Die Stadt und ihr Gedächtnis: Zur Zukunft der Stadtmuseen [1. Aufl.] 9783839415979

Der Lebensraum Stadt verändert sich und mit ihm seine museale Repräsentation. Die Notwendigkeit, diese jüngeren Entwickl

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German Pages 172 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
I. Die Stadt als sozialer und politis cher Raum – Herausforderungen für das Stadtmuseum der Zukunft
Die Stadt und ihr Gedächtnis – Standortbestimmung
Wem gehört die Stadt? Für eine Re-Politisierung der Stadtgeschichte
Zur gesellschaftlichen Legitimität von Museen. Stephen E. Weils Beitrag zur Debatte
Zwischen Geld und guten Worten – politische Verantwortung für stadtgeschichtliche Museen
Was macht Stadtmuseen attraktiv für die kulturelle und politische Bildung?
Interkulturelle Öffnung der Museen ist mehr als Pädagogik!
II. Sammlungshort, Bürger-Forum oder Erlebnis ort?
Die Dynamisierung des Stillgestellten. Sechs Bemerkungen zu einem neuen Trend, der das Stadtmuseum erfasst hat
Stadtmuseen und »Social Inclusion«. Die Positionierung des Stadtmuseums aus der »New Museology«
Geschichte, Gefühle, Museen oder braucht das Stadtmuseum einen »emotional turn«?
III. Inszenierung der Erinnerung
Welche Geschichte soll die Stadt wo und wie lesbar machen?
Die Zukunft der (Stadt-)Museen als kulturgeschichtliches Format
WerkStadt stattMUSEUM/Infragestellen – Ausstellen
Epilog
Welches Stadtmuseum braucht die Stadt? – Positionen!
Autorinnen und Autoren
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Die Stadt und ihr Gedächtnis: Zur Zukunft der Stadtmuseen [1. Aufl.]
 9783839415979

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Claudia Gemmeke, Franziska Nentwig (Hg.) Die Stadt und ihr Gedächtnis Zur Zukunft der Stadtmuseen

Claudia Gemmeke, Franziska Nentwig (Hg.)

Die Stadt und ihr Gedächtnis Zur Zukunft der Stadtmuseen

Tagungspublikation der gleichnamigen Veranstaltung des Stadtmuseums Berlin Konzept: Dr. Claudia Gemmeke

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2011 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld, auf der Basis der Bildmarke des Tagungsflyers, © ultramarinrot 2009 Korrektorat: Jens Ossadnik, Aach Satz: Jörg Burkhard, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1597-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt I. D ie S tadt als sozialer und politischer R aum – H erausforderungen für das S tadtmuseum der Z ukunft Die Stadt und ihr Gedächtnis – Standortbestimmung Franziska Nentwigâ•– |â•–9

Wem gehört die Stadt? Für eine Re-Politisierung der Stadtgeschichte Wolfgang Kaschubaâ•– |â•–17

Zur gesellschaftlichen Legitimität von Museen. Stephen E. Weils Beitrag zur Debatte Volker Kirchbergâ•– |â•–27

Zwischen Geld und guten Worten – politische Verantwortung für stadtgeschichtliche Museen Alice Ströverâ•– |â•–45

Was macht Stadtmuseen attraktiv für die kulturelle und politische Bildung? Thomas Krügerâ•– |â•–51

Interkulturelle Öffnung der Museen ist mehr als Pädagogik! Günter Pieningâ•– |â•–57

II. S ammlungshort , B ürger -F orum oder E rlebnisort ? Die Dynamisierung des Stillgestellten. Sechs Bemerkungen zu einem neuen Trend, der das Stadtmuseum erfasst hat Gottfried Korffâ•– |â•–67

Stadtmuseen und »Social Inclusion«. Die Positionierung des Stadtmuseums aus der »New Museology« Léontine Meijer-van Menschâ•– |â•–81

Geschichte, Gefühle, Museen oder braucht das Stadtmuseum einen »emotional turn«? Anne Schmidtâ•– |â•–93

III. I nszenierung der E rinnerung Welche Geschichte soll die Stadt wo und wie lesbar machen? Ruedi Baurâ•– |â•–103

Die Zukunft der (Stadt-)Museen als kulturgeschichtliches Format Uwe Brücknerâ•– |â•–111

WerkStadt stattMUSEUM/Infragestellen – Ausstellen Martin Kohlbauerâ•– |â•–145

E pilog Welches Stadtmuseum braucht die Stadt? – Positionen! Claudia Gemmekeâ•– |â•–157

Autorinnen und Autoren â•– |â•–165

I. Die Stadt als sozialer und politischer Raum – Herausforderungen für das Stadtmuseum der Zukunft

Die Stadt und ihr Gedächtnis – Standortbestimmung Franziska Nentwig

Die Stiftung Stadtmuseum Berlin arbeitet an einer Neupositionierung. Im fachlichen Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Stadtmuseen wurde deutlich, dass sich die Gruppe der Stadtmuseen insgesamt stark in Bewegung befindet und dabei das jeweilige Ringen um mehr Besucher und öffentliche Aufmerksamkeit letztlich immer wieder auf bestimmte Basisfragen zurückführt. Unabhängig von ihrer Größe oder ihrer Lage in kleinen Städten oder Metropolen stehen Stadtmuseen vor drängenden Fragen, zu denen wir uns zwar alle individuell positionieren und die wir auf unterschiedlichen Wegen lösen müssen, die in der Sache aber gemeinsamer Natur sind. Wie gestalten wir die Zukunft unserer Stadtmuseen in einem sich beschleunigt verändernden, städtischen Umfeld? Wie ziehen wir Menschen unterschiedlicher Herkunft, Bildung und unterschiedlichen Alters als Besucher an – Menschen, die sich gerade in Städten permanenten Veränderungsprozessen stellen und sich dazu verhalten müssen? Daraus erwachsen Folgefragen nach dem Sinn, der Funktion und dem Nutzen, den Stadtmuseen heute haben. Was sollen sie auf welche Weise leisten, und welche Erwartungen richtet man an sie? Wie können sie eingelöst werden? Welche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sind zu schaffen – was ist von Seiten der Museen zu leisten, was von den Kommunen oder den zumeist öffentlichen Trägern? Ziel ist es, dazu Aussagen zu formulieren, indem aus wechselnden Perspektiven Fachleute aus verschiedenen gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen und der Politik ihre Sicht der Dinge darlegen. Bewusst ist die Außensicht der Experten auf die Institution Stadtmuseum gewählt. Die Impulse aus der Ethnologie, Soziologie, Bildung, Politik, Museologie und Gestaltung sollen uns fachliche Hilfestellung leisten für folgende Debatten der Museumsleute und

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weiterführende Veranstaltungen, z.B. mit Lehrern, Schülern, Studenten und Museumsbesuchern. Abbildung 1: Stadtmuseum Berlin: Märkisches Museum (Foto: michael setzpfand, berlin)

D ie A usgangsl age – eine kleine S elbst vorstellung Ein kurzer Exkurs sei erlaubt, um die Spezifika des Stadtmuseums Berlin darzustellen. Die Stiftung Stadtmuseum Berlin wurde 1995 gegründet. Sie ist in gewisser Weise ein museumspolitischer Spiegel der durch die Teilung der Stadt zerklüfteten stadthistorischen Museumslandschaft. Im Zuge der Neuordnung in der Nachwendezeit wurden in ihr als Hauptkerne das im Osten befindliche Märkische Museum und das im Westen gelegene, als stadtgeschichtliche Pendant entstandene Berlin-Museum mit Mitarbeitern und Sammlungsbeständen zusammengeführt. Ergänzt wurde das Konglomerat durch eine größere Anzahl kleiner und kleinster Museumsstandorte. Dieses expansiv angelegte und thematisch stark disparate Konstrukt konnte die gewünschte Präsenz und Ausstrahlung nicht erlangen. Deshalb wurde kulturpolitisch ein neuer Weg eingeschlagen, an dessen Umsetzung wir gemeinsam mit dem Land Berlin arbeiten. Unter Reduktion unserer Standorte konzentrieren wir uns als Landesmuseum für Kultur und Geschichte Berlins räumlich künftig auf die innere Mitte der Stadt. In direkter Nachbarschaft zum Märkischen Museum erhalten wir einen Museumsneubau im sogenannten Marinehaus. Beide Häuser bilden künftigen den Sitz der Stiftung Stadtmuseum. Sie sind inhaltlich und funk-

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tionell miteinander verbunden, nicht zuletzt durch eine gemeinsame neue Dauerausstellung, ergänzt durch Sonderausstellungsflächen im Neubau. Von diesem neuen Herz aus wird auch die Museumsarbeit im Ausstellungshaus Ephraim-Palais, im Museum Nikolaikirche und im kleinen, der Biedermeierzeit gewidmeten Knoblauchhaus geleistet, sie alle sind im Nikolaiviertel gelegen. Das Land Berlin unterstützt dieses Vorhaben finanziell und programmatisch.

I nstitutionsl andschaf t Mit den gleichen Fragen, die wir uns bei diesem ganzen Arbeitsprozess stellen – »wo stehen wir?« und »wo wollen wir hin?« –, beschäftigen sich auch die Kollegen in anderen Häusern. Als Vorreiter gelten dabei die Stadtmuseen, die sich gerade in Gründung befinden. Sie müssen gewissermaßen »aus dem Stand« die Akzeptanz der Öffentlichkeit gewinnen. Sie verfügen zumeist nur über kleine Sammlungen, d.h. Umfang und Wertigkeit einer Sammlung können von vorneherein nicht das alleinige Erfolgskriterium bilden. Hingegen ist die Frage, was denn zukünftig gesammelt werden soll, nicht nur für Neugründungen, sondern für uns alle von entscheidender Bedeutung. Wichtige Partner in der Diskussion um Stadtmuseen sind der Deutsche Museumsbund und dessen Fachgruppen, die Museumsverbände auf Landesebene, die Beratungsstellen und natürlich diverse Wissenschaftsinstitutionen. Es sei in diesem Zusammenhang auch darauf verwiesen, dass sich innerhalb von ICOM im Jahr 2005 als jüngste Untergruppe ein »Internationales Komitee für die Sammlungen und Tätigkeiten der stadtspezifischen Museen«, CAMOC genannt, konstituiert hat. Und dennoch: Ich darf hier aus einer E-Mail von Uwe Brückner zitieren. Ihn überrasche die Resonanz im Vorfeld auf die Tagungsveranstaltung überhaupt nicht. »Das Bedürfnis, Perspektiven + Strategien für lokale und regionale Museen zu diskutieren, ist riesig.«

P roblemfelder für S tadtmuseen Strategien und Perspektiven bedürfen einer Basis. Lassen Sie uns im Vorfeld der Referate die wichtigsten, unser heutiges Umfeld bestimmenden Koordinaten rekapitulieren: Zu Beginn etwas Statistik: Die Museen mit volkskundlichem, heimatkundlichem oder regionalgeschichtlichem Sammlungsschwerpunkt stellen mit ca. 45 % die zahlenmäßig stärkste Museumsgruppe in Deutschland, sie generieren aber nur weniger als 15 % der Gesamtbesucherzahl. Wie kommt es, dass

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in der öffentlichen Wahrnehmung – also bei Museumsbesuchern, Sponsoren, Mäzenen – und gern auch im Feld der Politik – Kunstmuseen ganz oben im Ranking stehen? Kulturhistorische Groß- oder Landesausstellungen finden steigende Publikumszahlen. Auch Naturkundemuseen holen in der Besuchergunst stark auf – vielleicht weil sie sich mehr globalen Basisfragen widmen, die uns alle direkt betreffen? Andererseits: Die Stadt an sich, über die sich unsere Museumsart ja definiert, ist heute voll von existentiellen Problemstellungen. In der Stadt wird alles diskutiert, was unsere Gegenwart und Zukunft bestimmt. Was macht unsere Arbeit denn so schwierig und verweist uns gegenüber Kunstmuseen in der gefühlten Attraktivitätsskala zurzeit eher in hintere Ränge? Wir sind in der überwiegenden Anzahl aus einer engagierten Bürgerschaft hervorgegangen, die sich Ausgang des 19. Jahrhunderts ihrer neuen Macht und ökonomischen Bedeutung sehr bewusst war. Auch – aber nicht nur – aus Repräsentationsbedürfnis hat sie gesammelt und wollte schützen, was ihr wertvoll erschien. Nicht umsonst reichen unsere formellen Sammlungsstrukturen – in und mit denen wir heute sehr oft noch arbeiten – weit in die Vergangenheit zurück. Aber wie ist das heute? Was sammeln wir heute in der Gegenwart für die Präsentationen der Zukunft? Was ist heute das Äquivalent für den Begriff »wertvoll« unserer bürgerlichen Gründerväter? Ein kurzes Beispiel: Wir konnten kürzlich mit Hilfe des Landes Berlin ein bedeutsames Konvolut stadthistorisch wichtiger und zugleich kunsthistorisch hochinteressanter Unikate erwerben, die dazu noch eine außergewöhnliche Übermittlungsgeschichte haben. Ein wunderbares Ölgemälde eines langjährigen Berliner Stadtoberhaupts und eine dazugehörige Prunkurkunde zum 25. Dienstjubiläum. Abgesehen davon, dass heute keiner mehr 25 Jahre lang Regierender Bürgermeister sein kann – was bleibt an attraktiven, auratischen Sachzeugnissen politischer Geschichte in der Gegenwart, die es für die zukünftigen Generationen aufzubewahren lohnt? Wir sagen immer wieder, wir definieren uns über die Stadt, welche Stadt aber ist gemeint? Die Stadt, wie sie früher bestimmend für die Bürgergesellschaft war und von ihr geprägt und gelebt wurde, die »Idee der Europäischen Stadt« also, wie sie Wolfgang Kaschuba bezeichnet, ist nach seiner Einschätzung am Ende. Ihr bürgerschaftlicher Kern ist im Verschwinden begriffen, damit aber auch – ich zitiere – »dessen normatives Wir«. Die Arbeit der Stadtmuseen ist aber im Grundsatz bis heute darauf gerichtet – auf dieses Betonen des »Wir« – durch das Vergewissern einer gemeinsamen Vergangenheit. Wer ist in einer Stadt wie Berlin heute »wir«? Was sollten wir wem vergewissern? Alle Stadtmuseen definieren sich auch über den Wunsch oder die Behauptung, Identität schaffen oder stiften zu wollen. Welche Identität – zum Beispiel in Stuttgart mit einer Bevölkerung, die heute zu 40 % aus Menschen mit mul-

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tinationalem Migrationshintergrund besteht? Sich mit etwas zu identifizieren bedeutet zugleich auch, sich von etwas anderem abzugrenzen – wovon? Stadtmuseen haben einen Bildungsauftrag. Man spricht gerade in Großstädten heute völlig selbstverständlich von bildungsfernen Schichten und sozialen Problemvierteln, gerade in Berlin häuft sich deren Zahl. Wie fremd muss diesen Menschen das Museum an sich schon sein, wenn die klassischen Bildungsträger an diese Klientel offensichtlich nicht herankommen oder zumindest nicht mehr nachhaltig einwirken können? Wie soll deshalb künftig unser Bildungsauftrag beschaffen sein, wenn es – nach obiger These – das sogenannte Bildungsbürgertum als Gesellschaftskern und Übermittler von Traditionen langfristig nicht mehr geben sollte? Müssen wir künftig nach sozialer Dringlichkeit »bilden« und ein Stück weit die Arbeit von Schulen und Sozialträgern entlasten? Wir, wie eine Reihe anderer Berliner Museen in Landesträgerschaft, sind ganz konkret dazu aufgefordert, außerschulische Bildungsangebote zu entwickeln. Vor zwei Jahren hätte uns das völlig unvorbereitet getroffen, denn wir hatten noch gar keine hauseigenen museumspädagogischen Kapazitäten. Wir gehen nun diesen Weg in Partnerschaft mit Schulen. Aber: Es kann bei allen Bemühungen im Verhältnis zur Notwendigkeit in der Masse nur begrenzte Wirksamkeit haben. Museen haben die Aufgabe, einen Beitrag zu einer zukunftsorientierten Allgemeinbildung zu leisten. Nach Wolfgang Klafki heißt das, »ein geschichtlich vermitteltes Bewusstsein von zentralen Problemen der Gegenwart und […] der Zukunft« zu entwickeln. Daher geht es bei dem Bildungsauftrag der Stadtmuseen nicht nur um die Vermittlung von Geschichte oder Stadtgeschichte, sondern es muss auch um gegenwärtige und zukünftige Schlüsselprobleme unserer Gesellschaft gehen. Wie gelingt uns das? Wie sollten wir die Menschen ansprechen? Wie können wir Reflexionsprozesse anstoßen? Wir betonen bis heute – und keinesfalls zu Unrecht – immer wieder unsere »exklusive Beziehung « zum Original. Am Objekt oder Dokument entlang wurde und wird Ereignisgeschichte erzählt. Aber auch die Welt der Objekte verändert sich dramatisch. Sie virtualisiert sich zunehmend. Stadtgeschichte nachzuvollziehen heißt, auch Kommunikationsprozesse zu verfolgen. Früher gab es Briefe, persönliche Notizen, die man sammeln konnte. Wie damit umgehen, dass sich Geschichte und ihre Abläufe heute im Zeitalter von Internet, E-Mail und Twittern häufig gar nicht mehr zwangsläufig im Objekt mit Aura materialisiert? Wie gehen wir mit den Parallelwelten – sprich: second life – um? Der Einsatz von Internet und Virtualität in Stadtmuseen ist unbestritten. Es bleiben aber doch viele Fragen. Die »Galerie Alte Meister« der Staatl. Kunstsammlungen Dresden hat ein Experiment gewagt und ist als einzige seit Mai 2007 im Netz komplett gedoubelt. Im ersten Jahr hatte man 40.000 Besucher.

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Davon waren 86 % unter 45 Jahre alt! Die begleitende Studie schließt aber auch mit dem Fazit, dass derzeit nicht erwiesen werden kann, ob dies wirklich in einem Besuch in der realen Galerie mündet. Die meisten Stadtmuseen sind zum Erzielen von Einnahmen gezwungen, um ihre Arbeit leisten zu können. Wir brauchen also den Echtzeitbesucher. Könnte für uns eine Chance darin bestehen, ausgehend von den eigenen Sammlungen und den jeweils gewählten Erzählsträngen, bewusste Brücken zu bauen, indem unsere museale Objektwelt vom physischen Ort Museum aus mit weiterführenden virtuellen Informationen via Internet verknüpft wird? Dies wäre im Sinne einer Serviceleistung für die Öffentlichkeit. Aber wer kann den damit verbundenen Aufwand leisten? Und da sind wir bei den Voraussetzungen, die wir für unsere Arbeit benötigen. Stadtmuseen könnten sehr viel mehr leisten: an aktuellen Fragestellungen und Stadtdiskussionen teilnehmen, mit ihren Beständen Entscheidungsgrundlagen zuarbeiten, z.B. bei Stadtentwicklungsfragen. Sie können auch bei der Einbindung der Einwohner im Sinne der von der New Museology so sehr geforderten »Social Inclusion« unterstützend tätig sein. Aber, dann muss man Stadtmuseen hinsichtlich ihrer Ressourcen in den Stand setzen zu agieren und zu partizipieren. Von Mittelknappheit für die inhaltliche Arbeit sind die meisten Häuser betroffen. Personaltableaus sind in der Regel zu knapp und entsprechen in ihrer Ausrichtung häufig nicht dem, was neu in der gesellschaftlichen Debatte zu bearbeiten ist. Abhängigkeiten von Sponsoren oder aufgelegten Förderprogrammen, bei denen man vieles darf, nur nicht Personalkosten oder Aufgaben mit institutionellem Anschein beantragen, verengen zusätzlich den Spielraum. Und dennoch: Stadtmuseen haben eine Riesenchance! Kennzeichnend für die heutige Stadt, zumal die Großstadt, ist beschleunigter Wandel. »Das Nationale« und »Der Staat« als Kategorien verlieren heute in der globalen Welt an Bedeutung. Das eigentliche Kontinuum, dessen Einfluss im Gegensatz dazu wächst, ist das Prinzip der Stadt. Die für mich berührendste Stadtdefinition – zumal für Berlin – kommt wiederum von Wolfgang Kaschuba. Er nennt es »nachhaltiger sozialer und kultureller Spannungszustand«. Die Zukunft wird in den Städten gemacht. Hier, nicht auf dem Land, wird alles Relevante für unser Leben verhandelt. Stadtmuseen könnten Verhandlungspartner, auch Mediatoren, sein, die diesen Wandel vermitteln und unter deren Mitwirkung Zukunft erörtert werden kann, eben weil sie den Bezug mit der Vergangenheit herstellen können. Wir, die Stadtmuseen, sind das Gedächtnis der Stadt. Uns gibt es noch, weil wir immer gut herleiten konnten, woher wir kommen. Die Fragen »wo stehen wir gerade?« und »Wie sieht die Zukunft in unseren Städten?« aus könnten wir zukünftig mehr in den Blick nehmen. Und wenn es auch das frühere große »Wir« der Stadtgemeinschaft vielleicht bald nicht mehr gibt, so können wir Gemeinschaftserlebnisse schaffen und vielleicht

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dadurch Identität zwischen Mensch und Ort neu herstellen und den Laborcharakter der Stadt im Sinne einer Brennglassicht verdeutlichen. Im Stadtmuseum könnten vielleicht Alteingesessenes und Fremdes versöhnt werden oder zumindest besser voneinander wissen. Welche Wege man dazu gehen kann, dass wir als individuelle Visitenkarten unserer jeweiligen Stadt besser wahrgenommen werden, wie man das inhaltlich und gestalterisch umsetzt, das beschäftigt uns alle.

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Wem gehört die Stadt? Für eine Re-Politisierung der Stadtgeschichte Wolfgang Kaschuba

Weltweit gibt es angeblich rund 1500 Stadttheater, davon steht mehr als die Hälfte in Deutschland. Das zeigt: Wir sind ein kulturbeflissenes Volk. Ob die Zahlenverhältnisse bei den Stadtmuseen ähnlich sind, weiß ich nicht. Es würde mich aber nicht wundern, denn wir sind auch ein ausgesprochen geschichtsbewusstes Volk. Und wir werden in der Zukunft womöglich noch geschichtsbewusster werden, denn wenn der Eindruck nicht täuscht, beginnen viele Städte gegenwärtig ihre Geschichte und damit auch ihre Zukunft neu zu schreiben – insbesondere die großen Städte, die eben nicht einfach mehr lokale Welt repräsentieren und lediglich regionale oder nationale Zentren sein wollen, sondern die nach dem Signet »Weltstadt« oder »Metropole« schielen. Die Metropolendebatten der letzten Jahre geben davon beredtes Zeugnis, wobei der Begriff »Metropole« freilich sehr relativ genommen werden muss. Von Nürnberg bis Ludwigshafen, von Dresden bis Essen scheint heute alles Metropole oder zumindest Metropolenregion zu sein. In den Rathäusern skandieren die Verantwortlichen: »Nie mehr zweite Liga!« wie im Fußball, denn alle wollen in die Champions League. Dazu hat inzwischen fast schon jede Mittelstadt auch ihren eigenen Rapper, Songwriter oder ihre Bayern-Brass-Bands, die ihre eigene Stadt entweder als die schönste oder die schmutzigste, jedenfalls aber als tollste weit und breit besingen. Diese Kulte reichen schon weit hinunter bis auf die Kleinstadtebene, wo das T-Shirt »I love Castrop-Rauxel« bereits längst gedruckt ist. Berlin kontert darauf gerade gewohnt rotzig: »Ich will ein Berliner«, wobei der Typ auf dem T-Shirt sowieso schon relativ zerknittert aussieht – es kann also nicht das erste Berliner Pils gewesen sein.

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B eheimatung ins G rosse Dem allem kann man viel Erheiterndes abgewinnen, wenn man darin provinzielle Klimmzüge sehen mag, die in Berlin freilich oft auch nicht besser aussehen. Doch verkneife ich mir hier einen Kommentar zur letzten Hauptstadtkampagne »Be Berlin« und gehe stattdessen zu einer seriöseren Betrachtungsweise über. Dann ist diese Entwicklung doch offenbar aufschlussreich insofern, als sie uns Einblicke in das aktuelle Seelenleben der heutigen Stadtgesellschaften bietet. So könnte man hinter all diesen Anstrengungen auch ernsthafte Versuche einer neuen »Beheimatung ins Große« sehen. Denn wenn wir uns an die Debatten der 1970er und 80er Jahre erinnern, in der die dörflich-kleinstädtische Welt mit Heimatsyndromen überzogen wurde, so ließen sich analog dazu heute Ansätze einer neuen städtischen, ja großstädtischen Heimatdebatte sehen, in der offenbar ein ambivalentes Bedürfnis Ausdruck findet, beides zugleich sein zu wollen und zu können: Lokalbürger wie Globalbürger. Bei diesen urbanen Bewegungen und Initiativen spielen daher auch alte und neue städtische Narrative eine ganz zentrale Rolle: Stadtgeschichten, Stadtbilder, Stadtmythen, die Nahes und Vertrautes vielfach in neues Licht tauchen, die ihm neue Bedeutsamkeiten verleihen sollen. Und bei diesen Bedeutsamkeiten geht es immer um beides: einerseits um »Masse und Infrastruktur«, andererseits um »Klasse und Kultur«. Masse und Infrastruktur meint dabei Bevölkerungszahlen und Wirtschaftskraft, U-Bahn-Systeme und Shopping Malls. Ich kann mich noch gut an Kongresse in Düsseldorf erinnern, auf denen der damalige und dortige Ministerpräsident Clement vorrechnete, dass die Metropolenregion Ruhrgebiet, wenn man nur Luxemburg noch dazunähme, auf fast 12 Millionen Einwohner komme, von der Zahl der Autos, der Industriearbeitsplätze und der zu Kulturzentren umgebauten Zechen gar nicht zu sprechen. Bei »Klasse und Kultur« wiederum geht es um Stadttheater und Konzerthallen, um ethnische Gastronomie und karibische Musiklokale, um Karnevals-, Street- oder Love-Paraden (auf jeden Fall aber: Paraden). Und es geht unbedingt um städtische Strände und Beachklubs, die der Innenstadt »mediterranes Flair« verleihen. Ich war kürzlich selbst in Bochum am Strand, der direkt zwischen Eisenbahnlinie und Durchfahrtstraße liegt, gleich neben dem »Bermuda-Dreieck«. Nicht sehr apart, aber eben typisch für das Ruhrgebiet nach dem Motto: Wenn schon Strand, dann wenigstens keine nassen Füße! Solche Neuentwürfe städtischer Identität verlangen in der Tat neue Stadtbilder, neue urbane Legenden, neue Geschichtsmonumente – kurz: eben eine neue Stadtgeschichte als Gesamtkunstwerk, die von historischen Orten, Daten und Bedeutungen erzählt, um daraus eine noch bedeutsamere Zukunft entwickeln zu können. Deshalb wird hier vor allem immer davon erzählt, dass gerade »unsere Stadt« schon immer besonders vielfältig, besonders offen, besonders weltzugewandt war. Denn dies scheint auch das historische und kulturelle Ka-

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pital zu sein, das die großen Städte heute benötigen: den Ausweis des Urbanen, die Fähigkeit zur Synthese von sozialer und kultureller Vielfalt. Wir müssen also registrieren, dass wir heute in einem Paradigmenwechsel befangen sind, der vom historischen Bild der »lokalen« Stadt hinführt zu dem der »offenen« Stadt. Und damit natürlich zu einer Stadt, in der das lokale Bürgertum »immer schon« die Fähigkeit zu global-orientiertem Denken und Handeln besaß. Diese Entwicklung würde jedenfalls als Reaktion gut zu jenen Warnschüssen passen, die vor einigen Jahren aus den USA kamen. Dort hatte der Wirtschaftswissenschaftler Richard Florida eine Untersuchung der Zukunft der amerikanischen Städte unternommen. Er machte dies an harten Stadtortfaktoren und ökonomisch-sozialen Qualitäten fest und fand dabei heraus, dass die Zukunft der Städte – der großen wie kleinen – vom Verhalten der »kreativen Klasse« abhänge. Zu dieser »kreativen Klasse« gehört für Florida ein Viertel bis ein Drittel der städtischen Bevölkerung, von den Kreativen in Kulturindustrie und Wissenschaft bis zu denen der Technologieindustrie. Diese sozialen Gruppen wählen sich ihren Arbeits- und Lebensort aus nach Kriterien der von ihnen erwünschten und dort verfügbaren Lebensqualität. Sie wollen eine Lebenswelt mit sozialer Toleranz und ethnischer Vielfalt, mit kulturellen Angeboten und offener Atmosphäre, mit Theater, Oper und Museum einerseits und Musik- und Kunstszenen, urbanen Jugendkulturen und ethnischer Gastronomie andererseits. Florida hatte seine Ergebnisse dann in einem provozierenden Aufsatz pointiert, der den Titel trägt: »Warum Städte ohne Schwulenszene und Rockmusik keine wirtschaftliche Zukunft haben«1 . Und die Botschaft hatte natürlich insbesondere im amerikanischen Mittleren Westen wie eine Bombe eingeschlagen, weil dies dem Ideal amerikanischer Spießbürger und Evangelikaler nicht unbedingt entspricht. Viele der dortigen Stadtkämmerer jedenfalls begannen plötzlich Texte zur Stadttheorie zu lesen.

»U rbanität«: ein P ar adigmenwechsel? Nun ist Floridas Befund weder wirklich neu, noch schlichtweg so für Deutschland zu übernehmen. Immerhin ist es aber ein substanzieller Hinweis darauf, dass zentrale Gruppen städtischer Gesellschaft vergleichsweise mobil sind und eben auch in der Lage, sich ihre Standorte entsprechend ihren Bedürfnissen zu wählen bzw. zu gestalten. Und ihre Mobilität wie ihre Gestaltungsbereitschaft zielt auf die Teilhabe an urbaner oder gar metropolitaner Kultur.

1╯ |╯O riginal: »The Rise of the Creative Class. Why cities without gays and rock bands are losing the economic development race«, in: Washington Monthly, 03/2002.

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Auch jenseits von Florida scheint dieser Paradigmenwechsel zu einer neuen Wertschätzung und Gestaltung urbaner Qualitäten nachvollziehbar. Als stadtbürgerliche Tugenden gelten nicht mehr unbedingt Anciennität und Bodenständigkeit, wie das über Jahrhunderte der Fall war, sondern vermehrt Mobilität und Identifikationsbereitschaft. Gerade in den deutschen Großstädten ist dies in den letzten zwei Jahrzehnten – also nach 1989! – besonders offensichtlich geworden: Städtedebatten und Städterankings finden große Aufmerksamkeit; der Städtetourismus ist gerade auch innerdeutsch explosionsartig angewachsen; neu Zugezogene engagieren sich oft in ungewöhnlicher Weise in ihrer »neuen« Heimatstadt, die gewissermaßen als räumliches Pendant einer »Lebensabschnittsbeziehung« betrachtet wird. Gerade in Berlin wird dies überdeutlich sichtbar, wo in den letzten beiden Jahrzehnten fast ein Drittel der Stadtbevölkerung zugezogen ist. So ist es auch kein Wunder, dass auch gerade hier in den Debatten um die Zukunft der Hauptstadt der Stadtbürgermythos allmählich zurücktritt hinter Metropolenmotiven, in denen spätmodernen »Nomaden und Migranten« eine neue und eben durchaus auch identitätsstiftende Rolle zugeschrieben wird. Belege für diesen Paradigmenwechsel lassen sich daher auch in der Arbeit der Stadtmuseen finden. So ist auffällig, wie viele Ausstellungen in den letzten Jahren veranstaltet worden sind, in denen historische wie aktuelle Migrationsbewegungen Thema waren. In oft wirklich rührenden Texten werden da »unsere Hugenotten«, »unsere Polen«, »unsere Juden«, »unsere Italiener« und manchmal eben auch »unsere Türken« gewürdigt, die wir schon vor 20 und 40 oder vor 100 und 400 Jahren angeblich mit offenen Armen aufgenommen haben. Mit dieser Neubewertung des Migrantischen korrespondieren auch die neuen Erfahrungen des Touristischen. Das bezieht sich einerseits auf den Städtetourismus, der, von außen kommend, unsere Städte deutlich umgestaltet. Andererseits werden wir in unseren eigenen Städten zunehmend selbst zu Touristen, zu Nomaden in der eigenen Stadt. Denn auch wir suchen hier nach kulturellen Attraktionen und Exotika, nach lebendigen Wohnkiezen und uns bislang unbekannten Kulturszenen. So bietet Essen heute seine Zechen und Hochöfen den ehemaligen Bergmannsfamilien als Orte von Esskultur, Musikkultur und Theaterkultur an. Und Berlin ist neben vielem anderen längst die Welthauptstadt der Stadtführungen, welche die Stadtlandschaft in einem thematisch weitgespannten Spektrum erschließen: überwiegend auch für ansässige Berlinerinnen und Berliner. Offenbar also verändern sich die städtischen Selbstbilder und Selbstwahrnehmungen gegenwärtig dramatisch. Stadtraum steht nicht mehr nur für Arbeitsplatz und Verkehr, ist nicht mehr nur Bürgers Wohnzimmer und Hundeauslauf. Vielmehr wird er als eine tatsächlich urbane Landschaft erfahren und imaginiert, die vielfältig und vielgestaltig sein soll, abenteuerlich und exotisch, szenig und eventhaft. Und dies immer und mit Verweis auf die Geschichte – eben »authentisch«: Wir waren schon immer offen und weltstädtisch!

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Nun ist diese Urbanität natürlich nicht beliebig erfindbar. Vielmehr bedarf sie einerseits einer Plausibilisierung durch Geschichte und Kultur, also durch Belege einer urbanen Sozial- und Kulturgeschichte, wie sie sich eben auch in Infrastrukturen und Architekturen niedergeschlagen hat. Andererseits und zugleich ist diese historische Substanz auch in Bilder, in Medien, in Logos umgesetzt worden: Das historische Kapital bedarf eben auch der performativen Aufbereitung, um den Städten tatsächlich seinen Stempel aufdrücken zu können. Die Kunst- und die Eventpolitik sind diesem Trend schon längst gefolgt mit dem Trend zu spektakulären Ausstellungen, zu großen Konzerten, zu Massenpartys, zu großen Kongressen. Und die großdimensionierten urbanen Bauprojekte stehen ebenfalls schon Schlange, angefangen von der Elbphilharmonie in Hamburg bis zum Humboldt-Forum in Berlin. Die vielfach beschworenen »kulturellen Leuchttürme« werden also auch architektonisch durchaus leuchtturmförmig. Diesem Trend werden die Geschichtsmuseen folgen müssen. Und auch die Stadtmuseen stehen damit gewissermaßen am Scheideweg. Entweder werden sie weiterhin in gewisser Weise historisch konservative Verwalter einer lokalen Geschichtsschreibung sein, einer Geschichte der »Hiesigen und Einheimischen«, der eingesessenen Handwerker also, der alten Kaufleute, der Honoratioren, die sich stets als das Zentrum, als die »bürgerliche Seele« der Stadt geriert haben. Oder sie werden künftig eine stärker kultur- und sozialgeschichtliche Perspektive auf urbane Kulturen entwickeln müssen, in der die Stadt als ein Raum beständiger Produktions- und Neukonstruktionsprozesse von städtischen Lebenswelten erscheint. Dies wäre eine andere »urbane Kultur« und eine andere Stadt als die bisherige Heimatwelt des Spießbürgerlichen. Stadtgeschichte wäre dann ein nicht linearer Prozess mit offenem Ausgang, bei dem vielfältige Akteure, unterschiedliche Erfahrungen und durchaus auch gegensätzliche Interessen immer wieder neue Konstellationen herstellen und Kurswechsel erfordern.

S tadtgeschichte als P rozess : »O rte der F remden « Meine These also wäre: Stadtgeschichte ist nicht mehr primär in ihren »Resultaten« zu betrachten, sondern als »Prozess«! Damit werden Stadtmuseen künftig noch wichtigere »Verhandlungsorte« lokaler Identität. Denn dann sind sie nicht mehr primär Objektspeicher, sondern verstärkt Interpretatoren lokaler Überlieferung. Dann werden ihre städtischen Innen- wie Außenwirkungen zunehmen, weil sie Museumsorte zugleich für die Einheimischen wie – und dies ja auch oft schon über die städtische Homepage – Bilderlieferanten für die Außenwelt sind. Dann werden sie schließlich auch zum Produktionsort von repräsentativen Stoffen, Bildern und Narrativen, an denen sich lokale Zuordnungsstrate-

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gien und Zugehörigkeitsgefühle orientieren. Das Dabeisein und Dazugehören zu einer spezifischen Stadtlandschaft: Das sind identitäre Zuschreibungen, die an Bedeutung weiter gewinnen. Solche Tendenzen gelten für Bamberg und Bremen. Und sie gelten gleich dreimal für die großen Städte wie Berlin, Hamburg und München. Diese Bewegung ist nicht aufzuhalten, und sie hat natürlich auch ihre kommerzielle Seite, weil sie im Kontext von Werbung, Tourismus und Kapitalansiedlung steht. Diese Kontexte müssen auch bedacht und in Rechnung gestellt werden. Auch für die Stadtmuseen wird das so manches Mal eben auch den Abschied von der »reinen Lehre« bedeuten. Dennoch sollten sich die Stadtmuseen mit an die Spitze solcher Bewegungen setzen und nicht ihre Nachhut bilden. Sie sollen und müssen sich mehr an der identitären und imaginativen Stadtgestaltung beteiligen, gerade weil sie das historische Kapital und die lokale Erinnerung verwalten. Mein Titel »Wem gehört die Stadt?« will diese Problematik zuspitzen: als Tendenz eben auch zu einer Re-Politisierung der Stadtgeschichte als Aufgabe urbaner Museumspolitik. Das ist in der Tat eine konzeptionelle Entscheidung, denn Re-Politisierung meint, dass urbane Räume und Identitäten künftig umstrittener und umkämpfter werden, dass sie damit aber auch deutbarer und offener werden müssen. Stadtmuseen werden damit zu noch öffentlicheren Orten und Räumen, in denen eben nicht nur Laienhistoriker und Heraldikfans Aufenthalt nehmen, sondern auch neue Nutzergruppen und Nutzungsweisen, die Geschichte »unmittelbar« vorfinden und anwenden wollen – in biografischen wie familiengeschichtlichen, in hobbyförmigen wie beruflichen Kontexten. Stadtmuseen müssen insofern mit ihren Stadtgesellschaften noch veränderungsfähiger werden. Natürlich hat dies Konsequenzen. Ich will diese ganz kurz in vier Stichworten skizzieren: Erstens bedeutet das eine Re-Formulierung der Stadtgeschichte mit einem neuen Ausgangs- und einem neuen Zielpunkt. Um mit Georg Simmel zu sprechen, erscheinen Städte dann verstärkt als Orte der Fremden, die »heute kommen und morgen bleiben«. In denen damit aber auch »Fremdheit« bleibt, nachhaltig und dauerhaft. Städte sind insofern bereits in der Geschichte stets migrantische Produkte. Sie bilden einen Ort und einen Raum, in denen Vielfalt und Verschiedenheit, Differenz und Fremdheit ein spezifisches soziales und kulturelles Kraftpotenzial ergeben. Die vielstrapazierte Metapher von der Stadt als der »ständig Werdenden« verweist hier auf eine konkrete Substanz, die sich am ständigen Spannungszustand und an der Prozesshaftigkeit stadtgesellschaftlicher Entwicklungen festmacht. Damit wird ein neues Augenmerk auf jene sozialen Gruppen zu richten sein, die ständig in Bewegung sind und die dadurch auch die Stadt ständig in Bewegung halten: auf jene Gruppen der Arbeiter, der mobilen Gewerbetreibenden, der Migranten, auch der Touristen, die jene klassische Einteilung in »Einheimische und Fremde«

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weithin obsolet machen. Statt der »lokalen Geschlechter«, die als Aushängeschild lokalen Bürgertums die Entrées der Stadtmuseen schmücken, wären die »Gesichter der Stadt« gerade in wechselnden Akteuren und Erscheinungsformen zu suchen. Zum Zweiten wird damit deutlich, dass sich die Stadtmuseen selbst damit als Narrative begreifen müssen. Sie verkörpern die Idee der lokalen Repräsentation: dass die gesammelten Dinge und die ausgewählten geschichtlichen Ausschnitte für diese Stadt hier stehen, dass sie als Ensemble diese Stadt »sind«. Diese Funktion macht die Einrichtung des Stadtmuseums natürlich zu einem Interpretament, zu einem paradigmatischen Ort, der in diesen scheinbar festliegenden, quasi »natürlichen« Bedeutungen und Deutungen existiert. Deshalb müssen auch die von ihm projizierten Wir-Bilder neu hinterfragt werden ebenso wie die damit verbundenen Modelle der kollektiven Erinnerung und Imaginierung. Die Frage nach dem »Wer spricht?«, die in der Ethnologie in den letzten Jahren so häufig gestellt worden ist, muss also auch hier gestellt werden, im Museum. Und die Antworten darauf werden gewiss mehr eine Museumskonzeption stärken, in der an den Objekten statt ihrer scheinbaren Faktizität vielmehr deren Perspektivität betont wird. Das sollte in der Konsequenz dann auch mehr Deutungs- als reine Sammlungsarbeit bedeuten – und eben auch eine wieder stärkere Vernetzung mit anderen kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen. Zum Dritten setzt solch ein Paradigmenwechsel im Falle der Stadtmuseen natürlich auch spezifischen Mut voraus. Denn diese Aufgabe, die Stadt neu und anders zu beschreiben, ihre Identität als Ort wie ihr Narrativ als kollektives Gedächtnis zu verändern, zieht mindestens zwei Konsequenzen nach sich. Einerseits wird den Gegenständen und ihrem Sammlungscharakter nicht mehr automatisch eine »auratische« Objektqualität zugebilligt. Auratisch erscheint nämlich dann weniger die Objektwirkung als vielmehr die am Gegenstand entfaltete Deutungsarbeit. Nicht mehr Bewunderung der Gegenstände, sondern Interpretation der auf sie fallenden Blicke stünde im Zentrum jener Anstrengungen um den »erhellenden Hauch« aus der Geschichte, von dem Walter Benjamin immer wieder spricht. Das wird schwieriger und komplizierter, weil der »auratische Ort« damit nicht mehr im, sondern vor der Vitrine gefunden wird. Andererseits bedeutet ein Paradigmenwechsel hin zur städtischen Geschichte von Wandel und Bewegung als urbaner Leitmetapher eben auch, dass die Stadtmuseen vermehrt zu einem Speicher von nomadischem, heterogenem und veränderlichem Wissen werden, also nicht mehr zu einer lokalhistorischen Schaubühne, sondern eher zu einer offenen Infobox. Und dies bedeutet auch, dass sie sich mit ihrer bisherigen zentralen Klientel auseinandersetzen muss, also mit jenen Freundes- und Förderkreisen, die sich selbst stets dem imaginären Zentrum der Stadt zugerechnet haben, jenen Gruppen der lokalen Elite und Honoratiorenschaft, die sich auch immer »im Besitz« der

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städtischen Bilder und Geschichten wussten. Solche Emanzipationsprozesse werden nicht ohne Konflikte über die Bühne gehen. Und sie bilden gewiss eine zweite Folie, auf der eine Re-Politisierung der Stadtmuseen stattfinden kann und muss. Viertens schließlich kommen die Stadtmuseen nicht umhin, sich auch weiter in politisch aktuelle Kontexte hinauszuwagen. Denn nun sind sie vermehrt dazu aufgerufen, am städtischen »Branding« mitzuarbeiten, also auch an jenem Prozess des Stadtmarketings, in dem das kulturelle Kapital in soziales und ökonomisches umgesetzt werden soll. Am besten gleich »Flyer-fähig« und dabei so großartig wie New York und so heimatlich wie Castrop-Rauxel. Insofern bedeutet dies die Beteiligung an einem durchaus »kreationistischen« Unternehmen. Denn zwar wird hier nicht die Bibel neu geschrieben, aber die Stadtgeschichte und Stadtkultur doch in vieler Hinsicht neu erfunden. Und dabei wirkt die spätmoderne Kulturindustrie entscheidend mit, indem sie urbane Bilderfabriken schafft, deren Motive passförmig sein müssen zu den aktuellen Musik- und Filmszenen, zum Design- und Modemarkt, zu den Internet- und Touristenguides. In diesem Zusammenhang werden sich die Stadtmuseen als Moderatoren und Taktgeber bewähren müssen, weil die Beteiligung an dieser urbanen »Politik der Sichtbarmachung« immer stärker auch von ihnen verlangt wird. Weil sie zugleich aber auch eine der wenigen Instanzen sein können, die den darin innewohnenden starken Tendenzen zur urbanen Verkitschung möglicherweise noch kritisch entgegentreten können. Diese kritische Begleitung der entsprechenden ernsthaften Höhenflüge wie der geistigen Tiefflüge in der lokalen Kultur- und Standortpolitik wird also über kurz oder lang zum Alltagsgeschäft der Stadtmuseen gehören. Kurz und abschließend: Mein Ideal für die Zukunft wäre ein Stadtmuseum mit weniger Lokalismen und Regionalismen, mit weniger Bavaria und Berolina, stattdessen mit einer neuen Ausrichtung auf urbane Prozesse, auf urbane Synthesen und auf urbane Narrative. Der Spagat müsste gelingen, die Stadt einerseits als lokale und migrantische, als bürgerliche wie zivilgesellschaftliche Landschaft darzustellen und andererseits Perspektiven von drinnen und von draußen, von »heritage« und von »hybridity« darzustellen; Die Stadt als ein prozessuales Konstrukt: in seinen sozialen Prozessen wie in seinen imaginativen Bildern. Mein Ratschlag dazu wäre, dass sich die Stadtmuseen in diesem Sinne doch deutlich reflexiver zu ihrer eigenen Entstehungsgeschichte und zu ihrer Gründungsidee verhalten. Sie haben nie »die Stadt« verkörpert, sondern immer nur eine spezifische bürgerliche Repräsentationsvorstellung von ihr. Eine Vorstellung, die sich selbst zum Deutungszentrum der Stadt und der Welt erklärt hatte. Diese Idee trägt heute nicht mehr. Meine Frage »Wem gehört die Stadt?« war und ist insofern also auch eher rhetorisch, denn die Antwort darauf liegt auf der Hand. Die Stadt gehört eben jenen Bildern und Narrativen, die in sie

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mitgebracht und die in ihr entwickelt werden. Und die Sichtbarmachung der daran beteiligten Akteure, Traditionen und Ideen: Das wäre Aufgabe und Kompetenz musealer Deutungsarbeit. Dann wäre Stadt auch nicht mehr einfach nur »Ort«, sondern vielmehr »Raum«: Raum von Bewegungen und Begegnungen, von Verständigungen und Konflikten, die urbane Kultur ausmachen. Dies mehr in den Vordergrund zu rücken: die Rolle der Städte als Bühne des Globalen im Lokalen – darum kann, muss, wird es gehen.

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Zur gesellschaftlichen Legitimität von Museen Stephen E. Weils Beitrag zur Debatte 1 Volker Kirchberg

Die Diskussion um die gesellschaftliche Öffnung und Bedeutung von Museen wird seit mindestens 40 Jahren in Deutschland nicht nur deskriptiv und analytisch, sondern auch normativ geführt (vgl. Kirchberg 2005: 98ff.).2 Diskutiert wird darüber allerdings weniger auf den Leitungsebenen der Museumslandschaft, obwohl sich scheinbar hinsichtlich der programmatischen Äußerungen der Museumsverbände (vgl. zum Beispiel Museumskunde Band 73/2, 2008) ein anderer Eindruck ergibt. Vielmehr sind es vor allem Verantwortliche spezifischer Museumstypen, wie jener in den 1970er Jahren gegründeten Museen der Arbeit, oder auch von städtisch orientierten Heimatmuseen sowie im Hinblick auf die sonstige Museumslandschaft Tätige an der (vermeintlichen) Peripherie der Museumsorganisation. Damit sind Vertreter der Museumspädagogik oder -vermittlung, der Öffentlichkeits- und Haushaltsabteilungen oder von Politik 1╯ |╯I ch danke Annette Grigoleit für Anregungen und Kommentare, die die Überarbeitung dieses Essays begleitet haben. 2╯ |╯E rste Impulse für diese Diskussionen über die Selbst- und Fremdverständnisse musealer Bedeutungen und Aufgaben bzw. Funktionen wurden zur Wende des 19. und 20. Jahrhunderts in Deutschland auf der Leitungsebene des Kunstmuseumsbereichs z.B. von Fritz Wichert in Mannheim und Alfred Lichtwark in Hamburg gesetzt (Fath 2003, Leppien 1987). In den 1970er Jahren wurden die Diskussionen in Verbindung mit dem Begriff der »Neuen Museologie« fortgeführt. Dabei wurde gefordert, den traditionalen musealen Aufgabenkanon um die Aufgabe des »Dienens an der Gesellschaft und ihrer Entwicklung« zu ergänzen und demokratisch-partizipative Ansätze in der Museumsarbeit zu implementieren, d.h. dialogorientiert und kooperativ die (vor Ort angesiedelten) bislang nicht beachteten gesellschaftlichen Gruppen einzubinden (Kirchberg 2005: 169ff.).

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und Verwaltung gemeint, die sich mit der Frage einer gesellschaftlichen Öffnung der Museen auseinandersetzen und diese fordern. Die Verantwortlichen für die musealen Aufgaben- und Funktionsbereiche des Sammelns, Forschens und Bewahrens und damit die Mehrheit der Museumsdirektoren, die in diesen Bereichen insbesondere ihre professionelle Herkunft haben, sehen diese Diskussion und die Umsetzung eines entsprechenden »public programming« als sekundär für ihre museumskonzeptionelle Arbeit an. Externe gesellschaftliche Gruppierungen, die Interesse am Museum haben und nicht in die etablierten Organisationsstrukturen von Kultur und Kommune eingebunden sind, gelten als störend bei der Bewältigung der musealen Aufgaben und Funktionen, die nach innen und damit an Experten gerichtet sind. Besucher und Besucherorientierung gelten als Beigabe der »wirklichen« Museumsarbeit. Aber vielleicht sind nicht alle deutschen Museumsverantwortlichen hier über einen Kamm zu scheren; die Annahme einer geringen Relevanz einer nicht museumsfachspezifischen Öffentlichkeit für die Museumsarbeit gilt sicherlich eher für Kunstmuseen als für Naturkundemuseen und eher für nationale Geschichtsmuseen als für lokale Heimatmuseen. Dieser Essay möchte die Debatte um die gesellschaftliche Öffnung der Museen um eine in Deutschland bislang zumeist unbekannte Perspektive ergänzen. Damit ist die Vorstellung und Forderung gemeint, dass sich die Museumsmitarbeiter/-innen nicht nur museumsspezifisch oder im Rahmen der Museumspädagogik, der Einnahmenakquisition oder der Öffentlichkeitsarbeit freiwillig, rudimentär und temporär mit Fragen der gesellschaftlichen Einbindung und Öffnung für museumsexterne Gruppen und deren Vorstellungen und Erwartungen an die Museumsarbeit beschäftigen. Gefordert wird vielmehr, dass die Auseinandersetzung mit diesen Fragen für die gesamte Bandbreite der Museumsarbeit von elementarer Bedeutung und zugleich als elementarer Faktor für die langfristige Existenzberechtigung von Museen gewichtet sein sollte. Dieser Forderung einer gesellschaftlichen Legitimierung von Museen wird in der US-amerikanischen Museumslandschaft aufgrund einer dort politisch gewollten und gesellschaftsspezifisch auch tradierten gesellschaftlichen Einbindung weitaus stärker und breitenwirksamer entsprochen als in Deutschland.3 Einer der wichtigsten Vertreter dieser Forderung war Stephen E. Weil (19282005). Im Folgenden möchte ich seine zentralen Ideen bzw. Ideale vorstellen, da er in besonderer Weise die gesellschaftlichen Bedeutungen und Wertzuschreibungen im Hinblick auf Museumsinstitutionen von ihrer vielfältigen gesellschaftlichen Legitimität abhängig machte. Diese Ausführungen können 3╯| ╯S o hat die Association of American Museums (AAM 2002) schon vor mehr als zehn Jahren die Initiative »Museums and Communities« gegründet, um Museen als Katalysatoren der Entwicklung der Zivilgesellschaft einzusetzen (siehe www.aam-us.org/ sp/m-and-c.cfm).

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auch als Anregung für die Debatten in Deutschland verstanden werden, die Relevanz dieser Ideen und Ideale für die deutsche Museumslandschaft breitenwirksamer und auf allen Ebenen der Museumsarbeit grundlegend und auch im Hinblick auf die Möglichkeiten der Übersetzbarkeit und Implementierung zu diskutieren. Stephen E. Weils berufliche Karriere verlief zunächst nicht unähnlich wie die anderer Museumsdirektoren (zum Beispiel des Chicago Institute of Arts, des Metropolitan Museum of Arts oder des Museum of Modern Art). Nach dem Juraexamen an der New Yorker Columbia-Universität (1956) wurde er Partner in einer angesehenen Rechtsanwaltskanzlei in derselben Stadt, womit seine Laufbahn einen erfolgreichen Anfang nahm. Seine Spezialisierung auf das Sammeln und Ausstellen war Voraussetzung für seine Ernennung zum juristischen Berater der Marlborough Gallery (1963-1967). In der Folgezeit setzte sich sein beruflicher Aufstieg mit seiner Berufung zum Vorstandsmitglied des Whitney Museum of Modern Art in New York (1967-1974) fort. Den endgültigen und bewussten Schritt,4 der Stephen E. Weil weg von der Ebene der juristischen und hin zu der künstlerischen Leitung brachte, vollzog er im Jahre 1974 mit der Übernahme der stellvertretenden Direktorenposition des Hirshhorn-Museums für zeitgenössische Kunst an der Smithsonian Institution in Washington D.C. Mit seiner Pensionierung 21 Jahre später zog er sich nicht aus dem Museumsleben zurück; im Gegenteil, als »senior scholar emeritus« wurde er der »Chefdenker« des Smithsonian Center for Education and Museum Studies. In dieser neuen Position wurde er bekannt für seine offenen und häufig provokativen Aperçus und Vorträge, die er in mehreren Bänden von 1983 bis 2002 veröffentlichte (vgl. Weil 1983, 1990, 1995, 2002). Dem amerikanischen Pragmatismus John Deweys folgend entwickelte sich Weil spätestens seit den 1980er Jahren zu einem vehementen, aber immer juristisch abwägenden und nicht zuletzt an dem Prinzip »in dubio pro reo« orientiert argumentierenden Gegner eines exklusiven »hochkulturellen« Museumsbetriebs, der sich allein selbstreferenziell bewertet und rechtfertigt. Während unzähliger key note speaker-Einladungen, Tagungen und Workshops formulierte er zunehmend klarer und im Laufe der Jahre auch radikaler sein zentrales kritisches Anliegen. Das besteht darin, auf die Frage, ob und inwieweit die Existenz der Institution Museum und Museumsfinanzierungen, egal, ob sie staatlich oder privat legitimiert sind, eine Antwort zu finden. Eine Antwort auf diese Frage findet sich seiner Meinung nach nicht im Museum, bei den Mäzenen oder in der Kulturpolitik, sondern in der zugeschriebenen Legitimität externer und sozio-kulturell differenter Gruppen, die sich für die Museumsinstitution interessieren und diese besuchen. Dies setze die vielschichtige Auseinander4╯ |╯D iesen Schritt verübelten ihm nicht wenige seiner damaligen Kollegen und späteren Museumsdirektoren (vgl. Linnett 2007).

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setzung mit den und die Einbindung der verschiedenartigen Perspektiven, d.h. Vorstellungen von den und Erwartungen dieser museumsexternen Gruppen an die Institution, voraus. Die Museumsmitarbeiter sollten mit diesen Gruppen einen contrat social schließen und diesen für die Begegnungen und Wechselwirkungen als basal betrachten. Sein »Urerlebnis«, das langfristig seinen kritischen Fokus auf die Museumsinstitution beförderte, hatte Stephen E. Weil im Jahre 1970 während seiner ersten Teilnahme an einer Konferenz der Association of American Museums (AAM) in New York City, als Mitglieder einer Protestgruppe für die Rechte der Künstler das Plenum erklommen und verlangten, dass »[…] their resources would henceforth be devoted to wiping out war, racism, sexism, and repression« (Weil 1983: xii). Zu diesem Zeitpunkt fühlten sich weder er noch die anderen Teilnehmer dieser Tagung berufen und fähig, diesen Forderungen nachzukommen, aber dieses Ereignis klang in ihm nach. 1995 nannte er den »Sturm« auf das AAMPlenum als einen der Gründe, warum man in US-amerikanischen Museen seit den 1970er Jahren begonnen hätte, über die eigenen gesellschaftlichen Werte und Verantwortungen nachzudenken (Weil 2002: 95). Obwohl er die Protesttaktiken der Podiumsstürmer nicht guthieß, befand er – aufgrund der nun eigenen langjährigen Erfahrungen – die Forderungen nicht nur für legitim, sondern auch für notwendig. Seine kritische Haltung entwickelte sich seit diesem besonderen Ereignis jedoch nicht im Sinne einer Damaskus-Erleuchtung, sondern langsam über einen mehrjährigen Zeitraum. So betonte er noch 1972, dass sich ›das Kunstmuseum‹ hinsichtlich der Gesellschaft wie ›ein Kloster‹ zu verhalten hätte, in dem eine autonome und eingeschworene Gemeinschaft von Experten dafür sorgen würde, dass die bildende Kunst eine besondere Gabe für eine ausgesuchte Menschheit bliebe (Weil 1983: 31). Zudem sollten die musealen Aufgaben und Funktionen des Sammelns und Bewahrens immer bedeutsamer bleiben als die des Bildens und Vermittelns. Vier Jahre später (1976) kommentierte er mit weitaus kritischeren Tönen die Tendenz vieler Museumsverantwortlicher, ihre Institutionen bzw. Organisationen aus der »Schusslinie« gesellschaftlicher Prozesse zu nehmen und sich unter Berufung auf die etablierte Vorstellung einer Museumsautonomie vor gesellschaftlicher Verantwortung zu drücken. Dies wäre aber unmöglich, denn es gäbe keine speziellen Schutzmechanismen für Museen mehr, »no Michelangelo-esque Moses … proclaiming: »These are my people. They are better; they are different. Let them go« (Weil 1983: 115). In den 1980er Jahren betrachtete er Sammlungen nicht mehr als Selbstzweck, sondern als Mittel, um damit vielfältige gesellschaftlich relevante Zwecke zu realisieren. Er begab sich nun bewusst auf die Suche nach derartigen Zwecksetzungen, die die Museen in verschiedene gesellschaftliche Zusammenhänge einbinden könnten. Ohne zu diesem Zeitpunkt bereits fähig gewesen zu sein, diese zu benennen, wusste er jedoch bereits, dass genau hierin der Schlüssel für eine vielschichtige ge-

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sellschaftliche Legitimation der Existenz und damit auch der gesellschaftlichen Förderung von Museen liegen würde. Anfang der 1990er Jahre artikulierte Stephen E. Weil seine Skepsis gegenüber den bisherigen inhärenten Begründungen für Museen differenzierter. Didaktisch brillant und gespeist aus seiner langjährigen Praxis als Rechtsgelehrter veranschaulichte er seine Argumente für eine gesellschaftlich basierte museale Legitimität mit »Gedankenspielen« (»thought experiments«), die er mit der Aufforderung zur kritisch-reflexiven Diskussion verband. Damit sind fiktive Fallbeispiele aus der Museumswelt gemeint, wie zum Beispiel der Fall eines exzellent geführten und gut ausgestatteten Museums, das trotz der optimalen und wirtschaftlich exzellenten Ausführung der Aufgaben und Funktionen des Sammelns, Bewahrens, Forschens und Ausstellens lächerlich – oder sogar gesellschaftlich nachteilig – sei, da es zum Beispiel als »nationales Zahnstocher-Museum« keinen vielfältig gesellschaftlich legitimierten Zweck vorweisen könne (Weil 1990: 43-56). Da das Museum nicht autopoietisch aus sich selbst heraus seine Existenz begründen dürfe, müssten die Nutzer des Museums für dessen Legitimation sorgen: »Rather than holding itself forth as the authoritative or exclusive source of historical interpretation or aesthetic judgment, the museum would hope to enlist the visitor as a collaborator who might, in turn, develop his own sense of heritage, causality, connectedness, and taste« (Weil 1990: 55). Bourdieus (1982) theoretisches Konstrukt »der feinen Unterschiede«, d.h. eine durch die Gesellschaft vorgenommene umfassende soziale Statuszuordnung ihrer Mitglieder aufgrund ihres (popular- und hoch-)kulturellen Geschmacks, half ihm, auch sozialwissenschaftlich unterlegt argumentieren zu können. Weil verstand sich als Verteidiger der Museen vor dem Gericht der Gesellschaft. Um aber ihre Daseinsberechtigung gewährleisten zu können, müsse sich das Museum als eine Bühne des offenen Diskurses für alle Nutzer wie auch potentiellen Nutzer beweisen (Weil 1995: 108). Spätestens mit Bekleidung seiner Position als »Senior Scholar Emeritus« Mitte der 1990er Jahre dekonstruierte er die traditionellen Werte und Legitimationen des Museums grundlegend und nachhaltig. Stephen E. Weil (1995) postulierte generell, dass Museen keinen inhärenten Wert hätten. Als eine Organisation sei jedes Museum eine Schöpfung der jeweiligen dort arbeitenden Individuen, deshalb nicht als sakrosankt, sondern grundsätzlich als fehlerbehaftet und skeptisch zu betrachten; es sei nichts anderes als eine Fabrikation einer Gruppe machtvoller Menschen, die damit ihre spezifisch persönlichen bzw. organisationsbezogenen Ziele verwirklichen wollten. Weil illustrierte dies mit dem Vergleich zwischen dem United States Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C. und dem Coca-Cola-Museum »The World of Coca Cola« in Atlanta. Obwohl beide exzellente Marketing- und Public-Relations-Arbeit leisteten und die neuesten technischen Medien der Vermittlung einsetzten, bewertete Weil das Holocaust-Museum im Hinblick auf eine gesellschaftliche Legitimität

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weitaus höher als das Coca-Cola-Museum. Denn jenes präsentiere im Gegensatz zu diesem einen historisch und gesellschaftlich relevanten Gegenstand und erfülle über eine gelungene Vermittlungsleistung eine wichtige generationen- und gesellschaftsübergreifende Aufgabe. Dieses Vergleichs- und Unterscheidungskriterium habe nun nicht nur akademischen Wert, sondern solle konkret bei der Entscheidung helfen, ob und inwieweit ein Museum finanziert werde (Weil 1995: xv). Laut Stephen E. Weil würden bei solchen Budgetfragen immer »hardballs« statt »creampuffs«5 eingesetzt (Weil 1995: 33ff.). Die Bewertung der gesellschaftlichen Relevanz von Museen bedürfe als Argumentationsgrundlage insbesondere auch für Haushaltsdebatten deutlicherer Standards. Stephen E. Weil hat deshalb in Zusammenarbeit mit Kollegen aus dem Museumsfeld und dem Dritten Sektor der Gemeinnützigkeit solche Bewertungsstandards formuliert (vgl. Weil 1995: 19ff.). Dabei wird nicht nur eine deutliche Trennung von Mittel (also effiziente Budgetverwaltung, erfolgreiche Ausstellungsgestaltung oder großes Medienecho) und Zweck (also gesellschaftliche Relevanz) gefordert. Zudem soll sich die Erarbeitung dieser Bewertungsstandards an Ansätzen aus der Moralphilosophie und den Sozial- bzw. Politikwissenschaften, aber nicht aus den Museumswissenschaften orientieren. Denn diese könnten durch ihre ausgeprägte Selbstreferenzialität solche Kategorien nicht selbständig entwickeln (Weil 2002: 28ff.). Mit der Forderung der Trennung von Mittel und Zweck verbindet sich eine weitere, nämlich Museen ausschließlich über die Realisierung ihrer gesellschaftlichen Zwecke (ends) und nicht über die wirtschaftliche Verwendung ihrer Mittel (means) zu bewerten. Der ultimative Zweck eines Museums bestehe in der Verbesserung der Lebensqualität der spezifischen soziokulturellen Gruppen, die mit der Museumsorganisation in Wechselwirkung ständen und an die sich die Museumsarbeit adressiere. Der Mitteleinsatz (Geld, Mitarbeiter, Besuchszahlen, Sammlungsgröße, Renommee etc.) dürfe dabei keine Bewertungskategorie sein. Leider, so Weil in seinem 1998er Aufsatz »From Being about Something to Being for Somebody« (Weil 2002: 28ff., kursiv im Original), dächten Museumsakteure weitaus mehr über ihren Mitteleinsatz als über die gesellschaftliche Bedeutung der jeweiligen Museumsinstitution nach. Vielmehr würden in der Museumslandschaft (aber auch in der unterstützenden Kommune) Mittel und Zweck häufig verwechselt. Umfangreiche Sammlungen, behördliche und politische Belobigungen, ein gutes Management, gutes Fundraising und häufig das Argument der Pfadabhängigkeit6 rechtfertigten nicht die positive Bewertung eines Museums. Ein allein 5╯| ╯» Die Samthandschuhe müssen ausgezogen werden, es wird mit harten Bandagen gekämpft.« (Übersetzung VK) 6╯| ╯P fadabhängigkeit meint hier, dass die Existenz eines Museums seine Existenz legitimiert.

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betriebswirtschaftlich ausgerichtetes Museumsmanagement realisiere nur die Optimierung der Mittel. Doch der erfolgreiche Einsatz von Managementtechniken sei immer mit der Gefahr verbunden, Selbstzweck zu sein und den gesellschaftlich relevanten Zweck eines Museums nicht nur zu verfehlen, sondern negativ zu beeinflussen. Museen und deren Mitarbeiter leiteten das Bestandsrecht ihrer Organisation per se »aus sich selbst heraus« ab, sie verständen diese fälschlicherweise als gesellschaftlich außenstehende Instanzen und seien stolz auf diese »Autonomie« (ebd.). Was sind aber für Stephen E. Weil nun die zentralen Zwecke von Museen? Was bedeutet das Bewertungskriterium der »gesellschaftlichen Relevanz« für den konkreten Fall? Welche Bedeutung hat das Museum als Baustein der Zivilgesellschaft? Wie kann die Museumsarbeit zudem Ursachen und Folgen gesellschaftlicher Ungerechtigkeit, Benachteiligungen und Diskriminierungen, Armut und Unbildung entgegenwirken? Zentraler Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Fragen liegt in Weils Annahme, dass jedes Museum ausgewählten Ausschnitten der Gesellschaft zu dienen habe, die er mit dem Begriff der Gemeinschaft (»communities«) bezeichnet. Damit verbindet der Museologe den Anspruch des »public programming« eines Museums, worunter er die Öffnung des Museums für spezifische Gemeinschaften versteht, also die Umsetzung von Erfahrungen und Interessen dieser Gemeinschaften bei Ausstellungsideen und Ausstellungsgestaltungen wie im Rahmen von grundlegenden museumskonzeptionellen Überlegungen. Stephen E. Weil war bewusst, dass der Begriff der Gemeinschaft sehr weit gefasst ist, und forderte deshalb, dass die »communities« sich über einen gemeinsam auszuhandelnden Zweck bestimmten.7 Ausgehend von der Forderung, dass Museen verschiedenen Gemeinschaften dienen sollten, unterscheidet bzw. kategorisiert Weil verschiedene gruppenspezifische bzw. gesellschaftlich legitime Zwecke. Nach der Auseinandersetzung mit sowie der Umsetzung und Verankerung zumindest einer Reihe dieser Zwecke in der Museumsarbeit dürfe sich ein Museum als ›erfolgreich‹ 7╯ |╯E ine sinnvolle Ergänzung und Konkretisierung des Weil’schen Gemeinschaftsbegriffes findet sich bei Claudine K. Brown (2004). Ähnlich wie Weil betont sie, dass sich Museen verstärkt sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen (ethnische Minderheiten, Arme) zuwenden müssten. Ergänzend dazu differenziert sie zwischen Familien, Bezugsgruppen und Gruppen, die sich über die gemeinsame Bildung, den gemeinsamen Wohnstadtteil, den gemeinsamen Arbeitsplatz und insbesondere die gemeinsame Erfahrung als Gemeinschaft definieren. Ein Beispiel dafür wäre das Washingtoner Anacostia Stadtteilmuseum, das die Wohnbevölkerung dieses Stadtteils nicht allgemein, qua geographische Nähe, an sich binden konnte, sondern konkret durch eine Ausstellung über Ratten, denn die Rattenplage war zum Zeitpunkt der Ausstellung ein Gemeinschaft definierendes Erlebnis der Bevölkerung dieses Stadtteils.

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bezeichnen und trage damit zu der basalen gesellschaftlichen Zwecksetzung bei, die Welt bzw. das Leben der Menschen zu verbessern. Die folgende tabellarische Darstellung einer Reihe gesellschaftlicher Zwecke für die Bewertung der Museumsarbeit (Tabelle 1) basiert auf meiner Kategorisierung der in Stephen E. Weils Publikationen hierzu vorzufindenden Aussagen (vgl. Weil 2002: 7-21, 28-49, 55-74). Tabelle 1: Sinnvolle gesellschaftliche Zwecke als Bewertungskriterien von Museen nach Stephen E. Weil Ebene

Generelle Ziele

Detaillierte Ziele

Soziale Ebene

Allgemeiner gesellschaftlicher Nutzen

soziale Ziele (z.B. soziale Gerechtigkeit) pädagogische Ziele ethnische Ziele physische Ziele spirituell-religiöse Ziele psychologische Ziele ökonomische Ziele

Sozialstruktureller Nutzen

Verfestigung sozialer Teilnetzwerke Schaffung und Stärkung sozialer Identität

Vermittelnder Nutzen

Mediator adverser (d.h. interessensÂ�gegensätzlicher) Gruppen Schaffung von Respekt für benachteiligte Bevölkerungsgruppen Förderung bürgerschaftlichen Handelns in der Zivilgesellschaft

Individuelle Ebene

Persönlicher Nutzen individueller Entwicklung

persönliche Inspiration formelles und informelles Lernen Selbstfindung

Persönlicher Nutzen sozialer Einbindung

Schaffung und Stärkung sozialer Kontakte Schaffung und Stärkung individueller und sozialer Identitätsbildung (in sozialen Kontexten)

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Da Stephen E. Weils veröffentlichte Texte zumeist auf seinen (nur leicht veränderten) Vortragsmanuskripten beruhen, sind Redundanzen und Unklarheiten unvermeidlich. Somit finden sich auch in der hier konstruierten Tabelle einige Doppelungen und Undifferenziertheiten, die aber nah an den explorativen Überlegungen Weils entwickelt wurden. Meine hier vorgenommenen Kategorisierungen, zum Beispiel die Unterscheidung zwischen sozialstrukturellen und individuellen Nutzen, sind als eine ordnende Interpretation seiner Gedanken zu verstehen. Für die Entwicklung dieser kategorialen Übersicht waren auch Stephen E. Weils veröffentlichte Gedankenspiele über fiktive Museen von Bedeutung, die weitere Illustrationen seines Gemeinschaftsbegriffs bieten. Bei jedem dieser Gedankenexperimente handelt es sich um zum Teil recht umfangreiche fiktive Problemszenarien, die in Workshops von Museumsmitarbeitern zu diskutieren und – so weit wie möglich – zu lösen sind. Diese Gedankenspiele erlauben es den Museumsmitarbeitern, sich in (kritisch-)reflexive Distanz zu ihren alltäglichen Tätigkeiten und jeweiligen Organisation zu begeben und für grundlegende Fragen ihres professionellen Handelns zu öffnen, für die in der Alltagspraxis wenig Zeit bleibt. Beispiele für Weils Gedankenexperimente sind die fiktiven Problemszenarien des »Fred-Threstle-Museums« (Weil 2002: 24-27), des »Museum of the Lusitanian Settlement« (Cultural Resource Management Program 2006: 179-186) oder des oben erwähnten »Zahnstocher-Museums« (Weil 1990: 43-56). Stephen E. Weils Bewertungskriterien eines Museums basieren auf einer Verbindung von Ambitioniertheit und Exaktheit der formulierten Zweckbestimmungen (»missions«) mit den Fähigkeiten bzw. der Kompetenz der Akteure des Museums (sowie der Akteure der verschiedenen Gemeinschaften), diese Zwecke realisieren zu können. Der »Input« solle nicht im Vergleich zum »Output« (wie im strategischen Management), sondern zu den »Outcomes«, d.h. als Analyse der gesellschaftlichen Wirkung und Bedeutung für spezifische Bevölkerungsgruppen, bewertet werden. Zur Beurteilung von Museen fordert er (1995: 19-31) deshalb die Einführung sogenannter »redflag indicators«. Diese werden als Alarmsignale verstanden, die auf Basis empirisch messbarer Vorstellungen und Erwartungen von Zielgruppen relativ unkompliziert aufzeigen können, wie sehr sich ein Museum um gesellschaftliche Effektivität (»outcomes«, »effectiveness«) und nicht, wie sehr sich ein Museum um betriebswirtschaftliche Effizienz (»input-output«, »efficiency«8) bemüht. Museen seien nicht positiv zu bewerten, weil sie effizient gemanagt werden, sondern weil sie positive gesellschaftliche Effekte haben.

8╯ |╯Z ur in diesem Zusammenhang wichtigen Unterscheidung von Effektivität und Effizienz siehe Weil 2002: 16-20.

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Mit dieser ambitionierten Perspektivität auf die US-amerikanische Museumslandschaft provozierte der Museologe Stephen E. Weil viele der Museumsverantwortlichen. Als ein erfahrener Advokat wollte er aber auch provozieren und zu einem der eigenen Institution gegenüber kritisch-reflexiven wie verteidigenden Denken sowie zu einer Offenheit für neue Perspektiven anregen, weil er meinte, nur dadurch ein notwendiges Umdenken anstoßen zu können. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Tom Freudenheim (2007: 199): »Perhaps Steve’s main goal was always to make certain that museum people were willing to (and might be helped to) confront issues of integrity. In that way, Steve took the best of what he knew a lawyer could be and do, melding it with an idealistic sense of why culture matters. It’s as if he was not afraid to discuss the tacky aspects of each field, by fusing them to some higher purpose.« Die Überlegungen und Denkanstöße Stephen E. Weils für die Diskussion um die Zwecksetzungen der Museumsarbeit sowie um die Verantwortung von Museen für die Gesellschaft haben in den letzten Jahren in den anglo-amerikanischen Ländern – zum Beispiel in Form von Themenheften museologischer Fachzeitschriften wie »Curator« (2007) oder »Museum Management and Curatorship« (2007) – deutlich Anerkennung gefunden und weisen auf eine Etablierung in den museologischen Debatten hin. Auch die AAM-Initiative zu »Museums and Communities« (AAM 2002) verweist auf eine Rezeption von Weils Denkanstößen. Im deutschsprachigen museologischen Diskurs ist Stephen E. Weils Arbeit hingegen bisher nicht entsprechend rezipiert worden; seine Überlegungen tauchen bisher viel zu selten und wenn, dann zumeist nur in Verwendung seiner Gedankenspiele in einigen Weiterbildungsangeboten für Museumsmitarbeiter auf.9 Dabei ist die Anschlussfähigkeit seiner Gedanken an eine interdisziplinär orientierte Museumsanalyse voll gegeben. So sind meine eigenen museumssoziologischen Forschungen zu den Funktionen von Museen in der Stadt (Kirchberg 2005) kompatibel mit dem eben Dargelegten. Auch ich habe mir die Frage gestellt, ob Museen in der Stadt ohne Verbindung zur gesellschaftlichen Öffentlichkeit oder ohne Relevanz für urbane Nutzergruppen sinnvoll sein können. Während Stephen E. Weil von »purposiveness« oder »effectiveness« spricht (2002: 9ff., 16ff.) spreche ich von Funktionen, die den Grad der urbanen sozialen Vernetzung von Museen beschreiben. Die grundlegende Struktur meiner entwickelten Typologie von Museumsfunktionen ist der Kategorisierung der Weil’schen gesellschaftlich relevanten Museumszwecke nicht unähnlich. 9╯| ╯B eispiele dafür sind das Museumsmanagement-Zertifikatsprogramm der FU Berlin, an dem ich mitwirke (www.fu-berlin.de/weiterbildung/weiterbildungsprogramm/mum/ index.html), und die Museumsakademie Johanneum (Graz), deren Leiter Gottfried Fliedl sich explizit auf Weils Parabeln beruft (http://museumsakademie-joanneum.at/ MuseumsakademieJoanneum/zielsetzungen-und-aufgaben-1/editorial).

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Die Typologie der Funktionen von Museen in der Stadt (Kirchberg 2010) gliedert sich, was die Ebenen der übergeordneten Kategorien anbelangt, y-axial entlang des Raumkonzepts von »First-«, »Second-« und »Thirdspace« (Soja 1996) und x-axial in Orientierung an der theoretischen Unterscheidung zwischen »manifesten« und »latenten Funktionen« (Merton 1957). Für die Museen sind sechs Ebenen gesellschaftlich-städtischer Funktionen unterscheidbar. »Firstspace« ist das materialisierte Produkt physischer und sozialer Praxis. »Secondspace« betont die mentale Vorstellung des Raumes, und »Thirdspace« ist das Produkt politischer Praxis im Stadtraum. Die zweite übergeordnete kategoriale Ebene der Funktionen von Museen in der Stadt basiert auf der Unterscheidung zwischen »manifest« und »latent«. Manifeste Funktionen werden bewusst beschlossen und öffentlich präsentiert, wohingegen latente Funktionen nicht bewusst sind oder nicht öffentlich dargelegt werden. Museen in der Stadt haben auf allen städtischen Ebenen des physischen First-, kognitiven Secondund politischen Thirdspace manifeste und latente Funktionen. Auf jeder dieser Space-Ebenen gibt es einige wiederkehrende Merkmale, die für diese Funktionen verantwortlich zeichnen. Solche Merkmale sind zum Beispiel konkrete und imaginative Stadtgestaltungen. Andere Funktionen sind deutlicher nur einem »Space« zuzuschreiben. So spielt der Diskurs um die Neue Museologie allein im Thirdspace eine wesentliche Rolle und die Diskussion um die Funktion spektakulärer Museumsarchitekturen spielt sich vor allem im Secondspace ab. Manifest werden Museen zur Stadtkronen-Gestaltung, zum Stadt-Imageneering und zur politischen Profilierung (insbesondere bei Regierungswechsel) eingesetzt. Latent werden Museen zur Realisierung kultureller Hegemonien eingesetzt, indem sie über ihre Standorte und symbolische Attribuierungen die einen ausschließen und die anderen über Inklusionsmechanismen hervorheben. Schlussendlich ist die Diskussion um die Nutzung von Museen als öffentliche oder private Räume eine Diskussion vor allem im Thirdspace. Tabelle 2 stellt beispielhaft einige dieser städtischen Funktionen von Museen dar (vgl. Kirchberg 2010).

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Tabelle 2: Matrix der Funktionen von Museen in der Stadt Rau Firstspace (physischer Raum und Raum sozialer Handlungsstrukturen)

manifeste Funktion Konkrete Stadtgestaltung: zum Beispiel städtebauliche Ordnung durch Museen

Imaginative Stadtgestaltung: zum Beispiel Museen als Wahrzeichen für postmoderne Innenstädte Öffentlichkeit – Privatheit: zum Beispiel Museen als Treffpunkt marktgerechter Zielgruppen Museumsarchitektur: Secondspace (mentaler Raum, zum Beispiel Imageneering durch Zeichen- und Aufmerksamkeit erregende MuSymbolraum, seumsarchitektur Stadtimage) Konkrete Stadtgestaltung: zum Beispiel Stadtmarketing durch repräsentative Museumsbauten Imaginative Stadtgestaltung: zum Beispiel Museen als Symbol der Seriosität kommerzieller Stadtentwicklungsprojekte Öffentlichkeit – Privatheit Thirdspace (städtische Arena zum Beispiel die Bereitstellung der politischen einer öffentlichen Bühne, die hilft, Institutionen, zivilgesellschaftliche Kompetenz Regulationen und einzuüben Aneignungen) Museumsarchitektur: zum Beispiel die Stärkung von Urbanität durch postmoderne Museumsarchitektur Konkrete Stadtgestaltung: zum Beispiel die »doppelte Demokratisierung« der Frankfurter Museen bei der urbanen Neugestaltung Neue Museologie: zum Beispiel die Stärkung bisher vom Museum vernachlässigter Öffentlichkeiten aus armen Stadtteilen

latente Funktion zum Beispiel Gentrifizierung am Standort spektakulärer Museumsbauten zum Beispiel Aufwertung postmoderner Stadtlandschaften durch neotechnisierte Museen zum Beispiel Museen als Ort angstfreier und distanzloser Kontakte mit seinesgleichen zum Beispiel versteckt Museumsarchitektur Mängel der Sammlung oder anderer Funktionen zum Beispiel »Phönix-Symbol«: Hoffnungsträger für den Wiederaufstieg der Kommune zum Beispiel die Simulation neuer Urbanität durch Museumsbauten zum Beispiel die Bereitstellung exklusiver (privater) Räume im Museum, die durch symbolische Zuschreibungen statusfördernd sind zum Beispiel soziale Exklusion durch schwer zu dechiffrierende Museumsarchitektur zum Beispiel die Schaffung von Treffpunkten für die politische Elite im Museum

zum Beispiel der Widerstand traditioneller Museen als Instanz affirmativer kultureller Hegemonie gegen eine alternative Neue Museologie

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Ein vergleichender Blick zwischen Stephen E. Weils Kategorisierung sinnvoller gesellschaftlicher Zwecke von Museen (Tabelle 1) und meiner Typologie von Museumsfunktionen (Tabelle 2) zeigt, dass diese komplexer strukturiert als jene und dass diese eine normative Bewertung der dargelegten Funktionen vermeidet. Weils Überlegungen waren eher als Argumente im aktuellen Museumsdiskurs angelegt und scheuen deshalb auch nicht vor auffordernden Direktiven zurück, während meine Darlegungen Resultate wissenschaftlicher Forschungen sind. Die Ziele des »allgemeinen gesellschaftlichen Nutzens« von Museen sind zudem bei Weil nicht (wie bei mir) auf den städtischen Raum beschränkt, während meine Überlegungen zu den nicht öffentlichen und nicht gewollten (d.h. latenten) gesellschaftlichen Zwecken von Museen in Weils programmatischen Statements keine Berücksichtigung finden. Dennoch gibt es auch einige Ähnlichkeiten und Verbindungen. Insbesondere den gesellschaftlich relevanten und von Weil geforderten sozialstrukturellen und vermittelnden Nutzen von Museen formuliere ich ebenfalls im Funktionsbereich des Museums als öffentliche oder private Bühne (im physisch-sozialen Firstspace als Treffpunkt für aktiv wählende oder passiv gewählte Zielgruppen des Museums oder im politischen Thirdspace als Bühne zum Einüben zivilgesellschaftlicher Kompetenz). Der Forderungskatalog der »Neuen Museologie« ist in vielerlei Hinsicht als ein Pendant zu Weils Darlegungen zu betrachten, obwohl dieser sich nie auf das Nischendasein dieser Debatte bzw. der Beschränkungen auf spezifische Typen der Museumslandschaft eingelassen hätte. Die Notwendigkeit aller Museen, sozialstrukturell, vermittelnd und individuell nützlich zu sein, findet sich wieder in meiner Funktionskategorie der »Neuen Museologie« (im Rahmen des politischen Thirdspace). Hiermit meine ich die Verantwortung städtischer Museen zur vielfältigen Stärkung von Bevölkerungsgruppen ärmerer Stadtteile, während Weil die Verantwortung der Museen zur Verringerung aller gesellschaftlichen Ungerechtigkeit einklagt. Die von mir dargelegten latenten Funktionen zur Aufrechterhaltung affirmativer kultureller Hegemonien durch Museen werden von Weil nicht explizit genannt; allerdings zeigt er insbesondere in seinen Gedankenspielen zu den fiktiven Museum häufig humorvoll (manchmal auch beißend sarkastisch) eben diesen Einfluss mächtiger Gruppen auf die inhaltliche und formale Museumsarbeit auf. Seine Kritik an solchen machtvollen Einflüssen äußerte er nicht nur in den Gedankenspielen deutlich und fundiert, da er diese alltäglich als Teil des »Museumsinneren« erlebte und in einem fast ethnographischen Verständnis verarbeitete sowie pointiert dokumentierte und zur Diskussion präsentierte. In seinen Gedankenspielen, in denen er Argumente pro und contra das Fortbestehen fiktiver Museen durchspielt, konkretisiert er exemplarisch seine Vorstellungen von solchen »communities«. Im Fall des »Fred-Threstle-Museums« (Weil 2002: 24-27) assoziiert er mit der anzusprechenden sozialen Gruppe den fiktiven Millionär »Fred Threstle« und seine Familie, im Fall des

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»Zahnstocher-Museums« (Weil 1990: 43-56) die Hobby-Künstler und Fachexperten des »Zahnstochers« und im Fall des nicht-fiktiven Coca-Cola-Museums (Weil 1995: xv) das Limonaden-Produkt und seinen weltweiten Kundenkreis. Keines dieser Museen würde Weil aufgrund seiner »communities« als gesellschaftlich relevant und somit existenzberechtigt bezeichnen. Alleine das »Museum of the Lusitanian Settlement« (Cultural Resource Management Program 2006: 179-186) gilt als Ausnahme: Hier wird eine soziokulturelle (ethnische) Bevölkerungsgruppe beschrieben, der gegenüber sich das Museum als nützlich erweisen könnte. Weil betrachtet also die Fähigkeit bzw. »Kompetenz« der Museumsverantwortlichen, die Zwecksetzungen einer sozio-kulturellen Gruppe zu erfüllen, die gesellschaftlich von marginaler bzw. nur in spezifischen Debatten von Bedeutung ist, als zentrale Voraussetzung für eine gesellschaftlich relevante Museumsarbeit. Millionärsfamilien, Hobby-Künstler oder Limonaden-Konsumenten gehören nicht dazu, eine Immigrantengemeinschaft oder eine andere sozial relevante (und/oder benachteiligte) Gruppe gehören dazu. Das Auswahlkriterium für die communities, deren Zwecksetzungen eine gesellschaftlich relevante Museumsarbeit voraussetzen, begründet Stephen E. Weil also in deren marginaler sozialer Relevanz. Weil dementierte nie, dass er einem normativ-politischen Anspruch folgte. Im Hinblick auf seine Vorstellungen von communities und mögliche und notwendige Formen der Wechselwirkungen zwischen diesen und den Museumsverantwortlichen lässt Weil einige Fragen offen, wie zum Beispiel: Bedarf es der Impulse, um Wechselwirkungen zwischen Museum und communityBezugsgruppen zu initiieren? Wer sollte dies in welcher Form tun? Worin lägen die Voraussetzungen, um Wechselwirkungen in ihren verschiedenen Intensitäten zu etablieren? Wie könnte der Zugang der Bezugsgruppen zu den verschiedenen öffentlich zugänglichen Sphären (frontstage) und verborgenen Sphären (backstage) der Museumsarbeit gestaltet werden? Inwiefern würden diese in Entscheidungen der Museumsverantwortlichen einbezogen oder welche Umgangsweisen könnte es mit den museumsinternen professionellen Hierarchien sowie mit der Bereitschaft oder auch Nichtbereitschaft der Museumsverantwortlichen geben, sich den Interessen und Forderungen dieser Bezugsgruppen zu öffnen? In diesem Zusammenhang könnten Weils Gedankenspiele auch als Medium verstanden werden, über das sich Museumsmitarbeiter und museumsexterne Bezugsgruppen an einen Tisch und in regelmäßige Wechselwirkungs- und Interaktionsprozesse bringen können, um über verschiedene gesellschaftlich relevante Museumszwecke und Wege, diese zu erreichen, zu diskutieren. Mit Blick auf seine Überlegungen zu den communities wird auch deutlich, dass Stephen E. Weil den aus dem Marketing bekannten Begriff der Zielgruppe vermeidet und stattdessen einen soziologisch geprägten Begriff bevorzugt. Der Begriff »Zielgruppe« impliziert eine aktive Rolle der Museumsmitarbeiter, die

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sich aus der »passiven« Masse der Bevölkerung mittels Marktforschung und Marketing »ihre« Gruppe oder Gruppen auswählen. Weil assoziiert mit seiner Begriffswahl vielmehr das Verständnis einer aktiven Bevölkerungsgruppe, die sich »ihr« Museum entsprechend ihren Wünschen und Bedürfnissen auswählt, gestaltet und das Museum nach ihrer Nützlichkeit bewertet. Die aktive Möglichkeit des Museums, sich seine eigene »Zielgruppe« zu suchen und zu geÂ�stalten, betrachtet Weil ergo als begrenzt. Während des Stephen-E.-Weil-Tribute-Workshops (Cultural Resource Management Program 2006) habe ich vorgeschlagen, den Begriff »community« (oder Bezugsgruppe) durch den Begriff »Szene« zu ersetzen, da sich damit ein aktives Verständnis einer sozialen Gruppe verbinden lässt, die sich das Museum bewusst als ihre Bühne wählt und gestaltet. Der Begriff »Szene« ist nicht nur kompatibel zu Weils Begriffsverständnis von community, sondern darüber hinaus lassen sich damit auch die Kontaktweisen einer aktiven (Teil-)Öffentlichkeit und eines den Wünschen dieser Öffentlichkeit entgegenkommenden Museums beschreiben (vgl. Kirchberg 2007). Die Verwendung des Szene-Begriffs ist zudem sinnvoll, um in den Blick zu nehmen, dass die das Museum nutzenden sozialen Gruppen sich selten als Gemeinschaft (nach innen) verstehen und (nach außen) darstellen, sondern sich erst durch die Ortswahl und das gemeinsame auf der »Bühne Museum« Erscheinen (ungeplant und unbewusst wie auch regelmäßig oder unregelmäßig) als Szene konstituieren. Wenn nun allerdings unterschiedliche »Szenen« ein und dasselbe Museum nutzen wollen, dann stehen sie unter Umständen in Konkurrenz um die Definition der gesellschaftlichen Zwecksetzung ihrer öffentlichen »Bühne« Museum. Dies könnten Gruppen mit unterschiedlichen ethnischen und Bildungs-Hintergründen, aus unterschiedlichen Generationen, mit unterschiedlichem expressivem Lebensstil und mit unterschiedlichem ökonomischem, kulturellem oder sozialem Kapital sein (Bourdieu 1982). In eine mögliche Konkurrenzsituation können und sollten die Museumsmitarbeiter eingreifen und ganz im Sinne Weils politisch ambitionierter Haltung insbesondere dafür sorgen, gesellschaftlich benachteiligten und randständigen Gruppen einen öffentlichen Ort zu bieten.10 Denn dies ist eher selten der Fall. Zumeist erfüllen die Verantwortlichen der Museen in der Stadt – historisch und machtpolitisch nachweisbar – zunächst die politischen und ökonomischen Wünsche lokaler Eliten, die das Museum als Ort hochkultureller Repräsentationen verstehen, und wenden sich erst dann (wenn überhaupt) den Wünschen

10╯| ╯E ine zeitgemäße Variante des Marketings betont, dass Marketing nur erfolgreich sein kann, wenn die Zielgruppe das anzubietende Produkt oder die anzupreisende Institution aktiv mitgestaltet, das Produkt oder die Institution also im Weil’schen Sinne vom Kunden permanent (um-)geformt werden kann.

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der gesellschaftlich benachteiligteren Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel der innerstädtischen Minderheiten zu (vgl. Kirchberg 2010). Ein gleichzeitiges und gleichberechtigtes Ansprechen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen im Museum scheint mir angesichts der divergenten gruppenspezifischen Erwartungen an Museen zweifelhaft. Städtische Museen unterliegen einem Dilemma: Entweder gestalten sie ein breites öffentliches Programm für ein heterogenes Publikum mit heterogenen Erwartungen; dann geraten sie in die Gefahr der Beliebigkeit und entziehen sich somit selbst der Weil’schen Legitimität. Oder sie bieten ein spezifisches Programm für eng definierte Bevölkerungsgruppen an und geraten dann in die Gefahr durch die Zielgruppeneinengung, »private« Museen zu schaffen. Dies kann zwar ganz im Sinne von Weil sein, wenn durch ein antihegemoniales soziokulturelles Programm für eine bestimmte benachteiligte Bevölkerungsgruppe die massenorientierte Beliebigkeit eines breitenpopulären Angebotes vermieden wird. Eine Nischenpopularität unter Vermeidung massenpopulärer Beliebigkeit wäre aber auch gewährleistet, wenn die »community« der kulturell, ökonomisch und/oder sozial kapitalkräftigen Elite im Museum dominiert, wie man es häufig bei traditionellen (Kunst-)Museen vorfindet. In diesem Fall würde zwar das Kriterium der gesellschaftlichen Nützlichkeit eingehalten, aber nicht entsprechend Weils Intention einer umfassenderen gesellschaftlichen Gerechtigkeit. Der Hauptimpuls für Stephen E. Weils Beschäftigung mit Museen war nicht eine unreflektierte Kritik an der gesellschaftlichen Neutralität oder Schädlichkeit von Museen, sondern seine unabänderliche Suche nach schlagkräftigen Argumenten, Museen zu gesellschaftlich bedeutenden Institutionen zu machen. Dabei war ihm im dialektischen Sinne seine Skepsis an den bestehenden Zweckverständnissen der Museen eine wichtige Hilfe. So wurde auch von manchen Teilnehmern leise Kritik an dem Titel »Museums Matter« des erwähnten Weil-Tribute-Workshops (Cultural Resource Management Program 2006) geübt. Weil hätte die imperative Determination des »Museum Matter!« sicher abgelehnt, da Museen eben nicht grundsätzlich von Bedeutung sind, sondern ständig daran arbeiten müssen, dies zu werden oder zu bleiben. Sein zuletzt (2002) veröffentlichter Band an Redebeiträgen heißt deshalb auch: »Making Museums Matter«. Weils Essays über die Einbettung der Museen in die Gesellschaft, seine Gedankenspiele und seine Forderungen an die Museen sind es wert, den Stadtmuseen in Deutschland nähergebracht zu werden. Die Stadt ist das »Brennglas der Gesellschaft« und die Museen in diesem Kontext können sich allein deswegen schon nicht diesen Fragen und Anregungen entziehen.

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Zwischen Geld und guten Worten – politische Verantwortung für stadtgeschichtliche Museen Alice Ströver

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat mir kürzlich am Rand einer Kulturausschuss-Sitzung sein Leid geklagt: Jede und jeder, der aus der Berliner Kulturszene zurzeit bei ihm um einen Termin bitte, habe nur einen Wunsch: mehr Geld im nächsten Haushaltsjahr. Man kann sich vorstellen, dass mein Mitgefühl gegenüber dem auch für Kultur zuständigen Regierenden Bürgermeister als Oppositionsabgeordnete begrenzt ist. »So etwas kommt von so etwas«, denkt man sich dazu: Wer über mehr als ein Jahrzehnt die Kulturförderung dramatisch absenkt, der braucht sich nicht zu wundern, wenn die Institutionen längst am finanziellen Limit angekommen sind, das inzwischen existenzbedrohend ist. Augenfällig wird das Problem, wenn die Kompensationen für geringere Zuschüsse und fehlende Tarifanpassungen nur durch mechanischen Personalabbau und strukturelle Veränderungen erfolgen sollen und es an einer inhaltlichen Zukunftsbestimmung durch die verantwortliche Politik fehlt. Für ein Museum, das sich mit der Stadt- und Kulturgeschichte beschäftigt, gilt das in besonderem Maß. Versuchen wir, die Berliner Situation ein Stück weit zu umreißen. Ein Stadtmuseum soll das Gedächtnis einer Stadt sein. Das bedingt, dass in der Stadt das Bewusstsein für eine eigenständige Stadtgeschichte besteht. In Berlin darf dieses Bewusstsein aufgrund der geschichtlichen Brüche durchaus bezweifelt werden. Mit Berlin verbinden sich eine besondere Hauptstadtgeschichte und die spezifische Geschichte Preußens weit mehr als eine eigenständige historische Stadtentwicklung. Und darin steckt ein Problem und die wichtigste Aufgabe: die Definition dieses spezifischen Berliner stadtgeschichtlichen Museums.

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Offiziell blickt Berlin auf eine 770-jährige Geschichte. Das ist bekanntlich ein wenig geschummelt, denn es sind einzelne Dörfer, die erst über die Jahrhunderte zu einer Stadt zusammengewachsen sind. Ein knappes Jahrhundert besteht die Stadt in ihren heutigen Grenzen, Groß-Berlin gibt es erst seit 1920. Natürlich macht man sich über das Bonmot »Spandau bei Berlin« heute eher lustig, aber es steckt darin doch ein sehr ausgeprägtes Kiezbewusstsein bei der alteingesessenen Bevölkerung. Jeder der Berliner Bezirke präsentiert sich mit seinem eigenen Habitus und legt darauf besonderen Wert. Das zeigt sich darin, dass jeder der zwölf Berliner Bezirke ein eigenes stadtgeschichtliches Museum unterhält, die früheren Heimatmuseen und heutigen Regionalmuseen, von denen einige ein sehr interessantes kultur- und stadtgeschichtliches Programm anbieten. Was die Regionalmuseen für die Besucher aus den umliegenden Wohngebieten sind, ist für die Scharen internationaler Touristen ein Besuch in den 16 musealen und wissenschaftlichen Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, vor allem auf der Museumsinsel. Jedes dieser Museen ist mit einer Sammlung von Weltgeltung ausgestattet und hat mittels der finanziell unvergleichlich größeren Ausstattung überwiegend durch den Bund die Möglichkeit, international beachtete Ausstellungsprogramme anzubieten. Hinzu kommen als Problem und als Herausforderung für die stadtgeschichtliche Identifikationsfindung, dass in Berlin als politischem Zentrum zweier Diktaturen im 20. Jahrhundert die besondere Auseinandersetzung stattfindet, deren authentische Spuren und Erinnerungsorte im Stadtbild einen ganz eigenen Teil der Stadtgeschichte darstellen und in besonderen Gedenkstätten dokumentiert und präsentiert werden.

W o ist da z wischen der P l at z für ein eigenständiges stadtgeschichtliches M useum ? Das ist nicht einfach zu definieren. Erstes Ziel muss es sein, die siedlungs-, ereignis- und politische Geschichte einer ganzen Stadt vom Dorf zur urbanen Metropole in einer Dauerausstellung zu präsentieren. Zweites Ziel ist die Schaffung einer bewussten Identifikation der Bevölkerung mit diesem Ort der Geschichte. Zu einer zeitgemäßen Präsentation gehört eine passende räumliche Umgebung. Es ist zum Glück inzwischen allen an der Entscheidung für die Zukunft des Stadtmuseums Beteiligten klar, dass die Konzentration der Aktivitäten der Stiftung Stadtmuseum auf das Gebiet rund um die Märkische Insel ein richtiger Weg ist. Die Umgestaltung des Historischen Gebäudes des Märkischen Museums und der Ausbau des gegenüberliegenden historischen »Marinehauses« für die künftige Nutzung liegen nun als Mammutaufgabe vor der Stiftung Stadtmuseum. Ich bin froh, dass sich nun, nach zähem Ringen, auch mit Hilfe

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des Abgeordnetenhauses diese Lösung klar abzeichnet und die Investitionsmittel für das Vorhaben bewilligt sind. Eine optimale Gestaltung der beiden Gebäude ist die Voraussetzung dafür, dass gelingt, was dieses Stadtmuseum unbedingt braucht: das Heraustreten aus dem Mauerblümchendasein zwischen den 160 Museumsstandorten in Berlin. Ein Stadtmuseum muss als Identifikationszentrum für die gesamte Bevölkerung entstehen, ein Ort der Kultur und der Bildung, einladend vor allem für junge Menschen aus allen sozialen Schichten und Herkünften. Beachtung benötigt das Museum aber nicht nur von den Berlinerinnen und Berlinern, sondern auch von den Besuchern der Stadt, die bisher ihr Interesse, wenn überhaupt, eher auf die Sonderausstellungen in den Dependancen, wie z.B. in der Nikolaikirche, als auf die Dauerausstellung im Stammhaus richteten. Eine neue Dauerausstellung muss nach modernsten museumspädagogischen Richtlinien entwickelt und mit modernsten Medien ausgestattet sein. Herausforderung für die Stadtmuseumsarbeit soll es sein, jedem BerlinTouristen das Gefühl zu geben, »wenn Du dort nicht gewesen bist, dann weißt Du nicht, was Berlin bedeutet«. Hier muss ich hin, um diese Stadt nicht nur in seiner Entstehung, sondern auch in ihrem heutigen Entwicklungsprozess zu begreifen. Nicht mehr und nicht weniger ist der Auftrag. Die Themen dafür liegen auf der Hand, um frühe und moderne Stadtgeschichte unter einzelnen Aspekten zu beleuchten. Siedlungs- und Wanderungsgeschichte über die Jahrhunderte, ihre Diktaturen und Katastrophen, Industrialisierung, Verkehr und Leben mit und am Wasser, um assoziativ nur einige Themen zu nennen, die für Berlin besonders prägend sind. Alle diese Aufgaben jedoch erfordern die Anerkennung dieser Aufgaben durch die Landespolitik in Berlin. Ein kurzer Rückblick in die Entstehungsgeschichte der Stiftung Stadtmuseum lässt daran gewisse Zweifel aufkommen. Aus den Wirren nach dem Fall der Mauer und der Neuordnung der Berliner Museumslandschaft wurde eine Großstiftung gebildet. Deren Charakteristikum war, dass sie eben keine sinnvolle Neuordnung der kultur- und stadtgeschichtlichen Museen bedeutete. Vielmehr wurde in der neuen Stiftung Stadtmuseum pragmatisch zusammengefasst, was nicht zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder zur 1994 neu gegründeten Stiftung Preußische Schlösser und Gärten passte oder nicht dazugehören sollte, wie zum Beispiel das Schloss Friedrichsfelde mit seinem Standort mitten im Tierpark Friedrichsfelde. Als der damalige Museumsreferent aus der Berliner Kulturverwaltung sich 1995 mit der Stiftungsgründung befasste, hatte er nicht nur die Zusammenfassung von zahlreichen Groß- bis Kleinstmuseen aus Ost- und West-Berlin vor Augen. Er hatte die Vision, selber der Herr dieses kleinen Museumsimperiums zu werden. Dies mag eine Lösung sein, um Einrichtungen nicht abwickeln zu müssen, inhaltlich ist es allerdings nicht überall sinnvoll. Als Beispiel seien nur das Sportmuseum und das Wassersportmuseum Grünau genannt. Es handelt sich um Sammlun-

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gen, die zur nationalen Sportgeschichte gehören, vor allem Bestände zu den Olympischen Spielen von 1936 und zur DDR-Sportgeschichte. Diese Museen wie auch ihre Bestände sind keinesfalls rein stadtgeschichtlicher Natur, sondern von gesamtstaatlicher Bedeutung. An diesen Willkürlichkeiten der Zusammenfassung von heterogenen Sammlungen und Standorten in einer Stiftung leidet das Stadtmuseum bis heute, denn eine klare Profilierung ist unter diesen Umständen unmöglich. Es ist ein Versäumnis der Politik, erst 15 Jahre nach der Stiftungsgründung die notwendigen Strukturkorrekturen vorzunehmen, die Kernaufgaben zu definieren und die Standorte zu konzentrieren.

W ie steht es konkre t um die finanzielle S ituation ? Angesichts der immer noch andauernden Haushaltsnotlage wurde das Land Berlin nach einer Klage der Oppositionsfraktionen vom Landesverfassungsgericht 2003 dazu verpflichtet, alle öffentlichen Ausgaben zu überprüfen und auf eine rechtlich verpflichtende Basis zu stellen. Für die Kulturausgaben ist dadurch eine schwierige Situation entstanden, zumal die Kulturförderung keine staatliche Pflichtausgabe ist. Dieses Urteil hat verstärkt dazu geführt, dass Kulturinstitutionen in die rechtliche Selbständigkeit überführt wurden, um dann mittels Zuwendungsvertrag diese rechtliche Verpflichtung herbeizuführen. Der Nachteil ist jedoch, dass Stiftungen mit einem Stiftungsrat, in dem in der Regel nur die Exekutive, nicht jedoch Vertreter/-innen des Parlaments Mitglieder sind, sich mit ihren Problemen allzu weit von der Politik entfernen. Das stellt kein Problem dar, wenn eine auskömmliche Finanzierung vorhanden ist. Dann können die Institutionen ihren Aufgaben entsprechend tätig sein, und die Politik bleibt außen vor. Was jedoch, wenn es keine auskömmliche Finanzierung gibt? Jedem Haushaltstitel muss eine schriftliche Begründung über die damit verbundenen Aufgaben beigefügt werden. Zur Stiftung Stadtmuseum heißt es wörtlich u.a.: »Die Stiftung Stadtmuseum Berlin hat die Aufgabe, Kunstwerke und sonstige Kulturgüter zur Kultur und GeschichÂ�te Berlins zu sammeln, zu bewahren, zu pflegen, zu erforschen, in ständigen Schausammlungen sowie in Wechselausstellungen in museumsüblichem Umfang der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und die Auswertung der Bestände für die Wissenschaft zu ermöglichen«. Es folgen die Auflistung der 14 Gebäude, die vom Land Berlin der Stiftung zu dieser Zweckerfüllung überlassen werden, und der Zuschuss-Betrag, mit dem diese Aufgabe zu erfüllen ist, nämlich im Jahr 8,252 Mio. Euro. Es ist offensichtlich, dass die Aufgabe eines großen Stadtmuseums nur schwer mit diesem Betrag zu erfüllen ist. Immer noch gilt es, die millionenfachen Sammlungsbestände aus der Sammlung des Stadtmuseums zu erfassen

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und einheitlich zu systematisieren, was aus vielen Einzelsammlungen zusammengefügt ist. Eine moderne Museumspädagogik braucht es ebenso wie wirksame Marketingmaßnahmen. Seit Jahren nun fehlt es dem Stadtmuseum an variablen Mitteln, um Projekte zu realisieren. Die Drittmittelakquise ist keine Ergänzung, sondern ein absolutes Muss, um überhaupt Ausstellungsvorhaben realisieren zu können. Das Prinzip wird deutlich: Mit der Ausgliederung der Kultureinrichtungen schafft sich seit Jahren jede verantwortliche Kulturpolitik die Auseinandersetzung mit dieser Frage mehr oder weniger vom Hals und überlässt die Problemlösung der Museumsleitung oder dem Stiftungsrat. Dabei bedeutet eine zukunftsorientierte Museumsarbeit noch viel mehr: Museen müssen für Menschen gemacht sein, und sie müssen mit ihren Themen aus den Museen heraus, zu den Menschen gehen. Als positives Beispiel für eine moderne Museumspädagogik und Kommunikationsform sei hier das Jüdische Museum erwähnt, das mit mobilen Teams, die in Schulen und Jugendeinrichtungen gehen und kleine Vor-Ort-Ausstellungen zeigen, seit einiger Zeit äußerst positive Erfahrungen gemacht hat. Ich wünsche mir, dass von dieser Tagung und deren Publikation das Signal ausgeht, dass das Zusammenleben in einem Gemeinwesen nur dann gelingt, wenn ein gemeinsames Verständnis von Kultur und Geschichte der Region vermittelt wird. Die Politik muss sich konkret mit den inhaltlichen Anforderungen an die Kulturträger auseinandersetzen und daraus den Förderbedarf ablesen. Wer Aufgaben erteilt, muss dafür sorgen, dass ausreichend Mittel für die Erfüllung vorhanden sind. Gute Worte werden von Politikern wahrscheinlich nicht nur in Berlin gern bei offiziellen Anlässen gefunden, aber das reicht nicht, um eine wirklich nachhaltige Museumsarbeit in einem Stadtmuseum zu machen. Ich hoffe, dass aus dieser heutigen Tagung konkrete Ideen und Anforderungen für ein Museum der Zukunft formuliert und gute Argumente gefunden werden, um die Stiftung Stadtmuseum Berlin zukunftsfähig zu machen.

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Was macht Stadtmuseen attraktiv für die kulturelle und politische Bildung? Thomas Krüger

Aus der historischen Entwicklung des Föderalismus in Deutschland heraus haben die Städte in den vergangenen Jahrhunderten immer einen bedeutenden Einfluss auf die politischen Identitäten der dort lebenden Bürgerinnen und Bürger gehabt. Dass diese Identitäten einen wesentlichen Bestandteil der politischen Kultur Deutschlands bildeten und bis heute bilden, ist allen Regierenden in Vergangenheit und Gegenwart bewusst. Nicht erst Wilhelm II. hat den Einfluss der Stadtarchitektur als symbolische Politik erkannt. Die Gestaltung der Stadt im Deutschen Kaiserreich – unter Wilhelm allerdings erstmals Angelegenheit einer für Repräsentationsbau zuständigen Reichsbauabteilung – diente immer auch der Klärung der Frage, was »deutsch« sei, und bemühte sich um Anknüpfung an die Traditionen vergangener Jahrhunderte, die das Hohenzollernreich mit dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation in eine direkte Verbindung bringen sollten. Ikonographisch am deutlichsten dokumentieren diese Geschichtsklitterei die Gemälde im Foyer der Berliner Kaiser-WilhelmGedächtniskirche. Auch und gerade das fast 50-jährige Ringen der DDR-Regierungen um ein Repräsentationsgebäude für den ostdeutschen Staat und um Städtebau, der sowohl dem »realistischen« Anliegen als auch dem Wunsch der Menschen nach Identifikation mit ihrer Stadt (= mit ihrem Staat) gerecht wird, zeugen von der besonderen Bedeutung der Städte für die politische Legitimität von Regierungsmacht in der Vergangenheit. Wie stark Städte und Stadtgestaltung Bürgerinnen und Bürger, Politikerinnen und Politiker bewegen, davon zeugt die Vehemenz der Streitigkeiten um die Hauptstadtfrage, um den Abriss des Palastes der Republik oder um den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses. Die deutschen Städte sind lebendige Museen, soziale Gedächtnisse, Zeugen von Jahrhunderten wechselvoller Geschichte. Viele sind bis in die Jetztzeit

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vom Zweiten Weltkrieg und der selbstzerstörerischen Energie des nationalsozialistischen Regimes gekennzeichnet. Einige lassen dagegen Rekurse bis in die römische Antike zu. Stadtmuseen haben den Auftrag, den Bürgerinnen und Bürgern diese Geschichte zu vermitteln, sie verstehbar zu machen, Zusammenhänge aufzudecken und Implizites auszudrücken. Wo Städte in ihrer Gewachsenheit je mit historisch-politischen Identitäten korrespondieren, dienen Stadtmuseen der Bewusstmachung dieser Identitäten und der Auseinandersetzung mit ihnen. Die Beschäftigung der jugendlichen und erwachsenen Museumsbesucher/-innen mit den spezifischen Artefakten der Stadtmuseen – den Kulturprodukten und dem kulturellen Erbe der Gesellschaft – eröffnet Räume für die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Grundsatzfragen, die Gegenwart und Zukunft betreffen. In dieser Hinsicht trägt die Arbeit der Stadtmuseen zur Persönlichkeitsbildung sowie zur kulturellen und politischen Bildung bei. Idealerweise ermächtigt sie die Besucherinnen und Besucher, eine an selbstentwickelten Maßstäben orientierte Beziehung zwischen Herkunft, Gegenwart und Zukunft herzustellen. Obwohl Museen eine Vielfalt von Funktionen wahrnehmen, sind sie aus der Sicht der politischen Bildung insbesondere als Kulturbetriebe interessant, die ihre Vermittlerrolle, d.i. die auf die Gesellschaft bezogene Kommunikationsund Bildungsfunktion, ernst nehmen. Wie funktioniert das? Karl Ermert, Direktor der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel, klärt die zur Beantwortung der Frage notwendigen Voraussetzungen, die ohne Weiteres auf die Tätigkeit der Stadtmuseen übertragbar sind. Er bezieht sich dabei auf Anne Bamford, die hinsichtlich der Rolle der Künste in Bildung und Erziehung unter dem Titel »The Wow Factor« zwei Zugänge zur »Arts Education« unterscheidet, welche dem Ziel dient, das kulturelle Erbe einer Gesellschaft an die folgenden Generationen weiterzugeben: »Education in art« umfasst dabei die Spielarten der herkömmlichen Kunsterziehung mit dem Ziel, dass Menschen gebildet und auch kritisch am Kulturbetrieb teilhaben können, und »Education through art«. In Deutschland gebe es – so Ermert – eine vergleichbare Formulierung: »Bilden mit Kunst«. Damit sei die Behauptung impliziert, dass Kunstvermittlung die Menschen ermächtigen soll, sich im Medium der Künste mit »Welt« auseinanderzusetzen und dafür auch sozusagen »Welt« in die Kunstvermittlung hineinnehmen muss. Ermert formuliert als Anspruch, was auch aus der Sicht der politischen Bildung der entscheidende Faktor ist: Kunstvermittlung muss verstanden werden als Bilden mit Kunst bzw. durch Kunst. Unbeschadet der Auffassung, dass Kunst- und Kulturprodukte in ihrer ästhetischen Aussage auch um ihrer selbst willen geschätzt oder mindestens respektiert werden müssen, geht also die politische Bildung einen Schritt weiter und stellt die Hypothese auf, dass die Auseinandersetzung mit diesen kein rein ästhetischer Akt ist. Vielmehr impliziert die kognitive, affektive oder evaluieren-

W as macht S tadtmuseen attrak tiv ?

de Beschäftigung mit den Kunst- und Kulturprodukten bereits die Teilnahme an einem kulturellen Diskurs der Gesellschaft und somit kulturelle Teilhabe. Denkt man – und dies ist in der politischen Bildung üblich – die unterschiedlichen sozialen, kulturellen und politischen Hintergründe derer mit, die sich mit den musealen Objekten auseinandersetzen, ihre je nach kulturellem Hintergrund verschiedenen Erinnerungskulturen, so wird deutlich, dass die Stadtmuseen hinsichtlich ihrer Ausstellungstätigkeit und ihrer museumspädagogischen Aktivitäten zur Stärkung des sozialen Zusammenhaltes in einer Gesellschaft beitragen können, für die dieses Thema zu einer der wichtigsten gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen geworden ist. Die Betonung liegt auf dem »können«. Ähnlich wie die Institutionen der politischen Bildung müssen auch die Stadtmuseen im 21. Jahrhundert ihre Konzepte an eine sich permanent transformierende Weltgesellschaft anpassen. Deren »Zukunft«, folgt man dem damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan bei der Eröffnung der Weltkonferenz Urban 21 am 4. Juli 2000, »liegt [zwar] in den Städten«, aber nur ein Teil der Menschen profitiert von den positiven Seiten der Metropolisierung. Dies ist in Europa und Deutschland noch nur ansatzweise erkennbar. Von den dreißig weltweit größten Megacities liegen zwanzig allein in Asien und Lateinamerika. Berlin belegt mit knapp dreieinhalb Millionen Einwohner/-innen Platz 53 der Weltrangliste der Millionenstädte und knackt damit gerade mal die allerweiteste Definition von »Megastadt«. Hamburg liegt mit rund 1,8 Millionen Einwohner/-innen auf Platz 130 und München mit unter 1,4 Millionen auf Platz 204 der größten Städte. Das Rhein-Ruhr-Gebiet rangiert mit seinen 12 Millionen Einwohner/-innen in der Kategorie »megaurbaner Raum«. Von den in Werken zeitgenössischer Literatur und Filmkunst motivisch wiederkehrenden Szenarien außer Fugen geratener Städte können wir also in Deutschland nur Andeutungen erspüren. Noch sind die Städte hier begehrte Wahlheimaten mit hoher Lebensqualität, nicht notgedrungen in Kauf genommene Wohnorte. Im Idealfall sind sie liberale Modelle multikulturellen Zusammenlebens und demokratischer Mitwirkung sowie städtischer good-governance-Praxis. Sie können Impulsgeber von Wachstum, Innovation und kultureller Entfaltung sein und sind es meist auch. Eingebunden in ein weltweites Netzwerk des Austauschs von Ideen und Kommunikationen, gestreift von den nomadisierenden Massen einer modernen Weltgesellschaft in Bewegung sind sie Motoren geistiger Erneuerung. Lassen Sie uns dennoch über die Negativseiten des Trends sprechen: Auch hierzulande wird die soziale Segmentierung der Städte in Quartiere mit Privilegierten und solche mit Unterprivilegierten immer deutlicher sichtbar. Gated Communities zeichnen sich ab, städtische Räume schließen sich und den Bewohner/-innen der ein- sowie denen der ausgeschlossenen Räume ist immer schwerer verständlich zu machen, dass sie tragende Teile einer Gesellschaft sind. Die Entfremdung der städtischen Milieus, die Spannungen zwischen Zu-

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wanderern, ihren Nachkommen und alteingesessenen Bewohnern sowie die Unterschiede in den Lifestyles stellen diejenigen, die an der Legitimität des politischen Gemeinwesens interessiert sind, vor nie dagewesene Herausforderungen. Wie können die Stadtmuseen diesen Herausforderungen angemessen begegnen? Welche Zukunftsaufgaben und Funktionen können wir konkret benennen? Auch hier gibt Ermert, der sich allerdings auf die Aufgaben der kulturellen Bildung bezieht, wieder sehr gute Anregungen, die auf die Museumsarbeit zu übertragen sind: • Erstens sollten Stadtmuseen an der Herstellung gesellschaftlicher Partizipationsfähigkeit mitwirken. • Zweitens sollten sie sich um die Integration unterschiedlicher Kulturgruppen in unserer Gesellschaft (durch Verstehen und Kommunikation) bemühen. • Drittens wäre es wesentlich, dass sie kulturelle Mittel bereitstellen, um die Kommunikation zwischen den Generationen zu befördern. • Sie sollten sich außerdem Gedanken machen um die Angemessenheit ihrer Strukturen und um die Nachhaltigkeit ihrer Arbeit. • Die Stadtmuseen müssen Ideen hinsichtlich der systematischen Förderung des Nachwuchses machen. • Schließlich sollte auch auf Synergiebildung zwischen den vorhandenen Bildungs- und Kulturstrukturen, den politischen und administrativen Strukturen gesetzt werden. Wie dies im Einzelnen aussehen sollte und welche Konzepte Erfolg versprechen, kann nach meiner Erfahrung nur durch intensive Diskurse der Beteiligten in Erfahrung gebracht werden. Beteiligte sind allerdings – und hier kommen wir zu einem wesentlichen Aspekt meiner Argumentation – nicht die politisch Verantwortlichen oder die Betreiber der Kultureinrichtungen – jedenfalls nicht sie allein. Die Beteiligten der Zukunft müssen vielmehr diejenigen sein, die in der Vergangenheit als Rezipienten der Museumsarbeit gedacht wurden. Dies bedeutet im Klartext, dass sich zeitgemäße Ausstellungsarbeit und Museumspädagogik öffnen müssen für eine aktive Teilhabe. Ein Beispiel: Wesentlicher Bestandteil der Vermittlungsarbeit von Stadtmuseen im Sinne politischer Bildung war immer der Bereich der Erinnerungskulturen, was konkret bedeutete, dass Informationen über Erinnerungskulturen geliefert wurden. Abgesehen davon, dass die Traditionen derer, an die erinnert wurde, nur noch die Traditionen von Teilen der heutigen Gesellschaft sind und die Traditionen der Menschen mit Migrationshintergrund in der Regel nicht zum Thema wurden und immer noch zu selten werden – zunächst also abgesehen davon, ist Informationsvermittlung nicht mehr der gangbare Weg.

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Tradition und Soziokultur als substantieller Teil der politischen Kultur einer Gesellschaft muss vielmehr kulturell und diskursiv vermittelt oder vielmehr ausgehandelt werden, wodurch sich der Prozess der Vermittlung mitsamt seinen Formaten fundamental verändert. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung hat sich den notwendigen Funktionswandel der Museen als Aufgabe gestellt. Eines unserer Pilotprojekte – das Projekt schule@museum, das wir in Kooperation mit dem BDK – Fachverband für Kunstpädagogik e.V., dem Deutschen Museumsbund und dem Bundesverband Museumspädagogik e.V. durchführen, wird 2010 in eine substantiell neue Phase eintreten. Bisher von uns als offenes »Labor« geführt, in dem unterschiedliche Formate auf ihr kreatives kulturelles Potential getestet wurden, will die neue Initiative schule@museum nun bundesweit langfristige Kooperationen zwischen den Institutionen »Schule« und »Museum« begründen mit dem Ziel eines beiderseitigen kulturellen Ertrages und der Öffnung von Räumen für die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Fragestellungen. Bundesweit 16 »Tandems« – Partnerverbünde von Schulen und Museen – entwickeln im Dialog miteinander und den am Projekt beteiligten Institutionen sowohl nachhaltige Formen der Zusammenarbeit als auch Konzeptionen zur erfolgreichen kulturellen Bildung von Kindern und Jugendlichen. Schülerinnen und Schüler, insbesondere aus bildungsfernen Familien sowie aus Familien mit Migrationshintergrund, treten in der Beschäftigung mit den authentischen Objekten der Kultureinrichtungen aus Kunst, Geschichte, Kultur, Technik und Natur in einen kreativen Bildungsprozess ein, der sowohl zu ihrer Persönlichkeitsbildung als auch ihrer kulturellen und politischen Bildung beitragen soll. Durch die erfolgreiche Teilhabe an den kulturbezogenen Kommunikationen und Lernprozessen wird ihre gesellschaftliche Kompetenz gestärkt. In der kommenden Projektphase werden wir uns auf Kooperationen von Museen mit Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I aller Schularten, vor allem aber an Hauptschulen und Erweiterten Realschulen konzentrieren. Die Jugendlichen selbst werden an der Entwicklung der in den Schule-Museum-Partnerverbünden durchgeführten Einzelprojekte und Konzeptionen maßgeblich beteiligt sein und ihre Entwürfe mit den »Tandems« der jeweils anderen Bundesländer diskutieren, so dass sie auch in die Netzwerkarbeit eingebunden sind (Peer Education). Nachhaltige Erträge aus dem Projektvorhaben werden u.a. didaktische Arbeitsmaterialien für Schulen – aber auch für Museen – sein, die Pädagogen beider Einrichtungen konkrete Unterrichtshilfen für die Arbeit am außerschulischen Lernort »Museum« an die Hand geben, sowie ein Leitfaden, der in der Reihe »Standards für Museen« des Deutschen Museumsbunds erscheinen wird. Daneben wird eine Internetplattform mit konkreten Tipps, Musterverträgen, strukturellen und organisatorischen Hinweisen für Lehrkräfte und Museumsmitarbeiter/-innen eingerichtet werden. Zudem dient

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die Internetplattform dem Austausch der Jugendlichen, die hier ihre eigenen Zugänge zu der Thematik mit einem für sie selbstverständlichen Medium finden werden. Wir hoffen, dass die Initiative schule@museum der deutschen Museums- und Schullandschaft dahingehend Impulse geben wird, dass und wie gemeinsam Projekte durchgeführt werden können. Ich würde mich freuen, wenn ich den Theoretikern und den Praktikern unter Ihnen einige Impulse gegeben hätte und Sie die Idee einer »kulturellen Kulturvermittlung« durch Stadtmuseen im Sinne einer neuen Form politischer Bildung mit mir diskutieren würden!

Interkulturelle Öffnung der Museen ist mehr als Pädagogik! Günter Piening

»Die Pflege und Förderung der kulturellen Vielfalt ist Chance und Aufgabe zugleich, denn die Realität der multiethnischen Stadt ist auch eine kulturelle Herausforderung. Bei der kulturellen Integration von Migrantinnen und Migranten handelt es sich um einen wechselseitigen Prozess. Menschen mit Migrationshintergrund und die deutsche Aufnahmegesellschaft sind gleichermaßen gefordert, größere Bereitschaft zu kultureller Offenheit zu entwickeln. Der Umgang mit kultureller Pluralität muss eine Schlüsselkompetenz für alle Teile der Gesellschaft werden.« Das Berliner Integrationskonzept 2007, Seite 9

In Berlin hat mehr als ein Viertel aller Bewohner/-innen Migrationshintergrund, das heißt, sie oder ihre Eltern sind eingewandert oder wurden eingebürgert. In Bezirken wie Mitte, Neukölln oder Kreuzberg-Friedrichshain liegt dieser Anteil sogar bei 40 % und mehr. Dort hat sich unter den Jugendlichen bereits jetzt das gewohnte Verhältnis von migrantischer Minderheit und nichtmigrantischer Mehrheit umgedreht, mehr als zwei Drittel der unter 18-Jährigen stammen aus Einwandererfamilien. Die Einwanderung hat Berlin in seiner gesamten Geschichte verändert wie kaum eine andere gesellschaftliche Entwicklung. Wir sprechen nicht mehr über eine Randgruppe, der man hin und wieder eine Sonderausstellung gönnt. Migration bedeutet Austausch von Traditionen, Religionen und Lebensstilen, Migration heißt auch Spannung zwischen Alteingesessenen und Neuzugezogenen, sie kann je nach Ausmaß soziale Schichtenbildung erzeugen oder verstärken. Sie kann aber auch – in einer durchlässigen Gesellschaft – Raum für Neues, Raum für Kreativität, Entwicklung und Zukunft schaffen. Integrationspolitik ist heute mehr denn je Gesellschaftspolitik, die in allen Bereichen Antworten sucht.

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Als Einwanderungsgesellschaft brauchen wir ein neues Verständnis darüber, wie kollektive Erinnerung, wie die Vermittlung von Kultur gesamtgesellschaftlich gestaltet werden soll. Kulturinstitutionen sind in diesem Prozess besonders gefordert. Vor großen Herausforderungen stehen insbesondere die historischen und kulturhistorischen Museen. Als Orte der Bewahrung und Deutung historisch-gesellschaftlicher Ereignisse müssen sie die Erinnerungskulturen der Einwanderer aufgreifen und die Geschichte(n) Berlins und Deutschlands aus dem Blickwinkel einer Einwanderungsgesellschaft teilweise neu erzählen. Fragen nach der Repräsentation von Migrationsgeschichte(n) und der Einbeziehung vielfältiger kollektiver Erinnerungen im historischen Gedächtnis der Stadt rücken verstärkt in den Fokus. Ein Verständnis von Integration als soziale Reparaturwerkstatt wird aufgebrochen und Integrationspolitik zu einem wichtigen Bestandteil einer umfassenden Gesellschaftspolitik, in der Fragen der demokratischen Partizipation und kulturellen Repräsentation eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Es liegt auf der Hand, dass die notwendigen Veränderungen sich nicht auf Inhalte und Methoden der Museumspädagogik beschränken können. Es geht um die grundlegende Frage der gesellschaftlichen Identität und ihrer Repräsentation. Was ist heute deutsch? Wenn die Welt mit ihren Geschichten in Berlin zu Hause ist, dann ist diese Frage nicht mehr so einfach zu beantworten. Gleichwohl sind die Antworten entscheidend für das gemeinsame Fundament der Einwanderungsgesellschaft. Wenn also auf die Frage »Was ist deutsch?« heute sehr vielschichtige Antworten gefunden werden müssen, was ist dann die Geschichte, was sind die Geschichten, die ein »Deutsches Historisches Museum« erzählt? Welche Veränderungen in Funktion und Wahrnehmung durchläuft ein »Museum für Islamische Kunst«, wenn der Islam selbst in Berlin zur drittgrößten Religionsgemeinschaft herangewachsen ist? Welche Rolle hat ein »Ethnologisches Museum«, wenn ein wachsender Anteil der Berliner Bevölkerung aus den ehemals kolonialisierten Ländern stammt, deren Traditionen als Artefakte in diesem Museum präsentiert werden? Was bringt ein Besuch in diesen Museen etwa bei Menschen zum Klingen, die selbst oder deren Vorfahren vom afrikanischen Kontinent stammen? Die erneute Erfahrung von Demütigung durch rassistisch-koloniale Verbrechen oder die Erfahrung, gleichberechtigter Teil eines allumfassenden Weltkulturerbes zu sein? Museen und andere Orte der Erinnerung können Orte des Ausschlusses sein, in denen Nichtdazugehörigkeit erfahren wird, und es können Orte eines neuen WIR sein, Orte, in denen sich die vielen Geschichten und Blickweisen zu einer gemeinschaftlichen Erinnerung zusammenfügen, in der sich alle wiederfinden. Hier befriedigende Antworten zu geben, ist Voraussetzung dafür, dass die Menschen Museen als Orte empfinden, an denen sie sich zu Hause fühlen, weil dort auch ihre Geschichten erzählt werden. Das bedeutet auch, dass Spannun-

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gen zum Thema werden müssen. Auf gesellschaftliche Ereignisse gibt es keine einheitliche Perspektive. Geschichte (ver-)birgt widersprüchliche Interessen und Machtkämpfe. Hier gilt es, einen genauen Blick auf die Akteure in den Auseinandersetzungen zu richten und angemessen darzustellen und zu benennen. Interkulturelle Öffnung der Museen umfasst also immer zwei Seiten eines Umbauprozesses: Die eine Aufgabe besteht darin, auch Menschen als Zielgruppen zu erreichen, die nicht der Mittelschicht angehören und traditionellen Ausstellungskonzepten eher skeptisch gegenüberstehen. Die andere Aufgabe besteht darin, die Vielschichtigkeit der Sichtweisen auf Themen und Geschichte zu repräsentieren und erfahrbar zu machen und gleichzeitig Anknüpfungspunkte und gemeinsame Bezüge zu entwickeln. Wichtig ist mir, dass wir diese Vielschichtigkeit auch überall im öffentlichen Bewusstsein etablieren. Zuwanderung und Migration werden leicht als etwas Bedrohliches wahrgenommen, wenn sie in erster Linie in Zusammenhang mit sozialen Problemen oder im Extremfall unter einem verengten Blickwinkel von Kriminalität oder religiösem Fundamentalismus diskutiert werden. Ein so verengter Blickwinkel grenzt ganze Teile der Bevölkerung aus, die sich dann auch kaum als potenzielle Besucher/-innen gewinnen lassen. Wie können Museen heute Fragen der Migration, Integration und städtischer Vielfalt thematisieren? Guten Ausstellungen gelingt es, Vergangenes, Bewahrenswertes für die Gegenwart lesbar zu machen. Ein Gefühl der Faszination und Neugierde entsteht vor allem dann, wenn beim Besuch einer Ausstellung der Bezug zum eigenen Leben oder zur aktuellen historischen Situation hergestellt werden kann. Eine Ausstellung muss den Besucher ansprechen, etwas in seinem Denken und in seiner individuellen Lebensgeschichte anrühren können. Besonders gilt das für ein Publikum, das nicht im klassischen Sinne bildungsorientiert ist – also nicht geschult in der Verarbeitung und abstrakten Aneignung historischen oder künstlerischen Wissens. Wenn wir von museumspädagogischen Angeboten für Migrantinnen und Migranten sprechen, dann sprechen wir vielfach von einer Zielgruppe, die nicht zum Bildungsbürgertum gehört. Eine wichtige Forderung an die Neukonzeption von Ausstellungen ist es, die Beteiligung von Minderheiten zu organisieren – am besten von Anfang an. Wenn die Berliner Museen zunehmend (junge) Menschen mit Migrationshintergrund in ihre Häuser holen wollen, dann müssen die Angebote partizipativ angelegt sein und Identifikationsmöglichkeiten sichern. Und die Museen müssen bereit sein, ihr »Haus« auch mal zu verlassen, um die Interessen und Wünsche anderer potenzieller Besucher/-innen zu erfahren. Biographiearbeit ist hier das Stichwort: Besucher/-innen sollten Raum und Möglichkeit bekommen, eigene Geschichten zu erzählen, den individuellen Blick auf bestimmte Ereignisse mit anderen zu kontrastieren und so zu erfahren, dass es immer

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mehrere Perspektiven auf Geschichte gibt. Das ist ein Lernprozess auch für diejenigen, die Ausstellungen konzipieren. Kooperationsprojekte können gemeinsam mit anderen Institutionen (Schulen, Jugendclubs, Quartiersmanagements etc.) entstehen, die individuelle Geschichte(n) hörbar und wahrnehmbar machen. Eine eigene Geschichte zu erzählen erfordert zunächst vor allem Mut, den Mut etwas anders zu sehen als andere, eine vorherrschende Meinung neu zu deuten und sich anderen zu offenbaren. Dieser Mut ist weitgehend unabhängig von der Vorbildung und nicht abhängig von bestimmten Schichtzugehörigkeiten. Durch innovative Formen der Partizipation an Ausstellungen und Museumskonzepten kann die herrschende Mittelschichtsorientierung vieler Museen durchbrochen werden. Museen können zu Orten der lebendigen Auseinandersetzung mit der eigenen und mit fremder Geschichte werden. Aber noch etwas anderes ist möglich und nötig: Wenn Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Migrationshintergrund einen anderen Blick auf Ereignisse und Darstellungsformen haben, dann sollten Museen ihnen die Gelegenheit bieten, die Geschichten anderer, die in den vorhandenen Ausstellungen erzählt werden, unter ihrem Blickwinkel neu zu lesen, neu zu interpretieren bzw. der gängigen Deutung (in der Malerei, der Photographie, der Architektur etc.) gleichberechtigt eine neue Perspektive hinzuzufügen. Die Umsetzung dieser Ideen in museumspädagogische Konzepte ist bezogen auf andere Minderheiten (Zielgruppen?) bereits weit fortgeschritten, auf die spezifischen Sichtweisen von Einwanderern und ihren Kindern wurde bisher jedoch nicht ausreichend geachtet. Dass dieser Prozess des Blickwechsels eine wichtige Erweiterung auch für das Museum selbst sein kann, möchte ich an einigen Beispielen zeigen: Vor einiger Zeit führte die Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten im Schloss Charlottenburg Gruppen türkeistämmiger Berliner/-innen durch die Räume. Ziel war es, Hinweise zu bekommen, wie diese Zielgruppe für das Schloss und seine Geschichte zu interessieren sei. Überraschenderweise fand die Besuchergruppe viel »Türkisches« im Schloss. Viele Ausstellungsstücke stammen aus dem osmanischen Kulturkreis. Diese Anknüpfungspunkte hatte man vorher in dieser Deutlichkeit nicht wahrgenommen. Im Rahmen des EU-Projektes »Migration, Work and Identity« führte das Technikmuseum in Zusammenarbeit mit Vertretern und Vertreterinnen verschiedener Migrantenorganisationen im Jahr 2003 einen Internationalen Museumstag durch. Das Besondere: Teams aus türkischsprachigen Berlinerinnen und Berlinern verschiedener Generationen und Besucherbetreuerinnen und -betreuern des Museums stellten die Ausstellungen und ausgewählte Objekte aus ihrer kulturspezifischen persönlichen Sicht vor. Dieses war nicht nur für die türkischstämmigen Besucher interessant, sondern gerade auch für die deutschstämmigen.

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Das Berliner Anne-Frank-Museum widmet sich der Erinnerung an das Tagebuch der Anne Frank. Die heutige junge Generation kann dieses Tagebuch nicht mehr mit der gleichen Selbstverständlichkeit in den historischen Kontext einordnen wie frühere Generationen. Bei Kindern aus Einwandererfamilien fehlt dieser historische Bezug oftmals vollkommen. Mit einer Neukonzeption der Ausstellung ist es möglich, das Tagebuch neu zu lesen als eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit individuellen Erfahrungen wie Glück, Respekt, Trauer, Verlust u.a. Dadurch finden auch Jugendliche aus Migrantenfamilien einen neuen Zugang zur Geschichte des Nationalsozialismus. Als letztes Beispiel möchte ich die Aktivitäten des pädagogischen Dienstes des Museums für Islamische Kunst hervorheben. Seit dem Frühjahr gibt es dort einen kind- und jugendgerechten Reader zum Thema: Was ist eigentlich der Islam? Am Beispiel eines Rundganges durch die Ausstellung werden dort Grundinformationen über den Islam und den muslimischen Alltag vermittelt. Diese Weiterentwicklung zeigt, wie eine Ausstellung, die aus einem ganz anderen Kontext entstanden ist, sich neuen – auch integrationspolitischen! – Anforderungen stellen kann.

W ie könnte ein P rozess der interkulturellen ÃŒ ffnung aussehen ? Im Integrationskonzept 2007 des Berliner Senats heißt es: »Privilegierte Orte kultureller Bildung sind die Kultureinrichtungen. Deren Angebote erreichen ein migrantisches Publikum noch nicht in ausreichendem Umfang. […] Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Migrationshintergrund sind in der kulturpädagogischen Arbeit der Kultureinrichtungen noch zu wenig als besonders anzusprechende Zielgruppen im Blick.«1 Als erstes Leitprojekt nennt der Senat den Ausbau der interkulturellen Stärken öffentlich geförderter Kulturinstitutionen. Dieses ist angesichts des gewaltigen Nachholbedarfs ein Prozess mit langem Atem, für den jede Einrichtung ihren eigenen Weg finden und entwickeln muss. Aber auch der weitreichendste Umbau beginnt mit ersten Schritten. Wie in allen öffentlichen Verwaltungen ist auch in Museen der Anteil der Mitarbeiter/-innen mit Migrationshintergrund gering und entspricht sicherlich nicht dem Anteil in der Bevölkerung. Analog zu ähnlichen Prozessen in Senats- und Bezirksverwaltungen müssen Maßnahmen ergriffen werden, die es Migrantinnen und Migranten leichter machen, in Museen zu arbeiten. Die Erfahrung in anderen Bereichen zeigt, dass durch offensive Information über das Berufsfeld (bereits in Schulen) und das proaktive Werben um Beschäftigte viel 1╯ |╯V ielfalt fördern – Zusammenhalt stärken. Das Berliner Integrationskonzept. Der Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration (Hg.), Berlin 2007, S. 9.

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erreicht werden kann. Der Berliner Integrationsbeauftragte führt die Kampagne »Berlin braucht dich!« durch, über die der Anteil der neueingestellten Auszubildenden mit Migrationshintergrund im Öffentlichen Dienst zwischen 2006 und 2008 von rund acht auf rund 15 % gesteigert werden konnte. Die oben skizzierten museumspädagogischen Konzepte mit dieser Zielgruppe erfordern die gezielte interkulturelle Schulung des pädagogischen Personals. Etwas zugespitzt könnte man sagen: Museen können nicht darauf warten, dass Migrantinnen und Migranten, eine Gruppe, die ja selbst sehr vielfältig ist, von alleine in ihre Ausstellungen kommen. Um für Museen zu werben, braucht man jedoch ein an den Zielgruppen geschultes Personal. Deshalb können wichtige Impulse durch eine enge Kooperation mit Migrantenvereinen und anderen Institutionen entstehen. Ausstellungen mit den Augen der Nutzergruppen zu lesen, ist gerade im interkulturellen Kontext wichtig. Hier gibt es in Berlin viele gelungene Beispiele wie die Ausstellung »Migrationsgeschichten in Berlin«, die 2003 im Rahmen des bereits erwähnten EU-Projektes im Museum Europäischer Kulturen in Dahlem stattfand. Kunsthandwerkliche Ausstellungsstücke aus dem Museumsbestand wurden mit Alltagsgegenständen aus dem Migrationsalltag kombiniert – Fremdes wurde so Teil des Eigenen. Die Kooperation mit externen Institutionen scheint insgesamt eine wichtige Erfolgsgarantie zu sein. Über Migrantenorganisationen, Schulen, Quartiersmanagements, Volkshochschulen und andere Einrichtungen können interessierte Personen aus den neuen Zielgruppen in die Neukonzeption von Ausstellungen und in die museumspädagogische Arbeit eingebunden werden. Dies entspräche auch dem generellen Trend hin zu Kooperationen im Kiez und böte Möglichkeiten, die Attraktivität von Museen zu erhöhen. Hier möchte ich als Beispiel die Ausstellung »Lebenswege« erwähnen, eine Kooperation zwischen dem Berliner Museum für Kommunikation und einigen Oberschulen, die die Biographien der Eltern mit Hilfe von Museumsmacherinnen und -machern aufarbeiteten und 2008 in einer Sonderausstellung im Museum präsentierten. Sprache ist oft eine Hürde. Museen könnten mehrsprachige Angebote, auch in den Heimatsprachen der großen Migrantengruppen in Berlin, machen. Gerade die erste Einwanderergeneration, deren Erinnerungen die Einwanderungsgeschichte erst lebendig macht, ist oftmals besser in der Lage, diese in ihrer Muttersprache zu erzählen. Eine Mehrsprachigkeit »zieht« auch das internationale Publikum aus den Einwandererländern an: an einem Gang ins Museum mit Verwandtenbesuch haben nicht nur deutschstämmige Berlinerinnen und Berliner Interesse. Einige Berliner Museen sind im Prozess der interkulturellen Öffnung bereits weit fortgeschritten. Insbesondere die Bezirksmuseen in den Einwandererbezirken haben sich früh dieser Aufgabe gestellt. Das Kreuzberg-Museum kooperiert mit Schulen und Volkshochschulen im Stadtteil und bietet in Er-

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gänzung zu den Ausstellungen im Rahmen der Kreuzberger Tage auch Stadtteilbesuche an. Insgesamt bildet sich die Berliner soziale und kulturelle Vielfalt bislang jedoch noch unzureichend in den Museen ab. Sie bleiben oftmals Einrichtungen für ein »klassisch deutsches« bildungsorientiertes Publikum. Damit sind sie aber für viele Migrantinnen und Migranten in dieser Stadt nach wie vor unattraktiv. Nachhaltige Erfolge sind vor allem dort zu verzeichnen, wo sich die Kooperation mit externer (migrantischer) Kompetenz nicht auf Fragen der Gewinnung neuer Besuchergruppen beschränkt, sondern diese Kompetenz auch zur Bewertung der Sammlungsbestände einbezogen wurde. Dabei geht es nicht nur um die Umdeutung vorhandener Ausstellungsstücke, sondern auch um die Identifikation von Leerstellen. Wenn es um die Sammlung geht, gehört ein Dilemma auf die Agenda, das in den Diskussionen noch zu wenig Beachtung findet: Die (kultur-)historischen Sammlungen haben gewaltige Lücken in der Darstellung der Geschichte der jüngeren Einwanderung. Und wir drohen in eine Situation zu geraten, in denen gerade den historischen Museen, die sich auch den Alltagskulturen widmen, ein großer Schatz verloren geht. Die Geschichte der Nachkriegseinwanderung – insbesondere die der Gastarbeiter/-innen und Vertragsarbeitnehmer/-innen – ist bisher nur sporadisch gesammelt worden. Heute, rund 50 Jahre danach, tritt diese erste Einwanderergeneration ab. Mit ihr verschwinden unwiederbringliche Erinnerungen und Erinnerungsstücke, die den Aufbau der Bundesrepublik und der DDR mitgeprägt und mitbestimmt haben. Es ist eine gemeinsame Aufgabe von Integrationspolitikern, Museen und Migrantenorganisationen, Wege zu finden, diese Stücke und Erinnerungen für kommende Generationen zu sichern. Denn diese nachfolgenden Generationen werden sich kaum noch aufsplitten lassen in Einwanderer und Nichteinwanderer. Sie werden Berliner sein mit unterschiedlichen Wurzeln, Bürgerinnen und Bürger, die diese Wurzeln zu Recht in ihren Museen finden wollen.

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II. Sammlungshort, Bürger-Forum oder Erlebnisort?

Die Dynamisierung des Stillgestellten Sechs Bemerkungen zu einem neuen Trend, der das Stadtmuseum erfasst hat * Gottfried Korff

1. Lange Zeit galten Stadtmuseen als eine Art Auslaufmodell. Sie boten sich als ein Museumstyp, der aus der Zeit gefallen war, als ein Museumstyp, der müde, verbraucht und abgewrackt wirkte. Allenfalls als »Endlagerstätten für schwachstrahlende Substanzen«, wie es Peter Sloterdijk einmal formuliert hat,1 gelang es ihnen, sich bescheiden Geltung zu verschaffen. Von der Kulturpolitik wurden sie vernachlässigt, vom Feuilleton kaum wahrgenommen, und die lokalen Kunstmuseen sahen mit Naserümpfen auf sie herab. Kein Wunder, dass sich auch in ihrem Selbstverständnis immer wieder Züge der Verzagtheit, der Lustund Einfallslosigkeit meldeten. Doch es gibt Anzeichen dafür, dass dies vorbei ist. Julia Voss sprach vor kurzem in der FAZ2 von einem Rumoren in der deutschen Museumslandschaft, und von Martin Roth wurden in einem SZ-Interview3 sogar tektonische Verschiebungen ausgemacht, Verschiebungen mit seiner Ansicht nach erheb*╯ |╯U m Nachweise und Anmerkungen ergänzter Vortragstext, dessen Redestil auch in der Druckfassung bewusst beibehalten wurde. 1╯ |╯P eter Sloterdijk: Museum. Schule des Befremdens, in: Frankfurter Allgemeine Magazin vom 17. März 1989, S.€28-33, s. S.€33. 2╯ |╯J ulia Voss: Expeditionen in die zweite Natur, in: FAZ vom 9. April 2009, S.€36. 3╯ |╯D ie Zeit des Verbeugens ist vorbei, in: Süddeutsche Zeitung vom 7. April 2009. Vgl. dazu auch die Vortragsreihe der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden »Im Sog der Kunst. Museen neu denken« vom 26.11.2009-10.6.2010 im Albertinum Dresden.

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lichen Folgen in Bezug auf Aufgabenstellung und Selbstverständnis nationaler, regionaler und kommunaler Museen und des politischen Umgangs mit ihnen. Und es sieht so aus, als sei davon auch das Stadtmuseum betroffen – in positiver Weise. Aus diesen bisher nicht anders als diffusen Beobachtungen muss sich seitens der Tagungsverantwortlichen der Plan ergeben haben, aktuelle Entwicklungen in Sachen Stadtmuseum kommentieren zu lassen. Darum bin ich gebeten worden, und so ist es meine Aufgabe, Ihnen in den nächsten dreißig Minuten Wahrnehmungen und Perspektiven, Überlegungen und Fakten in selbstreflexiver Ausrichtung vorzutragen. Denn auch diese Veranstaltung und vor allem das nicht geringe Interesse an ihr lassen sich als Indiz für ein im Wandel befindliches Bild stadtmuseologischer Anstrengungen lesen – und als Indiz auch für eine gesellschaftlich und politisch geänderte Einschätzung der Institution, um die es hier geht. Ich werde so vorgehen, dass ich zuerst die Situation des Stadtmuseums in Deutschland, so wie sie sich in den letzten zwei Jahrzehnten entwickelt hat, knapp skizziere. Dann werde ich zweitens versuchen, die Gründe für ein neues Interesse am Stadtmuseum zu benennen und diverse Erscheinungsformen der damit verbundenen Trends zu umreißen. Schließlich werde ich drittens Beispiele für eine stadtmuseale Expositorik anführen, Beispiele für Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer aktuellen Thematisierung einerseits der Stadt im Museum und andererseits des Museums in der Stadt.

2. Wenn nicht alles trügt (und es das sinkende Steueraufkommen und die steigenden Sozialausgaben im Zeichen der Finanzkrise nicht verhindern), dann steht das Stadtmuseum an oder vor einer Wende. Wieder einmal, so wird man präzisieren müssen. Denn das Verhältnis der Öffentlichkeit (und auch der Politik) zum Stadtmuseum, verstanden als einem in kommunaler Trägerschaft befindlichen historischen (in aller Regel kulturhistorischen) Museum mit ortsbezogenem und integriertem Sammlungsbestand, war stets von wechselnden Gefühlen und Ambivalenzen bestimmt. Es gab Phasen in der deutschen Geschichte, in denen man dem Typus Stadtmuseum mit Anerkennung und Wohlwollen, fast mit schwärmerischer Zuneigung huldigte, wie dies heute noch die privilegierten innerstädtischen Standorte seiner in aller Regel imposanten Architekturen erkennen lassen.4 Immer wieder gab es aber auch Phasen, in denen man ihm nur mit Zurückhaltung, äußerster Zurückhaltung, bis hin zur Respektver4╯| ╯D as trifft auch und in besonderer Weise zu für den Tagungsort: das Märkische Museum in Berlin. Vgl. dazu Berit Schweska: Museale Wirklichkeitskonstruktion durch Stimmungsräume. Zur Wirkungsweise des historistischen Märkischen Museums Berlin

D ie D ynamisierung des S tillgestellten

weigerung gegenübertrat. Solch eine Phase scheint das Stadtmuseum gerade hinter sich zu haben. Man hört und liest nämlich auf einmal von zahlreichen Initiativen und Projekten, von Neuentwürfen und Neugründungen, von innovativen Organisationsformen und wagemutigen Finanzierungsmodellen – und auch von Diskussionen, die hier und da aufgebrochen sind und nicht ohne Heftigkeit geführt werden (etwa in Köln und in Hamburg-Altona). Das alles ist erstaunlich insofern, als es, wie gesagt, in den letzten drei Jahrzehnten um das Stadtmuseum still geworden war. Das Größte an ihm schien seine Vergangenheit, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert nachdrücklich Prägungen von seiner Karriere als erfolgreichem Modell bürgerlicher Geschichtsaneignung und -vermittlung erfahren hatte. Zusammen mit den zumeist aus den dynastischen Sammlungstraditionen stammenden Landesmuseen hatte es die Gründung und den Aufbau eines nationalen Geschichtsmuseums entbehrlich gemacht und so, vor allem aufgrund seiner intensiven und vielgestaltigen Publikumsbindung, eine gesellschaftlich und politisch anerkannte Stellung bei der realienkundlich ausgerichteten Geschichtsdarstellung erlangt. Geschwächt durch die Vernachlässigung lokaler und regionaler Museumsarbeit in der NS-Zeit5 und dann auch durch die »dark ages of the museum«, wie die 1950/60er einmal genannt worden sind,6 begann das Stadtmuseum ab den 1970ern vor sich hin zu dümpeln. Und auch zu den Gewinnern des Booms, der die Situation des Museums seit den 1980er Jahren kennzeichnet, gehörte es nicht. Vom Boom begünstigt worden waren – im Gegenteil! – zwei Trends, die der Logik des Stadtmuseums eher entgegenstanden. Das war zum einen die Blockbustermuseologie, zum anderen die small-is-beautyful-Museologie, die in den Heimatmuseen kleinerer und mittlerer Kommunen ihren ubiquitären und monotonen Auftritt hatte – als Folge einer auf partizipatorische Leitbilder ausgerichteten Kulturpolitik des kleinen Kuschelevents, das vielerorts lebensweltlich kompensatorische Funktionen zu erfüllen hatte (und zweifellos auch erfüllen konnte). Die Zahl dieser Museen, so weiß man aus den Berichten des Berliner Instituts für Museumsforschung, hat sich zwischen 1980 und 2000 vervierfacht, ein Aufschwung, der sich allerdings nicht in der Zahl ihrer Besuche niederschlug. Es war eine von Paradoxie nicht freie Situation: Die Zahl der Neugründungen nahm kontinuierlich zu, die ihrer Besuche aber kontinuierlich ab. Auf immer mehr neu gegründete kleine Museen (in Gemeinden bis zu 20.000 Einwohnern) entfiel eine relativ konstante Besucherteilmenge, die vom Architekten Ludwig Hoffmann, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 18 (2007), S.€91-114. 5╯ |╯Vgl. dazu – bisher leider nur skizzenhaft – Martin Roth: Heimatmuseum. Zur Geschichte einer deutschen Institution, Berlin 1990, S.€63-163. 6╯ |╯K arsten Schubert: The Curator’s Egg. The Evolution of the Museum Concept from the French Revolution to the Present Day, 2. Aufl., London 2002, S.€143.

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in einem auffallenden Kontrast zu den allgemeinen Steigerungsraten der vom Berliner Institut vermeldeten Besuchszahlen stand. Publikumszuspruch, und zwar massiven Publikumszuspruch fand hingegen der andere große Profiteur des Booms. Und das war die museumsexpositorische Großveranstaltung, mit der eine (wie das gerade in den nicht ohne Erregtheit geführten museumspolitischen Diskussionen in Frankreich genannt wird) muséologie du résultat betrieben werden konnte, eine Museumspolitik, die auf eine Strategie der »großen Zahl« ausgerichtet war – also auf Besuchsmagneten, auf Highlights und auf Leuchttürme. Diese Museumspolitik gründete in politischen Leitvorstellungen der 1970er und 80er, die eine Entkonventionalisierung des Kultur- und Bildungsverständnisses und den Ruf »Kultur für alle« zu ihrem Programm gemacht hatten.7 Will man die Situation mit Berliner Namen kennzeichnen, dann könnte man das mit den Namen Charlotte von Mahlsdorf und Peter Raue tun. Charlotte von Mahlsdorf steht für den Typus einer plüschig-piefigen Gemütlichkeits- und Mitmachmuseologie,8 Peter Raue für den Typus einer besucherschlangenbildenden Eventmuseologie, die Zeitgenossenschaft und Zeitstil expositorisch herzustellen in der Lage und deshalb gesellschaftlich hoch präsent und reputativ ist.

3. Beide boombedingten Entwicklungen engten den Bewegungsspielraum der klassischen Stadtmuseen ein und beeinträchtigten über zwei Jahrzehnte hinweg deren Arbeit und Dynamik, aber auch deren Ansehen – mit deutlich negativen Folgen für die kommunale Finanzierungsbereitschaft. Die Nähe zum Genre der Heimatmuseen wirkte trivialisierend und verniedlichend und entwertete fortschreitend ihr Image (vor allem wenn man sie im Koordinatensystem der erfolgreichen nationalen und regionalen Neugründungen wie dem DHM und diverser Häuser für Geschichte vermaß). Und die Konkurrenz zu den großen spektakulären Expositionsunternehmen auf Zeit führte zu einer über die kommunalen Haushalte gesteuerten Prioritätensetzung, die den Geltungsanspruch der Sammel- und Ausstellungstätigkeit des Stadtmuseums einschränkte. Zwischen dem Haus der Kunst und der Neuen Pinakothek konnte sich das Münchner Stadtmuseum (ehedem – bis in die frühen 1980er – eine Einrichtung mit 7╯| ╯Vgl. dazu Axel Schildt/Detlef Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik – 1945 bis zur Gegenwart, München 2009, S.€ 339f. und 432f. Dazu auch Gottfried Korff: Neue Strukturen einer urbanen Festkultur. Auf dem Weg zur Festivalisierung und Kommerzialisierung, in: Adelheid von Saldern (Hg.): Stadt und Kommunikation in bundesrepublikanischen Umbruchszeiten, Stuttgart 2006, S.€165-180. 8╯| ╯Vgl. dazu Berliner Zeitung vom 31. März 2009.

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weitstrahlendem Ausstellungsrenommee) nur noch schwer behaupten. In Frankfurt wurde das historische Museum, das in den frühen 70ern in puncto didaktischer Expositorik diskursbestimmend war, zwischen Städel, Schirn und Museum für Moderne Kunst profillos, fast nichtexistent. In Köln blieb das ehemals, in den 1960/70ern aktive Stadtmuseum neben dem expandierenden Museum Ludwig und dem Kunstverein ohne Fortune. Und in Hamburg machte sowohl das Museum für Hamburgische Geschichte wie das Altonaer Museum, beides museumshistorisch ruhmvolle, weil in ihrer Entstehungszeit maßstabsetzende Häuser, einen verlorenen und verhuschten Eindruck. Alle diese Museen wirkten, als würden sie auf eine Abwrackprämie zugunsten modernerer Formate warten (was ja, wenn man an das Internationale Maritime Museum denkt, in Hamburg auch der Fall war). Trotz einer Marginalisierung der Stadtmuseen, die, wie gesagt, schon in der Nachkriegszeit begonnen hatte, gab es in den 1960/70ern einige legendäre Einrichtungen, die sich nicht nur mit Engagement und Dynamik behaupteten, sondern zu so etwas wie Leitmedien der gesellschaftlichen Selbstverortung und historischen Vergegenwärtigung wurden und durch neue Inhalte, insbesondere aber auch durch neue Formen der Expositorik und Didaktik von sich reden machten (und sogar zu einem öffentlich traktierten Grundsatzstreit geführt hatten, der unter dem Titel »Lernort contra Musentempel«9 bis heute berühmt ist). Zu denken ist hier zuallererst an das Historische Museum in Frankfurt/Main, aber auch an die Museen in München, Nürnberg und Essen. Frankfurt etwa machte neben einer mutig zugeschnittenen Dauerausstellung (die übrigens den Anlass für den Lernort/Musentempel-Streit bildete) erstmals den Krieg zum selbstreflexivenThema (»Ein Krieg wird ausgestellt«); München erkundete den Großstadtalltag über die Fotografie, setzte in vielbeachteten Ausstellungen die Zeitgeschichte aufs Programm (»Die Zwanziger Jahre«, »Hauptstadt der Bewegung«) und behandelte in großen Schauen Aspekte der conditio humana (»Die letzte Reise« 1984). Nürnberg machte in seinem 1979 gegründeten »Centrum Industriekultur« auf ein neues Themenfeld und auf neue Explikationsformen aufmerksam. Das Ruhrlandmuseum in Essen führte Kultur und Natur in einer integrierten Perspektive und dingepistemisch völlig neuen Weise vor: Man sah die Ruhrgebietskohle als regionale raumbildende Produktivkraft, als Ergebnis einer modo analytico präsentierten erdgeschichtlichen Photosynthese, aber auch – auf Röntgenbildern – als Auslöser von Silikose und Staublunge. Durchblättert man im Rückblick die Stadtmuseumskataloge dieser Jahre, dann ist man überrascht von der Fülle der Themen, der Vielfalt der Zugänge und des interpretativen und inszenatorischen Muts, der damals Einzug in die Museen hielt.

9 | Ellen Spickernagel (Hg.): Das Museum: Lernort contra Musentempel, Gießen 1976.

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Dann brachten sich ab Mitte der 1980er in starker Weise die Folgewirkungen des Booms zur Geltung. Im Vergleich zu den großen und expansiven Museums- und Ausstellungsformaten, denen die kulturpolitische Gunst der Stunde galt, wurde das Stadtmuseum zu einer Quantité négligeable. Es wurde zu einer eingeschüchterten und anämisch wirkenden Institution. Seitens der Kommunalpolitik fing man an, ihm den Respekt zu versagen, weil es für eine public private partnership nicht geeignet schien. Es konnte nicht mit Glamour aufwarten, sondern in ihm musste, wollte es beeindruckend wirken, anstrengende und aufwendige Decodierungsarbeit an seinen reichen Beständen geleistet werden. Es war reich, aber nicht sexy – und deshalb aufmerksamkeitsökonomisch irrelevant.

4. Doch – noch einmal – diese Situation scheint sich zu ändern. Es gibt Anzeichen für einen neuen konjunkturellen Aufschwung des Stadtmuseums. Von A bis Z – von Aachen bis Zittau und von Altona bis Zwiesel tut sich was, ist etwas von Julia Voss’ produktivem Rumoren zu verspüren. Zwar nicht in allen der knapp über 720 im Statistischen Jahrbuch aufgelisteten Groß- und Mittelstädte, also den über 20.000 Einwohner zählenden Kommunen, von denen mehr als drei Viertel über ein Museum mit regelmäßiger Öffnungszeit verfügen, aber doch in nicht wenigen, insbesondere solchen, die auf eine Profilbildung mittels Kulturpolitik setzen. In Aachen und Zittau, in Altona und Zwiesel ist das so, aber auch auf einer imaginierten Reise von Aachen nach Zittau und von Altona nach Zwiesel stößt man auf neue stadtmuseumswillige Regungen. In Aachen liegen ein Entwurf und eine Denkschrift in der Schublade des Historischen Seminars der örtlichen TU; in Zittau werden, unterstützt von der Stiftung Denkmalpflege, die expositorischen Ordnungen, heißt: das Verhältnis von Dauer- und Wechselausstellung neu justiert. In Köln, zunächst eine Besichtigung der West-OstAchse, ist eine ambitionierte Runderneuerung angekündigt und, wie man hört, schon auf dem Weg der Realisierung.10 In Frankfurt wird nicht nur neu gebaut (der Siegerentwurf stammt von Lederer/Rangnarsdottir/Oei), sondern auch neu konzipiert (in Anknüpfung an verschüttete Erwartungen und Erfahrungen), in der Nachbarstadt Wiesbaden ist ebenfalls ein Wettbewerb abgeschlossen (Siegerentwurf: Töpfer/Bertuleit, Berlin) und ein gleichermaßen inhaltlich wie gestalterisch kompetentes Konzept in Mache. Auch in Nürnberg werden die Karten neu gemischt, indem das Stadtmuseum, welches über sechs Ein10╯|╯ M ittlerweile ist die Chance, dass die Erweiterungs- und Umbauplanungen zügig verwirklicht werden, jedoch auf null gesunken, weil im August 2009 ein privates Finanzierungsangebot auf Grund juristischer Querelen zurückgezogen worden ist.

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richtungen verfügt (darunter das ehemals wegen seines innovativen Elans hoch gerühmte Centrum Industriekultur) völlig neu aufgestellt wird. Im September 2009 wurde dort zudem – auf einer Konferenz mit dem Titel »Wie viel Museum braucht eine Stadt?« – das Prinzip Stadtmuseum identitätspolitisch, stadtökonomisch und szenographisch auf den Prüfstand gestellt. In Dresden wurde vor kurzem das alte Stadtmuseum in neuem Format eröffnet, selbstbewusst sich behauptend zwischen großen kulturpolitisch und präsentationsästhetisch impulsgebenden Unternehmungen wie den Staatlichen Kunstsammlungen, dem Hygienemuseum (das ja seit Jahren mit großem Erfolg an der vordersten Front einer sowohl thematisch wie gestalterisch kreativ-produktiven Ausstellungstätigkeit arbeitet) und demnächst auch dem Militärhistorischen Museum, das 2010 im neuen Libeskind-Bau auf dem ehemaligen Kasernengelände eröffnet wird. Ja – und dann Zittau: siehe oben. Von Aachen bis Zittau: Die imaginäre Reise zeigt übrigens auch, dass die Probleme der Stadtmuseen in der ehemaligen DDR nicht sehr viel anders als in der westlichen Hälfte des Landes gelagert sind. Auch dort machen ambitionierte und kompetente Aktivitäten auf die Potentiale einer kommunalen Museumsarbeit aufmerksam. Die erwähnten Beispiele Dresden, Magdeburg und Zittau könnten leicht um weitere Namen – etwa Eisenhüttenstadt, Neuruppin, Görlitz, Dessau, Leipzig etc. – ergänzt werden. Sicher waren oftmals die Bedingungen für eine konzeptionelle und gestalterische Neuorientierung aus politischen und technischen, museo- und ideologischen Gründen schwieriger als in der alten BRD,11 aber insgesamt bringen sich die klassischen Stadtmuseen mit soliden, zum Teil aber auch aufstörenden Ausstellungsvorhaben in beeindruckender Weise zur Geltung. Es sieht so aus, als beeinträchtige vor allem zweierlei die Museumsarbeit im Ostteil des Landes: zum einen eine wenig ausgeprägte Dynamik der Museumsbesuche (deren Zahl sogar in einigen Ländern rückläufig ist12), zum anderen eine vergleichsweise geringe Finanzausstattung der »kulturellen Basislager«, wie die Lokalmuseen in einer Programmerklärung des Museumsverbandes Brandenburg genannt worden sind – übrigens in einem Themenheft der »Museumsblätter«, das sich wohlinformiert und programmatisch mit der »Wertigkeit« der Museen in der Stadt auseinandersetzt.13 11╯ |╯Vgl. dazu äußerst kundig und sensibel am Beispiel der Museen Eisenhüttenstadt, Wittenberge und Wittstock Thalia Gigerenzer: Original DDR, in: FAZ vom 9.11.2009, S.€31. 12╯|╯ Vgl. dazu Statistische Gesamterhebung an den Museen der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2007, Berlin 2008 (=Materialien aus dem Institut für Museumsforschung, Heft 62), S.€24. 13╯ | ╯R enate Fritz-Haendeler: Neue Stadt und Neues Museum. Zur Wertigkeit des Museums, in: Museumsblätter. Mitteilungen des Museumsverbandes Brandenburg 08/2006, S.€6f.

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Auch auf der Nord-Süd-Achse ergibt sich zwischen Altona und Zwiesel ein ähnliches Bild. Altona ist eines der klassischen Stadtmuseen mit ruhmvoller Vergangenheit. Zusammen mit dem ebenfalls »klassischen« Museum für Hamburgische Geschichte wurde es kürzlich im Rahmen eines verwaltungstechnisch neuen Organisationsmodells mit den anderen hansestädtischen Geschichtsmuseen in kommunaler Trägerschaft unter einem administrativen Dach zusammengefasst (wobei nicht unerwähnt bleiben kann, dass sich die Kulturverwaltung der Hansestadt mit der privaten Neugründung eines »Maritimen Museums« gleichzeitig eine eigene Konkurrenz seiner einstmals illustren und europaweit bewunderten Stadtmuseen hochzieht). Emden hat mit einer neuen, kühnen Gestaltung von Stefan Iglhaut 2008 die Aufmerksamkeit bei der Jahrestagung des Deutschen Museumsbundes auf sich gezogen; das Ruhrlandmuseum wird sich unter neuem Namen, als Ruhrmuseum, im Januar 2010 an einem neuen Ort (auf der Zeche Zollverein) und in einer neuen Gestaltung von HG Merz präsentieren.14 Düsseldorf hat in den Jahren 2005/06 eine Erneuerung hinter sich gebracht und die Aufmerksamkeit auf Installationen gelenkt, die ihre Spannung aus dem Verhältnis von Geschichte und Gegenwart beziehen. Die Erneuerung setzt auf das Prinzip »Stadt in Bewegung« und »aktiv an Gestaltungsprozessen gesellschaftlicher Realitäten« teilnehmen zu wollen, so das Eigeninserat. In Stuttgart ist seit zwei Jahren ein neues Stadtmuseum in intellektueller und organisatorischer Vorbereitung und wird sich ebenfalls in den Wettbewerb mit einem städtischen Kunstmuseum, das sich in den letzten Jahren über einen Mangel an öffentlicher Beachtung nicht beklagen konnte, mit zwei imposanten Automobilmuseen (Mercedes-Benz und Porsche) und mit einem ehrgeizigen Haus der Geschichte (in Trägerschaft des Landes) setzen müssen. Und das Stadtmuseum München hat sich vor zwei Jahren mit der gestalterischen Durchformung seiner Dauerausstellung und einem inspirierenden Objekt-, Bilder- und Textbuch einen diskursfähigen Neubeginn gegeben. Zwiesel schließlich ist ein Beispiel für den Aufbruch der Stadtmuseologie in einer entlegenen Region. Angeregt von dem Elan, die das Museumswesen in toto erfasst hat, ist im Bayerischen Wald eine neue Konzeption erarbeitet worden, die anstrebt, bewährte Themenfelder mit inhaltlich neuen Fragestellungen zu verbinden und inszenatorisch wie didaktisch zu modernisieren.15 14╯|╯ Z ur Eröffnung im Rahmen der Auftaktveranstaltung zur »Kulturhauptstadt Europas« am 9. Januar 2010 erscheint übrigens ein Katalog der Dauerausstellung, der einerseits den in zahlreichen Publikationen ausgewiesenen wissenschaftlichen Anspruch des Museums bezeugt und andererseits die Syntheseleistung der Szenographie in Bezug auf das Konzept »Natur, Kultur, Geschichte« deutlich macht. 15╯|╯ Z wiesel ist freilich auch ein Beispiel dafür, in welch starkem Maße lokale Museumsprojekte von der wirtschaftlichen Großwetterlage abhängig sind. So stellten sich die Prognosen, was den Um- und Erweiterungsbau des Museums anbetrifft zum

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Lohnend übrigens auch, das jedoch nur ganz knapp und beiläufig, ein Blick über die nationalen Grenzen im Westen und im Süden – beispielsweise ins Musée Lovain la Neuve in Belgien, ins Musée de la Ville de Luxembourg mit seinen thematisch mutigen und szenographisch eindrucksvollen Ausstellungen (zum Hexenwesen, zum Kunstraub und zu »Mord und Totschlag«), ins Museum zu Allerheiligen Schaffhausen mit seinen seit Jahren üblichen und immer wieder faszinierenden und theoretisch versiert dargebotenen Dingdeklinationen, ins Salzburg-Museum und ins Wien-Museum. Aufschlussreich schließlich noch ein Blick auf die aktuelle Ausstellungstätigkeit der Stadtmuseen: Von der Alexander-Schau in Mannheim über die Mittelalterausstellungen in Magdeburg und Braunschweig über »Berlin im Licht« im Märkischen Museum bis hin zu dem couragierten und vielbeachteten Unternehmen »Die 68er. Kurzer Sommer – lange Wirkung« in Frankfurt/Main wurde 2008/09 in den Stadtmuseen ein reiches Expositionspanorama entfaltet.

5. Was zwischen Aachen und Zittau, zwischen Altona und Zwiesel in unterschiedlicher Form, mit unterschiedlicher Ausrichtung und mit unterschiedlicher Finanzausstattung geschieht, ist ein Indiz dafür, dass Stadtmuseen als Orte und Horte eines symbolischen Kapitals neu gesehen und neu organisiert werden. Es ist ein Indiz auch dafür, dass sich das Binnengefüge städtischer Kultureinrichtungen zu verschieben beginnt – zugunsten des klassischen Stadtmuseums, wobei das »Klassische« jedoch umformatiert wird. Stadtmuseen – das sind, so noch einmal die knappe Eingangsdefinition, kulturhistorische Museen mit einem integrierten, ortsbezogenen Sammelbestand und -auftrag. Integriert heißt einerseits: Die Sammlung ist Sockel und Ressource der Museumstätigkeit, Deponieren und Exponieren sind ineinander verflochten. Integriert heißt aber auch: gemischt, breit und umfassend – von der Ritterrüstung über die Schnurrbartbinde zum Kondomautomat, von dem Aquamanile über die Nähmaschine zur Stechuhr. Für Stadtmuseen gilt weiterhin das Örtlichkeitsprinzip und das, was man mit Hans-Jörg Rheinberger eine »Epistemologie des Konkreten«16 nennen könnte. Vermittels der lokalen und sozialen Erdung des GeZeitpunkt des Vortrags dieses Textes im April 2009 noch in einer positiven Perspektive dar. Zu Ende des gleichen Jahres waren die Aussichten auf eine Realisierung der Planungen, so war der Passauer Neuen Presse vom 20.10.2009 zu entnehmen, auf Grund der Wirtschafts- und Finanzkrise nur noch minimal. 16 | Vgl. dazu Hans-Jörg Rheinberger: Epistemologie des Konkreten. Studien zur Geschichte der modernen Biologie, Frankfurt/Main 2006. Vgl. dazu auch ders.: Objekt und Repräsentation, in: Mit dem Auge denken. Strategien der Sichtbarmachung in wis-

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sammelten und Gezeigten wird am konkreten Beispiel – beglaubigt durch und ergo auch immer überprüfbar in Geschichten des Hier – das Verhältnis von Eigenem und Fremden erörtert, dechiffriert und zur Anschauung gebracht. Zum Stadtmuseum gehört dann schließlich auch die Auseinandersetzung mit dem Prinzip Urbanität, dessen Wesenskern das produktive Gegeneinander und Ineinander von fremd und eigen ist. Zu alledem kommt last but not least, dass Stadtmuseen in der Lage sind, sich als Ort für verdichtete Formen der Publikumsbindung und als Ort für die Erprobung stadtkultureller Partizipationsstrategien darzubieten. Orientiert man sich an der neueren soziologisch ausgerichteten Stadtforschung,17 dann kann man für das neue Ansehen, das den Stadtmuseen auf einmal zuteil wird, neben urbanistischen Rekonzentrationsprozessen einen Trend verantwortlich machen, der seit einiger Zeit die größeren Städte erfasst hat. Städte, so belehren uns die Stadtsoziologen, kehren ihre »Eigenlogik« heraus – als Gegensteuerung zu Homogenisierungsprozessen. Durch Betonung des Eigenen definieren sich Städte in Differenz zu anderen Städten, und bei dieser Differenzmarkierung scheint Museen eine besondere Bedeutung zuzukommen: Museen sind auf Ortsspezifisches, also auf Eigenes ausgerichtet und bedienen eine Evidenzsehnsucht. Nach einer Phase der Vergleichförmigung und Nivellierung der Städte in den 1970/80ern wird die Stadtpolitik neuerdings von kommunalen Identitätsprojekten geleitet. Bei dieser Sichtbarmachung des Eigenen, des Unverwechselbaren, spielt das Museum als Lieferant von Bildern, von imagines, eine nicht unwichtige Rolle. Bilder werden in Ausstellungen wirkungsvoll zur Anschauung gebracht und lagern als Ressource für wechselnde Installationen und Montage im Depot. Darauf zielt übrigens mein Titel: Dynamisierung des Stillgestellten.18 Gemeint ist damit die Aktivierung des Depots, dessen Schätze in klugen expositorischen Versuchsanordnungen wachgerufen und in aktuelle Zeitbezüge gestellt, also »dynamisiert« werden. Es ist eine Dynamisierung, die von den in schnelle Bewegung geratenen elektronischen Bildwelten und Datenströmen geprägt ist, gleichzeitig aber auch deren Gegenlager bildet, indem sie die Flut des Visuellen aufgreift und ordnet und solcherart deuten und verstehen hilft. senschaftlichen und visuellen Welten, hg. von Bettina Heintz/Jörg Huber (Hg.): Zürich u.a. 2001, S. 55-64. 17╯|╯Vgl. dazu vor allem Martina Löw: Soziologie der Städte, Frankfurt/Main 2008, S.€65-115; Dies.: Stadt ohne Eigenschaften, in: Der Tagesspiegel vom 2.6.2009; Sigrid Brandt u.a. (Hg.): Stadtbild und Denkmalspflege. Konstruktion und Rezeption von Bildern der Stadt, Berlin 2008; Hartmut Häußermann/Dieter Läpple/Walter Siebel (Hg.): Stadtpolitik, Frankfurt/Main 2008. 18╯|╯Vgl. dazu Sandro Ratt: Die Dynamisierung des Stillgestellten. Heideggers Deutung der Kunst, museologisch gelesen, Tübingen 2009.

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Museen lehren so en passant das kleine Einmaleins des Augensinns – im Sinne einer Sehschule, die den »langen Blick«19 einübt, der Voraussetzung nicht nur für das Anschauen, sondern auch für das Durchschauen ist. Mit der aktuellen kulturpolitischen Zuwendung, die dem Genre Stadtmuseum widerfährt, ergibt sich möglicherweise auch eine Verschiebung der Museumsinhalte und -intentionen, eine Verschiebung, die dem Prinzip der urbanen Eigenlogik entspricht: Museen werden nämlich mittlerweile weniger als kompensatorische Einrichtungen à la Lübbe und Marquard gesehen, weniger als Orte, in denen der modernisierungsbedingte Vertrautheitsschwund mit schönen Bildern des Es-war-einmal ausgeglichen wird, sondern Museen sind im Begriff, mehr und mehr zu Orten der Begegnung mit Problemen des Heute und mit Entwürfen des Morgen und der Diskussion und der Auseinandersetzung zu werden.20 Museen sind nicht mehr nur Raumofferten für eine lokale Einkuschelung und Verheimatung, sondern Orte einer erleb- und erprobbaren Alternativerfahrung von Raum und Zeit. Sie sind übrigens auch Orte, wo Diskussionen über die Funktion und Zukunft des Museums selbst geführt werden können.21

6. Es ist zu vermuten, der Kunsthistoriker Hans Belting hat wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass sich unter unseren Augen ein Wandel in den Erwartungen des Publikums vollzieht.22 Konsequent plädiert er deshalb dafür, Museen zu Orten einer »forensischen« Kommunikation zu machen. Diese seien im Zeichen einer neuen urbanen Kulturpolitik wichtiger als jene Museen, die im Dienst sowohl einer ausschließlich eventorientierten Unterhaltung wie eines tradierten Bildungskanons stünden. Es gehe darum, die Partizipations- und 19╯| ╯ Vgl. dazu Aleida Assmann: Die Sprache der Dinge. Der lange Blick und die wilde Semiose, in: Hans Ulrich Gumbrecht/K. Ludwig Pfeifer (Hg.): Materialität der Kommunikation, Frankfurt/M, S. 237-251. Gottfried Korff: Igel oder Kuscheltier? Anmerkungen zur Situation des Museums im Medienwandel der Informationsgesellschaft, in: Michael Simon u.a. (Hg.): Bilder. Bücher. Bytes. Zur Medialität des Alltags, Münster u.a. 2009 (= Mainzer Beiträge zur Kulturanthropologie/Volkskunde, Band 3), S. 59-69. 20╯ | ╯G ottfried Korff: Igel oder Kuscheltier? Anmerkungen zur Situation des Museums im Medienwandel der Informationsgesellschaft, in: Michael Simon u.a. (Hg.): Bilder. Bücher. Bytes. Zur Medialität des Alltags, Münster u.a. 2009 (= Mainzer Beiträge zur Kulturanthropologie/Volkskunde, Band 3), S.€59-69. 21╯|╯Vgl. dazu als frühe programmatische Stellungnahme von Seiten des Museums »Museum and Communities«, ICOM 1995, Stavanger/Norway 1995. 22╯ | ╯H ans Belting: Das Museum: Ort der Reflexion, nicht der Sensation, in: Merkur 56/8 (August 2002), S.€649-662.

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Interaktionsformen der Besucher zu erweitern, um solcherart ein Publikum zu gewinnen, das nicht nostalgisch-retrospektiv orientiert sei, sondern der Gegenwart und Zukunft ins Gesicht sehen wolle – und für diese Gegenwarts- und Zukunftsausrichtung Stoff und Richtung auch im Museum erwarte. Denn das Museum hätte das »Zeugs« dafür. Tatsächlich zeigen sich denn auch nicht wenige Stadtmuseen interessiert an einem Dialog mit Wissenschaft, Architektur und Kunst – als Folge dynamischer Wandlungen der Informations- und Wissensgesellschaft. Das 2007 ausgerufene »Jahr der Geisteswissenschaften« hat bewirkt, dass sich Museen, insbesondere auch Stadtmuseen (mit ihrem z.T. traditionsreichen Publikationsreihen) auf ihre Funktion als Forschungseinrichtungen besonnen haben. Und das über Jahre währende Blühen der Performanzforschung hat dazu geführt, dass neue Formen der Publikumszuwendung erfolgreich Eingang ins Museum, auch ins Stadtmuseum gefunden haben. Zu denken ist in diesem Zusammenhang nicht nur an Sasha Waltz’ fulminante szenisch-körperliche Aneignung des Neuen Museums im März 2009, sondern auch an Projekte, die etwa in Bochum, zusammen mit dem dortigen Stadttheater, realisiert oder, wie hier in diesem Haus,23 angedacht worden sind. Abschließend möchte ich, wie angekündigt, drei Beispiele stadtmusealer Expositorik anführen. Es handelt sich dabei nicht um Gegenstände oder Themen, sondern um Problemperspektivierungen, die sich aus der Logik des Stadtmuseums ergeben, aus der Logik jener Institution, die kommunal unterhalten wird und in ihrer Arbeit und ihrem Denken lokal ausgerichtet ist. Es sind Beispiele, die Möglichkeiten, aber auch Notwendigkeiten einer auf das Örtliche, eben: auf die Eigenlogik einer jeweiligen Stadt bezogenen Museumsarbeit zeigen. Sie belegen, dass Stadtmuseen im Rahmen notwendiger kommunaler Aufgaben Relevanz und Rang haben. Städte sind der Ort, wo sich das Leben in Vielfalt, Heterogenität und Disparität vollzieht. Dort sind Einrichtungen der Selbstvergewisserung und des Diskurses erforderlich, mit denen Differenzen und Diversitäten erschlossen und interpretiert, verstehens- und anerkennungsfähig gemacht werden können. So gesehen könnten Stadtmuseen als GPS fungieren, als ein Global Positioning System, als ein Ort also, an dem das Eigene in Relation zum Globalen, zum Anderen, zum Fremden erkundet und vermessen werden kann, um die Ordnungen des Eigenen und des Fremden in ihrer Differenz und Verflechtung kennenzulernen. Aus dem Verständnis des Stadtmuseums als GPS könnten sich Aufgaben unterschiedlicher Art ableiten lassen. Drei seien in Stich- und Schlagworten angedeutet: Erstens: das Stadtmuseum als »Relevanzkorridor«, um es mit einem Begriff von Thomas Ziehe zu benennen.24 Dabei figuriert das lokale Museum als Ort 23╯ |╯B erit Schweska: Museale Wirklichkeitskonstruktion (wie Anm. 4), S.€108-114. 24╯ |╯T homas Ziehe: Ein anderer Blick auf »Bildung« und »Lernen«, in: Kulturpolitische Mitteilungen 121 (II/2008), S.€64-67, s. S.€66.

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des »exemplarischen Lernens«.25 Man lernt an und aus den Dingen der Eigenwelt Bedeutungen und deren symbolische Codierungen in ihrer Relevanz für das große Ganze zu erschließen. Man lernt die Kunst der Dechiffrierung der Nahwelt und erlangt damit die Kompetenz, Beziehungen zwischen dem Detail und den großen Ordnungen herzustellen. Dabei spielt die Dinghaftigkeit des Exponierten keine unwichtige Rolle, denn die Dinge sind immer reicher als die Kategorien, Begriffe und Schemata, mit denen wir sie erfassen. Damit könnte an Prinzipien von Rheinbergers »Epistemologie des Konkreten« angeknüpft werden, aber auch an Modelle des »exemplarischen Lernens«, die in den 1960/70ern nicht ohne Erfolg im Rahmen einer lebensweltlichen Didaktik erprobt worden sind. Zweitens: das Stadtmuseum als Ort, wo, wie es der Ethnologe Thomas Hauschild kürzlich zu bedenken gegeben hat,26 die Textbesessenheit der westlichen Kulturen relativiert, reflektiert und – daraus folgend – der kulturell differente Umgang mit dem Prinzip Bildlichkeit thematisiert und problematisiert werden kann. Dabei geht es um das Stadtmuseum als lebensnahem Ort des sozialen Experiments jenseits von Sprachen und Texten; es geht um die Ikono- und Szenographien von Ritualen, die sprachlich nicht oder noch nicht erfasst sind. Es geht um Rituale der Anerkennung, aber auch um Rituale der Gewalt, deren Symboltechniken verstehbar und diskursfähig gemacht werden. Für solch eine Aufgabe könnte das Stadtmuseum so etwas wie eine Leitfunktion übernehmen.27 Im Zentrum der Anstrengungen des Stadtmuseums stehen dann nicht mehr Rituale und Objekte der Inklusion und Integration, wie es die Agenda des alten Heimatmuseums mit seinen monokulturellen Selbstbezüglichkeiten im Sinn hatte, sondern Rituale und Objekte der Differenz. Diese bilden die Voraussetzungen für jene »Überschneidungssituationen von Eigenkultur und Fremdkultur«, aus denen Peter Weibel28 das »Interkulturelle« als produktive Kraft hervorgehen sieht. Stadtmuseen wären so in der Lage, die für Urbanität kennzeichnende Grunderfahrung von Alterität und Fremdheit in einer realen, lebensweltlichen Perspektive abzuhandeln.

25╯ | ╯M artin Wagenschein: Zum Begriff des exemplarischen Lernens, Weinheim 1951; Oskar Negt: Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen, Frankfurt/Main 1971, S.€21-31. 26╯ | ╯Vgl. dazu Thomas Hauschild: Ritual und Gewalt, Frankfurt/Main 2008. 27╯ | ╯Vgl. dazu Hartmut John: Hülle mit Fülle. Museumskultur für alle – 2.0, in: Ders./ Anja Dauschek (Hg.): Museen neu denken. Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit, Bielefeld 2008, S.€15-64, S.€52. 28╯ | ╯P eter Weibel: Interkulturalität im Medienzeitalter, in: Museen als Foren zur Vermittlung fremder Kulturen, hg. von der Landesstelle für Museumsbetreuung BadenWürttemberg, Stuttgart 2004, S. S.€35.

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Drittens: Stadtmuseen als Orte der Begegnung – und zwar in einem doppelten Sinn. Als Begegnung mit dem Stillgestellten und als dialogische Begegnung mit anderen Museumsbesuchern. Es sind nicht nur die Bestände, sondern auch die Aktivitäten, die die Potentiale des Museums ausmachen. Schon in seinen Anfängen war das Stadtmuseum durch bürgerschaftliche Partizipationsformen und kommunikative Rezeptionsrituale gekennzeichnet. Im Zeichen einer stark kommerziell codierten Eventorientierung haben sich die Rituale und die Rhetorik des Museumserlebnisses verändert. So sind in ihren Funktionen und Formen neue und experimentelle Wahrnehmungs- und Partizipationsmuster entstanden, die die Arbeit des Museums in die Zukunft öffnen. Auch Museen können auf Grund ihrer Imaginations- und Kombinationskraft dazu beitragen, dass Städte sich im Rahmen des Konzepts urbaner Eigenlogik immer wieder neu erfinden und neu entwerfen und für orientierende Perspektiven im Bild verschwimmender Kausalitäten sorgen. Vermittels seiner Partizipationsprinzipien und -strategien ist das Stadtmuseum eine Institution, die sich wie keine andere effektiv und produktiv in dem stets neu sich ordnenden Spannungsfeld von Lokalität und Globalität bewegen könnte. So gesehen wäre das Stadtmuseum eine Institution, die im kommunalen Bereich dazu beitragen kann, zivilkulturelle Bedingungen für ein soziales Miteinander zu schaffen und zu sichern.29 Im Stadtmuseum treffen sich Erbe und Entwurf – und zwar in Form von kommunikativ organisierten Schau- und Diskursangeboten, die immer wieder überlieferte Ding- und Bildwelten in Kombination zu aktuellen Ideen und Interpretationen setzen und so gleichermaßen der Geschichte verpflichtet wie der Zukunft gegenüber offen sind. So wäre das Stadtmuseum dann tatsächlich ein Ort der Dynamik des Stillgestellten, ein Ort, an dem ständig die Kombinatorik von neu (Kreativität) und alt (historische Lokalspezifik) erprobt werden könnte, ein Ort des »kleinen Grenzverkehrs zwischen dem Eigenen und dem Fremden«. Solch eine Auffassung vom Museum war übrigens Sloterdijks Alternative zum Museum als »Endlagerstätte«, an die eingangs erinnert wurde. Denn statt als Deponie sieht Sloterdijk das Stadtmuseum als Ort einer »inneren Ethnologie«, deren Aufgabe es ist, »eine Gesellschaft, die sich an Identifizierungen klammert, in einen intelligenten Grenzverkehr mit dem Fremden zu verwickeln – auch mit dem ›eigenen‹«.30 Mit dieser Überlegung wäre, so denke ich, dem Stadtmuseum keine schlechte Perspektive vorgegeben.

29╯ |╯Vgl. dazu Martin Düspohl: Das Museum als sozialer Faktor. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 49/2007 vom 3. Dezember 20007, S.€33-38. 30╯ |╯P eter Sloterdijk: Museum. Schule des Befremdens (wie Anm. 1), S.€31.

Stadtmuseen und »Social Inclusion« Die Positionierung des Stadtmuseums aus der »New Museology« Léontine Meijer-van Mensch

»The true perfection of man lies not in what man has, but in what man is« Oscar Wilde

Städte sind ein komplexes und vielschichtiges Phänomen und das gilt auch für Museen. Im Jahr 2005 wurde das Internationale Komitee für Sammlungen und Aktivitäten von Stadtmuseen (CAMOC) als dreizehntes ICOM-Komitee gegründet und ist damit eines der neuesten internationalen Komitees. CAMOC möchte Menschen, die in Museen arbeiten oder sich für Stadtmuseen interessieren – Historiker, Städteplaner, Ökonomen, Architekten oder Geographen –, ein interdisziplinäres Forum bieten.1 Dies ist nur ein Indikator für das wachsende Interesse an Themen zur Rolle und Funktion von Stadtmuseen. Welche Rolle soll ein Stadtmuseum in der Zukunft haben? Soll es sich primär als Gedächtnisspeicher verstehen? Als ein Bürgerforum für die verschiedenen Gruppen innerhalb der sich sehr stark verändernden städtischen Umgebung, oder soll das Stadtmuseum sogar ein Erlebnisort werden? Dieser teilweise sehr über Gegensätze geführte »Grabenkrieg« geht stark von den unterschiedlichen Perspektiven auf die Rolle und Bedeutung eines Stadtmuseums aus, statt nach möglichen Synergien zu suchen. Der Trendbericht »Museumeducatie in de praktijk« (Museumspädagogik in der Praxis) zeigt, dass eine große Mehrheit der Museen in den Niederlanden von der gleichwertigen Bedeutung der Verantwortung für den Dienst an der Öffentlichkeit und der konservatorischen Funktion überzeugt ist.2 Man 1╯ |╯ Siehe: http://camoc.icom.museum/index2.php 2╯ |╯M useumeducatie in de praktijk: Trendrapport museumeducatie 2007 (Utrecht 2008), erstellt unter der Betreuung von Cultuurnetwerk Nederland, gibt eine Übersicht über die Museumspädagogik in den Niederlanden in den letzten zehn Jahren.

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könnte also sagen, dass, obwohl sich die Rolle des Dienstes an der Öffentlichkeit aus ihrer »Underdog«-Position emanzipiert hat, dies nicht bedeutet, dass die Betreuung und Pflege von Sammlungen nicht mehr wichtig wäre. Dieser Artikel will die Rolle des Stadtmuseums und dabei insbesondere ein neues Paradigma, das auf Teilnahme und Einbindung basiert, beleuchten.

»N e w M useology« und die E nt wicklung zur sozialen E inbindung In den 1970er Jahren wurde das Bedürfnis nach einer aktiven Rolle von Museen in der Gesellschaft immer lauter. Museumspraktiker und Theoretiker fanden immer mehr, dass ein neuer Museumstypus notwendig sei, um für die Gesellschaft in einer sich schnell verändernden Welt von Nutzen zu sein. Museen sollten sich neu orientieren und sich auf die Bedürfnisse der Gesellschaft und die gesellschaftliche Rolle von »heritage« ausrichten.3 Der neue Ansatz in der Museologie wird gewöhnlich als »new museology« bezeichnet. Diese Terminologie kann als Oberbegriff für verschiedene Erscheinungsformen in der museologischen Theorie und Praxis gesehen werden. »Community museology«, »social museology«, »popular museology«, »active museology«, » participative museology«, »ecomuseology« und »territorial museology« sind verschiedene Ausprägungen dieses neuen museologischen Paradigmas. Die wichtige methodologische und konzeptionelle Ähnlichkeit zwischen den verschiedenen Ansätzen ist die Verbindung von Gemeinschaft und Ort. Der Begriff »muséologie nouvelle« wurde 1980 von André Desvallées in Frankreich eingeführt. Durch die Veröffentlichung seines Buchs The New Museology 1989 brachte Peter Vergo den Begriff in die englischsprachige Welt.4 »New museology« besteht deshalb aus zwei fast völlig voneinander getrennten Traditionen. Die britisch-nordamerikanische Tradition hat einen stark analytischen und dekonstruktivistischen Ansatz. Eine eher synthetisch-aktivistische »grassroots«-Variante findet sich in Ländern wie Frankreich, Portugal und Brasilien.5

3╯| ╯P eter van Mensch, »Museology and Management: Enemies or Friends? Current Tendencies in Theoretical Museology and Museum Management in Europe«, Museum Management in the 21st Century, red. E. Mizushima (Tokyo, 2004) 3-19, 7. 4╯| ╯P eter van Mensch, Towards a Methodology of Museology (PhD thesis, University of Zagreb, 1992), 58. 5╯| ╯D ie »Standardpublikation«, die sich mit dem britisch-amerikanischen Diskurs auseinandersetzt, ist der schon im Text erwähnte: Peter Vergo (Hg.), The New Museology, London, 1989. Der andere Diskurs baut auf der Arbeit von Hughes de Varine, Pierre Mayrand, Mario Moutinho und anderen auf. Für diesen Ansatz in der Museologie wurde

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Die Idee der sozialen Verantwortung in der Arbeit eines Museums mit »source communities«, gesellschaftlichen Bewegungen, »communities of practice«, Interessengruppen etc. hat seit Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts enorm zugenommen. Die drei Aspekte der gesellschaftlichen Einbindung, »social inclusion«, (Zugang, Mitwirkung, Repräsentanz) werden immer mehr als Schlüssel für eine nachhaltige Arbeit im Bereich des »heritage« verstanden. Eilean Hooper-Greenhill und Jocelyn Dodd, aber vor allem Richard Sandell spielten eine entscheidende Rolle in der Entwicklung des Konzepts von sozialer Einbindung und der Anwendung des Konzepts in der Museumspraxis.6 Die neuen ICOM-Ethikrichtlinien aus dem Jahr 2006 bringen neue Überlegungen auf, die in direkter Verbindung zu der Anerkennung und dem Einfluss anderer Stimmen in der Museumsarbeit und ihren Belangen stehen. Artikel 6 der Richtlinien ist der Zusammenarbeit zwischen Museen und »(source) communities« gewidmet, einschließlich der Fragen der Kooperation mit »source communities« und der Rückgabe von kulturellem Besitz. Er enthält außerdem die Forderung nach »Respekt für die Wünsche der Gemeinschaft« (Art. 6.5) und der Schaffung von »günstigen Bedingungen für die Unterstützung der Gemeinschaft« (Art. 6.8). Andere Teile der Richtlinien behandeln den Respekt für Objekte und Materialien, wobei »die Belange und Ansichten der Angehörigen der Gemeinschaft wie auch ethnischer oder religiöser Gruppen, von denen die Objekte stammen, berücksichtigt werden sollen« (Art. 4.3).

S tadtmuseen und A k tivismus Museen waren früher Institutionen der Moderne, die neben ihrer Funktion im Definieren von Wissen als Orte anerkannt wurden, die Andersartigkeit prägten und zeigten.7 Stephen Weil hat festgestellt, dass Museen sich derart verändert haben, dass sie nicht mehr »über etwas« sind, sondern »für jemanden«. Diese Gedanken spiegeln das postmoderne Konzept wider, das Museum als Ort einer geteilten Autorität und Verantwortlichkeit zu sehen. Dieser »neumuseologische« Ansatz zur Rolle des Museums könnte im städtischen Zusammenhang bedeuten, dass Museen eine Verantwortung tragen, sich mit der demograkürzlich der Begriff »Soziomuseologie« geprägt. Siehe Mário Moutinho, Christina Bruno, Mário Chagas (Hg.), Sociomuseology, Lissabon, 2007. 6╯ |╯S iehe zum Beispiel: Richard Sandell, »Museums as Agents of Social Inclusion«, in: Museum Management and Curatorship 17. April 2000, S.€ 401-418, Richard Sandell, »Social Inclusion, the Museum and the Dynamic Sectoral Change«, in: Museum and Society 1. Januar 2003, S.€45-62, sowie Richard Sandell, Museums, Prejudice and the Reframing of Difference, London, 2007. 7╯ |╯E ilean Hooper-Greenhill, Museums and the Shaping of Knowledge, London, 1992.

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phischen, kulturellen und gesellschaftlichen Vielfalt auseinanderzusetzen und deshalb inklusiv, d.h. einbindend und pluralistisch, zu sein. Für Stadtmuseen bedeutet dies, dass sie dieser Vielfalt gegenüber Initiative zeigen müssen, indem sie den bewussten Versuch unternehmen, das Wissen, die Erfahrung und die Gewohnheiten all jener, aus denen sich die städtische Bevölkerung zusammensetzt, darzustellen. Heute legen in der Tat immer mehr Museen, die sich in einem städtischen Umfeld befinden, ihr Augenmerk auf die Vielfältigkeit urbaner Kulturen und versuchen, sich nicht nur zu einem gut funktionierenden öffentlichen Ort zu entwickeln, sondern zu einem Ort, der für die Selbstdarstellung unterschiedlichster Stimmen offen ist. Diese Tendenzen zielen darauf ab, allen Bürgern die Möglichkeit zu geben, am kulturellen Leben ihrer Stadt mitzuwirken, etwas miteinander zu tun und zu erleben, das im Wesentlichen einen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt eines Ortes leistet.8 Der niederländische »Raad voor cultuur« (2007) hält fest, dass die folgenden Kriterien für die niederländische Regierung bei der Vergabe von Fördermitteln am wichtigsten sind: Trägt ein Museum dazu bei, historische Einsichten und Erkenntnisse zu gewinnen und dient es dem »sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft«?9 Gute Beispiele für Museen in der deutschen Museumslandschaft, die den lokalen urbanen Kontext widerspiegeln und damit und darin interagieren, sind das Museum in Berlin Neukölln und das Bezirksmuseum FriedrichshainKreuzberg. Beide Museen liegen in Bezirken, in denen Menschen aus vielen verschiedenen Kulturkreisen leben und die als sogenannte soziale Brennpunkte in Berlin gelten. Keines der Museen hat eine Sammlung, die historisch gewachsen ist. Diese Tatsache mag einer der Gründe gewesen sein, welche den Beginn einer Arbeit mit »neumuseologischen« Konzepten sowie die Wahrnehmung von Museen als zur »sozialen Erneuerung« beitragend und als »Werkzeuge für umfassende gesellschaftliche Veränderungen« erleichterten. Bei der Einführungskonferenz des IME (The Institute of Museum Ethics), Defining Museum Ethics (2008), welche Museumstheoretiker, Museumsfachleute und Ethiker zusammenbrachte, um zu diskutieren, was die Begriffe Transparenz, Verantwortlichkeit und soziale Verantwortung im Rahmen der Museumsarbeit bedeuten könnten, sprach Richard Sandell in seiner Lesung davon, dass die ethische Rolle und Verantwortung von Museen hauptsächlich eine aktivistische sein sollte.10 Ein gutes Beispiel dafür, wie ein Museum in der städtischen Umgebung eine aktivistische und einbindende spielen kann, ist das Projekt x-berg-Tag. Der xberg-Tag ist ein Projekt der Gesellschaft für interregionalen Kulturaustausch 8╯| ╯Y. Raj Isar, »Sustainability Requires Cultural Learning«, in: Museums and Social Issues. Volume 1 (2006), 2, S.€223. 9╯| ╯R aad van Cultuur, Innoveren, participeren, Advies Agenda Cultuurbeleid en Culturele Basisinfrastructuur (2007), S.€125-126. 10╯|╯ S iehe die Website des Instituts: www.museumethics.org/

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e.V., des Bezirksmuseums Friedrichshain-Kreuzberg und des Projekts »Ich bin ein Berliner« von Fipp e.V. Der Tag in Berlin-Kreuzberg ist für Schülergruppen, Auszubildende, Vereine etc. Die Idee ist, dass junge Bewohner aus dem Bezirk Nicht-Kreuzbergern ihren Alltag zeigen und Türen öffnen, die ihnen sonst meist verschlossen bleiben. Als Besucher macht man einen Spaziergang, »wo Kreuzberg am buntesten ist«, erhält eine Führung durch das Kreuzberg-Museum, ein Mittagessen in einem traditionellen türkischen Restaurant, einen Besuch bei einem deutsch-türkischen Jugendprojekt, in einer Moschee oder in einem Kulturzentrum sowie Gespräche über das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft in »einem ungewöhnlichen Berliner Stadtteil«.11 Museen mit umfangreichen Sammlungen nutzen ihre Sammlungen oft als Argument, um sich in ihrer Museumsarbeit nicht für mehr Einbindung zu engagieren. Das Historische Museum Amsterdam (AHM) hat eine große, (kunst) historisch bedeutende Sammlung und hat es dennoch geschafft, in Sachen »neumuseologisches« Paradigma eines der führenden Stadtmuseen zu sein. Das Historische Museum Amsterdam wurde 1926 gegründet. 2008 bestand die Sammlung des Historischen Museums Amsterdam aus mehr als 65.000 ausgestellten oder in Lagerräumen verwahrten Objekten. Die Sammlung wächst seit dem siebzehnten Jahrhundert, als die Stadt anfing, Gemälde und Objekte im Rathaus auf dem Dam Platz auszustellen. Über die Jahre sind viele Objekte aus den Institutionen der Stadt hinzugekommen.12 2003 organisierte das Historische Museum Amsterdam eine Ausstellung über die Geschichte des Stadtteils von Amsterdam, der »Osten« genannt wird, aus der Sicht derer, die dort leben. In diesem Teil von Amsterdam haben – wie in vielen anderen niederländischen Stadtvierteln – seit den 1960er Jahren bedeutende soziale und demographische Veränderungen stattgefunden. Der Titel der Ausstellung war »Het geheugen van Oost« (Erinnerung Osten). Das Museum wollte, dass die Gemeinschaft vor Ort eine aktive, teilnehmende Rolle in diesem und für dieses Projekt spielt. Teil des Projekts und der Folgeaktion der Ausstellung war die Erstellung einer Website. Diese Website, »Erinnerung Osten« (www.geheugenvanoost.nl), ist eine virtuelle Sammlung von Objekten und Geschichten, welche die Einwohner des Ostens von Amsterdam selbst gesammelt haben, in Form eines Selbstdokumentationsprojekts.13 »Imagine Identity and Culture« ist ein Zentrum für die visuelle Selbstdarstellung von Migration und Kulturen.14 »Imagine Identity and Culture« ist die 11╯ |╯F ür mehr Info siehe: www.xberg-tag.de/index.html 12╯|╯ S iehe: Museumstukken: 75 jaar Amsterdam Historisch Museum (Amsterdam 2001). 13╯ | ╯S iehe auch: Vreede, M. de (ed.): Blauwdruk. Vier musea en social inclusion (Amsterdam 2005). 14╯| ╯ S iehe die Website: www.imagineic.nl

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erste kulturelle Organisation in den Niederlanden, welche die Kultur und Identität von Migranten aus ihrer eigenen Perspektive präsentiert. »Imagine IC« lädt Menschen dazu ein, ihre eigene Geschichte und Kultur durch verschiedene Aktivitäten zu beschreiben. Diese Geschichten werden dann in Ausstellungen, audio-visuellen Programmen und digitalen Produktionen verarbeitet, sowohl für neu Zugezogene wie auch für langjährige Bewohner. »Imagine IC« ist im Südosten Amsterdams ansässig. Dieser Teil von Amsterdam hat mit vielen sozialen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. »Imagine IC« möchte in diesem Teil von Amsterdam eine »aktivistische« Institution darstellen, die gesellschaftliche Erneuerung anstoßen und ein »Werkzeug für umfassenden sozialen Wandel« sein kann.

»S ense of P l ace « Das Selbstdokumentationsprojekt »Het geheugen van Oost« verbindet einen spezifischen Ortskontext sehr stark mit der Gemeinschaft, die darin lebt. Diese örtliche Dimension des »neumuseologischen« Ansatzes kann am besten durch die Erscheinungsform des »ecomuseum« beschrieben werden. Der Begriff wurde erstmals 1971 von Hugues de Varine verwendet. Der Begriff »ecomusée« steht für ein Konzept, das auf das Konzept der »human ecology« zurückgeht, welches die Beziehungen zwischen Menschen und Umwelt betrifft.15 Hugues de Varine gibt keine Definition dessen, was ein »ecomusée« sein sollte. Für ihn stellt es nicht mehr als eine Möglichkeit dar, neuen Ideen freien Lauf zu lassen, phantasievoll zu sein und neue Arbeitsweisen anzuregen. De Varine stellte jedoch einen Vier-Punkte-Plan für »ecomusée« oder solche Museen auf, die sich mit einer Gemeinschaft beschäftigen und sich von der »traditionellen« museologischen Arbeit unterscheiden. Er identifizierte vier Hauptziele: • ein Objekt und eine Datenbank für die Gemeinschaft zu sein; • als Observatorium des Wandels zu dienen (und Gemeinschaften zu helfen, auf Veränderungen zu reagieren); • ein Labor zu werden – ein Zentrum für Meetings, Diskussionen, neue Initiativen; • ein Schaukasten, durch den die Gemeinschaft und ihre Region sich den Besuchern erschließt.16 15╯|╯ P eter Davis, »Cultural Touchstones and the Ecomuseum«, in: Corsane, Gerard, Heritage, Museums and Galleries, an Introductory Reader (London/New York 2005), S.€369. 16╯| ╯ Varine, H. de: »Rethinking the Museum Concept«, in: Gjestrum, J. A. and Maure, M. (eds.) Okomuseumsboka – identitet, okologi, deltakelse. ICOM: Tromso 1988, S. 33-40.

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Wie in den oben genannten Beispielen aus der zeitgenössischen Museumspraxis dargestellt, können diese Prinzipien in zwei Entwicklungen festgestellt werden: dem »topographical turn« und Museum 2.0. Peter Davis betont, dass das Konzept eines »ecomuseums« ohne den Bezug zu einem Ort nicht vorstellbar ist. Sein Argument lautet, dass ein viel besseres Verständnis dessen, was Umwelt ist, möglich wird, wenn das Wort Umwelt durch das Wort Ort ersetzt wird. Für Maurice Halbwachs war der Ort, an dem eine Gemeinschaft lebt, eben »nicht gleich einer Schwarzen Tafel, auf der man Zahlen und Gestalten aufzeichnet und dann auswischt […] der Ort hat das Geprägte der Gruppe erhalten und umgekehrt. Alsdann können alle Unternehmungen der Gruppe räumlich ausgedrückt werden, und der Ort, an dem sie lebt, ist nur die Vereinigung all dieser Ausdrücke«.17 Für Halbwachs war der Ort als Kontext wesentlich für die soziale Konstruktion des Gedächtnisses. »Es gibt kein mögliches Gedächtnis außerhalb derjenigen Bezugsrahmen, deren sich die in der Gesellschaft lebenden Menschen bedienen, um ihre Erinnerungen zu fixieren und wiederzufinden.«18 Lange Zeit spielten Ortsbezüge kaum eine Rolle in der historischen und soziologischen Theorie.19 Aber in den vergangenen Jahren hat es in der historischen und soziologischen Forschung eine Rückkehr zu Dimensionen des Orts gegeben.20 Dieser »topographical turn« kann auch in der Museumspraxis beobachtet werden, insbesondere in dem Wechsel von einem dekontextualisierten ex-situ-Ansatz zu einem in-situ-Ansatz. Wenn sich »heritage« aus einer ortsbezogenen Sichtweise nähert, kann »heritage« in seiner Vielschichtigkeit und Komplexität besser verstanden werden, somit ansässige Gemeinschaften besser in die Museumsstruktur eingebunden werden können. In den Niederlanden fand dieser ortsbezogene Ansatz seine Hauptform im Konzept der »kulturellen Biographie«.21

17╯|╯M . Halbwachs, »Das kollektive Gedächtnis und der Raum«, in: Ders., Das kollektive Gedächtnis. Mit einem Geleitwort zur deutschen Ausgabe von Heinz Maus (Frankfurt/Main 1985), S.€127-163, 130. 18╯ |╯M . Halbwachs, Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen (Berlin/Neuwied 1966), S. 121. 19╯| ╯ E in gutes Beispiel dafür ist: Marc Augé, Non-places. Introduction to an Anthropology of Supermodernity (London/New York 1995) 20╯ | ╯E in deutscher Vertreter dieses »topographical turn« ist der Historiker Karl Schlögel. Siehe: Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik (München/Wien 2003). 21╯|╯G erard Rooijakkers, »Het leven van alledag benoemen: cultureel erfgoed tussen ondernemerschap en nieuwe technologie« Boekmancahier 10, 1999, (41): 275-290, sowie Gerard Rooijakkers, »Van ecomuseum naar identiteitsfabriek«, Erfgoed van industrie en techniek 9, 2000 (1): 15-20.

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Das Ortskonzept spielt eine fundamentale Rolle in Einbindungsprojekten wie dem X-berg-Tag, und der »Geheugen van Oost«-Website, aber man muss dennoch in Berlin Kreuzberg sein, um am x-berg-Tag teilnehmen zu können. Die Website »Het geheugen van Oost« kann dagegen überall besucht und genutzt werden. Für Stadtmuseen wäre es interessant, den tatsächlichen Ort und die virtuelle Welt näher zusammenzubringen. Eine Möglichkeit dafür könnten die sogenannten »AirTags« sein. »AirTags« sind ortsabhängige Kennzeichnungen, die auf dem Kamerabildschirm »schweben« und in der gegebenen Situation wichtige Daten wie Bild, Stimme, Video und Weblinks in der realen Welt kennzeichnen.22 Mit Hilfe von Mobiltelefonen wie dem iPhone oder mit GPS (»Global Positioning System«), bei denen der Internetzugang inklusive ist, können virtuelle Nachrichten an einem Ort hinterlassen werden, wodurch die reale Welt mit Formen einer »augmented reality« (erweiterten Realität) verbunden werden.23 Dadurch können neue Bedeutungen geschaffen werden und Museen können auf eine neue Art und Weise mit dem Publikum interagieren. Um den Nutzenwert dieser neuen Technologien zu optimieren, ist es nötig, die autoritative Stellung von Museumsfachleuten von Neuem zu betrachten.

»V om N ut zer erstellter I nhalt« Die Entwicklung des Web 2.0 hat die Entwicklung zur Partizipation der Besucher an den Inhalten erheblich beschleunigt. Das Historische Museum Amsterdam experimentiert immer mehr damit, die Amsterdamer Bevölkerung ihre eigenen Inhalte und Bedeutungen direkt erstellen zu lassen. In anderen Worten: Die »Geheugen van Oost«-Website ist dabei, eine Web-2.0-Anwendung zu werden, in der Museumsfachleute nur die Rolle von »Vermittlern« und »Moderatoren« einnehmen. Besucher werden von »users« / Nutzern zu »producers« / Produzenten. Um diesen Paradigmenwechsel zu erreichen, arbeitet das Museum u.a. eng mit der Amsterdamer »Waag Society« zusammen. Die »Waag Society« ist ein »medialab« in Amsterdam, das »kreative Technologie für soziale Innovation nutzt« und bewusst die Metapher der »digitalen Stadt« verwendet. Die »Waag Society« sieht ihre professionelle Rolle darin, einen Dialog und Konsens zwischen so vielen Interessengruppen wie möglich zu schaffen, um Werte wie »Solidarität, teilen, lernen zu lernen, Kreativität, Schönheit und ein Gespür für Wandel und Innovation zu verankern«. Die Gesellschaft arbeitet aus 22╯ |╯R ick Martin, »Sekai Camera’s New Reality«, in: The Japan Times, 14. Oktober 2009. 23╯ |╯E rweiterte Realität ist eine direkte oder indirekte Live-Ansicht einer gegebenen realen Umwelt, deren Elemente mit denen von virtuellen Computeranimationen verbunden (oder erweitert) werden, wodurch ein Realitätsmix entsteht.

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vier Bereichen heraus: dem Gesundheitswesen, der Kultur, der Gesellschaft und der Bildung. Interessant ist, dass die meisten Projekte, die mit der Museologie verbunden oder für sie von Bedeutung sind, ihren Ursprung nicht im Kulturbereich haben, sondern in den Bereichen Gesellschaft und Bildung. Dies zeigt ganz deutlich, dass Museen sich in ihrer Selbstdefinition als gesellschaftlich relevant sehen.24 Ein weiteres Beispiel für partizipatorische Museumsarbeit aus der jüngeren Vergangenheit gab es 2008/2009 im städtischen Museum Zoetermeer. Die niederländische Stadt Zoetermeer war Anfang der 1960er Jahre ein kleines Dorf mit nicht mehr als 10.000 Einwohnern. Zoetermeer wurde 1962 als Wachstumsbereich festgelegt, um einen Teil der Bevölkerung aus dem überbevölkerten Den Haag aufzunehmen. 1991 erreichte die Einwohnerzahl die 100.000-Marke. Heute ist Zoetermeer kein Dorf mehr, sondern eines der am schnellsten wachsenden Ballungsgebiete in Europa. Zoetermeer hat ein Museum: das Zoetermeerer Stadtmuseum. Es ist ein kleines Museum, das auf ein paar Dutzend Quadratmetern die Stadtgeschichte präsentiert. Die Wurzeln des Museums liegen in der Historischen Gesellschaft »Oud Soetermeer«.25 Zoetermeers Raum der Wunder wurde von Gastkuratorin Jacqueline Heerema kuratiert und basiert auf dem Teilnahmeprojekt Give & Take (Geben und Nehmen), das in einer Sonderausstellung mit dem Titel »zu Hause in Zoetermeer« resultierte. In einem früheren Projekt aus den Jahren 2003 bis 2009 arbeitete Jacqueline Heerema in der niederländischen Stadt Vlaardingen in einer partizipativen Weise mit dem Viertel Oostwijk und seinen Einwohnern. Für dieses Projekt gab es kein bereits existierendes Museum oder eine Sammlung, die als Ausgangspunkt verwendet werden konnte; die gesamte Gegend wurde als bedeutend erklärt – sie wurde zu einem Museum. Die Menschen selbst wählten ihre eigenen Sammlungen aus. Die Objekte blieben in ihren Häusern, nur in einem Kurzzeitprojekt wurden sie an anderen Orten gezeigt. Die Sammlung kann allerdings online »besucht« werden. Das Projekt war ein großer Erfolg und viele Einwohner nahmen daran teil.26 Die Einwohner der Stadt Zoetermeer wurden gebeten, dem Museum einen Gegenstand zukommen zu lassen, der Zoetermeers spezifischen Charakter symbolisiert. Als Dank erhielten sie entweder eine Flasche Champagner oder eine Designerflasche mit Wasser. Die Objekte wurden dann mit einer Begründung des jeweiligen Spenders, warum er / sie diesen bestimmten Gegenstand ausgesucht hatte, ausgestellt. Nach der Ausstellung behielt das Museum die 86 eingereichten Objekte als »Zoetermeer 2008 Sammlung.« 24╯| ╯ F ür mehr Information siehe die Website: www.waag.org 25╯ | ╯I rina Leifer, Focus on the Urban: Rethinking Museums in Cities (Master Thesis, Reinwardt Academy Amsterdam, 2008) 4. 26╯| ╯ S iehe: www.museumoostwijk.nl/

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Der Ausgangspunkt für das folgende interaktive Projekt Zoetermeers Raum der Wunder war, die Bedeutung der »Zoetermeer 2008 Sammlung« zu erforschen. Die Sammlung wurde in einer Reihe von Workshops untersucht, die von Einwohnern Zoetermeers besucht wurden und von Spezialisten aus den Bereichen wie Fotographie, Schreiben, bildende Künste und Museen durchgeführt.27 Bei dem Give & Take-Projekt tat das Museum nichts, um die Objekte in irgendeiner Art zu klassifizieren oder Erklärungen zu liefern. Die Einwohner der Stadt waren die wahren Experten. Im Projekt Zoetermeers Raum der Wunder ging das Museum in dieser Hinsicht jedoch einen Schritt weiter als die meisten anderen Museen: der Schritt von der Mitwirkung der Museumsbesucher im Prozess des Sammelns zur Ko-Kuration. Wie repräsentativ ist eine Museumssammlung, die von Museumsfachleuten für die Gemeinschaft zusammengestellt wird, die sie darstellen soll? Wie kann ein Museum eine nachhaltige Verbindung zu der Gemeinschaft herstellen, in die sie eingebettet ist, und wie kann es sich zu einem Zentrum entwickeln? Führen mit einem Auftrag verbundene Konzepte wie »das Museum als Zentrum des bürgerlichen Dialogs«, »gesellschaftliche Einbindung« und »eine Vielzahl von Stimmen« tatsächlich zu einer tieferen und breiteren Mitwirkung der Öffentlichkeit?28 Das Projekt bestand aus einem Prozess des Aktivierens, Organisierens, Beobachtens und Festhaltens, der zu Reflexion und Analyse führte. Als Teil dieser Reflexion wurde ein Katalog zusammengestellt, in dem nicht nur das Projekt und die Objekte beschrieben wurden, sondern in dem es auch Raum für kritische Gedanken gab. Wie »einbindend« war dieses partizipative Projekt, wenn nur eine Person mit einem multikulturellen Hintergrund teilgenommen hatte? Wie können Projekte, die sich mit einem Ort beschäftigen, der Aura der Nostalgie und der Sehnsucht für längst vergangene Zeiten entgehen und nicht nur stereotypische Ideen dessen darstellen, was ein Museum sein sollte? Wie können Museen die Falle vermeiden, dass partizipative Objekte selten mit negativen, ambivalenten oder traurigen Bedeutungen verbunden sind?29 Dieser kritisch-reflexive Ansatz des Museums ist hilfreich, um neue Erkenntnisse in einer museologischen Denkweise und Arbeitsweise zu gewinnen, die immer noch verhältnismäßig jung ist und aus den traditionelleren museologischen »Ecken« oft sehr ambivalent betrachtet werden.

27╯ |╯J ouetta van der Ploeg ed., 4289 Wisselwerking. »De Wonderkamer van Zoetermeer. Verslag van een museologisch experiment« (Zoetermeer 2009). 28╯ |╯M ax Meijer, »Wonderkamer in een New Town, overpeinzingen bij een museaal experiment«, in: 4289 Wisselwerking, S.€133-139. 29╯ |╯L éontine Meijer-van Mensch, »Thuis in Zoetermeer. Een pleidooi voor minder honkvast denken«, in: 4289 Wisselwerking, S.€107-109.

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S tadtmuseen z wischen Tr adition und E rneuerung Das Basic Constraints Model ist ein Modell, das als Werkzeug dienen kann, um die Komplexität von Museumsinstitutionen zu verstehen und zu analysieren, mögliche Probleme zu identifizieren und Strategien für eine nachhaltige Zukunft zu entwickeln. Die konzentrischen Kreise zeigen die Hauptparameter auf: »heritage« (in Form von Sammlungen), Funktionen (Sammeln, Konservierung, Dokumentation, Ausstellen, Bildung), Institution (das Museum) und Gesellschaft (als Besucher und als Zielgruppen). Jede Museumsinstitution ist gefordert, ihre eigene Entscheidung bezüglich der Ausformung der einzelnen Parameter und der Wechselbeziehungen zwischen ihnen zu treffen. Diese Entscheidungen werden jedoch durch eine Anzahl von internen und externen Bedingungen bestimmt. Diese Bedingungen stellen Herausforderungen dar, auf die Antworten gefunden werden müssen.

Die Annahme, die dem zeitgenössischen internationalen Ansatz zur Museologie (und »Heritage« im Allgemeinen) zugrunde liegt, ist, dass die institutionelle Definition der grundlegenden Parameter stark von der Identität der Institutionen, d.h. auf welchen Fachdiskurs sich die Institution bezieht, beeinflusst wird. Es gibt starke Traditionen, erstens zwischen den verschiedenen Bereichen innerhalb des Felds »heritage« (Museen, Archive, Bibliotheken etc.), zweitens zwischen den Fachausrichtungen (Kunstmuseen, naturhistorische Museen, Technikmuseen etc.). Wir an der Reinwardt-Akademie erkennen die Bedeutung der Achse, welche die historische Identität der Institution und den Fachdiskurs verbindet, als Basis für die besondere Rolle des Museums in der Gesellschaft an, aber wir wollen auch die Notwendigkeit einer alternativen Perspektive zur

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Ausformung der grundlegenden Parameter betonen: der Anteilsnehmer-Ansatz als der Aspekt der Achse, der institutionelle Einschränkungen (die internen Anteilsnehmer eingeschlossen) und die gesellschaftlichen Einschränkungen (die externen Anteilsnehmer) miteinander verbindet. Die Neudefinition des Stadtmuseums im internationalen professionellen Diskurs (siehe CAMOC) zeigt eine eindeutige Tendenz weg von traditionellen themenorientierten Perspektiven zur Bevorzugung einer Hinwendung zu »source communities« als Anteilsnehmer. In der Folge ist es notwendig, dass Museen nicht nur ihre Beziehung zur Gesellschaft, sondern auch alle anderen Parameter überdenken. Das neue Stadtmuseum definiert seine gesellschaftliche Rolle auf der Basis einer neuen organisatorischen Struktur, neuer Funktionen und eines neuen Konzepts von »heritage«.

Geschichte, Gefühle, Museen oder braucht das Stadtmuseum einen »emotional turn«? Anne Schmidt

Als am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung im Januar 2008 der Forschungsbereich »Geschichte der Gefühle« seine Arbeit aufnahm, war ich noch am Historischen Museum Bern beschäftigt. Ausführlich konnte ich mich aber in der deutschsprachigen Presse der Schweiz über die Entwicklungen in Berlin informieren. Damals war ich überrascht, wie groß das Interesse nicht nur in verschiedenen Artikeln in der NZZ, sondern auch in den Schweizer Regionalzeitungen an diesem Forschungsgebiet war. Es schien, als leuchte den Journalisten der »emotional turn« am Berliner MPI unmittelbar ein, ja fast, als hätte man auf ihn gewartet. Und vielleicht ist das auch der Fall gewesen. Denn so neu ist dieser »turn« nicht: Das Thema Emotionen ist seit einiger Zeit bei Psychologen, Ethnologen, Soziologen, Literatur- und Neurowissenschaftlern und nun auch bei den Historikern angesagt. Wieder angesagt, muss man vielleicht besser sagen, denn die Einsicht, dass Gefühle für Historiker interessant sein könnten, hat etwa Lucien Febvre schon vor 60 Jahren in einem Artikel in der Zeitschrift »Annales« betont. Er verwies auf die Geschichtsmächtigkeit von Gefühlen und auch auf ihre Historizität und forderte seine Fachkollegen auf, Gefühlen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.1 Gefühle sind wandelbar. Sie haben eine Geschichte. Sie sind keine universalen, unveränderbaren, naturgegebenen Größen. Diesen Aussagen würden heute wohl die meisten Emotionshistoriker zustimmen. Sie betonen, dass in verschiedenen Epochen und Kulturkreisen Menschen ihre Gefühle wie Liebe, 1╯ |╯L ucien Febvre: Sensibilität und Geschichte. Zugänge zum Gefühlsleben früherer Epochen, in: Honegger, Claudia (Hg.), M. Bloch, F. Braudel, L. Febvre u.a. Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur systematischen Aneignung historischer Prozesse, Frankfurt/Main 1977, S.€313-333.

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Hoffnung, Stolz, Furcht, Trauer und Hass unterschiedlich zum Ausdruck bringen. In ihren Arbeiten zeigen sie, dass die Art und Weise, wie Gefühle geäußert werden, davon abhängt, welche Gefühle, in welchen Situationen, in welcher Form, von wem erwartet, welche Emotionen gesellschaftlich jeweils toleriert, welche sanktioniert werden. Emotionale Standards, Emotionsnormen steuern, so eine Grundannahme, das Hervorbringen und den Umgang mit Gefühlen in einer Gesellschaft. Gefühle und ihr Ausdruck werden somit nicht als individuelle, persönliche Angelegenheit begriffen, sondern in hohem Maße als kulturelle und damit veränderbare Gebilde. Gefühle verändern sich hinsichtlich der Objekte, auf die sie sich richten, und hinsichtlich ihrer Bedeutsamkeit, sie haben Konjunkturen und kommen außer Mode.2 Lassen Sie mich das Gesagte an einem Beispiel verdeutlichen: Dass Menschen schon immer Angst vor Krankheiten und dem Tod hatten, scheint eine Binsenweisheit zu sein. Warum also noch darüber forschen? Ein genauerer Blick zeigt allerdings, dass sich diese Angst in den letzten 200 Jahren stark verändert hat. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts fürchteten sich die Menschen, plötzlich und unerwartet zu sterben. Der Prozess des Sterbens sollte ein bewusster und angstvoller sein. Nur der bewusst sterbende Büßer hatte die Möglichkeit, sich auf den Tod vorzubereiten und im Moment des Todes in angemessener Furcht vor seinen Schöpfer zu treten. So konnte er gesegnet sterben. Heute hingegen dürfte der überraschende, schnelle Tod für viele ein sehnlicher Wunsch sein. Auch die im 19. Jahrhundert weit verbreitete Angst, irrtümlicherweise für tot erklärt und lebendig begraben zu werden, teilen wir heute kaum noch. Wir fürchten vielmehr, mit Hilfe der modernen Medizin künstlich am Leben gehalten zu werden und nicht in Würde sterben zu dürfen.3 Gefühle haben aber nicht nur eine Geschichte, sie machen auch Geschichte. Menschen lassen sich in ihren Wahrnehmungen, ihrem Denken und ihrem Handeln von Gefühlen leiten. Gefühle wirken vergesellschaftend. Alle Beziehungen, ob zwischen den Geschlechtern, Generationen, Klassen oder Religionsgemeinschaften, bauen auf einer emotionalen Grundlage auf. Gefühle ermöglichen und verhindern Kommunikation. Sie sind im Spiel, wenn es um 2╯| ╯E inführend zur Historizität von Gefühlen und ihrem konstruktivistischen Charakter u.a.: Ute Frevert: Angst vor Gefühlen? Die Geschichtsmächtigkeit von Emotionen im 20. Jahrhundert, in: Paul Nolte u.a. (Hg.), Perspektiven der Geschichtswissenschaft, München 2000, S.€ 95-111; Ute Frevert: Was haben Gefühle in der Geschichte zu suchen? (unveröffentlichtes Manuskript); Martina Kessel: Gefühle und Geschichtswissenschaft, in: Rainer Schützeichel (Hg.), Emotionen und Sozialtheorie – disziplinäre Ansätze, Frankfurt/Main 2006, S.€ 2947; Daniela Saxer: Mit Gefühl handeln. Ansätze der Emotionsgeschichte, in: traverse 14 (2007), Heft 2, S.€15-29. 3╯| ╯J oanna Bourke: Fear and Anxiety. Writing about Emotion in Modern History, in: History Workshop Journal 55 (2003), S.€112-133, hier: S.€117f.

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die Aufrechterhaltung oder Infragestellung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen geht. Ohne Gefühl ist politische Mobilisierung genauso wenig denkbar wie das Funktionieren unserer modernen Konsumgesellschaft.4 Die Geschichte der Weimarer Republik kann nicht verstanden werden, wenn man die Enttäuschung und die Scham über den verlorenen Krieg, die Angst vor sozialem Abstieg, die Schrecken der alltäglichen Gewalt nicht ernst nimmt. Aber auch die Aufbruchsstimmung, die Hoffnung auf einen Neuanfang, die Freude am Experiment mit der Moderne gehören zu dieser Epoche.5 An den Gefühlen kommt man nicht vorbei, wenn man den Kalten Krieg, die Konflikte im Nahen Osten, den 11. September, die sogenannte Politikverdrossenheit oder die Ostalgiewelle begreifen will. Ausgewiesen emotionshistorische Untersuchungen können unser Wissen über vergangene Zeiten bereichern und das eine oder andere in einem neuen Licht erscheinen lassen. Darüber hinaus kann sich eine systematische Einbeziehung von Gefühlen aber auch für die allgemeine Geschichte lohnen: Vier Gesichtspunkte scheinen mir in diesem Zusammenhang besonders wichtig: Erstens: Gefühle als eine explizite Analyseeinheit zu entdecken, kann davor schützen, Menschen ahistorisch immer ähnliche Stimmungen und Motivationen zuzuschreiben und sich damit Erkenntnismöglichkeiten zu verstellen. Zweitens: Gefühle, verstanden als sozial konstruierte Gebilde, die intersubjektiv kommuniziert und in ihren Ausdrucksformen kulturell geformt, aber immer individuell empfunden werden, ermöglichen als Untersuchungsgegenstand, das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Person und Umwelt genauer in den Blick zu nehmen.6 Drittens: Für Emotionen interessieren sich Historiker, die Geschichte nicht auf den Wirkungszusammenhang anonymer Prozesse und Strukturen reduzieren möchten. Stattdessen stellen sie historische Akteure in ihren Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungszusammenhängen in den Mittelpunkt. Interessiert man sich für Selbst- und Fremddeutungen, für Orientierungsbedürfnisse und Sinngebungsprozesse, dann werden Gefühle wichtig, als Filter von Erfahrungen und Wahrnehmungen, als Steuerungsmechanismen von Wirklichkeitsdeutungen und Handlungsentwürfen.7 Damit eng verbunden würde viertens mit der systematischen Analyse von Emotionen das nach wie vor in der Geschichtswissenschaft einflussreiche Bild des primär eigeninteressierten, überwiegend rational handelnden und auf seinen Nutzen ausgerichteten homo oeconomicus weiter in Frage gestellt und korrigiert werden. 4╯ |╯F revert: Angst vor Gefühlen?, S.€95ff.; Kessel: Gefühle; Saxer: Gefühl. 5╯ |╯F revert: Angst vor Gefühlen?, S.€105f. 6╯|╯ F revert: Angst vor Gefühlen?, S.€102; Saxer: Gefühl, S.€17. 7╯|╯ F revert: Angst vor Gefühlen?, S.€101f.

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Mit diesen knappen Ausführungen wollte ich Ihnen ein neueres Forschungsgebiet in der Geschichtswissenschaft vorstellen und es Ihnen auch ein wenig schmackhaft machen. Von einem »emotional« oder »affective turn« ist jedoch nicht nur die Rede, wenn es um neuere Tendenzen in der Geschichtswissenschaft, sondern auch, wenn es um die allgemeine Popularisierung von Geschichte geht. In diesem Zusammenhang meint der Terminus etwas völlig anderes, nämlich die Tendenz zu einer immer stärkeren Emotionalisierung öffentlich dargestellter Geschichte.8 Diese Entwicklung möchte ich im Folgenden knapp skizzieren und abschließend danach fragen, auf welche Weise sich ein Stadtmuseum eventuell von beiden »turns« anregen lässt und Emotionen gewinnbringend in die Ausstellungen einbeziehen kann. Seit den 1980er Jahren boomt in der Bundesrepublik das Geschäft mit der Geschichte. In wenigen Jahren wurden so viele neue historische Museen gegründet wie nie zuvor, diverse Denkmäler und Gedenkorte eingerichtet. Vier große populärwissenschaftliche Geschichtszeitschriften kamen in den vergangenen Jahren neu auf den Markt. Historisches läuft nicht nur im öffentlichrechtlichen, sondern auch im privaten Fernsehen zur besten Sendezeit und erzielt hohe Einschaltquoten. Reenactment-Gruppen verzeichnen seit den 1990er Jahren einen starken Zulauf. Mit historischen Computerspielen lässt sich gutes Geld verdienen. Selbst die private Familien- und Ahnenforschung hat in den letzten Jahren einen starken Aufschwung erlebt. Das öffentliche Interesse an der Geschichte ist groß, und ein Ende dieses Trends ist derzeit nicht absehbar. Grundsätzlich umfasst diese Bewegung die »ganze Geschichte«, auch die Antike und das Mittelalter, der Schwerpunkt liegt in Deutschland aber eindeutig auf der Zeitgeschichte.9 Ein Kennzeichen dieses Geschichtsbooms ist die zunehmende Emotionalisierung öffentlich repräsentierter Geschichte, ein Trend, der nicht in allen Medien gleich stark zu beobachten ist, aber im Ganzen doch die zunehmende Popularisierung von Geschichte begleitet.10

8╯| ╯Vanessa Agnew: History’s affective turn: Historical reenactment and its work in the present, in: Rethinking History 11 (2007), Heft 3, S.€299-312. 9╯| ╯P aul Nolte: Öffentliche Geschichte. Die neue Nähe von Fachwissenschaft, Massenmedien und Publikum: Ursachen, Chancen und Grenzen, in: M. Barricelli/J. Hornig (Hg.), Aufklärung, Bildung, »Histotainment«? Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute, Frankfurt/Main 2008, S.€131-146. 10╯|╯ M it Blick auf Reenactment-Aktivitäten und das Reality-TV mit historischen Inhalten: Agnew: Reenactment; zu den Entwicklungen im deutschen Fernsehen vgl. die verschiedenen Beiträge in: T. Fischer/R. Wirtz (Hg.), Alles authentisch? Popularisierung im Fernsehen, Konstanz 2008; zur Emotionalisierung der Darstellungen des Nationalsozialismus in Fernsehserien und im Spielfilm u.a.: F. Bösch: Film, NS-Vergangenheit

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Fünf, teilweise miteinander verknüpfte Tendenzen scheinen der emotionalen Aufladung populärwissenschaftlicher Geschichtsdarstellungen vor allem Vorschub zu leisten: Zum Ersten lässt sich eine deutliche Tendenz zur Personalisierung beobachten. Berühmte und weniger berühmte historische Personen oder Personengruppen stehen mit ihren persönlichen Beweggründen, individuellen Empfindungen, subjektiven Erlebnissen und Entscheidungen im Zentrum der Darstellungen. Das Verfahren der Personalisierung lädt zu einer unmittelbaren Identifikation mit oder auch Distanzierung von dem Anderen ein. Es eignet sich, um Betroffenheit zu evozieren, das Interesse an persönlichen Schicksalen und authentischer Erfahrung zu befriedigen, und kommt damit offenbar weitverbreiteten Konsumentenwünschen entgegen.11 Ein zweiter der Emotionalisierung Vorschub leistender Trend ist die Wiederentdeckung der Narration. Geschichte wird in dramatisch-narrativer Form möglichst spannend erzählt, bisweilen auch dramatisch zugespitzt. Je nach Medium bedient man sich dabei unterschiedlicher Techniken. Besonders ausgeprägt, nicht immer zur Freude von Fachhistorikern, ist diese Tendenz im Geschichtsfernsehen zu beobachten, das sich seit den späten 1970er Jahren vom Erklärzum Event-Fernsehen gewandelt hat. Medienspezifische Überlegungen sind hier oft wichtiger als Faktenwissen, Unterhaltung steht häufig vor historischer Aufklärung. Das führt gelegentlich dazu, dass eher crime und love stories in historischer Kostümierung geboten werden als historische Dokumentationen im eigentlichen Sinn.12 Im Großen und Ganzen, so eine neuere Studie, soll das Geschichtsfernsehen aber nicht so schlecht sein wie sein Ruf.13 Die zunehmende Bedeutung der Bildlichkeit ist ein dritter Aspekt der Popularisierung und Emotionalisierung von Geschichte. Im Fernsehen beherrschte

und Geschichtswissenschaft. Von »Holocaust« zu »Der Untergang«, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 55 (2007), Heft 1, S.€1-32. 11╯ |╯B ereits ein Blick auf die Titelseiten der populärwissenschaftlichen Geschichtsmagazine, die häufig einen biografischen Zugang zum Thema wählen, lässt diesen Trend erkennen. Mit Blick auf das Fernsehen: R. Wirtz: Alles authentisch: so war’s. Geschichte im Fernsehen oder TV-History, in: Fischer/Wirtz: Alles authentisch?, S.€9-32; Bösch: Film; auch Nolte: Geschichte, S.€ 139, der diese Tendenz ebenfalls in der Geschichtswissenschaft beobachtet. 12╯| ╯ B ösch: Film; Wirtz: Alles authentisch; M. Wildt: »Der Untergang«. Ein Film inszeniert sich als Quelle, in: Fischer/Wirtz: Alles authentisch?, S.€73-86; M. Zimmermann: Der Historiker am Set, in: Fischer/Wirtz: Alles authentisch?, S.€ 137-160; für die Geschichtswissenschaft: Nolte: Geschichte, S.€138f. 13╯ |╯E . Lersch/R. Viehoff: Geschichte im Fernsehen. Eine Untersuchung zur Entwicklung des Genres und der Gattungsästhetik geschichtlicher Darstellungen im Fernsehen 1995 bis 2003, Berlin 2007.

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bis in die 1980er Jahre hinein der Text die Bilder. Fotos und Filmaufnahmen dienten oftmals lediglich zur Illustration der Erklärungen. Heute sind viele Dokumentationen Bilderschauen, zusammengesetzt aus heterogenem Bildmaterial, zusammengehalten durch den Kommentar, der viel von seiner erklärenden Funktion eingebüßt hat. Für die Produzenten, die im Zuge der Privatisierung des Fernsehens den Zuschauer entdeckt haben, ist dabei das angenommene und wohl auch vorhandene Bedürfnis des Publikums nach sinnlichen Eindrücken, nach konkreter Anschauung und Authentizität ausschlaggebend.14 Der Trend zur Visualisierung und damit verbunden zur Emotionalisierung ist auch in anderen Medien zu beobachten. Ich denke an die stark inszenierten, auf sinnliche Eindrücke und ästhetisches Erleben setzenden Ausstellungen, an aufwendige Auftritte von Reenactment-Gruppen oder an Computerspiele, die mit immer realistischeren 3-D-Simulationen begeistern. Mit dem Wort Authentizität ist ein vierter Aspekt angesprochen, der in diesem Zusammenhang zentral ist. Zu zeigen, wie es eigentlich gewesen ist, die Erfahrungen von Menschen nacherlebbar zu machen, Geschichte lebendig werden zu lassen, versprechen Verlage, Fernsehsender, Living-History-Museen. Je nach Medium bedient man sich dabei verschiedener Mittel, zum Beispiel einer möglichst perfekten Ausstattung und Kulisse, dem Verweis auf aufwendige Archivrecherchen, oder man bittet Fachhistoriker um beglaubigende Statements. Der wichtigste Garant für Authentizität ist jedoch der Zeitzeuge, der als Betroffener aus seiner Sicht, in seiner Sprache von seinen Erfahrungen und Erlebnissen berichtet und einmal mehr eine Identifikation, ein Nacherleben oder Nachfühlen erlaubt. Freilich handelt es sich in diesem Zusammenhang um die Illusion von Authentizität.15 Die stärkere Beachtung der räumlichen Dimension von Geschichte ist schließlich ein fünfter Trend, der die Popularisierung von Geschichte begleitet und eine stärkere emotionale Aufladung stützt. Nicht zuletzt der Anschaulichkeit wegen werden Ereignisse zunehmend konkret situiert, wird Geschichte am Tatort verdichtet erzählt. Auch diese räumliche Verortung von Geschichte stellt ein Identifikationsangebot dar, das dem Publikum erlaubt, mit dem Dargestellten an die eigene Lebenswelt anzuknüpfen.16 14╯|╯ Z ur Entwicklung im Fernsehen u.a. Wirtz: Alles authentisch; Lersch/Viehoff: Geschichte; allgemein: Nolte: Geschichte, S.€140f. 15╯|╯ Z um Problem der Authentizität u.a.: T. Fischer, Thomas: Erinnern und Erzählen. Zeitzeugen im Geschichts-TV, in: Fischer/Wirtz: Alles authentisch?, S.€ 33-50; Wildt: Untergang; Zimmermann: Historiker; R. Wirtz: Das Authentische und das Historische, in: Fischer/Wirtz: Alles authentisch?, S.€187-203; B. Schlanstein: Echt wahr! Annäherungen an das Authentische, in: Fischer/Wirtz: Alles authentisch?, S.€205-225. 16╯| ╯ F ischer: Erinnern, S.€37; Nolte: Geschichte, S.€140; s. auch Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München 2003.

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Die zunehmende Emotionalisierung von Geschichte, ihre Personalisierung, Dramatisierung, die damit verbundene Gefahr, Grenzen zwischen Fakten und Fiktion zu vermischen, all das ist oft zu Recht kritisiert worden. Doch will man das Feld nicht allein den Goldhagens und Knopps überlassen, muss man sich mit diesen Trends wohl auseinandersetzen, rekurrieren sie doch auf Interessen, Sehgewohnheiten und Erwartungen des Publikums und prägen diese zugleich. Vielleicht könnte eine stärkere Einbeziehung emotionsgeschichtlicher Perspektiven in die Ausstellungspraxis von Stadtmuseen hier ein brauchbares Angebot sein. Als ein Narrativ könnte sich die Geschichte der Gefühle durch die Gesamtdarstellung ziehen und diese mitstrukturieren. Die Stadt ließe sich dann nicht nur als ein sozialer und politischer Raum begreifen, sondern auch als ein emotionaler, als ein Raum, in dem Gefühle entstehen, in dem Gefühle Geschichte machen, und als ein Ort, auf den Gefühle projiziert werden. Eine solche akteurszentrierte Perspektive bietet die Möglichkeit, konkret und anschaulich vom Leben in der Stadt zu erzählen. Die Träume, Sehnsüchte, Ängste der z.B. Berliner und Berlinerinnen würden ins Zentrum rücken. Im Mittelpunkt stünden ihre Erfahrungen, die in dieser Stadt ein wenig anders waren als die der Münchner, Hamburger oder Kölner. Wie fühlte sich das Leben für die unterschiedlichen Menschen in dieser Stadt an? Wie versuchte man, hier zurechtzukommen? Welche Chancen bot einem die Stadt? Auf welche Grenzen stieß man? Wer kam und wer ging? Mit welchen Hoffnungen und welchen Befürchtungen? Wie wurde in der Stadt mit Gefühlen Politik gemacht? Und auf welche Weise machten hier Gefühle Politik? Mit welchen Emotionen reagierten die Menschen auf soziale Ungleichheit, Armut und Not? Wo hörte gefühlt Berlin auf? Wo fing es an? Wer fühlte sich zugehörig? Wer nicht? Und warum? Solche und viele Frage mehr ließen sich an die Berliner und jede andere Stadtgeschichte stellen. Eine Geschichte der Stadt, die die Gefühle miteinbezieht, wäre vielstimmig. Im Zentrum stünden Menschen, nicht anonyme Prozesse und Strukturen. Sie böte dem breiten Publikum oder den verschiedenen Publika vermutlich einen zugänglichen Einstieg, indem sie dem Bedürfnis nach Identifikation, Anschaulichkeit und Unterhaltung entgegenkäme, ohne dabei ahistorisch zu sein. Damit bin ich nicht mehr nur bei den Gefühlen in der Geschichte, sondern auch bei denen der Besucher. Um diese ins Museum zu locken, muss man angesichts der starken Konkurrenz wohl nicht nur inhaltlich den Publikumserwartungen entgegenkommen, sondern auch visuell etwas bieten, das sich sehen lassen kann. Zwei große Stärken hat in diesem Zusammenhang das Medium Museum. Zum einen kann es auf die Objekte zählen, die als Relikte vergangener Zeiten faszinieren und dem verbreiteten Bedürfnis nach Authentizität entgegenkommen. In Szene gesetzt und zu Schauarrangements zusammengestellt, manchmal vielleicht auch aus sich selbst heraus, entfalten sie eine ganz eigene Bildmächtigkeit.

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Zum anderen, und dieser Aspekt scheint mir gerade in Hinblick auf die Repräsentation von Stadtgeschichte wesentlich, ist das Museum wie wohl kein anderes Medium geeignet, neben der zeitlichen auch die räumliche Dimension von Geschichte sinnlich und konkret darzustellen. Gleichzeitig an einem Ort stattfindende Begebenheiten müssen nicht zergliedert und wie in einem Buch, Theaterstück oder Film nacheinander erzählt werden. Einer mittelalterlichen Simultanbühne17 ähnlich, erlaubt das Medium an einem Ort zeitlich parallel stattfindende Episoden nebeneinander in einem Gesamtbild zu präsentieren. Ob sich der Besucher vom dichten Gesamterlebnis beeindrucken lassen oder sich aufmerksam einzelnen Szenen widmen will, bleibt dabei ihm überlassen. Darüber hinaus lohnt es eventuell, sich das eine oder andere von der Konkurrenz abzuschauen. Eine einsichtige Gesamterzählung mit erkennbar rotem Faden kann helfen, die Einzelsegmente zusammenzubinden und den Stoff zu bündeln. Eine Dramaturgie mit gut gesetztem Spannungsbogen hilft, eine Geschichte unterhaltsam und überraschend zu präsentieren. Sinnliche Inszenierungen und eine ästhetische Gesamtgestaltung sprechen das Auge an und kommen dem Bedürfnis nach Anschauung entgegen. Einen Königsweg für gute Ausstellungen gibt es mit Sicherheit nicht, in Bern haben wir mit den eben skizzierten Prinzipien jedoch gute Erfahrungen gemacht.

17╯|╯D er Gedanke, sich bei der Inszenierung von Ausstellungen vom dramaturgischen Prinzip der mittelalterlichen Schaubühne anregen zu lassen, stammt von Peter Jezler, von dem ich während unserer Zusammenarbeit viel über das Medium Museum gelernt habe.

III. Inszenierung der Erinnerung

Welche Geschichte soll die Stadt wo und wie lesbar machen? Ruedi Baur

1855 wird in Paris das erste Museum eröffnet, in dem es um Gegenstände ging, die selbst nicht in den Räumen des Museums ausgestellt waren. Ein Museum mit einer Sammlung, aber ohne Originale. Violet Leduc erdachte sein »Musée du Patrimoine Français« als eine Schule. Schule des Sehens, Schule des Verstehens und Schule des Gestaltens. Die wichtigsten Monumente und Sehenswürdigkeiten, die auf dem französischen Territorium zu bewundern waren, wurden im Museum reproduziert, ausgestellt, erklärt, in Beziehung gebracht. Einzige Regel: Das Monument oder das Detail dessen musste im Museum im gleichen Maßstab wie die Realität präsentiert werden, wenn möglich direkt abgegossen. Dieses Dogma ergab die fantastische Inszenierung eines Museums, dessen Ausstellungsgegenstände eben nicht ins Museum passen, weil sie die Realität des Territoriums ausmachen. Das Konzept der Schule ermöglichte Violet Leduc, diese Form eines Museums ohne Sammlung vorzuschlagen. Gewisse Ähnlichkeiten mit der Problematik unserer Tagung sind sicherlich erkennbar, und ich frage mich, ob es nicht notwendig ist, dass wir heute ganz ähnlich eine Verschiebung des Status des Museums erarbeiten, um es besser unserer Zeit anzupassen. Immer wieder wird gesagt, dass im Zentrum des Museums die Sammlung und Präsentation von Objekten stehen. Ist das nicht etwas, was im Fall eines Museums über die Stadt und ihre Entwicklung zu hinterfragen wäre? Diese Einladung, das Stadtmuseum von morgen mitzudenken, ermöglicht uns, in aller Bescheidenheit das Museum aus anderen Perspektiven zu betrachten. Ich möchte Sie einladen, für die Zeit dieses Beitrages den Mut zu haben, uns in eine ähnliche Rolle wie Violet Leduc zu versetzen, das heißt, das Museum offen neu zu erfinden.

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Anstatt hier Bilder von exemplarischen Museen, die von mir oder anderen Gestaltern realisiert oder projektiert wurden, zu präsentieren, möchte ich sie im Gegenteil in Frage stellen – mit dem Versuch, diese neueren Wege zu betreten. Auch wenn ich selber Akteur der heutigen Produktion von Museen und Ausstellungen bin, stehe ich gleichzeitig sehr skeptisch ihrer populistischen Evolution gegenüber. Ein immer größeres Spektakel transportiert einen immer magereren Inhalt. Die Unterhaltung ersetzt die Aufklärung. Auch diese Tendenz, natürlich in Verbindung mit unserer Konsumgesellschaft, sollten wir uns mal getrauen, in eine Krise zu versetzen, ohne Nostalgie, im Gegenteil mit dem neuen Einsatz, den uns zum Beispiel die digitalen Technologien ermöglichen. Die jüngste Generation der 16- bis 24-Jährigen ist die erste, die radikal das Fernsehen ablehnt. Sie lehnt aber auch, zu mehr als 50 %, die heutigen Museen ab. Wir werden sie nicht faszinieren mit noch mehr Show, mit noch mehr artifiziellen Sensationen. Diese Jungend sucht etwas Anderes, das fließender, komplexer, aber auch sinnfälliger und bedeutsamer ist. Kurz gesagt, der Transfer der erfolgreichen Ideen und gestalterischen Maßnahmen anderer museografischer Bereiche wird nicht alleine die Problematik des Stadtmuseums lösen. Die Problematik ist spezifischer. Diese Eigenschaft entsteht nicht aus der Art der Sammlung, sondern aus dem Thema, das im Kern des Museums steht: das sind die Stadtbewohner, die Stadt, ihre Geschichte und ihre Entwicklung. Zu sammelnde Objekte sind hier nur eine Nebensächlichkeit. Sicherlich sind sie Zeugen einer Zeit, aber sie bezeugen nicht die wesentlichen Dimensionen dessen, was das Stadtmuseum zu übermitteln und mitzuteilen hat. Von dem her gesehen denke ich nicht, dass die Erneuerung der Stadtmuseen nur mit Emotionalität und subtiler Narration zu lösen ist. Ich denke nicht, dass man diese Herausforderung nur formal lösen kann. Mit dieser Haltung möchte ich versuchen, diesen Beitrag anzugehen. Vielleicht werden die Resultate enttäuschend sein, naiv wirken, für einige zu utopisch bleiben. Egal, ich möchte Sie einfach einladen, den Schritt zu wagen und sich mit mir auf diese kleine Reise einer Hinterfragung des Museums von gestern und von heute zu begeben. Um den Diskurs nicht zu abstrakt zu führen, möchte ich mich auf eine Diskussion beziehen, die ich in der letzten Woche mit einer Arbeitsgruppe um Brigit Wehrli in Zürich hatte, die sich mit der gleichen Problematik auseinandersetzt. Die Zürcher Situation ist interessant, weil es in diesem Fall nicht um eine Restrukturierung des Museums geht, sondern um eine Neu-Herstellung eines Stadtmuseums. Keine 200 Jahre alte Sammlung die zu präsentieren ist, sondern eine offene Konfrontation mit der Problematik der musealen Übermittlung des Themas Stadt. Diese unbelastete Situation kann uns helfen uns zu befreien von dem Existierenden, das natürlich oft als Muss hier steht.

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Um noch einen Schritt weiter zu gehen, möchte ich formulieren, dass wir uns mit der Konzeption einer neuen »Sache« befassen werden, die wir zurzeit noch Museum nennen und deren Ziel die Entwicklung der Stadt und ihres individuellen und kollektiven Gebrauchs ist. Ich habe leider hier nicht die Zeit, ausführlich über die Entstehung des republikanischen Museums des 19. Jahrhunderts zu berichten. Dieses besteht immer noch, und heute in der wiederholten Inszenierung der Nation mehr denn je, als Fundament oder Kanon unserer kulturellen Institutionen. Neben den drei Grundfunktionen des Museums, dem »Konservieren«, »Ausstellen«, »Vermitteln«, sollte man nicht vergessen, dass sich hinter der primären Funktion des »In-Erinnerung-Bringens« auch weniger sichtbare Anliegen verbergen. Das Museum war ein Instrument für die junge Republik, das Königtum definitiv in die Vergangenheit der Geschichte zu verbannen – es aus der gegenwärtigen Realität auszuschließen, um es in den sogenannten »White Cube« einzusperren. In der ganzen Zeit der Moderne wurde das Museum im gleichen Sinne instrumentalisiert, um das Alte durch das Neue zu ersetzen, ohne seinen Wert zu zerstören. Ich denke aber, dass wir diese Problematik heute anders lösen können. Trotzdem soll die Dimension des Repräsentativen nicht unterschätzt werden. Die Einfügung in ein Museum transformiert wesentlich die urbane Realität. Die Frage ist nicht, ob man es machen soll oder nicht, vielmehr für welchen Zweck und für wen und zu wessen Vorteil profitiert das Stadtmuseum in welcher Form. Diese Fragen sollten nicht umgangen werden. Wenn wir uns zu einer sehr optimistischen Hypothese der post-marketingGesellschaft bringen würden, dass sie nämlich nach den artifiziell aufgeblasenen Werten ihre Glaubwürdigkeit verloren hätten, dann könnte man auf die Erneuerung einer Gesellschaft hoffen, in der eine effektivere Demokratie wieder eine zentrale Relevanz bekommen könnte. Der Mensch könnte sich wieder vor allem als Bürger anstatt als Konsument fühlen. Ich denke es würde ihn nachhaltig glücklicher machen. Vielleicht könnte er sogar wieder eine gewisse Identität entwickeln. In diesem Sinne bekommen unsere Stadtmuseen auch ein gewisses Interesse: Es geht nicht nur darum, Objekte als Zeugen der Geschichte zu zeigen, sondern darum, sich am demokratischen Prozess zu beteiligen. Die Statistiken zeigen, dass die lokale Demokratie die einzige ist, der die Bürger noch wirklich Vertrauen geben mögen. Im globalisierten Zeitalter, in dem die Mehrheit der Bevölkerung in der Stadt lebt, noch höhere Anteile darin arbeiten, entwickelt sich ein Zugehörigkeitsgefühl stärker in Beziehung zu dieser urbanen Realität als in der artifiziellen und abstrakten Konstruktion der Nation. »Ich habe nichts davon, in dieser Nation geboren zu sein«, schon viel mehr davon, in dieser Stadt zu leben. In diesem Sinne entsteht eine interessante ex-nationale und sogar ex-kontinentale Beziehung, in die die Bürger sich mit der Welt bringen können: einerseits als miteinander geteilter ökologischer Schatz und andererseits als Stadt des realen sozialen Raums.

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Dies ist ein kleiner Exkurs in die Politik mit meiner leider noch nicht sehr glaubwürdigen Gesellschaftshypothese, an der ich aber gerne als einzige festhalten möchte, da andere zu komplex zu erklären oder viel zu unsinnig wären. Der Kerngedanke, die Rolle des Stadtmuseums in der lokalen Demokratie zu verstärken, ermöglicht uns, das Museum von diesem Standpunkt aus zu analysieren. Es folgt ein Fragenkatalog; klassifiziert nach den konstitutiven Funktionen des Museums: Dem »Konservieren«, »Ausstellen«, »Erklären« setze ich dann die weniger sichtbaren Funktionen hinzu: »Repräsentieren«, »Verbinden«, »Transformieren« und mit Übertitel: Welches Stadtmuseum für wen und wieso? oder Welche Geschichte wo, wie, für wen und wieso? 1. Konservieren: Was wird derzeit überhaupt in den Stadtmuseen konserviert und was eben nicht? Was könnte gesammelt werden, was würde die Stadt lesbarer machen, was wäre für den Bürger wichtig, um ein intelligenter und effizienter Akteur in der Lokaldemokratie zu werden? Wie können wir Prozesse, Meinungsaustausch, Stimmungen, Rituale, Gewohnheiten, soziale Situationen und andere weiche Faktoren besser konservieren? Wie kann sich der Bürger an diesen Prozessen beteiligen? Braucht es eine bessere Synergie zwischen dem Archiv, der Denkmalpflege und dem Stadtmuseum? Wo könnte diese multisensorielle Datenbank stehen? Und wie kann diese Relevanz und Bedeutung erhalten? 2. Ausstellen: Wie definiert sich ein Museum, eine Ausstellung, die das Objekt nicht ins Zentrum setzt – oder anders gesagt –, wie definiert sich ein Museum, in dem das Objekt die Stadt selber ist und das Ausgestellte eben Prozesse, Meinungsaustausch, Stimmungen, Rituale, Gewohnheiten, soziale Situationen, Informationen sind? Wie kann man Informationen ausstellen? Wozu soll die Ausstellung von Informationen gut sein, die man zu Hause per Internet auch bekommen könnte? Was kann das Museum, was das Internet nicht leisten kann? Soll man diese zwei Ebenen dialektisch oder komplementär betrachten? Müssen Ausstellungen sich physisch im Museum befinden? Braucht das Museum überhaupt Ausstellungsräume? 3. Erklären: Kann das Museum noch neutral wissenschaftlich sein? Erlaubt es die Vielfältigkeit von Auffassungen? Darf es befragend sein? Welche vermittelnde Funktion hat das Museum heute überhaupt noch? Wie könnte unsere Alltagskultur anders dargestellt werden? Was ist die Rolle der Geschichte in der Übermittlung der Gegenwart und der Vergangenheit? Wie und wo kann das Museum etwas aufklären? Was ist die Rolle der Signaletik in der Vermittlung? Welche Rolle spielen die Aktualität und die privaten Meinungen in diesen Erklärungen?

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4. Verbinden: Wie verbinden sich Aktualität und Geschichte? Wie reaktiv muss das Museum sein? Wie schnell kann das Museum reagieren? Wie schnell kann eine Ausstellung hergestellt werden? Kann man eine Ausstellung als offenen Prozess konzipieren? Wie kann sich der Bürger am Prozess beteiligen? Wo befindet sich das Museum? Wie verbindet man das Museum in situ, den miteinander geteilten öffentlichen Raum mit dem Museumsraum? Wie verbindet man das Private mit diesen zwei Örtlichkeiten? Welchen Ton benutzt man an welchem Ort? Wie verbindet man die Informationen mit dem Inszenierten? Wie verbindet man das Reale und das Virtuelle? Kann das Museum ein Forum werden und wie? 5. Transformieren: Wie kann das Museum die Stadt der Zukunft darstellen? Wie kann es Transformationen reflektieren und Projekte begleiten, Gegenentwürfe vorschlagen und sogar Prozesse generieren? Wie kann das Museum Prozesse, Orte oder Stadtteile neu mit Bedeutung füllen? 6. Repräsentieren: Wen repräsentiert das Museum? Spricht es im Namen der Stadt, der Geschichte und der Wissenschaft, im Namen des Bürgers und welchen Bürgers? Oder kann es eine eigene autonome, nicht zwingend neutrale Auffassung entwickeln? Spricht es selber oder lässt es Autoren sprechen? Die Antworten auf diese sehr verschiedenen Fragen ermöglichen uns, verschiedene Vorskizzen von möglichen Stadtmuseen zu formulieren. Voraussetzung ist natürlich, diese ersten generellen Gedanken in Verbindung mit dem Kontext der jeweiligen Stadt zu bringen, in der die museale Infrastruktur und der zu vermittelnde Inhalt zum Glück verschieden sein werden. Denn beispielsweise hat die Präsenz eines symbolisch oder historisch starken Gebäudes sicherlich einen großen Einfluss auf das Konzept, und jedes Stadtmuseum soll möglichst anders sein. Es ist ja ein gewisses Portrait der Stadt und ihrer Entwicklung. Wie schon gesagt, werde ich von der Zürcher Situation ausgehen. Das heißt von einer Stadt, die bis jetzt das Bedürfnis nach einem Stadtmuseum nicht hatte und das jetzt erst formuliert. Woher überhaupt kommt dieses neue Bedürfnis? Vielleicht weil die rasche Entwicklung der Stadt in diesen letzten Jahren und die Konfrontation mit neuen sozialen und urbanen Problemen in einem breiteren urbanen Rahmen zu einer notwendigen öffentlichen Konfrontation mit der Geschichte des Ortes führt. Vielleicht auch, weil die Austauschbarkeit der Orte im Zuge der Globalisierung sich nur so bekämpfen lässt. In jedem Fall gibt es in Zürich kein Stadtmuseum, aber ein Bedürfnis, eines zu errichten – dies aber im Sinne unserer Zeit: das heißt ohne das Geld, aber auch ohne den Wunsch nach einem außerordentlichen Gebäude, ohne dieses

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Bedürfnis, wie man es in den 90er Jahren noch hatte, nämlich durch die Errichtung eines außerordentlichen Gebäudes eine Architektur zu schaffen, in der der Inhalt sich dann einrichten muss. Nein, wie auch in einer gewissen gegenwärtigen Stadtplanung – in Berlin zum Beispiel sehr interessant repräsentiert durch Finn Geipel – herrscht eine neue Haltung basierend auf dem Gedanken, dass unsere Städte eigentlich alles schon besitzen, dass es nicht mehr darum geht, noch mehr zu erweitern, sondern zu verdichten, besser zu verbinden und insbesondere unter anderem die Peripherie zu qualifizieren. Diese Haltung soll als Modell für die Konzeption dieses Museums gelten. Es gibt schon viele Museen, die selbst kaum mehr die finanzielle Kapazität haben, ihre Ausstellungen so regelmäßig zu entwickeln, wie sie es sich wünschen. Also muss nicht unbedingt ein neues Monument geschaffen werden. Es gibt schon viele Institutionen, die sich mit der Geschichte der Stadt befassen, wir sollten bessere Synergien schaffen: zwischen Archiven, Bibliotheken, Denkmalpflegern, Stadt-Observatorien, Geschichtsvereinen usw. Es ist die Rolle des Museums, die Daten dieser Institutionen öffentlich zugänglich zu machen, sie kontextuell in Gebrauch zu nehmen, sie in situ lesbar zu machen, sie zu inszenieren, sie zu verbinden. Wir bewegen uns also in Richtung auf ein Museum ohne Dach oder mit einem sehr bescheidenen Dach. Ein Museum, das mit anderen Museen und Institutionen zusammenarbeiten würde und dessen Präsenz dort wäre, wo die Stadt in einer evolutionären Entwicklung ist und wo sie ihre Geschichte braucht, um sich perspektivisch weiterzuentwickeln, da wo Wurzeln fehlen, wo die Geschichte nicht geschrieben wurde. Im Zentrum würde ein weltweites Netzwerk stehen. Es wäre in gewisser Weise die virtuelle Konstante, das direkte Verbindungsglied, das sowohl mit den Bürgern als auch mit den Orten liiert wäre, wo sich das Museum ausdrücken wird, das Archiv auch, die Erinnerung, das Programm, die Orientierung, die Baustelle für die Zukunft im Sinne von Diskussions-Plattformen. Und das könnte das zweite Dogma sein: Es geht darum, ein Museum so zu bearbeiten, wie sich eine Stadt entwickelt: das heißt als Prozess, in dem mehrere Akteure mit verschiedenen Interessen parallel, aber nicht autonom auf dem gleichen Territorium agieren. Die Initiative nimmt nicht nur der Museumsangehörige, sondern auch der Bürger, eine Organisation oder eine Institution auf. Das Museum bringt Wissen, Tools, Methoden, wissenschaftliche und gestalterische Hilfen hinzu, um die Intention zur Realisierung zu führen. Das Museum präsentiert sich am Ort und präsentiert den Ort. Die Formen können verschieden sein: – Ausstellung nur in der Nacht zugänglich – vielleicht nur einmal im Jahr – urbane Installation während einer Baustelle – zeitliches Observatorium oder Forum – Informationsstand am Markttag oder Intervention am Schulhaus

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– signaletische Maßnahmen … Dies muss noch entwickelt werden, doch ohne dass die Planung alles vorsieht. Es geht darum, die Geschichte zu erläutern an dem Ort, wo sie stattfindet. Temporär meistens, permanent, wenn es nötig ist. Die Themen sind natürlich auch sehr unterschiedlich, das Publikum, an das es sich richtet, auch. Man spricht nicht immer alle an, sondern kann seine Sprache anpassen. Es geht um Übermittlung von Wissen am Ort. Die Reise ist abgeschlossen, und das Projekt braucht sicherlich noch eine intensive Auseinandersetzung.

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Die Zukunft der (Stadt-)Museen als kulturgeschichtliches Format Uwe Brückner

Kublai Khan hatte bemerkt, daß Marco Polos Städte einander ähnlich waren; als wäre der Wechsel von der einen zur anderen nicht durch eine Reise, sondern durch ein Austauschen von Elementen bedingt. Marco fuhr indessen mit seinem Reisebericht fort, doch der Kaiser hörte nicht mehr zu und unterbrach ihn: »Von nun an werde ich es sein, der die Städte beschreibt, und du wirst feststellen, ob es sie gibt und ob sie so sind, wie ich sie mir gedacht habe. […].« Die Unsichtbaren Städte, Italo Calvino 1

P rolog Stadtmuseen stehen in der Subventionskette und der Reputationsrangfolge von Stadtverwaltungen meist ganz hinten und kämpfen nicht selten mit dem zweifelhaften Ruf von urbanen Heimatmuseen. Das liegt an den heterogenen Sammlungsbeständen städtischer Museen, an der Verwaltung ungewollter Schenkungen und an der Sperrigkeit oder gar fehlender Amtshilfe von Landesmuseen, mit deren Hilfe die Sammlungslücken städtischer Museen oftmals geschlossen werden könnten. Darüber hinaus ist es für ein (Stadt-)Museum eine besondere Aufgabe, sich in der Museumslandschaft zu verorten. Ein (Stadt-) Museum für Berlin hat sich beispielsweise zu behaupten gegenüber: dem Stadtarchiv, dem Rathaus, dem Deutschen Historischen Museum, der Museumsinsel, dem Humboldt-Forum, dem Deutschen Technikmuseum, dem Mauermuseum und dem Jüdischen Museum. Alle diese Museen sind immer auch mit ihrem Genius Loci verbunden und beinhalten, nolens volens, stadtgeschicht-

1╯ |╯C alvino, Italo: »Die Unsichtbaren Städte«. München/Wien, 1985.

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liche Aspekte. Sie bestechen durch ihre Lage, mit markanter und expressiver Architektur oder einer herausragenden Sammlung. Welche Anforderungen sollte ein (Stadt-)Museum erfüllen, will es in dieser Liga erfolgreich mitspielen? Wie kann sich das (Stadt-)Museum behaupten angesichts der permanenten Veränderungen der urbanen Kulturlandschaft, den demographisch beeinflussten Zielgruppen und einem stark veränderten Rezeptionsverhalten? Was soll das Format (Stadt-)Museum können, was muss die Institution (Stadt-)Museum leisten und wie muss sie sich zukünftig entwickeln, um den Bedürfnissen und Anforderungen im 21. Jahrhundert zu genügen?

B r aucht die S tadt ein M useum oder das M useum die S tadt ? Braucht jede Stadt ein (Stadt-)Museum, auch wenn die Sammlung noch so dürftig ist und die Stadtgeschichte auch auf dem Ortsschild Platz findet? Oder kann die eigene historische Wertschöpfung nicht durch andere städtische Attraktionen besser repräsentiert werden? Die grundsätzliche, unbequeme, daher oft verdrängte Antwort findet sich vor allem in der Sammlung und dem kulturgesellschaftlichen Auftrag eines Hauses. Können die Kulturverantwortlichen, wie Ministerien, Direktion und Kuratoren über das Format Museum als Austragungsmodus Geschichten und Botschaften vermitteln, ist der kulturpolitische Auftrag gegeben. Dies ist der Fall – und dann lohnt sich ein selbständiges (Stadt-)Museum meistens –, wenn die Sammlung substanziell, also per se attraktiv ist, wenn die stadtgeschichtliche Bedeutung (Handelszentrum oder Produktionsstandort) dies verlangt, weil dort bedeutende Ereignisse stattgefunden haben (Friedensschlüsse), oder wenn die Stadt ein Ort von politischer oder gesellschaftlicher Relevanz ist (Regierungssitz oder Hauptstadt). Reicht der Sammlungsbestand aus, um ein attraktives Museum damit zu bestücken? Oder ist nicht sogar die Sonderausstellung mit zwar temporären, aber erstklassigen Leihgaben die bessere Alternative zur oft heterogen und unvollständig bestückten Dauerausstellung? Eine MasterplanFrage, die ehrlich und frühzeitig beantwortet sein will, stellt sie doch die Weichen für eine schlüssige Gesamtkonzeption. Beim Ausloten des Selbstverständnisses eines Hauses sollte dies, gegenüber bereits existierenden Institutionen wie Archiven, Bibliotheken oder anderen Museen, welche stadtgeschichtliche Aufgaben übernehmen könnten, stets in die Waagschale geworfen werden. Eine Stadt braucht dann ein Geschichtsmuseum, wenn dieses zum Ort der kritischen Auseinandersetzung mit der historischen Stadtgeschichte werden will oder bereits geworden ist. Das Museum braucht die Stadt nicht nur qua Legitimation,

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sondern es braucht den Genius Loci, die einmalige unverwechselbare Lage, die Silhouette, die urbane Struktur, ihre Sprache, ihren Klang, ihren Geruch, ihre Architektur und ihre Protagonisten. Ein identitätsstiftendes (Stadt-)Museum ist dem Charakter der Stadt auf der Spur, ihrer Stärke wie ihrer Verletzlichkeit. Relevant und animierend wird der Besuch im (Stadt-)Museum, wenn man dort dem Charakter einer Stadt nachspüren kann, wenn man in die Seele einer Stadt blicken, wenn man ihr auf die Schliche kommen oder wenn man sich in ihren Widersprüchen verheddern darf, wenn der Besuch eine Entdeckungsreise wird, auf der man vor keiner Überraschung sicher ist. Wie wunderbar, einzutauchen in ein Stadtmodell aus dem 17. Jahrhundert, an ihm die Geschichte seiner Bewohner abzulesen. Das Stadtmodell des ehemaligen Küstenortes Amsterdam erzählt dann beispielsweise die einschlägigen Veränderungen, die für die Bewohner mit dem großen Dammbau von 1927 einhergingen, nachdem der Damm Nordholland mit dem Friesland verband. Abbildung 1: Berliner Stadtmodell im Stadtmuseum Berlin (2008)

Ein Stadtmodell lässt den Besucher teilnehmen an der Zähmung der Berliner Sumpflandschaft durch Dämme und Wehre. Stadtkarten weihen ein in die Geheimnisse der Gassen, Winkel und Plätze zu Zeiten eines Gerhart Hauptmann (1862-1946), einer Käthe Kollwitz (1867-1945), oder eines Bertolt Brecht. Was für eine sympathische Annäherung an eine Stadt, wenn der Besucher auf den Spuren des »Hauptmann von Köpenick« verfolgen kann, wie dieser mit einem simplen »Kleider-machen-Leute-Trick« den preußischen Beamtenapparat aufs

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Kreuz legt.2 Wie in einem begehbaren Film möchte ich mit Döblins Franz Biberkopf unterwegs sein können, das historische Berlin der Kleinen Leute erforschen, den Buddenbrooks durch die engen Gassen Lübecks folgen oder mit Maupassants Bel Ami durch das Paris des beginnenden 20. Jahrhunderts flanieren. Ähnlich ablesbar an der gewachsenen Bausubstanz der Stadt sollte die Rolle Berlins in der NS-Zeit sein und ganz besonders die grausame Verantwortung als Ausgangsort des Holocaust. Es geht bei der Thematisierung der Vergangenheit nicht um (einen) zusätzliche(n) musealen Erinnerungsraum – davon gibt es in der Stadt bereits viel wirkmächtigere –, sondern um eine Art Markierungsarbeit für das Aufspüren und Verorten von historischen Brandherden (»Geschichtskarzinomen«), eine Art »Prophylaxe« gegen urbane Verdrängungsmechanismen. Es sind diese Ambivalenzen der sich überlagernden historischen Schichten zwischen der heilen Welt der Museumsinsel, dem Bendlerblock, zwischen Tiergarten und Lützowufer und dem ehemaligen Hauptquartier des Staatssicherheitsdienstes der DDR in Berlin Lichtenberg, in dem sich heute das Stasi-Museum und eine Gedenkstätte befinden. Es ist die Abbildung der Ost-West-Teilung, eine Markierung mit Mauer und Todesstreifen quer durch die Lebensadern der Stadt gelegt, die mich interessiert! Es sind die Narben durch Eroberung und Zerstörung, aber auch die chirurgischen Korrekturen durch Wiederaufbau und Rekonstruktion, die die Biographie einer Stadt ausmachen. Ein zeitgemäßes (Stadt-)Museum, das ist eine Zeitreise durch den Organismus Stadt, eine Obduktion ihrer zahlreichen Verletzungen, staunende Beobachtung ihrer Regeneration durch Häutungen und Narbenbildung und die Entdeckung ihres Überlebenswillens und ihrer Immunkraft. Erst wenn die Geschichte einer Stadt in ihren Bann schlägt, wenn man sich in einer »begehbaren Urkunde« oder Stadtverordnung bewegen kann, »auf Augenhöhe« mit dem Bürgermeister, Bischof, König oder Henker ist, wenn man in die Rollen Friedrichs II., Humboldts, Schinkels, Anita Berbers, Franz Biberkopfs, Willi Brandts schlüpfen darf oder neben Otto Sander auf dem Reichstag stehen kann,3 wird man Teil der Inszenierung, wird man zum Bewohner auf Zeit – das

2╯| ╯F riedrich Wilhelm Voigt (* 13. Februar 1849 in Tilsit; † 3. Januar 1922 in Luxemburg) war ein aus Ostpreußen stammender Schuhmacher. Bekannt wurde er unter dem Namen Hauptmann von Köpenick durch seinen spektakulären Überfall auf das Rathaus von Köpenick bei Berlin, in das er am 16. Oktober 1906 als Hauptmann verkleidet mit einem Trupp gutgläubiger Soldaten eindrang, den Bürgermeister verhaftete und die Stadtkasse raubte. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Hauptmann_von_Koepenick/ vom 12.12.09. 3╯| ╯» Der Himmel über Berlin« ist ein Film von Wim Wenders aus dem Jahr 1987 mit Otto Sander in der Hauptrolle. Neben einer Liebeserklärung an die Menschheit ist

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wäre ein Stadtrundgang, wie ihn nur ein (Stadt-)Museum leisten kann – das ideale Erlebnis.4 Die erweiterte Form des Museums wird neudeutsch als »Cultural Heritage Center« bezeichnet, also als ein Haus für das Gedächtnis der Stadt, welches das Kulturerbe derselben verwaltet und pflegt; das heißt nicht nur das historische, sondern auch das gegenwärtige kulturelle Leben der Stadt – wie Städtepartnerschaften, Konzerte, Festivals – und die Stadtentwicklung als urbanen Lebensraum mit einschließt und als zeitgeschichtliche Ablagerung in das Stadtgedächtnis aufnimmt. Das erfordert eine antizipatorische Sammlungsstrategie und präventive Dokumentationsinitiativen der Kulturverantwortlichen, um sich Architekturmodelle, Fotos und Grundsteine von Abbruchhäusern, das Bühnenbild der Oper des Jahres oder Wahlplakate zu sichern. Eine strategische Zusammenarbeit oder Partnerschaft mit verschiedenen lokalen Spartenmuseen kann dafür höchst förderlich sein. Eine spezielle Variante, die städtebauliche Entwicklung zu dokumentieren, findet sich in China. In den sogenannten City Development Centers wird die Bevölkerung durch riesige Stadtmodelle mit den Neubauplänen der Kommune oder der Regierung vertraut gemacht und die Umgestaltung als Verbesserung beworben. Dabei wird in zunehmendem Maße auch das archäologische und stadtgeschichtliche Kulturerbe vermittelt und perspektivisch ein dringend notwendiges Bewusstsein für das lokale Erbe generiert, damit nicht weiterhin wertvolle historische Bauten und Stadtviertel einer kurzlebigen Hochhausmanie weichen müssen. Mit unserem Wettbewerbsbeitrag für das Shenyang City Development Center haben wir versucht, das Informationsbedürfnis öffentlicher Stellen mit einem bewusstseinsfördernden Aspekt zu verknüpfen. Die Ausstellung, auf mehr als 10.000 m2 und auf fünf Galeriegeschossen verteilt, gruppiert sich um ein riesiges 24 m x 37 m großes, dynamisches, vertikal interaktiv fahrbares Stadtmodell im Maßstab 1â•›:â•›500. Einzelne Modellsegmente können auf Anforderung auf das Niveau der verschiedenen Etagen gehoben werden und mit den dort ausgestellten Themen – wie Wasser, Ver- und Entsorgung, Verkehrs– und Mobilitätskonzepte, Kommunikation und Ökologie, bewusste Stadterweiterung etc. – verknüpft werden. Unterhalb des vierschichtigen Stadtmodells befindet sich ein begehbares archäologisches Stadtmodell, das Chinas erste Kaiserstadt Shenyang in der historischen Entwicklung zeigt. Hier erfolgt – nicht wie bei uns aus einer historischen Tradition heraus eine Bewertung der Moderne, sondern eine Wiederaneignung aus einem der Modernität verschriebenen Blick – eine Art Geschichtsrückeroberung. der Film ein Zeitdokument der Berliner Stadtlandschaft, insbesondere des seinerzeit brachliegenden Gebietes am Potsdamer Platz vor dem Fall der Berliner Mauer. 4╯ |╯Vgl. dazu: Gerhardt Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt, 2000.

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Abbildung 2: Interaktives Stadtmodell Shenyang (2007), Atelier Brückner

Ein (Stadt-)Museum ist wie eine unbestechliche anatomische Bestandsaufnahme, eine gewissermaßen empirisch-historische Qualitätskontrolle eines komplexen urbanen Organismus: Stadt und Museum bedingen sich gegenseitig. Die Betrachtung zeigt: Das (Stadt-)Museum kann mit einer substanziellen Sammlung und einem gesellschaftlichen Auftrag als Ort des kulturellen Gedächtnisses und der kritischen Auseinandersetzung eine gesellschaftliche Rolle spielen. Es muss dazu zeitgemäß kuratiert und betrieben werden und dem sich verändernden Wahrnehmungsverhalten seiner Besucher sowohl inhaltlich wie auch gestalterisch gerecht werden.

S chl ägt das historische H erz einer S tadt im M useum ? Taugt ein (Stadt-)Museum noch als zentraler Ausstellungsort? Oder ist die Stadt nicht selbst das bessere Museum? Ist ein realer Museumsbesuch überhaupt noch interessant, wenn via Internet bald dreidimensionale Stadt-Exkursionen, inklusive virtueller Museumsbegehungen, abzurufen sind? Der Standort (Stadt-)Museum liegt idealerweise möglichst zentral im Stadtkern, angeschlossen an Stadtarchiv und Rathaus, so dass dessen Deposita auf direktem Wege in die Sammlung gelangen können. Das eine oder andere Rathaus aus der Nachkriegszeit würde sich bis heute im doppeldeutigen Sinne des Wortes als (Stadt-)Museum (besser) eignen. Nach wie vor ist ein (Stadt-)Museum in zentraler Lage ein logischer und günstiger Ausgangspunkt für Stadt-

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führungen; wie bei jeder Immobilie zählen die Lage, Erreichbarkeit und öffentliche Präsenz. Je mehr ein Museum mit dem Charakter seiner Stadt verknüpft ist, desto mehr wird es – auch in der überregionalen Wahrnehmung – als (Stadt-)Museum begriffen, in Anspruch genommen und hoch geschätzt. Historische Gebäude, wie das (Stadt-)Museum in Hamburg oder das Kronprinzenpalais für das zukünftige Stuttgarter (Stadt-)Museum, geplante Neubauten wie das Wiesbadener (Stadt-)Museum oder Erweiterungen für das Berliner (Stadt-)Museum brauchen ein ikonographisch verwertbares Erscheinungsbild im öffentlichen Raum. Diese ikonographische Qualität sollte aus der konsistenten Umsetzung des musealen Auftrags entsprechend dem Selbstverständnis des (Stadt-)Museums entstehen und nicht umgekehrt – je konsistenter, desto unverwechselbarer. Warum nicht ein (Stadt-)Museum im Ruhrgebiet unter Tage legen, das Wiesbadener (Stadt-) Museum mit einer Thermalquelle verbinden und das in Berlin an die Spree anbinden mit einer zum Museum erweiterten Museumsbrücke oder zumindest einer museumseigenen Bootsanlagestelle? Denn aus Wasser, Inseln, Brücken und Dämmen ist diese Stadt ja entstanden, wie die »Museumsinsel« zeigt. Das heißt: Ein (Stadt-)Museum wirkt dann schlüssig, wenn es aus seinen eigenen Ressourcen, aus seiner ureigenen Stadtgeschichte heraus gedacht und konzipiert wird und sich nicht durch den Pragmatismus von Gebäudeverwertung oder vermeintlich sakrosankten städtebaulichen bzw. denkmalschützerischen Vorgaben einschüchtern lässt. Für die Umbauphase des Stadtmuseums Berlin könnte beispielsweise ein mobiler Auftritt desselben inszeniert werden – z.B. auf Binnenschiffen und Schubleichtern, die das Museum zu den Bürgern bringt, und gleichzeitig für das neue (Stadt-)Museum werben. Was wäre dazu besser geeignet als die Wasserstraßen Berlins – ist es nicht ein charmanter Gedanke, vor dem Bahnhof oder der Museumsinsel das neue Stadtmuseum zu präsentieren? Stadtmuseen brauchen eine Lizenz zur dezentralen Bespielung ihrer Stadt – das ist nur recht und billig, denn sie verwalten nicht nur deren geschichtliches Erbe, sondern bringen die Stadtgeschichte dorthin zurück, wo sie entstanden ist. Für das Stuttgarter Haus der Geschichte (HdG) hatten wir für die Bauzeit einen »Cargo Lifter« vorgeschlagen, an dem das Museum in einer Art Geschichtscontainer hängen sollte. Das Luftschiff sollte Rundflüge über Baden-Württemberg anbieten mit der Landesgeschichte im Gepäck und mit Stopps an den geschichtsträchtigen Stellen. In Friedrichstadt, nahe der niederländischen Grenze, können sich die Besucher mit einem Mini-Computer im Handtaschenformat ausgestattet, auf eine individuelle Entdeckungsreise durch die historische Altstadt mit ihren Grachten mit den hübschen Kaufmannshäusern und zu modernen Kunstobjekten begeben. Besonders unterhaltsam sind dabei die eingespielten Geschichten des holländischen Siedlers Willem van den Hove, der eigens aus der Gründungs-

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zeit der Holländerstadt für die Führung »wiedererweckt« wurde. Mit ihm und einer fiktiven Begleiterin spazieren die Besucher auf den historischen Spuren der Holländer und Dänen, erfahren mehr über die vielen unterschiedlichen Religionen in der »Stadt der Toleranz« und welche Bedeutung das Element Wasser für Friedrichstadt hat.5 Solche Spielarten von Besichtigung gehören zukünftig selbstverständlich unter die Verwaltung eines modernen (Stadt-)Museums. Die Abwerbung der Museumsbesucher auf virtuelle Wege braucht nicht gefürchtet zu werden, solange Gestaltung und Programm des (Stadt-)Museums zeitgemäß sind und seine Inszenierungen ein unverwechselbares Erlebnis versprechen, das an die physische Präsenz des Besuchers gebunden ist. Die Lage eines Museums in seiner Stadt spielt eine wichtige Rolle: Am historischen Marktplatz, auf den städtischen Wasserstraßen oder in Stationen über die Stadt verteilt, je näher das Museum am Puls der Stadt liegt und je sinnfälliger der Geist einer Stadt durch die Adern eines Museums zirkuliert, desto konsistenter, sinnfälliger und unverwechselbarer wird es wahrgenommen werden. Auch in der Zukunft bleibt jeder Museumsbesuch ein authentisches, individuelles, reales, dreidimensionales Live-Erlebnis und ist damit per se besser als jeder virtuelle Ersatz – gut, dass ein Museumsbesuch nicht delegierbar ist. Abbildung 3: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart (2002): Das mobile Museum in Form eines Zeppelin mit Containern, der an authentischen Schauplätzen abgestellt werden kann

5╯| ╯Vgl. dazu: www.reisefuehrer-deutschland.de/schleswig-holstein/nordsee/friedrich stadt/stadtfuehrungen-per-audio-guide-in-friedrichstadt.htm/ vom 14.12.09.

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D er perfek te architek tonische M useumskorpus . D ie S tadt als begehbares R aumbild Sind Gebäudeskulpturen wie das Jüdische Museum in Berlin oder das Phaeno in Wolfsburg mit ihrer autarken Eigenauratik geeignete Museumsbauten? Konkurriert die attraktive Architektur nicht von Anfang an unschlagbar mit jedem Inhalt, der nicht dem gleichen Zeitgeist entstammt? Wie kann ein zeitgemäßes Zusammenspiel von Architektur, Rauminszenierung und Sammlungspräsentation funktionieren? Museen sind zu nationalen, regionalen und gesellschaftlichen Ikonen geworden. Städte und Gemeinden buhlen um die Gunst der Besucher mit ausgefallenen Architekturen möglichst berühmter Architektinnen und Architekten, um ihren Standort aufzuwerten. Der sogenannte Bilbao-Effekt des Guggenheim-Museums von Frank O. Gehry ist geradezu ein Synonym dafür geworden. Auf der einen Seite kreist die Diskussion, auch bei populärwissenschaftlichen Museen, tatsächlich immer noch um den White Cube oder die Black Box; auf der anderen Seite erzeugen Entwürfe wie Libeskinds Jüdisches Museum oder Coop Himmelblaus Bauabschnitt des Groninger Museums skulpturale Räume, die kaum noch Ausstellung ertragen oder zulassen – jedenfalls nicht mit konventionellen Mitteln. Auch Stadtmuseen können sich dieser Entwicklung nicht entziehen. Entweder sollen bestehende historische Gebäude mehr oder minder spektakulär umgebaut oder erweitert werden, wie in Stuttgart, Berlin oder Zürich (Landesmuseum), oder sich in einen Neubau einnisten wie in Wiesbaden. Abbildung 4: Jüdisches Museum Berlin (2001)

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Jenseits der topographischen und städtebaulichen Konditionen sind es die Sammlung und der Masterplan für das Museum, die Dimension und Zuschnitt der Ausstellungsräume einfordern und die ein alle inhaltlichen Voraussetzungen reflektierendes Gestaltungskonzept ermöglichen sollen: und nicht umgekehrt. Im Idealfall verhält sich die Museumsinnenarchitektur neutral, hält ausreichend Raumhöhe, Hohlböden und flexible Wände bereit, bietet ausreichend Tragkraft, ermöglicht verschiedene Lichtverhältnisse und Aggregatzustände der Ausstellungsräume und zeigt sich flexibel in Dimension und in der Benutzbarkeit der Oberflächen – kurz: Der ideale Ausstellungsraum ist wie eine begehbare Bühne. Der architektonische Raum und die Ausstellungsgestaltung gehen dabei einen Dialog ein, ergänzen sich, ermutigen sich und spornen sich gegenseitig an, um den Objekten und ihrer Botschaft den besten Auftritt zu gewähren. Je früher und je intensiver der architektonische Raum und der narrative Raum miteinander kooperieren können, desto erfolgversprechender das Ergebnis. Eines der konsequentesten und gelungensten Beispiele – mit noch nicht ausgereizter Halbwertszeit – ist das Muséum national d’histoire naturelle in Paris. Dort hat eine radikale architektonische und inszenatorische Intervention, die Inszenierung paarweise angeordneter Tierpräparate in der Formation eines Auszugs aus der Arche, einen geradezu ikonographischen Charakter bekommen. Die Entkernung hat weder dem historischen Gebäude noch den Exponaten geschadet. Im Gegenteil: Durch die dominante, theatrale Geste wird eine assoziative Interpretationsbreite aufgemacht zwischen wissenschaftlich fundierter Naturkunde und kolonialistischer Sammlerwut. Darüber hinaus ist die vertikale Platzierung der »Tiere« mit den Wasserbewohnern im Basement und den Vögeln bis hinauf unter das Dach eine konsequente wie attraktive Inszenierung. Hier wird eine zeitgemäße gestalterische Deutung des Museums des 19. Jahrhunderts. mit dem Rezeptionsverhalten des ausgehenden 20. Jahrhunderts und eines ausbaufähigen Konzeptes für den Beginn des 21. Jahrhunderts verbunden. Ein vorbildliches zeitgemäßes Konzept, das längst zu einem Klassiker geworden ist und häufig als beispielhaft zitiert wird. Die Gemeinde der Museumsmacher muss sich fragen lassen, warum so wenige diesem Beispiel gefolgt sind. Ein weiteres Exempel für ein symbiotisches Verhältnis zwischen bestehendem Raum und dessen Ausstattung ist das westfälische Museum in Herne. Hier impliziert die unter Tage liegende Ausstellungshalle den archäologischen Charakter des Museums, und das Ausstellungskonzept in Form einer begehbaren Grabungslandschaft führt diesen Gedanken konsequent fort – ein Dialog zwischen Raum und Inhalt, zwischen Inhalt und Rezipient. Das Konzept basiert auf einer integrativen statt additiven Gestaltung – architektonischer Raum, Raumbild, Inszenierung der Objekte, integrierte Informationsvermittlung und

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die Darstellung wissenschaftlicher Arbeitsmethoden an originalen Fundsituationen ergeben ein konsistentes Ganzes und somit nachhaltiges Erlebnis.6 Abbildung 5: Le Muséum national d’Histoire naturelle, Paris, Der Zug der Tiere

Abbildung 6: Westfälisches Museum für Archäologie in Herne (2003), Grabungslandschaft

6╯ |╯Vgl. dazu: Uwe R. Brückner. In: Österreichischer Museumsverband (Hg.): Neues Museum Wien. Die Sprache des Museums »Wirkung und Einfluss von szenographischen Gestaltungsmitteln auf die Vermittlung von Inhalten im inszenierten Raum. Linz 2005/6.

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Wie sich ein inhaltlich motivierter Parcours auch in historisch divergente Bausubstanzen einschreiben lässt, zeigt unser Wettbewerbsentwurf für das Berliner (Stadt-)Museum. Die Verbindung des Doppelstandortes von Märkischem Museum und dem gegenüberliegenden »Marinehaus« zu einem Neuen Stadtmuseum Berlin bildet die sogenannte »Timeline«. Als bedeutungschronologisches Band markiert es im Erdgeschoss den neuen Haupteingang des Märkischen Museums und leitet den Besucher bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts durch das historische Gebäude. Es verbindet den glasgedeckten Innenhof des Märkischen Museums und das halböffentliche »Forum« des »Marinehauses«, mit einem »Time-Tunnel« unter der Straße hindurch. Im Foyer, das als semiöffentliches Forum des »Marinehauses« fungieren sollte, klappt die »Timeline« in die Vertikale als gebogene Rückfassade, im Sinne der Bedeutungschronologie7 als Projektionsfläche für das 20. und 21. Jahrhundert und weist den Weg hinauf in den signifikanten Wechselausstellungsraum, dessen Fassade als mediales Stadtfenster in den Stadtraum hinauswirkt. Abbildung 7: Stadtmuseum Berlin, Wettbewerbsbeitrag Atelier Brückner (2008)

7╯| ╯D er Begriff der Bedeutungschronologie wurde anlässlich der Ausstellungsgestaltung des Hauses der Geschichte Baden-Württembergs in Stuttgart 2000 von den ausführenden Gestaltern des Ateliers Brückner entwickelt.

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Es wird deutlich: Die Kooperationen von Architekten und Szenographen ist unverzichtbar – die frühzeitige Integration von Kuratoren mehr als empfehlenswert. Bei der Realisierung von Wettbewerben für Museumsprojekte ist die ideale Reihenfolge des Planungsprozederes: Relevanz – Selbstverständnis – inhaltliches Konzept – szenographisches Konzept (ergeben zusammen das Briefing für den Architekturwettbewerb) – Architektur – Planung – Eröffnung – Betrieb. Die Realität sieht leider anders aus; politisch oder städtebaulich motivierte Architekturwettbewerbe erzeugen immer wieder Ergebnisse, die weder den Bedürfnissen der Sammlung, der Kuratoren noch denen der Szenographen gerecht werden. Das zeigt sich auch häufig in den ungleich verteilten Budgets für die Architektur und Ausstellung. Gerade Stadtmuseen in Metropolen brauchen attraktive Ausstellungsräume und einen selbstbewussten, markanten öffentlichen Auftritt, sonst gehen sie im touristischen Überangebot unter. Aber auch expressive, ikonographische Architekturen haben einen Auftrag: die optimale und möglichst virtuose Inszenierung im Auftrag der Objekte, des Inhaltes und eines spannenden Parcours. Die Frage nach dem White Cube oder der Blackbox ist keine rein architektonische, sondern ebenso sehr eine inszenatorische Frage und abhängig von Inhalt und Konzept.

H ow to make the object talk . D as E xponat als P rotagonist Ist das objektorientierte Museum mit dem Fetisch Exponat als Zeuge und Beweismittel urbaner Vergänglichkeit noch zeitgemäß, noch attraktiv genug, um ein breites Publikum in städtische Museen zu locken, oder ist das »Geschichten erzählen« an seine Stelle getreten? Wie sieht eine zeitgemäße Sammlungspräsentation aus? Ob es gelingt, das Museum zu einem attraktiven Ort des Erlebens, des Austausches und der Wissensaneignung zu machen, hängt davon ab, ob das Vermächtnis, das Selbstverständnis, die Vision einer Stadt adäquat und attraktiv ausgestellt und vermittelt werden können. Für das Bedürfnis des Aufhebens urbaner Requisiten und das Archivieren von Geschichten würde auch ein begehbares Depot reichen; für eine museale Inszenierung ist das zu wenig. Es gibt allerdings hervorragend präsentierte Depots, wie das »begehbare Depot« im Bremer Überseemuseum, die besucherfreundlich verwaltete Bibliothek in Wittenberg, das Darwin Center im Natural History Museum London oder die Sammlung des Historischen Museums Luzern, durch die von ausgebildeten Schauspielern geführt wird. Manche Dauerausstellungen vermitteln auch den Eindruck eines Schaudepots, wie das Musikinstrumentenmuseum in Basel oder die Ceramic Gallery im Victoria & Albert Museum

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London, um nur einige zu nennen. Diese Ausstellungen wollen in erster Linie archivarisch zeigen, was es gibt, und nicht, welches narrative Potential es zu entdecken gilt. Kultur-/Historische Museen bewahren zumeist eine ungeheure Menge an Sekundärobjekten, Urkunden, Fotos, Filmen und TV- und Rundfunk-Beiträgen auf. Diese zunächst schwer vermittelbar erscheinenden Exponate erweisen sich dann bei genauerer Betrachtung als eine spannende Ressource. Der Parcours im Haus der Geschichte Baden-Württemberg verlangte nach einem starken, aber unaufdringlichen Schlussakkord, der die kulturellen und landschaftlichen Potentiale Südwestdeutschlands präsentiert. In der sogenannten Baden-Württemberg-Lounge laden am Ende der Ausstellung transparente »Bubble Chairs« zum Verweilen ein, umgeben von dem 360-Grad-Film »Kulturlandschaften«, eine Collage aus einem spektakulären Helikopterflug über Land und Interviews mit Persönlichkeiten aus der reichhaltigen Kulturszene Baden-Württembergs. Abbildung 8: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (2002), BW-Lounge mit 360°-Projektion

Es muss darum gehen, eine möglichst repräsentative und vermittelbare Auswahl an Exponaten zu treffen. Nicht nur die Qualität, sondern auch die Quantität der Objekte ist wichtig sowie deren kommunikatives und dramaturgisches Potential. In der Regel wollen die Kuratoren so viel wie möglich zeigen, anstatt so viel wie nötig. Gemeinsam mit den Historikern und Wissenschaftlern gilt es vorab zu klären: Wie viel Inhalt verkraften die Besucher? Wie viele Exponate verträgt die Ausstellung überhaupt? Bis wohin reicht ihre Aufmerksamkeit? Welche Exponate sind erforderlich, um etwas zu verdeutlichen? Was ist wichtiger oder zielführender, Vielfalt oder Fokussierung? Die Erfahrung zeigt auch hier: meistens ist weniger mehr!

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Die Herausforderung bei kultur-/historischen Museen besteht in der Gliederung und Aufarbeitung ihrer sogenannten »pars pro toto«-Sammlungen, die sich nicht selten aus verschiedenen Sparten wie Kunst, Naturkunde, Geschichte und Archäologie rekrutieren und oftmals aus einem Übergewicht an »Flachware«, an Dokumenten und Fotographien bestehen, die besonderer Formen der Präsentation bedürfen. Konventionelle Ausstellungskonzepte haben diese inhaltlichen Fugen zugetextet oder die (unverschuldeten) Sammlungslücken durch Graphikorgien überbrückt. Oft genug wird dabei perfekten Vitrinen- und Displaysystemen mehr Aufmerksamkeit geschenkt als dem Objekt selbst. Das führt nicht selten zu einer Materialverliebtheit, einem im Design verlorenen Formalismus, einem Ästhetizismus ohne Bezug zum Thema oder den Objekten. Diese geraten auch schon mal in Isolationshaft unter besten klimatisierten Bedingungen, statt die Kontaktaufnahme zwischen dem Ausgestellten und dem Betrachtenden zu fördern – nicht selten entsteht da pathologische Distanz statt Beredsamkeit und Interesse. Im Museum geht es nicht darum, Objekte möglichst ästhetisch wegzusperren, sondern um den Dialog zwischen den Dingen und deren Betrachter, die Kommunikation zwischen Sender und Empfänger. Inszenierungen erlauben und erleichtern dabei den Zugang zu abstrakten Themen und Objekten und machen komplexe Zusammenhänge lesbar. Es gilt: Anspruch geht vor Masse, besser stimulierende Überforderung als enervierende Überfrachtung. Manchmal kann ein einzelnes Objekt mehr erzählen als ein reichhaltiger Vitrinenschrank, kann die Konzentration auf ein Exponat mehr Aufmerksamkeit bündeln und mehr Inhalt transportieren als eine seitenlange Textgraphik. Die Positionierung von Objekten und ihre choreographische Abfolge ist Sache des Kurators genauso wie die des Gestalters, ob als Solisten oder im Chor. Sie ist stets ein kompositorischer Akt – kein dekorativer. Bücher – sogenannte Flachware – gehören in Ausstellungen selbst für passionierte Bibliophile mit zum Langweiligsten. In der Regel müssen wir uns mit einer aufgeschlagenen Doppelseite begnügen. Interessanterweise sind das dann meist sehr illustrative Seiten mit Großdrucken oder eindrucksvoll verzierten Kapitalen. Wir müssen einer Zusammenfassung glauben, die den Inhalt der übrigen 300 Seiten zusammenfasst. Die Lesezeit übersteigt die Betrachtungszeit des Buches dabei bei Weitem. Wenn also ein Buch eine zentrale inhaltliche Bedeutung für einen Themenbereich hat, der mit einer Doppelseite nicht illustrierbar ist, lohnt es sich über eine Inszenierung nachzudenken, die das Eintauchen in die übrigen Seiten erlaubt. Ein Beispiel für die objektgerechte Präsentation und gleichzeitig raumbildende Inszenierung ist das »begehbare Buch« in der Ausstellung des Gartenkunstmuseums Schloss Dyck. Hier wurde ein kompletter Raum dem Tagebuch von Alexander v. Humboldt gewidmet. Das Original ist selbstverständlich konservatorisch optimal versorgt und prominent in der Mitte des Raumes in einer

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klimatisierten Vitrine platziert, buchstäblich umgeben von allen Seiten, von der Aura seines Inhalts. Die Faksimile-Seiten sind auf Polycarbonat gedruckt und hinterleuchtet und somit verwechslungsfrei zum Original. Die Attraktion und das Vergnügen sind hier das Lesen. Eine analoge Inszenierung, ganz ohne (elektronische) Medien. Das Buch ist der Raum, und der Raum ist das Buch – form follows content. Abbildung 9: Schloss Dyck (2003), Humboldt-Tagebuch als Rauminstallation

Die heftigsten Diskussionen werden wohl um die unterschiedlichen Auffassungen von Ausstellungsgestaltung und didaktischer Informationsvermittlung geführt. Gestalter und Kuratoren werden mehr oder minder in zwei Lager aufgeteilt: die »Auratiker«, für die das Exponat obligatorisch über eine Aura verfügt und dementsprechend selbstbewusst auf alle Inszenierungsmittel – außer auf die Vitrine – verzichten kann; und die »Inszenierer«, die mit szenographischen und dramaturgischen Mitteln die viel zitierte Aura8 erst herausarbeiten und in ihrer Wirkung intensivieren wollen. Ziel von Gestaltern und Kuratoren muss es sein, ein gemeinsames Konzept zu vereinbaren, um die Wirkung der Exponate zu optimieren und die interessanten Geschichten dahinter erlebbar zu machen. Der »Raum der Stille« in der Hamburger Titanic-Ausstellung (Expedition Titanic, Hamburg 1997) war beides: die Inszenierung der Aura der Objekte. Im Individuallicht schwebende Exponate im abgedunkelten, geräuschlosem Raum erzeugten eine intravenöse Nähe zwischen Besucher und Objekt. Die Szenographie nimmt sich hier bewusst zurück und lässt eine Leere und konturlo8╯| ╯Z um Aura-Begriff in der Kunst vgl. Walter Benjamin: »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit«, in: Zeitschrift für Sozialforschung, 1936.

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se Verlorenheit entstehen, wie sie von den Überlebenden beschrieben wurde, eine gefühlte Weite, in der die Exponate alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Obwohl die »Expedition Titanic«-Ausstellung 1997 in Hamburg als eine der erfolgreichsten, inszenierten Ausstellungen gilt, hatte sie doch ein objektbasiertes Ausstellungskonzept. Abbildung 10: Expedition Titanic, Ausstellung in der Speicherstadt Hamburg (1997), Raum der Stille

Der direkt anschließende, hell ausgeleuchtete »Mythosraum« enthielt nur ein einziges Objekt: die Glocke, die Jungfernfahrt und den Untergang der Titanic einläutete. In diesem einzigen Exponat verdichten sich Glanz und Tragik – der Mythos Titanic. Um die zentral gehängte Glocke herum gruppierten sich überhohe Stühle im Rund. Auf den Stühlen sitzend (ohne mit den Füßen den Boden berühren zu können) konnten die Besucher Erzählungen über andere Schiffsunglücke lauschen, die dezent aus der umgebenden Wand drangen. Den Blick auf die Glocke fokussiert, glaubten viele Besucher die Glocke hören zu können. Es geht darum, vermeintlich stumme Zeitzeugen auf die Bühne des Museums zu holen und aus der Chronik erzählen zu lassen, und gleichzeitig geht es darum, die Imaginationskraft der Besucher zu animieren. Die musealisierten Kirchenglocken, gestiftet, geraubt, einÂ�– und umgeschmolzen; die Stimmen einer Stadt, Zeugen von Sieg und Niederlagen, Leben und Tod. Welche überwältigenden Ereignisse haben sie eingeläutet, welche ausgesegnet? Sowohl eine spannungsgeladene Raumchoreographie wie auch eine choreographierte Abfolge erzeugen einen dramatisierten Spannungsbogen, dem sich die Besucher kaum entziehen können, geschweige denn wollen. Dazu ist eine unvoreingenommene Kooperation auf Augenhöhe zwischen Kuratoren und Gestaltern erfolgsentscheidend. Objektorientiertes und szenographisches Gestalten ist kein Widerspruch – ein inhaltlich konsistentes Konzept und eine

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kongruente Sammlungspräsentation wirken nachhaltiger – »man kann nicht nicht inszenieren«! Abbildung 11: Expedition Titanic, Speicherstadt Hamburg (1997), Mythos-Raum

I nformation on D emand oder wie k ann ein (S tadt -)M useum vermit teln ? Über die Quantität, Qualität und den Modus der Informationsvermittlung in Museen wird wohl so lange diskutiert werden, wie es das Format Museum gibt. Wie viel Information, in wie vielen Vertiefungsebenen, an welchen Stellen nötig ist, wie didaktisch, wie pädagogisch es sein muss oder darf, und wie prominent die Platzierung von Texten in der Ausstellung sein sollte – vor allem, wie viel zumutbar ist und wie viel gustierbar? Das ist nicht nur eine Frage des Sprachduktus und der Lesbarkeit einer Information, sondern auch seiner Dechiffrierbarkeit und der Aufnahmefähigkeit der Adressaten. Der große Unterschied liegt in der gestalterischen Haltung: traditionell additiv – also Objekt, Information und Kontext getrennt voneinander zu behandeln – oder integrativ, das heißt das Objekt selbst in den Dienst der eigenen Rekontextualisierung zu stellen und die Information als eigenes Medium auf Anfrage anzubieten. D.h. Information in Form von Text, Graphiken, Bild oder Filmmaterial und Audiostationen sind dann besonders effektiv, wenn sie einen Mehrwert generieren, nicht das Sichtbare illustrieren und mit Worten nochmals beschreiben, sondern mit Sprache das ausdrücken, was mit keinem anderen Medium besser möglich ist. Mit dem Einsatz moderner, elektronischer Medien in Ausstellungen können wir dem Besucher ein differenziertes Informationsangebot bieten, das weder das Objekt verstellt noch das Raumbild beeinträchtigt und darüber hinaus Information individuell auf Anforderung zugänglich macht – ich nenne das Information on Demand.

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Im National Maritime Museum in Amsterdam wollen wir das konsequent einsetzen – dort können die Besucher selbst entscheiden, wo, wann, wie viel Information sie abrufen wollen und in welche Informationsebene sie dabei vorstoßen wollen.9 In der Gemäldegalerie wird das Raumbild von den Gemälden alleine geprägt, die nach dem Horizont ausgerichtet sind, der als gemeinsamer Nenner auf allen Bildern auszumachen ist. Eine durchgängige Reling mit einem Wandabstand von ca. 1,5 m ist mit einem subtilen interaktiven Informationssystem ausgestattet. Bei Berührung wird sowohl die Exponatbeschriftung als auch Sekundärmaterial eingespielt, das z.B. Skizzen zeigt, die die Maler während der Schlacht auf den Schiffen anfertigt haben und nach denen das Gemälde dann an Land gefertigt wurde. Zu der großartigen Globensammlung des National Maritime gehört auch eine sensationelle Kollektion von Seekarten, die aus konservatorischen Gründen vorwiegend im Archiv schlummern müssen. Um diesen faszinierenden Schatz zugänglich zu machen und die Besucher an der Geschichte der Navigation teilhaben zu lassen, haben wir einen interaktiven Globus entwickelt, der Seekarten aus vier Jahrhunderten raumfüllend abrufen und sogar ineinander morphen kann und so die Entwicklung der Kartographie auf ganz neue Weise erlebbar macht. Als Interface dient ein interaktiver Globus, der in alle Richtungen drehbar ist. Über eine Projektion wird ein Abriss der Kartographie von Seekarten gezeigt: Zweidimensionales, historisches Kartenmaterial wird als dreidimensionale Darstellung, als Globus projiziert. Veränderungen im historischen Kartenmaterial können durch die Überlagerung, durch die Zeit hinweg verfolgt werden. Das innovative kugelförmige Interface animiert den Besucher, Inhalte zu entdecken. Auf andere und dennoch ähnlich überraschende Weise werden die Exponate im Textil- und Industriemuseum in Augsburg (Eröffnung 2010) inszeniert. Unter den Schlagworten »Mensch – Maschine – Mode« wird die Produktion und Veredelung von Stoffen – von den Rohprodukten bis zum Einsatz in der Mode – aufgezeigt. Das Museum besitzt eine ganz besondere Sammlung von Büchern – eine einzigartige Musterbuchsammlung von über 600, meist wunderschönen Exemplaren, bestückt mit ca 1,2 Mio. Stoffmustern und Motiven aus 200 Jahren Textilherstellung. Die große Herausforderung für Kuratoren und Gestalter war, nicht nur die visuelle Ästhetik wie üblich in einer Schatzkammer auszustellen, sondern auch diese sensiblen, lichtscheuen und fragilen Objekte zugänglich zu machen. Wir wollten die Besucher eintauchen lassen in diese unglaubliche Vielfalt der Muster und Motive; wir suchten nach einer Möglichkeit, die Motive und ihr großes kreatives Potential unmittelbar anwend9╯ |╯D rei Informationsebenen sind zumeist ausreichend: 1. Objektbeschreibung; 2. Thementext/Kontextbeschreibung 3. Beschreibung der sekundären und tertiären Exponate wie Bild–, Audio– und Filmmaterial 4. Contentebene ist im Regelfall Forschung und Wissenschaft vorbehalten.

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Abbildung 12: National Maritim Museum Amsterdam (2010), Gemäldegalerie

Abbildung 13: National Maritim Museum Amsterdam (2010), Interaktive Globensammlung

bar zu machen. Neben den Originalen gibt es nun auch virtuelle Musterbücher, aus denen die Besucher Motive auswählen können, die dann über ein Schnittmusterbogen-Interface in Realzeit auf überlebensgroße, sich langsam drehende Figurinen projiziert werden. Der Besucher bekommt somit die Möglichkeit,

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die Bestimmung der Textilmuster und ihre Wirkung auszuprobieren, indem er aus einem handtellergroßen Muster ein maßgeschneidertes Kostüm gestalten kann. Das Objekt oder besser: seine Transformation wird zum Medium, zum Interface seines eigenen Potentials – so bleibt dem Original die Aura des Unverwechselbaren, und unverwechselbar wird das Erlebnis seiner Anwendung. Abbildung 14: Textil- und Industriemuseum Augsburg (2010), Die drei Grazien

Dass eine Vitrine nicht einfach nur eine Vitrine ist, dass sie nichts per se Statisches haben muss, sondern wie ein Fenster zur Welt eines passionierten Flugzeugpioniers und gleichsam Projektionsfläche für sein Wirken sein kann, zeigt die Dauerausstellung des neu eröffneten Dornier-Museums für Luft- und Raumfahrt in Friedrichshafen. Dort werden hundert Jahre Luft- und Raumfahrttechnik, Entwicklungen und Forschungsarbeiten der Firma Dornier – unter Einbeziehung eines Dutzends historischer Flugzeuge – vermittelt. Das Herzstück der Ausstellung ist eine Flucht von fünf Vitrinen, in denen historische Flugzeugmodelle inszeniert sind. Die Vitrinen mit Glasfonds sind zunächst

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durchsichtig und erlauben einen »Durchblick« durch alle Zeiten. Der Epochenraum schließt mit lebendigen Bildern (Projektion) aus der jeweiligen Zeit. Der rückwärtige Teil jeder Vitrine wird auf Knopfdruck opak und spielt dann einen Film ein, der den historischen Kontext herstellt. Die Vitrinenrückwand besteht aus einem transopaken Glas, dessen Kristalle sich bei Stromfluss ausrichten und die Durchsicht ermöglichen. Wie oft und ob der Besucher diese vertiefenden Informationsangebote annimmt, entscheidet er selbst. Abbildung 15: Dornier Museum Friedrichshafen (2009), Interaktive Vitrine mit Dornier-Flugzeugtypen

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»Intelligente« Vitrinen, die über den Exponatschutz hinaus funktionieren, wurden auch für das völkerkundliche Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln entwickelt. In die getönte Rückwand des Vitrinensystems werden durch einen sensorischen Reiz, den der Besucher bewusst auslöst, Informationen zu den Exponaten mit einer Rückprojektion eingespielt. Das ermöglicht dem Besucher das Objekt zunächst in seiner rein ästhetischen Wirkung wahrzunehmen und es darüber hinaus durch die temporäre mediale Einspielung von Fotos und Filmclips in seinem ursprünglichen, rituellen Kontext zu erleben. Manche Objekte üben auch jenseits ihrer physischen Attraktivität Faszination in ihrer Unergründlichkeit aus. Die Begeisterung der Kuratoren für die Komplexität des Denkens von Uhrmachern, den Respekt vor der Präzision der Konstruktion mechanischer Uhren und die Bewunderung für das von Hand gezeichnete Planmaterial war ansteckend – dies zu vermitteln war eines unserer Anliegen im Deutschen Uhrenmuseum Glashütte. Zusätzlich zum Objekt selbst ließen wir das wunderbare Planmaterial in einzelnen Baugruppen des winzigen Räderwerks animieren. Der Besucher hat so die Möglichkeit, das komplexe Werk eines Panoretrographen Kaliber 60 und seiner 463 Einzelteile in Funktion und Realzeit aus einem interaktiven Leuchttisch im Maßstab 20:1 zusammenzusetzen (oder auseinanderzunehmen). Das ist das Faszinierende am Museum: der investigative Zugang zu verborgenen Welten mit Maßstabssprüngen, Zeitraffungen oder -dehnungen – einladende Geste an den Besucher, sich begeistern zu lassen. Abbildung 16: Deutsches Uhrenmuseum Glashütte (2008), Interaktiver Medientisch

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Abbildung 17: Europäisches Parlament, Besucherzentrum (2010), PDA und Wandgrafik

Ein weiteres Beispiel, komplexe Informationen ansprechend zu vermitteln: Wie erklärt man Europa in allen seinen 27 Sprachen? Wie kann das komplexe Gebilde »Europa« in seiner Struktur und historischen Entwicklung erlebbar werden, das Europäische Parlament mit seinen Aufgaben und organisatorischen Abläufen dem Besucher zum Greifen nahe kommen? Dieser Herausforderung sahen wir uns gegenüber bei der Realisierung eines Ausstellungskonzeptes für das Besucherzentrum des Europäischen Parlaments in Brüssel. Das Problem der vielsprachigen Informationsvermittlung lösten wir mit Hilfe eines PDA (Personal Digital Assistant) und einem ästhetisch gelungenen Kniff der Ausstellungsgraphik – das europäische Sprachenbabel wird visuell durch sich in verschiedenen Schriftfarben überlagernde Sprachschriften transportiert, auf dem PDA-Display, aber auch an der Ausstellungswand kann der Besucher die Information in seiner Muttersprache wie auch in 26 weiteren europäischen Sprachen abfragen: Europa wird sicht- und hörbar gemacht. Auf einer begehbaren interaktiven Europakarte können Informationen zu Land und Leuten »an Ort und Stelle« abgeholt werden. Ein interaktives Rollenspiel lässt den Besucher in die Haut des von seinem Land entsandten EU-Parlamentariers schlüpfen. Um den heterogenen Sammlungsbestand, den komplexen urbanen Kontext eines Stadt-Museums und seine in der Regel nicht selbsterklärenden Exponate und Geschichten gustierbar zu machen, braucht es oft eine Lese- oder Dechiffrierungsanleitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und deren Übersetzung in themenadäquate Raumbilder. Wir bevorzugen das »Entdecken-Können« statt das »Lernen-Müssen«. Intelligente, subtile Informationssysteme offerieren den

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Besuchern Information auf Anforderung; Sie entscheiden selbst, wann, wo und wie viel Information sie aufnehmen wollen – es liegt an den Kuratoren (wie viel Information ist nötig?) und den Gestaltern (wie spannend kann Information sein?), dies möglichst attraktiv zu vermitteln. Eine integrative Gestaltung (statt einer additiven) sorgt für simultane Reize emotionaler, explorativer und kognitiver Wahrnehmung.

H ow to make space talk . D as R aumbild und seine narr ativen P otentiale Neben einer objektgerechten Präsentation spielen sowohl die einzelnen Raumbilder als auch der gesamte Ausstellungsparcours eine bedeutende Rolle. Objekte und Geschichte brauchen eine themenadäquate Inszenierung durch assoziativ und attraktiv konzipierte Raumbilder. Raumbilder verlangen nach einer Raumchoreographie, ein Parcours nach einer choreographierten Raumabfolge. Der Parcours sollte eine ortsspezifische Ausrichtung aufweisen, einen Rundgang ermöglichen, kreuzungsfrei und dramaturgisch spannungsreich organisiert sein. Inszenierte Räume sind wie Opern: komplexe artifizielle Konstruktionen aus Bühne (Raum), Narration (Geschichte, Inhalt und Botschaft), Performance (Sänger, Tänzer, Schauspieler) und einem Orchester, dessen Instrumente dem Gestaltungsinstrumentarium der Szenographie entsprechen: Erst im perfekten Zusammenspiel der einzelnen Instrumente entfaltete der Klangkörper ein immersives Klang-Raum-Gefühl für den Zuhörer respektive Zuschauer.10 Im 2008 neu eröffneten BMW-Museum in München führt der kreuzungsfreie Parcours von rund einem Kilometer Länge den Besucher durch eine urbane, automobile Architektur mit Plätzen, Ausstellungskuben und Brücken. Im Raumbild des Central Spaces griffen wir damit die Leitidee der »Straße im umbauten Raum« auf, die der Architekt Karl Schwanzer im historischen Teil des Museumsbaus im 20. Jahrhundert realisiert hatte, und führten sie ins 21. Jahrhundert. Der zentrale Platz wird Mittel einer filmisch bespielten Architektur zum pulsierenden Herz der Dauerausstellung. Die Fassade der Ausstellungshäuser ist als »Mediatektur« ausgebildet; eine symbiotische Verbindung von Medien und Architektur. Die LED-bestückten Museumswände stellen sich in den Dienst einer neuen Raumdimension und erlauben verschiedene, inhaltlich motivierte Raumchoreographien. Die bewusst gewählte Schwarz-Weiß-Ästhetik lässt den farbigen 10╯| ╯Vgl. dazu Uwe R. Brückner: »Corporate Scenography – vom intravenösen Zugang zur Marke«. In: Herbrand, Nicolai O. (Hrsg.): Schauplätze dreidimensionaler Markeninszenierung. Innovative Strategien und Erfolgsmodelle erlebnisorientierter Begegnungskommunikation, Edition Neues Fachwissen, Stuttgart 2008, S. 223-233.

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Fahrzeugen genügend Entwicklungsspielraum. Motivisch bezieht sich die Bespielung auf die Darstellung abstrakter Begriffe wie Geschwindigkeit, Freunde am Fahren etc. Sie wirkt wie eine visuelle und inhaltliche Klammer für das gesamte Museum. Architektur und Landschaften ziehen am Besucher vorbei, Raum und Exponate scheinen in Bewegung zu geraten. Durch mediale Rauminstallationen können architektonische Räume dynamisiert und somit statische Architektur in Bewegung gesetzt werden. Der physische Raum tritt in der Wahrnehmung zurück, der nar rative Raum übernimmt. An die Stelle des physischen Raumes tritt die Imagination von historischem Raum, an die Stelle der formalen Ästhetik tritt die perzeptive Ästhetik der Erzählung – die historische Stadt rekonstruiert sich nicht nur virtuell, sondern museal rekontextualisiert. Der Besucher wird damit Teil des immersiven Raumphänomens.11 Abbildung 18: BMW Museum (2008), München, Central Space

Im Abschnitt »Das Museum, die Welt in der Vitrine« des ethnologischen Rautenstrauch-Joest-Museums in Köln entpuppt sich das umfassende Raumsujet 11╯|╯D er »begehbare Film« wurde erstmalig 2002 mit dem Projekt »Grenzen (er)leben«, Expo Biel, von uns realisiert. Raumfilm ist jenseits konventioneller Projektionstechnik immer für den realen dreidimensionalen Raum konzipiert und nicht zu verwechseln mit 3-D-Filmen, die über Polarisationsbrillen eine suggestive Dreidimensionalität erzeugen. Raumfilm kommt mit klassischen zweidimensionalen Projektions- oder Abbildungstechniken aus, muss aber, um eine gewünschte Dreidimensionalität zu erreichen, dreidimensional vorgedacht werden.

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als eine Art Selbstreflexion über das Museum als Kulturarchiv und Kulturvermittler. Das zentrale Exponat ist ein fünf Meter hoher, fraktalisierter Yamsspeicher, dessen Einzelteile wie in einer Explosionszeichnung in einem riesigen Schaufenster hängend inszeniert sind. So spiegeln sie einen dekonstruierten Speicher – sinnfällige Metapher für den fortwährenden Prozess des Rekonstruierens von Zusammenhängen und Bedeutungen bei der wissenschaftlichen Arbeit im Museum. Direkt darunter befindet sich ein interaktiver Medientisch, der nach den musealen Parametern Forschen, Sammeln, Bewahren und Vermitteln eingeteilt ist. Beispielhaft wird der komplette Sammlungsbestand des Museums zu einem ozeanischen Gebiet in einem offenen Schaumagazin präsentiert. Das Museum wird im Museum auf dem museumsdidaktischen Seziertisch kurzweilig und explorativ präsentiert. Abbildung 19: Rautenstrauch-Joest-Museum (2009), Köln: Das Museum im Museum

Das Westfälische Museum für Archäologie in Herne bedient sich mit der Grabungslandschaft eines themenadäquaten Raumbildes. Ein Parcours durch die 2400 m2 große Grabungslandschaft bietet fast uneingeschränkten Zugang. Der Besucher wird so nicht nur auf die Arbeit der Archäologie eingestimmt, er wird sogar Teil des Sujets, wird eher als Partizipant umworben, denn als passiver Besucher behandelt. Besonders wichtige oder wertvolle Fundstücke, wie die Schädelfragmente von Neandertaler und Homo Sapiens, verdienen eine Akzentuierung, weil sie epochale Funde sind oder durch ihre wissenschaftliche Deutung und Bedeutung eine exponiertere Position – im doppelten Wortsinn – verdienen. Sie bekommen in Herne einen eigenen, 4 x 4 m großen, selbst

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leuchtenden Kubus, der zusammen mit anderen Themenkuben raumchoreographisch eingesetzt wird und den free-flow-Parcours abwechslungsreich gliedert. Die Highlight-Exponate sind in individuell maßgeschneiderten Vitrinen platziert, die in ihrer Umgebung zurücktreten und die Konzentration auf die Exponate verstärken; ihre raumgroßen computertomographischen Rekonstruktionsphotos sind wissenschaftliche Erkenntnis und Raumbild zugleich. Derartige Inszenierungen sind nicht nur hochgradig objektorientiert, mit dem Exponat im Fokus, sondern unterstützen gleichzeitig die Beredsamkeit der Objekte und ihre Rekontextualisierung. Außerdem übernehmen die Kuben hier eine dramaturgische Funktion, indem sie – wie die schwarzen Tasten in der Klaviatur – die Themenbereiche dazwischen klar voneinander trennen und den Parcours rhythmisch gliedern. Das »box in the box system« ermöglicht das separate Inszenieren mit Licht, Ton und Projektion innerhalb des Parcours, ohne die Umgebung zu beeinträchtigen; das bewusste und raffinierte Verbergen schürt zusätzlich die Neugierde und Erwartungshaltung der Besucher. Für ein (Stadt-)Museum bieten sich grundsätzlich drei Erzählstrukturen an: eine chronologische, eine thematische oder eine kaleidoskopische. Diese können wiederum als definierter (zwangsgeführter) oder frei zugänglicher (»free flow«) Parcours ausgebildet werden oder in Form einer kombinierten Version. Um dem Vermittlungsbedürfnis und einem fraktalen, oft unterschiedlich vollständigen Sammlungsbestand gerecht zu werden, haben wir die bereits erwähnte Bedeutungschronologie entwickelt. Diese erlaubt eine chronologische Organisation der Ausstellung, dehnt oder streckt jedoch die Zeitabschnitte entsprechend der Exponatdichte oder historischen Bedeutung und erlaubt sogar zeitübergreifende Themenausflüge in die Zeit vor und nach dem Zeitfenster in der Chronologie. Die Bedeutungschronologie in einem historischen Museum ist wie die Fließrichtung eines mäandrierenden Flusses: logisch nachvollziehbar in eine Richtung, unterschiedlich schnell oder ausufernd in seinen Schleifen, einfach zu lesen, unterschiedlich dicht gesäumt. In den letzten Jahren war die Chronologie als konzeptionelles Prinzip eher negativ, weil vermeintlich langweilig und vorhersehbar konnotiert; das jedoch passiert eigentlich nur, wenn die Kapitel didaktisch gleichförmig aneinandergereiht werden, ohne Höhepunkte, ohne Brüche und Zäsuren, ohne dramaturgische Spannungskurve. Die Inszenierung in Raumbildern hat seit den Wunderkammern des 19. Jahrhunderts Tradition. Themenadäquate Raumbilder unterstützen die Rekontextualisierung der Gegenstände in ihrem historischen Umfeld; sie helfen Atmosphäre zu schaffen, indem Exponate und Besucher zueinanderfinden, und unterstützen den Zugang zu komplexen, sperrigen Kontexten. Raumchoreographien lassen den Besucher zum Teil einer Erzählstruktur werden, sie folgen einem Parcours mit individuellen und kollektiven Erlebnisorten. Dabei wird der museale Raum selbst zum inszenatorischen Medium, zum Ort des Dialoges

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zwischen Objekt und Raum, zwischen Inhalt und Rezipient. Ein Ort, von dem Christoph Amman als dem Raum des poetischen Widerstandes spricht.

C ase S tudy : H aus der G eschichte B aden -W ürt temberg , S tut tgart, 2003 Exemplarisch sei ein Projekt herausgegriffen: das Haus der Geschichte BadenWürttembergs in Stuttgart, um am konkreten Beispiel die Eckpunkte einer Ausstellungsplanung aufzuzeigen. Im Jahr 2003 wurde das Landesmuseum in Stuttgart eröffnet, das die Geschichte Baden-Württembergs vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum heutigen Tag veranschaulichen soll. Die Voraussetzungen für eine überzeugende Ausstellung mussten erst geschaffen werden. Aufgabe war es, das Museum in einem postmodernen Gebäude zu etablieren, das ursprünglich nicht als Museumsgebäude konzipiert war. Die Wegeführung, angelegt für Verwaltungsräume einer Musikhochschule, musste neu durchdacht und – in Hinblick auf einen szenographisch überzeugenden Parcours – neu entwickelt werden. Um einen durchgehenden, möglichst ununterbrochenen Parcours zu bieten, setzt das Konzept der Dauerausstellung auf eine lineare Erschließung der drei architektonischen Ausstellungsebenen von unten nach oben. Dazu waren zwei neue vertikale Verbindungen notwendig: Die Treppenhäuser wurden als Ausstellungseinheiten integriert: Inszeniert als »Napoleontreppe« und »Museum der Gegenwart« ermöglichen sie einen kreuzungsfreien Parcours. Die Narration wird so als Kontinuum mit ihrer eigenen Dynamik erlebbar. Gleichzeitig wird das Gebäude stärker als Ausstellungsvolumen wahrgenommen statt nur als Ausstellungsfläche. Deckendurchbrüche verbinden optisch das erste Obergeschoss mit dem zweiten Obergeschoss mit dem Ziel, inhaltliche Verbindungen aufzuzeigen. Sie erlauben Voraus- und Rückblicke auf verknüpfte Themen und versprechen so dem Besucher entdeckungsreiche Einblicke in die Komplexität der historischen Ereignisse und ihrer Vor- oder Nachwirkungen. Das Haus der Geschichte arbeitet mit einer chronologischen Struktur im Erd- und Obergeschoss, und mit einer thematischen im Dachgeschoss. Sämtliche Epochen und Themenbereiche erschließen sich über einprägsame Raumbilder. Bereits vor dem Gebäude wird der Besucher durch das sogenannte Baden-Württemberg-ABC (Außenraum-Vitrinen, in denen beispielsweise unter »K« wie Kehrwoche ein Besen auf ein typisch württembergisches Phänomen verweist) auf das Museum aufmerksam und gleichsam neugierig gemacht. Dieser Prolog begleitet die Besucher ins Haus. Im Erdgeschoss empfängt ihn eine große, interaktive Landkarte Baden-Württembergs, auf der für den Besucher spielerisch die durch Napoleon erwirkte politische Flurbereinigung und der

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damit verbundene Aufstieg Badens und Württembergs nachvollziehbar wird. Beide Adelshäuser steigen – als Lichtgraphik deutlich – ein barockes, kulissenhaftes Treppenhaus empor, unter den Augen eines originalen Bronzeportraits Napoleons: Der Herzog von Baden wird zum Großherzog befördert, und Friedrich I. von Württemberg steigt zum König auf. Hier schafft es die Szenographie in ansprechender Weise, die komplexe politische Situation Badens und Württembergs zum Ende des 18. Jahrhunderts und die Portraits ihrer Protagonisten in einer großen, selbsterklärenden Geste in Szene zu setzen. Die darauf folgende zweihundertjährige Geschichte des Landes – vom Vormärz bis zur Gegenwart – wird im ersten Obergeschoss erzählt. Hier sei vor allem auf den sogenannten »Weltkriegsblock« eingegangen, ein kuratorischer Coup mit stimmiger Übersetzung: Die beiden Weltkriege sind in einem Raumbild zusammengefasst und lediglich durch eine dünne Glasscheibe getrennt, auf die hälftig und gleichzeitig, raumhoch und unkommentiert historisches Bildmaterial aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg projiziert wird. Die Bilder unterscheiden sich in der Dynamik und in der Industrialisierung der Kriegsmaschinerie, das Grauen und der Wahnsinn bleiben gleich – die Besucher spüren das Feuer, und keiner will seinen Schatten auf die Projektionsfläche werfen. Den Übergang von chronologischen zu thematischen Parcours inszeniert das Museum der Gegenwart im zweiten, gläsernen Treppenhaus, mit Blick auf Oper, Landtag und den Stadtgarten von Stuttgart. Auch hier geht die profane Funktion auf in einer mit Bedeutung aufgeladenen Szenographie. Im anschließenden Themenpark (Dachgeschoss) werden die gesellschaftlichen Potentiale Baden-Württembergs vom »Kulturwald Schwarzwald« bis zur Partnerschaft mit dem »Nachbarn Frankreich« vorgestellt. Die Baden-Württemberg-Lounge am Ende des Parcours lädt zu einem zwanzigminütigen künstlerischen Epilog ein; in einer mehrschichtigen 360-Grad-Projektion wird die großartige Landschaft Baden-Württembergs mit den beeindruckenden kulturellen Leistungen collagiert – ein Ort regionaler und kultureller Reflexion. Mit rein medialen und künstlerischen Mitteln werden hier Perspektiven auf die Ereignisse der Vergangenheit und Gegenwart entwickelt. Der kreuzungsfrei angelegte Parcours arbeitet mit einer Abfolge von begehbaren Themenkuben und Themenbereichen bis zu atmosphärisch einprägsamen Raumbildern, die zum Eintauchen in spezifische Themen Baden-Württembergs vom Kulturraum Schwarzwald über die Wirtschaftsregion, Religionen, Migration, Gesellschafts-, Natur– und Geisteswissenschaften bis zum Nachbarn Frankreich animieren. Innerhalb der Kuben werden die Themen über eine Zeitspanne von ca. 200 Jahren über aussagekräftige Exponate und deren Geschichten abgebildet. Der Parcours ist hier im »free flow« organisiert, die Reihenfolge frei wählbar, trotzdem bewusst choreographiert. Beiden Etagen gemein ist der Zugang zu komplexen Hintergründen, der über themenadäquate Inszenierungen erleichtert werden soll. Dabei stehen das authentische Objekt und seine

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Abbildung 20: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (2003), Interaktive Bodenkarte

Abbildung 21: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (2003), Projektion zu den Weltkriegen

auratische Qualität im Fokus. Es ist Protagonist und geschichtsträchtiges Medium zugleich. Das Raumbild unterstützt die Rekontextualisierung der einzelnen Objekte oder arrangiert diese zu gut lesbaren Gruppen. Das inszenierte Exponat erleichtert so den Zugang zu den teilweise komplexen, aufwendig zu

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vermittelnden Informationen und verleitet den Besucher, sich intensiver mit dem Exponat zu beschäftigen. Dabei bedient sich die Szenographie verschiedener Gestaltungsdisziplinen wie Graphik, Licht, Ton, digitaler Medien oder ihrer Kombination mit dem Ziel, durch eine optimale Inszenierung des Objektes dessen verborgene Potentiale zu aktivieren und somit einen spürbaren Mehrwert zu erzielen. Dieses Konzept steht einer traditionell additiven Gestaltungshaltung für die verschiedenen Informations- und Vertiefungsebenen wie Raumtexte, Thementexte, Objekttexte diametral gegenüber. Die Erzählperspektive erfolgt aus einem zeitgemäßen Blickwinkel – dem der Nachgeborenen. Ein Museum muss aus unserer heutigen Zeit heraus gedacht sein und unseren sich verändernden Wahrnehmungsgewohnheiten Rechnung tragen. Jeder Blick zurück in die Geschichte ist der Blick eines Nachgeborenen – aus dem Jetzt heraus und immer auch nach vorne gerichtet. Es geht darum, den Besucher möglichst emotional anzusprechen, ihn zu fesseln, zu berühren, um ihn so auch für heikle und schwierige Inhalte zu interessieren. Erst wenn die Dinge oder Geschichten uns etwas angehen, wenn sie uns persönlich betreffen, wird es für uns wichtig, uns damit auseinanderzusetzen. Diese Emotionalisierung wünschen, ja fordern wir von der Literatur, vom Theater, vom Kino und zunehmend auch von der Ausstellung. Die simple Glasscheibe in der Raummitte zwischen den Weltkriegen wird so zur fragilen Erzählebene, zum mahnenden Spiegel ohne erhobenen Zeigefinger. Es gibt keine kollektive Wahrheit, aber eine individuelle Verantwortung; es gibt eine kollektive Erinnerung mit der Hoffnung auf eine nachhaltige Reflexion.

E pilog oder hat das (S tadt-)M useum Z ukunf t ? »Sir, du warst zerstreut. Von dieser Stadt sprach ich gerade, als du mich unterbrachst.« »Kennst du sie? Wo ist sie? Wie heißt sie?« »Sie hat keinen Namen und keinen Ort. Ich wiederhole dir, weshalb ich sie beschrieben habe: Aus der Zahl der unvorstellbaren Städte muss man die ausschließen, deren Element sich ohne einen verbindenden Faden, eine innere Regel, eine Perspektive, eine Rede aneinanderreihen.« (Die unsichtbaren Städte, Italo Calvino)

(Stadt-)Museen sind Heimat gewordene Sujets ihrer Bewohner, sind in Architektur gegossene Blaupausenarchive, soziokulturelle Verdichtung des Zusammenlebens, sind kollektives Gedächtnis und gesellschaftliches Gewissen, legitimieren den Wunsch der lebenden Generationen, das eigene Vermächtnis weiterzutragen, beanspruchen Wahrhaftigkeit und sind so wahrhaftig, wie ihre politischen Umstände es zulassen. (Stadt-)Museen sind Tempel der eigenen Identifikation und Institutionen mit dem kollektiven Auftrag gegen das Ver-

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gessen und für die Wiederauffindbarkeit ihrer Bewohner oder deren Vermächtnis. Am Ende sind Stadtmuseen immer auch Ausdruck des Zeitgeistes, ob wir es wollen oder andere nicht. Sie horten die Geschichte, verwalten die Gegenwart und repräsentieren das Selbstverständnis einer Stadt. Entscheidend für die auch überregionale Bedeutung eines (Stadt-)Museums sind ein inhaltlich selbstbewusstes, aussagekräftiges Konzept und eine maßgeschneiderte, konsistente Gestaltung, seine Unverwechselbarkeit, die öffentliche Relevanz, die Identifikationsmöglichkeit für die Bürger und der Mehrwert für seine Besucher, indem es seine Erwartungen übertrifft. Im modernen (Stadt-)Museum spiegelt sich die Stadt in der Stadt wie in einem Escher’schen Brennglas, das uns ungewöhnliche historische und kontemporäre Einblicke in seinen sich ständig verändernden Organismus eröffnet. Der unmittelbare, immersive Bezug der historischen Stadt zu der aktuellen Stadt macht ein (Stadt-)Museum so attraktiv. Es sind die geschichtlichen, architektonischen und sammlungsbedingten Maßstabssprünge, die die Brüche, Widersprüchlichkeiten, Liebenswürdigkeiten und den Mythos einer Stadt und seiner Bewohner ausmachen – es geht also nicht nur um die Dinge, sondern auch um die Protagonisten, die Bewohner, die eine Stadt ausmachen und ein Museum rechtfertigen. Abbildung 22: Stadtmuseum Berlin | Märkisches Museum, Epochenraum: Waffenhalle

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Es geht nicht darum, nur Materialien zu verwahren und zu sichern, sondern darum, diese zugänglich zu machen. Die Inszenierung als Gestaltungsmedium macht das Museum zum Ort für ein authentisches Erlebnis, zum Fenster für wissenschaftliche Einblicke, zur Tür, zum Zugang zu den verborgenen Potentialen von Artefakten und deren Geschichten. Das Museum und seine Ausstellung sollen Nähe erzeugen, statt Distanz Kommunikation zwischen Exponat und Rezipient provozieren. Zentral bei aller Ausstellungsgestaltung bleibt der Dialog zwischen dem Raum (Architektur) und dem Inhalt sowie zwischen Inhalt und Besucher – in diesem Spannungsfeld spielt sich alles Relevante ab. Der Besucher wird zum Zeugen, zum Mitwisser, zum Komplizen des Erzählenden und zugleich zum Adressaten der Geschichten. Die Szenographie ist dabei der Türöffner und Spielmacher des Museums. Begehbare Raumbilder sind Auditorium und Bühne zugleich, kalkulieren den Besucher mit ein und versprechen ein sinnliches, einprägsames Erlebnis. (Stadt-)Museen sind Individuen. Jedes Museum muss einzeln szenographisch konzipiert und gestaltet werden. Die Stadt und sein Museum bedingen sich. Es ist eine Beziehung, keine Zweckgemeinschaft, es ist immer Drama und Komödie zugleich. Die Stadt schreibt das Drehbuch für das eigene Museum selbst – das Museum ist das Theater mit den Bühnen für das, was Richard Wagner als »Gesamtkunstwerk« beschrieben hat. Um mit der eigenen Stadt mithalten zu können, nicht in der Geschwindigkeit der Veränderung, sondern in der Entschleunigung durch Reflexion, brauchen die (Stadt-)Museen mutige Konzepte. Will das Museum mit seiner Stadt mithalten, gilt, mit Hilfe szenographischer Mittel die Individualität, die Persönlichkeit des Museums zu unterstreichen. Im Prozess einer Ausstellungsentwicklung (»start to thinking from the end«) zählt am Ende nur das Ergebnis; Ein »Gesamtkunstwerk« im Wagner’schen Sinn entsteht nur durch einen integrativen Gestaltungsansatz aus dem synchrondisziplinären Zusammenspiel aller Kreativkräfte. Das Experiment Museum gibt es jedoch nicht zum Nullrisiko. Nur durch außergewöhnliche Konzepte und Inszenierungen, die erstarrte Konventionen nachhaltig aufbrechen, kann das Format (Stadt-)Museum auch für die kommenden Generationen interessant bleiben. Bildnachweis für alle Fotos: Atelier Brückner.

WerkStadt stattMUSEUM/ Infragestellen – Ausstellen Martin Kohlbauer

All das, was wir über ein zukünftiges Museum noch nicht wissen, ist insofern von Vorteil, da es die Chance auf Besseres, noch nicht Dagewesenes in sich birgt. Neue inhaltliche Zugänge und Konzepte, die Blickpunkte und Perspektiven eröffnen, die vertraute Standpunkte hinterfragen, sind eine der wichtigsten Aufgaben der Museumsmacher. Ein städtisches Museum stellt unter anderem in gewisser Weise eine Art Gedächtnis dar. Selektive Wahrnehmung und tradierte Ordnungen sind jedoch gefährliche Zonen im Gedächtnis. Sie gilt es aufzubrechen und in neue überraschende Konstellationen zu bringen. Ich sehe die Zukunft weniger im Musealen, sondern vielmehr als in einer Art Werkstatt, in der sich, unter intensiver Einbeziehung von Bevölkerung und Besuchern, lebendige Strukturen entwickeln können. »In Frage stellen« und »ausstellen« sollen die Substanz für eine kritische Auseinandersetzung bilden und Phänomene der jeweiligen Zeit und Orte begreifbar machen. Interaktion kann dafür eine geeignete Basis bilden. Die Gestalter müssen unter anderem mit einfachen und klaren Konzeptionen entsprechende Voraussetzungen schaffen. Großzügige, leicht bespielbare Räume, die die inhaltlichen Aspekte und Bedingungen in den Vordergrund spielen können. Diese von mir propagierte Werk-Stadt ist also ein in hohem Maße einladender öffentlicher Ort, der als kreative Keimzelle im Stande ist, viele teilweise dislozierte Aktivitäten und Interventionen zu generieren. Ich habe ein offenes Diagramm entwickelt, das einen Auszug von bedeutenden Begriffen umfasst, die ich im Zusammenhang mit meinem Postulat »WerkStadt stattMUSEUM« in Beziehung gestellt habe.

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M artin K ohlbauer

Es bildet das Spannungsfeld für unser Thema. Missverständlich könnte man es als Wertung der Begriffe verstehen. So ist dies jedoch keinesfalls von mir beabsichtigt, vielmehr ist es meine Intention aufzuzeigen, dass das Eine ohne das Andere nicht existieren kann.

Die linke und die rechte Spalte bilden eine Symbiose, die mit übergeordneten Begriffen unter dem Titel »Mensch und Stadt« und den untergeordneten Begriffen unter dem Titel »Gestaltung und Raum« den Kosmos für die »WerkStadt« umreißt. Ich hatte als Architekt und Gestalter in den vergangenen 15 Jahren mehrfach Gelegenheit, Projekte mit außergewöhnlichen Ansätzen und Zugängen zu realisieren. Ein wichtiges Anliegen dabei war mir immer, die Wahrnehmung zu schärfen und zu hinterfragen, außergewöhnliche Blickwinkel zu ermöglichen und tradierte Perspektiven zu verändern. Voranstellen möchte ich eine Intervention im öffentlichen Raum, ein Memorial für den Leopoldstädter Tempel, der größten Synagoge Wiens, die in der Pogromnacht im November 1938 völlig zerstört wurde. Das Gebäude, von Architekt Ludwig Förster entworfen, hatte an der Eingangsseite vier mächtige Pilaster. Diese habe ich in völlig abstrahierter Form, in ihrer Dimension, exakt an dem Ort, wo sie situiert waren, nachgebildet und so einerseits der inhaltlichen Bedeutung der den Eingang flankierenden Säulen (siehe Jachin und Boas am Salomonischen Tempel) und der beeindruckenden Größe des Gebäudes entsprochen. Die Lage im sehr urbanen Umfeld in der abgewinkelten Tempelgasse unterstreicht darüber hinaus die stadträumliche Bedeutung mit ihren reizvollen Sichtachsen.

W erk S tadt statt MUSEUM/I nfragestellen – A usstellen

Anhand einiger Bespiele aus meiner Museumsarbeit werde ich nun meine Haltung in unterschiedlichen Konzeptionen und Aspekten veranschaulichen. Abbildung 1: Memorial für den Leopoldstädter Tempel, Wien 2., Tempelgasse, 1998

Die Pinnwand und der als Stifteträger fungierende Handlauf in der Ausstellung »Zachor, erinnere dich«, eine Gegenüberstellung von musealisierter und persönlicher Erinnerung im Jüdischen Museum Wien, zeigen die denkbar einfachste und zugleich intensivste Interaktionsform auf. Der Besucher wurde angeregt, in der Ausstellung seine Erinnerungen zeichnerisch darzustellen und somit den folgenden Besuchern zugänglich zu machen. Das Gestaltungskonzept »Eine Art Familientreffen« für das Institut für Geschichte der Juden in Österreich beruht auf einer Art Bühne, auf der mittels durch den Besucher gesteuerter Lichtregie die Exponate durch die jeweilige Beleuchtung in unterschiedliche Konstellationen und Bedeutungszusammenhänge gebracht werden.

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Abbildung 2: Zachor, Jüdisches Museum Wien, 1994

Abbildung 3: Eine Art Familientreffen, Präsentationskonzept, St. Pölten, 1999

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Theodor Herzls Arbeitszimmer in der Ausstellung »Judenfragen«, jüdische Positionen von Assimilation bis Zionismus, habe ich fliegend in der Glaskuppel des Museums gezeigt. Diese betont unmuseale und irritierende Präsentation hat sich entsprechend dem Ausstellungskonzept bewusst fragwürdig dargestellt. Abbildung 4: Judenfragen, Jüdisches Museum Wien, 1995

Die Dauerausstellung im Jüdischen Museum Wien ist eine Präsentationsform ohne jegliches Exponat. Die Gestalt dieser Rauminstallation ist in Form von großformatigen Hologrammen völlig entmaterialisiert. Die Leere wird zur bestimmenden Kraft der Gestaltung. Einzig die Geschichte bildet den Raum, den es im gegebenen Zusammenhang einer historischen Darstellung zu definieren gilt. Abbildung 5: Dauerausstellung Jüdisches Museum Wien

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Eine völlig kompromisslose und harte Konfrontation mit Gipsmasken deportierter und ermordeter Menschen stellte die Ausstellung »Masken« – Versuch über die Shoa – dar. Die Masken traten dem Besucher aus einer Art Rinne entgegen, die in einer aus Draht und Profilitglas grell hinterleuchteten Wand integriert war. Darin versteckt waren auch Minikameras und Mikrofone, die den Besucher aufzeichneten. Beim Verlassen der Ausstellung konnte er, auf in Reihe gestellten Monitoren, seine Reaktionen und Äußerungen verfolgen. Abbildung 6: Masken, Jüdisches Museum Wien, 1997

In der Ausstellung »… möcht’ ich ein Österreicher sein« – Kultsilber aus der Judaicasammlung Eisenberger – stand wiederum das Bühnenthema im Vordergrund. Zum Eintauchen in die Fülle von Silberexponaten wurden auf einem roten Samtbord, das gleichzeitig die Barriere zu den Exponaten darstellte, Theatergläser mit 8-facher Vergrößerung angeboten. Abbildung 7: ... möcht’ ich ein Österreicher sein, Jüdisches Museum Wien, 2000

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»Die Reise an kein Ende der Welt« – Judaica aus der Gross Family Collection – wurde als Wanderausstellung an den Orten Wien, Frankfurt, New York und Tel Aviv gezeigt. 30 kreisrunde Inseln, als begehbare zeitgenössische Fotos der jeweiligen Orte, waren Basis für die auf Ständern in minimierten Acrylglaskuben gezeigten Exponate. Wirken sollte vor allem der unterschiedliche Ausdruck der aus den verschiedensten Erdteilen und Regionen stammenden Exponate. Die Inseln besetzten wie schwimmende Seerosenblätter die jeweiligen Räume. Abbildung 8: Reise an kein Ende der Welt, Wanderausstellung, 2001

Entscheidende Grundlage für außergewöhnliche Gestaltungsmöglichkeiten sind außergewöhnliche inhaltliche Konzepte. Die bisher angeführten Ausstellungsbeispiele wurden von Felicitas Heimann-Jelinek kuratiert. Ebenso die im 50. Jubiläumsjahr zur Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages im Jüdischen Museum gezeigte sehr kritische Ausstellung »Jetzt ist er bös, der Tennenbaum« – Versuch über die 2. Republik und ihre Juden. Gleichzeitig fand im Oberen Belvedere in Wien, dem Ort der Unterzeichnung des Staatsvertrages, eine sehr große zeithistorische Schau statt, für deren Gestaltung ich ebenfalls verantwortlich zeichnete. Für die besonders präsente mediale Bespielung war ART + Com Berlin mein Partner. Kernstück war eine rot-weiß-rote Fahne, die quasi als roter Faden durch das gesamte Obergeschoß des Barockschlosses »wehte« und Träger verschiedener interaktiver Stationen war.

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Abbildung 9: Das Neue Österreich, Oberes Belvedere Wien, 2005

Sieben sehr große Räume mit unterschiedlichen Stimmungen und Atmosphären waren der Millenniumsausstellung im Hygienemuseum Dresden »Der neue Mensch« – Obsessionen des 20. Jahrhunderts – gewidmet. Im dem Ausstellungsbereich »Matrix« waren die großteils skurrilen Exponate – wie z.B. die Wolle des Klonschafs Dolly oder der Raumanzug des ersten Weltraumhundes – in ebenso skurrilen, aus dem Boden ragenden Blasen präsentiert. Im Entrée zu diesem Bereich konnte man über ein Fernrohr in eine scheinbar andere Welt sehen: auf ein gelandetes Ufo in dem riesigen heruntergekommenen Hof des damals noch nicht sanierten Gebäudekomplexes . Diese Einbeziehung des Hofes, des faszinierenden Zustandes und Charakters eines für den Besucher sonst nicht einsehbaren Bereiches, war einer meiner Beiträge zur Gestaltung, die ich – wie es meiner grundsätzlichen Haltung entspricht – keinesfalls ausschließlich als Designaufgabe betrachte.

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Abbildung 10: Der neue Mensch, Hygienemuseum Dresden, 1999

Zwei nicht unähnliche, in ihrer Wirkung jedoch sehr unterschiedliche Gestaltungsansätze prägten meine beiden Berliner Ausstellungen des Jahres 2008: »Schmerz« im Hamburger Bahnhof und Medizinhistorischen Museum, und »Typisch« – Klischees von Juden und Anderen – im Jüdischen Museum Berlin. Diese waren bestimmt durch besondere gestalterische Zurückhaltung, verbunden mit einer Art Höhung der jeweiligen räumlichen Gestalt, die große Konzentration auf die einzelnen Exponate erlaubte, ohne deren Kontext und Zusammenhänge zu verlieren. Abbildung 11: Schmerz, Hamburger Bahnhof, Medizinhistorisches Museum, Berlin, 2007

Das neue Jüdische Museum München eignet sich mit seinen einfach geschnitten Räumen im 1. und 2. Obergeschoß sehr gut für Sonderausstellungen. Ich habe im Eröffnungsjahr 2007 den Zyklus »Sammelbilder« mit insgesamt 8 unterschiedlichen Themen, sowie die Dauerausstellung, die einen inhaltsreichen dichten Parcours im Untergeschoss anbietet, gestaltet. Neben einem

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Abbildung 12: Typisch, Jüdisches Museum Berlin, 2008

Hörgang des »Ankommens«, einem Wand füllenden Comicstrip von Jordan B. Gorfinkel, einer Judaica-Schattenwand und anderem bildet ein interaktives Spiel auf einem Münchner Stadtplanteppich des Künstlerpaares Stih & Schnock die zentrale Installation dieses Bereiches. Abbildung 13: Dauerausstellung, Jüdisches Museum München, 2007

Das Wesen meiner gestalterischen Konzeptionen beruht darauf, mit übergeordneten Entscheidungen jedes formale Design obsolet werden zu lassen. Die Raumkunst der Zurückhaltung begegnet der inhaltlichen Bedeutung der einzelnen Exponate ausschließlich über konzeptionelle Zuordnung und Abwägen der verschiedenen Elemente im räumlichen Kontext. Bildnachweis für alle Fotos: Atelier Kohlbauer.

Epilog

Welches Stadtmuseum braucht die Stadt? – Positionen! Claudia Gemmeke

Die vorliegende Publikation folgt der Tagung »Die Stadt und ihr Gedächtnis«, die im April 2009 im Stadtmuseum Berlin stattfand. Das überaus große Interesse an der Veranstaltung ist kennzeichnend für den außerordentlichen Diskussionsbedarf bei den Verantwortlichen in Museen. Die folgenden Gedanken ergänzen und pointieren die Textbeiträge um die wichtigsten Positionen der Debatte zu einer Synthese. Museen erfreuen sich entgegen allen Prognosen wachsender Beliebtheit und eines ungebrochen großen Zulaufs. Kunstmuseen sind hip, schmückend für die Stadt und suggerieren Modernität und Weltoffenheit. Naturkunde-, Technik- und Spezialmuseen werden aufgerüstet zu Erlebniswelten für bildungsaffine Familien. Im Gegensatz dazu fristen Stadtmuseen vielfach ein Schattendasein in der Wahrnehmung der Politiker. Sie erhalten meist nicht die Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Unterstützung, die ihnen gebührt. Stadtmuseen gehören nicht zu den Gewinnern des Museumsbooms. Sie haben weder Anteil an der »Blockbuster-Ideologie« noch an der »Small-is-beautifulIdeologie« der kleinen Heimatmuseumsgründungen, so bringt es Gottfried Korff auf den Punkt. Das Stadtmuseum ist eine Visitenkarte der Stadt. Dort zeigt die Stadt, wie sie ist, woher sie kommt und wie sie wurde – warum sie so ist, wie sie sich heute darstellt. Für die Touristen bildet es eine Brücke zum Verstehen und Erkennen dessen, was sie im Stadtbild wahrnehmen, für die Bürger der Stadt ist es ein Bestandteil ihrer Freizeitkultur, für die Schulen ein interessanter Bildungsort. Vor 100 Jahren, zu Zeiten der großen Museumsneubauten, war das Stadtmuseum starker, dominanter Ausdruck einer bürgerlichen Elite, die der Öffentlichkeit ihr Geschichtsbild darbot. Das Stadtmuseum war ein prägnanter und

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prägender Faktor bürgerlichen Selbstbewusstseins in der Stadt. Das Märkische Museum╯|╯Stadtmuseum Berlin ist ein sichtbarer Ausdruck dessen. Heute leiden die Stadtmuseen nicht nur an der mangelnden Wertschätzung seitens der bürgerlichen und politischen Eliten, sie sehen sich darüber hinaus mit wachsenden Herausforderungen durch die Veränderungen der Gesellschaft, der Städte und des Medienangebotes konfrontiert. Urbanisierung und Differenzierungsprozesse in der Stadt sind nicht mehr nur für Großstädte charakteristisch, sondern in jeder kleineren Stadt erfahrbar. Das Ephemere und die Schnelllebigkeit einer Gesellschaft mit zunehmend digitalisierter Kommunikation wirft die Frage auf, was eigentlich zu sammeln ist. Das »Bildungsbürgertum«, die interessierte und kenntnisreiche Klientel der Stadtmuseen schwindet. Die junge Generation wie auch der wachsende Anteil von Mitbürgern mit anderem kulturellen Hintergrund sind erst noch als Besucher des Stadtmuseums zu gewinnen. Bildungsferne Schichten zu erreichen wird zum politischen Auftrag der Museen gemacht. Die Herausforderungen prägnanter zu fassen und deren Lösungen nicht allein als Aufgabe der Museumsverantwortlichen zu definieren, sondern vielmehr den Diskurs zu öffnen und durch Impulse verschiedener Disziplinen – Ethnologie, Soziologie, Politik, Bildung, Museologie und Gestaltung – zu bereichern und zu klären, war der Anspruch der Tagung und dieser Publikation. »Welche Funktion haben Stadtmuseen in unserer Gesellschaft?« lautet die Kernfrage – eine gesellschaftliche, eine integrative, eine affirmative für die gesellschaftlichen Werte? Wie definiert sich heute der kulturelle Wert des Stadtmuseums? Über das Sammeln als Kernaufgabe des Museums oder sein Verhältnis zur Öffentlichkeit, zur Stadtgemeinschaft? Die Museologie ging bislang vom Objekt aus, die »neue« Museologie geht von der Gesellschaft aus. Dieser Paradigmenwechsel ist in seiner Konsequenz bei den Museen noch nicht akzeptiert, wie die lebhafte Diskussion der Tagungsteilnehmer deutlich werden ließ. Integration, Partizipation, Anstiften zum intergenerativen Dialog – das sind Schlagwörter, die die Anforderungen seitens der Politik umreißen, denen sich die Museen derzeit regelrecht ausgeliefert sehen. Viele sehen sich mit ihrer Aufgabe der »Social Inclusion« als bessere Sozialarbeiter für die Kompensation politischer Versäumnisse missbraucht. Die ernsthafte Sorge mancher engagierter Museumsmitarbeiter: Ist es nicht eine Gefahr für die Kernaufgaben, wenn die Museen den Paradigmenwechsel zu Integrationsarbeit, politischer Arbeit, Bildungsarbeit so offensiv betreiben, dass die Kernaufgaben in der Sammlung vernachlässigt und diese auch nicht mehr geschätzt werden? Brauchen Museen diese gesellschaftliche Legitimation wirklich? Sind sie nicht ausreichend in der Lage, ihre Objekte und Sammlung so zu präsentieren, dass sie dem Besucher einen Mehrwert vermitteln, ihm moderne, interessante Antworten auf die Fragen von heute vermitteln? Es gibt immer

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noch zu viele Museen, so schallt der Vorwurf zurück, die sich naturgesetzlich garantiert fühlen, die meinen, dass das, was die Vorgänger getan haben, auch heute noch richtig ist, und keine Balance finden zwischen dem traditionellen Auftrag und den neuen Anforderungen. Gerade Stadtmuseen müssen, wollen sie ihren gesellschaftlichen Auftrag ernst nehmen, sich mit Outreach-Projekten in die Gesellschaft hineinbewegen und gesellschaftliche Teilhabe forcieren. Partizipative Modelle des Museums sind in Deutschland allerdings eher die Ausnahme und noch wenig geübte Praxis. Die Öffnung der Kuratorenschaft für die Bürger stößt auf Unsicherheit und Widerstand. Die Ko-Kuratorenschaft interessierter Laien stellt die Frage nach der Rolle und dem Selbstverständnis des wissenschaftlichen Personals. Die neue Funktion des Kurators als Moderator eines KooperationsÂ�prozesses mit Laien ist nicht geübt, ein reflektierter und souveräner Umgang mit »user generated content« ebenso wenig. Partizipative Museumsmodelle sind allerdings keine Neuschöpfung der jüngsten Museumsdebatten und auch die Laien-Ko-Kuratorenschaft ist eine Strategie, die es immer schon gegeben hat. Viele der alten bürgerlichen Museumsgründungen – wie auch das Märkische Museum in Berlin – sind letztlich von Laien getragene, partizipative Modelle gewesen. Damals hatten sie zum Ziel, der Stadtgesellschaft im Rausch der Modernisierung und der rasanten Veränderung der Stadt im ausgehenden 19. Jahrhundert ihre Herkunft und unwiederbringliche Vergangenheit zu zeigen und für die Vermittlung zu bewahren. Wie ist dieser damals hochinnovative Grundgedanke heute umzusetzen? Die »New Museology«, deren Prämissen und partizipatorischen Ansatz Léontine Meijer-van Mensch darlegt, bleibt letztlich ein Beispiel schuldig, wie auch große, traditionelle Stadtmuseen jenseits von Nachbarschafts- oder Heimatmuseen sich auf diesem neuen Weg erfolgreich positionieren können. Volker Kirchberg zeigt das Dilemma der städtischen Museen im Hinblick auf eine im Sinne der Neuen Museologie erfolgreichen Arbeit in letzter Konsequenz auf: »Entweder sie gestalten ein breites öffentliches Programm für ein heterogenes Publikum mit heterogenen Erwartungen; dann geraten sie in die Gefahr der Beliebigkeit und entziehen sich somit selbst der geforderten gesellschaftlichen Legitimität. Oder sie bieten ein spezifisches Programm für eng definierte Bevölkerungsgruppen an und geraten dann in die Gefahr durch die Zielgruppeneinengung ›private‹ Museen zu schaffen.« Kirchberg überzeichnet die Modelle, für größere Stadtmuseen hat die kritische Beurteilung einer zielgruppenspezifischen Partizipation allerdings Berechtigung. Was machen wir mit unseren gigantischen historischen Sammlungen? Öffentliche Schaudepots? Oder ist Ent-Sammeln eine Lösung? Ist es sinnvoll, jedes Museum zu behalten? Oder sollte man auch Institute schließen und zusammenfassen?

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Ruedi Baur argumentiert radikal: Das Museum hat eine Doppelrolle mit zwei zentralen Aufgaben – die Archiv-Funktion mit dem Sammeln, Bewahren, Dokumentieren und Forschen zum einen und das Vermitteln, Geschichte lesbar machen und Aussagen treffen zum anderen. Baur plädiert – als bewusste Provokation – für die Befreiung der Museen vom Ballast der Archivarbeit zugunsten von Themen, Aussagen und Vermittlung jenseits der Sammlung. Die Doppelrolle des Museums sieht er als eine enorme Last, von der es sich zugunsten der Vermittlung und der Übersetzung zu befreien gilt. »Müssen wir 80 % der Sammlung wiedergeben oder reichen 20 % zur Vermittlung?«, fragen die Gestalter und plädieren für eine Reduktion der Objekte zugunsten der Klarheit der Aussage in der Ausstellung. Man kann einen Besucher kaum überfordern, ihn aber sehr schnell überladen, warnt Uwe Brückner. Léontine Meijer-van Mensch verweist auf einen möglichen Paradigmenwechsel im Hinblick auf die kritische Depot-Situation vieler Museen: Warum soll Sammlungsgut des Museums nicht wiederum in die Gesellschaft zur temporären Aufbewahrung und Pflege zurückgegeben werden? Innerhalb einer vertraglich gesicherten Dauerleihgabe erhielten Objekte oder Sammlungsbestände für die Zeit, die sie im Museum keine tragende Rolle hätten, wiederum eine Funktion, und interessierte Privatsammler oder -forscher trügen Sorge für die Objekte. Mit diesem Modell hat man in den Niederlanden gute Erfahrungen gemacht. Was soll das Stadtmuseum heute sammeln, wenn es Deutungshoheit gewinnen soll? Jedes Museum ist gehalten, darüber nachzudenken im Sinne einer reflexiven Selbstaufklärung: Was haben wir bisher gesammelt und was davon macht Sinn, es weiter zu verfolgen? In dem es sich in seiner Geschichte und Funktion in Frage stellt, eröffnet sich das Museum neue Perspektiven für die Arbeit. Ein selbstreflexives Museum reflektiert auch die Prämissen, unter denen die Sammlung entstanden ist, und macht diese transparent. Es schafft eine neue Wahrnehmung der Sammlungsgüter und eine neue Herangehensweise an das Thema Sammlung. Ein Beispiel dazu: Das Stadtmuseum Berlin im Märkischen Museum verfügt über einen vom Architekten 1908 konzipierten und in den 90er Jahren rekonstruierten Zunftsaal. Dort findet man die Insignien der Zünfte, Pokale, Truhen, Bullen und Fahnen, die Gesellschaftsgeschichte repräsentieren. Für jeden Besucher verständlich in ihrer Ikonografie sollten diese Zeugnisse die Erinnerung an die vorindustrielle Arbeitswelt und Gesellschaftsordnung bewahren und hatten damit einen appellativen Charakter im damaligen Museumskonzept. Heute wissen die jungen Besucher kaum mehr, was Zünfte sind, und das Interesse angesichts eines Zunftkruges hält sich in Grenzen. Es ist Aufgabe des Museums heute, diese Raumkonzeption transparent zu machen und zu vermitteln, was dieser Zunftsaal mit der persönlichen Arbeitswelt eines Jugendlichen im 21. Jahrhundert zu tun hat – Monopol und

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Schutzfunktion von IHK, Handwerkskammer oder Gewerkschaften, Arbeitsvermittlung, Hartz IV oder im Kontrast dazu die gesuchte Ungebundenheit des Kreativen in der Dienstleistungsgesellschaft. In dem gleichen Maße, wie die Präsentation der Sammlung Reflexion und Aktualisierung einfordert, gilt dies für die Konzeption der Sammlung. Wie und wodurch kann das Museum Lebenswelten dokumentieren und sammeln? Dies ist für Wolfgang Kaschuba eine bislang zu wenig erörterte Frage und eine Herausforderung, weil städtische Welten in hohem Maße nicht nur objekt-, sondern auch bild- und symbolbezogen sind. Daher werden Stadtmuseen nicht nur ihre Präsentation der Geschichte und der Objekte überdenken und überarbeiten müssen. Sie werden sich auch bei der Herstellung dieser Bilder, der Bilder der Stadt und ihrer Geschichte, die sie vermitteln wollen, öffnen und Teile dieser städtischen Welten einbeziehen müssen. Doch welche Stadt holt man ins Museum und in welcher Objektwelt schlägt sich das nieder? Für eine interessante Herangehensweise hält Kaschuba die Sammlung dessen, was von anderen an Images produziert wird. Städte sind Produktionsorte von Bildern, Imaginationen und Reiseandenken, Bildern im Stadt-Marketing und Souvenirs. Sie zeigen die Fremdbilder, die Klischees, die Stereotypen, mit denen zu operieren ist. Wie gelingt es, das Gefühl der Stadt in das Museum zu holen, es dort wiederzugeben? Es gibt Orte und Geschehnisse in der Stadt, die die Menschen bewegen. Ruedi Baur empfiehlt den Stadtmuseen, diese emotionalen Felder und Orte nicht zu umgehen, sondern sie gezielt aufzugreifen, sie mit dem Wissen um die Geschichte, mit Informationsquellen und sachlichen Hintergrundinformationen anzureichern. Hier sieht er eine Kernaufgabe des Stadtmuseums: nach außen in den Stadtraum zu gehen, Emotionsorte in der Stadt zu besetzen und dort mit temporären Projekten Inhalte neu lesbar zu machen. Und wie stellt man das Gefühl der Stadt im Museum aus? Wie stellt man Emotionen aus, wie bindet man Emotionen? Unsere Gesellschaft folgt derzeit dem »emotional turn«. Dieser ist auch in der Forschungslandschaft angekommen und ist überaus deutlich spürbar in der medialen Aufbereitung und Inszenierung der Geschichte in zahlreichen Serien des Fernsehprogramms. Diese haben mittelbar eine nicht zu unterschätzende Wirkung auch für die Museen, da solcherart omnipräsente Wirkmächtigkeiten unwillkürlich ein Maßstabssystem für Rezeptionsgewohnheiten setzen. Emotionen zu schaffen, ist insbesondere eine Aufgabe der Gestaltung. Uwe Brückner sieht seine Herausforderung darin, assoziativ komplexe Dinge mit einem bestimmten Raumeindruck zu verbinden und dadurch Denkräume zu schaffen, die eine große Kraft haben – Räume, die Betroffenheit erzeugen. Eine positive Betroffenheit erzeugt, was einen inhaltlich angeht, was wahrgenommen und reflektiert wird. Eine emotionale Verbindung für den Besucher zu den Objekten und zur Ausstellung herzustellen, muss das Ziel sein. Auch Martin Kohlbauer argumentiert, die Symbolkraft von Formen und

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Objekten zu nutzen und durch Reduktionen Akzente zu schaffen. Vor allem durch diese emotional aufgeladenen Reduktionen gelingt es, das Publikum in der Ausstellung zu beteiligen, es im wahren Wortsinn Anteil nehmen zu lassen. Die Kernaufgabe der Museen ist ohne Zweifel das Sammeln und Bewahren. Doch das ganze System des Sammelns und Bewahrens wird heute überwölbt durch eine neue, unauratische Kultur des Sammelns und Bewahrens, konstatiert Thomas Krüger: Es gibt heute eine Vielzahl digitaler Datenspeicher, omnipräsent und vielfach genutzt. Museen müssen daher die Legitimität und Relevanz ihrer klassischen Kernaufgaben neu erstellen und positionieren. Das geht nur, indem man sich als Stadtmuseum als politischer Ort definiert und einmischt in öffentliche Debatten. Nur so werden die Museen ihre Finanzierung seitens der Politik retten können, prophezeit Krüger. In dem Augenblick, in dem das Museum Teil der Öffentlichkeit wird, durch Outreach-Projekte zu anderen Kulturinstitutionen, in dem es in Kooperation mit anderen Kultur- oder Bildungsinstitutionen seine kulturelle Relevanz vorstellt, schafft es eine Erwartungshaltung. Dieser Erwartungshaltung – dem Versprechen auf interessante, öffentlich relevante Interventionen, auf Bildungsszenarien, neue Rezeptionsszenarien und Kulturinterventionen – folgt die Politik gern. Hier müssen sich die Museen neuen Strategien zuwenden und diese offensiv verfolgen, sich in öffentliche Debatten einmischen und Akzente setzen. In den nächsten Jahren werden viele Veränderungen in den Museen stattfinden müssen, sagt Günter Piening voraus. Eine heranwachsende Schicht von Intellektuellen aus dem migrantischen Milieu wird neue Fragen der Deutung stellen und andere Sichtweisen, Kontextualisierungen und Präsentationen einfordern. Wie verändert sich z.B. die Sichtweise eines ethnologischen Museums, wenn Einwanderer aus afrikanischen Staaten eine ganz andere Lesart haben? Auch die Fragen der Repräsentanz von Einwanderung und ihrer Geschichte sind aufzugreifen. Es ist die Veränderung von der lokalen Stadt des 19. und 20. Jahrhunderts zur offenen Stadt, zur Urbanität, der die Stadtmuseen gegenüberstehen. Für die Soziologen, so skizziert Kaschuba, hat die europäische Stadt als gesellschaftliches Integrationsmodell ausgedient. Das Tempo der Zuwanderung von Menschen wie auch der Austausch von Waren, Informationen und Technologien in der globalen Welt hat sich um ein Vielfaches beschleunigt. Dieser Prozess ist nicht aufzuhalten. Migration und Mobilität prägen die urbane Stadt, stehen für Urbanität. Städte sind die Keimzellen des Wandels. In den Städten werden neue Lebensmodelle, Nachbarschaftsformen etc. entwickelt und auf ihre Tauglichkeit ausprobiert. Die Zukunft wird in den Städten gemacht. Gesucht ist die Identifikation mit dem urbanen Lebensgefühl, mit der Marke Stadt. Wie können Stadtmuseen hier ansetzen? Wie können sie Identifikationsangebote schaffen und wie können Stadtmuseen erfolgreich an der imaginativen

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Stadtbildung teilnehmen? Je größer eine Stadt ist und die urbanen Eigenschaften der Metropole trägt, desto wichtiger ist die Sichtbarkeit ihres Stadtmuseums im Sinne eines Identifikationsangebotes, das für viele Gültigkeit hat und emotional besetzt ist. Hier liegt die eigentliche Herausforderung, der die Stadtmuseen verunsichert gegenüberstehen: Die rasante Veränderung und die Vielgestaltigkeit der modernen Stadt verlangt einen adäquaten Ausdruck in der Aktualität der Ausstellungspräsentation und fordert experimentelle Vieldimensionalität in Herangehensweisen, Projekten und wechselnden Ausstellungen. Die Identität der modernen Stadt setzt den Maßstab. Geschichte wird heute auch durch andere Player präsentiert und vermittelt, allen voran das Fernsehen, die Medien. Das ist legitim und bedeutet zugleich eine gesunde Konkurrenz, die es den Museen erlaubt, sich von der Aufgabe der Geschichtsdarstellung zu entlasten. Die Medien befreien die Stadtmuseen von der systematischen Geschichtsdarstellung – ein Freiraum zugunsten des gesellschaftlichen Auftrages. Die Mitwirkung und soziale Teilhabe der lokalen Bevölkerung am Museumsgeschehen ist für Stadtteil- oder Heimatmuseen ein wichtiger Faktor. In größeren Städten sind andere Konzepte der Partizipation gefragt: die offene Teilhabe am Museum mit neuen Formaten und Szenarien der Vermittlung der kulturellen Bildung. Ebenso zwingend ist die Erweiterung des Aktionsradius in den Stadtraum, die Besetzung von relevanten Orten in der Stadt mit temporären Interventionen, die die Bürger in der Lebenswelt der Stadt »abholen«. Zukunftsweisend ist die Vernetzung mit anderen Kulturträgern: gemeinsam experimentelle Projekte erarbeiten und das soziale Gebilde der Stadt mit prägen. Die Stadtmuseen im 21. Jahrhundert brauchen die Vernetzung und Zusammenarbeit, die Künstler, Wissenschaftlerinnen und Querdenker, die den Nerv ihrer Stadt verkörpern, um gemeinsam am Gedächtnis der Stadt zu arbeiten.

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Autorinnen und Autoren

Ruedi Baur, Lehre als Grafiker bei Michael Baviera, 1979 Diplom Grafik-Design an der Kunstgewerbeschule in Zürich, 1983 Mitgründung des Ateliers BBV (Lyon–Mailand–Zürich), 1989 Aufbau von »Integral Concept« als interdisziplinäres Netzwerk für die (Design-)Bereiche Grafik, Architektur, Szenografie, urbanes Design, Produktdesign. 1989 Gründung seines Ateliers »intégral Ruedi Baur in Paris, 2002 in Zürich und 2007 in Berlin. 2007 Gründung des Laboratoire IRB in Paris. Seit 1992 Mitglied der Alliance Graphique Internationale (AGI), seit 2003 Präsident der AGI France. Seit 1987 regelmäßige Lehraufträge. 1989 bis 1994 Leiter der Designabteilung der École des Beaux-Arts de Lyon. 1993 und 1996 Einrichtung des Graduiertenlehrgangs »espace civiques et design« in Lyon. 1995 Professur für Corporate Design an der Hochschule für Grafik und Buchkunst »HGB« in Leipzig. 1999 Gründung des Instituts für interdisziplinäres Design »2id«. Seit April 2004 leitet Ruedi Baur das von ihm gegründete Forschungsinstitut »Design2context« der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Seit 2007 unterrichtet er an l’ENSAD in Paris. Uwe Brückner, Architekturstudium an der Technischen Universität München, Kostüm- und Bühnenbild an der Kunstakademie Stuttgart. Seit 1993 Atelier für Architekturen, Ausstellungen und Szenografie in Stuttgart. Von 1998-2000 Dozent für Bühnenbild an der Fachhochschule Köln (Fachbereich Innenraumgestaltung), 2001-02 Gastprofessur für Szenografie an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, seit 2001 Dozent für Szenografie am Institut für Innenarchitektur und Szenografie der HGK in Basel. Mitglied im Art Directors Club Deutschland: »Kommunikation und Raum«, Mitglied im D&AD London: »Environmental Design«, seit 2003 Professor für Szenografie und Ausstellungsgestaltung an der Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK) in Basel. Zahlreiche Gestaltungen für Ausstellungen und Museumsprojekte. Claudia Gemmeke, Studium der Geschichte, Kunst und Kunstgeschichte an den Universitäten Bochum, Essen und Bonn. 1990 Promotion zum Dr. phil. über die »Alte Synagoge in Essen, 1913«. Langjährige Arbeit in Museen: 1990-

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93 Museum Folkwang Essen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin der Großausstellungen, 1994 am Museum am Ostwall, Dortmund. 1994-2000 Leiterin Bildung, Medien, Kultur am Heinz-Nixdorf-MuseumsForum in Paderborn. 2001-02 Director Public Debate and Knowledge Transfer beim Europäischen Medieninstitut, Düsseldorf/Paris. Ab 2003 Projektleiterin für den Aufbau eines Kulturstandortes bei der Blücher GmbH, Düsseldorf-Erkrath. Seit 2007 Abteilungsdirektorin Forum beim Stadtmuseum Berlin. Wolfgang Kaschuba, Studium der Empirischen Kulturwissenschaft, Politologie und Philosophie in Tübingen, 1982 Promotion, 1987 Habilitation. Seit 1992 Professor für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Europäische Ethnologie, DFGFachgutachter, Mitglied und stellvertretender Sprecher des transatlantischen DFG-Graduierten-Kollegs »Metropolenforschung Berlin – New York«. Forschungsschwerpunkte: Alltag und Kultur in der europäischen Moderne, nationale und ethnische Identitäten, Stadt- und Metropolenforschung. Volker Kirchberg, Studium der Soziologie, 1985-1988 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle Stadtforschung, Universität Hamburg. 1988-1992 Forschung am Institute for Policy Studies der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, Maryland. Anschließend Promotion und Post-Doc-Tätigkeit (German Marshall Fund) in Baltimore. Leiter des Basica-Forschungsinstituts in Hamburg (1995-2000). Lehraufträge am Institut für Soziologie der FU Berlin im Schwerpunkt Stadtforschung (1996-2000) und Habilitation an dieser Universität (2003). 2001 bis 2004 Assistant Professor für Soziologie an der William-Paterson-Universität in New Jersey. Mehrere Veröffentlichungen zur Kultur- und Stadtsoziologie im Schnittbereich von Markt, Staat und Non-Profit-Sektor. Seit Oktober 2004 Universitätsprofessor für Kulturvermittlung und Kulturorganisation im Fach Angewandte Kulturwissenschaften der Leuphana-Universität Lüneburg. Martin Kohlbauer, 1981 Diplom an der Akademie der Bildenden Künste Wien, 1984-96 dort Lehraufträge an der Meisterschule für Architektur und am Institut für Bildnerische Erziehung. Seit 1991 Architekt mit eigenem Atelier in Wien, zahlreiche erste Preise bei bedeutenden Wettbewerben. Spektrum der Arbeiten von Städtebau, Schul- und Wohnbau, Industrie- und Bürobau bis hin zu Spitals- und Tourismusbauten. Zahlreiche Ausstellungsgestaltungen im Inund Ausland, unter anderem die historische Dauerausstellung im Jüdischen Museum Wien. Gottfried Korff, Studium der Volkskunde, Kunstgeschichte und der Philosophie in Köln, Bonn und Tübingen. Ab 1982 Professor für Empirische Kulturwissenschaft/Volkskunde am Ludwig-Uhland-Institut der Universität Tübingen. Kura-

A utorinnen und A utoren

tor und Ausstellungsleiter in Berlin (»Preußen – Versuch einer Bilanz«, 1981/ »Berlin, Berlin«, 1987), in Stuttgart, Dessau, Essen (»Sonne, Mond und Sterne«, 1999), Oberhausen (»Feuer und Flamme«, 1994). Arbeitsschwerpunkte: Sachkultur- und Symbolforschung, die populäre Ikonographie, Frömmigkeitsforschung sowie die Geschichte und Theorie des Museums. Zahlreiche Publikationen zur Expositorik. Thomas Krüger, 1976-1979 Ausbildung, Facharbeiter für Plast- und Elastverarbeitung, Fürstenwalde, 1981-1989 Studium der Theologie, Vikar in Berlin und Eisenach. 1989 Gründungsmitglied der SDP in der DDR; bis 1990 Geschäftsführer der SDP in Berlin (Ost), 1990-1991 Erster Stellvertreter des Oberbürgermeisters Ost-Berlins, Stadtrat für Inneres beim Magistrat Berlin und in der gemeinsamen Landesregierung, 1990-1992 Stellvertretender Landesvorsitzender der Berliner SPD (gesamt), 1991-1994 Senator für Jugend und Familie in Berlin, 1994-1998 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1998-2000 Erziehungspause. Seit Juli 2000 Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Léontine Meijer-van Mensch, Studium der Geschichte und der Jüdischen Studien in Amsterdam, Jerusalem, Berlin und Abschluss im Aufbaustudiengang »Schutz Europäischer Kulturgüter« in Frankfurt (Oder). Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und in verschiedenen Museen in Amsterdam und Berlin, u.a. im Jüdischen Museum Berlin. Seit 2006 Dozentin für Theoretische Museologie und Ethik an der Reinwardt Academie in Amsterdam und Mitglied der International Advisory Board of the International School of Museology Celje (Slovenien), Beraterin für nationale und internationale Museen. Franziska Nentwig, Studium an der Musikhochschule »Carl Maria von Weber« Dresden, Dissertation an der Technischen Universität Dresden, langjährige Tätigkeit im Deutschen Hygiene-Museum Dresden als Vorstandsreferentin. Ab 2002 Direktorin des Bachhauses Eisenach und Geschäftsführerin der Bachhaus Eisenach gGmbH; seit Februar 2006 Generaldirektorin und Vorstand der Stiftung Stadtmuseum Berlin u.a. Vorstandsmitglied im Landesverband der Museen zu Berlin e.V., verschiedene Lehraufträge und Tätigkeiten als Gastdozentin. Günter Piening, Soziologiestudium mit dem Schwerpunkt »Entwicklungsplanung und Entwicklungspolitik« (1972 bis 1977); Diplomprüfung 1977, kurze Etappe in der Jugendbildungsarbeit (1977-78), nach Volontariat bei einer Bielefelder Tageszeitung Wirtschaftsredakteur (1980 bis 1982); Redakteur der alternativen Wochenzeitung »Bielefelder StadtBlatt« (1983 bis 1988). Freier Journalist in Japan, China und Südostasien (1988 bis 1989); von 1991 bis 1994 Pressespre-

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D ie S tadt und ihr G edächtnis

cher der Bürgerbewegten-Fraktion, dem Vorläufer der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Magdeburg; Mitbegründer eines Flüchtlingshilfevereins in Magdeburg; freier Journalist in Japan und Westafrika 1995, Ausländerbeauftragter der Landesregierung Sachsen-Anhalt (1996 bis 2003). Seit Juni 2003 Beauftragter des Senats von Berlin für Integration und Migration. Anne Schmidt, Studium der Geschichte und Germanistik in Berlin, Promotion im Fach Geschichte an der Universität Bielefeld. 2002-2004 freie Ausstellungsmacherin, Juni 2004–Nov. 2008 Kuratorin am Historischen Museum Bern. Seit Dezember 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, Forschungsbereich Geschichte der Gefühle. Alice Ströver, Studium der Kommunikationswissenschaften und Germanistik an der Freien Universität Berlin, M.A., langjährige Lehrtätigkeit am Fachbereich Kommunikationswissenschaften der Freien Universität; freiberufliche journalistische Tätigkeit und in der Medienforschung. 1988 bis 1995 wissenschaftliche Referentin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Geschäftsführerin beim Bildungswerk Berufsverband Bildender Künstler Berlin und Angestellte bei der Europafraktion der Grünen. Seit November 1995 Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. 2001 Staatsekretärin für kulturelle Angelegenheiten. Seit 2002 erneute Lehrtätigkeit an der Freien Universität Berlin, Kultur- und Medienmanagement. Umfangreiche Gremien und Beiratstätigkeit in Kultur- und Mediengremien.

Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Barbara Alder, Barbara den Brok Die perfekte Ausstellung Ein Praxisleitfaden zum Projektmanagement von Ausstellungen Oktober 2011, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1489-3

Patrick S. Föhl, Patrick Glogner Kulturmanagement als Wissenschaft Überblick – Methoden – Arbeitsweisen. Einführung für Studium und Praxis Dezember 2011, ca. 150 Seiten, kart., ca. 13,80 €, ISBN 978-3-8376-1164-9

Patrick S. Föhl, Iken Neisener (Hg.) Regionale Kooperationen im Kulturbereich Theoretische Grundlagen und Praxisbeispiele 2009, 398 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1050-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Carl Christian Müller, Michael Truckenbrodt Handbuch Urheberrecht im Museum Praxiswissen für Museen, Ausstellungen, Sammlungen und Archive Juli 2011, ca. 200 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1291-2

Andrea Rohrberg, Alexander Schug Die Ideenmacher Lustvolles Gründen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Ein Praxis-Guide 2010, 256 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1390-2

Petra Schneidewind, Martin Tröndle (Hg.) Selbstmanagement im Musikbetrieb Ein Handbuch für Kulturschaffende (2., komplett überarbeitete Auflage) Oktober 2011, ca. 300 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1660-6

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Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Joachim Baur (Hg.) Museumsanalyse Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes 2010, 292 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-814-8

Susanne Gesser, Angela Jannelli, Sibylle Lichtensteiger (Hg.) Das partizipative Museum Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen Februar 2012, ca. 300 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1726-9

Herbert Grüner, Helene Kleine, Dieter Puchta, Klaus-P. Schulze (Hg.) Kreative gründen anders! Existenzgründungen in der Kulturwirtschaft. Ein Handbuch 2009, 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., 23,80 €, ISBN 978-3-89942-981-7

Doris Harrasser, Karin Harrasser, Stephanie Kiessling, Karin Schneider, Sabine Sölkner, Veronika Wöhrer Wissen Spielen Untersuchungen zur Wissensaneignung von Kindern im Museum

Hartmut John, Hans-Helmut Schild, Katrin Hieke (Hg.) Museen und Tourismus Wie man Tourismusmarketing wirkungsvoll in die Museumsarbeit integriert. Ein Handbuch 2010, 238 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1126-7

Hannelore Kunz-Ott, Susanne Kudorfer, Traudel Weber (Hg.) Kulturelle Bildung im Museum Aneignungsprozesse – Vermittlungsformen – Praxisbeispiele 2009, 206 Seiten, kart., zahlr. Abb., 23,80 €, ISBN 978-3-8376-1084-0

Peter Leimgruber, Hartmut John Museumsshop-Management Einnahmen, Marketing und kulturelle Vermittlung wirkungsvoll steuern. Ein Praxis-Guide Februar 2011, 348 Seiten, kart., inkl. Begleit-CD-ROM, 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1296-7

Birgit Mandel PR für Kunst und Kultur Handbuch für Theorie und Praxis (3., unveränderte Auflage 2011) 2009, 240 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1086-4

März 2011, 304 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1530-2

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