Frauenklöstern besser. Weibliche Gemeinschaften waren durch die Klausur von der Außenwelt isoliert, wenn auch dieser Dämmschutz durch die Religionspolitik des Rates stellenweise durchbrochen wurde. Das allerdings, was durch die löchrig gewordene Isolation der Frauen mit den schriftenbewehrten Verwandten und Predigern in die Chöre der Klosterkirchen und Refektorien gelangte, stand in so scharfem Kontrast zu der im Inneren praktizierten Frömmigkeit, dass viele Nonnen keine Anknüpfungspunkte fanden und mit großer Abwehr reagierten. Nicht nur die Klausur aber veränderte die Situation und die Perspektiven von Nonnen und führte dazu, dass ihr Blick auf die Reformation ein anderer sein musste. Luthers besonderes Misstrauen gegenüber der Fähigkeit von Frauen zum asketischen Leben zeigte, dass, wenn auch Nonnen an ihre Lebensform oft denselben Anspruch hatten wie Mönche, die Fremdwahrnehmung des weiblichen Religiosentums von der der ersten Orden abwich. Der Straßburger Stadtrat konnte sicher sein, gehört zu werden, wenn er über dem „berühmten jungfräulichen Leben“ der Frauen Spott ausgoss. Zweifel an der sittlichen Integrität weiblichen Klosterlebens gehörten zum zeitgenössischen Diskurs, zum Denkbaren, Sagbaren und Verstandenen, und konnten dementsprechend leicht argumentativ instrumentalisiert werden. Auch die konkreten Lebenswege von Frauen nach dem Klosteraustritt waren dementsprechend weniger vielfältig und schränkten die Entscheidungsfreiheit der Nonnen erheblich ein. Zusammengenommen sind dies zentrale Ursachen, die den größeren Widerstand von Nonnen gegen die Reformationszeit bedingten. In Bezug auf die Handlungsspielräume von männlichen und weiblichen Religiosen im Widerstand gegen die Reformation lassen sich allerdings geringere Unterschiede feststellen, als vermutet werden könnte. Nonnen und Mönche hatten ähnlich große Handlungsspielräume – oder usurpierten sie. Zwar war die wirtschaftliche Kontrolle der Frauenklöster ebenso hochrangiges Ziel des Rates wie die Aufsicht über den Haushalt der Männer. Doch waren die Nonnen mindestens ebenso erfindungsreich, wenn es darum ging, diese und andere Kontrollmechanismen zu unterwandern. Im Einzelfall handelten Nonnen, im Duktus poststrukturalistischer Ansätze formu-
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liert, auf „nicht denkbare“ und „nicht sagbare“ Weise, ihr Handeln lässt sich aus diskursanalytischer Perspektive nicht erklären. Die Reuerinnen klagten ohne mächtigen männlichen Protektor vor dem Reichskammergericht, Nonnen fanden sich mangels Alternativen in nicht religiösen weiblichen Wohngemeinschaften zusammen, Priorinnen versuchten sich in theologischen Disputationen mit ihren Prädikanten, Nonnen verwalteten trotz der Beschränkungen der Klausur ihre Gült- und Zinseinnahmen und operierten mit größeren Summen auf dem Kreditmarkt. Deutlich wurde, dass eine Erklärung des Phänomens der Klosteraustritte, des Widerstands gegen die Reformation und der Umbrüche in der Ordenslandschaft im konfessionellen Zeitalter nicht allein durch die sich wandelnden Diskurse erklärt werden können. Eingangs ist das Dilemma der stark von poststrukturalistischen Positionen in Anknüpfung an Michel Foucault abhängigen Geschlechtergeschichte skizziert worden. Da die Gender Studies im Allgemeinen wie auch die Geschlechtergeschichte im Besonderen auf dem Paradigma der sozialen Konstruktion von Gender basieren, traten theoretische Schwierigkeiten bei der Unterstellung bewusster, freier Entscheidungen auf. Diese Probleme ließen sich mit Hilfe der Rational-Choice-Theorie auflösen. Die dieser Arbeit zugrunde gelegte Handlungstheorie ermöglichte es, diskursive Handlungsrestriktionen zu berücksichtigen und dennoch von handelnden und entscheidenden Individuen zu sprechen, die sich unter bestimmten Umständen über diskursive Restriktionen hinwegsetzen konnten. Gleichzeitig bot sich die Rational-Choice-Theorie an, da dieser strukturindividualistische Ansatz eine Verknüpfung von Mikro- und Makroebene ermöglichte. Nonnen und Mönche, die sich für den Klosteraustritt entschieden, waren noch stärker als Laien von der engen Verflechtung von Bekenntnis und praktischer Lebensgestaltung in der Frühen Neuzeit und damit von der Verknüpfung individueller Präferenzen und struktureller Restriktionen betroffen. Im Falle der Religiosen waren der Glaubenswechsel und der Austritt aus dem Kloster immer auch verbunden mit der Aufgabe einer Lebensform, einer Versorgungssituation und einer sozialen Bezugsgruppe. Rationalität und Bekenntnis waren eng verknüpft. Die subjektiv rationalen Motive für Verbleiben oder Austritt waren so vielzählig wie die Nonnen und Mönche selbst. Die Religiosen wählten dabei, in der Sprache von Rational Choice formuliert, diejenige „von mehreren Handlungsalternativen“, für die sie „die perzipierten Handlungskonsequenzen“ am positivsten beurteilten und am sichersten erwarten konnten.9 In ihrer biographisch bedingten Vielfalt waren die Gründe für Austritt oder 9
Kunz: Rational Choice, S. 45.
360
11. Schlussbetrachtung
Verbleiben im Kloster, so erfährt man, wenn man weit in die Niederungen der Mikroebene hinabsteigt, häufig banal und dem theologischen Wahrheitskampf und der Konfessionalisierung entrückt. Gewiss, einige traten aus, weil sie von Luthers Schriften begeistert waren oder blieben aus Liebe zu Prozession und Gebet und in der Hoffnung auf die Erlösung durch gute Werke. Andere aber traten aus, weil sie keine Lust mehr auf Suppe und Gemüse hatten oder blieben, weil es in der Kammer im Haus der Münsterfabrik auch nichts anderes gab. Einige verließen das Kloster aus Liebe zu einer Begine. Andere blieben aus Freundschaft zu einer Mitschwester. Einige traten aus an der Hand eines strengen Vaters. Andere blieben, weil keiner ihnen eine Fuhre schickte. Aggregation, so schreibt James Coleman, ist der Prozess, in dem individuelle Präferenzen zu kollektiven Entscheidungen werden.10 Die Aggregation der vielen einzelnen Entscheidungen von Religiosen im 16. Jahrhundert führte dazu, dass das „Auslaufen“ der Mönche und Nonnen zu einem gesellschaftlichen Phänomen wurde. Nicht einmal zehn Jahre, nachdem er den Wunsch geäußert hatte, die Klöster „ledig“ zu machen, konnte Luther daher in einer Tischrede feststellen, Mönche und Nonnen schmölzen dahin wie Schnee in der Sonne.11
10 11
Coleman: Theory of Action, S. 1321. Vgl. WA TR 2, Nr. 2359. Vgl. dazu auch Rüttgardt: Klosteraustritte, S. 11.
Anhang
1. Quellen- und Literaturverzeichnis 1.1 Archivalisches Material Archives départementales du Bas-Rhin, Strasbourg Série G Série H
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Anhang – Bericht einer Nonne
2. Bericht einer Nonne über die Schließung des Klosters St. Nikolaus in Straßburg Einleitung Zu Anfang des Jahres 1592 beschloss der Straßburger Stadtrat nach einer Untersuchung der Wirtschaftsführung in den Klöstern St. Magdalena und St. Nikolaus, letzteren Konvent mit dem zweiten Dominikanerinnenkloster, St. Margaretha, zusammenzulegen. St. Nikolaus war hoch verschuldet. Den Nonnen des Klosters wurde freigestellt, auszutreten oder nach St. Margaretha zu wechseln. Über die letzten Monate vor der Schließung, die graduelle Übernahme der Kontrolle im Kloster durch den Rat (Februar bis April 1592) und die anschließende Verhaftung der Priorin Susanna Brünnin (1595) berichtet eine Nonne aus der Gemeinschaft von St. Nikolaus in der im Folgenden edierten kleinen Chronik der Ereignisse. Bei der im Archiv vorliegenden Version des Berichts handelt es sich um eine zeitnahe Abschrift eines Dokumentes, dessen Haupteil vermutlich kontinuierlich zwischen 1592 und 1595 entstanden ist. Eine Art Epilog fasst knapp Ereignisse der Folgejahre zusammen und ist wohl nach 1602 angefügt und dann mit kopiert worden. „Hauptteil“ und „Epilog“ sind im Text kenntlich gemacht. Der Anfang des Dokumentes, 21 lose mit Faden gebundene Folioseiten, fehlt. Die erste Seite ist beschädigt, der Text beginnt daher mitten im Satz. Die Ereignisse, die im lückenhaften Anfang des Berichts vermutlich geschildert wurden, ergeben sich zum einen aus der Klosterchronik von St. Margaretha (1738). Dem Autor oder der Autorin der Chronik lag der „Bericht einer Nonne“ wohl vollständig vor, er ist in die Chronik des Kloster dem Inhalt nach integriert. Auch aus den Ratsprotokollen lässt sich die Anfangssequenz erschließen: Die Nonnen von St. Nikolaus hatten – ohne Erlaubnis – eine Novizin aufgenommen, Katharina Brun, eine Verwandte der Priorin Susanna Brünnin. Im Februar 1592 zwang Martin Brun, ein Verwandter von Priorin und Novizin, mit Unterstützung des Rates die offenbar kranke Katharina, das Kloster wieder zu verlassen.1 Im Text finden sich zwei Hände: Diejenige des Kopisten und eine weitere Hand, die Marginalien angefügt hat. Die Marginalien, die nur als Lesehilfe dienten, wurden nicht transkribiert. Die Autorin des Berichts, die sich namentlich nicht zu erkennen gibt, gehörte zu den Nonnen von St. Nikolaus, die 1592 nach St. Margaretha wechselten. Das Dokument ist daher 1
Vgl. Chronik St. Margaretha, BMS Ms. 901, S. 228 ff. und Ratsprotokolle (26. Februar 1592), fol. 73r ff.; (4. März 1592), fol. 84r f.
Anhang – Bericht einer Nonne
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in den Archivbeständen aus St. Margaretha überliefert.2 In der Transkription wurden die Zeichensetzung ergänzt, Absätze eingefügt und Satzanfänge groß geschrieben. Abkürzungen wurden stillschweigend aufgelöst. Bericht einer Nonne [Hauptteil] (fol. 1) illen hinweck gezo[...]. Mir erst disse perso[...] lossen hollen also kranck aus dem bedt. Do haben die zwen Lienhardt Sitz und Martin Brun3 an sie gefallen […] weck zu füren und die we[…] kleider selber anzulegen wel[...] sie auch selber brocht haben, welches wir nit haben wellen dun und sie auch.4 Do het der convent geb[...] sich selber an zu dun, das sie verwil[…].5 Haben darnoch die zwein sy in den weltlichen kleidern hinaus geführdt zwyschen zweien mannen auf den wagen gesetzt, also hingeführt. Also sich nun alles verloffen, ist der eren unser juncker Friederich Brechter,6 stetmeister und unser pfleger, sampt den vor […]7 (fol. 2) mit der stadtschlosser und […] schaffner in das closter gangen und das gewelb, den kasten,8 gekirnß und das mel alles beschlossen, das wie nit einen sester mel ohn des schaffners vorwissen und verwilligung haben können bekum. Auch die dürn am schenken abgebrochen, ein andere gemacht, do zu niemant den schlysel gehebt het, den der schaffner [hatte]. Wen mir küchen spieß haben wellen, haben wir müssen bitten durch die gesind, das ers uns geben hat. Des glichen die dür am winde hoff lossen verandern, den schlissel zu sich in sin hauß genomen, daß kein mensch, weder geistlich noch weltlich, hat können zu unß kumen weder an die wind noch an das dor. So herdt hat mans versperdt die gesindt, eben als woll als das wir kein word zu sammen haben dürfen reden. Der schaffner mit seiner frauen und gesind unß noch geschligen. Der schaffner hat den schlüssel zu dem kasten bei im gehabt, wan die becker oder die müller kumen sind, so haben wir allwegen die schlessel bei im müssen hollen. Des glichen die schlüssel zu dem winden dürlein, das kein mensch weder gutte frund noch fremde haben können zu unß komen, wen er hat eigen luit bestelt und ihn befohlen zu lugen. 2
ADBR H 3061. Martin Brun ist ein Verwandter der Priorin des Klosters, Susanna Brünnin. Im Jahr 1592 hat er keine besondere Position im Straßburger Stadtrat inne. 4 Katharina wird gedrängt, weltliche Kleider anzuziehen, vgl. Ratsprotokolle (26. Februar 1592), fol. 73r ff. 5 Schaden am Seitenrand, wahrscheinlich „gebeten“ und „verwilligt“. 6 Friedrich Prechter ist 1592 Stettmeister. Er berichtete am selben Tag im Rat über den erzwungenen Klosteraustritt der Katharina Braun und zeigt Sympathie für die junge Frau , vgl. Ratsprotokolle (26. Februar 1592), fol. 73r ff. 7 Hier fehlt eine halbe Zeile. 8 Vorratsraum. 3
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Anhang – Bericht einer Nonne
Nun als sich dis alles verloffen hat, hat die ere mutter priorin ein subplication an die herren (fol 3.) gestelt, aber kein antwort bekumen und noch etlicher zit wider ein supplication angestelt und dem herrn pfleger überantwort, welcher sich ein wenich het lossen erbarmen unser weinen und bitten und die supplication vor dem rat hat lossen lesen. Auch wuß durch sein schreiben getröst, wan wir werden den hern gehorsamen geduldiglich annemen, werden unsern sachen bald zum besten gerotten. Darin mir gern verwilliget, wan es nit wider got und unser, heiligen orden gewissen were. O je, was jamer, angst und not sind mir gewessen, dan wie aller heiligen sacramenten sind beraubt gewessen, darzu an allen orten beschlossen, das uns auch in einem grossen verdocht brocht, als ob wir etwas unerlichs gedon hetten. Also sind darnoch die herren des rordtz zu unß kumen noch der beschliessung dunerstag, dem 11. marci,9 als namlich her Sebastian Schimff,10 unser pfleger, her Philippus Werel,11 der her Stöffer, der her Kallussel, der bludt schreiber12 mit fir foltueren13 und ein jede insunderheit examiniert: Wo her ein jede sei, was sie for frundt hab, wy lang si im kloster oder im orden seie gewessen, was sie for ein ampt hab, wer der provincial oder der beichtvatter sei, was man innen vor tribut gibt, (fol. 4) wo der provincial sei oder wo her er sei und wan er do gewessen und was ehr gedohn het, wan die gesuwiten14 do gewessen, welche persohnen das amt der heiligen mes gehalten. Mir sollen die pension annemen und wider in die welt gon, Gott seh und hör nit, was mir dun. Antworden mir darauff in kein sach wellen mir das dun, und was willich gelobet haben nit brechen. Weiters sie aber gefrogt haben, wo die priorin das gelt hin hab gedon, das wir als in grossen schulden kumen und das so fil gelt aufgenoben und doch keins mer hetten und wer die haushaltung versorg. Antworten mir: die frau priorin. Haben sie darauf geantwort, man könt uns nit mer bei einander erhalten, do haben wir die herren gebeten, uns bei einander zu lassen, wir wellen gern nomen wasser und brodt essen, man sol uns nur bei einander in unsserm kloster lassen, und haben sie gebeten, sie sollen vor uns bitten 9 11. März 1592. Die Nonne datiert, anders als im protestantischen Straßburg üblich, nach dem neuen Kalender. 10 Sebastian Schimff entstammte einer politisch aktiven Zunftfamilie und war 1592 Ratsherr. 11 Philippus Werel entstammte einer wohlhabenden Zunftfamilie. Er war Ratsherr und avancierte 1593 zum Ammeister. 12 Blutschreiber. Der Blutschreiber war in Straßburg derjenige Gerichtsschreiber, der die schwerwiegenderen Gerichtsprozesse protokollierte, besonders Prozesse um Leib und Leben. 13 Knechte der peinlichen Gerichtsbarkeit, Folterer. 14 Jesuiten. Der Stadtrat fürchtete gegen Ende des 16. Jahrhunderts, dass die Jesuiten in der Stadt an Einfluss gewinnen könnten. In Molsheim war 1570 eine Niederlassung der Jesuiten gegründet worden.
Anhang – Bericht einer Nonne
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die herren des radts. So haben sie uns ein bedocht geben bis auf ihr widerkunft auf dem oster mondag. Haben die herren entbotten, das sie wieder wollen kumen. Als dis die priorin gehört hat, sie iren convent beruft und si ermand zu standhaftigkeit, und sollen gedencken, was sie gelobt (fol. 5) haben. Darüber sich etliche beklagt, das es nit würdt helffen, dan sie geschworen haben, das kloster müsse gelerdt sein. Do hat die priorin innen geraten, wan sie sich nit mer könen erweren, sollen sie bitten, das man sie wider zu ihren frunden lasse. Also sindt aber kumen her Philips Worrl, der juncker, der Slösser und der jung schriber, do haben sie die articul erzalt, und gesprochen, die herren haben erkandt, ein jede sol gantz ledich und frey und auf fonigen fus gestelt sein, der gelübt halben. Ein ide sol zu iren frunden, und die kein frund haben wurden die hern versorgen. Die etwas in das kloster gebrocht haben, sol man folgen lassen mit der pension, und würd man denselben mer geben, dan den andern, darzu jährlichen die pension: 60 gulden und 12 firtel frucht, darüber sol sich ein jde erklern. Do haben etliche so fil geredt. Als der convent verhört, seindt die herren abgetretten und zu der würdigen mutter priorin gangen, sie fruntlich gebetten, man wölle die, die in anderes fürgenommen, nit weiter bekümmern oder besweren. Also hat der gantz convent mit weinen und süffzen gantz fruntlich gebeten, sie bei einander zu lossen und die beschlüß wieder zu eröffnen. Wan mir (fol. 6) als gar hart beslossen, das mir nit in unsserm crützgang wil geschweigen in andern ordt haben dörffen gon oder reden. Underweillens sind uns brief kumen von geistlichen persohnen, dorun mir vermandt seindt worden zu standthaftigkeit und uns wol getröst. Also hat die würdige Mutter priorin den herrn fürgelegt und gesprochen, das sie das kloster nit dörffen uff geben, dan es nit ihr, sinder der provinz sei und numer zu einer stat halterin gesetzt sey. Antworten die herren, sie solle wol getröst sein, dan man ihr das kloster nit woll nehmen, sunder allein die, die sie über das gebot angelegt. Das amrer deil werd ihr bleiben. Seind also wieder von und gangen mit verschliessung, was sie uns könn gutz dhun, wöllen si uns von hertzen dun. Noch dissem ist der ehren feste junker Friederich allein auf einen dag kumen und uns vermand, die pension anzunemen, welche solches wöllen dun, sollen sich in geschrift dardun, jo oder nein, welches ohn allen verzuck hat müssen geschehen, un kein hat dörfen an sehen, was die ander geschriben, und also von uns gangen auf einen bedocht, und die geschrift mit genomen. (fol. 7) Darnoch am dunerstag ist gewessen der 16. aprilis, ist der juncker, unser pfleger, mit Her Obrecht15 zu uns kommen und aber mols die sach erklert und fürgehalten, das man uns nim kan erhalten der schulden 15
Heinrich Obrecht war 1592 Ratsherr und ab 1596 Ammeister.
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Anhang – Bericht einer Nonne
halben dan umb keinen sach wellen sie mer gelt auf nemen, das kloster muß gelert sein, oder aber etliche hinaus gedon werden, wir sollen die pension jährlich annemen, alle jar 60 gulden und 12 firtel früchten oder zu der unweren gon. Und domit so hert gedrauwen, das mir nimmer zu ewigen zeitten wider eine zugang geistlicher personen haben werden, dan man werd uns noch strenger beschliessen dan for. Do das nit helfen wellen, so haben sie unß mit verheisung zugerett, das sie uns wöllen aus der stat lossen oder zu unseren frunden, auch das sie uns wöllen in ein kirg lossen, in welche wie wöllen, auch nit von unser religion oder in die ehe zwingen. Also haben wie innen zu antwort geben: umb kein sach wöllen mir weder durch gut oder bös wellen mir auß unserem kloster gon, dan in kein kloster eins andern oderns werden wir in gang. Aber die, die sich schon (fol. 8) veredt haben, haben gebetten, das man sol inen baldt zu iren frunden helffen, wie man inen verheissen, dan die priorin wöll inen nit rothen, das sie auß dem orden oder kloster sollen gon, welches inen zu gesagt worden. Und aber alles angeschrieben, was geredt ist. Die jüngeren schwestern aber und die mutter schafnerin habens so verborgen vor uns, das mir nit ein wordt haben können mercken. Dan sie erstlich mit uns gebet und geweindt haben, das mir nichts bös an inen haben können mercken. Also haben wie grosse, schwere gebet dag und nacht und crütz gäng gedon, und die abgefallen als woll als wir. Ist aber woll zu erachten, das diese gebet nicht ein fellich16 gewesen, dis weil nit ein guter wil bestundlich zu bleiben bei allen gewesen und der abtrinningen mer dan der bestendichen gewessenden. Mitwoch auf Sant Jörgen abent17 ist der schaffner Hans Enoch, welicher ein ordt haber diesser sachen gewesen ist, am abent spot kumen und einen brief bragt, von den heren und vorgelesen: Wieter underen (fol. 9) anderen wortten doran gestanden, das das kloster sol gerumbt und die haushaltung abgedon, gantz und gar. Die, die pension nit wellen anneben, sollen zu den Ruwern18 gon und zu Sankt Margareten19 geteihlt werden. So sol sich ein ede anzeigen, das sich die herren darnoch wissen zu halten, und auch die zu ihren frunden wollen. Und das sei sein befelch von seinen herren und sey also erkannt. Aber wir haben kein antwort darüber geben, dan mir gantz und gar nit in disse sach verwilligen werden und gebetten, er solle unser vater sein und an seinen eidt gedencken und für uns bitten, das man uns bei einander lest. Mit was schrigen und weinen, süffzen und hertzenleid mir solches vernomen weis der, der alle hertzen erkendt, der wil sich, so es im loblich und uns nutz, über uns erbarmen. 16
Nicht glücklich. 22. April 1592. 18 In das Straßburger Reuerinnenkloster St. Magdalena. 19 Das Straßburger Dominikanerinnenkloster St. Margaretha. 17
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Nun also höt die würdige mutter priorin schnell ein sublicacion angestelt an die herren des radts, welge leider gantz nit verfangen. Daruf die antwort kumm, das es nunn müß sin und nun auch zu spodt sei. Also auf Sant Jörgen dag20 hat die ehrwürdige. Mutter priorin aber mals den convent beruft und ermant zu bestendigkeit (fol. 10) und darüber einer jeden willen begerdt zu wissen. Do haben die bestendigen erweldt das kloster zu St. Margareten, aber die anderen haben gesprochen sie getruweten nit in das kloster zu St. Margarethan zu gon, sunder sie wullen zu ihren frunden. Do hot die würdige mutter priorin samt den andern schwestern diesse redt mit unverschneidung und betrübnis ihrer hertzen vernommen, het sie als ein getrüwe mutter sie gebetten und gefleht, vermandt und getrau und ihren sellen zu schonen. Do haben sie in bei sein des ganzen conventen sie als übel ausgericht mit stolsen, übermütigem, halstarrichen wordten und grossem geschreige, das es der schafner auf dem kasten gehört. Der auf die pfaltz geloffen, den herren angezeigt, wie sie die jungen als übel ausgehandelt hab. Auch der betrübten müttern und schwestern, die bestendig bliben sind, ihre hertzen möchten inen zerspringen sein von verwegenheit, trutz, freffel und gespött, das ihr ir eigen jungen, die sie in den orten genommen, erzeiget haben, sunder auch mit trau woten sie wellen es den (fol. 11) herren vor ihn klagen. Darnoch am fridag21 seind die zwen pfleger zu Margaretha, Junker Brechten, stetmeister22, junker Wurmser23 und der Kips24 abermals kumen, aber ein jede gefrogt, ob sie die pension wölt annemen oder zu St. Margareten oder zu den Rüwerinnen wellen, den do kein bitten noch flehen nit mer wült helfen, also het die erwürdige mutter priorin mit den bestendigen um das kloster zu St. Margaretha gebetten, aber die anderene, die die pension haben angenomen, gebeten, man sul inen baldt zu ihren frunden helfen, und nit lang warten. Also am abent, um die 4 uhren, seind die herren wider kumen in das kloster und die in die welt haben gewelt mit inen im heiligen orden inn schafners haus geführt, deren namen sein zu wissen: Schwester maria igelin, oberkusterin, Schwester elisabet müllerin, siechmeisterin, Schwester peternella rebin, oberweinkellerin, Schwester maria waunnigerin, unterweinkellerin, Schwester dorotea reschen, mollerin, Schwester margareta Balwiner underraderin, Schwester ursula übellerin, mollerin, Schwester angnes wurmserin, wasserbrunnerin, Schwester kattarina schencken, oberschaffnerin, die het man noch im kloster gelassen.
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23. April 1592. 24. April 1592. 22 Friedrich Prechter, siehe oben. 23 Wahrscheinlich Claus Jacob Wurmser. Die Wurmser waren eine Konstoflerfamile, Claus Jacob ist 1592 Ratsherr. 24 Jacob Kips ist 1592 Ratsherr. 1594 avanciert er zum Ammeister. 21
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Anhang – Bericht einer Nonne
Also ist die erwürdige mutter priorin (fol. 12) mit irem heiflein mit weinen und schreigen hinwecken gangen, auch warten der kleglichen ausführung. Noch diesem allem ist der Brechter mit den 2 herren Pflugerin zu der ehrwürdigen priorin zu St. Magraretha gangen, angelangt und gefrogt, welche sie wellen annemen, also hab sie noch langer redt verwilliget, uns armen betrübten verlossenen kinder das werck der heiligen barmhertzigkeit zu erzeigen und auf zu nemen, die weil unser si wenich seindt. Also hat man uns balt zu wissen gedon, das man uns am samstag umb die 4 uren wil in das kloster zu St. Margarethan füren. O wehe und aber we, der grossen betrübnis und scheidung disser heiligen stat, doch ist es verhinderdt wortten durch etliche gescheft, das mir dieselben und die leste nacht in unserem kloster ungeschhlossen in betten und wachen seint geblieben. Also an dem sundag cantate25 am morgen früe umb die 4 uhren ist der ersame schafner der ehrwürdigen frauen zu Sankt Margarethen und Sankt Agnesen kummen mit der spital fur26 und unser schaffner Enoch und mit grossem ilen getriben aufzusitzen, ehe das folck aufstat. Do haben mir gesegent unsern patronen und das loblich gottes (fol. 13) haus und wolgebaugen kloster. Oh mit waß weinen, schreigen, seuffzen und betrübnis wir auß unserm closter gangen und der woll der alle hertzen erkendt, der wel diesen betrübten gang vor seinem barmhertzigen augen haben und uns arme betrübte kinder wider erfernigen, so es im wolgefellig ist. Dis sind die namen der wurdigen mutter und schwestern, die in das kloster Sankt Margareten und Sankt Agnesen kummen sindt: die ehrwürdige mutter priorin sussanna prinin, die ehrwürdige mutter subpriorin angnes pflugerin, Schwester barbara fulßin, ein ratzmutter, Schwester kattarina händtschiehin, Zinckerin, Schwester anna schöchin, oberraderin, Schwester gertrudt kemmerin, obersengerin, Schwester anna lutzin organistin.
Also ist die ehrwürdige mutter priorin mit diesem kleinen heiflein, sieben persohnen, deren vor 22 ordens persohnen bei einander gewesen seint, in das lobliche gottes hauß Sankt Margaretha und Agnesen in gangen seint. Und hat die ehrwürdige mutter priorin das heilige hochwürdige sacrament und die mutter subpriorin das heilige öl getragen, do haben die ehrwürdige mutterin und schwesteren des kloster St. Margarethen und St. Agnesen mit grosser (fol. 14) erwürdichkeit mütterlich und freundlich und schwesterlich empfangen, seindt inen entgegen gengen mit weinenden augen mit einem crucifix und 2 brennenden kerzen und sie in dem kor gefürt, alsbald sie ein priester von disser anrirung absulviert. Also haben sie uns freuntlich und mütterlich empfangen, und uns in allem behilflich gewessen. Do sich dis alles verloffen hat, man die 8 schwestern, so man in des schaffners haus geführt, wider in das kloster gelossen und angefangen, 25 26
26. April 1592. Mit dem Wagen des Spitals.
Anhang – Bericht einer Nonne
409
weltliche kleider zu schneidern und zu machen, den schnydern, den kirßener die näherin dorin gesessen, die pfleger, der blutschreiber mit weib und mans personen, der schafner, die schafnerin mit kind, seinen werckhleuten und dorin gesessen, geprast, gastarniger wolleben und fassenacht gehalten bei zehen wochen lang. Darnoch alle trög, kunsterlein und düren aufgebrochen, darzu schlog ab den tür gezert und auf gedon, allen hausradt, kleider, leilachen,27 gedöch, platten, kannen, vensterlin zu sammen getragen, undereinander gedeilt und genommen, was ein ede gewöhlt, die nitz ins kloster (fol. 15) gebrocht als wohl als die andern, und hinweck lassen füren. O Gott, los dich erbaremen den grossen schaden, den dis kloster gelitten hat. Noch diesem haben die pfleger und schreiber alles invendirt, was noch vor handen gewessen, alls kirgen gezirde und was man dem schafner vertraut hat zu behalten, sampt dem haus rath, doch hat man uns etwas lossen werden von kirgen gezird und was mir in den zellen haben gehabt lossen zufüren. Noch diesem allem seind wie noch me in grossen engsten und nöthen gewesen, wan die herren noch nit zu friden gewesen. Vorab unser ehrwürdige mutter priorin, die noch vilmal allein geforschet und sunderlich auf dem pfingst montag28 von ir gefordert, das turgelin, das man zu Offenburg in dem nehsten kirg geflohen hat29 und ein sum gelt, domit sie das kloster het können erhalten verborgen, das zu öffnen und zu geben, gezwungen worden. Noch diesem allem noch kein aufhören gewesen, sunder durch böße falschen zungen und lugenhafftige geschwetz an unserm eren geschwegt, das wir oder etliche (fol. 16) von uns sollen mit etlichen abgestorbenen mans personen und mit dem scherer zu dun. Auch solches hette schweren examinierung an unser ehrwürdigen mutter priorin gehept und Schwester Anna Lutzen, welches ein schand ist zu gedencken, wyll geschweigen zu reden, ich mahs nit in die feder bringen, die schentliche wort, so sie in dem selbigen examiniren vor geistlichen jungfrauen geredt haben, auch mit truwen, das man uns wellen die priorin hin weck führen.30 Also noch vil nuwer schmerzen seindt der pfleger Sebastian Schimpf aber kimen mit einem goltschmitt, der Kallöffel und Hans Enoch, unser schaffner und haben gefordert, alles, was man in kirchen gezirde uns hat lossen zu komen, kelch, monstranz, pacem, kenlin, silbern bychßlin, zeichen, korallen, pater nuster und zum letzten der priorin ingesiegel genommen und 27
Bettzeug, Laken. 18. Mai 1592. 29 Eine Truhe mit Silber, die die Nonnen bei ihren Beichtvätern in Offenburg zur Verwahrung gegeben hatten. 30 Verhört wurden der Scherer Bonaventura und die Nonne Elisabeth Müllerin. Elisabeth Müllerin wurde offenbar unter Gewaltandrohung oder tatsächlicher Gewaltanwendung verhört, sie gestand abenteuerliche Orgien, die im Kloster stattgefunden haben sollen. Später widerrief sie die Aussage, vgl. AMS II, 7/19 und AMS II, 39/18. 28
410
Anhang – Bericht einer Nonne
gefordert. Do hett weder bitten noch flehen gütts noch böse worte nit geholfen, darnoch het der pleger, der Schimpf, das ales wieder ingepackt mit sein selbs eigenen henden und do gesagt, wan die stat not würdt angon, das sy einen griff darin werden dun, und also der erwürdigen frau priorin (fol. 17) Sanct Margaretha in verwarung geben bis auf wyttern bescheid. Auf Sant Lux31 abent sint die herren aber kumen und die priorin alleine gefordert, allerlei hendet von dem scherer und von der organistin Maria Millerin selig32 gefrogt. Die man mit warheit nit hat auf die lebendigen können bringen, hat man solche lugen und that mit den abgestorbenen wellen bezügen. Auf St. Aurelien tag seint des böses geistes botten aber do gewessen und die priorin dötlich erengstiget, gemeint, sie solle verjehen, das in der warheit nit ist, und drei gantz stunden bi ihr allen gewessen. Auf Sant Clementz33 dag sind die herren mit 2 weibern kumen, do haben die erwürdigen mütterer gar fruntlich gebetten, sie sollen nit dun, das dem kloster schaden möcht bringen und noch langher bett haben sie den ehrwürdigen mütterin verheissen und in die hendt darauf geben, das es dem kloster oder der priorin keinen schaden sol bringen oder auch an irem ehren, man beger ir an irem eren nit zu tun. Noch disser verheisung hat man die ehrwürdige mutter priorin zu innen geloßen, (fol. 18) also haben sie die düren beslosen und ist sie 3 gantze stunden allein bei ihnen und den 2 weibern gewesen, aber wie sie in betrübnis und angest sei gewesen, weister der, der alle hertzen erkent, der wöl sie wieder erfeniwen, wen es sein aller liebster will ist. Zum lötzten haben ir ehrwürdige umb verzeihung gebetten und gespröchen, sie wyßen nit dan alles liebs und gutts und eren von ir zu sagen und also von uns gangen34. Ist nit genug gewessen, das sie uns auß unßerem closter gezwingen, darzu erst so schandlich ding unß wullen bezügen, und ir schuld domit wellen bedecken, das ob Gott wil, nit würd können beston oder gedon werden, dan es der mererdeil erlogen ist. Am nechsten dunerstag noch St. Ursula35 ist der ersame schaffner Sankt Margareta und Agnesen, unser schaffner Hans Enoch und der Koleffel36 am abent speth kummen und angezeigt, uß der herren befelch sollen sie die 11 treglein hollen. Die weil es aber spot gewesen, hat die ehrwürdige frau, die priorin, nit wellen dieselbige nacht as darauff dun. Also sint sie glich am nechsten tag am morgen früg kumen und (fol. 19) dieselbige gefordert, 31
18. Oktober 1592. Der bereits verstorbenen Nonne Maria Müllerin warf der Rat vor, Affären gehabt zu haben. 33 23. November 1592. 34 Die Chronik von St. Margaretha aus dem 18. Jahrhundert interpretiert diesen Abschnitt als Jungfräulichkeitstest. 35 22. Oktober. Da der Bericht bis hierhin chronologisch geordnet ist, könnte dieser Bruch darauf hinweisen, dass sich das Datum auf ein anderes Jahr bezieht, wahrscheinlich 1593 oder 1594. 36 Christoff Koleffel ist 1592 Ratsherr. Er entstammt der zünftischen Elite. 32
Anhang – Bericht einer Nonne
411
do hett weder bitten noch flehen nit geholfen und gesprochen man werdt uns das nit nemen sunder das selbich behalten waß wie gebetten. Haben sie gesprochen: es sey der herren befelch, wir sillen die herren gutt behalten, wan wir es nit mit guttem werden dun, werden wie es mit bössen müssen dun, und uns der Keleffel verheißen, er wölle mit den herren reden, das man uns werdt geben, was ein ede beerdt und das ir loßen folgen. Und wel er noch denselben dag kumen und bringen, was ein ede darus haben well, soll ein ede ein zedel machen und den pflegern überlieffern. Also seind mir bezwen worden und das selbe mit große berüpnus unsers hertzerns enweg geben, do hett man si zu Sebastian Schimffen huß gefürt, aber wie in guter hut und verwarung das weis Gott der almechtig, der das gütt nit unbelondt und das böß nit ungestrofft würdt lassen. Noch gender37 huit nach langem examinieren und bössen scharpfen erforgungen der hern von Strosburck so hingegen unserer würdigen mutter priorin Susanna Primin gedon haben und sie der herren unworhafte (fol. 20) wordt, so ein schand vor den luten zu hören wil geschweigen vor Gott. und den heiligen orden zu entehren gewesen sin mit großer ungestümichkeit vor das kloster zu St. Margarethen kumen und wagen mit gebrocht und haben sie ehrwürdige mutter priorin begerdt, Susanna Primmen. So hat sie innen weder redt noch antwurt wollen geben sundern hat sich zu der hilf des aller höchsten begeben, der die seinichen nit verlost, so in in hoffen. Hat sich in der kirch vor St. Angnesen altar mit beitten armen an ein steinern seil, so bei dem altar gewesen, geschlagen, sich vermeint, so zu erretten, die weillen es in der freiheit und in der kirgen gewessen. Hat aber alles nit geholfen, sundern die herren seind mit großem grimmen und gran, wie tirannen und nit wie menschen, in die kirch getretten des morgens um 7 uhren, in die kirch zu St. Margareten und Agnesesn und haben unser würdige mutter priorin Susanna Primin mit gewalt von der seullen gerissen und sie zu der kirchen hinaus (fol. 21) getragen und auf den wagen gesetzt und in den turm gefencklich in gelegt. Diese herren seindt gewesen stattmeister Böckel,38 ammeister Kepß,39 her Steffer,40 der her des rodts und unser schaffner und 2 türhüter. [Epilog] In dem turme ist sie 4 jahr gewessen ohn alle christliche rechte. Nochgens hat man sie wegen kranckheit des leibs heraus geton und in die
37
An dieser Stelle springt die Erzählung erneut unmerklich in der Zeit. Aus dem Epilog und dem bekannten Datum der Urfehde der Susanna Brünnin ergibt sich aber, dass die Priorin wahrscheinlich 1595 verhaftet wurde. 38 Georg Jacob Bock von Erlenburg entstammte einer der bedeutendsten Straßburger Familien der Zeit. Er war Ratsherr und Stettmeister. 39 Jacob Kips, siehe oben. 40 Hans Jacob Stösser war Ratsherr.
412
Anhang – Bericht einer Nonne
elend herberg, dorin ist sie ein halb johr gewesen, do hat man sie wieder in das kloster St. Margarethen und Agnesen gedon, dorin ist sie gestorben.41
41
1599 schwor Susanna Brünnin Urfehde, was vermutlich zu ihrer Entlassung führte, vgl. St. Margaretha St. Margaretha AMS II, 39/59, Nr. 8. Susanna Brünnin starb um 1602.
Anhang – Prosopographie
413
3. Prosopographie der Straßburger Nonnen, Mönche, Konversen und Klosterschüler des 16. Jahrhunderts Die folgenden Tabellen umfassen, geordnet nach Gemeinschaften, alle in den verwendeten Quellen namentlich aufgeführten Straßburger Religiosen, Konversen und Klosterschüler. War eindeutig erkennbar, dass eine Person unabhängig von der vollständigen Auflösung einer Gemeinschaft aus dem Kloster ausgetreten ist, ist dies vermerkt. Auch für alle anderen Personen ist ein nicht bekannter Klosteraustritt nach dem letzten genannten Datum aber denkbar. Die Bedingungen der Zuordnung zu einer sozialen Gruppe sind im Kapitel „Klöster und städtische Gesellschaf“ ausführlich erläutert. Folgendes Schema der Straßburger Gesellschaft wurde zugrunde gelegt: A B C D
E F G H X I
Politisch aktive Konstoflerfamilien Nicht politisch aktive Konstoflerfamilien Ratsfamilien aus den Zünften Zum Encker, Zum Spiegel, Zur Blume, Zum Freiburg, Zur Luzern, Zur Möhrin, Zur Steltz und der Tucher Ratsfamilien aus den Zünften der Brotbecker, Kürschner, Küfer, Gerber, Weinsticher, Schneider, Schmiede, Schuhmacher, Fischer, Zimmerleute, Gärtner und Maurer Politisch nicht aktive Familien der oberen Zunftgruppe Politisch nicht aktive Familien der unteren Zunftgruppe Nicht zünftische, nicht patrizische Straßburger Nicht Straßburger Kann nicht eingeordnet werden Landadel
414
Anhang – Prosopographie
Augustiner Das Kloster der Augustiner wurde 1534 aufgelöst, einzelne Mönche traten bereits vorher aus. Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Adam Houl Ambrosius Krel Anton Konrad Augustinus Lendypen Balthasar Stotz Beatus Schomer Benedikt Balthner Bromis von Allenweiler, Subprior Caspar Scholls Erhard Menge Eucharius Gulden Jacob Meier Johannes Senger Johannes Knocker Konrad Treger, Provinial, Prior Laurenz Schoner Lienhard von Roßheim Nikolaus Minitus Philipp Heinrich Rudolf von Landau Stephan Klein Theobald Marschalk Wolfgang Schultheiß
X X F X G X D H X D G D X X H X H X F H C X E
1525 1525 1525 1525 1519 1525 1525 1525 1525 1525 1519 1519 1525 1525 1524 1525 1525 1525 1526 - ca.1530 1525 1525 1525 1510 - 1523
Verhalten
Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt
415
Anhang – Prosopographie
Dominikaner Das Kloster der Dominikaner wurde 1530 aufgelöst, einzelne Mönche traten bereits vorher aus. Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Berthold Jude, Schaffner Christoph von Wildenstein Christoph Schelpuck Erhard von Kremps Friedrich Schnider Theobald Scherzweck Hans Rebstock Hans Münch Hans Mußler Heinrich Schimpach Jakob Württemberger, Prior Jakob Stroh Jakob Episcopus, Küchenschaffner Johannes Ortwin v. Vendenheim Johannes Burckart Johannes Murer Johannes Kornkauf Konrad Stotzen Konrad Salm Nikolaus von Bläsheim, Prior Phaneo Murde Thomas Wasant, Zinsschaffner Thomas Schwein Thomas Bremer Thomas Schwind Thomas Premerius Udalremus Einwein
X H X H X X A C B H D F F X E X F X X H X X X X X X X
1494 -1499 1524 - † 1533 1524 1529 1525 1524 - 1525 1526 1525 - 1539 1524 - 1537 1524 - 1537 1493 - 1511 1525 - ca. † 1530 1524 - 1537 1490 - † 1514 1518 - 1531 1525 - † 1535 1524 - 1537 1525 - 1531 1526 - † 1535 1503 - 1524 1524 1524 - 1525 1482 - 1531 1500 - 1531 1530 - † 1532 1534 - 1537 1524
Verhalten
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
416
Anhang – Prosopographie
Franziskaner Das Kloster der Franziskaner wurde 1525 aufgelöst, alle Mönche traten aus dem Kloster aus. Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Andreas Vogler Bernhard Schmider Hans Spitz Hans Glockner Hans Specht Hans Kugler Hans Ungerer Jakob Ständel Jakob Müller Jakob Botzeln Jakob Stedel Johannes Geßler Jörg Achenheim Ludwig Kuchenschaffner Martin Stauffenberger, Schaffner Nikolaus Lemlin Nikolaus Sponer Peter Hochschilt Thomas Murner, Guardian Ulrich Graff
E X F X H E E H E X C X H H X X X X H F
1526 1526 1526 - 1527 1526 1526 1526 - 1532 1526 - 1532 1578 1525 - 1532 1526 1526 1527 1526 - 1532 1525 - 1532 1507 - 1510 1527 1525 - 1532 1526 *1445 - † 1537 1523 - 1532
Verhalten
417
Anhang – Prosopographie
Johanniter Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Verhalten
Alexander von Villingen Alexander Berner Anastasius Westhofen Andreas Meier von Westhofen Andreas Waldner, Buchmaler Andreas Wilhelm, Komtur Andreas Hunderer Baltasar Gerhard, Komtur Bernhard Fetz, Prior Daniel Alebeisen Erasmus Sutter, Komtur Georg Georg Kotter, Kustor Georg Thomas Stauß Gregorius Beit, Komtur Hans Mathis Heinrich Dreyer, Komtur Heinrich Schilling, Prior Jakob Cappus Johann Mesinger Johannes Latomus Johannes Bürr Johannes Holl, Komtur Johannes Scriba Johannes Rösler Johannes Bischer Johannes Frum Johannes Meisenheim Johannes Fabri Johannes Erb, Prior Johannes Rüdiger Johannes Jakob Pauli, Komtur Johannes Mathias Merklin Konrad Wannenmeyer, Komtur Konrad Würfel Konrad von Württemberg
E H X H H X X X X X X X X X X X X X X C H X X X H H X X H X X X X E X H
1523 - 1525 1524 - 1534 † 1505 1525 - 1527 1526 - 1535 1578 - † 1595 † 1520 1511 - † 1532 1633 1633 1562 - † 1578 1523 1542 - 1547 1633 1525 - † 1549 1525 1549 - 1550 † 1522 † 1517 1525 - † 1527 1525 1598 1549 - † 1567 1595 † 1617 † 1524 † 1504 † 1502 † 1519 1633 1633 1633 1633 1588 - † 1610 1525 † 1505
Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt
Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt
418
Anhang – Prosopographie
Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Laurenz Meyer Laurenz Minchberger Markus Wollenheimer Martin Fabri, Komtur Martin Schmidt Martin Steinburger Marx von Oltung Marx Horn Mathias Rudolf Nikolaus Mathis Otto Heinrich Sterburger Paul Mulich, Kustor Peter Risch Peter Ettlingen Thomas Giger Ulrich Glauber Wendelinus Wilhelm Stetter, Kustor Wilhelm Waldeck, Kustor Wolfgang von Bergheim
C H X X X X X X X X H B X X X X X X C X
1598 - 1599 † 1591 † 1516 1542 - † 1562 1549 1633 1523 - 1525 1534 - 1535 1595 1523 † 1626 † 1507 † 1505 † 1508 † 1503 1519 † 1505 1510 - † 1552 1633 - † 1638 1525
Verhalten
Klosteraustritt
Klosteraustritt
419
Anhang – Prosopographie
Kartause Die Kartause wurde 1591 gegen den Willen der dort lebenden Mönche aufgelöst. Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Andres Beck Andres von Uffelstadt Anton Kemmerensis Arbogast Switzer Arbogast Lesch Burkhard von Anspach Caspar Schaur Caspar Hofmeister Christoph von Mühlheim Dieter Unbescheiden Emmerich Beysigel Hans Beck Hans Vach Hans Boden Hans Bender Hans Brück Hieronymus Wenich Hubertus von Pruck Johann Schweizer Johannes Flüher Johannes Schongau, Prior Johannes von Speyer, Schaffner Johannes Schustein, Prior Johannes Heysscheidt Jörg Braun Jörg von Schaffolzheim Konrad Singer Konrad Meier Konrad Lambert von der Weyden, Prior Leonard Stoffel Martin Gallitien, Prior Michael von Speyer Michael Burckell
H H H X X H H D H X H H X H X X H X X X H H H X C C X H X H F H H X
1525 1525 1585 - 1586 1525 1525 - 1532 1525 - † 1536 1525 - 1530 1527 1525 1540 1585 - 1586 1525 1525 - 1526 1525 - 1526 1525 1499 - 1508 1525 1525 1538 1525 1525 - † 1540 1525 - 1526 1564 - 1586 1540 1525 1525 1513 - 1525 1525 - 1532 1525 1540 1525 - 1530 1510 - † 1534 1525 1525 - 1526
Verhalten
Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
420
Anhang – Prosopographie
Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Michael Bacharach, Prior Michael Wissinger Michel Herr Michel Press Nikolaus Treveris Otto Brunfels Paulus Nordberger Philipp Meyer, Prior
H H X X H X H H
1540 1585 - 1586 1525 - 1540 1586 1540 * ca. 1484 - † 1534 1540 1557 - † 1586
Verhalten
Klosteraustritt
Klosteraustritt
421
Anhang – Prosopographie
St. Katharina Das Kloster St. Katharina wurde 1525 aufgelöst, alle Nonnen traten aus. Name und Ämter
Stand
Erwähnt
die Blickerin Agatha Sterckin Agnes Wurmser Agnes Danheuser Anna Schedin Anna Münch Anne Danghusen Appolonia Pfaffenlapp Barbara Pfaffenlapp Barbara von Rothenburg Barbara Melsch Barbara von Ulm Brigitta von Oberkirch, Schaffnerin Cordelia Stundler Dorothea von Windeck Elisabeth Büchsner Irmtraud Armbruster Juliana Armbruster Margaretha Anselm Margarethe von Landsberg Margarethe Riff Maria Bechtold Petronella von Falkenstein, Priorin Petronella Bock Sibella Seckingen
X X A X X C X A A B X H B X B A E E F B D E I A B
1525 1525 - 1556 1525 - 1556 1525 1552 - 1556 1525 1525 1525 1525 1525 1525 1525 1525 1525, † vor 1552 1525 1525 1525 - 1556 1525 1525 - 1556 1525 - 1556 1525 1525 1525 - 1552 1525 - 1556 1525
Verhalten
422
Anhang – Prosopographie
St. Klara am Rossmarkt St. Klara auf dem Rossmarkt wurde 1525 aufgelöst, die Nonnen traten aus. Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Ellenhart, Äbtissin von Kageneck Böcklerin Agatha Pfitzer Agatha Rottweilerin Agnes Kips Agnes Gerlach Agnes Gerbott Agnes von Mülnheim Amalia von Fleckenbuchel Anna Ellenhart Appolonia zum Trübel Barbara Voltz Beatrix Riff, Äbtissin Blum von Wangen Christina Böcklin Clara Bronner Dorothea Pfaffenlapp Dorothea Braun Elisabeth Scheden Elisabeth von Millen Elisabeth Reyffhartin Heilke von Berstet Irmgard von Wangen Jacobe zum Trübel Katharina Krenningen Lene Burggräfin Magdalena Slempen Margaretha Bereren Margaretha Ellenhart Margarethe Pfaffenlapp Margartha Zuckmantel Ortolana Paffenlapp Rikarda Pfaffenlapp
A A A D C E X D A X A A D D I A C A E X X X B I A X A X A A A A A A
1525 1466 1495 1462 1491 1462 1468 1477 1504 1524 1508 1519 1473 1470 - 1527 1463 † vor 1526 1524 1464 1491 1464 1468 1508 1465 1463 1490 - 1524 1478 1465 1469 1466 1473 1464 1483 1478 1469
Verhalten
423
Anhang – Prosopographie
Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Rikarda Zuckmantel Sophia Pfaffenlapp Stephanie von Hohenburg Susanna Pfaffenlapp Susanna Lumnerin Ursel Westhusen Ursel Bereren Ursel Ellenhart Ursula Lynnerin, Priorin Ursula von Mülnheim Veronika von Mülnheim Veronika Voltz
A A C A X B A A X A A D
ca. 1525 1460 1465 1460 1470 1505 - 1525 1466 1478, ca. 1525 1470 - 1525 1478 1525 1473
Verhalten
Klosteraustritt
Klosteraustritt
424
Anhang – Prosopographie
St. Klara auf dem Wert St. Klara auf dem Wert wurde 1525 aufgelöst, alle Nonnen traten aus. Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Agnes Rechin Anna Anne Schererin Appolonia Spieglerin Barbara Wulfin Clara Buman Dorothea Armbruster Elisabeth Mußler Elisabeth Körner Elisabeth Katharina Huttin Margaretha Schwendin Martha Trekler
X X X F B X B E B E X X X
1526 1535 - 1556 1535 - 1552 † 1519 † 1519 1524 - 1536 1525 - 1549 1525, 1534 1526 - 1536 † 1521 1525, † vor 1553 † 1519
Verhalten
425
Anhang – Prosopographie
St. Magdalena Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Lipsin Afra von Krießheit Agnes Böcklin Agnes Frantzin Agnes Bisinger Agnes Friderichen Agnes Frantz Anna Moler Anna von Weideck Anna Schentzer Anna Körber Anna Schindlerin Anna Zuckart Anna von Oberkirch Anna Schentz Anna Iniß Athela Blummler Barbara Bosin Christina Reßler Clara Ottfriedrich Columbina Dorothea Wurmserin Dorothea Berner Dorothea Hahn, Priorin Elisabeth Sesterm Elisabeth Schiedelin Elisabeth Obrecht Elisabeth Armbruster Elisabeth Voltzin Eufemia vom Stal Eva Eckhard, Küchenmeisterin Jakobe Riff Jakobe Kernin Jakobe Lienhard Jakobe Meyer
X X A X D X X F X X C H X I X X X H X A X A D F X X E E B X H D H X D H
1555 † 1527 1548 † 1520 † 1520 † 1534 † 1522 † 1503 † 1500 † 1543 *1568 - 1592 1548 1545 † 1522 1548 *1569 - 1592 † 1583 1525 - † 1545 † 1530 1525 - † 1534 † 1552 * ca. 1435 - 1597 1504 † 1510 † 1520 † 1522 1525 - 1526 16. Jh. *1573 - 1592 † 1512 1592, 1597 1548 † 1540 1526
Verhalten
Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt
426
Anhang – Prosopographie
Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Katharina von Uttenheim Katharina Frantz, Subpriorin Katharina Steudin, Priori Katharina von Bingen Kathrin Stunder Magdalena Riff Magdalena Kleiber Magdalena Kayser Margareth von Sarburg Margareth Wostin Margaretha Lauber Margarethe von Endingen Margarethe Has Margred v. Keppenbach, Kellerin Margreth Wagner Margreth Spenderin Margreth Philips, Priorin Margreth Goss Maria Stifferin Maria Meyerin, Priorin Maria Hanenmännin, Kustorin Maria Hebrihin Martha Hebich Mathilde von Rectesburg Petronella Wurmserin, Priorin Philiberta, Siechmeisterin Reßler Christina Salome Stotz Susanna Herwortin Ursula Durningen Ursula Ringler Ursula Schnittler, Priorin Ursula Stingelerin Ursula Beger Ursula von Rohr Ursula Wörlin, Priorin Veronika Feligin Veronika Degenhatt
B X X H X D X D F X X B D I X A X B X D F X X X A I X X X D X X X B X D X X
† 1525 † 1525 † 1572 † 1520 1545 † 1527 *1568 - 1592 1548 † 1516 † ca. 1595 † 1528 † 1527 *1567 - 1592 † 1531 † 1522 1525 - † 1561 † 1534 1525 - † 1533 *1558 - † 1597 *1557 - 1597 1548 - † 1553 † 1528 1554 *1574 - 1592 † 1583 † 1530 † 1504 † 1525 † 1544 † 1544 1518 - † 1544 † 1531 † 1524 *1539 - 1592 † 1550 † 1519
Verhalten
Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt
427
Anhang – Prosopographie
St. Margaretha Name und Ämter
Erwähnt
Verhalten
Verhalten
Bildhauer Nurockerin Preudin Goldbraut Kageneck Marx Adelheid Krutin Agatha die Köchin Agnes Kellerin Agnes von Schönau Agnes Wurmser Agnes Zorn, Priorin Agnes Ionerin, Subpriorin Agnes Berer, Priorin Agnes Steußin Agnes Mülnheim, Priorin Amalia Rechberger, Kustorin Anastasia Mieg Anna Voltzin Anna Böcklin Anna Siegrist Anna Stöcklerin Appolonia Rueffin Barbara Fuchsin Barbara Surgerin Barbara Sälbin, Malerin Barbara Völckhin, Brotmeisterin Beatrix Röder Christiana Letsch, Siechmeisterin Dorothea Mittelhausen Elisabeth Martin von Wildsberg Elisabeth Mittelhausen Elisabeth Röttel, Pförtnerin Elisabeth von Kageneck Elisabeth Martin Judith Därniger, Kustorin
X X X X A B F H F I A A H B X A A A F A X H H C X E H A F A X A H A X F
1524 1525 1527
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
1545 1545 1525 - 1534 *1558 - 1592 1525 - 1534 1549 1549 1545 1545 1525 - 1555 1545 1511 - 1521 * ca. 1550 - 1594 1532 - 1544 1525 - 1534 1545 - 1548 1549 *1532 - 1592 *1558 - 1594 1525 - 1534 *1545 - 1594 *1562 - 1594 *1568 - 1594 *ca. 1530 - 1546 *ca. 1545 - 1592 † 1526 1525 - 1526 1549 *ca. 1546 - 1594 *1546 - 1594
Klosteraustritt
Klosteraustritt
Klosteraustritt
Klosteraustritt *ca. 1540 - 1594
428
Anhang – Prosopographie
Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Judith Küff Judith Weyh van Duhn, Kellerin Juliana von Neuenstein Kathrin von Wimpfen Klara Sturm Klara Elisabeth Endingen, Priorin Magdalena Romerin Margaretha Armberger Margaretha Stemler, Priorin Margaretha Streler von Dann Margaretha Hütschlerin, Kellerin Margaretha Prechin Margaretha Mathis Margred die Leufferin Maria Röchin Maria Heußlerin Maria Salome Räpp, Subpriorin Martha Spieglerin Martha Hornberger Martha Wagner Martha Böcklin Salome Lichtin Susanna von Weitersheim Susanna Neueneck Susanna Mittelhausen Ursula von Fegersheim, Priorin Veronika Sturm Walburga Böcklin
H H B H A B H D H F H H H X H H H B X X A X B X A B A A
1594 *ca. 1552 - 1594 *ca. 1526 - 1546 1545 1508 - 1525 1544 - 1546 *1556 - 1592 1525 - 1526 *1534 - 1594 *1572 - 1594 *1565 - 1594 *1548 - 1592 1545 *1550 - 1592 *1557 - 1594 *1564 - 1592 *ca. 1545 - 1594 1525 - 1528 1525 - 1526 1525 1545 - 1548 1525 *1550 - 1594 1525 1525 1549 - 1572 *ca. 1514 - † 1581 1545 - 1548
Verhalten
Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt
429
Anhang – Prosopographie
St. Nikolaus St. Nikolaus wurde 1592 mit St. Margaretha zusammengelegt. Ein Teil der Nonnen trat aus, ein Teil wechselte nach St. Margaretha. Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Verhalten
die Vinterin Agnes Wurmser Agnes Gesessin Agnes Pfleger, Subpriorin Agnes Agnes Bischoff Agnes Lohe Agnes Kayser Agnes Dolden Anastasia von Maastricht Anna Morgin Anna Heuss Anna Schach, Ratsmutter Anna Lutz Anna Nirsch Anna Müssler Anna Wurm von Geudertheim Anna Pfiffer Annel Apollonia von Heidelberg Appolonia Lutz, Priorin Appolonia von Eschbach Appolonia Braun Appolonia Sürin Aurelia Hüffel Barbara Voltz, Ratsmutter Barbara Klein Barbara Eppen Barbara Ittenbentz Christina Seytzin Christina Illhack Christina Brückin Christina Schnerr
X A X H X F F D D H H C D G X E E X H X X X C H A H F X X H D H X
† 1550 *1570 - 1595 1525 *ca. 1535 - 1594 † vor 1592 1525 - 1545
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
ca. 1570 - 1587 1525 * ca. 1522 - 1545 *1555 - 1595 1525 *1552 - 1594 *1545 - 1594
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt 1579 1523, † vor 1545 1564 * ca. 1535 - 1545 1525 - 1545 1575 ca. 1525 - 1570 ca. 1570 ca. 1527 - 1545 1545 ca. 1570 - 1594 1555 - 1577 1525 1577 ca. 1590 - 1594 1545 1585 - 1592 1577 - 1587
Klosteraustritt
Klosteraustritt
Klosteraustritt
Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
430
Anhang – Prosopographie
Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Verhalten
Dorothea Rösch Dorothea Ebel Efrosina Graff Elisabeth Beynen Elisabeth Müller, Siechmeisterin Elisabeth Heuss Elisabeth Wiederläuferin Genephe Storck Gertrud Krämer Gertrud Zimmermann Gertrud Veltin Jakobe Spender Juliana Beck, Subpriorin Katharina Schenk, Schaffnerin Katharina Handschuh Katharina Braun Katharina Hentz Katharina Bern Katharina Büch Kathrin Küffer Liebgart Engelman Magdalena Werlin Margareth Hildbrend Margareth Beckin Margaretha Sturm Margaretha Müller Margaretha Heidin Margaretha Kniebnis Margarethe Balwiner, Windenmeist. Margreth Röthin, Subpriorin Margreth Böckler Margreth von Sachsen Margreth Zorn, Schaffnerin Margreth von Waltzhut Margreth Hindin Margreth Surin Maria Gerhart Maria von Durlach Maria Egel, Oberpförtnerin Maria Wannenmeyer, Kellerin
H H F X H C X D H F G A X H H C X X X X E F C D A X X D H D A H A X F X X X F E
*1565 - 1592 1525 - 1545 1582 1525 *1546 - 1592 1525 1577 1525 - 1545 *ca. 1547 - 1594
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
*ca. 1535 - 1545 1525 - 1545 1525 - 1545 *1540 - † 1594 *1552 - 1594 1588 - 1592 1579 1577 1564 * ca. 1535 - 1545 ca. 1570 1545 - ca. 1570 1525, † vor 1545 ca. 1505 - 1545 1525, † vor 1545 1525 - ca. 1570 1577 1522 ca. *1562 - 1592 1525 - 1545 1525 - 1550 1525 - 1545 1545
1525 1525 - 1545 1525 - 1545 * ca. 1550 - 1592 *1562 - 1592
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
431
Anhang – Prosopographie
Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Maria Müllerin Maria Schreyer Maria Hällin Maria Halderstein Maria Schwerttler Odilia Lutz, Priorin Paulina Further Peternela Rebin Peternella Rebe, Kellerin Peternella Seurin Petronella Elesessen Susanna Brünnin, Priorin Susanna Pfeuren Susanna von Rastatt Ursula Üblerin, Brotmeisterin Ursula Ehinger Ursula Spitzle Ursula Hallerstein Ursula Mörsmünster, Priorin Veronika Mench Veronika von Landsberg Veronika Wissbach, Priorin Wurtt Johanna
H D X X X X X H H X X C X H H H X X C D B C X
*1559, † vor 1592 1525 - 1545 ca. 1570 ca. 1570 - 1588 1564 1577, 1587 1533 - 1556 * ca. 1534 - 1545 ca. *1567- 1592 ca. 1570 1564 *1542 - 1594 1525, † vor 1545 † vor 1545 *1569 - 1595 1525, † vor 1545 1527 - 1545 1577 - 1579 1522 1525 - 1545 1525 - 1545 * ca. 1485 - 1545 1564
Verhalten
Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
Klosteraustritt Klosteraustritt
432
Anhang – Prosopographie
Die Wilhelmiten Das Wilhelmiten-Kloster wurde 1533 aufgelöst, alle Mönche traten aus. Name und Ämter
Stand
Erwähnt
Verhalten
Adolph Pergstroß Andris Schniffer Caspar Schwend Hans Ulrich Kopf Ludwig Dietmar, Prior Michel Biner Werner von Than, Schaffner
X X X X X X X
1514 1531
Klosteraustritt
1531 1524 1531 1514, † vor 1524
Klosteraustritt Klosteraustritt Klosteraustritt
Personen- und Sachregister
Abendmahl Siehe Eucharistie Andachtsbilder 279, 280 Augsburg 90 Augsburger Religionsfrieden 89, 93–95 Augustiner 213–214 Beatus Rhenanus 303 Beauvoir, Simone de 15, 18 Benhabib, Seyla 19, 25, 367 Bettelorden 193 Bilderverbot 82 Bläsheim, Nikolaus von 306, 307 Bonifazius VIII. 209 Brant, Sebastian 303 Brunfels, Otto 256, 257, 303–305 Brünnin, Susanna 132, 168, 216, 307, 308, 402–412 Bucer, Martin 85, 90, 117, 118, 257– 259, 281–286, 312, 313 Abendmahlverständnis 281 Bildverehrung 282 Kritik am Mönchtum 69–71 Liturgie 283 Zur weltlichen Obrigkeit 85–87 Butler, Judith 18, 19, 20, 24, 25, 365 Celtis, Conrad 268 Coleman, James S. 26–33, 360 cura monialium 106, 314, 337 Deutscher Orden 219 Dobbertin, Kloster 112 Dominikaner 214–217 Ehe 71–77, 123–125, 293–295 Erasmus von Limburg 234, 331–333 Erasmus von Rotterdam 303 Eucharistie 279, 281 Ferdinand I. 334 Ferdinand von Österreich 217 Foucault, Michel 20, 23, 24, 359 Frankfurt 110 Freundschaft 301–303
Friedrich IV., Pfalzgraf 217 Gegenreformation Siehe Konfessionalisierung, katholische Geiler von Keysersberg 303 Gelübde 65, 66, 124 Gender, Begriff 18–21 Georg Schilling von Cannstatt 197, 220–223, 333, 340 Geschenke 315 Geschlechtergeschichte 9–16, 17–25 Habit 270, 289, 305 Halberstadt 266, 268 Hedio, Kaspar 1, 85–87, 106, 124, 125, 294, 312, 329 Heiligenverehrung 278, 315 Heinrich IV. von Frankreich 227 Hessen 108, 119, 295, 296, 349 Hieronymus, Großprior des Kartäuserordens 225 Identität 248–252 Geschlechtsidentität 18–21, 263–269 Religiöse Identität 162, 271 Interim 87, 90–92, 94, 95, 119, 177, 213, 332, 349, 363, 369, 388, 392, 394, 399 Interimskirchen 92 Ius Reformandi 86, 89–91, 94–97, 100, 111, 220, 394 Jesuiten 208, 209, 226, 320, 332, 337 Johann von Hattstein 220 Johann von Manderscheid 332 Johanniter 223 Ballei Brandenburg 218 Priesterbrüder 217 Priesterhäuser 219 Karl V. 84, 91, 92, 97, 99, 119, 218, 220, 334, 388, 400 Kartäuser 227–230 Kirchenkonvent Siehe Prädikanten
434
Personen- und Sachregister
Klarissen 211–213 Klausur 171, 184, 209, 210, 239, 274– 277, 290, 317 Kleindienst, Bartholomäus 215, 317 Klosteraustritt 10, 11, 124, 125, 252– 257, 286–300 Klosteraustritt, erzwungener 161–170 Klostergut 116–120 Klosterherren 47, 81, 82, 105, 106, 118, 122, 127, 128, 299, 326, 338 Klosterordnungen 63, 317 Klosterschließungen 108–113 Kniebis, Klaus 103, 127, 161, 166–168, 170, 171, 292, 384 Konfessionalisierung 160–172, 206 Konfessionalisierung, katholische 206– 210, 319, 320 Konversion 252, 253 Konzil von Trient 206, 209 Lenglin, Johann 313 Leusser, Clemens 253, 295, 318 Luther, Martin 90, 117, 252 Kritik am Mönchtum 63–71 Magdeburg 109, 111 Marbach, Johannes 85, 87, 88 Meister Eckhart 277 Melanchthon, Philipp 90 Memoria 177–181, 192, 194, 316 Merswin, Rulman 41, 150, 220, 321, 339, 396 Minoriten 211–213 Mitgift 194 Murner, Thomas 69, 80, 82, 90, 259– 261, 269, 305, 306, 363, 369, 372, 383 Mystik 276, 277 Nürnberg 90, 113, 163, 198 Observanz 238–242, 286 Pensionen 106, 131, 194, 196, 299, 300 Periculoso 209, 275 Philipp von Hessen 100, 108 Pirckheimer, Caritas 4, 6, 163–166, 171, 268, 285, 307, 363, 364, 375, 381, 383, 393 Pirckheimer, Clara 164 Pirckheimer, Willibald 164 Prädikanten 85–89, 106, 118, 257–259, 311–313 Prechter, Friedrich 168, 169, 170, 403 Rat und Einundzwanzig Siehe Straßburg, Stadtrat Rational Choice 25–35
Reichskammergericht 97, 100, 110, 213, 222, 243, 334, 359 Rekrutierung 326–331 Religiosam vitam eligentibus 232 Reuerinnen 54–59, 230–237 Generalpropst 232, 233 Konservator 233 Rudolph II. 334 Schenkungen 192 Schmalkaldischer Bund 97, 117, 119 Schormann, Peter 235 Schott, Anna 277 Schustein, Johannes 126, 226, 228, 337, 342, 344 Selbstzeugnisse 50, 251, 264 Sozialdisziplinierung 9, 73, 74, 131, 328, 393 Stiftungen Siehe Memoria Straßburg Almosen 118, 196, 326 Bischof 99, 331–334 Blatternhaus 118 Domfabrik 122 Elende Herberge 118 Gymnasium 118 Klosterordnungen 89, 107, 124, 125, 130, 329 Klosterschließungen 44–46, 104– 108, 116 Messe 80, 81, 84, 86–88, 92, 96, 97, 106, 314, 315, 319, 320 Patriziat 135–139, 172–177 Pfleger 151, 172–177, 187, 321– 325, 338 Reichskammergerichtsprozesse 99– 101, 216, 352 Schaffner 321–325, 338 Schirmgeld 93, 103, 196, 197, 320 Schulen 125, 328 Schutz und Schirm 103, 340 Spital 118, 298, 299, 375, 398 Stadtrat 126–128 Stallgeld 104, 187, 195 Ungeld 195 Waisenhaus 118 Zünfte 127, 135–139 Straßburger Klöster 39–46 Antoniter 41 Augustiner 40, 118, 147, 188, 213 Deutschordenshaus 40, 45, 50 Dominikaner 40, 80, 118, 122, 145– 147, 188
Personen- und Sachregreister Franziskaner 40, 118, 145, 148, 188, 212 Johanniter 40, 97, 121, 132, 150, 151, 154, 179, 187, 194, 197, 200, 223, 262, 308, 318–320, 323, 330, 339–341 Karmeliter 40 Kartause 40, 80, 99, 114, 118, 121, 122, 126, 148–150, 153, 188, 200, 227, 303–305, 323, 330, 341–345 St. Katharina 42, 118, 141, 189, 201 St. Klara am Rossmarkt 41, 118, 131, 141, 189, 212 St. Klara auf dem Wert 41, 118, 132, 141, 189, 212 St. Magdalena 42, 54–59, 100, 121, 141, 157, 180, 196, 197, 230–237, 292, 325–326, 333 St. Margaretha 42, 100, 124, 126, 141, 158, 159, 172–177, 180, 188, 196, 200, 257–259, 266, 275–286, 311–320 St. Marx 42, 118, 194, 333 St. Nikolaus 42, 100, 114, 132, 141, 156, 157, 166–170, 189, 196, 199, 214–217, 254, 265, 287–289, 320, 324, 402–412
435
Sturm, Jakob 88, 98, 117, 119, 121, 127, 221 Tauler, Johannes 277 Tetrapolitana 85, 282 Titzmann, Martin 237 Toleranz 113–116 Transfiliation 215, 230, 330, 352 Treger, Konrad 1, 43–45, 80, 81, 213, 214, 261–262, 296, 398 Tucher, Anna 255, 290 Ulm 110, 111, 181 Versorgungsthese 123–125 Vierklosterstreit 101 Wanderprediger 296 Weber, Max 271–273 Wilhelm V., Herzog von Bayern 217 Wilhelm von Hohenstein 331, 332 Wimpfeling, Jakob 259, 303 Wolfgang von Dalberg 217 Wurm, Anna 2, 166, 171 Württemberg 108 Zell, Matthias 1, 53, 69, 80, 83, 85, 258, 312 Zittard, Konrad 75, 100, 214–217, 237 Zölibat 63–68, 70, 372