Die »westliche Kultur« und ihr Anderes: Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus [1. Aufl.] 9783839410813

Die Entstehung der »Islamophobie« wird gemeinhin als Folge des jüngsten radikalen Islamismus gesehen. Demgegenüber beleg

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Kultur und Rassismus
Der bedeutungsorientierte Kulturbegriff
Diskursive Machtkämpfe und dekonstruktive Interventionen
Kulturelle Differenz und Rassismus
Das Dilemma kultureller Identität
Postkoloniale Studien zu hegemonialen Orient- und Islamdiskursen in Deutschland
Kultur in der bundesdeutschen Rassismusforschung
Fazit
Hegemoniale Diskurse
Präsentationen des Anderen
Kulturelle Tradierungen
Aktuelle Diskurse
Politische Bezüge
Historischer Überblick
›Islam‹ als politisches Gegenbild
Kulturalisierung ›des Islam‹
Kulturalisierung als Entpolitisierung
Der bundesdeutsche Kontext
Der Nahostkonflikt
›Islamischer‹ Antisemitismus
Verschränkung antisemitischer und antimuslimischer Diskurse
Fazit
Alltagsdiskurse
Bilder und Erfahrungen
›Wir‹ und ›die Anderen‹
›Orient‹ versus ›Islam‹
Aneignung kultureller Bilder
Umdeuten von Erfahrungen
Herstellen von Dominanz
Bekehrungsversuche
Konfrontationen meiden
Irritationen abwehren
Irritationen zulassen
Fokus interkulturelle Beziehungen
»[…] dass da ‘ne unheimliche Schranke besteht zwischen diesen beiden Kulturen, dass die nicht zusammengehören«
»[…] im individuellen Fall hat das gar keine Bedeutung«
»Also für mich wär‘ das ein Rückschritt […]«
»Vielleicht profitieren die türkischen Frauen dann auf lange Sicht am meisten von einem Leben in Deutschland.«
Kultur und Geschlecht
Fazit
Schluss
Anhang
Literatur
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Die »westliche Kultur« und ihr Anderes: Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus [1. Aufl.]
 9783839410813

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Iman Attia Die »westliche Kultur« und ihr Anderes

2009-05-04 12-47-21 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02eb209336317944|(S.

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Iman Attia ist Professorin für Diversity Studies an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin.

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Iman Attia

Die »westliche Kultur« und ihr Anderes Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus

2009-05-04 12-47-21 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02eb209336317944|(S.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Iman Attia Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1081-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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Inhalt

Einleitung

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Kultur und Rassismus Der bedeutungsorientierte Kulturbegriff Diskursive Machtkämpfe und dekonstruktive Interventionen Kulturelle Differenz und Rassismus Das Dilemma kultureller Identität Postkoloniale Studien zu hegemonialen Orient- und Islamdiskursen in Deutschland Kultur in der bundesdeutschen Rassismusforschung Fazit

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Hegemoniale Diskurse Präsentationen des Anderen Kulturelle Tradierungen Aktuelle Diskurse Politische Bezüge Historischer Überblick ›Islam‹ als politisches Gegenbild Kulturalisierung ›des Islam‹ Kulturalisierung als Entpolitisierung Der bundesdeutsche Kontext Der Nahostkonflikt ›Islamischer‹ Antisemitismus Verschränkung antisemitischer und antimuslimischer Diskurse Fazit

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Alltagsdiskurse Bilder und Erfahrungen ›Wir‹ und ›die Anderen‹ ›Orient‹ versus ›Islam‹ Aneignung kultureller Bilder Umdeuten von Erfahrungen Herstellen von Dominanz Bekehrungsversuche Konfrontationen meiden Irritationen abwehren Irritationen zulassen Fokus interkulturelle Beziehungen »[…] dass da ‘ne unheimliche Schranke besteht zwischen diesen beiden Kulturen, dass die nicht zusammengehören« »[…] im individuellen Fall hat das gar keine Bedeutung« »Also für mich wär‘ das ein Rückschritt […]« »Vielleicht profitieren die türkischen Frauen dann auf lange Sicht am meisten von einem Leben in Deutschland.« Kultur und Geschlecht Fazit

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Schluss

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Anhang

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Literatur

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Einleitung

Der Begriff ›Islamophobie‹ erfreut sich gegenwärtig in einigen alltäglichen und öffentlichen Diskursen einer gewissen Beliebtheit. Er umfasst »generell ablehnende Einstellungen gegenüber Muslimen, pauschale Abwertungen der islamischen Kultur und distanzierende Verhaltensabsichten gegenüber Muslimen« (Leibold/ Kühnel 2006: 137). Empirischen Untersuchungen zufolge ist ›Islamophobie‹ in der Bevölkerung weit verbreitet (vgl. ebd. sowie EUMC 2006). Sie wird im Kontext des internationalen ›islamistischen Terrors‹ und als islamisch definierter Praktiken wie ›Ehrenmord‹ und ›Zwangsheirat‹ diskutiert. ›Islamophobie‹ wird als Reaktion auf die Gewalt ›des Islam‹ gedeutet, die jedoch undifferenziert alle Formen ›des Islam‹ und ›die Muslime‹ im Allgemeinen trifft. Sie wird einerseits als berechtigte Angst vor einigen Strömungen ›des Islam‹ definiert und andererseits als Folge von Fehleinschätzungen über harmlose Formen ›des Islam‹. Einige lehnen derartige Differenzierungen jedoch ab und halten sie für einen Teil des Problems. Sie meinen, die Menschheit bzw. ›den Westen‹ vor ›dem Islam‹ schützen zu müssen und sind »stolz darauf, islamophob zu sein«. Die um Differenzierung Bemühten allerdings drängen auf mehr Informationen über ›den Islam‹, darauf zielen auch politische und Bildungsmaßnahmen ab. Gut informiert soll zwischen ›fundamentalistischem‹ und ›gemäßigtem‹ Islam unterschieden werden, um ersteren zu bekämpfen und letzteren zu integrieren. Dies entspricht dem üblichen aufklärerischen Umgang mit ›den Fremden‹: Sie zu verstehen, um sie zu tolerieren, insofern sie ›das Eigene‹ bereichern oder zumindest nicht stören. Ihre ne-

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

gative Auffälligkeit dagegen wird (pädagogisch, politisch, strafund ausländerrechtlich) geahndet: ›Die Fremden‹ werden gefördert, damit sie sich anpassen, ansonsten werden sie ausgeschlossen und bekämpft. So werden ›die Fremden‹, ›das Fremde‹, ›die Kultur der Anderen‹ in dominanter Perspektive in den Mittelpunkt gerückt. Verhandelt wird ihr ›Fremdsein‹ und ihre ›Differenz‹ zu dem ›Eigentlichen‹, ›Normalen‹, ›hier üblichen‹, das nicht zur Disposition steht. Im vorliegenden Buch wird diese Perspektive umgekehrt. Der Blick auf ›die Anderen‹ dient zwar als Ausgangspunkt der Betrachtung, er wird jedoch verstanden als – symmetrisches, verschobenes, verzerrtes o.a. – Spiegelbild dessen, was als ›Eigenes‹ imaginiert wird. Die Reflexion des (ablehnenden, verstehenden, einverleibenden, ausgrenzenden) Blicks auf ›das Andere‹ ermöglicht Einblicke in ›das Eigene‹ bzw. in das, was als ›Eigenes‹ präsentiert wird. Das, was gesehen und wie es gesehen wird, wie es bewertet und wie damit umgegangen wird, gibt Auskünfte über diejenigen, die dies alles tun. Gleichzeitig eröffnet die selbstreflexive Perspektive einen anderen Blick auf ›das Andere‹, da dieses nun in Relation zum ›Eigenen‹ gesehen wird. Diese Perspektive fragt danach, wie es dazu kommt, dass zwischen ›Eigenem‹ und ›Fremdem‹ unterschieden wird, warum dies entlang kultureller und religiöser Merkmale geschieht, wie Sichtweisen durchgesetzt werden, aus welcher Position heraus und mit welchen Mitteln dies geschieht, welche Bedeutungen die Differenzierungen nach Kultur und Religion im Alltag von Menschen haben. Mit Bezug auf postkoloniale und poststrukturalistische Theorien wird im Folgenden die Präsentation ›des Islam‹ als hegemonialer Diskurs analysiert. Demnach wird die Dichotomie zwischen ›Islam‹ und ›Westen‹ als Konstruktion rekonstruiert, die beide essenzialisiert. Die Dichotomie Islam-Westen hat sich historisch entwickelt und transformiert, ihr kommen in politischen Konstellationen unterschiedliche Bedeutungen zu, ihre Facetten sind Teil des kulturellen Wissensbestandes ›des Westens‹ über ›den Orient‹ bzw. ›den Islam‹. In ihrem Alltag vermitteln sich den Subjekten die Bedingungen und Bedeutungen des ›Islamdiskurses‹ als kulturelle Repräsentationen, die ihnen bestimmte Sichtweisen und Interpretationen anbieten und nahe legen, während sie andere Sichtweisen und Interpretationen erschweren oder lächerlich machen.

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EINLEITUNG

In diesem Möglichkeitsraum setzen sich die Subjekte aktiv mit der kulturellen Hegemonie auseinander und positionieren sich darin. Die Analyse ›des westlichen‹ Blicks bietet Einblicke in Prozesse, die mit Postkolonialismus, Neoliberalismus, Globalisierung und Neuer Weltordnung eng verknüpft sind. Darüber hinaus bedarf es einer jeweils spezifischen Analyse, die im Falle Deutschlands nur unzureichend geleistet werden kann, wenn der Nationalsozialismus als zentrales politisches Bezugssystem der Bundesrepublik unberücksichtigt bleibt. Folglich wird der hiesige Islamdiskurs auch im Kontext des Postnationalsozialismus diskutiert. Alltagsdiskurse, kulturelle Präsentationen und politische Bezüge verweisen auf zentrale Themen dieser Gesellschaft. Die Analyse des Islamdiskurses dient damit der Selbstreflexion. Obwohl im Folgenden keine Informationen über ›den Islam‹ oder ›die Muslime‹ gegeben werden, verweisen die Analysen gleichwohl auf die Bedingungen und Bedeutungen, die der hegemoniale Islamdiskurs für ›Muslime‹ und ›islamische‹ Lebensweisen hat. Auf Grund seiner Hegemonie sind auch marginalisierte Subjekte und Diskurse auf ihn bezogen und in ihn eingebunden. Sich dessen gegenwärtig zu sein kann davor schützen, in Selbstbetrachtung und Selbstmitleid zu verharren und dazu beitragen, sich der Interdependenz zwischen ›Eigenem‹ und ›Fremdem‹ bewusst zu sein. Im ersten Kapitel des vorliegenden Buches werden die theoretischen Grundlagen skizziert, im zweiten kulturelle Präsentationen und politische Bezüge im deutschen Kontext diskutiert, im dritten Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zum Alltagsdiskurs vorgestellt, mit einem zusammenfassenden Fazit schließt das Buch ab.

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Kultur und Rassismus

Edward W. Said veröffentlichte 1978 eine Studie zum Orientalismus (dt. 1981), die große akademische Aufmerksamkeit erregte und eine Reihe an differenzierenden Untersuchungen und kontroversen Diskussionen auslöste. Sie thematisieren den ›westlichen‹ Beitrag von Kultur und Theorie zur Unterwerfung, Ausbeutung und Beherrschung ›des Rests‹ der Welt. Saids zentrale These besagt, dass ›der Westen‹ ›den Orient‹ als sein kulturelles Gegenbild, sein ›Anderes‹ geschaffen habe (›Othering‹). »Der Orientalismus ist eine Denkweise, die auf einer ontologischen und epistemologischen Unterscheidung basiert, die zwischen ›dem Orient‹ und ›dem Okzident‹ gemacht wurde. So hat eine sehr große Anzahl von Autoren, und unter ihnen Dichter, Romanschriftsteller, Philosophen, politische Theoretiker, Wirtschaftler und Reichsverwalter, die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Ost und West zum Ausgangspunkt für umfangreiche Theorien, Epen, Romane, soziale Beschreibungen und politische Berichte, die den Orient, sein Volk, dessen Sitten, ›Geist‹, Schicksal usw. betreffen, gemacht.« (Said 1981: 9)

Den ›Orient‹, wie er im ›Westen‹ in Kultur und Theorie konstruiert werde, gäbe es – so Said – nicht. Indem ›der Orient‹ kulturell als unzivilisiert, irrational, primitiv und minderwertig präsentiert werde, könnten die eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen im Zusammenhang mit der Kolonisierung und dem Imperialismus als berechtigt legitimiert werden, mehr noch, sie würden als Segen für ›die Anderen‹ dargestellt.

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

»Kurz, der Orientalismus ist ein westlicher Stil der Herrschaft, Umstrukturierung und des Autoritätsbesitzes über den Orient. […] Es ist für mich entscheidend, daß man, ohne den Orientalismus als einen Diskurs zu überprüfen, unmöglich verstehen kann, durch welche enorme systematische Disziplin die europäische Kultur fähig war, den Orient politisch, soziologisch, militärisch, ideologisch, wissenschaftlich und imaginativ während der Zeit nach der Aufklärung zu leiten – und selbst zu produzieren.« (Ebd.: 10)

Die Essenzialisierung ›des Anderen‹ durch machtvolle Diskurse und kulturelle Hegemonie habe eine Wirklichkeit hervorgebracht, die auch nach dem Kolonialismus wirksam sei. »Man sollte niemals annehmen, daß die Struktur des Orientalismus nichts anderes ist als eine Struktur der Lügen und Mythen, welche, wenn die Wahrheit über sie berichtet werden sollte, einfach verschwinden würde. […] Der Orientalismus ist deshalb kein europäisches Luftschloß des Orients, sondern ein konstruierter Korpus von Theorie und Praxis, in den, viele Generationen lang, beachtliches Material investiert wurde. Weitere Investitionen machten den Orientalismus als ein Wissenssystem über den Orient zu einem akzeptablen Instrument, um den Orient ins westliche Bewußtsein zu filtern; ebenso, wie die gleiche Investition die Aussagen multiplizierte – tatsächlich wahrhaft produktiv machte –, die aus dem Orientalismus in die allgemeine Kultur eingingen.« (Ebd.: 13 f.)

Die Analyse des Orientalismus gehe somit über die Analyse von Aussagen und Ideen ›des Westens‹ über ›den islamischen Orient‹ hinaus und fokussiere die Selbstpräsentation des ›Westens‹: »Und als solche hat der Orientalismus weniger mit dem Orient zu tun als mit ›unserer‹ Welt« (ebd.: 21). Edward Said gilt als einer der prominentesten Vertreter der postkolonialen Studien, sein Buch Orientalism gar als Auftaktpublikation der postkolonialen Theorie (vgl. Castro Varela/Dhawan 2005, kritisch hierzu Schmitz 20081). Diese wurden seit dem erstmaligen

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Markus Schmitz (2008) weist darauf hin, dass Edward Said mit dieser Studie keine theoretische Begründung für eine neue Schule liefern wollte; eine grundsätzliche wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung habe er deutlich früher in Beginnings geführt. Orienta-

KULTUR UND RASSISMUS

Erscheinen von Orientalism weiter entwickeln und ausdifferenziert. So bezog sich eine der Kritiken an Saids Studie auf die vernachlässigten Transformationen von Kulturen. Seine These von der Essenzialisierung von Kulturen und dem Othering des ›Orients‹ lasse keinen Raum für Überlappung, Verschiebung und Subversion und laufe damit selber Gefahr, zu essenzialisieren. Said hat diese Kritiken sehr ernst genommen und teilweise in seinen nachfolgenden Arbeiten berücksichtigt (vgl. Kultur und Imperialismus, 1994). In Orientalism geht es allerdings um die Analyse eines hegemonialen Diskurses, der als solcher geschlossen aufzutreten versucht und zu dessen wesentlichen Merkmalen als hegemonialer Diskurs es gehört, Brüche, Kontingenz, Ambivalenzen, Hybridität zu ignorieren bzw. auszugrenzen. Theoretisch bezieht sich Said auf unterschiedliche Theorien, insbesondere auf Michel Foucaults Diskursbegriff und Antonio Gramscis Hegemonietheorie. Während Foucault Diskurse als historisch durch Machtkämpfe hervorgebrachte kulturelle und soziale Praxen untersucht hat, galt Gramscis Interesse dem Alltagsbewusstsein von ›Subalternen‹ und der Hegemonie bildenden Funktion der Zivilgesellschaft. Gramsci gilt auch anderen postkolonialen TheoretikerInnen als zentrale Referenz, wohingegen die Bezüge zu Foucault von einigen (etwa Gayatri Spivak) zurück gewiesen und durch Derridas Ausführungen zur Dekonstruktion ersetzt werden. Die Arbeiten von Gramsci, Foucault und Derrida dienen – mit einigen anderen zusammen – zu den bedeutenden theoretischen Grundlagen des Poststrukturalismus, zu dem auch die postkolonialen Studien gezählt werden. Die prominenten postkolonialen TheoretikerInnen selbst distanzieren sich teilweise von jeder Zuordnung oder heben andere Bezüge – etwa postmarxistische, feministische oder psychoanalytische – hervor. Von diesen unterscheidet sie m.E. allerdings der prominente Stellenwert, den sie der Kultur beimessen. Das wiederum verbindet sie miteinander und mit dem Poststrukturalismus.

lism, das er selbst als »partisan book« bezeichnete, stelle er, zusammen mit zwei weiteren Büchern und zahlreichen Aufsätzen, in den Kontext seines politischen Engagements im sog. Nahostkonflikt.

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

Der prominente Stellenwert von Kultur in postkolonialen Studien, insbesondere in Analysen zum Rassismus gegenüber ehemals Versklavten oder Kolonisierten bzw. im Zusammenhang von Arbeitsmigration und internationaler Arbeitsteilung, stößt auf einiges Unbehagen und auch scharfe Kritik von verschiedenen Seiten. Die Fokussierung politischer, ökonomischer und struktureller Faktoren in diesen Kontexten sowie die vorherrschende Definition von Kultur als statischem Träger traditioneller Normen und Werte und seine kolonialistische, nationalsozialistische, rechtsextreme, rassistische, konservative oder bürgerliche Hervorhebung macht es kritischen Theorien schwer, sich in anderer als der dort üblichen Weise auf Kultur zu beziehen. Daher ziehen es einige gesellschaftskritische WissenschaftlerInnen vor, Kultur als relevante sozialwissenschaftliche Kategorie grundsätzlich in Frage zu stellen. Theorien zur Ethnisierung sozialer Ungleichheit etwa (bspw. Bukow 1996; Radtke 1991) gehen davon aus, dass kulturelle Differenz unberechtigterweise als zentrale Kategorie in die Diskussion um Eingewanderte und Einwanderungsgesellschaften eingeführt würden. Die Bedeutung, die Kultur zugewiesen werde, sei eine Konstruktion, die modernen Gesellschaften nicht gemäß sei. Alle Mitglieder moderner Gesellschaften seien mit unterschiedlichen Anforderungen konfrontiert, die sie in ihrem Alltag zu bewältigen hätten. Der maßgebliche Unterschied ergäbe sich für Eingewanderte daraus, dass ihnen Mitgliedschaft verwehrt würde, ihnen Zugang erschwert werde, sie aus entscheidenden gesellschaftlichen Bereichen ausgeschlossen würden. Der positive Bezug von Eingewanderten auf ethnische Communities und kulturelle Identität führe deswegen in die falsche Richtung. Dagegen lenken VertreterInnen von gesellschaftskritischen Ethnisierungstheorien den Blick auf den Konstruktionscharakter von Kultur, der weg von ›den Fremden‹ und hin zur eigenen Gesellschaft führe. Nicht Kultur, kulturelle Identität oder kulturelle Konflikte seien demnach das Thema, sondern wie sie als Thema hervorgebracht und instrumentalisiert würden. Dies sei lediglich ein Aspekt moderner Gesellschaften. Wesentlicher sei seine Einbindung in die allgemeine Analyse von Inklusion und Exklusion. Kulturelle Differenz dagegen sei für moderne Gesellschaften »konstitutiv belanglos« und wird in den privaten Bereich verwiesen.

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KULTUR UND RASSISMUS

Hier klingt die Kritik am (auch in der Migrationsforschung und -politik) vorherrschenden Kulturbegriff an, der – insbesondere im Zusammenhang mit ›dem Islam‹ und ›den Muslimen‹ – mit Hinweis auf ›deren Kultur‹ alles zu erklären vorgibt und damit soziale Ungleichheit und strukturelle Diskriminierung verschleiert. Das macht die Stärke dieses Ansatzes aus. Er greift differenziert in Diskussionen über Bildungsmisserfolge und Kriminalität von Eingewanderten ein, kritisiert hegemoniale Diskurse zum Zusammenhang von Desintegration und (nationaler oder religiöser) Kultur und hebt die Bedeutung von struktureller Diskriminierung und sozialer Ungleichheit hervor. Gleichzeitig wird hier jedoch jener Kulturbegriff, dessen Relevanz für diesen Themenbereich zurück gewiesen wird, als einzig möglicher bestätigt, nämlich Kultur als Träger tradierter Werte und Normen. Das unterscheidet diesen Kulturbegriff von poststrukturalistischen und postkolonialen Theorien. Auch der Machtbegriff ist hier ein anderer: Er umfasst lediglich institutionelle und strukturelle Herrschaftsmechanismen; kulturelle Dominanz oder Marginalisierung werden dagegen vernachlässigt. Der in Ethnisierungstheorien kritisierte Kulturbegriff wird auch in postkolonialen Theorien als archäologisch (im Sinne der Suche nach einer ursprünglichen Kultur, die zu erhalten oder zu revitalisieren sei) und essenzialistisch zurück gewiesen. Indem Ethnisierungstheorien jedoch Kultur insgesamt als irrelevant für soziale und gesellschaftliche Analysen einordnen, entgehen ihnen auch jene Dimensionen, die sowohl im dominanten als auch im marginalisierten Kontext als Folge unterschiedlicher Bedingungen, die mit struktureller Diskriminierung bzw. Privilegierung und ökonomischer Ausbeutung bzw. Bereicherung, aber auch als Folge der Konstruktion von Kulturen als essenzielle und dichotome von erheblicher Bedeutung auf die Ausgestaltungsmöglichkeiten und -formen von Kulturen sind. So zeigt sich die Diskriminierung entlang von Kultur etwa daran, dass auch mittelständische, gebildete, angepasste Minderheiten regelmäßig davon betroffen sind, und zwar nicht als einzelne Individuen, die unerkannt und ausnahmsweise als diskursive Formation nicht so sehr ins Gewicht fallen, sondern als Teil einer konstruierten und damit realen Gruppe, die mit ›dem Islam‹ identifiziert wird.

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

Die Kritik an Kultur als relevanter Kategorie und Dimension hängt sicherlich auch damit zusammen, dass in der Bundesrepublik Forschung, Theorie und Politik sich auf ›TürkInnen‹ konzentrieren, wie dies etwa in der Migrationsforschung oder in politischen Diskussionen zur Einbürgerung oder EU-Erweiterung der Fall ist. In ihrer großen Mehrzahl als ›GastarbeiterInnen‹ ins Land geholt, verweist die Sozialstruktur türkischer Eingewanderter tatsächlich darauf, dass hier andere als kulturelle Faktoren zentral zu berücksichtigen sind. Aber bereits die Spezifizierung dieser Gruppe (als KurdInnen, ArmenierInnen oder Juden/Jüdinnen etwa oder als selbst eingewandert, nachgezogen, hier aufgewachsen, pendelnd, als sozial auf- oder abgestiegene, elitäre Gruppe oder gänzlich chancenlose Generation), sowie die Berücksichtigung anderer Gruppen (wie iranischer Oppositioneller, irakischer StudentInnen, palästinensischer Flüchtlinge, aber auch aus der Türkei geflüchteter oder eingewanderter Studierender, Oppositioneller, KünstlerInnen, AkademikerInnen etc.) und weiterer Diskurse (internationaler Terrorismus, Nahostkonflikt, Geschlechterverhältnis, Körper- und Sexualitätskonzepte, Diskriminierung von Minderheiten etc.), die ebenfalls unter den Islamdiskurs subsumiert werden, verdeutlicht die Notwendigkeit, sich mit Kultur – in anderer als der üblichen Weise – zu beschäftigen. Denn durch die Konstruktion und Essenzialisierung einer ›islamischen Kultur‹ werden unterschiedliche soziale Gruppen, gesellschaftliche Themen, politische Positionen, kulturelle Ausdrucksformen zusammengefasst und bedeutsame Differenzen in Klassenzugehörigkeiten, politischen Positionierungen, Migrations- und Fluchtgeschichten, Herkunftsgesellschaften außer Kraft gesetzt. Auch die strukturellen Bedingungen ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik unterscheiden sich bei den unter ›Muslime‹ subsumierten Gruppen erheblich (etwa als ArbeitsmigrantInnen, die den hiesigen Arbeitsmarkt stabilisieren, indem ihnen noch weniger Rechte als den einheimischen ArbeiterInnen zugebilligt werden und deren Arbeitskraft ausgiebiger ausgebeutet werden kann, versus Flüchtlinge, die auf Grund eines Arbeitsverbots oder nicht-anerkannter hoher Bildungsabschlüsse nicht oder nur inadäquat berufstätig sein dürfen). Allein ihre hegemoniale Präsentation als kulturelle Gruppe, die durch ›den Islam‹ markiert wird, verbindet sie. Diese Schnittstelle ist Gegenstand des vorliegenden Buches. Die Fokussierung anderer als der üblichen Gruppen, Themen und Bezüge eröffnet

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KULTUR UND RASSISMUS

eine verschobene Perspektive auf ›Kultur‹ auch in jenen Zusammenhängen, die üblicherweise kulturalisiert und ethnisiert werden. Insofern trägt die Auseinandersetzung mit ›Kultur‹ dazu bei, deren Bedeutung zu reflektieren – auch im Kontext von Arbeitsmigration und sozialer Ungleichheit. Kulturelle Diskriminierung kann sowohl primär mit anderweitiger Diskriminierung verknüpft sein (vgl. etwa zu Kriminalisierung Spindler 2006 oder zu institutioneller Diskriminierung in der Schule Gomolla/Radtke 2007), der positive Bezug auf ›die andere Kultur‹ kann als eine Ressource (unter anderen) zum Umgang mit sozialer Ausgrenzung eingesetzt werden (vgl. etwa Çelik 2006; Tietze 2001, 2006) oder als Weg, über kulturelle Differenz selbstbewusst und integrativ einen Platz in der Mehrheitsgesellschaft zu erringen (vgl. Nökel 2002; Schiffauer 2008). Darüber hinaus und damit einhergehend dient die kulturelle Differenzierung im dominanten Kontext, wie sie im Begriff der ›Leitkultur‹ zum Ausdruck gebracht wird, der Selbstdefinition und -bestätigung ›des Eigenen‹, der eigenen Stellung innerhalb der (als different essenzialisierten) Kulturen, der Legitimation von Politik im Zusammenhang mit Einwanderung, Staatsbürgerschaft, europäischer Union, westlicher Allianz, militärischer (und atomarer) Überlegenheit und Weltherrschaft. Die Relation zwischen kultureller Essenzialisierung und politischer Macht sowie die sozialen und subjektiven Bezüge auf ›die eigene‹ durch Konstruktion und Ausgrenzung ›der anderen‹ Kultur, diese Themen bedürfen der kritischen Analyse. Dabei wird die problematische Dimension der Fokussierung auf Kultur, wie sie von Ethnisierungstheorien aufgezeigt wird, berücksichtigt und als solches das Phänomen der Kulturalisierung des ›Eigenen‹ in hegemonialer und dominanter Perspektive in den Mittelpunkt der Analyse gerückt. Dies geschieht mit Bezug auf einen gesellschaftskritischen und sozialwissenschaftlichen Kulturbegriff.

Der bedeutungsorientierte Kulturbegriff In gesellschaftskritischer Perspektive und von soziologischen Begriffen, Fragestellungen und Aufgaben ausgehend, ergänzt die poststrukturalistische Sozialwissenschaft mit Hilfe der Kategorie ›Kultur‹ die bislang zentralen Kategorien der Struktur und des

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

Subjekts. Als Bindeglied zwischen Struktur und Subjekt ist Kultur der Bereich, in dem Subjekte in den Strukturen handeln, sie sich aneignen, sie hervorbringen und transformieren. Demnach sind weder Strukturen noch Subjekte vorrangig, statisch oder deterministisch, sondern auf einander verwiesen und in einem Prozess. Dieser Prozess, in dem Strukturen und Subjekte sich auf einander beziehen, findet seinen Rahmen und seinen Ausdruck in der Kultur. Andreas Reckwitz (2008 b) definiert das ›kulturwissenschaftliche Forschungsprogramm‹ »als eine bestimmte Perspektive des Fragens und der Analyse« (ebd.: 15), »jeder Gegenstand der Geistes- und Sozialwissenschaften kann und soll nun als kulturelles Phänomen rekonstruiert werden« (ebd.: 16). Geleitet wird dieser Ansatz von der »[…] Einsicht, dass sämtliche Komplexe von Praktiken […] erst vor dem Hintergrund der jeweiligen, sehr spezifischen Sinnhorizonte und Bedeutungscodes möglich sind, ›normal‹ und ›rational‹ werden oder gar als notwendig und natürlich erscheinen« (ebd.: 27). Sinnsysteme organisierten die Wirklichkeit symbolisch und machten die Ebene der Kultur aus. Die Welt könne »nicht anders erfahren werden […], als dadurch, dass ihr fortwährend und meist implizit Bedeutungen verliehen werden. Sie ist zwangsläufig ›Bedeutungswelt‹« (ebd.: 26). Damit ist Kultur beweglich und kontingent. Reckwitz grenzt diesen ›bedeutungsorientierten‹ Kulturbegriff von drei weiteren ab: dem normativen, dem totalitätsorientierten und dem differenztheoretischen. Der ›normative‹ Kulturbegriff der Aufklärung gehe zwar von kontingenten Kulturen aus, setze jedoch bürgerliche Kultur als Maßstab und für ›jedermann‹ erstrebenswerte Lebensweise voraus. Der ›totalitätsorientierte‹ Kulturbegriff Herder‘scher Prägung dagegen »entuniversalisiert das Kulturkonzept, er kontextualisiert und historisiert es. […] Kulturen sind vielmehr spezifische Lebensformen einzelner Kollektive in der Geschichte« (ebd.: 22). Der Kontingenzgedanke werde hier jedoch dadurch eingeschränkt, dass Kulturen an einzelne Gemeinschaften gekoppelt würden. »Aus dieser Sicht gibt es zwar radikal unterschiedliche Lebensformen, aber für das einzelne Kollektiv (oder gar das einzelne Individuum) sind diese keineswegs austauschbar oder kombinierbar, vielmehr erscheint eine bestimmte Lebensweise idealerweise nach innen homogen und nach außen abgeschlossen« (ebd.: 23). Der ›differenztheoretische‹ Kulturbegriff wiederum beschränke Kultur »auf das enge Feld der Kunst,

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KULTUR UND RASSISMUS

der Bildung, der Wissenschaft und sonstiger intellektueller Aktivitäten« (ebd.: 24). Diese drei Kulturbegriffe seien in alltäglichen, aber auch in politischen und wissenschaftlichen Kontexten verbreitet. Von ihnen unterscheidet sich der ›bedeutungsorientierte‹ Kulturbegriff vor allem darin, dass er zwar Differenz denkt (Kultur ist kontingent und beweglich), sie jedoch weder in einem linearen Entwicklungsmodell noch in einem horizontalen Modell abgeschlossener Kulturen verortet. In Abgrenzung zu Struktur bzw. Individuum zentrierten Ansätzen wiederum erscheinen Handelnde hier nicht als »interessensorientierte, nutzenkalkulierende Individuen oder als normund rollenkonforme Akteure« (ebd.: 31). Vielmehr strebt diese kulturtheoretische Forschungsperspektive die Überwindung der Entgegensetzung von Struktur und Subjekt an, indem sie sie im Konzept der Kultur synthetisiert. Als poststrukturalistische Theorie setzt sie sich produktiv mit Strukturalismus auseinander und transformiert ihn derart, dass nun Subjektpositionen mitgedacht werden. Diesem Profil geht es darum, »die kontingenten symbolischen Ordnungen und Wissensbestände als konstitutive Voraussetzungen sozialer Praktiken ans Tageslicht [zu] bringen, vor deren Hintergrund bestimmte Interessen erst definiert und Normen normal erscheinen, vor deren Hintergrund etwaige Nutzenkalküle und Rollenkonformität erst als kultureller Standard für Akteurskompetenz gelten können.« (Ebd.: 31)

»Aus dieser Perspektive gibt es nicht die Gesellschaft als objektiven Gegenstand, sondern verschiedene prekäre Diskursivierungsweisen von Gesellschaft« (Stäheli 2000: 8). Mit Foucault werden Diskurse als in bestimmten historischen Konstellationen machtförmig hervorgebrachte Ordnungen des Denk- und Sagbaren definiert. Sie strukturieren das Wissen und begründen das, was als Wahrheit gilt (vgl. Reckwitz 2008 a). Sie werden mit Hilfe von Disziplinierungsmaßnahmen durchgesetzt, die sogar in Gestalt von Schulen, Psychiatrien und Gefängnissen nicht auf die Unterdrückung der Subjekte zielen, sondern auf die Hervorbringung angepasster Individuen, die sich selbst produktiv um die Einhaltung und Befolgung der Ordnung bemühen (vgl. Moebius 2008 b).

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

Die Differenz der Diskurse wiederum, die um Hegemonie kämpfen, wird mit Bezug auf Saussures Differenzbegriff und die Zuspitzung durch Derrida begründet. Demnach verweist die Bezeichnung einer Sache auf das, wovon es unterschieden wird und kann deswegen immer nur in Relation zu diesem ›Anderen‹ nachvollzogen werden. Nichts kann aus sich selbst heraus erklärt werden, sondern das Ausgeschlossene und die Beziehung zu ihm müssen zentral berücksichtigt werden (vgl. Stäheli 2000). Derridas Begriffe der Différance und der Dekonstruktion zielen auf die Irritation und Destabilisierung dessen, das als in sich geschlossen und eindeutig, das aus sich heraus sinnhaft erscheint. Dekonstruktion führt das ›konstitutive Außen‹, das ausgeschlossen worden war, um die innere ›Reinheit‹ zu konstruieren, wieder ein. Dies geschieht jedoch nicht in konservierendem Sinne. Vielmehr stellt die Wieder-Einführung eine veränderte Bezugnahme dar, da sich die Bedeutungen (bereits durch den Ausschluss) verschoben haben. Zudem hinterlässt das ausgegrenzte Außen als Teil und Bedingung des Inneren Spuren, die auch nach dem Ausschluss noch bleiben (und sich beispielsweise im Exotismus, in der Hervorhebung des ausgeschlossenen Eigenen im Anderen, zeigen). Damit wird jedoch die vollständige Schließung verhindert. Dies führt zu immer neuen Schließungsversuchen, ›das Eigene‹ muss fortwährend aktiv und deutlich vom ›Fremden‹ geschieden werden. Dennoch gibt es auch »für Derrida […] noch Systeme, ihr Funktionieren wird aber immer wieder durch eine Selbst-Kontamination unterbrochen« (ebd.: 24; vgl. zum Zusammenhang von Saussure, Derrida und Foucault auch: Quadflieg 2008). Für die Analyse von Gesellschaft greifen Ernesto Laclau und Chantal Mouffe Derridas Begriff des ›konstitutiven Außen‹ auf. Mit Hilfe des ›konstitutiven Außen‹ versucht die Gesellschaft, »sich selbst als geschlossene Einheit zu etablieren« (Stäheli 2000: 34). Das ›Wir‹ wird vereinheitlicht und in Gegensatz zu verschiedenen ›Anderen‹ gebracht. Dabei werden Subjektpositionen universalisiert, indem sie »sowohl als erstrebenswert wie auch als vernünftigerweise alternativlos präsentiert [werden]« (Reckwitz 2008 c: 86). Damit wird jedoch gleichzeitig offenkundig, dass es im Gegensatz zu diesem ›universellen Horizont‹ auch eine Alternative geben muss, von der das Erstrebenswerte und Alternativlose ja gerade unterschieden wird. »Das Fehlschlagen dieser Totalisierungsversuche ist die Konsequenz aus der Paradoxie (und nicht

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KULTUR UND RASSISMUS

der Tautologie), welche Gesellschaft ›begründet‹: eine Differenz zu sein, die sich gleichzeitig als Identität zu totalisieren versucht und so ihr konstitutives Außen zu vergessen trachtet« (Stäheli 2000: 34). Die Differenzmarkierung zwischen positiven universellen Identitäten und negativen des konstitutiven Außen werden in kulturellen Hegemonien ausgetragen. »Subjektpositionen sind damit in Laclaus Perspektive vor allem als Gegenstände gesellschaftlicher Hegemonialisierungen und komplexer Enthegemonialisierungen (gefolgt von erneuten Hegemonien), sie sind als Zielscheibe politisch-kultureller Definitionskämpfe zu analysieren« (Reckwitz 2008 c: 87). Laclau und Mouffe greifen hierzu auf Gramscis Hegemonietheorie zurück. Antonio Gramscis Konzept der ›kulturellen Hegemonie‹ geht davon aus, dass Macht dezentriert sei. Die Zwangsinstrumente des Staates würden durch verschiedene andere Institutionen und Beziehungen wie Familie, Schule, kirchliche und kulturelle Organisationen ergänzt und unterstützt. Diese privaten und halböffentlichen Sphären, die ohne die Anwendung direkter Gewalt über Konsensbildung die Zustimmung der Bevölkerung zu staatlicher Herrschaft herbeiführten, bezeichnet Gramsci als ›Zivilgesellschaft‹.2 Sie präge das Alltagsbewusstsein und übernehme damit wichtige herrschaftssichernde Funktionen. Durch sie könnten Herrschaftssysteme auf totalitäre Gewalt verzichten, die auf Dauer Gegenwehr und Revolutionen hervorbrächten. Gleichzeitig seien sie der Ort, an dem Veränderung durch Bildung möglich und notwendig sei. Gramsci geht im Unterschied zum marxistischen Mainstream nicht davon aus, dass veränderte Strukturen ohne weiteres und wie selbstverständlich auch die Menschen verändern würden. Denn die kulturelle Hegemonie habe ein Alltagsbewusstsein auch bei ›Subalternen‹ hervorgebracht, das erst gebildet werden müsse, um den Konsens zu zerstreuen, Widerstand zu leisten und Transformationen einzuleiten (vgl. Bernhard 2005). Bezugnehmend auf die Bedeutung der kulturellen Hegemonie, wie sie von Gramsci herausgearbeitet wurde, jedoch in deutlicherer Abgrenzung zu marxistischen und strukturalistischen Theorien, weisen Laclau und Mouffe die Annahme eines Zentrums zu2

Damit unterscheidet sich Gramscis Begriff von ›Zivilgesellschaft‹ von dem im Deutschen üblichen.

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rück und verstehen Hegemonie als »komplexes, diskursiv-materielles Geflecht […, das] auf die Einbindung immer neuer diskursiver Elemente angewiesen [ist]« (Stäheli 2000: 38). Diese sind nicht beliebig, sondern müssen in der Lage sein, als Antagonismen ein Innen und ein Außen der Gesellschaft zu konstituieren. »Es ist wichtig zu sehen, dass die Formung von Antagonismen auf Mechanismen beruht, die zum einen eine Identifikation mit dem ›Wir‹ erlauben, zum anderen gleichzeitig die Abgrenzung von etwas, das nicht nur anders, sondern unvergleichbar und bedrohlich erscheint« (ebd.: 36). Um eine Einheit der Gesellschaft über den Diskurs und die Identität herbeizuführen, wird mit Hilfe ›leerer Signifikanten‹ (Laclau) kulturelle Hegemonie zu erreichen versucht. ›Leere Signifikanten‹ sind »inhaltlich unterbestimmte und höchst bedeutungsoffene Begriffe wie ›Freiheit‹, ›Demokratie‹, ›Natur‹, ›Kultur‹ etc.« (Moebius 2008 b: 167). »Nach Laclau versuchen hegemoniale Projekte nicht nur, einen Sinn herzustellen und eine symbolische Ordnung zu konstituieren, sondern diese auch als einzig mögliche zu universalisieren« (ebd.: 166). ›Kultur‹ und das kulturwissenschaftliche Programm, wie sie hier konzipiert werden, stimmen mit dem postkolonialen Kulturbegriff in Bezügen und Argumentationslinien überein, weswegen postkoloniale Studien häufig unter poststrukturalistische Theorien subsumiert werden (vgl. Reckwitz 2008 a; Moebius 2009). Sie selbst tun sich schwer damit, sich dieser oder einer anderen ›Schule‹ zuzuordnen bzw. distanzieren sich von den Zuordnungen durch andere. Obwohl postkoloniale Studien insbesondere kulturelle Phänomene und Werke analysieren, binden sie ihre Arbeiten deutlicher als die poststrukturalistischen Kulturtheorien in ökonomische, politische und strukturelle Begründungen ein. Dies mag damit zusammenhängen, dass das kulturwissenschaftliche Forschungsprogramm in den Sozialwissenschaften entwickelt wird. Auf dem Hintergrund der Überbetonung von Strukturen, wie sie innerhalb der eigenen Disziplin üblich ist, stellt die Hervorhebung anderer Aspekte eine Erweiterung von Perspektiven dar. Dagegen sind postkoloniale Studien vornehmlich in den Literatur- und Kunstwissenschaften verbreitet. Hier besteht die Tendenz, strukturelle und politische Aspekte zu vernachlässigen. Die jeweilige Akzentuierung derjenigen Kategorie, die in der eigenen Disziplin

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regelmäßig marginalisiert wird, kann also als Gegengewicht verstanden werden. Sie muss nicht die vollständige Vernachlässigung des sonst üblichen Bezugs bedeuten, kann jedoch die Fokussierung jener Dimensionen erklären, die innerhalb der Disziplin erklärungsbedürftig erscheinen und vernachlässigt werden. Der Unterschied zwischen einer genuin poststrukturalistischen und einer postkolonialen Perspektive zeigt sich gleichwohl in der Frage danach, in welchen historischen, gesellschaftlichen, politischen Kontexten einige Diskurse jenseits ihrer quantitativen Überzahl oder historisch gewachsenen Normalität und Normativität in der Lage sind, hegemonial zu werden und sich durchzusetzen, wann also kulturelle Hegemonie mit Rassismus, (Neo-)Kolonialismus, Imperialismus einhergeht und beide sich unterstützen bzw. ihre gegenseitige Hervorbringung ermöglichen. Zur Analyse dieser Frage beziehen postkoloniale Studien diskursive Macht und politische Herrschaft aufeinander. Unter zentraler Berücksichtigung von Neoliberalismus und Globalisierung etwa kann dann nachvollzogen werden, wie ›westliche Hegemonie‹ ohne die direkte Anwendung von Gewalt die Arbeitsmärkte und Bildungssysteme in ›der Peripherie‹ entscheidend prägen kann ohne es überhaupt nötig zu haben, in diskursive Machtkämpfe mit marginalisierten Diskursen einzutreten. Auch hier funktioniert Ausbeutung nicht (mehr) ausschließlich oder primär über direkte Gewalt, sondern geht mit kultureller Hegemonialisierung einher. Diesen Zusammenhang zu analysieren unterscheidet postkoloniale Studien wiederum von klassischen marxistischen oder soziologischen Theorien. Die Fokussierung von Kultur rekonstruiert den kulturellen Beitrag zu Ausbeutung und Beherrschung und verortet damit Kultur als drittes Element neben Struktur und Subjekt.

D i s k u r s i ve M a ch t k ä m p f e u n d d e k o n s t r u k t i ve I n t e r ve n t i o n e n Übereinstimmend verstehen die postkolonialen TheoretikerInnen die Aufdeckung und Kritik hegemonialer Diskurse als politische Intervention. Darüber hinaus analysieren sie jene Diskurse, die die hegemonialen kritisieren, zurückweisen, durchkreuzen, verschieben, ironisieren etc. Hierzu beschäftigen sie sich mit populär- und subkulturellen Werken sowie mit Migrationskultur unter der Fra-

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gestellung ihrer Potentiale als gegenhegemoniale, antiessentialistische und subversive. Etwas euphorisch formuliert Homi Bhabha: »Während einst die Weitergabe nationaler Traditionen das Hauptthema einer Weltliteratur war, können wir jetzt möglicherweise annehmen, dass transnationale Geschichten von Migranten, Kolonisierten oder politischen Flüchtlingen – diese Grenzlagen – die Gebiete der Weltliteratur sein könnten. Im Zentrum einer solchen Studie stünde weder die ›Souveränität‹ nationaler Kulturen noch der Universalismus der menschlichen Kultur, sondern eine Konzentration auf jene ›verrückten sozialen und kulturellen De-plazierungen‹« (Bhabha 2000: 18).

Entsprechend fokussiert Bhabha als hybride Kulturen jene Orte und Produkte, in denen die Grenzziehungen aufgehoben seien und die kulturellen Überlappungen und gegenseitigen Beeinflussungen darauf hindeuten, dass von in sich geschlossenen, dichotomen Kulturen nicht die Rede sein könne. Derartige Hervorhebungen und Visionen sind zweifellos notwendig, um Essenzialisierungen zu dekonstruieren und alternativen Praxen Bedeutungsmacht zu verleihen. Allerdings sollte hierbei nicht vernachlässigt werden, dass die Folgen der Essenzialisierungen und Konstruktionen real sind und einen wesentlichen Aspekt im Lebensalltag von Subjekten haben, auch dann, wenn sie bestrebt sind, ihre dominante oder marginalisierte Position zu überwinden. Sie stellen (neben und in Verknüpfung mit Klasse, Geschlecht etc.) materielle Bedingungen dar, die es den Subjekten ermöglichen oder erschweren, sich jenseits von Essenzialisierungen zu imaginieren und zu bewegen. Die Entfaltung hybrider Kulturen ist angewiesen auf analytische Theorie und widerständige Politik, die die Essenzialisierungen in Diskursen, Praxen und Institutionen aufzeigen. Gleichwohl sind auch Theorie und Politik auf jene AkteurInnen und Aktionen angewiesen, die die Möglichkeit von Subversion und Hybridität bereits in der Gegenwart hervorheben, indem sie in ›dritten Räumen‹ die Widersprüche und Kontingenz zur Dekonstruktion und Transformation nutzen und einfordern. Stuart Hall betont zwar auch die Hybridität von Kulturen, hebt jedoch gleichzeitig die Notwendigkeit von Positionierungen entlang kultureller Identitäten hervor. Er schlägt ›Wieder-Erzählungen‹ als »Ressourcen des Widerstands und der Identität«

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(1994: 29) vor. Dabei geht es ihm nicht »nur um die Erschließung dessen, was die koloniale Erfahrung begraben und überlagert hat, darum, die versteckten Kontinuitäten ans Licht zu bringen, die von der kolonialen Erfahrung unterdrückt worden sind« (ebd.: 28). Vielmehr betont er die Notwendigkeit »zu lernen, schwarz zu sein« (ebd.: 81), kulturelle Identität als Ressource für Widerstand zu nutzen. Gleichzeitig betont Hall, dass auch dominante Subjekte lernen müssten, sich zu positionieren. »Moderne Theorien des Sprechens zwingen uns anzuerkennen, daß immer von einem Ort aus gesprochen wird. Das Sprechen muß einen Ort und eine Position haben und ist immer innerhalb eines Diskurses positioniert. Erst wenn ein Diskurs vergißt, daß er verortet ist, versucht er für alle zu sprechen. Dies ist genau der Fall mit dem Englischsein als Weltidentität, für die alles andere nur eine kleine Ethnizität ist. […] In Wirklichkeit kommt es von einem Ort, einer spezifischen Geschichte und Anordnung von Machtbeziehungen. In diesem Sinne ist der Diskurs immer lokalisiert. Damit scheint das Moment der Wiederentdeckung eines Ortes, einer Vergangenheit, der eigenen Wurzeln und des Kontextes ein notwendiges Moment des Sprechens zu sein.« (1994: 61 f.)

Während Hall also die Bedeutung kultureller Identität für marginalisierte Subjekte als Ressource für Widerstand versteht, weist er ihr für dominante Subjekte eine selbstreflexive Bedeutung zu. Die Positionierung zielt hier darauf, sich bewusst zu machen, dass die eigene kulturelle Identität eine begrenzte ist, die sich jedoch, indem sie sich als universale versteht und verhält, Andere marginalisiert. Gleichwohl betont Hall, dass »die Herausbildung nationaler kultureller Identitäten selbst als Hybridbildung zu fassen [ist], in der heterogene, ethnische, kulturelle, sprachliche, soziale und regionale Elemente zu einer widersprüchlichen Einheit gewaltsam zusammengefügt wurden« (1994: 12). Jede kulturelle Identität vereinigt demnach unterschiedliche Kulturen in sich, die auch in ihrer Widersprüchlichkeit als berechtigte anzuerkennen seien. Die »Konstruktion von Identität durch Differenz« (ebd.: 11) ist ihm zufolge aber »kein endloses Spiel der Differenzen […], weil soziale Akteure, um Selbstbewußtsein zu erlangen, handeln und Widerstand leisten zu können, sich in den Auseinandersetzungen positionieren müssen« (ebd.: 11).

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Dekonstruktive Praxen werden von den postkolonialen TheoretikerInnen an den Rändern verortet, in den inneren Brüchen, Widersprüchen, Ambivalenzen und in der Aufdeckung von Kontingenz. »Der westliche Imperialismus und der Nationalismus der Dritten Welt nähren sich gegenseitig, doch selbst in ihren ärgsten Exzessen sind sie weder monolithisch noch deterministisch« (Said 1994: 29). Hier findet Said widerständige Diskurse und Praxen vor. Als Beispiele nennt er das ›kontrapunktische Lesen‹ und das ›Zurückschreiben‹. Dabei handelt es sich um Methoden, Essenzialisierungen offen zu legen und ihnen andere Lese- und Schreibweisen entgegen zu setzen. ›Kontrapunktisches Lesen‹ meint, »das ganze Archiv der modernen und vormodernen europäischen und amerikanischen Kultur mit dem Vorsatz [zu] lesen, alles, was in solchen Werken stumm, nur marginal präsent oder ideologisch verzerrt dargestellt ist, herauszustellen, zu bezeichnen und ihm Nachdruck und Stimme zu verleihen […]. Praktisch bedeutet ›kontrapunktisches Lesen‹ die Lektüre eines Textes mit wachem Verständnis für das, was im Spiele ist, wenn ein Autor beispielsweise darlegt, daß eine koloniale Zuckerplantage wichtig für die Aufrechterhaltung eines besonderen Lebensstils in England ist.« (Ebd.: 112)

Gleichzeitig sei es notwendig herauszustellen, »daß nämlich diese Kolonien später von direkter und indirekter Herrschaft befreit wurden« (ebd.: 112). »Entscheidend ist, daß ein kontrapunktisches Lesen beides in Rechnung stellen muß, den Imperialismus und den Widerstand gegen ihn, und zwar indem wir die Lektüre der Texte so erweitern, daß sie einschließt, was einst gewaltsam ausgeschlossen worden war« (ebd.: 112). Ergänzt wird das ›kontrapunktische Lesen‹ durch das ›Zurückschreiben‹; darunter versteht Said »das Antworten auf die metropolitanischen Kulturen, die Unterbrechung der europäischen Erzählungen vom Orient und von Afrika und ihre Ersetzung durch einen entweder verspielteren oder kraftvollen neuen Erzählstil. […] Das bewußte Bestreben, in den Diskurs Europas und des Westens einzutreten, ihn zu verwandeln und ihn dazu zu bewegen, marginalisierte, verdrängte oder vergessene Geschichten anzuerkennen.« (Ebd.: 295)

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Mit seinen Vorschlägen versucht Said auf dem Hintergrund seiner Analysen und des foucaultschen Diskursbegriffs, marginalisierten Diskursen im Machtkampf um Bedeutungen Gewicht zu verleihen. Gayatri Spivak (1999, 2008) dagegen kritisiert den Bezug zu Foucault, demzufolge marginalisierten Diskursen zu mehr Gehör und Macht verholfen werden müsse. Sie geht davon aus, dass die einst ausgeschlossenen Diskurse nicht mehr zurück geholt werden könnten, da sie in dieser Form nicht mehr existierten. Auch sie hätten sich durch den Ausschluss verändert. Vielmehr analysiert sie das Schweigen der Einen und Nicht-Zuhören der Anderen in Abhängigkeit von strukturellen und materiellen Bedingungen, in die auch diejenigen verstrickt seien, die Subalternen zu mehr Gehör verhelfen wollten. Diese stünden in der Verantwortung, sich selbst permanent auf ihre eigene Privilegierung hin zu befragen und zugleich dafür zu sorgen, dass marginalisierte Subjekte sprechen könnten und ihnen zugehört werde. Gleichzeitig betont Spivak die Unmöglichkeit widerspruchsfreier Repräsentation und kritisiert, dass Identitätspolitiken die ›Zerstreuung‹ und ›Dezentrierung‹ von Identitäten missachte und stets auf Kosten Anderer gehe. Mit Bezug auf Derrida schlägt Spivak eine ›De-Hegemonisierung‹ hegemonialer Positionen vor und stellt die Notwendigkeit des Verlernens von privilegiertem Wissen in den Vordergrund, da es durch koloniale und neokoloniale Interessen durchdrungen sei. Im Anschluss daran könne erst der Prozess der Globalisierung und seine Wirkungen auf den Lebensalltag von Subalternen in der Peripherie nachzuvollziehen versucht werden. Spivak gibt zu bedenken, »that knowledge of the other subject is theoretically impossible« (1999: 283) und es sich dabei stets um eine Transformation handelt. Ihr zentrales Anliegen beschreibt Spivak pointiert als ein »›sich Anlegen mit dem Apparat der Wertekodierung‹« (zit. n. Castro Varela/Dhawan 2005: 58). Die unterschiedlichen Bezüge zu Foucault (diskursive Machtkämpfe) beziehungsweise Derrida (dekonstruktive Interventionen) prägen insbesondere die Analyse von Diskursen und Praxen im Kontext von Marginalisierung, Hybridität, Brüchen, Ambivalenzen und Kontingenz. Demgegenüber eigenen sich zur Analyse dominanter Diskurse beide Bezüge, da sie gleichermaßen darauf zie-

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len, die Machtförmigkeit der Diskurse und den Konstruktionsprozess der Essenzialisierung von Kulturen offen zu legen. Sowohl Foucault als auch Derrida arbeiten die Beziehung von Kultur und Macht heraus und kontextualisieren sie historisch, politisch und gesellschaftlich.

Kulturelle Differenz und Rassismus Postkoloniale Studien gehen davon aus, dass Rassismus als kultureller Faktor in wissenschaftlichen Analysen und politischen Interventionen zentral berücksichtigt werden müsse. Durch die einschneidende Erfahrung von Rassismus und seine kulturelle Hegemonie habe er Bedeutung erlangt, die alle Lebensbereiche durchziehe und die Kulturen von dominanten und marginalisierten Subjekten präge. Übereinstimmend wird dabei auf die Arbeiten von Frantz Fanon als Wegbereiter der postkolonialen Kritik verwiesen. Frantz Fanon thematisiert in Schwarze Haut, weiße Masken (1952, hier 1985) und Die Verdammten dieser Erde (1961, hier 1981) die Folgen von Kolonialismus und Rassismus auf die Selbst- und Fremdbilder der davon betroffenen Subjekte. Er verbindet marxistische und psychoanalytische Theorien zu einer »klinische[n] Studie«, in welcher er versucht, »die verschiedenen Positionen herauszufinden, die der Neger gegenüber der weißen Zivilisation einnimmt« (1985: 11). »Wenn es einen Minderwertigkeitskomplex gibt, so infolge eines doppelten Prozesses: zunächst eines ökonomischen, sodann durch Verinnerlichung oder besser Epidermisierung dieser Minderwertigkeit« (ebd.: 10). Auf den zweiten Aspekt konzentrieren sich Fanons Studien. Die Internalisierung rassistischer Zuschreibungen und Bewertungen durch Schwarze setzt er mit ›weißen‹ Rassismen in Bezug. »Die Inferiorisierung auf seiten der Eingeborenen entspricht der europäischen Superiorisierung. Haben wir den Mut, es auszusprechen: Es ist der Rassist, der den Minderwertigen schafft« (ebd.: 68). Dies könne durch unterschiedliche Konstruktionen geschehen: »Beim Juden denkt man ans Geld und seine Ableger. Beim Neger an den Sex« (ebd.: 115). »Der Neger stellt die biologische Gefahr dar. Der Jude die intellektuelle Gefahr« (ebd.: 117). Dagegen konstruiere sich der Kolonisator als höherwertig. In der Internalisierung dieser Zuschreibungen und

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Bewertungen sieht Fanon den maßgeblichen Grund, dass sich Kolonisierte der ›europäischen Kultur‹ zuwendeten. »Der Kolonisierte hat die Kultur des Unterdrückers angenommen und sich auf sie eingelassen; er hat dafür zahlen müssen. Unter anderem damit, daß er sich die Denkformen der kolonialen Bourgeoisie zu eigen machte« (1981: 41). Daher könne koloniale Befreiung nur dann erreicht werden, wenn die ökonomische und politische Unabhängigkeit von der kulturellen und subjektiven Befreiung begleitet werde. »Der Schwarze muß den Kampf auf beiden Ebenen führen: da sie historisch einander bedingen, ist jede einseitige Befreiung unvollkommen, und der schlimmste Irrtum wäre, an ihre mechanische Unabhängigkeit zu glauben« (1985: 10). Dieser Ansatz, der Rassismus und Rassismuserfahrung in den Vordergrund stellt, unterscheidet sich vom üblichen Zugang, der mit kultureller Differenz argumentiert. Der Unterschied beruht hier weniger auf der Berücksichtigung des Machtaspekts als vielmehr in der Weise, wie Kultur und Macht aufeinander bezogen werden. Um den postkolonialen Zugang zu verdeutlichen, wird Fanons Argumentation mit jener von Lévi-Strauss3 kontrastiert. Die UNESCO gab Anfang der 50er Jahre wissenschaftliche Expertisen in Auftrag mit dem Ziel, dem Rassismus die Argumentationsbasis zu entziehen. Der Ethnologe Claude Lévi-Strauss legte eine umfangreiche Studie unter dem Titel Race et Histoire (1952) vor, die 1972 in deutscher Übersetzung und allgemein zugänglich unter dem Titel Rasse und Geschichte veröffentlicht wurde. Darin argumentiert er, dass es trotz großer Überschneidungen auch bedeutsame kulturelle Unterschiede zwischen Ethnien gäbe, deren Leugnung – und nicht nur deren Auslöschung – diskriminierend und ethnozentrisch sei. Damit würde der spezifische Beitrag der verschiedenen Kulturen zur menschlichen Zivilisation missachtet und herabgewürdigt. »Das Problem der Ungleichheit der ›Rassen‹ kann also nicht dadurch gelöst werden, daß man ihre Existenz verneint« (ebd.: 10). Problematisch sei allerdings, so Lévi-Strauss, die Naturalisierung von Kultur: »Alles, was nicht der Norm entspricht, nach der man selber lebt, wird aus der Kultur in den Be3

Lévi-Strauss ist auch deswegen von Interesse, weil seine Bezüge zu Saussure (Relationalität) und Derrida (Nullwert) für poststrukturalistische Sozialwissenschaften von Bedeutung sind (vgl. Stäheli 2000).

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reich der Natur verwiesen« (ebd.: 17). Dieses Phänomen bezeichnet er als Ethnozentrismus. Im Unterschied zur Biologisierung von ›Rassen‹ versteht er Kulturdifferenz als etwas Gewordenes: »Wenn eine solche Originalität vorhanden ist – und das ist ohne Zweifel der Fall –, so rührt sie von den geographischen, historischen und soziologischen Verhältnissen her und nicht von bestimmten Fähigkeiten, die etwas mit der anatomischen oder physiologischen Konstitution von Schwarzen, Gelben oder Weißen zu tun hätten.« (Ebd.: 8 f.)

Die Universalisierung der westlichen Zivilisation führt er auf historische Prozesse zurück: »Die westliche Zivilisation hat in der ganzen Welt ihre Soldaten, Niederlassungen, Plantagen und Missionare etabliert; sie hat, direkt oder indirekt, in das Leben der farbigen Völker eingegriffen; sie hat ihre traditionelle Lebensweise von Grund auf umgewälzt, indem sie entweder ihre eigne durchsetzte oder Verhältnisse schuf, unter denen sich die vorhandenen Strukturen auflösten, ohne daß sie durch andere ersetzt wurden. Die unterjochten oder desorganisierten Völker hatten also keine andere Wahl, als die Ersatzlösungen, die man ihnen bot, zu akzeptieren oder, wenn sie dazu nicht bereit waren, darauf zu hoffen, daß sie sich ihnen so weit anpassen könnten, um sie mit ihren eignen Waffen schlagen zu können.« (Ebd.: 50)

Lévi-Strauss‘ Studie löste einige Irritation aus.4 Mit dem Sieg über den Nationalsozialismus sollte jegliche Differenzierung zwischen Nationen auf Grund kultureller Kategorien vermieden werden. Lévi-Strauss rückt jedoch genau diesen Wunsch in die Nähe des ›Völkermordes‹.5 Indem er jedoch die Differenz analytisch von der

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Etienne Balibar (1990) zieht sie als Beispiel für differentialistischen Rassismus heran. Im Unterschied zum biologistischen Rassismus argumentiere der Neo-, Kultur- oder differentialistische Rassismus mit der Unterschiedlichkeit von Kulturen. Auf diese Argumentation stützen sich rechtsextreme und z.T. auch konservative Forderungen: Restriktive Ausländer- und Asylgesetze lägen nicht nur im Interesse des ›deutschen‹, sondern auch der ›anderen‹ ›Völker‹, da sie jeweils ›rein‹ gehalten würden und nur so überleben könnten.

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Macht trennt und beide historisch aufeinander bezieht, gelingt es ihm, der Diskussion eine bedeutsame Wendung zu geben. Lévi-Strauss war Schüler von Franz Boas, der in den USA die Sozialanthropologie wesentlich prägte. Ihren Studien zufolge seien Kulturen keine ontologischen oder essenzialistischen Gebilde, sondern gingen aus historischen Prozessen hervor. Diese könnten nicht nachvollzogen werden, wenn eigene Maßstäbe zur Analyse und Bewertung angelegt würden. Demgegenüber müssten aus den Innensichten der AkteurInnen jene Bedingungen und Bedeutungen zu Grunde gelegt werden, die zu einer jeweils spezifischen kulturellen Form beigetragen hätten. Entsprechend verbiete sich die Diskriminierung der fremden und Privilegierung der eigenen Gruppe. In der Nachfolge Boas würden jedoch (Hauck 2006 zufolge) die beiden zentralen Aspekte seines Ansatzes, der Relativismus und die Historizität, unterschiedlich gewichtet, nur selten erfüllten die Arbeiten beide Aspekte gleichermaßen. So sei die Betonung des Kulturrelativismus häufig damit einhergegangen, die ›fremde Kultur‹ als in sich geschlossene zu beschreiben (und zu exotisieren und zu glorifizieren)6. Die Hervorhebung ihrer Hybridität und Wandelbarkeit wiederum wurde häufig mit der Forderung nach Assimilation von Eingewanderten und Minderheiten verbunden.7 Dieser Kulturbegriff ist heute in seinen unterschiedlichen Auslegungen und Folgen weit verbreitet und liegt der Diskussion um Multikulturalismus zu Grunde (vgl. etwa Taylor 1993). Lévi-Strauss‘ und Fanons Ansätze markieren die zentralen Positionen zur Thematisierung der Bedeutung von Kultur im Kontext von Rassismus. Der Fokus wird dabei – Lévi-Strauss – folgend auf den Differenzaspekt oder – Fanon folgend – auf den Machtaspekt gelegt. Beide beziehen den jeweils anderen Aspekt ein, dennoch wird in der unterschiedlichen Akzentuierung die Differenz zwischen den Kulturbegriffen beider Ansätze deutlich: Lévi-Strauss kontextualisiert seinen Kulturrelativismus zwar historisch und im Zusammenhang mit Imperialismus und Kolonialismus, tendiert jedoch dazu, die ›fremden Kulturen‹ zu exotisieren und gerät zuweilen ins Schwärmen und Träumen. Dagegen ist 6 7

Als Beispiel nennt Gerhard Hauck die Arbeiten von Ruth Benedict und Margret Mead, beides Schülerinnen von Franz Boas. Die Chicago Schule um Robert Park dient Hauck hierzu als Beispiel.

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bei Fanon nichts von einer heilen Welt zu spüren, seine antirassistische Argumentation fokussiert die negativen Folgen für alle Beteiligten. Das Recht auf kulturelle Differenz steht hier dem Kampf gegen Rassismus gegenüber.

Das Dilemma kultureller Identität In Fanons Schriften sind Struktur, Kultur und Subjekt eng aufeinander bezogen, die postkoloniale Perspektive klingt hier bereits an. In postkolonialen Studien gewinnt allerdings der Rassismus über die direkte Erfahrung von Kolonialismus hinaus Bedeutung im Kontext der nachkolonialen Erfahrung von ehemals Kolonisierten und Versklavten sowie ihren Nachkommen, aber auch von Ausgebeuteten und Ausgegrenzten im Zuge der Migrations- und Globalisierungsprozesse. Bezüglich ihrer Reichweite für Eingewanderte variieren jedoch die Analysen und Einschätzungen jener AutorInnen, die der postkolonialen Theorie zugeordnet werden: Während einige ihren Schwerpunkt auf die internationale Arbeitsteilung und die Ausbeutung in der ›Peripherie‹ legen (vgl. Spivak 1999, 2008), fokussieren andere die Situation von (aufgestiegenen) Minderheiten in den westlichen Metropolen (vgl. Bhabha 2000), wieder andere konzentrieren sich auf die Befreiungskämpfe und Bürgerrechtsaktivitäten von ehemals Kolonisierten in den ›Mutterländern‹ (vgl. Hall 1989, 1994) oder beschäftigen sich zentral mit der Wissensproduktion des ›Westens‹ über ›den Orient‹ bzw. ›den Rest‹ über die Jahrhunderte hinweg bis hin zu aktuellen Fragen des politischen Weltgeschehens (vgl. Said 1981, 1997 a). Gemeinsam ist ihnen dennoch, dass sie den Zusammenhang zwischen ökonomischer Ausbeutung und politischer Herrschaft einerseits und kultureller Repräsentation und subjektiver Verortung andererseits betonen bzw. zentral bearbeiten. Den Zusammenhang von Kultur und Macht in ihrer politischgesellschaftlichen Entwicklung hebt Stuart Hall (1994) hervor, wenn er von ›kultureller Identität‹ spricht. »Kulturelle Identitäten sind die instabilen Identifikationspunkte oder Nahtstellen, die innerhalb der Diskurse über Geschichte und Kultur gebildet werden. Kein Wesen, sondern eine Positionierung« (ebd.: 30).

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»Es geht hier um die Anerkennung der außerordentlichen Verschiedenheit der Subjektpositionen, der sozialen Erfahrungen und kulturellen Identitäten, welche zusammen die Kategorie ›schwarz‹ bilden – um die Anerkennung der Tatsache, daß ›schwarz‹ eine wesentlich politisch und kulturell konstruierte Kategorie ist, die nicht auf einem Ensemble von festen transkulturellen oder transzendentalen ›rassischen‹ Kategorien gründet und deshalb auch keine Garantien in der Natur findet.« (Ebd.: 18)

Halls Konzept der Positionierung setzt spezifische Analysen und Politiken voraus: »Zweifellos gibt es bestimmte allgemeine Züge des Rassismus. Aber noch bedeutsamer sind die Formen, in denen diese allgemeinen Züge durch den historisch spezifischen Kontext und die jeweilige Umwelt, in denen sie wirksam werden, modifiziert und transformiert werden« (Hall 1989: 85). Die kolonialen Auseinandersetzungen und die gegenwärtigen postkolonialen Erfahrungen wiesen trotz struktureller Parallelen erhebliche Unterschiede auf in ihren Beiträgen zu marginalisierten und dominanten Kulturen. Sklaverei und Kolonisierung folgten nicht einem bestimmten Muster, sondern wiesen historische, politische und regionale Differenzen auf, die auch zwischen den Kolonialmächten unterschiedlich waren und sich auf die kulturelle Identität der jeweiligen Kolonisierten und Versklavten auswirkten. »Jede Gruppe hat ihre ökonomische, politische und kulturelle Abhängigkeit anders ausgehandelt« (Hall 1994: 32). Hall betont, dass die Kontextualisierung von Theorie und Positionierung von politischer Praxis nicht nur unter dem Aspekt ihrer Wirksamkeit notwendig sei, sondern damit gleichzeitig dem undifferenzierten Blick des Westens auf verschiedenste Kulturen, Gesellschaften und Geschichten, die in der Konstruktion ›des Anderen‹ mündeten, eigene Sichtweisen entgegengesetzt und produktiv werden könnten. Hierzu hält Hall den Rückhalt und die Kraft jeweiliger ›kultureller Identitäten‹ für notwendig, die er als ›Wieder-Erzählungen‹ über koloniale Erfahrungen und kolonial durchdrungene Geschichte in Gegensatz zur archäologischen Suche nach Authentizität bringt. »Das Schwarz, von dem ich rede, ist eine historische, eine politische, eine kulturelle Kategorie« (ebd.: 79). »Es geht darum zu lernen, schwarz zu sein, zu lernen, wie man/frau sich mit etwas identifiziert« (ebd.: 81). »Ethnizität ist der notwendige Ort oder Raum, von dem aus Menschen sprechen. Die Wiederentde-

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ckung der eigenen Ethnizität ist ein wichtiges Moment für die Geburt und Entwicklung all der lokalen und marginalen Bewegungen, die die letzten zwanzig Jahre verändert haben« (ebd.: 61). Ohne ›kulturelle Identität‹ und ›schwarze Politik‹ wären Befreiungs- und antirassistische Kämpfe wirkungslos geblieben. Hall räumt allerdings auch ein, dass »die Kategorie schwarz Dimensionen überdeckte, die mindestens ebensosehr zur Positionierung von Menschen und Gruppen beitragen« (ebd.: 83). Dennoch ist für ihn effektive Politik ohne Positionierung, die er in den Kontext von ›kultureller Identität‹ stellt, nicht denkbar. Diese Sichtweise teilt Edward Said nicht. Er hat sich in seinen Schriften gegen nationalistische Bewegungen gerichtet, auch wenn er deren Erfolge zur antikolonialen Befreiung anerkannt hat. »Es ist ein historischer Befund, daß der Nationalismus – Widerherstellung von Gemeinschaft, Bekräftigung der Identität, Auftauchen neuer kultureller Praktiken – als politischer Mobilisierungsfaktor zum Kampf gegen westliche Herrschaft überall in der nicht-europäischen Welt aufrief und ihn vorantrieb. […] Menschen scharten sich zusammen, um ihren Widerstand gegen das zu bekunden, was, wie sie gewahr wurden, ein Ausdruck von Ungerechtigkeit und Feindseligkeit war, gezielt gegen das, was sie waren, nämlich Nicht-Westler.« (Said 1994: 297)

Er problematisiert jedoch vehement die »Fallgruben des nationalen Bewusstseins [… und] übt vernichtende Kritik an den Auswüchsen der nationalistischen Parteien nach Erlangung der Unabhängigkeit« (Said 1997 b: 87). »War Unabhängigkeit einmal erreicht, so galt es, neue Begriffe von Kultur und Gesellschaft zu entwickeln, um den Rückfall in die alten Orthodoxien und Ungerechtigkeiten zu vermeiden« (Said 1994: 297). In der Neuauflage seiner Studie zum Beitrag von Medien und ExpertInnen zum Orientalismus und antimuslimischen Feindbild (Covering Islam, Said 1997 a) betont er mehrfach, dass ihm nicht daran liege, Politiken, die sich selbst mit Hinweis auf den Islam legitimierten, zu verteidigen oder zu entlasten. Im Gegenteil übt er deutliche und scharfe Kritik an ihnen. Dennoch hebt er hervor, dass die Essenzialisierung der Kulturen ein westliches Produkt sei, das auch in der Bewertung gegenwärtiger internationaler Konflikte einseitig und naturalisierend argumentiere, um ›den Islam‹ zu diskreditieren und ›den Westen‹

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zu verteidigen: »covering islam is a one-sided activity that obscures what ›we‹ do, and highlights instead what Muslims and Arabs by their very flawed nature are« (ebd.: XXII). Angesichts islamistischer ›Aggressionen‹ neigten auch ehemals kritische Stimmen dazu, westliche ›Interventionen‹ zu befürworten und damit die westliche Herrschaft zu bestätigen: »such an idea of rightful Western dominance is in reality an uncritical idolization of Western power« (ebd.: XXIX). Damit richtet er seine Kritik an kultureller Essenzialisierung gegen beide Seiten, auch wenn er keinen Zweifel daran lässt, aus welcher Position und in welchem Interesse dies geschieht. Dennoch bestätige der umgekehrte Bezug auf ein positiv gewendetes Kultur- und Islambild ›westliche‹ Konstruktionen, anstatt zu ihrer Dekonstruktion beizutragen. Auch Gayatri Spivak (vgl. 1999, 2008) kritisiert den Bezug zu ›kultureller Identität‹, allerdings indem sie jene Aspekte hervorhebt, die zwar auch von Hall (immer wieder) benannt werden, aber seine theoretischen und politischen Analysen nicht durchdringen: Anders bei Spivak. Indem die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Herrschaftsstrukturen und -praxen ihren Arbeiten konstitutiv zu Grunde liegen, thematisiert sie Situationen von ›Subalternen‹ als Kolonisierte, als Arbeiter oder als Frauen (bzw. vor allem als kolonisierte mittellose Frauen) in ihrem historischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Kontext. Ihre Kritik an nationalen Befreiungsbewegungen begründet sie damit, dass sie lediglich den Kolonialismus bekämpften, um anschließend die kolonialen Strukturen zu nutzen und durch nationale zu ersetzen. Damit würden Kolonialherren durch nationale Eliten ersetzt, für den Großteil der Bevölkerung, insbesondere die ›Subalternen‹ habe die ›Befreiung‹ in Indien beispielsweise keine bedeutende Verbesserung gebracht. Am Beispiel des Diskurses über Witwenverbrennungen in Indien thematisiert Spivak die Sprachlosigkeit von subalternen Frauen, die daraus resultiere, dass sie sich weder gemeinsam mit der englischen Kolonialmacht noch mit lokalen Patriarchen artikulieren könnten. Ihre Kritik richtet sie sowohl an die nationalistischen Befreiungsbewegungen als auch gegen Marxismus und Arbeiterbewegung bzw. Feminismus und Frauenbewegung, da sie jeweils nur die eine Position hervorheben. Spivak betont gerade diese beiden Aspekte (den ökonomischen/marxistischen sowie den gender/feministischen Aspekt) und beklagt die »Indifferenz

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gegenüber der Ideologie« (Spivak 2008: 25) und die Vernachlässigung der »internationale[n] Arbeitsteilung – eine für die poststrukturalistische politische Theorie oftmals charakteristische Geste« (ebd.: 22). Spivak betont die »Notwendigkeit der schwierigen Aufgabe einer gegenhegemonialen ideologischen Produktion« (ebd.: 27). Diese versteht sie als Bildungsauftrag und hebt sie von jener Forderung ab, ›den Massen‹ das Wort zu geben, da sie ›viel besser‹ und ›vollkommen klar‹ wüssten und sprechen könnten (wie sie Foucault gegenüber kritisch anmerkt). Handlungsfähigkeit habe vielmehr mit »in Verantwortung stehender Vernunft zu tun« (ebd.: 130) als mit Repräsentation im Sinne von Vertretung (vgl. ebd.: 29 ff.) oder mit Identitätspolitik, die sie als »politische Manipulation« (ebd.: 130) bezeichnet. Spivaks affirmative Bezüge zu Kant und der Philosophie der Aufklärung sowie die nur schwer verständliche Sprache ihrer Publikationen, die ein breites Publikum und insbesondere ›Subalterne‹ von der Lektüre ausschließen, haben ihr deutliche Kritik eingebracht. Dagegen ist ihr Eintreten für die Verschiebung und Neuschreibung von Diskursen in Anlehnung an Derridas Dekonstruktion auf Zustimmung gestoßen. Obwohl sich auch Homi Bhabha (2000) zentral auf die dekonstruktive Verschiebung von Diskursen bezieht, unterscheiden sich seine Arbeiten von jenen Saids und Spivaks darin, dass Bhabha die ›Dritten Räume‹ fokussiert.8 »Die Einführung dieses Raums stellt unsere Auffassung von der historischen Identität von Kultur als einer homogenisierenden, vereinheitlichenden Kraft, die aus der originären Vergangenheit ihre Authentizität bezieht und in der nationalen Tradition des Volkes am Leben gehalten wurde, sehr zu Recht in Frage« (ebd.: 56). Im Gegensatz dazu erhalte Kultur seine Bedeutung als subversive Kraft: »Die verschiedenen Formen gesellschaftlicher Rebellion und Mobilisierung sind oft gerade dann am subversivsten und transgressivsten, wenn sie durch oppositionelle Kulturpraktiken geschaffen werden« (ebd.: 30). Bhabha bezieht sich hierbei auf performative Praktiken und Neu-

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Wie Gayatri Spivak muss sich auch Homi Bhabha den Vorwurf gefallen lassen, seine Publikationen lediglich an eine kleine elitäre Leserschaft zu richten. Dahingegen gelingt es Stuart Hall und Edward Said ihre Texte so zu verfassen, dass sie breit und gewinnbringend rezipiert werden können.

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Inszenierungen der Vergangenheit, die »jeglichen direkten Zugang zu einer originären Identität oder einer ›überkommenen‹ Tradition zum entfremdeten Akt werden« (ebd.: 3) lassen. Er sucht nach Überschneidungen, Ambivalenzen, Brüchen und Verschiebungen von Kulturen und betont ihre Hybridität. Bhabha wirft Said vor, dass er zu sehr damit beschäftigt sei, die Machtförmigkeit der Diskurse nachzuweisen und darüber jene Handlungsmacht vernachlässige, die aus der Ambivalenz in der Konstruktion von ›Selbst‹ und ›Anderen‹ liege. In den Diskursen über die ›Anderen‹, die diese hervorbrachten und dabei herabsetzten, könne auch deren abgespaltenes Begehren herausgelesen werden. Gleichzeitig legten die Bemühungen von Kolonisierten, ›weiß‹ zu werden, und entsprechende Übersetzungen ›weißer‹ Kulturen in ›schwarze‹ Kontexte – meist unbeabsichtigt – deren Widersprüche offen. In den Übersetzungen und Wiederholungen verschieben sich die Beschreibungen und Bedeutungen, werden unterschiedlich kontextualisiert und nuanciert. Übernahmen und Nachahmungen könnten zwar Herrschaft stabilisierend wirken, indem sie die Attraktivität ›westlicher‹ Kultur bestätigten. Die Mimikry könne jedoch gleichzeitig subversiv und destabilisierend wirken, indem sie im Versuch ›richtig‹ nachzuahmen, hinterfrage und – im Ergebnis – ironisiere. In diesen Brüchen und der Kontingenz sieht Bhabha Interventionsmöglichkeiten, die die Essenzialisierung von Kulturen aufbreche und ihren hybriden Charakter hervorhebe. Bhabhas Fokussierung jener Diskurse und Praxen, die Wege aus der Essenzialisierung und Hegemonialisierung weisen bzw. bereits beschreiten, machen seine Arbeiten – sowohl für dominante als auch für marginalisierte Subjekte – attraktiv: Sie überwinden die Spaltung in TäterIn und Opfer und entlasten damit von der Schwere, die entsprechende Analysen und Kritiken – für beide Seiten – haben. Obwohl die Hervorhebung bereits realisierter alternativer Wege und Räume und die mit ihnen verbundene Leichtigkeit wichtige Impulse für Transformationen und Verschiebungen geben, laufen sie dennoch Gefahr, die nachhaltige Bedeutung von Essenzialisierung und Hegemonie zu unterschätzen. Kulturelle Hegemonie ist nicht hermetisch und unüberwindbar – das zeigt die Betonung von Hybridität und Kontingenz –, sie ist jedoch dominant und strukturell verankert und hat damit nach wie vor andere Möglichkeiten, sich durchzusetzen und Diskurse und Praxen

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zu prägen – und sei es in der Zurückweisung und Kritik ihrer Dominanz. Der Bezug auf und die Betonung der Differenz als historischer, gesellschaftlicher, kultureller und sozialer Kategorie ist notwendig, um Subjekte zu positionieren. Durch sie werden jene Einschränkungen und Möglichkeiten kontextualisiert, die den Subjekten als Bedingungen zur Verfügung stehen, die ihre Entwicklung beeinflusst haben und die von ihnen beeinflusst werden können. Gleichzeitig besteht die Gefahr, durch den Bezug auf und die Betonung der Differenz die Differenz selbst hervorzuheben und damit zu bestätigen und zu festigen. Dennoch gibt es keine Alternative zu diesem Dilemma, es gibt jedoch durchaus unterschiedliche Möglichkeiten, kritisch oder affirmativ damit umzugehen, die Gefahren permanent zu benennen und zu reflektieren oder sie als gegeben (oder gar intendiert) hinzunehmen und zu verstärken. Die Leugnung der Differenz hingegen aus Angst, sie zu bestätigen und zu festigen, geht zu Lasten jener Differenzen, die in diesem Beziehungsgefüge marginalisiert sind. Denn die Differenzen sind keine beliebigen und stehen sich nicht als gleichberechtigte gegenüber, sondern sind aus Machtkämpfen hervorgegangen, in Strukturen und Kulturen verankert und von Subjekten – wenn auch teilweise widersprüchlich und kontingent – internalisiert, so dass die Vernachlässigung kultureller Differenz die dominanten fördert. Im Zentrum postkolonialer Studien steht die Analyse dominanter Kultur in ihrer Bedeutung für marginalisierte Subjekte und Kulturen. Nur am Rande wird ihre Bedeutung für dominante Subjekte benannt, obwohl die Studien reichlich Material dafür liefern. Darüber hinaus besteht der Gewinn postkolonialer Theorie für die Analyse kultureller Hegemonie darin, einen gesellschafts- und herrschaftskritischen Kulturbegriff für die Auseinandersetzung mit Rassismus nutzbar gemacht zu haben. Die Transformation politischer und ökonomischer Strukturen in Kulturen sowie ihre Aneignung und Umarbeitung durch dominante und marginalisierte Subjekte haben zu einer Verselbstständigung der ursprünglichen Ursachen geführt, die in Analysen und Praxen eigenständiger Berücksichtigung bedürfen. Die historische Analyse in diesem Kontext zeigt die Genese und Machtförmigkeit der Diskurse auf, um ihren Konstruktionscharakter und damit Möglichkeiten ihrer Ver-

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änderbarkeit freizulegen. Insofern werden in diesem Kontext die verzerrten und herabsetzenden Bilder über ›die Anderen‹ nicht durch ›richtige‹ oder ›freundliche‹ Informationen über ›fremde‹ Kulturen ersetzt oder ergänzt. Dagegen geht es hier darum, die Diskurse historisch, politisch und gesellschaftlich zu kontextualisieren und ihre Machtförmigkeit kritisch zu reflektieren mit dem Ziel, sie zu dekonstruieren. Die Analyse von Kultur in diesem Sinne erfordert spezifische Studien, auch im Zusammenhang kultureller Hegemonie und dominanter Diskurse, um die jeweilige Bedeutung angemessen berücksichtigen zu können, die die Beherrschung, Unterwerfung und Ausbeutung ›Anderer‹ für das ›Eigene‹ haben.

Postkoloniale Studien zu hegemonialen Orient- und Islamdiskursen in Deutschland Als bedeutsames Werk postkolonialer Kritik setzt sich Orientalism zentral mit der Essenzialisierung ›des Islam‹ als ›das Andere‹ ›des Westens‹ auseinander. Edward Said hat sich in seiner Studie jedoch nur am Rande mit der deutschen Geschichte und deutschsprachiger Kultur und Theorie beschäftigt. Hierzu gibt es inzwischen einige empirische Arbeiten, die sich mit verschiedenen Aspekten, Zeiträumen und Werken auseinandersetzen. Die Fokussierung hegemonialer Diskurse findet auch hier nur vereinzelt statt.9 Nina Berman (1996, 2007 b) arbeitet den Beitrag deutscher Literatur für den deutschen Kolonialismus heraus und analysiert hierzu unter anderem Karl Mays Orientzyklus. Seine Bedeutung sieht sie in der Legitimierung deutscher politischer und wirtschaftlicher Interventionen im Zusammenhang mit der europäischen Kolonisierung Nordafrikas sowie in entsprechenden ›Kooperationen‹ zwischen dem deutschen und dem osmanischen Reich. Obwohl sich das deutsche Reich nicht aktiv an der Kolonisierung ›des Orients‹ im engeren Sinne beteiligt habe, waren deutsche Institutionen und Individuen doch maßgeblich in den Pro-

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Dagegen stößt postkoloniale Theorie in marginalisierten Kontexten auf größeres Interesse (vgl. etwa die Beiträge in Steyerl/Gutiérrez Rodríguez 2003).

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zess verstrickt. Durch Militärberatung, Waffenhandel und Eisenbahnbau im osmanischen Reich etwa waren Unternehmen und Banken an diesen Prozessen ebenso beteiligt wie durch kirchliche, kulturelle und soziale Projekte. Karl Mays weit verbreitete Romane unterstützten diese Interventionen durch die Vermittlung einer eurozentrischen, nationalistischen, kolonialistischen und rassistischen Haltung. Malte Fuhrmann (2006) analysiert deutsche Kolonialprojekte im osmanischen Reich an Hand historischer Quellen. Im 19. Jahrhundert zog es viele Deutsche unter anderem nach Mazedonien und Westanatolien, um dort Handel zu treiben und landwirtschaftliche Siedlungen, Kirchen und Schulen aufzubauen. Diese gingen mit Eroberungs- und Missionierungsfantasien und -projekten einher. Die SiedlerInnen und Händler, Pfarrer, DiakonissInnen und LehrerInnen planten und betrieben die Verbreitung ›deutscher Sitten‹, ›deutscher Kultur‹, ›deutscher Frömmigkeit‹ und ›christlicher Humanität‹. Sie zielten auf Expansion im Sinne der ›Erziehung des Orients‹ nach eigenen Vorstellungen und Wünschen, die sich an wirtschaftlichen und politischen sowie ebenso deutlich an religiösen und kulturellen Kriterien orientierten. Ihre Interventionen waren von einem Selbstbild motiviert, das vom Primat ›des Deutschtums‹ überzeugt war und daraus ein Recht auf Expansion ableitete. Eine politikwissenschaftliche Adaptation postkolonialer Theorie liegt von Kien Nghi Ha (2003) vor. Er setzt sich mit Parallelen deutscher Kolonialpolitik und gegenwärtiger Arbeitsmigrationspolitik auseinander, deren Bedeutung er für türkische Eingewanderte diskutiert (2004). Trotz Divergenzen gäbe es entscheidende Kontinuitäten, die es erlaubten, von »Arbeitsmigrationspolitik als Inversion kolonialer Expansionsformen« (2003: 64) zu sprechen. Die Politik ginge wie selbstverständlich davon aus, dass nationale Interessen die Ausbeutung von ins Land geholten Arbeitskräften legitimierten. Im nationalistischen Interesse dienten ArbeitsmigrantInnen als ›Puffer‹ und ›Reservearmee‹ und ermöglichten so die Planbarkeit und Stabilisierung des eigenen Arbeitsmarktes. Trotz der ökonomistischen Sprache in der Migrationspolitik könne sie über ihren nationalistischen Charakter nicht hinwegtäuschen. Dieser zeige sich auch in deutschen Integrations(dis)kursen, die Ha zusammen mit Markus Schmitz (2006) analysiert. Sie reproduzierten koloniale Weltbilder und Hierarchien und zielten

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auf die Selektion und Assimilierung von MigrantInnen. Ausländer- und Integrationspolitik schrieben ›die Anderen‹ als ›Mängelwesen‹ fest und verklärten sich selbst ihrem eigenen Wunschbild entsprechend. Damit fokussieren diese Studien einige Aspekte des deutschen Kolonialismus in ihrer Bedeutung für bundesdeutsche Orientbilder und Islamdiskurse. Weitere Studien zur Relevanz postkolonialer Kritik für hegemoniale Diskurse in der Bundesrepublik beschäftigen sich jedoch weitestgehend mit dem deutschen Kolonialismus in Afrika. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Analyse der kulturellen Dimensionen des deutschen Kolonialismus.10 Ihnen kommt das Verdienst zu, die Bedeutung des deutschen Kolonialismus für die kulturelle Konstruktion von ›Weißsein‹ und das kulturelle Selbstbild als ›Deutsche‹ zentral zu untersuchen. Damit sind sie zweifellos wichtig und überfällig. Die Transformation postkolonialer Theorie (und des poststrukturalistischen Kulturbegriffs) auf andere Aspekte kultureller Hegemonie in Deutschland, insbesondere die Konstruktion und Essenzialisierung ›deutscher (Leit-)Kultur‹ entlang Nationalsozialismus und Antisemitismus sowie Orientalismus und antimuslimischem Rassismus steht dagegen noch weitgehend aus. Entsprechende Studien sind nicht mit jenen im britischen oder französischen Kontext vergleichbar, die jeweils andere Kolonial- und Einwanderungsgeschichten sowie andere Bezüge zum Nationalsozialismus aufweisen11. Die entsprechenden Politiken und Diskurse weisen zwar auch Bezüge und Parallelen auf, sie sind jedoch keineswegs identisch. Es sind also spezifische Analysen für die bundesdeutsche Situation notwendig.

10 Insgesamt wurde die wissenschaftliche Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus lange vernachlässigt. In den letzten Jahren kommt dem Thema vermehrt akademische Aufmerksamkeit zu. Dennoch bleibt die Verharmlosung des deutschen Kolonialismus in politischen, medialen und alltäglichen Diskursen, insbesondere in Form von Exotismus, Abenteuer und Entdeckerlust, weiterhin vorherrschend und weit verbreitet. 11 Auch die – teilweise prominente – Bezugnahme auf postkoloniale Theorie in deutschen Wissenschaftsbetrieben fokussiert anglo- und frankophone Literatur und Kultur und beschäftigt sich primär mit dem englischen bzw. französischen Kontext.

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Kultur in der bundesdeutschen Rassismusforschung In Deutschland wurde der Begriff ›Rassismus‹ lange Zeit nicht im Zusammenhang mit der eigener Gesellschaft verwendet, Rassismus wurde historisch in das ›Dritte Reich‹ und geographisch nach Südafrika und in die USA verlagert. Heute wird ›Rassismus‹ meist für die Diskriminierung von Schwarzen benutzt und in den Kontext von Hautfarbe gestellt. Entsprechend finden sich Aneinanderreihungen, die ›Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus‹ additiv auflisten. In den letzten Jahren ist, wie bereits erwähnt, ›Islamophobie‹ als Begriff hinzugekommen. Die Differenzierung in unterschiedliche Bezeichnungen weist auf die Bemühung hin, der Differenz der Phänomene Rechnung zu tragen. Dabei werden jedoch häufig die Gemeinsamkeiten, die es gleichwohl gibt, ignoriert oder negiert. Im Zusammenhang mit dem hegemonialen Islamdiskurs wird betont, dass die ›kulturelle Differenz‹ zwischen ›dem Islam‹ und ›dem christlich-abendländischen Westen‹ ausschlaggebend für ablehnende und pauschalisierende Einstellungen auf beiden Seiten sei. Dem liegt ein Kulturbegriff zugrunde, der mit dem Essenzialismus Herder‘scher Prägung und/oder mit dem Universalismus der Aufklärung argumentiert. Beide Kulturbegriffe berücksichtigen die Relationalität kultureller Differenz und die Interdependenzen zwischen den als binär konstruierten ›Kulturen‹ entweder gar nicht oder lediglich in hierarchischer Weise. Diese Kulturbegriffe und die darauf beruhenden Analysen werden in einigen Rassismustheorien ganz zurückgewiesen, andere begrenzen Rassismus auf die Hierarchisierung biologischer ›Rassen‹ entlang der Hautfarbe, wieder andere beziehen ›Kultur‹ in ihre Studien ein. Rassismustheorien, die Rassismus entlang von Hautfarbe definieren, binden ihn eng an die materielle, insbesondere ökonomische Ausbeutung im Kolonialismus. Sie grenzen davon einen Neo-, Kultur- oder differentialistischen Rassismus ab, der mit kultureller Differenz argumentiere und deswegen selbst in rassistisches Denken verstrickt sei (vgl. Balibar 1990). ›Kultur‹ wird als ›Ideologie‹ bezeichnet, die eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit darstelle und dazu diene, Herrschaft zu legitimieren und zu stabilisieren (vgl. Räthzel 1997). Im kolonialen Kontext zeigt Robert Miles (1991), wie ›Kultur‹ eingeführt werde, um

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Herrschaft zu stützen. Die Abwertung von Schwarzen diene der Legitimation ›weißer‹ Herrschaft, Kolonialismus erscheine als sinnvolle Nutzung von Ressourcen (Arbeitskräften, Rohstoffen, Land), die andere brachliegen ließen sowie als natürliches Recht desjenigen, der weiter entwickelt sei. Als Ideologie diene Rassismus der Maximierung des wirtschaftlichen Profits und der Stabilisierung politischer Macht. Herrschaft wird entlang ökonomischer und politischer Interessen definiert. Rassismus diene – quasi als Nebenwiderspruch – der Legitimation dieser Interessen. Entsprechend wird ›Kultur‹ nicht wie in Ethnisierungstheorien als belanglos eingeordnet, aber den (jeweils unterschiedlichen) Erfahrungen mit Rassismus und den kulturellen Auseinandersetzungen damit wird ebenfalls keine prominente Bedeutung zugemessen. Klaus Holzkamp (1994) und Ute Osterkamp (1996), zwei prominente VertreterInnen dieser Richtung im deutschsprachigen Raum, halten es geradezu für kontraproduktiv, zwischen den Subjekten zu unterscheiden. Sie lehnen pädagogische Konzepte ab, die Subjekte moralisierend als (Mit-)TäterInnen ansprächen und schlagen stattdessen vor, jedes Subjekt in seiner eigenen (potentiellen) Opferrolle zu fokussieren (entlang ihres Geschlechts, ihres Alters, ihrer (potentiellen) Behinderung, ihrer Herkunft, ihres sozialen Status etc.). Gemeinsam könnten die Subjekte gegen jene Bedingungen eintreten, die sie ausbeute oder marginalisiere und die in den Herrschaftsstrukturen verortet wird. Es wird empfohlen, »statt auf ›rassistische Einstellungen‹ von Individuen auf jene gesellschaftlich-institutionellen Bedingungen zurückzugreifen« (Holzkamp 1994: 15), die dem Rassismus (und anderen Ideologien) zu Grunde lägen. Das Konzept des »Rassismus als Selbstentmächtigung« (Titel des Buches von Osterkamp 1996) lehnt Auseinandersetzungen mit ›Vorurteilen‹ ab und verweist kulturelle Differenzierungen zwischen Subjekten in den Bereich des Ideologischen: »Das, was in der Bevölkerung als ›Ausländerfeindlichkeit‹ erscheint, ist vielmehr als Aspekt des Versuchs zu sehen, die individuelle Existenz bzw. den individuellen Vorteil unter fremdbestimmten und damit prinzipiell bedrohlichen Verhältnissen abzusichern« (ebd.: 12). Obwohl sich nur wenige Argumentationen eng an dieses (neo) marxistische Erklärungsmodell anlehnen, ist der – rituelle – affirmative Bezug auf ›Miles und Balibar‹ weit verbreitet. In ganz anderer Weise dagegen wird in politischen, medialen und alltägli-

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chen Diskursen Rassismus in der Bundesrepublik in den Kontext von Hautfarbe gestellt. Sie werden im Wesentlichen mit Kolonialismus, Apartheid und ›Rassenunruhen‹ assoziiert und hätten demnach nur begrenzt mit ›uns Deutschen‹ etwas zu tun. Die Skandalisierung von Rassismus folgt eher moralischen Kategorien, die gleichzeitig Unverständnis darüber zum Ausdruck bringen, dass die Differenz bzw. Dunkelheit der Hautfarbe Diskriminierung und Gewalt begründen könne. In offen rassistischen Argumentationen freilich werden physiologische mit kulturellen Zuordnungen verknüpft. Dagegen wird ›kulturelle Differenz‹ zwischen ›Einheimischen‹ und ›Eingewanderten‹ nicht mit Rassismus in Zusammenhang gebracht, sondern als Begründung interkultureller Konflikte heran gezogen. Indem Kultur und Rassismus voneinander getrennt werden, geht jedoch ein wesentlicher Begründungszusammenhang von Rassismus (auch gegenüber Schwarzen) verloren. Dieser wird in anderen Rassismustheorien gesucht. Eine Annäherung an die Bedeutung von ›Kultur‹ im Kontext von Rassismus wird in ideengeschichtlichen Analysen rekonstruiert. Henning Melber (1992) untersucht den ›kolonialen Blick‹, indem er europäisch-abendländische Ideen, Normen und Werte auf ihren Beitrag zum allgemein verbreiteten Bild über kolonisierte Menschen hinterfragt. Er stellt einen Zusammenhang fest zwischen dem vorherrschenden Entwicklungs- und Fortschrittsbegriff und rassistischen ›Vorurteilsstrukturen‹ und zeigt den Einfluss der Aufklärung auf die Hierarchisierung der Welt. Auch Eckhard Dittrich (1991) weist den Beitrag der Aufklärung zum Weltbild des Rassismus nach. Das abendländische Denken habe eine Herrschaftstheorie hervorgebracht, in der auch der Rassismus zu verorten sei. Dittrich geht bis Aristoteles zurück, um die Entwicklung dieses Denkens zu rekonstruieren. Manfred Kappeler (1994) weist nach, dass Rassismus ein bestimmendes Element des ›abendländischen Bewusstseins‹ des ›weißen Mannes‹ darstellt, das von allen herrschenden Diskursen gefördert wurde. Er verknüpft philosophische, theologische und naturwissenschaftliche Diskurse, bezieht sie auf den deutschen Kolonialismus und Nationalsozialismus, und fokussiert den Beitrag der deutschen Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie zum Kolonialismus und Ersten Weltkrieg. Auch diese Arbeiten fokussieren Rassismus im Kontext von Kolonialismus. Dennoch gelingt es ihnen, im Rassismus mehr als

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eine Ideologie (im Sinne Miles oder Balibars) zu sehen und seine kulturelle Komponente herauszuarbeiten. Gudrun Hentges (1999) analysiert die Texte von Aufklärern auf ihr Juden- und ›Wilden‹-Bild hin. Sie weist die widersprüchliche Bedeutung einflussreicher Philosophen an Hand von Quellen nach. So habe die Aufklärung durch die Trennung von Staat und Kirche wesentlich zur bürgerlichen Emanzipation von Juden und Jüdinnen beigetragen. Gleichzeitig sei jedoch der christliche Antijudaismus durch den säkularen Antisemitismus abgelöst worden, dessen Konstruktion im 18. Jahrhundert durch die Naturwissenschaften legitimiert worden sei. In der ›jüdischen Rasse‹ sahen Philosophen eine Bedrohung der Aufklärung. In ihrer Arbeit analysiert Hentges die Übereinstimmungen und Kontroversen in den Schriften der Philosophen. Sie arbeitet die Bedeutung der Rassenkonstruktion für die Konstruktion eines ›Nationalcharakters‹ heraus. Von Bedeutung sei hierbei die Diskussion über das Verhältnis von Natur und Kultur. Unter Hinzuziehung des Bildes über ›die Wilden‹ untersucht Hentges, wie zentrale Aufklärer die Unterscheidung von ›Menschenrassen‹ hierarchisch organisierten und entlang kultureller Merkmale konstruierten, die sie biologisch und anthropologisch begründeten. In soziologischer und historischer Perspektive entwickelt Wulf D. Hund (1999, 2006, 2007) seine These, wonach Rassismus eine soziale Konstruktion sei, die sich wesentlich kultureller Argumentationen bediene. ›Rassen‹ gäbe es erst als Folge des Rassismus, sie seien nicht seine Voraussetzung, vielmehr würden ›Rassen‹ erst durch den Rassismus geschaffen. Rassismus ziehe konstruierte kulturelle Differenz heran, um zwischen sozialen Gruppen zu unterscheiden und sie hierarchisch zu ordnen. Die kulturelle Differenz werde naturalisiert und ihnen körperliche Merkmale zugewiesen. Diese dienten als sichtbare Hinweise für die ›andere‹ und ›minderwertige‹ Kultur, reichten jedoch nicht als Unterscheidung und Herabsetzung aus. Demgegenüber kam der Unterscheidung und Hierarchisierung nach ›Kultur‹ (die körperlich markiert wurde) stets Bedeutungs- und Handlungsmacht zu. So sei der Rassismus bis in die Neuzeit ohne biologische ›Rassen‹ ausgekommen. Auch im Kontext von Nationalsozialismus und Kolonialismus, die ihre Politik mit Hinweis auf ›Rassen‹ legitimierten, wiesen körperliche Merkmale auf die ›minderwertige‹ Kultur hin, die als Begründung für Herabsetzung, Ausbeutung, Vernichtung herange-

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zogen wurden. Mit dieser historisch-soziologischen Analyse, die unterschiedliche Formen der Beziehung zwischen ›Kultur‹ und ›Rasse‹ einbezieht, gelingt Hund eine Umkehrung der üblichen Sichtweise, wonach die (biologische) Differenz die (kulturelle) Abwertung nach sich ziehe. Dagegen zieht die Ausbeutung und Abwertung Anderer ihre Konstruktion als kulturell anders nach sich, die daraufhin und zusätzlich biologisch abgesichert werde. Die jeweils spezifische Ausprägung und konkrete Verbindung könne sozialhistorisch nachvollzogen werden. Hund zeigt dies am Beispiel der Konstruktion von ›Schwarzen‹, ›Indianern‹, ›Juden‹ und ›Zigeunern‹ (1999), die er in Verbindung mit dem philosophisch begründeten Rassismus bei Aristoteles und Kant diskutiert. Dabei komme Aristoteles eine zentrale Bedeutung zu, da seine Unterscheidung nach ›Barbaren‹ und ›Kultivierten‹ grundlegend für rassistische Stereotypisierungen sei und eine wichtige Rolle in kulturalistisch argumentierenden Herrschaftsdiskursen einnehme (2007). Birgit Rommelspacher (1995 b, 2002) zieht Parallelen und arbeitet Unterschiede heraus zwischen den Kategorien Kultur, Geschlecht und Religion. In ihrer Verschränkung und Widersprüchlichkeit könnten die Kategorien in verschiedenen Diskursen zu Fremdheit und Macht nachvollzogen werden (zu Islam vgl. 2002, 2007). Die subjektive Funktion von Rassismus analysiert sie mit Hilfe psychologischer Begriffe, die sie politisch, gesellschaftlich und kulturell kontextualisiert. Die »Psychodynamik der Fremdheitskonstruktion dient dazu, das Selbst abzusichern, indem im Bild des Fremden all das angesammelt wird, was für das Ich bedrohlich erscheint« (2002: 10). »Nun ist es kein Zufall, wer in einer Gesellschaft als fremd gilt und wer nicht« (ebd.: 19). Die kulturelle Differenz habe sich historisch herausgebildet. Wichtige Stationen seien die Moderne, die Nationenbildung, die Demokratien und die Universalisierung, die Rommelspacher im Kontext der christlich-abendländischen Geschichte analysiert. Indem sie konkret Geschlechter-, Religions- und Kultur-Diskurse, aber auch Diskurse zu Behinderung (1999), miteinander verschränkt, zeigt sie die widersprüchliche Verstrickung der Subjekte in Diskurse zu Fremdheit und Macht auf.

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Gemeinsam ist den genannten AutorInnen, dass sie Rassismus als Teil der ›Dominanzkultur‹12 herausarbeiten. Auch hier werden unterschiedliche gesellschaftliche Machtdiskurse zusammengedacht. Sie werden jedoch nicht in eine hierarchische Ordnung gebracht, die zwischen wesentlicher Struktur und nachrangiger oder belangloser Kultur unterscheidet. Stattdessen werden die verschiedenen Diskurse in ihrer Verschränkung und Gleichzeitigkeit untersucht. Als zentrale Aspekte können das Denken in Dichotomien und Dualismen herausgestellt werden sowie das lineare Entwicklungsmodell, bei dem das ›Eigene‹ als fortschrittlich konstruiert wird und ihn dies berechtige, ›Andere‹ zu missionieren, zu erziehen, zu unterwerfen, auszubeuten, zu töten. Die Arbeiten zeigen übereinstimmend, dass die Konstruktion ›des Eigenen‹ und ›des Anderen‹ direkt aufeinander verweisen, dass das eine ohne das andere weder benannt werden noch das sein kann, was historisch, gesellschaftlich, sozial, kulturell aus ihm geworden ist. Die Verankerung von Rassismus in der ›Dominanzkultur‹ deutet auf ihre weit reichende Bedeutung hin. Den subjektiven Weisen der Auseinandersetzung und Aneignung mit den hegemonialen Bedeutungen widmen sich empirische qualitative Studien zum Alltagrassismus. Siegfried Jäger (1992) analysiert Alltagsdiskurse in ihrer Verbindung zu politischen Debatten, zur Medienberichterstattung sowie zu rechtsextremen Gewalttaten. Er rekonstruiert, wie Subjekte in ihren Äußerungen rassistische Argumentationen entfalten, und diese mit Bezug auf Autoritäten legitimieren, so dass sie sich selbst entlasten. Rudolf Leiprecht (1990, 2001) geht in zwei Untersuchungen der Frage nach der subjektiven Vergesellschaftung von Jugendlichen in rassistische Diskurse und Ideologien nach. Dabei interessiert ihn, in welcher Weise die Jugendlichen dies tun und welche Hintergründe und Kontexte dabei eine Rolle spielen. Leiprecht begreift Rassismus als gesellschaftliches Bedeutungsmuster, als ›Denkangebot‹, zu dem sich Menschen

12 Der Begriff Dominanzkultur meint, »daß unsere ganze Lebensweise, unsere Selbstinterpretationen sowie die Bilder, die wir vom Anderen entwerfen, in Kategorien der Über- und Unterordnung gefaßt sind. [… Dabei] ist Dominanzkultur als ein Geflecht verschiedener Machtdimensionen zu begreifen, die in Wechselwirkung zueinander stehen« (Rommelspacher 1995: 22 f.).

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verhalten. Sein Interesse gilt sowohl den Möglichkeitsräumen und der Handlungsfähigkeit von Subjekten, als auch der Art und Weise, in der Subjekte (Jugendliche) im Alltag – auch nicht intendierte – rassistische Äußerungen und Handlungen diskursiv begründen. Mit dem antimuslimischen Alltagsrassismus befasst sich Margret Jäger (1996) empirisch. Sie geht der Frage nach, ob in der Kritik am ›islamischen Patriarchat‹ auch demokratisierende Effekte liegen, »ob die Norm der Gleichberechtigung der Geschlechter hierdurch gestärkt wird« (ebd.: 267). Dies kann sie nicht bestätigen. Dagegen kommt sie zu dem Schluss, dass die Ethnisierung von Sexismus als Variante innerhalb des rassistischen Diskurses zu verorten sei. Die verschiedenen Beiträge weisen auf unterschiedliche Aspekte der Erscheinungsformen und Aneignungs- bzw. Umarbeitungsweisen von Rassismus hin, die ihre Einbettung in strukturelle Diskriminierung, soziale Ungleichheit und kulturelle Hegemonie verdeutlichen. Gleichzeitig machen sie auf Forschungsdesiderate aufmerksam: Sie verdichten sich in der fehlenden Analyse hegemonialer Diskurse in ihrer Bedeutung für dominante Kulturen und Subjekte im Kontext von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus im deutschsprachigen Raum.

Fazit Auf dem Hintergrund poststrukturalistischer, postkolonialer und rassismustheoretischer Überlegungen erhält der hegemoniale Islamdiskurs eine andere als die im Begriff der ›Islamophobie‹ implizierte Bedeutung. ›Der Islam‹ – und mit ihm jene diskursiven Elemente, die die derart definierte gesellschaftliche Ordnung stören (und gleichzeitig die gesellschaftliche Ordnung mit Hilfe der Definition von Störung und Störenfrieden hervorbringen und festigen) – wird als konstitutives Außen in Abgrenzung zum ›Eigenen‹ definiert. Dieses wiederum wird mit Hilfe leerer Signifikanten (in diesem Kontext sind das vornehmlich ›Moderne‹, ›Aufklärung‹, ›Demokratie‹, ›Freiheit‹, ›Emanzipation‹, subsumiert unter ›Westen‹) als kulturelle Hegemonie in großer Übereinstimmung durchgesetzt. In Abgrenzung zum konstitutiven Außen ›Islam‹ und mit Bezug auf den leeren Signifikanten ›Westen‹ können sich verschiedene Subjektpositionen produktiv in den hegemonialen

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Diskurs einbringen. Gleichzeitig unterminiert sich der hegemoniale Diskurs selbst, da ›der Islam‹ auch solche Elemente enthält, die ›westliche‹ Subjekte als ›eigene‹ definieren (z.B. Religiosität) und er mit anderen Diskursen in Konkurrenz gerät, die auf ähnliche (z.B. Judentum) oder auch andere (z.B. Geschlechterdiskurs) Weise als konstitutive Außen das ›Eigene‹ markieren. Diesem Kulturbegriff folgend sind Konzepte, die die Respektierung von Minderheitenkulturen anstreben sowie in der Kulturbegegnung und dem Fremdverstehen den Schlüssel für interkulturelle Verständigung sehen, selbst erklärungsbedürftige kulturelle Phänomene. In kritischer Distanz dazu, geht die poststrukturalistische Perspektive von der Konstruktion essenziell differenter Kulturen und deren Relationalität und Interdependenz aus. An die Stelle von Identitätspolitik und interkulturelle Dialoge, die die kulturelle Differenz fortschreiben, treten die Dekonstruktion und Destabilisierung hegemonialer Diskurse, sowohl als nicht intendierte Effekte als auch als politische, theoretische und kulturelle Intervention. Trotz der unterschiedlichen Akzentuierungen gehen die genannten VertreterInnen der postkolonialen und Rassismus-Theorien von der zentralen Bedeutung aus, die dem kulturellen ›Othering‹ als Kategorie (neben Klasse und gender) zukommt. Die Konstruktion und Essenzialisierung von Kultur wird als wesentliche theoretische und politische Praxis analysiert, die nach der Entkolonisierung nicht an Gewicht verloren habe, auch wenn sich ihre Inhalte und Bedeutungen transformierten. Demgegenüber verweisen Ethnisierungstheorien Kultur insgesamt in den privaten Bereich, da sie ihr kein maßgebliches Strukturelement zuerkennen. Entsprechend kommt dem Begriff der Essenzialisierung keine analytische Bedeutung zu. Anders in den postkolonialen Theorien: Die Konstruktion von ›Kultur‹ wird analytisch zugespitzt zu einer (unter anderen) zentralen theoretischen und politischen Kategorie. Kolonialismus und Orientalismus werden demnach nicht als zufällige Konstruktionen analysiert, sondern in ihrer konstitutiven Bedeutung zur Bestimmung des ›Eigenen‹ in Abgrenzung zum ›Anderen‹. Die Funktion von Essenzialisierung kann historisch rekonstruiert werden: Sie dient der Legitimation und Zustimmung zu Vernichtung, Ausbeutung, Missionierung, Einverleibung, Bevormundung, Ausgrenzung usw. Die Widersprüche in den Konstruktionen und die kulturellen Annäherungs- und Assi-

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milierungsversuche wiederum legen die Ambivalenzen, Brüche und Kontingenzen in den Essenzialisierungen offen und ermöglichen Irritationen, Verschiebungen, Transformationen und kritische Interventionen. Der Begriff der Essenzialisierung ist in Studien zum Islamdiskurs zentral. Die Konstruktion ›des Muslim‹ und ›der Muslima‹ wird dabei in einen antagonistischen Dualismus zum Selbstbild gebracht. Die kulturellen, sozialen und subjektiven Erfahrungen, die auf Grund und entlang der Konstruktion und Zuweisung zu dominanten oder diskriminierten Kulturen gemacht wurden und werden, geraten damit nicht aus dem analytischen und politischen Blick. Gleichzeitig zeigt die Ambivalenz, wie sie vor allem im Diskurs über die ›islamische‹ bzw. ›orientalische‹ Frau als unterdrückt und sexualisiert konstruiert wird, aber auch in Diskursen zum Verhältnis von Religion und Staat, jene Möglichkeiten auf, die den Diskurs irritieren können. Zur Analyse des Islamdiskurses sind beide Aspekte – Konstruktion und Essenzialisierung – bedeutsam. Die Analyse des Konstruktionsprozesses und -charakters von ›Kultur‹ schärft den Blick für die Markierung von Eingewanderten und ethnischen Minderheiten als ›Muslime‹ und für die Definition von kulturellen, politischen und sozialen Phänomenen und Prozessen als ›islamisch‹. Diese Kritik richtet sich auch an Minderheiten, wenn sie positive Bezüge zum ›Islam‹ dahingehend funktionalisieren, ›den Westen‹ zu essenzialisieren bzw. Differenzen (auf Grund von gender, class, dis-/ability, Alter, sexueller oder politischer Orientierung, usw.) zu missachten, zu marginalisieren oder zu diskreditieren. Die Zurückweisung von identitätsstiftenden Kategorien und Haltungen erleichtert politische Praxis nicht, erinnert aber daran, dass Freiheit von Kolonialismus (oder von Patriarchat oder Kapitalismus etc.) nicht gleichbedeutend ist mit Freiheit von Herrschaft und Unterdrückung. Die Analyse des Othering und der Essenzialisierung wiederum weist der Kulturalisierung jene Bedeutung zu, die ihr in Politik und Alltag zukommt. Sie hilft zu rekonstruieren, wie das ›Feindbild Islam‹ nach Beendigung des Kalten Krieges erfolgreich wiederbelebt werden konnte, und warum sich etwa die Gemüter derart erhitzen, wenn islamische Gläubige für sich die gleichen Rechte einfordern, die ChristInnen selbstverständlich zugestanden werden.

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KULTUR UND RASSISMUS

Die Analyse von Imitation und Assimilierung wiederum öffnet den Blick für die Gefahr der Herrschaftsstabilisierung durch Mimikri. Religionskritik ist darauf hin zu untersuchen, wie sie kontextualisiert und positioniert ist: Verächtliche und entwürdigende islamkritische Äußerungen, die gleichzeitig affirmativ christlich-westlich argumentieren, verlieren ihre Glaubwürdigkeit als grundsätzliche Religionskritik und bestätigen hegemoniale Diskurse. Manche Aktionen provozierender Jugendlicher oder KünstlerInnen dagegen bewegen sich an den Grenzen, verwischen, ironisieren und überschreiten sie. Derartige Interventionen stellen die diskursiven Grenzen kultureller Essenzialisierungen auf beiden Seiten in Frage und verwischen sie. Sie weisen auf die Marginalisierung bzw. Dominanz von Diskursen und Praxen hin und entfalten Handlungsmacht. Sie ergänzen dekonstruktive Strategien und politische Kämpfe und zeigen eindrücklich, wie mit Konstruktionen, Essenzialisierungen und Othering jenseits ihrer Vernachlässigung als konstitutiv belanglos umgegangen werden kann. Denn der Versuch, Ethnisierung und Rassismus zu vermeiden, reicht nicht aus, um sich davon zu befreien. Er ist in die dominanten, marginalisierten und hybriden Kulturen eingeschrieben. Die Analyse der dominanten, marginalisierten und hybriden Kulturen auf dem Hintergrund der jeweils spezifischen historischen, politischen und gesellschaftlichen Kontexte haben sich Rassismusforschung und postkoloniale Studien zur Aufgabe gemacht. Einige Bereiche sind inzwischen recht gut erforscht (z.B. die britische Kolonisation und ihre (kulturellen) Folgen in Indien). Sie fokussieren Kultur im Kontext von britischem, aber auch französischem Kolonialismus, insbesondere in ihrer Bedeutung für ›Subalterne‹. Weniger verbreitet dagegen ist die Untersuchung der Relevanz postkolonialer Theorie für hegemoniale Diskurse und dominante Subjekte, insbesondere die Analyse der Konstruktion und Essenzialisierung einer hegemonialen ›deutschen Kultur‹ im Kontext von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus. Unter Berücksichtigung der politischen Bezüge der Bundesrepublik liegt der Fokus des nächsten Kapitels auf dieser Fragestellung.

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Hegemoniale Diskurse

Trotz seines herausragenden Status war Edward Said nicht der erste, der westliche Islamdiskurse kritisierte. Ekkehard Rudolph führt die ersten systematischen kritischen Auseinandersetzungen arabischer Intellektueller mit westlicher Islamwissenschaft auf die seit 1873 stattfindenden Orientalistenkongresse zurück. Zwar überwog anfangs die Freude darüber, dass es in Europa Interesse am ›Orient‹ und ›Islam‹ gäbe, damit würde der Verdienst einer eigenen Zivilisation gewürdigt. Die Bereitschaft, das europäische Interesse positiv zu interpretieren, schwand jedoch schnell angesichts der direkten Kolonialpolitik. Mit ihr verflüssigte sich auch das Interesse an weitergehenden Kooperationen und es setzte eine Rückbesinnung auf die ›eigene‹ Zivilisation als ebenbürtiger ein. »Nicht die Umkehr zum Islam im Sinne der Nachahmung eines ursprünglichen Zustandes, sondern die Besinnung auf die zeitweilige Überlegenheit der islamischen Kultur und Wissenschaft über Europa sollte die Wende einleiten« (Rudolph 1991: 15). Damit weisen diese frühen Kritiken Parallelen auf zu Interventionen, die in ›kultureller Identität‹ eine Stärkung eigener Positionen sehen. Gleichzeitig unterscheiden sie sich von jenen Strömungen innerhalb der postkolonialen Theorie, die die Hybridität und Interdependenz von Kulturen in den Vordergrund stellen und anstelle von Gegen-Essenzialisierung und Gegen-Hegemonie deren Dekonstruktion anstreben. Aber auch die weiteren Auseinandersetzungen mit ›westlichem‹ Orientalismus wurden aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlicher Zielsetzung und Reichweite geführt.

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

Rudolph zitiert eine Untersuchung von Mahmud Zaqzuq aus dem Jahre 1983, in der dieser eine Klassifizierung von Orientalisten in verschiedene Gruppen aufführt: »1. Autoren von Lügen und Legenden über den Islam, die am Beginn der Orientalistik auftraten, jetzt aber nur noch selten vorkommen; 2. Orientalisten, die für die ökonomischen, politischen oder kolonialistischen Interessen des Westens arbeiten und sich dadurch ihren Lebensunterhalt verdienen; 3. Orientalisten, die in ihren Werken das Überlegenheitsgefühl des Westens verbreiten helfen; 4. Orientalisten, die im Namen wissenschaftlicher Forschung angetreten sind, aber Zweifel am Islam hegen und an ihm ›schwache Stellen‹ suchen; 5. Gerecht und wissenschaftlich objektiv urteilende Orientalisten, darunter solche, die zum Islam konvertiert sind; 6. Orientalisten, die sich mit der arabischen Sprache und Literatur befassen, Wörterbücher u.a. erstellen und dadurch den Muslimen von Nutzen sind.« (Rudolph 1991: 80)

Neuere Kritiken »muslimischer Gelehrter« aus den 1960er und frühen 1970er Jahren fasst Reinhard Schulze (2007) mit Bezug auf Ziauddin Sardar (2002: 85-100) wie folgt zusammen: »- Die Orientalistik gründe auf einem mittelalterlichen Islambild (Tibawi 1964). - Die Orientalistik lasse Objektivität und Respekt vermissen (Tibawi 1964). - Die Orientalistik lasse die islamische Identität nicht gelten, sondern versuche, den Islam spekulativ als eine christliche oder jüdische Tradition zu beschreiben (Tibawi 1964). - Die Orientalistik sichere als Machtdiskurs die Vorherrschaft des Westens über den Nicht-Westen (Hodgson 1993). - Die Orientalistik lasse den Islam nur als Vergangenheit gelten (AbdelMalek 1963). - Die Orientalistik lasse jedwede soziale Entwicklung der islamischen Gesellschaften ausser Acht und definiere die Gegenwart als reinen Kommentar einer frühislamischen Islamität (Abdel-Malek 1963). - Die Orientalistik betrachte die Gegenwart lediglich als Fortschreibung einer (begrenzten) Vergangenheit (Abdel-Malek 1963).

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HEGEMONIALE DISKURSE

- Die Orientalistik negiere den Beitrag der islamischen Kultur zur allgemeinen Wissens- und Zivilisationsgeschichte und definiere den Islam als Grund einer kulturellen ›Rückständigkeit‹ (Abdel-Malek 1963). - Die Orientalistik sei eng mit kolonialen Interessen der kulturellen Unterwerfung des ›Anderen‹ verknüpft (Abdel-Malek 1963). - Die Orientalistik schreibe den Mythos des ›faulen Eingeborenen‹ fort (Alatas 1977). - Die Moderne sei eine Fortschreibung des Orientalismus (Djait 1977).« (Schulze 2007: 48)

In diesen Auseinandersetzungen sind bereits die zentralen Kritiken am ›westlichen‹ Orientalismus vorweggenommen. Sie zeugen auch davon, dass Kritik an der Essenzialisierung und Herabsetzung der ›Anderen‹ ihrerseits mit Essenzialisierung und Bewertung einher gehen können. Die hier skizzierten Auseinandersetzungen blieben insgesamt marginal, ebenso wie ›westliche‹ Kritiken an der eigenen Zunft. Norman Daniel hatte beispielsweise bereits 1960 das ›westliche‹ Islambild als christlichen Antiislamismus1 analysiert, Jean-Jacques Waardenburg legte 1962 eine Studie vor, in der er den Einfluss ›westlicher‹ Orientalisten (Historiker und Religionswissenschaftler) auf die Missionierung und Kolonisierung islamischer Länder untersucht, Bryan Stanley Turner beschreibt in drei Büchern wissenschaftliche Beiträge zur Orientalisierung des ›Orients‹ (zu Weber: 1974, zu Marx: 1978, zu Postmoderne und Globalisierung: 1994). Sie alle fanden nicht den Widerhall, der Saids Arbeiten – sei es zustimmend, transformierend oder ablehnend – in den Literatur- und anderen Wissenschaften und in der politischen Auseinandersetzung zukommt. Dennoch

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Mit Antiislamismus ist selbstverständlich nicht die Kritik am (politischen, terroristischen, fundamentalistischen) Islamismus gemeint, vielmehr ist damit die Homogenisierung und Abwertung des Islam als religiös definiertes ›Anderes‹ angesprochen (gelesen also eher als Anti-Islam-ismus). Antiislamismus bezieht sich stärker auf religiöse Aspekte (Homogenisierung der Religion, falsche oder einseitige Darstellungen, religiöse Abgrenzungen und Feindbilder etc.), während antimuslimischer Rassismus die Konstruktion und Essenzialisierung ›der/des Anderen‹ als Muslime/islamisch fokussiert und damit die diskursive Verschränkung von (islamischer) Religion mit Kultur, Gesellschaft, Politik etc. thematisiert. In diesen Bedeutungen werden im Folgenden beide Termini benutzt.

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

deuten sie alle auf die Bedeutung ›westlicher‹ Orient- und Islamdiskurse für das ›Eigene‹ und – in der Folge – auch für die ›Anderen‹ hin. In Analysen des dominanten ›westlichen‹ Bildes vom ›Orient‹ bzw. ›Islam‹ wird auf die exotisierenden und herabsetzenden Konstruktionen eines Gegenbildes zum (US-)europäischen Selbstbild hingewiesen und deren Bedeutung für die politische und gesellschaftliche Hegemonie sowie die religiöse und kulturelle Selbstvergewisserung herausgearbeitet. Da sich Orientalism und auch die folgenden postkolonialen Studien nur am Rande mit der deutschen Situation beschäftigten, interessierten sich WissenschaftlerInnen in Deutschland dafür, ob auf Grund der besonderen nationalen Geschichte (v.a. bzgl. Kolonialismus) die Analyse des Orientalismus hier andere Ergebnisse erbringen würde.

P r ä s e n t a t i o n e n d e s An d e r e n Postkoloniale Studien sind insbesondere in den Literatur- und Kulturwissenschaften entwickelt worden. Insofern verwundert es nicht, dass Studien zum Orientalismus primär literarische und kulturelle Dokumente analysieren. Auch in Deutschland sind Arbeiten zum Orientalismus vor allem in diesen Disziplinen verbreitet. Es finden sich jedoch auch vereinzelte Untersuchungen mit politik-, sozial- und islamwissenschaftlichen Bezügen. Dort werden alte und neue Diskurse und Praxen darauf hin analysiert, inwiefern sie essenzialisierende Bilder und Gegenbilder re-/produzieren. In einigen Arbeiten wird dies mit der Frage danach verknüpft, wem die Essenzialisierungen nutzen und aus welcher gesellschaftlichen und politischen Situation heraus sie hervorgebracht und gefördert werden. Sie interessieren als Zeugnisse über historische Entwicklungen, auch in ihrer Bedeutung für gegenwärtige Einstellungen, Wissensbestände, Diskurse, Beziehungen bis hin zu gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Sie geben Auskunft darüber, wie ›der Westen‹ andere, aber auch wie er sich selbst sieht und darstellt. Analysen zum Orientalismus eröffnen damit Einblicke in ›den imaginären Orient‹, ›den imaginären Westen‹ sowie die Beziehung zwischen den als Gegenpole konstruierten ›Kulturen‹ und ›Religionen‹ – und damit zu aktuel-

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HEGEMONIALE DISKURSE

len Diskursen über und Praxen im Rahmen von ›neuer Weltordnung‹, ›islamistischem Terrorismus‹, Moschee-, Kopftuch- und anderen Debatten. Das überlieferte Orientbild kann in Kultur und Theorie nachvollzogen werden: in Märchen, Abenteuerromanen, Reiseberichten, Prosa, Lyrik, Musik und Malerei, in philosophischen, religiösen, politischen und wissenschaftlichen Texten. Als Kulturgüter und Wissensbestände wirken sie auch dann, wenn sie im Einzelnen nicht (mehr) erinnert werden oder tatsächlich nicht gelesen, gesehen, gehört wurden. Die tradierten Bilder finden sich auch in neueren kulturellen, medialen und theoretischen Zeugnissen wieder, in Reise- und Sachbüchern bzw. -reportagen, literarischen Verarbeitungen und wissenschaftlichen Analysen, Darstellungen in Filmen, Computerspielen und Schulbüchern usw. Dort finden sich vereinzelt auch Gegendiskurse, die die überlieferten Klischees und Essenzialisierungen aufzubrechen oder umzucodieren versuchen, sie sind jedoch marginal. Im Unterschied dazu profitieren orientalisierende und antimuslimische Diskurse weiterhin von ihrer eigenen Essenzialisierung und Hegemonie: Ihre Verbreitung verdanken sie ihrer Macht, der Position, aus der heraus sie produziert, verbreitet und konsumiert werden.

Kulturelle Tradierungen Im deutschsprachigen Raum finden sich zahlreiche kulturelle Präsentationen, die seit Jahrhunderten das Orient- und Islambild prägen. Einige, die zu ihrer Zeit weit verbreitet waren, sind heute weniger bekannt (vgl. etwa zu den Kolportageromanen von Julius Stinde: V. Paulus 2007), andere wiederum werden erst Jahrzehnte nach ihrer Niederschrift breit veröffentlicht und gelesen (vgl. etwa zu den Reiseromanen von Annemarie Schwarzenbach: Ueckmann 2007). Zu den über die Jahrhunderte populären und wirkmächtigen kulturellen Werken gehören neben Musik und Malerei besonders auch die Märchen aus 1001 Nacht und der Orientzyklus von Karl May sowie religiöse Diskurse. Obwohl sie sich in ihrem Tonfall unterscheiden (exotistisch, paternalistisch, vereinnahmend, feindselig), schöpfen sie aus dem gleichen Set an Orientund Islambildern und trugen und tragen noch wesentlich zu seiner Ausstattung und Verbreitung bei.

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

Die Märchen aus 1001 Nacht wurden im 19. Jahrhundert in europäische Sprachen ›übersetzt‹ und stießen vor allem in der Romantik auf großes Interesse. Die Weitergabe der Märchen beruhte auf einer mündlichen Tradition, die je nach Zuhörerschaft bestimmte Aspekte betonte, wegließ, ergänzte etc. Insofern wurden die Märchen aus 1001 Nacht tatsächlich übersetzt, da die jeweiligen europäischen Versionen die Interessen ihrer Leserschaft berücksichtigten und bestimmte Bilder (vor allem bezüglich Sexualität und Gewalt) betonten, Themen hinzufügten und ganze Passagen selber erfanden. Sie werden jedoch als Zeugnisse über die ›fremde Kultur‹ gelesen und nicht als Hinweise auf eigene Fantasien (vgl. hierzu Kabbani 1993). In ihnen wird ein sinnlicher Orient präsentiert, in dem ›Orientalinnen‹ erotisch, verführerisch und verfügbar sind (vgl. zu feministischen Analysen Lewis 1996; Yeğenoğlu 1998), Reichtum im Überfluss vorhanden ist und das Leben einfach und zauberhaft erscheint (vgl. Ammann 19892). Als historische Zeugnisse weisen sie auf jene Themen hin, die im Abendland diskutiert (oder unterdrückt) wurden: Auf die vorherrschende Sexualmoral, die als unsinnlich und prüde erlebt wurde, sowie auf die aufkommende Aufklärung, die als mühsam, kompliziert und gefühlskalt galt. Beide Themen weckten Sehnsüchte nach Sinnlichkeit und Leidenschaft sowie einem einfachen und dennoch reichen Leben, die in ein Gegenbild projiziert wurden. Hierzu eignete sich der Orient, da zu ihm als nahem Nachbarn bereits Bezüge hergestellt waren: Politisch und religiös war er hinlänglich als Gegner bekannt, gleichzeitig galt er lange Zeit in naturwissenschaftlicher und philosophischer Hinsicht als Konkurrent oder sogar als Vorbild. Das Gegenbild Orient wurde in den Märchen aus 2

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Allerdings sieht Ulrich Ammann in den Märchen aus tausendundeiner Nacht ein freundliches Orientbild verwirklicht, das positiven Einfluss auf die Beziehung zwischen Muslimen und ChristInnen ausübte. Mit ihm sind auch andere AutorInnen bemüht, die Relevanz postkolonialer und Orientalismus-kritischer Studien für den deutschen Kontext zurück zu weisen, z.B. indem Herrschaftsdiskurse und Dominanzgebaren von AkademikerInnen, Intellektuellen und KünstlerInnen uminterpretiert werden in eine wohlwollende und berechtigte »Art intellektueller Autorität« (Fuchs-Sumiyoshi 1984). Dagegen sind Exotismus und Paternalismus inzwischen hinlänglich als grundlegende Aspekte rassistischer Diskurse und Praxen thematisiert worden.

HEGEMONIALE DISKURSE

1001 Nacht weiter transportiert, wenn auch unter teilweise veränderten Vorzeichen. Darin wurde dem Orient wieder die Rolle des fremden Anderen zugewiesen, der fasziniert und anzieht. Gleichzeitig wurde er herabgesetzt, indem er als primitiv dargestellt wurde. Darin drückt sich die eigene Ambivalenz einerseits nach Hingabe und Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse und andererseits nach vernunftgeleitetem Fortschritt aus. Der Einfluss der Märchen aus 1001 Nacht kann heute weit über die Verbreitung der Märchen als Bilderbücher, Sammlungen oder Verfilmungen hinaus nachgewiesen werden (vgl. Pflitsch 2007). Sie stellen die exotistische Variante des Orientalismus dar und finden sich in Werbung (Seife, Parfüms, Kartoffelchips u.ä.) oder Freizeit (Musik, Bauchtanz, Fasching) wieder. Sie knüpfen an den ›sinnlichen Orient‹ an, der mit Erotik, Verführungskunst und Leidenschaft assoziiert wird.3 Karl May4 deutet das Thema Sexualität ebenfalls an, es tritt aber zu Gunsten der Motive Gewalt und Dummheit ›der OrientalInnen‹ zurück. Die Rolle des Europäers besteht hier darin, Muslime aus ihrer Misere zu retten, sie zu lenken und zu führen. Dies geschieht mit viel ›christlicher Nächstenliebe‹ und ›abendländischer Vernunft‹. Die Verbindung von Wissen und Macht wird an Hand der Hauptperson entfaltet und in Gegensatz zu den dummen, rückständigen, gewalttätigen etc. ›Orientalen‹ gebracht. Die ›OrientalInnen‹, denen Kara ben Nemsi begegnet, sind bald von ihm und seiner Religion begeistert und unterwerfen sich ihm freiwillig. Karl May entwirft seinen Helden als klugen und führungsstarken Europäer, der durch edle Taten und umfassendes Wissen über ›den Islam‹ besticht, das jenes der Muslime selbst übersteigt. 3 4

Vgl. zur exotistischen Variante die Beispiele im Anhang. Karl May, der den Orient erst nach seinem Orientzyklus bereiste und auf Grund der Konfrontation seiner Vorstellungen mit einer gänzlich anderen Wirklichkeit ernsthafte psychische Probleme bekam, schreibt: »Ich hatte meine Sujets aus meinem eigenen Leben, aus dem Leben meiner Umgebung, meiner Heimat zu nehmen und konnte darum stets der Wahrheit gemäß behaupten, dass alles, was ich erzählte, Selbsterlebtes und Miterlebtes sei. Aber ich musste diese Sujets hinaus in ferne Länder und zu fernen Völkern versetzen, um ihnen diejenige Wirkung zu verleihen, die sie in der heimatlichen Kleidung nicht besitzen.« (May zit. n. Hofmann/Vorbichler 1979)

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

Karl Mays Abenteuerromane rechtfertigen die europäische hegemoniale Rolle in ›orientalischen‹ Ländern. Während in den Märchen aus 1001 Nacht Dominanz primär über die (exotistische Konstruktion der) kulturelle(n) Differenz hergestellt wird, wird bei Karl May auf die ›Fremdheit‹ des inzwischen bekannten ›Anderen‹ Bezug genommen, um die hierarchische Beziehung zwischen den essenziell Verschiedenen zu begründen und den eigenen Herrschaftsanspruch zu legitimieren. »Die Begegnung mit dem Fremden hat ein Bewusstsein der eigenen Überlegenheit hervorgebracht« (Berman 1996: 151). Karl Mays Orientzyklus bietet eine wichtige Unterstützung zur Legitimation der Beherrschung, Missionierung und Kolonisierung des Orients. Es liefert nicht nur ein Zeugnis seiner Zeit, sondern war selbst aktiv und gestaltend in den politischen Diskurs verstrickt (vgl. Berman 1996, zusammenfassend 2007 b). Auch heute noch erfreuen sich Karl Mays Abenteuerromane großer Beliebtheit, davon zeugen nicht nur die Neuauflagen und Verfilmungen seiner Bücher, sondern auch die positiven Bezüge auf ihn und seine Werke, wie sie in der Karl May Gesellschaft, Karl May Stiftung, Karl May Grundschule oder in den Karl May Festspielen zum Ausdruck kommen.5 Die religiöse Überheblichkeit, die bei Karl May ganz unbekümmert daher kommt, kann auf eine lange christliche Tradition zurück blicken. Einige Jahrhunderte vor Karl May richtete sich das christliche Orient- und Islambild gegen den starken Konkurrenten. Alle – offensichtlichen und konstruierten – Differenzen zwischen den beiden Religionen wurden zum Anlass genommen, um die Minderwertigkeit und Boshaftigkeit der Anderen und die eigene Vollkommenheit und Höherwertigkeit zu belegen. Die »lasterhafte Sinnlichkeit der Muslime und […] die Lügenhaftigkeit des Islam« (Hörner 1993 b: 207) waren beliebte Themen. Über die religiöse Abgrenzung hinaus instrumentalisierte etwa Martin Luther ›den Islam‹ auch als Mahnung und Abschreckung und nutzte ihn für die Herausbildung und Verpflichtung auf eine religiös begründete kulturelle Identität (vgl. zum religiösen Gegenbild Colpe 1989; Daniel 1960). Die christliche Prägung Europas und des Westens wird auch heute noch von den Kirchenoberhäuptern betont und in Abgrenzung zum Islam definiert. Vernunft und Nächsten5

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Vgl. zu Parallelen zwischen Karl Mays Orientromanen und Kolonialdiskursen im ›Orient‹ die Beispiele im Anhang.

HEGEMONIALE DISKURSE

liebe werden als Spezifika des christlichen Glaubens konstruiert und in Opposition zur Gewalt des Islam gebracht. Die gepriesene Dialogbereitschaft der christlichen Kirchen wird – teilweise unverhohlen – mit dem Ziel der Missionierung, zumindest jedoch mit dem Beharren auf der eigenen Überlegenheit sowie der herausragenden und allein berechtigten Bedeutung des Christentums für Europa verknüpft6. Diese Facetten des tradierten Orient- und Islambildes, die ihn als Gegenbild zum Eigenen exotisierend vereinnahmen, hierarchisierend herabsetzen oder ausgrenzend als fremd erklären, finden sich in unterschiedlichen kulturellen Präsentationen wieder. In der Malerei (vgl. Günther 1990; Lemaire 2001) wurde ein Orientbild vermittelt, das – vor allem in Darstellungen über den Harem – die sexualisierenden mit den gewalttätigen Fantasien verbindet: Üppige entblößte Frauenkörper, teilweise durch Schleier hervorgehoben, werden von schwer bewaffneten, finster dreinblickenden Männern bewacht. Auch in der Musik (vgl. Spohn 1993, 2007) werden Sexualität und Gewalt fokussiert: Blutrünstige, grausame ›Orientalen‹ sind in den beliebten ›Türkenopern‹ des 18. Jahrhunderts weit verbreitet. In Reiseberichten (vgl. Erker-Sonnabend 1987; Spohn 1993), die sich seit dem 16. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreuen, kommen alle Bilder vor und zeugen von den jeweils aktuellen politischen, gesellschaftlichen, kulturellen, religiösen Diskursen und prägen sie mit: Über 500 Jahre lang wurden hier Klischees über Sexualität, Gewalt und Irrationalität re-/produziert, die als literarische Verarbeitungen eigener Erlebnisse aber auch als Informationsgrundlage über den Orient bzw. Islam ins kulturelle Erbe des christlichen Abendlandes eingingen. Auch heute noch zeugt die Popularität von alten und neuen Reiseberichten davon, welche Bedeutung das (Lesen über das) Reisen für die Präsentation des Eigenen und die Auseinandersetzung damit hat (vgl. Ueckmann 2007).

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Vgl. zu religiösen Diskursen die Beispiele im Anhang.

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

Aktuelle Diskurse In dieser Tradition stehen auch die Reise- und Sachbücher sowie TV-Auftritte und Rundfunkinterviews von Peter Scholl-Latour. Seit Jahrzehnten ist er in Deutschland wesentlich an der Aktualisierung eines Orient- und Islambildes beteiligt, das die tradierten Themen und Bilder aufgreift, um sie als journalistische Informationen zu verkleiden und mit Koran-Zitaten zu belegen. Scholl-Latour, der seit Anfang der 80er Jahre fast jährlich ein Buch veröffentlicht und bereits in mehreren TV-Sendungen an prominenter Stelle mitwirkte, wird in den Medien (ARD, ZDF, WDR, n-tv, UFA, stern, Junge Freiheit, Gruner + Jahr, Ullstein u.v.a) und von der Politik als Sachverständiger geschätzt, hat mehrere Preise und das Bundesverdienstkreuz erhalten, seine Reportagen und Bücher finden großen Absatz in der Öffentlichkeit.7 »Scholl-Latours Erfolg beruht nicht auf seiner Kompetenz als Berichterstatter […], sondern darauf, wie und mit welcher Tendenz er schreibt. […] Sein Stil ist der eines konventionellen Romanerzählers. [… Er] verlangt von seinem Publikum nichts als die Bereitschaft zu lauschen und zu glauben« (Hörner 1993 a: 62 f.). Scholl-Latour präsentiert sich als intimen Kenner und persönlichen Freund unzähliger wichtiger Persönlichkeiten im Nahen und Mittleren Osten (und anderswo), die – seinen Angaben zufolge – stets bereit sind, ihm zu vertrauen und Geheimnisse preis zu geben. Ihnen und den anderen Informanden legt Scholl-Latour seine eigenen Einstellungen in den Mund, insbesondere dann, wenn sie offen rassistisch sind. Inhaltlich enthalten seine Bücher nicht viel Neues, sondern dienen der »Bestätigung des Wissensfundes des Bildungsbürgertums« (ebd.: 68). Sie reproduzieren auch die Mischung aus Faszination und Abscheu, die »bezeichnend für das traditionelle Orientbild« (ebd.: 69) ist, an das er sprachlich und bildlich, thematisch und diskursiv anknüpft. Scholl-Latours Darstellung des Orients bzw. Islam als stagnierend und rückständig, irrational, despotisch und grausam hat seinen festen Platz sowohl in politischen als auch in Alltagsdiskursen gefunden. Ihre Botschaft ist eindeutig: Demnach

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Vgl. Abdallah 1998, die den Zusammenhang zwischen orientalisierender Darstellung und Breitenwirkung analysiert und dabei auch die Arbeiten von Scholl-Latour heranzieht.

HEGEMONIALE DISKURSE

stellt der Islam eine Bedrohung dar, gegen die der Westen die Pflicht hat, zu intervenieren – auch mit militärischen Mitteln. Hans-Peter Raddatz scheint Peter Scholl-Latour als ›Experten‹ in den Medien abzulösen. Beide sind darin erfolgreich, sich selbst als seriöse Sachverständige darzustellen, obwohl genau dies widerlegt wurde (vgl. Klemm/Hörner 1993 bzw. Widmann 2008) und beide warnen eindringlich und in rassistischer Manier vor ›dem Islam‹, der ›den Westen‹ bedrohe. Sie unterscheiden sich jedoch in ihren Legitimationsgrundlagen und ihrem Duktus. Während Scholl-Latours Berichte auf eigenen Reisen und Gesprächen mit ›dem Feind‹ beruhen, beruft sich Raddatz auf seine ›wissenschaftliche‹ Expertise. Ein zentraler Unterschied besteht in ihren Bezügen zu Juden bzw. Antisemitismus. Während Scholl-Latour ›Juden‹ und ›Arabern‹ gleichermaßen einen ›semitischen Charakter‹ zuweist (vgl. ebd.: 72), wird Raddatz u.a. wegen seiner Ausführungen zum ›islamischen Antisemitismus‹ zustimmend zitiert. Hier kommt die Bedeutung eines neuen Topos im antimuslimischen Diskurs zum Ausdruck, der – wie noch zu zeigen sein wird – zentral für die deutsche Variante von Orientalismus und antimuslimischen Rassismus ist. Raddatz (vgl. kritisch Widmann 2008) veröffentlicht seit Beginn des Jahrtausends in rechtskonservativen und rechtsextremen Medien (Junge Freiheit und Herbig-Verlag), seine Bücher werden zustimmend in Massenmedien rezensiert (Die Welt und DeutschlandRadio) und als Buchtipps geführt (ARD und Arte), er schreibt für auflagenstarke Tageszeitungen und Wochenzeitschriften (Die Welt, Hamburger Abendblatt, Fokus, Weltwoche), wird interviewt und zu Gesprächsrunden eingeladen (ARD, ZDF, ORF, Phoenix, DeutschlandRadio), spricht als Experte in Einrichtungen der politischen Bildung (Hanns-Seidel-Stiftung, Friedrich-Ebert-Stiftung, Landeszentrale für politische Bildung) und als Gast der Zionistischen Organisation in Deutschland in Räumen der Jüdischen Gemeinde Frankfurt (ebd.: 49 f.). Raddatz sieht ›im Islam‹ das absolut Andere des ›Westens‹, sie bildeten Oppositionen, die jeden Kompromiss ausschlössen. Er glaubt an eine Verschwörung zwischen deutschen (und europäischen) Eliten und Muslimen mit dem Ziel der »Gleichschaltung aller Bereiche europäischer Kultur […] unter islamischem Einfluss« (zit. n. ebd.: 58). Er ersetzt antisemitische durch antimuslimische Stereotype und nimmt gleichzeitig eine Neubestimmung von Tätern und Opfern vor: »Raddatz

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

sieht in den Deutschen die künftigen Opfer eines Völkermordes durch Muslime. [… und] bezeichnet Zuwanderung als ›Endlösung‹ für die ansässige Kultur« (ebd.: 62). Gleichzeitig hält er Antisemitismus für ein Grundelement des Islam seit seinen Anfängen. Für das vermeintliche Erstarken des Islam im Abendland macht er den ›deutschen Selbsthass‹ und das fehlende Selbstbewusstsein der Deutschen verantwortlich sowie die gesellschaftliche Liberalisierung, die auch vor Wirtschaft und Kirchen nicht halt mache. »Aus christlicher Schwäche wachse die Chance islamischer Dominanz« (ebd.: 54). Ganz ähnlich argumentiert auch Alice Schwarzer, Herausgeberin von EMMA, einer auflagenstarken Frauenillustrierten, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes und gefragte ›Expertin‹ für frauenspezifische Fragen im Zusammenhang mit Islam und Islamismus in verschiedenen Massenmedien (z.B. Welt am Sonntag oder Spiegel). Bei ihr werden jedoch ›Selbsthass‹ und die Opfer von Islamismus als weiblich identifiziert und Islamismus als »extremste Form der Männerbündelei« (zit. n. Marx 2006: 231). Entsprechend steht bei ihr fest: » nicht zufällig nehmen auch die islamischen Gotteskrieger die Frauen als erste ins Visier, denn auch sie sind nichts anderes als die extremste Form der Männerbündelei. In zweiter Reihe stehen die Juden. In dritter die Intellektuellen. Und dann alle, die ›anders‹ sind. Ganz wie bei den Faschisten« (zit. n. Marx 2006: 213). Auch sie zieht Parallelen zum Nationalsozialismus, wobei sie »die Islamisten für gefährlicher als die Nazis« (ebd.: 213) hält, »weil sie wirklich im Weltmaßstab operieren. Der deutsche Flächenbrand hatte ja noch Grenzen« (ebd.: 213). Ähnlich wie Raddatz warnt sie vor einer ›schleichenden Islamisierung Europas‹ und sieht bereits erste Anzeichen für eine Anpassung des deutschen Rechtssystems an islamische Scharia-Gesetze. Bereits Scholl-Latour (und auch schon Karl May) schmückte seine Berichte mit Aussagen, die er als Zitate von ›Muslimen‹ ausgab. Diese Strategie ist bekannt und beliebt, um sich gegen Schwindel- oder Rassismusvorwürfe zu immunisieren. Als Berichte ›aus dem Inneren‹ scheinen sie gegen jede Kritik erhaben. Hinzu kommen ›Analysen‹ und ›Kritiken‹, die sobald sie hegemoniale Diskurse bedienen, besondere und ehrfürchtige Aufmerksamkeit erhalten. Dazu gehören einerseits Auftritte und Veröffentlichungen von (ehemaligen) ›Muslimen‹ wie Seyran Ateş oder Necla Kelek (vgl. kritisch Rommelspacher 2007), und andererseits solche

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HEGEMONIALE DISKURSE

von ›Juden‹ wie Henrik Broder oder Ralph Giordano (vgl. kritisch Brumlik 2008). Letztere genießen nicht nur den Status als Minderheiten, sondern ihnen wird darüber hinaus als Juden und Überlebenden des Holocaust eine besondere moralische Autorität zugewiesen. Obwohl viele ihrer Positionen an rechtskonservative und rechtsextreme Politik anschließen, werden sie auch in liberalen und linken Milieus und Medien zustimmend zitiert. Zentrale Themen sind das Geschlechterverhältnis, wobei insbesondere das Kopftuch den Missfallen der AutorInnen findet. Aber auch häusliche Gewalt, die im ›muslimischen‹ Kontext kulturalisiert wird, findet Interesse bei AutorInnen und Leserschaft. ›Ehrenmord‹ und ›Zwangsheirat‹ werden medienwirksam in Szene gesetzt und gleichzeitig als alltäglicher Ausdruck einer ›frauenfeindlichen‹ Religion/Kultur dargestellt. Neben dem Geschlechterverhältnis wird das Scheitern der ›multikulturellen Gesellschaft‹ und der Integrationspolitik verurteilt. Als blicke die Bundesrepublik diesbezüglich auf eine nennenswerte empirische Realität zurück, werden – ähnlich wie in rechtspopulistischen Diskursen – vor allem linke Politik und alternative Bewegungen der Naivität bezichtigt. Gerade diese scheinen besonders empfänglich für entsprechende Kritiken zu sein. Dem ›mittelalterlichen‹ Islam und der ›MultikultiIllusion‹ wird ein Bild entgegen gehalten, das die ›deutsche‹ und ›christliche‹ Toleranz, Nächstenliebe, Fortschrittlichkeit etc. preist. Diese Schmeicheleien scheinen zu wirken. Auch ehemals oder ansonsten gesellschaftskritische Diskurse argumentieren im Zusammenhang mit ›dem Islam‹ sehr konform und affirmativ; hier gelten offensichtlich andere Maßstäbe. In Internetforen werden die aktuellen Diskurse aufgegriffen und kommentiert (vgl. kritisch Shooman 2008). Mit prominenter Unterstützung und untereinander gut vernetzt verzeichnen sie hohe Zugriffszahlen. Sie geben vor, Grundgesetz und Menschenrechte zu schützen und warnen in dichotomisierender Weise vor dem Untergang des Abendlandes durch die Islamisierung Europas. Der Islam breite sich durch die demografische Entwicklung und die kulturelle Expansion aus, sodass Deutschland eine »religiöse Diktatur« durch Scharia und Koran bevorstehe. Mit finanzieller Macht durch Öl ausgestattet würden Muslime westliche PolitikerInnen, Medien, Universitäten und Schulen bestechen, so dass diese die ›einheimische‹ Bevölkerung von der bevorstehenden Islamisierung ablenkten, indem sie andere Themen – bei-

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

spielsweise den Klimawandel – in den Vordergrund stellten und europäische Sichtweisen sowie die Meinungsfreiheit einschränkten. Der öffentliche Diskurs sei insgesamt durch Muslime gesteuert, gegenteilige Beteuerungen seien Täuschungsversuche, die im ›Islam‹ nicht nur üblich, sondern auch theologisch abgesichert wären. Indem Muslime in zentrale gesellschaftliche Institutionen vordrängten, sich jedoch Deutschland gegenüber illoyal verhielten, unterwanderten sie die Gesellschaft und bedrohten ›uns‹ existentiell. Parallelen zu antisemitischen Stereotypen und zum Nationalsozialismus sind ebenso wenig zufällig wie die Terminologie. Allerdings werden antisemitische Täuschungs-, Verschwörungsund Unterwanderungsszenarien durch antimuslimische ersetzt und gleichzeitig postuliert, in ihrer ›Islamkritik‹ gegen Antisemitismus vorzugehen. Sich selbst präsentieren die AutorInnen als Opfer und WiderstandskämpferInnen und ziehen auch hierbei Parallelen zum Nationalsozialismus: Sie wollten sich nicht von ihren Enkeln vorwerfen lassen, weggesehen und nichts getan zu haben. Deutlich moderater wird das Verhältnis zwischen ›Juden‹ und ›Arabern‹8 bereits seit einiger Zeit auch literarisch verarbeitet. Neben Nationalsozialismus und Nahostkonflikt werden dort die bereits bekannten Orient- und Islamdiskurse verarbeitet und gegenwärtigen Themen und Formen angepasst. Literaturwissenschaftliche Analysen zu deutscher Prosa seit 1945 etwa kommen zu dem Ergebnis, dass sich diese einerseits von den exotistischen Ausschmückungen der Märchen aus 1001 Nacht unterschieden, die Grausamkeit und moralische Minderwertigkeit der Muslime aber, die bereits bei Karl May ein zentrales Motiv darstellen, sich – in aktualisierter Form – auch in der neueren Literatur wiederfänden (vgl. Kamaluldin 1997).9 Neben dem männlichen Täter und weiblichen Opfer werden Gewalt und Brutalität heute im Kontext des Nahostkonflikts in Szene gesetzt. In diesem Zusammenhang wird auch der Irrationalismus als Motiv tradiert, die ›eigene‹ Vernunft

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Tatsächlich wird sowohl in literarischen als auch in anderen (medialen, schulischen, politischen etc.) Kontexten derart zwischen ›Juden‹ und ›Arabern‹ unterschieden, als handele es sich dabei um zwei in sich geschlossene homogene Gruppen; arabische Juden etwa scheint es demnach nicht zu geben. Kamaluldin (1997) bezieht sich z.B. auf Elias Canettis Die Stimmen von Marrakesch oder auf Ingeborg Bachmanns Der Fall Franza.

HEGEMONIALE DISKURSE

und Rationalität der emotionsgeleiteten Handlungsweise ›der AraberInnen‹ gegenübergestellt. Damit werden Distanz, Mitleid und Überheblichkeit ihnen gegenüber begründet. Die Konfrontation zwischen ›den Kulturen‹ dient der Selbstvergewisserung, ›die Anderen‹ werden funktionalisiert, um sich selbst als höherwertig zu bestätigen. Dies geschieht nicht so plump wie bei Karl May (hier wird ein anderes Publikum angesprochen), erscheint aber dennoch als gerechtfertigt. Daneben gibt es in der neueren Literatur Texte, die das hierarchische Bild reflektieren bzw. die Erfahrungen von ›muslimischen‹ Minderheiten in Deutschland kritisch thematisieren.10 Hierzu wird jedoch in der Regel die Kulturalisierung und Essenzialisierung des ›Fremden‹ bestätigt bzw. erneuert, da ihre Konstruktion als fremd zur Reflexion der eigenen Umgangsweisen mit dem Fremden notwendig erscheint. Zwar bedienen sich reflektierende literarische Verarbeitungen häufig weniger offener Dominanzstrategien; wo sie jedoch nicht gänzlich vermieden oder offensiv zum Gegenstand der Auseinandersetzung werden, können sie zur Bestätigung hegemonialer Diskurse beitragen.11 In aktuellen hegemonialen Diskursen stehen der historisch tradierte Geschlechterdiskurs und neuere Bezüge zu Nationalsozialismus und Antisemitismus im Mittelpunkt. Weitere Themen weisen häufig Bezüge zu diesen beiden zentralen Themenbereichen auf (z.B. die Schächtung von Tieren oder die Einrichtung religiöser Institutionen, die auch in antisemitischen Diskursen verbreitet waren bzw. noch sind, oder die Homophobie, die mit Geschlechter- bzw. gender/queer-Diskursen verschränkt ist). Das Bild vom ›Islam‹ als ›Gegen-Westen‹ und ›Muslimen‹ als ›wesenhaft anders‹ wird vervollständigt durch allgemeine rassistische Stereotypisierungen (kriminell, faul, dumm, arm, gewalttätig etc.). Auffällig ist, dass diese allgemeinen Rassismen im Zusammenhang mit ›Muslimen‹ stärker kulturalisiert und zunehmend auf diese fokussiert werden. Insgesamt wird ein Bild entworfen, nach welchem

10 Akbulut (1993) bezieht sich z.B. auf Heinrich Bölls Gruppenbild mit Dame oder auf Jakob Arjounis Happy birthday Türke!. 11 Dazu zählen beispielsweise die Übernahme der Position eines Freundes (in Helma Sanders-Brahms Shirins Hochzeit etwa) oder die Projektion und Identifikation (z.B. in Hanne Mede-Flocks Im Schatten der Mondsichel) (vgl. Akbulut 1993).

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›Muslime‹ für sämtliche gesellschaftliche Missstände verantwortlich seien.

Politische Bezüge Migrationsbewegungen von und nach Deutschland sind nicht neu (vgl. Bade 1992), trotz gegenteiliger Beteuerungen war Deutschland bereits lange vor der Anwerbung von Arbeitskräften in der Nachkriegszeit eine Migrationsgesellschaft (vgl. Karakayali 2008). Auch war Deutschland nie ›rein‹, es kann weder ethnisch oder völkisch noch religiös definiert werden, wer ›deutsch‹ ist, obwohl das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht und die politische, gesellschaftliche, mediale, soziale Wahrnehmung von ›Einheimischen‹ und ›Eingewanderten‹ auf derartige Zuordnungen zurück greift. Die Merkmale, entlang derer Zugehörigkeit verweigert oder zugebilligt (oder aufgenötigt) wird, variieren, sie sind jedoch nicht beliebig. Im Zuge der Migrationsbewegungen der Nachkriegszeit wurden in Politik und Wissenschaft EinwandererInnen nach Deutschland zunächst als ArbeiterInnen wahrgenommen. In dieser Funktion wurden sie nach Deutschland gerufen und reisten hier ein.12 In Politik und (Arbeits-) Alltag wurden sie als Arbeiter angesprochen, ihre marginale Position kam im Slogan von der ›Unterschichtung der Arbeiterklasse‹ zum Ausdruck. In Statistiken und Analysen wurden die ›Gastarbeiter‹ aus den unterschiedlichen Anwerbeländern zusammengefasst und – wenn überhaupt – nach Staatsangehörigkeit unterschieden13, in Schule und Pädagogik war ganz allgemein von ›Gastarbeiterkindern‹ die Rede. Damit waren italienische, griechische, jugoslawische, türkische u.a. gemeint,

12 Auch diese Kategorie stimmte für die Bauern und Künstlerinnen unter den Eingewanderten nicht mit ihren Selbstbildern überein, auch dann nicht unbedingt, wenn sie hier in Fabriken ihren Lebensunterhalt verdienten. 13 Damit wurden bedeutsame Unterschiede jenseits von Staatsangehörigkeit ignoriert, beispielsweise ob es sich bei ›Türken‹ oder ›Irakis‹ um KurdInnen oder bei ›Iranern‹ um RegimegegnerInnen handelte.

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nach Religionszugehörigkeit wurden sie nur äußerst selten unterschieden14. Anfang der 80er Jahre änderte sich das: Die bisherigen ›Gastarbeiter‹, die nun offensichtlich hier bleiben würden, wurden als kulturell fremd dargestellt und wahrgenommen. Die KollegInnen aus den Fabriken wurden nun zunehmend und bereits abwertend als ›anatolische Bauern‹ bezeichnet. Die Differenz zu ihnen sah man in ihrer ländlichen Herkunft begründet. Damit einher ging die Zuweisung einer traditionellen Lebensweise, die sich bei ›den anatolischen Bauern‹ angeblich auch in der städtischen Migration nicht transformierte. Als Erklärung für das derart statisch wahrgenommene Verhaftet-Bleiben im Traditionellen – und im Unterschied zu eigenen Entwicklungen durch Binnenmigrationen – wurde die ›Religion der anderen‹ ins Feld geführt. Im Zuge der Kriege am Golf zu Beginn der Achtziger Jahre und der Anschläge vom 11. September 2001 wurde das Bild des traditionellen Islam, das ›den anatolischen Bauern‹ zugeordnet wurde, ergänzt. Der – aus Kreuzzügen und Nahostkonflikt bereits bekannte – Diskurs über den ›kriegerischen Islam‹ erwies sich als anschlussfähig. Er wurde aktiviert und mündete im Bild ›des arabischen Terroristen‹ bzw. › der arabischen Terroristin‹ (zugespitzt dargestellt im Bild der Palästinenserin in schwarzem Ganzkörperschleier mit Kalaschnikow über der Schulter). Die Identifizierung des ›Fremden‹ als ›islamisch‹ wurde durch tendenziöse Berichterstattung und Forschung unterstützt (vgl. kritisch Bukow/Llaryora 1988; Bukow/Ottersbach 1999; Klemm/Hörner 1993). Als politischer Diskurs scheint die Kulturalisierung sozialer Verhältnisse eine neue Variante der Klassifizierung und Herrschaftssicherung zu sein, wird sie doch innen- und außenpolitisch mit dem gegenwärtigen Erstarken eines fundamentalistischen Islam begründet, der bereits in US-Europa angekommen sei, aber auch eine außenpolitische Gefahr darstelle.

14 Dies war z.B. bei der Zuständigkeit von Beratungsstellen der Fall: Die Caritas für ›Ausländer‹ aus katholischen Ländern, das Diakonische Werk für evangelische und die Arbeiterwohlfahrt für die übrigen. Insofern passt sich das Beratungsangebot der islamischen Milli Görüş für ›TürkInnen‹ an diese von der deutschen Gesellschaft vorgegebene Struktur an und korrigiert deren Missrepräsentation systemimmanent (vgl. Schiffauer 2008).

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Kritische Analysen weisen jedoch darauf hin, dass lange vor 9/11 der Islam den Kommunismus als politisches Schreckgespenst abgelöst habe (vgl. Schulze 1991 a und b). Diesen Analysen zufolge konnte das politische Feindbild Islam effektiv aktiviert werden, da es an eine andere, vor allem religiös und kulturell geprägte Tradition anknüpft. Die Selbstwahrnehmung als christliches Abendland, die sich gegenwärtig in Wertediskussionen und politischen Entscheidungen niederschlägt, schließt an die zentrale Rolle von Religion im Mittelalter an, die das Denken und Leben der Menschen prägte (vgl. Höfert 2007). Auch damals wurden Muslime als ›das Andere‹, als Gegenpol zur christlichen Identität und Gemeinschaft definiert und diffamiert. Religiöse Abgrenzungen gingen mit politischen einher und gipfelten in den Kreuzzügen. Im Kontext der osmanischen Kriege erfuhr die Fremdbezeichnung einen Wandel: Das Feindbild Islam wurde durch den aktuellen Bezug modifiziert (»Türkengefahr«, »die Türken stehen vor Wien«), ›Islam‹ mit ›Türken‹ und dem ›Osmanischen Reich‹ gleichgesetzt. Seitdem wurde die Abgrenzung Europas von seinen Nachbarn entlang politischer Kategorien definiert – obwohl die religiösen Zuordnungen in gesellschaftlichen Kontexten weiterhin Bestand hatten und wirkungsmächtig blieben. Diese konnten zur Legitimation politischer Entscheidungen jederzeit abgerufen werden. Unpopuläre Erscheinungen, die mit eigenen Interventionen einhergingen oder zum eigenen Nutzen eingerichtet wurden, verlangten nach entlastenden Rechtfertigungen. Als Erklärungs- und Unterscheidungsmerkmal konnte stets der Islam – erfolgreich – aktiviert werden. Indem ›Despotismus‹ oder ›Fanatismus‹ aus dem eigenen normativen Koordinatensystem herausgelöst wurden, konnte die eigene Verantwortung und Aggression geleugnet werden. Bei der Gelegenheit konnte das Eigene gleichzeitig als höherwertig bestätigt und gefeiert werden. Am Beispiel des ›Orientaldespoten‹ kann dies in einem kolonialistischen Kontext (vgl. Krämer 2007) ebenso gezeigt werden wie gegenwärtig am Beispiel des ›islamischen Terrorismus‹ im Kontext westlicher Politik (vgl. Ali 2002; Mamdani 2006; Schulze 1994). Nach wie vor koexistiert das religiös definierte Gegenbild mit dem nationalen (beispielsweise in Diskursen über ›die türkische‹ oder ›die arabische‹ ›Ehre‹). Es gewinnt jedoch wieder an Bedeutung. Sowohl Religion als auch Nation werden heute kulturalisiert

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und zu wesentlichen Bestandteilen der kulturellen Selbst- und Fremdbezeichnung verschmolzen. Derart definiert, dient Kultur als zentrale Analyse- und Erklärungskategorie für soziale, gesellschaftliche und politische Prozesse.

Historischer Überblick Der christlich-westliche Blick auf den islamischen Orient hat eine lange Tradition, die mit der beginnenden Wahrnehmung und den ersten Interessen am aufkommenden Islam im letzten Drittel des ersten Jahrtausends einhergeht (vgl. Rodinson 1991). Die geographische Nähe, ähnliche religiöse Glaubensvorstellungen, sich ergänzende wissenschaftliche Interessen und beginnende überregionale Handelsbeziehungen bewirkten verschiedene Bezüge aufeinander, die von gegenseitigem Austausch über konkurrierendes Wetteifern und Verunglimpfung bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen führten. Insgesamt weist die Auseinandersetzung zwischen ›Abendland‹ und ›Orient‹ auf verschiedene Diskurse hin, die in religiösen, kulturellen, theoretischen, politischen, öffentlichen und alltäglichen Kontexten entwickelt und gepflegt wurden. Die Diskurse greifen ineinander und beziehen sich aufeinander. Sie gehen mit historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen einher, werden von ihnen beeinflusst und wirken ihrerseits auf diese zurück. So trat beispielsweise im ausgehenden Mittelalter in Abgrenzung zum eigenen christlichen Selbstverständnis der Islam als wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu ›den Fremden‹, ›Anderen‹ in den Vordergrund (vgl. Höfert 2007). Später wurde die Bedeutung der Religion von nationalen, regionalen oder systembedingten Merkmalen abgelöst, Kultur als Ordnungsschema übernahm häufig die Rolle, die bis dahin der Religion zugewiesen worden war. Heute tritt zunehmend wieder Religion in den Vordergrund, um die Fremdheit ›der Anderen‹ zum ›Eigenen‹ zu betonen (vgl. Berman 2007 a). Dem ›Islam‹ als das Andere des ›Westens‹ wird dabei der negative Part zugewiesen. Ein Blick in die Geschichte bestätigt im Wesentlichen die normative Zuweisung von gut und böse, die im hegemonialen christlich-westlichen Bild zum eigenen Vorteil ausfällt. Es zeigt sich jedoch auch, dass

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es Entwicklungen und Bestrebungen gab, die das Gegenbild als Vorbild präsentierten. Im Hochmittelalter dienten Berichte über den Islam unter anderem dazu, seinem wachsenden Einfluss entgegenzutreten: Die Kreuzzüge wurden auf politischer Ebene durch genaue Informationen über den Feind vorbereitet, zur Legitimation wurden für das breite Publikum Bilder über den abscheulichen Gegner konstruiert. Gleichzeitig bedienten exotisierende Darstellungen den literarischen Geschmack der damaligen Zeit. Parallel dazu wurden die ersten naturwissenschaftlichen Werke, später auch philosophische Abhandlungen aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt, da sie Erkenntnisse enthielten, die christlich-europäischen Wissenschaftlern noch unbekannt waren. Diese widersprüchlichen Bezüge zum Islam wurden geglättet und derart interpretiert, dass sie die Hauptaussage, der Islam sei rückständig und gefährlich, unterstützten: »Man entzog sich dem Dilemma, indem man annahm, die Philosophen stünden auf die eine oder andere Weise im Widerspruch zur offiziellen Religion ihres Landes. […] Man ging weiter und […] behauptete, die Philosophen machten sich im geheimen lustig über den Koran und würden von den Behörden verfolgt.« (Vgl. Rodinson 1991: 34)

Gegen Ende des Mittelalters hatten sich die verschiedenen Bilder über den Islam weiter ausdifferenziert: Der polemisch-verächtliche Diskurs der abendländischen Politik über die ›Mohamedaner‹ existierte neben einem Interesse an arabischen Philosophen, z.B. Avicenna (Ibn Sina), die sich die Philosophie von Aristoteles und anderen Autoren der Antike angeeignet und weiterentwickelt hatten. Zu Beginn der Aufklärung verteidigten zahlreiche Autoren den Islam und hoben seine Vorzüge gegenüber dem Christentum hervor. Sie verwiesen auf die größere Toleranz des Osmanischen Reichs Minderheiten gegenüber und betonten die zivilisatorische Rolle des Islam. »Der Islam galt als eine rationale Religion, die weit entfernt war von den der Vernunft so sehr entgegen gesetzten christlichen Dogmen, die ein Minimum an mythischen Vorstellungen und mystischen Riten zuließ […] und die die Aufforderung zu einer moralischen Lebensführung

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mit einer vernünftigen Rücksicht auf die Bedürfnisse des Körpers, der Sinne und des gesellschaftlichen Lebens verband.« (Ebd.: 65)

Diese Einschätzung widersprach jedoch den aufkommenden politischen Interessen Europas nach Expansion, Imperialismus und Kolonialismus, so dass wieder die bekannten Bilder des Mittelalters hervorgeholt wurden. Sie wurden im 19. Jahrhundert durch den aufkommenden wissenschaftlich gestützten Rassismus gestärkt, der die Bedeutung von Sprache, Kultur und Religion miteinander verknüpfte und als Erklärung für historische und gesellschaftliche Phänomene heranzog. Die Unterschiede zwischen den Entwicklungen wurden als unüberwindlich dargestellt und die Übernahme des europäischen Modells mit all seinen Aspekten als einzig möglicher Weg postuliert. Diese Einschätzung kam nicht nur den politischen Interessen entgegen, sondern bot auch den durch die Aufklärung angegriffenen christlichen Kirchen Argumentationshilfe: »[…] die christlichen Missionare […] waren der Ansicht, das Christentum begünstige von Natur aus den Fortschritt und der Islam infolgedessen kulturelle Stagnation und Rückständigkeit. Der Angriff gegen den Islam wurde so aggressiv wie nur möglich vorgetragen, und die mittelalterliche Argumentation mit modernisierenden Verzierungen wieder aufgenommen.« (Ebd.: 86)

Diese unterschiedlichen Sichtweisen und Bilder, die die Interessen der jeweiligen Akteure widerspiegeln, unterstützten und überlebten die Kolonisierung islamischer Länder und die beiden Weltkriege. Vor allem seit dem Ende des Kalten Krieges und den USeuropäischen Kriegen im Nahen und Mittleren Osten erfahren sie eine Renaissance, die wiederum modernisiert und den gegenwärtigen Interessen angeglichen wird.

›Islam‹ als politisches Gegenbild In den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren spielen ideologische Fragen und Darstellungsformen des ›Islam‹ erneut eine wesentliche Rolle zur Absicherung und Legitimation politischer Entscheidungen. Kamen einzelne ›islamische‹ Nationen bis vor kurzem noch

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als Verbündete gegen den ›Kommunismus‹ in Frage und wurden Beziehungen über religiös-kulturelle Differenzen hinweg wegen ökonomischer Interessen gepflegt, so änderte sich dies mit dem Ende des Kalten Krieges. Zwar werden auch weiterhin Öl exportierende Länder anders dargestellt und behandelt als ›islamische‹ Länder der sog. Dritten Welt. Als Gegenbild zum ›christlichen Westen‹ wird nun aber der ›islamische Orient‹ wieder benötigt und an seiner Ausschmückung und Verbreitung gearbeitet. Zur Legitimation von Kriegen, neokolonialer/neoliberaler Politik, Grenzziehungen, zur Ablenkung von inneren Konflikten, vor allem aber zur Bestätigung der eigenen Politik als bestmöglicher war nach dem Wegfall des Kommunismus als abschreckender Alternative ein neues Gegenbild nötig. Da sich die Dichotomie zwischen ›Westen‹ und ›Orient‹ bereits als nützlich erwiesen hatte und hier lediglich alte Diskurse, die in Kultur, Gesellschaft und den Wissensbeständen und Einstellungen der Menschen sehr präsent waren, wieder aufgegriffen werden mussten, lag ein Rückgriff auf diese Tradition nahe. »Verglichen mit dieser relativ langen historischen Kontinuität erscheint der Ost-West-Konflikt fast als Episode« (Schulze 1991 a: 211). Hinzu kam, dass durch die Verlagerung des Feindbildes vom Kommunismus auf den Islam die ideologische Komponente im Sinne kultureller Unterschiede deutlicher in den Vordergrund gerückt werden konnte. Hielt sich beim Feindbild Kommunismus noch eine ›westliche‹ Opposition mit Hinweis auf die ökonomische Systemfrage, so fällt dies bei einer religiös-kulturell definierten Feindschaft bedeutend schwerer, vor allem da sie auch die Werte bisheriger oppositioneller Gruppen mit einschließt: Die »Selbstdefinition des Westens als Welt der Freiheit und des Rechts« (Schulze 1991 b: 246) kann nun nicht mehr nur von konservativen PolitikerInnen und BürgerInnen verkündet werden, sondern schließt in ihrer Abgrenzung zum ›Islam‹ auch Frauen-, Umwelt-, Tierschutz- und andere Bewegungen mit ein. Bezogen sich im Mittelalter und später Vertreter der Aufklärung auf progressive Elemente im Islam, um eigene gesellschaftliche Entwicklungen voranzutreiben, so scheint dies heute nicht mehr möglich. Vorherrschend ist gegenwärtig das Bild von ›dem Islam‹ als eines fanatischen, irrationalen, aggressiven Monstrums, das nur noch bekämpft werden kann. Die Bereitschaft des ›Westens‹ zur Ab-

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wehr dieser globalen Bedrohung legitimiert seine Vorherrschaft und trägt zur Stabilisierung der ›neuen Weltordnung‹ bei. Begründet wird der Schulterschluss zwischen den bisherigen konträren politischen Kräften im Westen (der nun auch den Osten im Sinne des alten ›Ostblocks‹ einschließt) mit der Bedrohung, die vom ›Islam‹ für die gesamte Menschheit ausgehe. Die im Begriff der ›Islamophobie‹ implizierte Angst vor muslimischer Weltbeherrschung hat Verschwörungsmythen über die jüdische Weltbeherrschung abgelöst (vgl. Shooman 2008). Die bereits im späten Mittelalter angelegte Argumentation, dass Religion, Kultur, Gesellschaft und Politik eine Einheit darstellten, dient auch heute wieder als Ausgangspunkt politischer und ideologischer Auseinandersetzungen. Unliebsame Positionen werden als nicht-christlich (jüdisch bzw. islamisch) aus der eigenen Gesellschaft als ›das Andere‹ heraus definiert und als äußere Bedrohung bekämpft. Die kulturelle, politische, geographische, philosophische, theologische u.a. Nähe zwischen Judentum, Christentum und Islam sowie ihre gegenseitige Durchdringung und Bezugnahme aufeinander wird aktiv und vehement zu bestreiten versucht, die ›Anderen‹ als ›Fremde‹ jenseits ›des Eigenen‹ verortet.

Kulturalisierung ›des Islam‹ Seit dem Mittelalter haben gravierende Entwicklungen in den verschiedenen Gesellschaften stattgefunden, so dass es verwundert, wenn heute wieder jegliche Phänomene mit Verweis auf KoranZitate zu begründen versucht werden. Dies geschieht nicht nur in theologischen Kreisen, wo Koranexegese zur Klärung von Glaubensfragen sinnvoll erscheinen mag, sondern auch im Kontext politischer, sozialer, lebensweltlicher, biographischer u.a. Fragen. Gleichzeitig sind wissenschaftliche Theorien und Methoden inzwischen derart ausdifferenziert, dass es auf ihrer Grundlage möglich und sonst auch üblich ist, familiäre Beziehungen, ökonomische Verhältnisse, politische Entscheidungen, soziale Bewegungen etc. zu analysieren. Kontroverse politische und wissenschaftliche Diskussionen, die gerade in ihren Differenzen zur Vertiefung von Erkenntnissen führen, sind im Kontext des westlichen Nachdenkens über den – derart konstruierten – Islam rar. ›Die Religion‹ gerinnt hier zur alles hinlänglich erklärenden Substanz ver-

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schiedenster Gesellschaften, politischer Strömungen, sozialer Lebensweisen, »normale Einsichten auf der Grundlage soziologischer, historischer und philosophischer Überlegungen verflüchtigen sich offenbar, wenn der Islam erklärter Gegenstand des Nachdenkens wird« (Al-Azmeh 1996: 8). Dabei weist die »Abdankung historischer Vernunft zugunsten eines irrationalistischen Kulturalismus« (ebd.: 10), wie sie von mainstream-Diskursen des ›Westens‹ in rassistischer Manier praktiziert wird, Parallelen zu islamistischen Argumentationen auf: Auch ›FundamentalistInnen‹ begründen ihre Äußerungen und Handlungen mit Koran-Zitaten, die sie ohne historisch-gesellschaftliche Kontextualisierung verstanden wissen wollen. Beide – Islamismus und Antiislamismus – sind sich einig darin, dass der Islam die wesentliche Grundlage für Praxen und Ideologien im derart konstruierten islamischen Kontext bildet und dass Phänomene, die sich auch mit akribischer Mühe und Fantasie nicht in diese Muster pressen lassen oder aber im Westen Gefallen finden, als ›unislamische‹, atypische Ausnahmen auf Grund westlicher Einflüsse heraus zu definieren seien. Muslimische Religiosität als Privatangelegenheit oder auf der Basis eines historischen Verständnisses zu begreifen wird als Möglichkeit angezweifelt, säkulare oder atheistische Argumentationen als verwestlichte eingeordnet, gesellschaftlich-begründete oder biographisch-eingebettete Argumentationen in einen religiös-kulturellen Rahmen eingebunden. »Allem, was sich nicht auf die Motive und Vorstellungen, die der Orientalismus mit dem Islam verbindet, reduzieren lässt, wird die Zugehörigkeit zum Islam abgesprochen […] Philosophie […] Sufismus […] Ibn Chaldun […] Geistesgeschichte […]« (ebd.: 203). Die Essenzialisierung ›des Islam‹ und seine Bedeutungsmächtigkeit, die ihm von Antiislamismus und Islamismus gleichermaßen verliehen wird, führt dazu, dass alternative Sicht- und Lebensweisen marginalisiert oder ignoriert werden. Sie werden (diskursiv oder tatsächlich) aufgelöst, um den eigentlichen, authentischen ›Islam‹ als wahre Lehre zu bereinigen bzw. als böses Monstrum zu entlarven. Andersdenkenden oder -lebenden wird es erschwert, ihre Interpretationen des Islam zu repräsentieren und zu praktizieren oder sich areligiös und dennoch als zugehörig zu positionieren. »Junge Deutsch-Türken machen regelmäßig die Erfahrung, in Rollen gedrängt zu werden, die sie eigentlich nie hatten

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spielen wollen. Besonders junge Muslime haben oft das Gefühl, mit Deutungsfolien konfrontiert zu werden, die sie festlegen und die keine Zwischentöne erlauben« (Schiffauer 2002: 64). Als Gegenbild zum ›Westen‹, der seine eigene Religiosität als säkular und fortschrittlich darzustellen versucht, ist die Wahrnehmung und Akzeptanz pluralistischer Sicht- und Lebensweisen von unterschiedlich religiösen und nicht-religiösen Muslimen hinderlich. Der Widerspruch in der Formulierung ›nicht-religiöse Muslime‹ weist auf die Tragweite des Konstruktionscharakters hin, auch Konstruktionen haben reale Folgen. Hatte ›der Islam‹ für viele MigrantInnen keine (wesentliche) Bedeutung oder verstanden sie sich explizit als AtheistInnen, so sind diese Haltungen so nicht mehr aufrecht zu erhalten. Auch AtheistInnen, neutrale BeobachterInnen oder an religiösen Fragen bislang Desinteressierte fangen an, sich mit ›dem Islam‹ zu beschäftigen, werden sie doch immer wieder mit diesbezüglichen Stereotypen konfrontiert oder als ›ExpertInnen‹ gefragt. Sich in einem hegemonialen, antimuslimischen Kontext offen gegen ›den Islam‹ zu äußern, kann missverstanden werden als Bestätigung rassistischer Konstruktionen. Werden diesen Konstruktionen allerdings differenziertere Überlegungen gegenüber gestellt, wird dies als Verteidigung interpretiert und entsprechende Interventionen als religiös, wenn nicht gar fundamentalistisch motiviert stigmatisiert. Obwohl eine Positionierung also unumgänglich erscheint, kann sie dennoch nicht gelingen. Auch die Differenzierung nach regionaler oder nationaler Geschichte, Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen oder subkulturellen Gruppen, Minderheitenstatus in der Heimat bzw. in der Migration, kollektiver und individueller Migrationsgeschichte und vielen anderen möglichen und persönlich relevanten Bezugssystemen werden zu Gunsten der religiösen Zuschreibung in den Hintergrund gedrängt – bzw. betont, wenn damit das zentrale Bild vom gefährlichen und rückständigen Islam bestätigt werden kann. Die kulturrassistische Konnotation sowohl der antiislamischen als auch der islamistischen Konstruktion ist zur Legitimation der politischen Herrschaft und kulturellen Dominanz des Westens förderlich, in der gegenwärtigen politischen Situation sogar notwendig.

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Kulturalisierung als Entpolitisierung Indem politische, gesellschaftliche und soziale Phänomene zunehmend mit ›der Religion‹ der anderen verknüpft werden, können eigene Anteile an diesen Phänomenen und am problematischen Verhältnis zueinander geleugnet werden. Die Lage der Anderen wird mit deren ›Kultur‹ begründet, die wesentlich durch ›ihre Religion‹ geprägt sei, ›der Islam‹ sei für desolate Zustände verantwortlich und gefährde darüber hinaus ›uns‹. Die TäterOpfer-Umkehr wird vorbereitet durch die Entsorgung historischer und politischer Entwicklungen. Die Konstruktion des ›Islam‹ als wesentliches Merkmal und Problem von MigrantInnen aus ›islamischen‹ Ländern blendet die Bedeutung ›westlicher Einflüsse‹ für die ›islamische‹ Entwicklung und das Verhältnis der beiden zueinander aus. Dies führt zu einer TäterInnen-Entlastung auf Seiten von Mehrheitsangehörigen und zur Selbst-Ermächtigung von Minderheitenangehörigen. Wenn – aus ›westlicher‹ Sicht – erklärungsbedürftige Erscheinungen der anderen (Kopftuch, Geschlechterverhältnis, Politikverständnis, Terroranschläge usw.) auf dem Hintergrund ihrer kulturellen und religiösen Zugehörigkeit interpretiert werden und diese als in sich geschlossenes, statisches Gebilde verstanden werden, spielen ›islamisch-westliche‹ Beziehungen keine Rolle. Indem Entwicklungen in ›islamischen‹ Ländern oder Verhaltensweisen von MigrantInnen in ›westlichen‹ Gesellschaften als ›islamische‹ definiert werden, kann die westliche Dominanz diskursiv geleugnet werden und damit faktisch weiter bestehen. Verstärkt wird diese Strategie durch eine weitere: Der ›Islam‹ wird nicht nur als Erklärungsmuster für Entwicklungen in ›islamischen‹ Ländern herangezogen, sondern auch für das Verhältnis zum ›Westen‹. Indem er nun auch als Bedrohung nach außen verstanden wird, kann die eigene Aggression als Abwehr umdefiniert werden: Krieg gegen Terror, Türken bedrohen deutsche Frauen, Nicht ohne meine Tochter. Die Fokussierung ›des Islam‹ dient so der Verleugnung der Relationalität und Interdependenz zwischen ›Westen‹ und ›Islam‹ und damit der eigenen Anteile an der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der ›Anderen‹. Anschließend wird doch eine Beziehung zu sich selbst hergestellt, aber um sich als im Verhältnis zu ›den Anderen‹ unterlegen zu konstruieren. Mit der Einführung

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›des Islam‹ in den Diskurs ist es ›dem Westen‹ gelungen, bestehende Machtverhältnisse zu seinen Gunsten zu festigen. Die Konstruktion ›des Islam‹ als Bedrohung versucht, die ›westliche‹ Aggression als Abwehr umzudefinieren. Argumentativ werden Machtverhältnisse umgekehrt, Privilegien können damit faktisch weiterhin ausgeschöpft werden. Der Versuch, gesellschaftliche Prozesse als ›islamische‹, als theologische zu konstruieren, wird allerdings auch von der – je nach Sichtweise – unterentwickelten bzw. ausgebeuteten Seite aus praktiziert. Indem MigrantInnen oder ›Muslime‹ eigene Verhaltensweisen und Einstellungen direkt aus dem Koran ableiten, versuchen sie, den eigenen Opferstatus zu überwinden, zumindest die Definitionsmacht über sich selbst wieder zu erlangen. Eine Kopftuch tragende Frau tut dies dann nicht, weil Männer oder das Patriarchat sie dazu zwingen oder die Ausgrenzung durch Mehrheitsangehörige sie auf ihre Herkunft und deren ›Kultur‹ festlegen (Opferdiskurse). Vielmehr trägt sie dann Kopftuch infolge ihrer eigenen und bewussten, religiös begründeten und damit frei gewählten (nicht biologisch oder kulturell festgelegten) Entscheidung und stellt dies so in den Kontext von Subjektivierung und Emanzipation (Selbstermächtigung, autonomes Subjekt). Indem die eigene Positionierung als selbstbestimmte präsentiert wird, wird die Auseinandersetzung über sexistische, rassistische u.a. Dominanz gemieden. Zuschreibungen und Eingrenzungen werden vorweggenommen und als eigene Entscheidung deklariert, denen mit neuen Bedeutungen versehen ihre verletzende Wirkung genommen wird. In derartigen Diskursen wird der Wunsch sichtbar, sich selbst als Subjekt zu rehabilitieren und in die Position der Macht zu erheben. Dass gerade der Koran als Quelle der Selbstermächtigung gute Dienste leistet, hängt eng mit der ›islamisch-westlichen‹ Geschichte zusammen. Und auch heute bietet sich der Rückgriff auf ›den Islam‹ als Gegenort zum Westen an, da nach der Beendigung des ›Kalten Krieges‹ der Platz für Gegenkonzepte zur Weltmacht frei geworden ist.

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Der bundesdeutsche Kontext Die skizzierten politischen Bezüge fokussieren die Dichotomie ›Westen‹ versus ›Islam‹. Sie kritisieren die monolithische Präsentation ›des Islam‹ und führen sie auf ›westliche‹ Interessen und Diskurse zurück. Aber auch ›der Westen‹ ist – selbst in seinen hegemonialen Diskursen – nicht homogen. Postkoloniale Studien betonen übereinstimmend, dass die Kontextualisierung (sowohl marginalisierter als auch hegemonialer) Diskurse von zentraler Bedeutung ist. Da postkoloniale Studien den bundesdeutschen politischen Kontext nur am Rande streifen, soll im Folgenden der Fokus darauf gelegt werden. Die Bedeutung des Postkolonialismus für Deutschland bzw. den deutschsprachigen Raum wurde kontrovers diskutiert, vor allem mit Hinweis darauf, dass die Bundesrepublik keine bedeutende koloniale Vergangenheit in orientalisch-islamischen Ländern habe. Tatsächlich wurde die Türkei nicht von Deutschland kolonisiert und auch andere Eingewanderte aus Ländern mit islamischer Bevölkerungsmehrheit können sich bei ihrer Einreise in die Bundesrepublik nicht auf eine gemeinsame Beziehung als Kolonisatoren und Kolonisierte beziehen. ArbeitsmigrantInnen aus der Türkei, politische Flüchtlinge aus dem Iran, Kriegsflüchtlinge aus dem Irak, PalästinenserInnen, LibanesInnen, StudentInnen, Oppositionelle, KünstlerInnen und Intellektuelle aus den verschiedenen Regionen, die als orientalisch-islamisch wahrgenommen werden – ihnen allen fehlt das historische Opferbewusstsein in Bezug auf Deutschland. Im Gegenteil kann sich die deutsch-türkische Freundschaft auf eine alte Tradition berufen: Preußen und Türken sowie Habsburger und Türken kooperierten gegen Ende des 18. Jahrhunderts, das Osmanische Reich unterstützte Europa bei deren kolonialen und imperialistischen Aktionen in Nordafrika und im Nahen Osten, im ersten und im zweiten Weltkrieg gingen Deutsche und Türken Kriegsbündnisse ein (vgl. Berman 2007 a). In ehemals kolonisierten Gebieten wiederum wird vielerorts dankbar an die Rolle Deutschlands im Zweiten Weltkrieg erinnert, nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Als Kriegsgegner Deutschlands wurden englische und französische Kräfte als Kolonisatoren und Besatzer ›orientalischer‹ Länder geschwächt, Entkolonisierung und Zweiter Weltkrieg weisen zeitliche und

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räumliche Verstrickungen auf. Unterschiedliche politische Konstellationen und historische Ereignisse führen zu spezifischen Bezügen zu Deutschland und den jeweiligen Kolonialmächten bzw. Kriegsparteien. Zur Spezifizierung der bundesdeutschen Situation lohnt ein erneuter Rückbezug zur ›Auftaktpublikation‹ der postkolonialen Theorie. Edward Said bezeichnet Orientalism als ein ›partisan book‹. Er nutzt seine wissenschaftliche Kompetenz und Autorität, um die kulturelle Dimension des politischen ›Nahost-Konflikts‹ zu thematisieren. Schon früh setzte er sich aktiv für eine Zweistaatenlösung in Israel/Palästina ein. Obwohl er eindeutig parteilich für den palästinensischen Befreiungskampf eintrat, kritisierte er ebenso eindeutig und vehement einseitige Lösungen, die Israel das Existenzrecht absprachen. Europäischer Antisemitismus und deutscher Nationalsozialismus könnten bei der Bewertung der zionistischen Landnahme nicht unberücksichtigt bleiben, die israelischpalästinensische Geschichte nicht mit jener anderer Kolonisationen gleichgesetzt werden. Dagegen fordert Said beide Seiten auf, die Traumata der jeweils anderen Seite anzuerkennen, um zu einer für beide Seiten tragfähigen Lösung zu gelangen. Diese politische Dimension seiner wissenschaftlichen Arbeiten, die deutlicher in den beiden folgenden Werken seiner Trilogie zum Ausdruck kommt (The Question of Palestine und Covering Islam. How the Media and the Experts Determine How We See the Rest of the World), kann für die Analyse des deutschen Orientalismus genutzt werden.

Der Nahostkonflikt Für den bundesdeutschen Kontext erhält der Nahost-Konflikt eine herausragende Bedeutung: Auf Grund der historischen Schuld gegenüber Juden und Jüdinnen ist Deutschland heute dazu verpflichtet, besondere Verantwortung gegenüber Juden und Jüdinnen und deren Nachkommen zu übernehmen, sei es dass sie geflohen, geblieben oder zurückgekehrt sind, hier oder anderswo leben. Diese besondere Verpflichtung wird auch gegenüber dem Staat Israel erwiesen.15 Dabei werden sowohl innerisraelische 15 Neben dieser moralischen Komponente aufgrund historischer Schuld ist jedoch auch eine politische handlungsleitend. Moshe Zu-

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staatskritische Stimmen als auch deutsch-jüdische Differenzierungen und Distanzierungen von der Politik Israels gegenüber PalästinenserInnen zugunsten einer staatstragenden Position ignoriert und nicht-jüdische, insbesondere ›arabische‹ oder ›islamische‹ Israelkritik pauschal als antisemitisch diffamiert (vgl. kritisch Flores 2008; Kamil 2008). Gleichzeitig gehört Deutschland heute zu einem Einwanderungs- und Flüchtlingsaufnahmeland, das sowohl Juden und Jüdinnen aus den ehemals staatssozialistischen Ländern aufnimmt, als auch PalästinenserInnen und LibanesInnen, die vor (den Folgen von) Vertreibung und Krieg geflohen sind. Letzteren gegenüber verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland lediglich – wie jeder andere Staat auch – in einer humanitären Verantwortung, die allzu häufig als gnädige Geste dargestellt wird, die jederzeit begrenzt oder beendet werden kann. Im Vergleich zur – schuldbeladenen, moralisierenden und tabuisierten – Begegnung Juden, Jüdinnen und jüdischen Institutionen gegenüber und in der eindeutigen politischen Parteinahme für den Staat Israel16, werden die Erfahrungen dieser anderen diskriminierten und verfolgten Minderheiten in Deutschland relativiert, nachrangig behandelt oder ganz vernachlässigt. Gar nicht in Betracht gezogen wird eine deutsche Mitschuld an der Lage von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten durch die nationalsozialistische Ermordung und Exilierung von Juden und Jüdinnen, die den politischen Zionismus und damit die Landnahme und Vertreibung von PalästinenserInnen forcierten. Zusammen mit dem europäischen Kolonialismus gaben der deutsche Nationalsozialismus und der europäische Antisemitismus den Ausschlag dafür, dass die Koexistenz von jüdischen, christlichen und muslimischen Gemeinden in der Region sich in eine koloniale Politik transformierte, die sowohl von den briti-

ckermann (2008) führt die geostrategische Lage Israels im Nahen Osten sowie Deutschlands an der Grenze zu den staatssozialistischen Ländern an, die beiden Nationen eine bedeutsame Position in der westlichen Neuordnung der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg und im Rahmen des Kalten Krieges zuwies. 16 Die einhellige politische Parteilichkeit für den Staat Israel korrespondiert nicht mit alltäglichen Diskursen. Im Gegenteil stehen sich hier die parlamentarischen und alltäglichen Diskurse diametral gegenüber.

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schen Besatzern als auch von den osmanischen Nachbarn unterstützt wurde. Dagegen beschränkte sich der deutsche Beitrag zur Kolonisierung des ›Orients‹ bereits vor dem Nationalsozialismus darauf, die eigenen Interessen durch wirtschaftliche Unternehmungen und christliche Missionierung bei gleichzeitiger politischer Zurückhaltung zu maximieren (vgl. Dokument im Anhang). Jüdische (und christliche) SiedlerInnen in Palästina erhielten vom deutschen Kaiserreich keine offizielle Unterstützung. Obwohl der Zionistenführer Theodor Herzl betonte, »›daß mit den Juden ein deutsches Culturelement in den Orient käme‹ [… und] ›die überwiegende Mehrheit der Juden [in Palästina] der deutschen Cultur an[gehöre]‹« (zit. n. Honold 2002: 158), verfolgte das Kaiserreich andere ökonomische und politische Interessen. Sie unterschieden sich von den britischen und französischen Kolonialpolitiken dahingehend, dass sie ihr »Engagement im Nahen und Mittleren Osten eher auf wirtschaftlichem Gebiet als in einer unmittelbaren kolonialen Besitzergreifung« (ebd.: 148) bündelten. Industrie und Banken investierten in großem Stil im Osmanischen Reich, so dass eine Einmischung in die Siedlungspolitik Palästinas, in die das Osmanische Reich involviert war, mit den ökonomischen Interessen in Konflikt geraten wäre. Im Zuge des Nationalsozialismus freilich zeigte das Deutsche Reich kein Interesse an der Unterstützung von Juden und Jüdinnen. In diesem Kontext ist der deutsche Beitrag zur Kolonisierung Palästinas im Zusammenhang mit der eliminatorischen Politik (Holocaust) und dem zunehmenden Antisemitismus zu sehen, in dessen Folge die Gründung eines eigenen Staates als Ausweg eingeleitet wurde. Die Vertreibung der nicht-jüdischen Bevölkerung aus dem entstehenden Israel ist eng an den europäischen Antisemitismus, deutschen Nationalsozialismus und die Vertreibung der jüdischen Bevölkerungen aus Europa gekoppelt (vgl. Bunzl 2008 a). Die öffentliche Wahrnehmung nicht-jüdischer PalästinenserInnen als ›AraberInnen‹ folgt sowohl der tradierten Orientalisierung von ›Muslimen‹ als auch der politisch-zionistischen und kolonialen Haltung, wonach PalästinenserInnen als AraberInnen ebenso gut anderswo leben könnten und damit weder vertrieben noch heimatlos würden. Dass in den arabisch-sprachigen Staaten unterschiedliche historische, politische und gesellschaftliche Entwicklungen stattgefunden haben und auch im Nahen und Mittleren

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Osten sowie in Nordafrika Nationalstaaten17 die Interessen ihrer BürgerInnen vertreten und Flüchtlinge nachrangig und diskriminierend behandeln, wird entweder ignoriert oder als ›Bruderstreit‹ in den orientalisierenden Kontext gestellt.

›Islamischer‹ Antisemitismus Unterdessen werden auch die Nachkommen von ArbeitsmigrantInnen aus der Türkei und Oppositionellen aus dem Iran mit ›AraberInnen‹ zusammen als ›Muslime‹ wahrgenommen und etwa in der Diagnostizierung eines ›islamischen Antisemitismus‹ Diskursen in ›modernen Demokratien‹ und Aussagen ihrer ›aufgeklärten‹ BürgerInnen dichotomisierend gegenübergestellt. Indem ›Muslime‹ als Erben der Nationalsozialisten wahrgenommen werden (vgl. kritisch Flores 2008), erscheint die eigene Geschichte als abgeschlossen. Gleichzeitig dient sie als Folie, vor der sich ›die Deutschen‹ nun schützend vor ›die Israelis‹ stellen und damit jegliche eigene Schuld und Verantwortung – auch in anderen, etwa antimuslimischen Kontexten – neutralisieren. Dabei wird gerne übersehen, dass im Wesentlichen drei Faktoren den ›islamischen Antisemitismus‹ kennzeichnen: »1) das Eindringen/Aufgreifen von europäisch-christlichen Antisemitismen; 2) der Zusammenbruch des traditionellen politischen (osmanischen) Systems und die Entstehung von ›Nationalstaaten‹; 3) der Konflikt um Palästina« (Bunzl 2008 b: 133). Da alle drei Merkmale diskursiv und politisch auf Europa zurück verweisen, scheint bereits der Begriff des ›islamischen Antisemitismus‹ irreführend (vgl. eurient 2008). Gegenwärtig werden Jugendliche mit (›islamischem‹) Migrationshintergrund als ganz besonders antisemitisch hervorgehoben. Zwar wird teilweise eingeräumt, dass einige über familiäre oder biographische Erfahrungen im Israel-Palästina-Konflikt verfügten, die zu dieser Haltung beitragen könnten. Allerdings wird gleich wieder einschränkend angemerkt, dass die Einseitigkeit ihrer Zuweisung von Kriegsschuld an Israel antisemitisch sei und sie zudem in ihrer Mehrheit nicht auf eigene Kriegs- und Vertreibungserfahrungen zurück blickten, sondern in der Bundesrepublik ih17 Auch die Nationalstaatenbildung (nicht nur) im Nahen Osten ist ein Produkt europäischer Besatzungs- und Kolonisierungspolitik.

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ren Lebensmittelpunkt hätten. Ihre antizionistischen und antisemitischen Äußerungen könnten treffender im Kontext ›ihrer Kultur‹ und ›ihrer Religion‹ nachvollzogen werden, die sie mit den anderen ›muslimischen‹ Jugendlichen verbinde. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass (folgt man der Zuordnung hiesiger Minderheiten zu den Herkunftsnationen ihrer Vorfahren) weder das Osmanische Reich noch die moderne Türkei im Israel-Palästina-Konflikt parteiisch für palästinensische (›islamische‹?) Interessen eingetreten sind. Auch unterscheidet sich die deutsch-türkische Migrationsgeschichte grundsätzlich von der palästinensisch-libanesischen Fluchtgeschichte, dem irakischen StudentInnenaustausch in die DDR oder der Exilierung iranischer Oppositioneller. Die religiösen, kulturellen und nationalen Prägungen, Bindungen, Lebensweisen und Distanzierungen bleiben ganz unberücksichtigt. Werden also diese unterschiedlichen Personen und Gruppen zusammen genommen, so scheint ihre Kulturalisierung sie eher zu verbinden, als der tatsächliche Rückgriff auf eine gemeinsame Kultur, Religiosität oder Geschichte. Möglicherweise reagieren die dem ›islamischen Antisemitismus‹ zugeordneten Jugendlichen auf ihre Orientalisierung in der Aufnahmegesellschaft. Dann würden sie sich diesbezüglich auf ihre gemeinsame ›kulturelle Identität‹ als kulturalisierter und marginalisierter beziehen. Diese Bezüge vermengen sie mit antisemitischen Stereotypen, die in der Gesellschaft, in der sie leben – nämlich der Bundesrepublik – zwar tabuisiert, aber dennoch weit verbreitet sind. Da sie hier zum Allgemeingut gehören, schöpfen die Jugendlichen auch aus diesem Repertoire. Gemeinsame Bezüge in ihrer Argumentation beruhen demnach nicht primär auf ihrer vermeintlich vergleichbaren ›Herkunftskultur‹, sondern auf ihrer kollektiven Erfahrung in ihrem gegenwärtigen gesellschaftlichen Kontext, also nicht auf Herkunftskultur, sondern auf Kulturalisierung und auf (bundesdeutsche) Gesellschaft/Kultur und Politik. Freilich weisen sie die Essenzialisierung nicht zurück, wenn sie sich in dieser Weise auf sie beziehen, sondern greifen den hegemonialen Diskurs auf und bestätigen, transformieren oder codieren ihn um. Eine Untersuchung zu Auseinandersetzungen junger Migranten mit dem Nationalsozialismus (Georgi 2003) verweist auf weitere Bezüge, die insbesondere Aufschluss über hegemoniale politische, öffentliche und pädagogische Diskurse der Bundesrepublik geben. Die Prägung des kollektiven Gedächtnisses als ethnisch-

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nationales schließe andere Mitglieder der Einwanderungsgesellschaft aus, nötige sie zur Übernahme von Geschichtsbezügen, die nur bedingt anschlussfähig an ihre familiären und biographischen Erfahrungen seien und biete ihnen keine adäquaten Auseinandersetzungsmöglichkeiten an. »Das gilt für das formale Lernen von Stoff, für die affektive Auseinandersetzung mit Zeitzeugenberichten ebenso wie für projektorientierte Erkundungen von Lokalgeschichte oder den Besuch von Gedenkstätten. […] Der Umgang mit der Geschichte des Nationalsozialismus wird dabei nicht selten zu einem Kernthema der Verhandlung von Identität und Zugehörigkeit« (ebd.: 11). Der Ausschluss von Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus diesem Diskurs bei gleichzeitiger Aufforderung, sich assimilierend in ihn einzufügen, bestätigt ihre sonstigen Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen: Nicht gesehen und gehört zu werden und gleichzeitig als abweichend hervorgehoben zu werden. Von daher verwundert es nicht, wenn einige Jugendliche sich provokativ jener antisemitischen, aber auch homophoben oder sexistischen Stereotype bedienen18, die zwar im Schulunterricht oder in der sozialen Einrichtung tabuisiert werden, aber (nicht nur in ihrer Wahrnehmung) gesellschaftlich weit verbreitet sind. Die Provokation kann dabei mit Protest einhergehen, der sich gegen die Vernachlässigung ihrer eigenen spezifischen Lebensbedingungen und Erfahrungen richtet. Dabei kann es besonders verletzend sein zu erleben, dass diskriminierende Erfahrungen Anderer durchaus thematisiert werden und Folgen haben und dass auch – oder in besonderem Maße – von ihnen erwartet wird, entsprechende Äußerungen und Praktiken zu unterlassen, während ihre eigenen Diskriminierungserfahrungen missachtet werden.19 Insofern verwundert es eher, dass es trotz dieser Schieflage in der poli-

18 Den Zusammenhang zwischen Rassismuserfahrung, Homosexualität, Homophobie und Vergeschlechtlichung arbeitet Susanne Spindler 2006 heraus. Georg Klauda 2008 analysiert den westlichen Beitrag zur Heteronormalisierung der islamischen Welt. 19 Diesen Zusammenhang herauszustellen bedeutet selbstverständlich nicht, dass diskriminierende Äußerungen und Handlungen diskriminierter Personen oder Gruppen zu entschuldigen sind. Es kann jedoch dazu beitragen, die Komplexität und Interdependenz der Bezüge wahrzunehmen.

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tischen, gesellschaftlichen, medialen und pädagogischen Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ausgrenzungspraktiken und diskriminierenden Diskursen dennoch kritische Haltungen und Praxen zu Nationalsozialismus, Antisemitismus, Homophobie etc. gibt20. Insgesamt deuten sowohl die antisemitischen als auch die kritischen Äußerungen der Jugendlichen auf ihre Einbindung in bundesdeutsche Diskurse hin, die – teilweise mit Kritik, Provokation oder Protest verschränkt – auf ihre Vergesellschaftung und Enkulturation in deutsche Diskurse verweisen. Die unterschiedlichen Positionierungen der Jugendlichen zeugen von ihren Auseinandersetzungen mit den Angeboten und Zuordnungen in ihrem Alltag, auf dem Hintergrund ihrer Erfahrungen und im Rahmen der Bedingungen und Möglichkeiten. An ihnen arbeiten sie sich ab und in sie schreiben sie sich ein.

Verschränkung antisemitischer und antimuslimischer Diskurse Die Bezüge von ›muslimischen‹ Eingewanderten zu Nationalsozialismus, Antisemitismus und Nahostkonflikt verweisen trotz ihrer Kontingenz übereinstimmend auf ihre räumliche und zeitliche Verortung und ihre Interdependenz und Relationalität hin: Sie fokussieren Diskurse und Praxen, Lebensbedingungen und Erfahrungen, die ihr Leben als (imaginierte, konstruierte, (unterschiedlich) praktizierende) ›Muslime‹ in der Bundesrepublik prägen und markieren damit die Relevanz einer gemeinsamen Geschichte, die sie – in unterschiedlicher Weise – mit deutschen Juden/Jüdinnen und mit nicht-jüdischen, nicht-muslimischen Deutschen teilen. Diese gemeinsame Geschichte wird jedoch weder in Form der jeweils spezifischen zusätzlichen historischen Bezüge von Eingewanderten und ihren Nachkommen berücksichtigt (z.B. im Kontext des Nahost-Konflikts aus Sicht von palästinensischen und libanesischen Flüchtlingen) noch in der Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, in der die dichotome Entgegensetzung von ›Deutschen‹ und ›Juden‹ bereits wenig Raum für andere Opfer des Nationalsozialismus lässt (etwa Sinti und Roma, ›Behin20 Vgl. etwa die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus »Kiga« oder die Gays and Lesbians aus der Türkei »Gladt«.

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derte‹ oder Homosexuelle), und in der die pluralen Bezüge einer Einwanderungsgesellschaft marginalisiert und die globalisierten Bezüge einer neoliberalen Wirtschaftsmacht bagatellisiert werden. Die Fokussierung eines ›islamischen Antisemitismus‹ von Eingewanderten erfüllt mehrere Funktionen für hegemoniale Diskurse: Die Verunglimpfung von Marginalisierten weist ihnen selbst die Schuld an ihrer Marginalisierung zu. Diese Strategie ist aus sämtlichen Ausgrenzungspolitiken und Diskriminierungsdiskursen bekannt.21 Gleichzeitig geht die Verschiebung der Aufmerksamkeit vom deutschen oder europäischen Antisemitismus zum islamischen oder arabischen mit Tendenzen einher, sich selbst auf Grund der eigenen nationalsozialistischen (Täter-)Geschichte als besonders geeignet für die Einhaltung moralischer Standards im Kontext des Antisemitismus einzusetzen. Dies geht so weit, jüdischen Nachkommen von Holocaust-Überlebenden Antisemitismus vorzuwerfen, sobald sie israelische Politik kritisieren. Auch diese Strategie der Überidentifikation und des umgekehrten Betroffenheitsdiskurses ist aus anderen Herrschafts- und Dominanzverhältnissen bekannt. Im postnationalsozialistischen Kontext ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, etwa in Analysen zur Gleichsetzung von Saddam Hussein mit Hitler oder aber – umgekehrt – der israelischen Politik mit dem Holocaust. Abgesehen von der historischen Unhaltbarkeit solcher Parallelisierungen und der essenzialisierenden Ethnisierung in der Konstruktion von Zugehörigkeiten deuten derartige Bezüge auf die nachhaltige, interdependente, relationale, also gemeinsame Geschichte hin.22 Darin kommen sowohl substantielle antisemitische Stereotype zum Vorschein, als auch antimuslimische. Während im antisemitischen Diskurs die nationalsozialistische Schuld verharmlost, entschuldigt oder legitimiert wird, wird der antimuslimische Diskurs

21 Etwa wenn Frauen beschuldigt werden, sexistische Angriffe provoziert zu haben, Kinder die sexuelle Gewalt lediglich als Wunschfantasie projizierten oder Arme an ihrer Armut selbst schuld seien. 22 Michael Rothberg (2008) analysiert entsprechende Diskurse in Israel. Er plädiert dafür, in Begriffen der multi-direktionalen Erinnerung zu denken, um post/nationalsozialistische und post/koloniale Politiken und Diskurse gleichermaßen zu berücksichtigen. Sein Aufsatz bietet interessante Anknüpfungspunkte für Auseinandersetzungen im bundesdeutschen Kontext.

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als Selbstverteidigung präsentiert – analog zur nationalsozialistischen und rechtsextremen Präsentation antisemitischer Diskurse als Selbstverteidigung. Die Selbstverteidigung beschränkt sich dabei auch hier nicht auf ein einzelnes Diskursfeld (›islamischer Antisemitismus‹), sondern setzt sich aus einem breiten Repertoire an Topoi zusammen (Terrorismus, Kriminalität, Drogen, Ehrenmord, Zwangsheirat, Gewalt gegen Frauen und Schwule, Geringschätzung von Bildung und Integration etc.)23. ›Muslime‹ scheinen sich demnach durch Scheitern und Stören hervorzutun und an allen gesellschaftlichen Missständen schuld zu sein. Empirische Untersuchungen, die signifikante Differenzen entlang anderer als dieser Merkmale aufzeigen24, werden dahingehend uminterpretiert, dass sie den hegemonialen Diskurs bestätigen. Antimuslimische Diskurse knüpfen gegenwärtig sowohl kontrastierend als auch bestätigend an antisemitische Diskurse an und schöpfen aus dem tradierten Gegenbild des kulturell Anderen. In der aktuellen Thematisierung der ›islamischen Weltherrschaft‹ (vgl. kritisch Shooman 2008) verdichten sich die unterschiedlichen Diskurse und Praxen. Das antisemitische Stereotyp des ›ewigen Juden‹, der die Welt beherrschen wolle, findet sich hier wieder. Die Transformation antisemitischer Stereotype in antimuslimische Diskurse kulminiert in den Verschwörungsmythen und der ›Angst‹ vor jüdischer bzw. muslimischer Weltherrschaft. Sie ist auch in den Geschlechterdiskursen oder in der Verschränkung von Politik, Kultur, Religion und ›Rasse‹ wieder zu finden. ›Islamkritische‹ Äußerungen über das ›islamische Geschlechterverhältnis‹, die ›islamische Homophobie‹, den ›islamischen Antisemitismus‹, die ›islamische Grausamkeit‹ gegenüber Tieren, die ›Integrationsresistenz‹ von ›Muslimen‹ etc. sind in ihrer Sündenbockfunktion aus antisemitischen und antijüdischen Kontexten bekannt. Einige antimuslimische Stereotype verweisen direkt auf

23 Differenzierte Analysen dagegen zum Heiratsverhalten: Straßburger 2003, zur Homophobie: Spindler 2006, s.a. die Hinweise in ›Kultur und Rassismus‹ zu Kriminalisierung und Bildung. 24 Bei der Homophobie etwa ist das Geschlecht der ProbandInnen und nicht die nationale, ethnische oder kulturelle Zugehörigkeit ausschlaggebend, beim Antisemitismus das Alter, bei der Bildung die ökonomische Situation sowie die politischen Bemühungen, die auch für die Integration maßgeblich sind etc.

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antijüdische (z.B. Weltherrschaft), andere sind aktuellen Themen angepasst (z.B. Homophobie). In beiden Rassismen werden im Prozess der Essenzialisierung und des Othering innere Widersprüche sowie diskriminierende Diskurse und ausgrenzende Praxen nach ›außen‹ verlagert25 und – meist verhalten, weil tabuisiert – ›den Juden‹ sowie – dafür im öffentlichen Diskurs umso deutlicher – ›dem Islam‹ angelastet. Was im antisemitischen Diskurs nicht mehr offen gesagt werden darf, findet im antimuslimischen Rassismus ein gesellschaftsfähiges Ventil. Mosche Zuckermann spricht diesbezüglich von »im besten Falle gutwillige[n] Ignoranten, im großen Ganzen aber doch eher Gesinnungsschmarotzern, die […] durch die Ersetzung des Antisemitismus durch Islamophobie gerade das Andenken jener missbrauchen und kontaminieren, in deren Namen sie meinen, sprechen zu dürfen und derer sie sich projektiv bedienen, um sich selbst zu setzen« (2008: 10). Obwohl Parallelen zwischen der Täter-Opfer-Umkehr und der Ignoranz gegenüber Diskriminierungs- und Vertreibungserfahrungen unübersehbar sind, unterscheidet sich die politische Situation vor und während des Nationalsozialismus doch erheblich von jener in der postnationalsozialistischen Bundesrepublik. Daher kann es bei der Analyse der Bedeutung von Nationalsozialismus und Antisemitismus für den antimuslimischen Rassismus nicht um eine Parallelisierung oder Analogisierung der Erfahrungen gehen. Vielmehr sind Nationalsozialismus und Antisemitismus neben Post-/Kolonialismus als zentrale diskursive und politische Bezugsgrößen bei der Analyse anderer Rassismen zu berücksichtigen. Die primäre Wahrnehmung von ›PalästinenserInnen‹ als ›AraberInnen‹ und TerroristInnen verkehrt deren Opfererfahrung in einen TäterInnenstatus. Damit werden sowohl die eigenen und vermittelten Erfahrungen aus den Herkunftsländern als auch jene im gegenwärtigen alltäglichen Leben in Deutschland uminterpretiert, untergeordnet und instrumentalisiert. Diese doppelte Missachtung (der Erfahrungen in den Herkunftsländern und jener in Deutschland) und die spezifische Hervorhebung und Zuweisung von gesellschaftlich unerwünschten Verhaltensweisen an ›Musli25 Damit werden sie der Auseinandersetzung im eigenen Kontext entzogen.

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me‹ (in diesem Kontext insbesondere der ›islamische Antisemitismus‹) entlasten von eigener Schuld und Verantwortung gleich in mehreren Hinsichten: Der historischen Mitverantwortung an Kolonialismus, Krieg und Vertreibung im Nahen Osten, der gegenwärtigen Politik gegenüber (den Nachkommen von) Eingewanderten und Flüchtlingen, der kulturellen Dichotomisierung und Hegemonie. Die Wahrnehmung der eigenen Verstrickung in diesen Kontexten stellt bundesdeutsche Politik vor das Problem, dass dies mit der gewohnten Parteilichkeit für den Staat Israel und der Konzentration der eigenen Schuld auf jene gegenüber Juden/Jüdinnen und dem Nationalsozialismus in Konkurrenz zu anderen Diskursen und Praxen gerät.26 Wenn der Nationalsozialismus tatsächlich – in gänzlich anderer Weise – auch Auswirkungen auf den antimuslimischen Diskurs hat, verändert dies die eigene Positionierung in Bezug auf Antizionismus, Antisemitismus und (den Folgen von) Nationalsozialismus und insbesondere auf das eigene Selbstverständnis. Mit ihrer Berücksichtigung geraten indes mühsam hergestellte und aufrechterhaltene Positionen in Bedrängnis und müssten neu reflektiert werden. Im Zentrum einer entsprechenden Auseinandersetzung und Neupositionierung stünde neben der Verantwortung für den Nationalsozialismus auch jene für den Postnationalsozialismus – und zwar in seinen diversifizierten und interdependenten, relationalen Dimensionen.

26 Neben der in der deutschen Parlamentslandschaft herrschenden Parteilichkeit für Israel richtet sich die hier formulierte Kritik auch gegen die im linken und rechtsextremen Antisemitismus angesiedelte Schlussstrich-Haltung, die ebenso wenig die Folgen des Nationalsozialismus auf andere marginalisierte Gruppen mitdenkt. Die Parteilichkeit für ›PalästinenserInnen‹ weist hier sowohl auf eigene antisemitische wie antimuslimische und orientalisierende Stereotypen und Diskurse hin und zeugt weniger von der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, als davon, sich zu entlasten und die Opfer nationalsozialistischer Politik und europäischen Antisemitismus nun ihrerseits der Täterschaft zu überführen. In alltäglichen, öffentlichen und medialen Diskursen zum Nahostkonflikt kommt die gleichzeitige Ablehnung und Abwertung von ›Juden‹/›Jüdinnen‹ und ›Arabern‹/›Araberinnen‹ ganz unverhohlen zum Ausdruck, die beide als Gegenbild zum Eigenen präsentiert werden.

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Fazit Studien zur Transformation der postkolonialen Kritik auf den bundesdeutschen Kontext konzentrieren sich auf deutsche Kolonien bzw. reflektieren Arbeitsmarkt- und Integrationspolitik auf dem Hintergrund kolonialer Diskurse und Erlasse. Diese Engführung auf den Kolonialismus brachte zwar wichtige Forschungsergebnisse hervor, erfasst jedoch nicht die vollständige Spezifik der deutschen Situation in Bezug auf den Orientalismus und antimuslimischen Rassismus. Diese verweist zwar auch auf deutsche Kolonialdiskurse und Arbeitsmigrationspolitik, lässt sich jedoch ohne Berücksichtigung der spezifischen Bedeutung des Postnationalsozialismus für bundesdeutsche Diskurse und Politiken nicht umfassend begreifen. Dies gilt insbesondere für Politiken und Diskurse, die zur eigenen Selbstdefinition und -bestätigung ›Andere‹ zu ›Fremden‹ machen und ausgrenzen. Der Kolonialismus ist zwar ein wichtiger Bezugspunkt für den postkolonialen Orientalismus- und den bundesdeutschen Arbeitsmigrationsdiskurs. Darüber hinaus kommt aber dem deutschen Nationalsozialismus als politische, gesellschaftliche, soziale und kulturelle Markierung eine herausragende Rolle im postnationalsozialistischen bundesdeutschen Othering-Prozess des Orientalismus und antimuslimischen Rassismus zu. Deutschland blickt auf eine aggressive koloniale Vergangenheit zurück – wenn auch nicht in orientalisch-islamischen Ländern. Einige der Herkunftsländer von Eingewanderten nach Deutschland verfügen über koloniale Erfahrungen – wenn auch nicht mit Deutschland als unmittelbarem Kolonisator. Dennoch haben Kolonialdiskurse deutsche Interessen ›im Orient‹ geprägt. Darüber hinaus kann Arbeitsmigration als Form der nach innen geholten Kolonisierung interpretiert werden. Insgesamt trugen Kolonialdiskurse und -praxen zur Selbstkonstituierung bei und prägten über das Selbstbild und die Legitimation von Herrschaft, Gewalt und Ausbeutung auch die Sichtweise und Haltung gegenüber anderen, als ›fremd‹ und ›rückständig‹ präsentierten ›Völkern‹ und ›Kulturen‹. Die im Kontext kolonialer und auch postkolonialer Diskurse und Politik geprägten Selbst- und Fremdbilder sowie die Konstruktion, Dichotomisierung und Hierarchisierung von ›Kulturen‹ sind »in die allgemeine Kultur« (Said 1981: 14) eingegangen.

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Es kann also durchaus von einer postkolonialen Relevanz für den deutschen Kontext sowohl bezüglich der eigenen kolonialen Vergangenheit als auch der Einwanderungs- und Arbeitsmarktpolitik ausgegangen werden. Aufschlussreich ist indes die Verknüpfung zum Postnationalsozialismus derart, dass europäischer Antisemitismus und deutscher Nationalsozialismus in Verbindung mit dem europäischen Kolonialismus zur Vertreibung von PalästinenserInnen führten. Sie kommen als Flüchtlinge u.a. in die Bundesrepublik. Hier treffen sie auf eine Form der Verarbeitung historischer Schuld, die sie und ihre kollektiven Kriegs- und Vertreibungserfahrungen vernachlässigt und umcodiert. Mehr noch: Auch von ihnen wird die Übernahme bundesdeutscher Schuldund Verarbeitungsdiskurse erwartet. Diese schließen weder die deutsche Schuld an der Situation von PalästinenserInnen ein noch gestehen sie ihnen eine andere als die Positionierung im deutschen politischen Koordinatensystem zu. Da jedoch offensichtlich nicht-jüdische Flüchtlinge aus dem Nahostkonflikt hervorgehen, werden sie mit Rückgriff auf tradierte Diskurse als ›AraberInnen‹ orientalisiert und mit Bezug auf ›die Neue Weltordnung‹ islamisiert. Deren Kulturalisierung geht mit jener von ›TürkInnen‹ einher, deren politische und gesellschaftliche Integration versäumt wurde. Ihre Ausbeutung als Arbeitskräfte verweist politisch auf eine andere Geschichte, die in postkolonialen und globalisierten Zusammenhängen ebenfalls auf eine spezifisch deutsche Variante hinweisen. Die gemeinsame Kulturalisierung von ›TürkInnen‹ und ›AraberInnen‹ im postkolonialen und postnationalsozialistischen Kontext verweist also gleichzeitig auf zwei Versäumnisse und greift dabei auf kulturelle Tradierungen und aktuelle Diskurse zurück. Die Essenzialisierung von ›Orient‹ und ›Islam‹ blickt auf eine lange Tradition zurück. Sie kann in überlieferten kulturellen Präsentationen und ihren Transformationen und Aktualisierungen nachvollzogen werden. Die Essenzialisierung ›des Anderen‹ geht regelmäßig mit Prozessen der Konstruktion ›des Eigenen‹ einher. Die Dichotomisierung von ›Islam‹ und ›Westen‹ bietet eine Folie zur Auseinandersetzung mit eigenen Themen und zur Durchsetzung politischer Interessen mit Hilfe kultureller Hegemonie. Bereits im späten Mittelalter wurde ›der Islam‹ als konstitutives Außen zur Differenzierung und Abgrenzung nach außen bei gleichzeitiger Identifikation und Eingrenzung nach innen eingesetzt.

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Darauf kann sich die Ausrufung und militärische Durchsetzung einer ›Neuen Weltordnung‹ nach dem Ende des Kalten Krieges beziehen, als Gegenbild zum ›Westen‹ wurde ›der Kommunismus‹ durch ›den Islam‹ abgelöst. Für den bundesdeutschen Kontext ist über diese allgemein für ›den Westen‹ relevante Geschichte der Nationalsozialismus von erheblicher Bedeutung. Auf dem Hintergrund der theoretischen Auseinandersetzungen zu Orientalismus und postkolonialer Kritik verweist – zusammen mit dem Postkolonialismus – der Postnationalsozialismus auf seine zentrale Bedeutung für eine hegemoniale ›deutsche Identität‹. Sie ist bemüht, sich in Abgrenzung zum ›Islam‹ (konstitutives Außen), der als eigentlicher Nachfolger des Nationalsozialismus präsentiert wird, als ›demokratisch‹ (leerer Signifikant) zu konsolidieren. Die Verschiebung der Sündenbockrolle vom ›Judentum‹ auf den ›Islam‹ deutet jedoch auf die Verschränkung antisemitischer und antimuslimischer Stereotype im hegemonialen ›deutschen‹ Diskurs hin. Auf diese Weise haben Antisemitismus und Orientalismus einen erneu(er)ten interdependenten Weg in den hegemonialen Diskurs gefunden.

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Al ltagsdiskurse

Orientalisierende und antimuslimische Konstruktionen haben eine lange Tradition und sind gesellschaftlich und kulturell verankert. Es liegt nahe zu vermuten, dass sie auch im Alltag eine Rolle spielen. Zur Untersuchung dieser Fragestellung wurden 24 deutsche, christlich-säkular sozialisierte, weiße junge Erwachsene, die in Westdeutschland inklusive Westberlin aufgewachsen sind, befragt. Die Interviews waren halboffen angelegt und stützten sich auf themenstrukturierende Leitfragen. Als Interviewpartnerinnen waren junge westdeutsche Erwachsene ausgewählt worden, um möglichst sicher zu stellen, dass sie nicht nur von ihren Bildern, sondern auch von ihren Erfahrungen berichten können, die sie zu einem relativ frühen Zeitpunkt gemacht haben sollten, als ihre Bilder noch nicht gefestigt waren und sie Handlungsspielräume in der Verarbeitung von Bildern und Erfahrungen hatten. Entsprechend verfügten alle unsere Befragten seit ihrer Kindheit über mehr oder weniger flüchtige Begegnungen mit Menschen aus ›islamischen Kulturen‹, und zwar in ihren verschiedensten Lebensbereichen: in der Nachbarschaft, in Schule und Ausbildung, im Beruf, über FreundInnen und Verwandte. Manche der Kontakte wurden zu privaten Beziehungen. Die Interviews konzentrierten sich auf die Bilder und Erfahrungen der Befragten im Zusammenhang mit ›Orient‹ und ›Islam‹. Sie geben Aufschluss darüber, wie die historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bilder zum ›Orient‹ bzw. ›Islam‹ subjektiv verarbeitet werden. Sie wurden Anfang der 90er Jahre geführt, also vor den Diskursen zu islamistischem Terrorismus, die

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gerne als Begründung für die zunehmende ›Islamophobie‹ angeführt werden. Demgegenüber belegen die Interviews, dass orientalisierende und antimuslimische Alltagsdiskurse auf eine lange und ausgeprägte kulturelle Tradition zurückgreifen, die von Subjekten angeeignet und transformiert werden. Politische Diskurse kreisten Anfang der 90er Jahre um die Golfkriege, wurden jedoch in den Interviews kaum erwähnt. Der zweite Golfkrieg, über den zur Zeit der Datenerhebung auch in der deutschen Presse ausführlich berichtet wurde, wurde lediglich in einem Interview thematisiert, und zwar im Kontext der Sorge um Familienangehörige im Irak. Vereinzelt wurden Ängste vor einer »islamischen Weltrevolution« und dem Erstarken »islamischer Fundamentalisten« geäußert. Ansonsten spielten politische Ereignisse keine nennenswerte Rolle in den Interviews. Dagegen bezogen sich die Befragten auf kulturelle Produkte, schulische, v.a. religiöse Bildung und soziale, insbesondere familiäre und subkulturelle Diskurse. Als Thema nahm das Geschlechterverhältnis in sämtlichen Interviews einen prominenten Stellenwert ein. Publikationen, insbesondere solche, die mit empirischen Daten arbeiten, gelten häufig als veraltet, wenn ihre Daten vor mehr als zwei, drei Jahren erhoben wurden. Demgegenüber dienen die – aus dieser Sicht – ›alten‹ Interviews im folgenden Kapitel dazu, eine Argumentationslücke zwischen kulturellen und politischen Diskursen einerseits und subjektiven Äußerungen andererseits zu schließen. Der vorschnellen Analyse des gegenwärtigen Islamdiskurses als individualisierende und psychologisierende ›Islamophobie‹ setzt die hier präsentierte Analyse eine Sichtweise entgegen, die auch in der Untersuchung subjektiver ›Einstellungen‹, biographischer Erzählungen und familialer Sozialisation gesellschaftliche und kulturelle Aspekte mitdenkt.1

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Die folgenden Ausführungen beruhen auf bereits veröffentlichten Aufsätzen: »Antiislamischer Rassismus. Stereotypen – Erfahrungen – Machtverhältnisse« in: Siegfried Jäger (Hg.) (1994), Aus der Werkstatt: Anti-rassistische Praxen, Duisburg: DISS, S. 210-228 sowie »Antiislamischer Rassismus in interkulturellen Beziehungen« in: Iman Attia et al. (Hg.) (1995), Multikulturelle Gesellschaft – monokulturelle Psychologie? Antisemitismus und Rassismus in der psychosozialen Arbeit, Tübingen: dgvt, S. 136-156.

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Bilder und Erfahrungen Die Datenerhebung wurde mit der Frage nach ersten Erinnerungen zum ›Islam‹ eröffnet. Während ein Teil der Befragten sich spontan an kulturell vermittelte Bilder erinnerte, berichteten andere von ersten Erfahrungen mit Menschen, die sie im Zusammenhang mit ›dem Islam‹ assoziierten. Die offene Fragestellung hatte den Effekt, dass im Verlauf des Interviews die Befragten sich und die Interviewerinnen wiederholt fragten, ob denn das, was sie assoziierten, auch gemeint sei und in den Überlegungen dazu aufschlussreiche Ein- und Ausgrenzungen vorgenommen wurden.

›Wir‹ und ›die Anderen‹ Mit ›dem Islam‹ assoziieren die Befragten ganz überwiegend nicht nur eine Religion, sondern all jenes, was ihnen als nicht dazu gehörig, als ›fremd‹, als ›das Andere‹ auffällt. Es wird in den Interviews wiederholt im Begriff des ›Ausländers‹ zusammengefasst und in erster Linie mit ›TürkInnen‹ und ›AraberInn‹ verknüpft, darüber hinaus mit ›IranerInnen‹ und ›JugoslawInnen‹, aber auch ein ›Inder‹, ein jüdischer Mitschüler aus Nordafrika und ein katholischer aus Griechenland werden dazu gezählt. Allerdings stolpern die Befragten über ihre eigene Zuordnung und meinen, dass diese nicht gemeint sein könnten. Dennoch gehen ihre Bilder zu und Erfahrungen mit diesen Personen in ihre Schilderungen ein. Obwohl das ›Fremde‹ der ›AusländerInnen‹ in erster Linie mit deren ›Kultur‹ begründet wird, spielt auch ihr ›Aussehen‹ zur Identifizierung eine wesentliche Rolle. Eine Befragte dazu: »Da muss man ja nur die Augen aufmachen, man hat gesehen, dass das Leben anders ist, dass, die Menschen sahen ja schon anders aus.« Ein anderer Interviewpartner konkretisiert, dass »[…] die einfach von der Optik ein bisschen hervorstachen, ja. Dunkle Haare, ganz klassisch ebend. […] auch durch ihre Ausstrahlung […] dunkler Typ, ja. Dunkle Haare, das haben natürlich ooch Deutsche, aber die haben, also sehr dunkle Haare, auch so vom, vom, vom Gesicht vielleicht auch her. Von der Haut. Hautfarbe. […] Türken, ja Araber, also keine Schwarzen«.

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Zusätzlich werden ›Muslime‹ über ihre »Ausländermentalität, Kultur, die Religion von den Ausländern« identifiziert, wie ein Befragter ausführt. Ihre »[…] Mentalität [ist] natürlich ganz anders, ‘ne ganz andere Persönlichkeitsstruktur«. Und ein anderer verallgemeinert: »Ich mein jeder, oder jedes Volk hat ja seine Kultur.« Rassifizierung und Kulturalisierung greifen hier ineinander. Danach gefragt, ob er sich vorstellen könne, in einem islamisch-geprägten Land zu leben, sagt ein Befragter: »Also man soll nicht seine eigene, man soll sich seine eigenen Gedanken und seine eigenen Wesenszüge und seine eigene Religion soll man sich bewahren«. Dagegen wird von Eingewanderten nach Deutschland gefordert, sich ›der deutschen Kultur‹ anzupassen, die diskursiv insbesondere als individualisierte, ›freie‹ Lebensweise und als gleichberechtigtes Geschlechterverhältnis dargestellt wird. Insgesamt wird deutlich zwischen einer ›islamischen‹ und einer ›westlichen‹ Kultur, Lebensweise, Umgangsformen, Werten unterschieden. Die Differenz wird dabei in der Regel eindeutig hierarchisch definiert: die ›eigene‹ Kultur wird der ›fremden‹ nicht nur persönlich vorgezogen, sondern auch insgesamt als besser, fortschrittlicher, angemessener, menschlicher, freier, gleichberechtigter etc. präsentiert. Eine Ausnahme dazu: »Die sollen sich so kleiden, wie sie das möchten, oder wie es ihre Religion vorschreibt. […] Wenn sie das wollen und einfach so akzeptieren, dass durch ihren Glauben, dass sie sich anziehen müssen, dann ist das voll in Ordnung. Dann find ich das vielleicht sogar gut, dass sie den Deutschen trotzen oder so. Nur die, die meinen, sie müssten ihre Kultur da aufzubinden oder so. […] Das haben sie ja schon mit den Indianern versucht, diese fremde Kultur aufzubinden und es hat nicht geklappt. Find ich auch nicht gut, die sollen doch bitteschön ihre Kultur da behalten. Über Jahrhunderte oder weiß ich wie lange ist die aufrechterhalten, und warum sollten sie da irgendeine andere Kultur annehmen oder was weiß ich«.2

Die grundsätzliche Unterscheidung in ›Wir‹ und ›die Anderen‹ wird auch dort, wo ›die Anderen‹ nicht eindeutig abgewertet werden, als Tatsache gehandelt; die Transformation, Hybridität, Ab2

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Der Sprung in der Argumentation (wer zwingt wem eine Kultur auf?) ist nicht der Auslassung im Zitat geschuldet, sondern bleibt auch im Kontext des Interviews unbestimmt.

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hängigkeit, Beeinflussung von Kulturen in den Bereich des Unmöglichen verwiesen. Die eigene Schuld (Beispiel ›Indianer‹) wird dabei ebenso entsorgt wie die Verantwortung für Widerstand den Subalternen zugewiesen. Den jeweils voneinander unterschiedenen Kulturen werden Merkmale auf mehreren Ebenen zugewiesen. Die Kulturen werden essenzialisiert und einander gegenüber gestellt. Eigene Erfahrungen, die diesem Dualismus widersprechen, werden aufgelöst, indem sie als Ausnahme heraus genommen werden. Darüber hinaus wird die Differenz als unvereinbar präsentiert: »[…] dass dann die unterschiedlichen Vorstellungen schnell zu Konflikten führen können«, wie ein Befragter meint. Auf die persönliche Ebene bezogen führt ein anderer aus: »Also wenn ‘ne [muslimische] Frau mich heiratet, dann distanziert sie sich ja automatisch aus ihrem Kulturkreis. Damit lässt sie sich ja auf einen anderen Kulturkreis ein, nämlich mich«. Zwar bezeichnen sich die InterviewpartnerInnen selbst überwiegend nicht als ›deutsch‹, eher noch als ›westlich‹. Um jedoch ihre Differenz zu ›Muslimen‹ zu markieren, beziehen sie sich deutlich auf ›ihre Kultur‹ und identifizieren sich positiv damit. Dennoch wird die ›fremde Kultur‹ nicht durchgängig abgewertet, es finden sich durchaus ambivalente Schilderungen und Haltungen.

›Orient‹ versus ›Islam‹ Im Alltagsdiskurs wird die Widersprüchlichkeit der Orient- und Islambilder, wie sie auch in den Interviews zum Ausdruck kommen, geglättet, indem die positiven Bilder dem ›Orient‹ und die negativen dem ›Islam‹ zugewiesen werden. Während in seiner historischen Entwicklung das Orientbild durchaus ambivalent besetzt war, assoziieren die Befragten ausschließlich Positives mit ihm. Der ›Orient‹ fasziniert in seiner Fremdheit und Andersartigkeit. Neben dem Bild vom exotischen Orient hebt sich das andere Bild, jenes vom ›Islam‹, besonders negativ ab. Auffällig ist, dass genau die gleichen Merkmale, die im orientalischen Bild die Faszination auslösen, im islamischen Bild zur Abwertung führen. Wurden im ›Orient‹ die Frauen bewundert und beneidet, so werden sie im ›Islam‹ bedauert und abgelehnt. Die Symbole und die Bilder, die diese entgegengesetzten Reaktio-

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nen auslösen, sind jedoch die gleichen: Die Schleier der Frauen, Symbol für Erotik und freie Sexualität im exotischen Bild, werden zum Inbegriff von weiblicher Unterdrückung im Bild vom ›Islam‹. Aus den »wunderschönen Seidengewändern« und dem »Haremsgewand […] das fanden wir so sexy oder erotisch« werden der »Tschador«, der »grundsätzlich verunstaltet«. Aus den ›orientalischen‹ Frauen, die assoziiert werden mit »Sinnlichkeit, Möglichkeit, sich zu entfalten« werden ›islamische‹ Frauen, die »unterdrückt und unterjocht sind«. In die Bilder zur freien Sexualität der ›orientalischen‹ Frau werden eigene Fantasien und Wünsche projiziert. Dagegen werden über den Kontrast zum Bild der unterdrückten ›islamischen‹ Frau die eigenen Wunschvorstellungen einer geglückten Emanzipation im ›Westen‹ als Wirklichkeit präsentiert. Die Bilder geben vor allen Dingen Aufschluss über die Interessen derer, die sie re-/ produzieren, weniger über ihre tatsächlichen Erfahrungen. Eine Befragte dazu: »ich hab‘ nie ‘ne türkische Frau kennengelernt, […] die mir gesagt hat, mir geht es ja so schlecht, weil ich ein Kopftuch tragen muss. Ich habe nie selber diese Erfahrung gemacht […] Mir wurde immer gesagt, denen geht es schlecht damit. Und ich hab‘ das geglaubt«. Auch in den Bildern über Männer werden ›Orient‹ und ›Islam‹ gegenteilig besetzt: Die Faszination und Zuneigung, die die Stärke und Verführungskunst der Männer im orientalischen Bild auslösen, schlägt um in Verachtung und Angst vor der Gewalt und Unberechenbarkeit der gleichen Männer. Die Sehnsucht nach ihnen, ihrem Mut und ihren Prinzipien schlägt um in Abscheu. Eine Befragte berichtet, wie sehr sie im orientalischen Kontext angezogen war von den »starke[n] Männer[n], die ihre Prinzipien hatten […] notfalls mit Gewalt um Sachen kämpfen«. Gleichzeitig weiß sie über ›islamische‹ Männer, »dass man vorsichtig sein muss, immer auf der Hut sein muss. Dass man die […] nicht reizen darf, ansonsten kommt das Messer raus«. Die Erfahrungen dieser Befragten widersprechen dem. Der einzige ›Orientale‹/›Moslem‹, den sie kannte, war ein türkischer Kollege des Vaters, der »ein ganz normaler Mensch [war …] kein starker mächtiger Mann«. Trotzdem bleiben für sie die Bilder bestimmend, und sie verhält sich ihnen entsprechend: Bei Begegnungen mit ›türkischen‹ oder ›arabischen‹ Männern hat sie »Angst, sich zur Wehr zu setzen […] weil dann eben […] das Messer gezückt werden könnte«. In der

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Entgegensetzung von ›Orient‹ und ›Islam‹ wird die beschützende Stärke zur aggressiven Brutalität. Die Befragten betonen übereinstimmend, dass die schönen Bilder und die guten Erfahrungen »mit dem Islam nichts [zu tun haben …], sondern das hat was mit dem anderen Land zu tun, mit dem Orient«.

Aneignung kultureller Bilder Einige der Quellen für ihre Bilder, an die die Befragten sich erinnern, werden in den Interviews wiederholt genannt: Die Märchen aus 1001 Nacht gehören als Bilderbücher, Märchen oder Trickfilme dazu, Der kleine Muck, Aladin und die Wunderlampe, Kalif Storch werden mehrfach erinnert, Kara ben Nemsi ist vielen ein Begriff, die Bücher von Karl May wurden von mehreren InterviewpartnerInnen gelesen und als Verfilmungen gesehen. Eine Befragte assoziiert die Fernsehserie Die bezaubernde Jeannie wegen ihrer Zauberkünste und der an Bauchtanzkostümen angelehnten Verkleidung in ›den Orient‹, der Spielfilm Laurence von Arabien wird ausführlich geschildert, Faschingskostüme werden als ›orientalisch‹ erinnert. Diese Erlebnisse werden zusammen mit dem Religionsunterricht in der Schule3 als Kindheitserinnerungen geschildert. Als Erwachsene beziehen sich die Befragten auf das Buch und die Verfilmung Nicht ohne meine Tochter, die Kinofilme 40 qm Deutschland und Yasemin, auf verschiedene, nicht näher genannte Sachbücher, Reiseführer und Frauenliteratur, sowie auf Nachrichten- und politische TV-Sendungen. Auch der schulische Religionsunterricht prägt die kulturellen Bilder. So erinnert sich ein Interviewpartner: »wir haben da den Koran und die Bibel verglichen. Aber das war glaub ich nur eine Religionsstunde. Das war wirklich nur ganz kurz. Nur ganz

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Auch auf Nachfragen können die InterviewpartnerInnen keine anderen Quellen im Kontext des Schulunterrichts nennen als den Religionsunterricht. Allerdings räumen einige ein, dass das ihrem Erinnerungsvermögen und ihrem Desinteresse an Schulfächern geschuldet sein könne, in denen ›andere Länder‹ oder ›fremde Kulturen‹ hätten behandelt werden können.

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kurz. Ja, das war, wir haben mehrere Religionen miteinander verglichen und da kam natürlich auch der Islam vor. Und Hinduismus, Buddhismus. […] Ja natürlich dass das Christentum die bessere Religion ist, keine Frage. […] Es war auch schon so, dass einem beigebracht wurde, ähm dass der Islam ‘ne Religion ist, die einen sehr beengt. Das Gefühl beengt. […] Es ist erstaunlich, was sich, wie so, was alles in der Erinnerung wieder auftaucht«.

Während dieser Befragte im Interview beginnt, seine Bilder zu reflektieren und zu kontextualisieren, bezieht sich ein anderer weiterhin affirmativ darauf. Er benutzt im Laufe des gesamten Interviews Figuren aus Karl May, um seine eigenen Erfahrungen zu beschreiben. Dabei dienen sie wiederholt dazu, die Aufteilung in ›Wir‹ und ›die Anderen‹ zu illustrieren und zu bestätigen: »[… Kara ben Nemsi] straff, eben selbstkontrolliert und durchsetzungsfähig, energisch, kühn. Obwohl die Muslime auch als kühn bezeichnet wurden, aber sie eher so als kamikaze-kühn, ne. […] eher so wild, wilde Gesellen waren das, die einfach so sich in Gefahr begeben haben, ohne die Konsequenzen zu überblicken. Die auch sehr von ihrem Glauben getrieben wurden«.

Dieser Interviewpartner führt an, dass er bereits als Kind wusste, dass Karl May seine Bücher nicht auf dem Hintergrund eigener Reiseerfahrungen oder fundierter Recherchen verfasst hatte und dass seine Abenteuerromane erfunden waren. Dennoch prägen sie seine Wahrnehmung: »[…] im Vordergrund stand natürlich das Abenteuer, ne. Aber das hat natürlich auch einen Effekt gehabt, dass dieser Kulturkreis also für mich auch als was sehr fremdes beschrieben wurde. Es ist bei mir auch so haften geblieben, ne, das sind so komische Leute […] dass die eben so ihre strikten, strengen Verhaltensregeln haben […] Und dass jemand, der ihre Verhaltensweisen nicht übernimmt, weil der ‘ne andere Kultur oder Religion hat, der eben ausgegrenzt ist. […] Ich mein ich hab mir nie darüber Gedanken gemacht, weil ich mit 11 Jahren oder so aufgehört hab‘, Karl May oder sowas zu lesen. […] Also ich hab wirklich mein gesamtes Bild über den Orient oder solche Kulturen bekommen habe ich in der Kindheit über Erzählungen und Märchen und solche Abenteuergeschichten«.

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In seine Erinnerungen an Karl Mays Orientromane mischen sich weitere Bilder und verknüpfen sich zu einer eigenen Interpretation, die dennoch nicht seine persönliche ist. Deutlich wird, dass hier gesellschaftliche Diskurse verdichtet auf ›den Islam‹ projiziert werden. Assoziationen und Bilder aus Karl May vermengen sich mit kulturrassistischem Alltagswissen sowie Nachrichten und politischer Berichterstattung zu einem Ganzen. Gegen Ende des Interviews, nachdem der Befragte seiner Sorge über eine zunehmende Islamisierung nachdrücklich Ausdruck verleiht, findet er die Schilderungen aus Karl Mays Abenteuerromanen bestätigt: »[…] da kommt dieses Karl-May-Denken wieder ins Spiel, […] dieser alleinigen Vorherrschaft ihrer Religion. Und so einfach eine Mentalitätsfrage. […] Also ich kann mich da eben auch in diesem Zusammenhang gerade so an Karl-May-Geschichten erinnern […] Das ist einfach aus den Nachrichten, ‘ne. Ich hab einfach so mehrere Sendungen in den letzten Jahren mitgekriegt […] Und ich seh‘ das schon als ‘ne Gefahr an. Das ist irgendwie kein verzerrtes Bild, das ich hab‘, irgendwie durch Karl May, ‘ne reelle Gefahr […] so absurd ist das nicht«.

Im Unterschied dazu trennt ein anderer Interviewpartner deutlich zwischen Bildern, die sich ihm in Geschichten vermittelt haben, und eigenen Eindrücken, die er den Geschichten als Wirklichkeit entgegen setzt. Er erinnert sich an verschiedene Filme, die er als Jugendlicher gesehen hat und die ihm im Zusammenhang mit ›Orient‹ und ›Islam‹ einfallen. Er mochte diese Filme gerne, sie waren schön, allerdings seien sie »[…] weit weg eben ja. Sie waren nicht in meinem, es war nicht in meinem alltäglichen Umfeld. In meinem alltäglichen Umfeld mocht‘ ich sowas eigentlich nicht.« Dagegen nutzt eine Befragte kulturelle Produkte, um ihre Erfahrungen zu interpretieren: »Also der Islam begegnet, sicherlich schon früh in der Schule, so mit ausländischen Mitschülern, aber bewusst, was damit zusammenhängt, als ich das Buch gelesen habe Nicht ohne meine Tochter. Da ging‘s halt um eine Frau, die in einem islamischen Land gefangen gehalten wurde und welche Folter mehr oder weniger ihr da zukam. Da hab‘ ich mir erstmal Gedanken darüber gemacht, ja, wie extrem diese Religion ist«.

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Betty Mahmoodys Bestseller wurde inzwischen verfilmt. Er hat mehrere Jahre lang zentral am antimuslimischen Rassismus mitgewirkt (vgl. kritisch Reulecke 1993).

Umdeuten von Erfahrungen Nach ihren Erfahrungen mit Menschen aus ›islamischen Kulturen‹ gefragt, fiel es unseren Interviewten schwer, ihre Erfahrungen zu sortieren. Spontan fielen ihnen meist keine Menschen ein, die sie als islamisch-kulturell geprägt bezeichnen würden. Auf Nachfrage nannten sie türkische Mitschülerinnen, iranische Kolleginnen, palästinensische Klienten, irakische Liebhaber, räumten aber sogleich ein, dass das nicht gemeint sein könne, schließlich trügen diese keine Kopftücher, dächten westlich, sprächen gut deutsch, seien ›ganz normal‹. Übrig blieben dann vereinzelte Erfahrungen mit zwangsverheirateten Mädchen, Kopftuch tragenden Frauen und Messer zückenden Jungen. Im Zuge der Befragung zeigte sich, dass die Interviewten den größten Teil ihrer Erfahrungen mit Menschen aus ›islamischen Kulturen‹ vom ›Islam‹ abkoppelten und damit ausblendeten, da er ihren Bildern nicht entsprach. Es fiel ihnen schwer, auch positive oder neutrale Erfahrungen mit Menschen aus ›islamisch‹ geprägten oder markierten Kulturen auch als solche wahrzunehmen. Eine Interviewte versucht sich zu erinnern, welche Menschen aus ›islamischen Kulturen‹ ihr als Kind begegnet sind. Ihr fällt eine befreundete irakisch-islamische Familie ein, die sie gerne mochte. Sie erinnert sich, dort auch Fremdes erlebt zu haben (»dass die eigentlich woanders herkommen«), was sie aber nicht daran hindert, sich der Familie nah und vertraut zu fühlen. Sie bewertet das Fremde nicht, sondern registriert es lediglich als solches. Und sie bringt es nicht mit ›islamischer Kultur‹ in Verbindung (»da kann ich nicht sagen, da ist mir der Islam begegnet«). Ihre positiven Erinnerungen bringt diese Befragte – und mit ihr auch alle anderen – nicht mit ›dem Islam‹ in Verbindung. Mit ›dem Islam‹ wird all das begründet, was negative Assoziationen weckt (»das muss am Islam liegen […] ich kenne den Koran nicht […] aber das muss was damit zu tun haben«). Dabei scheint unseren InterviewpartnerInnen der Hinweis auf den Islam zu genügen, um die betreffende Person abzuwerten. Eine Interviewte

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wundert sich darüber, wie ein ihr bekannter ›Iraner‹, der vorher mit einer ›Deutschen‹ in Beziehung lebte, nun eine ›Iranerin‹ heiraten könne, »weil gerade ihn hatte ich noch immer anders eingeschätzt«. Obwohl sie ihn kennt und für fortschrittlich hält – bzw. hielt –, kommt sie nicht auf die Idee, dass er auch in der Beziehung zu einer Frau aus einem ›islamischen‹ Land eine gleichberechtigte Beziehung leben kann. Vielmehr scheint seine neue Beziehung Aufschluss darüber zu geben, dass er eigentlich ja doch seiner ›rückständigen Kultur‹ verhaftet geblieben ist. Er war eben bloß ›verwestlicht‹, nicht wirklich westlich und ist nun wieder rückfällig geworden. Über die ›Iranerin‹ selbst und die Beziehung der beiden verliert die Befragte kein Wort. Der Hinweis darauf, dass sie ›Iranerin‹ ist, reicht, um sie abzuwerten. Zugehörigkeit zu einer ›islamischen Kultur‹ als Symbol für Rückständigkeit wird in Konkurrenz gesetzt zu Zugehörigkeit zu ›westlicher Kultur‹ als Symbol für Fortschritt. Eine der wichtigsten Assoziationen zum ›Islam‹ und zu Menschen aus ›islamischen Kulturen‹ bezieht sich auf das Kopftuch bzw. die Haare. Als Symbol scheinen sie Aufschluss darüber zu geben, welchen Bewusstseinsstand die betreffende Person hat: Trägt die Frau ein Kopftuch, dann ist sie zweifellos ›islamisch‹ und damit entweder rückständig und unterdrückt oder aber fanatisch. Trägt sie kein Kopftuch, dann kommen wieder zwei Möglichkeiten der Einordnung in Frage: Entweder sie trägt ihr Haar lang, dann wird sie als ›Orientalin‹ klassifiziert, oder sie trägt es kurz und gilt unvermeidlich als ›verwestlicht‹. Eine Interviewte berichtet von einer Kollegin aus dem Iran, die zunächst ein Kopftuch trägt, dies aber später ablegt. Bereits mit Kopftuch bereitet die ›Iranerin‹ Schwierigkeiten bei der Identifizierung: Sie wendet sich zum Beispiel entschieden gegen den Krieg und entzieht sich damit – trotz Kopftuchs – einer Einordnung in das Bild der fanatischen und gewalttätigen ›Muslima‹. Das Kopftuch bewältigt die Interviewte, indem sie mutmaßt, dass die ›Iranerin‹ nur auf Befehl ihres Mannes Kopftuch trägt. Das ermöglicht es ihr, sie in das Bild der unterdrückten Frau einzuordnen. Als die ›Iranerin‹ das Kopftuch jedoch nicht mehr trägt und auf erstauntes Nachfragen erklärt, sie hätte sich jetzt so entschieden, gerät auch diese Erklärung ins Wanken. Nun bedauert unsere Informandin, dass die ›Iranerin‹ mitsamt dem Kopftuch ihre schönen langen Haare entfernte. Damit kommt sie als ›Orientalin‹

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auch nicht mehr in Frage. Die Interviewte ist deshalb enttäuscht, weil diese Frau ihr zuvor immer so kritisch erschienen war als eine »ganz starke Persönlichkeit«. Nun, ohne Kopftuch und ohne lange Haare, habe sie sich angepasst (»warum muss die jetzt auch so westlich sein«). Damit wird sie persönlich uninteressant für unsere Befragte, hat aber die Richtigkeit der ›westlichen‹ Lebensweise bestätigt (»Einerseits fand ich das toll, dass sie das so macht, und andererseits hab‘ ich gedacht, ist das auch schade«). Gleichgültig, ob die ›Iranerin‹ Kopftuch trägt oder nicht: sie kann die westliche Frau nicht zufrieden stellen. Entweder ist sie kritisch gegen ›den Westen‹, dann wird sie mit ihrer Herkunftskultur identifiziert und gilt damit als unterdrückt durch die vermeintlich kulturellen Anforderungen an ihr Geschlecht. Oder sie ist nicht unterdrückt, weil sie sich den Anforderungen durch ›ihre Kultur‹ entzieht; damit wird ihr aber gleichzeitig der Wunsch unterstellt, es ›dem Westen‹ gleichmachen zu wollen; als Kritikerin ›des Westens‹ fällt sie damit aus. Ob ›unterdrückt‹ oder ›verwestlicht‹: die ›westliche‹ Frau ist der ›islamischen‹ überlegen, sie weiß, worauf die andere nun ›herein gefallen‹ ist und kann sie in beiden Fällen nicht als Gleichwertige akzeptieren. Indem es ihr nicht gelungen ist, die ›islamische‹ Frau in ihrer Eigenständigkeit wahrzunehmen, ist sie selbst auf die Stereotypen ›herein gefallen‹. Ihre Erfahrung, die von den Stereotypen abweicht, konnte sie nicht eines Besseren belehren. In der Wahrnehmung der Diskrepanz zwischen Bildern und Erfahrungen liegt eine Möglichkeit, die Relativität der Bilder zu erkennen. Wird jedoch diese Diskrepanz zu Gunsten der Stereotype aufgelöst, dann werden die Erfahrungen lediglich dazu benutzt, die ursprünglichen Bilder zu bestätigen. Eine Befragte schildert eine Situation bei ihrer Arbeit mit türkischen Mädchen in einer Bildungsstätte. Nach ihren Berufswünschen gefragt, geben drei Mädchen an, Erzieherin, Arzthelferin bzw. Pilotin werden zu wollen. Die beiden Mädchen, die als Berufswunsch Erzieherin bzw. Arzthelferin äußern, ordnet die Interviewte in die Kategorie ›verwestlicht‹ ein (»moderner«, »ohne Kopftuch«). Was für ein ›westliches‹ Mädchen als traditioneller Berufswunsch gilt, kennzeichnet bei einem ›islamischen‹ Mädchen bereits das fortschrittlichere. Die Bedeutung von ›verwestlicht‹ als immer noch unter der ›westlichen‹ stehend, wird hier reprodu-

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ziert. Ein drittes Mädchen aus dieser Gruppe, das eindeutig der Kategorie ›islamisch‹ zugewiesen wird (»noch mit Kopftuch«, »sehr streng gekleidet«), äußert als Berufswunsch: (»ausgerechnet«) Pilotin. Unsere Interviewte deutet diesen Berufswunsch ohne zu zögern als Illusion (»was eben wirklich nur – für sie eben – ein Wunsch war«). Der Wunsch dieses Mädchens wird jedoch nicht etwa deswegen als unrealistisch bewertet, weil dem Erfahrungshintergrund der ›westlichen‹ Frau gemäß dieser Beruf Frauen nur eingeschränkt zugänglich ist. Vielmehr wird die Illusion mit Hinweisen auf die Rückständigkeit der Familie des Mädchens in den Zusammenhang mit ›islamischer Kultur‹ gestellt. Der Sexismus im eigenen Land wird angesichts jenem in anderen ›Kulturen‹ unsichtbar. Während die ›modernen‹ ›islamischen‹ Mädchen, die als ›verwestlicht‹ gelten, persönlich abgewertet werden, indem sie mit traditionellen ›westlichen‹ Mädchen auf eine Stufe gestellt werden, wird ihr gesamter kultureller Hintergrund abgewertet: was im ›Westen‹ als traditionell gilt, erscheint im ›islamischen‹ Kontext als relativ fortschrittlich. Damit schafft die Befragte Distanz zwischen der ›islamischen‹, grundsätzlich zurückgebliebenen ›Kultur‹ und ihrer eigenen und bestätigt die Höherwertigkeit ›westlicher Kultur‹. Überbietet nun ein dem antimuslimischen Diskurs gemäß ›rückständiges‹ Mädchen die ›westliche‹ Norm, wird dies als Illusion entwertet. Das Mädchen wird persönlich herabgesetzt, da es als anmaßend empfunden wird, wenn »ausgerechnet« sie sich herausnimmt, sich nicht nur mit traditionellen ›westlichen‹ Mädchen, sondern auch noch mit fortschrittlichen zu messen. Die Chance, in der Diskrepanz zwischen Stereotyp und Erfahrung irritiert zu werden, bleibt ungenutzt. Ihre Erfahrung hätte die Interviewte veranlassen können, die gängigen Stereotypen in Frage zu stellen. Sie nimmt jedoch ihre eigene Erfahrung nicht ernst, sondern greift auf die Stereotypen zurück. Ihr Konzept eigener Überlegenheit hat sie bestätigt, dem rassistischen Diskurs ist sie verhaftet geblieben. Die betreffenden Mädchen sind ihr dabei völlig aus dem Blick geraten. Trotz der Diskrepanz zwischen ihren Erfahrungen und den Stereotypen, gelingt es den Befragten meist nicht, die Richtigkeit ihrer Bilder in Frage zu stellen. Oft wird diese Diskrepanz gar nicht bemerkt, die Erfahrung wird umstandslos dem Stereotyp entsprechend interpretiert. Die Erfahrung trägt in diesem Fall

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nicht dazu bei, die eigenen Vorurteile zu überwinden. Vielmehr werden die Erfahrungen als Bestätigung des Stereotyps umgearbeitet.

Herstellen von Dominanz Aus dem Umgang der Befragten mit den eigenen Erfahrungen wird deutlich, dass es sich beim antimuslimischen Diskurs nicht lediglich um falsches Wissen und falsche Bilder handeln kann. Andernfalls hätte die Wahrnehmung der vielfältigen und widersprüchlichen Wirklichkeiten sie veranlassen müssen, ihr bisheriges Wissen zu revidieren oder zumindest zu ergänzen. Das Ignorieren ihrer eigenen Erfahrungen zugunsten der Stereotypen weist darauf hin, dass diese Stereotypen auch Funktionen haben müssen, dass es ein Interesse gibt an der Beibehaltung stereotyper Bilder, die die Subjekte aktiv reproduzieren. Um deren Interessen zu untersuchen, wurden die InterviewpartnerInnen nach ihren Begegnungen mit Menschen aus ›islamisch‹ geprägten bzw. markierten ›Kulturen‹ befragt. Im Prozess der Umarbeitung ihrer Erfahrungen wird deutlich, dass durch die Reproduktion der Stereotypen die eigene Überlegenheit bestätigt werden soll.

Bekehrungsversuche Die Höherwertigkeit des (vermeintlich) eigenen kulturellen Konzepts wird legitimiert, indem andere Sinnzusammenhänge und Lebensweisen abgewertet werden. Am wirkungsvollsten kann das geschehen, wenn ›die Anderen‹ selbst von der Minderwertigkeit ihres Konzepts und der Höherwertigkeit der westlichen Lebensweisen überzeugt werden. Im Bekehrungsversuch wird die Abwertung anderer Lebensweisen zum Zweck der Selbstbestätigung deutlich. Eine Interviewte schildert ihre ›Bekehrungsversuche‹ bei einer Mutter türkischer Herkunft, deren Kind sie betreut. Sie berichtet von ihren Mühen, der Frau deutlich zu machen, dass sie unterdrückt sei. Sie räumt ein, den Mann dieser Frau sehr nett zu finden, sowohl ihr selbst gegenüber, als auch im Umgang mit Frau und Kindern. Trotzdem, so betont die Befragte, müsse sich ›die Türkin‹, um wirklich frei zu sein, von zu Hause lösen, mehr für sich alleine machen, eine Ausbildung beginnen. Obwohl die be-

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treffende Frau zufrieden ist und auch die Befragte selbst keinen Grund nennen kann, warum diese Person ihr Leben ändern soll, drängt sie sie dazu. Völlig unpassend wirkt hier ihr Versuch, die Zufriedenheit der Frau nach ›westlichen‹ Maßstäben zu beurteilen. Er wird erst sinnvoll, wenn er eingebunden wird in die Lebenszusammenhänge der ›westlichen‹ Frau: die ›islamische‹ Frau darf nicht zufrieden sein, da sonst der Stellenwert des eigenen Konzepts relativiert wird. Entsprechend reagiert auch die Befragte auf die Zurückweisung ihres Bekehrungsversuchs: »[…] das ärgert mich, obwohl ich fand ihn [den Ehemann] einfach sehr nett«. Im rassistischen Interesse wird sowohl die Berechtigung eigener Selbstbilder als auch die Sinnhaftigkeit anderer Lebensformen geleugnet. Die ›Anderen‹ werden damit als handelnde Subjekte ausgeblendet. Zur Absicherung und zur eigenen moralischen Rehabilitation wird versucht, die vermeintlich Rückständigen durch die Übernahme der ›westlichen Kultur‹ von ihrer Höherwertigkeit zu überzeugen. Widerstand wird nicht als solcher erkannt, sondern in den rassistischen Diskurs eingepasst und entsprechend umdefiniert. So meint eine Interviewte auf die Frage, warum sie glaube, dass Frauen und Männer sich freiwillig zum Islam bekennen würden, während sie überzeugt ist, dass er rückständig sei: »Vielleicht weil‘s ihrer Mentalität entspricht […] Ich kann mir sonst nicht vorstellen […] freiwillig auf meine Rechte zu verzichten«. Sie bleibt also bei ihrer Vorannahme, dass ›islamisch‹-geprägte Kultur gleichbedeutend ist mit Unterdrückung, ändert ihr Stereotyp nicht mit Hinweis auf die Lebenspraxis anderer, sondern bedient sich, um die Begründungslücke zu schließen, der ›Mentalität‹. Werden Unterschiede wahrgenommen (hier die ›andere Mentalität‹), dann geschieht dies zur Abwertung der ›Anderen‹. Unterschiede jedoch, die die Begrenztheit des ›eigenen‹ Konzepts verdeutlichen würden (hier die Bedeutung ihrer ›Rechte‹), werden gar nicht erst in Betracht gezogen. Die Sorge um die Rolle der Frauen aus ›islamisch‹ geprägten oder markierten Kulturen, die auch in den Interviews immer wieder thematisiert wird, weist auf die Sorge um das eigene Selbstbild hin. Um dieses zu bestätigen, reicht es nicht aus, mit ihrem Leben zufrieden zu sein. Wenn die Lebensweisen ›anderer Kulturen‹ auch ein hohes Maß an Zufriedenheit ermöglichen, warum dann all die Anstrengungen und Nachteile in Kauf nehmen, die die ›westliche Lebensweise‹ mit sich bringt? Danach gefragt, wa-

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rum sie glauben, dass sich Menschen zum Islam bekennen, nennen die Befragten als Möglichkeiten: Sehnsucht nach Geborgenheit, Sicherheit, Gemeinschaft, Verlässlichkeit. Die Frage drängt sich auf, ob die ›westliche Lebensweise‹ im Verlust dieser Werte den Preis ihrer ›Fortschrittlichkeit‹ und ihrer ›Emanzipation‹ sieht. Die vehemente Ablehnung des Spiegelbildes wäre als Reaktion auf die unerfüllten eigenen Bedürfnisse verständlich. Was sie sich selbst verbieten, verurteilen sie an ›den Anderen‹. Um in ihren tabuisierten Sehnsüchten nicht zu ersticken und handlungsunfähig zu sein, muss die ersehnte Lebensform abgewertet und im Bekehrungsversuch auszulöschen versucht werden.

Konfrontationen meiden Um mögliche Zweifel am eigenen Konzept und an der eigenen Lebensweise gar nicht erst aufkommen zu lassen, kann versucht werden, Menschen, die Irritationen auslösen könnten, grundsätzlich zu meiden. In dieser radikalen Form der Vermeidung von Verunsicherung werden aber gerade jene Zweifel deutlich, denen so verzweifelt zu entfliehen versucht wird. Das eigene Selbstbild ist bereits so erschüttert, dass keine zusätzliche Irritation ertragen wird. Gleichzeitig ist im Prozess der Verunsicherung noch nicht jener Zeitpunkt erreicht, an dem tatsächlich Veränderungen vorgenommen werden können, die Zweifel können noch nicht als eigene wahrgenommen werden. Sie werden in das Gegenüber projiziert und diesem wird – stellvertretend – angstvoll ausgewichen. »Ich hätte viel eher Vorurteile gegen moslemische Frauen. […] weil ich denke, sie zweifeln unsere westliche Rolle an oder weil ich denke, dass die westlichen Frauen ihre Rollen aufbrechen, denn sie wollen anders sein, sie wollen sie selber sein, sich selbst leben. Und ich glaube, dass die moslemischen Frauen noch so drin sind in ihrer alten Rolle, dass sie angreifen werden, – was nehmt ihr euch heraus usw. – und die Männer, die gegen die selbstständigen Frauen sind und sie verachten, dass eben diese Frauen noch einen Spruch mit dazugeben. Gegen diese Frauen habe ich einfach Vorurteile oder ich habe einfach Angst davor, vor dieser Konfrontation, dass sie auf mich zukommen und mir sagen, wer bist du schon, denn ich könnte damit nicht umgehen. Ich wüsste nicht, was ich tun würde, ich würde mich abwenden, ich würde mit denen nichts zu tun haben wollen, aber ich würde mich nicht auf ein Gespräch einlassen, denn ich könnte nichts dazu sagen«.

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Die Befragte ist selbst in Zweifeln über sich so befangen, dass sie sich mit einer zusätzlichen Irritation nicht auseinandersetzen kann. Sie projiziert ihre Zweifel auf Frauen aus ›islamischen Kulturen‹ und spaltet sie damit von sich selbst ab. Die Chance der Auseinandersetzung mit ihren Zweifeln hat sie sich damit genommen. Die selbstschädigende Wirkung von Rassismus wird an ihrem Beispiel ebenso deutlich wie die Ausblendung Anderer und mit ihnen die in sie projizierten Zweifel, um sich selbst zu bestätigen, wo es schon fast nicht mehr gelingt.

Irritationen abwehren Die Wahrnehmung der Diskrepanz zwischen Bildern und Erfahrungen garantiert noch kein Infrage stellen der Bilder. Auch wenn die Gültigkeit der Stereotypen bereits in Frage stand und Irritationen ausgelöst wurden, können sie reproduziert und in die gewohnte Ordnung gebracht werden, indem die Erfahrung den Bildern entsprechend uminterpretiert wird. Eine Interviewte berichtet von einer Reise nach Ägypten. Sie wohnt während ihres Aufenthalts bei einer einheimischen Familie und erfährt dort, dass sich immer mehr Frauen freiwillig und bewusst entscheiden, Kopftuch zu tragen. Die Tochter der Familie, eine Medizinstudentin ohne Kopftuch, erklärt ihr, dass auch sie gerne Kopftuch tragen würde, da es für sie ein »Zeichen von Reife« sei. Die Befragte findet diesen für sie neuen Standpunkt interessant, bleibt aber dabei, die zunehmende »Verschleierung« als »Rückwärtsbewegung« zu werten. Noch scheint sie aber offen zu sein für neue Erfahrungen. Sie unternimmt dann mit ihren GastgeberInnen eine Reise, an der auch eine Kopftuch tragende Frau beteiligt ist. Die bis dahin tolerante Haltung der Interviewten verändert sich angesichts der direkten Konfrontation schlagartig. Sie findet die »verschleierte« Frau »grundsätzlich verunstaltet«, sie sähe aus »wie eine Eule«. Trotzdem nimmt sie wahr, dass ihr Stereotyp von ›der islamischen Frau‹ als unterdrückter nicht stimmt. Hier erfährt sie eine eigenständige und selbstbewusste Frau, die gläubig und »verschleiert« ist. Die Befragte ist irritiert. Neben dieser Frau wirkt sie selbst nicht selbstbewusster. Sie fragt die ›Ägypterin‹, worin diese durch ihre Lebensweise eingeschränkt werde, wird von ihr aber abgewiesen. Die Befragte fühlt sich unbeachtet und beobachtet zugleich. Sie fühlt sich unbeachtet in ihrem Versuch, der ›islamischen Frau‹ ihre Unterdrückung zu verdeutli-

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chen, und meint, die ›islamische‹ Frau ihrerseits beobachte sie und bewerte ihre Lebensweise (»dass sie das vielleicht wertet, was ich tue. Und klar, natürlich war auch die Wertung auf meiner Seite«). Sie kommt zu dem Schluss, dass die ›islamische‹ Frau doch unterdrückt sein müsse (»dass sie auch gefesselt war in ihrer Situation und angekettet war in gewisser Weise«). Der Befragten ist es in dieser Situation gelungen, ihr ursprüngliches Stereotyp zu bestätigen, obwohl sie bereits irritiert war durch die Diskrepanz zwischen ihrem Bild und ihrer Erfahrung. In der Abwehr der Irritation wird das Interesse an der Beibehaltung des Stereotyps deutlich. Die Umarbeitung der Erfahrung findet hier prozesshaft statt: In einem ersten Schritt versucht die ›westliche‹ Frau, die ›islamische‹ Frau selbst von ihrer Unterdrückung und damit auch von dem Stereotyp zu überzeugen. Sie versucht, mit der ›islamischen‹ Frau ins Gespräch zu kommen, indem sie sie auf ihre Einschränkungen als ›islamische Frau‹ anspricht. Im Beziehungsangebot soll die gewohnte Hierarchie zwischen fortschrittlicher ›westlicher‹ und rückständiger ›islamischer‹ Frau in ihrer paternalistischen Variante wieder hergestellt werden. Die ›islamische‹ Frau geht jedoch nicht darauf ein. Der Versuch, die durch die Diskrepanz von Bild und Erfahrung ausgelöste Irritation zugunsten des Bildes aufzulösen, schlägt fehl. Stattdessen findet sich die Befragte in einer ungewohnten Rolle wieder: Sie selbst wird zurückgewiesen, während die dem Stereotyp nach zurückgebliebene Frau unberührt und aufrecht bleibt (»so ‘ne Ausstrahlung […] sie weiß, wer sie ist und sie weiß, wofür sie lebt, und was sind wir doch für oberflächliche Geschöpfe«). Es gelingt der ›westlichen‹ Frau nicht, auf diese Weise ihr Stereotyp zu bestätigen. Im Gegenteil, sie wird eher noch weiter irritiert: In die Ablehnung der ›islamischen‹ Frau, in eine stereotypisierte Beziehung mit der ›westlichen‹ Frau zu treten, interpretiert letztere auch eine Umkehrung des Machtverhältnisses (»so ‘ne Überlegenheit […] dass es unser Problem ist, wenn wir so leben«). Das Gespräch erhält für die ›westliche‹ Frau eine ungewohnte Wendung: die zu befreiende Frau bleibt nicht nur bei ihrer Eigendefinition als selbstständig, sie wirft – in der Wahrnehmung unserer Befragten – darüber hinaus das von der ›westlichen‹ Frau genannte Problem auf sie selbst zurück. Die Rollen sind plötzlich vertauscht. Hier wird deutlich, dass es bei der Aufrechterhaltung der Bilder nicht nur um Stereotype als solchen geht, sondern auch um das damit

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verbundene Beziehungsgefüge. Sobald das Stereotyp über ›die islamische Frau‹ nicht mehr aufrechterhalten werden kann, bricht auch das eigene Selbstbild zusammen, das als Gegenbild zur ›islamischen‹ Frau konstruiert ist. Da diese Konstruktion auf der Überlegenheit der ›westlichen Frau‹ beruht, steht hier mehr als nur ein Bild von ›der islamischen Frau‹ auf dem Spiel. Im Ringen um die Beibehaltung des Stereotyps wird deutlich: Mit dem Selbstbild der ›westlichen‹ Frau steht auch ihre Dominanz zur Disposition. Diese Eingebundenheit der Selbst- und Fremdbilder in rassistische Diskurse erschwert das Aufbrechen von Stereotypen und Vorurteilen. Die Irritation, die die ›westliche‹ Frau in dieser Begegnung durchaus erlebt hat, veranlasst sie nicht, ihr Stereotyp in Frage zu stellen. Sie lässt die Chance ungenutzt, tatsächlich eine neue Erfahrung zu machen. Stattdessen wehrt sie die Irritation ab, indem sie die Erfahrung so uminterpretiert, dass ihr Stereotyp und damit auch ihr eigenes Selbstbild als dominanter Frau bestätigt wird: Trotz aller gegenteiligen Beobachtungen kommt die Befragte zu dem Schluss, »dass sie [die ›islamische‹ Frau] auch gefesselt war in ihrer Situation und angekettet war in gewisser Weise«. Im Bestreben, ihre Dominanz zu bestätigen, bleibt ihr nur noch die trotzige Herabsetzung und Hierarchisierung: Wenn sie selbst schon »Probleme« haben soll, dann ist die Andere »gefesselt« und »angekettet«. Die in der Irritation liegende Chance, rassistische Haltungen aufzubrechen, bleibt gerade wegen ihrer Eingebundenheit in rassistische Strukturen ungenutzt. Es geht hier nicht nur um falsche Bilder, die durch richtige ersetzt werden müssen, sondern um ein Beziehungsgefüge, das hierarchisch geordnet ist, um ein Machtverhältnis, das rassistischen Interessen verpflichtet ist.

Irritationen zulassen Im vorangehenden Beispiel wehrt die Befragte die Irritation ab, die durch die Diskrepanz zwischen Bildern und Erfahrungen ausgelöst wurde. Im Unterschied dazu besteht in der Akzeptanz der Irritation die Chance, Erfahrungen als etwas in sich Schlüssiges zuzulassen. Erfahrung und Bild stehen dann einander gegenüber, Bild und Gegenbild ergänzen sich nicht mehr, die eigene Dominanz steht zur Disposition. Eine Befragte berichtet: »[…] ich hab‘ nie ‘ne türkische Frau kennengelernt, […] die mir gesagt hat, mir geht es ja so schlecht, weil ich ein Kopftuch tragen muss. Ich hab‘ nie selber diese Erfah-

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rung gemacht. […] Mir wurde gesagt, denen geht es schlecht damit. Und ich hab‘ das geglaubt«. Sie beginnt erst, ihre Bilder in Frage zu stellen, als sie im Rahmen ihres Studiums gezwungen wird, sich ihren Bildern und Erfahrungen zu stellen: »In meinem Projekt sind nur, die Lehrbeauftragten sind nur Migrantinnen. […] dadurch krieg‘ ich natürlich ein ganz anderes Bild«. Sie trifft nicht nur auf eine einzige Person, bei der sie es noch schaffen könnte, sie den Stereotypen anzupassen. Notfalls könnte sie diese Einzelne auch als Ausnahme unsichtbar machen. Sie ist umgeben von Frauen, die ihr eine andere Erfahrung aufzwingen, die sich aktiv gegen die Stereotypisierungen zur Wehr setzen: »[…] weil die Dozentinnen ihren Unmut darüber äußern, die halt auch Migrantinnen sind, bin ich schon oft auch emotional betroffen«. Bilder und Erfahrungen können nicht mehr in Einklang gebracht werden: »Ich war eine Zeit auch ganz unsicher«. Die Diskrepanz löst eine Irritation aus. Darin liegt die Möglichkeit, Stereotypen in Frage zu stellen. Ein Prozess wird in Gang gesetzt, in dem immer nachhaltiger Stereotypen ersetzt werden können durch Erfahrungswerte (»ich kann nicht sagen, dass ich das abgeschlossen habe«). Möglicherweise hat sich hier die Kombination mehrerer Faktoren begünstigend auf diese Entwicklung ausgewirkt: Die Befragte ist gezwungen, sich der Irritation auszusetzen, da in ihrem Projekt ausschließlich Migrantinnen lehren. Sie ist mit mehreren konfrontiert, die ihr in ihrer Vielzahl auch vielfältige Erfahrungen ermöglichen. Gleichzeitig treten sie als ihre Dozentinnen auf, stehen also mit ihr in umgekehrtem Machtverhältnis. In diesem Rahmen werden die Stereotypen reflektiert, auch in ihrer Wirkung auf die davon Betroffenen, die Migrantinnen. An der Konfrontation der Stereotypen mit den Erfahrungen zeigt sich, dass die Stereotypen mehr sind als nur Vorurteile, dass sie in rassistische Strukturen eingebunden sind. Das Interesse am antimuslimischen Rassismus dient der Herstellung und Bestätigung eigener Dominanz.

Fokus interkulturelle Beziehungen Wie andere Rassismen auch, funktioniert der antimuslimische Rassismus ohne die direkte Begegnung mit Menschen, die ›islamischen Kulturen‹ zugeordnet werden. Und wie sich gezeigt hat,

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führt die Begegnung mit unterschiedlichen, den Bildern widersprechenden und sie vervielfältigenden Personen und Situationen nicht notwendig dazu, mit den Stereotypen aufzuräumen. Die Untersuchung direkter interkultureller Beziehungen eröffnet jedoch die Möglichkeit heraus zu finden, wie Stereotypen trotz modifizierter Erfahrungen aufrecht erhalten werden und wie die Menschen das Gelernte in ihre Praxen umsetzen und weiter transportieren.

»[…] dass da ‘ne unheimliche Schranke besteht zwischen diesen beiden Kulturen, dass die nicht zusammengehören« Kerstin, 30 Jahre alt, Erzieherin und angehende Sozialarbeiterin, hat eine ›multikulturelle‹ Phase hinter sich und hat selbst ›bikulturelle‹ Partnerschaften erlebt, eigene und von Freundinnen. Sie zieht den Schluss aus diesen Erfahrungen, »[…] dass es sehr, sehr schwierig ist, so ‘ne Beziehung zwischen Mann und Frau, wo die Kulturen so unterschiedlich sind. Dass es ehm, sehr sehr schwierig ist, ‘ne positive Beziehung zu führen«. Schaut man sich ihre Biographie an, so wird nachvollziehbar, warum es für sie so schwierig ist, mit Menschen anderer Herkunft zusammenzuleben. Es wird aber auch deutlich, dass das nicht primär an der Unterschiedlichkeit der Kulturen liegt, sondern an den Reaktionen ihres Umfeldes, speziell ihrer Familie, und an ihrer eigenen Sozialisation, die auf die Unvereinbarkeit der Kulturen hinausläuft. Kerstin wächst in einem Dorf als Tochter einer Hausfrau und eines Arbeiters auf. Zur engeren Familie gehören noch ein Onkel, ebenfalls Arbeiter, und eine Großmutter. Den Einfluss dieser Familienmitglieder auf ihre Sozialisation in kulturelle und rassistische Denk- und Gefühlsmuster beschreibt Kerstin sehr differenziert. Am aktivsten bezüglich Äußerungen über ›Ausländer‹ (»Griechen« und »Türken«) erinnert sie den Onkel. Er hat über seine Arbeit am ehesten Begegnungen mit ›Gastarbeitern‹ und lässt sich zum Teil auch auf private Kontakte mit einigen von ihnen ein. In Kerstins Erinnerung sind aber gar nicht so sehr diese Begegnungen präsent, sondern Gespräche zwischen Onkel und Vater über die Kollegen.

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»Ich weiß nur, dass die manchmal auch über Türken geredet haben, und wenn, dann waren das Witze. Also Witze so, wie die halt ihre Schweine schlach- ääh, Schweine nicht, ihre Schafe schlachten und so, ja, da wurde immer drüber gewitzelt. […] als wenn die ‘ne Macke haben würden. […] Und dann halt so Witze, dass die einmal morgens, einmal mittags, einmal abends beten müssen und sich immer dann auf den Teppich schmeißen müssen. So komisch singen würden. Also ich kann das jetzt gar nicht so genau definieren, weil das ganze auch immer in Witzen so reingeknüpft wurde. Also es wurde nie offen und ehrlich darüber gesprochen«.

Ihre ersten Informationen über ›Muslime‹, an die sich Kerstin erinnern kann, sind eine Mischung aus Berichten über Arbeitskollegen und Witzen über die »komischen« Gewohnheiten der ›Anderen‹. Es fällt ihr schwer, Information und Karikatur zu trennen, »[…] also das sind jetzt nur so subtile Sachen, so Eindrücke, ich weiß halt, dass, also hauptsächlich wurde sich darüber lustig gemacht«. Für sie als Kind gab es diesbezüglich keine Trennung, ›Türken‹ waren so, wie sie in den Witzen ihres Onkels dargestellt wurden. Schließlich war er derjenige, der mit ihnen in Kontakt kam, der von seinen Erfahrungen berichtete: »[…] also ich denk‘ mir mal, okay, H. war trotz seiner Witze noch so der fortschrittlichste von uns. Gut. Auf der einen Seite hat er sich lustig gemacht, aber auf der anderen Seite hatte er Kontakte und, ja hat die auch eher so als Menschen akzeptiert«. Den Onkel betrachtet Kerstin wegen seiner Kontakte zu ›Türken‹ als ihnen eigentlich wohlgesonnen und als Experten. Was er sagt, muss schon stimmen. Die Art, in der er davon spricht, nimmt sie nicht als abwertend wahr. Die Herabwürdigung von ›Türken‹ in »Witzen« und »lustigen Geschichten« versteht sie lediglich als Übertreibung, an deren grundsätzlichem Wahrheitsgehalt Kerstin nicht zweifelt. In eine emotional angenehme Form verpackt, übermittelt sich ihr der rassistische Inhalt subtil. Als Kind kann sie sich davon nicht distanzieren. Heute verurteilt Kerstin diese Art von Darstellungen. In ihrer Kindheit war das ein wesentlicher Teil ihrer Normalität bezüglich ›Türken‹: »Und teilweise hab‘ ich einfach auch manchmal mit gelacht. Also ich war ja auch ganz klein, ein Kind.« Es fällt ihr im Nachhinein schwer, sich selbst als Beteiligte in diesen Situationen zu sehen, sie distanziert sich entschuldigend. »Aber das waren dann immer so Situationen, wo die Stimmung gut war«. Obwohl

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sie sich heute von der Form der Darstellung distanziert, sind die Inhalte haften geblieben. Vater und Onkel wurden aber nicht nur von ihrer guten Laune und durch ihre Kontakte motiviert, sich über ›Türken‹ lustig zu machen. Diese Witze hatten eine weitere Funktion: »Also die haben dann meine Oma dann extra noch mit irgendwelchen lustigen Geschichten provoziert. Weil sie wussten, dass sie dann ausflippt und dann sagt, ›diese Leute‹ und so«. Die Großmutter schildert Kerstin als »[…] die schlimmste im Denken […] die immer auf andere Leute hetzt […] ich möchte‘ nicht wissen, was für eine Rolle die in der Nazizeit gespielt hat«. Kerstin erinnert sich, dass die Großmutter »[…] sehr abfällig und immer sehr fremd« über ›Türken‹ gesprochen hat: »[…] die wurden mehr so dargestellt, ja wie Tiere«. Kerstin berichtet, dass sie sich von den Äußerungen ihrer Oma schon in der Kindheit abgestoßen gefühlt hat, weil sie ihr zu abfällig waren und weil sie von der Mutter korrigiert wurden: »Aber ich weiß noch genau, dass ich das nie richtig fand, was meine Oma gesagt hat. Und mir meine Mutter dann auch immer was anderes gesagt hat. Ich hab‘ lieber auf meine Mutter gehört. […] weil ich halt wusste, dass meine Oma ‘ne alte Ziege ist«. Von der Großmutter kann sich Kerstin schon früh distanzieren. Ihre Art, mit Menschen anderer Herkunft umzugehen, hat für Kerstin keine Vorbildfunktion. Trotzdem wird sie in ihrem antimuslimischen Rassismus auch von der Großmutter geprägt, obwohl dies auf eine andere Weise geschieht als durch Onkel und Mutter, wie noch zu zeigen sein wird. Die Mutter beschreibt Kerstin rückblickend als die vorsichtig Korrigierende. Während die Großmutter zu extrem und damit bereits für das Kind Kerstin durchschaubar war, und Vater und Onkel durch die belustigende Art ihrer Darstellungen zumindest im Nachhinein in Frage gestellt werden können, ist die Mutter diejenige, mit der sich Kerstin durchgängig und positiv identifizieren kann. Die Mutter korrigiert die abfälligen Bemerkungen der Großmutter und beteiligt sich nicht an den Witzen von Vater und Onkel. Sie vermittelt Kerstin, »[…] dass man Leute halt nicht so verurteilen darf, die jetzt ‘ne andere Herkunft haben«. Gleichzeitig lernt Kerstin von ihrer Mutter eine andere Art des Umgangs mit Menschen anderer Herkunft – Mitleid: »[…] ich weiß nur, dass meine Mutter immer gesagt hat, dass die Frauen ihr Leid tun würden«. Sie bemitleidet die Frauen, weil sie keine Kontakte im Dorf

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hatten, weil sie nicht gegrüßt und schlecht über sie geredet wurde, aber auch, »[…] weil sie Kopftücher tragen mussten«. Im Nachhinein findet Kerstin, dass ihre Mutter für diese Frauen zu wenig getan hat: »Auf der einen Seite meint sie, die würden ihr Leid tun und so, auf der anderen Seite hat sie auch nicht mehr getan«. Insgesamt erfährt Kerstin durch ihre Familie, »[…] dass da ‘ne unheimliche Schranke besteht, zwischen diesen beiden Kulturen. Dass die nicht zusammen gehören«. Die Großmutter vermittelt ihr das direkt, was Onkel und Vater über Witze und die Mutter über Mitleid erreichen. Und Kerstin stellt zusammenfassend fest: »[…] ich hab‘ schon gemerkt, dass ich in meinem späteren Leben auch gefühlsmäßig nicht so auf die Leute zugehen konnte«. Sie schafft es trotzdem, auf sie zuzugehen und führt eine Zeitlang ein recht ›multikulturelles‹ Leben. Sie selbst hat zwei ›bikulturelle‹ Partnerschaften, einige ihrer Freundinnen auch. Über diese Männer kommt sie wiederum mit weiteren Menschen anderer Herkunft in Kontakt. Sie beschreibt ihr bis dahin unbekannte Situationen, erlebt neue Lebensweisen, scheint offen und neugierig, neue Erfahrungen zuzulassen. Sie wendet sich aber nach einiger Zeit von diesem Leben ab und stellt fest, »[…] dass es sehr, sehr schwierig ist, so ‘ne Beziehung zwischen Mann und Frau, wo die Kulturen so unterschiedlich sind. Dass es ehm, sehr sehr schwierig ist, ‘ne positive Beziehung zu führen«. Als Schlüsselerlebnis beschreibt Kerstin ihre erste ›bikulturelle‹ Partnerschaft. »Und dann war ich mit 20, 21 mit einem Mann zusammen, der aus Libyen kam«. Über ihre Beziehung zu ihm berichtet sie, dass sie viel Neues erlebt habe, neue Menschen kennenlernte, neue Umgangsformen, neues Essen. In ihren konkreten Schilderungen über die Beziehung dominiert die Neugier. Rückblickend sagt sie jedoch, dass sie, indem sie diese Beziehung einging, ihre Familie provozieren wollte: »[…] also eigentlich war das bei mir auch so Protest […] Also dass ich so auch grade meine Familie provozieren wollte«. Diese ist dann auch entsetzt, »[…] also gerade meine Mutter, von der ich das eigentlich gar nicht erwartet hab‘«. Sie warnt Kerstin, »[…] dass die mich als Frau verschleppen könnten […] dass die doch sehr eifersüchtig wären, ihre Frauen schlagen würden«. Anfangs protestiert Kerstin: »[…] ich hab‘ dann immer gesagt, ach du spinnst doch und es ist gar nicht so«. Sie selbst erlebt nichts dergleichen mit ihrem Partner, bekommt aber im Laufe der Zeit doch Angst, dass die Warnungen ihrer

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Mutter berechtigt sein könnten: »Also auf der einen Seite wollt‘ ich das nicht glauben, und auf der anderen Seite hab‘ ich dann doch schon manchmal ein bisschen Angst gehabt«. Sie beendet abrupt die bis dahin gute Beziehung. Ihr verlassener Freund ist von diesem plötzlichen und für ihn unbegründeten Entschluss überrascht, kann sich die Abwendung nicht erklären und vermutet eine neue Liebe. Damit bestätigt sich für Kerstin die Warnung ihrer Mutter, dass »[…] die doch sehr eifersüchtig wären«. Im Nachhinein wertet sie die Beziehung insgesamt ab: »Und vielleicht hätt‘ ich mich auch niemals auf die Beziehung so eingelassen, wenn ich nicht so ehm, ja das Bedürfnis gehabt hätte, zu protestieren«. Kerstins Interpretation ihrer Erfahrung führt direkt zu ihrer familialen Sozialisation zurück, die Einflüsse der verschiedenen Familienmitglieder können nachgezeichnet werden: Onkel und Vater sprechen über ›Türken‹, um – wie Kerstin sagt – »die Großmutter zu provozieren« und sich von ihr abzugrenzen; Kerstin geht eine Beziehung mit einem Mann aus Libyen ein, um – wie sie rückblickend selbst analysiert – die Familie zu »provozieren« und sich von ihr abzugrenzen. Kerstin folgt dabei dem von Onkel und Vater gelernten Muster, Menschen anderer Herkunft zu funktionalisieren. Bei ihnen reduzieren sich ›Türken‹ auf ihren Unterhaltungswert für Gespräche innerhalb der Familie. Schon diese über Gespräche vermittelte Existenz von ›Türken‹ in Deutschland ist für die Großmutter zu viel: »›Gott, das vermischt sich alles‹«. Die rassistischen Äußerungen der Großmutter über ›Türken‹ werden nicht thematisiert, die Abgrenzung zu ihr läuft bei Vater und Onkel über Provokationen. Kerstin hat gelernt. Auch sie führt auf ihre Weise Menschen anderer Herkunft in die Familie ein, weil sie neugierig auf Neues ist, aber vor allem, um sich abzugrenzen und um – wie sie sagt – gegen ihre »Familie zu protestieren«. Allerdings ist sie überrascht, dass sich gerade die Mutter provoziert fühlt, von der sie das nicht erwartet hätte und die sie nicht provozieren wollte. Der Einfluss ihrer Mutter ist der stärkste auf Kerstin. Sie korrigiert die platten Rassismen der Großmutter und hält sich mit Belustigungen über ›Türken‹ im Hintergrund. Sie äußert Mitleid und signalisiert Kerstin darüber die Minderwertigkeit und Unzulänglichkeit der ›Türken‹. Sie blickt wohlmeinend-mitleidig auf die ›Türkinnen‹ herab. Für Kerstin ist das nicht als rassistisch erkennbar. Sie wundert sich zwar, dass die Mutter nicht ihrem Mitleid entsprechend handelt, hält sie aber weiterhin für tolerant.

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Als gerade die Mutter heftig und nachhaltig gegen die Beziehung zu einem Mann islamischer Herkunft interveniert, kann sich Kerstin von ihr nicht distanzieren. Von der Großmutter hätte sie solch ein Vorgehen erwartet – und nicht ernst genommen. Schließlich ist die Großmutter – zumindest für dieses Thema – als Beraterin inakzeptabel. Die Mutter aber, die Kerstin für einfühlsam hält, irritiert sie in der Ablehnung des Freundes aufgrund seiner Herkunft. Sie weiß nicht, ob sie ihrer eigenen Erfahrung und Einschätzung trauen kann oder ob sie weiterhin der Mutter folgt, die doch in der Kindheit immer für die ausgewogenen Aussagen über ›Türken‹ zuständig war. Letztendlich gewinnt die Mutter, Kerstin beendet die Beziehung. In Kerstins Auseinandersetzung mit Menschen ›islamischer Herkunft‹ haben sich also diejenigen relevanten Anderen durchgesetzt, die zu einer Identifikation eingeladen haben, die für sie nicht durchschaubar rassistisch waren, sondern subtil ihren Einfluss geltend gemacht haben. Bei Kerstin kann die antimuslimische Sozialisation als familiale relativ geradlinig nachgezeichnet werden. Andere Einflüsse treten in ihrer Wahrnehmung in den Hintergrund. Der gesellschaftliche Rahmen, in dem die familialen Auseinandersetzungen stattfinden, wird von ihr nicht im gleichen Zusammenhang thematisiert. Diesen kann sie, ähnlich wie sie es mit der Großmutter tut, verurteilen und sich davon distanzieren. Ihre eigene gesellschaftliche Prägung, nicht zuletzt durch die Einflüsse ihrer ebenfalls im gesellschaftlichen Kontext stehenden Familie, sieht sie nicht. An Kerstins Beispiel kann deutlich werden, wie gesellschaftliche Normen in die Familie hineinwirken und von den Subjekten angeeignet und reproduziert werden.

»[…] im individuellen Fall hat das gar keine Bedeutung« Ein Zusammenspielen von familialer und gesellschaftlicher Sozialisation wird bei Andrea sichtbar. Auch Andrea hat viele ›multikulturelle‹ Erfahrungen gesammelt und sich »Gedanken gemacht«. Zum Zeitpunkt des Interviews hat sie eine Beziehung zu einem Mann aus dem Irak. Das hindert sie nicht daran, Menschen ›islamischer Herkunft‹ abzulehnen. Während die Frauen unter ihrem Niveau sind, sie sind »keine Kommunikationspartnerinnen« für sie, jagen ihr die Männer Angst ein, sie »wechselt die Straßen-

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seite«, wenn ihr »dunkeläugige, schwarzhaarige Männer entgegenkommen«. Ihre Widersprüchlichkeit ist ihr nur zum Teil bewusst. Meist schafft sie es, sie aufzulösen – auf Kosten von Menschen ›muslimischer Herkunft‹. Es gibt aber Momente, da hadert sie mit sich: »[…] ich fühlte mich dann auch von meinen eigenen Vorstellungen ein bisschen traktiert, gefielen sie mir nicht, gefallen sie mir auch heute nicht, aber so richtig rauskriegen kann ich sie nicht«. Andrea hat keine Schwierigkeiten damit, Menschen ›muslimischer Herkunft‹ abzuwerten und in aggressive Distanz zu ihnen zu gehen: »[…] ich konnte keinen, ich hätte sie alle, sie haben mich gestört […] ich will sie nicht«. Probleme bereitet ihr, dass sie sich selbst nicht gefällt und dass sie irritiert ist: »Ich traue meinem Gespür nicht mehr«. Andrea ist 26 Jahre alt, Studentin der Germanistik und Politik. Sie wächst in einem Dorf als Tochter einer Hausfrau und eines Agraringenieurs auf. Obwohl sie Ende der sechziger Jahre geboren ist, kann sie sich nicht daran erinnern, als Kind Menschen aus ›islamischen Kulturen‹ begegnet zu sein. Sie begründet das mit der Größe und der Abgeschiedenheit ihres Geburtsortes: »[…] mein kleines Dorf hielt mich weg von allem«. Auch in der Erinnerung an ihre Jugendzeit, als sich ihr Bewegungsradius bis in die nächstgelegene Großstadt erweitert, sind ihr – Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger Jahre – keine ›Türken‹, keine ›Ausländer‹ insgesamt aufgefallen. Für ihren Herkunftsort gälte das bis heute. Sie präzisiert, unter welchem Aspekt sie ›Türken‹ wahrgenommen hätte: »Also in meinem Dorf laufen keine Türken rum, da gibt‘s das nicht. Da gibt es keine verschleierten Menschen«. Die Assoziation »Ausländer« – »Türken« – »verschleierte Menschen« ist eine, die in ihrer nachträglichen Interpretation der eigenen Biographie relevant ist. Wer nicht »verschleiert« ist, keine eindeutigen Hinweise auf die Herkunftskultur gibt, ist nicht wirklich »Türke«, ist nicht »Ausländer«. Mit dieser Assoziationskette reproduziert sie einen gesellschaftlichen Diskurs: »Ausländer« sind diejenigen, die bestimmte Merkmale aufweisen, die ihnen von außen zugeschrieben werden. »Türken« als das deutsche Stereotyp des »Ausländers« fallen durch ihre »Verschleierung« auf, die symbolisch für ›die andere‹, die ›nicht-deutsche‹ Kultur steht und mit ›dem Islam‹ umschrieben wird. Obwohl in Kerstins Dorf »keine Türken rumlaufen«, hat sie schon früh mitbekommen, dass es ›andere Kulturen‹ gibt. Vor al-

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lem die Märchen aus tausendundeiner Nacht waren ihre Informationsquelle über ›den Orient‹: »Also als Kind war das für mich positiv besetzt oder romantisch besetzt«. Und sie bezieht sich auf Moscheen, Gewänder, Turbane und Schleier. Sie ist fasziniert von dem »Fremden«, dem »Orientalischen«. Diese Faszination hält ihre gesamte Kindheit und Jugend über an. Als sie mit 19, 20 Jahren in die Türkei reist, erlebt sie genau das, was sie im Märchen fasziniert hat, nun tatsächlich. Sie ist von der Atmosphäre, den Menschen, den Gerüchen etc. überwältigt: »Ich fand das sehr orientalisch da, so. Das traf sich dann. Das war auch einfach schön. Das war anders. Das war ganz anders«. Andrea hat zwar in ihrer alltäglichen Umgebung keine Menschen getroffen, die sie mit ihren Märchenvorstellungen in Verbindung bringt; sie hat sie aber durch diese Reise als mögliche bestätigt bekommen. Sie fühlt sich darin sehr wohl: »Das war schön, unproblematisch, lustig«. Zwei Jahre später reist Andrea wieder in die Türkei – und ist entsetzt: »[…] das hat mich in Angst und Schrecken versetzt«. Von dieser Reise bringt sie »Gespenstergeschichten« mit, die ihr Bild über Menschen ›islamischer‹ Herkunft insgesamt – und ›Türken‹ im Besonderen – von nun an bestimmen. Was ist passiert? Wo liegen die biographischen Brüche? Vor ihrer zweiten Reise wird Andrea von Freundinnen gewarnt, was ihr alles in der Türkei zustoßen könne: »[…] wir sind sowieso sicherlich mit ein bisschen Furcht dahin gefahren, weil uns ja alle verrückt gemacht haben, was für schlimme Sachen da passieren«. Obwohl sie selbst andere Erfahrungen gemacht hat und die Wahrnehmung als »moderne Mythen«, »haarsträubende Geschichten«, »Gespenstergeschichten« bezeichnet und ihren Wahrheitsgehalt anzweifelt, kann sie sich nicht gegen deren Einfluss wehren: »[…] das fing ja schon in Istanbul an, da sind wir angekommen auf dem Flughafen, dass wir uns bedroht, bedrängt fühlten«. Sie fühlen sich während der gesamten Reise unwohl und sind damit beschäftigt, sich abzugrenzen. Sie merken, dass ihre Reaktionen immer unfreundlicher und abweisender werden und bemühen sich um eine Erklärung. Die suchen sie allerdings nicht bei sich selbst, obwohl Andrea vor nicht allzu langer Zeit andere Erfahrungen gemacht hat und sie sich über den Einfluss der »modernen Mythen« auf ihre Einstellung bewusst ist. Sie suchen die Erklärung ausschließlich bei den anderen:

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»Und wir haben uns dann natürlich Gedanken gemacht, was ist da eigentlich los und sind dann beide zu dem Schluss gekommen, es kann nicht anders sein, als dass das Wort einer Frau, dass sie einfach nicht das Recht dazu hat zu sagen nöö oder ja. Oder einen eigenen Willen zu artikulieren und auch eigenständig zu handeln. So. Das war der erste Schritt und dann haben wir gesagt, wie kann denn das sein und dann haben wir gesagt, das muss am Islam liegen. […] das war dann die Lösung«.

Diese Argumentation zieht sich durch die gesamte Reisebeschreibung, alle Widersprüche werden damit geglättet. Andrea zieht diesen Zusammenhang jedoch nicht erstmals in diesem Urlaub und in direktem Kontakt mit ›dem Islam‹, sondern sie hat vorher und unabhängig von Menschen aus ›islamischen Kulturen‹ gelernt, dass »[…] Frauen im Islam einfach keine Rolle spielen«. Sie weiß zwar nichts über ›den Islam‹ (»[…] ich kenne den Koran nicht, ich weiß nicht, was da drin steht, ehm, aber es muss was damit zu tun haben, […]«), hat sich aber mit »Frauenfragen« beschäftigt, das scheint zu reichen. Sie fängt zwischen den beiden Türkeireisen an, sich mit der Frauenbewegung zu identifizieren. Rückblickend wertet sie ihre Einstellungen während ihrer ersten zwanzig Lebensjahre vollständig ab: »Also ich denk‘ schon, dass ich, bis auf dieses verklärte romantische Bild aus der Kinderzeit, dann später im Rahmen von meinem Interesse für Frauenfragen da anders rangegangen bin«. Auch ihre erste Türkeireise unterzieht Andrea einer Neuinterpretation: »Das war schön. Ja, das war was anderes, das war was Neues, aber ich hab‘ da auch beim ersten Eindruck eben nicht den Islam gedacht. Und das änderte sich dann, als ich später dann auch bewusst war«. Im Interview war ihr diese erste Reise zuerst sogar völlig entfallen. Andrea studiert Politik. Sie hätte die Möglichkeit, ihre »Bewusstwerdung« zu vertiefen, indem sie, wenn sie schon nicht ihre eigenen Erfahrungen reflektiert, dann zumindest ihre feministische Auseinandersetzung mit Schlussfolgerungen, die sie aus ihrem Politikstudium zieht, in Verbindung zu bringen. Sie lässt es bleiben: »[…] ich hab‘ zum Beispiel in meinem Studium Politikwissenschaft mich immer um den arabischen Raum rumgedrückt. […] weil ich glaube, dass es ganz schwierig ist, mit politikwissenschaftlichen Methoden andere Kulturen, andere Länder richtig einzuschätzen. […] Und dass

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man als Europäer meines Erachtens nach immer falsche Maßstäbe ansetzen wird, weil man die Kultur nicht kennt«.

Andreas Vorsicht, mit der sie möglicherweise eine Überprüfung ihrer bisherigen Einstellungen abwehrt, die aber auch ihren Respekt vor dem für sie ›Fremden‹ ausdrücken könnte, gilt jedoch nicht für ihre Auseinandersetzung mit dem gleichen Thema in einem feministischen Zusammenhang – weshalb auch die Vermutung einer Abwehrstrategie bei ihr als Grund für die vermeintliche Toleranz wahrscheinlicher ist. Im feministischen Zusammenhang bemüht sie sich allerdings gar nicht erst, vorsichtig zu erscheinen, hier urteilt sie, ohne sich zu informieren. Sie selbst räumt ein, dass sie nichts über den Islam weiß und auch die anderen Frauen, mit denen sie über ›den Islam‹ verhandelt, wissen darüber nichts. Trotzdem fühlen sie sich berechtigt, das ihnen Unbekannte abzuwerten. Andrea verwirft ihre positiven Bilder und Erfahrungen im Zusammenhang mit ›dem Islam‹, als sich ihr ein Denk- und Handlungsmodell bietet, das sie aus der Verantwortung entlässt, über sich selbst und ihre Erfahrungen differenziert zu reflektieren. Über die Bestätigung der »modernen Mythen« ordnet sie sich ein in eine ideologische Gemeinschaft, die sie persönlich und als Angehörige einer Gruppe entlastet, indem sie ihr erlaubt, sich ausschließlich als Opfer zu verstehen. Zugunsten einer ideologischen Widerspruchsfreiheit verdrängt Andrea ihre positiven Erlebnisse und Empfindungen oder wertet sie ab, indem sie sie einer vor-bewussten Zeit zuordnet. Nun lernt sie einen Mann aus dem Irak kennen und lieben. Sie gerät in Widerspruch zu ihrer neuen ›Heimat‹, ihrer ideologischen Einbindung in die Frauenbewegung. Hier hat sie gelernt: »[…] also mit Männern ist nix. Mit den deutschen Männern schon nicht und mit den Männern generell nicht und der Islam dann eben auch nicht, schon gar nicht«. In ihrer Beziehung zu einem Mann aus dem Irak verletzt sie diese Regel in ihrer extremen Variante: sie hat sich – in dieser Logik – nicht nur generell für einen Mann entschieden, sondern mit ihm auch noch für ›den Islam‹. Andrea nimmt diese Gelegenheit nicht wahr, um das Gelernte an ihren Erfahrungen zu überprüfen. Sie wählt den bequemeren Weg und versucht dem Dilemma, in das sie geraten ist, zu entfliehen. Das gelingt ihr, indem sie spaltet: ›TürkInnen‹ in der Türkei und in

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Deutschland ordnet sie ›dem Islam‹ zu und lehnt sie vehement ab. Konsequenterweise ›vergisst‹ sie die erste Türkei-Reise, die ihr so gut gefiel. Den Freund und die Märchen aus tausendundeiner Nacht ordnet sie ›dem Orient‹ zu und löst ›den Islam‹ heraus. »Die haben aber auch gar nichts damit zu tun. Also das hat, das bring‘ ich auch heute noch nicht zusammen«. Zu Hilfe kommt ihr da, dass sie die Märchen mit dem Irak assoziieren kann. »Für mich ist Bagdad da immer die Zentrale gewesen«. Das ist das Land, in dem ihr Freund aufgewachsen ist, das er vermisst und in positiven Bildern beschreibt. »[…] ich denke auch, dass sein Herz im Irak ist«. Den ›Islam‹ abgespalten, kann Andrea ungetrübt die Sehnsucht der Märchenerzähler und ihres Freundes teilen. Sie geraten indes zu Realitäten, die ihr helfen, sich selbst zu rechtfertigen, indem sie ihren – sie selbst erschreckenden – »Hass auf Türken« durch ihre Liebe zum Irak auszugleichen versucht. »Ich bin überzeugt, dass Irak was anderes ist als Türkei. Und dass die sich auch wie Tag und Nacht unterscheiden«. Das abendländische Gegenbild Islam/Orient hat Andrea aktiv reproduziert. Andrea gelingt es so, gleichzeitig ihre Opferrolle im Feminismus und den Freund und die Märchen aus tausendundeiner Nacht zu retten, indem sie ›den Islam‹ abspaltet und verteufelt und mit ihm die gesamte Türkei und die größte Eingewandertengruppe in Deutschland. Andrea ordnet ihren Freund nur solange ›dem Orient‹ zu, wie sie seine ihr fremde Herkunft nicht leugnen kann. Ansonsten sagt sie über ihn: »Dass er eine sehr nordeuropäische Denkweisen angenommen hat«. Andrea und ihr Freund thematisieren seine ›andere‹ Herkunft – in Erzählungen über seine Kindheit im Irak, in seinen Sorgen über seine Familie im Golfkrieg, in gemeinsamen Gesprächen über den Einfluss von Islam und Christentum auf ihre jeweilige kulturelle Zugehörigkeit. Nun ist der letzte Punkt besonders interessant, da Andrea den Irak und den Islam vorher voneinander getrennt hat, aber im Kontext der kulturellen Herkunft ihres Freundes einen Zusammenhang voraussetzt. Dieser Aspekt verdient also eine genauere Betrachtung. Andrea beschreibt sowohl sich als auch ihren Freund als nicht religiös. Sie wundert sich, warum sie trotzdem so häufig über die verschiedenen Religionen diskutieren. »Wir führen halt wie gesagt immer diese Religionsgespräche, wo man dann merkt, es geht immer um die Authentizität der Bibel und des Koran, wo wir uns immer streiten, was die wahre ist, und da legen wir auch ein Engagement rein«.

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Gleichzeitig betont Andrea immer wieder, wie »antireligiös« sie erzogen wurde und dass Religionen für sie keine Rolle spielen. »Also Religion als solche fand ich immer überholt und deswegen wollte ich mich damit auch nicht auseinandersetzen«. Allerdings stuft sie die generelle Ablehnung von Religion ab: »[…] gegen den Koran will ich die Bibel doch verteidigt wissen«. Sie hält die Bibel für »authentischer« als den Koran. Auch ist sie empört, »[…] dass die Moslems zum Beispiel unsere Grundlage erstmal anzweifeln – die Bibel«. Trotz ihrer fehlenden Religiosität und geringer Kenntnisse hält Andrea an der Bibel fest. Sie versteht die Bibel allerdings nicht als Religionszeugnis, sondern als »Grundlage« einer »Kultur«, der sie sich verbunden fühlt. Andrea beendet ihren Satz über »die Moslems, die […] letztlich unserer Kultur kritisch gegenüber stehen. So, ich meine, die abendländische Gesellschaft ist nun mal, das Christentum ist da eine ganz wichtige Säule in der Entwicklung des Abendlandes«. Unausgesprochen bleibt, welche Bedeutung sie ›dem Islam‹ für die Entwicklung des ›Morgenlandes‹ beimisst. Andrea bezeichnet ihren Freund also abwechselnd als ›Orientalen‹, als ›Moslem‹ und als ›Europäer‹. Je nachdem, welcher Aspekt gerade wichtig ist, stellt sie diesen in den Vordergrund. An sich ist daran nichts auszusetzen. Nicht nur für MigrantInnen ist es völlig alltäglich, mal den einen und mal den anderen Aspekt der Persönlichkeit zu betonen. Interessant ist allerdings, dass sie betont, dass sie nur deswegen mit ihm in einer Beziehung leben kann, weil er am ehesten noch ›Europäer‹ ist: »[…] ich würde auch wirklich sagen, dass er sich da sehr angepasst hat. Dass er eine sehr nordeuropäische Denkweise angenommen hat. […] ich kann‘s mir nicht vorstellen, wenn er anders wäre, ob ich das dann mögen würde«. Andreas Freund hat also kulturell bedingte Defizite ausgeglichen: Er hat etwas »angenommen«, war nicht immer schon so, er hat sich »angepasst«, er hat sich entwickelt. Assimilation besetzt Andrea positiv, ›Anpassung‹ an ›Nordeuropa‹ wertet sie als Entwicklung zum Positiven. Damit entwertet Andrea ihren Freund mitsamt seiner ›Herkunftskultur‹ zu einem Entwicklungsland. Den Freund ›islamischer‹ Herkunft verarbeitet sie, indem sie ihn – trotz phasenweiser Orientalisierung oder Islamisierung – letztlich europäisiert. Andrea nimmt ihren Freund aus ihrem antimuslimischen Rassismus heraus und bestätigt diesen damit. »Ich denke, dass das Prinzipielle geblieben ist.« Auch andere Men-

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schen ›islamischer‹ Herkunft, die nicht in Andreas antimuslimische Einstellung passen, bewältigt sie auf die gleiche Weise. Sie macht sie zu Ausnahmen, die ihre grundsätzliche Haltung bestätigen. »[…] im individuellen Fall, also wenn ich Menschen kennen gelernt habe, hat das gar keine Bedeutung, überhaupt nicht, nie gehabt«. Auch bei Andrea spielt die Vermittlung ausgrenzender Diskurse durch die Eltern eine große Rolle. Von ihrem Vater lernt sie: »[…] umso weiter die Kulturen voneinander entfernt sind, desto schwieriger wird das mit den Partnern«. Er bezieht das allerdings vor allem auf verschiedene Klassenzugehörigkeiten. Andrea übersetzt seinen Einfluss in ihren Lebenszusammenhang und erweitert die unterschiedlichen Kulturen auch auf religiöse und ethnische. Obwohl sie ihrem Vater früher widersprochen hat, gibt sie ihm heute Recht: »[…] vorher hab‘ ich‘s nicht geglaubt, wollt‘ ich das auch nicht, fand ich für mich keinen guten Ansatz von vornherein schon zu sagen, es ist unterschiedlich, weil ich mich ja auch immer gegen Unterschiedlichkeit gewehrt habe. Und dann, mit Reisen und mit mehr Erfahrung, bin ich dazu gekommen – ja, anders ist es schon. Und anders kann Probleme bringen«.

Während sie die eigene Prägung durch den Vater sieht und zulässt, grenzt sich Andrea von der Mutter vehement ab. Aber auch da sind die Einflüsse unübersehbar. Über ihre Mutter sagt sie: »[…] ich denke, für sie ist das sehr fremd, aber sie kann sich dann wiederum, wenn es die eigene Familie trifft, sehr gut mit sowas anfreunden. […] dass sie sich das so zurecht machen würde, der ist ja eigentlich gar kein richtiger Moslem mehr, der ist eigentlich auch gar kein richtiger Araber mehr. Der ist nämlich schon so lange hier und überhaupt ist das was ganz, ganz anderes. Die vielen anderen Araber, denen sie vielleicht auf der Straße begegnen würde, ja das sind dann richtige Araber. […] Wenn das dann so naherückt, dann macht sie sich das auch wieder passend. Und dann, dann kann sie auch wieder Sachen trennen«.

Daraufhin angesprochen, ob sie diesbezügliche Parallelen zwischen ihrer Mutter und sich selbst sieht, reagiert sie abweisend, spöttisch, unversöhnlich. Möglicherweise liegt in ihrer Beziehung zu der Mutter eine Erklärung für ihre absolute Ablehnung von

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Frauen ›islamischer Herkunft‹ – »[…] die waren keine Kommunikationspartnerinnen für uns […]« – und die ebenso bedingungslose Vergötterung der Frauenbewegung. Die Strategie einer Individualisierung von positiven Ausnahme-Erfahrungen erlaubt es ihr, ihre allgemeine Ablehnung nicht in Frage stellen zu müssen. Diese Strategie entspricht dem gesellschaftlichen Diskurs, der im Zusammenhang mit rassistischen Äußerungen alltäglich ist. Insgesamt, so die Einschätzung von Andrea, würden ihre Eltern einen ›muslimischen‹ Schwiegersohn akzeptieren, »[…] das ändert natürlich nichts daran, dass es ihnen lieber wäre, wenn er nun nicht gerade Iraker wäre«. Und es ändert nichts am antimuslimischen Rassismus, weder ihrem eigenen, noch dem ihrer Eltern.

»Also für mich wär‘ das ein Rückschritt […]« ›Bikulturelle‹ Partnerschaften sind nicht gerne gesehen in ›deutschen‹ Familien. Entweder werden sie verhindert (wie bei Kerstin) oder, wo das nicht gelingt, zur Ausnahme erklärt (wie bei Andrea). Es sind aber nicht nur die Familien, die ein Gelingen solcher Partnerschaften verhindern wollen, es besteht ein gesellschaftlicher Konsens darüber, dass Partnerschaften zwischen Menschen aus ›islamischen‹ und ›westlichen‹ ›Kulturen‹ nicht funktionieren können – beziehungsweise nicht funktionieren dürfen. Entsprechend sind die Reaktionen des Umfeldes von Menschen, die dennoch ›bikulturelle‹ Partnerschaften eingehen. Neben der Strategie, gelingende Beziehungen zu Ausnahmen zu erklären, sind in den Interviews noch weitere Umgangsformen zu finden: Das Paar oder der/die ›islamische‹ PartnerIn wird ignoriert, Auseinandersetzungen werden mit der kulturellen Zugehörigkeit des Partners oder der Partnerin ›islamischer Herkunft‹ begründet, das Paar findet keine Unterstützung – außer mit dem Ziel der Trennung. Im Zusammenhang mit ›bikulturellen‹ Partnerschaften kommt der antimuslimische Diskurs zugespitzt zum Ausdruck. Werden aus der Ferne ›Türken und Araber‹ manchmal noch ertragen oder – exotisiert – als Bereicherung empfunden, schlägt die tolerante Haltung auch hier schnell in Ablehnung um. Doch während die offene Ablehnung noch durchschaubar und damit handhabbar ist, sind verständnisvolle rassistische Diskurse subtiler und erschweren damit sowohl eine offene Auseinandersetzung als auch eine

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eigenständige Position. Sie kommen häufig als Sorge um das Wohlergehen des westlichen Partners oder der westlichen Partnerin daher und/oder als Sorge um gemeinsame Kinder, die bei der Trennung des Paares – von der scheinbar stets ausgegangen wird – zusätzliche und nachhaltige Probleme bereiten. Die ›verständnisvollen‹ RassistInnen »machen sich Gedanken«, warum ›bikulturelle‹ Partnerschaften nicht funktionieren können. Ein herrschender Diskurs dazu ist der des ›Kulturkonflikts‹: ›Deutsche‹ und ›islamische‹ Kulturen seien demnach unvereinbar, eine Partnerschaft zwischen Angehörigen dieser ›Kulturen‹ nicht möglich. Begründet wird dies meist damit, dass ›deutsche Frauen‹ besonders emanzipiert und ›islamische Männer‹ rückständig seien. »Nun sind wir hier besonders emanzipiert […]«, so eine Befragte. Für eine andere ist klar: »Ich könnte mir zum Beispiel nicht vorstellen, mit so ‘m Mann zusammen zu sein, weil dazu setz‘ ich viel zu sehr meinen eigenen Kopf durch«. Die befragten Männer bestätigen aus ihrem Blickwinkel ihre Überlegenheit gegenüber Männern ›muslimischer Herkunft‹: »[…] dass die Männer die Frauen da so unterdrücken«. Umgekehrt funktionieren diese Zuweisungen ebenso: ›Deutsche Männer‹ sind emanzipiert und ›muslimische Frauen‹ rückständig. Dazu ein Befragter: »[…] ich denke, det is schwierig, wenn die Frau det gewohnt ist, dass der Mann das Sagen im Haus hat. Er ist die Dominanz im Haus. Und der, der deutsche Mann, der ist aber gar nicht so. Der will det gar nich, der will eher ‘ne Gleichberechtigung in seinem Haus. Und sie hält aber daran starr fest und er will det nicht. Da wird det schwierig, wie soll det klappen, ja. Wenn sie nicht offen ist. Oder umgekehrt der Fall, ja. ‘Ne deutsche Frau, die äh, äh fortschrittlich, also die einfach die Gleichberechtigung will, und nun ‘n ausländischer Mann, der det nich will. Der det nich kann. Und daran festhält. Wie soll det klappen? Und ich denk‘ mir, det ist schwierig, det wird so nich klappen, ja«.

Fest scheint zu stehen, ›die Deutschen‹ – egal ob Frauen oder Männer – sind fortschrittlich, emanzipiert, wollen die Gleichberechtigung, während ›die Moslems‹, ›die Araber und Türken‹ – wider unabhängig ob Mann oder Frau – zurückgeblieben sind, sich nicht entwickeln wollen und auch gar nicht können. Ein gelingendes Zusammenleben wird deswegen als unmöglich eingeschätzt.

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Im Folgenden stelle ich drei InterviewpartnerInnen vor, die als Betroffener (Otto), als Familienangehöriger (Ulrich) und als Freundin (Gabriele) ›bikulturelle‹ Partnerschaften kommentieren. In ihren Äußerungen wird deutlich, wie in der Ablehnung von ›bikulturellen‹ Beziehungen das eigene Selbstbild als fortschrittlich und frei konstruiert und bestätigt wird. Auch das aktive Einschreiten gegen solche Beziehungen dient letztlich der Aufrechterhaltung dieser Konstruktion. Otto, 32, Student der Psychologie, Sohn eines Polizeihauptmeisters und einer Hausfrau, hatte mit einer Frau ›islamischer‹ Herkunft »‘ne sehr schwierige Affäre«, wie er sagt. Die Frau, eine Nachbarin, lebt mit einem anderen Mann zusammen. Die Beziehung zu Otto geht sie parallel zu ihrer eigentlichen Partnerschaft ein. Otto wertet diese »Affäre« als eine sehr schwierige, weil »[…] sie konnte irgendwie so ‘ne gesunde Distanz oder Nähe oder so ein konstantes Verhalten nicht, nicht äußern«. Er selbst hat damit keine Schwierigkeiten: »Ich meine, gegen Affären kann ich nichts einwenden, […]«. Komplikationen sind auf die ›türkische‹ Herkunft der Frau zurückzuführen, »wo sie also gar nicht klargekommen ist mit dieser Situation«. Otto erklärt sich das damit, dass sie mit der Affäre ihren Kulturkonflikt bewältigen wollte: »Wo ich jetzt im Nachhinein, ja auch durch die Tatsache, dass sie mit mir eine Affäre angefangen hat, […] dass sie einfach mit diesem Zwischen-den-Stühlen-sitzen von Kulturen nicht klargekommen ist, ne. Ich glaube, dass sie tief moralisch oder strikt erzogen worden ist in bezug auf Männer, aber durch diese Liberalisierung oder – sag ich mal, obwohl das natürlich nicht so ist – aber durch diese offene Gesellschaft, westliche Gesellschaft, in die Bredouille gekommen ist. Dass sie nicht wusste, für welche sie sich entscheiden wollte, und dann die Flucht nach vorne angetreten hat«.

Otto sieht keinen eigenen Anteil am unerfreulichen Ende dieser Affäre. Das Problem sieht er alleine im unbewältigten Kulturkonflikt der Frau ›islamischer Herkunft‹: Ihre Sozialisation und die ›westliche‹ Gesellschaft seien nicht miteinander zu vereinbaren. Ihr Versuch, sich durch die Affäre mit Otto zu ›verwestlichen‹, müsse scheitern. Otto setzt hier Affären mit Offenheit und ›westlicher‹ Gesellschaft gleich, ohne diese Zusammenhänge und seine Position darin zu reflektieren. Seine eigene Sozialisation und An-

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sprüche stellt er dabei nicht in Frage, sondern setzt sie unreflektiert als Norm und als berechtigt, während die Frau ›türkischer‹ Herkunft sich erst dahin entwickeln müsse. Während sich für Otto das Problem mit Hinweis auf einen bestehenden Kulturkonflikt löst, bedient sich Ulrich, der im folgenden Abschnitt zu Wort kommt, einer anderen Form der Auseinandersetzung mit seinen Erfahrungen angesichts abweichender Diskurse. Ähnlich wie Andrea individualisiert er funktionierende Partnerschaften, erklärt sie zu Ausnahmen, um seine prinzipielle Skepsis bzw. Ablehnung nicht aufgeben zu müssen. Interessant an Ulrichs Geschichte ist allerdings, dass die gleiche Partnerschaft (jener seiner Schwester), die er zwar zur Ausnahme macht und für gelungen hält, von seinen Eltern als gescheitert betrachtet wird. Am Beispiel dieser widersprüchlichen Interpretationen wird deutlich, dass sowohl die Reaktionen des Umfeldes als auch die eigenen Darstellungen von Stereotypen geprägt sind, die die Wahrnehmung der Wirklichkeit derart beeinflussen, dass sie den gesellschaftlichen Diskurs des antimuslimischen Rassismus wiederum bestätigen. Ulrich ist 36 Jahre alt, Krankenpfleger und als Sohn einer Hausfrau und eines Hausmeisters in einer Großstadt aufgewachsen. Von frühester Kindheit an spielte er mit den benachbarten Kindern der türkischen EinwandererInnen auf dem Hinterhof, im Treppenhaus und in den verschiedenen Wohnungen. Er erlebt vieles als fremd, auch schon als Kind, ist davon aber weder angezogen noch abgestoßen. Er nimmt es als gegeben hin. Seine Erfahrungen sind genauso alltäglich wie die aller InterviewpartnerInnen und auch er schafft es irgendwann, seine Erfahrungen umzuinterpretieren, statt die gesellschaftlichen Klischees in Frage zu stellen. Sie werden auch zu seinen. Ulrich selbst kann sich nicht vorstellen, in einer ›bikulturellen‹ Partnerschaft zu leben: »[…] wenn ich da so ‘ner interessanten Frau gegenübersitze, dass ich dann lieber sage: nein nein, also für mich eben sage: Finger weg, lass die Finger weg, ja. Sicherlich ‘ne Menge Angst auch«. Ulrichs Ängste beziehen sich auf die erwartete Einmischung der Großfamilie in eine Partnerschaft: »[…] da gibt es dann oftmals auch noch ‘ne Oma, die schwingt dann ihr Zepter aus Anatolien« und »der Bruder, der denn da immer guckt und überwachen muss«. Selbst kann er sich in eine solche Situation nicht hineindenken: »Und wenn ich mich dann, wenn ich mir

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vorstelle, da auch noch ein Bein reinkriegen zu wollen in so ‘ne Familie und mich dann noch mit der, mit der türkischen Familie noch einigen muss, also da seh‘ ich dann schon Schwierigkeiten für mich«. Ulrichs Schwester lebt seit zwanzig Jahren mit einem türkischen Einwanderer zusammen. Sein Schwager ist die Ausnahme, er ist anders als andere ›Türken‹, weil ohne Großfamilie in Deutschland – so Ulrichs Erklärung. Mit dieser Erklärung kann er es vermeiden, seine grundsätzliche Ablehnung zu modifizieren: »[…] da war eben nicht viel mit, mit äh, orientalisch oder türkisch oder was fremdartiges […] das ist schon verdeutscht sag ich mal, also er ist nicht der klassische Türke […] dazu muss ich sagen weil, er hat keine Familie hier in Berlin«. Die Eltern weisen den Partner ihrer Tochter aufgrund seiner Herkunft zurück. Vor allem der Vater – so Ulrich – versucht, der Tochter den ›türkischen‹ Freund »auszureden«: »[…] hat auch massiv dann auf meine Schwester einwirken sollen. Naja und sie hat sich dann für ihn entschieden, ist dann sehr früh von uns ausgezogen«. Ulrich beschreibt die Ehe seiner Schwester als gut. Die Eltern lehnen seit zwanzig Jahren den Kontakt zum Schwiegersohn ab »[…] obwohl da nie was passiert ist«. Ulrichs Schwester und ihr Partner haben sich durchgesetzt. Allerdings hat die Schwester (und auch ihr Partner) dafür einen hohen Preis gezahlt. Sie musste sich früh zwischen ihren Eltern und ihrem Partner entscheiden. Nach der Entscheidung für den Partner lehnen die Eltern weiterhin den Schwiegersohn ab, obwohl sie mit der Tochter wieder verkehren. Die vermeintliche Sorge der Eltern scheint ein vorgeschobenes Argument zu sein, um sich nicht offen rassistisch äußern zu müssen. Die mehr oder weniger subtilen Versuche, eine ›bikulturelle‹ Partnerschaft zu unterminieren, gehen auch von NachbarInnen, KollegInnen, FreundInnen, HelferInnen aus. Auch Gabriele, 28 Jahre alt, Studentin der Sozialarbeit, und ihre Mutter, von Beruf Buchhalterin, beherrschen den verdeckten antimuslimischen Diskurs perfekt. Ganz unverhohlen erzählt Gabriele davon, wie sie und ihre Mutter die ›bikulturelle‹ Partnerschaft einer Freundin auf ein konfliktreiches Ende hin beobachten und kommentieren. »Und jetzt guckt man eben, wie das überhaupt klappt«. Im Mittelpunkt stehen dabei ihre und ihrer Mutter Assoziationen. Fantasien vermischen sich mit detaillierten Schilderungen der Freundin. Eigene Befürchtungen und Interpretationen werden der Freundin in den

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Mund gelegt. Die Sichtweise des Mannes algerischer Herkunft bleibt vollständig ausgeblendet. Besagte Freundin ist 45 Jahre alt und hat zusammen mit ihrem Partner, mit dem sie seit einigen Jahren befreundet ist, gerade ihr erstes Kind bekommen. Wie alt der Mann ist und ob er bereits Kinder hat, erfahren wird nicht. Gabrieles und ihrer Mutter Beobachtung ist ganz deutlich nur von einem Interesse motiviert, nämlich bestätigt zu bekommen, dass die Beziehung nicht glücken kann: »[…] dass da noch große, große Probleme aufkommen werden und tja dass eventuell eben ‘ne Trennung eben bevorsteht«. Gabriele illustriert ihre Befürchtungen mit verschiedenen Begebenheiten, die alle dem gleichen Schema folgen: Der Mann algerischer Herkunft hat kein Recht, sich und seine ›kulturelle‹ Zugehörigkeit bemerkbar zu machen, vor allem steht ihm nicht zu, sich um die Belange des gemeinsamen Kindes zu kümmern. Der Wunsch des Vaters, mit der Freundin und dem Säugling die Verwandten in Algerien zu besuchen, verleitet Gabriele und ihre Mutter zu der sicheren Annahme, dass eine Entführung des Kindes bevorstehe. Die Suche der Eltern des Neugeborenen nach einem Namen gibt wieder Anlass zu Gabrieles und ihrer Mutter Entrüstung. Sie werfen dem Vater vor, dass er dem Kind einen algerischen Namen geben möchte. Die Frau will ihm einen deutschen Namen geben, »[…] weil sie gemeint hat, das Kind hätte hier Probleme mit einem algerischen Namen«. Die Beweggründe des Mannes bleiben bei Gabriele völlig außer Acht. Seine Sichtweise interessiert sie nicht. Das Paar – so berichtet Gabriele – einigt sich auf einen deutschen als ersten und einen algerischen als zweiten Namen. Gabrieles Kommentar dazu: »[…] also hier kann sie sich noch durchsetzen«. Auch können Gabriele und ihre Mutter nicht nachvollziehen, dass der Vater sich in die Erziehung des Kindes »einmischt«. Gabriele kritisiert, dass es »[…] für ihn wichtig ist, dass das Kind auch nach seinem Glauben erzogen werden soll. Und die Frau Angst hat, dass er dadurch eben zu anders erzogen wird. […] Also klar, schon dass das Kind mit dem Glauben in Berührung kommt oder dass es diesen Glauben erfährt […] Aber, ich denk‘ mir, das wär‘ zu schwierig, das Kind mit beiden Glauben irgendwie so zu erziehen«.

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Deutlich wird, dass der Vater nicht beansprucht, dass das Kind ausschließlich nach seinen Vorstellungen aufwachsen soll. Der Mutter hingegen wird unterstellt, dass sie nicht möchte, dass das Kind »zu anders erzogen« wird. Während dem eingewanderten Vater offensichtlich die Einflüsse beider Kulturen wichtig sind, möchte die einheimische Mutter den eigenen Einfluss betonen. Für Gabriele steht außer Frage, dass die Wünsche der deutschen Mutter erfüllt werden müssen. Gabriele diskutiert nur noch die Möglichkeit, inwieweit die Wünsche des Vaters berücksichtigt werden können, ohne jene der Mutter allzusehr zu stören. Dabei zieht sie Bikulturalität nicht als Möglichkeit in Betracht, auch nicht, um die ›deutsche‹ Sozialisation positiv zu beeinflussen oder dem Kind eine Identifikation oder Auseinandersetzung mit beiden Anteilen zu ermöglichen. Völlig unkritisch übernimmt sie hier die Höherwertigkeit und alleinige Berechtigung ›des Deutschen‹ gegenüber ›dem Algerischen‹. Letzteres kann für sie nur ein Zugeständnis sein und weder ein Recht noch eine Chance. Insgesamt geben Gabriele und ihre Mutter der Beziehung keine Chance. Durch ihre Haltung drängen sie die Freundin eher zu einer Trennung. Gabriele meint, dass so eine Beziehung auch unabhängig von diesen beiden Personen nicht gut gehen kann: »Also ich denk‘ mir eben, weil ‘ne europäische Frau ganz andere Vorstellungen oder Ziele hat […] Also für mich wär‘ das ein Rückschritt und deshalb find‘ ich das nicht erstrebenswert«.

»Vielleicht profitieren die türkischen Frauen dann auf lange Sicht am meisten von einem Leben in Deutschland.« Dem dominierenden rassistischen Diskurs entsprechend, gehen die Befragten von der Unvereinbarkeit der Kulturen aus. Dabei seien die Kulturen nicht nur durch ihre Unterschiedlichkeit, sondern auch durch ihren jeweiligen Entwicklungsstand unverträglich. Gelinge ein ›bikulturelles‹ Zusammenleben doch, dann sei das eine Ausnahme, die der ›Verdeutschung‹ des ›nicht-deutschen‹ Partners zu verdanken sei. Grundsätzlich wird jedoch das Scheitern von ›bikulturellen‹ Partnerschaften prognostiziert. Den Beteiligten wird es schwer gemacht, sich für die Partnerin oder den Partner ›islamischer‹ Herkunft zu entscheiden. Und diejeni-

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gen, die selbst in solch einer Partnerschaft leben, halten die Widersprüchlichkeit ihrer eigenen Erfahrung zu dem, was sie internalisiert haben und was ihnen gesellschaftlich und interaktionell vermittelt wird, häufig nicht aus. Um den Widerspruch aufzulösen, nehmen sie ihre Erfahrung als Ausnahme aus dem antimuslimischen Diskurs heraus und bestätigen damit die gesellschaftliche Norm, ohne ihre persönliche Erfahrung in Frage stellen zu müssen. In der Konsequenz heißt das, dass trotz allem Reden von Toleranz und Multikulturalität, trotz Einkäufen in ›türkischen‹ Läden, Reisen in ›den Orient‹, Besuchen von Bauchtanzkursen, Einstellen von ›türkischen‹ Putzfrauen, trotz ›multikultureller‹ Kontakte die interkulturellen Begegnungen beschränkt bleiben sollen auf möglichst flüchtige, begrenzte, funktionalistische. Ein intensives Miteinander wird weitestgehend abgelehnt. Begründet wird dies mit der Unvereinbarkeit der Kulturen. Das legt den Schluss nahe, rassistische Äußerungen seien vor allem ›Überfremdungsängsten‹ geschuldet. So gesehen, müssten Partnerschaften ›untereinander‹ unterstützt, die Trennung von vermeintlich unvereinbaren Kulturen als Lösung angesehen werden. Dass auch dies nicht befriedigt, wird aus der Analyse der Interviews deutlich. Viel mehr als um die Separierung geht es im antimuslimischen Rassismus um die kulturelle Herabsetzung des anderen mit dem Ziel, sich selbst als höherwertig zu bestätigen. Doris, 28, Erzieherin und Studentin der Sozialarbeit, kommt über ihre Arbeit in einer Kindertagesstätte in Kontakt mit Menschen islamischer Herkunft. Über die Kinder lernt sie auch einige Eltern kennen. In ihren Erzählungen über die Familien thematisiert sie ausschließlich die Geschlechterrollen der Frauen. Sie versucht, den Frauen immer wieder klar zu machen wie unterdrückt und unfrei sie seien. Sie möchte, dass sich die Frauen »[…] mehr lösen, weil sie eben eingebunden sind in diesem Ehe- oder Familienbund«. Doris schildert ihre Befreiungsversuche bei einer türkischen Mutter, deren Kind sie betreut. Sie spricht sie immer wieder auf ihre Beziehung zu ihrem Mann an – »[…] das Thema hatt‘ ich auch öfter mit ihr […]« –. Sie erzählt über ihre Bemühungen, der Frau deutlich zu machen, dass sie unterdrückt ist. Doris räumt ein, den Mann dieser Frau sehr nett zu finden, »[…] absolut sympathisch und nett«, sowohl ihr selbst gegenüber, als auch im Umgang mit Frau und Kindern: »Ich hab‘ jetzt nicht irgendwie ‘ne Unterdrückung also vor meinen Augen gespürt oder so. […] Nett

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und okay, wie er mit seinen Kindern umging und auch mit seiner Frau umging«. Obwohl die betreffende Frau zufrieden ist, drängt Doris sie dazu ihr Leben zu ändern. Sie meint, das Recht dazu zu haben, weil sie als Außenstehende den Überblick habe, während die Frau selbst durch ihre Betroffenheit nicht über ihre eigene Situation urteilen könne: »Und, ja, hab‘ ich gemerkt, sie ist da einfach so sehr drin verstrickt, das ist meine Meinung und sie bleibt eben bei ihrer Meinung«. Aber weder das beeindruckt Doris, noch ihre eigene Einschätzung des Mannes: »[…] das ärgert mich, obwohl ich fand ihn einfach sehr nett«. Eine Beziehung zu einem Mann ›islamischer Herkunft‹ kann bzw. darf einfach nicht gelingen, weder mit einer ›deutschen‹ Frau, noch mit einer Frau, die selbst ›islamischer Herkunft‹ ist bzw. als solche wahrgenommen wird. Die Unvereinbarkeit der Kulturen dürfte hier als Begründung ausscheiden. Doris argumentiert hier zwar mit der ›islamischen‹ Herkunft des Mannes, um ihn herabzusetzen. In Bezug auf die Frau macht sie allerdings die kulturelle Herkunft lediglich für deren vermeintlich fehlende Entwicklungseinsicht verantwortlich. Dass sie die gleichen Bedürfnisse und Vorstellungen haben muss wie Doris steht außer Frage, die Möglichkeit und Akzeptanz unterschiedlicher Lebensweisen sprengt Doris‘ Vorstellungsvermögen. Doris bemüht also hier nicht die Unvereinbarkeit der Kulturen, um ihr Missfallen an dieser Beziehung zu begründen. Vielmehr versucht sie glauben zu machen, dass es ihr um das Geschlechterverhältnis geht. Indem sie aber das Geschlechterverhältnis in einen kulturellen Zusammenhang bringt, in dem ›der Westen‹ und ›der Islam‹ sich diametral gegenüberstehen, verwendet sie den rassistischen Diskurs des Gegenbildes Islam. Viel eher als um eine Aussage über das Geschlechterverhältnis im Allgemeinen, geht es hier um die Bestätigung des westlichen Selbstbildes, das sich auch über das Geschlechterverhältnis definiert. Darin idealisieren sich Männer und Frauen als fortschrittlich: »[…] nun sind wir hier besonders emanzipiert […]«, »[…] eine europäische Frau hat ganz andere Vorstellungen […]«, »[…] der deutsche Mann will Gleichberechtigung […]«. Dieses Selbstbild wird nicht nur als vorherrschendes und bereits realisiertes formuliert, sondern auch als höherwertiger und für alle anderen Menschen erstrebenswert. Entsprechend werden die darin zum Ausdruck kommenden Vorannahmen in der Pro-

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jektion auf Frauen und Männer islamischer Herkunft und deren Beziehungen zueinander reproduziert. Nicht nur ›bikulturelle‹ Partnerschaften können nicht als gelingende akzeptiert werden, sondern jede Partnerschaft mit einem Mann oder einer Frau ›islamischer‹ Herkunft, auch wenn sie sich beide ähnlichen Werten verpflichtet fühlen oder den gleichen ›Kulturen‹ zugerechnet werden. In der Konsequenz heißt das, ein partnerschaftliches Zusammenleben mit Menschen ›islamischer‹ Herkunft ist nicht möglich, egal für wen und in welcher Konstellation. Mit dieser Haltung wird also nicht nur ›bikulturellen‹ Paaren begegnet, sondern auch Beziehungen zwischen zwei Angehörigen ›islamischer‹ Kulturen. Hier sind allerdings keine deutschen Familienangehörigen vorhanden, und auch enge Freundschaften scheinen selten zu sein. Die Befragten berichten entsprechend nur im professionellen Kontext von solchen Partnerschaften – und ihren Bemühungen, destruierend einzugreifen. Die Schilderungen der Befragten geben Aufschluss darüber, womit Menschen aus ›islamischen Kulturen‹ konfrontiert sind, wenn sie sich an psychosoziale Einrichtungen wenden, die nicht bereit sind, ihre Rassismen zu reflektieren. In seiner Arbeit erlebt Ulrich zum Beispiel viele türkische Frauen, die sich in die psychiatrische Abteilung einweisen lassen. Ihm fällt auf, dass sich die Symptome wiederholen und die Frauen immer wieder kommen: Sie bräuchten ab und zu Rhe, müssten abschalten – »[…] da nehmen sie dann ihre Auszeit […]« – die Frauen ließen sich von der Familie verwöhnen, die sie täglich und lange im Krankenhaus besuchte – »[…] dass die Frauen das sichtlich genießen«. In dieser Abteilung scheint das akzeptiert zu sein; die Frauen bekämen keine Medikamente, sondern die nötige Ruhe und Gesprächsangebote: »Aber überwiegend war der Teil der Ruhe eigentlich ausschlaggebend für die Genesung oder für das Durchhalten ein weiteres Jahr«. Doch in den Gesprächen werden die Frauen aufgefordert, über ihre Beziehungen zu ihren Männern zu reden: »Wo wir denen versuchen auch zu erklären, wobei das sehr schwierig ist also für türkische Frauen, das also auch zu akzeptieren. ›Alles ist gut, Herr Doktor. Mein Mann ist gut, Herr Doktor. Mein Mann ist fleißig, Herr Doktor.‹ und so. Aber so, worum es eigentlich geht, und warum jetzt diese Frau so erkrankt ist, ja, das kann man eigentlich gar nicht so, ihr jetzt, der Betroffenen, erklären. Wir versuchen‘s immer wieder«.

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Keinen Augenblick ist Ulrich bereit, von seinen Erklärungen abzurücken oder zumindest die betreffenden Frauen in Ruhe zu lassen. Ähnlich wie Doris ist er so überzeugt, dass er sich von nichts irritieren lässt. »Und dann kommen eben auch ab und zu auch mal mutige Frauen, mutige türkischen Frauen […] Patientinnen, die dann schon berichten von den Missständen innerhalb der vier Wände, innerhalb der Wohnung«. Ulrich erlebt also einige Frauen, die von »Missständen innerhalb der vier Wände« berichten und andere, die sagen, »alles ist gut«. Er ist jedoch nicht bereit, beides als mögliche Erfahrungen der betroffenen Frauen gelten zu lassen. Vielmehr entscheidet er sich, diejenigen Frauen, die von »Missständen« berichten als »mutige Frauen« zu bezeichnen und die anderen damit als feige. Vorausgesetzt wird, dass sie alle »Missstände« erleben. Eine andere Sichtweise findet im antimuslimischen Rassismus keinen Platz, jede Beziehung mit einem Menschen ›islamischer Herkunft‹ muss problematisch sein. Ulrich steigert sich vollends hinein: »[…] oh Gott oh Gott! Was da an Elend manchmal so mmh ähm ähm ja sichtbar wird ja! Das ist unfassbar! Mmh. Na ja, was soll man da dann raten? Man kann ja nicht sagen – liebe Leute lasst Euch scheiden, ihr passt einfach vom, ihr passt einfach nicht zusammen. Das kann man nicht sagen. Ist traurig, ja. […] und so verschleppen sich die Jahre und das kleine Kind wird immer größer und das Elend wird immer härter und, also da ist wirklich ‘ne Menge ‘ne Menge ‘ne Menge hier in B., in K. an Elend in den Familien«.

Trotzdem berichten einige Befragte von gelungenen Beziehungen zwischen Menschen ›islamischer Herkunft‹. Auch diese Paare werden zur Ausnahme. Bezeichnend ist, dass diese Menschen den Befragten gar nicht erst einfallen. Viel präsenter sind ihnen die negativen Erlebnisse, Bilder aus Medien, »Gespenstergeschichten« von FreundInnen. Im Laufe des Interviews kommen dann meist doch auch noch andere Schilderungen über ihre Erfahrungen. Diese werden dann aber uminterpretiert. So auch von Thorsten. Thorsten ist 29 Jahre alt und Arzt, Sohn eines Geologen und einer Bibliothekarin. Auch er kann sich anfangs an keine Menschen ›islamischer Herkunft‹ erinnern. Dann kommen die üblichen Schreckensmeldungen. Und plötzlich, ganz unvermittelt:

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»[…] jetzt fällt mir echt was ein. In A. hab‘ ich anfangs, das erste halbe Jahr, in ‘ner kleinen Wohnung gewohnt, die hab‘ ich mir geteilt mit zwei, mit einem [lacht] mit einem jungen türkischen Ehepaar. Nee, das war noch kein Ehepaar, aber die wollten dann heiraten. Aber die waren eigentlich ganz, wie soll ich sagen, die waren irgendwie eher westlich orientiert. […] Es war so anders. Es war so anders, es war – Es war nicht so, wie ich das vielleicht erwartet hab‘. […] Eigentlich waren das keine Türken, so wie ich sie äh, wie ich mir damals vorstellte, wie Türken sein müssen. […] vielleicht haben die sich gelöst. Vielleicht waren das auch Kurden, wer weiß, Kurden, die geflüchtet sind und gar nicht so stark eingebunden waren in ihre Familien«.

Eine Erklärung für die Ausnahme ist schnell bei der Hand. Das Paar kann alles Mögliche sein, es darf nur nicht seine Vorstellungen über ›Türken‹ in Frage stellen. Wer nicht so ist, wie ›Türken‹ sein müssen, ist also »eher westlich orientiert«, hat »eine sehr nordeuropäische Denkweise angenommen«, ist »verdeutscht«. Diese Zuschreibungen werden positiv verwendet. Die Befragten rechnen sich dem ›progressiven‹ politischen Spektrum zu und halten sich für gesellschaftskritisch. Aber im antimuslimischen Gegenbild heben sie sich selbst als Deutsche positiv heraus. Mehr noch, ein Leben in Deutschland befreit auch andere: »Vielleicht profitieren die türkischen Frauen dann auf lange Sicht am meisten von einem Leben in Deutschland. Weil sie sich letztendlich befreien können«.

Kultur und Geschlecht Aus dem empirischen Datenmaterial geht hervor, dass ›der Islam‹ als Synonym für ›den Ausländer‹ im Alltagsdiskurs als Negativfolie für die eigene ›Kultur‹ benutzt wird. Diese wird als ›westlich‹ definiert auch dann, wenn die Zuschreibungen im Wesentlichen auf ›Deutschland‹ bezogen werden. Das Andere der imaginierten ›westlichen Kultur‹ wird im ›Islam‹ als ›Kultur‹ verortet. Zentrales Thema bei der Essenzialisierung und Gegenüberstellung ›westlicher‹ und ›islamischer‹ ›Kultur‹ ist in den Interviews das Geschlechterverhältnis. Zur Begründung und in Ergänzung dazu wird die Religion (im engeren Sinne) herangezogen. Beide Diskurse verweisen auf die Selbst- und Fremdbilder der Befragten. Insbe-

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sondere geben sie jedoch Aufschluss darüber, wie die Themen im eigenen Kontext interessieren. Anders als in ihrer Kindheit scheint es zum Zeitpunkt der Interviews einen großen Unterschied in der Attraktivität von ›muslimischen‹ Männern im Gegensatz zu jener von ›muslimischen‹ Frauen zu geben. Während die Interviewten sehr viel über ihre privaten Beziehungen zu ›muslimischen‹ Männern zu berichten hatten, scheinen sie mit ›muslimischen‹ Frauen fast ausschließlich ›unfreiwillig‹ in Beziehung zu treten – als Nachbarinnen, Mitschülerinnen, Kolleginnen, Klientinnen – und diese Kontakte nicht zu vertiefen. In ihrer Kindheit und Jugend hatten einige Befragte auch ›muslimische‹ Freundinnen, aber als Erwachsene scheinen Frauen aus ›islamischen Kulturen‹ für ›westliche‹ Frauen uninteressant zu werden für eine private Beziehung auf gleicher Ebene. Die ›westlichen‹ Frauen begründen ihre Ablehnung ›muslimischer‹ Frauen mit Argumenten, die ihnen eigentlich selbst bekannt sein müssten. In der radikalen Ablehnung von ›muslimischen‹ Frauen wird die Verstrickung ›westlicher‹ Frauen in sexistische Diskurse deutlich. Eine Interviewte meint, ›muslimische‹ Frauen seien sprachlos und träten, auch wenn sie körperlich anwesend seien, nicht in Erscheinung; eine andere hat festgestellt, dass Frauen aus ›islamischen Kulturen‹ sich nicht das Recht nehmen würden, alleine Entscheidungen zu treffen; eine dritte unterhält sich lieber mit den Männern, da die Frauen uninteressant seien; eine weitere Befragte bricht eine sich anbahnende Beziehung ab, weil sie die Frau nie alleine erwischt, sondern immer nur mit anderen zusammen; eine meint, sie könne ›muslimischen‹ Frauen nicht privat begegnen, da diese nie in Kneipen oder Diskotheken gingen; wieder eine andere findet, ›muslimische‹ Frauen würden sich freiwillig einschränken und seien damit indiskutabel für sie als ›westliche‹ Frau. Begründet wird die fehlende Attraktivität ›der islamischen Frau‹ mit ihrer ›Weiblichkeit‹4: Sie wird beschrieben als eine, die häuslich ist, sich auf andere bezieht, sich nicht in den Vordergrund drängt. In der Beziehungsverweigerung zu Frauen aus ›islamischen Kulturen‹ kommt der internalisierte Sexismus 4

Auch ›Weiblichkeit‹ beruht auf Konstruktionen, Essenzialisierungen, Otheringstrategien und tatsächlichen Differenzen auf Grund historischer und gesellschaftlicher Entwicklungen.

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der ›westlichen‹ Frauen zum Vorschein. Im Gegenbild zur ›westlichen‹ Frau zeigt sich auch ihre Ablehnung ›des Weiblichen‹. Das eigene Konzept wird also nicht nur als kulturell fortschrittlich konstruiert, indem es sich der rassistischen Argumentation bedient. Es wird auch als Gegenbild gegen das ›Weibliche‹, das in die ›islamische‹ Frau projiziert wird, konstruiert und ist damit in sexistische Strukturen eingebunden. Während die Befragten ›muslimische‹ Frauen als Gegenbild konstruieren, funktionalisieren sie ›muslimische‹ Männer, um den eigenen Rassismus zu neutralisieren. Indem ›muslimische‹ Männer des Sexismus überführt werden, setzen sich ›westliche‹ Frauen selbst wieder als Opfer ein. Eine ›westliche‹ Frau, die mit einem rassistisch diskriminierten Mann zusammenlebt, demonstriert damit ihre grundsätzlich nicht-rassistische Haltung. Gleichzeitig kann sie eigene rassistische Äußerungen umdefinieren, indem sie sie in einen Sexismus-Vorwurf kleidet. Eine Interviewte lebt mit einem ›Iraker‹ seit zwei Jahren in einer Liebesbeziehung, die sie selbst als »eine gleichberechtigte Beziehung« beschreibt. Gleichzeitig äußert sie »Hass […] Wut auf die männlichen Türken«. Sie merkt dann, dass ihre Äußerung als rassistisch interpretiert werden kann und korrigiert: »Es ging nicht grundsätzlich um Türken, sondern um Männer.« Allerdings macht sie eine deutliche Hierarchie in ihrer Beurteilung von Männern als Sexisten: »Also mit Männern ist nix. Mit den deutschen Männern schon nicht und mit den Männern generell nicht und der Islam dann eben schon gar nicht«. Gleichzeitig lehnt sie auch türkische Frauen ab: »Die Frauen waren keine Kommunikationspartnerinnen für uns«. Ihr Versuch, sich des Rassismus-Vorwurfs dadurch zu entziehen, indem sie aus ›Türken‹ ›Männer‹ macht, wird dann endgültig deutlich, als sie sagt: »Wenn mir dunkeläugige, schwarzhaarige Männer entgegen gekommen sind, […] hab‘ ich die Straßenseite gewechselt« und weiter: »diese Türken […] ich konnte keinen, ich hätte sie alle, sie haben mich gestört, ich will sie nicht«. Aus der sicheren Position einer Insiderin, weil Partnerin eines ›Muslim‹, kann sich die Interviewte Äußerungen erlauben, die eindeutig im rassistischen Diskurs stehen. Sie spricht dann nicht den ›Muslim‹ an, sondern wendet sich gegen den ›Mann‹, wehrt sich gegen seinen Sexismus. Damit wird die Gleichzeitigkeit verschiedener Herrschaftsmechanismen außer Kraft gesetzt; es zählt nur noch die eigene Un-

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terdrückung als Frau, die Unterdrückung des Mannes als ›Muslim‹ gerät aus dem Blick. Derart hat sich die ›westliche Frau‹ persönlich entlastet und gleichzeitig ihren Anspruch als allein Berechtigte für den Opferstatus bekräftigt. Versucht sie sich in der Beziehung zur ›muslimischen Frau‹ im Gegenbild als befreit und selbstständig zu bestätigen, so versucht sie sich in der Beziehung zum muslimischen Mann dadurch aufzuwerten, dass sie eigene rassistische Anteile im Vergleich zum Sexismus des Mannes verharmlost oder gar ganz negiert. Männer aus ›islamischen Kulturen‹ haben aber auch einen besonderen Reiz. An und mit ihnen können ›westliche‹ Frauen etwas ›Fremdes‹ ausprobieren, sie können eintauchen in die ›fremde Welt des Orients‹ mitten in Deutschland. Und sie können danach wieder – quasi als Expertinnen – über die Höherwertigkeit ›westlicher Kulturen‹ berichten im Vergleich zu ›anderen‹ Kulturen (»Traditionen«), speziell der ihres Partners, die sie aus eigener Erfahrung kennen gelernt haben. Sie kehren geläutert zurück. Manche bemerken rückblickend, dass sie eigentlich nur die Eltern provozieren wollten, aber nun seien sie erwachsen geworden. In der Beziehung von ›westlichen‹ Frauen zu Männern aus ›islamischen Kulturen‹ treffen die Bilder und Erfahrungen verdichtet aufeinander. Die Erfahrungen können hier – im Gegensatz zu flüchtigen Beziehungen – nicht einfach ignoriert werden. Allerdings garantiert auch diese Form der Begegnung keinen kritischen Umgang mit den Stereotypen. So konnte in der empirischen Untersuchung festgestellt werden, dass es den Befragten gelungen war, ihre Erfahrungen entweder als Ausnahme auszublenden oder mit dem Stereotyp ›verwestlicht‹ doch wieder in eine der Kategorien einzuordnen, ohne dabei allerdings ihr eigenes Selbstbild als fortschrittliche Frau zu beschädigen. Eine Interviewte zieht den Schluss: »Also der Mann, mit dem ich ‘ne Beziehung hatte auch, dieser Perser […] bei dem spielte das auch jetzt nicht ‘ne Rolle [der Islam, …] Aber […] aus Erfahrung oder von anderen Freundinnen weiß ich einfach, dass es schwierig ist, ‘ne Beziehung zu haben«. Warum das so ist, sagt uns eine andere Informandin: »[…] weil ‘ne europäische Frau ganz andere Vorstellungen oder Ziele hat […] Also für mich wär‘ das ein Rückschritt«. Im Gegenbild zu Menschen aus ›islamischen Kulturen‹ wird es den von uns Befragten möglich, sich selbst als emanzipiert zu konstruieren.

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Während in den Beziehungen zu Männern aus ›islamischen Kulturen‹ also vor allem die Geschlechterdifferenz in den Vordergrund gerückt wird, um den eigenen Rassismus unsichtbar zu machen, wird in den Beziehungen zu Frauen aus ›islamischen Kulturen‹ die Kulturdifferenz herausgestellt, um den eigenen Sexismus auszublenden. Darin kommen gleich zwei Mechanismen zum Ausdruck: Indem die Gleichzeitigkeit und Verflechtung von Herrschaftsstrukturen ignoriert wird, kann immer jene Begründung als allein gültige herangezogen werden, die in der jeweiligen Beziehungskonstellation entlastender ist und das eigene Selbstbild bestätigt. Gleichzeitig kommen sowohl Kultur- als auch Geschlechterdifferenzen immer dann zum Tragen, wenn es der eigenen Dominanz dient, und sie werden immer dann negiert, wenn damit die eigene Rolle in Frage gestellt werden würde. Es geht darum, sich selbst zu bestätigen: im Spiegelbild des konstruierten Anderen. Auch die befragten Männer beziehen sich in vergleichbarer Weise auf das kulturalisierte Geschlechterverhältnis: »Ich find‘s einfach nicht gut, dass sie so unterdrückt werden meiner Meinung nach«. Sich selbst präsentieren sie dabei als fortschrittlich: »Ich mein, das ist ja so lange auch noch gar nicht her, da war‘s bei uns ja auch noch so, ne«. Aber diese Zeiten seien vorbei, heute »[…will] der deutsche Mann […] eher ‘ne Gleichberechtigung in seinem Haus«. Insgesamt wird das ›muslimische‹ Geschlechterverhältnis in den Kontext von Unterentwicklung und Unterdrückung gestellt, die im eigenen Kontext als überwunden präsentiert wird. Selbst wenn der eigene familiäre Kontext als »weniger frei« beschrieben wird oder Parallelen zwischen einzelnen Familien wahrgenommen werden, wird die konkrete eigene Erfahrung individualisiert. Dazu ein Interviewpartner, der auf die hypothetische Frage nach ›bikulturellen‹ Partnerschaften in der eigenen Familie, wie folgt antwortet: »Meine Schwester ist in sehr restriktiven Verhältnissen aufgewachsen und müsste sich erstmal im Prinzip entfalten durch den Auszug, ne. Und wenn die jetzt sofort, sag‘ ich mal auf diese Situation bezogen, sofort einen Moslem heiraten würde, würd ich sagen, sie führt ihr restriktives Leben einfach weiter unter anderen Vorzeichen. Ich würde das nicht gut finden, jetzt in dieser Situation«.

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Allerdings mischen sich bei einigen befragten Männern Ängste vor der (vermeintlichen) Familienbezogenheit von ›Muslimen‹ in ihre Distanz zu ihnen. Ein Befragter antizipiert Schwierigkeiten auf Grund der Größe jenes Personenkreises, der in einer Beziehung zu einer Frau ›muslimischen‹ Hintergrunds eine Rolle spielen würde, er fürchtet eine große Anzahl an Personen, die sich »einmischen« würden und mit denen er sich »einigen« müsste. Ein anderer gibt zu Bedenken, »[…] dass die Familie hinter ihr steht. So ja. Und das wäre vielleicht ein Problem«. Hier werden Aspekte eines als ›islamisch‹ präsentierten Geschlechterverhältnisses erkennbar, die die dominante ›männliche‹ Position verunsichern könnten und gerade deswegen abgelehnt werden. Daran kann die Widersprüchlichkeit der ›westlichen‹ Freiheit im Kontext von Herrschaftsverhältnissen nachvollzogen werden. KeineR der Befragten gibt sich als bekennendeR ChristIn zu erkennen. Einige distanzieren sich grundsätzlich von Religionen und führen das auf ein religionskritisches oder aber auf ein besonders religiöses Elternhaus zurück. Dennoch verteidigen auch sie das Christentum gegenüber dem Islam als die bessere Religion und als »Grundlage unserer Kultur«. Obwohl sich die Befragten für religiöse Fragen und ernsthafte Auseinandersetzungen nicht zu interessieren scheinen (»Na, ich wollt noch sagen, ich weiß wenig über den Islam, ne. […] Und ich hab überhaupt kein Interesse, mich intensiver damit zu beschäftigen. Aber genauso wenig wie mit Christentum oder so«), sind sie in ihrer Positionierung als ChristInnen und in ihrer Gegnerschaft zu Muslimen eindeutig und vehement. Während eigene religiöse Praxen in ihrer Bedeutung heruntergespielt werden (»Ich habe mich zwar konfirmieren lassen, weil das so war, so. Aber es war mir dann auch egal«), wird die religiöse Gebundenheit und Prägung ›der Anderen‹ betont und als markanter Unterschied zwischen Christentum und Islam präsentiert. Selbst zwischen gläubigen ChristInnen und Muslimen zieht ein Befragter eine deutliche Trennung und meint, »[…] dass es Unterschiede gibt. Weil das Christentum, also wenn jemand wirklich sehr gläubig ist, jetzt im christlichen Sinne gläubig ist, dann kann er trotzdem seine Rechte und äh, ja kann trotzdem seine Rechte in dieser Gesellschaft so wahrnehmen. Aber wenn jemand im Islam sehr gläubig ist, dann ist er einfach gebunden an den Koran und da-

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mit auch an die sozialen und politischen Verflechtungen, die damit automatisch zusammen hängen im Koran«.

Der Unterschied wird mit Hinweis auf die (imaginierte) christliche Praxis einerseits und den (in der Regel unbekannten) Koran andererseits begründet. Es fällt auf, dass die entsprechenden Passagen in den Interviews sehr allgemein gehalten sind: Weder ihre Äußerungen zum Christentum noch zum Islam werden durch Erzählungen oder konkrete Hinweise illustriert oder begründet. Die Analyse der Interviews weist vielmehr darauf hin, dass ›Islam‹ und auch ›Christentum‹ als kulturelle Markierungen dienen, um Differenzen festzulegen und zu begründen. Die religiös begründete Differenz wird jedoch gleichzeitig als historische interpretiert, nicht nur die Bezugstexte Bibel und Koran unterschieden sich demnach essenziell, sondern ebenso der jeweilige Entwicklungsstand. Auch diesbezüglich habe (analog zur kulturalisierenden Argumentation, v.a. im Kontext des Geschlechterverhältnisses) der Islam einen Entwicklungsrückstand zum Christentum. Hierzu ein Befragter: »Aber ich seh‘ sie immer im Vergleich zum Christentum. Ich glaub nicht, dass die Christen, oder irgendwelche fundamentalistischen Christen, auf die Idee kommen, das Christentum als Weltreligion rauszugreifen und dazu auch kriegerische Mittel zu benutzen, ne. Weil die Zeiten sind einfach vorbei. […] Also bei uns ist nicht mehr der Boden dazu da. Und bei, beim Islam ist der Boden schon vorbereitet«.

Dieser Interviewpartner begründet den vermeintlich größeren Hang des Islam zu »Weltrevolution« und »heilige[m] Krieg« damit, dass im ›Islam‹ ein »größeres Potential da [ist], so an Fanatismus«. Er führt aus, »dass sie glaub ich weniger bereit sind, mehrere Religionen gleichberechtigt nebeneinander her stehen zu lassen, diesen riesengroßen Weltkugel-Atlas, sondern eher ihre Religion eben als die allein richtige vertreten wollen«. Er räumt dann zwar ein, »es gibt ja auch fundamentale Christen, ne. In katholischen Bergdörfern oder so. In Schwaben gibt es ja auch, ich kenn auch einige, ne. Und die würd ich als genauso rückständig bezeichnen. Ne, so, wobei ich denke, dass rückständige, die Zahl der rückständigen Mohammedaner größer ist, als es rückständige Christen gibt«.

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Bei einigen InterviewpartnerInnen scheint die Differenzierung zwischen ChristInnen wichtig, die Selbsterhöhung als ProtestantInnen rückt KatholikInnen in die Nähe von Muslimen. »Also so‘n, so fanatische Katholiken lehn ick ooch ab. Die sind für mich Horror, ja. Die soll‘n sich mal überlegen, wat se da machen. Also wenn ick mir vorstelle, dass äh, wat weeß ick, die Töchter noch bis zur Hochzeit in ihr Zimmer gesperrt werden und dann nach der Hochzeitsnacht, nach der ersten Nacht noch det rotbefleckte Laken raushalten müssen, ja. In irgend so ‘nem Land, auf irgendeinem Dörflein da«.

Insgesamt aber wird die christliche Prägung eher als kulturelle bezeichnet, der religiöse Einfluss als solcher wird dabei als gering eingeschätzt: »Ich würd‘ sagen, dass man wenig in Deutschland mit ‘m Glauben konfrontiert wird, jedenfalls, sagen wir so, unser Leben richtet sich nicht nach der Kirche oder nach unserem Glauben, ne. Aber dass halt bei den Moslems mehr, dass halt da noch der Glaube mehr im Mittelpunkt steht von dem Leben und dass halt und sie da drum rum leben, sagen wir‘s halt mal so. Und das ist bei uns nicht so. Vielleicht können sie‘s manchmal nicht verstehen, dass das bei uns nicht so ist, weil‘s halt bei ihnen anders ist«.

Auch diese Befragte weiß nicht wirklich, wie es »bei ihnen« ist und ob es dort tatsächlich so »anders« ist. Und auch ihr scheint die christliche Durchdringung des Alltags in Deutschland so selbstverständlich zu sein, dass sie meint, auch andere würden in Deutschland nicht »mit ‘m Glauben konfrontiert«. Danach gefragt, ob sie sich erklären könne, warum ChristInnen zum Islam konvertieren, sagt sie: »Ich hab‘ den Koran nicht gelesen, ich weiß nicht was da drin steht (lacht ein bisschen). Wenn ich‘s so weltlich sehe, würd‘ ich sagen, dass halt viele Leute in Deutschland mit ihrer Freiheit nichts anfangen können und dass ihnen halt ‘ne Richtschnur fehlt und dass sie halt, dass ihnen vielleicht auch die Kirche in Deutschland zu wenig gibt und dass sie sich halt dem Koran anschließen, da haben sie halt ‘ne Lebensführung nach der sie sich halt richten müssen. (Pause) Wieso gehen Leute in eine Sekte, ich mein‘ wie, sie wissen halt mit sich nichts anzufangen, sie brauchen halt jemand, der ihnen sagt wie‘s langgeht, ne«.

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ALLTAGSDISKURSE

Gegenwärtig konzentrieren sich Bemühungen, antimuslimischen Stereotypen und Anfeindungen zu begegnen, auf Aufklärungsarbeit über ›den Islam‹. Aus den Interviews zum Alltagsdiskurs geht jedoch hervor, dass religiöse Bezüge keine theologische Rolle spielen, sondern lediglich dazu dienen, sich kulturell abzugrenzen. Zwar beziehen sich auch die bekennenden AtheistInnen unter den Befragten diffus zum Christentum, sie argumentieren jedoch lediglich auf kultureller Ebene mit den Religionen. Bibel, christliche Praxen und Einflüsse, Kirchenalltag und –geschichte etc. sind ihnen nur vage und als Gefühl präsent, es ist Teil ihres eigenen kulturellen (nicht theologischen) Selbstverständnisses. Analog verhält es sich mit ihren Äußerungen zum ›Islam‹, obwohl sie selbst eine engere Verknüpfung zwischen ›Islam‹ als Religion und ›Islam‹ als Kultur vermuten. Die Befragten ziehen gar diesen vermeintlichen Unterschied zwischen dem religiösen Einfluss auf die Kultur heran, um zwischen ›uns‹ und ›den Anderen‹ zu differenzieren. Wie die Analysen jedoch zeigen, besteht diesbezüglich der Unterschied im Wesentlichen darin, dass den Befragten der religiöse Einfluss im eigenen Kontext weniger auffällt und – auch bei AtheistInnen – positiver besetzt ist, jedenfalls im Gegenbild zum ›Islam‹.

Fazit Die Interviews liefern anschauliches Material für die These, dass die Aktivierung des politischen Antiislamismus problemlos gelingen konnte, weil das ›Feindbild Islam‹ auf eine lange und ausgeprägte kulturelle Tradition zurückgreifen konnte. Die kulturelle Tradierung des Islamdiskurses, seine Transformation und Aneignungsprozesse durch Subjekte lassen sich in den empirischen Analysen nachvollziehen. Im Alltagsdiskurs wird die Essenzialisierung von ›westlicher‹ versus ›islamischer Kultur‹ in kulturrassistischer Manier reproduziert, sie dient der Einteilung in ›wir‹ und ›die Anderen‹. Die Widersprüchlichkeit der tradierten Bilder, die sich auch im Alltagsdiskurs zeigt, wird geglättet, indem die positiven Bilder dem Orient und die negativen dem Islam zugewiesen werden. Dabei überwiegen die negativen Assoziationen, nicht allein durch ihre Intensität, sondern insbesondere durch ihre Präsentation als typisch. Sie markieren das Eigentliche ›des Ande-

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ren‹. Dagegen wird die Orientalisierung nostalgisch und verklärt als fast unwirklich, vergangen, verträumt, exotisch an den Rand gedrängt. Teilweise werden einzelne Länder als orientalisch, andere aber als islamisch bezeichnet, insgesamt zeigt sich die Ambivalenz jedoch eher in den Argumentationen, z.B. wird die ›orientalische Gastfreundlichkeit‹ der ›islamischen Frauenunterdrückung‹ gegenübergestellt. Die als ›westlich‹ definierte Freiheit gilt als Ziel subjektiver Anstrengungen und als Maßstab für die Bewertung von Kulturen, gleichzeitig wird die Verbindlichkeit und soziale Kompetenz ›der Anderen‹ gerne in Anspruch genommen. Die vermeintliche Vernunftorientierung ›des Westens‹ wird als Errungenschaft gefeiert und gleichzeitig der Verlust an Einfachheit und Leidenschaftlichkeit – die dem ›Orient‹ zugewiesen werden – bedauert. Die ›erotische Sinnlichkeit des Orients‹ dagegen, die ehemals von den Harem-Schleiern ausging, ist weitgehend abgelöst worden. Sie findet sich noch im Bauchtanz wieder, allerdings dominiert heute der Diskurs über das ›islamische Kopftuch‹ als Synonym für Unterdrückung. Anfang der neunziger Jahre erscheinen ›westdeutschen‹ Männern und Frauen gleichermaßen ›muslimische‹ Frauen bedrohlicher als ›muslimische‹ Männer. Sie werden einerseits als Hindernis bei der Verwirklichung ›westlicher‹ Emanzipationsbestrebungen gesehen und stellen andererseits durch ihre als ›ganz anders‹ wahrgenommene Lebensweise die ›westliche‹ in Frage. Das Bild des ›orientalischen Mannes‹, das gleichzeitig als gewalttätig und stark imaginiert wird, kommt auch im Alltagsdiskurs vor. Trotz vorherrschender Kritik an den Geschlechterrollen ist gerade bei den befragten Frauen die Sehnsucht nach dem starken neben der Angst vor dem gewalttätigen Mann präsent. Aber auch die interviewten Männer reproduzieren die Dichotomie zwischen ›Orient‹/›Islam‹ einerseits und ›Westen‹ andererseits in Bezug auf das Geschlechterverhältnis und entwerfen von sich selbst ein emanzipiertes Bild als bereits realisierte Wirklichkeit. Die Befragten verfügen alle über eigene Erfahrungen mit ›Muslimen‹, die ihren Stereotypen in der Regel nicht entsprechen. Ihre Erfahrungen tragen jedoch nicht zur Reflexion bei, sondern werden derart umgearbeitet, dass die eigenen Erfahrungen zu Gunsten der Stereotype individualisiert werden, um diese letztlich zu bestätigen. Dies geschieht vor allem mit Bezug auf den Koran, der als Begründung für all jenes herbeigezogen wird, das erklä-

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ALLTAGSDISKURSE

rungsbedürftig erscheint. Die Konstruktion des ›Orients‹ bzw. ›Islam‹ wird derart weiterhin aufrechterhalten und orientiert sich an der Konstruktion eines in sich geschlossenen zeitlosen religiös determinierten kulturellen Systems, das Said Essenzialisierung genannt hat. Auch seine These von der kulturellen Hegemonie kann im Alltagsdiskurs nachvollzogen werden. Hierzu werden verschiedene Strategien eingesetzt: Die Anderen werden verächtlich gemacht, ihre Lebensweisen abgewertet, eigene selbstbewusste Deutungen als Selbsttäuschungen bewertet, sie werden zu bekehren versucht sowie bemitleidet und paternalistisch umsorgt. Irritationen werden aktiv abgewehrt und ergebnisoffene Auseinandersetzungen mit ›Muslimen‹ gemieden. An der Reproduktion des ›Orients‹ bzw. ›Islam‹ als Gegenbild zum Westen wird engagiert gearbeitet. Es weist auf verschiedene Funktionen hin, die einerseits auf eigene relevante Themen und Unsicherheit im Umgang damit verweisen, aber auch auf Bestrebungen, die ›eigene‹ Lebensweise, Kultur und Religion als die bestmögliche zu präsentieren. Hierzu scheint der Vergleich mit ›den Anderen‹ besonders geeignet. Deswegen wir ihre (vermeintliche) Differenz betont und Überschneidungen sowie Interdependenzen abgewehrt. Gleichzeitig werden sie als Gegenbild benötigt, es wird ihnen – trotz massiver Kritik – nicht jede Existenzberechtigung abgesprochen. Zudem beleben und bereichern sie als exotistische Beigabe ›das Eigene‹ ohne das Machtverhältnis zu bedrohen. Die Bekehrung von ›OrientalInnen‹ und ›Muslimen‹ schmeichelt dennoch und liefert den besten Beleg dafür, ›besser‹ und ›weiter‹ zu sein. Ansatzpunkte zur Überwindung orientalisierender und antimuslimischer Stereotype, die in der empirischen Untersuchung herausgearbeitet werden konnten, beziehen sich vor allem auf die Bereitschaft, sich irritieren zu lassen, eigene Gewissheiten und Lebensweisen zu reflektieren und andere gelten zu lassen, Privilegien und Macht zu hinterfragen und abzugeben. Hierzu ist es notwendig, Vorstellungen von in sich geschlossenen Kulturen, die sich als fremde gegenüberstehen und deren Zugang zu Reichtum und Macht in sich selbst begründet liegt, ebenso fallen zu lassen wie den Glauben an die eine richtige Lebensweise und Gesellschaftsordnung – mit sich selbst als Spitze der Evolution. Dagegen scheinen gegenwärtige Bemühungen, ›den Islam‹ kennen zu lernen und zu verstehen, in keinem begründeten Zu-

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sammenhang mit dem vorliegenden empirischen Datenmaterial zu stehen. Es mag unterhaltsam sein und für TheologInnen sowie Gläubige beider Seiten interessant, sich mit religiösen Fragen zu beschäftigen. Auch gewinnt ›der Islam‹ an Bedeutung für Minderheiten als Folge ihrer Markierung als ›Muslime‹ und ihrer Ausgrenzung aus der ›westlichen‹ Gesellschaft. Es bestehen jedoch begründete Zweifel, ob und wie ›interreligiöse Dialoge‹ dazu beitragen können, einen kulturellen Rassismus zurück zu drängen. Der paternalistischen Haltung des Verstehens und Tolerierens ›des Anderen‹ ist kulturelle Selbstreflexion vorzuziehen, die an der Essenzialisierung, Dichotomisierung und Hierarchisierung von Kulturen ansetzt. Dagegen festigt ein Vorgehen, das ›das Fremde‹ verstehen will, die binäre Konstruktion. Zugleich deutet das Angebot, das ›Fremde‹ (gegebenenfalls) zu tolerieren auf die Position hin, aus der heraus ›wir‹ verstehen und tolerieren und in die ›das Fremde‹ und ›die Fremden‹ verwiesen werden: Es ist eine Position, die durch Macht und Herrschaft im Verhältnis zueinander durchdrungen ist. Verstehen und Tolerieren sind Strategien der hegemonialen Position, die ihre Macht bestätigen, indem sie in aktiver Auseinandersetzung mit ihren Grenzen diese immer wieder aufs Neue affirmieren.

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Schluss

Der Islamdiskurs in Deutschland folgt einem Verständnis von ›Kultur‹, das in Rassismus- und Ethnisierungstheorien, in cultural und postcolonial studies bereits vor geraumer Zeit als problematisch und unangemessen zurück gewiesen wurde. Es knüpft im Wesentlichen an zwei Kulturbegriffe an und synthetisiert sie: Einerseits geht der Islamdiskurs von in sich geschlossenen Kultur(kreis)en aus, andererseits wird Kultur als universelle Entwicklung mit weniger und mehr entwickelten Kulturen definiert. Im Anschluss an einen essenzialistischen Kulturbegriff werden ›der Islam‹ und ›der Westen‹ als in sich geschlossene Kulturen präsentiert. Jede Kultur wird mit Rückgriff auf ›ihre Religion‹ als Werte- und Normensystem begründet, das mit politischen und gesellschaftlichen Prozessen wenig zu tun hätte. Entsprechend werden gemeinsame oder interdependente Entwicklungen negiert. Gleichzeitig wird ›der Islam‹ – im Gegensatz zum ›Christentum‹ – als politische Religion definiert. Politische Dimensionen einer Beziehung zwischen den binär konstruierten ›Kulturkreisen‹ können so einseitig ›dem Islam‹ angelastet werden. Die essenzialisierende Präsentation von Kulturen begründet derart eine Relation zwischen ihnen, die die Berechtigung unterschiedlicher Kulturen (eine hypothetisch mögliche Konsequenz dieses Kulturbegriffs) ausschließt. Dagegen gelingt es dem Islamdiskurs mit Rückgriff auf den essenzialistischen Kulturbegriff, sich selbst als bedroht und ›den Islam‹ als Aggressor darzustellen. Die eigene politische Machtposition (sowohl in internationalen Beziehungen zwischen ›dem Westen‹ und ›der islamischen Welt‹ als auch im

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bundesdeutschen Kontext einer Mehrheitsgesellschaft mit marginalisierten ›Muslimen‹) wird ausgeblendet und umgekehrt. Mit Bezug auf den universalistischen Kulturbegriff wiederum werden ›die Kulturen‹ in einem linearen Entwicklungsmodell angeordnet. ›Der Westen‹ präsentiert sich als gerechter, vernünftiger, freier, insgesamt als fortschrittlicher, während ›der Islam‹ mit eigenen vergangenen Phasen verglichen wird (und auch diesbezüglich schlecht abschneidet). Obwohl dieser Kulturbegriff von der historischen Entwicklungsfähigkeit von Kulturen ausgeht, gesteht er positive, wünschenswerte Entwicklungen nur sich selbst zu. Die Differenz wird also auch hier – nach einer gewissen Zeit oder erfolgreicher Intervention (›Entwicklungshilfe‹, ›Integrationspolitik‹ und ›Ausländerpädagogik‹) – nicht überwunden sein werden. ›Der Westen‹ wird demnach stets bereits in einer Position sein, die ›der Islam‹ auf Grund seines ›Wesens‹ nicht erreichen kann. Die zeitliche Differenz des hierarchischen Kulturbegriffs greift damit auf die räumliche Differenz des essenzialistischen Kulturbegriffs zurück. Im Islamdiskurs findet eine Synthese dieser beiden Kulturbegriffe statt, die ansonsten wenig Anschlussfähigkeit zeigen. Dies wird möglich durch ihre Einbindung in rassistische Denk- und Argumentationsfiguren, die die konstatierte raum-zeitliche Differenz an anthropologische, ethnisierende, kulturalisierende, rassifizierende Vorstellungen knüpfen. Demnach entwickelt sich ›der Islam‹ nicht (und schon gar nicht in die richtige Richtung), weil er essenziell anders und minderwertig ist.1 Die Essenzialisierung ›des Islam‹ als ›das Andere des Westens‹ kann in kulturellen Repräsentationen und in Alltagsdiskursen nachvollzogen werden. Ihre Hervorbringung, Aneignung, Transformation und Hegemonie ist in politisch-historische Prozesse eingebunden. Sie verweisen auf die Verknüpfung von Diskursen und Macht ebenso hin wie auf ihre Funktion als konstitutives Außen.

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Obwohl beide Optionen (die der Bedürftigkeit von Entwicklung und jene ihrer Aussichtslosigkeit – nach ›westlichem‹ Maßstab und Muster) gleichermaßen von essenziellen und hierarchisch angeordneten ›Kulturen‹ ausgehen und damit bereits herabwürdigend und ignorant argumentieren, unterscheiden sie sich dennoch voneinander. Dies zeigt sich etwa in der paternalistischen, missionarischen Haltung der einen, während die anderen militärisch, aggressiv argumentieren und operieren.

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SCHLUSS

Mit Hilfe ›des Islam‹ werden eigene Werte- und Normendiskussionen derart ausgetragen, dass unerwünschte innere Diskurse ›islamisiert‹ und ausgegrenzt werden. Gleichzeitig wird die Notwendigkeit einer inneren Einheit damit begründet, dass ›das Eigene‹ bedroht werde. Damit werden sowohl internationale und nationalistische Politiken gerechtfertigt (militärische Übergriffe, Erschweren von Einbürgerung), als auch innere gegenhegemoniale Diskurse eingeordnet bzw. ausgesondert (Einverleibung oder Ausgrenzung sozialer Bewegungen). Der leere Signifikant ›Westen‹ gilt dabei als kleinster gemeinsamer Nenner, der offensichtlich in Anbetracht ›des Islam‹ groß genug ist, um eine postmoderne, plurale Gesellschaft auf eine ›Leitkultur‹ einzuschwören, die an vormoderne religiöse Topoi anknüpft und sie zu revitalisieren bestrebt ist. Dabei täuscht die im Islamdiskurs zuweilen als Religionskritik daherkommende Kulturalisierung darüber hinweg, dass hier aus genau jener Position heraus argumentiert wird, die ›den Anderen‹ vorgeworfen wird, nämlich aus einer religiösen, in diesem Falle christlichen Perspektive. Gleichzeitig beziehen sich islamkritische Diskurse auf eben jene ahistorischen, ungesellschaftlichen, undialektischen Interpretationen des Korans, die auch ihre vermeintlich ärgsten RivalInnen, die IslamistInnen, als ausschlaggebend für die einzig richtige Lesart ›des Islam‹ gelten lassen. Beide weisen die Relation und Interdependenz islamischwestlicher Diskurse und Praxen, Politiken und Prozesse zurück. Dagegen steht die Relationalität und Interdependenz von Diskursen im Mittelpunkt des bedeutungsorientierten poststrukturalistischen Kulturbegriffs. Nicht die partikulare Besonderheit ›des Westens‹ oder ›des Islam‹ interessiert (oder wird überhaupt als Möglichkeit gedacht), sondern das Beziehungsgeflecht zwischen ihnen, das hier aus gesellschaftskritischer Perspektive hegemoniale Diskurse thematisiert. Dabei gehören Kultur, Macht und Politik konstitutiv zusammen, sie sind aufeinander bezogen und verweisen aufeinander. Besonders deutlich wird dies in postkolonialen Studien analysiert. Deren theoretische Überlegungen können transformiert genutzt werden, um die spezifisch deutsche Variante des Orientalismus zu diskutieren. Die Subsumtion unterschiedlicher Minderheiten, MigrantInnen und Flüchtlinge unter das Merkmal ›Muslime‹ verweist auf den Konstruktionsprozess der Kulturalisierung. Indem üblicherweise die größte Gruppe (der im Zuge der Arbeitsmigration aus

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der Türkei Eingewanderten und ihre Nachkommen) fokussiert wird, wird die Diskriminierung von ›Türken‹ in kritischer Perspektive unter dem Aspekt der sozialen Ungleichheit und der Ethnisierung analysiert. So überzeugend und plausibel diese Studien auch sind, es bleibt ein Rest an Ungeklärtem, der häufig wieder als Kultur bezeichnet wird, die jedoch als Tradition in den privaten Bereich verwiesen wird. An diesen Rest anknüpfend, wendet sich die vorliegende Arbeit den anderen Diskurssträngen des Islamdiskurses zu, die nicht angemessen oder hinreichend in Begriffen der sozialen Ungleichheit und ökonomischen Ausbeutung gefasst werden können. Insbesondere der gegenwärtig aktuelle Topos des ›islamischen Antisemitismus‹ bietet hierzu aufschlussreiches Material. Seine Analyse gebietet sich nicht nur, weil seine Identifizierung als eines ›neuen Antisemitismus‹ Anlass zu Sorge und intensiverer Forschungs- und Interventionstätigkeit gibt, sondern auch, weil er für den bundesdeutschen Kontext besonders brisant, diskurs- und handlungsmächtig ist. Die Fokussierung der Relation zwischen Antisemitismus und Islamdiskurs in Deutschland gibt Hinweise auf die deutsche Facette des Orientalismus. Demnach ist dieser nicht nur postkolonial, sondern in besonderem Maße postnationalsozialistisch kontextualisiert. In ihm können sowohl die Interdependenz von Antisemitismus und Antiislamismus als konstitutive Außen des sich wieder deutlicher als christlich definierenden ›Westens‹ nachvollzogen als auch eine partielle Verschiebung antisemitischer Diskurse hin zu antimuslimischen beobachtet werden. Obwohl beide Diskurse in historisch unterschiedlichen Kontexten eingebettet sind, weisen sie beide auf ihre politische und gesellschaftliche Bedeutung als Othering-Strategie zur Konstituierung und Konsolidierung einer hegemonialen ›deutschen kulturellen Identität‹ hin. Darüber hinaus ist der Islamdiskurs in weitere Differenz- und Machtdiskurse verstrickt. Besonders herausragend und historisch verwurzelt ist der Geschlechterdiskurs. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich diesbezüglich unterschiedliche Motive und Argumentationen herausgebildet und transformiert, die auf die Bedeutung des Themas im eigenen Kontext hinweisen. Hinzugekommen sind neuere Diskurse, wie jener der Homophobie, sowie ethnisierende Diskurse, die soziale Ungleichheit und ökonomische Ausbeutung entpolitisieren, indem sie sie kulturalisieren. Zusammengenommen bilden die antimuslimischen Diskurse ein Set an

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SCHLUSS

Stereotypen, das ›dem Islam‹ und ›den Muslimen‹ eine Sündenbockfunktion zuweisen. Die Kulturalisierung gesellschaftlicher Missstände dient der Täter-Opfer-Umkehr: Gesellschaftliche Widersprüche werden entpolitisiert, indem sie ethnisiert werden. Damit wird der politisch-gesellschaftliche Kontext von Missständen (im Zusammenhang mit Bildung und Integration beispielsweise) entsorgt und die Ursache in der ›Kultur‹ von Eingewanderten gesucht, die zunehmend als ›muslimische‹ problematisiert wird. Darüber hinaus werden ›eigene‹ ›innere‹ Brüche, Widersprüche und Kontingenz aufzulösen versucht, indem störende Diskurse (etwa zu Antisemitismus, Homophobie oder Sexismus) gleichzeitig (verwässert) einverleibt und (dramatisierend) ausgegrenzt werden. Das hat den doppelten Effekt der Diffamierung jener Diskurse, die dem Selbstbild (als Wunschvorstellung) nicht entsprechen, sowie der Schwächung jedes einzelnen Diskurses durch Konkurrenz untereinander. Restriktive Einbürgerungspolitik etwa wird mit Hinweis auf sexistische, patriarchale und homophobe ›Muslime‹ begründet, militärische Interventionen mit der Gefahr durch ›Islamismus‹ oder ›Islam‹ legitimiert etc. Derart werden Friedens-, Frauen- und andere Bewegungen einerseits und antirassistische Forderungen und Interventionen andererseits als Interessenskonflikte präsentiert. Die herrschende Politik geht indes gestärkt aus dieser Konkurrenz hervor: als Verteidigerin ›westlich-emanzipativer‹ Werte. Die Gleichzeitigkeit marginalisierter Diskurse markiert im Kontext des Islamdiskurses zentrale gesellschaftliche Themenbereiche, mit denen sich hegemoniale, subkulturelle und marginalisierte Gruppen und Subjekte auseinandersetzen. Die Interdependenz der Diskurse und Praxen wird (immer noch) häufig zugunsten eines Hauptwiderspruchs vernachlässigt. Dies ist nicht nur identitätspolitischen Strategien oder ignoranten Selbstfixierungen geschuldet, sondern stellt auch einen Kampf um Aufmerksamkeit, Ausgleich und Räumen dar. Nicht zufällig finden Kämpfe zwischen marginalisierten Gruppen in den Nischen der Großstädte statt, in denen unterschiedliche marginalisierte Gruppen subkulturelle Orte geschaffen haben. Sie gehen mit identitätspolitischen Markierungen und Interventionen einher, die das Dilemma ›kultureller Identität‹ in marginalisierten Kontexten veranschaulichen. Der Kampf um Selbstrepräsentation und eigene Räume läuft Gefahr, die Essenzialisierung zu bestätigen und damit andere auszu-

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schließen, und zwar nicht nur jene ›Anderen‹, die in diesem Diskurs den Gegenpart bilden, sondern insbesondere auch jene ›Anderen‹, die intersektionell ausgegrenzt werden (beispielsweise homosexuelle MigrantInnen oder Schwarze Frauen). Damit wird die Struktur und Funktion hegemonialer Diskurse und Praktiken aufrechterhalten und reproduziert. Gleichzeitig jedoch finden hier alltägliche plurale und hybride Praxen statt. Indem sich die marginalisierten Diskurse in Konkurrenz und Auseinandersetzung weiter ausdifferenzieren, zersplittern und vervielfältigen sie sich – und erlauben so Überschneidungen und Überlappungen, die der Universalisierung jeder einzelnen ›kulturellen Identität‹ entgegenarbeiten und sie schwächen. Damit beugen sie Tendenzen vor, selbst zu hegemonialen Diskursen zu werden. In Berlin/Kreuzberg sind Erzieherinnen mit Kopftuch neben lesbischen Feministinnen und lesbischen feministischen bedeckten Erzieherinnen anzutreffen. Derzeit haben dort staatliche Schwimmhallen ihr Angebot probeweise auch für Gäste in ›islamischer Bademode‹ geöffnet. Diese Verschiebung des Islamdiskurses in Verbindung mit dem Geschlechterdiskurs geht mit einer Verschiebung in religiösen Kontexten einher. Ebenfalls in Berlin scheint sich gegenwärtig eine Initiative durchzusetzen, die (auch islamischen) Religionsunterricht gegenüber einem gemeinsamen überkonfessionellen, ethisch ausgerichteten Unterricht favorisiert. Der Islam wird hier wieder in ›das Eigene‹ hereingeholt, um die eigene Selbstsetzung als religiös und demokratisch nicht zu gefährden. Indem die marginalisierte Religion integriert wird, wird die Bedeutung von Religion bestätigt. Da dies nach eigenem Vorbild und Vorgaben geschieht, bedroht die Integration ›der fremden Religion‹ ›das Eigene‹ nicht. Die Islamisierung von MigrantInnen hat derart auch Effekte für ›das Eigene‹: indem die Religion fokussiert wird, werden säkulare, atheistische, areligiöse Positionierungen marginalisiert. Insofern lenkt die Konzentration auf Islam und Islamkritik in vielerlei Hinsicht von ›eigenen‹ Themen ab. Neben sozialer Ungleichheit und ökonomischer Ausbeutung, Umgang mit Nationalsozialismus und Antisemitismus, mit Kolonialismus und internationaler Arbeitsteilung, gender und queer, ist dies auch die zunehmende religiöse Selbstrepräsentation, wovon Debatten über ›Leitkultur‹ und christlicher Prägung des Grundgesetzes nur zu deutlich zeugen.

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An ha ng

Einige Zitate sollen die Breite hegemonialer Orient- und IslamBilder veranschaulichen. Sie sind chronologisch geordnet und reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Am Ende sind zwei längere Auszüge aktueller kirchlicher Argumentationen angefügt. Die Zitate sind teilweise kritischer Sekundärliteratur entnommen; dort können weitere Quellen und ihre Kontextualisierung sowie Analysen nachgelesen werden.

»Aleppo-Seife ›Sheherazade‹. Safran, Rose, Weihrauch – diese Zutaten lassen von den Geschichten aus 1001 Nacht träumen.« »Pflegeserie ›Oriental‹. Lassen Sie sich entführen in die Welt aus Tausend und einer Nacht. Die orientalische Duftkombination aus Patchouli, Jasmin und Sandelholz, Bergamotte- und Orangenöl betört Ihre Sinne.« (Waschbär – der Umweltversand, Frühjahr/Sommer 2009: 158 bzw.160). »Die säkulare Türkei wird sich wieder ärgern, wie sich ihr Land international präsentiert. Denn alle Damen außer Emine Hanim [gemeint ist Emine Erdogan, türkische First Lady, I. A.] tragen ihr Haar offen. Nicht nur die europäischen Politikergattinnen, sondern auch die jordanische Königin, Frau Assad oder die Damen vom Golf denken gar nicht daran, sich züchtig zu bedecken. In der Runde wird Emine deshalb wieder aussehen wie das Aschenputtel vom Land – ein Graus für die moderne türkische Frau.« (Jürgen Gottschlich in die tageszeitung, 9. Januar 2009). »Aber ich will keinen Muezzinruf von einem Minarett in der Nähe und weder Burka-Vermummte noch Tschador-Verhüllte auf den Straßen! Ich beharre auf einer Lebensform, die die meine ist und die in vielerlei

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Hinsicht mit der muslimischen nicht übereinstimmt. Und ich will das sagen dürfen, auch jeder Kopftuchträgerin, dass sie damit heute ein politisches Zeichen setzt und das genau weiß.« (Ralph Giordano in Erinnerungen (2008), zit. n. Brumlik 2008: 236). »Das Kopftuch ist das Zeichen, das die Frauen zu den anderen, zu Menschen zweiter Klasse macht. Als Symbol ist es eine Art ›Branding‹, vergleichbar mit dem Judenstern.« (Alice Schwarzer, Herausgeberin der Frauenzeitschrift EMMA, in einem Interview in der FAZ vom 4.7.2006; zit. n. Königseder 2008: 20). »Bei unserem Suchen nach den Wurzeln des Orientalischen Bauchtanzes mussten wir uns auch mit Wesen und Ausdruck des Tanzes an sich auseinander setzen. Wir fanden so – geradezu zwangsläufig – den Weg zum Tanz des ›primitiven Naturmenschen‹, d.h. zum Tanz an sich. Denn auch der Bauchtanz ist – im Gegensatz zu unseren abendländischen Gesellschaftstänzen – ein Tanz, der als dynamisches Geschehen einer Selbstaussage, als spontane Äußerung einer Seele aufzufassen ist.« (Dietlinde Karkutli (2006): Das Bauchtanzbuch, Reinbek: Rowohlt Taschenbuch, S. 18; laut Klappentext »Vorreiterin des Bauchtanzes in Deutschland«). »Natürlich gibt es die anderen Türken. […] Es gibt viele Türken, die in Deutschland angekommen sind, sie haben außer ihrer Herkunft mindestens zwei Dinge gemeinsam. Sie haben die deutsche Gesellschaft als ihre Gesellschaft angenommen, setzen sich mit ihr auseinander – und sie sprechen Deutsch. Sie und viele tausend andere Türken haben sich integriert […] Aber in Deutschland leben über zweieinhalb Millionen Menschen türkischer Herkunft, und die Mehrheit ist nicht diesen Weg gegangen.« »[…] das Alte Testament wie der Koran [erzählen] nur Geschichten von Blut und Gewalt […, demgegenüber ist] das Neue Testament eine Botschaft von Liebe und Hoffnung«. (Necla Kelek, Bestsellerautorin, in Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland, 2005 bzw. in Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes, 2006; zit. n. Rommelspacher 2007: 253). »Anders, als in vielen Darstellungen kolportiert, wurden die Muslimbrüder nicht vom ›Nasserismus‹ der 60er, sondern vom europäischen Faschismus der 30er Jahre inspiriert. Bis 1951 waren ihre Kampagnen nicht antikolonial, sondern antijüdisch orientiert. […] Hunger, Unterdrückung und Unterentwicklung können der Nährboden für einen Ter-

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ANHANG

rorismus der Verzweiflung sein. Beim Islamismus der al-Qaida oder der Hamas haben wir es aber nicht mit Verzweifelten zu tun, die spontan auf unmittelbare ökonomische Zwangslagen reagieren. Hier agieren Weltanschauungskrieger, Menschen mit einem rigorosen ideologischen Programm.« »Während Nazis und Islamisten sich zumindest in der lautstarken Artikulation ihres eliminatorischen Antisemitismus einig sind, ist es die extrem manichäische und somit zumindest implizite antisemitische Denkform, die das Gros der Antiglobalisierungsbewegung mit dem faschistisch orientierten Antizionismus vereint.« (Mathias Künzel, Politikwissenschaftler, in Djihad und Judenhaß (2003: 10 f. bzw. 143); vgl. kritisch Flores 2008). »Die Staats- und Glaubensordnungen des Islam und des Westens stehen sich in einer so konsequenten Gegensätzlichkeit gegenüber, dass […] im direkten Konflikt das jeweilige Überleben nur durch die jeweilige Verdrängung der Antikomponente sichergestellt werden kann.« (Hans-Peter Raddatz, Publizist und ›Islamexperte‹, in einem Interview in der Jungen Freiheit (2000), zit. n. Widmann 2008: 56) »Ein elementares Merkmal von Kulturkreisen ist die Religion.« »Kultur ist das, wofür man stirbt.« (Samuel Huntington, Politikwissenschaftler und Berater des US-Außenministerium, in Clash of Civilisations (1996; dt.: Kampf der Kulturen), zit. n. Çağlar 1997: 27 bzw. 34). »So fühlte sich Mohammed bald als Botschafter Gottes, als Prophet. Er verkündete, was Allah ihm aufgetragen hatte. Er forderte von den Arabern, sich von ihren alten Göttern abzuwenden und nur Allah ergeben zu sein. Viele strenge Regeln schrieb er ihnen im Namen Allahs vor: Beten, Fasten, Unterstützung der Armen, Pilgerfahrten. ›Mit Feuer und Schwert‹ sollten die Araber für die Verbreitung ihres neuen Glaubens sorgen. Wem es gelang, die ›Ungläubigen‹ zu Allah zu bekehren, dem stand bei seinem Tode ein herrliches Paradies offen, ein reich bewässerter, schattiger Garten, in dem ewig Frühling herrschte. […] Ist das verstaubte Geschichte, was wir hier über den Islam lernen? Sicherlich nicht. Der Islam ist eine der Weltreligionen. Es gibt inzwischen mehr als eine Milliarde Menschen, die sich zu dieser Lehre bekennen, und mehr als 1,5 Millionen von ihnen leben unter uns. Dies sind vor allem türkische Gastarbeiter und ihre Familien. Vielleicht gibt es auch in deiner Klasse Schüler oder Schülerinnen, die Moslems sind. […] Arbeitsvorschläge: 1. Überlege bitte einmal, welche Probleme ein gläubiger Anhänger des Islam haben könnte, der als Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland lebt und arbeitet. Bedenke die Vorschriften Mohammeds (Gebet,

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Feiertag)!« (Islam – die Religion der Mohammedaner, Die Reise in die Vergangenheit, westermann-Schulbuch, 1995). »Sehr anders wäre das mit den Türken. Sie gehören einem Kulturkreis an, der mit dem unseren vor und nach Prinz Eugen nichts gemein hat.« (Rudolf Augstein, Der Spiegel, 23/1993). »Die nachfolgende Geschichte ist mitten in Deutschland passiert. In Köln. Eine Frau ruft einen Notarzt. Der ist Moslem. Ihr fast tödliches Pech.« (EMMA 8/9, 1993). »Ich komme aus einem Land, wo man auf Kamelen reitet, wo man dir das Ohr abschneidet, wenn man dein Gesicht nicht mag. Es ist barbarisch, o.k., aber es ist mein Heimatland.« (Disneyfilm Aladdin (1992); zit. n. Sardar 2002: 150). »Nicht nur rassistisch oder faschistisch angehauchte Franzosen blicken mit bösen Ahnungen auf die Bildung einer massiven exotischen Bevölkerungsgruppe im eigenen Land, die weniger aufgrund ihrer maghrebinischen Merkmale als infolge ihres kompromißlosen religiösen Engagements im Sinnes des Korans weder integrierbar noch assimilierbar ist.« (Peter Scholl-Latour, Bestsellerautor und ›Nahostexperte‹, in der Fernsehserie Das Schwert des Islam (1991); zit. n. Auernheimer 1993: 122). »An einem Abend blättern die Turgutlus im Fotoalbum. Wie sehr hat sich doch ihr Leben in wenigen Jahren verändert! Das erste Bild zeigt Frau Turgutlu noch mit Schleier. Später trägt sie Kopftuch und ein langes buntes Kleid. Einige Jahre danach ist sie in europäischer Kleidung zu sehen, die ihr Mann mitgebracht hat. Heute trägt sie kurzgeschnittenes Haar und Hosen!« (Aus Anatolien nach Deutschland, Terra Erdkunde Europa, Klett-Schulbuch, 1990). »Er war ein gutaussehender Mann mit edlen arabischen Gesichtszügen und einem gewinnenden Lächeln. Er war größer als die meisten kleinwüchsigen Iraner um uns herum, und sein Charme und seine Kultiviertheit waren offensichtlich. So, hatte ich gehofft, würde Moodys Familie sein. Zias rotbraunes Haar war modisch geschnitten. Er trug einen ordentlichen, maßgeschneiderten Anzug und ein frischgebügeltes Hemd mit offenem Kragen. Und das Beste von allem, er war sauber.« (Betty Mahmoody, Bestsellerautorin, in Nicht ohne meine Tochter (1987); zit. n. Reulecke 1993: 237).

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»In diesem Volkspark sehen sie die andere Seite der Münze, das Gegenstück zum islamischen Eifer, nämlich die persische Kunst der Anpassung, des Zynismus, des hemmungslosen Individualismus und eines Profitinstinktes, wie er nur im Orient blüht.« (Peter Scholl-Latour in Allah ist mit den Standhaften (1983); zit. n. Hörner 1993 a: 74). »Ihre Wut – die Wut ländlicher Menschen, deren Fähigkeiten, Geld und Begreifen der Welt begrenzt sind – ist allumfassend. Nun haben sie eine Waffe: den Islam. Er ist ihre Art, mit der Welt abzurechnen. Er dient ihrem Schmerz, ihrem Gefühl der Unterlegenheit, ihrer gesellschaftlichen Wut und ihrem rassischen Haß.« (V.S. Naipaul, Reiseschriftsteller, in Among the Believers: An Islamic Journey (1981; dt.: Eine islamische Reise. Unter den Gläubigen), zit. N. Kabbani 1993: 214). »Wie der Kommunismus, so war auch der Islam eine antiwestliche Bewegung und zugleich eine ketzerische Abart des westlichen Glaubens; wie der Kommunismus schwang auch er ein Schwert des Geistes, gegen das mit materiellen Waffen nicht aufzukommen war.« (Arnold Joseph Toynbee, Geschichtsphilosoph, in Die Zukunft des Westens (1964); zit. n. Çağlar 1997: 71). »[…] diese gespenstischen Erscheinungen [der bedeckten Frauen, I. A.] hatten wenig Menschliches an sich. Waren es Mädchen, Mütter, Greisinnen, waren sie jung oder alt, froh oder traurig, schön oder hässlich?« (Annemarie Schwarzenbach, Journalistin und Schriftstellerin, 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts, zit. n. Ueckmann 2007: 234). »Das Erfolgsrezept für die Behandlung von Arabern liegt im beharrlichen Beobachten ihres Verhaltens. Sei immer auf der Hut. Sprich nie ein unbedachtes Wort. Paß immer auf dich und deine Begleiter auf; achte auf jeden Schritt, den sie tun; versuche herauszufinden, was unter der Oberfläche vor sich geht, versuche ihren Charakter zu lesen und ihre Vorlieben und Schwächen herauszufinden. Behalte alles, was du erfährst, für dich.« (T.E. Lawrence in Seven Pillars of Wisdom: A Triumph (1935; dt.: Die sieben Säulen der Weisheit), zit. n. Kabbani 1993: 153). »Es handelt sich darum, das Schicksal einer Kultur und zwar der einzigen, die heute auf diesem Planeten in Vollendung begriffen ist, der westeuropäisch-amerikanischen, in den noch nicht abgelaufenen Stadien zu verfolgen.« »Das Wesen aller Kultur ist Religion«. (Oswald Spengler, Geschichtsphilosoph, in Der Untergang des Abendlandes (1923), zit. n. Çağlar 1997: 59 bzw. 62).

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»Und allen denen, die eine lange Fortdauer des Friedens wünschen, sei gesagt, daß das Deutsche Reich, jetzt 40 Jahre lang seine Friedensliebe beweisend, nur einen Anlaß zum Angriffskriege haben kann, dann, wenn seine Grenzen zu enge geworden sind und wir Land haben müssen für unsere Volkszahl; wenn unser Landhunger dann nicht befriedigt wird, müßte das Schwert helfen. Not bricht Eisen. Wer uns heute dazu hilft, in Marokko ein Siedlungsgebiet für unseren Bevölkerungs-Überschuß zu bereiten und auszubauen, schafft die sicherste Gewähr dafür, daß in absehbarer Zeit die Welt vom deutschen Volke keinen Angriffskrieg zu befürchten hat.« (Heinrich Claß, in Westmarokko deutsch, München 1911, S. 29 zit. n. Gründer 1999: 196) »Das deutsche Volks-Interesse an Marokko finden wir darin, daß 1. das deutsche Volk Neuland für seinen Bevölkerungsüberschuß braucht, daß als solches Volksbesiedlungs-Gebiet nur Marokko in Betracht kommt und daß es nach maßgeblichen Urteilen hierzu geeignet ist; 2. die deutsche Flotte Stützpunkte, Kohlen- und Kabel-Stationen braucht, und daß die atlantische Küste nach maßgeblichen Urteilen hierzu sehr wohl geeignet ist; 3. daß wir, um vom Ausland unabhängig zu werden, eigenen Baumwollanbau treiben müssen, und daß Marokko sehr wohl hierzu geeignet ist; 4. daß wir, um vom Ausland unabhängig zu werden, neue Erz-Lager erwerben müssen, und daß solche in Marokko zu finden sind; 5. daß unserer Ausfuhr bei dem sich stets verengernden Weltmarkt neue Absatzgebiete bei Zeiten eröffnet werden müssen, und daß Marokko hierzu nach den vorhandenen Angängen sehr wohl in Betracht kommt.« (Heinrich Claß, Zur marokkanischen Frage, in Alldeutsche Blätter, 14. Jg., Nr. 25 vom 18. Juni 1904, zit. n. Gründer 1999: 191). »Laßt uns in christlicher Barmherzigkeit jede nur mögliche Nachsicht üben gegenüber den moralischen und geistigen Mängeln der Ägypter und alles tun, um sie auf den rechten Weg zu bringen.« (Lord Cromer, Orientwissenschaftler und Kolonialist, in Modern Egypt (1908) zit. n. Kabbani 1993: 72). »Zwischen zwei Dingen haben wir nur die Wahl: Völkerdünger wie bisher zu sein oder Völkerbeherrscher zu werden. Daß unsere Sandbüchsen in Afrika verzweifelt wenig Wert haben, wird allmählich selbst von den Kolonialschwärmern zugegeben. […] Nur die Türkei kann das Indien Deutschlands werden. […] Der Sultan muß unser Freund bleiben,

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natürlich mit dem Hintergedanken, daß wir ihn ›zum Fressen gern‹ haben. Zunächst freilich kann unsere Freundschaft völlig selbstlos sein. Wir helfen den Türken, Eisenbahnen und Häfen anzulegen. Wir suchen, eine Industrie bei ihnen zu erwecken. Wir stützen sie mit unserem Kredit. Wir liefern ihnen Schiffe und Kanonen samt den Offizieren, die ihnen das Manövrieren dieser Schiffe und das Richten dieser Geschütze beibringen. Wir leihen ihnen deutsche Beamte und deutsche Militärs, die die höchsten Stellen in der Zivil- und Militärverwaltung besetzen, zunächst natürlich zum Nutzen des türkischen Reichs. Der ›kranke Mann‹ wird gesund gemacht, so gründlich kuriert, daß er, wenn er aus dem Genesungsschlaf erwacht, nicht mehr zum Wiedererkennen ist. Man möchte meinen, er sehe ordentlich blond, blauäugig germanisch aus. Durch unsere liebende Umarmung haben wir ihm soviel deutsche Säfte einfiltriert, daß er kaum noch von einem Deutschen zu unterscheiden ist. So können und wollen wir die Erben der Türkei werden, von ihr selbst dazu eingesetzt. Wir pflegen den Erblasser getreulichst bis zu seinem Tod. Selbst nach seinem tatsächlichen Verscheiden wollen wir ihnen als einen scheinbar Lebenden behandeln. Die äußeren Formen sollen dieselben bleiben. Die Sultane sollen genauso regieren, wie der Bey von Tunis noch heute unter französischem oder der Khedive von Ägypten unter englischem Schutz regiert. Den Schein der Macht lassen wir ruhig den andern, wenn wir die Macht selbst haben. Ein reiches Erbe steht uns bevor. Die Türkei bietet unendliche Absatzgebiete für deutsche Industrie und deutsches Kapital, aber auch für landwirtschaftliche Ansiedler. Das Osmanische Volk stellt die besten Untertanen, die sich ein Staat wünschen kann.« (Welt am Sonntag vom 21.11.1898, zit. n. Gründer 1999: 210) »›Du hast recht darin, daß der Islam seine Anhänger knechtet und verdüstert, während das Christentum die Religion der Freiheit und der Liebe ist. […] Und indem du dich und dein Inneres geschildert hast, hast du mit packender Treue den denkenden Muslim überhaupt gezeichnet. Hier Licht – dort Dunkel; hier Liebe – dort Bedrückung; hier Recht – dort Unrecht; hier Freiheit – dort Knechtschaft!‹ Halef bekennt: ›Anstatt dich, wie es mein fester Wille war, zum Islam zu bekehren, habe ich mich von dir zu Isa Ben Marryam (Jesus, Mariens Sohn) führen lassen und sehe ein, daß ich dadurch geworden bin, was ich zu sein glaubte, aber doch nicht war, nämlich von ganzem Herzen glücklich!‹« (Karl May, Bei den Trümmern von Babylon (um 1890), zit. n. Hofmann/Vorbichler 1979: 34).

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»›Sie nannte ihren Mann Herr und Gebieter, während sie den ihrer (christlichen) Freundin als Gemahl bezeichnet. Das beleuchtet die Stellung des christlichen und mohammedanischen Weibes auf das vortrefflichste.‹ Zwar liebte er sie und den gemeinsamen Sohn, aber er ist hart und grausam; erst als er selbst zum Christentum innerlich bekehrt war, behandelte ›er sein Weib mit einer Zartheit und Aufmerksamkeit […], die seinem früheren Wesen ferngelegen hatte.‹« (Karl May, Sand des Verderbens (um 1890), zit. n. Hofmann/Vorbichler 1979: 163 f.). »Herrliche Städte, einst bevölkert von geschäftigen Menschen und geschmückt mit Tempeln und Gebäuden, wahre Weltwunder, sind jetzt leer und verlassen oder durch Mißwirtschaft und die Barbarei der muslimischen Weltanschauung heruntergekommen zu einem Zustand, der nicht anders ist als der der wilden Tiere, die vor ihren Toren leben. Oft habe ich sie lange betrachtet, bis mir das Herz brach.« (David Roberts, Orientmaler aus dem 19. Jahrhundert, zit. n. Kabbani 1993: 28). »Der moslemische Harem ist eine große Schule für diese ›lesbische Liebe‹; die Tribaden erkennt man meist an Besonderheiten des Äußeren und der Gesichtszüge, sie haben behaarte Wangen und hochgezogene Lippen, eine rauhe Stimme, einen ziegenbockartigen Geruch und eine lange vorstehende Klitoris mit großer Schwellfähigkeit.« (Richard Burton, Herausgeber und ›Übersetzer‹ von The Book of the Thousand Nights and a Night (1885) sowie Soldat im kolonialen Indien und Verfasser von Sach- und Reisetexten, zit. n. Kabbani 1993: 87). »Und das ist der Kayf des Arabers: Geschmack an der animalischen Existenz; der passive Genuß der reinen Sinne; die angenehme Schwüle, die träumerische Ruhe, der luftige Schloßbau, die in Asien die Stelle des tatkräftigen, intensiven, leidenschaftlichen Lebens, das in Europa herrscht, einnehmen. All das ist das Resultat einer nachgiebigen, auffällig reizbaren Natur und einer außergewöhnlichen Sensibilität der Nerven; es zeigt eine Wollust, die den nördlichen Regionen fremd ist, wo das Glück in der Ausübung von geistigen und physischen Kräften besteht.« (Richard Burton (1855), zit. n. Kabbani 1993: 89). »Die Frauen Ägyptens sind, was ihre Gefühle betrifft, von Natur aus die zügellosesten von allen Geschöpfen weiblichen Geschlechts, die Anspruch darauf erheben, als Mitglieder eines zivilisierten Landes betrachtet zu werden […] Welche Freiheit sie auch immer genießen, viele mißbrauchen sie, wie ich gehört habe; und die meisten gelten so lange als gefährlich, solange sie nicht hinter Schloß und Riegel sind […] Man

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glaubt, daß sie in der Beherrschung der Intrige einen Grad an Verschlagenheit besitzen, gegen den sich auch der achtsamste und vorsichtigste Ehemann nicht zu schützen weiß […] einige Erzählungen aus 1001 Nacht geben ein glaubwürdiges Bild von Ereignissen, die in der modernen Metropole Ägyptens nicht selten vorkommen […] Die vornehmsten Frauen nennen Dinge beim Namen und sprechen von Themen, die viele Prostituierte in unserem Land wahrscheinlich niemals erwähnen würden.« (E.W. Lane, Herausgeber und ›Übersetzer‹ der Märchen aus 1001 Nacht als Arabian Nights, die er historisch und soziologisch einrahmt; hier in Manners and Customs of the Modern Egyptians (1836), zit. n. Kabbani 1993: 86). »C-A-F-F-E-E trink nicht so viel Kaffee, nicht für Kinder ist der Türkentrank, schwächt die Nerven, macht dich blass und krank. Sei doch kein Muselmann, der das nicht lassen kann.« (Carl Gottlieb Hering, Lehrer und Komponist, Kanon um 1800, bekannt auch durch Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp und Morgen, Kinder, wird‘s was geben). »›Mit einem Wort, du musst heute in den Harem.‹ ›In den Harem? Glaubst du alter Mohrkopf, eine türkische Sklavin vor dir zu haben, die bei deinen Befehlen zittert? Oh, da irrst du dich. Europäischen Mädchen begegnet man ganz anders.‹« (Mozart, Die Entführung aus dem Serail, 1782). »Die Scham erlaubt es mir nicht, über alles zu berichten, was sich zwischen diesen Frauen und ihren Negern abspielte; soviel nur: Schahzenan sah genug, um zu wissen, daß sein Bruder nicht weniger zu bedauern war als er selbst.« (Antoine Galland, erster Herausgeber und ›Übersetzer‹ der Märchen aus 1001 Nacht in Les Milles et une nuites (1704), zit. n. Kabbani 1993: 51). »denn der Türke ist der Mann, der dich lernen wird, was di izt für gute Zeit hast und wie jämerlich undankbarkich, böslich du si wider Gott, seine Diener und deine Nächsten zugebracht, versäumet und missebrauchet hast.« (Luther, zit. n. Spohn 1993: 39). »Es gibt unter dem Himmel keine schimpflichere, grausamere und frechere Bösewichter als die Türken, welche kein Alter und Geschlecht

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schonen und ohne Barmherzigkeit Jünglinge und Greise niedermetzeln und die aus dem Schoß der Mütter noch unreife Frucht herausreißen.« (aus einer Rede des Bischofs Fabri (1536-1541), zit. n. Spohn 1993: 24). »Ein türkischer Reiter durchbohrt ein Kind mit der Lanze, ein zweiter Türke schlägt ein Neugeborenes, das er an den Beinen hält, mit dem Schwert in der Mitte auseinander, und auf einem mit spitzen Pfählen versehenen Holzzaun im Hintergrund sind aufgespießte Säuglinge zu sehen.« (aus einem fingierten Brief auf einem Propagandaflugblatt der Kirche, 16. Jahrhundert, zit. n. Spohn 1993: 23).

Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland. Eine Handreichung des Rates der EKD, herausgegeben vom Kirchenamt der Evangelischen Kirchen in Deutschland, Hannover 2006: »Auch Menschen, die vom dreieinigen Gott reden, können diese Wahrheit weder besitzen noch über sie verfügen. Sie bleiben Sünder, die darauf angewiesen sind, dass diese Wahrheit sie von Sünde und Schuld frei macht. Zu anderen Menschen – also auch Muslimen –, die von dieser Wahrheit nicht berührt sind, reden sie von dem Gott, der sündige Menschen rechtfertigt, in der Erwartung, dass Gott auch ihnen die Gewissheit ihrer Rechtfertigung durch seine Gnade schenkt. Solche Gewissheit kann weder durch Taktik noch Überredung erzwungen werden. Die christliche Gemeinde begegnet Menschen, die solche Gewissheit nicht haben, darum mit der Bitte und Einladung, sich auch mit Gott versöhnen zu lassen (vgl. 2. Kor. 5,20). Einladung und Bitten sind die Grundformen christlicher Mission, der unduldsamer Zwang fremd ist. Gott selbst offenbart sich Menschen in Liebe und nicht mit der Gewalt göttlicher Übermacht. Er begegnet Menschen werbend, indem er ihnen Zeit und Raum gibt, sein Wort zu hören und sich von seinem Geist anrühren zu lassen. Darum lässt die christliche Mission auch in der Begegnung mit Muslimen Raum zur eigenen Entscheidung für oder gegen Gottes Wahrheit. Sie vertraut darauf, dass Gottes Geist Menschen befähigt, seine Liebe von allen ihren menschlichen, von Irrtum bedrohten Darstellungen zu unterscheiden.« (16) »Die Glaubensgewissheit an den dreieinigen Gott leitet die evangelische Kirche auch, wenn sie die Begegnung mit Muslimen sucht. […] Während Christen andere Menschen zu der Anerkennung der Wahrheit des dreieinigen Gottes werbend einladen, präsentieren andere Religionen

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einen anderen Entwurf ihrer Gotteserfahrung und Gottesverehrung. Gott duldet das, indem er den Religionen, die seiner Zuwendung zu uns Menschen in Jesus Christus widersprechen, Raum und Zeit gibt, um seine Liebe kennen zu lernen. Bezeugt die evangelische Kirche diesen Gott den Menschen einer anderen Religion wie dem Islam, dann darf sie Gottes Geduld nicht durch die Anwendung von Zwang in Frage stellen. Intoleranz und Ungeduld im Reden und Handeln einer christlichen Kirche schaden der Glaubwürdigkeit der Wahrheit. Wahrhafte Toleranz gedeiht nach evangelischer Überzeugung nur im Vertrauen auf die konkrete Wahrheit Gottes, nicht durch ihre Verleugnung. Auf dieser geistlichen und geistigen Toleranz gründet die Dialogbereitschaft und Dialogfähigkeit der evangelischen Kirche mit Muslimen.« (17) »So wertvoll die Entdeckung von Gemeinsamkeiten im christlichen und muslimischen Glauben ist, so deutlich werden bei genauerer Betrachtung die Differenzen. Die Feststellung des ›Glaubens an den einen Gott‹ trägt nicht sehr weit. Der Islam geht von einem eigenen Glauben und Gottesbild aus, auch wenn er auf die Bibel und ihre Lehren verweist. Deren Darstellungen ordnet er seiner neuen Lehre unter, die weder die Trinitätslehre noch das Christusbekenntnis und die christliche Heilslehre kennt.« (18)

Glaube, Vernunft und Universität. Erinnerungen und Reflexionen. Regensburger Rede des Papstes Benedikt XVI., 2006: »Ohne sich auf Einzelheiten […] einzulassen, wendet er [Kaiser Manuel II; I.A.] sich in erstaunlich schroffer, für uns unannehmbar schroffer Form ganz einfach mit der zentralen Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt überhaupt an seinen Gesprächspartner. Er sagt: ›Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, daß er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten‹. Der Kaiser begründet, nachdem er so zugeschlagen hat, dann eingehend, warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist. Sie steht im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele.« (2) »[…] ein Scheideweg im Verständnis Gottes und so in der konkreten Verwirklichung von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar herausfordert.« (2)

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»Im Anfang war der Logos, und der Logos ist Gott, so sagt uns der Evangelist. Das Zusammentreffen der biblischen Botschaft und des griechischen Denkens war kein Zufall.« (3) »Dieses hier angedeutete Zugehen aufeinander, das sich zwischen biblischem Glauben und griechischem philosophischem Fragen vollzogen hat, ist ein nicht nur religionsgeschichtlich, sondern auch welthistorisch entscheidender Vorgang, der uns auch heute in die Pflicht nimmt. Wenn man diese Begegnung sieht, ist es nicht verwunderlich, daß das Christentum trotz seines Ursprungs und wichtiger Entfaltungen im Orient schließlich seine geschichtlich entscheidende Prägung in Europa gefunden hat. Wir können auch umgekehrt sagen: Diese Begegnung, zu der dann noch das Erbe Roms hinzutritt, hat Europa geschaffen und bleibt die Grundlage dessen, was man mit Recht Europa nennen kann.« (4) »Der Westen ist seit langem von dieser Abneigung gegen die grundlegenden Fragen seiner Vernunft bedroht und könnte damit einen großen Schaden erleiden. Mut zur Weite der Vernunft, nicht Absage an ihre Größe – das ist das Programm, mit dem eine dem biblischen Glauben verpflichtete Theologie in den Disput der Gegenwart eintritt. ›Nicht vernunftgemäß, nicht mit dem Logos handeln ist dem Wesen Gottes zuwider‹, hat Manuel II. von seinem christlichen Gottesbild her zu seinem persischen Gesprächspartner gesagt. In diesen großen Logos, in diese Weite der Vernunft laden wird beim Dialog der Kulturen unsere Gesprächspartner ein.« (6)

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Literatur

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

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DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES

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Christian Berndt, Robert Pütz (Hg.) Kulturelle Geographien Zur Beschäftigung mit Raum und Ort nach dem Cultural Turn 2007, 384 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-724-0

Gabriele Cappai, Shingo Shimada, Jürgen Straub (Hg.) Interpretative Sozialforschung und Kulturanalyse Hermeneutik und die komparative Analyse kulturellen Handelns Juli 2009, ca. 280 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN 978-3-89942-793-6

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

2009-04-30 13-30-26 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 02d9208993295920|(S.

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3) ANZ1081.p 208993295928

Kultur und soziale Praxis Antje Gunsenheimer (Hg.) Grenzen. Differenzen. Übergänge. Spannungsfelder inter- und transkultureller Kommunikation 2007, 308 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-794-3

Sabine Hess, Jana Binder, Johannes Moser (Hg.) No integration?! Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Integrationsdebatte in Europa April 2009, 246 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-890-2

Martin Sökefeld (Hg.) Aleviten in Deutschland Identitätsprozesse einer Religionsgemeinschaft in der Diaspora 2008, 250 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-822-3

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2009-04-30 13-30-26 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 02d9208993295920|(S.

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3) ANZ1081.p 208993295928

Kultur und soziale Praxis Jörg Gertel Globalisierte Nahrungskrisen Bruchzone Kairo Juli 2009, ca. 486 Seiten, kart., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1114-4

Birgit Glorius Transnationale Perspektiven Eine Studie zur Migration zwischen Polen und Deutschland 2007, 340 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-745-5

Reinhard Johler, Ansgar Thiel, Josef Schmid, Rainer Treptow (Hg.) Europa und seine Fremden Die Gestaltung kultureller Vielfalt als Herausforderung 2007, 216 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN 978-3-89942-368-6

Alexander Jungmann Jüdisches Leben in Berlin Der aktuelle Wandel in einer metropolitanen Diasporagemeinschaft 2007, 594 Seiten, kart., 41,80 €, ISBN 978-3-89942-811-7

Serhat Karakayali Gespenster der Migration Zur Genealogie illegaler Einwanderung in der Bundesrepublik Deutschland 2008, 296 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-895-7

Peter Kreuzer, Mirjam Weiberg Zwischen Bürgerkrieg und friedlicher Koexistenz Interethnische Konfliktbearbeitung in den Philippinen, Sri Lanka und Malaysia 2007, 602 Seiten, kart., 40,80 €, ISBN 978-3-89942-758-5

Karsten Kumoll Kultur, Geschichte und die Indigenisierung der Moderne Eine Analyse des Gesamtwerks von Marshall Sahlins 2007, 432 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-89942-786-8

Daniel Münster Postkoloniale Traditionen Eine Ethnografie über Dorf, Kaste undRitual in Südindien 2007, 250 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-538-3

Valentin Rauer Die öffentliche Dimension der Integration Migrationspolitische Diskurse türkischer Dachverbände in Deutschland 2007, 266 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-801-8

Hans-Walter Schmuhl (Hg.) Kulturrelativismus und Antirassismus Der Anthropologe Franz Boas (1858-1942) Juni 2009, ca. 350 Seiten, kart., inkl. Begleit-CD-ROM, ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1071-0

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

2009-04-30 13-30-26 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 02d9208993295920|(S.

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3) ANZ1081.p 208993295928