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German Pages 318 [320] Year 2012
Adrian Aebi Farahmand Die Sprache und das Schöne
Studia Linguistica Germanica
Herausgegeben von Christa Dürscheid Andreas Gardt Oskar Reichmann Stefan Sonderegger
113
De Gruyter
Adrian Aebi Farahmand
Die Sprache und das Schöne Karl Philipp Moritz’ Sprachreflexionen in Verbindung mit seiner Ästhetik
De Gruyter
Für immer und Dich
ISBN 978-3-11-028969-6 e-ISBN 978-3-11-028989-3 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalogue record for this book is available from the Library of Congress.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
„Eben so wenig wie ein Stein sich in der Luft erhalten kann, eben so wenig können wir einen Gedanken in unsrer Seele schwebend erhalten, so daß er sich zu keinem warum heruntersenken sollte, auf dem er ruhen könnte: je schwerer uns freilich der Gedanke ist, desto länger wird er auch rollen müssen, ehe er einen festen Ruhepunkt findet, und der, den er gefunden hat, wird oftmals, unter ihm einsinken, so daß er vermöge seiner ihm eigenthümlichen Schwere, sich immer tiefer herunter senken muß, bis er endlich oder niemals einen festen Grund findet, der ihn tragen kann.“ (Moritz, ZUAD, S. 78; Herv. im Orig.)
Dank Auf dem Weg zu diesem Buch, das von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel im Jahre 2010 als Dissertation angenommen wurde, haben mich viele Menschen begleitet. Das Resultat ihres Förderns und Forderns, Lobens und Kritisierens lege ich ihnen hiermit gerne vor. Und zumindest einigen von ihnen möchte ich nun auch namentlich danken. Allen voran gebührt mein Dank Prof. Dr. Annelies Häcki Buhofer (Basel), meiner geduldigen Promotionsbetreuerin, für ihre stetige Unterstützung. Prof. Dr. Wolfram Groddeck (Zürich) danke ich dafür, dass er das Zweitgutachten übernommen hat. Weiter danke ich meinen Berner Lehrern Prof. Dr. Wolfgang Proß, in dessen Vorlesung mir Karl Philipp Moritz zum ersten Mal begegnet ist, Prof. Dr. Eric Achermann (jetzt Münster) und Prof. Dr. Dr. Ernest W.B. Hess-Lüttich. Dass mir meine Berliner Zeit in lebendiger Erinnerung ist, liegt nicht zuletzt an meinen Kollegen und Freunden von der Kritischen und kommentierten Karl Philipp Moritz Ausgabe PD Dr. Christof Wingertszahn, Dr. Ute Tintemann und Dr. Claudia Sedlarz sowie an meinem Logisgeber und Freund Lars Schlotthaus. Im Word-Krisenmanagement mit Knowhow und Geduld zur Seite gestanden sind mir mein Luzerner Kollege Prof. Dr. Bruno Frischherz und lic. phil. Andreas Grossenbacher vom Deutschen Seminar Basel. Für die grosszügige finanzielle Unterstützung danke ich dem Schweizerischen Nationalfonds, insbesondere Prof. Dr. Michael J. Mihatsch, der Stiftung Weimarer Klassik, namentlich Prof. Dr. Lothar Ehrlich, sowie Prof. Dr. Wolfgang Marschall und der Dr. Joséphine de Kármán-Stiftung. Schliesslich und ganz besonders danke ich Patricia Farahmand, meiner Frau.
Inhaltsverzeichnis 1 1.1
Einleitung .............................................................................. 1 Das Verhältnis zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik bei Moritz: ein Desiderat der Moritz-Forschung.............................. 1 Moritz’ sprachwissenschaftliche Schriften ......................................... 2 Aufbau der Arbeit .................................................................................. 4
1.2 1.3 2 Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache..................... 7 2.1 Moritz als Sprachwissenschaftler im Spiegel der Rezeption ........... 9 2.1.1 Die Moritz-Forschung .......................................................................... 9 2.1.2 Die zeitgenössische Rezeption........................................................... 21 2.2 Moritz als Sprachlehrer für Laien und die Damen ......................... 32 2.3 Die Schriften zur Sprache................................................................... 51 2.3.1 Publikationsgeschichte ........................................................................ 56 2.3.2 Die Entwicklung der Sprachphilosophie ......................................... 62 2.3.2.1Zur sprachtheoretischen Situierung von Moritz’ Sprachlehre ...... 62 2.3.2.2Moritz’ Sprachphilosophie ................................................................. 65 2.3.3 Die Entwicklung der grammatischen Positionen .........................110 2.3.3.1Die Ausarbeitung der grammatischen Positionen in den frühen Schriften.....................................................................110 2.3.3.2Die Neuordnung des sprachwissenschaftlichen Werkes in den späten Schriften .....................................................................152
VIII
3
Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik .....................................................................................159
3.1 Moritz’ kunsttheoretische Theoreme..............................................159 3.2 Sprache und bildende Kunst als Abbilder der Wirklichkeit ........168 3.3 Der Ursprung ästhetischer Theoreme in der Sprachreflexion....178 3.3.1 Das in sich selbst Vollendete ...........................................................178 3.3.2 Der Begriff Gesichtspunkt ...................................................................189 3.3.3 Die bildende Nachahmung...............................................................209 3.3.3.1Zur Lautsymbolik in der Sprachphilosophie vor Charles de Brosses......................................................................212 3.3.3.2Charles de Brosses Traité de la formation méchanique des langues...........................................................................249 4
Schlusswort .........................................................................273
Literatur ............................................................................................................279 Werke von Karl Philipp Moritz......................................................................279 Werkausgaben ...................................................................................................279 Einzelwerke .......................................................................................................279 Rezensionen.......................................................................................................282 Rezensionen der Kleinen Schriften, die deutsche Sprache betreffend .....................282 Rezensionen der Deutschen Sprachlehre für die Damen: ....................................283 Quellen ...............................................................................................................283 Forschung ..........................................................................................................294 Personenregister................................................................................................307
1 Einleitung 1.1 Das Verhältnis zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik bei Moritz: ein Desiderat der Moritz-Forschung Karl Philipp Moritz ist heute immer noch in erster Linie als Autor des psychologischen Romans Anton Reiser (1785–90) präsent, in zweiter Linie als Inaugurator der klassizistischen Autonomieästhetik, deren Hauptschrift Über die bildende Nachahmung des Schönen er verfasst hat. In den vergangenen 30 Jahren hat die Forschung Moritz aber durchaus als vielfältigeren Autor wiederentdeckt: als Psychologen, Pädagogen, Moralphilosoph, Mythenforscher und auch als Sprachwissenschaftler.1 Dass aber die Sprachwissenschaft ein wichtiges, wenn nicht gar das wichtigste Anliegen von Karl Philipp Moritz war, ist bis heute kaum zur Kenntnis genommen worden.2 Die Sprachwissenschaft ist aber nicht nur die Disziplin, mit der Moritz seine schriftstellerische Karriere begann, sie begleitete ihn auch bis an sein frühes Lebensende im Jahr 1793.3 Seine Schriften zur Sprache waren bei den Zeitgenossen geschätzt und erlebten allesamt bis weit nach seinem Tod mehrere Auflagen. Dass sie schliesslich im Laufe des 19. Jahrhunderts vergessen gingen, lag am Selbstverständnis der neueren Linguistik, die ihre Begründung bei Wilhelm von Humboldt ansetzte und daher zweitweise sogar Johann Christoph Adelung aus dem Blick verlor. Nun weist die neuere Forschung einhellig auf die Notwendigkeit hin, das auf den ersten Blick heterogenen Interessensgebieten entspringende Werk Moritz’ als Ganzes zu betrachten. Die Schriften dürften nicht „voneinander isoliert werden“, mahnt etwa Albert Meier, „da sie sich wechselseitig gleichermassen bedingen wie erklären“ (Meier 2000, S. 9). Gerade die sprachwissenschaftlichen Schriften Moritz’ scheinen aber, überblickt man die Sekundärliteratur, von dieser hermeneutischen Forderung ausgeschlossen zu bleiben. Ein Grund dafür mag in der Ansicht liegen, die
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Vgl. z.B. Häcki Buhofer 1994. Vgl. zur Sekundärliteratur zu den sprachwissenschaftlichen Schriften Kap. 2.1.1 Die Sekundärliteratur legt sogar nahe, Moritz habe seine linguistischen Arbeiten für seine bedeutendste Leistung gehalten (vgl. Fricke 1990, S. 4; Knobloch 1990, S. 162). Von Moritz selber besitzen wir indes keinen Hinweis, der dies stützen würde.
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Einleitung
Grammatik läge abseits aller anderen Wissenschaften und ihre historische Untersuchung sei Historiographen der Linguistik zu überlassen. Diese ihrerseits fokussieren ihr Interesse auf das rein Grammatische. Dabei hat Clemens Knobloch bereits 1990 „den unlöslichen Zusammenhang zwischen Sprach-, Zeichen- und Kunsttheorie bei Moritz“ postuliert und dies zum „Blickwinkel“ erklärt, aus dem man die sprachwissenschaftlichen Schriften Moritz’ neu sichten müsse (Knobloch 1990, S. 153). Und Anneliese Klingenberg hat fünf Jahre später dezidiert den Einbezug des sprachwissenschaftlichen Werkes in die Moritz-Exegese gefordert. Von der „Wiederentdeckung des Sprachphilosophen Moritz“ versprach sie sich Aufschluss darüber, „wie dieser seine verschiedenen Interessen von einem geschlossenen Weltbild aus betrieb [und] die Grundprinzipien dieses Denksystems auf alle Bereiche seiner Tätigkeit anwandte“ (Klingenberg 1995, S. 32). Sie führt dafür zwei Beispiele an: Das Prinzip der bildenden Nachahmung und die Organismusidee, die beiden wichtigsten Prinzipien seiner Kunsttheorie, habe Moritz „seit 1782 in seiner Sprachtheorie“ entwickelt (Klingenberg 1995, S. 33). Daraus folgert sie: „Wer sich mit der Kenntnis der seit 1785 entstehenden kunsttheoretischen Schriften begnügt, kommt zu unzutreffenden Schlussfolgerungen über die Wurzeln, den Kontext, die Funktion dieser Ideen“ (Klingenberg 1995, S. 32f.). Diese Beobachtung Klingenbergs gab im Anschluss an meine Lizentiatsarbeit Ekphrasis und Inversion. Überlegungen zu Karl Philipp Moritz’ Aufsatz ‚Die Signatur des Schönen’ (2000) den Ausschlag für die vorliegende Dissertation. Ihre These wird geprüft, differenziert und bestätigt.
1.2
Moritz’ sprachwissenschaftliche Schriften
Zunächst will diese Arbeit aber zeigen, dass es sich bei der Werkgruppe der sprachwissenschaftlichen Schriften Moritz’ nicht bloss um eine Sammlung wissenschaftlich belangloser Einführungen in die Basisgrammatik handelt, wie die Forschung nicht müde wird zu behaupten,4 sondern zu
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Hans Joachim Schrimpf hat in seiner sonst verdienten Moritz-Monografie von 1980 das sprachwissenschaftliche Werk als „rasch zusammengeschriebenes Brotschrifttum“ abgetan (Schrimpf 1980, S. 22), ein Verdikt, das bis heute eifrig abgeschrieben wird (vgl. z.B. Ripplinger 2009, S. 129; Neumann 1990, S. III). Schrimpfs Einschätzung geht zurück auf eine Bemerkung Ludwig Geigers in der Allgemeinen Deutschen Biographie: „Fast keines dieser Bücher [scil. der frühen sprachwissenschaftlichen Texte] erhebt wissenschaftliche Ansprüche“, so schreibt Geiger, „es sind Handbücher für das große Publikum geschrieben, gedruckte Unterrichtsbriefe. Vorzüge der meisten sind: feiner Sprachsinn und eine durch-
Moritz’ sprachwissenschaftliche Schriften
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einem guten Teil um eine philosophische Ergründung von brennenden Fragen seiner Zeit: der Frage nach dem Wesen der Sprache, nach ihrem Ursprung, nach ihrem Einfluss auf das Denken und die Erfahrung. Die Auseinandersetzung mit Sprache hat bereits im 17. Jahrhundert, spätestens aber seit John Lockes Essay concerning human understanding (1690) zusätzlich zur traditionellen Grammatik eine erkenntniskritische beziehungsweise erkenntnistheoretische Funktion gewonnen. Im 18. Jahrhundert wird sie im Zusammenhang mit der entstehenden Anthropologie zu einer unverzichtbaren Disziplin bei der Suche nach einem neuen Verständnis des menschlichen Denkens. In der Mitte des Jahrhunderts vollzieht sich definitiv eine Wende hin zur Sprachforschung, was sich auch daran zeigt, dass in der Erkenntnistheorie die Auseinandersetzung mit dem Gehör an die Stelle der Untersuchungen der visuellen Wahrnehmung tritt, die vor allem im Zusammenhang mit dem von Locke in die philosophische Debatte eingeführten Molyneux-Problem standen (vgl. Gessinger 1994). Moritz’ Interesse für die Sprache ist im 18. Jahrhundert also alles andere als eine singuläre Erscheinung. Sprachwissenschaft und -philosophie waren in der Epoche der Aufklärung geradezu eine Mode, wie eine Stelle aus Michael Hissmanns Vorwort zu seiner Übersetzung von Charles de Brosses Traité de la formation méchanique des langues (1756) zeigt: „Zu einer Zeit, da die Untersuchungen über die Sprache, über ihre mechanische Bildung, über die daraus fliessende Folge ihres menschlichen Ursprungs, über die Vollkommenheit und Unvollkommenheit derselben, über ihren mehr oder weniger vorteilhaften Einfluß auf den menschlichen Geist, kurz, die Philosophie der Sprache, eine Modebeschäftigung des philosophischen Deutschlands ist – zu einer solchen Zeit dürfte die nähere Bekanntmachung des gegenwärtigen Werks diesen untersuchenden Theil unsers deutschen Publikums ziemlich willkommen seyn.“ (Hissmann 1777, unpag.)
Ulrich Ricken bestätigt diesen historischen Befund und setzt ihn in den Kontext eines allgemeinen aufklärerischen Interesses: „Man könnte das 18. Jahrhundert ein Jahrhundert der Sprachdiskussion nennen. Das Anliegen der Aufklärung, mit der Propagierung von Wissen dem Allgemeinwohl zu dienen, motiviert auch ein neues Interesse an der Sprache: Aufklärung und Erkenntnisverbreitung, das bedeutet Aufklärung durch Kommunikation, mit einem erhöhten Aktionsradius für die Sprache innerhalb neuer Strukturen und Medien einer umfassenden gesellschaftlichen Kommunikationspraxis.“ (Ricken 1989, S. 317).
aus allgemein verständliche Art der Behandlung” (Geiger 1885, S. 311). Vorbehalte gegen die Rede vom Brotschrifttum hat Knobloch (1990, S. 151f.).
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Einleitung
Hinter der Darstellung der Sprachreflexion steht in der vorliegenden Arbeit aber nicht nur ein linguistisches, sondern auch ein philologisches Interesse. Gemeinsam mit Annelies Häcki Buhofer besorge ich für die Kritischen Karl-Philipp-Moritz-Gesamtausabe (SW) die Edition der sprachwissenschaftlichen Schriften Moritz’, die dort grösstenteils zum ersten Mal seit 200 Jahren wieder einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Entsprechend fliessen Ergebnisse aus meiner diesbezüglichen Forschung in den vorliegenden Text ein.
1.3
Aufbau der Arbeit
Die Dissertation verfolgt damit also drei Ziele. Sie will in ihrem ersten Teil das sprachwissenschaftliche Werk Moritz’ darstellen (vgl. Kap. 2), um im zweiten Teil anhand von drei Beispielen zu zeigen, wie sich zentrale Begriffe und Denkfiguren aus der Kunsttheorie in der Auseinandersetzung mit Sprache herausgebildet haben (vgl. Kap. 3). Beide Teile widmen sich drittens aber auch immer wieder der philologischen Arbeit. So wird durch die Aufarbeitung der Publikationsgeschichte und durch die Offenlegung der Parallelstellen das sprachwissenschaftliche Korpus überhaupt erst gebildet. Dabei stellt sich heraus, dass die Forschung bisher von einem zum Teil falschen Bild dieses Korpus ausgegangen ist. Die Quellenrecherche für Moritz’ sprachwissenschaftliche Positionen bildet einen weiteren Kernpunkt der Arbeit. Diese Suche wird dadurch erschwert, dass Moritz nirgends offenlegt, an wem er sich orientiert oder bei welchen Texten er welche Stellen ‚entlehnt’. Wörtliche Übernahmen sind selten und erstrecken sich oft nur über einzelne Begriffe. Wir besitzen zudem so gut wie keine Handschriften oder Briefe, die hier Hinweise liefern könnten. Ein Blick in die zeitgenössische Rezeption zeigt zunächst, dass Moritz’ Schriften zur Sprache positiv besprochen, aber klar als populärwissenschaftlich eingestuft wurden. Dieser Befund resultiert aus einer Analyse der von den Rezensenten verwendeten Begriffe (vgl. Kap. 2.1.2). Ein für diese zeitgenössische wie für die moderne Einschätzung des sprachwissenschaftlichen Werks wichtiger Punkt ist deren explizite Adressierung an Laien, insbesondere „für die Damen“. Während die Forschung aus dieser Adressierung die Unwissenschaftlichkeit dieser Texte schloss, hat die zeitgenössische Rezeption sie für eher zu wissenschaftlich gehalten. Kapitel 2.2 untersucht die von der Moritzforschung angeführten Quellen für die Adressierung an die Damen und zeigt, dass die Interpretationen der Adressierung bisher zu einseitig ausgefallen sind. Der Vergleich des aufklärerischen Diskurses der Frauenbildung mit der Deutschen Sprachlehre für die Damen verdeutlicht, dass Moritz zwar typische Versatzstücke des Dis-
Aufbau der Arbeit
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kurses übernimmt, aber gerade keine typische Frauengrammatik schreibt. Das Kapitel führt darüber hinaus mit Jean-Jacques Rousseaus Botanik für Frauenzimmer. In Briefen an die Frau von L** eine bislang von der Forschung übersehene mögliche Quelle an. Moritz hat seine grammatischen und sprachphilosophischen Positionen am Beginn seiner Karriere in den Jahren 1780 und 1781 ausgearbeitet und in drei Aufsätzen über den Unterschied zwischen Akkusativ und Dativ sowie in der 1782 erschienenen Deutschen Sprachlehre für die Damen niedergeschrieben.5 In diesen Texten findet sich ein Neben- beziehungsweise Durcheinander von sprachtheoretischen und grammatischen Überlegungen. In der vorliegenden Arbeit werden die beiden Bereiche gesondert behandelt. Das Kapitel über Moritz’ Sprachphilosophie (vgl. Kap. 2.3.2) verfolgt die Entwicklung seines sprachphilosophischen Denkens von den frühen Unterhaltungen mit meinen Schülern (1780) bis zum Aufsatz Auch eine Hypothese über die Schöpfungsgeschichte Mosis (1784). Nachgezeichnet wird insbesondere die Veränderung, welche die Sprachursprungshypothese in dieser Zeit erfährt. Moritz nimmt eine grundlegende Revision seiner Ansicht von der Rolle Gottes in der Sprachentstehung vor. Ein Fokus der Darstellung in diesem Kapitel liegt auf dem Lautsymbolismus, der im zweiten Teil der Arbeit als Quelle für das Prinzip der bildenden Nachahmung erneut Thema wird (vgl. unten S. 90ff.). Das Kapitel über die Grammatik orientiert sich strukturell an der These, dass sich Moritz seine Positionen in einer Art Work in Progress zwischen 1780 und 1782 erarbeitet (vgl. Kap. 2.3.3.1) und sie dann in einer späteren Phase nur neu strukturiert hat (vgl. Kap. 2.3.3.2; vgl. Aebi 2005). Die Darstellung der ersten Phase konzentriert sich auf die Satzglied- und Kasuslehre. Hier werden bislang unberücksichtigte Quellen vorgestellt. Es wird gezeigt, wie sich auch das grammatische Denken Moritz’ aus Versatzstücken verschiedener sprachtheoretischer Strömungen zusammensetzt, die sich seit dem 17. Jahrhundert in der philosophischen Auseinandersetzung mit Sprache herausgebildet haben. Es wurde oft darauf hingewiesen, dass Beiträge zur Sprachwissenschaft, wie überhaupt viele philosophischen Texte der Aufklärungsepoche, sich nicht einem der beiden Lager des Rationalismus und Sensualismus zuordnen lassen.6 Das gilt auch für Moritz. Hier kann gezeigt werden, wie er sich innerhalb einer sensualistischen Sprachauffassung den Glauben an sprachliche oder logische Universalien erhält. Im zweiten Teil geht die Arbeit der Frage nach, inwieweit sich Theoreme aus Moritz’ Kunsttheorie bereits in der Auseinandersetzung mit Sprache herausgebildet haben. Dazu werden die wichtigsten kunsttheore-
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In diese Phase gehören auch die beiden Aufsätze über den märkischen Dialekt. Vgl. Deligne 1999, S. 118f.; Isermann 1999, S. 136f.
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Einleitung
tischen Theoreme zunächst vorgestellt (vgl. Kap. 3.1). Anschliessend wird dargelegt, wie die Sprache und die bildende Kunst als Abbilder der Wirklichkeit miteinander vergleichbar sind, was Moritz im Rahmen seiner Beschäftigung mit der Taubstummenfrage zeigt. Auch hier kann die Arbeit bislang in der Forschung übersehene Quellen nennen (vgl. Kap. 3.2). Anhand von drei Beispielen wird die These, der Ursprung zentraler kunsttheoretischer Theoreme Moritz’ liege in seinen Sprachschriften, überprüft und verifiziert. So findet sich die Quelle der für Moritz zentralen Denkfigur des in sich selbst Vollendeten in der Auseinandersetzung mit den Verba neutra (vgl. Kap. 3.3.1). Die Entwicklung des nicht minder wichtigen Begriffs Gesichtspunkt, dessen Quelle die Forschung bisher in der Perspektivenlehre angesetzt hat, wird auf die Auseinandersetzung mit der Taubstummensprache zurückgeführt (vgl. Kap. 3.3.2). Das umfangreichste Kapitel des zweiten Teils schliesslich postuliert die Überlegungen zur artikulatorischen Mimesis in Moritz’ Sprachursprungshypothese als Quelle des Prinzips der bildenden Nachahmung (vgl. Kap. 3.3.3). Die Geschichte des Lautsymbolimus, dem die artikulatorische Mimesis zuzurechnen ist, wird dazu anhand ausgewählter Positionen vorgestellt, um schliesslich in einer detaillierten Analyse von Charles de Brosses Traité de la formation méchanique des langues (1756) die unmittelbare Quelle für Moritz’ Sprachursprungshypothese zu erkennen, eine Quelle allerdings, die Moritz entgegen der Meinung der Sekundärliteratur nicht einfach übernommen, sondern in wichtigen Punkten verbessert hat. Die vorliegende Dissertation versteht sich damit als dreifachen Beitrag zur Moritzforschung: Das sprachwissenschaftliche Werk wird erstens vorgestellt und der Forschung besser zugänglich gemacht; mit dem Nachweis, dass wichtige kunsttheoretische Theoreme ihren Ursprung in Moritz’ Sprachreflexion finden, wird zweitens die These vom ganzheitlichen Denken Moritz’ gestützt und damit ein Desiderat der Forschung eingelöst; der Nachweis von Quellen schliesslich ist ein Beitrag an die Edition der sprachwissenschaftlichen Schriften und zeigt, in welchem intertextuellen Kontext Moritz künftig interpretiert werden muss.
2 Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache Um Karl Philipp Moritz’ Auseinandersetzung mit Sprache unter einen Begriff zu bringen, taugen die gängigen Kategorien nur bedingt. Sicher, er hat sich zur Grammatik des Deutschen, Italienischen und Englischen geäussert. Eine klassische (Schul-)Grammatik ist daraus jedoch nicht hervorgegangen. Seine Werke zur Sprache sind durchzogen von sprachphilosophischen Gedanken. Systematisch zusammengestellt hat er diese Überlegungen zur anthropologischen Funktion der Sprache aber nicht. Moritz war Sprach- und Stillehrer, Grammatiker, Sprachphilosoph und psycholog sowie Sprachpfleger. Aber der heutige Begriff Sprachwissenschaftler, der abstrakt genug wäre, um all diese Tätigkeiten zu umfassen, ist für einen Gelehrten aus der Zeit vor der Herausbildung der Disziplinen eher unangemessen. Zur Bezeichnung von Moritz’ Nachdenken über Sprache, das geprägt ist von einer sich über viele Gebiete erstreckenden, nach neuen Wegen suchenden – und dabei manchmal auf Abwegen trampelnden – Forscherlust, übernehme ich deshalb den von Andreas Gardt für die barocke Auseinandersetzung mit Sprache verwendeten Begriff der Sprachreflexion, der eine Klammer schliesst um sprachphilosophische, grammatische, sprachkritische und sprachdidaktische Äusserungen (vgl. Gardt 1994, S. 3). Die betreffenden Texte werde ich in ihrer Gesamtheit trotz des oben vorgebrachten Vorbehalts als sprachwissenschaftliche Werke bezeichnen und Moritz, mangels Alternative, als Sprachwissenschaftler. Den sprachwissenschaftlichen Werken nun widmet sich der folgende Teil der Arbeit. Kapitel 2.1 beschäftigt sich mit Moritz als Sprachwissenschaftler im Spiegel der Rezeption und rekapituliert zunächst, dass die Moritzforschung die sprachwissenschaftlichen Werke bis vor kurzem nicht oder nur peripher berücksichtigt hat. Ein Forschungsüberblick stellt die bisherigen Ergebnisse zusammen (vgl. Kap. 2.1.1). Während Moritz in der Forschung bislang also kaum als Sprachwissenschaftler zur Kenntnis genommen wurde, war dies zu seinen Lebzeiten anders. Die Rezensionen seiner sprachwissenschaftlichen Werke und weitere Zeugnisse zeigen, dass ihn die Zeitgenossen, vor allem in der Schaffensphase vor der Italienreise 1786, in erster Linie als Autor von Büchern zur Sprache geschätzt haben (vgl. Kapitel 2.1.2). Freilich sind diese Texte nach dem Paradigmenwechsel zur historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft im Zuge der Her-
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
ausbildung der Germanischen Philologie zu Beginn des 19. Jahrhunderts schnell in Vergessenheit geraten.7 Ein herausragendes, von den Zeitgenossen wie von der modernen Sekundärliteratur hervorgehobenes Charakteristikum der moritzschen Schriften zur Sprache ist ihre explizite und stilistische Adressierung an Laien. Gerade diese Adressierung war andererseits aber für die Geringschätzung verantwortlich, welche die Geschichtsschreibung der Linguistik und die Moritzforschung diesen Texten lange Zeit entgegenbrachte. Kapitel 2.2 untersucht diese Bewertung der Adressierung an Laien kritisch. Die anschliessende inhaltliche Darstellung der Sprachreflexionen von Karl Philipp Moritz wirft zunächst einen Blick auf die sprachtheoretischen Überzeugungen, insbesondere auf die Entwicklung der Sprachursprungshypothese (vgl. Kap. 2.3.2). Kapitel 2.3.3 will dann die Genese seines eher grammatischen Sprachdenkens veranschaulichen. Bis sich seine sprachwissenschaftlichen Überzeugungen in der Deutschen Sprachlehre für die Damen (1782) herausgebildet und gefestigt haben, vertritt und verwirft er in seit 1780 erscheinenden Aufsätzen nämlich unterschiedliche Positionen. Das hat die Forschung bisher nicht oder nicht klar genug erkannt. Man kann hier von einem Work in Progress sprechen, das sich auch in der Auseinandersetzung mit dem Publikum und den Rezensenten vollzieht. Interessant ist dabei insbesondere, wie Moritz mit den Theorieangeboten seiner Zeit umgeht, indem er etwa traditionelle rationalistische Theoreme scheinbar übernimmt, dann aber sensualistisch umdeutet (vgl Kapitel 2.3.3.1). Die Bücher zur Sprache, die nach 1782 erscheinen, sind zum grössten Teil reine Auszüge aus älteren Texten. Auch dies hat die Forschung bisher übersehen. Kapitel 2.3.3.2 stellt am Beispiel der Publikation von 1792 Vom richtigen Deutschen Ausdruck die Methode dieses Selbstplagiats vor und vertritt die These, dass sich dahinter eine publizistische Strategie verbirgt, die im Dienste einer systematischeren Darstellung der Sprachreflexionen steht. Nach dieser These hat Moritz das Ziel verfolgt, ein grammatisches und ein sprachphilosophisches Werk gesondert vorzulegen und so gewissermassen die frühe Phase der unsystematischen Sprachreflexionen hinter sich zu lassen.
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Vgl. zur Entstehung und frühen Entwicklung der sprachwissenschaftlichen Germanistik und der Germanischen Philologie Bahner & Neumann 1985 und Meves 2001.
Moritz als Sprachwissenschaftler im Spiegel der Rezeption
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Moritz als Sprachwissenschaftler im Spiegel der Rezeption 2.1.1
Die Moritz-Forschung
Selbst unter Spezialisten und Spezialistinnen sind die Schriften zur Sprache von Karl Philipp Moritz bis heute über weite Strecken unbekanntes oder doch unbestelltes Feld geblieben. Die Forschung zum Werk von Moritz oder zur Geschichte der germanistischen Sprachwissenschaft ist diesen Schriften zwar hie und da begegnet, wusste jedoch meist nicht allzu viel mit ihnen anzufangen.8 Die substantiellen Forschungsbeiträge zum Thema lassen sich denn auch an den Fingern beider Hände abzählen und die meisten davon, wie etwa die Aufsätze von Clemens Knobloch (1990) oder Annelies Häcki Buhofer (1994), sind über 15 Jahre alt. In jüngerer Zeit haben Wolfgang Rapp (2001) und Ute Tintemann (2006) in ihren Dissertationen sowie Annelies Häcki Buhofer und ich selber in Aufsätzen (Aebi 2001, 2003; Häcki Buhofer & Aebi 2009) zum Thema gearbeitet. Die Sekundärliteratur teilt sich historisch in zwei Phasen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden die moritzschen Sprachreflexionen überhaupt erst gesichtet, in Grundlinien, oft paraphrasierend dargestellt und meist eher pejorativ bewertet. Der wichtigste Text aus dieser Phase ist Friedrich Müffelmanns Dissertation von 1930. Erst um 1990 wird Moritz als Sprachwissenschaftler erneut entdeckt. Clemens Knobloch oder Annelies Häcki Buhofer weisen nun auf originelle Aspekte in der Sprachreflexion und auf deren Bedeutung für das gesamte Denken Moritz’ hin. Die allererste Wiederentdeckung von Moritz als Sprachwissenschaftler datiert allerdings in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Moritz-Forschung geht gemeinhin davon aus, dass es Ludwig Geigers Moritz-Artikel in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek von 1885 und
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Die wichtige Moritz-Monografie von Hans Joachim Schrimpf spricht von „schnell zusammengeschriebenem Brotschrifttum“ (Schrimpf 1980, S. 22) und hat weiter für die Schriften zur Sprache nicht mehr als zwei Sätze übrig. Ausführlicher und kenntnisreicher behandelt Albert Meier die Sprachwissenschaft in seinem Moritz-Buch (vgl. Meier 2000, S. 76–85). In Darstellungen der Geschichte der germanistischen Sprachwissenschaft hat Moritz meistens keinen Platz (vgl. z.B. Jellinek 1912/13 oder Gardt 1999). Ausnahmen bilden Bahner & Neumann 1985 und das von Herbert Brekle et al. herausgegebene Biobibliographische Handbuch der deutschen Sprachwissenschaft des 18. Jahrhunderts (Brekle 1992–2005, zu Moritz vgl. Eichinger 1998).
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
daraufhin Sigmund Auerbachs Neuausgabe der Bildenden Nachahmung des Schönen (1888) sowie Max Dessoirs Dissertation über Karl Philipp Moritz als Aesthetiker (1889) waren, die Moritz der Vergessenheit entrissen haben, in die er während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geraten war (vgl. Schrimpf 1980, S. 65). Tatsächlich wiederentdeckt hat Moritz allerdings der Philologe und Philosoph Heymann Steinthal, und zwar nicht den Ästhetiker, sondern den Sprachpsychologen Moritz. Für den ersten Band seiner Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft hat Steinthal einen Aufsatz mit dem Titel Carl Philipp Moritz, über die unpersönlichen Zeitwörter verfasst, damit das „Gedächtniß“ an den „erste[n] eifrige[n] und nicht unglückliche[n] Psychologe[n] C. Ph. Moritz […] ehrenvoll aufgefrischt werde“ (Steinthal 1860, S. 73). Denn, so fährt er fort, „vermuthlich weiß heute kaum der auf dem Gebiete der allgemeinen Grammatik Belesenste etwas von der Sprachphilosophie, welche der genannte Psycholog anstrebte“ (Steinthal 1860, S. 74). Moritz’ Problem sei es gewesen, in einer Zeit zu wirken, in der „die geschichtliche und vergleichende Sprachwissenschaft noch nicht geschaffen“ (Steinthal 1860, S. 74) war. Seine Reflexionen zur Sprache und Psychologie seien deshalb „unfruchtbar“ geblieben, trotz der in ihnen enthaltenen richtigen Ansätze. Solche richtigen Ansätze findet Steinthal im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Und dies ist denn auch das einzige Werk, das er für seinen Aufsatz konsultiert hat. Die eigentlichen Schriften zur Sprache scheint er nicht zu kennen. Sonst könnte er kaum behaupten, Moritz habe „nicht etwa eine philosophische Grammatik geschrieben“, sondern nur in seinem Magazin, „über mehrere der wichtigsten Gegenstände der Grammatik in einzelnen Aufsätzen gesprochen, ohne einen systematischen Zusammenhang oder auch nur Vollständigkeit zu erstreben“ (Steinthal 1860, S. 74).9 Anschliessend bespricht Steinthal Moritz’ Aufsatz über die unpersönlichen Zeitwörter (vgl. Mze, 1783, Bd. 1, St. 1, S. 92–106), der seiner Ansicht nach „selbst heute noch werthvoll, für die psychologische Analyse überhaupt aber sogar immer noch musterhaft genannt werden muß“ (Steinthal 1860, S. 74). Allerdings diagnostiziert er bei Moritz zunächst mangelndes Methodenbewusstsein. Er habe die „Sprache in psychologischer Rücksicht“ betrachten wollen – so heisst die von Moritz geschaffene Rubrik im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde – sei sich dabei aber nicht klar darüber gewesen, „ob er psychologische Untersuchungen durch Anlehnung an sprachliche Thatsachen fördern, oder ob er grammatische Probleme nach psychologischen Grundsätzen auflösen wollte“ (Steinthal 1860, S. 76). Die Ergebnisse des
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Dies hat Clemens Knobloch – wohl zurecht – zur skeptischen Bemerkung veranlasst, Steinthal habe in Moritz nur einen „prominente[n] Vorläufer“ seiner Sprachpsychologie gesucht (Knobloch 1990, S. 162).
Die Moritz-Forschung
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Aufsatzes hätten jedenfalls mehr Wert für die Psychologie als für die Grammatik . Steinthals (vorgeblicher) Versuch, den Sprachpsychologen Moritz aus der Vergessenheit zu holen, blieb in der Historiografie der Linguistik allerdings lange Zeit vergeblich. Einzig die Geschichtsschreiber des Deutschunterrichts nahmen Moritz als Sprachpädagogen in ihre Darstellungen auf. So lobt August Engelien, Moritz habe mit seiner Deutschen Sprachlehre den „erste[n] Versuch gemacht, die Grammatik für ein größeres Publikum zurechtzulegen, und zwar sogleich mit einem methodischen Geschick, mit einer Feinheit der Sprache, wie sie schwerlich in späteren Schriften dieser Art wiederzufinden“ sei (Engelien 1881, S. 60). Und Adolf Matthias erwähnt von den Sprachschriften im engeren Sinne zumindest noch die Deutsche Rechtschreibung als vernünftige Alternative zu Klopstocks Orthografiereform (vgl. Matthias 1907, S. 122). Weiter äussert er sich positiv über die Vorlesungen über den Stil (vgl. Matthias 1907, S. 147ff.) und den Deutschen Briefsteller (vgl. Matthias 1907, S. 156). 1912 widmet Georg Hinsche seine Dissertation Karl Philipp Moritz als Psychologe[n] und Agathe Lasch verwendet in ihrer berlinischen Sprachgeschichte von 1928 Moritz’ Werke zum märkischen Dialekt als Quelle für das Berlinische des späten 18. Jahrhunderts.10 Aber erst 70 Jahre nach Steinthals Aufsatz erscheint die erste Untersuchung des gesamten sprachwissenschaftlichen Werkes Moritz’: die Dissertation Karl Philipp Moritz und die deutsche Sprache. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Sprachwissenschaft im Zeitalter der Aufklärung von Friedrich Müffelmann, eines Schülers von Wolfgang Stammler in Greifswald.11 Müffelmann nennt Hugo Eybischs Anton Reiser, Untersuchungen zur Lebensgeschichte von K. Ph. Moritz und zur Kritik seiner Autobiografie (1909) als initiatorischen Text für ein „zunehmende[s] Interesse für Moritz“, dem auch seine Arbeit geschuldet ist. Steinthals Aufsatz fehlt in Müffelmanns sonst recht vollständiger Bibliografie. In einem ersten Teil untersucht Müffelmann Moritz’ Sprachursprunghypothese und kommt zum Schluss, Moritz lehne sowohl den göttlichen Sprachursprung nach Johann Peter Süssmilch als auch die empiristische Konventionalitätsthese ab (vgl. Müffelmann 1930, S. 17) und stehe „im Wesentlichen auf dem Standpunkt französischer Denker“ (Müffelmann
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Die Sprachgeschichte des Berlinischen von Joachim Schildt und Hartmut Schmidt von 1986 benutzt Moritz’ Werke zum märkischen Dialekt ebenfalls als Quelle und druckt auch Passagen aus den beiden fehlerhaften Gesprächen aus der Anweisung die gewöhnlichsten Fehler, im Reden, zu verbessern ab (vgl. Schildt & Schmidt 1986, S. 157ff.). Friedrich Müffelmann war Gymnasiallehrer in Stralsund. Der Förderverein der GerhardHauptmann-Schule Stralsund vergibt noch heute den „Dr. Müffelmann-Preis“ an Schulabgängerinnen und Schulabgänger mit besonderen schulischen Leistungen.
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1930, S. 31). Konkret nennt er Etienne Bonnot de Condillac, Jean-Jacques Rousseau und Charles de Brosses, wobei er die beiden ersteren nur aus Herders Abhandlung über den Ursprung der Sprache und aus Wundts Völkerpsychologie zu kennen scheint (vgl. Müffelmann 1930, S. 17, Anm. 7). Auf de Brosses hingegen geht er stärker ein, sieht er in dessen Traité de la formation méchanique des langues doch eine von Moritz’ Hauptquellen (vgl. Müffelmann 1930, S. 25ff.). Mit der These der „physiologisch-motorischen Nachbildung der Welt“ (Müffelmann 1930, S. 31), die er bei de Brosses habe finden können, habe Moritz das Hauptproblem der Nachahmungstheorie, dass man mit Lauten nur Klingendes nachahmen kann, lösen wollen (vgl. Müffelmann 1930, S. 23). Das ist alles gut beobachtet. Müffelmanns Analyse bleibt aber oberflächlich. Zudem unterscheidet er zu wenig klar zwischen den verschiedenen Schriften Moritz’ und stellt die möglichen Quellen verkürzt dar. Dieser Befund gilt auch für den Rest von Müffelmanns Dissertation. Moritz’ Auffassung der Aufgabe, des Wesens und der Methode der Grammatik lässt sich nach Müffelmann auf die Formel „Sprachlehre ist Denklehre“ bringen (Müffelmann 1930, S. 33). Entsprechend habe Moritz eine philosophische Grammatik aufgestellt. Er sei dabei aber nicht deduktiv von Begriffen a priori ausgegangen, sondern wie Johann Christoph Adelung „empirisch von der Sprache selbst […], aus der er wenige allgemeine Begriffe und Regeln zu gewinnen sucht, um dann alle Einzelfälle darauf zurückzuführen“ (Müffelmann 1930, S. 34). Trotz dieses empirischen Vorgehens sieht Müffelmann in den Sprachschriften aber eine „rationalistische Grundstimmung“ vorherrschen (vgl. Müffelmann 1930, S. 36). Und dieser „Hang zum Rationalisieren“, der sich im Suchen nach dem zureichenden Grund für sprachliche Phänomene wie zum Beispiel der Verbrektionen ausdrücke, habe Moritz oft zu irrigen Annahmen verleitet (vgl. Müffelmann 1930, S. 36), zumal ihm die Sprachgeschichte und der Vergleich des Deutschen mit anderen Sprachen zu mühsam gewesen sein (vgl. Müffelmann 1930, S. 37). Moritz sei unsystematisch und unwissenschaftlich vorgegangen und, so bringt Müffelmann sein Urteil auf den Punkt, „mehr Sprachlehrer als Sprachgelehrter“ gewesen (vgl. Müffelmann 1930, S. 38). In den restlichen Kapiteln stellt Müffelmann das sprachwissenschaftliche Werk Moritz’ nach Themen geordnet vor, paraphrasierend und seitenlang Wortlisten zitierend – was für eine erste Überblicksdarstellung angemessen ist – immer wieder aber auch in den zeitgenössischen Kontext einordnend. Bei der Zuweisung von Quellen macht er es sich jedoch manchmal zu leicht, zumal er als Quelle vor allem Adelungs Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache (1782) anführt und als Beleg dafür gelegentlich eine zustimmende Stelle aus der Rezension der Deutschen Sprachlehre
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von Adelung selber angibt (vgl. Müffelmann 1930, S. 120, Anm. 10).12 Die originellen Aspekte der moritzschen Grammatik bleiben hinter der wiederholt vorgetragenen Einschätzung, Moritz sei „hier also ganz von Adelung abhängig“ (vgl. etwa Müffelmann 1930, S. 120) verborgen. Insgesamt ist Müffelmanns Buch für die Moritzforschung verdienstvoll, im Detail jedoch ergänzungs- beziehungsweise korrekturbedürftig. Zwei weitere Dissertationen beschliessen diese erste Phase der Forschung, deren Verdienst es ist, die Grundlinien des moritzschen Sprachdenkens aufgezeigt zu haben. Julia Gehrig widmet in ihrer Arbeit Karl Philipp Moritz als Pädagoge (1950) einige Seiten der Deutschen Sprachlehre für die Damen sowie dem Aufsatz Vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s (1780) und versucht, anhand einzelner Passagen Moritz’ pädagogische Prinzipien darzustellen (Gehrig 1950, S. 44–56). In Moritz’ Ausführungen zu den Wörtern lehren und fragen am Ende des 11. Briefes der Deutschen Sprachlehre erkennt sie „gewissermassen das pädagogische Credo von Moritz“ (Gehrig 1950, S. 51). Liselotte Reisingers Dissertation Karl Philipp Moritz’ Sprachtheorie unter besonderer Berücksichtigung der Sprachästhetik von 1959 schliesst an Müffelmanns Arbeit an. Reisinger paraphrasiert einzelne Teile der moritzschen Sprachlehre, etwa die Lautlehre, detaillierter als ihr Vorgänger und zieht auch die Fremdsprachenlehren sowie die Stilistik und die Prosodie in ihren Überblick ein. Sie betont insbesondere die enge Verknüpfung zwischen Sprache und Denken bei Moritz (Reisinger 1959, S. 13; 81ff.). Ihre in diesem Zusammenhang gemachten Ausführungen zu Moritz’ Auseinandersetzung mit Taubstummen sind, neben Passagen über die Bedeutung des Wohllauts bei Moritz, das Ergiebigste ihrer Arbeit (Reisinger 1959, S. 83ff. [Taubstumme]; S. 137ff. [Wohllaut]). Müffelmann folgend sieht auch Reisinger Moritz’ sprachwissenschaftliche Schriften in starker Abhängigkeit von Adelung, während seine Stillehre eigenständig sei (vgl. Reisinger 1959, S. 127).
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Müffelmann schreibt: „Die Unterscheidung zwischen Beschaffenheits- und Umstandswort und zwischen Beschaffenheits- und Eigenschaftswort |120| hat Moritz […] von Adelung übernommen“ (Müffelmann 1930, S. 119f.). Als Beleg dafür gibt er die Stelle aus Adelungs Rezension der Deutschen Sprachlehre an, wo es heisst: „Unterschied der Eigenschaft und der Beschaffenheit, vollkommen richtig und ganz nach den in meinen Sprachlehren davon gegebenen Begriffen“ (Adelung 1782b, S. 134). Abgesehen davon, dass eine terminologische und inhaltliche Übereinstimmung noch keine Filiation begründet, ist Müffelmanns Argumentation hier auch deshalb unpräzis, weil sich seine Aussage stillschweigend auf zwei Werke Moritz’ beziehen: die Deutsche Sprachlehre und das Grammatische Wörterbuch der deutschen Sprache von 1793. Den Begriff Umstandswort verwendet Moritz nämlich erst im Grammatischen Wörterbuch (vgl. GW, S. 69ff.).
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In den folgenden Jahrzehnten bleiben die Forschungsbeiträge zu Moritz’ Sprachschriften weiterhin spärlich an der Zahl, werden hinsichtlich der Substanz allerdings gewichtiger. Zunächst sind hier zwei Arbeiten zu nennen, die sich gar nicht mit Moritz als Sprachwissenschaftler befassen, die Sprachschriften nicht einmal nennen, aber trotzdem die weitere Forschung grundlegend beeinflusst haben: Bengt Algot Sørensens literaturwissenschaftliche Dissertation Symbol und Symbolismus in den ästhetischen Theorien des 18. Jahrhunderts und der deutschen Romantik (1963) und Tzvetan Todorovs semiotische Studie Symboltheorien (1995 [1977]). So streift Sørensen die moritzsche Sprachphilosophie, ohne die sprachwissenschaftlichen Schriften zu konsultieren.13 Er erkennt bei Moritz eine „geistige Nähe zur naturmystischen Tradition“, etwa im Aufsatz In wie fern Kunstwerke beschrieben werden können (1788), wo es „fast paracelsisch“ (Sørensen 1963, S. 71) heisst, dass man in der Natur „das innere Wesen der Dinge in ihren äußren Formen und Gestalten lesen“ könne (Signatur, S. 581) oder im Abschnitt Die Signatur des Schönen. (bei der Betrachtung des Apollo in Belvedere.) aus den Reisen eines Deutschen in Italien (1792–1793), der schon mit dem Begriff Signatur auf Paracelsus und Böhme verweise (vgl. Sørensen 1963, S. 71). Hier wird nach Sørensen der Topos einer symbolischen Sprache der Natur „nach seiner ganzen natursymbolischen Seite hin entfaltet“ (Sørensen 1963, S. 71), wenn es heisst: „Ist nicht alles in der Natur voller Bedeutung, und ist nicht alles Zeichen von etwas Größern [sic!], das in ihm sich offenbaret? […] Lesen wir nicht in jedem kleinen Teil des Gebildeten die Spuren des Größern, das sich darin abdrückt? – Auf die Weise wird alles, was uns umgiebt, zum Zeichen; es wird bedeutend, es wird zur Sprache“ (RDI III, S. 141f.).
In dieser mystisch-symbolischen Naturauffassung sieht Sørensen die Grundlage der moritzschen Symboltheorie der Kunst (Sørensen 1963, S. 71). Sie ist in Moritz’ Werk aber, so muss ergänzt werden, zunächst eine Grundlage der Sprachphilosophie, insbesondere der Sprachursprungshypothese. Und so ist es denn auch die Sprachphilosophie, die im von Sørensen angeführten Abschnitt die eigentliche Grundlage der Ästhetik bildet. Der Abschnitt endet nämlich mit den Worten: „Da wir selbst nichts höheres, als die Sprache, besitzen, wodurch sich unsre denkende Kraft, als der edelste Theil unsers Wesens, offenbart, so stellen wir das Schöne am höchsten hinauf, wenn wir sagen, daß es gleichsam durch eine höhere Sprache zu uns redet.“ (RDI III, S. 142).
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Sørensen hat Moritz auch in seiner Anthologie Allegorie und Symbol (1972) ein Kapitel gewidmet. Sein Kommentar zu den ausgewählten ästhetischen Schriften ist aber für Moritz’ Sprachphilosophie nicht ergiebig.
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Sørensen erkennt in Moritz’ Werk jedoch auch eine der mystischsymbolischen Strömung gegenläufige Denkweise. Er verweist auf die im Anton Reiser (1785–1790) immer wiederkehrende Betonung des Wertes der gegenständlichen Wirklichkeit und die Ausfälle gegen die Verflüchtigung dieser Wirklichkeit durch mystische und idealistische Lehren (vgl. Sørensen 1963, S. 75). In einer seine quietistische Erziehung ablehnenden Reaktion habe sich seine Ästhetik der sensualistischen Ästhetik Baumgartens, Sulzers und Mendelssohns angenähert. Es sei zu einer „teilweise[n] […] Distanzierung von den symbolischen Tendenzen“ gekommen, „da diese drohten, aus der Welt der Dinge eine Welt der Zeichen zu machen und der Wirklichkeit eine traumähnlichen Charakter zu verleihen“ (Sørensen 1963, S. 75). Der Einfluss Goethes in Italien habe dieser „sehnsuchtsvoll erwünschten Bejahung der sinnlichen Wirklichkeitsfülle einen mächtigen Auftrieb“ (Sørensen 1963, S. 75) gegeben. Hier kann wiederum ergänzt werden, dass sich das beschriebene Nebeneinander von mystischer und sensualistischer Denkweise bereits in der moritzschen Sprachphilosophie findet. Auch Tzvetan Todorovs semiotische Studie zum Symbolbegriff widmet Moritz ein Kapitel. Und obwohl er Moritz’ Wegbereitung der romantischen Ästhetik (Todorov 1995, S. 143ff.) mit semiotischem Instrument untersucht, lässt auch er die moritzschen Sprachschriften unbeachtet. Das grundlegend Neue an Moritz’ Ästhetiktheorie besteht nach Todorov in einer ungewöhnlichen Umdeutung der traditionellen mimetischen Relation Kunstwerk–Natur. Anders als Ästhetiker vor ihm, verändere Moritz nämlich nicht das nachzuahmende Objekt (z.B. „die Natur“ in „die schöne Natur“), sondern das Subjekt der Relation (beziehungsweise eigentlich beide Elemente): An die Stelle des Kunstwerks als Subjekt der Nachahmung tritt der Künstler. So soll Kunst nach Moritz nicht mehr darin bestehen, dass ein Werk die Natur nachahmt, sondern dass der Künstler der Natur, letztlich dem Naturschöpfer nachahmt.14 Kunst ist damit nicht mehr Mimesis, sondern Poiesis (vgl. Todorov 1995, S. 148f.). Die Quellen dieser Neuerung sieht Todorov in Shaftesbury, Lessing und Herder (vgl. Todorov 1995, S. 149). Die zweite Innovation der moritzschen ästhetischen Theorie liegt nach Todorov in der Bestimmung des Kunstwerks als in sich selbst Vollendetem und damit in dessen Autonomisierung. Das Kunstwerk solle keinen ausser ihm selbst liegenden Nutzen haben und nichts ausser ihm selbst Liegendes bedeuten. Semiotisch gewendet führt dies zum Paradox der Aufhebung des Unterschieds zwischen Signifikant und Signifikat im
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Dass Moritz auch die Rektion des Verbs nachahmen vom Akkusativ zum Dativ wechselt, hat Todorov dabei übersehen.
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ästhetischen Zeichen: „Die Bedeutung in der Kunst ist eine gegenseitige Durchdringung von Signifikant und Signifikat: jede Distanz zwischen ihnen ist aufgehoben“ (Todorov 1995, S. 158). Nach Todorov hat Moritz damit eine neue Zeichenklasse in die ästhetische Theorie eingeführt, die sich „durch ihre Intransivität [sic!] (un[d] somit durch ein […] Verschmelzen der Gegensätze, da das Zeichen zwangsläufig transitiv ist) auszeichnet“ (Todorov 1995, S. 157). Todorov interpretiert Moritz’ Theorem vom in sich selbst vollendeten Ganzen damit wie folgt: „Ein Ding ist insofern schön, als es intransitiv ist“ (Todorov 1995, S. 151). Der todorovsche Begriff des intransitiven ästhetischen Zeichens ist für die spätere Forschung, insbesondere für die Studien von Alessandro Costazza, befruchtend gewesen. Moritz selber hat aber keinen solchen Zeichenbegriff gekannt. Es wird zu zeigen sein, dass die Figur des in sich selbst Vollendeten nicht auf einen semiotischen, sondern auf einen grammatischen Begriff zurückgeht (vgl. Kap. 3.3.1). Unbeachtet blieb in der Forschung bislang Todorovs Schluss aus der moritzschen Mimesis-Konzeption als Poiesis, wonach das Kunstwerk nun nicht mehr ein Abbild, sondern ein Diagramm der Welt sei (Todorov 1995, S. 150). Der jakobsonsche Begriff des Diagramms (vgl. Jakobson 1992 [1965], S. 85ff.), er geht wohl auf Peirce zurück, könnte sich als ergiebig erweisen, um die semiotische Relation zu beschreiben, in der nach Moritz sowohl die Sprache, als auch die bildende Kunst mit der Welt und den Zeichenbenützern stehen. Wiederum fachlinguistisch ausgerichtet sind zwei historische Arbeiten zur Syntaxtheorie um 1800 von Kjell Åke Forsgren, in welchen Moritz einen prominenten Platz einnimmt. Forsgren widerspricht hier Müffelmanns Behauptung, Moritz sei bei der Behandlung der Syntax eigenständig und vermutet als Quelle den französischen Abbé Gabriel Girard (Forsgren 1973, S. 6).15 Er verweist dabei auf die Verwendung der Termini Adjekt und Terminativ bei beiden Autoren (Forsgren 1973, S. 6; Anm. 8). Forsgren unterstreicht die Leistung Moritz’ insbesondere in der Satzgliedterminologie (Forsgren 1973, S. 121). Moritz Syntaxtheorie und -terminologie habe eine eigene Tradition begründet, die sich neben diejenige von Johann Werner Meiner und von Adelung gestellt habe (Forsgren, 1973, S. 136; Forsgren 1985, S. 33). Neben der fachlinguistischen auch eine sozialgeschichtliche Perspektive nimmt die Dissertation von Corinna Fricke (1990) ein. Sie sieht in Moritz sowohl den Praktiker als auch den Theoretiker, den Schullehrer wie
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1985 formuliert Forsgren seine These etwas vorsichtiger: „Moritz Quelle könnte, wenigsten teilweise und indirekt, G. Girard (Les vrais principes de la langue française, 1747) sein“ (Forsgren 1985, S. 33).
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den Philosophen (Fricke 1990, S. 5) und wird ihm damit besser gerecht, als viele frühere Einschätzungen. Eigentlich interessiert sie sich aber für die „Rolle der Sprache und Sprachwissenschaft bei der Formierung des Bürgertums“ (Fricke 1990, S. 13). Anders als im revolutionären Frankreich diene die Erforschung der Sprache im Deutschland der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht unmittelbar politischen Zwecken (Fricke 1990, S. 11ff.). Sprachfähigkeit werde zwar als Mittel eines bewussten politischen Handelns erkannt, hält Fricke mit Joachim Gessinger (1980, S. 5) fest, politisches Handeln sei aber nur eingeschränkt möglich. Das deutsche Bürgertum arrangiere sich mit dem Feudalsystem. Eine Folge davon sei die Resignation in die Kunst, die Klaus Reimers in seinen Studien zu Moritz’ Ästhetik feststellt (Reimers 1970). Analog dazu erkennt Fricke in der Epoche der deutschen Spätaufklärung nun auch eine „Resignation in die Sprache“, gerade bei Moritz (Fricke 1990, S. 18). In seinem Aufsatz Das Edelste in der Natur von 178616 schreibt Moritz, der einzelne Mensch könne sich über die widrige gesellschaftlichen Realität hinwegsetzen „durch den tröstenden Gedanken, daß es keinen Stand in der Welt giebt, der dem Menschen die Macht rauben könnte, die wahren Vorzüge seines Geistes zu empfinden, über die Verhältnisse der Dinge und ihren Zusammenhang Betrachtungen anzustellen, und sich mit einem einzigen Schwunge seiner Denkkraft über alles das hinwegzusetzen, was ihn hienieden einengt, quält und drückt“ (Edelste a, S. 16). Diesem Ziel, „die Vorzüge des Geistes zu empfinden, auch etwas die Gegenwart zu fliehen“, dient nun nach Fricke auch Moritz’ Deutsche Sprachlehre für die Damen (Fricke 1990, S. 19). Als Argument für diese These führt sie an, die Deutsche Sprachlehre sei „keine Anweisung zur möglichst schnellen und leichten Erlernung der Grundregeln des Deutschen wie andere Schriften von Moritz“. Die Sprachlehre tauge nicht dazu, „sich auf einen Beruf vorzubereiten oder auf den Erwerb eines Bildungspatentes“ (Fricke 1990, S. 19).17 Sprache sei für Moritz vielmehr ein „Mittel der Selbstfindung und Selbstentfaltung des Individuums“ (Fricke 1990, S. 20). Und Fricke hält fest: „Moritz’ sprachwissenschaftliches Werk zeigt also deutlich: Sprache und Sprachwissenschaft spielen eine entscheidende Rolle bei der Formierung des deutschen Bürgertums, bei der Herausbildung bürgerlicher Gesellschaftsformen und
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Der Aufsatz erschien zuerst ohne Titel in den Denkwürdigkeiten, aufgezeichnet zur Beförderung des Edlen und Schönen von 1786 und schliesslich unter dem Titel Das Edelste in der Natur 1793 in der Grossen Loge oder der Freimaurer mit Wage und Senkblei (vgl. Edelste b). Hier kann nicht widersprochen, aber korrigierend angemerkt werden, dass wohl kaum eine Sprachschrift von Moritz wirklich geeignet ist, die Grundregeln des Deutschen schnell und leicht zu erlernen.
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ihrer philosophischen Grundlagen, wie des Individualismus“ (Fricke 1990, S. 20). Fricke sieht Moritz’ Schriften zur Sprache aber auch im Dienst einer sprachlichen Bildung, die den sozialen Aufstieg und die Bewältigung des bürgerlichen Alltags ermöglicht (Fricke 1990, S. 20). Dieses Ziel verfolge Moritz mit populärwissenschaftlich und pädagogisch geprägten Sprachbetrachtungen, die er in seine Texte integriere (Fricke 1990, S. 22f.). Als Musterbeispiel für ein Werk, das sich so an eine breite Bevölkerungsschicht wende, nennt Fricke den Briefsteller von 1793. Fricke rückt die sprachwissenschaftlichen Schriften Moritz’ stärker als die frühere Sekundärliteratur in den Kontext der aufklärerischen Erforschung des Menschen. Das Erschliessen der Sprache, so folgert sie, diene Moritz dem Erschliessen des Menschen (vgl. Fricke 1990, S. 28). Wie viele vorangehende Arbeiten weist auch Fricke auf die Verquickung der Sprachund Erkenntnistheorie bei Moritz hin. Sprache und Denken stünden seiner Ansicht nach in enger Wechselbeziehung (Fricke 1990, S. 36). Das Vorbild dieser Position verortet sie in der Erkenntnistheorie Condillacs, welche den Dualismus zwischen Sprache und Denken aufhebe, der in der Erkenntnistheorie noch bis Locke vorgeherrscht habe. Fricke erkennt zwischen Moritz und Condillac „bemerkenswerte Ähnlichkeiten“ (Fricke 1990, S. 35). Die Autorin erkennt im Übrigen auch eine „Übereinstimmungen zwischen [Moritz’] Kunstkonzeption und seiner Auffassung zur Sprache“ (Fricke 1990, S. 51), untermauert ihre Beobachtung aber nicht mit Stellen aus Moritz’ Werk. Sie verweist vielmehr auf Wilhelm von Humboldt und die Ästhetik Hegels (vgl. Fricke 1990, S. 51f.). Insgesamt ist Frickes Dissertation die erste Monografie zum sprachwissenschaftlichen Werk von Karl Philipp Moritz, die diese Schriften ernst nimmt, indem sie sie in einen sozialgeschichtlichen beziehungsweise geistesgeschichtlichen Kontext setzt. Die Traditionslinien, welche die Autorin dabei zieht, mögen manchmal allerdings etwas zu gerade sein. Wichtig ist ihr weiter die Berücksichtigung des Gesamtwerkkontextes. Die Bewertung der rein linguistischen Leistung tritt dabei in den Hintergrund. Fricke stimmt hier aber grösstenteils mit der kritischen Einschätzung ihrer Vorgänger und Vorgängerinnen überein.18 Clemens Knobloch stellt die sprachwissenschaftlichen Schriften in seinem wegweisenden Aufsatz von 1990 nun vollends in den Kontext, ja sogar in den Dienst des Gesamtwerkes. Im Anschluss an die Arbeiten von Sørensen und Todorov postuliert er „den unlöslichen Zusammenhang
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Der Originaltitel der Dissertation lautete denn auch: „Karl Philipp Moritz als durchschnittlicher Sprachwissenschaftler zwischen Leibniz und Humboldt “ (Jena 1988).
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zwischen Sprach-, Zeichen- und Kunsttheorie bei Moritz“. Das sei „der Blickwinkel, aus dem man die sprachwissenschaftliche ‘Brotschreiberei’ Moritzens neu sichten“ müsse (Knobloch 1990, S. 153). Die bisherige Forschung unterzieht er einer methodologischen Kritik: Das Problem der Auseinandersetzung mit dem sprachwissenschaftlichen Werk Moritz’ ortet er in einer „historiographischen Fragmentierung“, die sich der heutigen Fächerdifferenzierung verdanke, welche es so im 18. Jahrhundert nicht gab. Moritz falle aus dem Raster der linguistischen historiografischen Frage heraus und sei deshalb zur „Projektionsfolie für die Voreingenommenheit der Historiographen“ (Knobloch 1990, S. 162) geworden. Demgegenüber schlägt Knobloch eine historiografische Methode vor, die „vorab gewissermassen das Zentralgebiet bestimmt, um das die Einzelprobleme des jeweiligen Autors kreisen“ (Knobloch 1990, S. 162; Herv. im Orig.): „Bezieht man seine [scil. des Autors] Theorien, Gedanken, Begriffe zuerst auf dieses Zentralgebiet, dann werden sie widerständiger und lassen sich nicht mehr so leicht in den Problemhorizont der Gegenwart einfügen. Jeder Historiograph sollte bemüht sein, eine solche ‚Resistenz der Quellen’ zu etablieren. Sie schützt ihn vor voreiligen Deutungen und vor der Fragmentierung eines Gegenstandes, den zumindest die Einheit der Person zusammenhält und dessen, was diese Person bewegt.“ (Knobloch 1990, S. 162)
Das Zentralgebiet der Sprachschriften Moritz’ findet Knobloch in den Vorlesungen über den Styl (1792–1794). Als ein „heimliches Thema“, das alle „sprachlich gebundenen“ Themen Moritz’ verbinde, bezeichnet Knobloch die Instrumentalität des Sprachzeichens und die Möglichkeit ihrer Überwindung (Knobloch 1990, S. 157). Gleich zu Beginn seiner Vorlesungen über den Styl behaupte Moritz programmatisch eine doppelte Einheit von Wort und Sache: „im Wort selbst, das ‚instrumentell’ auf die gemeinte Sache verweist und noch einmal in der kunstfertigen Verwendung des Wortes“ (Knobloch 1990, S. 157). Es gehört nach Knobloch zum Programm von Moritz, „dass die ursprünglich motivierte Gestalt des Sprachzeichens nach dem Durchgang durch die ‘äussere’ Zeichenrelation wieder auf einen immanenten, in sich geschlossenen und motivierten ‘Eigensinn’ zurückgeführt werde – durch den ästhetischen, kunstförmigen Umgang mit ihm“ (Knobloch 1990, S, S. 157). Dies lässt nun nach Knobloch die Deutsche Sprachlehre in einem anderen Licht erscheinen: „Was dem kritischen grammatischen Leser als mangelnde Systematik imponiert, das ist nun die einigermassen schlüssige Durchführung eines Programms, das eben nicht das der nüchtern-trockenen Sprachlehre ist, sondern gewissermassen eine ‘Vorschule der Ästhetik’.“ (Knobloch 1990, S. 157)
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Insgesamt erkennt Knobloch bei Moritz eine Aufwertung der Sprache. Die Wissenschaft von der Sprache stehe nach Moritz nicht unter derjenigen von den Sachen, sie sei „im Gegenteil die höchste, alles zusammenfassende“, „der Einheitspunkt, auf den alles Nachdenken über die diversen Gegenstände zurückführt“ (Knobloch 1990, S. 164). In den 1990er-Jahren nehmen die Publikationen zu Moritz’ sprachwissenschaftlichen Schriften zu. 1993 widmet Text und Kritik Moritz eine Doppelnummer und Hartmut Schmidt trägt darin die bekannten Fakten zur Sprachwissenschaft noch einmal zusammen (Schmidt 1993). 1994 publiziert Annelies Häcki Buhofer in der Reihe Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur einen Sammelband, der Moritz’ Werk „literaturwissenschaftlichen, linguistischen und psychologischen Lektüren“ unterziehen will. Dem Band gelingt es zwar nicht ganz, die „historiographische Fragmentierung“ des Werkes, die Knobloch an der Moritzforschung beklagt, zu überwinden; Häcki Buhofer stellt in ihrem Beitrag „Deutsche Sprachlehre für die Damen“ – Moderne und originelle Aspekte in Karl Philipp Moritz’ Grammatik und Sprachtheorie aber das „Raster der linguistischen historiografischen Frage“ (vgl. Knobloch 1990, S. 162) neu ein und unternimmt eine Rehabilitation des Sprachwissenschaftlers Moritz. Sie rückt dabei nicht nur die Adressierung von Moritz’ Sprachlehre „an die Damen“ in ein neues Licht, sondern zeigt etwa am Beispiel der Satzgliedlehre auch detaillierter als die vorherige Forschung auf, wie sich Moritz’ Grammatik und Sprachtheorie methodisch und theoretisch von Sprachlehren seiner Zeit abheben und in die Zukunft weisen. 1995 weist Hartmut Schmidt in seinem Aufsatz Karl Philipp Moritz über Sprache, Hochdeutsch, Berliner Umgangssprache und märkischen Dialekt zunächst auf die Einbettung der Sprachwissenschaft in den grösseren Zusammenhang der Psychologie und der Anthropologie bei Moritz hin, wie dieser sie in der Deutschen Sprachlehre für die Damen und im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde beschreibt (Schmidt 1995, S. 61), um anschliessend inhaltliche Berührungspunkte zwischen Moritz und Wilhelm von Humboldt zu beleuchten (Schmidt 1995, S. 62ff.). Er hält dabei fest, Moritz sei einer der ersten gewesen, der mit ungrammatischen Beispielsätzen gearbeitet habe. Neu sei auch die Technik gewesen, syntaktische Abhängigkeitsschemata durch sich verzweigende Linien abzubilden (Schmidt 1995, S. 64). Die Motivation für Moritz’ Beschäftigung mit Sprache sieht Schmidt jedoch in dessen konkreter Lebenssituation Ende der 70er Jahre: Es „scheint […] das Erleben der Sprache der preussischen Hauptstadt gewesen zu sein, das den Niedersachsen Karl Philipp Moritz zum Nachdenken über Sprache, Sprechweisen, Dialekte, Muttersprache und Schriftsprache in besonderem Masse angetrieben hat“ (Schmidt 1995, S. 66). Nun trifft es natürlich zu, dass die Kleinen Schriften die deutsche Sprache betreffend (1781) grammatische
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Kategorien behandeln, die das Berlinische abweichend von der von Moritz als Standard postulierten Varietät realisert (wie die Verwendung des Akkusativs und Dativs). Aber Moritz hat in dieser frühen Phase, in den Unterhaltungen mit meinen Schülern (1780), auch bereits seine sprachphilosophischen Anschauungen festgehalten (vgl. unten S. 70ff.). Insgesamt setzt Schmidt die Bedeutung der Kleinen Schriften zu tief an, wenn er schreibt, Moritz habe seine „einschlägigen Überzeugungen“, auch die linguistischen, erst „im Laufe der 80er Jahre voll“ ausgebildet (vgl. Schmidt 1995, S. 65). Gerade die sprachwissenschaftlichen Überzeugungen stehen zu Beginn der 80er-Jahre bereits fest (vgl. Kap. 2.3). Und die Kleinen Schriften liefern einen bedeutenden Beitrag dazu. Der rhetorischen Vermittlungsstrategie der sprachwissenschaftlichen Texte Moritz’, insbesondere der Deutschen Sprachlehre für die Damen, hat Wolfgang Rapp seine Dissertation gewidmet. Ute Tintemann nimmt Gedanken aus Rapps Arbeit in ihrer Dissertation über Moritz’ Italiänische Sprachlehre für die Deutschen wieder auf und sieht in der „Aufmerksamkeit auf die Art und Weise der Vermittlung des grammatischen Stoffes auch die Konzeption und Durchführung sprachpraktischer Werke wie der Italiänischen Sprachlehre für die Deutschen bestimmt“ (Tintemann 2006, S. 20). Tintemann wirft in ihrer Arbeit auch einen Blick auf einige Grundlinien des Sprachdenkens von Moritz, insbesondere auf die kognitive und kommunikative Sprachfunktionen. Die Aufgaben der Forschung bestehen künftig erstens in der weiteren Sicherung der Quellen und damit der Einbettung von Moritz’ Sprachreflexion in den zeitgenössischen Kontext und zweitens in der Interpretation dieser Sprachreflexionen im Kontext des moritzschen Gesamtwerkes und damit in der Einlösung dessen, was Clemens Knobloch als Desiderat formuliert hat. Zu beiden Aufgaben will die folgende Arbeit einen Beitrag leisten. 2.1.2
Die zeitgenössische Rezeption
Die Beschäftigung mit Sprache genoss in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts grosses Ansehen. Der Göttinger Philosoph Michael Hissmann bezeichnet das Nachdenken über Sprache als eine Modebeschäftigung seiner Zeit (Hissmann 1777, unpag.) und Moritz selber erkennt in der „nähern Kenntniß unserer Muttersprache“ die „Lieblings-Wissenschaft“ der Deutschen (Correspondent 1781b, unpag.; vgl. unten S. 46). Sprachwissenschaftliche Neuerscheinungen stiessen in den zahlreichen Rezensi-
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
onsorganen der Epoche deshalb auf reges Interesse.19 So erstaunt es wenig, dass Moritz’ frühe Schriften zur Sprache sogleich weit herum zur Kenntnis genommen wurden. Weit erstaunlicher ist, wie positiv die Rezensionen im Allgemeinen ausfielen. Moritz war zu dieser Zeit ja noch gänzlich unbekannt. Man lobte einerseits die leichte Verständlichkeit, andererseits die Gründlichkeit, mit der Moritz die grammatischen Themen behandle. Die eher spekulativen Stellen wurden indes in die Nähe der Sprachgrübelei gerückt. Diese zugleich wohlwollende und abwertende Einschätzung wurde zum Muster für Aussagen zu Moritz’ sprachwissenschaftlichen Schriften bis hin zur Darstellung in Schlichtegrolls Nekrolog. Der Verfasser des Nachrufs auf Moritz, Karl Gotthold Lenz, hält dort zunächst fest: „Unter allen Naturanlagen scheint er vorzüglich Genie für Sprachforschungen gehabt zu haben, und seine dahin gehörigen Schriften sind bei weitem das Beste, was von ihm für Literatur und Wissenschaft geleistet worden ist“ (zit. nach Jördens 1970 [1811], S. 878). Dieses Urteil überrascht, wird der Verstorbene doch im Übrigen recht abwertend charakterisiert. Anschliessend ergänzt jedoch eben auch Lenz: „Aber in allem diesem verführte ihn sein Hang zur Grübelei und Künstelei auch gar oft zu den seltsamsten Meinungen und Behauptungen“ (zit. nach Jördens 1970 [1811], S. 879.). An den Rezensionen der Kleinen Schriften die deutsche Sprache betreffend, mit welchen Moritz als junger Konrektor am Berliner Gymnasium zum Grauen Kloster seine publizistische Karriere 1780/81 begann, und der Deutschen Sprachlehre für die Damen von 1782 lässt sich zeigen, wie dieses doppelte Bild des Sprachwissenschaftlers Moritz entstanden ist. Die seit 1780 zunächst in Einzeldrucken erscheinenden Briefe der Kleinen Schriften die deutsche Sprache betreffend stossen in Berliner und auswärtigen Rezensionsorganen auf einige Aufmerksamkeit. Neben einfachen Anzeigen, die den Inhalt knapp zusammenfassen und meistens noch ein empfehlendes Wort des Lobes anfügen, werden die Schriften auch ausführlich und – vor allem in Friedrich Nicolais Allgemeiner Deutscher Bibliothek, dem wichtigsten Rezensionsorgan der Berliner Aufklärung – kritisch besprochen. Die Grundlagen für das doppelte Bild des Sprachwissenschaftlers Moritz werden nun bereits in der frühesten Anzeige der Briefe
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Es gab sogar Zeitschriften, die sich ausschliesslich mit Sprachwissenschaftlichem beschäftigten, zum Beispiel Adelungs Magazin für die deutsche Sprache (1782–1784), und mehrbändige Publikationen zu grammatischen, orthografischen und sprachpflegerischen Fragen, die über mehrere Jahre erschienen, etwa Johann Friedrich Heynatz’ Briefe, die deutsche Sprache betreffend (1771–1776) oder Johann Ernst Samuel Stoschs Kleine Beiträge zur nähern Kenntniss der Deutschen Sprache (1778–1782) oder Johann Christian Christoph Rüdigers Neuester Zuwachs der teutschen, fremden und allgemeinen Sprachkunde (1782–1793). Vgl. zu den Zeitschriften des 18. Jahrhunderts Habel 2007.
Die zeitgenössische Rezeption
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Vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s und des Anhangs zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s gelegt, die am 18. Dezember 1780 in Anton Friedrich Büschings Wöchentlichen Nachrichten von neuen Landcharten, geografischen, statistischen und historischen Büchern und Sachen erscheint. Büsching prägt hier die qualifizierende Begriffs-Formel, die danach, erweitert zu einem Begriffsfeld, die Moritz-Rezension bis zum Nekrolog bestimmt: Moritz’ Texte seien, so schreibt er, leicht, angenehm und gründlich. Leicht, angenehm und gründlich: Damit beschreibt Büsching sehr präzis den Charakter dieser frühen Schriften und die Begriffe werden auch auf die Deutsche Sprachlehre für die Damen noch passen. Leicht und angenehm sind seit Bernard le Bovier de Fontenelles Entretiens sur la pluralité des mondes (1686) Schlüsselwörter der populären Darstellung von Wissenschaft, insbesondere für Frauen (vgl. unten S. 36ff.). Leicht bezeichnet etwas, „[w]ozu wenig Mühe, wenig Anstrengung, wenig Überwindung erfordert wird“. So kann man sagen „[d]as ist leicht […] zu begreifen […]“, zum Beispiel bei „[e]ine[r] leichte[n] Schreibart, welche leicht zu verstehen ist“ (Adelung 1990 [1793–1801] II, Sp. 2003). Das ist bei Schriften „für solche, die keine gelehrte Sprachkenntniß besitzen“ (UAD, Titelblatt) natürlich ein Merkmal von Qualität. Dazu passt auch das Angenehme, als etwas, das „man mit Wohlgefallen hat und empfindet“ (Adelung 1990 [1793– 1801] I, Sp. 305). Allerdings steht das Adjektiv angenehm vornehmlich in Kontexten sinnlicher Erfahrung20 und mag deshalb als Attribut von wissenschaftlichen Texten eher unpassend wirken. Es erscheint aber im Kontext des aufklärerischen Wissenschaftsdiskurses durchaus angemessen in Bezug auf die adressierten Laien, von welchen, insbesondere von Frauen, Francesco Algarotti im Vorwort (Lettera al Signor di Fontenelle) seines Il Newtonianismo per le dame (11737, 21739) behauptet, sie würden es vorziehen „di sentire, che di sapere“ (Algarotti 1739a, unpag. Vorwort, S. ; Herv. A. A.). Die wissenschaftliche Seriosität der beiden Aufsätze unterstreicht Büsching aber mit dem Adjektiv gründlich. Er bezieht sich damit auf die analytische oder philosophische Herangehensweise. Adelung umschreibt gründlich mit „aus dem Grunde, mit Beziehung auf die Gründe oder ersten Bestandtheile eines Dinges; so wohl subjective als objective. […] Eine Wissenschaft gründlich verstehen, so daß man alles in derselben aus ihren ersten Gründen herleiten kann. Ein gründlicher Gelehrter. Ein gründlicher Verstand, der den ersten Gründen einer Sache nachforschet. Gründ-
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Adelung nennt als mögliche sprachliche Kontexte: „Ein angenehmer Ort. Ein angenehmer Anblick. Eine angenehme Aussicht. Eine angenehme Musik. Ein angenehmer Geruch, Geschmack. Ein angenehmer Gast. Ein angenehmes Schreiben. Ein angenehmes Geschenk“ (Adelung 1990 [1793–1801] I, Sp. 305).
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lich denken. Eine Wahrheit gründlich untersuchen. Er hat etwas Gründliches gelernet“ (Adelung 1990 [1793–1801] II, Sp. 834). Büsching, so darf angenommen werden, hat ein durchaus eigennütziges Interesse an einer solchen positiven Bewertung. Als Direktor des Gymnasiums zum Grauen Kloster wird ihm daran liegen, Lehrschriften von Autoren aus seinem Hause zu protegieren. Es erstaunt deshalb nur wenig, wenn er den jungen Konrektor in eine Linie stellt mit dessen berühmten, Grammatik treibenden Vorgängern am berlinischen und cöllnischen Gymnasium Bödiker, Frisch, Wippel und Heynatz21: „Das berlinische und cölnische Gymnasinm [sic!], welche seit 14 Jahren vereiniget sind, rühmen sich solcher und so vieler deutschen Sprachlehrer, als keine andere Schulanstalt aufweisen kann, eines Bödiker, eines Frisch, eines Wippel, und eines Heynatz. Diese Verdienste unterhält und vermehret jetzt Hr. M. Carl Philipp Moritz, Conrector der Schule des grauen Klosters, dessen leichten, angenehmen und gründlichen Briefen vom Unterschied des Accusativ’s und Dativ’s […] mit einem Anhang […] das Glück zu wünschen ist, daß sie viel zur Verbesserung der hiesigen sehr fehlerhaften Sprache beytragen mögen.“ (Büsching 1780, S. 418)
Büsching wertet die Werke als Schulschriften, wenn er schreibt, dass mit Moritz und einigen seiner Kollegen „jetzt an dem vereinigten berlinischen und cölnischen Gymnasium und desselben beyden Schulen, Lehrer stehen, die geschickt und eifrig sind, den Nutzen der studirenden Jugend zu befördern“ (Büsching 1780, S. 418). Ebenfalls noch 1780, am 20. Dezember, erscheint eine Anzeige der beiden Akkusativ-Schriften in der Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten. Der Rezensent lobt neben der Gründlichkeit und dem Nutzen für Laien die „Art der Auseinandersetzung“ mit der Materie, welche die Schrift auch für Experten interessant mache. Er wird hier nicht konkreter, dürfte aber die philosophische Auseinandersetzung meinen:
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1767 wurde das Berlinische Gymnasium mit dem Cöllnischen Gymnasium vereint und als Berlinisches Gymnasium zum Grauen Kloster fortgeführt. Johann Bödiker ist der Verfasser der 1690 erschienenen Schulgrammatik Grundsätze der Teutschen Sprache. Johann Leonhard Frisch und Johann Jacob Wippel haben Bödikers Werk mit Anmerkungen ergänzt (Bödiker 1746). Johann Friedrich Heynatz ist ein in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Berlin bekannter Grammatiker. Er war bis 1775 als Lehrer am Grauen Kloster tätig, danach Rektor des städtischen Lyceums in Frankfurt/ Oder und ausserordentlicher Professor der Beredsamkeit und der schönen Wissenschaften an der dortigen Universität. Er hat eine Deutsche Sprachlehre zum Gebrauche der Schulen (1770) und Briefe, die Deutsche Sprache betreffend (1771–76) sowie eine Lehre von der Interpunktion (1773) verfasst. Büsching war von 1766–1793 Direktor des Gymnasiums. Frisch und Wippel waren seine unmittelbaren Vorgänger als Direktoren.
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„Freylich ist dieses ein Gegenstand, der noch in keiner Deutschen Sprachlehre hinlänglich auseinander gesetzt ist. Der Verfasser hat alles, was möglich ist, geleistet, den wahren Unterschied des Accusativs und Dativs gehörig ins Licht zu stellen, so daß auch Ungelehrte, welche hierinn so oft fehlen, sich aus diesen wenigen Bogen nunmehro völlig belehren können. Was aber diese Schrift auch Sprachforschern wichtig macht, ist die Art der Auseinandersetzung dieser schweren Materie, die neuen und richtigen Bemerkungen über einige Präpositionen, und ein Vorschlag, die alten Benennungen der Kasus, mit zweckmäßigern zu vertauschen, welche von des Verfassers eigner Erfindung sind, und gewiß die Aufmerksamkeit aller Sprachkenner verdienen.“ (Correspondent 1780, unpag.)
Zwei Monate später, am 19. Februar 1781, können die Hallischen Neuen Gelehrten Zeitungen in einer Sammelrezension bereits die zweite Auflage der Schrift Vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s anzeigen, was der Rezensent als Qualitätszeugnis einschätzt. Auch er hebt die philosophische Behandlung des Themas hervor: „Es giebt schon ein gutes Vorurtheil für die erste Schrift [scil. Vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s], daß sie, ohngeachtet ihres für die meisten Leser trocknen Inhalts, binnen einem halben Jahr bereits eine neue Auflage erlebt hat, und sie verdiente diesen Beyfall, da sie wirklich ein feiner Beytrag zu einer philosophischen Grammatik ist.“ (Hallische Neue Gelehrte Zeitungen 1781, S. 117)
Gleichzeitig mit der zweiten Auflage der ersten Akkusativ-Schrift besprechen die Hallischen Neuen Gelehrten Zeitungen auch den Anhang zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s sowie die Schrift Über den märkischen Dialekt. In den Akkusativ-Schriften findet der Rezensent so viel „Deutlichkeit, Bestimmtheit und Ordnung“ in der Entwicklung der Gedanken, „daß der, welcher mit mäßiger Geduld diese Aufsätze studiert, sehr leicht die Fehler vermeiden lernen wird, die nur gar zu häufig mit den hier angegebnen Wörtern begangen werden“ (Hallische Neue Gelehrte Zeitungen 1781, S. 117). Mit der Deutlichkeit bringt der Rezensent einen neuen Begriff in die Beurteilung der moritzschen Sprachschriften. Er soll weiter unten genauer betrachtet werden (vgl. unten S. 30). Weiter erkennt der Rezensent in den „neuen aber wohl erklärten Kunstwörter[n] allerdings ein Muster einer guten Terminologie“ (Hallische Neue Gelehrte Zeitungen 1781, S. 117). Als ergänzungsbedürftig erachtet er hingegen die Behandlung des Unterschieds zwischen den Präpositionen für und vor. Was Moritz zu diesem Thema aufführe, könne „kaum streitig heissen“ (Hallische Neue Gelehrte Zeitungen 1781, S. 118). Kritischer fällt das Urteil über die Schrift zum märkischen Dialekt aus: Sie sei zwar „voll feiner Bemerkungen“, doch lasse sich gegen sie „manches einwenden“. Insbesondere wird bemerkt, dass „man schwerlich richtig über manche angebliche Fehler der Aussprache in einer Provinz
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urtheilen [wird], wenn das Gehör für eine andre gestimmt ist“ (Hallische Neue Gelehrte Zeitungen 1781, S. 119), was natürlich auf die niedersächsische Herkunft Moritz’ anspielt.22 Am selben Tag, dem 19. Februar 1781, zeigt auch Büsching in seinen Wöchentlichen Nachrichten die Schriften zum märkischen Dialekt an. Anders als seinem Kollegen von den Hallischen Neuen Gelehrten Zeitungen liegt ihm auch die Anweisung, die gewöhnlichsten Fehler, im Reden, zu verbessern vor. Büsching lobt Moritz’ Aufmerksamkeit auf das Berlinische und traut ihm zu, „daß er im Stande seyn werde, das Berlinsche Idiotikon, welches er zu sammlen angefangen hat, über mehrere Jahre in einem nicht geringen Grade der Richtigkeit und Vollständigkeit zu liefern“ (Büsching 1781a, S. 63)23. Allerdings bemerkt auch Büsching Fehler: „Vielleicht findet er, daß eines und das andere Wort von wirklich feinen Personen hiesiger Geburt, nicht so ausgesprochen wird, als er angiebt“ (Büsching 1781a, S. 63).
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Ein späterer Rezensent wird diesen Vorwurf noch expliziter formulieren, vgl. unten S. 28. Auf die hier besprochene Rezension aus den Hallischen Neuen Gelehrten Zeitungen bezieht sich Moritz übrigens dann in der Vorrede zu den Kleinen Schriften die deutsche Sprache betreffend: Er bedankt sich dort beim Verfasser und erklärt, Anregungen von ihm bereits aufgenommen zu haben (vgl. KS Vorrede, S. ). Einer Aufforderung des Rezensenten nachkommend behandelt er in den Zusätzen zu den Briefen über den Unterschied des Akkusativ’s und Dativ’s nämlich die Wendung „Ich thue etwas für mich“ (vgl. Hallische Neue Gelehrte Zeitungen 1781, S. 118 und ZUAD S. 105). Im Aufsatz Über den märkischen Dialekt spricht Moritz den „frommen Wunsch“ aus, „daß sich […], in ieder Provinz Deutschlands, einige Gelehrte finden möchten, welche es ihrer Mühe nicht für unwürdig hielten, über die Idiotismen der deutschen Sprache, in den verschiedenen Provinzen, und den Hauptstädten derselben, Bemerkungen zu sammlen, und dieselben, zum Besten unsrer Sprache bekannt zu machen, wie wir denn, auf die Art, schon ein bremisches Idiotikon [scil. Versuch eines bremisch-niedersächsischen Wörterbuchs (1767–1771), vgl. Müffelmann 1930, S. 43f.; A. A.] besitzen, und uns wundern müssen, daß wir nicht auch schon ein berlinisches oder märkisches Idiotikon haben […]“ (Märkisch, S. 11). In der Anweisung erklärt Moritz dann: „Ich habe mich hier mehr auf die fehlerhafte Aussprache gewisser Wörter eingeschränkt, als daß ich eigentliche Provinzialismen hätte bemerken wollen, woran ich aber demohngeachtet gegenwärtig sammle, um, mit der Zeit, ein vollständiges märkisches Idiotikon liefern zu können“ (Anweisung, S. 5). Auf diese Stelle bezieht sich Büsching hier. Den Wunsch nach einem berlinischen Idiotikon verbindet Moritz übrigens mit der wissenschaftspolitischen Forderungen nach einer Akademie der deutschen Sprache: „[…] aber freilich müßten die Gelehrten, welche sich mit dieser Art von Beobachtungen beschäftigen sollten“, so schreibt er, „auch Ehre und Aufmunterung finden, und da kommen wir den wieder auf den Wunsch zurück, daß es eine solche Gesellschaft von Gelehrten geben möchte, wovon ich Ihnen schon vorher geschrieben habe, welche hinlänglich unterstützt würden, um eine eigne Akademie der deutschen Sprache auszumachen, und, durch Preisaufgaben und Belohnungen, den Enthusiasmus für die Ausbildung unsrer Sprache immer mehr verbreiten zu können“ (Märkisch, S. 11). 1791 wird Moritz dann an der Gründung einer solchen Gesellschaft beteiligt sein, der Deputation für deutsche Sprache innerhalb der Königlich-preussischen Akademie der Wissenschaften. Ein Berlinisches Idiotikon hat Moritz hingegen nicht verfasst.
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Der Rezensent der Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten bespricht die Anweisung weniger tadelnd und erachtet sie als nützlich auch über die Mark hinaus (vgl. Correspondent 1781a). Die umfangreichste und zumindest für die Arbeiten zum märkischen Dialekt kritischste Rezension der frühen Schriften erscheint anonym in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek. Bei den Akkusativ-Schriften hebt der Rezensent wieder die „Gründlichkeit und Deutlichkeit“ hervor, „womit der V. schreibt“. Dies mache es auch für „Ungelehrte sichtbar“, wo man den Akkusativ und wo den Dativ setzen muss. Beispiele würden das Ganze fasslich machen. Probleme mit der korrekten Kasus-Setzung sieht der Rezensent weit verbreitet. Allerdings offenbar nicht in Berlin oder der Mark, dessen Sprachgemeinschaften Moritz bei der Abfassung dieser Schriften vor Augen gehabt hat, sondern in Niedersachsen: „Wir haben diese wenigen Bogen, mit vielem Vergnügen gelesen, und sie verdienen in der That, von allen Niedersachsen, welche vor andern in dem Gebrauche des Accusativs und Dativs zu fehlen pflegen, mit Aufmerksamkeit gelesen zu werden: ja die Oberdeutschen selbst, die sich darin fehlerfrey zu seyn rühmen, werden doch manches finden, was zu ihrem Unterrichte dienen kann, und wenigstens die Ursachen lernen können, warum in einem Falle der Dativ, in einem andern der Accusativ erfordert wird.“ (ADB 1781a, S. 551)
Anschliessend fasst der Rezensent die drei Briefe der ersten AkkusativSchrift und den Anhang zusammen und muntert Moritz auf, „künftig nach seinen richtigen Grundsätzen, auch in Ansehung einiger zweifelhaften Wörter, die Frage [zu] entscheiden, ob sie den Dativ oder Accusativ erfodern [sic!]“ (ADB 1781a, S. 552). Für den vom Rezensenten unter anderen genannten Zweifelsfall „liebkosen“ wird Moritz diesen Wunsch in den Zusätzen zu den Briefen über den Unterschied des Akkusativ’s und Dativ’s erfüllen (vgl. ZUAD, S. 26; vgl. auch S. 182). Die Schrift Über den märkischen Dialekt beurteilt der Rezensent der Allgemeinen Deutschen Bibliothek kritischer. Moritz verwechsle den märkischen Dialekt mit dem Berlinischen, lautet der erste Vorbehalt. Und er ordne gewisse Phänomene ausschliesslich dem Märkischen zu, die auch in anderen Dialekten vorkämen: „Von dieser Schrift [scil. Über den märkischen Dialekt], können wir nicht so vortheilhaft urtheilen, als von der vorhergehenden. Der V. scheint nicht nur den Märkischen Dialekt, mit der Berlinischen gemeinen Volkssprache zu verwechseln; sondern auch manches zum Märkischen Dialekt zu rechnen, was doch eben sowohl in anderen Provinzen von Deutschland, und zwar oft noch häufiger als in der Mark, gebräuchlich ist.“ (ADB 1781b, S. 553)
Der Rezensent unterscheidet weiter eine märkische Umgangssprache von der deutschen Hochsprache, die auch in der Mark „in öffentlichen Reden“ gut gesprochen werde. Und er wirft Moritz vor, als Hannoveraner den
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märkischen Dialekt beziehungsweise das Berlinische schlecht zu kennen und falsch zu beurteilen: „Darinn hat Hr. M. ganz recht, daß der Märker, im gemeinen Umgange, nicht rein Hochdeutsch spricht, sondern viel Niederdeutsch mit untermenget; allein im gemeinen Umgange, will er auch nicht rein Hochdeutsch sprechen, sondern er redet die Volkssprache seines Landes, die unter dem gebildeteren Thei|554|le, dem Hochdeutschen; unter dem gemeinen Volke, dem Niederdeutschen näher kommt. In öffentlichen Reden aber, oder auch in anderen Fällen wo es erfordert wird, wird er, wie der V. 18 S. [sic!] selbst gestehet, rein Hochdeutsch, und gewiß eben so rein sprechen, als irgend jemand in Hannover und Braunschweig, wo nach der Meynung des V. das Hochdeutsche reiner und besser soll gesprochen werden. Dies ist eine Grille des V. welcher aus dem Hannöverschen gebürtig ist, und dem daher die Abweichungen in seiner vaterländischen Provinz nicht so auffallen als in einer fremden; es ist aber zugleich ein Beweis, wie wenig er beobachtet hat, und daß ihm sein eigener Hannöverscher Dialekt, Volkssprache und Pöbelsprache so wenig hinlänglich bekannt ist, als die Märkische.“ (ADB 1781b, S. 553f.)
Schliesslich weisst er Moritz Fehler nach, zum Beispiel bei der Darstellung der Aussprache des g: „In Ansehung der Aussprache des g, thut Hr. M. den Märkern unrecht, wenn er 20 S. [sic!] so allgemein behauptet, daß es auch von dem verfeinerten Theile beständig mit j verwechselt werde. Es kann seyn, daß er diese Aussprache von einigen in Berlin gehöret hat, wo wegen der Vermischung mit so vielen Ausländern, die ächte Märkische Mundart, nicht durchgängig mehr gefunden wird; wäre er aber in den verschiedenen Provinzen der Mark gewesen, so würde er wahrgenommen haben, daß man den Laut des g und j, noch immer unterscheidet, so wie es auch in dem benachbarten Pommern geschieht; nämlich man spricht das g, als einen Mittellaut zwischen den ch und j, doch nicht wie im Hochdeutschen, wo das g, sich mehr dem k nähert, und wie das französische g, vor a, o, u lautet, sondern wie im Holländischen und überhaupt im Niederdeutschen, wo es dem ch näher kommt, aber doch viel weicher ist.“ (ADB 1781b, S. 554)
Generell beurteilt der Rezensent Moritz’ Aussagen in Über den märkischen Dialekt als „theils zu allgemein, theils schwankend, theils falsch“. Moritz rechne „manches zum Märkischen Dialekt, was eigentlich bloß Provinzialsprache ist, oder wohl gar in die niedrige Sprachart des gemeinen Pöbels gehöret“ (ADB 1781b, S. 556). Noch stärker ins Gericht geht der Rezensent der Allgemeinen Deutschen Bibliothek mit dem Anhang. Er enthalte „eitel gesammlete Sprachfehler; wovon aber nicht der zehnte Theil, den Märkern besonders eigen ist, und welche eben sowohl in verschiedenen andern Landschaften gehöret werden“ (ADB 1781b, S. 556). Und er hält Moritz vor, den märkischen Dialekt zu schlecht zu kennen, um darüber schreiben zu können (vgl. ADB
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1781b, S. 556). Zu den beiden fehlerhaften Gesprächen, die den Anhang beschliessen, meint er: „So wie er, seine Herren und Damen reden läßt, spricht kein Mensch in Deutschland, noch viel weniger in der Mark. Er hat nur Sprachfehler zusammen gehäuft, deren Unrichtigkeit ein jeder, welcher die geringste Sprachkenntniß besitzt, schon selber einsiehet, und wenn er glaubt, durch die Zusam|557|menhäufung derselben, das Auffallende desto mehr ins Licht zu stellen, so möchte er seinen Zweck wohl nicht erreichen; denn wem sie sonst nicht auffallend sind, werden sie dadurch gewiß nicht auffallend werden.“ (ADB 1781b, S. 556f.)
Die Rezensionen und Anzeigen der Kleinen Schriften die Deutsche Sprache betreffend gehen vor allem noch lobend auf die Zusätze zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s ein, die in dieser Sammlung zu den bereits vorher publizierten Schriften dazu kommen.24 Moritz dringe hier in das Innerste der Sprache und versuche damit, das psychologische Studium zu erweitern, schreibt der Rezensent der Litteratur- und Theaterzeitung. Er hält besonders Moritz’ Überlegungen zu den Impersonalia und den Präpositionen für „vorzüglich lesenwürdig“ (Litteratur- und Theaterzeitung 1781, S. 367). Moritz habe hier „gewiß […] einen Weg eingeschlagen, der ihn zu wichtigen Entdeckungen führen kann“ (Litteratur- und Theaterzeitung 1781, S. 367). Die ausführlichste Rezension der Zusätze stammt von Samuel Johann Ernst Stosch in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek25. Auch Stosch hebt die Reflexionen über die Impersonalia hervor und empfiehlt sie den „Kennern unserer Sprache“ zur Lektüre, da Moritz hier „mit vieler Gründlichkeit nachgedacht“ habe und das Thema sonst noch nirgends behandelt worden sei (vgl. ADB Anh 1783, S. 837). Und am Schluss bekräftigt Stosch Moritz in dessen philosophischer Vorgehensweise: „Man siehet hieraus, daß Herr M. nicht damit zufrieden ist, zu sagen was das Zeitwort oder die Präposition für einen Casum erfodert [sic!]; sondern zugleich philosophisch untersucht, warum eben dieser und kein anderer Casus gesetzt werden müsse. Wir wünschen, daß es ihm gefallen möge, mit dergleichen Untersuchungen fortzufahren.“ (ADB Anh 1783, S. 838)
Die philosophische Herangehensweise wird allerdings nicht von allen Lesern der Kleinen Schriften geschätzt. So heisst es bei Johann Christian Christoph Rüdiger:
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Ob die Zusätze auch zunächst noch als Einzeldruck erschienen sind, ist nicht eindeutig rekonstruierbar. Vgl. zur Publikationsgeschichte Kap. 2.3.1. Stosch zeichnet seine Beiträge in der ADB mit dem Kürzel Eg. (vgl. zu den Mitarbeitern der ADB Parthey 1973).
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„Herr Moriz [sic!] hat sich rühmlich gezeigt, doch scheint mirs, daß seine strenge Philosophie über die Nothwendigkeit der grammatischen Sätze noch den neuen Ankömmling verräth, der sich noch nicht genug in dem Studium umgesehen hat.“ (Rüdiger 1782, S. 34)
Ebenfalls positiv rezensiert wird 1782 die Deutsche Sprachlehre für die Damen. Wiederum Stosch lobt in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek die „Deutlichkeit und Faßlichkeit“, mit welcher Moritz „den Damen die ganze Sprachlehre“ vortrage (ADB 1783, S. 250). Diese beiden Begriffe entsprechen den drei Begriffen von Büsching, indem „Fasslichkeit“ die Eigenschaft von etwas bezeichnet, das „sich leicht fassen, d.i. begreifen, verstehen“ (Adelung 1990 [1793–1801] II, Sp. 54) und das meint „nach ihrer Gründen einsehen, lässet“ (Adelung 1990 [1793–1801] II, Sp. 54), und „Deutlichkeit“ die philosophische Herangehensweise mitmeint, da „[e]ine deutliche Vorstellung, in der Logik“ eine ist, in der „man das Mannigfaltige […] einzeln unterscheiden kann“ (Adelung 1990 [1793–1801] I, Sp. 1471). Grammatische Zweifelsfälle würden allerdings nicht entschieden und zur Normierung der Sprache kann das Buch deshalb nach Stosch nicht dienen: „Die Entscheidung gewisser grammatischen Kleinigkeiten, muß man hier nicht suchen, und wenn ein Frauenzimmer fragen wollte, ob man in Genitiv sa|251|gen müsse, des Daumen, oder Daums, oder Daumens? Ob das Wort Stiefel, im Plural die Stiefel oder Stiefeln, und Tag die Tage oder Täge habe? Obs richtig seye: Alle viere von sich strecken, oder ob es alle vier heißen müsse? und dergl. so würde sie in dieser Sprachlehre keine Antwort darauf finden, weil die Absicht des Verf. augenscheinlich nur dahin gegangen ist, in den vornehmsten Stücken, die Sprachlehre den Damen deutlich zu machen, und dieses ist ihm, nach unserem Urtheil, vollkommen gelungen.“ (ADB 1783, S. 250f.)
Die ausführlichste Rezension der Deutschen Sprachlehre für die Damen stammt aber von Johann Christoph Adelung. In seinem Magazin für die deutsche Sprache nennt er Moritz aufgrund von dessen Aufsatz Über den Unterschied des Akkusativ’s und Dativ’s „einen Sprachforscher besserer Art“, der „das Wesen der Sprache in ihr selbst aufzufinden, nicht aber willkührlich hinein zu tragen“ (Adelung 1782b, S. 129) suche und damit, so darf man ergänzen, dasselbe Vorgehen wählt, wie Adelung selbst (vgl. Adelung 1781a, unpag und unten, S. 53). Recht ausführlich bespricht Adelung in der Folge Brief um Brief der Sprachlehre und bewertet vieles positiv als „sehr angenehm entwickelt“ (Adelung 1782b, S. 133), „sehr einleuchtend und wahr“ (Adelung 1782b, S. 134) oder als „vollkommen richtig und ganz nach den in meinen Sprachlehren davon gegebenen Begriffen“ (Adelung 1782b, S. 134). In einem Vorspann geht er aber zunächst auf die Adressierung an die Damen ein:
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„Da der Verfasser seine Arbeit zunächst für Damen bestimmt hat, so muß man auch diesen Gesichtspunct nicht aus den Augen verlieren, weil man sonst Gefahr laufen könnte, Bestimmtheit, Gründlichkeit und fruchtbare Kürze in derselben zu vermissen. Damen wollen auf eine angenehme Art unterhalten, nicht aber durch trockne Gründlichkeit ermüdet werden. Besitzt denn der Verfasser die Kunst, sie durch den Reiz der Unterhaltung unvermerkt auf Gegenstände zu führen, deren |130| Dürre sie sonst auf immer abgeschreckt haben würde: so verdienet er den Dank der ganzen Nation, weil dieß der einige [sic!] Weg ist, den schönern Theil derselben auf die Reinigkeit und Richtigkeit der Sprache aufmerksam zu machen, welche bey diesem Geschlechte, wegen seines gemeiniglich feinern Geschmackes gewiß gewinnen werden, so bald derselbe sie nur seiner Aufmerksamkeit würdig findet. Daß Herr Moritz diese Kunst in einem glücklichen Maße besitzet, wird ihm niemand absprechen können, der diese Sprachlehre nur mit einiger Aufmerksamkeit durchlesen will. Aus dieser Absicht rühret denn auch die Briefform her, welche, aus andern Gesichtspuncten betrachtet, für eine Sprachlehre zu unbequem und weitschweiffig seyn würde, aber hier ihre gute Dienste thut, indem sie eine der bequemsten ist, auf eine unterhaltende Art zu unterrichten.“ (Adelung 1782b, S. 129f.)
Manche Punkte bewertet Adelung kritisch, zum Beispiel Moritz’ Terminologie für die Redeteile im 11. Brief. Adelung erachtet sie als „der Verständlichkeit nachtheilig“ und zeigt sich besorgt, „die Dame werde darüber einnicken“ (Adelung 1782b, S. 134). Er kritisiert weiter den Aufbau des Buches, der nicht demjenigen einer systematischen Sprachlehre entspreche (mithin nicht dem Aufbau der seinigen, darf man wohl ergänzen), oder die Hypothese über die Entstehung der Schrift, die seiner eigenen aus der Geschichte der Cultur des menschlichen Geschlechts (1782) widerspreche (vgl. Adelung 1782b, S. 134ff.). Auch mit der moritzschen Sprachursprungshypothese aus dem 15. Brief kann Adelung nichts anfangen.26 Im abschliessenden Urteil finden sich das Angenehme und die Gründlichkeit einmal mehr vereint: „Aus dieser kurzen Darstellung des Inhaltes erhellet zugleich, daß der Verfasser in diesem Buche nicht eigentlich eine Sprachlehre im gewöhnlichsten Verstande liefern wollen, wozu denn doch weit mehr Vollständigkeit und systematische Ordnung nöthig gewesen seyn würde, sondern nur Briefe über die Sprachlehre. Und in dieser Rücksicht verdienen sie alle Empfehlung, sowohl um der Gründlichkeit und Wahrheit, als auch um des unterhaltenden und faßlichen Vortrages willen. Der wahre Gesichtspunct wird in den allermeisten Fällen sehr richtig getroffen, und auf das anschauendste dargestellet. Auch die Schreibart ist bis auf manche ohne Noth gebrauchte fremde Wörter, (z. B. Räsonnement, Lectüre, Interesse u. s. f.) rein, und wo der Gegenstand es verstattet, blühend.“ (Adelung 1782b, S. 138; Herv. im Org.)
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Er selbst vertritt in der Sprachursprungsfrage die Auffassung Herders (vgl. Adelung 1782c, S. 11ff. und 1971 [1782a] I, S. 3f.).
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
Adelungs Besprechung der Deutschen Sprachlehre für die Damen kann exemplarisch für die gesamte Rezension der frühen Schriften zur Sprache stehen. Die Anerkennung des sprachwissenschaftlichen Gehalts wird ergänzt durch das Lob der leichten Fasslichkeit der Darstellung, die Adelung explizit mit der Adressierung an die Damen begründet. Aufgrund dieser Adressierung an ein Laienpublikum unterstellt Adelung Moritz aber auch, nur populärwissenschaftliche, keine ernsthafte Sprachlehre zu betreiben. Mit seinem Hinweis auf Moritz’ unterhaltende Art zu unterrichten verwendet er dabei übrigens die für die Charakterisierung der Populärwissenschaft, insbesondere der Frauenbildung in der Aufklärungsepoche typische Formulierung. Das nächste Kapitel wird nun zeigen, inwieweit Moritz’ Schriften zur Sprache – vor allem die Deutsche Sprachlehre für die Damen – tatsächlich dem Genre der populärwissenschaftlichen (Frauenzimmer-) Literatur entsprechen.
2.2
Moritz als Sprachlehrer für Laien und die Damen
Einige Titel von Karl Philipp Moritz’ Werken legen nahe, dass er sich an ein breites Laienpublikum richtet: „Für solche, die keine gelehrte Sprachkenntniß besitzen“ oder „für die Damen“ lauten die charakteristischen Titelzusätze – nicht nur der Schriften zur Sprache.27 Auch seine Deutsche Sprachlehre von 1782 hat er mit dem adressierenden Titelzusatz „für die Damen“ versehen. Die ältere Sekundärliteratur hat dies als Beleg für deren wissenschaftlich mindere Qualität gedeutet (noch Naumann 1986), was die neuere Sekundärliteratur zurückweist (vgl. Häcki Buhofer 1994). Allgemein wird die Adressierung an die Damen als starke Markierung empfunden. Um die Gründe für diese Reaktion zu verstehen, soll zunächst der Buchtitel formal und funktional analysiert werden. Er entpuppt sich dabei als semantisch mehrschichtiges Gebilde, das mit einer intertextuellen (oder intertitularen28) Strategie unterschiedliche Erwartungen weckt. Der Titel lautet in vollständiger Form: Deutsche Sprachlehre für die Damen In Briefen von Carl Philipp Moritz. Mit Königlich Preußischer und Churfürstlich Sächsischer allergnädigster Freiheit. Berlin, bei Arnold Wever. 1782.
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„Für Damen“ lautet auch der Titelzusatz des Mythologischen Almanachs von 1792 und das Magazin zur Erfahrungsseelenkunde richtet sich an „Gelehrte und Ungelehrte“. Vgl. Dietz 1995, S. 117ff.
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Moritz als Sprachlehrer für Laien und die Damen
Abbildung 1: Titelblatt der Deutschen Sprachlehre für die Damen (1782) (Privatbesitz A. A.)
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
Abgesehen von den Angaben zum Autor, Privileg, Ort, Verlag und Druckjahr – Elemente, die hier ausgeblendet werden können – handelt es sich um einen formal zwei-, funktional aber dreigliedrigen Titel. Formal wird der Haupttitel Deutsche Sprachlehre für die Damen durch eine horizontale Linie abgetrennt vom Titelelement In Briefen, das sich seinerseits durch die Grossschreibung der Präposition vom vorangehenden, durch grösseren Schriftschnitt aber auch vom darauf folgenden Element von Carl Philipp Moritz abgrenzt. Funktional könnte der Haupttitel mit Gerard Genette als thematisches, das heisst den Inhalt anzeigendes Element, In Briefen als rhematisches, die Form oder Gattung anzeigendes Element bezeichnet werden (Genette 1989, S. 79).29 Die Sache gestaltet sich aber komplexer. Erstens ist der Haupttitel funktional offensichtlich wiederum zweigeteilt: Auf die Inhaltsangabe Deutsche Sprachlehre folgt die Adressierung für die Damen. Der Titel ist damit funktional dreigliedrig. Zweitens erfüllen alle drei Elemente je eine doppelte, thematische und rhematische Funktion. Das Element Deutsche Sprachlehre orientiert einerseits über den Inhalt – die deutsche Sprache soll gelehrt werden – und zeigt andererseits die Zugehörigkeit des Werkes zu einer wissenschaftlichen Textsorte an, nämlich zur Sprachlehre. Die Adressierung für die Damen denotiert das Zielpublikum, signalisiert intertextuell die Zugehörigkeit zum populärwissenschaftlichen Genre der Frauenzimmerliteratur und konnotiert damit darüber hinaus ein tiefes wissenschaftliches Niveau. Das Titelelement In Briefen schliesslich macht eine Aussage über die Form des Werkes – es ist eine Briefkorrespondenz – bringt es aber auch in die Nähe der literarischen Gattung Briefroman oder der philosophisch-didaktischen Gattung Dialog. Alle drei Elemente verweisen also intertextuell auf starke Texttraditionen und damit verbundene Diskurse. Dies hat Moritz gewiss intendiert. Problematisch ist allein – und das wird zu zeigen sein –, dass er die damit geschürten Erwartungen nicht erfüllt. Die Divergenz zwischen dem, was Leser und Leserinnen sich aus dem Titel versprechen dürfen oder müssen, und dem, was sie bei der Lektüre des Textes schliesslich erhalten, ist verantwortlich für die bis heute anhaltende Verunsicherung im Umgang mit der Deutschen Sprachlehre für die Damen. Dieser Befund soll nun mit kritischem Bezug auf Deutungsversuche der Sekundärliteratur und der Einbettung in historische Kontexte erhärtet werden.
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Genette definiert noch etwas genauer: „Als Hauptsache halten wir fest, dass im Prinzip nicht zwischen einer Betitelung unter Bezug auf den Inhalt […] respektive unter Bezug auf die Form […] gewählt wird, sondern, genauer, zwischen einer Ausrichtung auf den thematischen Inhalt und einer Ausrichtung auf den Text selbst, der als Werk oder Objekt betrachtet wird.“ (Genette 1989, S. 79)
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Zunächst muss festgehalten werden, dass die explizite Adressierung eines Buches im Titel an sich nicht aussergewöhnlich ist, weder für das Werk Karl Philipp Moritz’ noch für die Aufklärungsliteratur generell. Moritz folgt schlicht einer paratextuellen Konvention der aufklärerischen Bildungsliteratur, wenn er seine Schriften an „Gelehrte und Ungelehrte“ (MzE, Titelblatt), an „solche, die keine gelehrte Sprachkenntniß besitzen“ (UAD, Titelblatt; DA, Titelblatt) oder eben an „Damen“ (DS, Titelblatt; MA, Titelblatt) richtet.30 Die Adressierung für die Damen verweist aber wie erwähnt auf ein spezielles Genre der aufklärerischen Bildungstradition: auf die Frauenzimmerliteratur. Die neuere Sekundärliteratur zu Moritz hat als mögliche Vorbilder für diese Adressierung der Deutschen Sprachlehre zurecht auf Bernard le Bovier de Fontenelles Entretiens sur la pluralité des mondes (1686) und Francesco Algarottis Il Newtonianismo per le dame (1737) hingewiesen (vgl. Hollmer 1996, S. 1470; Meier 2000, S. 79). Heide Hollmers These, dass diese „berühmten ausländischen Vorbilder“ für die Deutsche Sprachlehre „höchstwahrscheinlich“ „als Anregung und Modell“ gedient haben (vgl. Hollmer 1996, S. 1470), kann in dieser Form jedoch nicht stehen gelassen werden. Gewiss, beide Texte sind erste Höhepunkte des aufklärerischen Bestrebens zur Frauenbildung, an dessen Beginn François Poullain de la Barres De l'Égalité des deux sexes (1673) und De l'Éducation des dames (1674) oder François de Salignac de La Mothe-Fénelons Traité de l’éducation des filles (1681, publ. 1687) stehen.31 Wenn das einzige Argument für die These aber in der (fiktiven) Kommunikationssituation mit einer Frau besteht, könnte ebenso gut auf einen weiteren Meilenstein der Frauenbildung verwiesen werden, nämlich auf Leonhard Eulers Lettres à une princesse d’allemagne (1768–1772, dt. 1769–1773), die Moritz genauso zugänglich gewesen sein dürften, wie Fontenelles und Algarottis Bücher. Und anders als bei den beiden Letztern, wäre bei Euler auch die Briefform gegeben. In Algarottis Titel findet sich immerhin die wörtliche Übereinstimmung in der expliziten Adressierung „per le Dame“.32 Aber auch hier konnte sich Moritz auf eine Vielzahl von analogen Titeln beziehen.
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So hat nach Ulrich Ricken bereits Christian Wolff die Publikation seines deutschen Werks damit begründet, „für ein möglichst breites Publikum verständlich zu sein, darunter auch Leser, die nicht studiert haben“ (Ricken 1990, S. 211). Wolffs deutschsprachige Publikationspraxis sei eine „Verwirklichungsform, des aufklärerischen Sendungsbewusstseins“, zu dem er sich in der Vorrede zu seinen Ausführlichen Nachricht von seinen eigenen Schriften, die er in deutscher Sprache herausgegeben (1726) bekenne (vgl. Ricken 1990, S. 211). Vgl. zur Frauen- und Mädchenbildung im 18. Jahrhundert: Sonnet 1994. In der französischen Übersetzung von 1738 „pour les dames“, in der englischen (1739) „for the use of the ladies“ und in der deutschen (1745) interessanterweise „für das Frauenzimmer“ und nicht für die Damen.
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Die nähere Betrachtung von Fontenelles und Algarottis genannten Werken lohnt sich gleichwohl.33 Denn sie bilden Referenztexte für den gesamten Frauenbildungsdiskurs der Aufklärung und ihre Spuren sind auch bei Moritz deutlich erkennbar. Entgegen der These von Hollmer, sind sie aber gerade nicht das Modell für seine Sprachlehre. Fontenelles Entretiens sur la pluralité des mondes sind ein fiktiver Dialog zwischen einem galanten Philosophen und einer Marquise über die kopernikanische Astronomie. Das Neue an Fontenelles Buch liegt darin, dass es sich an ein breites Publikum richtet: Fontenelle will einerseits die Gelehrten erreichen, andererseits aber, und das ist aussergewöhnlich, höfische und städtische Laien (les gens du monde): „J’ai voulu traiter la Philosophie d’une maniere qui ne fût point philosophique; j’ai tâché de l’amener à un point, où elle ne fût ni trop seche pour les gens du monde, ni trop badine pour les Savants.“ (Fontenelle 1761, unpag. )34
Das Buch ist entsprechend französisch, nicht lateinisch geschrieben. Die zentrale Strategie Fontenelles, um die gens du mondes zu erreichen, besteht aber in der unterhaltenden Darstellung des wissenschaftlichen Gegenstandes: „Je dois avertir ceux qui liront ce livre, & qui ont quelque connoissance de la Physique, que je n’ai point du tout prétendu les instruire, mais seulement les divertir, en leur présentant d’une maniere un peu plus agréable & plus égayée, ce q’ils savent déjà plus solidement; & j’avertis ceux à qui ces matieres sont nouvelles, que j’ai cru pouvoir les instruire & les divertir tout ensemble. Les premiers iront contre mon intention, s’ils cherchent ici de l’uilité; & les seconds, s’ils n’y cherchent que de l’agrément.“ (Fontenelle 1761, unpag. ; Herv. A. A.)35
Zentral ist hier die Formel „instruire & divertir“ („unterrichten und unterhalten“), die natürlich auf die officia oratoris docere und delectare der antiken Rhetorik (vgl. Groddeck 1995, S. 95f.) zurückgeht. Im vorliegenden Zusammenhang verweisen sie aber auf eine andere Quelle, die für den popu-
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Ich zitiere Fontenelle nach einer neuen, verbesserten Auflage von 1761. „Ich wollte die Philosophie in einer Weise behandeln, die ganz und gar nicht philosophisch sein sollte; ich habe mich bemüht, sie in einen Zustand zu bringen, in dem sie für die Leute von Welt nicht zu trocken und für die Gelehrten nicht zu unernst wäre.“ (Fontenelle 1991, S. 12). „Ich muss den zukünftigen Lesern dieses Buches, die etwas von den Naturwissenschaften verstehen, ankündigen, dass ich nicht im mindesten beabsichtigt habe, sie zu unterrichten, sie vielmehr nur unterhalten wollte, indem ich ihnen das in einer gefälligeren und vergnüglicheren Form vortrug, was sie schon gründlicher wissen; und ich kündige denjenigen an, denen diese Probleme neu sind, dass ich glaubte, sie zugleich unterrichten und unterhalten zu können. Die ersten werden meiner Absicht zuwiderhandeln, wenn sie hier etwas Nützliches suchen, und die zweiten ebenso, wenn sie dabei nur Zerstreuung suchen.“ (Fontenelle 1991, S. 13; Herv. A. A.).
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lärwissenschaftlichen Diskurs initiatorisch war: Paul Pellissons Discours sur les Oevres de Monsieur Sarasin (1656). Im vierten Teil dieses Vorwortes zu Werken des Dichters Jean-François Sarasin entwirft Pellisson eine Typologie der philosophisch-didaktischen Gattung Dialog. „[…] il me semble qu’il y en a trois espèces, dont chacune a son caractère et son usage différents (Pellisson 1989 [1656], S. 54). Den ersten Typus nennt Pellisson didaktisch, sein Ziel ist die reine Instruktion: „Les premiers sont les dialogues qu’on peut appeler proprement didactiques, qui n’ont pour but que |55| d’instruire, et se contentent de joindre à la solidité de la doctrine la clarté et l’élégance des expressions. Ils sont principalement utiles en ceci que, représentant au naturel les doutes d’un disciple ingénieux et les décisions d’un maître plein de savoir, ils montrent par l’ordre des demandes et des réponses l’ordre des connaissances et le progrès de la raison, plus nettement et d’une manière plus vive et plus animée que ne ferait un simple discours.“ (Pellisson 1989 [1656], S. 54f.; Herv. im Orig.)
Der zweite Typus stellt das Gegenteil des ersten dar und bedient sich vornehmlich des Spotts (Pellisson denkt hier an die Satiren des Lukian): „La seconde espèce de dialogues est comme opposée à cette première: car on peut mettre en ce rang-là les dialogues de raillerie, qui ne prennent que la fleur des choses, qui n’instruisent jamais qu’en riant et ne vont à l’utilité que par le plaisir.“ (Pellisson 1989 [1656], S. 55; Herv. im Orig.)
Zwischen diesen beiden Typen liegt ein dritter, der nach Pellisson der vorzüglichste ist und der, „n’ayant ni toute l’austérité de la première ni tout l’enjouement de la seconde“, gleichwohl von beiden etwas hat, denn „elle traite des choses solides et en traite solidement, mais elle y apporte mille sortes d’ornements pour les rendre plus agréables.“ (Pellisson 1989 [1656], S. 55)
Der Definition des dritten Dialogtyps folgend fährt Fontenelle fort: „Comme je n’ai pas prétendu faire un Systême en l’air, & qui n’eût aucun fondement, j’ai employé de vrais raisonnements de Physique, & j’en ai employé autant qu’il a été necessaire. Mais il se trouve heureusement dans ce sujet que les idées de Physique y sont riantes d’elles-mêmes, & que dans le même temps qu’elles contentent la raison, elles donnent à l’imagination un spectacle qui lui plait autant que s’il étoit fait exprès pour elle. Quand j’ai trouvé quelques mor|vi|ceaux qui n’etoient pas tout-à-fait de cette espece, je leur ai donné des ornements étrangers.“ (Fontenelle 1761, unpag. ; Herv. A. A.)36
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„Da ich nicht beabsichtige, ein aus der Luft gegriffenes System aufzustellen, dem jede Grundlage fehlte, habe ich gültige Beweisführungen aus der Naturkunde benutzt, und ich habe so viele benutzt, wie es notwendig war. Doch bei diesem Thema fügt es sich zum
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Als Publikum seines Werkes hat Fontenelle insbesondere auch die Frauen im Sinn und begründet damit die aufklärerische Frauenliteratur. Im Hinblick auf Moritz ist allerdings zu beachten, dass die Marquise in Fontenelles Entretiens offenbar gänzlich ungebildet ist und sich einfach belehren lässt: „J’ai mis dans ces Entretiens une femme que l’on instruit, & qui n’a jamais oui parler de ces choses-là. J’ai cru que cette fiction me serviroit, & à rendre l’ouvrage plus susceptible d’agrément, & à encourager les Dames par l’exemple d’une femme, qui ne sortant jamais des bornes d’une personne qui n’ a nulle teinture de Science, ne laisse pas d’entendre ce qu’on lui dit, & de ranger dans sa tête sans confusion les tourbillons & les Mondes. Pourquoi des femmes céderoient-elles à cette Marquise imaginaire, qui ne conçoit que ce qu’elle ne peut se dispenser de concevoir? (Fontenelle 1761, unpag. ; Herv. A. A.)37
Die Entretiens sur la pluralité des mondes geben mit dem unterhaltsamen Unterricht das stilistische Modell für die aufklärerische populärwissenschaftliche Literatur und insbesondere für das Genre der Frauenzimmerliteratur ab. Ein halbes Jahrhundert später widmet Francesco Algarotti Fontenelle seine populärwissenschaftliche Darstellung der Physik Newtons, Il Newtonianismo per le dame (11737, 21739)38, und bringt die Entretiens im Vorwort (Lettera al Signor di Fontenelle) in den Kontext der aufklärerischen populärwissenschaftlichen Parole von Richard Steeles und Joseph Addisons Spectator, die Bildung sei aus den Tempeln der Wissenschaft heraus unter das Volk, auch unter das weibliche, zu bringen:39
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Glück so, dass die Gedanken der Naturkunde hier von selbst ein heiteres Gesicht zeigen, dass sie die Vernunft zufriedenstellen und zugleich der Phantasie ein Schauspiel bieten, das ihr ebensogut gefällt, als wäre es eigens für sie veranstaltet worden. Wenn ich einige Teilstücke vorgefunden habe, die nicht ganz derart beschaffen waren, so habe ich sie mit ausschmückendem Beiwerk versehen.“ (Fontenelle 1991, S. 14; Herv. A. A.) „In diesen Gesprächen lasse ich eine Frau auftreten, die unterrichtet wird und die nie etwas über derartige Dinge gehört hatte. Ich war der Ansicht, dass eine solche dichterische Erfindung mir helfen könnte, das Werk vergnüglicher zu machen und auch die Damen durch das Beispiel einer Frau zu ermutigen, die niemals über die Grenzen eines Menschen hinausgeht, der keinerlei Anflug wissenschaftlicher Bildung hat, und die dennoch gut begreift, was man ihr sagt, und, ohne in Verwirrung zu geraten, die Wirbel und die Welten in ihrem Kopf geordnet unterbringt. Warum sollten Frauen sich von dieser erdichteten Marquise übertreffen lassen, die nur Dinge versteht, deren Verständnis sie sich nicht entziehen kann?“ (Fontenelle 1991, S. 13; Herv. A. A.) Fontenelle, den Algarotti 1735 in Paris kennenlernte, war offenbar sogar der unmittelbare Anlass für die Arbeit am „Newtonianismo“ (vgl. Ritter Santini et al. 1993, S. 696). Die bekannte Stelle aus dem Spectator (No. 10, March 12 1710–11) lautet: „It was said of Socrates, that he brought Philosophy down from heaven, to inhabit among men; and I shall be ambitious to have it said of me, that I have brought Philosophy out of closets and
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„Voi foste il primo ne' vostri Mondi a richiamar la selvaggia Filosofia da' solitarj Gabinetti, e dalle Biblioteche de'Dotti per introdurla ne'circoli, e alle Telette delle Dame. Voi primo interpetraste alla più amabil parte dell'Universo que'Geroglifici, che non erano altra volta, che dagl'Iniziati intesi, e feste nascer le rose ed i fiori in un campo orido prima di sterpi e di spine […].“ (Algarotti 1739a, unpag. Vorwort, S. ; Herv. A. A.)40
Die hier verwendeten Metaphern des Blumenfelds und des Dornenfeldes sind einerseits eine Allusion auf Pellissons Beschreibung der drei Dialogtypen,41 andererseits aber auch eine erste Verbindung vom Newtonianismo per le dame zu Moritz’ Sprachlehre für die Damen. Moritz übernimmt die Metaphorik, setzt sie aber gerade entgegen Algarottis Intention ein. Im 1. Brief macht Moritz seine Briefpartnerin darauf aufmerksam, dass der zurückzulegende Weg gerade nicht durch eine Blumenwiese führen, sondern anstrengend sein werde: „Statt beblümter Wiesen werde ich Sie durch die öden Labyrinthe der Nennwörter, Zeitwörter, und so vieler andern Arten von Wörtern führen müssen […].“ (DS, S. 4; Herv. A. A.)
Am Ende des 13. Briefs muntert er sie mit einer gespiegelten Allusion auf die zitierte Algarotti-Stelle auf: „Durch ein |504| dornichtes Feld hätten wir uns also wiederum glücklich hindurchgedrängt, indem wir uns den Weg, den wir zurückgelegt haben, so viel wie möglich zu bahnen suchten: dieß soll uns Muth geben, weiter fortzugehn, und es wird uns gewiß gelingen, uns auch den kurzen ungebahnten Weg zu ebnen, den wir nun noch vor uns haben.“ (DS, S. 503f.; Herv. A. A.)
Moritz erspart seinen Leserinnen die Dornen und Schwierigkeiten also gerade nicht, sondern drängt sich mit ihnen zusammen glücklich hindurch. Das ist ein erster Hinweis darauf, dass Moritz die mit seinem Titel geweckten Erwartungen nicht erfüllt.
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libraries, schools and colleges, to dwell in clubs and assemblies, at tea-tables, and in coffeehouses“ (Addison 1835 [1710], S. 38f.) In der englischen Übersetzung lautet die Stelle: „Your Plurality of Worlds first softened the savage Nature of Philosophy, and called it from the solitary Closets and Libraries of the Learned, to introduce it into the Circles and Toilets of Ladies. You first interpreted to the most amiable Part of the Universe those Hieroglyphics, which were at first only for Initiates; and found a happy Method to embellish and intersperse with the most beautiful Flowers a Field, which once seemed incapable of producing any Thing but the most rugged Thorns and perplexing Difficulties.“ (Algarotti 1739b I, S. ii) Pellisson hatte bei der Definition des satirischen Dialogs den Phraseologismus „prendre que la fleur des choses“ verwendet und einige Wissenschaften damit charakterisiert, dass sie „rebutent l’esprit par leurs épines“ (Pellisson 1989 [1656], S. 55; vgl. oben S. 37).
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Algarotti fährt in seinem Vorwort fort, er habe seinen Gegenstand ansprechend gestalten wollen, um ihn dem weibliche Geschlecht angenehm zu machen, das eher empfinde als verstehe: „Io ô intrapreso di far piacere la Verità accompagnata da tutto ciò, che necessario è per dimostrarla, e di farla piacere a quel sesso, che ama piuttosto di sentire, che di sapere. “ (Algarotti 1739a, unpag. Vorwort, S. )42
Algarotti ordnet seinem Text hier mit dem Angenehmen eine Qualität zu, welche die zeitgenössische Rezeption auch den frühen Sprachschriften Moritz’ zusprechen wird (vgl. oben S. 23), und die eher die Empfindung als den Verstand betrifft. Moritz selber nimmt die Unterscheidung zwischen den beiden Erkenntnisvermögen im 1. Brief auf, wendet sie aber wiederum gegen die Intention bei Algarotti an. „Insbesondre wünschen Sie, sich von Ihrer eignen Muttersprache eine nähere Kenntniß zu erwerben, und wollen dem Studium derselben eine Zeitlang Ihre Lieblingslektüre aufopfern. Sie haben den Muth gefaßt, bei einem Gegenstande auszudauren, wo anstatt der Empfindung blos der Verstand beschäftiget wird.“ (DS, S. 3; Herv. A. A.)
Die Absicht Algarottis, „di domar […] il Newtonianismo, e di aggradevol rendere la sua medesima austerità“ (Algarotti 1739a, unpag. Vorwort, S. ), teilt Moritz also offensichtlich gerade nicht, wenngleich er als Lohn für die Anstrengung schlussendlich ein Vergnügen verspricht. Das Vergnügen ist aber kein sinnliches. Es handelt sich vielmehr um „höher[e] Vergnügungen des Geistes“ (DS, S. 7). Zwei weitere für Moritz zentrale Metaphern finden sich in Algarottis Vorwort: Der Spaziergang und das Theater (beide gehen zurück auf Fontenelle, dessen Entretiens während eines Spaziergangs im Park geführt werden und der mit seinem Text der Phantasie ein Schauspiel bieten will (vgl. oben S. 38). „Le cose astruse però, che m'è convenuto trattare, non sono che necessarie, e frammescolate sempre di qualche cosa, che possa di tratto in tratto sollevar lo spirito e l'attenzione ch'esigono. Per quanto delizioso un passeggio sia, non incresce però di trovar a luogo a luogo qualche erboso sedile per riporsarsi talora. […]. [] Non ô tralasciato di renderla, per quanto ella il permette, gioconda,
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In der englischen Übersetzung lautet die Stelle: „I have endeavoured to set Truth, accompanied with all that is necessary to demonstrate it, in a pleasing |v| Light, and to render it agreeable to that Sex, which had rather perceive than understand.“ (Algarotti 1739b I, S. ivf.)
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e tale, che vi si prenda, se è possibile, quell'interesse, che in una composizion di Teatro prender si suole.“ (Algarotti 1739a, unpag. Vorwort, S. )43
Anders als für den „reizenden Spaziergang“ mit Algarotti, braucht die Leserin von Moritz’ Deutscher Sprachlehre festes Schuhwerk, denn mit ihm wird gewandert (vgl. DS, S. 5), nicht spaziert, und bevor sie sich ausruhen darf, müssen Anhöhen erstiegen werden (vgl. DS, S. 4). Moritz zitiert also in der Deutschen Sprachlehre für die Damen Schlüsselwörter und Metaphern aus den Referenztexten der Frauenzimmerliteratur. Sie erscheinen bei ihm aber nur noch als Konzession an die im Titel geweckten Genreerwartungen des Publikums und sind gewissermassen entleerte Signale eines Diskurses, dessen Geschlechtertypisierung Moritz nicht mehr akzeptiert. Eine Analyse des ersten Briefes der Sprachlehre kann näheren Aufschluss geben über den Grad der Diskustreue des Textes. Im ersten Abschnitt wendet sich Moritz in empfindsamer Sprache – die mit ihrem lautmalerischen Charakter übrigens bereits ein zentrales Thema des Buches exemplifiziert – an eine empfindsame Dame, die sich gewöhnlich der empfindsamen Naturbetrachtung hingibt, sich nun aber mit Sprache beschäftigen möchte: „Sie wollen sich entschließen, verehrungswürdige Frau, jezt, da die ganze Natur sich wieder verschönert, die nie schlum|2|mernde Aufmerksamkeit Ihrer Seele auf eine Zeitlang von der duftenden Viole, dem säuselnden Westwinde, und dem sanftrauschenden Flusse hinwegzuziehen; um dieselbe der Betrachtung jener schönen, wunderbaren Töne zu schenken, die Ihr Mund hervorbringt, um alle diese herrlichen Gegenstände der Natur, und ihren reitzenden Zusammenhang untereinander zu bezeichnen?“ (DS, S. 1f.)
Diese Stelle scheint den Grammatikhistoriker Bernd Naumann derart enerviert zu haben, dass er gleich das Werk geringschätzte und zu Unrecht behauptete, sie charakterisiere den Stil des ganzen Textes (vgl. Naumann 1986, S. 112, vgl. Anm. 53). Der Einstieg hat aber ein klare Funktion: Er ist ein Signal für das Genre Frauenzimmerliteratur, stellt den Text in die Diskurstradition der Frauenbildung und dient letztlich vielleicht der Verführung zur Lektüre. Darüber hinaus verrät er natürlich auch, dass die adressierten Damen dem gehobenen bürgerlichen und höfischen Stand angehören (vgl. das Pränumerantenverzeichnis der Deutschen Sprachlehre
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In der englischen Übersetzung lautet die Stelle: „However, the abstruse Points, upon which I have been obliged to treat, were only such as are absolutely necessary, and always interspersed with something that may relieve the Mind from that Attention which they require. In the most delightful Walk we are sometimes glad to find a verdant Turf to repose ourselves upon. […] |vii| I have endeavoured as much as possible to render it lively, and make my Readers interest themselves in it as they would in a Composition for the Theatre.“ (Algarotti 1739b, S. vif.)
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und Hollmer 1996, S. 1470), was auch bereits das Wort Dame anzeigt, das Moritz anstelle des gängigeren Frauenzimmer verwendet.44 Das Signal wird verstärkt durch den Hinweis auf das „Gefühl für die einfachen Schönheiten der Natur“ (DS, S. 2), das der angesprochenen Dame in Übereinstimmung mit dem zeitgenössischen Geschlechterdiskurs zugesprochen wird. Von hier an unterläuft Moritz jedoch die auf Fontenelle und Algarotti zurückgehenden Konventionen des Genres. Edeltraut Dobnig-Jülch und Susanne Staudinger haben bereits darauf hingewiesen, dass die Adressatin die Initiantin der Korrespondenz ist (Dobnig-Jülch & Staudinger 1994, S. 161), was Moritz bereits mit den ersten Worten, „Sie wollen sich entschliessen“ (DS, S. 1) anzeigt und im Anschluss unterstreicht: „Insbesondre wünschen Sie, sich von Ihrer eignen Muttersprache eine nähere Kenntniß zu erwerben, und wollen dem Studium derselben eine Zeitlang Ihre Lieblingslektüre aufopfern.“ (DS, S. 3; Herv. A. A.)
Weiter will Moritz seinen Gegenstand nicht empfindsam popularisieren, sondern gratuliert seiner Briefpartnerin zum „Muth […] bei einem Gegenstande auszudauren, wo anstatt der Empfindung blos der Verstand beschäftiget wird“ (DS, S. 3). Für die Schwierigkeiten – die Moritz der Dame eben nicht erlässt – entschädigt das Vergnügen, das aus der sprachwissenschaftlichen Reflexion entspringt: „Und Ihre Mühe wird sich reichlich belohnen, durch das Vergnügen, was Ihnen die nähere Kenntniß, einer so bedeutenden und nachdrucksvollen |4| Sprache, als die unsrige ist, ohne Zweiffel gewähren wird.“ (DS, S. 3f.)
Moritz verspricht hier weniger ein sinnliches, das Gefühl betreffendes Vergnügen (im Sinne des horazischen delectare) als vielmehr ein geistiges, wie es im (sprach)wissenschaftlichen Diskurs bereits bei James Harris vorkommt, der in seinem für das 18. Jahrhundert einflussreichen45 Hermes or a philosophical inquiry concerning universal grammar schreibt: „Perhaps too there is a Pleasure even in Science itself, distinct from any End, to which it may be farther conductive“ (Harris 1765, S. 296; Herv. im Orig.). Moritz erklärt dieses Vergnügen am Studium der Sprache mit dem Vergnügen am
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Nach Adelung bezeichnet Frauenzimmer „Eine einzelne Person weiblichen Geschlechtes von gutem Stande, da man von geringern Personen den Ausdruck Frauensperson und von ganz niedrigen das Wort Weibsperson gebraucht“ oder „mehrere Personen weiblichen Geschlechtes von gutem Stande, ingleichen das gesammte weibliche Geschlecht, in der anständigen Sprechart“ (Adelung 1990 [1793–1801] II, Sp. 274). Dame hingegen bezeichnet „ein vornehmes Frauenzimmer, besonders wenn es verheirathet ist“ (Adelung 1990 [1793– 1801] I, Sp. 1376). Herder etwa erwähnt Harris wohlwollend im Vorwort zu der von ihm initiierten Übersetzung von Monboddos Werk von dem Ursprunge und Fortgange der Sprache (vgl. Herder 1784, unpag. ).
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Denken überhaupt (vgl. UAD, S. 23). Es ist eine Art des Vergnügens, die der Adressatin der Deutsche Sprachlehre aber nicht fremd ist: „Doch Sie haben dieß Vergnügen bei so mancher Lektüre für den Geist schon |6| zu oft geschmeckt, als daß ich es Sie jetzt erst dürfte kennen lehren.“ (DS, S. 5f.) „[…] welch eine reitzende Beschäftigung für denjenigen, der an den höhern Vergnügungen des Geistes Geschmack findet, welch eine reitzende Beschäftigung für Sie!“ (DS, S. 7)
Und dies kennzeichnet sie als gebildete Frau, im Unterschied zu der Marquise in Fontenelles Entretiens, die, wie gesehen (vgl. oben S. 38), als gänzlich ungebildet dargestellt wird. Nun versammeln sich unter dem Genre der Frauenzimmerliteratur aber nicht bloss populärwissenschaftliche Bücher zur Philosophie oder Naturlehre,46 ein ganzes Untergenre bilden auch Grammatiken für Frauen. Dieses Untergenre der Grammaire des Dames blühte vor allem in Frankreich und im Fremdsprachenunterricht in Französisch (vgl. Beck-Busse 1994, Holtus 1997). In Deutschland waren solche Grammatiken für Frauen sehr viel weniger verbreitet. Edeltraut Dobnig-Jülch und Susanne Staudinger zählen für das 18. Jahrhundert 21 entsprechende Titel,47 darunter nur gerade vier Grammatiken, die sich der Vermittlung des Deutschen als Muttersprache widmen (vgl. Dobnig-Jülch & Staudinger 1994, S. 147ff.). Neben Moritz’ Deutscher Sprachlehre für die Damen sind dies Christian Gottlieb Steinbergs Kurze Anweisung für Frauenzimmer, regelmäßig zu schreiben und zu denken (1768), Johann Carl Angersteins Anweisung, die gemeinsten Schreibund Sprachfehler im Deutschen zu vermeiden; für Frauenzimmer, Ungelehrte, und besonders zum Gebrauch in Schulen eingerichtet (1793) und Christian Friedrich Gottlieb Wohlers Briefe von Karolinen an Julien über die vornehmsten Regeln, die deutsche Sprache richtig zu sprechen und zu schreiben (1799). Keine der von mir oder von Dobnig-Jülch & Staudinger konsultierten Grammatiken ist indes in Anspruch und Tiefe mit der Deutschen Sprachlehre vergleichbar. Als Vergleichstext sei Louis Barthélemys erfolgreiche Grammaire des dames herangezogen, die 1785 in Genf erschien und bis 1797 fünf Auflagen erlebte. Barthélemy folgt der Tradition Fontenelles und Algarottis, wenn er im Vorwort festhält, er wolle die Grammatik auf einfache Weise vermitteln:
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Nur in Einzelfällen waren die Bücher auch von Frauen verfasst, etwa der Grundriss einer Weltweisheit für das Frauenzimmer von Johanna Charlotte Unzer (1751, 21767). Zum Beispiel die 1747 in Berlin erstmals publizierte Nouvelle grammaire à l’usage des dames et des autres personnes, qui ne savent pas le latin von David Stephan Choffin oder dessen von 1756 bis 1782/83 in vier Auflagen erschienene Grammaire française-allemande à l’usage des dames, die weit verbreitet war (vgl. Brekle et al. 1992–2005, Bd. 3, S. 270).
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
„Dans cet ouvrage, destiné principalement aux Demoiselles, les élémens de notre langue seront présentés de la manière la plus simple et la plus précise. Plus les principes d’une science seront clairs et dégagés de tout ce qui n’a avec elle qu’un rapport indirect, plus on peut espérer de la rendre facile a [sic!] saisir; c’est le but que nous nous sommes proposés, dans cet essai.“ (Barthélemy 51797, S. vif.)
Diese methodische Vorgabe, alles unberücksichtigt zu lassen, was zur Sprachwissenschaft nur ein indirektes Verhältnis hat, steht natürlich konträr zu Moritz’ Absicht, die Sprachlehre mit „verschwisterten Kenntnissen Hand in Hand gehen“ (DS, S. XV) zu lassen. Natürlich muss hier in Rechnung gestellt werden, dass Barthélemy sich „principalement aux Demoiselles“ (Barthélemy 51797, S. vi) richtet, während Moritz Erwachsene adressiert. Anregung und Muster für die Deutschen Sprachlehre für die Damen stammen also weder aus den Referenztexten des Genres Frauenzimmerliteratur von Fontenelle und Algarotti noch aus Texten des eigenen Subgenres. Das Vorbild und Modell dürfte vielmehr in einer ganz anderen Quelle zu finden sein: in Jean-Jacques Rousseaus Botanik für Frauenzimmer in Briefen an die Frau von L** von 1781.48 Die Briefe Rousseaus sind wie diejenigen Moritz’ nummeriert, anders als bei Moritz aber auch datiert und mit Anrede und Grussformel versehen. Wie in Moritz’ Sprachlehre geht auch in Rousseaus Botanik die Initiative zur Korrespondenz von der Adressatin aus. Und der erste Brief beginnt ähnlich wie bei Moritz. In der deutschen Übersetzung heisst es: „Liebe Cousine, Ihr Einfall, die Lebhaftigkeit Ihrer Tochter ein wenig zu beschäftigen, und sie zur Aufmerksamkeit auf so angenehme und abwechselnde Gegenstände, als die Pflanzen sind, zu |2| gewöhnen, scheint mir vortreflich [sic!], ohngeachtet ich ihm Ihnen, aus Furcht einen Herrn Josse zu spielen, nicht vorgeschlagen haben würde. Da er nun aber von Ihnen kömmt, billige ich ihn von ganzem Herzen, und ich werde Ihnen sogar dabei behülflich seyn, weil ich überzeugt bin, daß in jedem Alter das Studium der Natur den Geschmack an schädlichen Vergnügen unterdrückt, dem Aufbrausen der Leidenschaften zuvorkommt, und der Seele, indem sie sie mit dem würdigsten Gegenstand ihrer Betrachtung erfüllt, zugleich eine nützliche Nahrung giebt.“ (Rousseau 1781, S. 1f.)
Am Ende des ersten Briefes spricht Rousseau über sein didaktisches Konzept:
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Es handelt sich um eine Übersetzung von Rousseaus Lettres élémentaires sur la botanique a Mme Delessert aus den Jahren 1771–1773, die in französischer Sprache aber offenbar erst 1800 zum ersten Mal publiziert werden (Rousseau 1800). Vgl. für weitere bibliografische Angaben Sénelier 1950, S. 170ff. Sénelier verzeichnet zwei 1781 erschienene deutsche Ausgaben. Die von mir konsultierte Mannheimer-Ausgabe listet er nicht auf.
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„Wenn Sie diesen Zergliederungen mit einiger Auf|11|merksamkeit folgen und sie Sich [sic!] durch öftere Beobachtungen genau bekannt machen, so sind Sie dadurch schon im Stand gesetzt, durch die aufmerksame und anhaltende Betrachtung einer Pflanze zu bestimmen, ob sie zu dem Geschlecht der Lilienartigen gehöret oder nicht, und dies zwar ohne daß Sie den Namen der Pflanze wissen. Sie sehen nunmehro wohl, daß dies nicht mehr eine bloße Gedächtnißarbeit ist, sondern ein Studium von Beobachtungen und würklichen Sachen, das eines Naturforschers würdig ist. Sie dürfen aber nicht gleich im Anfange dies Alles [sic!] Ihrer Tochter sagen, und noch weniger in der Folge, wenn Sie in die Geheimnisse des Wachstums und der Fortpflanzung werden eingeweihet seyn; sondern Sie können ihr nach und nach dasjenige davon deutlich machen, was ihrem Alter und ihrem Geschlechte etwan angemessen ist, indem Sie sie zugleich so anführen, daß sie die Sachen mehr durch sich selbst findet, als daß Sie sie ihr lehren.“ (Rousseau 1781, S. 10f.; Herv. A. A.)
Im Gegensatz zum Bildungskonzept bei Fontenelle, wo ein Philosoph einer Marquise die Kosmologie erklärt, will Moritz seine Adressatin, genau wie Rousseau die seine (beziehungsweise deren Tochter), zum eigenständigen Entdecken führen: „Wenn Sie diesen Gang wählen, so werden Sie dadurch im Stande seyn, sich selber nach und nach, vermittelst eigner Beobachtungen, eine Sprachlehre zu bilden, indem Sie die Sprache selbst in einer weit nähern Beziehung auf Ihre eigne Seele kennen lernen, wodurch das Studium derselben zugleich weit mehr Interesse für Sie gewinnen wird.“ (DS, S. 41)
Dieses didaktische Konzept gilt für alle moritzschen Schriften zur Sprache. Im Vorbericht und in der Einleitung zum späten Werk Vom richtigen Deutschen Ausdruck (1793) umreisst Moritz seine didaktische Methode noch einmal: Anstatt ein blosses System normativer Regeln bereitzustellen, soll der Text diejenigen, „die keine gelehrte Sprachkenntnis besitzen“, dazu befähigen, sich die Regeln verstehend selber zu bilden. „Diese Anleitung sollte nicht bloß die trocknen Regeln des richtigen deutschen Ausdrucks, sondern eine natürliche Entwickelung derselben, aus dem Bau der Sprache, enthalten, wodurch man in Stand gesetzt würde, sie auf jeden einzelnen Fall, mit eigenem Nachdenken, gehörig anzuwenden, und gewissermaaßen die Regeln sich selbst zu bilden, statt sie auswendig zu lernen.“ (VrdA, Vorbericht, unpag.) „Ferner ist erforderlich, daß man nicht sowohl durch mechanische Regeln, als vielmehr durch eigenes Nachdenken über die Sprache, den richtigen Ausdruck lerne; denn bey bloß auswendig gelernten Regeln wird man häufig in dem Ausdrucke fehlen, da hingegen die richtigen Begriffe von den Sachen niemals irre führen.“ (VrdA, S. 1.)
Auch wenn Moritz hier keine eigentliche Methodenreflexion vornimmt, so stellt er sich mit den formelhaften Oppositionen ‚trockene, mechanische Regeln vs. natürliche Entwicklung aus dem Bau der Rede‘ auf der Ebene der Wissensdarstellung und ‚auswendig lernen vs. eigenes Nachdenken
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
fördern‘ auf der Ebene der Wissensvermittlung deutlich in eine Tradition der Grammatikvermittlung, die sich ausgehend von Überlegungen in der Logik von Port Royal (1662) und in Bernard Lamys La Rhétorique ou l’art de parler (1998 [51715])49 vom klassischen Lateinunterricht abhebt (vgl. Noille-Clauzade 1998, S. 13ff.) und deren didaktisches Anliegen bereits in James Harris’ Hermes or a philosophical inquiry concerning universal grammar (21765) ausformuliert wird: „The chief End, proposed by the Author of this Treatise in making it public, has been to excite his Readers to curiosity and inquiry; not to teach them himself by prolix and formal Lectures, (from the efficacy of which he has little expectation) but to enduce them, if possible, to become Teachers to themselves, by an impartial use of their own understanding.“ (Harris 21765, S. v.)
Didaktisch interessant sind auch die zahlreichen lerntechnischen Hinweise zur Anwendung des Textes, so etwa die wiederholte Mahnung zur Wiederholung des bereits Gelesenen. Schliesslich gehört auch die anschauliche Darstellung der Probleme in Diagrammen in das didaktische Konzept. Die Terminologie wird teilweise definitorisch eingeführt (Singular, Plural), teilweise reflektiert, teilweise aber undefiniert und unreflektiert verwendet (Akkusativ und Dativ). Moritz weckt mit dem Titel seiner Sprachlehre also Genreerwartungen, die er im Text unterläuft, indem er seinen Adressatinnen eine anspruchsvolle, philosophisch und psychologisch ausgerichtete Grammatik vorlegt.50 In der Pränumerationsausschreibung, die Moritz im Juli 1781 in der Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten publiziert – und die auch Genreerwartungen weckt –, wendet er sich übrigens nicht nur an Frauen, sondern auch an Männer: „Beynahe jede Wissenschaft nach der Reihe ist schon Lieblings-Wissenschaft geworden, und jetzt scheinet der nähern Kenntniß unserer Muttersprache eben dieses Glück zu widerfahren. Vielleicht fehlet es also an einem Buche über diesen Gegenstand, welches auch Damen, und solche, die nur zu einem Buche greifen, um sich von Geschäfften zu erholen, ohne Anstrengung des Geistes, zum Vergnügen, lesen könnten. Ein solches Buch über die deutsche Sprachlehre, wobey der Geist auf eine angenehme Art beschäfftiget würde, indem der Leser immer mit fort dächte, ohne sich doch selber zum Denken anstrengen zu dürfen, könnte vielleicht etwas dazu beytragen, das Studium unserer Muttersprache noch allgemeiner zu machen.
49 50
Das Buch erschien 1675 unter dem Titel De l‘art de parler. Lamy hat es bis zur definitiven Ausgabe (41701) grundsätzlich überarbeitet. Dobnig-Jülch & Staudinger verwenden dafür Bezeichnungen wie „Heavy Grammar“ und „Edelgrammatik“ (vgl. Dobnig-Jülch & Staudinger 1994, S. 160 und 162).
Moritz als Sprachlehrer für Laien und die Damen
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Der unerwartete Beyfall, womit das Publicum vor einem Jahre meine Briefe vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s, oder das mich und mir, u. s. w. aufnahm, bewog mich schon damals, die ganze Deutsche Sprachlehre auf eine ähnliche Art in Briefen zu bearbeiten, welche noch faßlicher und deutlicher, und eben daher auch noch gemeinnütziger, als jene, wären, so daß auch Damen dieselben, ohne mühsames Nachdenken, lesen und verstehen könnten. Seit der Zeit habe ich angefangen, dieses Vorhaben ins Werk zu richten, und bin nunmehro gesonnen, künftige Oster-Messe ein Buch unter folgendem Titel: Deutsche Sprachlehre für die Damen, in Briefen, auf Pränumeration herauszugeben. Das Buch wird, auf Schreibpapier gedruckt, ohngefähr anderthalb Alphabet stark werden, und der Pränumerationspreis einen Thaler betragen. Die Namen der Pränumeranten werden dem Werke vorgedruckt. Wer auf zehn Exemplare pränumerirt, bekömmt, wie gewöhnlich, das eilfte frey. Ich ersuche meine hiesigen und auswärtigen Freunde, durch ihre gütigen Bemühungen dies Unternehmen zu befördern. Berlin, im Julius 1781.
M. Carl Philipp Moritz, Conrector am grauen Kloster zu Berlin.“ (Correspondent 1781b, unpag.; Herv. A. A. )
Die Adressierung an die Damen zeigt sich auch an formalen Entscheidungen und an Strategien der Vermittlung. Hollmer spricht von „Konzessionen an den weiblichen Geschmack und die weibliche Erlebniswelt“ (Hollmer 1996, S. 1469f.), konkret: „sinnliche Darstellung, dialogische Briefform, Orientierung an der Modepoesie“ (Hollmer 1996, S. 1470) Es gilt hier aber zu relativieren. So ist die Briefform für eine Grammatik zwar tatsächlich ungewöhnlich (vgl. Hollmer 1996, S. 1471), aber keineswegs einmalig und auch nicht spezifisch „frauenfreundlich“. Weder die in Briefform verfassten Texte über den Akkusativ und Dativ sowie über den märkischen Dialekt, noch die Briefe, die deutsche Sprache betreffend (1771–1776) von Johann Friedrich Heynatz richten sich an ein Frauenpublikum. Berücksichtigt man zudem, dass Moritz in der Brieffiktion der Deutschen Sprachlehre anders als in den Kleinen Schriften auf Anrede- und Grussformeln am Anfang und Ende der Briefe verzichtet, dann unterscheidet sich die fingierte Dialogsituation eigentlich kaum mehr von der in Lehrbüchern wie Condillacs Cours d’étude (1986 [1775]) oder Barthélemys Grammaire des dames (51797) in direkter Anrede vollzogenen Kommunikation des Lehrers mit seinem Schüler beziehungsweise seinen Schülerinnen. Die Brieffiktion, als „empfindsam-diskursive Modegattung des achtzehnten Jahrhunderts“ (Hollmer 1996, S. 1471) kann also zwar durchaus als Konzession an
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
das weibliche Publikum interpretiert werden, die Formel für Frauen, also in Briefen beziehungsweise in Briefen, also für Frauen wäre jedoch vereinfachend. Dasselbe gilt für die These, Moritz’ methodische Entscheidung, Teile seiner grammatischen Theorie anhand der Analyse von Salomon Gessners Idylle Amyntas zu entwickeln, als „gezielte Adressatenorientierung“ (Hollmer 1996, S. 1471) zu deuten. Weder die Gattung Idylle noch die Idyllen Gessners wurden vornehmlich von Frauen konsumiert.51 Für Moritz’ Entscheidung dürfte nicht zuletzt die Analysefreundlichkeit des kurzen Prosatextes ausschlaggebend gewesen sein. Ein Blick in Gessners Idyllen-Bände macht deutlich, dass Moritz Amyntas (Gessner 1988 [1756], S. 31 ) ganz bewusst ausgewählt hat. Andere Idyllen von gleichem Umfang, zum Beispiel Mylon (Gessner 1988 [1762], S. 76f.), Die Nelke (Gessner 1988 [1772], S. 98) oder Das Gelübt (Gessner 1988 [1772], S. 98), eignen sich aus textuellen Gründen sehr viel schlechter für eine grammatische Analyse, wie sie Moritz im Sinne hatte. Im Übrigen hatte sich César Chesneau Du Marsais in seinem Encyclopédie-Artikel Construction (1987 [1751–1757]) ebenfalls einer Idylle bedient, Antoinette Deshoulières Les moutons, ohne sich damit explizit an Frauen zu richten. Interessant hingegen ist Hollmers Hinweis auf textexterne „Reize“ wie das Buchformat (Kleinoktav) (vgl. Hollmer 1996, S. 1471). Die von Hollmer in diesem Zusammenhang ebenfalls genannte Titelvignette kommt allerdings wiederum bereits bei einem sprachwissenschaftlichen Werk vor, das nicht vornehmlich für Frauen verfasst wurde, nämlich bei James Harris’ Hermes (1751). Über die Gründe, die Moritz zum Verfassen seiner Deutschen Sprachlehre für die Damen geführt haben könnten, lässt sich mangels Quellen nur spekulieren. Natürlich kann auf Moritz’ aufklärerisches Engagement verwiesen werden, sich mittels populärwissenschaftlichen Schriften an Laien zu wenden. Hier scheint mir auch der Hinweis auf die von Moritz konkret erlebte Sprachsituation in Berlin fruchtbar zu sein. So bemerkt Agathe Lasch, Moritz habe seine Sprachlehre deshalb an die Damen adressiert, weil in den Berliner „besseren Klassen“ diese, wie auch die Kinder, kein reines Hochdeutsch, sondern eine Mischung zwischen Berlinisch und Hochdeutsch gesprochen hätten (vgl. Lasch 1928, S. 119)52. Dies mag nun für
51 52
Vgl. zur Gessner-Rezeption Hentschel 1999. Lasch bezieht sich dabei auf eine Passage aus Friedrich Gedikes Briefen über Berlin von einem Fremden, die von 1783–1785 in Gedikes und Biesters Berlinischer Monatsschrift erschienen sind. Dort heisst es: „Ich weiß nicht, ist’s Affektation oder häufiger Fehler an den Sprachorganen, daß hier so viel geschnarrt und gegurgelt wird und manche Buchstaben, vorzüglich das r, höchst unrein tönen. Auch dünkt mich bei den Frauenzimmern und den noch unter Frauenzimmern stehenden jüngeren Knaben dies vornehmlich bemerkt zu haben, und also könnte es allerdings wohl gar geglaubte Schönheit sein.“ (zit. nach Lasch 1928,
Moritz als Sprachlehrer für Laien und die Damen
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die Schriften zur Akkusativ/Dativ-Problematik sowie zum märkischen Dialekt durchaus eine initiatorische Rolle gespielt haben, greift als Erklärung für die Deutsche Sprachlehre für die Damen aber zu kurz. Heide Hollmer stellt zu Recht fest, dass die Deutsche Sprachlehre nur bei einzelnen Themen normativ argumentiert, und zwar eben gerade etwa bei den Fragen der Aussprache (vgl. Hollmer 1996, S. 1470). Und schliesslich birgt die Annäherung der Frauen an Kinder bei Lasch die Gefahr einer falschen Einschätzung der moritzschen Grammatik, indem sie die in der Forschung lange Zeit (vgl. etwa noch Naumann 1986, S. 112)53 vorherrschende pejorative Qualifikation zu stützen scheint, die aus der Wahl des Publikums die Auffassung von der Harmlosigkeit der moritzschen Sprachdarstellung zieht (vgl. Häcki Buhofer 1994, S. 94). Demgegenüber hat schon Corinna Fricke erklärt, adressiert seien Personen, „deren Bildung auf hohem Niveau steht […]“ (Fricke 1990, S. 13). Allerdings relativiert sie die Höhe des Bildungsniveaus der Adressatinnen sogleich wieder, wenn sie fortfährt: „[…] die wenigstens die deutsche Sprache richtig in Laut und Schrift beherrschen oder die zumindest nicht existentiell darauf angewiesen sind, sich die in dem Buch enthaltenen Kenntnisse anzueignen. Sie lesen das Werk, weil es sie interessiert, vielleicht, weil sie Langeweile haben, vielleicht, weil es modern ist.“ (Fricke 1990, S. 13)
Frickes Hinweis auf das Bildungsniveau der angesprochenen Leserinnen der Deutschen Sprachlehre sollte aber ernster genommen werden, als sie es selbst tut. Der aus der Adressierung an Frauen geschlossene mindere wissenschaftliche Wert der moritzschen Grammatik sagt mehr über das
53
S. 117f.). Gegen den korrekten Gebrauch der Kasus verstossen gemäss Gedike in Berlin nicht nur „alle Unstudierte“ und „alle Frauenzimmer“, sondern zunehmend viele Gelehrte. Er berichtet darauf eine Anekdote von Lessing, der einer Berlinerin geraten haben soll „Sagen Sie beständig mich, wo sie itzt mir zu sagen pflegen, und umgekehrt immer mir statt mich, so werden Sie gewiß keinen Fehler machen“ (zit. nach Lasch 1928, S. 118). Und der Autor ergänzt: „Ich wünsche zur Ehre des hiesigen schönen Geschlechts, daß sie diese Regel befolgten, denn wahr ist sie und zugleich viel faßlicher als Moritzens dicke Deutsche Sprachlehre für Damen. (Hier zu Lande nennt man nämlich jedes Frauenzimmer eine Dame.)“ (zit. nach Lasch 1928, S. 118). Lasch merkt in diesem Zusammenhang an: „Klagen über die schlechte Schulbildung der Mädchen erreichen uns aus dieser Zeit immer neu. Den Frauen namentlich widmet Moritz seine Belehrungen“ (Lasch 1928, S. 119, Anm. *). „Zu Adelungs Zeiten war es Mode, spezielle Sprachlehren für Damen zu verfassen, bei denen man eine galantere, empfindsamere Vermittlungsart grammatischer Gegebenheiten für notwendig hielt. Die bekannteste war die von Karl Philipp Moritz. Der erste Satz dieser in Briefform verfassten Deutschen Sprachlehre für die Damen charakterisiert den Stil des ganzen Werkes: [es folgt das Moritzzitat; A. A.]. Entsprechend zart werden dann in den folgenden Briefen die Wortarten des Deutschen am Beispiel einer Idylle von Salomon Gessner durch fingierte Entdeckungsprozeduren empirisch erarbeitet und dem empfindsamen Geschlecht vermittelt.“ (Naumann 1986, S. 112)
50
Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
Weltbild der Interpreten aus, als über die intellektuellen Qualitäten einer Henriette Herz oder Caroline Herder, in deren Gesellschaften in Berlin und Weimar Moritz verkehrte. Aus einem Brief von Caroline Herder lässt sich schliessen, dass Moritz dort vor allem bei Frauen gut ankam.54 Diese Akzeptanz in Frauenkreisen mag für die Adressierung der Sprachlehre tatsächlich von Belang gewesen sein. Mehr noch, indem Moritz, wie Annelies Häcki Buhofer luzide analysiert, die Frauen als unverbrauchtes, nicht durch Bildungskonventionen der männlich geprägten bürgerlichen Bildungselite „verdorbenes“ Zielpublikum begreift, erschafft er sich die Bedingung zur Möglichkeit, eine grammatische Darstellung zu schreiben, die sich von den übrigen Grammatiken der Zeit abhebt (vgl. Häcki Buhofer 1994, S. 92). In diesem Sinne hebt auch Hollmer das formale Verfahren Moritz’ positiv hervor: „Während Luise Adelgunde Viktorie und Johann Christoph Gottsched an der (Tugend-)Erziehung und der optimalen Erfüllung der kanonisierten Geschlechterrolle gelegen ist, versucht Moritz eine Grenzüberschreitung, indem er Fachwissenschaften entformalisiert und damit den weiblichen Horizont erweitert. Das affirmative Tugendprogramm muß einem emanzipatorischen Modell weichen – dem Gnothi-seauton-Prinzip und dem Stimulans zum Selbst-Denken. Der dozierende Weltweise der Frühaufklärung wird abgelöst von einem zwar noch überlegenen, dabei aber nicht mehr monologisch, sondern empathetisch vorgehenden Gesprächspartner.“ (Hollmer 1996, S. 1469)
Nicht ohne Berechtigung ist ferner die These Ludwig M. Eichingers, die Adressierung an die Damen müsse „eine Art Marketing-Grund“ haben (vgl. Eichinger 1998, S. 207). Auch wenn Eichingers Begründung, die Deutsche Sprachlehre unterscheide sich ausser dem Titel „in praktisch nichts“ von den Kleinen Schriften (vgl. Eichinger 1998, S. 207), falsch ist, lässt die Tatsache, dass unter den Anfang der 1780er-Jahre erscheinenden Sprachlehren auch die bedeutenden Meiners (1781) und Adelungs (1781a, 1782a) fallen, eine marktstrategische Begründung der Ausrichtung auf das Damenpublikum nicht als unwahrscheinlich erscheinen. Insbesondere die „offizielle“ Adelungsche Sprachlehre scheint bereits vor deren Erscheinen die Geschäftserwartungen der Verleger im Bereich der Grammatik verdüstert zu haben, wie sich Johann Friedrich Heynatz in der Vorrede zur fünften Auflage seiner Deutschen Sprachlehre zum Gebrauch der Schulen (2006 [1803]) erinnert:
54
Caroline Herder schreibt an ihren Mann: „Wenn wir Frauen mit Moritz allein sind, da geht es gar hübsch; er ist alsdann unser Prophet, und unsre Kenntnisse nehmen jedesmal zu“ (Caroline Herder an Johann Gottfried Herder, 5. und 28. Dezember 1788, zit. nach. Nettelbeck 1986, S. 24).
Die Schriften zur Sprache
51
„Ich dachte nunmehr, ungeachtet meiner seit 1775 in Frankfurt sehr vermehrten Geschäfte, mit Ernst an die Herausgabe der größern Sprachlehre, als 1780 durch Herrn D. [sic!] Biesters Vorrede zu vier von ihm Griechisch herausgegebenen Gespräche des Plato be|6|kannt ward, daß Herr Rath Adelung auf ausdrücklich deshalb an ihn von Berlin aus ergangene Anforderung [sic!] an einer Deutschen Sprachlehre arbeite. Darüber fing nicht allein mein Verleger, der selige Mylius, an mißmüthig zu werden, indem er mir von der fast gränzenlosen Erwartung schrieb, die man in Berlin von dieser noch zukünftigen Adelungischen Arbeit hätte, sondern ich selbst glaubte nun, ehe ich mit der meinigen fortführe, die Erscheinung einer Schrift abwarten zu müssen, die einen durch sein grammatisches Wörterbuch mit Recht so berühmten und allgemein als vortrefflich anerkannten Verfasser hatte.“ (Heynatz 2006 [51803], S. 5f.)
Gut möglich also, dass sich Moritz’ Verleger Anton Wever von der Wahl eines neuen Zielpublikums einen Erfolg versprach. Belege dafür besitzen wir freilich nicht. Alle Spekulationen über die Gründe für die Adressierung der Sprachlehre an die Damen scheinen schliesslich mit dem Erscheinen ihrer Auflage 1791 hinfällig zu werden. Moritz hat den Titelzusatz dort nämlich gestrichen. Dazu vermerkt Karl Friedrich Klischnig: „Da man ihm den Vorwurf gemacht hatte, daß sie für Damen wohl zu philosophisch seyn möchte, ließ er bei der zweiten Auflage (1791) diesen Zusatz weg.“ (Klischnig 1794, S. 255)
Es gilt hier allerdings festzuhalten, dass Moritz die Schrift für die zweite Ausgabe zwar leicht umgearbeitet, die Anredeformeln „verehrungswürdige Frau“ etc. aber belassen hat. Damit muss die Deutsche Sprachlehre auch in ihren späteren Auflagen immer noch als Frauengrammatik im dargelegten Sinne verstanden werden (vgl. Häcki Buhofer 1994, S. 97).
2.3
Die Schriften zur Sprache
Die Schriften zur Sprache bilden nach Anzahl Seiten den umfangreichsten Teil des Werkes von Karl Philipp Moritz. Seine Auseinandersetzung mit dem Thema Sprache umfasst sprachphilosophische, grammatische und sprachpsychologische sowie sprachpflegerische Aspekte und erstreckt sich über die gesamte Zeit seiner Publikationstätigkeit. Allerdings hat er nach der Deutschen Sprachlehre für die Damen (1782) zumindest inhaltlich nicht mehr viel Neues erarbeitet, eine Tatsache, die die Forschung – trotz Martha Woodmansees Bezeichnung Moritz’ als „shameless recycler of his ideas“ (Woodmansee 1984, S. 44.) – lange übersehen hat (vgl. Aebi 2005), obwohl Moritz’ Methode der Mehrfachverwertung eigener Texte seit jeher
52
Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
bekannt war. Bereits Karl Friedrich Klischnig hat in den Erinnerungen an seinen Freund darauf hingewiesen: „Die Kunst sich selbst unmerklich auszuschreiben, kann wohl so bald Niemand besser verstehn, als Reiser [scil. Moritz] sie verstand. Ganze Bogen aus seinen frühern Werken über die Sprache nahm er, mit einigen kleinen Aenderungen, in die spätern auf, ohne daß dies - so viel ich weiß - von einem Rezensenten gerügt worden wäre. Freilich noch immer das erlaubteste Plagiat; zumal wenn es Sachen betrift, die - wie ein Unterricht zur Vermeidung von fast allgemeinen Sprachfehlern - nicht oft genug gesagt werden können.“ (Klischnig 1794, S. 248f.)
Gleichwohl dürfen die nach 1782 erschienenen Schriften zur Sprache nicht einfach als Zweitverwertung übergangen werden. Denn abgesehen davon, dass sich Moritz in den 1790er-Jahren als Mitglied und Sekretär der Deputation deutscher Mitglieder der Akademie zur Vervollkommnung und Ausbildung der deutschen Sprache55 in kleinen Aufsätzen noch sprachpflegerisch betätigte, hat er sein sprachwissenschaftliches Werk neu geordnet. Im sprachwissenschaftlichen Schaffen von Karl Philipp Moritz lassen sich somit zwei Phasen unterscheiden. In der frühen Phase (1780–1782) erarbeitet er sich seine sprachwissenschaftlichen Positionen. Sie ist geprägt von schnellem Publizieren, verschiedene Theorien und Terminologien wechseln sich in kurzen Abständen ab, Grammatisches, Sprachphilosophisches und Sprachpsychologisches steht unverbunden nebeneinander. In der darauffolgenden Phase (1783–1793) vertieft und ergänzt Moritz seine Positionen, korrigiert sie partiell und beginnt schliesslich damit, die einzelnen Teile neu zusammenzustellen. Dieses Projekt wird durch seinen frühen Tod unterbrochen. Aus den Erinnerungen Klischnigs ist bekannt, was Moritz an Sprachschriften möglicherweise noch in Planung hatte: eine Arbeit über Synonyme in der deutschen Sprache, „worinn er die Frage: ob unsre Sprache überhaupt Synonimen habe, verneinend beantworten wollte“56 (Klischnig 1794, S. 204, 271), eine Philosophie der Sprache, für die er nach Klischnig schon viel Material gesammelt hatte, eine Schrift über Sprachbildung – wobei unklar bleibt, was damit gemeint ist –, ein zweiter Band Kleine Schriften, die deutsche Sprache betreffend sowie eine Polnische
55 56
Zur Deutschen Deputation vgl. Klingenberg 1996, Sedlarz 2003. Dort finden sich auch weitere Literaturangaben. Damit hätte er die Meinung französischer Grammatiker in die Tradition von Gabriel Girards Synonymes françois (31741, 11718) übernommen (vgl. Hassler & Neis 2009 II, S. 1427f.), die auch Samuel Johann Ernst Stosch in seinem Versuch in richtiger Bestimmung einiger gleichbedeutenden Wörter der deutschen Sprache (1770–1773) vertrat (vgl. zu Stoschs Synonymenwörterbuch Pörksen 1994), und sich gegen die Meinung anderer deutscher Synonymiker wie etwa Johann August Eberhard gestellt, zu dessen Synonymischem Handwörterbuch der deutschen Sprache (1802) sein Werk in direkter Konkurrenz gestanden hätte (vgl. Hassler & Neis 2009 II, S. 1434ff.).
Die Schriften zur Sprache
53
Sprachlehre (vgl. Klischnig 1794, S. 271) – was erstaunt, besitzen wir doch keinerlei Hinweise darauf, dass Moritz des Polnischen mächtig gewesen sein sollte. 1781 erscheinen drei deutsche sprachwissenschaftliche Bücher, die sich unabhängig voneinander einer analytischen Herleitung grammatischer Kategorien verschreiben: Johann Werner Meiners Versuch einer an der menschlichen Sprache abgebildeten Vernunftlehre, Johann Christoph Adelungs Deutsche Sprachlehre für Schulen und Karl Philipp Moritz’ Kleine Schriften die deutsche Sprache betreffend.57 Adelung unterscheidet in der Vorrede zu seiner Sprachlehre zwei Methoden der Grammatikschreibung: „Es gibt vornehmlich einen gedoppelten Weg, die Regeln einer Sprache vorzutragen und zu lehren: entweder, daß man dasjenige, was man in der Sprache bemerkt oder bemerket gefunden, unter gewisse allgemeine, größtentheils von ältern Sprachlehren entlehnte Rubriken neben einander stelle, ohne weiter zu untersuchen, was es ist, wie es ist, oder warum es ist; oder daß man das Wesen der Sprache in ihr selbst aufsuche, von allem was in derselben vorkommt, deutliche Begriffe zu bekommen und zu geben suche, und den Ursachen nachforsche, warum das Veränderliche in der Sprache gerade so und nicht anders eingerichtet ist.“ (Adelung 1781a, unpag. ; Herv. A. A.)
Adelung wählt den zweiten Weg (vgl. Adelung 1781a, unpag. ). Die beiden Methoden lassen sich den zwei Typen von Sprachlehren zuordnen, die Meiner in seinem Versuch unterscheidet:58 die erste Methode entspricht der harmonischen, die zweite der philosophischen Sprachlehre. Die harmonische Sprachlehre vergleicht verschiedene Sprachen miteinander und fasst Übereinstimmungen unter Regeln, „ohne sich dabey um den Grund dieser Uebereinstimmung zu bekümmern“ (Meiner 1781, S. V). Die philosophische Sprachlehre dagegen zeichnet sich dadurch aus, dass sie „ihre Lehrsätze aus der Art und Weise unsres Denkens“ (Meiner 1781, S. IV) ableitet. Denn alle Sprachen seien Kopien ein und desselben Originals, nämlich des Denkens (vgl. Meiner 1781, S. IV). Daher müssten „ihre Lehrsätze auf dem Wege der Meditation a priori […] gefunden werden“ (Meiner 1781, S. IV). „Die harmonische überzeuget nur, daß etliche Sprachen unterschiedene Eigenschaften und also auch einerley Regeln mit einander gemein haben; die philosophische aber unterrichtet uns von dem Grunde, warum diese Eigenschaften und Regeln gemeinschaftlich seyn
57
58
Die Widmung in Meiners Versuch ist auf den 5. März 1781 datiert (Meiner 1781, unpag. ). Zu diesem Zeitpunkt waren die beiden ersten Akkusativ-Schriften von Moritz bereits erschienen (vgl. Kap. 2.3.1 S.). Adelungs Deutsche Sprachlehre für Schulen erschien nach seinen Angaben im Mai 1781 (vgl. Adelung 1971 [1782a] I, S. III). Adelung nennt hier „die erst vor kurzem heraus gekommene philosophische und allgemeine Sprachlehre des verdienten Hrn. Rectors Meiner“ denn auch, allerdings als Beispiel für die erste Methode (Adelung 1781a, unpag. ).
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
müssen“ (Meiner 1781, S. V). Dieser Grund liegt schliesslich in der Universalität des Denkens. Denn „der menschliche Verstand [hat] in seinem Denken bey allen Völkern, wenn sie auch noch so weit von einander entfernt lebten, dennoch ganz einerley Gang genommen“ und sich „in allen Sprachen, wenn sie auch noch so weit von einander entlegen seyn sollten […], dennoch in den meh|VIII|resten, wenigstens in den wesentlichen Stücken, auf eine ganz ähnlich Art abgebildet“ (Meiner 1781, S. VIIf.). Betreffend der Universalität des Denkens und gewisser grammatischer Kategorien ist Adelung mit Meiner einverstanden: „Alle Sprachen haben einerley Ursprung, einerley wesentliche Theile, einerley Absicht und einerley Grundgesetze. Der Gang des menschlichen Geistes ist im Ganzen in der einen wie in der andern; nur in der Anwendung weichen sie von einander ab.“ (Adelung 1781a, unpag. )
Auch Moritz teilt diese Prämissen. Weniger ausführlich und reflektiert als die beiden anderen Autoren, in der Sache aber doch übereinstimmend beschreibt Moritz seine Methode in den Briefen Vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s: „Vorläufig will ich Ihnen nun den innern Unterschied des Akkusativ's und Dativ's erstlich in einigen Beispielen zeigen, wo die Verwechselung desselben zum Mißverstande Veranlaßung geben könnte. Nachher aber muß ich Ihnen diesen Unterschied aus der Natur der Sprache selber deutlich zu erklären suchen, weil sonst Ihre Vorstellung davon doch noch immer dunkel bleiben würde; zu diesem Endzweck werde ich Sie denn aber auch etwas weiter in das Innre der Sprache führen müssen […].“ (UAD, S. 5; Herv. A. A.)
Den Unterschied zwischen Akkusativ und Dativ aus der Natur der Sprache erklären heisst bei Moritz, die Fälle aus ihrer Funktion im Satz und den Satz als sprachliches Äquivalent des logischen Urteil zu bestimmen. Darin stimmt er mit Meiner überein, der die Satzglieder aus der Valenz des Prädikats herleitet und sie mit den Fällen verbindet (vgl. Meiner 1781, S. 160ff.).59 In seinem Umständlichen Lehrgebäude der deutschen Sprache (1782) nennt Adelung schliesslich Meiner wie Moritz als diejenigen Autoren, welche die Kasuslehre korrekt dargestellt hätten: „Ich weiß niemanden, welcher die Verhältnisse, die die Casus ausdrucken, genauer und richtiger untersucht und bestimmt hätte, als Herr Rector Meiner in der
59
Meiner gilt als Vorläufer der Dependenzgrammatik (vgl. etwa Naumann 1990): „Das Prädikat ist der vornehmste Theil des Satzes; denn aus ihm entwickelt sich der ganze Satz. Es gleichet einer vollen Frühlingsknospe. Wie diese bey ihrer Entwickelung aus sich einen ganzen Zweig samt Nebenzweigen und Blättern hervor treibet; also liegen auch in dem einzigen Prädikat nicht nur alle Haupttheile, sondern auch Nebentheile des Satzes verschlossen, die sich daraus herleiten lassen“ (Meiner 1781, S. 127).
Die Schriften zur Sprache
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schon mehrmals angeführten philosophischen Sprachelehre, womit man noch des Hrn. Moritz kleine Schrift von dem Unterschiede des Accustivs und Dativs, Berlin, 1781, verbinden kann.“ (Adelung 1971 [1782a] I, S. 394; Herv. im Orig.)
Während Meiner in seinem Versuch aber am Ende seiner Karriere die Ergebnisse jahrelangen Nachdenkens über Sprache publiziert (vgl. Meiner 1781, unpag. ) beginnt Moritz erst gerade, sich mit Sprache zu befassen. Und seine Kleinen Schriften sind nicht das Resultat systematischen Nachdenkens, sondern zeigen vielmehr den Charakter eines Work in Progress. Die Genese des moritzschen Sprachdenkens lässt sich über den Zeitraum von zwei Jahren bis zur Deutschen Sprachlehre für die Damen beobachten. Als erstes wendet er sich der Unterscheidung zwischen Akkusativ und Dativ zu, einem grammatischen Teilthema also, das ihm aus seiner Alltagserfahrung als relevant erschienen sein dürfte, da diese beiden Fälle im Berlinischen zum Teil nicht unterschieden werden. Vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s ist nun aber entgegen den Erwartungen, die der Titel weckt, keine Abhandlung über Kasus, sondern eine rationalistische Satzgliedlehre in der Tradition der Grammatik von Port Royal, der Moritz bis in die Terminologie folgt. Tatsächlich vermag erst der Bezug zu dieser in der Forschung bisher zu wenig berücksichtigten Quelle manche Stellen in Moritz’ Text zu erhellen. Eigenständiger zeigt Moritz sich dann im zweiten Akkusativ-Aufsatz, dem Anhang zu den Briefen über den Unterschied des Akkusativ’s und Dativ’s. Hier verbindet er nun die Satzgliedmit der Kasuslehre und schlägt eine neue Kasusterminologie vor. In den Zusätzen geht er dann mit der psychologischen Betrachtung von Sprache neue Wege in der Grammatikschreibung. Die Deutsche Sprachlehre für die Damen schliesslich integriert das in den Kleinen Schriften ausgeführte in eine vollständige Grammatik, welche die in den Zusätzen entwickelte semantische, psychologische Methode anwendet und neben den rationalistischen auch sensualistische Züge aufweist. Im Folgenden soll das sprachwissenschaftliche Werk nun in textnahen Analysen dargestellt werden. Kapitel 2.3.2 widmet sich dessen sprachtheoretischer Seite. Es folgt der Entwicklung von Moritz’ sprachphilosophischem Denken von den Unterhaltungen mit meinen Schülern (1780) bis zum Aufsatz Auch eine Hypothese über die Schöpfungsgeschichte Mosis (1784). Nachgezeichnet wird insbesondere die Veränderung, welche die Sprachursprungshypothese in dieser Zeit erfährt. Ein Fokus der Darstellung liegt auf dem Lautsymbolismus, der dann im zweiten Teil der Arbeit als Quelle für das Prinzip der bildenden Nachahmung erneut Thema wird. Kapitel 2.3.3 wendet sich anschliessend der Grammatik zu. Bei den Schriften der frühen Phase liegt der Fokus dabei auf der Entwicklung der Positionen. Um das Work in Progress nachvollziehen zu können, muss nun im Kapitel 2.3.1 aber zunächst die Publikationsgeschichte vorangeschickt werden.
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
2.3.1
Publikationsgeschichte
Karl Philipp Moritz’ früheste Äusserungen zur Sprache stammen bereits aus dem ersten Jahr seiner Publikationstätigkeit: 1779.60 In diesem Jahr veröffentlicht er neben einigen Gedichten eine Tabelle von der Englischen Aussprache, eine Tabelle von der Englischen Etymologie sowie ab Mai des Jahres in monatlichen Lieferungen die pädagogischen Unterhaltungen mit meinen Schülern, deren 7. Stück, das also wohl im November erscheint, einen Aufsatz mit dem Titel Von der Sprache enthält.61 Die Niederschrift der Unterhaltungen mit meinen Schülern fällt in das erste Jahr von Moritz’ Lehrtätigkeit an der unteren Schule des Gymnasiums zum Grauen Kloster in Berlin und orientiert sich nach seiner eigenen Aussage stark an seiner Schulpraxis. „Diese Unterhaltungen“, so hält er im Vorbericht fest, „sind die Resultate der Unterredungen, welche ich wirklich mit meinen Schülern gehalten habe“ (UmS, Vorbericht, S. V.) und selbst „die Spatziergänge, welche zu einigen Betrachtungen die erste Veranlassung gaben“, seien „nicht erdichtet, sondern wirklich in verschiedne Gegenden um Berlin, von mir und meinen Schülern, gemacht“ (UmS, Vorbericht, S. XI). Und schliesslich verbürgt sich Moritz auch für die Praxistauglichkeit seines Werks, da er „von demienigen, was ich niedergeschrieben habe, allemal, ehe ich es drucken lasse, an meinen Schülern selbst, zuerst die Probe machen kann, ob es ihrem Fassungsvermögen angemessen ist“ (UmS, Vorbericht, S. VI). Die Angemessenheit an das Fassungsvermögen seiner Schüler erreicht Moritz durch einen anschaulichen Stil, der sich der Mittel der rhetorischen evidenzia bedient.62 Dies gilt insbesondere auch für den Aufsatz Von der Sprache, der als thematischer Fremdkörper aus den sonst religiös-sittlichen Texten63 heraussticht. Moritz weist selbst auf den Sonderstatus des
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Vorher war von ihm nur der kurze Prolog zu der von den hieselbst Studirenden angestellten theatralischen Feierlichkeit. Hannover im Junius 1776 erschienen, den Moritz anlässlich einer Theateraufführung der Prima der Hohen Schule der Altstadt Hannover verfasste, und der 1776 und 1777 gedruckt wurde. Die Unterhaltungen mit meinen Schülern erscheinen 1780 schliesslich gesammelt. 1783 wird unter dem Titel Unterhaltungen mit seinen Schülern eine in Teilen veränderte Neuauflage publiziert. Das Werk war in Preussen auch als Schulbuch zugelassen (vgl. Meier 2000, S. 68). Vgl. zur Veröffentlichungsgeschichte UmS, Vorbericht, S V. Bsp.: „[…] diejenigen Menschen, welche in einem Lande zusammen wohnen “ (UmS, S. 201; Herv. A. A.); „Diejenigen, welche viele hundert Meilen weit von uns entfernt sind “ (UmS, S. 201; Herv. A. A.). Das Ziel der Unterhaltungen beschreibt Moritz im Vorwort An meine iungen Leser, die nicht meine Schüler sind: „Folgt mir, in Gedanken, allenthalben nach, wohin ich euch führen werde: und ich will euch in die freie, offne Natur hinführen, um euch den Gott kennen zu lehren, der euch, von eurer frühsten Kindheit an, so viel Gutes erzeigt hat; um euch zur
Publikationsgeschichte
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Sprachkapitels hin: „Die Aufsätze in diesem Bändchen kann man bisher noch alle, als Beiträge zur Kindermoral betrachten, ausgenommen den einen, von der Sprache, welchen ich als einen Versuch einer Kindergrammatik mit eingerückt habe, worinn zugleich |XI| die allersimpelste Kinderlogik mit enthalten wäre“ (UmS, Vorbericht, S. Xf.). Die Aufnahme des Sprachkapitels in die Unterhaltungen wird von Moritz nicht eigens begründet. Die Deutsche Sprachlehre gehörte aber zu seinem Unterrichts-Pensum und er äussert im Vorbericht die Absicht, auch zu den Themen seiner übrigen Schulfächer Lehrbücher im Stile der Unterhaltungen verfassen zu wollen: „Sollte mein Unternehmen Beifall finden, so werde ich mich, noch in der Folge, über die verschiedenen Gegenstände ausbreiten, welche ich bei meinem öffentlichen Unterricht zu bearbeiten habe: Diese sind Religionsunterricht, deutscher Briefstiel, lateinische und deutsche Sprachlehre, und Dichtkunst. Der Religionsunterricht lag mir zu sehr am Herzen, als daß ich mich sobald hätte davon losreißen können, da ich immer das Wichtigste, was ich davon zu sagen hatte, gerne zuerst sagen wollte. Damit habe ich also in diesem Bändchen den Anfang gemacht […]“ (UmS, Vorbericht, S. XI). Die Übernahme von Deutschstunden war auch bereits für Moritz’ Vorgänger am Grauen Kloster, Johann Friedrich Heynatz, der Anlass gewesen, sich mit Sprache und Grammatik zu beschäftigen. In der Vorrede zur fünften Auflage seiner Deutschen Sprachlehre zum Gebrauch der Schulen (1803) blickt Heynatz zurück: „Ich hatte, als ich im Jahr 1769 als Lehrer des Grauenklosters nach Berlin gekommen war, verschiedene schriftstellerische Entwürfe vor, von denen kein einziger mit der Deutschen Sprachlehre auch nur in der entferntesten Verbindung stand. Weil ich aber dort die Anfangsgründe der Deutschen Sprache zu lehren bekam, und bei dieser Gelegenheit auch mit dem Kern der Deutschen Sprachkunst von Gottsched, dessen Grundlegung ich ehemals mehr als Einmal mit untermischtem Unwillen und Lachen gelesen hatte, bekannt ward, und die Unbequemlichkeit desselben zum Lehrgebrauch zu fühlen glaubte, so fing ich an, jene Entwürfe zu verschieben, um zu einer Deutschen Sprachlehre Vorrath zu sammeln […].“ (Heynatz 2006 [51803], S. )
Ganz ähnlich könnte also die Motivation des jungen Lehrers Moritz ausgesehen haben. Eine Überlegung karrierestrategischer Natur könnte aber für die Aufnahme des Sprachkapitels auch eine Rolle gespielt haben. Am 5. September 1779 hatte Friedrich II. eine Kabinettsorder erlassen, die für die Ausbildung an den Königlichen Gymnasien in Preussen eine neue
Frömmigkeit, zum Fleiß, zum Gehorsam, und zu einer wahren, unschuldigen Frölichkeit zu ermuntern, und eine innige Liebe gegen Gott, und gegen euren Bruder, in euren Herzen zu erwecken.“ (UmS, S. 2)
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
Grundlage schuf, die Grundlage aufgeklärten Denkens. Deutsche Grammatik sollte fortan in den Oberklassen als ‚Metaphysik der Sprache‘ gelehrt werden, als logische Propädeutik und am Ende in kritisches Philosophieren übergehen. (vgl. Naumann 1986, S. 11). Der Beauftragte für das Erziehungswesen in Preussen, Staatsminister Karl Abraham von Zedlitz, beauftragte in der Folge Johann Christoph Adelung mit der Ausarbeitung einer neuen Schulgrammatik, welche die bisher nach Schlesischem Gesetz für die Schule vorgeschriebene Grammatik, eben Gottscheds Kern, ersetzen sollte. 1781 legte Adelung diese Grammatik mit Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königlich Preussischen Landen vor. Ob Moritz von der Kabinettsorder des preussischen Königs Kenntnis haben konnte und sich durch die Aufnahme des Sprachkapitels in die Unterhaltungen mit meinen Schülern für die durch von Zedlitz vorgenommene Auftragsvergabe ins Spiel bringen wollte, muss offen bleiben. Immerhin ist die Buchausgabe der Unterhaltungen von Zedlitz gewidmet (vgl. UmS, unpag. ). Allerdings, und das spricht stark gegen die These, erschien das Buch wie erwähnt erst 1780, und damit nach der Vergabe des Auftrags an Adelung.64 Dass ein Auftrag für eine neue Schulgrammatik an Adelung gegangen war, wusste die gelehrte Welt Berlins aber spätestens seit es Johann Erich Biester in der Vorrede zu vier 1780 von ihm herausgegeben Dialogen Platons öffentlich gemacht hatte (vgl. Heynatz 2006 [51803], S. 5).65 Welchen beinahe lähmenden Eindruck diese Meldung auf die Sprachgelehrten gemacht haben dürfte, lässt sich der bereits in Kapitel 2.2 zitierten Stelle aus den Erinnerungen Heynatz’ entnehmen, der zu dieser Zeit eine eigene grössere Schulgrammatik plante: „Darüber [scil. dass Adelung an einer Grammatik arbeitet] fing nicht allein mein Verleger, der selige Mylius, an mißmüthig zu werden, indem er mir von der fast gränzenlosen Erwartung schrieb, die man in Berlin von dieser noch zukünftigen Adelungischen Arbeit hätte, sondern ich selbst glaubte nun, ehe ich mit der meinigen fortführe, die Erscheinung einer Schrift abwarten zu müssen, die einen durch sein grammatisches Wörterbuch mit Recht so berühmten und allgemein als vortrefflich anerkannten Verfasser hatte.“ (Heynatz 2006 [51803], S. 6.)
Umso erstaunlicher ist die Entscheidung Moritz’, sich gerade in den frühen 1780er-Jahren mit Verve der Grammatik zu verschreiben.
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Zedlitz vergab den Auftrag an Adelung noch im Jahr 1779. So schreibt Adelung in der auf den 6. Dezember 1780 datierten Vorrede zum Separatdruck der Einleitung in das Umständliche Lehrgebäude: „Als ich vor mehr als einem Jahre eine sehr verehrungswürdige Aufforderung zu einer Deutschen Sprachlehre für Schulen erhielt […]“ (Adelung 1781b, unpag. ). Es dürfte sich dabei um Biester 1780 handeln. Das Buch hat mir jedoch nicht vorgelegen.
Publikationsgeschichte
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Entgegen der Aussage von Moritz im Vorbericht handelt es sich beim Kapitel Von der Sprache um keine „Kindergrammatik“. Grammatikalisches wird darin – mit Ausnahme einer rudimentären Wortartendifferenzierung – nicht angesprochen. Der Aufsatz führt die Kinder vielmehr aus philosophischer oder psychologischer Perspektive an den Gegenstand Sprache heran. Die Sprache wird als im Vergleich zu anderen Zeichensystemen in seiner Ökonomie und Effizienz herausragendes, ja vollkommenes Instrument vorgestellt, das eine kommunikative, eine mnemotechnische und eine kognitive Funktion erfüllt. Sie ist ein Geschenk Gottes an die Menschen und in ihrer Vollkommenheit spiegelt sich die Güte ihres Schöpfers. Durch diese Verankerung im Religiösen, die sich strukturell mit dem Kapitel über die „Schöpfungsfeier“ deckt, wird der Aufsatz in den religiösen Grundtenor der „Unterhaltungen“ eingestimmt. Die Sprache enthält bereits alle Grundzüge der moritzschen Sprachphilosophie Zur Ostermesse 1781 erscheinen dann im Verlag von Arnold Wever in Berlin die Kleinen Schriften die deutsche Sprache betreffend, eine Sammlung von fünf Texten: -
Vom Unterschiede des Akkusativ‘s und Dativ‘s Anhang zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ‘s und Dativ‘s Zusätze zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s Über den märkischen Dialekt Anweisung, die gewöhnlichsten Fehler, im Reden, zu verbessern
Zumindest vier dieser Texte sind im Verlag von Arnold Wever aber bereits zuvor als Einzeldrucke erschienen. Die Publikationsdaten dieser Erstausgaben sind von Interesse, um Aussagen über mögliche Quellen zu machen. Sie sind durch Äusserungen von Moritz und weitere Quellen annähernd rekonstruierbar. So merkt Moritz in der auf den 20. April 1781 datierten Vorrede der Kleinen Schriften an, er habe „diese kleinen Schriften […] seit einem halben Jahre herausgegeben“ (KS Vorrede, unpag. ). Das deutet auf einen Erscheinungstermin des ersten Aufsatzes der Sammlung, Vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s, im Oktober oder November 1780. Die Hallischen Gelehrten Zeitungen berichten allerdings bereits am 19. Februar 1781, Vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s habe „binnen einem halben Jahr bereits eine neue Auflage erlebt“ (Hallische Neue Gelehrten Zeitungen 1781, S. 117). Damit könnte die erste Akkusativ-Schrift auch bereits im August 1780 erschienen sein. Die Angabe „halbes Jahr“ ist freilich vage. Die frühesten Rezensionen des Aufsatzes stammen wie gesehen vom Dezember 1780 (vgl. oben S. 23). Sie zeigen, dass auch die zweite Schrift, Anhang zu den Briefen vom Unterschiede
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
des Akkusativ’s und Dativ’s, Ende 1780 bereits vorlag.66 Die Angabe 1781 auf dem Titelblatt des Anhangs ist vermutlich vordatiert. Die beiden Aufsätze über den märkischen Dialekt werden von Büsching am 19. Februar 1781 besprochen (vgl. Büsching 1781a). Die umfangreicheren Zusätze zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s hat Moritz, so hält er in der Vorrede der Kleinen Schriften fest, „zuletzt ausgearbeitet“ (KS Vorrede, unpag. ). Der kurze Hinweis, den Büsching am 28. Mai 1781 auf die Kleinen Schriften gibt, legt sogar nahe, dass die Zusätze erst in diesen zum ersten Mal, oder aber parallel zu ihnen noch als Separatdruck erschienen sind.67 Für Letzteres spricht die Aussage des Rezensenten Samuel Johann Ernst Stosch in der Allgemeinen deutschen Bibliothek: „Das erste [scil. die Kleinen Schriften die deutsche Sprache betreffend] ist nur ein allgemeiner Titel zu dem, was Herr M. bisher in der deutschen Sprache geschrieben hat […], also haben wir nur von den Zusätzen zu den Briefen etc. Nachricht zu geben“ (ADB, Anhang zu den Bänden 37–52, 2. Abt., 1783, S. 833). Moritz selbst entschuldigt sich in der Vorrede zu den Kleinen Schriften denn auch offenbar präventiv für allfällige Druckfehler in den Zusätzen, und zwar „wegen Entfernung des Druckorts“. Ein Separatdruck der Zusätze ist allerdings weder heute greifbar, noch irgendwo bibliografisch verzeichnet. An der Frankfurter und Leipziger Ostermesse 1781 hatte der Verleger Wever laut Messekatalog sowohl Moritz’ Kleine Schriften als auch die Einzeldrucke der beiden, offenbar zusammengebundenen Aufsätze über den märkischen Dialekt sowie eine als zweite Auflage ausgezeichnete Ausgabe der Briefe Vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s im Programm: „Fertig gewordene Schriften: Moritz, Karl Phil. Gedichte, dem Könige von Preussen gewiedmet. 2te Auflage. gr. 8. Berlin, verlegts Arnold Wever. Dessen kleine Schriften, die deutsche Sprache betreffend. 8. Ebend. Dessen Briefe über den märkischen Dialekt, nebst einer Anweisung, die gewöhnlichen Fehler im Reden zu verbessern. 8. Ebend.
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Büsching spricht in seiner Anzeige von den „Briefen vom Unterschiede des Accusativ’s und Dativ’s, auf 3 1/4 Octavbogen, mit einem Anhang von 1 1/2 Bogen“ (Büsching 1780, S. 418) und auch der anonyme Rezensent der Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten zeigt die beiden Schriften zusammen an (vgl. Correspondent 1780). „Man muß auch von dem Conrector der Schule des grauen Klosters, Herrn M. Carl Philip Moritz rühmen, daß er in seinen kleinen Schriften, die deutsche Sprache betreffend, welche neulich hieselbst im Weverschen Verlage auf 7 Octav-Bogen erschienen, und mit Zusätzen zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s, auf 3 Octav-Bogen begleitet sind, philosophisch und mit Geschmack zu Werk gehe“ (Büsching 1781b, S. 176). Vgl. auch Litteratur- und Theaterzeitung 1781.
Publikationsgeschichte
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Dessen Briefe vom Unterschiede des Accusatives und Datives, oder des Mich und Mir, Sie und Ihnen. 2te Auflage. 8. Ebend. Dessen zwo Tabellen über die englische Aussprache und Etymologie. 2te verbesserte Auflage. Fol. Ebend. Dessen Anweisung zum richtigen Gebrauch der Unterscheidungszeichen. 8. Ebendas.“ (Messekatalog Ostermesse 1781, S. 69)68
Die Erstausgabe des Unterschiedes des Akkusativ’s und Dativ’s erscheint zwar in manchen Bibliothekskatalogen, nach meinen Recherchen aber überall irrtümlich. Eine zweite Auflage der Kleinen Schriften erschien 1792 unter dem Titel Vom Unterschiede des Akkusativ's und Dativ's oder des mich und mir, sie und ihnen, u.s.w., nebst einigen andern kleinen Schriften die deutsche Sprache betreffend, für solche, die keine gelehrte Sprachkenntniss besitzen in Briefen von Karl Philipp Moritz, Königl. Preussischem Hofrath und Professor, ordentlichem Mitgliede der Königl. Akademie der Wissenschaften, und des Senats der Akademie der bildenden Künste zu Berlin. Dritte verbesserte Auflage. Berlin, bei Arnold Wever, 1792. Die Verwirrung um die Auflagenzählung entstand wahrscheinlich durch die Verwendung des Titels der ersten Schrift, die ja tatsächlich in dritter Auflage erschien, für die gesamte Sammlung. Die Angabe „verbesserte Auflage“ ist eigentlich unredlich. Moritz hat zwar den Kompilationscharakter des Buches getilgt, indem er die fünf Texte neu als acht fortlaufende Briefe präsentiert, inhaltlich ist jedoch kaum etwas korrigiert worden. Darauf hat bereits der Rezensent der Neuauflage hingewiesen (vgl. NADB 1793, S. 140ff.). Bis 1817 sind insgesamt sechs Auflagen der Kleinen Schriften erschienen. Die Deutsche Sprachlehre für die Damen wird zur Ostermesse 1782 publiziert. Bereits im Juli 1781 kündigt Moritz das Buch in der Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten an und schreibt es zur Präskription aus. Dieser Anzeigentext macht deutlich, dass die Sprachwissenschaft um 1780 eine Modedisziplin war und legt nahe, dass Moritz’ bereits veröffentlichte sprachwissenschaftliche Schriften bei Lesern und Kritikern ein Erfolg waren. Durch beides sah sich Moritz zum Projekt der Deutschen Sprachlehre für die Damen ermutigt. Am 16. Februar 1782 meldet die Staats- und Gelehrten Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten (Num. 28, 16. Februar 1782) die Deutsche Sprachlehre für die Damen sei „jetzt wirklich unter der Presse“ (Correspondent 1782). Damit ist klar, dass Moritz seine wichtigsten Gedanken zur Sprache bereits 1780 und 1781, am Beginn seiner Karriere, entwickelt hat.
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Die Anweisung zum richtigen Gebrauch der Unterscheidungszeichen lässt sich nicht nachweisen.
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
Eine zweite Auflage der Deutschen Sprachlehre erscheint 1791. Sie ist akribisch durchkorrigiert, unterscheidet sich aber inhaltlich, abgesehen von der Streichung des Titelzusatzes „für die Damen“ (vgl. Häcki Buhofer 1994; Hollmer 1996) und kleinen, wenn auch wesentlichen Ausnahmen (vgl. unten S. 169), nicht von der Erstauflage. 2.3.2
Die Entwicklung der Sprachphilosophie
Moritz’ Sprachlehre basiert auf einer zeittypischen, eklektizistischen Sprachphilosophie, die rationalistisches und sensualistisches Gedankengut vereint69. Moritz hat diese Sprachphilosophie zwar nur rudimentär ausgearbeitet, dafür aber in drei Versionen, die sich adressatenspezifisch und inhaltlich unterscheiden: in einem Aufsatz für seine Schüler, in seiner Deutschen Sprachlehre für die Damen und schliesslich im Aufsatz Auch eine Hypothese über die Schöpfungsgeschichte Mosis für die Leserschaft der Berlinischen Monatsschrift. Eine geplante monografische „Sprachphilosophie“ blieb ungeschrieben70. Das folgende Kapitel stellt Moritz’ Sprachphilosophie vor und fokussiert dabei insbesondere die Sprachursprungshypothese. 2.3.2.1
Zur sprachtheoretischen Situierung von Moritz’ Sprachlehre
Grammatiken des 17. und 18. Jahrhunderts haben generell entweder einen partikularistischen oder einen universalistischen Sprachbegriff und sind in ihrem Darstellungsanspruch entweder deskriptiv oder philosophisch. Der theoretisch-philosophische Ausgangspunkt der universalistischen Grammatiken ist die Sprachauffassung, die Aristoteles in Peri Hermeneias einführt (vgl. Weiss 1992, S. 19): „Nun sind die (sprachlichen) Äusserungen unserer Stimme Symbole für das, was (beim Sprechen) unserer Seele widerfährt, und unsere schriftlichen Äusserungen sind wiederum Symbole für die (sprachlichen) Äusserungen unserer Stimme. Und wie nicht alle Menschen mit denselben Buchstaben schreiben, so sprechen sie auch nicht alle dieselbe Sprache. Die seelischen Widerfahrnisse aber, für welche dieses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle eine Zeichen ist, sind bei allen Menschen dieselben; und überdies sind auch schon die Dinge, von denen diese (seelischen Widerfahrnisse) Abbildungen sind, für alle dieselben.“ (Aristoteles 2002, S. 3)
69 70
Sprachphilosophische Werke des 18. Jahrhunderts lassen sich eigentlich nie strikt der rationalistischen oder empiristischen beziehungsweise sensualistischen Position zuordnen (vgl. Deligne 1999, S. 118f.; Isermann 1999, S. 136f.) Vgl. Klischnig 1794, S. 204, 271; vgl. oben, S. 52.
Die Entwicklung der Sprachphilosophie
63
Universalistische Grammatiktheorien setzen also voraus, dass alle Sprachen dieselben Kategorien und Strukturen besitzen, da sie strukturell der Realität und dem Denken entsprechen und die Dinge der Realität sowie die aus ihnen abgeleiteten Begriffe des Denkens für alle Menschen dieselben sind (vgl. Weiss 1992, S. 19). Nach ersten Universalgrammatiken im Mittelalter (vgl. dazu BursillHall 1975, Padley 1976) war es die Grammaire générale et raisonnée (1660) von Antoine Arnauld und Claude Lancelot, die das universalgrammatische Konzept in der neuzeitlichen Sprachwissenschaft etablierte (vgl. Weiss 1992, S. 21). Im Anschluss an die Grammatik von Port Royal entwickelt sich die Universalgrammatik zu einem gesamteuropäischen Phänomen (vgl. Weiss 1992, S. 21). Eine Grundlage der philosophischen Grammatiken in Deutschland vor der Zeit des Idealismus war die Schulphilosophie Christian Wolffs (vgl. Weiss 1992, S. 22). Universalgrammatiken des frühen 18. Jahrhunderts definieren Grammatik meistens als Kunst, richtig zu reden und zu schreiben und übernehmen damit die Definitionen von Sanctius, „Grammatica est ars recte loquendi“ (zit. nach Weiss 1992, S. 29), und der Grammatik von Port Royal, „La grammaire est l’art de parler“ (Arnauld & Lancelot 1997 [31676], S. 5). In diesem Sinne ist die Grammatik eine Anleitung zum richtigen Gebrauch der Fertigkeit des Sprechens und Schreibens (vgl. Weiss 1992, S. 29). Alternative Definitionen bestimmen Grammatik als System von Regeln, welche die Sprachverwendung steuern, oder als Beschreibung eines solchen Systems (vgl. Weiss 1992, S. 29f). Auch Moritz legt seiner Sprachlehre einen universalistischen Sprachbegriff zu Grunde, geht mit seinem Verständnis dessen, was die Sprachlehre leisten soll, aber über die klassischen Grammatikdefinitionen hinaus (vgl. unten S. 77). In seinem Darstellungsanspruch ist Moritz philosophisch, was sich zum Beispiel daran zeigt, dass er mit seiner Grammatik die Kriterien zu erfüllen versucht, die Christoph Wolle im Vorwort zu Johann Werner Meiners Die wahren Eigenschaften der hebräischen Sprache (1748) als notwendige Eigenschaften einer Grammatik von „strenge[r] und philosophische[r] Lehrart“ (Wolle 1748, unpag. ) aufstellt. Wolle hält fest: „Eine gute hebräische Grammatik muß mit folgenden Eigenschaften versehen seyn. Sie muß wohlbestimmte Regeln haben. Die Regeln müssen aus der innern Natur der Sprache genommen seyn. Sie müssen so allgemein seyn, daß sie nicht von der Menge der Ausnahmen überwogen werden. Sie müssen ihre Gewißheit |xxiv| durch eine durchgängige und beständige Harmonie [scil. Widerspruchsfreiheit, vgl. Weiss 1992, S. 30 und 119] behaupten. Man muß von allen Veränderungen, die in der heiligen Sprache vorgehen, einen zureichenden Grund angeben können, warum etwas so ist, und nicht anders seyn kann.“ (Wolle 1748, unpag. )
64
Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
Vom Grammatikbegriff strikt zu trennen sind nach Weiss die Einteilungen verschiedener Grammatiktypen (vgl. Weiss 1992, S. 30). Eine zeitgenössische Einteilung unterscheidet die folgenden Typen (nach Weiss 1992, S. 31): grammatica grammatica philosophica Regeln werden bewiesen (demonstrare), d.h. erklärt
grammatica universalis Enthält Regeln, die allen Sprachen gemeinsam sind
grammatica vulgaris Deskriptive Grammatik: Regeln werden lediglich beschrieben
grammatica specialis Einzelsprachengrammatik
Abbildung 2: Grammatiktypologie um 1740 (nach Weiss 1992, S. 31)
Moritz grammatischer Ansatz, wie er sich in der Deutschen Sprachlehre für die Damen zeigt, entspricht hier der grammatica philosophica specialis. Diese Einteilung kommt auch ungefähr mit derjenigen überein, welche die Grammatik von Port Royal aufstellt (vgl. Abbildung 3): Typ:
grammaire général
grammaire particulière
grammaire d’usage
Methode:
die Phänomene werden erklärt (expliquer)
die Phänomene werden festgestellt (constater)
Beispiel:
sind beide als Teile in der Grammatik von Port Royal vorhanden (Arnauld & Lancelot 1997 [31676])
Grammaire von Vaugelas (1647)
Abbildung 3: Grammatiktypologie nach Arnauld & Lancelot (nach Weiss 1992, S. 32)
Hier wäre Moritz’ Sprachlehre der grammaire particulière zuzuordnen.
Die Entwicklung der Sprachphilosophie
65
Grammatiken setzen nach Weiss immer eine Theorie voraus, in welcher der Status ihrer Kategorien festgelegt ist. Philosophische Universalgrammatiken, zu welchen eben auch Moritz’ Sprachlehre gehört, bestimmen ihre Kategorien als universell, das heisst als für jede Sprache notwendig. Dafür gibt es drei mögliche Begründungsverfahren (vgl. Weiss 1992, S. 34f.): 1. Ontologisch-deduktive Grammatiken gehen von einer strukturellen Isomorphie zwischen Realität und Sprache aus und deduzieren die linguistischen Kategorien letztlich aus der Ontologie. Der ontologischen Kategorie Substanz zum Beispiel entspricht dann die grammatische Kategorie Substantiv. 2. Logisch-deduktive Grammatiken postulieren eine strukturelle Isomorphie zwischen Denken und Sprache. Sie rekurrieren bei der Deduktion der linguistischen Kategorien auf die Logik. So wird etwa der grammatische Satz aus dem logischen Urteil mit dessen Elementen Subjekt, Kopula und Prädikat abgeleitet. 3. Komparative (in der Terminologie von Johann Werner Meiner (1781) „harmonische“) Grammatiken gewinnen die Kategorien mittels einer empirisch-komparative Methode aus der Vergleichung verschiedener Sprachen. Weiss spricht hier auch von induktiver Universalgrammatik (vgl. Weiss 1992, S. 35). Moritz begründet die grammatischen Kategorien einerseits logischdeduktiv, entwirft in der Deutschen Sprachlehre für die Damen mit Hilfe einer neuen psychologisch-deduktiven Methode aber auch einen ganz eigenständigen Wortartenkatalog. 2.3.2.2
Moritz’ Sprachphilosophie
Moritz postuliert in seiner Sprachphilosophie drei anthropologisch grundlegende Sprachfunktionen: Sprache dient erstens der zwischenmenschlichen Kommunikation und erfüllt damit eine Mitteilungsfunktion, sie ermöglicht zweitens die Erkenntnis der Dinge in der Welt und erfüllt damit eine Erkenntnisfunktion, drittens schliesslich erfüllt sie eine Speicherfunktion. Während die Mitteilungsfunktion der zwischenmenschlichen Kommunikation dient und letztlich gesellschaftsbildend wirkt, sind die Erkenntnis- und die Speicherfunktion einander ergänzende kognitive
66
Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
Funktionen. Im Kontext dieser kognitiven Funktionen wird auch die Frage nach dem Sprachursprung relevant. Die Rolle der Sprache für das Gedächtnis hat wohl Thomas Hobbes als Erster deutlich hervorgehoben (vgl. Hassler 1984, S. 22 oder Hassler & Neis 2009 I, S. 406f.). Er beschreibt sie im der Sprache gewidmeten vierten Kapitel seines Leviathan (1651) und führt dabei mit dem Ausdruck Merkzeichen (marks) einen Begriff ein, der im 18. Jahrhundert etwa bei Herder, aber auch bei Moritz eine zentrale Rolle spielt. Von den Wörter als Merkzeichen (marks), die eine kognitive Funktion erfüllen, unterscheidet er die Wörter als Zeichen (signs), welche die Mitteilungsfunktion erfüllen: „Allgemein wird die Sprache dazu gebraucht, unser sich im Geiste abspielendes Denken in wörtlich geäußertes oder die Folge unserer Gedanken in eine Folge von Wörtern zu übertragen, und dies zu zwei Zwecken. Der eine davon ist das Aufzeichnen der Folgen unserer Gedanken. Diese entgleiten leicht unserem Gedächtnis und machen uns neue Arbeit, können aber mit Hilfe der Wörter, durch die sie gekennzeichnet sind, wieder ins Gedächtnis zurückgerufen werden. So werden also die Namen zuerst als Merk- oder Kennzeichen der Erinnerung gebraucht. Sodann können sich viele Menschen, wenn sie dieselben Wörter gebrauchen, gegenseitig durch Verbindung und Ordnung der Wörter zu verstehen geben, was sie sich unter jeder Sache vorstellen oder was sie über sie denken, sowie, was sie wünschen, fürchten oder sonst für Gefühle haben. Und hinsichtlich dieses Gebrauchs nennt man sie Zeichen.“ (Hobbes 1966 [1651], S. 25; Herv. im Orig.)71
Als Quelle für Moritz kommt aber eher ein Aufsatz von Johann Georg Sulzer in Frage. In seinen Anmerkungen über den gegenseitigen Einfluss der Vernunft in die Sprache, und der Sprache in die Vernunft (1773)72 nennt er wie Hobbes bei den Sprachfunktionen die Speicherfunktion an erster Stelle: „Zuvörderst finde ich, daß uns die Namen den Besitz der klaren Ideen versichern, von denen wir viele ohne diese Beyhülfe ganz verlieren würden. Das Gedächtniß ist ein sehr mechanisches Vermögen; es scheint, daß sich der
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In der Fortsetzung des Zitats spricht Hobbes der Sprache auch noch gesellschaftsbildende Funktionen zu: „Besondere Benutzungsarten der Sprache sind die folgenden: Erstens, das Aufzeichnen dessen, was wir durch Nachdenken als Ursache eines beliebigen gegenwärtigen oder vergangenen Dings herausfinden und was nach unserer Erkenntnis gegenwärtige oder vergangene Dinge hervorbringen oder bewirken können – kurz, das Erwerben von Fertigkeiten. Zweitens, anderen die Kenntnisse zu zeigen, die wir erworben haben, das heißt gegenseitige Beratung und Belehrung. Drittens, anderen unseren Willen und unsere Absicht bekannt zu machen, um gegenseitige Hilfe zu ermöglichen. Viertens, uns und anderen zu gefallen und zu erfreuen, indem wir zum Vergnügen oder zum Schmuck auf harmlose Weise mit unseren Wörtern spielen“ (Hobbes 1966 [1651], S. 25). Der Aufsatz ist 1767 französisch in den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin und 1773 in deutscher Übersetzung in Sulzers Vermischten Philosophischen Schriften erschienen (Sulzer 1773b).
Die Entwicklung der Sprachphilosophie
67
menschliche Geist keiner Sache anders als vermittelst einer an die Idee, welche er wieder hervorbringt, gebundenen Empfindung erinnere. Die Geschichte eines in eben dem Walde gefundenen wilden Kindes, in welchem es vermuthlich in seiner zartesten Kindheit augesetzt worden, lehret uns, daß der Mensch, der seine Begriffe nicht durch Zeichen festsetzen kann, ganz und gar kein Gedächtniß hat.“ (Sulzer 1773a, S. 179)
Der Aufsatz von Sulzer scheint überhaupt ein von der Forschung bisher übersehener Bezugstext für Moritz’ Sprachtheorie zu sein, auch wenn ihm Moritz in seiner zentralen These über die Rolle der Sprache im Erkenntnisprozess widerspricht. Sulzers Ausgangsfrage lautet: „Was für einen Gang mag wohl der Verstand genommen haben, daß es sich der Mensch einfallen ließ, schickliche Zeichen zur Vorstellung seiner Ideen zu suchen, und durch was für Mittel hat er wohl diese Zeichen gefunden?“ (Sulzer 1773b, S. 167). Sulzer erinnert zunächst an William Chesseldens Bericht einer Staroperation73, „die Geschichte jenes Blindgebohrnen, welcher erst, nachdem er zu den Jahren des Verstandes gekommen war, durch eine glückliche Operation sein Gesicht erlangte“ (Sulzer 1773a, S. 168) und hält fest: „Als er die verschiedenen in seinem Zimmer befindlichen Gegenstände zum ersten male erblickte, unterschied er nichts an denselben.“ (Sulzer 1773a, S. 168)
Er schliesst daraus auf den Verstand „des noch rohen thierischen Menschen“ (Sulzer 1773a, S. 168): „Seine Sinne wurden von tausenderley, in eine gleichartige Masse unter einander gemengten Gegenständen gerührt, worinnen er nichts zu unterscheiden wußte.“ (Sulzer 1773a, S. 168)
Mit ähnlichen Worten wird Moritz die Wahrnehmung im onto- und phylogenetisch prälinguistischen Zustand beschreiben. Nach Sulzer muss der Mensch zuerst die Dinge in seiner Wahrnehmung unterscheiden, bevor er sie benennen kann: „Nun ist es offenbar, daß man, ehe man darauf fallen kann, einer Sache einen Namen zu geben, dieselbe von der ganzen Masse der Vorstellungen, die man hat, unterscheiden, und als einen besondern von den andern abgesonderten oder unterschiedenen Gegenstand betrachten muß. Eben darinnen besteht also der erste Schritt, den der Mensch hat thun müssen, um zu einer Sprache zu gelangen; er mußte in seinen Vorstellungen gewisse Theile als abgesonderte und mit den übrigen nicht zusammenhängende Wesen unterscheiden.“ (Sulzer 1773a, S. 168).
Die ersten Unterscheidungen traf der Mensch mittels des Sehsinns. Der Sehsinn unterscheidet sich nach Sulzer dadurch von den anderen Sinnen,
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Vgl. zu Chesselden Davis 1960.
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
dass er „uns sehr bald merken läßt, daß sich die Gegenstände, deren Empfindung er in uns erreget, ausser uns befinden“ (Sulzer 1773a, S. 170). Die Augen empfinden die Wirkung des Lichts nicht, weshalb die Aufmerksamkeit bei der Gesichtswahrnehmung ganz auf den wahrgenommenen Gegenstand gelenkt wird. Aus diesen Gründen schliesst Sulzer: „Es ist also wahrscheinlich, daß die sichtbaren Gegenstände die ersten gewesen sind, welche der Mensch unterschieden, und von welchen er sich klare Begriffe gemacht hat. Der Mensch, der zum erstenmale [sic!] den vor seinen Augen ausgebreiteten Schauplatz der Natur erblickte, sah an demselben ein in seinen Theilen verschiedentlich gefärbtes flaches Gemälde. Allein ausser den Farben, unterscheidete er darinnen die Gestalten, und da er bald sah, daß einige Theile, welche er zu unterscheiden angefangen hatte, ihre Stelle veränderten, so war es ihm leicht, sie als abgesonderte Theile zu betrachten.“ (Sulzer 1773a, S. 170)
Die sinnliche und geistige Operation des Unterscheidens vollzieht sich nach Sulzer also ohne Hilfe der Sprache. Das Unterscheiden muss dem Benennen notwendig vorangehen: „Durch die bisher angezeigten Mittel gelangte also der Mensch nach und nach dazu, daß er das Chaos seiner Vorstellungen in Ordnung brachte und von einige Ideen insbesondere ein klare Erkenntniß bekam; eine Operation, welche nothwendig vor der Erfindung der Wörter vorhergehen mußte, indem man es sich nicht einfallen läßt, dasjenige zu nennen, wovon man keinen klaren Begriff hat.“ (Sulzer 1773a, S. 172).
In diesem Punkt wird Moritz eine andere Position vertreten. Sulzer beschreibt nun das Nachahmen von Geräusche als Anfang der Sprache: „Um den Gang des menschlichen Geistes bey dieser Erfindung deutlich zu begreifen, müssen wir vor allen Dingen bemerken, daß es sehr viele Gegenstände in der Natur giebt, welche ihre Gegenwart durch Laute zu erkennen geben. Nachdem der Mensch diese Gegenstände unterschieden, und sich Begriffe davon gemacht hatte, konnte es ihm nicht mehr sehr schwer fallen, sie zu bezeichnen; er durfte nur eben dieselben Laute, wodurch sich diese Gegenstände zu erkennen geben, nachahmen; denn man sieht, daß die Werkzeuge der Stimme bey dem Menschen ziemlich biegsam sind, und [im Orig. uud] daß er eine große Menge verschiedener Laute ohne Schwierigkeit nachmachet.“ (Sulzer 1773a, S. 173)
Moritz wird ihm in seiner Sprachursprungshypothese noch zugeben, dass „[a]ller Wahrscheinlichkeit nach […] die ersten Wörter in allen Sprachen nichts anders als Nachahmungen eines gewissen Lautes gewesen [sind]“ (Sulzer 1773a, S. 174), die Menge tönender Gegenständen aber viel kleiner einschätzen und den Ursprung der Sprache deshalb anders erklären. Übereinstimmend beschreiben die beiden Autoren dann aber das Verhältnis zwischen und Sprach und Einbildungskraft. Bei Sulzer heisst es dazu: „So oft wir also eine durch ein Wort bezeichnete Sache sehen, so kömmt uns zugleich dieses Wort wieder in den Sinn, und erinnert uns daran, daß diese Sache
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etwas ist, wovon wir schon eine Idee gehabt haben […]. Eben so kommen auf der andern Seite die Töne, welche unser Ohr schon gerührt haben, von Zeit zu Zeit wieder, man mag sie wirklich hören, oder sich vermittelst eines ähnlichen Lautes daran erinnern, und dann stellet sich auch die Idee, die man ihnen zugestellet hatte, wieder ein.“ (Sulzer 1773a, S. 180)
Das Ausgangsproblem bei der Erörterung der Erkenntnisfunktion der Sprache ist für Moritz die seit Leibniz’ Meditationes de cognitione, veritate et ideis (1684) die Erkenntnistheorie der Aufklärungsepoche leitende Frage nach der Genese von deutlichen Vorstellungen. Ganz klar wird dies in seine Schriften aber erst im Aufsatz Auch eine Hypothese über die Schöpfungsgeschichte Mosis von 1784. Seine Antwort auf die Frage lautet: Durch die Sprache kommt der Mensch zu deutlichen Vorstellungen. Damit stellt er sich in Opposition zu Sulzers Anmerkungen. Moritz begründet seine These mit der Annahme zweier sprachlicher Operationen: Benennen, indem zunächst ein Merkmal eines Gegenstandes isoliert und bezeichnet und daraus anschliessend ein Name für den Gegenstand definiert wird, und Unterscheiden, indem eine begriffliche Grenze um den Gegenstand gezogen wird. Mit diesen beiden sprachlichen Operationen werden die zwei kognitiven Sprachfunktionen des Erkennens und des Speicherns erfüllt. Die stetige Wiederholung der Operationen führt schliesslich zu deutlichen Vorstellungen. Die Genese der deutlichen Vorstellungen lässt sich ontogenetisch und phylogenetisch zurückverfolgen. Die Erklärung der Genese deutlicher Vorstellungen führt Moritz in fünf thematischen Schritten aus: 1. 2. 3. 4.
Erkenntnisfunktion der Sprache Speicherfunktion der Sprache Festigung durch Wiederholung Ontogenese der deutlichen Vorstellungen (hier wird der individuelle Spracherwerb behandelt) 5. Phylogenese der deutlichen Vorstellungen (hier wird der Sprachursprung behandelt) Durch die Rolle der Sprache bei der Genese der deutlichen Vorstellungen wird also zwangsläufig auch die Frage nach dem Sprachursprung relevant. Das Schliessen von der Ontogenese auf die Phylogenese ist dabei eine in der Sprachphilosophie der Aufklärung gängige Methode (vgl. Neis 2003, S. 231, 273). Diese fünf Schritte sollen nun durch die verschiedenen Varianten der moritzschen Sprachtheorie hindurch jeweils verfolgt werden.
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Von der Sprache (1779 / 1780) Der Aufsatz Von der Sprache scheint gleich zu Beginn den göttlichen Sprachursprung zu verfechten: „Eines der vorzüglichsten Geschenke, die wir von Gott erhalten haben, Kinder, ist die Sprache.“ (UmS, S. 201)
Dieser Eindruck relativiert sich jedoch sogleich mit der Fortsetzung des Textes: „Wenn ihr etwas begehret, und wißt eur Verlangen nur mit Worten auszudrücken, so versteht man euch, und kann aus dem, was ihr sagt, oft schon auf euren ganzen Zustand schließen, so bald nehmlich eure Wörter demjenigen, der sie hört, nicht fremde sind. Darum ist es eine schöne Einrichtung Gottes in der Welt, daß dieienigen Menschen, welche in einem Lande zusammen wohnen, auch größtentheils einerlei Sprache reden, weil sie mehr miteinander umgehen, und sich oft ihre Gedanken durch Worte zu verstehen geben müssen.“ (UmS, S. 201)
Thematisch in den beiden Zitaten ist nicht die Sprachursprungsfrage, sondern die Mitteilungsfunktion der Sprache. Geschickt auf die Erfahrungswelt der adressierten Kinder zugeschrieben, bestimmt Moritz hier die Sprache als Mittel des zwischenmenschlichen Gedankenaustauschs mit dem Ziel, einen Mangel zu beheben. Die Aussagen über die gesellschaftsstiftende Funktion der Sprache bei Hobbes (vgl. Anm. 71) klingen hier an. Moritz weist auf die Notwendigkeit eines gemeinsamen Codes für diese kommunikative Funktion hin und als Urheber dieses gemeinsamen Codes bezeichnet er Gott. Das scheint hier aber einfach der Evokation der Güte Gottes zu dienen und ist aus dem Kontext der Unterhaltungen mit meinen Schülern zu verstehen. Gestützt wird diese Lesart durch die Tatsache, dass die Sprachenvielfalt entgegen der christlich-theologischen und sprachphilosophischen Tradition nicht als babylonische Verwirrung der adamitischen Sprache und damit als Strafe Gottes74 dargestellt wird. Dass Kommunikation für den vergesellschafteten Menschen existentiell ist, zeigt Moritz den Kindern in doppelter Hinsicht: einerseits wird der Mensch durch Kommunikation zur Bildung und Aufrechterhaltung von Gesellschaft befähigt, andererseits stellt sie eine genuine Bedingung des Überlebens dar. Die verbale Sprache ist dazu das effizienteste Instrument. Dies führt Moritz seinen Schülern nun zunächst am drastisch anschaulichen Beispiel eines kranken, stummen Kindes vor Augen, das durstig ist, sein Begehren aber mangels Sprache nicht kund tun kann.
74
Vgl. zu den Theorien der Sprachvielfalt Borst 1995; Eco 1997, S. 21–32.
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„Nun stellt euch einmal vor, daß ihr, von Kindheit auf, niemals reden gelernet hättet, und es euch also gänzlich an der Sprache mangelte. Denkt, daß einer unter euch krank läge und einen Trunk Wasser begehrte. Selbst kann er sich nichts holen, weil er zu schwach ist. Er will also iemanden, der neben ihm steht, darum bitten, weiß aber kein Wort um das Wasser zu benennnen, und noch viel weniger eins, um das Herholen desselben, oder seinen Durst anzuzeigen. Er will den Finger zum Munde führen, um durch Zeichen sein Verlangen an den Tag zu legen, aber schon ist er so matt, daß er seine Hand nicht mehr aufheben kann. Wenn nun der neben ihm stehende nicht etwa errathen sollte, was dem Kranken fehlet, so ist dieser in Gefahr, vor Durst umzukommen, blos weil es ihm an der Sprache mangelt. Könnte er sagen: |203| mich dürstet! Oder, hole mir doch einen Trunk Wasser! So wäre all' seinem Leiden auf einmal abgeholfen.“ (UmS, S. 202f.)
Mit dieser kleinen Erzählung macht Moritz seine jungen Leser auch auf die Rolle der Sprache für die Einbildungskraft aufmerksam. Verglichen mit der Sprache sind andere Zeichensysteme für das Wecken von Vorstellungen in der Einbildungskraft defizient, weil sie semantisch eingeschränkter sind. Moritz geht den Zeichenkatalog der zeitgenössischen Semiotik75 systematisch durch und beginnt dabei mit der hierarchieniedrigsten Kategorie innerhalb der natürlichen Zeichen, den unwillkürlich als Reaktion auf einen Reiz produzierten Lauten, über die auch die Tiere verfügen. Sein Beispiel ist das Weinen des Kleinkindes. Zeichen dieser Art können undeutlich auf den körperlichen Zustand oder das seelische Befinden desjenigen hinweisen, der sie produziert, aber keine Auskunft über die näheren Umstände geben. „Ein kleines Kind hat noch keine Worte, wodurch es sein Verlangen ausdrücken, oder |202| seinen Schmerz beschreiben kann: es muß daher die meiste Zeit seine Zuflucht zum Weinen nehmen, und doch kann man ihn nicht immer zu Hülfe kommen, weil man sein Verlangen, oder seinen Schmerz erst errathen muß, und oft denselben noch vermehrt, indem man ihn lindern will.“ (UmS, S. 201f.)
Minen und Gebärden scheint Moritz für semantisch differenzierter zu halten. Er führt das aber nicht aus und es bleibt auch unklar, wie er sich ein Gestenrepertoire vorstellt. Wahrscheinlich denkt er an ad hoc erfundene gestische Zeichen. Die Defizienz der mimischen und gestischen Zeichen sieht Moritz darin, dass der Zeichenverwender damit nicht von der eigenen Person abstrahieren kann: „Aber durch was für Minen oder Gebehrden hätte ich euch wohl das Krankseyn, den Durst, den Mangel der Sprache, und die Gefahr des Sterbens, bei einem andern, erklären sollen? Würde es nicht immer geschienen hab|204|ben, als ob dies alles von mir selber gelten sollte?“ (UmS, S. 203f.; Herv. A. A.)
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Vgl. etwa Mendelssohn 1971 [1757], S. 174.
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Ikonische Zeichen schliesslich, Moritz spricht von „Gemählden“, können keine abstrakten Entitäten denotieren – konkret: kein Gefühl, keine Negation, keine Potentialität – und nur statische Situationen abbilden, also keine Narration vermitteln. Sie sind deshalb von sprachlicher Beschreibung abhängig. „Allein sind denn nicht wieder Worte nöthig, um das Gemählde zu erklären? Wer kann wohl den Durst, den Mangel der Sprache, die Gefahr des Sterbens, und überhaupt das ganze Beispiel von dem kranken Menschen, so deutlich abmahlen, wie man es in kurzer Zeit, und mit wenigen Worten erzählen kann? Wenn wir durch Gemählde miteinander reden wollten, so müßten wir zu ieder Erzählung immer erst, wer weiß wie viele, Gemählde brauchen, und dann würden wir uns doch oft einander nicht recht verstehen, weil in einem Gemählde kein Leben und keine Bewegung ist.“ (UmS, S. 204)
Das intuitive Argument, die Denotation ikonischer Zeichen sei deutlicher als diejenige von Symbolen, da sie zu ihrem Referens in Ähnlichkeitsrelation stünden, widerlegt Moritz luzide: „Aber, werdet ihr vielleicht sagen, ein Gemählde stellt mir doch die Sachen weit deutlicher vor, als ein Wort. Das Wort Baum sieht doch gar nicht aus wie ein Baum, da hingegen ein Bild vom Baume mit demselben weit mehrere Aehnlichkeit hat? Nun bedenkt aber auch, daß ihr, auf einem Bilde, den Baum gemeiniglich weit kleiner seht, als wie er wirklich ist. Auf einem Kupfer sieht er sogar nicht einmal grün, sondern schwarz aus, und dann ist sowohl auf Kupfern als Gemählden alles flach, und das Erhabne der Figuren muß man sich erst dabei vorstellen.“ (UmS, S. 206)
Demgegenüber vermag die Sprache in der Einbildungskraft Vorstellungen zu erwecken, welche die realen Dinge exakt nachbilden: „Wenn ich euch aber das Wort Baum sage, so entsteht auf einmal ein Baum in euren Ge|207|danken, so groß und schön wie er wirklich ist, mit seinem Stamm, mit seinen Zweigen und allen seinen grünen Blättern; wenn ihr das Wort Knabe hört, so stellt ihr ihn euch ebenfalls so groß vor, wie er wirklich ist, und er steht auf einmal ganz in euren Gedanken da; und wenn ich euch nun das Wort hinaufklettern sage, so daß es sich auf den Knaben und auf den Baum bezieht; so klettert auch, in euren Gedanken, der Knabe wirklich auf den Baum hinauf: da steht also in eurer Seele ein Gemählde, worinn alles lebt und sich bewegt, und welches deutlicher und schöner ist, als iedes andre Bild, das ich euch zeigen könnte.“ (UmS, S. 206f.)
Die Sprache ist den übrigen Zeichensystemen also in ihrer semantischen Leistungsfähigkeit, in ihrer Effizienz und ihrer Ökonomie („in kurzer Zeit, und mit wenigen Worten“) überlegen.
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Die Metapher des bewegten, mit Leben erfüllten Gemäldes, womit Moritz die Vorstellungen in der Einbildungskraft umschreibt, führt ihn anschliessend zu einer rudimentären Wortartenunterscheidung, die das Substantiv, das Verb sowie die Präposition berücksichtigt. Moritz bedient sich hier der deutschen Termini Nennwort, Zeitwort und Vorwort. Bei den Nennwörtern steht im Gemälde, das heisst in der Vorstellung, noch alles still, die Zeitwörter bringen Bewegung hinein und die Vorwörter binden die beiden anderen zusammen (vgl. UmS, S. 207f.). Die Vorstellungen, so fährt Moritz fort, liegen bereits in der Seele. Durch die Sprache werden sie dort nur aktualisiert. Moritz vertritt hier den sensualistischen Standpunkt: Ein Blinder, so hält er in der Tradition von Locke fest, kann nicht dieselben Vorstellungen besitzen wie ein Sehender. Seine Vorstellungen setzen sich aus Gefühls- und Gehörseindrücken zusammen (vgl. UmS, S. 208ff.). Etwas unvermittelt kommt Moritz dann auf die Speicher- und die Erkenntnisfunktion der Sprache zu sprechen. Wörter sind „Merkstäbe“, so führt er mit Hobbes und Herder zunächst aus, mittels derer wir uns an Eindrücke erinnern können. „Ohne Sprache würdet ihr nicht gut etwas im Gedächtniß behalten können. Wer in einem dicken unwegsamen Gehölze wäre, und den Weg, den er ginge, wieder finden wollte, müßte sich einen Merkstab nach dem andern hinstellen, wornach er sich richten könnte, wenn er wieder umkehrte. Solche Merkstäbe sind die Worte. So bald wir etwas sehen, oder hören, befestigen wir uns einen Merkstab in der Seele, und wenn wir uns nun dessen, was wir gehört oder gesehen haben, wieder erinnern wollen, so dürfen wir uns nur nach diesen Merkstäben richten. Wenn wir das nicht thäten, so würden wir mit unsrer Erinnerung nicht gerade auf die Dinge fallen, die wir uns wieder erinnern wollen, sondern würden bald zur rechten, bald zur linken abweichen, und niemals auf den rechten Fleck treffen.“ (UmS, S. 212)
Um aus Sinneseindrücken entsprungene Vorstellungen dauerhaft abzuspeichern, bedarf es also offenbar der sprachlichen Zeichen. Der Zusammenhang zwischen Sinneseindruck, Vorstellung und Zeichen scheint Moritz hier nicht ganz klar zu sein. Es scheint, als würde er bloss Topoi der Philosophie von Leibniz bis Herder referieren. Schliesslich kommt er auf die Erkenntnisfunktion der Sprache zu sprechen. Die Worte schreiben den Dingen ihre Grenzen vor, so hält er fest. Ohne Sprache könnte man die Gegenstände nicht voneinander unterscheiden. Bei der Festigung dieser Begrenzung der Gegenstände wirkt offenbar ein gegenseitiger Einfluss der Sprache auf die Vorstellungen und der Vorstellungen auf die Sprache (Festigung durch Wiederholung) (vgl. UmS, S. 213f.). Vor dem Spracherwerb können Kinder nach Moritz folglich die Dinge nicht voneinander unterscheiden (vgl. UmS, S. 214).
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In diesem Zusammenhang vergleicht Moritz den Spracherwerb mit Gottes Weltschöpfung (Genesis 1, 3): „Als ihr aber sprechen lerntet, da wurde es Licht in eurer Seele“ (UmS, S. 215). Der ontogenetische Spracherwerb ist also eine individuelle zweite Schöpfung der Welt aus dem Chaos der Wahrnehmungsdaten. Diese zweite Schöpfung ist aber nur auf Grund von Gottes UrSchöpfung der Welt möglich, die ihrerseits die erste menschliche Neuschöpfung der Welt durch den Ur-Spracherwerb des ersten Menschen ermöglicht hat. Denn Gott hat die Sprache in die Schöpfung mit eingewebt. Und hier kommt es nun zur ersten Formulierung von Moritz Sprachursprungshypothese: „Gott wußte es wohl, wie nöthig dem Menschen die Sprache sey, darum hat er dieselbe gleichsam schon in die Schöpfung mit eingewebt. Er legte nehmlich einen solchen Unterschied in die Dinge, welche sich dem Menschen darstellten, daß gleichsam das Wort aus seiner Seele herausgepreßt werden mußte, womit er diesen Unterschied be|216|zeichnen sollte. Daher heißt es: Gott scheidete das Licht von der Finsterniß, und nannte das Licht Tag, und die Finsterniß Nacht. Die Veste nannte er Himmel. Die Sammlung der Wasser nannte er Meer, und das Trockne Erde. Seht, so sorgte Gott für den ersten Menschen, daß er ihm gleichsam schon die Sprache in den Mund legte.“ (UmS, S. 215f.)
Über den genauen Verlauf des phylogenetischen Sprachursprungs sagt Moritz hier nichts. Es bleibt offen, ob dem ersten Menschen bereits eine ausgereifte Sprache zur Verfügung stand oder ob die Ursprache im Verlaufe der Zeit verbessert wurde. Die Sprachursprungshypothese in dieser Formulierung scheint also noch ganz der Position des göttlichen Sprachursprungs zu entsprechen. Als Abschluss seines Textes hält Moritz jedenfalls fest: „Wenn wir die Sprache, die wir ietzt reden, erst hätten erfinden sollen, wie lang Zeit würde darüber verflossen seyn, ehr wir sie zu der Vollkommenheit gebracht hätten, worinn wir sie nun besitzen? Bei unsern Lebzeiten wäre das gewiß nicht geschehen. Ja unsre späten Nachkommen würden es vielleicht noch nicht dahin gebracht haben. Wie vielen Dank seyd ihr also Gott dafür schuldig, daß er dies Sprache von euren Eltern auf euch forterben ließ, und daß ihr nun so leicht, und fast ohne es selbst zu wissen, reden und denken lernet!“ (UmS, S. 216)
Der Aufsatz Von der Sprache vereinigt zwei heterogene Paradigmen der aufklärerischen Sprachphilosophie: sprachphilosophische Topoi von Leibniz bis Herder einerseits, den göttlichen Sprachursprung andererseits. Die sprachphilosophischen Abschnitte bilden dabei das Zentrum und werden von den theologischen eingerahmt. Die theologischen Abschnitte binden den Text an den religiös-sittlichen Gesamtkontext der Unterhaltungen mit meinen Schülern, die sprachphilosophischen versuchen den Kindern die Nobilität der Sprache wissenschaftlich zu erklären, die letztlich aber
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wiederum als Ausdruck der Liebe Gottes zu den Menschen dargestellt wird. In der Gesamtargumentation sind die beiden Positionen aber nicht stringent verbunden. Es kommt zu einer Aporie zwischen den zentralen Aussagen zum phylogenetischen und ontogenetischen Spracherwerb: i.
Kinder können ohne Sprache keine Unterscheidungen in den Dingen wahrnehmen.
ii. Gott hat einen solchen Unterschied in die Dinge gelegt, dass die Worte dem ersten Menschen gleichsam herausgepresst worden sind. Denn ohne Sprache hätte auch der erste Mensch die Unterschiede in den Dinge nicht unterscheiden können, oder aber auch die Kinder müssten die Dinge vor dem Spracherwerb unterscheiden können, da Gott einen auffallenden Unterschied in sie gelegt hat. Es bleibt unklar, weshalb die Dinge in der Erfahrungswelt von Kindern in der prälinguistischen Phase des Spracherwerbs ineinanderfliessen, wenn Gott sie doch derart unterschiedlich geschaffen hat, dass die ursprüngliche Sprachschöpfung durch den Menschen möglich war. Die Aporie liesse sich lösen, wenn dem ersten Menschen etwa mit Süssmilch andere Fähigkeiten als den Kindern zugesprochen würden.76 Moritz äussert sich jedoch nicht in diese Richtung. Das Problem entsteht hier nicht so sehr durch die Verquickung der sprachphilosophischen Topoi mit der theologischen Sprachursprungshypothese, diese beiden Dinge sind durchaus vereinbar, wie Süssmilch zeigt, auf den Moritz hier auch zu rekurrieren scheint, sondern durch die Prämisse, Gott habe Unterschiede in die Dinge gelegt, die sich bei Süssmilch nicht findet. Während Süssmilch sich einer Aussage über den genauen Ablauf der göttlichen Sprachschöpfung enthält, geht Moritz über die biblische Erklärung des Sprachursprungs in der Genesis 2,19–2,20 hinaus (auf die er mit der Zeile: „Seht, so sorgte Gott für den ersten Menschen, daß er ihm gleichsam schon die Sprache in den Mund legte“ (UmS, S. 216) rekurriert), und leitet aus Genesis 1,4–1,10 seine eigene Theorie ab. Eine zweite Aporie ergibt sich möglicherweise bei der mit der Sprachursprungsdebatte eng verbundenen, von Moritz hier allerdings nicht explizit behandelten Frage, ob Sprache arbiträr oder motiviert sei. Die
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Süssmilch schreibt in seinem Versuch: „So wie Gott den Menschen dem Leibe nach gleich in einer männlichen Größe und Stärke erschaffen hat, so hat er ihm auch der Seele und derselben Bestimmung nach so gleich das Mittel gegeben, wodurch er vernünftig denken und klüglich handeln kann“ (Süssmilch 1766, S. 110).
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Diskussion über das Vorhandensein einer Ähnlichkeitsrelation zwischen Wörtern beziehungsweise Bildern und den durch sie bezeichneten Dingen deutet darauf hin, dass Moritz zumindest die aktuelle Sprache für arbiträr hält. Aus seiner Erklärung des phylogenetischen Sprachursprungs hingegen scheint zu folgen, dass er die Sprache als motiviert betrachtet. Denn der Unterschied in den Dingen presst die Worte aus dem Mund des ersten Menschen. Allerdings ist diese Folgerung nicht zwingend, denn Moritz gibt keine Auskunft darüber, wie genau die erste Sprache verfasst ist. Der Aufsatz Von der Sprache hinterlässt also einerseits den Eindruck einer eklektizistischen, wenig reflektierten Sprachphilosophie. Dafür mag der Erscheinungskontext des Aufsatzes verantwortlich sein. Denn andererseits sind hier viele Theoreme bereits vorhanden, die dann in den Sprachschriften erst richtig ausgearbeitet werden. Deutsche Sprachlehre für die Damen (1782) In der Deutschen Sprachlehre für die Damen bilden die sprachtheoretischen Reflexionen am Anfang, in der Mitte und am Schluss des Buches (Briefe 1, 7 und 15) die Klammer für die grammatische Betrachtung der Sprache. Im 1. Brief der Deutschen Sprachlehre äussert sich Moritz über das Wesen der Sprache und über sein Verständnis von Grammatik. Die kognitiven Sprachfunktionen sind das Thema des siebten Briefes. Er ist in grossen Teilen eine wesentliche Überarbeitung des Aufsatzes Von der Sprache aus den Unterhaltungen mit meinen Schülern. Der 15. Brief schliesslich ist der Sprachursprungshypothese gewidmet. Erster Brief: Endzweck der Sprachlehre. Eine explizite Definition von Grammatik findet sich bei Moritz nicht. Im 1. Brief der Deutschen Sprachlehre grenzt er sein Buch aber von bloss präskriptiven Schulgrammatiken ab, die nur den korrekten Ausdruck lehren wollen: „Blos deswegen seine Muttersprache näher kennen zu lernen, um sich in derselben |8| richtig ausdrücken zu können, hieße die Kenntniß derselben zu tief herab setzen. (Diesem Endzweck gemäß dürfte eine deutsche Sprachlehre ausser den Regeln der Rechtschreibung wenig mehr enthalten, als eine Sammlung der Fehler, welche gewöhnlich im Reden gemacht werden.)“ (DS, S. 7f.)
Der korrekte Ausdruck spielt in dieser Sprachlehre tatsächlich eine untergeordnete Rolle. Das Hauptziel, Moritz verwendet den Ausdruck Endzweck77, besteht vielmehr darin, die Funktionsweise der Sprache und
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Nach Adelung „überhaupt alles dasjenige, was ein vernünftiges Wesen durch seine Handlungen zu erreichen sucht, besonders dasjenige, was es mit Bewusstsein und deutlicher Er-
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daraus abgeleitet die Funktionsweise des Denkens zu erklären. Es handelt sich bei der Deutschen Sprachlehre für die Damen also um eine philosophische Grammatik. Die Möglichkeit, von der Sprache auf das Denken zu schliessen, deutet Moritz bereits in den Briefen Vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s an (vgl. UAD, S. 23). Und in den Zusätzen zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ's und Dativ's erklärt er die Sprache unvermittelt zum Analyseinstrument des Denkens: Das „Denken über die Sprache ist doch eigentlich der nächste Weg, in die innere Natur unsrer Gedanken tiefer einzudringen“, heisst es dort (ZUAD, S. 8). Die Analyse des Denkens beziehungsweise der Seele wiederum hat Moritz bereits in seinem Vorschlag zu einem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde (1781/82) zum Forschungsauftrag erklärt: „Von dem Leben der Menschen, deren Geschichte beschrieben ist, kennen wir nur die Oberfläche. Wir sehen wol, wie der Zeiger an der Uhr sich dreht, aber wir kennen nicht das inre Triebwerk, das ihn bewegt. Wir sehen nicht, wie die ersten Keime von den Handlungen des Menschen sich im Innersten seiner Seele entwickeln. Dies bemerken wir nur so selten bei uns selber, geschweige denn bei andern. Damit ist aber nicht ausgemacht, daß wir es nicht bemerken könten. Dies ist eben noch das unbearbeitete Feld.“ (Vorschlag, S. 493)
Und der Bearbeitung dieses Feldes, der Erforschung der Seele eben, dient nun also auch die Deutsche Sprachlehre für die Damen. Moritz schreibt: „Allein die Sprachlehre hat einen höhern Endzweck: sie soll uns die geheimen Fugen auseinander legen, wodurch das Gebäude unsrer Sprache sich ineinander schließt; sie soll uns aufmerksam machen, auf den Gang unsrer Gedanken, wovon unsre Ausdrücke nur Gemählde sind, und auf die Art soll sie uns das Gemählde mit dem Original vergleichen, und uns die Sprache, als die erste Quelle aller menschlichen Wissenschaften kennen lehren, woraus diesel|9|ben, wie unzähliche Bäche entsprungen sind.“ (DS, S. 8f.)
Dieses komplexe Zitat spricht mehreres an: die Sprache ist ein Gefüge von Elementen, diese Sprach-Elemente sind Abbilder der Gedanken, die linguistische Struktur lässt Schlüsse zu auf die psychologische Struktur und die Sprache ist das Medium aller Wissenschaften. Das Wesen der Sprache erkennt Moritz also in ihrer Abbildrelation zum Denken. Diese Abbildrelation beschreibt er metaphorisch unter Verwendung verschiede-
kenntnis zu erreichen sucht“ (Adelung 1990 [1793–1801] I, Sp. 1809). Ein Endzweck kann nicht nur von einer Person für ihre Handlungen, sondern auch für eine Sache, hier also die Kenntnis der Sprache, formuliert werden (vgl. Adelung 1990 [1793–1801] I, Sp. 1809). Adelung weist darauf hin, dass nur ein letzter und höchster Zweck als Endzweck bezeichnet werden sollte (vgl. Adelung 1990 [1793–1801] IV, Sp. 1782).
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ner Topoi der Sprachphilosophie des 17. und 18. Jahrhunderts.78 Mit Leibniz spricht er zunächst davon, „wie der helle Spiegel der Sprache [den] ganzen prächtigen Zusammenhang [der Schöpfung] sowohl als die allerfeinsten Schönheiten derselben zurückstrahlt“ (DS, S. 3).79 In dieser Formulierung scheint Moritz zwar ein direktes Verhältnis zwischen der Sprache und den Dingen der Schöpfung anzunehmen, eine Stelle aus dem 2. Brief legt aber nahe, dass es sich um eine verkürzte Darstellung handelt und der Spiegel der Sprache die Vorstellungen reflektiert, die ihrerseits allerdings die Gegenstände in der Welt spiegeln: „Jetzt denke ich mir, wie Sie mit meinem Briefe in der Hand auf Ihrem Altan sitzend, die ganze schöne Gegend um Ihre ländliche |21| Wohnung überschauen. Ihre Seele ist der Spiegel, worinn der Fluß, die Wiese, der Tannenwald, und der entfernte Hügel sich darstellen; und das Gemählde, welches Sie mir in Ihrem letzten Briefe von allen diesen Gegenständen entworfen haben, ist wiederum ein Spiegel Ihrer Seele, worinn ich Ihre feinsten Empfindungen und Ihre lebhaftesten Vorstellungen lese.“ (DS, S. 20f.)
In der oben zitierten Beschreibung des Endzwecks seiner Sprachlehre verwendet Moritz dann zwei miteinander verwandte Metaphern, die in der Sprachphilosophie des 17. und 18. Jahrhunderts zur Bezeichnung des Verhältnisses zwischen Sprache und Denken omnipräsent sind: die Gemählde- und die Original/Kopie-Metapher. Die Gemähldemetapher findet sich prominent etwa in Nicolas Beauzées Encyclopédie-Artikel Grammaire, wo es heisst: „La parole est une sorte de tableau dont la pensée est l’original […]“ (Beauzées 1966, S. 841). Ein Beispiel für die Original/Kopie-Metapher wäre die Stelle in Meiners Versuch einer an der menschlichen Sprache abgebildeten Vernunftlehre, wo er das Verhältnis des Denkens zu verschiedenen Sprachen in Analogie setzt zum Verhältnis zwischen einem Original und unterschiedlichen Kopien (vgl. Meiner 1781, S. IV; vgl. oben S. 53). Die Gemäldemetapher ist insofern interessant, als sie bei Autoren aller philosophischen Richtungen vorkommt, aber für unterschiedliche sprachphilosophische beziehungsweise erkenntnistheoretische Standpunk-
78 79
Zur Verwendung von Metaphern im sprachphilosophischen Diskurs der Aufklärung vgl. Schmidt 1989 und Damis 1999. Leibniz schreibt in seiner Ermahnung an die Deutschen: „Was aber den Verstand betrifft und die Sprache, welche gleichsam als ein heller Spiegel des Verstandes zu achten, so glaube ich, diesfalls habe ein jeder die Macht , seine Gedanken vorzutragen […]“ (Leibniz 1967 [1682, publ. 1846], S. 17). Als direkte Quelle für Moritz kommt die Ermahnung an die Deutschen allerdings nicht in Frage. Sie wird erst 1846 von Carl Ludwig Grotefend herausgegeben. Die Spiegel-Metapher findet sich aber auch an anderen Stellen in Leibniz’ Werk (vgl. Anm. 267).
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te steht.80 Hans Aarsleff verortet die Quelle der Gemälde- wie der Original/Kopie-Metapher in der Universalgrammatik des 17. Jahrhunderts: „Universal grammar was the first of the two [scil. Universale Grammatik und die Lockesche Doktrin des Ursprungs der Ideen in der Wahrnehmung] to postulate a connection between language and thought. It was based on the simple consideration that if discourse is the image of thought and if thought is subject to the laws of reason, then discourse itself must reveal and illustrate the laws of reason. This view was summed up on the popular and suggestive metaphor which said that language or speech is a painting or a copy of the mind [...].“ (Aarsleff 1967, S. 14)
In der hier beschriebenen rationalistischen Ausformung der Gemäldemetapher wird Sprache als Kopie des Denkens verstanden. Ihr zu Grunde liegt ein Sprachverständnis, das der Sprache einzig eine Mitteilungsfunktion zuspricht, die darin besteht, das Denken in seiner Ordnung getreu wiederzugeben. Sprache in diesem Verstande hat den Charakter eines Werkzeugs.81 Dies wird etwa deutlich in einer Stelle in Bernard Lamys De l’art de parler. Im zweiten Abschnitt des ersten Kapitels der Ausgabe von 1776 heisst es: „Le discours est une peinture de nos pensées: La langue est le pinceau qui trace cette peinture, & les mots sont les couleurs.“ (Lamy 1776, S. 4f.)
Moritz hingegen weist den ebendieses Sprachverständnis verratenden Einwand seiner Adressatin zurück (unter Verwendung einer Formulierung, die man fast als Allusion auf die Lamy-Stelle lesen möchte): „Demohngeachtet aber wird sich der Einwurf in Ihnen empor drängen: die Spra|11|che bleibt doch immer nur Werkzeug in der Hand des Künstlers, er allein darf auf unsre Dankbarkeit Anspruch machen, und nicht das Werkzeug, das von seiner Meisterhand regiert wird. Freilich kann es uns auf den ersten Blick beinahe scheinen, als ob die Sprache blos Werkzeug wäre; allein man siehet doch leicht, daß sie sich zu den Werken des Geistes, welche darinn hervorgebracht sind, ohnmöglich so verhalten könne, wie der Pinsel zu dem Gemählde, oder der Meißel zu der Bildsäule.“ (DS, S. 10f.)
Natürlich nennt Moritz im 1. Brief auch die Mitteilungsfunktion82 und deutet deren Wichtigkeit für die Vergesellschaftung an,83 weist der Sprache
80 81 82 83
Vgl. dazu ausführlich Aebi 2000, S. 56ff. Die Werkzeugmetapher geht zurück auf Platons Kratylos (St. 388). Er beschränkt dabei den Hobbes'schen Katalog (vgl. Anm. 71) auf die offenbar für Frauen einzigen relevanten Kommunikationssituationen Sprechen mit einem Freund und in einem liebenswürdigen Schriftsteller lesen (vgl. DS, S. 10). Moritz schreibt: „[…] durch das Wort ward das Band der Menschheit fest geknüpft, daß sie sich zu einem großem [sic!] Endzweck vereinigten, Städte zu bauen, sich zu sichern, sich auszubreiten, und tausend Dinge zu thun, wodurch sie ihren Vorzug vor allen übrigen
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aber mit den kognitiven Funktionen eine weit grössere Aufgabe zu, als die rationalistische Sprachphilosophie: „[…] was wären alle Gegenstände ausser uns, ohne die Gedanken in uns? Und was wären wiederum alle Gedanken, ohne die Worte, wodurch wir dieselben unterscheiden? Das Wort ist der Seele so nöthig, um zu denken, wie die Gestalt und Farbe, dem Auge, um zu sehn, und der Schall dem Ohre, um zu hören. Dieß bestätigt sich wirklich dadurch, daß die Taub und Stummgebohrnen, wenn sie ihr Gehör wieder erhalten, erst durch die Sprache Begriffe bekommen, und sich von ihrem vorigen Zustande, in welchem es ihnen, wegen Mangel des Gehörs, an der Sprache fehlte, nichts erinnern können. “ (DS, S. 15)
Es zeigt sich damit, dass es sich bei der Deutschen Sprachlehre für die Damen um eine logisch-deduktive Grammatik im oben definierten Sinne handelt, die eben eine strukturelle Isomorphie zwischen Denken und Sprache postuliert (vgl. oben S. 65) Die Sprache ist damit das Medium des Denkens, sie „verhält sich zu alle dem, was wir wissen, beinahe so wie das Auge, zu den Gegenständen, die wir sehen“ (DS, S. 17). Und das macht die Sprachwissenschaft zu einer herausragenden Disziplin, sie führt uns nämlich, „nachdem wir über tausend Dinge gedacht haben, auf den Urquell un|18|sers Denkens selbst zurück“ (DS, S. 17). Siebter Brief: Die kognitiven Sprachfunktionen. Im 7. Brief geht Moritz auf die kognitiven Funktionen der Sprache, also auf die Erkenntnis- und die Speicherfunktion ein. Damit verbunden wird hier aber auch bereits der Sprachursprung thematisch. Im Inhaltsverzeichnis heisst es entsprechend von der Sprache: „Sie kömmt unsern Sinnen bei der Betrachtung der Natur zu Hülfe. |553| Sie giebt unserm Gedächtniß Dauer und Festigkeit. Es scheinet, als wenn Gott durch die ganze Natur dem Menschen die Sprache in den Mund gelegt, und sie zu dem Endzweck schon [von] Anfang in die Schöpfung gleichsam mit eingewebt habe.“ (DS, S. 552f.)
Geschöpfen behaupten konnten“ (DS, S. 16). Es handelt sich dabei um eine Allusion auf den ersten Satz des dritten Buches von Lockes Essay concerning human understanding, der lautet: „Da Gott den Menschen zu einem geselligen Wesen bestimmt hatte, so erschuf er ihn nicht nur mit der Neigung und versetzte ihn nicht nur in die Notwendigkeit, mit seinen Artgenossen Gemeinschaft zu pflegen, sondern stattete ihn auch mit der Sprache aus, die das hauptsächliche Werkzeug und das gemeinsame Band der Gesellschaft werden sollte.“ (Locke 1981, III, 1; S. 1)
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„Wie kömmt es“, so lautet das Ausgangsproblem, „daß die mannichfaltigen Gegenstände sich nicht vor unsern Blicken verschwimmen? daß wir das Einzelne im Ganzen […] unterscheiden?“ (DS, S. 162). D ie Erkenntnisfunktion der Sprache. In drei anaphorischen rhetorischen Fragen formuliert Moritz eine erste Teillösung des Problems: Die Sprache erfüllt eine Erkenntnisfunktion, indem sie die drei Operationen Kennzeichnen, Benennen und Eingrenzen ermöglicht, die sich zu den zwei Hauptoperationen der Erkenntnisfunktion Benennen und Unterscheiden zusammenfassen lassen. i) Kennzeichnung „Ist es nicht die Sprache, wodurch wir einer jeden Gattung von Dingen, ein untrügliches Merkmahl aufdrücken, an welchem wir sie wieder kennen, wir mögen sie antreffen wo und in welcher Mischung wir wollen?“ (DS, S. 163)
ii) Namen geben (Benennen) „Ist sie es nicht, welche uns mit einem Worte die ganze Natur umfassen, und dann wieder das kleinste Sonnenstäubchen in der|164|selben auf das genaueste bezeichnen läßt?“ (DS, S. 163f.)
iii) Eingrenzen „Ist es nicht das Wort, welches der Vorstellung die Grenzen vorschreibt, die sie nicht überschreiten soll, indem es den Umfang des Gegenstandes, den wir betrachten wollen, es sey nun ein Eichbaum oder ein Grashalm, auf ein Haar bezeichnet.“ (DS, S. 164)
Bevor Moritz die Erkenntnisfunktion der Sprache mit ihren Hauptoperationen Benennen und Unterscheiden am Schluss dieses ersten argumentativen Teils noch einmal deutlich beschreibt, antizipiert er einen Einwand seiner Briefpartnerin. Er stellt sie als Realistin dar, die die Merkmale als an den Dingen selber befindlich, als ontologisch real annimmt: „Freilich werden Sie sagen, daß dieser Unterschied schon in den Dingen selber liegt, und daß ein jedes die Linie seines Umfanges gleichsam selber um sich her ziehet; daß insbesondre die Durchsichtigkeit der Luft sehr vieles dazu beiträgt, uns den Unterschied der Dinge auffallender zu machen, indem beständig Lücken zwischen denselben zu seyn scheinen.“ (DS, S. 164)
Dieser Einwand ist keineswegs naiv (der Aufsatz Auch eine Hypothese über die Schöpfungsgeschichte Mosis wird im Übrigen zeigen, dass er Moritz’ eigener Position entspricht), sondern bezieht sich auf eine Debatte zwischen Diderot, Condillac und Maupertuis über die Rolle der Sprache in der Unterscheidungen von Wahrnehmungen. Maupertuis hatte der Sprache in seinen Réflexions philosophiques (1748) die alleinige Macht zugesprochen, Unterschiede in die Perzeptionen zu legen. Dem widersprach Condillac,
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auf Anregung von Diderot, in seinem Traité des sensations (1984 [1754]), wo er von der Existenz und dem Einfluss der Aussenwelt auf das Erkennen ausging. Turgot behauptete schliesslich in seiner Erwiderung auf Maupertuis Réflexions philosophiques klar, dass die Sprache nicht Unterschiede in die Dinge legen könne, die dort nicht bereits gegeben sind. Der realistische Einwand schmälert nach Moritz die Rolle der Sprache für die Erkenntnis nicht. Er postuliert nun erneut die Notwendigkeit der drei Sprachoperationen für die Erkenntnisfunktion, verdeutlicht seine Aussagen aber mit zusätzlichen Argumenten. So begründet er die Notwendigkeit der Kennzeichnung, „Allein diesen Unterschied selbst muß doch |165| die Sprache erst bezeichnen, […].“ (DS, S. 164f.),
mit der Speicherfunktion der Sprache: „[…] wenn er uns nicht in demselben Augenblick, da wir ihn bemerkt haben, wieder entwischen soll.“ (DS, S. 165).
Das Benennen wird verknüpft mit einer ersten Aussage zum (ontogenetischen und phylogenetischen) Sprachursprung. Moritz postuliert dabei die Existenz eines Hauptmerkmals der Dinge („auffallendster Unterschied der Dinge“), das wir unserer Vorstellung mittels eines Zeichens verfügbar („in unsrer Vorstellung“), und anschliessend zur Grundlage des Namens machen, mit dem wir ein Ding belegen:84 „Der auffallendste Unterschied der Dinge, in unsrer Vorstellung, preßte zwar zuerst das Wort hervor, […].“ (DS, S. 165)
Das Eingrenzen schliesslich wird ergänzt durch den, allerdings versteckten, Hinweis auf die Notwendigkeit, die Sprachoperationen zur Festigung der Erkenntnis zu wiederholen: „[…] aber eben durch das Wort ward nachher der Unterschied selbst wiederum genauer bezeichnet, und die Grenzlinien der Dinge immer bestimmter gezogen.“ (DS, S. 165; Herv. A. A.)
Als Abschluss dieses ersten argumentativen Teils reformuliert Moritz nun seine These über die Erkenntnisfunktion der Sprache mit ihren Hauptoperationen Benennen und Unterscheiden. „Dadurch, daß wir das Ganze und das Einzelne in der Natur benennen lernen, werden wir immer vertrauter mit ihrem Anblick, und so oft wir sie wieder sehen,
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Das erinnert natürlich an die Stelle in Herders Sprachursprungsschrift, wo die Spracherfindung aus der Absonderung eines Gegenstands-Merkmals hergeleitet wird und es etwa heisst: „Dies Erste Merkmal der Besinnung war Wort der Seele! Mit ihm ist die Menschliche Sprache erfunden!“ (vgl. Herder 1987 [1772], S. 276ff., hier S. 277, Herv. im Orig.)
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freuen wir uns, wie über das Antlitz eines Freundes, mit dem wir täglich bekannter werden, jemehr wir ihn von andern Menschen unterscheiden lernen.“ (DS, S. 165; Herv. im Orig.)
D ie Speicherfunktion der Sprache. Mit der Erkenntnisfunktion und ihren Operationen Bezeichnen und Unterscheiden hängt auch die Speicherfunktion der Sprache, ihre Rolle für das Gedächtnis zusammen. „Und jene süße Erinnerung an unsre verfloßnen Tage, was wäre sie ohne die Sprache?“ (DS, S. 166)
Zur Beantwortung dieser Eingangsfrage in den zweiten Teil der Argumentation und zur Veranschaulichung der Beziehung zwischen Sprache und Gedächtnis bedient sich Moritz zweier Bilder: das Labyrinth und der Wanderer im Wald. „Ein ödes Labyrinth85 halbverwischter Eindrücke, durch tausend Lücken unterbrochen, worinn sich wiederum die Gegenwart eines jeden Tages verlieren würde. Allein die Sprache ist der unzerstörbare Knäuel, von welchem wir den Faden abwickeln, der uns aus diesem Labyrinthe unsrer Vorstellungen den einzigen Weg zeigt.“ (DS, S. 166) „Wir machen es wie ein Wandrer, der in einem dichten, unwegsamen Gehölze, den Weg, den er wandelt, gerne wieder zurück finden will, und sich einen Merkstab nach dem andern hinstellt, wornach er sich richten kann, wenn er wieder umkehrt.“ (DS, S. 166)
Die Merkstäbe des Wanderers sind die marks of ideas von Hobbes (vgl. oben S. 66): „So oft wir etwas sehen oder hören, befestigen wir, durch das |167| tönende Wort, einen Merkstab in unsrer Seele, und wenn wir uns desjenigen, was wir gesehen oder gehört haben, wieder erinnern wollen, so dürfen wir uns nur nach diesen Merkstäben, als getreuen Wegweisern, richten. Thäten wir das nicht, so würden wir mit unsrer Erinnrung nicht gerade auf die Dinge fallen, deren wir uns wieder erinnern wollen, sondern würden mit ungewissen Schritten bald zur Rechten, bald zur Linken ausweichen, und niemals, als durch Zufall, auf den rechten Fleck treffen.“ (DS, S, 166f.)
Moritz rekapituliert nun die Erkenntnis- und die Speicherfunktion, indem er sie in der Erfahrungswelt seiner Leserinnenschaft ansiedelt. Zunächst betont er, unter Wiederholung der erkenntnistheoretischen Frage nach der Möglichkeit von deutlichen Vorstellungen, erneut die Erkenntnisfunktion der Sprache mit ihren Hauptoperationen Benennen und Unterscheiden:
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Vgl. zur Labyrinth-Metapher im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde die Fortsetzung der Revision der ersten drei Bände (MzE IV, 3; S. 2).
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„Wenn Sie auf Ihrem Altan stehen, so können sie Wiese, Wald, und Fluß, vermöge dieser Benennungen, sehr gut unterscheiden: hätten Sie solche Benennungen nicht, wer |168| wüßte, ob nicht alle Gegenstände vor ihren Augen gleichsam ineinanderfließen würden: […].“ (DS, S. 167f.; Herv. im Orig.)
Es folgt das Eingrenzen, das zur Operation des Unterscheidens gehört: „[…] aber das Wort schreibt nun jedem einzelnen Bilde seine Grenzen vor, und giebt ihm seine Gestalt.“ (DS, S. 168)
Schliesslich folgt die Reformulierung der These über die Speicherfunktion der Sprache: „Sind Sie von dem Altan in Ihr Zimmer gegangen, so steht das Bild von der schönen Gegend um Ihr Landhaus eben so lebhaft in ihrer Seele, als ob es noch wirklich vor Ihren Augen stände: das macht, es hat durch die Worte, oder durch die Benennungen der einzelnen Gegenstände, Festigkeit erhalten; wäre das nicht geschehen, so würde alles nur noch vor Ihrer Seele schwanken.“ (DS, S. 168)
D ie Genese der deutlichen V orstellungen. Die Leitfrage des nächsten argumentativen Schritts betrifft die Umwandlung von wahrgenommenen und gespeicherten Daten in deutliche Vorstellungen. Moritz weist hier auf die Notwendigkeit der Wiederholung des Sprechens hin: „Daß aber die Worte unsren Vorstellungen eine solche Festigkeit geben, daran ist die |169| öftere Wiederhohlung Ursach. Das Wort kömmt beständig der Sache, und die Sache wieder dem Worte zu Hülfe.“ (DS, S. 168f.)
Diese Erklärung konnte Moritz in Sulzers Aufsatz Anmerkungen über den gegenseitigen Einfluss der Vernunft in die Sprache, und der Sprache in die Vernunft (1773) finden (vgl. oben S. 66). Bei Sulzer heisst es: „So oft wir also eine durch ein Wort bezeichnete Sache sehen, so kömmt uns zugleich dieses Wort wieder in den Sinn […]. Eben so kommen auf der andern Seite die Töne, welche unser Ohr schon gerührt haben, von Zeit zu Zeit wieder […] und dann stellet sich auch die Idee, die man ihnen zugestellet hatte, wieder ein.“ (Sulzer 1773a, S. 180)
Moritz illustriert dies mit folgendem Beispiel: „So oft wir einen Berg sehen, erwacht zugleich die Vorstellung von dem tönenden Merkmahle, womit wir denselben einmal bezeichnet haben, und so oft wir dieß tönende Merkmahl hören, erwacht zugleich die Vorstellung von dem Berge, den wir gesehen haben.“ (DS, S. 169)
Das Problem liegt hier in der Frage, wie diese Assoziation zwischen Ding, Vorstellung und Wort zu Stande kommt, da „doch […] das tönende Merkmahl größtentheils von der Sache so verschieden [ist], daß es in unsrer Vorstellung nicht leicht damit zusammenfließen kann“ (DS, S. 169). Im 15. Brief wird Moritz dieses Problem mit der Sprachursprungstheorie
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von Charles de Brosses angehen und hält hier zunächst nur fest, dass diese Heterogenität zwischen Zeichen und bezeichnetem Gegenstand für die Semiose notwendig sei, „denn die Merkstäbe müssen ja von den Bäumen des Waldes verschieden seyn, durch welche sie uns den Weg zeigen sollen“ (DS, S. 169). Wenn das Zeichen und die bezeichnete Sache nicht voneinander unterschieden sind, ist die durch das Zeichen erweckte Vorstellung „schwankend“, wie Moritz später im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde am Beispiel der Gebärdensprache der Taubstummen und hier zunächst am Beispiel von natürlichen Klängen ausführt „Wir haben vielleicht aus eben dem Grunde von den Tönen in |170| der Natur die schwankendsten Vorstellungen, weil die Zeichen derselben, in der Sprache, zu sehr mit der bezeichneten Sache zusammen fließen.“ (DS, S. 169f.)
Es folgt die Reformulierung der Wiederholungs-These: „- So wie nun also das Wort Berg der Vorstellung von einem Berge endlich Dauer und Festigkeit gab, so geht es mit allen übrigen Wörtern, und diese öftere Wiederhohlung macht es allein, daß endlich die Bilder so fest in unsrer Seele werden.“ (DS, S. 170)
D ie Ontogenese der deutlichen V orstellungen. Die Genese der deutlichen Vorstellungen durch die Sprachfunktionen Erkennen und Speichern mit ihren Operationen Benennen und Unterscheiden lässt sich nun in ontogenetischer Perspektive aus der individuellen Erfahrung der Leserinnen, vor allem aus der fehlenden Erinnerung an die prälinguale Phase der Kleinkinderzeit verifizieren: „Aus den frühesten Jahren Ihrer Kindheit, so lange die Sprache den schwankenden Vorstellungen in ihrer Seele noch keine Dauer und Festigkeit geben konnte, werden Sie sich von dem, was Sie gesehen und gehört haben, wenig oder nichts mehr erinnern können.“ (DS, S. 170)
Ohne die Erkenntnisfunktion der Sprache waren nur verworrene Vorstellungen möglich: „Das macht, sie hatten noch keine |171| Merkmahle, woran sie ihre eignen Vorstellungen voneinander unterscheiden konnten: diese flossen daher entweder in eins zusammen, verdrängten einander, oder verwirrten sich untereinander.“ (DS, S. 170f.)
Dann folgt aber der individuelle Spracherwerb, den Moritz, wie bereits in den Unterhaltungen mit meinen Schülern, von der Formulierung her in Analogie zum fiat lux aus Genesis 1.3 setzt: „Mit den ersten Tönen aber, die Ihr Mund stammeln lernte, fing es auch an in Ihrer Seele Licht zu werden.“ (DS, S. 171)
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Mit dem Spracherwerb werden auch die Operationen Benennen und Unterscheiden und damit Erkenntnis möglich: „Als Sie zuerst die süßen Nahmen Vater und Mutter lallten, 86 |172| da konnten Sie in ihnen schon Ihre zärtlichsten Freunde, sowohl von der todten und leblosen Wand, als von allen übrigen Menschen unterscheiden: […]“. (DS, S. 171f.)
Diese neuen Vorstellungen werden wiederum durch Wiederholung gefestigt und bleiben im Gedächtnis gespeichert: „[…] so oft Ihr Auge die lächelnde Mutter erblickte, dachten Sie auch den Nahmen Mutter, und so oft Sie diesen Nahmen hörten, stand wiederum das Bild von dem lächelnden Antlitz der Mutter in Ihrer Vorstellung da, wenn sie selbst gleich abwesend war.“ (DS, S. 172; Herv. im Orig.)
Diese erste deutliche Vorstellung ermöglicht den Anschluss von weiteren Vorstellungen: „Nun war schon ein festes Bild in Ihrer Seele, wo sich mehrere anschließen konnten, die demselben, eines nach dem andern, folgten, und so entstand zuletzt das wunderbare, schöne Gewebe Ihrer Gedanken, welches nun durch die Zeit so fest ineinander gewürkt ist, daß nicht leicht mehr ein Faden daraus verlohren gehen kann.“ (DS, S. 172; Herv. im Orig.)
D ie Phylogenese der deutlichen V orstellungen. Nun ist Moritz in seiner sprachphilosophischen Darlegung an der Stelle angelangt, wo die Sprachursprungshypothese relevant wird. Wie in den Unterhaltungen mit meinen Schülern setzt er dem ontogenetischen Spracherwerb nun den phylogenetischen Spracherwerb parallel.87 Der Wortlaut dieser Stelle in der Deutschen Sprachlehre für die Damen unterscheidet sich aber signifikant vom Text für die Kinder. Das göttliche Sprachgeschenk ist nun nicht mehr ein Postulat, sondern wird nur noch als Möglichkeit aufgeführt. Die Genesis wird nicht als Offenbahrung, sondern als Erzählung eingestuft. Die Sprache erscheint als Bedürfnis des Menschen. Trotzdem scheint Moritz die Hypothese des göttlichen Sprachursprung hier nicht ganz aufgeben zu wollen. Die Formulierung der Sprachursprungshypothese lautet: „Es scheinet, als ob der Schöpfer selbst die Sprache, als ein so nothwendiges Bedürfniß des Menschen, schon, von Anfang an, in die Schöpfung mit eingewebt habe; indem er einen so auffallenden Unterschied in die Dinge legte, welche sich zuerst
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Es ist die These von Charles de Brosses, dass Kinder als erstes die Namen für Vater und Mutter lernen, und dass diese in allen Sprachen mit B und M anfangen, weil dies für die Kinder die am einfachsten auszusprechenden Laute seien (vgl. unten S. 264). Die Parallelisierung von Phylo- und Ontogenese findet sich bereits in de Brosses Histoire des Navigations (1756) und im Traité de la formation méchanique des langues (1765) (vgl. Kap. 3.3.3.2).
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dem Menschen darstellten, daß gleichsam das Wort aus seinem Munde gepreßt wurde, womit er diesen Unterschied bezeichnen sollte.“ (DS, S. 173; Herv. A. A.)
Die Schöpfung der ersten Worte wird hier also gleichsam als Mimesis der Natur dargestellt. Die Unterschiede zwischen den Dingen sind real und dem Menschen in seiner Wahrnehmung auch zugänglich. Damit sich der Mensch in der Welt aber orientieren kann, sind ihm deutliche Vorstellungen notwendig. Um deutliche Vorstellungen der Dinge generieren zu könne, muss er die wahrgenommenen Unterschiede mit Zeichen belegen. Der Mensch hat die Sprache also nach Moritz selbst erschaffen, aber nach einem von Gott vorgegebenen Plan, denn die ersten Worte waren nicht willkürlich, sondern die Dinge haben die Worte vorgegeben. Die Erkenntnisfunktion der Sprache mit ihren Operationen Benennen und Unterscheiden sieht Moritz in der Genesis vorformuliert. Das ermöglicht es ihm, die Genesis als Urkunde des Sprachursprungs zu bezeichnen. „Die Schöpfungsgeschichte selbst enthält hievon sichtbare Spuren, und scheint uns auch einen Aufschluß über die Entstehung der menschlichen Sprache zu geben.“ (DS, S. 173) „In dieser ganzen ehrwürdigen Erzählung finden wir die Begriffe von Unterscheidung und Benennung, allemal unmittelbar aufeinander folgend, eingewebt. Wir sehen, wie in der |174| schönsten Stuffenfolge, erstlich die größten und auffallendsten, und dann allmälig die kleinern Unterschiede durch die Sprache bezeichnet werden. Was für einen auffallendern Unterschied giebt es in der ganzen Natur, als zwischen Licht und Finsterniß! Dieser wird zuerst bezeichnet, indem es heißt: Gott scheidete oder unterschied das Licht von der Finsterniß, und nannte das Licht Tag, und die Finsterniß Nacht.“ (DS, S. 173f.; fett im Orig., kursiv A. A.) „Wie natürlich erklärt sich dieses, wenn wir sagen: Gott legte durch den auffallenden Unterschied zwischen Licht und Finsterniß dem Menschen gleichsam die Sprache in den Mund, daß er für jedes einen Nahmen fand. Auf den Unterschied zwischen Licht und Finsterniß folgte der zweite grosse Un|175|terschied zwischen Himmel und Erde; und dann der dritte zwischen Erde und Wasser.“ (DS, S. 174f.; Herv. im Orig.)
Die Genese der deutlichen Vorstellungen beim ersten Menschen durch die Sprachoperationen Benennen und Unterscheiden verlief in Analogie zum Schöpfungsakt der Welt. Der erste Mensch benannte und unterschied erst die grossen Dinge voneinander, bevor er sich der Analyse der kleinen Dinge zuwenden konnte.88
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Ganz ähnlich erklärt auch Gabriel Girard in seinen Vrais principes de la langue françois (1747) die Sprachentstehung mit den ersten Worten Himmel und Erde, allerdings ohne die Genesis explizit zu nennen: „Convaincu de la vérité de ces maximes, & persuadé de l’avantage qu’il y a à suivre le fil de la Nature dans toutes les choses dont elle est le principe, je faits
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„Es ist gleichsam, als ob der betrachtende Mensch diese grossen Unterschiede erst hätte bemerken müssen, ehe noch seine Aufmerksamkeit auf die kleinern fallen konnte. Nachdem er sich oft über die größte Erscheinung in der Natur, über den aufgehenden Tag und über die dämmernde Nacht gewundert hatte, so fiel seine Aufmerksamkeit auf einen neuen Unterschied, indem er erst über sich, und dann vor sich nieder blickte, oben das glänzende Blau des Himmels, und zu seinen Füßen die dunklere, feste Erde sahe. Nachdem dieser Unterschied seine Sinne genug beschäftigt hatte, so fing er nun an, auf der Erde selbst, worauf sonst noch alles ohne |176| Figur und Gestalt vor seinen Blicken schwankte, den auffallendsten Unterschied zwischen der undurchsichtigen Erde und dem Spiegelhellen Wasser zu bemerken. Und nun entdeckte er allmälig die feinern Unterschiede, zwischen den Gegenständen, die ihm sonst noch alle in eins zu fließen schienen; zuerst hielt sich seine Aufmerksamkeit an den leblosen Gegenständen fest, weil diese seiner Vorstellung nicht so schnell entwischen konnten. Aufmerksamer betrachtete er die Fläche der Erde, und prägte sich ein Bild von den Bäumen und Pflanzen ein, die auf ihr wachsen; er blickte gen Himmel, und lernte nach und nach die Sonne, den Mond, und die Sterne, von dem Himmel, an dem sie glänzten, unterscheiden. Endlich gelang es |177| ihm auch, sich ein festes Bild von den lebenden und webenden Geschöpfen, von den Vögeln unter dem Himmel, von den Fischen im Wasser, und von den Thieren auf Erden, einzuprägen.“ (DS, S. 175ff.)
Diese fortschreitende Erkenntnis führte den ersten Menschen schliesslich zum Bewusstsein seiner selbst als erkennendem Subjekt. „Nachdem er auf die Weise die ganze Natur außer sich unterscheiden gelernet hatte, so gelangte er zu dem völligen süßen Bewußtseyn seiner selbst, wodurch er sich von allem, was ihn umgab, unterschied.“ (DS, S. 177)
abstraction de tout systeme. Me plaçant à la naissance du Monde comme spectateur, je me représente les premiers hommes sans langage formé, commençant à ouvrir les yeux & à jetter des regards curieux sur ce qui les environne. Alors il me semble que leur premie|43|re pensée, suite nécessaire de leur premier coup-d’euil, fut de considérer comme des Etres ce qui’ils voyoient & de chercher à en faire un sujet d’entretien. Frapés en même temps de la diversité & de la réalité des objets, ils dûrent dabord se servir du langage pour distinguer comme pour nommer. En effet cette double intention devient remarquable dans l’exécution du projet, & les fait débuter différemment, selon le génie qui les conduit. Ceux qui se trouverent doués de cette force de conception qui va promtement au but ou de cette réflexion qui modere la vivacité de la langue nommerent & distinguerent tout à la fois: c’est-à-dire que leur premiere opération fut de créer la dénomination de ce que leur idée distinguoit & cherchoit à énoncer: c’est ainsi que se comporta le génie latin: la vûe du ciel & de la terre produisit tout desuite COELUM, TERRA. Ceux qui eurent moins de force dans l’action de l’esprit ou plus de vivacité dans l’exé|44|cution de la parole se presserent de distinguer la chose avant que de lui donner un nom convenable: ce qu’il firent en la particularisant par un terme indéfini qui l’annonçoit sans la nommer: telle fut la conduite du génie françois: la vûe du ciel & de la terre occasionna dabord la création des mots LE, LA, pour distinguer & tirer de la généralité ces Etres dont en vouloit parler: ensuite par une seconde création parurent, pour les nommer nettement, ces deux autres mots CIEL, TERRE.“ (Girard 1747, S. 41ff.; Herv. A. A.)
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Während der ontogenetische Spracherwerb bereits in der Diktion der Genesis als fiat lux beschrieben wurde, kommt Moritz jetzt bei der Beschreibung des phylogenetischen Sprachursprungs zu seinem grossen Punkt. Die Schöpfung der Sprache erscheint ihm nämlich als zweite Schöpfung der Natur. Für den Menschen im prälingualen Zustand, dem es also an deutlichen Vorstellungen mangelte, war die Welt ein Chaos: „So lange der Mensch noch ohne Sprache war, muß die Welt gleichsam ein Chaos für ihn gewesen seyn, worinn er nichts unterscheiden konnte, wo alles wüste und leer war, und Dunkel und Finsterniß herrschte[.]“ (DS, S. 178)
Mit Sulzer ist sich Moritz also einig, dass der Mensch im Urzustand nur verworrene Ideen der Gegenstände der Welt hatte. Bei Sulzer heisst es ja: „Durch die bisher angezeigten Mittel gelangte also der Mensch nach und nach dazu, daß er das Chaos seiner Vorstellungen in Ordnung brachte und von einige Ideen insbesondere ein klare Erkenntniß bekam […].“ (Sulzer 1773a, S. 172)
Die Rolle der Sprache in der Genese deutlicher Vorstellungen interpretieren die Autoren aber gerade konträr. Nach Sulzer muss die Genese sprachunabhängig sein: „[…] eine Operation, welche nothwendig vor der Erfindung der Wörter vorhergehen mußte, indem man es sich nicht einfallen läßt, dasjenige zu nennen, wovon man keinen klaren Begriff hat.“ (Sulzer 1773a, S. 172).
Während die Sprache nach Moritz Licht ins anfängliche Dunkel bringt, also hilft, dunkle und verworrene Vorstellungen in deutliche Vorstellungen zu transformieren: „– Da aber die Sprache mit ihren ersten Tönen die schlummernde Vorstellungskraft erweckte, da fing es an zu tagen, und die Morgendämmrung brach hervor – Die Schöpfung, welche der Mensch vorher als eine unförmliche und ungebildete Masse betrachtet hatte, bekam nun allmälig in seiner Vorstellung Bildung und Form, das blaue Gewölbe des Himmels zog sich über ihm in die Höhe, und vor ihm sank die Fläche der Erde – Die Wasser sammelten sich in Meere und Flüße, und vor seinen Blicken ragte |179| das Land empor – die Ceder und der Grashalm gewannen in seiner Vorstellung Umfang und Gestalt – die Sonne am Himmel ründete sich in seinem Auge – jedes Thier erhielt seine Form, und stand in seiner eigenthümlichen Bildung vor ihm da.“ (DS, S. 173–179; Herv. A. A.)
Damit ist Moritz am Ende seiner sprachphilosophischen Abhandlung im 7. Brief angelangt, die Ausgangsfrage nach der Möglichkeit deutlichen Ideen ist beantwortet: „So lernte der Mensch allmälig das Einzelne im Ganzen unterscheiden[.]“ (DS, S. 179)
Der Text schliesst mit einer Rekapitulation des Ausgeführten in Form einer Metapher:
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„– Wie ein Schiffer in trüber Dämmrung erst nichts als Himmel und Wasser siehet, dann in dunkler Ferne ein Land entdeckt, das sich erst unförmlich aus dem Meere emporhebt, bis es dem Auge immer näher kömmt, und immer mehr Gestalt und Form gewinnt, daß der spähende Blick nach und nach Berge, Thäler und Flüße, und endlich gar Bäume, Hüt|180|ten, und wandelnde Menschen, darauf unterscheiden kann, und nun die ganze schöne Landschaft, geschmückt mit Wäldern und Wiesen, und von Bächen und Flüßen durchschnitten, im Glanz der Morgensonne, vor ihm da liegt.“ (DS, S. 179f.)
Fünfzehnter Brief: Bildende Nachahmung der Natur im Sprachursprung. Seine eigentliche Sprachursprungshypothese formuliert Moritz am „Beschluss“ der Deutschen Sprachlehre für die Damen. Im Vordergrund steht dabei die Frage nach der Imitationsfähigkeit, der Mimesis der Sprache und damit nach dem für Moritz zentralen Punkt, dem „innerste[n] Heiligthum“ (DS, S. 546) der gesamten Auseinandersetzung mit Sprache. Der Sprachursprung an sich interessiert ihn nur sekundär. Die These der Mimesis der Sprache, welche die Motiviertheit der Sprache voraussetzt, ist aber eng mit der Frage nach dem Sprachursprung verbunden. So nehmen die Verfechter der Natürlichkeitsthese (Physei-These) meistens in der einen oder anderen Art an, die Sprache habe bei ihrer Entstehung in mimetischer Entsprechung zu den Gegenständen gestanden, diese Beziehung sei mit der Sprachentwicklung aber abgeschwächt worden. Diese Position vertritt auch Moritz. Und er kommt gleich zu einem kritischen Punkt der Nachahmungshypothese: Wenn das Material der Sprache aus Schall besteht, so können, wie die Intuition nahe legt, nur Schallphänomene nachgeahmt werden. Der Bereich des Hörbaren in der Natur ist aber – und hier widerspricht Moritz erneut Sulzer – beschränkt. Eine mimetische Sprache müsste dies also ebenfalls sein. Moritz hält, nachdem er die Mimesis-These erst bestätigt, das Problem sehr klar fest: „– Nachahmung des Tönenden in der Natur scheinet zwar die erste Veranlassung zur Sprache gewesen zu seyn; aber wie wenige hörbare Gegenstände werden verhältnismäßig durch die Sprache bezeichnet?“ (DS, S. 537; Herv. A. A.)89
Das Problem erscheint bereits im 5. Brief bei Moritz’ Wortartenklassifizierung. Dort wendet er diesen Einwand gegen die Mimesis-These aber geradezu zu ihrer Bestätigung: Die geringe Anzahl Tonwörter90 in der
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Im MzE heisst die Stelle: „Treffende Gemählde von den mannichfaltigen Tönen in der Natur zu liefern, scheint zwar das Ziel zu seyn, wohin sich die einfachen Laute zu ganzen Wörtern in der Sprache vereinigten.“ (MzE, Bd. 3 (1785), 3. St., S. 110) Moritz führt neben der traditionellen Wortarteneinteilung auch eine psychologische Klassifizierung ein: „Auch ist es nöthig, wenn wir die Natur der Wörter untersuchen wollen, mehr in die innre Natur der Gedanken einzudringen, welche bei denselben in uns entste-
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Sprache entspricht der Seltenheit der Schallphänomene in der Natur. Die Sprache ist damit auch statistisch ein „Abdruck der Natur“. Moritz formuliert die Mimesis-These im 5. Brief sogar direkter als im 15. Brief, ergänzt sie aber um die Deviationsthese, wonach die ursprüngliche mimetische Übereinstimmung zwischen den Worten und den Dingen im Verlaufe der Sprachentwicklung verloren gegangen ist. „Die Tonwörter scheinen am sparsamsten in der Sprache ausgestreuet zu seyn, und sind es auch wirklich. Dieses läßt sich sehr leicht daher erklären, weil die Sprache ein Abdruck der Natur ist, worinn die Verschiedenheit der Töne gegen die Verschiedenheit der Gestalten sehr unbeträchtlich ist. Indes unser Auge tausend mannichfaltige Gegenstände in der Natur unterscheidet, ist es etwa Fliegengesumme, Windesrauschen, Vogelgezwitscher, und nichts weiter, wodurch unser Ohr beschäftiget wird. |99| Ob nun gleich die Sprache, bei ihrer Entstehung, Nachahmung der tönenden Natur gewesen ist, so haben sich doch diese Spuren ihres ersten Ursprungs mit der Zeit so sehr verwischt, daß man sie bei den wenigsten Wörtern noch entdecken kann.“ (DS, S. 98f.)
Hinzu kommt: Tonwörter generieren ihre Bedeutungen durch Ideenassoziation: „Ueberdem drängt sich gemeiniglich bei den Tonwörtern ein Bild mit in der Seele empor, welches oft heller ist, als die Vorstellung von dem Tone selbst. So wird hier durch das Wort hinrauschen vorzüglich die Vorstellung von der Schnelligkeit erweckt, mit welcher sich der Bach ergießt, und das Rauschen denkt man sich nur als eine Wirkung dieser Schnelligkeit.“ (DS, 99)
Generell stellt sich bei der Nachahmungshypothese erstens die Frage nach der Art der Relation und zweitens die Frage nach den Relata. In den meisten Fällen geht die Nachahmungshypothese von einer Ähnlichkeitsrelation aus. Die Ähnlichkeitsrelation kann aber unterschiedlicher Art sein: zum Beispiel visuell (zwei Dinge sehen ähnlich aus), haptisch (zwei Dinge fühlen sich ähnlich an, etwa rau) oder eben akustisch (zwei Dinge klingen gleich). Bei der These der sprachlichen Nachahmung ist schliesslich auch die Frage nach den Relata der Ähnlichkeitsbeziehung zentral: werden Laute mit Schällen oder visuelle Eigenschaften mit Schällen oder visuelle
hen. Nun werden aber bei den meisten Wörtern Erinnrungen in uns erweckt, entweder an etwas, das wir gesehn haben und wovon das Bild noch in unsrer Seele schlummert, als bei den Wörtern Baum, Hügel, Bach; oder an einen Ton, den wir irgend einmal gehört haben, als bei den Wörtern brausen, rasseln, murmeln; oder an eine Empfindung, die durch irgend etwas in uns erregt ward, wie bei den Wörtern freuen, zürnen, trauren; oder an ein Verhältniß, das wir zwischen mehreren Dingen bemerkt haben, als bei den Wörtern, groß, klein, u. s. w. |43| Wir könnten also fürs erste eine Eintheilung der Wörter in Bildwörter, Tonwörter, Empfindungswörter, und Verhältnißwörter machen, bis uns unsre Betrachtungen weiter führen werden“ (DS, S. 42f.; Herv. im Orig.). Vgl. auch unten S. 139.
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Eigenschaften mit visuellen Eigenschaften verglichen? Die folgenden Tabellen geben einen Überblick über die Relationen zwischen Lauten und Eigenschaften von Designata, von denen Moritz ausgeht, sowie über die Analogien, welche die Designationen motivieren (die konkreten Relata sind jeweils kursiv gesetzt, eckige Klammern bezeichnen Ergänzungen, die so bei Moritz nicht stehen, und Fettdruck dient der besseren Unterscheidbarkeit der Analogien). Analogie 1: Ähnlichkeit einer räumlichen Qualität (DS 538ff.) Laut(-klasse): k (Gaumenlaute) / Artikulationsorgan: Gaumen Eigenschaften des Artikulationsorgans (Stellung oder Bewegung) Eigenschaften des Bezeichneten: Eher Gestalt der Dinge (DS 545) Beispiele für Bezeichnetes
Zunge berührt tiefste Wölbung des Gaumens tief, ausgehöhlt Kuhle, Korb
Analogie a : b / c : d a) Tiefste Wölbung im Gaumen
c)
b)
d)
k
das Tiefe oder das Gewölbte der Kuhle oder des Korbs Kuhle oder Korb
Analogie 2: Ähnlichkeit einer raum-zeitlichen Qualität (DS 543f.) Laut(-klasse): L (Zungenlaute) / Artikulationsorgan: Zunge Eigenschaften des Artikulationsorgans (Stellung oder Bewegung) Eigenschaften des Bezeichneten: Eher Bewegungen der Dinge ausser uns (DS 545) Beispiele für Bezeichnetes
Analogie a : b / c : d a) Beweglich und flüchtig b) l
das beweglichste und flüchtigste Sprachwerkzeug das Schnelle und Flüchtige in der Natur
fliessendes Wasser, wallende Fluth, fliegender Pfeil, blendendes Licht
c) d)
das Schnelle und Flüchtige in der Natur fliessendes Wasser, wallende Flut
Die Entwicklung der Sprachphilosophie
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Analogie 3: Instrumentales Verhältnis (DS 543ff.) Laut(-klasse): L (Zungenlaute) / Artikulationsorgan: Zunge Eigenschaften des Artikulationsorgans (Stellung oder Bewegung) i) Eigenschaften des Bezeichneten: Empfindungen in uns (DS 545) Beispiele für Bezeichnetes ii)
Eigenschaften des Bezeichneten: Empfindungen in uns (DS 545) Beispiele für Bezeichnetes
Analogie a : b / c : d a) Schneller und flüchtiger Übergang der Zunge ermöglicht leichten und schnellen Ausdruck b) l
schneller und flüchtiger Übergang der Zunge ermöglicht leichten und schnellen Ausdruck angenehme Empfindungen der Seele [Man möchte diese Empfindungen schnell zum Ausdruck bringen.] Empfindungen des Glücks, der Liebe, des Lobes, Gefallens und Billigens angenehme Empfindungen des Körpers: [Man möchte diese Empfindungen schnell zum Ausdruck bringen.] das Gefühl des Lebens, des Leibes und der Glieder
c)
[Man möchte diese Empfindungen schnell zum Ausdruck bringen.]
d)
angenehme Empfindungen der Seele oder des Körpers; z.B. Glück oder Leben
Analogie 4: somatische Reaktion (DS 543ff.) Laut(-klasse): L (Zungenlaute) / Artikulationsorgan: Zunge Eigenschaften des Artikulationsorgans (Stellung oder Bewegung) Eigenschaften des Bezeichneten: Empfindungen in uns (DS 545) Beispiele für Bezeichnetes Eigenschaften des Bezeichneten: Empfindungen in uns (DS 545)
Beispiele für Bezeichnetes
So wie […] beim Genuß einer übelschmeckenden Arznei die Zunge aus Eckel und Ueberdruß im Munde w allt. unangenehme Empfindungen der Seele: Das Unangenehme das Leere, das Kleine, das Leiden dem Anscheine nach traurige und dem Tode ähnliche Verhaltensformen das traurige (als Gegenteil vom Glücklichen) und das dem Tode ähnliche (als Gegenteil des Lebens) das Liegen, das Schlafen
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
Analogie Genuss einer übelschmeckenden Arznei
Kausal ⇒
Ekel
Kausal ⇒
Wallende Zunge
Instrumental
Zunge
⇐ Semantisch ⇑⇓ (Hyponym Hyperonym)
„Das den“
Lei-
Kausal ⇒
Unangenehme Empfindung
Semantisch (Designation) ⇐
l
Instrumental
Zunge
⇐
Analogie 5: Instrumentales Verhältnis (MzE Bd. 3 (1785), 3. St., S. 112f.) Laut(-klasse): L (Zungenlaute) / Artikulationsorgan: Zunge Eigenschaften des Artikulationsorgans (Stellung oder Bewegung) Beispiele für Bezeichnetes Analogie a : b / c : d a) wird zu jeder Lautproduktion verwendet. b) l
wird zu jeder Lautproduktion verwendet. Ohne Zunge kann man keine Laute produzieren bezeichnet Laute in der Natur generell plappern, blöcken, klappern
c)
bezeichnet Laute in der Natur generell
d)
plappern, blöcken, klappern
Abbildung 4: Analogien zwischen Lauten und Bezeichneten bei Moritz
Im 15. Brief veranschaulicht Moritz dieses Problem unmittelbar nach dessen Thematisierung an konkreten Beispielen. Dabei wird deutlich, dass die sprachliche Abbildung der Natur nicht auf der lexikalischen, sondern auf der phonologischen Ebene stattfindet. Nicht Worte, etwa hinrauschen aus dem obigen Zitat, sondern „einfache Laute“ stehen im Abbildungsverhältnis als Relatum auf der Sprachseite. Diese Konkretisierung der
Die Entwicklung der Sprachphilosophie
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linguistischen Beschreibungsebene macht Moritz aber nicht explizit.91 Er schreibt: „Nach was für einem Gesetz mö|538|gen sich also wohl die einfachen Laute, Z. B. in den Wörtern Korb, Kessel, Kasten, Kanne, Köcher, Kelch, Keller, Kahn, u. s. w., zu diesen Wörtern vereinigen, da dieses alles doch bloß sichtbare Gegenstände sind, die mit keinem Schalle in der Natur können verglichen werden?“ (DS, S. 537f.; fett im Orig.; kursiv A. A.)
Die Mimesis-These wird nicht mehr in Frage gestellt. Das Gesetz der Wortbildung ist hier nur deshalb problematisch, weil die zu bildenden Wörter Gegenständen mimetisch entsprechen sollen, die keine akustischen Merkmale besitzen und also einer Nachahmung mittels des Rohmaterials der Sprache, der Laute, nicht zugänglich zu sein scheinen. Ein Blick in Moritz’ Lautlehre soll im Folgenden zeigen, was er unter „einfachen Lauten“ versteht. Dort wird auch bereits die Lösung des Nachahmungsproblems vorbereitet. Im Unterschied zu den Schulgrammatiken der Zeit behandelt Moritz die Laute in seiner Sprachlehre nicht am Anfang, sondern am Schluss (vgl. dazu Aebi 2005). Er schreibt: „Da wir nun die Wörter sowohl nach den Eindrücken, die sie auf unsre Seele machen, als nach den Gegenständen, die sie bezeichnen, und nach ihrem Zusammenhange, und ihren Fugen, unterscheiden gelernt haben, so ist uns noch ein Gesichtspunkt übrig, woraus wir dieselben betrachten können, wenn wir auf ihre Bildung in sich selber, oder auf ihre kleinsten Bestandtheile, aufmerksam sind, und auf die Art bis in die |452| Kenntniß der einfachsten Laute dringen, woraus die Wörter entstanden sind. “ (DS, S. 451f.; fett im Orig, kursiv A. A.)
Hier ist der Sprachursprung implizit angesprochen. Denn dorthin führt die Untersuchung der Laute in Moritz’ philosophischer Sprachebetrachtung: „Auf diese zweckmäßige Vereinigung der einfachen Laute zu ganzen Wörtern gründet sich die Entstehungsart der menschlichen Sprache und des menschlichen Denkens; ihr nachzuspühren ist die angenehmste Beschäftigung für den Geist, und gewährt uns die tiefsten Blicke in das Innerste unsrer Seele.“ (DS, S. 454)
Wie in den Grammatiken der Zeit üblich, unterscheidet Moritz terminologisch nicht streng zwischen Phonem und Graphem, sondern verwendet für beides den Ausdruck Buchstabe:
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Dieser Übergang von der lexikalischen oder morphologischen, das heisst bedeutungstragenden Ebene, zur phonologischen, bedeutungsunterscheidenden Ebene ist für die Argumentation der Vertreter der Naturalismushypothese ein typisches, aber auch stets kniffliges methodologisches Unterfangen gewesen (vgl. Genette 2001, S. 50).
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
„Die einfachen Laute, woraus die Wörter bestehen, sind entweder ganz einfach, wie f, r, e, u, n, d, in dem Worte Freund, oder sie sind zusammengesetzt, wie Freund, lich, und keit, in dem Worte Freundlichkeit. Die einfachen Laute, als, f, r, u.s.w. heißen Buchstaben; die zusammengesetzten, als lich und keit hei|455|ßen Silben.“ (DS, S. 455f.; Herv. im Orig.)
Dabei besitzt er durchaus differenzierte Begriffe für beide sprachliche Einheiten (was sich insbesondere in seiner Aufmerksamkeit für das Problem der Phonem-Graphem-Entsprechung zeigt). „Die kleinsten Bestandtheile der menschlichen Rede“, so schreibt er, „sind die einzelnen Töne, |460| welche durch die Buchstaben im Alphabet bezeichnet werden.“ (DS, S. 459f.) In der folgenden Passage mag man aus heutiger Sicht sogar eine Unterscheidung zwischen phonologischer und phonetischer Ebene erahnen. Moritz hat hierfür jedoch keine Konzepte und vermischt die graphematische mit der phonologischen Ebene, indem er hier noch unkritisch eine vollständige Phonem-Graphem-Kongruenz annimmt: „Ohne diese Buchstaben, oder Schriftzeichen der einzelnen Töne wüßten wir nicht, daß es solche kleine Bestandtheile der Rede gäbe, denn sie fließen im Reden so unmerklich ineinander, und vermischen sich untereinander auf so mannichfaltige Weise, daß wir tausendmal das Zusammengesetzte für das Einfache nehmen würden.“ (DS, S. 460)
Einen Begriff von den „einzelnen Bestandtheile[n] der Wörter“ (DS, S. 460), also den Phonemen, vermögen wir uns nach Moritz aber nur durch die Alphabet-Schrift zu machen. Die chinesische Schrift, die er in Übereinstimmung mit seiner Zeit als logografisches Zeichensystem einschätzt, kann dies nicht leisten (vgl. DS, S. 462). Die der Schrift verdankte Sichtbarkeit und damit bessere Analysierbarkeit der sprachlichen Laute hat die Sprachgelehrten lange vor Moritz begeistert. Gottsched etwa schreibt in seiner Sprachlehre: „Obgleich alle Sprachen in der Welt eher geredet, als geschrieben worden: so sind sie doch vor der Erfindung der Buchstaben sehr rauh und unförmlich gewesen. Ihre erste ordentliche Gestalt haben sie der Schrift zu danken gehabt; wodurch man in den Stand gesetzet worden, auf alle Wörter viel genauer Acht zu geben.“92 (Gottsched 1978 [51762], Bd. 8.I, S. 58)
Moritz stellt die Schrift aber in einen breiteren, philosophischen Kontext: Die Sprache, in ihren medialen Erscheinungsformen Laut- und Schriftsprache, kann akustische mit visuellen Qualitäten verbinden.
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In einer Anmerkung (ab der 3. A. 1752) fügt Gottsched an: „Die Schrift ist gleichsam die Abbildung der mit dem Munde ausgesprochenen Töne. Diese verschwinden allemal im Augenblicke, wenn man sie nicht gleichsam durch die Buchstaben sichtbar und dauerhaft machen kann.
Die Entwicklung der Sprachphilosophie
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„Ohngeachtet der genauen Verbindung des Ganzen in der Natur scheinet doch das Hörbare vom Sichtbaren so sehr unterschieden und abgesondert zu seyn, daß sich beinahe kein möglicher Uebergang von dem einen zum andern, kein gemeinschaftliches Band zwischen beiden denken läßt, und doch hat die Sprache dieses wunderbare Band geknüpft, indem sie sichtbare Gegenstände durch Töne bezeichnet, und indem sie eben diese Töne wiederum durch sichtbare Zeichen dem Auge darstellt. (DS, S. 461)
Mit der Metapher des „wunderbaren Bandes“ knüpft Moritz hier an eine Überlegung Charles de Brosses an. In seinem Traité de la formation méchanique des langues et des principes physiques de l’étymologie von 1765 schreibt de Brosses: „Hiebey [scil. bei der Signifikation] geht nichts weiter vor, als, daß ein äußerer physischer Gegenstand da ist; ferner ein Eindruck, den das Bild dieses Gegenstandes im Gehirn zurückläßt; sodann ein Ausdruck dieses Bildes durch einen Ton der Stimme, der auf den Gegenstand entweder eine wirkliche, oder eine blos verabredete Beziehung hat, und endlich ein Gemählde dieses Tons, der durch gewisse Charaktere bestimmt und dauerhaft wird, und der uns auf einmal den Gegenstand, die Idee des Gegenstandes, und den Ausdruck der Idee durch die Stimme vorhält; und das selbst zu der Zeit, wenn alles dieses abwesend ist.“ (de Brosses 1777, S. 43f.)
De Brosses unterscheidet in der Signifikation also die vier Elemente Gegenstand, Vorstellung, mündlicher Ausdruck und schriftlicher Ausdruck. Das „geheime Band“, das diese anscheinend heterogenen Elemente verbindet, ist nach de Brosses die Ähnlichkeit (vgl. unten S. 262). Um sich dem „wunderbaren Band“ zu nähern, das akustische und visuelle Phänomene verbindet, motiviert Moritz nun zunächst die Zeichenformen der Grapheme. Die Grapheme des lateinischen Alphabets seien nicht arbiträr, ihre Zeichenformen seien vielmehr Abbilder, und zwar Abbilder der Artikulationsorgane. Mit den Artikulationsorganen ergänzt Moritz die vier Elemente bei de Brosses um ein fünftes, das zwischen dem Schall des Lauts und der Visualität der Schrift vermitteln kann und damit dasjenige ermöglicht, was de Brosses im obigen Zitat „ein Gemählde dieses Tons“ (de Brosses 1765, S. 43) nennt. Zunächst verdeutlicht Moritz im Vergleich mit den Noten der Musikpartitur die Anforderungen an Grapheme: „Die Noten in der Musik dürfen nur die Höhe und Tiefe der Töne bezeichnen, allein die Buchstaben sollen ihre auf so mancherlei Weise verschiedne Herauspressung, Herausstossung, Heraushauchung, u.s.w. bezeichnen.“ (DS, S. 463)
Dass dies auch arbiträre Zeichen leisten könnten, will Moritz nicht annehmen, selbst wenn er schwerlich mehr Abschwächungen in die Begründung seiner Motivationsthese hätte einbauen können.
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
„Und wodurch konnte dieß nun wohl leichter geschehen, als durch einfache, ungekünstelte Abbildungen der menschlichen Sprachwerkzeuge, indem vermittelst derselben ein Ton entweder herausgepreßt, herausgestossen, oder herausgehaucht wird; und worauf konnte der menschliche Verstand wohl eher fallen, als eben hierauf, da doch die ersten Zeichen der Töne nothwendig auch eine gewisse innre Bedeutsamkeit müssen gehabt haben, um nicht gleich anfangs gar zu sehr |464| ein müßiges Spielwerk eines bloß aufs Gerathewohl hin spekulirenden Kopfes gewesen zu seyn.“ (DS, S. 463f.)
Die Abbildungsrelation ist im Verlaufe der Zeit bis auf wenige Spuren – das lateinische o, B und A – verloren gegangen. „Nachher sind diese Zeichen freilich auf mancherlei Weise verändert worden, aber einige höchst wahrscheinliche Spuren ihres ersten Ursprungs tragen sie demohngeachtet jetzt noch an sich. Ist nicht das o, so wie es im Lateinischen geschrieben wird (o), die treffendste Abbildung der geründeten Lippen, wodurch dasselbe gebildet wird? Ist nicht das grosse Lateinische B eine sehr natürliche Darstellung der sanftaufeinandergedrückten Lippen? Und bildet nicht das große Lateinische A die weiteste Eröfnung des Mundes bei der Aussprache desselben ab?“ (DS, S. 464; Herv. im Orig.)
Die Deviation von einem ursprünglichen, motivierten Alphabet zeigt sich nach Moritz auch in der mangelhaften Phonem-Graphem-Kongruenz: „Demohngeachtet aber lassen sich auch die Mängel dieses Alphabetes leicht einsehen: Die einfachen Vokale, ä, ö und ü fehlen gänzlich darinn, weil man sie immer für zusammengesetzt aus a und e, o und e, und u und e, gehalten hat; die einfachen Laute, ch und sch werden durch zusammengesetzte Zeichen, und hingegen die zusammengesetzten Laute x und z, die eigentlich aus ks und ts bestehen, durch einfache Zeichen ausgedrückt. Einerlei Laut wird oft durch meh|472|rere Zeichen, und dann wieder verschiedne Laute durch einerlei Zeichen angedeutet. So wird Z. B. ein und eben derselbe Gaumenlaut erstlich durch k, dann durch c, wenn dasselbe vor a, o, und u oder einem Konsonant steht, und endlich auch durch q bezeichnet, als, Carl, Kelle, Quelle. Eben so wird ein und eben derselbe Lippenlaut sowohl durch f als durch v, ein und eben derselbe Zungenlaut sowohl durch ein langes s [scil. langes s in der Frakturschrift], als durch ein kurzes s, und der durch t und s [scil. langes s in der Frakturschrift] zusammengesetzte Laut nicht nur durch das z, sondern auch durch das c, wenn es vor e, i oder y steht, bezeichnet, als ich fiel, und das ist viel, das Glas, und des Glas[scil. langes s in der Frakturschrift]es; Cyrus und Zahl. So werden auch noch die verschiednen Laute, ä und e, in manchen Fällen beide durch e bezeichnet, |473| als leben und gehen. Vielleicht haben alle die verschiednen Zeichen, die jetzt einerlei Laut anzeigen, ehemals verschiedne Laute ausgedrückt, die aber nach und nach ineinander geflossen sind. Und die verschiednen Laute, welche jetzt durch einerlei Zeichen ausgedrückt werden, sind vielleicht ehemals nicht verschieden gewesen.“ (DS, S. 471ff.; Herv. im Orig)
Die ursprüngliche Sprache wäre vielleicht noch in Archaismen einzelner Dialekte zu finden.
Die Entwicklung der Sprachphilosophie
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„Könnten wir uns eine Büchersprache, aus allen Dialekten Deutschlands bilden, wo die kraftvollsten, edelsten, und bedeutendsten Wörter noch verborgen liegen, so wäre vielleicht kein Buchstabe, kein einzelner Laut in unsrer Sprache unzweckmäßig, und gedankenleer, und man würde mit wenigen Worten einen Strom von Gedanken erschöpfen können, da man jetzt den Gedanken oft erst in einem Strome von Worten ersäufen muß, ehe er einigermaßen anschaulich werden kann. Dieses konnte nicht wohl anders seyn, da man die Sprache, dieses starke Gemählde der Gedanken, bis zu einer leeren Musik |475| und einer Belustigung für die Ohren herabzuwürdigen anfing, gleichsam, als ob nicht das der edelste Wohlklang eines Worts wäre, wodurch es sich der bezeichneten Sache am meisten nähert, und woraus das Zweckmäßige eines jeden einfachen Lauts hervortönt.“ (DS, S. 474f.)
Gänzlich lässt sich die Ursprache aber nicht mehr rekonstruieren und die Sprachgemeinschaft muss sich deshalb nach dem herrschenden Sprachgebrauch richten. Mit dem „übereinstimmigen Gebrauch“ (DS, S. 475) kommt für die Sprachrichtigkeit aber ein Prinzip ins Spiel, das sich nicht mehr auf das innere Wesen der Sprache bezieht. Moritz wechselt hier in seinem Kapitel von der Perspektive des Sprachphilosophen zur Perspektive des Grammatikers. „Da wir uns nun aber eine solche in ihren kleinsten Bestandtheilen zweckmäßige Sprache nicht mehr zu bilden, oder wenigstens sie nicht allgemein zu machen, vermögen, in welcher sich die Aussprache gänzlich nach der Schreibart, und die Schreibart wiederum nach der Aussprache mit Bedeutung, Zweck, und Absicht richten könnte; so müssen wir den übereinstimmigen Gebrauch, als einen Herrn anerkennen, der unsrer Schreibart und Aussprache Gesetze vorschreibt. Wir müssen daher untersuchen, wie sich die einzelnen Laute, |476| nicht sowohl nach ihrer innern Natur und Bedeutung, als vielmehr nach dem herrschenden Gebrauche, sowohl geschrieben als gesprochen, zu ganzen Wörtern bilden. Wir opfern also jetzt eine Zeitlang den höhern Endzweck der Sprachlehre einem niedrigern auf, dessen unmittelbarer Nutzen aber freilich mehr ins Auge fällt, indem wir, anstatt das Wesen und die innre Natur der einzelnen Laute zu erforschen, blos darauf sehen, wie dieselben in unsrer verfeinerten, hochdeutschen Büchersprache am richtigsten ausgesprochen und geschrieben werden.“ (DS, S. 475f.; Herv. im Orig.)
Der Artikulationsapparat als mimetische Zwischeninstanz dient Moritz nun auch im 15. Brief als Lösung des Mimesisproblems. Es handelt sich dann aber nicht mehr um eine Abbildrelation, sondern um eine Analogie als Ähnlichkeit zwischen zwei Verhältnissen. Die Genese des Problems lässt sich folgendermassen darstellen. Beim intuitiv naheliegendsten Fall sprachlicher Nachahmung herrscht eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen folgenden Relata:
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
Schall in der Natur (Geräusch)
= Ähnlichkeitsrelation
Schall, den wir selbst hervorbringen (Laut)
= Schallphänomen
Abbildung 5: Ähnlichkeitsrelation zwischen Geräuschen und Lauten
Nun fällt bei nur sichtbaren Dingen der „Schall in der Natur“ weg. Die Ähnlichkeitsrelation ist nicht mehr gegeben:
bloss sichtbare Gegenstände
= sichtbarer Gegenstand
Schall, den wir selbst hervorbringen (Laut)
= Schallphänomen
Abbildung 6: Fehlende Ähnlichkeitsrelation zwischen sichtbaren Gegenständen und Lauten
Bei der Nachahmung durch Sprache geht es nun nach Moritz aber nicht in erster Linie um eine Nachahmung mittels Lauten, sondern um eine Nachbildung von visuellen Eigenschaften von Gegenständen mittels der Sprechwerkzeuge in der Lautproduktion. Die Laute selbst fallen also aus der Ähnlichkeitsrelation heraus:
Die Entwicklung der Sprachphilosophie
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„– Sie [scil. die Wörter Korb, Kessel etc.] können freilich mit keinem Schalle verglichen werden, den wir außer uns in der Natur hören, allein zwischen dem Schalle, den wir selber hervorbringen, und zwischen den sichtbaren Gegenständen läßt sich demohngeachtet, wenigstens mittelbar, eine gewisse Aehnlichkeit denken.“ (DS, S. 538)
Was genau aber tritt in der Ähnlichkeitsrelation an die Stelle der Laute? Es sind die Stellung oder Eigenschaften der Bewegung der Artikulationsorgane bei der Lautproduktion (vgl. Abbildung 7).
Gestalt eines sichbaren Gegenstands
Gestalt / Bewegung des Artikulationsorgans
= sichtbarer Gegenstand = Schallphänomen = Ähnlichkeitsrelation
Schall, den wir selbst hervorbringen
= Kausalitätsrelation
Abbildung 7: Vermittelte Motivation
„Wir empfinden nehmlich in unserm Munde die jedesmalige Gestalt der Sprachwerkzeuge, wodurch wir irgend einen Schall hervorbringen. So dunkel nun diese Empfindung auch anfänglich seyn moch|539|te, veranlaßte sie doch den Menschen, die Gestalt eines sichtbaren Gegenstandes, vielleicht unwillkührlich, in seine Sprachwerkzeuge überzutragen, und ihn alsdann mit dem Tone zu benennen, den dieselben in dieser Lage beinahe von selber hervorbringen mußten. Diese innre dunkle Empfindung von der jedesmaligen Gestalt, und von der leichtern oder schwerern, geschwindern oder langsamern Bewegung der Sprachwerkzeuge ist es also höchst wahrschein-
102
Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
lich93, welche das geheime Band zwischen dem Sichtbaren und Hörbaren geknüpft hat. Daher kömmt es auch, daß wir der ganzen Schöpfung um uns her, durch den94 Stempel der Sprache, ein unverkennbares Bild von uns selber aufgedrückt haben.“ (DS, S. 538f.; Herv. A. A.)
Moritz verbessert hier die Theorie von de Brosses, der die Sache weniger deutlich darstellt. Er veranschaulicht die These am Beispiel des Velars k, womit die oben zusammengestellten Wörter anlauten: „Daher ist das k, wobei die Zunge die tiefste Wölbung des Gaumens |540| bezeichnet, in allen den obigen Wörtern ein Ausdruck des Tiefen und Ausgehöhlten.“ (DS, S. 539f.; Herv. im Orig.)
Als konkretes Beispiel wählt er aber das in der Wortreihe nicht vorhandene Wort Kuhle: „Das niedersächsische95 Wort Kuhle, welches so viel als eine Grube heißt, ist vielleicht eines der ältesten Wörter in unsrer Sprache: lassen Sie uns die wahrscheinliche Entstehungsart desselben zu errathen suchen. Ein Mensch blickte vielleicht zum erstenmal in eine Tiefe herab, wovor er ein Kind oder seinen Nachbar warnen wollte, was war natürlicher, als daß seine Zunge auf die Höhlung des Gaumens wieß, wodurch er in seinem eignen Munde, das was er sahe, nachzubilden suchte; das tiefklingende u mußte das Zeichen, was er davon geben wollte, hörbar machen; die übrigen Töne aber, worinn alsdann das Wort überging, mögen vielleicht mehr zufällig gewesen seyn, je nach|541|dem sie in den Sprachwerkzeugen dem erstern am nächsten lagen. Das gewarnte Kind, so oft es diese Tiefe sahe, lallte es jene Töne wieder nach, indem es vielleicht etwas hinzusetzte oder davon abnahm, welches denn wiederum die Eltern, bei denen das Wort noch nicht fest genug war, dem Kinde, mit dem sie zärtlich sprachen, nachzulallen suchten, bis das Wort endlich nach96 manchen Umänderungen, Dauer und Festigkeit erhielt. Was nun von dem k gilt, das gilt auch von den übrigen Gaumenlauten.“ (DS, S. 540f.; fett im Orig.; kursiv A. A.)
Man sieht hier nebenbei, wie in Moritz’ Sprachursprungshypothese die soziale Dimension der Sprache, ihre Mitteilungsfunktion, explizit eingeblendet bleibt (vgl. den hervorgehobenen Teilsatz).97
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Im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde wird Moritz dann die vorsichtige Formulierung aufgeben: „Die innre dunkle Empfindung von der jedesmaligen Gestalt, und von der leichtern oder schwerern, geschwindern oder langsamern Bewegung der Sprachwerkzeuge ist es also, welche das geheime Band zwischen dem Sichtbaren und Hörbaren geknüpft hat“ (MzE, Bd. 3 (1785), 3. St., S. 111; Herv. A. A.). Im Orig. „dem“. In der Zweitausgabe korrigiert zu „den“. Im Orig. „Niedersächsische“, in der zweiten Ausgabe korrigiert zu „niedersächsische“. Im Orig. „noch“, in der Zweitausgabe korrigiert zu „nach“. Das ist bei de Brosses übrigens auch so: Ein isolierter Mensch würde keine Sprache erfinden (vgl. unten S. 262).
Die Entwicklung der Sprachphilosophie
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Die Spuren der Motiviertheit der ersten Wörter sind in der heutigen Sprache kaum mehr erkennbar, am ehesten noch „in den hin und her zerstreuten Mundarten, die noch am wenigsten von der Verfeinerung gelitten haben“ (DS, S. 542). Ein Problem der These der lautlichen Mimesis besteht darin, dass Wörter aus mehreren Lauten bestehen, die meistens nicht alle in einer vermittelten Ähnlichkeitsrelation mit den bezeichneten Gegenständen stehen. Moritz löst das Problem, indem er das Lautmaterial im Wort hierarchisiert: Jedes Wort enthält demnach einen Hauptlaut, der die sprachliche Stelle in der Ähnlichkeitsrelation besetzt. Hinzu kommt eine Theorie, die jedem Laut eine wesentlich Haupt- und zufällige Nebenbedeutungen zuspricht, die vom Umfeld abhängen, in dem er in einem Wort steht. „Und so wie bei den Wörtern, die aus mehrern Silben bestehen, eine Silbe immer die herrschende ist, welcher die übrigen untergeordnet sind, so ist auch bei den einsilbigten Wörtern, ein einfacher Laut der herrschende, welchem sich die übrigen nach ihrem Range, und nach ihren Nebenbedeu|543|tungen unterordnen müssen. Dieser herrschende Laut verändert nun mit seiner jedesmaligen Bekleidung auch seine zufällige Bedeutung, obgleich seine innre wesentliche Bedeutung beständig zum Grunde liegt, und unerschütterlich ist [.]“ (DS, S. 542f.)
In einer Wiederverwertung dieser Stelle im Magazin zur Erfahrungsselenkunde fügt Moritz einen erklärenden Absatz ein mit dem Beispiel l: „Der herrschende einfache Laut ist also in jedem Worte nur ein einziger, allein durch die Laute, welche sich entweder von selber an ihn anschmiegen, als das b in blöcken, oder welche durch einen Vokal an ihn geknüpft werden, als das ch in lachen, wird dieser herrschende Laut auf mannichfaltige Weise modificirt, und verändert mit seiner Bekleidung auch seine zufällige Bedeutung, obgleich seine wesentliche Bedeutung beständig zum Grunde liegt, und unerschütterlich ist.“ (MzE, Bd. 3 (1785), 3. St., S. 112; fett im Orig.; kursiv A. A.)
Anhand des l erklärt Moritz im Folgenden den Unterschied zwischen wesentlichem Haupt- und zufälligem Nebenlaut. Der Laut l zeigt demnach in seiner wesentlichen Bedeutung generell ein Geräusch in der Natur an, weil das l mit der Zunge gebildet wird, die Zunge aber für die Produktion aller Laute unerlässlich ist. Nun kann das l aber zusätzlich zur wesentlichen Bedeutung Geräusch (Moritz spricht von Laut) auch noch die Quelle des Geräuschs näher bezeichnen. Diese zufällige Nebenbedeutung hängt ab von den Lauten, die mit ihm zusammen im Wort erscheinen: pl bedeutet demnach menschlicher Laut (plappern, plaudern, blarren, plerren), bl bedeutet menschlicher Laut oder Tierlaut (blaffen, blöcken, bellen, brüllen) und kl oder gl steht für Laut von leblosem, unorganischem Körper (klappern, klimpern, klopfen, klingen, Glocke). Im Magazin führt Moritz die Beobachtung an, dass die Namen für die Artikulationsorgane jeweils mit den Lauten gebildet seien, die diese selber
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
produzieren, zum Beispiel Nase mit n, Lippen mit l oder Zähne mit z. Es handelt sich dabei um eine These von Charles de Brosses (vgl. unten S. 265). In der Deutschen Sprachlehre für die Damen fehlt wie gesagt diese Erklärung der Haupt- und Nebenbedeutungen der Laute. Moritz führt dort aber noch weitere Bedeutungen des l an:98 „– Das L z. B.99 dieser biegsame Laut, welcher durch die Zunge, als die beweglichste und flüchtigste unter den Sprachwerkzeugen hervorgebracht wird, bezeichnet vorzüglich auch das Schnelle und Flüchtige sowohl außer uns in der Natur, als den schnellen und flüchtigen Uebergang der Zunge zur Bezeichnung des Angenehmen in unsrer eignen Seele. Was in der Natur ist aber wohl schneller und flüchtiger, als das fließende Wasser, die wallende Fluth, der fliegende Pfeil, das blendende Licht, und der zückende Blitz? Was ist leichter, und |544| daher auch zu jeder schnellen und flüchtigen Bewegung geschickter, als das zitternde Blatt am Baume, die leichtherniederfallende Flocke, und die weiche gekräuselte Wolle? Was ist in unsrer eignen Seele, das die Zunge leichter zum Ausdruck hinüber lockt, als die angenehmen Empfindungen des Glücks, der Liebe, des Lobes, Gefallens und Billigens?100 Welches Gefühl in unserm Körper ist lockender zum leichten und schnellen Ausdruck, als das Gefühl des Lebens, des Leibes und der Glieder? (DS, S. 543f.; Herv. im Orig.)
Das l kann aber auch das Gegenteil einer angenehmen Empfindung bezeichnen: „– So wie aber beim Genuß einer übelschmeckenden Arznei die Zunge aus Eckel und Ueberdruß im Munde wallt, so bezeichnet auch das l zuweilen gerade das Gegentheil vom Angenehmen, als das Leere, das Kleine, das Leiden, und das dem Anscheine nach traurige, und dem |545| Tode ähnlichen Liegen und Schlafen.“ (DS, S. 544f.; Herv. im Orig.)
Im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde drückt sich Moritz hier noch etwas deutlicher aus: „So wie aber die Zunge beim Gefühl des Angenehmen sich schnell und leicht im Munde bewegt, eben so unwillkürlich bewegt sie sich auch obgleich langsamer und schwerer beim Gefühl des Unangenehmen, wie ein jeder aus der Erfahrung wissen kann, wenn er sich an die Bewegung der Zunge bei der Vorstellung von einer übelschmeckenden Arznei erinnert. Daher kömmt es auch, daß gerade das Gegentheil vom Angenehmen, ebenfalls durch den sonst so schnell und flüchtig nur zum Angenehmen übergehenden Buchstaben l ausgedrückt wird. Daher bezeichnet das l auch die Unmuth und Leiden erweckende Leerheit, es bezeichnet
98
Die Passage findet sich dann auch im Magazin, obwohl sie nicht so recht zum Vorhergehenden passen will. 99 In der Erstausgabe heisst es „Z.B.“. In der zweiten Ausgabe ist es korrigiert zu „z.B.“. 100 In der Erstausgabe heisst es „Gefallens, und Billigens“. In der zweiten Ausgabe ist es korrigiert zu „Gefallens und Billigens“.
Die Entwicklung der Sprachphilosophie
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die das Leere hervorbringende Kleinheit, das durch die Leere und Kleinheit hervorgebrachte Leiden und das dem Anschein nach traurige dem Tode ähnliche Liegen und Schlafen.“ (MzE, Bd. 3 (1785), 3. St., S. 114; Herv. im Orig.)
In der Deutschen Sprachlehre für die Damen folgt dann noch der Hinweis darauf, was die Laute generell eher bezeichnen: „Das k und die verwandten Gaumenlaute scheinen mehr die Gestalten der Dinge zu umfassen, das l und die verwandten Zungenlaute aber scheinen mehr die verschiednen Bewegungen der Dinge außer uns, und der Empfindungen in uns, nachzubilden.“ (DS, S. 544f.; fett im Orig.; kursiv A. A.)
Hervorzuheben ist bei dieser Passage, dass Moritz nicht von abbilden, sondern von nachbilden spricht, was bereits in Richtung der späteren kunsttheoretischen Überlegungen zur bildende Nachahmung des Schönen weist. Am Ende des 15. Briefes (und damit am Ende der Deutschen Sprachlehre für die Damen überhaupt) beteuert Moritz den Wert der Wortanalyse in Laute und nimmt den für die Ästhetik zentralen Begriff des Gesichtspunktes vorweg. Die Passage bekräftigt mit der Behauptung, die Wörter seien in ihrem Ursprung wahrer gewesen als jetzt, auch nochmal die Naturalismusthese (Physei-These).101 „– Es ist gewiß keine thörichte Mühe, die Wörter auf die Art in ihre einfachsten Bestandtheile aufzulösen, und den herrschenden Hauptlaut in denselben aufzusuchen, da uns dieses die wichtigsten Aufschlüsse über die Entstehung und das Wesen aller menschlichen Begriffe geben kann, die bei ihrem ersten Ursprunge freilich nicht so fein, aber vielleicht wahrer gewesen sind, als sie es jetzt, bei ihrer höchsten Verfeinerung, noch seyn können. Wie sehr wünschte ich daher, mich jetzt in diesen |546| reitzenden Betrachtungen verlieren zu können, um durch den getreuen Spiegel der Ursprache in die Tiefen des menschlichen Geistes zu blicken: aber wie weit würde mich dieses führen! Ich begnüge mich also damit, Ihnen wenigstens noch einen Blick in das innerste Heiligthum der Sprache verschaft zu haben, und lasse den Vorhang fallen.“ (DS, S. 545f.; Herv. im Orig.)
Auch eine Hypothese über die Schöpfungsgeschichte Mosis (1784) Die dritte Variante seiner Sprachphilosophie legt Moritz im Aufsatz Auch eine Hypothese über die Schöpfungsgeschichte Mosis vor, der 1784 im dritten Band der Berlinischen Monatsschrift erscheint.102 Die Argumentation ist im Ver-
101 Wolfert von Rahden erkennt hierin den Grund für die grosse Bedeutung, die Moritz der Sprachursprungsproblematik zuspreche, indem er sie, anders als viele Zeitgenossen, nicht am Beginn, sondern, „dem dramaturgischen Gesetz der Steigerung folgend“, am Schluss behandle (vgl. Rahden 1989, S. 248f.). 102 Wieder abgedruckt in: LP, S. 335–348. Paralellstellen finden sich in den Aufsätzen Die Schöpfung in der Seele des Menschen. (Er scheidete das Licht von der Finsterniß.) und Hephata! (vgl.
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
gleich zur Deutschen Sprachlehre für die Damen zunächst wesentlich umgestellt, um das Wiederholungsargument gekürzt, im Phylogeneseteil aber auch in relevanten Punkten präzisiert und um neue Passagen erweitert. Der Aufsatz beginnt mit der Ontogenese der deutlichen Vorstellungen. Darauf folgt die Darstellung der Speicherfunktion der Sprache vor derjenigen der Erkenntnisfunktion. Der stark umgearbeitete Teil über die Phylogenese der deutlichen Vorstellungen schliesst die Argumentation ab. In diesem Zusammenhang wird erneut der Sprachursprung zum Thema. In den neuen Passagen des Phylogeneseteils drückt sich auch das Hauptanliegen des Aufsatzes aus: Moritz interpretiert den biblischen Schöpfungsbericht als der menschlichen Imagination entsprungene Beschreibung der Entstehung der Welt und wendet sich damit gegen die „Erklärung der Genesis als Weltursprungsmythos eines naiven Volks“ (Meier 2000, S. 83), wie sie Herder in der Ältesten Urkunde des Menschengeschlechts vorträgt.103 Das in den Unterhaltungen mit meinen Schülern und in der Deutschen Sprachlehre noch vorhandene Nebeneinander von göttlichem und menschlichem Sprachursprung ist hier nun zu Gunsten des letzteren aufgegeben. In der Interpretation des Genesis-Textes geht Moritz aus vom menschlichen Erkenntnisprozess, der in der Analyse vom Grossen, Komplexen zum Kleinen und Einfachen besteht. „Was ist nun wohl natürlicher, als daß wir ein Ganzes, wovon wir uns eine deutliche Vorstellung machen wollen, erstlich nur ins Große unterscheiden, und dann immer weiter ins Kleine ordnen und klassificieren?“ (Hypothese, S. 340; Herv. A. A.)
Die Richtung dieses Erkenntnisprozesses musste der Verfasser des Pentateuchs nach Moritz auch seiner Vorstellung von der Erschaffung der Welt durch Gott zu Grunde legen: „[…] was war […] natürlicher, als daß der Mensch ihm [scil. Gott] seine [scil. des Menschen] Vorstellungsart, erst ins Große und dann allmälig ins Kleinere zu unterscheiden, mittheilen104 mußte, wenn er sich einen Begriff von der Schöpfung der Welt machen wollte?“ (Hypothese, S. 340)
Entsprechend findet sich im Schöpfungsbericht auch die Sprachoperationen unterscheiden und benennen, welche die Erkenntnisfunktion der Sprache ausüben:
dazu auch: Magazin: IV, 2. S. 2–7, S. 21ff.) aus GL. Die Gedanken des Aufsatzes sind auch verwertet in Versuch einer kleinen praktischen Kinderlogik 1786. 103 So erklärt sich nach Meier auch die ironische Anspielung des Titels auf Herders Schrift Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit (vgl. Meier 2000, S. 83). 104 Mittheilen bedeutet hier Theil an etwas nehmen lassen. Adelung führt das Beispiel an: „Einem Armen eine Gabe mittheilen“ (Adelung 1990 [1793–1801] III, Sp. 251).
Die Entwicklung der Sprachphilosophie
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„[…] dürfen wir uns also wohl wundern, wenn ihm [scil Gott] bei der Schöpfung das Unterscheiden und Benennen, als die Sprache, gleichsam als ein Hülfsmittel zugeeignet wird, um die große Masse, welche er vor sich hatte, gehörig zu ordnen und einzutheilen?“ (Hypothese, S. 340; Herv. im Orig.)
Der Stellenwert Gottes als Schöpfer rückt hier angesichts der menschlichen Vorstellungskraft völlig in den Hintergrund. Die Darstellung in der Genesis entspricht der Art und Weise, wie sich der Mensch die Schöpfung nach seinen Möglichkeiten vorstellen kann. Meier weist darauf hin, dass Moritz seine Schlussfolgerung hier noch als „Gedankenspiel und nur im Irrealis“ formuliert (Meier 2000, S. 85). Moritz schreibt: „Wenn der Mensch, mit der Macht eines Gottes begabt, eine Welt erschaffen wollte; so hätte er es ohngefähr so anfangen müssen, wie es hier [scil. im Schöpfungsbericht Genesis 1] beschrieben wird. Er würde nur gesagt haben: es werde Licht! und es wäre Licht geworden; dann würde er |341| das Licht von der Finsternis unterschieden, und ihm einen N amen gegeben haben, damit es nicht nur an sich selber, sondern auch in seiner V orstellung unterschieden gewesen wäre; dann hätte er sein Werk angesehen und sich darüber gefreuet: denn es war sehr gut.“ (Hypothese, S. 340f.; kursiv A. A.; fett im Orig.)
In Moritz’ Interpretation ist die Genesis zwar an der Textoberfläche eine Erzählung von Gottes Weltschöpfung, in ihrem Subtext aber eine philosophische Abhandlung über die sprachgebundene Genese der menschlichen Erkenntnis: „Auf diese Weise scheinet sich diese Erzählung, wie es mit der Schöpfung oder Entstehung dieses Weltalls wohl zugegangen sein möge, ihrem Verfasser, in einer glücklichen Stunde der Begeisterung, gleichsam aufgedrängt zu haben. Indem er aber die Entstehung der Welt an sich selber schildern wollte, so schilderte er doch im Grunde weiter nichts, als die Entstehung oder S chöpfung derselben in der V orstellung des Menschen, wie es diesem gelang, sich durch U nterscheiden und B enennen, oder welches einerlei ist, durch die Sprache, allmählich einen immer deutlichern Begriff davon zu bilden.“ (Hypothese, S. 341; fett im Orig., kursiv A. A.)
Der Verfasser Moses, so meint Moritz, dürfte diesen Subtext jedoch nicht intendiert haben: „Und in dieser Rüksicht, wie er die stuffenweise Entstehung der menschlichen Begriffe, vermittelst der Sprache, beschreibt, wäre denn Moses sowohl Philosoph als Dichter gewesen; obgleich das erste |342|mehr zufälliger Weise, weil er nicht sowohl zur Absicht gehabt zu haben scheint, von dieser wirklichen Entstehung der menschlichen Begriffe zu reden, als vielmehr eine wahrscheinliche Fiktion von der Schöpfung des Weltalls zu entwerfen.“ (Hypothese, S. 341f.; fett im Orig., kursiv A. A.)
Mit seiner „philosophischen“ Darstellung der „stuffenweisen Entstehung der menschlichen Begriffe“ (Hypothese, S. 341) liefert er nun aber die wahrscheinliche Sprachursprungshypothese.
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
„So wie nun oft die Begeisterung den Dichter zum Philosophen erhebt, indem seine reiche Phantasie die Stelle der Beurtheilungskraft ersetzt; so liefert uns auch Moses, ohne daß er dieß vielleicht eigentlich zur Absicht hatte, in der Schöpfungsgeschichte eine sehr philosophische Darstellung des wahrscheinlichen Ursprungs der Sprache und des menschlichen Denkens.“ (Hypothese, S. 342)
Ausgehend vom Wortlaut von Genesis 1.2 „So lange der Mensch noch ohne Sprache war, muß die Welt gleichsam ein Chaos für ihn gewesen sein, worinn er nichts unterscheiden konnte, wo alles wüste und leer war, und Dunkel und Finsterniß herrschte.“ (Hypothese, S. 342)
kommt Moritz anschliessend zu seiner Sprachursprungshypothese. Sie variiert in der Formulierung beträchtlich von der Version in der Deutschen Sprachlehre: „Allein der Mensch konnte nicht lange ohne Sprache bleiben, weil der Schopfer [sic!] dieselbe, als ein so notwendiges Bedürfniß des menschlichen Denkens, schon von Anfang an in die ganze Schöpfung mit eingewebt, und einen so auffallenden Unterschied in die Dinge gelegt hatte, welche den Menschen umgaben, daß dadurch das Wort, womit er seinen Unterschied bezeichnen sollte, gleichsam aus seinem Munde gepreßt wurde.“ (Hypothese, S. 342; Herv. A. A.)
„Es scheinet, als ob der Schöpfer selbst die Sprache, als ein so nothwendiges Bedürfniß des Menschen, schon, von Anfang an, in die Schöpfung mit eingewebt habe; indem er einen so auffallenden Unterschied in die Dinge legte, welche sich zuerst dem Menschen darstellten, daß gleichsam das Wort aus seinem Munde gepreßt wurde, womit er diesen Unterschied bezeichnen sollte.“ (DS, S. 173; Herv. A. A.)
In der Hypothese präzisiert Moritz also, in welcher Hinsicht die Sprache ein so notwendiges Bedürfnis des Menschen ist, dass er nicht lange im sprachlosen Zustand bleiben konnte: Der Grund liegt nicht in der gesellschaftlichen Mitteilungsfunktion, sondern in der kognitiven Erkenntnisfunktion. Die Sprache ist dem Menschen notwendig für das Denken. Als erste menschliche Laute nimmt Moritz in Übereinstimmung mit de Brosses Ausrufe der Freude und der Furcht an.105
105 Bereits Müffelmann hat in dieser Passage den „naturalistischen Standpunkt der französischen Denker Condillac und Rousseau [...], dass die Sprache aus Empfindungslauten, unartikulierten Schreien entstanden sei, die der Anblick der Gegenstände in dem Menschen ausgelöst habe" gesehen (Müffelmann 1930, S. 17).
Die Entwicklung der Sprachphilosophie
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„Das erste einsilbige Freudengeschrei, womit er das anbrechende Licht begrüßte, und die erste furchtsame kindische Klage bei der wieder einbrechenden Finsterniß, waren vielleicht die ersten Namen, wodurch er das Licht von der Finsterniß unterschied, und Tag und Nacht bezeichnete.“ (Hypothese, S. 343; Herv. A. A.)106
Die weitere Entwicklung der Sprache beschreibt Moritz als ein fortlaufendes vom Grossen zum Kleinen sich orientierendes Unterscheiden und Benennen von Gegenständen. Diese begriffliche Strukturierung der Welt führt den Menschen schliesslich zum Bewusstsein seiner selbst: „Nachdem der Mensch auf diese Weise die ganze Natur außer sich unterscheiden gelernt hatte; so war er auch zugleich zu dem völligen süßen Bewußtsein seiner selbst gelangt, wodurch er sich von allem, was ihn umgab, unterschied.“ (Hypothese, S. 344)
Die Genesis ist nach Moritz so schlussendlich ein Bericht der Schöpfung des menschlichen Bewusstseins: „Und dieß war gleichsam seine eigne edelste Schöpfung“ (Hypothese, S. 344), wie es in einem im Vergleich mit den vorherigen Versionen der Sprachursprungshypothese neuen Satz heisst. Im Versuch einer kleinen praktischen Kinderlogik von 1786 spricht Moritz dann sogar von der Schöpfungsgeschichte des menschlichen Verstandes (Kinderlogik, S. 102). Gott ist aus dieser Schöpfungsgeschichte vollständig verschwunden. Es ist jetzt „[d]ie Natur selbst“, die „den Menschen die große Kunst zu unterscheiden […] lehrte“ (Kinderlogik, S. 95). Und „[d]as letzte Wort, die Krone der Schöpfung war der denkende Mensch“ (Kinderlogik, S. 102).
106 Im Versuch einer kleinen praktischen Kinderlogik (1786) führt Moritz diese Stelle noch etwas aus: „Auch mußte sich durch diesen Unterschied zuerst die Zunge des Menschen zu dem Jubel lösen, womit er das kommende Licht begrüßte, und zu der Klage, womit [er] zuerst die furchtbare Dunkelheit der Nacht hereinbrechen sahe – Er fühlte sich gedrungen, die ersten Laute der Sprache zu stammeln: Nachdem er das Licht von der Finsterniß unterscheiden gelernt hatte, so nannte er das Licht Tag, und die Finsterniß Nacht.“ (Kinderlogik, S. 96)
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
2.3.3
Die Entwicklung der grammatischen Positionen
2.3.3.1 Die Ausarbeitung der grammatischen Positionen in den frühen Schriften Vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s (1780, 21781) Das Ziel von Moritz’ erster Veröffentlichung zu einem grammatischen Problem mutet einfach an: „Ich soll Ihnen, liebster B., den Unterschied des Akkusativ's und Dativ's oder des den und dem, mich und mir, sie und ihnen, u. s. w., deutlich machen; so deutlich, daß Sie sich bei ieder Gelegenheit an diesen Unterschied lebhaft genug erinnern können, um das mich und mir, u. s. w. nicht mehr miteinander zu verwechseln.“ (UAD, unpag. ; Herv. im Orig.)
Das Berlinische unterscheidet bekanntlich in vielen Fällen nicht zwischen Akkusativ und Dativ, was für einen Hannoveraner wie Moritz als Fehler gelten muss und leicht zu korrigieren sein dürfte. Aber Moritz merkt selber an: „Da haben Sie freilich viel von mir verlangt“ (UAD, unpag. ). Denn damit der Adressat Akkusativ und Dativ künftig in allen Kontexten korrekt verwenden kann, muss ihm der Unterschied im leibniz-wolffschen Verstande deutlich gemacht werden.107 Das heisst, er soll Akkusativ und Dativ künftig nicht nur an Deklinationsallomorphen wiedererkennen, sondern differenzierte Begriffe der beiden Fälle besitzen und damit die Gründe verstehen für deren Verwendung. Dieses Ziel ist mit einer Darstellung der Formenlehre, wie sie die traditionelle Schulgrammatik bei der Behandlung der Kasus betreibt, nicht zu erreichen. Moritz ist sich der Beschränktheit einer rein morphologischen Erklärung der Fälle klar bewusst. Die Formenlehre bleibt hier folgerichtig sekundär und rudimentär. Moritz nennt zwar als „äussere Kennzeichen“ (UAD, S. 3) des Akkusativs und des Dativs einige deutsche Kasusflexive und andere Kasusmerkmale (vgl. unten S. 111), behandelt die Deklinationsparadigmata des Deutschen aber nicht systematisch. Das hat seinen lernpsychologischen Grund eben darin, dass aus der blossen Kenntnis der morphologischen Kasus-Kennzeichen an der Sprachoberfläche nur eine dunkle Vorstellung der Materie entspringen kann, nicht aber eine deutliche Vorstellung des Prinzips, das der grammatischen Unterscheidung zwi-
107 Vgl. zur Unterscheidung zwischen dunklen und deutlichen Vorstellung die Ausführungen zur Stufenleiter der Erkenntnis bei Leibniz (unten S. 237ff.).
Die Entwicklung der grammatischen Positionen
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schen Akkusativ und Dativ zu Grunde liegt (vgl. UAD, S. 5). Eine deutliche Vorstellung des Prinzips zu vermitteln, ist aber Moritz’ erklärtes Ziel und er muss deshalb alternative Kriterien der Kasuserklärung heranziehen. Er wählt dazu semantische Kriterien und bedient sich der beiden semantischen Kasustheorien, welche die zeitgenössische Grammatik anbietet: die logische und die lokalistische Theorie. Die logische Theorie erklärt die Fälle aus der logischen Satzanalyse und leitet vom Nominativ als Subjektkasus die anderen Fälle als Kasus zum Beispiel des näheren und weiteren Objektes ab. Die lokalistische Theorie interpretiert die Fälle als Motivierung zum Beispiel einer Ruhe oder einer Bewegung. Der logischen Satzanalyse liegt die rationalistische These zu Grunde, dass der sprachliche Satz das logische Urteil abbildet. Der lokalistischen Kasustheorie hingegen liegt die These zu Grunde, dass sich sprachliche Kategorien aus sinnlicher Erfahrung ableiten. Mit der Vermischung der beide Positionen macht Moritz deutlich, dass er eine zwischen ihnen vermittelnde Position einnimmt. Den Anfang macht er mit der logischen Satzanalyse, also mit der Satzgliedtheorie. Entsprechend der rationalistischen Grammatik betrachtet Moritz die Satzglieder und damit verbunden auch die Fälle als grammatische Universalien. Am Ende des theoretischen Teils seiner Schrift hält er fest: „Da nun der wahre Unterschied zwischen Akkusativ und Dativ nichts Zufälliges, sondern etwas Wesentliches, und in der Natur der Sprache gegründetes ist, so muß er auch in ieder Sprache statt finden, sie mag nun von der unsrigen so verschieden seyn, wie sie wolle, und wenn sie auch gar keine Umendungen der Wörter hätte, so müsste man sich doch ein Subiekt, Obiekt, Adiekt und Zweckwort, oder einen Nominativ, Akkusativ und Dativ, in der Rede denken.“ (UAD, S. 40; Herv. im Orig.)
Er wendet seinen Blick über das Deutsche hinaus, wenn er feststellt, schwach flektierende Sprachen zeigten eine strengere Wortstellung als stark flektierende, und prinzipiell drei Arten der Satzglied/Kasusmarkierung – mittels Deklination, mittels Präpositionen und mittels Wortstellung im Satz – unterscheidet (vgl. UAD, S. 41f.). Entsprechend betrachtet er als praktischen Zweck seines Aufsatzes neben der Verbesserung der Muttersprache auch die Erleichterung des Fremdsprachenerwerbs (vgl. UAD, S. 40f.). Mit dem Fokus auf das Prinzipielle und Universale in der Sprache ist Vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s deshalb deutlich der philosophischen Grammatik zuzuordnen. Die folgende Analyse bewegt sich eng am moritzschen Text. Sie zeigt, dass Moritz hier eigentlich keine Abhandlung über Fälle vorlegt, sondern eine Satzgliedlehre. Hauptgegenstand der Schrift ist die universale Satzgliedlehre. Zwar leitet Moritz aus der Analyse des Satzes in Redeteile Re-
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
geln zur Setzung des Akkusativs und Dativs her. Die Termini Akkusativ und Dativ bezeichnen aber entgegen der Grammatiktradition Satzglieder, nicht Fälle, was an Formulierungen wie „[…] man erkennt […] den Akkusativ […] an seiner Verbindung mit andern Wörtern“ (UAD, S. 4) klar erkennbar ist. Das grammatische Konzept Kasus ist nur diffus vorhanden, wie das folgende Zitat zeigt, wird terminologisch in dieser Schrift aber nicht erfasst.108 Entsprechend erklärt Moritz die Bezeichnungen Akkusativ und Dativ am Ende für obsolet: „Wie wäre es nun, da wir so weit sind, daß Sie völlig wissen, was Subiekt[,] Obiekt, Zweckwort und Adiekt, ist, wenn wir uns inskünftige dieser Benennungen immer, anstatt der Benennungen Nominativ, Akkusativ und Dativ, bedienten, die wir nun dreist, als unbrauchbares Gerüste, wegwerfen können, da wir weit verständlichere Nahmen gefunden haben, unter denen man sich die Sachen selber, welche sie anzeigen sollen, deutlich denken kann?“ (UAD, S. 42; fett im Orig., kursiv A. A.)
Der Aufsatz ist in drei Briefe gegliedert, wovon der erste mit Beispielen anschaulich zum Problem hinführt, der zweite die Theorie der Satzglieder systematisch entwickelt und der dritte Übungsaufgaben bereitstellt. Der Unterschied zwischen Akkusativ und Dativ, so hält Moritz im 1. Brief zunächst grundsätzlich fest, sei „doppelt“ (UAD, S. 4): „[…] man erkennt nehmlich den Akkusativ erstlich an seiner Endung, und zweitens an seiner Verbindung mit andern Wörtern, und eben so ist es auch mit dem Dativ.“ (UAD, S. 4)
Er ist sich also darüber im Klaren, dass Akkusativ und Dativ einerseits durch Flexive markiert sein können, andererseits aber in kontextuellen Abhängigkeiten stehen. Ihre „Verbindung oder ihr[…] Zusammenhang[…] mit andern Wörtern“ gehört zur „Natur der Sprache“ (UAD, S. 5). Es geht dabei, wie sich zeigen wird, um, modern gesprochen, semantische Rollen von Aktanten im Satz, die sich in den Satzgliedern zeigen. Während diese Rollen sich am „Innern der Sprache“ beobachten lassen (UAD, S. 5),109 ist die morphologische Kasusmarkierung eine Sprachoberflächenerscheinung. Ihr widmet sich Moritz ganz knapp: Im folgenden Zitat nennt er einige Flexive und weitere formale Markierungen des Akkusativs und Dativs (die Abschwächung „grösstenteils“ signalisiert, dass es
108 Den Begriff Fall im Sinne von grammatischer Kasus führt Moritz erst im Anhang zu den Briefen über den Unterschied des Akkusativ’s und Dativ’s ein (vgl. AUAD, S. 23). 109 Da Moritz die Begriffe Akkusativ und Dativ für Satzglieder und nicht für Fälle verwendet, denkt er bei „Verbindung mit andern Wörtern“ nicht an die alternativ zur Flexion möglichen Kasuskennzeichnungen durch Wortstellung oder durch nicht-gebundene Morpheme wie Präpositionen und Adverbien, die ihm im Übrigen aber ja bekannt sind (vgl. UAD, S. 41).
Die Entwicklung der grammatischen Positionen
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ihm hier nicht um Vollständigkeit, sondern um exemplarische Beispiele geht): „Wenn nur von einem die Rede ist, oder im Singular, unterscheidet sich der Akkusativ größtentheils durch die Buchstaben n und ch, und der Dativ durch m und r. Den Mann, mich, dich, ihn, ist also der Akkusativ; hingegen dem Manne der Frau, mir, dir, ihm, ist der Dativ. Wenn aber von mehreren die Rede ist, oder im Plural, unterscheidet sich der Akkusativ durch die und sie, und der Dativ durch denen und ihnen, denen wird aber gemeiniglich in den zusammengezogen. Ich habe die Männer gesehen, und sie recht aufmerksam betrachtet: hier ist die Männer und sie der Akkusativ. Ich habe von den Männern gehört, und vieles von ihnen erfahren; hier ist den Männern und ihnen der Dativ.“ (UAD, S. 4; Herv. im Orig.)
Dass es sich bei den Beispielen um morphologische Kasusmarkierungen an unterschiedlichen Wortarten handelt, nämlich am Substantiv, am Artikel und am Pronomen, reflektiert Moritz nicht. Er übersieht (oder unterschlägt) damit ein grundsätzliches Problem der morphologischen Kasustheorie. Die Fälle lassen sich im Deutschen nämlich oft nicht an der Endung des Substantivs erkennen. Die morphologische Betrachtung der Fälle geht deshalb schnell in eine syntaktische Betrachtung über, wenn zur Kasusidentifikation die Endungen von Pronomina, Artikel oder Adjektiven hinzugezogen werden (vgl. Häcki Buhofer 1987, S. 142). Dieses Problem hat Gottsched in seiner Sprachkunst dazu geführt, die Fälle gleich im Kapitel über die Artikel zu behandeln (vgl. Häcki Buhofer 1987, S. 142). Moritz hingegen hält sich nicht bei morphologischen Problemen auf, sondern führt anhand einiger, wohl seiner Berliner Umgebung abgehörter problematischer Satz-Beispiele exemplarisch ein in die logischsemantischen Beziehungen zwischen den Gliedern des Satzes und damit in seine Satzgliedtheorie.110 Dabei wird offensichtlich, dass er von einem Konzept des Satzes als (logischer) Sinneinheit ausgeht, die sich aus Teilen mit unterschiedlichen semantischen Rollen zusammensetzt. Als zentrales organisierendes Element stellt sich das Prädikat heraus. Das Konzept der Valenz des Verbs im modernen Sinn scheint hier auf, wird aber nicht explizit ausgeführt. „Wenn Sie sagen: mein Bruder hat mich einen Brief geschrieben, so heißt das so viel, als ob Ihr Bruder erstlich Sie, und dann auch den Brief, geschrieben hätte; als ob die Handlung des Schreibens sich auf zwei Dinge gleich stark, oder auf gleiche Art, bezöge, da sich dieselbe doch offenbar zuerst auf den Brief, und dann erst auf Sie bezieht, an den der Brief gerichtet ist: denn Sie sind es ia nicht,
110 Als Beispiele wählt Moritz einen Satz mit Subjekt, Prädikat und Akkusativ-Objekt sowie zwei Sätze mit einer zusätzlichen freien Ergänzung im Dativus commodis, die er allerdings als indirektes Dativ-Objekt interpretiert.
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
der geschrieben wird, sondern der Brief. Sobald Sie also sagen: mein Bruder hat mich einen Brief geschrieben, so zerfällt ein Gedanke, den Sie ausdrücken wollen in zwei Gedanken: mein Bruder hat mich geschrieben, und: mein Bruder hat einen Brief geschrieben: Sie denken sich also zwei Dinge, die geschrieben werden, ohne eine Person zu nennen, an welche sie geschrieben werden. Setzen Sie aber: mein Bruder hat mir einen Brief geschrieben, so haben Ihre Worte den schönsten Zusammenhang. Hieraus können Sie also die Regel ziehen: dasienige, worauf eine Handlung sich gerade zu, und ohne Umschweife bezieht, steht im Akkusativ, und dasienige, worauf sich eine Handlung nicht gerade zu, sondern mit Umschweifen bezieht, steht im Dativ. “ (UAD, S. 6; Herv. im Orig.)
Weiter führt Moritz Beispiele an, „die von ganz andrer Art“ (UAD, S. 8) sind. Es sind Sätze mit Präpositionalphrasen als lokalen Adverbialbestimmungen, die je nachdem, ob die lokale Präposition einen Ort oder eine Richtung anzeigt, im Dativ oder im Akkusativ stehen müssen: Ich gehe in der Kirche versus Ich gehe in die Kirche, Ich trage Blumen in dem Korbe versus Ich trage Blumen in den Korb. Es folgen analoge Beispielpaare mit einem markierten Element (Ich schreibe einen Brief auf den Tisch versus Ich schreibe einen Brief auf dem Tische) beziehungsweise einem ungrammatischen (Ich will an Ihnen schreiben versus Ich will an Sie schreiben, Ich komme aus die Kirche versus Ich komme aus der Kirche) (vgl. UAD, S. 8f).111 Moritz will zeigen, dass der Kasus hier von der semantischen Bedeutung der Präposition abhängt. Er erläutert dies anschliessend aber anhand zweier phraseologischer, modaler Adverbialbestimmungen. Die in ihnen enthaltene Präposition auf ist entsprechend modal und damit keine Wechselpräposition, weshalb die Beispiele Moritz’ Punkt eigentlich gerade nicht exemplifizieren. Der phraseologische Charakter der Wendungen lässt eine semantische Interpretation im Übrigen auch gar nicht zu (vgl. Häcki Buhofer 1987, S. 145). Moritz betrachtet das auf hier jedoch einfach als lokal. Die Beispiele lauten: Die Sache geschahe auf der Art versus Die Sache geschahe auf die Art und Ich werde es auf dem Besten ausrichten versus Ich werde es auf das Beste ausrichten (vgl. UAD, S. 9f.).112 Und so kommt er zum Schluss:
111 Das Ungrammatische des letzten Beispiels erklärt Moritz kognitionspsychologisch: „Sagen Sie: ich komme aus die Kirche, so scheinet mir das gar nicht zusammen zu hängen, sondern ich muß mir die drei Wörter, ich komme aus und die Kirche ganz voneinander abgesondert denken. Sagen Sie aber: ich komme aus der Kirche, so scheinet mir das, was Sie sagen, sehr gut zusammen zu hängen“ (UAD, S. 9; Herv. im Orig.). Das Zitat zeigt auch, dass Moritz die Präpositionalphrase nicht als Einheit analysiert, sondern, der 2. Brief wird dies zeigen, die Präposition als eigenständiges Satzglied bestimmt. 112 Es handelt sich dabei übrigens nicht um eine zeitgenössisch legitimierte Interpretation. In seiner Deutschen Sprachlehre (1781) nennt Adelung die Wendung auf das beste bei der Erläuterung der modalen Bedeutung von auf: „Auf, bedeutet […] [m]it dem Accusativ […] mit dem Nebengriffe (sic!; sollte wahrscheinlich heissen: Nebenbegriffe; A. A.) […] |362| der Art und Weise, auf diese Weise, auf jene Art, aufs neue, auf Abschlag bezahlen, auf das beste“ (Adelung 1781a, S. 361f.; Herv. im Orig.).
Die Entwicklung der grammatischen Positionen
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„Sobald Sie also, in diesen letztern und ähnlichen Fällen, eine Bewegung an einen Ort hin, anzeigen wollen, so erwarte ich immer von Ihnen, daß Sie den Akkusativ setzen; wollen Sie aber einen Auffenthalt an einem Orte anzeigen, so erwarte ich, das [sic!] Sie den Dativ setzen.“ (UAD, S. 10; Herv. im Orig.)
Im 1. Brief etabliert Moritz somit eine auf die Verwendung des Akkusativs und Dativs zugeschnittene erste Unterscheidung zwischen Satzgliedern, die sich alleine in den Satz fügen können, und Satzgliedern, die dazu eine Präposition benötigen. Diese Unterscheidung wird im 2. Brief systematisch hergeleitet. Moritz zeigt sich hier als bis in die Terminologie abhängig von der Tradition der Grammatik von Port Royal (1660). Von dort übernimmt er die logische Satzanalyse mit den Gliedern Subjekt, Kopula und Prädikat. Er geht weiter aus von der Unterscheidung zwischen den semantischen Rollen agens und patiens, die eine Ergänzung im Akkusativ begründet, und erweitert den so hergeleiteten Satzbauplan anschliessend noch um Ergänzungen im Dativ. Dem Prinzip dieser Herleitung liegt die rationalistische sprachphilosophische Prämisse zu Grunde, dass die Sprache Abbild des Denkens und die Struktur der Grammatik deshalb analog zur Struktur der Logik sei. Diese Prämisse geht zurück auf Aristoteles’ Peri Hermeneias. Moritz übernimmt nun das Prinzip, ohne allerdings die Prämisse zu akzeptieren. Er geht zwar auch von einer engen Beziehung zwischen Sprache und Denken aus, erklärt diese aber als wechselseitige. Weiter teilt Moritz mit dem rationalistischen Paradigma die Überzeugung von der kommunikativen Funktion der Sprache, die allerdings über die philosophischen Lager hinweg, von Lockianern bis Leibnizianern praktisch unbestritten ist. Mit dem Prinzip der logischen Satzanalyse übernimmt Moritz indes auch dessen analytische Unschärfen: Er unterscheidet nicht klar zwischen Wortartenund Satzgliedlehre und vermischt verschiedene Funktionen des Verbs sein. Ausgangspunkt der Satzgliedherleitung ist die Unterscheidung der satzsemantischen Rollen agens und patiens, die Moritz als bei seinem Adressaten intuitiv bekannt voraussetzt: „Wenn geschlagen werden soll, so muß einer seyn, der da schlägt, und ein andrer der geschlagen wird, der welcher schlägt verhält sich handelnd, und der andre welcher geschlagen wird, verhält sich blos leidend.“ (UAD, S. 13)113
113 Das Beispiel schlagen ist in diesem Zusammenhang ein Topos. Vgl. etwa die Grammatik von Port Royal, wo es im Kapitel De l’accusatif heisst: „Les verbes qui signifient des actions qui passent hors de ce qui agit, comme battre, […] ont des sujets où ces choses sont reçues […]. Car si on bat, on bat quelqu’un […].“ (Arnauld & Lancelot 1997 [1676], S. 37; Herv. im Orig.).
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Diese semantische Unterscheidung muss formal-sprachlich, zum Beispiel mittels der Flexion, angezeigt werden, um das Verständnis in der Kommunikation zu sichern und damit die kommunikative Funktion zu erfüllen: „Wenn Sie also sagen: Der Mann schlägt mich, so verhält sich der Mann handelnd, und Sie verhalten sich leidend; wenn sie aber sagen: ich schlage den Mann, so verhalten Sie sich handelnd und der Mann leidend. Wenn Sie nun reden, so wollen |14| Sie doch diesen Unterschied immer recht deutlich ausdrücken, damit man den Leidenden nicht mit dem Handelnden verwechsle. Sie werden also gewiß nicht der, ich, oder du, anstatt den, mich, oder dich sagen, weil der, ich und du, immer den Handelnden, den, mich und dich, aber den Leidenden anzeigen. Sie werden also auch niemals sagen: ich schlage der Mann, weil es sonst so herauskommen würde, als ob Sie schlügen, und der Mann auch schlüge, und nun doch keiner da wäre, der geschlagen würde […].“ (UAD, S. 13f.; Herv. im Orig.)
Das patiens wird durch den Akkusativ angezeigt: „[…] darum setzen Sie nun den Akkusativ, den Mann, damit Sie die handelnde, und der Mann die leidende Person seyn, oder damit Ihr Schlagen sich auf den Mann beziehen möge.“ (UAD, S. 14; Herv. im Orig.)
Die Grammatik verbindet die satzsemantischen Rollen agens und patiens traditionell mit der Kategorie Genus verbi. Moritz nutzt diese Nähe und nimmt den fiktiven Einwand seines Adressaten, in Passivkonstruktionen stehe das patiens nicht im Akkusativ, als Ausgangspunkt, um im Folgenden zur Unterscheidung zwischen den Satzteilen Subjekt und Prädikat hinzuführen. Dasjenige, worüber man spreche oder etwas erzähle, stehe immer im Nominativ. So auch Der Mann in Der Mann wird geschlagen, obwohl der Der Mann hier die leidende Rolle innehabe: „Freilich ist es einerlei, Sie mögen sagen: ich schlage den Mann, oder der Mann wird von mir geschlagen. Der Mann ist in beiden Fällen die leidende Person, und doch steht er das erstemal im Akkusativ, und das andremal nicht. Merken Sie aber wohl den Un|15|terschied. Das erstemal rede ich ia hauptsächlich von mir, indem ich von mir etwas erzähle, daß ich nehmlich den Mann schlage, darum heißt es nicht mich sondern ich, da ich überdem auch die handelnde Person bin. Das zweitemal aber rede ich nicht sowohl von mir, als vielmehr von dem Manne, von dem ich nun etwas erzähle, daß er nehmlich von mir geschlagen wird, darum heißt es nun nicht den, sondern der Mann, ob der Mann hier gleich die leidende Person ist. Hieraus werden Sie nun die Folgerung ziehn, daß die Person oder Sache, wovon ich etwas sage, rede, oder erzähle, niemals im Akkusativ stehen kann. – Worinn steht sie aber denn? – ich antworte: im Nominativ, und auf die Art lernen Sie wieder ein neues Kunstwort, dessen Nutzen Sie bald kennen lernen werden.“ (UAD, S. 14f.; Herv. im Orig.)
Der Nominativ zeichnet sich formal durch seine Unveränderbarkeit aus. Er ist morphologisch nicht gekennzeichnet, sondern entspricht der Form
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der substantivischen Lemata. Satzlogisch signalisiert der Nominativ die Rolle des Subjektes. „Wenn Sie nur ein paar Worte sagen, und wollen nicht in den Wind,114 oder |17| Worte ohne Sinn, reden, so muß Ihre iedesmalige Rede, sie mag auch noch so kurz seyn, sich doch allemal auf etwas stützen, wovon Sie reden wollen. Hat meinen Brief erhalten, ist nichts gesagt – denn Sie reden was, und man weiß doch nicht wovon: dasienige wovon Sie reden ist also die Hauptsache, das ist das Fundament, was Sie unterlegen müssen, wenn dasjenige, was Sie sagen, nicht in die Luft geredet seyn soll. Sagen Sie also: mein Freund hat meinen Brief115 erhalten, so hat dasienige, was Sie sagen, Festigkeit bekommen, und macht nun einen ganzen und verständlichen Gedanken aus.“ (UAD, S. 16f.; Herv. im Orig.)116
Ab hier übernimmt Moritz nun für die Analyse des einfachen Satzes das rationalistische Paradigma, das seit Aristoteles’ Peri Hermeneias versucht, die Form der Sprache aus der Form des Gedankens zu begreifen (vgl. Ziegler 1984, S. 9) und den grammatischen Satz formal als sprachlichen Ausdruck des logischen Urteils interpretiert. Darauf muss an dieser Stelle etwas ausführlicher eingegangen werden, um zu verdeutlichen, in welchen Theoremen Moritz von dieser Tradition abhängig ist. Die frühesten Überlegungen zur Satzanalyse stammen von Platon. Im Sophistes (262c–263e) führt er die grundlegende Unterscheidung zwischen den Wortarten/Satzteilen onoma und rhema ein. Onoma bedeutet sowohl Subjekt als auch Nomen, rhema bedeutet Prädikat und Verb (vgl. Coseriu 2003, S. 62). Weiter unterscheidet Platon zwischen „benennen“ und „aussagen“. Mit einem onoma benennt man etwas, mit einem rhema sagt man etwas aus. „Die einfachste und kürzeste Rede“ besteht nach Platon aus einem onoma und einem rhema, also aus einem Subjekt, das durch ein Nomen, und einem Prädikat, das durch ein Verb vertreten wird (vgl. Coseriu 2003, S. 63). Der aus onoma und rhema bestehende logos, die Aussage, betrifft immer ein Etwas, von dem etwas ausgesagt wird, ein „Subjekt“. Der logos kann in Form von „Bejahung, Behauptung“ oder „Verneinung, Leugnung“ in Erscheinung treten (vgl. Coseriu 2003, S. 63). Aristoteles übernimmt die Begriffe onoma und rhema in seiner Schrift Peri Hermeneias. Wie bei Platon scheinen sie sowohl für Wortarten (Nomen, Verb), wie für Satzteile (Subjekt, Prädikat) zu stehen. Im Hinblick auf Moritz’ Satzgliedlehre orientiere ich mich in der Darstellung im Fol-
114 Hinter diesem Phraseologismus verbirgt sich natürlich die kommunikative Funktion der Sprache. 115 Im Orig. „Beief“. 116 Das Beispiel Mein Freund hat meinen Brief erhalten könnte durch César Chesneau Du Marsais Artikel Construction in der Encyclopédie inspiriert sein, wo das Beispiel J’ai reçu votre lettre vorkommt, das sich seinerseits auf ein Beispiel von Cicero bezieht (accepi litteras tuas) (vgl. Du Marsais 1987, S. 410f.)
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
genden aber an der Lesart von Jürgen Ziegler, wonach onoma und rhema als Satzgliedbezeichnungen zu verstehen sind. Nach Ziegler unterscheidet Aristoteles zwei kategorial verschiedene sprachliche Einheiten: Wort und Satz (vgl. Ziegler 1984, S. 19). Die Kategorie des Worts fällt mit derjenigen „des ‚onoma’ vollständig zusammen“ (Ziegler 1984, S. 20). Mit den onoma vollzieht sich ein „einfaches Sagen“ (phasis), mit ihnen „gelangen die die Dinge abbildenden Vorstellungen zum Ausdruck“ (Ziegler 1984, S. 20). Die die Dinge abbildenden Vorstellungen ihrerseits sind das Resultat der einfachen Verstandestätigkeit, die Aristoteles noesis nennt und in welcher der Verstand von den Sinneseindrücken zu den Begriffen gelangt (vgl. Ziegler 1984, S. 20). Das rhema nun muss nach Ziegler von der Kategorie des Satzes her bestimmt werden. Es ist das Zeichen von etwas, was von einem anderen, einem Subjekt, ausgesagt wird (vgl. Ziegler 1984, S. 21).117 Das rhema ist damit der sprachliche Ausdruck des Urteilsprädikats. Es ist nicht „einfaches Sagen“, sondern Aussagen. Ihm liegt nicht die noesis zu Grunde, sondern die synthesis des Urteils. Das rhema übernimmt im Urteils-Satz die Funktion des Prädikatsausdrucks. Mit dieser funktionalen Interpretation des rhema vermag Ziegler überzeugend zu erklären, weshalb Aristoteles behaupten kann, für sich alleine genommen sei ein rhema blosses onoma. Es wird dann nämlich als Wort mit einer gegenständlichen Bedeutung verstanden. Unterschieden vom onoma wird es erst in seiner satzbildenden Funktion, die nach Ziegler identisch ist mit der logischen Funktion der Kopula. Diese Funktion erfüllt es in der dritten Person Singular Indikativ: ist. Und dieses Kopula-ist hat nach Aristoteles keine gegenständliche Bedeutung (vgl. Ziegler 1984, S. 23). Das Interesse Platons und Aristoteles’ war freilich kein grammatisches. Es ging ihnen vielmehr um die Frage der Erkenntnis von Wahrheit und Falschheit. In die Grammatik eingeführt wurde die von Kjell Åke Forsgren (1973, S. 111) als Kopulatheorie bezeichnete logische Satzanalyse der Form Subjekt – Kopula – Prädikat durch die 1660 erschienene Grammaire générale et raisonnée von Antoine Arnauld und Claude Lancelot (vgl. Forsgren 1973, S. 55).118 Und in die Tradition dieses als Grammatik von Port Royal bekannten Werkes stellt sich Moritz nun, wenn er die Satzglieder Subjekt und Prädikat als Bestandteile des einfachen Satzes bestimmt: „Die ganze menschliche Rede zerfällt also natürlicher Weise in zwei Theile: sie zeigt nehmlich allemal erst die Personen und Sachen an, wovon man redet, und
117 Dass der Begriff onoma sowohl das Wort an sich als auch das Satzglied Subjekt bezeichnet, ist auch nach Ziegler ein Widerspruch, der bei Aristoteles ungelöst bleibt (vgl. Ziegler 1984, S. 37). 118 Zur Geschichte der Begriffe Subjekt und Prädikat vgl. Forsgren 1973, S. 55.
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zweitens dasjenige, was nun von diesen Personen oder Sachen geredet wird.“ (UAD, S. 17; Herv. im Orig.)
Die Grammatik von Port Royal, die Moritz in der 1746 von Johann Jakob Meynier besorgten Ausgabe vorgelegen haben könnte,119 scheint hier sogar unmittelbarer Referenztext für die erste Akkusativschrift zu sein. So stimmt der zitierte Satz nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell mit der entsprechenden Passage aus der Grammatik von Arnauld und Lancelot überein. Für die Autoren von Port Royal bedeutet Sprechen in den meisten Fällen das zeichenhafte Äussern von Urteilen: „[…] les hommes ne parlent guère pour exprimer simplement ce qu’ils conçoivent, mais c’est presque toujours pour exprimer les jugements qu’ils font des choses qu’ils conçoivent“ (Arnauld & Lancelot (1997 [31676], S. 24). Ein Urteil wie la terre est ronde nennen die Autoren proposition. Und jede Proposition, so heisst es dann in der wahrscheinlich von Moritz verwendeten Stelle, „enferme nécessairement deux termes; l’un appelé sujet, qui est ce dont on affirme, comme terre; et l’autre appelé attribut, qui est ce qu’on affirme, comme ronde; et de plus la liaison entre ces deux termes, est “ (Arnauld & Lancelot (1997 [31676], S. 24; Herv. im Orig.). Den letzten Teil des Zitats nimmt Moritz zwei Seiten später bei der Behandlung seines Beispiels Der Mann ist gut auf. Er übernimmt hier den Ausdruck affirmer, und zwar gleich mit dessen zwei Bedeutungen behaupten und bejahen, von welchen er in der weiteren Argumentation allerdings bejahen bevorzugt, sowie den Begriff liaison: „Wenn […] Mann das Subiekt, und gut das Prädikat ist, so wird das Wörtchen ist nothwendig dazu erfordert, |20| um beides mit einander zu verbinden, oder um anzuzeigen, daß eins dem andern zukomme. Vermöge dieses Wörtchens b eiahen oder behaupten Sie nun erst wirklich etwas von dem Manne, den Sie vorher blos nannten, lassen Sie es weg, und sagen: der Mann - gut, so fallen die beiden Vorstellungen sogleich auseinander, welche vorher so gut zusammenhingen.“ (UAD, S. 19f.; fett. im Orig.; kursiv A. A.)
Wie Aristoteles und die Verfasser der Grammaire générale et raisonnée analysiert Moritz alle Prädikatformen als mehrteiliges Prädikat mit Kopulaverb und Prädikativ. So ist im einteiligen Prädikat in Der Mann schlägt die Kopula, das „Zeichen der Verbindung“ (UAD, S. 20), wie Moritz sagt, mit dem
119 Die Ausgabe von Meynier ist die erste und bis 1966 einzige in Deutschland erschienene der Grammatik von Port Royal (vgl. Weiss 1992, S. 125). Sie hat die Bekanntheit des Werkes offenbar gesteigert, wofür es jedoch, wie Weiss feststellt, nur spärliche Belege gibt (vgl. Weiss 1992, S. 126). Meyniers Ausgabe folgt der Brüsseler Ausgabe von 1676 (vgl. Weiss 1992, S. 125), die sich von der ebenfalls 1676 in Paris erschienen 3. Auflage unterscheidet (vgl. Ziegler, 1984, S. 24, Anm. 1).
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finiten Verb „verschmolzen“.120 Der Satz lässt sich nämlich transformieren in Der Mann ist schlagend.121 Das einteilige Prädikat ist „blos eine Verkürzung“ (UAD, S. 25). Als das „Zeichen der Verbindung“ zwischen Subjekt und Prädikat besitzt die Kopula eine „beiahende Kraft“, die Moritz nun dem Verb sein generell zuspricht, zwischen dessen verschiedenen Funktionen, wie dem Existenz-ist oder dem Kopula-ist, er nicht unterscheidet. Er erhebt das Verb sein damit zum „einzige[n] wahre[n] Wort in der Sprache“. Die Verwendung des Begriffs Wort in dieser Formulierung ist allerdings missverständlich. Moritz versteht Wort hier nämlich nicht im Sinne von „einzelner Bestandtheil der Rede, […] Ausdruck einer Vorstellung“ (Adelung 1990 [1793–1801] IV, Sp. 1613), sondern im Sinne der Wortart Verbum,122 welche die lateinische Grammatik von der Wortart Nomen unterscheidet (vgl. UAD, S. 21):123
120 In seinen Anmerkungen und Zusätzen zu Beattie’s Grundlinien der Psychologie (1790) macht Moritz klar, wie das zu verstehen ist. Das Verb sein findet sich nämlich in Form des Konjugationsmorphems t im Prädikat. Moritz schreibt: „Allein man siehet leicht, daß dieses Wort hier mit grün zusammengeschmolzen ist, indem man noch die Spur desselben in dem angehängten t entdeckt: grünet ist bloß eine Zusammenziehung aus grün ist. Auf diese Weise schmilzt nun das Wort ist insbesondere mit den Wörtern zusammen, die einen Zustand, eine Bewegung, oder Handlung anzeigen, weil diese Wörter an sich schon den Zusammenhang zwischen mehrern Dingen bezeichnen, und also dem Worte ist schon näher kommen, als die Benennungen der Dinge selbst und ihrer Eigenschaften. Sagen wir also, der Mann kömmt, so scheinet sich das Wort kömmt schon von selber an Mann hinanzufügen, ohne daß es noch eines Zeichens der Hinanfügung oder Hinandenkung bedürfte, und doch ist kommen eben sowohl eine bloße Benennung als Mann. Es muß also doch etwas seyn, was diese beiden Benennungen zur wirklichen Rede erhebt, und was ist dieses anders, als wiederum das Wort ist, wovon wir ebenfalls die Spur in dem angehängten t erblicken“ (Beattie, Anm. 8, S. 315). 121 Forsgren nennt diese auf Aristoteles zurückgehende Beweisführung die „klassische Transformation“ (Forsgren 1973, S. 111). 122 So schreibt auch etwa Johann Heinrich Lambert in seinem Neuen Organon zum Zeitwort: „Man hat daher in den Sprachlehren die Regel, daß eine Redensart oder Phrasis wenigstens ein Zeitwort haben müsse, und daher scheinen sie im Lateinischen gleichsam vor andern auch Verba oder schlechthin Wörter, genennt worden zu seyn.“ (Lambert 1764 II, S. 86; Herv. A. A.). 123 Nebenher beobachtet Moritz auch noch die unregelmässige Konjugation des Verbs sein: „Was nun merkwürdig ist, so kann dieß Wörtchen ist, unter allen andern Wörtern in der Sprache, am meisten verändert werden: nehmlich erstlich nach den Personen: ich bin, du bist, er ist, u. s. w. zweitens nach der Zeit: ich bin, ich war, ich werde seyn, u. s. w. wenn keine Person dabei bemerkt wird, so heißt es seyn“ (UAD, S. 21; Herv. im Orig.). Die Paranthese hat hier wohl einfach die Vorbereitung der Nobilitierung zur Funktion, die Moritz dem Verb sein gleich im Anschluss angedeihen lässt. Im Artikel Das Verbum seyn im MzE kommt Moritz erneut auf dieses Phänomen zu sprechen und erklärt es für universal: Das Wort sein „hat in allen uns bekannten Sprachen eine unregelmäßige Abwechselung: die Vergangenheit wird mit einem ganz andern Worte, als die Gegenwart, und die erste Person der gegenwärtigen Zeit wiederum mit einem andern Worte, als die zweite oder dritte Person, u. s. w. bezeichnet“ (MzE, IV, 3 [1786], S. 95f.).
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„Dieß Wort seyn ist eigentlich das einzige wahre Wort [scil. verbum] in der Sprache, und was wir sonst Wörter [scil. verba] nennen, sind eigentlich bloße Nahmen [scil. Nomina] von Dingen [scil. Substantive] oder von den Eigenschaften [scil. Adjektive] derselben, welchen das Wort seyn erst seine Natur, oder seine beiahende Kraft mittheilen muß, wenn sie wirkliche Wörter werden sollen.“ (UAD, S. 21; Herv. im Orig.)
Auch hier bezieht sich Moritz auf die Grammatik von Port Royal, nämlich auf deren Definition des Verbs. Die Wendung „seine Natur, oder seine beiahende Kraft“ muss nämlich gelesen werden als seine Natur, die in der Kraft des Bejahens besteht und das verweist auf die Affirmation als Definiens des Verbs bei Arnauld und Lancelot (vgl. das folgende Zitat). Überhaupt gehören die Argumentation um das Verb sein als einziges wahres Verb der Sprache und die Vermischung verschiedener Funktionen des Verbs sein zur Kopulatheorie und haben ihre Quelle entsprechend in der Grammatik von Port Royal beziehungsweise bei Aristoteles. Die Autoren der Grammatik von Port Royal gehen von ihrer logischen Satzgliedanalyse aus, um die Wortart Verb durch die Funktion der Affirmation zu definieren:124 „[Le verbe est] un mot dont le principal usage est de signifier l’affirmation, c’est-à-dire, de marquer que le discours où ce mot est employé est le discours d’un homme qui ne conçoit pas seulement les choses, mais qui en juge et qui les affirme“ (Arnauld & Lancelot (1997 [31676], S. 65; Herv. im Orig.)
Es kommt hier offensichtlich zu einer Vermischung zwischen der Wortart Verb und dem Satzglied Prädikat beziehungsweise dem Kopula-ist. Als Funktion des Verbs bezeichnen Arnauld und Lancelot nämlich das Markieren der Verbindung zwischen Subjekt und Prädikat in einer Proposition (vgl. Arnauld & Lancelot 1997 [1676], S. 66). Und von hier aus gelangen sie, wie Moritz, zur Bestimmung des Verbs sein als einzigem Verb, das seiner Definition als Zeichen der Affirmation noch zu genügen vermag: „Selon cela, l’on peut dire que le verbe de lui-même ne devait point avoir d’autre usage que de marquer la liaison que nous faisons dans notre esprit des deux termes d’une proposition; mais il n’y a que le verbe être, qu’on appelle substantif, qui soit demeuré dans cette simplicité, et encore l’on peut dire qu’il n’y est proprement demeuré que dans la troisième personne du présent, est, et dans de certaines rencontres.“ (vgl. Arnauld & Lancelot 1997 [1676], S. 66; Herv. im Orig.)
Die übrigen Verben interpretieren Arnauld und Lancelot wie Moritz (vgl. unten S. 124) als einer Sprachökonomisierung geschuldete Abkürzungen:
124 Andere Definitionen, z.B. als Wort mit Angabe von Zeit und Person, werden diskutiert und verworfen beziehungsweise als sekundär bezeichnet (vgl. Arnauld & Lancelot 1997 [1676], S. 67ff.)
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„Car comme les hommes se portent naturellement à abréger leurs expressions, ils ont joint presque toujours à l’affirmation d’autres significations dans un même mot.“ (vgl. Arnauld & Lancelot 1997 [1676], S. 66)
So bezeichnet ein Verb zum Beispiel neben der Affirmation noch die Eigenschaft, die dem Subjekt prädiziert wird, sodass eine Proposition dann nur aus zwei Wörtern besteht: „[…] comme quand je dis: Petrus vivit, Pierre vit; parce que le mot de vivit enferme seul l’affirmation, et de plus l’attribut d’être vivant; et ainsi c’est la même chose de dire Pierre vit, que de dire Pierre est vivant. De là est venue la grande diversité des verbes dans chaque langue; au lieu que, si on s’était contenté de donner au verbe la signification générale de l’affirmation, sans y joindre aucun attribut particulier, on aurait eu besoin, dans chaque langue, que d’un seul verbe, qui est celui qu’on appelle substantif.“ (vgl. Arnauld & Lancelot 1997 [1676], S. 66; Herv. im Orig.)
Die Vermischung der Funktionen Existenz-ist und Kopula-ist zeigt sich hier am Begriff des verbe substantif. Die französische Grammatik der Zeit unterscheidet zwei Erscheinungsformen des Verbs: das verbe substantif einerseits bezeichnet das Verb être als reine Existenz-Aussage, unter das verbe adjectiv andererseits fallen alle übrigen Verben (Beauzée 1966c). Die Grammtik von Port Royal beachtet diese Unterscheidung aber offenbar nicht, wenn sie das Kopula-ist verbe substantif nennt. Moritz übernimmt im Folgenden die Argumentation Aristoteles’, wenn er ausführt, Wörter (Verben, rhema), welchen das Verb seyn noch nicht seine bejahende Kraft mitgeteilt habe, seien blosse Namen (onoma): „Sie mögen noch so oft sagen; das Schlagen, das Reden, das Schreiben, so nennen Sie zwar die Nahmen von gewissen Handlungen, aber Sie können doch, durch dieses bloße Nennen, niemals anzeigen, daß die Handlungen wirklich geschehen, sondern dazu ist Ihnen das Wort seyn unentbehrlich, welches in diese Nahmen von Handlungen eindringen, und sie gleichsam in sich überformen125 oder ihnen seine Natur mittheilen muß; wenigstens müssen Sie es |22| sich doch immer da hineindenken, wo Sie es nicht ausgedrückt finden.“ (UAD, S. 21f.; Herv. im Orig.)
Moritz will „die Natur dieses Worts [scil. des Verbs seyn] noch genauer untersuchen“ (UAD, S. 22) und behauptet einerseits, immer noch mit Aristoteles, das Verb sein habe nur eine satzbildende Funktion, aber keine gegenständliche Bedeutung, kein Signifikat: „Wenn Sie lesen: der Mann ist todt, so erweckt Mann eine wirkliche Vorstellung in Ihrer Seele, todt ebenfalls, aber das Wort ist erweckt nun keine dritte Vorstel-
125 Es wäre interessant, dem Ausdruck überformen weiter nachzugehen. Nach Grimm handelt es sich um eine Wortschöpfung der Mystiker, die sich aus lat. transformare ableitet (vgl. Grimm, Jacob & Grimm, Wilhelm 1854–1960, 22, Sp. 230).
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lung mehr in Ihnen, weil es kein Nahme irgend eines Dinges ist, sondern blos den Zusammenhang oder die Verbindung zweier Vorstellungen oder Ideen anzeigt; dieser Zusammenhang aber ist eigentlich an sich nichts Wirkliches, sobald keine Dinge da sind, welche einen Zusammenhang haben, daher kömmt es auch, daß man sich unter dem Worte ist, an und für sich betrachtet, nichts denken kann.“ (UAD, S. 22; Herv. im Orig.)
Andererseits und „demohngeachtet ist dieß Wort ist […] die Seele der ganzen Sprache, dasjenige, was ihr Gestalt, Form und Festigkeit“ (UAD, S. 22; Herv. im Orig.) gibt. Und hier verbindet sich das Wort ist nun offenbar doch mit einer Vorstellung. Ohne das Wort ist, oder, so präzisiert Moritz, ohne die „Vorstellung, wovon dasselbe eine Zeichen ist“, hätte die Rede keinen Bestand (vgl. UAD, S. 22). Und er fasst zusammen: „Dasienige, was also die Benennungen zu einer zusammenhängenden Rede macht, ist das Wort seyn mit seinen Veränderungen; es dringt in die Fugen aller übrigen Wörter und indem es sie durch seine wunderbare Kraft zusammenhält, bildet es dieselben zu dem schönen Ganzen eines Urteils oder einer Rede. Man findet es selbst da, wo man es nicht siehet, es verhüllt sich in alle Gestalten, und herrscht durch |23| die ganze Sprache, wie die Seele des Menschen durch den Körper.“ (UAD, 22f.)126
Dass Moritz in seinen Ausführungen zum Verb sein den Infinitiv und der dritten Person Singular unreflektiert nebeneinander verwendet, deutet auf die Vermischung von Kopula-ist und Existenz-ist hin. Die ganze Reflexion über das Verbum sein legitimiert Moritz nachträglich sprachphilosophisch: „[…] könnten wir die geheimen Beziehungen der Wörter untereinander enträthseln, wie sich eines beständig aus dem andern entwickelt, wie eins ins andre wirkt, und wie sie sich mannigfaltig ineinander fügen; wie sie untereinander klingen und ertönen, und die schönste Melodie, in der Seele des Menschen, hervorbringen – dann wär' es auch vielleicht nicht unmöglich, dem geheimnißvollen Spiele unsrer Ideen weiter nachzuspähen, zu sehen, wie eine in der andern schläft, und sich zu ihrer Zeit entwickelt, wie sie untereinander sich durchkreutzen, und sich oft wunderbar in ein Ganzes zusammenfügen.“ (UAD, S. 23)
Er übernimmt damit die rationalistische Prämisse, die eine enge Beziehung zwischen Sprache und Denken annimmt, wendet sie aber sensualistisch, indem er nicht das Denken als Datum für die Analyse der Grammatik, sondern die Sprache, genauer „ihren innern Bau und ihre
126 In AUAD (S. 17f.) gibt Moritz ein Beispiel für diese Kraft des Wortes sein (er spricht dort allerdings vom Zeitwort oder Prädikat im allgemeinen), die selbst wirkt, wenn man das Wort nicht sieht: es handelt sich um den Genitiv, den Moritz dort als Verkürzung eines Relativsatzes interpretiert. Die Passage findet sich, leicht abgeändert, wieder in Beattie, Anm. 8, S. 316.
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
geheimen Triebräder“ (UAD, S. 24), „die geheimen Beziehungen der Wörter untereinander“ (UAD, S. 23) als Datum für die Analyse des Denkens betrachtet. Seine Behauptung liegt damit konträr zu derjenigen, welche die Autoren von Port Royal dem zweiten Teil ihrer Grammatik als Überschrift voranstellen: „Que la connaissance de ce qui se passe dans notre esprit est nécessaire pour comprendre les fondements de la grammaire; et que c’est de là que dépend la diversité des mots qui composent le discours.“ (Arnauld & Lancelot 1997 [31676], S. 23)
Gleichzeitig umreisst er in der Passage bereits das Programm, das die Deutsche Sprachlehre für die Damen bestimmen wird. Mit der gewöhnlichen Grammatik, so schreibt Moritz diesen sprachphilosophischen Exkurs abschliessend, könne man den inneren Bau der Rede nicht erkennen (vgl. UAD, S. 23f.).127 In der Sprachlehre wird er dann versuchen, die gewöhnliche Grammatik durch die philosophische zu ergänzen. Wieder auf der Ebene der „gewöhnlichen Grammatik“ definiert Moritz nun onoma und rhema als Wortarten. In Übereinstimmung mit der zeitgenössischen Grammatik und historisch wiederum zurückgehend auf Aristoteles Peri Hermeneias heissen Verben „im Deutschen Zeitwörter, weil sie allemal ein seyn, oder geschehen in sich enthalten, welches sich niemals ohne eine gewisse Zeit denken läßt […]“ (UAD, S. 24). Die übrigen Wörter hiessen „im Deutschen Nennwörter“ (UAD, S. 24f.), „weil sie bloße Benennungen von Dingen oder den Eigenschaften und Veränderungen derselben“ sind (UAD, S. 24). Nun wechselt Moritz erneut die grammatische Ebene, von der Wortarten- zur Satzgliedlehre, und fasst am Beispiel Der Mensch denkt zusammen, was er bisher zur Satzanalyse vorgetragen hat: „Ein Nennwort und ein Zeitwort zusammengenommen, können schon eine Rede ausmachen, als: der Mensch denkt. Der Mensch ist hier das Subiekt oder das Fundament der Rede, worauf sie ruhet, und denkt ist die Rede selber, oder das Prädikat, worinn zugleich, die Beiahung, oder das Verbindungszeichen mit enthalten ist, denn denkt ist blos eine Verkürzung, und löst128 sich auf in: ist denkend. Das Subiekt, der Mensch, wird blos benannt […].“ (UAD, S. 25)
Von hier aus, der logischen Satzanalyse in Subjekt – Kopula – Prädikat, gelangt Moritz nun über eine vom Prädikat ausgehende Analyse von satz-
127 In den Anmerkungen zu Beattie jedoch wird er dann eigentlich die Identität von Grammatik und Logik behaupten: „Hieraus scheinet deutlich zu erhellen, daß Grammatik und Logik eins sey“ (Beattie, Anm. 8, S. 314). Allerdings ist im Unterschied des Akkusativ’s und Dativ’s von Logik nicht explizit die Rede, auch wenn Moritz der Rede oft den Begriff des Urteils gleichstellt. 128 Im Orig. „läßt“.
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semantischen Rollen zu den Ergänzungen im Akkusativ und Dativ. Entscheidend ist dabei, ob die Prädikatsstelle mit einem Handlungs- oder einem Zustandsverb besetzt ist. Den Unterschied zwischen diesen beiden Verbtypen erklärt Moritz nicht nur semantisch, sondern auch syntaktisch: Handlungsverben können ein Passiv bilden, Zustandverben nicht. „Sie können sagen: die Erde wird gepflügt, aber nicht: die Erde wird gelegen“ (UAD, S. 28; Herv. im Orig.). Er verweist damit auf die Verbkategorien Aktiva und Neutra,129 die er aber nicht weiter thematisiert. Verben, die eine Handlung anzeigen (vgl. UAD, S. 27), verlangen nun ein Objekt im Akkusativ: zum Beispiel „Ich sehe die Kirche “ (UAD, S. 31; Herv. A. A.). „Die Rede [scil. das Prädikat] verlangt also hier nicht blos ein Subiekt, von dem sie ausgeht, sondern auch einen Gegenstand oder ein Obiekt worauf sie abzielt, oder zu dem sie hineilet“ (UAD, S. 27). Moritz nennt dieses Objekt auch den „Akkusativ der Handlung“ (UAD, S. 31). Verben, die einen Zustand anzeigen (vgl. UAD, S. 27) hingegen können mittels Präpositionen, Moritz nennt sie „Bindungen“ (UAD, S. 29), Ergänzungen im Akkusativ oder im Dativ zu sich nehmen, je nachdem, ob bei lokalen Adverbialbestimmungen ein Ziel (vgl. UAD, S. 29) oder ein Ort bezeichnet werden soll. Moritz spricht im ersten Fall von einem „Akkusativ der Bewegung“ (UAD, S. 32), zum Beispiel „Ich gehe in die Kirche “130 (UAD, S. 32; Herv. A. A.). Im zweiten Fall spricht er von einem „Dativ der Ruhe oder des Bleiben’s“ (UAD, S. 34) und verwendet dafür die Satzgliedbezeichnung „Adiekt“ oder „Hinanfügung an eine Rede“ (UAD, S. 29). Sein Beispiel lautet „Ich gehe in der Kirche “ (UAD, S. 29; Herv. A. A.).131 Als
129 Heynatz weist in seiner Deutschen Sprachlehre zum Gebrauch der Schulen darauf hin, dass Verben wie gehen Neutra sind, d.h. sie sind keine Aktiva und können deshalb auch kein Passivum bilden. Heynatz sagt in diesem Zusammenhang, diese Verben würden eher einem Zustand als einem Leiden entsprechen, und sie könnten auch nicht so schnell einen Akkusativ zu sich nehmen: „Es giebt zwei Geschlechter der Zeitwörter 1) das thuende, (Activum), welches ein Thun bedeutet, und ein leidendes Geschlecht, welches mit dem Hülfsworte werden gemacht wird, hervorbringen kann; 2) das Mittelgeschlecht (Neutrum), welches mehr einen Zustand als ein Leiden bedeutet, und kein leidendes Geschlecht hervorzubringen im Stande ist. Ich lobe ist ein Aktivum, weil ich sagen kann: ich werde gelobet; hingegen ich gehe ist ein Neutrum, weil ich nicht sagen kann: ich werde gegangen. Man kann auch noch das Kennzeichen zu Hülfe nehmen, daß ein Neutrum so leicht keinen Ackusativ bei sich hat.“ (Heynatz: Sprachlehre. 3. Aufl. 1777. S. 195) 130 Moritz hebt hier die Präposition hervor, also „Ich gehe in die Kirche“, obwohl er die Bindungen nicht zur Ergänzung rechnet: „Sie sehen |29| zugleich hieraus, daß diese kleinen Wörter, die wir Bindungen nennen wollen, blos dazu sind, um den Mangel des natürlichen Zusammenhangs zwischen andern Wörtern zu ersetzen“ (UAD, S. 29; Herv. im Orig.). 131 „[N]ur beiläufig“ (UAD, S. 31) leitet Moritz aus dem Adiekt das Genitivattribut im Genitivus possessivus ab. Anstelle von „ich gehe in alle Stuben in dem Hause “ (UAD, S. 30; Herv. A. A.) sage man: „Ich gehe in alle Stuben des Hauses“ (UAD, S. 30; Herv. im Orig.). Mo-
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letztes Satzglied beschreibt Moritz das Dativobjekt, das er „Zweckwort“ (UAD, S. 32) nennt, weil es den Zweck bezeichnet, auf den sich das Prädikat vermittelt über ein Objekt bezieht (UAD, S. 33).132 Sein Beispiel dazu: „Mein Freund berichtet mir in seinem Briefe einen sehr traurigen Vorfall“ (UAD, S. 33; Herv. A. A.).133 Moritz unterscheidet die Ergänzungen im Akkusativ und Dativ also logisch-syntaktisch und lokalistisch. Das Adjekt versteht er syntaktisch als Bestimmung des Prädikats und damit als Adverbialbestimmung. Seine Beispiele für das Adjekt sind Präpositionalgruppen mit lokaler oder lokal interpretierter Präposition in der Funktion von Adverbialbestimmungen („ich gehe in der Kirche “ [UAD, S. 29; Herv. A. A.], „ich schreibe in der Eile einen Brief “ [UAD, S. 37; Herv.; A. A.] oder in der Funktion von Präpositionalobjekten („Mein Freund geht mit mir “ [UAD, S. 33; Herv; A. A.]): Man müsse sich „das Adjekt immer nur neben dem Prädikat, oder mit demselben parallel denken“, so führt er aus und ergänzt, „daß134 die Rede nicht fortrückt, so lange sie nur noch ein bloßes Adiekt und kein Obiekt hat“ (UAD, S. 31; Herv. im Orig.). Sein Beispiel dazu lautet: „[D]er Mann liegt auf der Erde“ (UAD, S. 31). Das Objekt hingegen hat logisch-syntaktisch die Funktion des nächsten Ziels der im Prädikat ausgedrückten Handlung oder Bewegung und das Zweckwort die Funktion des entfernteren Ziels, das nur vermittelst des Objekts erreicht werden kann. Lokalistisch ist das Adjekt vom Objekt (mit oder ohne Bindung) dadurch unterschieden, dass mit ihm „allemal die Vorstellung eines Auf-
ritz scheint dabei den Unterschied zwischen Attribut und Satzglied zu sehen, ohne ihn freilich erklären zu können: „[…] man fügt also das Adiekt was eigentlich an das Prädikat gehörte, an das Obiekt hinan, und läßt die Bindung in weg: diese Art der Verkürzung nennt man den Genitiv. Durch den Genitiv wird ein Wort dem andern gleichsam einverleibt, er ist aber eigentlich nur eine Verkürzung, denn man sagt ia auch: er ist ein Freund von meinem Bruder, anstatt: er ist ein Freund meines Bruders“ (UAD, S. 30; Herv. im Orig.). Das letzte Beispiel ist nach Adelungs Umständlichem Lehrgebäude übrigens fehlerhaft. Die Bezeichnung des Besitzes oder der Herrschaft mit der Präposition von anstatt des Genitivs ist nach Adelung nur bei Länder- und Ortsnamen legitim („Kaiserinn von Rußland“); „[i]n andern Fällen ist der Gebrauch des von fehlerhaft, z.B. das Haus von meinem Nachbar, für meines Nachbars“ (Adelung 1971 [1782a], II, S. 311; Herv. im Orig.). 132 Im 3. Brief, wo der Leser einen fehlerhaften Brief verbessern soll, bringt Moritz ein Beispiel eines Zweckworts, das der Regel widerspricht, wonach ein Zweckwort immer eines Objektes bedarf: „[…] zweifle aber sehr, daß es mir da besser, wie auf dem Lande, gefallen wird“ (UAD, S. 49; Herv. A. A.). Es handelt sich hier um einen Dativus iudicantis. Moritz wird in den Zusätzen Verben behandeln, die ein direktes Dativobjekt regieren (vgl. unten S. 136). Es handelt sich dabei aber um anders geartete Fälle als hier. 133 Nebenbei entdeckt Moritz den prädikativen Nominativ: „[Da]s Obiekt von dem Zeitworte seyn […] [hat] die Endigung des Nominativ's […]: denn Sie sagen nicht: er ist einen guten Mann, sondern: er ist ein guter Mann“ UAD, S. 35; Herv. im Orig.). 134 Im Orig. „das“.
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fenthalts [sic!], einer Ruhe, oder eines Bleibens verbunden“ ist, mit dem Objekt hingegen „eine Würkung, Handlung oder Bewegung […], die sich auf dasselbe bezieht […]“ (UAD, S. 31; Herv. im Orig.). Das Zweckwort bestimmt Moritz nur implizit semantisch als Zweck. Schematisch sieht seine Satzanalyse also folgendermassen aus (vgl. Abbildung 8): Satz
Satzglieder des einfachen Satzes: Belegung der Prädikatsstelle: dir. / ind. Ergänzung: Satzgliedbezeichnungen von Moritz: logischsyntaktische Funktion: lokalistische Funktion: moderne Termini:
Beispiele:
Subjekt
Prädikat (inkl. Kopula)
mit Handlungsverben (Aktiva)
mit Zustandverben (Neutra)
Ergänzungen ohne Bindung
Ergänzungen mit Bindung
Objekt (Akkusativ der Handlung) erstes oder nächstes Ziel der Rede Wirkung, Handlung dir. Objekt
Zweckwort (Dativ der Abzweckung)
Objekt (Akkusativ der Bewegung)
entfernteres Ziel der Rede
erstes oder nächstes Ziel der Rede
Zweck
Bewegung
ind. Objekt oder Dat. commodi
(lokale) Adverbialbestimmung Präpositionalobjekt
„Ich sehe die Kirche.“
„Mein Bruder schreibt mir einen Brief.“
„Ich gehe in die Kirche.“
Abbildung 8: Satzanalyse bei Moritz
Adiekt (Dativ der Ruhe oder des Bleibens) Hinanfügung an die Rede
Aufenthalt, Ruhe, Bleiben lokale oder modale Adverbialbestimmung oder Präp.objekt „Ich gehe in der Kirche.“
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
Problematisch sind die Bestimmungen des Adjekts: In die logischsyntaktische Bestimmung passen Präpositionalobjekte nur schlecht („mein Freund geht mit mir“ [UAD, S. 33], „Ich rede von dem Manne“ [UAD, S. 38]) und in die lokalistische Bestimmung lässt sich das Beispiel „Ich schreibe in Eile einen Brief“ nur schwer zuordnen. Problematisch ist die lokalistische Bestimmung auch bei Objekten mit Bindung. Im Beispiel „Ich ziele auf den Mann“ (UAD, S. 38) ist nur schwer eine Bewegung erkennbar. Der 3. Brief bringt eine Übungsaufgabe, die mit Hilfe der Tabellen aus Brief 2 gelöst werden soll. Im auch als „Anhang“ bezeichneten Schluss des dritten Briefes weist Moritz noch auf „oft bemerkte Fehler“ hin. Es handelt sich um die Verwechslung von starken und schwachen Verben, um einige dialektale Varianten und um Probleme der höflichen Anrede. Diese Auflistung steht in keinem näheren Zusammenhang mit dem eigentlichen Thema der Schrift. Anhang zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s (1781) Der Anhang zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s ist insoweit tatsächlich ein Anhang zur ersten Akkusativ-Schrift, als Moritz hier einige Bemerkungen zu Präpositionen ergänzt, die entweder den Akkusativ oder den Dativ oder aber beide regieren. In seinem zweiten Teil ist der Anhang aber eher als Vollendung der ersten Schrift zu lesen. Denn Moritz kommt jetzt tatsächlich auf die Kasuslehre zu sprechen, die er durch Überlegungen zum Genitiv und die Erwähnung des Vokativ vervollständigt. Am Schluss der Schrift legt er eine auf der Satzgliedanalyse basierende Lehre der Deutschen Deklination vor mit einer originellen Terminologie, nachdem er die etablierten Kasusbezeichnungen ja in der ersten Akkusativ-Schrift für überflüssig erklärt hat (vgl. oben S. 112). In der ersten Akkusativ-Schrift hat Moritz nur lokale (beziehungsweise lokal interpretierte) Präpositionen behandelt. Im Anhang geht er nun auch auf nicht-lokale „Bindungen“135 ein, deren Akkusativ- oder DativRektion sich nicht ohne Weiteres lokalistisch damit begründen lassen, man
135 Moritz nennt hier auch die in der zeitgenössischen Grammatik gängigen Bezeichnungen Vorwort und Präposition, kritisiert aber, sie könnten „die wahre Beschaffenheit der Wörter, welche man sich darunter denken soll [scil. die Verbindung zweier Wörter oder Vorstellungen; vgl. AUAD, S. 3], nicht ausdrücken“ (AUAD, S. 4). Zur Definition der Begriffe Vorwort und Präposition vgl. Adelung 1990 [1793–1801] IV, Sp. 1314 und Reichard 1752, S. 1.
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denke sich bei ihnen eine Bewegung beziehungsweise ein Bleiben. Es handelt sich um die Präpositionen durch und für, welche den Akkusativ, sowie von, mit, aus, zu und nach, welche den Dativ regieren. Durch lässt sich lokal interpretieren und dessen Akkusativ-Rektion deshalb leicht mit Moritz’ semantischer Regel erklären: „Bei der Präposition durch können Sie sich niemals einen Stillstand oder eine Ruhe denken, weil eine Sache[,] welche irgendwo durchgehet, immer noch nicht da ist, wo sie seyn soll […]“ (AUAD, S. 5; Herv. im Orig.). Die nicht-lokalen Bedeutungen von durch lässt Moritz ausser Acht.136 Die Präposition für regiert den Akkusativ, was Moritz als offensichtlich betrachtet und nicht weiter erklärt.137 Als problematisch bezeichnet er jedoch die Unterscheidung zwischen für und vor. Er spricht damit eine zeitgenössische grammatikalische Unsicherheit an, der die Sprachgelehrten des 18. Jahrhunderts üblicherweise ein paar Seiten ihrer Grammatiken widmeten138 und die sogar Gegenstand polemisch geführter Debatten war.139 Moritz vertritt hier etwa mit Elias Caspar Reichard (1752, S. 27) die
136 Bei Reichard hätte er neben der kausalen Bedeutung (1 und 2) sogar eine temporale (4) finden können: „Durch bedeutet 1) ein Mittel, es mag nun dasselbe entweder eine Person oder ein Werkzeug seyn, 2) eine Ursache und ein Mittel zugleich, 3) eine Bewegung mitten durch ein Sache, auf die Frage: wohindurch? und 4) eine Zeit, Dauer oder Währung“ (Reichard, 1752, S. 24; Herv. A. A.). 137 „Für nimmt allemal einen Akkusativ zu sich, weil es das Wort, vor dem es steht, beständig zum Obiekt der Rede macht; das hätte also weiter keine Schwierigkeit […]“ (AUAD, S. 6; Herv. im Orig.). 138 Vgl. Reichard 1752, S. 26, Anm. *. Einen Überblick über Ansichten zur sprachgeschichtlichen Entwicklung der Unterscheidung zwischen für und vor gibt Heynatz (1771–1776, II, S. 25, Anm.*). 139 Etwa zwischen dem Weimarer Gymnasialdirektor Johann Michael Heinze und einem Rezensenten der Erfurtischen Gelehrten Zeitung sowie Moritz’ Vorgänger am Grauen Kloster Johann Friedrich Heynatz (vgl. Heinze 1772, S. 19f. Anm.*; Heynatz 1771–1776, II, S. 107ff.). Von Heinze, der im Bereich der Grammatik durch seine Anmerkungen über des Herrn Prof. Gottscheds Deutsche Sprachlehre (1759) bekannt wurde, liegen zwei monografische Schriften zum Für/vor-Problem vor. Das Bio-bibliographische Handbuch der deutschen Sprachwissenschaft des 18. Jahrhunderts verzeichnet diese Texte irrtümlich als in Deutschland nicht mehr greifbar (vgl. Brekle et al. 1992–2005, Bd. 4, S. 182 u. 184). Sie sind in den Beständen der Weimarer Herzogin Anna Amalia Bibliothek aber sogar gleich zwei mal zu finden: in ihrer ursprünglichen Form als Programmschriften des Weimarer Gymnasiums (Heinze 1771, Heinze 1772) und in der revidierten Version, die Heinze in seine Kleinen deutschen Schriften aufgenommen hat (Heinze 1789), die Brekle et al. (1992–2005) nicht aufführen. Heynatz hat Heinze nach Erscheinen von dessen zweiter Programmschrift zur Lektüre von Reichards Vorwörter-Buch geraten (vgl. Heynatz 1772, S. 111) und Heinze hat den Rat befolgt: das Exemplar des Vorwörter-Buchs in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek trägt im Buchdeckel den handschriftlichen Eintrag „Jo. Mich. Heinsii. Mart. 1773“. Moritz hat Heinze 1785 in Weimar übrigens noch persönlich kennengelernt (vgl. Klischnig 1796, S. 135f.). Heinzes Programmschriften haben für Moritz aber keine Rolle gespielt, denn Heinze vertritt dort die Meinung, man könne in jedem Fall vor setzen.
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Überzeugung, dass für und vor unterschieden werden müssen und sich der korrekte Gebrauch der beiden Präpositionen durch eine Ersetzungsprobe erkennen lässt: für ist einerseits eine verkürzte Ausdrucksweise für an jemandes Stelle oder anstatt (Bsp.: ich will für Dich beten) (vgl. AUAD, S. 6), andererseits bedeutet es zum Gebrauch oder zum Nutzen oder zum Besten von jemandem oder etwas (Bsp.: ich habe die Sache für Dich mitgebracht) (vgl. AUAD, S. 7), vor hingegen meint in Gegenwart von jemandem oder etwas (Bsp.: ich stehe vor der Thüre) (vgl. AUAD, S. 6). Moritz versteht vor also lokal140 und beschreibt es, wie in der zeitgenössischen Grammatik üblich (vgl. etwa Adelung 1971 [1782a] II, S. 177ff.), als Wechselpräposition: in lokal-statischer Bedeutung regiert es den Dativ, in lokal-dynamischer Bedeutung, die allerdings eigentlich dem Konzept in Gegenwart von jemandem oder etwas widerspricht, den Akkusativ.141 Moritz’ Ausführungen zu den Präpositionen für und vor entsprechen der zeitgenössischen Grammatik. So hat bereits 1741 Johann Leonhard Frisch in seinem Teutsch-Lateinischen Wörter-Buch die Regel aufgestellt: „Für […] regiert allezeit einen Accusativum, und ist so viel, als: an statt“ (Frisch 1741 I, S. 307). Die Quelle für Moritz dürfte aber Reichards Lehre von den deutschen Vorwörtern (1752) gewesen sein.142
140 In seinen Beispielen verwendet er unreflektiert auch das temporale und das kausale vor (ich bin vor Dir da gewesen, ich fürchte mich vor Dir), die nicht mit dem statisch-lokalen Konzept in Gegenwart von jemandem oder etwas erklärt werden können, aber ebenfalls den Dativ regieren. Die erklärenden Paraphrasen zu den Beispielen zeigen, dass Moritz die temporale und kausale Bedeutung von vor kennt: „[…] ich bin vor Dir da gewesen, heißt: ich bin ehr, als Du, da gewesen.“ (AUAD, S. 6; Herv. im Orig.), „[…] ich fürchte |7| mich vor Dir, heißt: Du selber bist die Ursach meiner Furcht.“ (AUAD, S. 6f.; Herv. im Orig.) Es bleibt aber unklar, wie bewusst ihm die Unterscheidung zwischen lokaler, temporaler und kausaler Bedeutung von vor ist. 141 „Denken Sie sich bei der Präposition vor eine Bewegung, so nimmt sie den Akkusativ zu sich, als: ich gehe vor das Thor, denken Sie sich aber ein Bleiben, so müssen Sie den Dativ setzen, als: ich bin vor dem Thore. Er tritt vor mich hin, müssen Sie sagen, und: er steht vor mir, weil Sie sich bei dem erstern eine Bewegung, und bei dem andern eine Ruhe, denken.“ (AUAD, S. 9, Herv. im Orig.) 142 Inhaltlich findet sich alles, was Moritz anführt, auch bei Reichard, zum Beispiel die semantischen Konzepte anstatt und in Gegenwart von jemandem: „Ein General führt die Armee für den König an (hier heisst es anstatt) und Ein General führt die Armee vor dem König an (das heisst, in seiner Gegenwart)“ (Reichard 1752, S. 32). Die Beispiele sind zum Teil wörtlich, zum Teil leicht verändert übernommen: etwa „Mann vor Mann“ – hier folgt Moritz Reichard aber nicht und fordert, es müsse heissen „Mann für Mann“ (vgl. AUAD, S. 9) –, „für einen beten“ (Reichard 1752, S. 36; Anm. ***) wird bei Moritz zu „ich will für Dich beten“ (AUAD, S. 6), „Ich kann nichts dafür, d.i. Ich habe keine Schuld daran“ (Reichard 1752, S. 48; Herv. im Orig.) wird bei Moritz zu „ich kann nicht dafür, heißt: ich bin nicht Schuld daran“ (AUAD, S. 9; Herv. im Orig.). Insgesamt sind die Ausführungen Reichards bei Moritz stark gekürzt und vereinfacht, manchmal aber auch interpertierend ausgeführt. So wird für nach Reichard auch in Wendungen verwendet, die eine „Hülfe wofür“, ein „Hülfsmittel wider ein Uebel, Unglück und Ungemach“ bezeichnen (vgl. Reichard 1752, S. 38), wie in „Mancher trinkt für die Kopfschmerzen Kaffee“ (Reichard 1752, S. 39). Moritz
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Die Präpositionen von, mit, aus, zu und nach regieren nach Moritz den Dativ. Für die beiden Letzteren lässt sich dies jedoch nicht mit Moritz’ Kasustheorie erklären, denn sie machen ihr Bezugswort „zum wirklichen Ziel oder Ziel der Handlung“ (AUAD, S. 9) und müssten deshalb eigentlich den Akkusativ regieren. Der „zureichende Grund“ (AUAD, S. 12) für diese Anomalie liegt nach Moritz in der Bedeutung dieser Präpositionen. Nach Samuel Johann Ernst Stosch, den Moritz hier namentlich anführt, kann zu „[…] bei den Zeitwörtern der Bewegung gesetzet werden, wenn man durch die bloße Benennung einer Sache, oder eines Dinges, sogleich die Absicht zu erkennen giebt, warum die Bewegung zu ihm hin geschiehet.“ (Stosch 1778, S. 77)
Damit, so folgert Moritz, wird das Bezugswort von zu nicht nur zum Objekt, sondern auch zum Zweckwort und muss daher im Dativ stehen. Er veranschaulicht das an einem Beispiel, das ebenfalls von Stosch stammt (der diesmal aber nicht genannt wird) (vgl. Stosch 1778, S. 78): „[…] wenn Sie in eine Kirche gehen |13| wollen, ohne das Gottesdienst darinn gehalten wird, so werden Sie niemals sagen: ich will zur Kirche oder zu der Kirche gehen; wenn Sie aber dem Gottesdienste beiwohnen wollen, so ist die Kirche nicht nur das Obiekt, sondern auch der Zweck Ihres Gehens, darum sagen Sie: ich will zu der Kirche gehen. Wenn ich sage: ich komme in die Kirche, so ist die Kirche noch bloß das nächste Ziel oder das Obiekt meines Kommens, sage ich aber: ich komme zu der Kirche, so wird sie durch das Wort zu nicht nur das Obiekt, sondern auch der letzte eigentliche Zweck meines Kommens, denn: ich komme zu der Kirche, heißt allemal so viel, als: ich komme in die Kirche, um dem Gottesdienste beizuwohnen.“ (AUAD, S. 12f.; Herv. im Orig.)
Die Präposition nach leitet Moritz etymologisch korrekt von nahe ab und beschreibt sie als Bezeichnung einer Annäherung: „Nach kann man also immer nur so lange brauchen, bis man an eine Sache, so nahe wie möglich, heran gekommen ist, hieraus kann man schließen, daß nach aus nahe zusammengezogen ist.“ (AUAD, S. 14; Herv. im Orig.)
Der Satz Ich gehe nach der Kirche lässt sich nach Moritz deshalb übersetzen in Ich nähere mich der Kirche (vgl. AUAD, S. 14). Daraus schliesst Moritz nun,
macht daraus: „Das ist, für mich heißt soviel, als: das ist zu meinem Nutzen oder Gebrauch. Aber, werden Sie mir einwerfen, man sagt auch: das ist eine Arznei für das Fieber, da kann doch für das Fieber unmöglich so viel, als, zum Nutzen oder zum Gebrauch des Fiebers, heißen? – Ich antworte: für hat hier allerdings eben die Bedeutung: denn das Fieber braucht oder bedarf ia der Arznei, um vermindert oder gehoben zu werden, in so fern ist also die Arznei zum Gebrauch des Fiebers. Eben so sagt man auch: ich thue das für die Langeweile, und für kann hier ebenfalls, zum Gebrauch heißen, denn die Langeweile braucht oder bedarf ia auch desienigen, was man thut, um vermindert oder gehoben zu werden“ (AUAD, S. 8, Herv. im Orig.).
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dass die Präposition nach das ihr nachfolgende Wort zum Zweckwort macht und dieses deshalb im Dativ steht. Er führt diesen Gedanken nicht weiter aus und man kann nur vermuten, dass Kirche in Ich gehe nach der Kirche deshalb ein Zweckwort ist, weil das Betreten der Kirche der Zweck des Nach-der-Kirche-Gehens ist. Damit ist der Teil, der als blosser Anhang gelten kann, abgeschlossen und Moritz kommt auf die Satzgliedlehre der ersten Akkusativ-Schrift zurück, um daraus jetzt doch noch eine vollständige Kasuslehre abzuleiten. Dazu wendet er sich zunächst dem Genitiv zu, den er, anders als die übrigen Fälle, nicht mit einem Satzglied in Verbindung bringen kann, sondern mit einem Satzgliedteil, nämlich dem Genitivattribut: „Merkwürdig ist es, daß sich der Genitiv, einige wenige Fälle ausgenommen, niemals an das Prädikat, sondern immer an ein andres Nennwort, anschließt, welchen er gleichsam einverleibt wird, und mit demselben nur eins ausmacht.“143 (AUAD, S. 15)
Das entspricht aber trotzdem den Vorgaben der logischen Kasustheorie, denn er schlüsselt das Genitivattribut anschliessend inhaltlich auf nach der Rolle, die das Nomen in einem ausformulierten Satz haben würde.144 „[D]enn“, so hält er fest, „in einer zusammenhängenden Rede läßt sich gar kein Wort denken, das sich nicht auf irgend eine Weise an das Prädikat anschliessen sollte; folglich muß der Genitiv auch immer, auf irgend eine Weise, zu einem Prädikate gehören, welches aber zwischen ihm und dem Nennworte, zu welchem er gehört, ausgelassen ist.“ (AUAD, S. 16)
So lässt sich der Satz Der Gärtner des Grafen umgräbt den Garten des Grafen mit der Schaufel des Nachbars auflösen in eine Formulierung mit relativen Nebensätzen – Der Gärtner, welchen sich der Graf hält, umgräbt den Garten, welchen der Graf besitzt, mit der Schaufel, welche dem Nachbar gehört – oder sogar in eine Geschichte mit mehreren Hauptsätzen: Der Graf hat einen Garten, und hält sich einen Gärtner, der Gärtner umgräbt den Garten: der Gärtner hat einen Nachbar, der Nachbar hat eine Schaufel, mit der Schaufel umgräbt der Gärtner den Garten (vgl. AUAD, S. 16). In diesen Hauptsätzen ist das Nomen, das im Ausgangssatz im Genitiv stand, jeweils als Subjekt oder Objekt von einem Prädikat abhängig:
143 Da Moritz auf die im Zitat angesprochenen Ausnahmen nicht weiter eingeht, bleibt ungewiss, ob er das Genitivobjekt kennt. 144 Freilich ohne die Analyse so weit zu führen, dass alle inhaltlichen Leistungen des Genitivattributs (Genitivus possessivus, subjectivus, objectivus etc.) genannt würden.
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„Nun werden es Sie auch einsehen, warum sich der Genitiv, auf keine Weise, an das Prädikat mit anschließen konnte, blos deswegen, weil er schon sein eignes Prädikat hat, wovon er entweder das Subiekt, Obiekt, u. s. w. ist, und welches in seiner Endigung verborgen liegt, oder wovon seine Endigung ein Zeichen ist, weil es selber, der Kürze wegen, nicht ausgedrückt wird.“ (AUAD, S. 18)
Aus dieser Analyse schliesst Moritz, dass es sich beim Genitivattribut um eine verkürzte Ausdrucksweise handelt. Er schlägt deshalb anstelle des Terminus Genitiv die Bezeichnung Contractiv vor (vgl. AUAD, S. 19). Analog dazu prägt er anschliessend eine Kasusterminologie, die sich aus den Satzgliednamen ableitet. So nennt er den Nominativ Subjektivus, weil er im Satz das Satzglied Subjekt markiert. Während er Satzglied und Kasus in der ersten Akkusativ-Schrift noch diffus vermischt hat, besitzt Moritz hier also nun eine präzise Unterscheidung zwischen den beiden grammatischen Kategorien: „[S]o wollen wir nun […] [d]ie Endigung oder Stellung des Worts, welche anzeiget, daß es das Subiekt der Rede, oder die Sache ist, wovon ich rede, […] den Subiektivus nennen. Denn Subiekt heißt das Wort an sich selber, aber unter dem Nahmen Subiektivus denke ich mir nun die Endigung oder Stellung desselben, woran ich eben erkenne, daß es das Subiekt ist.“ (AUAD, S. 21)
Die vollständige Kasusterminologie, die auch den Vokativ sowie eine Bezeichnung für das konjugierte Verb im Prädikat umfasst, lautet dann entsprechend wie folgt (vgl. AUAD, S. 23): -
Subiektivus (statt Nominativ) Prädikativus Contraktivus (statt Genitiv) Terminativus (statt Dativ des Dativobjekts) Adiektivus (statt Dativ eines Präpositionalobjekts) Obiektivus (statt Akkusativ) Vokativus (statt Vokativ)
Kjell Åke Forsgren vermutet, Moritz sei in seiner Syntaxtheorie von Gabriel Girards Les vrais principes de la langue françois (1747) abhängig und stützt sich dabei auf die terminologische Fassung des Dativobjekts als Terminativus bei beiden Autoren (vgl. Forsgren 1973 und 1985; Girard 1982 [1747], S. 91; AUAD, S. 21). Moritz könnte über Johann Jacob Bodmers Grundsätze der deutschen Sprache (1768) auf Girard aufmerksam geworden sein. In dieser Schrift, die ohne nennenswerten Einfluss geblieben ist, bezieht sich Bodmer expliziten auf Girards Vrais principes und erklärt, sie auf das „Wesen der deutschen Sprache“ anzuwenden (Bodmer 1768, S. 3). Über weite Strecken sind die Grundsätze eine wörtliche Übersetzung der Vrais Principes. Sie haben für Moritz aber höchstens eine vermittelnde Rolle gespielt.
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Denn Girards Bezeichnungen für die Satzteile sind bei Bodmer wörtlich übersetzt. Das macht es wahrscheinlich, dass Moritz die Vrais Principes im Original gekannt hat.145 Zusätze zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s (1781) In den Zusätzen zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s will Moritz „Schwierigkeiten auflösen“ (ZUAD, unpag. ), die er in den ersten beiden Akkusativ-Schriften noch nicht behandeln konnte: den prädikativen Akkusativ nach den Verben lehren, fragen und nennen, das direkte Dativobjekt, die Rektion unpersönlicher Verben und einiger Präpositionen. Es handelt sich um Phänomene der Rektion, welche die Kasustheorie von Moritz nicht ohne Weiteres erklären kann. Sie müssen nach seiner Überzeugung jedoch einen „zureichenden Grund“ haben. So schreibt er im Zusammenhang mit dem prädikativen Akkusativ beim Verb lehren: „Es kann seyn, daß wir diesen doppelten |8| Akkusativ von den Lateinern angenommen haben; aber diese müssen doch auch irgend einen zureichenden Grund haben, warum sie sich desselben bedienten, und in der Sprache, glaub' ich, muß man so wenig wie möglich auf die Rechnung des Zufalls schreiben, weil sonst alles Denken über dieselbe bald aufhören würde; und dieses Denken über die Sprache ist doch eigentlich der nächste Weg, in die innere Natur unsrer Gedanken tiefer einzudringen.“ (ZUAD, S. 7f.)
Moritz verlässt hier die Grammatik und betritt das Feld der Semantik oder, wie er es im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde nennt, der Sprache in psychologischer Rücksicht. Bereits im ersten Stück des ersten Bandes des ab 1783 erscheinenden Magazins zur Erfahrungsseelenkunde führt Moritz eine Rubrik mit diesem Titel ein und publiziert dort in der Folge neben überarbeiteten Auszügen aus den Zusätzen zu den Briefen über den Unterschied des Akkusativ’s und Dativ’s und der Deutschen Sprachlehre für die Damen auch die Ergebnisse seiner Auseinandersetzung mit Taubstummen. Die einleitenden Sätze zu dieser Rubrik verweisen auf die Kleinen Schriften die deutsche Sprache betreffend als ersten Ort dieser Art von Sprachreflexion: „Daß es nützlich sey, die Sprache auch in dieser Rücksicht zu studieren, bedarf wohl keines Beweises, da sie selbst ein Abdruck der menschlichen Seele ist, von welcher sie uns in ihren Fugen und geheimen Verbindungen ein getreues Gemälde darstellt.
145 Die 1754 von Johann Carl Chapuset besorgte deutsche Übersetzung der Vrais Principes lag mir nicht vor.
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Das Studium der Sprache zu diesem Zweck ist seit einigen Jahren eine meiner vorzüglichsten Beschäftigungen gewesen, und ich habe in meinen kleinen Schriften, die deutsche Sprache betreffend, |93| schon Verschiednes davon geäußert, worinn man aber diese Absicht nicht bemerkt zu haben scheinet.“ (MzE, I, S. 92f.)
Bei der ‚psychologischen’ Untersuchung grammatischer Kategorien, wie Moritz sie also in den Zusätzen unternimmt, handelt es sich um semantische Analysen mittels des Vergleichs bedeutungsähnlicher Wörter. Diese Analyse bedient sich der Methoden der Paraphrase und des Vergleichs der Kontexte, in welchen die Begriffe auftreten können, um so die unterschiedlichen Ideen und Nebenideen zu isolieren, welche die Bedeutung eines Begriffs bilden. So sind etwa die beiden Verben dünken und däuchten semantisch ähnlich, dünken regiert aber den Akkusativ, däuchten den Dativ: „Man sagt […]: es dünkt mich, und, es däucht mir“ (ZUAD, S. 41; Herv. im Orig.). Die semantische Analyse von dünken und däuchten und der ihnen semantisch ähnlichen Verben gemahnen, ahnden, scheinen, vorkommen und sein in der Wendung es ist mir so führt zum Grund dieser grammatischen Differenz. dünken bezeichnet nach Moritz einen „Zustand“, der „durch ein inneres Urtheil der Seele“, däuchten hingegen einen „Zustand“, der „durch die Vorstellung von einem äussern sinnlichen Gegenstande hervorgebracht“ wird (ZUAD, S. 41). Die beiden Verben unterscheiden sich also im semantischen Merkmal ‚von innen’ beziehungsweise ‚von aussen kommend’. Ein Sprecher, den etwas dünkt, ist zwar nicht der Urheber dieses Dünkens, denn dünken wie däuchten sind unwillkürliche Empfindungen. Da die Empfindung aber von innen kommt, am Ursprung des dünkens also zum Beispiel eine Erinnerung steht, wird er sich nach Moritz jedoch als Gegenstand des Dünkens empfinden und sich im Satz grammatikalisch als Akkusativ-Objekt darstellen und entsprechend sagen, es dünkt mich. Der Sprecher hingegen, den etwas deucht, wird diese Empfindung, die von aussen kommt, als etwas Selbstständiges betrachten und sich selber als den Zweck davon, weshalb er sich im Satz grammatikalisch als Zweckwort im Dativ darstellt: es däucht mir. Im semantischen Merkmal ‚von innen kommend’ stimmt gemahnen mit dünken überein. Es regiert deshalb ebenfalls den Akkusativ. Ahnden, scheinen, vorkommen und es ist mir so hingegen stimmen im semantischen Merkmal ‚von aussen kommend’ mit däuchten überein, weshalb sie alle den Dativ regieren (vgl. ZAUD, S. 41f.). Die aus der semantischen Analyse gewonnenen Bedeutungsnuancen erlauben es Moritz also, die Rektion von für seine Theorie problematischen Verben gleichwohl mit dieser Theorie zu erklären. Moritz könnte diese Art der Sprachreflexion aus der Synonymik entlehnt haben, etwa aus Stoschs Versuch in richtiger Bestimmung einiger gleichbe-
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deutender Wörter der deutschen Sprache (1770–73), auf den Moritz an einer Stelle in den Zusätzen auch explizit verweist (vgl. ZUAD, S. 41). Moritz führt die Analyse so weit, dass er auch Morpheme wie das Präfix be semantisiert, wie im Beispiel beleuchten, das im Zusammenhang mit leuchten betrachtet wird. Leuchten gehört zu einer Gruppe von Verben, die ein direktes Dativobjekt regieren. Diese Verben ermöglichen damit einen Satzbauplan, Subjekt – Prädikat – Dativ-Objekt, der mit Moritz’ Satzgliedlehre nicht erklärbar ist, da das Satzglied Zweckwort immer eines Akkusativ-Objektes bedarf. Nun lässt sich mit einer Paraphrase zeigen, dass leuchten eine Handlung bezeichnen kann, obwohl es sich nicht auf ein Objekt bezieht: „Ich leuchte heißt, ich sende allenthalben Lichtstrahlen umher, ohne dieselben gerade auf irgend einen besondern Gegenstand zu richten.“ (ZUAD, S. 18; Herv. im Orig.)
Leuchten ist damit kein Aktivum, sondernd ein Neutrum. Nun kann dem Leuchten nach Moritz ein Zweck zugeordnet werden, etwa in Ich leuchte dir. Dir ist hier ein Zweckwort und steht deshalb im Dativ: „Daß also gewisse Dinge an dem leuchten Theil nehmen, ist so lange etwas zufälliges, bis ich unter den übrigen eins als den besondern Zweck des Leuchtens auszeichne, und sage z. B. ich leuchte dir, dadurch wird aber derjenige, dem ich leuchte, noch nicht der Gegenstand dieser Handlung, sondern das könnten noch eher die Strahlen seyn, welche umher gesandt werden. Weil aber diese Umhersendung der Strahlen eben leuchten heißt, so hat diese Handlung eigentlich gar keinen unmittelbaren Gegenstand, und fällt also in sich selber zurück.“ (ZUAD, S. 18; Herv. im Orig.)
Mit dem Präfix be ändert sich nun die Valenz des Verbs leuchten, denn man kann sagen: Ich beleuchte dich. Den Grund für diese Änderung der Valenz findet Moritz durch die semantische Analyse der mit leuchten / beleuchten morphologisch homologen Begriffspaare schneiden / beschneiden und scheinen / bescheinen: „Wenn ich aber zu dem Worte leuchten die Silbe be hinzu|19|setze; so scheint es, als ob dadurch auf einmal seine ganze Natur verändert wird, denn ich kann sehr gut sagen: ich beleuchte dich: beleuchten hat also wirklich einen unmittelbaren Gegenstand. Woher mag das kommen, und wie ist beleuchten von leuchten unterschieden? Um dies zu untersuchen, wollen wir wieder eine Vergleichung dieses Worts mit andern Wörtern anstellen: ich schneide das Papier entzwei, und ich beschneide das Papier, sind zwey ganz verschiedne Ausdrücke. Die bloße Handlung des Schneidens kann das Papier nur in einer einzigen Richtung treffen, die Handlung des Beschneidens aber umfaßt den ganzen Umfang desselben, von allen möglichen Seiten. Die Sonne scheinet mich, kann ich nicht sagen, weil das so viel hiesse, als, ich werde durch den Sonnenschein hervorgebracht; darum muß es heissen: die Sonne scheinet mir. Demohngeachtet kann ich sehr wohl sagen: Die Sonne bescheinet mich. Die Sonne scheinet mir, heißt, die Handlung ihres Scheinens fällt in sich selbst zu-
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rück, ich aber betrachte mich als den Zweck derselben. Die Sonne bescheinet mich, heißt, die Handlung des Scheinens umfaßt mich von allen Seiten, so daß ich mich nun als einen wirklichen Gegenstand derselben betrachten kann. So wie also beschneiden von schneiden, und bescheinen von scheinen; so ist auch beleuchten von leuchten unterschieden. Die Silbe be zeigt hier also eine Umfassung der Handlung von allen Seiten an, wodurch sie etwas |20| zu ihrem unmittelbaren Gegenstande macht […].“ (ZUAD, S. 18ff.; Herv. im Orig.) „Diese Silbe be mag nun stehen bei welchem Zeitworte sie will; so macht sie allemal, daß dasselbe einen Akkusativ ohne eine Präposition zu sich nehmen kann: dieses trift folglich bei allen den Zeitwörtern ein, die sonst blos einen Dativ (Terminativ) nach sich haben […].“ (ZUAD, S. 20; Herv. im Orig.)
Diese Erkenntnis über das Präfix be konnte Moritz bei Johann Leonhard Frisch finden: „Be, Praepositio Inseparabilis, bedeutet im Activo, das Geben oder Thun, was das Wort bedeutet woran sie steht. Als: betrügen, einem Betrug erweisen. (...). Im Passivo bedeutet sie das Haben oder Besitzen, dessen was solches Wort bedeutet. Als: betagt, viel Tage gelebt haben. (...). Folglich macht diese Praepositio Activa aus den Neutris als lachen, belachen; sehen, besehen.“ (Frisch 1741 I, S. 74; Herv. A. A.)
Auf ein weiteres Beispiel für die semantische Analyse, die Untersuchung der Präposition um, wird im zweiten Teil im Kapitel zum Begriff Gesichtspunkt näher eingegangen. Deutsche Sprachlehre für die Damen (1782) Die Deutsche Sprachlehre für die Damen ist das sprachwissenschaftliche Hauptwerk von Karl Philipp Moritz. Man kann sagen, sie bildet das Zentrum seiner Sprachreflexion. Denn einerseits stellt er hier die Ergebnisse seines Sprachdenkens aus den Jahren 1780 und 1781 systematisch dar, modifiziert und ergänzt sie, und andererseits verwendet er in den Folgejahren grosse Teile daraus für neue Bücher, etwa für die Deutsche Rechtschreibung (1784) – sie besteht aus den Briefen 13 und 14 der Deutschen Sprachlehre –, für das Magazin zur Erfahrungsseelenkunde (1783–1793) oder für Vom richtigen deutschen Ausdruck (1792) (vgl. Kap. 2.3.3.2). In den grammatischen Briefen der Deutschen Sprachlehre behandelt Moritz zwar alle Ebenen der zeitgenössischen grammatischen Sprachbeschreibung: die Lautlehre, die Wortartenlehre mit Flexion (Deklination und Konjugation), die Satzgliedlehre sowie die Lehre vom zusammengesetzten Satz, folgt dabei aber nicht dem Aufbauschema der traditionellen Schulgrammatiken etwa Bödikers (1977 [1746]), Gottscheds (1978 [51762]) oder Heynatz‘ (1772), die mit der Lautlehre beginnen und sich
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
dann den höheren Ebenen der Sprachbeschreibung zuwenden.146 Er stellt die Wortarten- und Satzgliedlehre an den Anfang und behandelt die Laute erst ganz am Schluss. Moritz folgt damit dem Weg der Erfahrung, die Sprache zunächst in Sinneinheiten wahrnimmt. Erst die Analyse dieser Sinneinheiten kann zu den kleineren Teilen der Sprache führen: „Ich weiß, Sie wundern sich nicht darüber, daß ich nicht, wie es sonst gewöhnlich in den Sprachlehren geschiehet, den Anfang mit den einzelnen Buchstaben gemacht habe: denn was ist wohl natürlicher, wenn man anfängt, über die Sprache nachzudenken, als |37| zuerst seine Aufmerksamkeit auf die wunderbaren Wirkungen, und auf die mannichfaltigen Eindrücke zu richten, welche bei dem, was wir lesen oder hören, durch die Sprache, in unsrer Seele selbst hervorgebracht werden?“ (DS, S. 36f.)
Das Vorbild dazu könnten Gabriel Girards Les vrais principes de la langue françoise (1747) sein.147 Girard definiert drei Aufgaben der Grammatik: „La Grammaire doit avoir en vûe trois objets: la connoissance de toutes les sortes de mots dont la Langue est composée, la construction de ces mots dans le tour de frase, & la régularité de l‘Orthographe.“ (Girard 1982 [1747], S. 35)
In der Reihenfolge der Darstellung steht die Behandlung der Wortarten und der Syntax vor der Behandlung der Orthografie, da die gesprochene Sprache das unmittelbare Abbild des Denkens sei, mithin die gesprochenen Sätze unmittelbare Abbilder der als Urteile verstandenen Gedanken: „Je reviens aux trois objets ou aux trois parties de la Grammaire. N’étant point ici question d’une Langue étrangere, l’Orthographe cedera l’honneur du rang à la Nomenclature & à la Syntaxe: c’est à dire que ce qui regarde l‘Ecriture ne viendra qu’à la suite de ce qui concerne la connoissance des mots & leur |40| construction. Cet ordre est dautant plus convenable que la Parole écrite n’est que l’image de la Parole prononcée, & que celleci est l’image immédiate de la Pensée. C’est dailleurs se conformer au plan de l’éducation naturelle; ayant apris à nous énoncer de bouche avant que d’avoir eu des maitres à lire & à écrire.“ (Girard 1982 [1747], S. 39f.)
Mit Überlegungen, die aus heutiger Sicht der Texttheorie und der Narrativik zuzuordnen sind, geht Moritz schliesslich sogar, wenn auch unreflektiert, über die traditionelle Schulgrammatik hinaus. Bemerkenswerter sind zwei weitere Punkte: Die Verdoppelung der Betrachtung der grammatischen Kategorien durch das Einnehmen sowohl eines rationalistischen wie auch eines sensualistischen Standpunktes und,
146 Bei Heynatz (1772) sind es die Kapitel: Orthoepie oder Rechtsprechung, Orthographie oder Rechtschreibung, Etymologie oder Wortforschung, Syntax oder Wortfügung und Prosodie oder Tonmessung. 147 Vgl. zu Girard als Quelle für Moritz auch oben S. 133.
Die Entwicklung der grammatischen Positionen
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als Konsequenz des sensualistischen Standpunktes, die Erklärung gewisser grammatischer Kategorien aus der Erfahrung des Menschen. Moritz unterscheidet grundsätzlich eine Sprachbetrachtung für den Verstand von einer Sprachbetrachtung für die Einbildungskraft. Entsprechend dieser Unterscheidung führt er eine doppelte Einteilung der Wortarten ein: „Indem wir die Wörter nun Z. B. in Zeitwörter und Nennwörter eintheilen, betrachten wir dieselben mehr außer uns; indem wir sie aber Bildwörter, Tonwörter, Empfindungswörter, u. s. w. nennen, sehen wir mehr auf die Wirkungen, welche durch dieselben in unsrer Seele hervorgebracht werden. Nun können aber Z. B. die Zeitwörter wiederum entweder helfende Bildwörter, Tonwörter, oder Empfindungswörter seyn, als der Baum grünet, der |53| Wagen rasselt, der Mann friert. Die erste Eintheilung ist mehr für den Verstand, die andre mehr für die Einbildungskraft. Die erstre lehrt uns den innern Bau der Sprache zergliedern, die andre läßt uns, durch den Weg des Nachdenkens über die Sprache, Beobachtungen über unsre eigne Seele anstellen.“ (DS, S. 52f.; Herv. im Orig.)
Mit dieser Sprachbetrachtung von einem logischen und einem psychologischen Standpunkt aus setzt Moritz also in der Deutschen Sprachlehre für die Damen das Programm um, das er mit den Akkusativ-Aufsätzen angelegt hat. Und er ergänzt diese doppelte Sprachbetrachtung sogar noch um eine dritte Perspektive: die semantische Analyse der Laute und Silben scheint ihm nämlich näheren Aufschluss zu geben über die Natur sowohl der Sprache als auch der Vorstellungen: „Wenn wir […] auf die Wörter, an und für sich selbst betrachtet, oder in Ansehung der Buchstaben und Silben, woraus sie bestehen und entstehen, aufmerksam sind, so wird uns dieses noch viele Aufschlüße, über die Natur der Sprache sowohl, als über die Verschiedenheit unsrer eignen Vorstellungen geben; indem wir beobachten, wie oft eine und eben dieselbe Vorstellung durch eine Anzahl einzelner Buchstaben, erhöhet, erniedriget, und auf mannichfaltige |83| Weise bestimmt und abgeändert werden kann. Doch dies ist nur ein Blick auf ein weites Feld, das noch vor uns liegt.“ (DS, S. 82f.)
Im ersten Teil betrachtet Moritz die Sprache vom psychologischen Standpunkt ihrer Wirkung auf die Einbildungskraft aus. Den Ausgangspunkt bildet die „Kraft der Sprache, aus einzelnen Bildern, die schon in unsrer Seele liegen, neue Bilder zusammenzusetzen“ (DS, S. 20). Moritz beschreibt hier die Sprache als Auslöser für die Einbildungskraft, verschiedene Vorstellungen zu aktivieren und miteinander zu verbinden. Die Vorstellungen liegen dabei in der Seele, wie ein Ton in der Saite eines Instruments (vgl. DS, S. 31). Moritz bedient sich hier einer Metapher, die er am Beginn von Herders Sprachursprungsschrift (Herder (1987 [1772]), S. 253) hat finden können. Sie geht nach Wolfgang Proß zurück auf Johann Gottlob Krügers Naturlehre (vgl. Proß 1987, S. 926f. und 1008). Dort dient die Metapher der Veranschaulichung physiologischer Vorgänge
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(vgl. Krüger 1748, S. 653ff.).148 Moritz jedoch setzt sie hier nun nicht mehr im Rahmen einer Theorie der Empfindungen ein, sondern als Veranschaulichung der Wirkung der Sprache auf die Einbildungskraft. Die Sprache wirkt demnach wie das Spiel auf einem Instrument. Durch die Wörter „[werden] die einzelnen Bilder, welche schon in der Seele liegen, gleichsam wie die Töne aus einem Instrumente hervorgelockt […], so daß durch jede neue Erzählung oder Beschreibung, die wir hören oder lesen, eine neue Melodie in uns erweckt wird.“ (DS, S. 23)
Diesen Vorgang scheint sich Moritz durchaus mechanisch vorzustellen, denn er vergleicht später die Wörter mit Klaviertasten und das Sprechen mit dem Klavierspiel: „Die Bilder vom Baum und Knaben lagen schon einmal in unsrer Seele, aber durch die Wörter Baum und Knabe mußten sie erst wieder erweckt werden, dieß waren gleichsam die Klaves149, die man erst anschlagen mußte.“ (S. 32) „Wenn Sie ein neues Stück auf dem Klaviere spielen, so greifen Sie dazu immer eben dieselben Töne, deren Sie sich schon zu manchen andern Stücken bedient haben, aber Sie setzen sie nur beständig auf eine andre Weise in Verbindung. So ist es auch mit jeder neuen Erzählung: wir nehmen immer eben dieselben Worte dazu, die wir schon zu tausend andern Erzählungen gebraucht haben, |34| auch bedienen wir uns der Vorstellungen, welche schon seit langer Zeit in unsrer Seele waren, nur setzen wir dieselben ebenfalls immer wieder auf eine andre Art zusammen. Eben so wie wir zu den Wörtern, die wir schreiben, immer wieder eben dieselben Buchstaben nehmen, womit schon so viele tausend andre Wörter geschrieben sind.“ (DS, S. 33f.)
Damit in der Seele eine Vorstellung entstehen kann, braucht es einen ursächlichen Sinnesreiz. Ein Blindgeborner kann deshalb zwar einen haptischen Eindruck einer Baumrinde, aber kein Bild des Baumes haben. Die Sprache vermag ihm ein solches auch nicht zu geben:
148 Zur Erklärung der Empfindungen beziehungsweise der Verarbeitung von Sinnesreizen standen sich im 18. Jahrhundert zwei Modelle gegenüber. Das eine beschrieb die Verarbeitung von Sinnesreizen durch den Vergleich der Nerven mit Saiten (etwa eines Cembalos), die angeschlagen und in Schwingungen versetzt würden. Durch die oszillierende Bewegung der Nerven wird der Reiz nach dieser Auffassung dann zum Gehirn geleitet. Neben Krüger in Deutschland, vertraten in England David Hartley und Joseph Priestley dieses System der vibrations. Das zweite Modell geht von einem Körper-Seele-Dualismus aus und erklärt die Empfindungen nervenphysiologisch durch die Annahme, die Nerven seien hohl und von einem feinen Nervensaft durchströmt, der von spiritus animales belebt sei, die einen Reiz zum Gehirn forttragen. Hauptvertreter dieser Auffassung war Albrecht von Haller (vgl. Dürbeck 2003, S. 228). 149 Die Tasten des Klaviers. Adelung schreibt zu „Clavier“: „Ein musikalisches SaitenInstrument, welches durch Claves, worin sich eiserne oder messingene Stifte befinden, geschlagen wird“ (Adelung 1990 [1793–1801] I, Sp. 1339).
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„Die einzelnen Bilder selbst müssen also schon da seyn, und können durch das Wort nicht erst hineingetragen werden.“ (DS, S. 34)
Am Beispiel einer kurzen Geschichte erörtert Moritz den Vorteil von sprachlichen gegenüber visuellen Zeichen: „Sollte diese kleine Erzählung durch Gemählde dargestellt werden; so müßte der Knabe etwa erst abgemahlt werden, wie er auf den Baum klettert, dann noch einmal, wie er oben ist, mit der einen Hand den Ast ergreift, und mit der andern die Kirsche pflücken will, und dann wäre noch ein andres Gemählde nöthig, wo wir ihn im Fluße wirklich untersinken sehen; das Ertrinken aber könnte wiederum nicht anders bezeichnet werden, als durch noch ein Gemählde, wo wir ihn, nachdem er herausgezogen wäre, todt am Ufer liegend erblickten; und demohngeachtet wäre dann in dieser ganzen Erzählung noch kein Leben, |25| weil alle diese Gemählde zusammengenommen noch keine Bewegung anzeigen können. Wie einleuchtend ist hier der Vorzug der Sprache vor dem Gemählde! Indem Sie die Worte der obigen Erzählung hören oder lesen, so ist es fast, als ob Sie die traurige Begebenheit selber mit ansehn. In Gedanken sehn Sie wirklich den Knaben auf den Baum klettern, hören den Ast brechen, an dem er sich festhielt, und bedauren ihn, indem er ohne Rettung im Strome ertrinkt. Und alle diese abwechselnden, lebhaften Bilder in Ihrer Seele entstanden durch wenige Worte, die man auf ein kleines Blättchen schreiben, oder in weniger als einer Minute hersagen kann: das ist die wunderbare Kraft |26| der Sprache; sie kann uns Dinge als gegenwärtig darstellen, die uns, im Ganzen genommen, nie gegenwärtig waren, und kann uns also einen Begriff von demjenigen machen, was wir nie selbst mit unsern Augen gesehn haben. Ein Gemählde von Baume Z. B. hat zwar weit mehrere Aehnlichkeit mit demselben als das Wort Baum, aber dafür stellt es uns auch nur eine Aehnlichkeit des Baumes dar; das Wort Baum hingegen ist ein Zeichen, das wir einmal statt des Baumes selber setzen, und sobald wir es hören, steht auf einmal ein Baum in unsern Gedanken da, so groß und schön, wie er wirklich ist, mit seinem Stamm, seinen Zweigen, und |27| allen seinen grünen Blättern, und nicht etwa flach und verkleinert, wie auf einem Gemählde. Sobald wir das Wort Knabe hören, stellen wir uns auch diesen im Leben vor; und sagt uns nun jemand noch das Wort klettern, so daß es sich von dem Knaben auf den Baum bezieht, so klettert in unsern Gedanken der Knabe wirklich auf den Baum hinauf, und so steht in unsrer Seele ein Gemählde, worinn alles lebt und sich bewegt, und welches deutlicher und schöner ist, als jedes andre Bild, das ein Mahler davon entwerfen könnte.“ (DS, S. 24ff.)
Die Analyse der Geschichte mit dem kletternden Knaben führt Moritz zu einer ersten Unterscheidung der Wörter in Nennwörter, Zeitwörter und Bindungen, einer Einteilung also, die aus der ersten Akkusativ-Schrift stammt. Im anschliessenden 3. Brief schlägt Moritz dann ausgehend von der psychologischen Betrachtung der Sprache eine Wortarteneinteilung vor, die sich an der Art der Vorstellungen orientiert, die durch die jeweiligen
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Wörter in der Einbildungskraft geweckt werden: Bildwörter, Tonwörter, Empfindungswörter und Verhältniswörter. „Nun werden aber bei den meisten Wörtern Erinnrungen in uns erweckt, entweder an etwas, das wir gesehn haben und wovon das Bild noch in unsrer Seele schlummert, als bei den Wörtern Baum, Hügel, Bach; oder an einen Ton, den wir irgend einmal gehört haben, als bei den Wörtern brausen, rasseln, murmeln; oder an eine Empfindung, die durch irgend etwas in uns erregt ward, wie bei den Wörtern freuen, zürnen, trauren; oder an ein Verhältniß, das wir zwischen mehreren Dingen bemerkt haben, als bei den Wörtern, groß, klein, u. s. w. |43| Wir könnten also fürs erste eine Eintheilung der Wörter in Bildwörter, Tonwörter, Empfindungswörter, und Verhältnißwörter machen, bis uns unsre Betrachtungen weiter führen werden.“ (DS, S. 42f.)
Im Gegensatz zur Einteilung in Nennwörter, Zeitwörter und Bindungen, die dem Verstand zuzuordnen ist, bezieht sich diese Einteilung auf die Einbildungskraft. Sie ist eine Entdeckung von Moritz. Die beiden Wortartenklassifizierungen sind nicht deckungsgleich. So können Zeitwörter zum Beispiel „helfende Bildwörter, Tonwörter, oder Empfindungswörter seyn, als der Baum grünet, der |53| Wagen rasselt, der Mann friert“ (DS, S. 52f.). Die psychologische Wortartenlehre basiert auf Vorstellungen, die durch Sinneseindrücke entstanden sind (Bildwörter, Tonwörter, Empfindungswörter), und Begriffen, die durch Vergleichung von Sinneseindrücken entstanden sind (Verhältniswörter). Diese psychologische Wortartenlehre entwickelt Moritz anschliessend in den Briefen drei bis sechs anhand der Lektüre von Gessners Idylle Amyntas. Die Wortartenlehre vermischt sich hier immer wieder mit der Satzgliedlehre, etwa wenn er das Adverbiale bei frühem Morgen als Nebenvorstellung bezeichnet, die „an die Hauptvorstellung von dem Amyntas hinangefügt wird“ (DS, S. 49) oder wenn er anhand des Verbs kam die Funktion des Satzglieds Prädikat beschreibt (vgl. DS, S. 50). Dabei zeigt sich, dass auch Verhältniswörter eine sinnliche Vorstellung hervorrufen, denn „die Seele [ist] geneigt […], ihre Gedanken und Empfindungen immer auf sinnliche Bilder zurückzuführen“ (DS, S. 48). So sind zum Beispiel die Wörter frühem und Morgen vom Anfang der Gessnerschen Idylle Verhältniswörter (früh definiert sich als Gegensatz zu spät, Morgen zu Abend). Bei der Lektüre dieser Wörter werden aber offenbar weniger im Verstand die Relationsbegriffe als vielmehr im Gedächtnis Erinnerungen an konkret sinnlich Erlebtes geweckt: „Morgen, sich nicht zugleich ein schwankendes Bild in Ihrer Seele empordrängen sollte, welches durch das andere Verhältnißwort |45| früh noch mehr Bestimmung erhält. Und wenn Sie auf sich Achtung geben, so werden Sie finden, daß gerade das Bild von dem frühen Morgen, den Sie zuletzt beobachtet haben, oder der einmal, mit besondern Nebenumständen vergesellschaftet, den stärksten Eindruck auf Sie machte, auch zuerst in Ihrer Seele erwachen wird. Sie werden
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sich Z. B. vielleicht die röthlichen Streifen am östlichen Himmel denken, indes die westliche Hälfte noch in falbes Grau versenkt ist, und sich dann zugleich die Gegend dabei vorstellen, wo Sie diese Verändrung in der Natur zuletzt bemerkten.“ (DS, S. 44f.; Herv. im Orig.)
So wird auch die Verbkategorie Tempus mit sinnlichen Vorstellungen verbunden: „Es ist wunderbar, wie die ganze Vorstellungskraft der Seele auf einmal ganz anders gestimmt wird, wenn sie sich etwas als vergangen denkt: es ist, als ob plötzlich ein dunkler Schleier die Gegenstände bedeckte, und die Vorstellung des Vergangnen verhält sich zu der Vorstellung des Gegenwärtigen, wie die entfernte gedämpfte Musik zu der rauschenden, wie die Dämmrung zu dem Lichte.“ (DS, S. 57)
Gemäss Locke und Leibniz haben alle abstrakten Wörter einen konkreten Ursprung (vgl unten S. 241). Nach Moritz trifft dies auch auf die Präpositionen zu: „Die Begriffe [scil. die Präpositionen] zu diesen Wörtern sind zuerst aus der Körperwelt hergenommen, und alsdann auch auf unkörperliche Dinge angewandt worden: denn man sagt Z. B. ich gehe über die Brücke, und man sagt auch, ich denke über die Sprache nach.“ (DS, S. 61)
Die Präpositionen auf, an und unter gehen sogar ursprünglich auf die Erfahrung des direkten Kontakts des eigenen Körpers mit anderen Körpern zurück. Die Begriffe Berührung, Annäherung und Verlassung beschreiben diese Erfahrung: „Besonders sind die Begriffe von auf, an, unter u. s. w. zuerst vom menschlichen Körper selbst hergenommen: auf brauche ich, wenn etwas mei|62|nen Kopf, an, wenn etwas meine Seite, und unter, wenn etwas meinen Fuß berührt; über brauche ich, wenn sich etwas meinem Kopfe, bei, wenn sich etwas meiner Seite nähert; von brauche ich, wenn etwas meinen Kopf, Seite, oder Fuß verläßt. Nun gründet sich aber auf Berührung, Annäherung, und Verlassung der ganze Zustand und alle Veränderungen in der Körperwelt; denn ohne diese würde alles ohne Zusammenhang und ohne Beziehung aufeinander seyn. Man siehet also leicht, wie wichtig diese kleinen Wörter sind, wodurch diese drei Hauptbegriffe ausgedrückt und auf mannichfaltige Weise abgeändert werden.“ (DS, S. 61f.)
Daraus ergibt sich folgende Zusammenstellung (vgl. Abbildung 9): Kopf Seite Fuß
Berührung auf an unter
Annäherung über bei, neben, unter
Verlassung von von von
Abbildung 9: Präpositionen als Produkte der Erfahrung von Kontakten des eigenen Körpers mit anderen Körpern (vgl. DS, S. 63)
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
Und abstrahiert vom menschlichen Körper resultiert schliesslich die folgende, umfassendere Liste lokaler Präpositionen (vgl. Abbildung 10): Der Spitze eines Dinges Der Seite eines Dinges Des Fußes eines Dinges Aller auswendigen Seiten eines Dinges Aller inwendigen Seiten eines Dinges
Berührung auf an unter um
Annäherung über bei unter um
Verlassung von von von –
in
in
aus
Abbildung 10: Lokale Präpositionen als Produkte der Erfahrung von Kontakten zwischen Körpern (vgl. DS, S. 67)
Im 9. Brief kommt Moritz erneut auf die Präpositionen zu sprechen und macht dort deutlich, dass das System der lokalen Präpositionen von der Stellung des Sprechers in der Welt abhängt: „Diejenigen Wörter, welche die Verhältnisse und den Zusammenhang der Dinge im Allgemeinen, und ohne Rücksicht auf ein handelndes Wesen, bezeichnen, als auf, an, in, u. s. w. habe ich Sie schon in einem meiner ersten Briefe kennen gelehrt, wo wir sie alle unter die drei Hauptbegriffe von Annäherung, Berührung und Verlassung brachten, und durch die Nebenbegriffe von Kopf, Seite, Fuß, u. s. w. näher bestimmten. Der Mensch drückt nehmlich der ganzen Natur sein Bild auf, und mißt alle Körperlichen Gegenstände außer sich nach seinem eignen Körper ab. An sich ist nichts in der Welt weder unten noch oben, sondern es wird es erst in unsrer Vorstellung, nachdem es entweder unserm Kopfe oder unsern Füßen näher zu kommen scheinet. Gingen wir auf dem Kopfe, so würde uns alles das oben seyn, was uns jetzt unten ist. Allem, was wir nun vor uns sehen, es sey so unförmlich wie es wolle, geben wir in unsrer Vorstellung Kopf, Seite, Fuß, u. s. w., und machen es uns auf die Weise ähnlich, damit wir es in eben solche Verhältnisse mit andern Dingen setzen können, als worinn wir uns selbst befinden. Was nun aber an einer Sache einmal so eingerichtet ist, daß es sich unserm Kopfe nähern soll, als Z. B. die Oefnung eines Glases, das denken wir uns immer als den öbern Theil, wenn Z. B. das Glaß auch umgekehrt wäre. Weil wir nun in alle Dinge in der Welt erst eine gewisse Ordnung, hineintragen, und uns ihren Zusammenhang und ihre Wahrheit vorstellen, indem wir sie uns als auf, unter, oder nebeneinander u. s.w. denken, so sind diese kleinen Wörter, auf, unter, neben, u. s. w., nach dem Worte ist, die merkwürdigsten in der ganzen Sprache, wovon Sie sich noch beiläufig bemerken können, daß sie in der Kunstsprache Präpositionen heißen.“ (DS, S. 265ff.; Herv. im Orig.)
Die Abhängigkeit der Sprache vom Menschen ist aber nach Moritz noch grundsätzlicher als ihre Herkunft aus der menschlichen Erfahrung mit dem eigenen Körper und der Körperwelt. Im Zusammenhang mit der
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rhetorischen Figur der Personalisierung stellt er fest, dass der Mensch den Dingen in seiner Wahrnehmung aus dem Bewusstsein seiner selbst immer die eigene Gestalt gebe und es deshalb auch in der Sprache zu Personalisierungen von nicht lebendigen Dingen und Metaphernbildungen mit dem menschlichen Körper als Bildspender komme: „Wir betrachten nehmlich alle Gegenstände außer uns nicht unmittelbar, sondern unsre Vorstellungen davon müssen immer erst durch die Vorstellung von uns selber durchgehen. Bei allem, was wir denken, denken wir erst an uns selber, sonst wären wir uns dessen, was wir dächten, nicht bewußt: da wir also unzähligemal öfter an uns selber, als an irgend etwas außer uns denken, so |103| ist es ja kein Wunder, wenn die Vorstellungen von den Dingen außer uns gleichsam das Gepräge von der Vorstellung unsrer selbst annehmen, und wenn daher auch die Sprache der ganzen leblosen Natur das Gepräge des Menschen aufdrückt.“ (DS, S. 102f.)
Es handelt sich hier um eine für Moritz ganz zentrale Überlegung. Ihre Quelle könnte in der Psychologia Empirica aus Alexander Gottlieb Baumgartens Metaphysica liegen. Baumgarten definiert die Seele zunächst als vorstellende Kraft (vis repraesentativa) (Baumgarten 1983 [71779], S. 3, §506), die sich die Welt, wenigstens teilweise, vorzustellen vermag (Baumgarten 1983 [71779], S. 5, § 507). Die Seele stellt sich die Körper der Welt und ihre Veränderungen vor, vom eigenen Körper stellt sie sich aber am meisten Veränderungen vor: „Also ist mein Körper derjenige, von dem ich mehr Veränderungen als von irgendeinem andern Körper denke.“ (Baumgarten 1983 [71779], S. 5, § 508).
Der Körper erhält nun für die Vorstellung der Welt eine entscheidende Rolle. In § 509 hält Baumgarten fest, der eigene Körper habe in der Welt „eine bestimmte Stellung, einen bestimmten Ort, ein bestimmtes Alter und eine bestimmte Lage“. § 509 „Corpus meum habet determinatum in hoc mundo positum (§ 85), locum, aetatem (§ 281), situm (§ 284).“ (Baumgarten 1983 [71779], S. 4)150
Und nach dieser Stellung des Körpers in der Welt richten sich die Vorstellungen der Dinge:
150 Einige Stellen der Metaphysica erklären, wie positus, locus, aetas und situs zu verstehen sind. §85: „Diejenige Beziehung eines Seienden, die durch seine Verbindung mit andern bestimmt wird, ist seine Stellung“; § 281: „Die Stellung eines Seienden, das ausserhalb von andern gleichzeitig wirklich ist, ist sein Ort; die Stellung eines Seienden, das auf andere folgt, ist sein Alter“; § 284: „Der Ort der Dinge, die voneinander entfernt sind, ist ihre Lage“ (zit. nach Schweizer 1983, S 86).
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§ 512 „Ex positu corporis mei in hoc universo cognosci potest, cur haec obscurius, illa clarius, illa distinctius percipiam (§ 306, 509), i.e. REPRAESENTO PRO POSITU CORPORIS mei in hoc universo.“ (Baumgarten 1983 [71779], S. 4) „Aus der Stellung meines Körpers in dieser Welt kann erkannt werden, warum ich mir diese Dinge dunkler, jene klarer, andere deutlicher vorstelle, das heisst: Meine Vorstellungen richten sich nach der Stellung meines Körpers in dieser Welt.“ (Baumgarten 1983 [71779], S. 5)
Daraus leitet sich die vollständige Definition der Seele ab: § 513 „Anima mea est vis (§ 505) repraesentativa (§ 506) universi (§ 507) pro positu corporis sui (§ 512).“ (Baumgarten 1983 [71779], S. 4) „Meine Seele ist eine Kraft, welche die Welt entsprechend der Stellung ihres Körpers vergegenwärtigt.“ (Baumgarten 1983 [71779], S. 5)
Moritz hat den Gedanken bereits in den Zusätzen entwickelt, in der Auseinandersetzung mit den unpersönlichen Zeitwörtern. Wir müssten, so führt er dort aus, eigentlich alle Veränderungen in der Natur, bei welchen wir uns keine handelnde Person denken, mit unpersönlichen Zeitwörtern ausdrücken. Trotzdem gebe es in der Sprache nur eine kleine Anzahl davon. Dies komme nun eben daher, „weil wir als lebende und denkende Wesen gern der ganzen leblosen Natur unser |31| Bild eindrücken: eine jede Vorstellung äusserer Gegenstände muß erst durch die Vorstellung von uns selber durchgehen, daher erhält sie auch allemal ihr Gepräge von uns selber […].“ (ZUAD, S. 30f.)
und er ergänzt: „[…] wir betrachten alle Dinge ausser uns nur in so fern sie eine gewisse Aehnlichkeit mit uns selber haben, oder vielmehr wir suchen ihnen diese Aehnlichkeit auf alle mögliche Weise zu geben, daher lassen wir die leblosen Dinge handeln und empfinden, indem wir uns entweder die blossen Veränderungen derselben als Handlungen denken, wenn wir z. B. sagen: die Sonne steigt empor, oder indem wir uns die nächsten in die Augen fallenden Ursachen der Veränderungen in der Natur als handelnde Wesen vorstellen, wenn wir z. B. sagen: die Bäume tragen Früchte, und nicht anstatt dessen: die Früchte entstehen auf den Bäumen, oder es fruchtet auf den Bäumen.“ (ZUAD, S. 31; Herv. in Orig.)
Mit dieser Überlegung erklärt er auch Substantivierungen (vgl. DS, S. 208) „Sie sehen hieraus, wie gern wir die Verändrungen und Verhältnisse zwischen den Dingen an die Dinge selbst hinandenken, und wie geschäftig unsre Einbildungskraft ist, auf die Weise demjenigen, was nicht für sich besteht, eine Art von unabhängigem Daseyn beyzulegen. Allein dieses geschiehet auch oft, ohne daß eine Veränderung an irgend etwas hinange|208|dacht wird, sondern man be-
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trachtet die Veränderungen ganz allein an und für sich selber, als ein für sich bestehendes Wesen: so sagt man, der Morgen, der Abend, der Frühling, wodurch bloße Verändrungen in der Natur angezeigt werden, die man sich aber, figürlicherweise, als wirkliche Wesen denkt. Alle Vorstellungen des Menschen müssen nehmlich erst durch seine Vorstellung von sich selber durchgehn; was Wunder also, wenn der Mensch alles das, was er außer sich bemerkt, es mögen nun bloße Eigenschaften oder Verändrungen von Dingen seyn, in wirkliche Wesen verwandelt, denen er gleichsam das Gepräge seiner Wirklichkeit aufdrückt? was Wunder, daß auf die Weise alles mit Gottheiten, und mit figürlichen Wesen erfüllet ward, die bloß |209| in der Vorstellung des Menschen ihre Rolle spielten? ja, daß eine ganze neue Welt von Vorstellungen sich ihm eröfnete, in welcher die Verändrungen und die Eigenschaften der Dinge wiederum in eben solche Beziehungen und Verhältnisse, als vorher die wirklichen Dinge, gesetzt wurden; und daß man nun anfing, ganze Summen von Vorstellungen zusammenzusetzen, da man vorher nur mit einzelnen Bildern und Vorstellungen umzugehen wußte.“ (DS, S. 207ff.; Herv. im Orig.)
sowie das Genus der Substantive: „So drückt der Mensch auch in dieser Absicht der leblosen Natur sein Gepräge auf. Alles leblose, was man sich als stark, groß, wirksam, |231| oder auch wohl als schrecklich denkt, wird, wenn man ihm eine Persönlichkeit beilegt, mit dem männlichen Geschlechte verglichen; alles aber, was man sich als sanft, leidend oder angenehm denkt, vergleicht man, in dem Falle, daß man ihm Persönlichkeit zuschreibt, mit dem weiblichen Geschlechte […].“ (DS, S. 230f.)
Diese Erklärung des grammatischen Genus ist ein Topos. Moritz könnte sie in Adelungs Deutscher Sprachlehre (1781a) gefunden haben. Adelung unterscheidet dort zunächst zwei Hauptgeschlechter, das persönliche und das sächliche und stellt fest: „Alles, was man als Person sahe oder dachte, ward zu einem der persönlichen Geschlechter gerechnet, was man aber nicht als Person zu denken für gut befand, blieb für das sächliche.“ (Adelung 1781a, S. 116)
Daraus wird deutlich, dass die Wendungen „wenn man ihm eine Persönlichkeit beilegt“ und „in dem Falle, daß man ihm Persönlichkeit zuschreibt“, die bei Moritz bloss im Zusammenhang mit dem Thema Personalisierung zu stehen scheinen, auch eine grammatische Bedeutung haben. Adelung fährt dann, im Wortlaut sehr ähnlich wie Moritz, fort: „Indessen scheinet es, daß man alles, was den Begriff der Stärke, der Lebhaftigkeit, der Wirkung, der Thätigkeit hatte, männlich, was man sanft, angenehm, leidend u.s.f. dachte, weiblich gebrauchte […]“ (Adelung 1781a, S. 116; Herv. A. A.)
Die Übereinstimmung ist so offensichtlich, dass man die Stelle als Quelle für Moritz annehmen muss. Noch grösser ist die wörtliche Übereinstimmung aber mit dem umständlichen Lehrgebäude. Dort lautet die entsprechende Stelle:
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„Alles, was den Begriff der Lebhaftigkeit, Thätigkeit, Stärke, Größe, auch wohl des Furchtbaren und Schrecklichen hatte, ward männlich; alles, was man als empfänglich, fruchtbar, sanft, leidend, angenehm dachte, ward weiblich […].“ (Adelung 1971 [1782a] I, S. 346; fett im Orig., kursiv A. A.).
Die Stelle über das männliche und weibliche Genus bei Moritz scheint sich also aus den beiden Adelung-Zitaten zusammenzusetzen: „wirksam“ käme aus Adelungs Deutscher Sprachlehre von 1781, „gross“ aus dem Umständlichen Lehrgebäude von 1782. Die Moritz-Forschung ist bis jetzt offenbar selbstverständlich davon ausgegangen, dass Adelungs Umständliches Lehrgebäude Moritz als Quelle zur Verfügung gestanden hat. Angesichts des gleichen Druckjahres beider Bücher sind Zweifel hier aber gewiss angebracht. Die Überprüfung der Erscheinungsdaten in den Messekatalogen zeigt nun folgende Sachlage: Der erste Teil des Umständlichen Lehrgebäudes ist bereits zur Michaelismesse 1781 erschienen (Messekatalog Michaelismesse 1781, S. 169) und stand Moritz somit als Quelle für die Deutsche Sprachlehre für die Damen zur Verfügung. Der zweite Teil hingegen wurde an der Ostermesse 1782, wo Moritz Sprachlehre erschien, erst angekündigt. „Er wird zu Pfingsten fertig“, heisst es dort (Messekatalog Ostermesse 1782, S. 372). Im Katalog der Michaelismesse 1782 wird das Erscheinen dann angezeigt (Messekatalog Michaelismesse 1782, S. 403). Der zweite Teil stand Moritz damit nicht zur Verfügung. Ob Moritz nun den ersten Teil von Adelungs Buch, aus dem die zitierten Stellen über das Genus stammen, aber tatsächlich verwendet hat, ist gleichwohl unsicher. Inhaltlich finden sich sowohl Indizien, die dafür, als auch solche, die dagegen sprechen. So steht die zitierte Stelle über das Genus im Umständlichen Lehrgebäude im Kontext einer Kritik der Kategorie Genus: „Da man einmahl alle selbständigen und als selbständig gedachten Dinge durch äußere Merkmahle in gewisse Classen theilen wollte, so würde man dieses Mittel auf eine überaus nützliche und fruchtbare Art haben anwenden können, wenn man einen schicklichern Eintheilungsgrund gewählet hätte, als das Geschlecht.“ (Adelung 1971 [1782a] I, S. 346).
Die Schöpfer der Sprache hätten dazu aber deutliche Begriffe der Gegenstände besitzen müssen, was man nach Adelung nicht annehmen darf (vgl. Adelung 1971 [1782a] I, S. 346). Daher „[…] blieben sie bey dem allersinnlichsten und unschicklichsten Merkmahle stehen, welches man sich nur denken kann, und da sie an sich und an den Thieren zweyerley Geschlecht bemerkten, so wendeten sie solches auf alle übrige, wahre oder eingebildete Substanzen an, und pflanzten dadurch den überzeugendsten Beweis von der Kindheit ihre Verstandes auf ihre Nachkommen fort.“ (Adelung 1971 [1782a] I, S. 346)
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Eine solche kritische Reflexion fehlt sowohl in Adelungs Deutscher Sprachlehre von 1781, als auch in der Deutschen Sprachlehre von Moritz.151 Andererseits behandelt Adelung im Umständlichen Lehrgebäude ausführlich die These, für die ersten Menschen sei alles beseelt gewesen. Er kommt zunächst bei den Abstrakta darauf zu sprechen. Abstrakta leiten sich von konkreten sinnlich erfahrbaren Gegenständen ab: „Dem ungebildeten Naturmenschen ist alles belebt, jede Erscheinung, jede Veränderung in der Körperwelt ist ihm das Werk eines lebendigen Wesens, welches so denkt und handelt, wie er, oder wohl gar ein solches Wesen selbst. Daher rühret denn nicht allein die Vielgötterey bey rohen unwissenden Völkern, sondern auch, was zunächst die Sprache betrifft, die Bestimmung jedes selbständigen Dinges nach dem Geschlechte, und die Betrachtung alles dessen, was unselbständig ist, als etwas selbständiges. In der Folge hat man nun zwar hiervon den besten nur möglichen Gebrauch gemacht, und sich, vermittelst solcher Substantiven, von dem Sinnlichen zu dem Allgemeinen und Unkörperlichen zu erheben gewußt, und daher die Anzahl solcher abstracten Hauptwörter ansehnlich vermehret […]; allein die ganze Vorstellungsart ist doch immer ein Beweis der Eingeschränktheit unsers Verstandes, und ihr Ursprung ein Merkmahl seiner großen Kind|307|heit auf den ersten Stufen seiner vernünftigen Erkenntniß.“ (Adelung 1971 [1782a] I, S. 306f.)
Aus dieser allgemeinen Belebung entstand nach Adelung neben dem Polytheismus also auch das grammatische Geschlecht. Im Paragraphen über das Genus führt er dies weiter aus. Die Stelle erinnert stark an Moritz: „[Den] rohen und ganz sinnlichen Spracherfindern […], und noch jetzt den Wilden, [ist] alles belebt, alles beseelt […]. Jede auch noch so gemeine Veränderung und Erscheinung ist ihnen das Werk eines lebendigen Wesens, welches sie allemahl nach sich beurtheilen, und ihm alle theils gute, theils böse Eigenschaften beylegen, welche sie an sich und ihrem Geschlechte kennen. In dieser Vervielfältigung der selbständigen Wesen, welche bey mehr Cultur zugleich die Veranlassung der Vielgötterey ward, liegt der wahre Grund der vielen abstracten Substantiven, welche sich immer schon in der Kindheit aller Sprachen finden, da man von dem Nutzen solcher Abstractionen gewiß noch nichts wittern kann. Da man nun einmahl alles für eine beseelte Substanz hielt, wovon man keinen Grund angeben konnte, und diese Substanzen immer nach sich selbst zu beurtheilen pflegte, so war es sehr natürlich, ihnen auch das Geschlecht beyzulegen, welches man an sich und allen lebendigen Geschöpfen bemerkte. Und daher rühret denn die so allgemeine, und auch in den entferntesten und verschiedensten Sprachen so einmüthige Einteilung der Substantiven nach den Geschlechtern, welche unerklärbar seyn würde, wenn sie nicht auf das tiefste in der ganzen Natur des Menschen und in der Art und Weise seiner Erkenntniß gegründet wäre.“ (Adelung 1971 [1782a] I, S. 344; Herv. A. A.)
151 Für Adelung war die Frage der Kategorie Genus so wichtig, dass er ihr noch einen längeren Aufsatz in seinem Magazin für die deutsche Sprache widmete (vgl. Adelung 1783). Der Aufsatz spielt für Moritz jedoch keine Rolle.
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
In den hervorgehobenen Stellen glaubt man Moritz’ Überlegungen zu den unpersönlichen Zeitwörtern aus den Zusätzen zu lesen. Die Quelle für die These, dass die Belebung aller Gegenstände zur Bildung der grammatischen Geschlechter geführt hat, könnte nun aber für beide Autoren bei Herder liegen. Herder erklärt im Kapitel „Töne“ seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772) die Priorität der Verben vor den Substantiven in der Sprachentstehung: „[…] tönende Verba sind die ersten Machtelemente. […] Das erste Wörterbuch war […] aus den Lauten aller Welt gesammlet. Von jedem tönenden Wesen klang sein Name: die Menschliche Seele prägte ihr Bild drauf, dachte sie als Merkzeichen – wie anders, als daß diese tönenden Interjektionen die Ersten wurden, und so sind z.E. die morgenländischen Sprachen voll Verba als Grundwurzeln der Sprache.“ (Herder 1987 [1772], S. 290; fett im Orig; kursiv A. A.)
Darauf erklärt Herder, wie sich im „Stuffengange der Menschlichen Sinnlichkeit“ (Herder 1987 [1772], S. 290) aus den Verben Nomina entwickelt haben. In dieser folgenden Passage finden sich so gut wie alle Punkte aus den Stellen von Adelung und Moritz: die ersten Menschen betrachten alles als lebendig, Abstracta entstehen aus Konkreta, der Polytheismus, die Entstehung des Genus (bei Herder steht zwar „Artikel“, aber der darauffolgende Satz macht klar, dass er das Geschlecht meint, das etwa im Deutschen in erster Linie am bestimmten Artikel ablesbar ist). Weiter findet sich die Behauptung Adelungs, auch die heutigen Wilden würden immer noch alles als belebt betrachten, sowie die Ansicht Moritz’, die ersten Namen trügen das Gepräge der Menschen: „Indem die ganze Natur tönt: so ist einem sinnlichen Menschen |291| nichts natürlicher, als daß sie lebt, sie spricht, sie handelt. Jener Wilde sahe den hohen Baum mit seinem prächtigen Gipfel und bewunderte: der Gipfel rauschte! das ist webende Gottheit! der Wilde fällt nieder und betet an! Sehet da die Geschichte des sinnlichen Menschen, das dunkle Band, wie aus den Verbis Nomina werden – und den leichtesten Schritt zur Abstraktion! Bei den Wilden von Nordamerika z.B. ist noch Alles belebt: jede Sache hat ihren Genius, ihren Geist, und daß es bei Griechen und Morgenländern eben so gewesen, zeugt ihr ältestes Wörterbuch und Grammatik – sie sind wie die ganze Natur dem Erfinder war, ein Pantheon! ein Reich belebter, handelnder Wesen! Indem der Mensch aber alles auf sich bezog: indem alles mit ihm zu sprechen schien, und würklich für oder gegen ihn handelte: indem er also mit oder dagegen Teil nahm, liebte oder haßte, und sich alles Menschlich vorstellte; a lle diese Spuren der Menschlichkeit drückten sich auch in die ersten Namen! Auch sie sprachen Liebe oder Haß, Fluch oder Segen, Sanftes oder Widrigkeit, und insonderheit wurden aus diesem Gefühl in so vielen Sprachen d ie Artikel! Da wurde Alles Menschlich, zu Weib und Mann personificiert; überall Götter, Göttinnen, handelnde, bösartige oder gute Wesen! Der brausende Sturm, und der süße Zephyr, die klare Wasserquelle und der mächtige Ocean – ihre ganze Mythologie liegt in den Fundgruben, den Verbis und Nominibus der alten Sprachen und das älteste Wörterbuch war so ein
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tönendes Pantheon ein Versammlungssaal beider Geschlechter, als den Sinnen des ersten Erfinders die Natur.“ (Herder 1987, S. 290f.; als fett ausgezeichnete Herv im Orig; kursiv A. A.)
Die ursprüngliche Quelle für die Stellen über das Genus bei Moritz, Adelung und Herder dürfte aber in James Harris’ Hermes (1751) liegen.152 Im Zusammenhang mit der Besprechung des Substantivs stellt Harris dort fest, dass manche Sprachen im Gegensatz zum Englischen geschlechtslose Dinge mit einem grammatischen Genus versehen: „BUT 'tis not so in Greek, Latin, and many of the modern Tongues. These all of them have Words, some masculine, some feminine […] which have reference to Substances, where Sex never had existence.“ (Harris 1765, S. 43)
Teilweise orientiere sich die Zuweisung eines Genus an der Form des Wortes, etwa an dessen Endung. Andere Fälle jedoch hätten einen subtileren Grund: „In others we may imagine a more subtle kind of reasoning, a reasoning which discerns, even in things without Sex, a distant analogy to that great NATURAL DISTINCTION, which (according to Milton) animates the World. In this view we may conceive such SUBSTANTIVES to have been considered as MASCULINE, which were ‚conspicuos for the Attributes of imparting or communicating; or which were by nature active, strong, and efficacious, and that indiscriminately whether to good or to ill; or which had claim to Eminence, either laudable or otherwise.’ |45| THE FEMININE on the contrary were such, as were conspicuous for the Attributes either of receiving, of containing, or of producing an bringing forth; or which had more of the passive in their nature, than of the active; or which were peculiarly beautiful and amiable; or which had respect to such Excesses, as were rather Feminine, than Masculine.’“(Harris 1765, S. 44f.)
Die Stelle aus Miltons Paradise Lost, auf die Harris sich hier bezieht, lautet: „[…] Her spots thou seest As clouds, and clouds may rain, and rain produce Fruits in her soften’d soil, for some to eat Allotted there; and other suns perhaps With their attendant moons thou wilt descry, Communicating male and female light, Which two great sexes animates the world, Stored in each orb perhaps with some that live.“ (Milton 2007 [21674], VIII, 145–152.)
152 Auch Wolfgang Proß verweist in seinem Herder-Kommentar bei der Stelle „und insonderheit […] die Artikel“ auf Harris’ Hermes, allerdings auf eine Passage, in der sich Harris mit dem bestimmten und unbestimmten Artikel auseinandersetzt (vgl. Proß 1987, S. 967; die Harris-Stelle findet sich in Harris 1765, S. 216). Herder scheint hier aber eher an die Entstehung des grammatischen Geschlechts zu denken.
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
Moritz kopiert Harris bis hin zum Literaturzitat, wenn er eine Stelle aus Matthias Claudius’ Lied anführt153: „Sehen Sie dieses als einen kleinen Kommentar über die Worte unsres Klaudius an: und in der großen Gotteswelt ist alles Mann und Weib –„ (DS, S. 232)
Dasselbe gilt für Adelung, der eine entsprechende Stelle aus dem Koran zitiert.154 In den restlichen Briefen zur Grammatik nimmt Moritz einen traditionellen Standpunkt der Sprachbetrachtung ein und handelt die Wortartenlehre (Brief 8 und 9), die Lehre der Satzglieder (Brief 10) sowie eine Theorie des zusammengesetzten Satzes (Brief 9) ab. Brief 11 liefert die Deklination nach. 2.3.3.2 Die Neuordnung des sprachwissenschaftlichen Werkes in den späten Schriften Gemessen am Umfang der in den Jahren nach der Deutschen Sprachlehre für die Damen von Moritz noch publizierten sprachwissenschaftlichen Schriften darf der in ihnen enthaltene Anteil an substanziell Neuem als bescheiden bezeichnet werden.155 So handelt es sich bei der grössten unter ihnen, dem 1792 erschienenen Vom richtigen deutschen Ausdruck, um eine Kompilation von Passagen aus früheren Sprachschriften. Dasselbe gilt in nicht unbeträchtlichem Masse für den noch von Moritz besorgten Teil des Grammatischen Wörterbuches der deutschen Sprache (1793–1800).156 Gleichwohl dürfen die Werke dieser zweiten Phase in Moritz’ sprachwissenschaftlichem Schaffen nicht einfach als blosse Wiederverwertung unter neuen Titeln abgetan werden. Einerseits zeigt ein Blick auf die inhaltliche Aus-
153 Zunächst anonym erschienen in: [Telonius, Christian Gottfried]: Freymaurer-Lieder mit Melodien, zum Gebrauch der von der großen Landesloge der Freymaurer in Deutschland constituierten Logen. Herausgegeben von einem Mitgliede der Bruderschaft. Zwote Sammlung. Hamburg 1779, S. 42. Ein Abdruck in der Berliner Literatur- und Theaterzeitung IX, 1779, S. 129, verweist auf Claudius als Autor. Neuer Abdruck des Liedes: Claudius 1984, S. 901f. 154 „’Gott hat nichts erschaffen, heißt es im [sic!] dem Alkoran, was nicht weiblich und männlich wäre; das ist von allen Erzeugnissen der Erde, von den Seelen, und |345| selbst von den Dingen gewiß, von welchen man es am wenigsten vermuthen sollte.’“ (Adelung 1971 [1782a] I, S. 344f.) 155 Vgl. zum Folgenden Aebi 2005. 156 Moritz zeichnet verantwortlich für den ersten und einen Teil des zweiten Bandes dieses schliesslich in vier Bänden erschienenen Werkes.
Die Entwicklung der grammatischen Positionen
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richtung der genannten grossen Schriften sowie der kleinen Aufsätze Über die Bildsamkeit der Deutschen Sprache (1792) und Soll die Mode auch über die Sprache herrschen? (1793) eine Konzentration auf Fragen der Sprachrichtigkeit und Sprachreinheit. Dies passt natürlich zu Moritz’ Engagement als Mitglied und Sekretär der Ende 1791 ins Leben gerufenen Deputation deutscher Mitglieder der Akademie zur Vervollkommnung und Ausbildung der deutschen Sprache, in dessen Kontext die späten Schriften betrachtet werden müssen, wenn sie ihm nicht sogar wie der Aufsatz Über die Bildsamkeit der Deutschen Sprache direkt entstammen.157 Aber Moritz’ späte Beschäftigung mit Sprache lässt sich nicht erschöpfend als inhaltliche Umorientierung beschreiben. Er scheint nämlich seit dem ersten Band des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde von 1783 und der Deutschen Rechtschreibung von 1784 die Strategie zu verfolgen, die in den frühen linguistischen Texten erarbeiteten Resultate strenger getrennt nach theoretischen und pragmatischen Aspekten neu zu publizieren, was ihm auf Grund des selbstplagiatorischen Vorgehens allerdings nicht durchweg gelingt. Anhand der Schrift Vom richtigen deutschen Ausdruck soll das Vorgehen von Moritz beleuchtet werden. Das 1792 publizierte umfangreiche Werk Vom richtigen deutschen Ausdruck ist eine Kompilation von Passagen, die Moritz seinen frühen Sprachschriften sowie seinem Versuch einer deutschen Prosodie (1786) entnommen hat. Es enthält inhaltlich nichts Neues. Das ist insofern bemerkenswert, als nach 1790 auch Neuauflagen der Quellentexte publiziert werden. Das Originäre der Schrift muss also in der Auswahl ihres Stoffes, in ihrem Aufbau, der in ihr propagierten didaktischen Methode oder ihrer Funktion im Kontext der übrigen Sprachschriften gesucht werden. Schon die Analyse der Stoffauswahl macht nun deutlich, dass Moritz mit der Behandlung der Satzglied- und Wortartenlehre sowie der Orthographie und Interpunktion das im strengeren Sinne grammatische Gerüst aus seinen früheren Überlegungen zur Sprache extrahiert hat. Die philosophische Bestimmung des Wesens der Sprache als Abbild des Denkens beziehungsweise der Dinge und ihrer kommunikativen und kognitiven Funktionen, etwa ihrer Leistung für die Formung und Organisation der Erfahrung oder für das Gedächtnis, fehlt demgegenüber ebenso wie die Sprachursprungshypothese und die sich durch die frühen Sprach-
157 Moritz hat den Aufsatz am 26. Januar 1792 an der Königlich preussischen Akademie der Wissenschaften im Anschluss an Ewald Friedrich Graf von Hertzbergs Bekanntgabe der Gründung der Deutschen Deputation und Johann Friedrich Zöllners Information über deren Aufgaben vorgetragen (vgl. Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, No. 12., Sonnabends, den 28. Januar 1792). Gedruckt erschien er zunächst in der Deutschen Monatsschrift (1792, 1, S. 168–172), 1794 dann im Sammelband Beiträge zur Deutschen Sprachkunde (S. 87–92).
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
schriften ziehende Reflexion über das „Verbum Seyn“. Dass schliesslich auch das Verhältnis des Berlinischen zur Standardsprache, Thema von Über den märkischen Dialekt (1781) und Anweisung, die gewöhnlichsten Fehler, im Reden, zu vermeiden (1781), hier ausgeblendet bleibt, mag ein Hinweis darauf sein, dass Moritz für diesen Texte eine überregionale Gültigkeit angestrebt hat. In ausformulierter Form neu ist das Kapitel Besondre Regeln von der Interpunktion (VrdA, S. 123–135). Es ist zuvor nur als Tabelle von der Deutschen Interpunktion im Anhang zur Deutschen Rechtschreibung von 1784 erschienen. Als Quelle für Moritz’ Interpunktionsanweisungen nennt Friedrich Müffelmann Heynatz‘ Lehre von der Interpunktion oder dem richtigen Gebrauche der Unterscheidungs- oder Abtheilungszeichen (1773; 21782) und weist als Beleg auf die Formulierung einzelner Regeln hin (vgl. Müffelmann 1930, S. 149). Es kann ergänzt werden, dass Moritz sich auch für Beispielsätze von Heynatz hat inspirieren lassen. Für die Anweisung etwa, nach Abkürzungspunkten weitere Unterscheidungszeichen nicht wegzulassen, verwenden die beiden Autoren folgende Beispiele: „Ich melde Ew. Hochedelgeb., daß endlich ihre Sache entschieden werden soll […].“ (Heynatz 1773, S. 26, Anm. ++++); „ich berichte Ew. Hochedelgeb., daß Ihre Sache entschieden ist.“ (VrdA, S. 133). Aber Müffelmann übersieht, dass Moritz seine Darstellung nicht wie Heynatz nach der in der Schulgrammatik traditionellen Ordnung vom stärksten zum schwächsten Unterscheidungszeichen, sondern vom Komma zum Punkt organisiert. Diese Abweichung von Heynatz mag zunächst als wenig bedeutsam erscheinen. Tatsächlich aber führt sie zu möglichen weiteren Quellen für Moritz’ Behandlung der Interpunktion. Die Darstellung der Interpunktionsanweisungen vom Komma zum Punkt findet sich im deutschsprachigen Raum nämlich auch in Bodmers Grundsätzen der deutschen Sprache von 1768 (vgl. Bodmer 1768, S. 121–124), die sich wie gesehen (vgl. oben S. 133) explizit auf Girards Les vrais principes de la langue françois (1747) beziehen, deren Interpunktionskapitel ebenfalls derselben Ordnung folgt (vgl. Girard 1982 [1747], vol. II, S. 440ff.). Girard wurde ja bereits bei Moritz’ Satzlehre als Quelle genannt (vgl. oben S. 133). Auf eine solche Filiation weisen nun auch Übereinstimmungen in der Interpunktionstheorie hin, in der die Begründung für die von der deutschen Tradition abweichende Anordnung der Interpunktionsanweisungen zu finden ist. Die Interpunktionstheorie wird in Vom richtigen deutschen Ausdruck im Kapitel Von der Interpunktion in Rücksicht auf den Bau der Rede behandelt, das auf die Deutsche Sprachlehre für die Damen zurückgeht.158 „[D]as eigentliche Geschäft“ der Unterscheidungszeichen sei es, so stellt
158 VrdA, S. 118–123; vgl. DS, S. 320–327.
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sei es, so stellt Moritz dort fest, „die kleinern Reden in der größern zu unterscheiden“ (VrdA, S. 118). Damit geht er, wie schon Müffelmann bemerkt, über das „phonetische Prinzip“ von Heynatz hinaus (vgl. Müffelmann 1930, S. 146ff.), wonach „die Ruhepunkte im Reden der eigentliche Grund und die Richtschnur der geschriebenen Unterscheidungszeichen sind“ (Heynatz 1773, S. 1, Anm. **). Zu ihrer prägnantesten Formulierung hat Moritz seine Theorie im Allgemeinen deutschen Briefsteller (1793) gebracht. „Der Gebrauch der Unterscheidungszeichen läßt sich am natürlichsten aus dem Bau der Rede selbst entwickeln“, heisst es dort, „weil nehmlich das eigentliche Geschäft dieser Zeichen ist, die Fugen zu bemerken, wodurch sich kleinere Wortstellungen zu einer größern oder zu einem Perioden bilden“ (AdB, S. 13, Herv. im Orig.; vgl. VrdA, S. 118f.) Nun seien die Interpunktionszeichen „freilich nicht […] Zeichen unsrer Gedanken selber, sondern nur die Zeichen von den verschiedenen Ruhepunkten in der Reihe unsrer Vorstellungen. Wenn aber diese Ruhepunkte auch gleich nicht auf dem Papiere bezeichnet wären, so würden sie demohngeachtet in unsrer Seele statt finden, weil es uns unmöglich ist, ganz ununterbrochen fortzudenken.“ (AdB, S. 14f.; vgl. VrdA, S. 122)
Die heynatzschen „Ruhepunkte im Reden“ werden bei Moritz also zu „Ruhepunkten im Denken“. Mit dieser kognitiven Fundierung wird die Interpunktionslehre aus der Rhetorik, wo Heynatz sie noch verortet hat (vgl. Heynatz 1773, Vorrede, unpag.), herausgelöst und in die Syntaxtheorie der Grammatik integriert. Sowohl die Fundierung im Denken als auch die Herleitung der Interpunktionsregeln aus der Syntax finden sich bereits bei Girard. Er nennt als Prinzip der Interpunktion die Unterscheidung von Bedeutungseinheiten: „Ce qui la [scil. la ponctuation] regle [sic!] est la distinction du sens“ (Girard 1982 [1747], vol. II, S. 436). Die Bedeutung („le sens“; Bodmer übersetzt: „Sinn“) entspricht dem Abbild des Gedankens und konstituiert dadurch den Satz: „[…] il faut savoir que les Mots ne sont pas seulement établis pour représenter chacun une idée, ou pour distinguer un objet: ils sont encore chargés de représenter par leur assemblage l’union des idées, pour exprimer un sens suivi, c’est-àdire l’image de la pensée“ (Girard 1982 [1747], Vol. I, S. 83; Herv. A. A.). „En quelque personne que le discours s’exprime, tout assemblage de mots fait pour rendre un sens est ce qu’on nomme FRASE. De sorte que c’est le sens qui borne la Frase: elle commence & finit avec lui: & selon qu’il est plus ou moins composé, elle est plus ou moins nombreuse. Plusieurs sens particuliers réunis ou liés pour en former un qui résulte de la totalité font la frase qu’on nomme PÉRIODE. Un seul sens considéré à part, soit lié soit isolé, fait la
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
simple frase. La Période change de forme & d’ordonnance selon le nombre de ses membres & le degré de leur liaison. De ce degré de liaison dépend la vraie regle de la Ponctuation; comme on le verra quand nous en ferons à ce qui concerne cette partie de l’Ortographe, que je reserve pour la cloture de mon ouvrage“ (Girard 1982 [1747], Vol. I, S. 85; Herv. A. A.).
Damit zeigt sich Moritz in der Theorie der Interpunktion deutlich von Girard abhängig. Bemerkenswert hinsichtlich der Stoffauswahl ist ferner der Einbezug der Prosodie in das System der Grammatik. Sie bildet den Abschluss des Deutschen Ausdrucks (VrdA, S. 175–244). Obwohl die Prosodie ein traditioneller Bestandteil der Grammatiken des 18. Jahrhunderts ist, war sie in Moritz’ frühen sprachwissenschaftlichen Schriften noch kein Thema gewesen. Vom richtigen deutschen Ausdruck enthält also vornehmlich grammatisches Material und scheint damit eher dem Bild eines grammatischen Lehrbuchs im Sinne einer Kunst des richtigen Schreibens und Sprechens zu entsprechen als die frühen sprachwissenschaftlichen Schriften. Auch die explizit intendierte Funktion, wonach Vom richtigen deutschen Ausdruck eine Anleitung sein soll, „die gewöhnlichen Fehler im Schreiben und Reden zu vermeiden“ (VrdA, S. 1), könnten dies so erscheinen lassen. Allein im systematischen Aufbau unterscheidet sich das Werk, genau wie die Deutsche Sprachlehre, immer noch von traditionellen Schulgrammatiken wie etwa Heynatz’ Deutscher Sprachlehre zum Gebrauche der Schulen. Moritz selbst hat das Verhältnis zwischen blosser Grammatik und Sprachphilosophie ja in der Deutschen Sprachlehre reflektiert. Im 1. Brief heisst es dort im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen einer philosophischen Sprachlehre und einer Anleitung zum richtigen Ausdruck: „Blos deswegen seine Muttersprache näher kennen zu lernen, um sich in derselben richtig ausdrücken zu können, hieße die Kenntniß derselben zu tief herab setzen. (Diesem Endzweck gemäß dürfte eine deutsche Sprachlehre ausser den Regeln der Rechtschreibung wenig mehr enthalten, als eine Sammlung der Fehler, welche gewöhnlich im Reden gemacht werden.) Allein die Sprachlehre hat einen höhern Endzweck: sie soll uns die geheimen Fugen auseinander legen, wodurch das Gebäude unsrer Sprache sich ineinander schließt; sie soll uns aufmerksam machen, auf den Gang unsrer Gedanken, wovon unsre Ausdrücke nur Gemählde sind […].“ (DS, S. 8f.)
Um sich diesem „höhern Endzweck“ der Sprachlehre zuwenden zu können, wird die Fähigkeit zum richtigen Ausdruck freilich vorausgesetzt: „[W]arum sollen wir nicht […] vor allen andern unsre Muttersprache wählen, da uns dieselbe einmal so geläufig ist, daß wir Muße gewinnen, ihrem innern Bau sorgfältig nachzuspüren, indem wir nicht mehr so sehr verlegen seyn dürfen, uns in derselben richtig auszudrücken.“ (DS, S. 9)
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Die hier geforderte hohe muttersprachliche Kompetenz besitzen nun offensichtlich die Adressatinnen der Deutschen Sprachlehre, nicht aber „solche, die keine gelehrte Sprachkenntnis besitzen“. Und diese bedürfen eben, bevor sie sich der Sprachphilosophie oder praktischen Sprachverwendungen widmen können, einer Anleitung zum richtigen deutschen Ausdruck. Eine solche Anleitung hat Moritz 1792 mit Vom richtigen deutschen Ausdruck vorgelegt. Die Kompilation kann als seine eigentliche Grammatik gewertet werden. In einem erweiterten Kontext erfüllt sie die Funktion einer Propädeutik für die Vorlesungen über den Styl (1793–1794) und den Allgemeinen Deutschen Briefsteller (1793), der selbst ja auch eine gedrängte Darstellung der Grammatik enthält. Die Grammatik hat damit für Moritz vorbereitenden Charakter.159 Eine Interpretation, die im Deutschen Ausdruck nur die Wiederverwertung von bereits Veröffentlichtem unter neuem Namen sehen möchte, würde nach dem Gesagten also sicherlich zu kurz greifen. Vielmehr spricht einiges dafür, dass Moritz um 1790 sein sprachwissenschaftliches Gebäude zerlegt hat, um es neu, strenger als in den frühen Schriften nach Grammatik und philosophischer oder psychologischer Reflexion getrennt, wieder aufzubauen. Die eigentliche Grammatik liegt uns in Form des Deutschen Ausdrucks vor. Von der Philosophie der Sprache allerdings, die Moritz nach Aussage Klischnigs in Planung hatte, ist uns wie erwähnt nichts überliefert. Dieser Umgang mit den eigenen Schriften beginnt bereits 1783 mit dem ersten Band des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde und setzt sich im darauffolgenden Jahr mit der Deutschen Rechtschreibung fort, die der Deutschen Sprachlehre entnommen ist. Der Anlass für die linguistische Offensive um 1790 muss wohl vor allem in Moritz’ Aufnahme in die Königlich-preussische Akademie der Wissenschaften gesehen werden. So kündigt er in seiner Antrittsrede vom 13. Oktober 1791 an, in der Akademie „besonders im Fache der Philosophie der Sprache“ tätig sein zu wollen (VmK, S. 272), und weist den Kurator der Akademie, Ewald Friedrich Graf von Hertzberg, in einem
159 Ein ähnliches Vorgehen findet man z. B. in Johann Gotthilf Lindners Lehrbuch Kurzer Inbegriff der Ästhetik, Redekunst und Dichtkunst von 1771/72. Lindner schreibt in einer Anmerkung zu seinem Inhaltsverzeichnis („Plan der Theorie“): „Die beiden erstern Kapitel [scil. 1stes Hauptstück. Vorläufige Erinnerungen über die Rechtschreibung oder Orthographie im Deutschen; 2tes Hauptstück. Einige sehr notwendige Regeln aus der deutschen Sprachlehre] schickt man zum Gebrauch in Schulen und für Anfänger im Stil voraus, denen sie zu statten kommen werden. Wem sie überflüßig sind, kan [sic!] sie überschlagen. Soviel hat man indessen vom Grammatikalischen mitnehmen wollen“ (Lindner 1771–72 / 1971, S. 3; Anm. *).
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Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über Sprache
Schreiben mit der Überschrift Ueber die Cultur der Deutschen Sprache auf die Wichtigkeit der Beschäftigung mit der Muttersprache hin (vgl. Klingenberg 1996, S. 153f.). Die Entwicklung von Moritz’ sprachwissenschaftlichem Denken kann oberflächlich betrachtet zwar als Übergang von der Sprachphilosophie zur Sprachpraxis beschrieben werden, von der Befragung der Sprache als Grundlage aller Wissenschaften und des Denkens überhaupt zu einer Vermittlung von Sprachkenntnis als Vorbereitung für eine weitergehende praktische Sprachkompetenz, nämlich Stilsicherheit und Epistolographie, bei der das Wort in das wirkliche Handeln übergeht, wie es sinngemäss in dem Aufsatz Soll die Mode auch über die Sprache herrschen? heisst (vgl. Werke 2, S. 207). Im Einzelnen ist das linguistische Werk jedoch komplexer strukturiert. Einerseits beschäftigen sich bereits die beiden frühen sprachwissenschaftlichen Schriften Über den märkischen Dialekt (1781) und Anweisung, die gewöhnlichsten Fehler, im Reden, zu vermeiden (1781) mit Problemen der Sprachrichtigkeit und Sprachreinheit,160 andererseits bleibt der späte Deutsche Ausdruck, obwohl inhaltlich auf die Grammatik reduziert, aufgrund seines kompilatorischen Charakters der philosophischen, im Sinne einer explanativen, psychologisch argumentierenden Methode treu.161 So bleibt die Verbindung von sprachphilosophischen und rein grammatischen Reflexionen in gewisser Hinsicht auch nach ihrer konsequenteren Trennung in den späten Schriften noch bestehen.
160 Wie gesehen (vgl. oben Anm. 23) enthält Über den märkischen Dialekt sogar eine Anregung zur Gründung einer Sprachakademie (vgl. Märkisch, S. 8f. u. 11). 161 Besonders deutlich wird dies etwa im Konjugationskapitel Von den Fugen des Zeitworts (vgl. VrdA, S. 95–110; DS, S. 427–451).
3
Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik 3.1
Moritz’ kunsttheoretische Theoreme
Karl Philipp Moritz gilt als Begründer der Autonomie-Ästhetik. Im Gegensatz zur aufklärerischen Wirkungsästhetik definiert er das Kunstwerk als ein in sich abgeschlossenes Gebilde, das hinsichtlich seines ästhetischen Werts keinerlei heteronome Bezüge in Anspruch nehmen muss beziehungsweise darf. Als ästhetisches Superzeichen verweist das Kunstwerk auf nichts einzeln ausser ihm Liegendes. Es ist vielmehr autoreferentiel beziehungsweise verweist auf das Ganze des geordneten Kosmos, dessen Schönheit es in verjüngtem Massstabe spiegelt, um sie dadurch dem in seiner sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkten Menschen erfahrbar zu machen. Zwei Grundsätze bilden die Basis dieser Theorie: Das werkästhetische Theorem des in sich selbst Vollendeten und das produktionsästhetische Theorem der bildenden Nachahmung des Schönen. Ersteres ist Gegenstand des Aufsatzes Versuch einer Vereinigung aller schönen Wissenschaften und Künste unter dem Begriff des in sich selbst Vollendeten aus dem Jahre 1785. Das Letztere wird in Moritz’ ästhetischer Hauptschrift Über die bildende Nachahmung des Schönen von 1788 entwickelt. Bei der bildenden Nachahmung handelt es sich im Grunde um die mimesistheoretische Forderung, das künstlerische Genie müsse nicht in seinem Werk die geschaffene, sondern in seinem Tun der schaffenden Natur als schöpferisches Prinzip nachahmen. Die Grundlage der Ästhetik Karl Philipp Moritz’ bildet das Theorem des in sich selbst Vollendeten (vgl. Schrimpf 1980, S. 94), welches sich bereits im Titel seines frühesten ästhetischen Traktats Versuch einer Vereinigung aller schönen Künste und Wissenschaften unter dem Begriff des in sich selbst Vollendeten von 1785 findet.162 Das Postulat des Kunstwerks als in sich selbst vollen-
162 Erschienen zunächst in: Berlinische Monatsschrift. Drittes Stück, März 1785, S. 225–236; dann in: GL unter dem Titel Über den Begriff des in sich selbst Vollendeten. Der ursprüngliche Titel ist Batteux's Les beaux arts réduits à un même principe von 1746 nachgebildet (vgl. Schrimpf 1980, S. 94).
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Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik
detes Objekt impliziert mit der Autonomisierung der Kunst und der damit verbundenen Abkehr von der Wirkungsästhetik Batteuxscher und Sulzerscher Prägung auch ein verändertes Verhältnis zwischen Werk und Betrachter. Charles Batteux hatte in seiner 1746 erschienenen Schrift Les beaux arts réduits à un même principe die Funktion der schönen Künste ausschliesslich im ästhetischen Gefallen angesiedelt und diese somit von den mechanischen Künsten unterschieden, deren Zweck in der Nützlichkeit liegt. Im Versuch stellt Moritz nun nicht das Vergnügen am Kunstwerk als solches in Frage,163 sondern versucht durch die Erfassung des Spezifischen des ästhetischen Vergnügens, im Unterschied zum Vergnügen an bloss nützlichen Dingen, das Schöne in seiner Eigenart zu erfassen. Gegen Batteux’s unterscheidender Zuteilung schöne Künste/Vergnügen und mechanische Künste/Nutzen wendet Moritz ein: „Nun aber finden wir sowohl Vergnügen am Schönen, als am Nützlichen: wie unterscheidet sich also das erstre vom letztern?“ (Versuch, S. 543). Das ästhetische Vergnügen wird nun durch seine Interessenlosigkeit gegenüber dem Vergnügen am Nützlichen qualitativ ausgezeichnet. Der nützliche, durch mechanische Kunst hergestellte Gegenstand, ein Messer etwa, bereitet dem Benutzer eben dadurch Vergnügen, dass er für ihn von Nutzen ist, findet seinen Endzweck damit in der Erfüllung einer heteronomen Funktion, der Befriedigung eines an ihn gestellten Benutzerinteresses und hat somit bloss einen extrinsischen Wert. Der nützliche Gegenstand besetzt die Stelle eines Mittels, dessen Zweck164 der Benutzer beziehungsweise die Beförderung seiner Vervollkommnung ist, und erreicht somit erst mit der Erfüllung dieses Zwecks seine Vollendetheit. Nicht so die schöne Kunst: Der schöne Gegenstand, ein Gemälde von Raffael etwa, trägt seinen Endzweck in sich selbst, er wird als etwas in sich selbst Vollendetes betrachtet, das also nicht Vergnügen dadurch bereitet, dass es seine causa finalis im Betrachter hat, sondern um seiner selbst willen Vergnügen gewährt. Das ästhetische Vergnügen ist damit feiner und seltner (vgl. Versuch, S. 543).165
163 Dies scheint Schrimpf nahezulegen, wenn er schreibt, der Versuch bestimme „das Kunstwerk als autonomes Gebilde, das aus dem Bereich dessen, was Nutzen und Vergnügen bewirken soll, als ein in sich ruhendes, auf eigenen Gesetzen gegründetes Ganzes ausgegrenzt ist“ (Schrimpf 1980, S. 94). 164 Die Vervollkommnung des Menschen wäre somit die causa finalis aller Gebrauchsgegenstände, während sie unmittelbar natürlich Gebrauchszwecke erfüllen, also etwa das Schneiden von Brot ermöglichen. 165 Das ästhetische Vergnügen ist ein „höheres und uneigennützigeres“ als dasjenige am bloss Nützlichen (Versuch, S. 543). Nach den vorangegangenen Ausführungen Moritz’ scheint die Verwendung des Komparativs in dieser Formulierung befremdlich, hat er doch gerade
Moritz’ kunsttheoretische Theoreme
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Das Verhältnis zwischen in sich selbst vollendetem Kunstwerk und Betrachter kann nun also nicht darin bestehen, dass Letzterer aus Ersterem irgend einen Nutzen, und sei es ästhetisches Vergnügen, zieht. Das ästhetische Vergnügen muss somit aus dem Kernbereich der ästhetischen Erfahrung ausgeschlossen beziehungsweise anders, nämlich als deren Begleiterscheinung gefasst werden. Da das Kunstwerk ganz in sich bestehen soll, kann es nicht final auf ein Vergnügen bezogen sein, sonst wäre es ja wieder von etwas ihm äusseren abhängig. Paradoxerweise ist das Kunstwerk nun aber in einer sehr existenziellen Weise doch von etwas ihm äusseren, nämlich dem Betrachter, abhängig. Denn wir bedürfen, wie Moritz ausführt, „des Schönen nicht so sehr, um dadurch ergötzt166 zu werden, als das Schöne unsrer bedarf, um erkannt167 zu werden “ (Versuch, S. 544; Herv. A. A.).168 Diese Aporie der Abhängigkeit des Unabhängigen hat die idealistische Ästhetik laut Wolfgang Kemp nie zu lösen vermocht (vgl. Kemp 1992, S. 14). Die Herabsetzung des ästhetischen Vergnügens vom Haupt- zum Rand- oder Nebeneffekt der ästhetischen Erfahrung scheint sowohl in der Struktur des Werkes als auch in der ästhetischen Einstellung des Rezipienten gegründet zu sein. Die Teile des in sich vollendeten Kunstwerks beziehen sich in ihrer Zweckmässigkeit auf sich und auf ihr Ensemble als Ganzes und zwar in einem Grad, der den Rezipienten vergessen lässt zu fragen „wozu nun eigentlich das Ganze soll“ (Versuch, S. 546). Das Kunstwerk verzichtet somit auf Effekthascherei die auf ein Rezipienten-
die Uneigennützigkeit als differentia specifica des ästhetischen Vergnügens hervorgehoben. Und im Anschluss an diese Überlegung könnte gefragt werden, ob der Formulierung nicht eine Implikation zugrunde liegt, nämlich: höher da uneigennütziger. Der Text gibt hierfür zwar vielleicht Veranlassung, jedoch keine Legitimation. Diese könnte aber allenfalls in der linearen Hierarchie der ethischen Begriffe edel/schön, gut, nützlich, die Moritz in Über die bildende Nachahmung des Schönen entwickelt, gefunden werden (Nachahmung, S. 552 ff.). Allerdings bringt Moritz in seiner 1786 erschienenen Schrift Das Edelste in der Natur das Edle in die Nähe des Nützlichen, indem er den Menschen als causa finalis der Natur bestimmt, ihn auffordert, sich als Zweck an sich zu verstehen und damit auch, in allen Dingen der Natur und der Kunst einen Nutzen zu suchen, nämlich die Vervollkommnung seiner selbst (vgl. Edelste). Dies steht natürlich auch im Gegensatz zum Theorem des In sich selbst Vollendeten. 166 Das Ergötzen entspricht dem ästhetischen Vergnügen und ist die Übersetzung des horazischen delectare. 167 In seiner ästhetischen Hauptschrift Über die bildende Nachahmung des Schönen (1788) wird Moritz festhalten, dass das Schöne nicht erkannt, sondern nur empfunden werden könne (vgl. Nachahmung, S. 564). Da epistemologische Unterscheidungen im Versuch aber noch nicht thematisch werden, muss dieser vermeintliche Widerspruch vielleicht nicht überbewertet werden. 168 Damit wird, was Moritz nicht explizit anmerkt, auch die Mittel/Zweck-Relation im Vergleich mit den nützlichen Gegenständen umgekehrt: Der Betrachter wird zum Mittel, der schöne Gegenstand zum Ziel.
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vergnügen abzweckt, verzichtet zugunsten der ästhetischen auf die Apellstruktur. Die ästhetische Erfahrung ergibt sich denn auch nicht daraus, dass der Rezipient den schönen Gegenstand auf sich bezieht, sondern dadurch dass er sich in Beziehung zum ästhetischen Objekt setzt (vgl. Versuch, S. 543). Hierbei verfällt er in ein „süsses Staunen“, in ein „angenehme[s] Vergessen [seiner] selbst“ (Versuch, S. 545). In dieser Selbstentäusserung, in dieser temporären Suspendierung seiner „empirischen Selbstheit“ (Fischer 1990, S. 259) erst empfindet das Subjekt Vergnügen. Darauf, dass hierzu aber auch von Subjektseite ein gewisses Engagement in Form einer geeigneten ästhetischen Einstellung gefordert ist, deutet der Hinweis Moritz’, wonach ein unvollkommenes Kunstwerk mit seinem „falschen Schimmer“ durchaus das „Auge des Pöbels“, nicht aber den „Blick des Weisen“ blenden könne (vgl. Versuch, S. 547).169 In seiner ästhetischen Hauptschrift (vgl. Schrimpf 1980, S. 94; Szondi 1974, S. 82, 90) Über die bildende Nachahmung des Schönen von 1788, die auch in Zusammenarbeit mit Goethe entstanden ist,170 formuliert Moritz das Autonomiekonzept der Kunst aus und entwickelt insbesondere die dazugehörige Produktions- und Rezeptionstheorie. Zunächst stellt Moritz noch einmal die Nutzlosigkeit als notwendiges Merkmal des Schönen heraus. In einer Reflexion über die ethischen Begriffe edel, gut und nützlich, wobei sich die ethische Kategorie des Edlen, verstanden als innere (Seelen)Schönheit, mit der ästhetischen des Schönen verschränkt, indem Letztere als äusserer Ausdruck der Ersteren verstanden wird (vgl. Nachahmung, S. 553, 554), zeigt Moritz, dass in einer zirkulären Darstellung der in ihrer moralischen Wertigkeit deszendenten Reihe edel/schön – gut – nützlich – unedel/hässlich – schlecht – unnütz der Begriff des Unnützen in unmittelbare Nachbarschaft des Edlen und Schönen tritt (vgl. Nachahmung, S. 556f.).171 Aufgrund der Beziehung des Schönen zum
169 Die Formulierungen „Auge des Pöbels“ und „Blick des Weisen“ deuten darüber hinaus an, dass neben der geeigneten ästhetischen Einstellung auch eine gewisse ästhetische Kompetenz gefragt ist: das Auge ist unvoreingenommen, der Blick hingegen stets gerichtet. 170 Der Umfang von Goethes Anteil an dieser Schrift ist, soweit ich sehe, nicht gesichert. Goethe selbst jedenfalls, der Moritz mitunter auch als seinen „jüngeren Bruder“ bezeichnet (Brief an Charlotte von Stein vom 14.12.1786. Vgl. Goethe 1968), schätzt seinen Anteil nicht gering ein, wenn er dem Auszug, den er in den Zweiten römischen Aufenthalt einfügt, die Bemerkung voranstellt: „[...] es [scil. das Heft, welches Moritz’ Schrift beinhaltet] war aus unsern Unterhaltungen hervorgegangen, welche Moritz nach seiner Art benutzt und ausgebildet“ (Goethe 1998, S. 534). 171 Das Schöne wird dadurch aber nicht in die Nähe des moralisch Verwerflichen gebracht, wie es die dargelegte Argumentation zunächst nahelegen könnte. Vielmehr tritt das Unnütze nur in seiner positiven Eigenschaft, nämlich keinen äusseren Nutzen zu haben, in den Bereich des Schönen, während dieses sich dadurch von der negativen Eigenschaft des Un-
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Unnützen kann Moritz nun den Begriff des Schönen ex negativo aus dem Begriff des Nützlichen ableiten (vgl. Nachahmung, S. 557). Etwas ist nützlich, wenn es als Teil einen Zweck für ein Ganzes erfüllt, das seinerseits nicht mehr zweckmässig sein muss. Daraus ergibt sich für Moritz, dass das Schöne, da es nicht nützlich sein soll, mit dem „Begriff von einem für sich bestehenden Ganzen unzertrennlich verknüpft ist“ (vgl. Nachahmung, S. 558). Das grösste, eigentlich einzige wahre Ganze und insofern auch das einzige Schöne, ist der Kosmos, das „grosse Ganze der Natur“ (vgl. Nachahmung, S. 560).172 Der Kosmos und damit das höchste Schöne sind der menschlichen Anschauung und Einbildungskraft nicht fasslich. Nach Moritz’ Metaphysik des Schönen, die sich der Kreis/MittelpunktMetapher bedient,173 tritt das künstlerisch Schöne in mittelbare Abhängigkeit des grossen Schönen der Natur und ist letztlich Teil desselben: „Denn dieser grosse Zusammenhang der Dinge ist doch eigentlich das einzige, wahre Ganze. Jedes einzelne Ganze in ihm, ist wegen der unauflöslichen Verkettung der Dinge, nur eingebildet – aber auch selbst dies Eingebildete muss sich dennoch, als Ganzes betrachtet, jenem grossen Ganzen in unserer Vorstellung ähnlich, und nach eben den ewigen, festen Regeln bilden, nach welchen dieses
nützen, nämlich der Zweckmässigkeit überhaupt zu entbehren, abgrenzt, dass es als in sich selbst Vollendetes eine innere Zweckmässigkeit besitzt (vgl. Nachahmung, S. 556). 172 „Das Einzige wahre in sich Vollendete, ist nur die ganze Natur als ein Werk des Schöpfers, der allein mit seinem Blick das Ganze umfasst, und den Zweck dieses grossen Gegenstandes in sich selbst zurückwälzt. In so fern also hier Zweck und Mittel zusammen gedrängt eins ausmachen, stellt sich das allerhöchste Schöne nur dem Auge Gottes dar“ (Schönheitslinie, S. 154). 173 Die Kreis/Mittelpunkt-Metapher nimmt in Moritz’ Denken eine zentrale Stelle ein. Wenn wir uns die Natur als Kreis vorstellen, so ist uns dessen Krümmung aufgrund seiner unermesslichen Grösse „fast unmerkbar“ (Schönheitslinie, S. 154) und wir glauben nichts als gerade Linien wahrzunehmen. Wir sind nicht in der Lage einen so grossen Teil des Zirkels zu überschauen, dass wir den Eindruck einer Krümmung bekämen, „wir müssen diese Krümmungen nur ahnden, nur errathen“ (Schönheitslinie, S. 154). Der eingeschränkte Verstand des Menschen, auf diskursives Vorgehen angewiesen, erkennt nur gerade Linien, wo in Wahrheit gewölbte Linien zugrunde liegen. Gerade Linien stehen bei Moritz für zweckgerichtete Orientierung, er nennt sie auch Wahrheitslinien, gekrümmte Linien hingegen stehen für Schönheit, für innere Zweckmässigkeit, er nennt sie auch Schönheitslinien. Der Künstler kann nun zwar nicht den grossen, die Natur darstellenden Kreis in seiner Ganzheit darstellen, aber er kann eine Biegung in die ihm wahrnehmbaren geraden Linien bringen. Die Kreismetapher dient Moritz aber nicht nur zur Veranschaulichung seiner Kunstphilosophie, vielmehr bedient er sich ihrer auch in anthropologischem Kontext und als hermeneutisches Prinzip in der Interpretation von Werken der bildenden und literarischen Kunst. Hier versucht Moritz den Mittelpunkt eines Werkes auszumachen, als das organisierende Zentrum, von dem aus sich ein Werk, wiederum als Kreis vorgestellt, gleichmässig überblicken lässt (vgl. Schönheitslinie und Schrimpf 1980, S. 95ff.).
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sich von allen Seiten auf seinen Mittelpunkt stützt, und auf seinem eigenen Dasein ruht.“ (Nachahmung, S. 560; kursiv im Orig.) „Jedes schöne Ganze aus der Hand des bildenden Künstlers, ist daher im Kleinen ein Abdruck des höchsten Schönen im grossen Ganzen der Natur, welche das noch mittelbar durch die bildende Hand des Künstlers nacherschafft, was unmittelbar nicht in ihren Plan gehörte.“ (Nachahmung, S. 560; kursiv im Orig.)
Damit gelangt Moritz zur Bestimmung seines Nachahmungsbegriffes. Schon zu Beginn der Schrift wurde dazu Grundlegendes festgestellt. Während es sich bei der moralischen Nachahmung des Edlen um ein „Nachstreben“, um ein „Wetteifern“ (vgl. Nachahmung, S. 551) mit der inneren Seelenschönheit des nachgeahmten Menschen handelt, bezieht sich die Nachahmung des Schönen auf den äusseren Ausdruck dieses inneren, moralischen Schönen: „Der bildende Künstler kann z.B. die innre Seelenschönheit eines Mannes, den er sich in seinem Wandel zum Vorbilde nimmt, ihm nachahmend in sich übertragen. Wenn aber eben dieser Künstler sich gedrungen fühlte, die innre Seelenschönheit seines Vorbildes, insofern sie sich in dessen Gesichtszügen abdrückt, nachzuahmen: so müsste er seinen Begriff davon notwendig aus sich herauszubilden und ausser sich darzustellen suchen; indem er nämlich diese Gesichtszüge nicht geradezu nachbildete, sondern sie gleichsam nur zu Hülfe nähme, um die in sich empfundne Seelenschönheit eines fremden Wesens auch ausser sich wieder darzustellen. Die eigentliche Nachahmung des Schönen unterscheidet sich also zuerst von der moralischen Nachahmung des Guten und Edlen dadurch, dass sie, ihrer Natur nach, streben muss, nicht, wie diese, in sich hinein, sondern aus sich heraus zu bilden.“ (Nachahmung, S. 554)
Damit ist bereits gesagt, was Moritz mit seiner Begriffsschöpfung (vgl. Stern 1994, S. 25) der bildenden Nachahmung des Schönen meint: Als ein Aus-sich-Herausbilden handelt es sich um eine schöpferische Nachahmung (vgl. Schrimpf 1980, S. 94), eher um ein Produzieren als ein Reproduzieren (vgl. Szondi 1974, S. 93), um poiesis eher als um mimesis. Der Künstler soll nicht die Natur, sondern, mittels seiner Schöpfungskraft, der Natur nachahmen: „Wem [...] von der Natur selbst, der Sinn für Schöpfungskraft in sein ganzes Wesen, und das Mass des Schönen in Aug’ und Seele gedrückt ward, der begnügt sich nicht, sie anzuschauen; er muss ihr nachahmen, ihr nachstreben, in ihrer geheimen Werkstatt sie belauschen, und mit der lodernden Flamm’ im Busen bilden und schaffen, so wie sie:–“ (Nachahmung, S. 560; Herv. A. A.)
In dieser emphatischen Passage ist mehreres angesprochen: der Geniegedanke des Sturm und Drang, die Vorstellung des second maker und vor allem die Schöpfungskraft, die das Künstlergenie geradezu zur Produktion zwingt. Hier klingt das moritzsche Konzept der Tatkraft an, einer univer-
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sellen Energie, welche sowohl die künstlerisch-produktive Bildungskraft, als auch die rezeptive Empfindungskraft als ästhetische Aspekte in sich begreift. Tatkraft meint nichts weniger als „die Urkraft der Schöpfung, die sich durch alle Bereiche der Wirklichkeit fortsetzt“ (Schrimpf 1980, S. 102).174 Die Tatkraft besteht im Menschen neben, oder über dessen „vorstellenden Kräften“ – Einbildungskraft und Denkkraft –, die den Kognitionsapparat ausmachen, ist also eine nicht-vorstellende Kraft. Sie begreift in sich die Bildungskraft und die Empfindungskraft, die je nach Individuum von unterschiedlicher Intensität sind. Während die vorstellenden Kräfte diskursiv verfahren (die Denkkraft unterordnend und unterscheidend im Urteil, die Einbildungskraft nebeneinanderstellend und darstellend in der Vorstellung), verfährt die Tatkraft offenbar intuitiv und wird so für Moritz zur Instanz, die das grosse, diskursiv nicht einsehbare Ganze der Natur erfassen, oder zumindest dunkel erahnen kann. Sie ist damit der Ort, wo der diskursive Weg der Vorstellungs- und Begriffsbildung ihren Anfang nimmt und auch die Produktion von Werken der Kunst. Das Künstlergenie zeichnet sich durch eine fein gewobene Organisation175 aus, die es den Kosmos in seinem ganzen Umfang erahnen lässt. Der Künstler fühlt sich anschliessend gedrängt, dass Erahnte den vorstellenden Kräften seines Gemüts zugänglich zu machen und so ein schönes Ganzes in verkleinertem Massstab, ein Werk der Kunst, zu verfertigen. Ausführendes Vermögen hierzu ist die Bildungskraft. Moritz spricht dem Bilden an sich einen grösseren Wert zu als dessen Produkt, dem fertigen Kunstwerk. Der Primat des Bildens gründet in der ihm ursprünglichen intuitiven Erfahrung des Allganzen. Ihr gegenüber sind das Abbild und seine Erfahrung in der Rezeption eingeschränkt, da sie unter den Bedingungen des endlichen Bewusstseins stehen. Nur das Genie kann, aufgrund seiner besonderen Organisation, das Allganze aufnehmen. Wer kein Genie ist, kann auch nicht künstlerisch produzieren. Ihm bleibt die Empfindungsfähigkeit für das Schöne, der Geschmack. Durch den Geschmack kann aber das höchste Schöne nicht allumfänglich geschaut werden. Dies ist allein dem Genie vorbehalten. Die ästhetische Erfahrung ist für Moritz also immer schon defizient.
174 Sie ist damit mit der Monadenlehre Leibniz’, der vis activa in der Bestimmung der Substanz als Kraft verwandt, von wo sie sich nach Thomas P. Saine (1971) auch herleitet. 175 Die Organisation bezeichnet die Verfasstheit des „Organs“, von welchem Moritz schreibt, dass es von der Tatkraft, über die Denkkraft, die Einbildungskraft (Vorstellungskraft) zur Anschauung immer „lebhafter spiegelnd“ werde (vgl. Nachahmung, S. 562). Was genau Moritz unter dem „Organ“ verstehen will, bleibt in seinem Text eher dunkel. Niewöhner vermutet, dass der Begriff „Organ“ die Tatkraft, Denkkraft, Einbildungskraft und die Sinnlichkeit unter sich fasst (vgl. Niewöhner 1991, S. 92).
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Noch entschiedener als in Über die bildende Nachahmung des Schönen behandelt Moritz die Kunstautonomie in seiner 1788 erschienenen Schrift Die Signatur des Schönen176, indem er hier die sich aus der Kunstautonomie ergebende Problematik des diskursiven Transfers in den Mittelpunkt rückt (vgl. Pfotenhauer 1991, S. 67). Genauso wie das schöne Kunstwerk dadurch schön ist, dass es seine Zwecke in sich selber hat, also autonom ist, bezieht es sich auch in seiner Bezeichnungsfunktion nicht auf etwas ausser ihm liegendes, sondern auf sich selbst. Denn das Schöne kann „nie anders als durch sich selbst bezeichnet werden [...]; weil es eben da erst seinen Anfang nimmt, wo die Sache mit ihrer Bezeichnung eins wird“ (Signatur, S. 585). Dem ästhetischen Objekt als autonomem wird so also neben einem pragmatischen auch ein semantischer Sonderstatus zugesprochen. Im grossen Ganzen der Natur als höchstem Schönen sowie in dessen „verjüngter“177 Nachahmung, werden Bedeutendes und Bedeutetes in eine Einheit verschmolzen. Das schöne Kunstwerk bezieht sich in seiner semantischen Dimension nicht auf etwas ausser im Liegendes, sondern lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich selbst als Zeichen. „Denn darin besteht ja eben das Wesen des Schönen“, so erklärt Moritz, „ dass ein Teil immer durch den andern und das Ganze durch sich selber, redend und bedeutend wird – dass es sich selbst erklärt – sich durch sich selbst beschreibt – und also ausser dem bloss andeutenden Fingerzeige auf den Inhalt, keiner weitern Erklärung und Beschreibung mehr bedarf“ (Signatur, S. 581). Das heisst, dass die beste Beschreibung eines Kunstwerkes dieses Kunstwerk selbst ist, womit die sprachliche Beschreibung, als ihrem Gegenstand prinzipiell inadäquat, wegfällt und das Kunstwerk als autonomes Ganzes alleine übrigbleibt. „[D]ie Werke der bildenden Künste“, so schreibt Moritz, „[sind] selbst schon die vollkommenste Beschreibung ihrer selbst [...], welche nicht noch einmal wieder beschrieben werden kann“ (Signatur, S. 587). Dies hat nun auch medial bedingte Gründe: „[D]ie Beschreibung durch Konturen ist [...] an sich selbst schon bedeutender und bestimmter, als jede Beschreibung durch Worte. Umrisse vereinigen, Worte können nur auseinander sondern [...]“ (Signatur, S. 588).
Ist damit definitiv die prinzipielle verbale Unbeschreibbarkeit von Werken der bildenden Kunst behauptet oder kann die Sprache gleichwohl eine gewisse beschreibende Leistung erbringen?
176 Der Aufsatz erschien 1788 unter dem Titel In wie fern Kunstwerke beschrieben werden können? in der Monatsschrift der Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften zu Berlin und unter dem Titel Die Signatur des Schönen 1793 in GL, hier allerdings gekürzt. 177 Moritz verwendet den Ausdruck verjüngt in zwei Bedeutungen: einer räumlichen und einer zeitlichen. Hier ist die räumliche Bedeutung aktuell (vgl. dazu Niewöhner 1991, S. 98 f.).
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Wie bereits bemerkt, kann, oder gegebenenfalls muss, die Sprache einen „bloss andeutenden Fingerzeig [...] auf den Inhalt“ (Signatur, S. 581) geben. Darüber hinaus muss sich die Beschreibung durch Worte aber damit „begnügen, das bloss anzudeuten, was durch sein Dasein mehr als Worte sagt“ (Signatur, S. 580). Damit wendet sich Moritz nach Pfotenhauer gegen die rubrikenschematische Beschreibung von Kunst und fordert die Beachtung der Individualität eines Kunstwerks. Diese muss durch strukturbedachte Analyse des Werkaufbaus gewürdigt werden. Eine „Welt von Verhältnissen“ (Signatur, S. 585) muss nacheinander ins Bewusstsein gerufen werden, ehe sich der Analyse das begreifend erschliesst, was vor unserem Auge auf einmal da steht (vgl. Pfotenhauer 1991, S. 72). Wenn die Sprache aber das Schöne im Kunstwerk adäquat beschreiben und damit erfassen will, das ja allein durch sich selbst bezeichnet und beschrieben werden kann, dann muss sie selbst zum Schönen, zur Poesie werden: „Denn die Poesie beschreibt das Schöne der bildenden Künste, indem sie dieselben Verhältnisse mit Worten umfasst, welche in der bildenden Kunst durch Umrisse bezeichnet werden“ (Grundlinien, S. 591).
Werke der bildenden und der literarischen Kunst können so schliesslich dieselbe Leistung erbringen, indem sie im Subjekt strukturell übereinstimmende zeichenhafte Eindrücke hinterlassen (vgl. Trautwein 1997, S. 292). Die „mit jedem Worte erweckten und nie ganz wieder verlöschenden Bilder“, so formuliert Moritz, „[lassen] zuletzt eine Spur auf dem Grunde der Einbildungskraft [zurück], die mit ihrem vollendeten Umriss dasselbe Schöne umschreibt, welches von der Hand des bildenden Künstlers dargestellt, auf einmal vors Auge tritt“ (Signatur, S. 584). Daraus zieht Moritz nun den bereits angesprochenen Schluss: „Bei der Beschreibung des Schönen durch Worte, müssen also die Worte, mit der Spur, die sie in der Einbildungskraft zurücklassen, zusammengenommen, selbst das Schöne sein“ (Signatur, S. 585).
Somit sind die „echten Werke der Dichtkunst [...] auch die einzige wahre Beschreibung durch Worte von dem Schönen in den Werken der bildenden Kunst [...]“ (Signatur, S. 585). Winckelmanns Apollo-Beschreibung kritisierend beendet Moritz schliesslich seinen Aufsatz über die Signatur des Schönen, indem er noch einmal sein Theorem des Schönen als in sich selbst Vollendetem Ganzen herausstreicht und die Anforderung an dessen Beschreibung festlegt: „Wenn über Werke der bildenden Künste, und überhaupt über Kunstwerke etwas Würdiges gesagt werden soll, so muss es keine blosse Beschreibung derselben nach ihren einzelnen Teilen sein, sondern es muss uns einen nähern Aufschluss über das Ganze und die Notwendigkeit seiner Teile geben.“ (Signatur, S. 588; Herv. im Orig.)
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Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik
3.2
Sprache und bildende Kunst als Abbilder der Wirklichkeit
Die Sprache als Objekte der Sprachwissenschaft und Werke der bildenden Kunst178 als Objekte der Ästhetik sind bei Moritz grundsätzlich insofern vergleichbar, als er sie als Zeichensysteme analysiert, durch die der Mensch sich seiner Erfahrungswelt bemächtigt beziehungsweise sich auf diese bezieht. Im zweiten Teil der Revision des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde (MzE, IV, 2. [1786]) erscheinen Sprache und Kunst in unmittelbarer Nachbarschaft. Moritz rekapituliert hier seine Arbeit mit dem fünfzehnjährigen Taubstummen Karl Friedrich Mertens, den er um Ostern 1782179 aus der Berliner Charité zu sich nach Hause holte, um ihn zu unterrichten, vornehmlich aber zu beobachten (vgl. MzE, I, 1 [1783]).180 Der Taubstumme gehörte wie der Blinde und die Statue zu den bevorzugten Modellen erkenntistheoretischer Spekulation des 18. Jahrhunderts. Die Untersuchung des Erkenntnisprozesses unter der Bedingung des realen beziehungsweise konzeptionellen Mangels eines oder mehrerer Sinne versprach Lösungsansätze für das alte, aber mit John Lockes Essay concerning human understanding (1690) für das 18. Jahrhundert virulent gewordene und für die „Umwandlung der Metaphysik in eine ‚genetische Epistemologie‘“ (Proß 1987, S. 1134)181 zentrale Problem einer Erklärung des Übergangs von den Sinneseindrücken in „formalisierbare Reflexion“ (Proß, 1987, S. 1136). Die aus den drei Modellen abgeleiteten Ergebnisse unterscheiden sich natürlich grundsätzlich in ihrer empirischen Überprüfbarkeit. Während die beiden ersten Modelle dem Fortschritt in der Medi-
178 Gemeint sind hier Gemälde, die nach Herders Plastik (1778) mit dem Gesichtssinn wahrgenommen werden. Der Tastsinn, mit dem man nach Herder Plastiken wahrnimmt, kommt bei Moritz nirgends vor. 179 Meier datiert die Beobachtung Mertens irrtümlich auf das Jahr 1783 (vgl. Meier 2000, S. 114f.), was sich wohl aus einer Ungenauigkeit in Moritz’ eigenen Angaben ableitet: „An Ostern dieses Jahres“, so schreibt Moritz am Beginn seines ersten Taubstummenaufsatzes, „machte ich wirklich einen solchen Versuch mit einem taubstummen Knaben von funfzehn Jahren“ (Mze, Bd. I (1783), 1. St., S. 39). Gegen Ende desselben Textes (Mze, Bd. I (1783), 1. St., S. 42) bemerkt er dann aber, er habe die Beobachtungen auf Grund einer an Pfingsten angetretenen Reise unterbrechen müssen. Dabei handelt sich um die Englandreise vom Mai/ Juni 1782. 180 Zur Taubstummendiskussion im 18. Jahrhundert vgl. Gessinger 1989. 181 Zu Georges Gusdorfs Begriff der „épistémologie génétique“ vgl. Proß 1987, S. 1134, Anm. 17.
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zin und der Taubstummenpädagogik einiges verdankten,182 dürfte für die Konjunktur der Statue gerade ihre poetische Verwertbarkeit verantwortlich gewesen sein. Die Diskussion des 18. Jahrhunderts um die Taubstummen bewegt sich im Spannungsfeld zwischen der anthropologischen Bestimmung des Menschen in der Abgrenzung vom Tier, der damit zusammenhängenden Frage nach der Genese des Wissens – insbesondere nach dem Ursprung der Sprache183 – und den konkurrierenden oralistischen beziehungsweise manualistischen Theorien des Taubstummenunterrichts, von ihren Anfängen im 16. Jahrhundert bei Pedro Ponce de León über Johann Konrad Amman, Jacob Rodrigues Pereira, Abbé de l’Epée, Samuel Heinicke bis zu Abbé Sicard und Jean Itard am Beginn des 19. Jahrhunderts. Mit der Taubstummenpädagogik verbunden sind die physiologischen und anatomischen sowie physikalischen Forschungen über die menschliche Lautproduktion von Denis Dodart über Antoine Ferrein und Haller bis zu Félix Vicq d’Azyr (vgl. Gessinger 1994). Auch Moritz’ Beschäftigung mit dem Taubstummenproblem bewegt sich in diesem Spannungsfeld. In der Deutschen Sprachlehre für die Damen (1782) führt er den Taubstummen dem herrschenden Diskurs gemäss als negativen Beweis für die konstitutive Verbindung zwischen Wortsprache und begrifflichem Denken ein: „Allein was wären alle Gegenstände ausser uns, ohne die Gedanken in uns? Und was wären wiederum alle Gedanken, ohne die Worte, wodurch wir dieselben unterscheiden? Das Wort ist der Seele so nöthig, um zu denken, wie die Gestalt und Farbe, dem Auge, um zu sehn, und der Schall dem Ohre, um zu hören. Dieß bestätigt sich wirklich dadurch, daß die Taub- und Stummgebohrnen, wenn sie ihr Gehör wieder erhalten, erst durch die Sprache Begriffe bekommen, und sich von ihrem vorigen Zustande, in welchem es ihnen, wegen Mangel des Gehörs, an der Sprache fehlte, nichts erinnern können.“ (DS, S. 15)
Moritz hat dieses Zeilen vor seiner eingehenden Beschäftigung mit dem Thema, also vor der Beobachtung des Taubstummen Karl Friedrich Mertens geschrieben. Das hier Gesagte stammt nicht aus Moritz’ eigener Anschauung, sondern ist angelesen.184 Dies wird auch daraus deutlich, dass er
182 Wobei man die teilweise eigenwilligen Interpretationen der empirischen Daten sowie die mangelnden wissenschaftlichen Standards der Experimente berücksichtigen muss. Vgl. hierzu für das Molyneuxproblem Davis 1960, S. 399, 407. 183 Diese beiden Untersuchungsfelder treffen sich in ihrem Interesse für die sogenannten wilden Kinder, vom Taubstummen von Chartres bis zu Victor von Aveyron, welche eine empirische Basis für die Naturzustandshypothesen zu geben versprechen. 184 Gessinger zitiert eine entsprechende Stelle von Christian Wolff (vgl. Gessinger 1994, S. 9, Anm. 15).
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die Stelle in der zweiten Ausgabe der Deutschen Sprachlehre von 1791 seinem in der Zwischenzeit erreichten Wissensstand anpasst: „Dies bestätigt sich wirklich dadurch, daß die Taub- und Stummgebornen, wenn sie ihr Gehör erhalten, erst durch die Sprache deutliche Begriffe bekommen, und sich von ihrem vorigen Zustande, in welchem es ihnen, wegen Mangel des Gehörs, an der Sprache fehlte, nichts deutlich erinnern können.“ (DS 21791, S. 7; Herv. A. A.)
Das Interesse, das Moritz zu seiner Taubstummenbeobachtung führt, ist primär ein anthropologisches beziehungsweise moralphilosophisches. Noch im 17. Jahrhundert hatte man den Taubstummen angesichts ihrer fehlenden Sprachfähigkeit kaum einen Status über den Tieren zugesprochen. In den Mémoires der Pariser Académie des Sciences von 1703 hatte Fontenelle einen Bericht des Sekretärs der Académie des Inscriptions, Jean-François Félibien, besprochen, wonach ein Taubstummer in Chartres sein Gehör und seine Sprache wieder gefunden habe. Befragungen hätten aber ergeben, dass der Mann, trotz katholischer Erziehung, keine religiösen Begriffe gehabt habe. Fontenelle schreibt: „Il menoit une vie purement animale, tout occupé des objets sensibles & presens, & du peu d’idées qu’il recevoit par les yeux. Il ne tiroit pas même de la comparaison de ces idées tout ce qu’il semble qu’il en auroit pû tirer. Ce n’est pas qu’il n’eût naturellement de l’esprit, mais l’esprit d’un homme privé du |5| commerce des autres est si peu exercé, & si peut cultivé, qu’il ne pense qu’autant qu’il y est indispensablement forcé par les objets exterieurs.“ (Mémoires de l‘Académie des Sciences, 1703, S. 19; zit. nach Gessinger 1994, S. 4f.)
Die Vorstellung, dass ein Mensch auf Grund eines unverschuldeten Mangels nothwendig leiden müsste, ja dass er sogar aus dem Kreise der Menschheit verbannt werden sollte, ist für Moritz skandalös, da sie das „aufklärerische Elementarvertrauen auf einen wohlwollenden Schöpfer“ (Meier 2000, S. 114) gefährdet. Im erstmals 1786 in den Denkwürdigkeiten erschienen Aufsatz Das menschliche Elend hält er fest: „Ich fühle, daß es mir unerträglich seyn würde, in einer Welt zu leben, worin irgend ein denkendes und empfindendes Wesen wirklich und nothwendig unglücklich wäre – denn ich kann der Neigung nicht widerstehen, mich an die Stelle desselben zu setzen, an welche mich der Zufall der Geburt hätte setzen können, dem ich nicht zu gebieten vermochte.“ (Schriften, S. 27; Herv. im Orig.)185
Und im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde wendet er diese Überzeugung auf den konkreten Fall der Taubstummen an:
185 Der Aufsatz erschien zunächst in DW (1. Vj, 1786) dann in GL und LP.
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„In dieser Rücksicht sind also sorgfältige Beobachtungen über Taubstumme gewiß von sehr großem Werth – und sind für den Denker sogar zu dessen Beruhigung nöthig – dieser kann sich nicht enthalten, sich allemal in die Stelle des unglücklichsten unter seinen Mitgeschöpfen zu setzen; und würde sich seiner eignen Vorzüge nicht wohl freuen können, sobald er glauben müßte, daß irgend eines seiner Nebengeschöpfe eigentlich vernachlässiget wäre – denn er betrachtet die Sache derselben, als seine eigne Sache. – Es liegt ihm daran, daß auch ein Taub- und Stummgebohrner das edle Vergnügen des Denkens genieße, worauf derselbe sowohl als irgend ein andres Wesen seiner Art gerechte Ansprüche machen kann. Schrecklich wäre der Zufall der Geburt, wenn ein Taub- und Stummgebohrner nie vernünftig denken könnte. – Mein Selbstgefühl schaudert vor diesem Gedanken, wie vor dem Rande eines Abgrundes zurück. – Mir schwindelt vor dieser |7| fürchterlichen Nähe des Zufalls, dem ich durch nichts hätte ausweichen können – ich fühle mich taub- und stummgebohren – und sollte nie vernünftig denken – ein Ich ohne Ichheit – ein Wesen ohne Zweck – ein wandelnder Traum seyn? – Kömmt nicht durch das vernünftige Denken erst Plan und Zweck in mein ganzes Leben? – würde ohne diese Eigenschaft mir nicht mein Daseyn selbst eine Marter seyn? und ist es mir nicht eine Marter gewesen, so oft ich meine ganze Denkkraft nicht wirken, und durch sie die Nebel, welche meinen Geist umhüllten, zerstreuen ließ? – Wie unsicher stände es denn um meine eigne Menschheit, wenn es Taubstumme gäbe, die wirklich wegen Mangel der Sprache nur halb Mensch und halb Thier wären, und dieß nun einmal nothwendig seyn müßten!“ (MzE IV, 2 [1786], S. 6f.)
Unter diesen Voraussetzungen verwundert es auch nicht, dass die Beiträge zur Taubstummenthematik des Magazins nicht, wie etwa der Bericht über den bis auf die Worte „Gack, Gack“ offenbar ebenfalls sprachlosen „blödsinnigen“ Gottfried Friese (MzE I, 1 [1783], S. 4–6), unter der Rubrik Seelenkrankheitskunde, sondern unter Seelennaturkunde erscheinen. Wenn das vernünftige Denken das Unterscheidungskriterium zwischen Mensch und Tier ist, muss Moritz, um die Menschenwürde des Taubstummen zu sichern, zeigen, „wie weit der Mensch es auch ohne artikulirte Töne in der Verbindung und vernunftmäßigen Zusammenstellung seiner Ideen bringen könne“ (MzE, IV, 2. [1786], S. 1). Von der Untersuchung der in dieser Hinsicht „besondre[n] Denkart der Taub- und Stummgebohrnen“ verspricht sich Moritz schliesslich auch „große Aufschlüsse in Ansehung der menschlichen Denkkraft überhaupt“ (MzE, IV, 2. [1786], S. 1). Denn diese Untersuchung vermag eben zu zeigen, „daß nicht die Sprache, gleichsam ein zufälliger Fund des Menschen sey, wodurch er sich vom Thier unterscheidet, sondern daß seine Denkkraft an und für sich selbst ihn schon vom Thier unterscheidet, indem sie sich selbst unter dem
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Mangel artikulirter Töne, so wie bei dem Taubstummen, empor arbeitet, und sich eine Sprache schaft, sie mag auch die Materialien dazu nehmen, woher sie wolle. –“ (MzE, IV, 2. [1786], S. 1)
Moritz spricht in der Folge dem Gesichtssinn die Zuständigkeit für die Wahrnehmung von räumlich Gegebenem, dem Gehör aber, das dem Taubstummen ja fehlt, die Zuständigkeit für die Wahrnehmung von sich in zeitlicher Abfolge Ereignendem zu. Der Gesichtssinn verankere den Wahrnehmenden daher in der Gegenwart während der Gehörsinn für die Bildung der Vorstellungen von Vergangenem und Zukünftigem verantwortlich sei (MzE, IV, 2. [1786], S. 2–5):186 „Wie groß aber dieser Mangel sey, läßt sich schon aus der Betrachtung abnehmen, daß durch das Ohr in eben der Zeit die vergangne oder entfernte Welt vor die Seele gebracht werden kann, in welcher die gegenwärtige sichtbare Welt ihr durch das Auge dargestellt wird. – Ohne daß meine Vorstellung von den vier Wänden und den Fenstern meines Zimmers, welche jetzt mein wirkliches Daseyn einschließen, nur |3| im mindesten unterbrochen oder gestört wird – kann ich einer Erzählung von Bergen, Thälern, reißenden Strömen, Seetreffen und Schlachten zuhören, dabei bleiben aber meine Ideen in ihrer Ordnung. – Durch das Auge, in welchem sich nichts als die vier Wände und die Fenster meiner Stube darstellen, werde ich auf den gegenwärtigen Fleck meines Daseyns fixirt – und kann nun meine übrigen Vorstellungen sicher über Meer, Berg' und Thäler umherschweifen lassen – es steht jeden Augenblick in meiner Macht, sie auf den gegenwärtigen Fleck wieder zurückzurufen. –“ (MzE, IV, 2. [1786], S. 1)
Diese Vermögen des visuellen und akustischen Sinnes veranschaulicht Moritz anschliessend mit der folgenden, von der Forschung bislang nicht genügend gewürdigten,187 auf den ersten Blick mit ihrer Verbindung von kunst-, sprach- und erkenntnistheoretischen Aspekten aber auch etwas verwirrenden Analogiekette: „[…] durch das Auge wird die Nebeneinanderstellung, durch das Ohr die Succession der Ideen bewirkt. Auge – Ohr Mahlerei – Musik – Nebeneinanderstellung – Succession –
186 Ein Befund, der mit dem empirischen Beispiel des Taubstummen von Chartres übereinstimmt. Gessinger weist darauf hin, dass der Bericht aus den Mémoires der Pariser Académie des Sciences „die Debatte nachhaltig strukturiert“ habe (Gessinger 1989, S. 367). 187 Vgl. etwa Pustejovsky (1989), der die unmittelbaren historischen Quellen aber nicht nennt und Moritz deshalb zu viel Originalität zuspricht.
Sprache und bildende Kunst als Abbilder der Wirklichkeit
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Die schönen Künste sind ein Abdruck der Natur im verjüngten Maaßstabe – Die ganze äußre Welt sowohl als unsre innre Ideenwelt zerfällt in Mahlerei und Musik – Bild und Wort – Sache und Rede. –“ (MzE, IV, 2. [1786], S. 4)
Das Einfügen der beiden Kunstgattungen Malerei und Musik in die Analogiekette erscheint hier und im Zusammenhang mit der Taubstummenproblematik, die letztendlich erkenntistheoretische beziehungsweise kognitionspsychologische Überlegungen illustrieren soll, zunächst sicher unmotiviert. Malerei und Musik vermögen aber durch die ihnen eigenen Dimensionen der Zeichendistribution die unterschiedlichen physiologischen Wahrnehmungsleistungen der beiden Sinne in kontrollier- da überschaubaren Anordnungen zu illustrieren. Moritz bezieht sich in dieser Zusammenstellung natürlich auf das Ut-pictura-poesis-Problem, das im 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit ästhetischen aber eben auch erkenntnistheoretischen Fragen diskutiert wurde. An die Stelle der Poesie, um deren Verhältnis zur Malerei es beim Ut-pictura-poesis-Problem ja geht, setzt Moritz nun aber die Musik. Diese Zuordnung der Malerei zum Auge und der Musik zum Ohr, deren Erklärung aus den Wahrnehmungsmodalitäten Nebeneinanderstellung und Sukzession sowie die ontologische und psychologische Verortung dieser beiden Dimensionen (Raum und Zeit) hat er in Herders Plastik (1778) finden können. Herder schreibt dort: „Einen Sinn haben wir, der Teile außer sich neben einander, einen andern, der sie nach einander, einen dritten, der sie in einander erfasset. Gesicht, Gehör und Gefühl. Teile neben einander geben eine Fläche: Teile nach einander am reinsten und einfachsten sind Töne. Teile auf einmal in- neben- beieinander, Körper oder Formen. Es gibt also in uns einen Sinn für Flächen, Töne, Formen, und wenns dabei aufs |477| Schöne ankommt, drei Sinne für drei Gattungen der Schönheit, die unterschieden sein müssen, wie Fläche, Ton, Körper. Und wenns Künste gibt, wo jede in Einer dieser Gattungen arbeitet, so kennen wir auch ihr Gebiet von außen und innen, Fläche, Ton, Körper, wie Gesicht, Gehör, Gefühl. Das sind sodann Grenzen, die ihnen die Natur anwies und keine Verabredung; die also auch keine Verabredung ändern kann, oder die Natur rächet. Eine Tonkunst, die malen, und eine Malerei die tönen, und ein Bildnerei die färben, und eine Schilderei die in Stein hauen will, sind lauter Abarten, ohne oder mit falscher Würkung. Und alle Drei verhalten sich zu einander, als Fläche, Ton, Körper, oder wie Raum, Zeit und Kraft, die drei größten Medien der allweiten Schöpfung, mit denen sie alles fasset, alles umschränket.“ (Herder 1987 [1778], S. 476f.; Herv. im Orig.)188
188 In Herders Viertem kritischen Wäldchen, das die Vorlage für diese Stelle enthält, unterscheidet er die „drei Künste des Schönen“ in einer Formulierung, welche die Kunstgattungen Malerei, Musik und Bildhauerei im Text direkter an die Sinne anbindet: „Eine, bei der das Hauptobjekt Schönheit ist, so fern sie der Raum enthält, so fern sie sich auf Flächen spie-
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Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik
Die Separation der Kunstgattungen auf der Grundlage ihrer medialen Darstellungsmöglichkeiten hat ihre berühmteste Formulierung natürlich in Lessings Laokoon (1766) gefunden, wurde aber bereits von Diderot in seiner Lettre sur les sourds et les muets (1751) und von Mendelssohn in seinen Betrachtungen über die Quellen und die Verbindungen der schönen Künste und Wissenschaften (1757)189 (Mendelssohn 1971 [1757], S. 165–190) vorgenommen.190 Herder geht nach Wolfgang Proß aber aus von einer Stelle in James Harris’ Three Treatises von 1744, die einen Dialog über die Kunst, eine Abhandlung über Musik, Malerei und Dichtkunst sowie einen Dialog über die Glückseligkeit enthalten (vgl. Proß 1987, S. 875). Im Discourse on Music, Painting, and Poetry untersucht Harris die Unterschiede zwischen den im Titel genannten Kunstgattungen. Die von Proß angeführte Stelle lautet: „THE Subjects of Poetry, to which the Genius of Painting is not adapted, are – all Actions, whose Whole is of so lengthened a Duration, that no point of Time, in any Part of that Whole, can be given fit for Painting; neither in its Beginning, which will teach what is Subsequent; nor in its End, which will teach what is Previous; nor in its Middle, which will declare both the Previous and the Subsequent. – Also all Subjects so framed, as to lay open the internal Constitution of Man, and give us an Insight into Characters, Manners, Passions and Sentiments.“ (Harris 2003 [1744], S. 50; Herv. im Orig.)
Die Stelle kann ergänzt werden um eine Passage aus dem ersten Kapitel der Abhandlung, in der Harris die Künste unterscheidet nach den Sinnesorganen, durch die der Mensch sie wahrnehmen kann. Die Malerei ist dem Auge, die Musik (und die Poesie) dem Ohr zugeordnet: „PAINTING, having the Eye for its Organ, cannot be conceived to imitate, but thro’ the Media of visible Objects. And farther, its Mode of imitating being always motionless, there must be substracted from these the Medium of Motion. It remains then, that Colour and Figure are the only Media, thro’ which Painting imitates. MUSIC, passing to the Mind thro’ the Organ of the Ear, can imitate only by Sounds and Motions.“ (Harris 2003 [1744], S. 35; Herv. im Orig.)191
gelt: das ist die Malerei, die schöne Kunst fürs Gesicht. Eine, die zum Objekt das wohlgefällige hat, das In und nach einander gleichsam in einfachen Linien der Töne auf uns würket; das ist die Musik, die schöne Kunst des Gehörs. Endlich eine, die ganze Körper schön vorbildet, so fern sie aus Formen und Massen bestehen: das ist die Bildhauerei, die schöne Kunst des Gefühls. (Herder 1987 [1769, publ. 1846], S. 113; Herv. im Orig.). Das Vierte kritische Wäldchen erscheint aber erst 1846 (vgl. Proß 1987, S. 876) und kommt deshalb als Quelle für Moritz nicht in Frage. 189 Die Schrift erschien erneut 1771, in einer bearbeiteten Fassung unter dem Titel Über die Hauptgrundsätze der schönen Künste und Wissenschaften. 190 Vgl. Aebi 2000; vgl. Wellbery 1984. 191 Der Abschnitt zur Poesie lautet: „POETRY, having the Ear also for its Organ, as far as Words are considered to be no more than mere Sounds, can go no farther in Imitating, than may be
Sprache und bildende Kunst als Abbilder der Wirklichkeit
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Die Voraussetzung für diese Zuordnung ist natürlich, dass der Mensch die Imitationen der Natur auf demselben Weg wahrnimmt wie die Natur selber, nämlich eben durch seine Sinnesorgane: „IN entering upon this Inquiry, it is first to be observed, that the MIND is made conscious of the natural World and its Affections, and of other Minds and their Affections, by the several Organs of the Senses. By the same Organs, these Arts exhibit to the Mind Imitations, and imitate either Parts or Affections of this natural World, or else the Passions, Energies, and other Affections of Minds. There is this Difference however between these Arts and Nature; that Nature passes to the Percipient thro’ all the Senses; whereas these Arts use only two of them, that of Seeing and that of Hearing. And hence it is that the sensible Objects or Media, thro’ which they imitate, |35| can be such only, as these two Senses are framed capable of perceiving; and these Media are Motion, Sound, Colour, and Figure.“ (Harris 2003 [1744], S. 34f.; Herv. im Orig.)
Das entspricht genau dem in Moritz’ Analogiekette dargestellten Verhältnis zwischen der Natur, der Kunst und den Sinnen. In den Three Treatises führt Harris aber auch einen Begriff ein, der für Moritz in sprach- wie kunsttheoretischer Hinsicht von Bedeutung ist.192 Es ist der Begriff Energie, der in Harris’ Kunst-, Sprach-, Natur- und Kulturphilosophie eine zentrale Stelle einnimmt (vgl. Harris 2003 [1775], S. 141ff.; Franz 2000, S. 395ff.).193 In der ersten Abhandlung, concerning Art, a Dialogue, lässt Harris den Gesprächspartner seines Ich-Erzählers Kunstwerke hinsichtlich ihrer Ergebnisformen generell in zwei Gattungen klassifizieren: Work und Energy. Kunst zeigt sich nämlich entweder als Ergebnis eines Entstehungsprozesses in einem Werk, so die Artefakte der bildenden Kunst, oder in einer Energie, wenn Entstehungsprozess und Ergebnisform zusammenfallen, so die Artefakte der Musik und der Poesie. Den beiden Ergebnisformen entsprechen wiederum unterschiedliche Organisationsweisen ihrer Teile in Raum und Zeit: Die Teile eines Werks stehen nebeneinander (Koexistenz), die Teile einer Energie folgen nacheinander (Sukzession). Harris’ Kunstbegriff geht dabei über die schönen Künste hinaus und umfasst auch kulturelle Techniken wie Reiten und
performed by Sound and Motion. But then, as these its Sounds stand by Compact for the various Ideas with which the Mind is fraught, it is enabled by this means to imitate, as far as Language can express; and that it is evident will, in a manner, include all things“ (Harris 2003 [1744], S. 35; Herv. im Orig.). 192 Moritz hat 1780 beim ersten deutschen Übersetzer dieser Schrift, Johann Georg Müchler, gewohnt (vgl. Badstübner-Gröger 1995, S. 263). Die Drey Abhandlungen die erste über die Kunst, die andere über die Music, Mahlerey und Poesie, die dritte über die Glückseligkeit erschienen 1756. Müchlers Frau findet sich auch im Pränumerantenverzeichnis der Deutschen Sprachlehre für die Damen. 193 Energy lässt sich nicht mit Kraft übersetzen, da Harris Energy von Power unterscheidet (vgl. Franz 2000, S. 396).
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Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik
Segeln oder Artefakte wie ein Schiff (vgl. Franz 2000, S. 397f.). Er schreibt: „[…] call every Production, the Parts of which exist successively, and whose Nature hath its Being or Essence in a Transition […] a Motion or an ENERGY – Thus a Tune and a Dance are Energies; thus Riding and Sailing are Energies; and so is Elocution, and so is Life itself. On the contrary, call every Production, whose Parts exist all at once, and whose Nature depends not on a Transition for its Essence, […] a WORK, or Thing done, not an Energy or Operation. Thus a House is a Work, a Statue is a Work, and so is a Ship, and so a Picture.“ (Harris 2003 [1744], S. 23; Herv. im Orig.)
Moritz schliesst seine Analogiekette mit einer Formulierung, die eine erkenntnistheoretische Überlegung des Sensualismus und eine sprachtheoretische Überlegung der Grammatik von Port Royal194 zusammenbringt: „Unsre Vorstellungen sind die Mahlerei der Welt, sie können nur darstellen, was auf einmal da ist – unsre Sprache ist die Musik unsrer Vorstellungen – sie schildert das aufeinanderfolgende, sie läßt unsre Gedanken, unbeschadet des Gegenwärtigen, in die Vergangenheit und in die Zukunft schweifen – bewahrt in dem kleinen Umfange von vierundzwanzig artikulirten Tönen, den Schatz der jedesmaligen Denkbarkeit irgend eines Stücks aus der ganzen ungeheuren Ideenwelt auf. –“ (MzE IV, 2 [1786], S. 4)
Künste und Sprache beziehen sich also gleichermassen auf die Natur. „Die Sprache mit ihrem ganzen Bau ist ein getreuer Abdruck unsrer vorstellenden Kraft, so wie diese wieder ein Abdruck der sie umgebenden Welt ist.“ (MzE, IV, 1 [1786], S. 45) „Die schönen Künste sind ein Abdruck der Natur im verjüngten Maaßstabe –“ (MzE IV, 2 [1786], S. 4)
Um dieses Abbildungsverhältnis und damit auch die Analogiekette aus dem zweiten Teil der Revision besser zu verstehen, kann eine Stelle aus der ebenfalls 1786 entstandenen Kinderlogik helfen: „Die Benennungen der Dinge machen […] unter sich eine Welt von Verhältnissen und Beziehungen aus, die alle in dem Bau der Sprache gegründet sind, welche gleichsam ein Abdruck der ganzen Schöpfung ist –
194 Am Anfang des sprachtheoretischen Teils der Grammaire von Port Royal heisst es: „Il nous reste à examiner ce qu’elle a de spirituel, qui fait l’un des plus grands avantages de l’homme au-desus de tous les autres animaux, et qui est une des plus grandes preuves de la raison: c’est l’usage que nous en faisons pour signifier nos pensées, et cette invention merveilleuse de composer de vingt-cinq ou trente sons cette infinie variété de mots, qui, n’ayant rien de semblable en eux-mêmes à ce qui ce passe dans notre esprit, ne laissent pas d’en découvrir aux autres tout le secret, et de faire entendre à ceux qui n’y peuvent pénétrer, tout ce que nous concevons, et tous les divers mouvements de notre âme“ (Arnauld & Lancelot (1997 [31676], S. 23; Herv. A. A.).
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Sprache und bildende Kunst als Abbilder der Wirklichkeit
Sache – Welt Wort – Sprache.“ (Kinderlogik, S. 88)
Die Sprache bildet also in den „Verhältnissen und Beziehungen“, welche die Benennungen der Dinge in ihr untereinander eingehen, die Verhältnisse und Beziehungen der Dinge in der Welt ab. Moritz führt dies unter Bezugnahme auf seine Wortartenlehre folgendermassen aus: „So wie nun nicht das Stillstehende, sondern das Lebende und sich Bewegende, diese unaufhörliche Umwälzung und Kreislauf in den Dingen das eigentliche Wesen der Welt ausmacht – So machen auch die Wörter, welche Leben und Bewegung anzeigen, als setzen, heben, steigen, fallen, tragen, haben das eigentliche Wesen der Sprache aus – die andern Worte, als Schlüssel, Haus, Thür sind bloße Benennungen oder Nahmen von Dingen, welche erst durch die Leben und Bewegung anzeigenden Wörter in Verbindung gebracht werden müssen –“ (Kinderlogik, 89)
Damit wird nun auch deutlich, wie die Zusammenstellung aus dem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde zu verstehen ist: „Wort“ muss dort nämlich als „Sprache“, „Sache“ als „Benennung“ oder „Namen“ verstanden werden. „Rede“ bedeutet dann eine syntaktische Einheit, eine Aussage. Die ganze Analogiekette stellt also folgendes Repräsentationssystem dar (vgl. Abbildung 11): Welt
Wahrnehmung
Psyche
Ausdruck
Dinge
Sinn Auge
Modus simultan
Vorstellung
Form Werk
Kunst Malerei
Sprache Name
Ohr
sukzessiv
Urteil
Energie
Musik
Satz
Bewegung
Abbildung 11: Analogiekette der Repräsentation
Kunst und Sprache beziehen sich gleichermassen, und zwar gleichermassen vermittelt über Wahrnehmung und Psyche, auf die Welt.
178
Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik
3.3
Der Ursprung ästhetischer Theoreme in der Sprachreflexion 3.3.1
Das in sich selbst Vollendete
Die Bedeutung der Denkfigur des in sich selbst für Moritz ist kaum zu überschätzen. Sie kommt nicht nur im ästhetischen, sondern auch im ethischen und im grammatischen Diskurs zur Anwendung. Jürgen Jahnke hat die formelhafte Redewendung in sich selbst als Topos bezeichnet und sich in einem Aufsatz mit ihrer Geschichte und ihrer Bedeutung für das Denken von Moritz auseinandergesetzt (Jahnke 1995). Die grösste Beachtung bei den Zeitgenossen und in der Forschung hat sie in der Form das in sich selbst Vollendete als griffige Formel für das Autonomiepostulat gefunden. Im 1785 in der Berlinischen Monatsschrift erschienenen Aufsatz Versuch einer Vereinigung aller schönen Wissenschaften und Künste unter dem Begriff des in sich selbst Vollendeten stellt Moritz den Begriff des schönen Kunstwerks auf ein objektive Basis und wendet sich damit gegen die psychologisierende Ästhetik der Popularphilosophie, die das Definiens des Kunstwerks im Vergnügen sucht, das es im Rezipienten auslöst (vgl. Costazza 1996a). Da Vergnügen nach Moritz aber sowohl durch Produkte der schönen, als auch der mechanischen Künste hervorgerufen wird, kann es nicht als Abgrenzungskriterium für die Unterscheidung zwischen Kunstwerken und Gegenständen des Alltags dienen. Nun haben die Produkte der mechanischen Wissenschaften, etwa ein Messer, ihren Zweck im Nutzen, den ihr Gebrauch bietet. Vergnügen bereiten sie nicht an sich , sondern in ihrer Funktion als Mittel zur Erreichung eines Ziels, etwas dem Schneiden von Brot. Ein Kunstwerk muss sich nach Moritz aber gerade darin von einem nützlichen Gegenstand unterscheiden, dass es keinen Nutzen hat, beziehungsweise dass sein Zweck nicht ausser ihm selbst liegt. Er schreibt: „Der bloß nützliche Gegenstand ist also in sich nichts Ganzes oder Vollendetes, sondern wird es erst, indem er in mir seinen Zweck erreicht, oder in mir vollendet wird. – Bei der Betrachtung des Schönen aber wälze ich den Zweck aus mir in den Gegenstand selber zurück: ich betrachte ihn, als etwas, nicht in mir, sondern in sich selbst Vollendetes, das also in sich ein Ganzes ausmacht, und mir um sein selbst Willen Vergnügen gewährt; indem ich dem schönen Gegenstand nicht sowohl eine Beziehung auf mich, als mir vielmehr eine Beziehung auf ihn gebe.“ (Versuch, S. 543 Herv. im Orig.)
Die Bestimmung des Kunstwerks als in sich selbst vollendetem Ganzen zieht ab dieser Stelle mehr oder weniger ausgeführt durch alle weiteren Texte zur Kunst. Die semiotische Fassung des Theorems findet ihre deutlichste Formulierung im Aufsatz Über die Allegorie von 1789:
Das in sich selbst Vollendete
179
„Das wahre Schöne besteht aber darin, daß eine Sache bloß sich selbst bedeute, sich selbst bezeichne, sich selbst umfasse, ein in sich vollendetes Ganze sey.“ (Allegorie, S. 113)
Tzvetan Todorov spricht in diesem Zusammenhang von Intransitivität. Nach Moritz sei ein Ding insofern schön, „als es intransitiv ist“ (Todorov 1995, S. 151). Todorov versteht Intransitivität hier semiotisch. Mit dem in sich selbst vollendeten Kunstwerk habe Moritz eine neue Zeichenklasse geschaffen, „die sich durch ihre Intransivität [sic!] (uns [sic!] somit durch ein […] Verschmelzen der Gegensätze, da das Zeichen zwangsläufig transitiv ist) auszeichnet“ (Todorov 1995, S. 157). Allessandro Costazza übernimmt den Begriff der „intransitiven Natur des künstlerischen Zeichens“ (Costazza 1996a, S. 143) und erklärt die „Intransitivität bzw. Selbstreferentialität des künstlerischen Zeichens“ zur „epochalen Entdeckung“, die „wichtige Erkenntnisse der modernen Linguistik und Semiotik“ (Costazza 1996a, S. 149) vorweg genommen habe. Dieser Hinweis auf die Kunstsemiotik der Prager Schule, des Circle linguistique de Prague, ist natürlich richtig und wichtig.195 Moritz’ eigene linguistische Arbeiten hingegen kommen Costazza nirgends in den Blick. Die Quelle für das Konzept des in sich selbst vollendeten Ganzen, und es geht ihm hier in erster Linie um das Konzept des „Ganzen“, liege „mit Sicherheit“ bei Shaftesbury (Costazza 1996b, S. 29, Anm. 78). Nun sind Jahnkes Nachweise der Formel in sich selbst bei Horaz, Augustinus, Meister Eckhart und anderen sowie Costazzas Hinweis auf Shaftesbury sicherlich hilfreiche Angaben für die Bestimmung der Quelle des in sich selbst Vollendeten. Ihnen muss aber ein alternativer Erklärungsansatz zur Seite gestellt werden. Denn ihre erste Verwendung bei Moritz findet die Formel in sich selbst in einem Kontext, in dem die Kategorien Transitivität und Intransitivität nun ihren genuinen Ort haben: in der Grammatik.196 Die Denkfigur des in sich selbst erscheint innerhalb des moritzschen Werkes zum ersten Mal in den Zusätzen zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s von 1781 und zwar in einem Kapitel über intransitive Verben. Die intransitiven Verben stellen für Moritz Syntaxtheorie, die er in Vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s und im Anhang zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s entwickelt, insofern ein Problem dar, als er sich in seiner Argumentation auf den unmarkierten
195 Costazza verweist hier allgemein auf den Russischen Formalismus und konkret auf Roman Jakobson. Zentral für die ästhetische Funktion des Zeichens sind in diesem Kontext aber vor allem die Arbeiten von Jan Mukarovsky (vgl. Mukarovsky 1967 und 1989). 196 Dass sich die Formel bei Moritz zuerst in den sprachwissenschaftlichen Schriften findet, hat Jahnke bereits festgehalten (vgl. Jahnke 1995, S. 95).
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Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik
Satzbauplan mit transitiven Verben stützt, in dem das Verb eine Handlung ausdrückt, die logisch betrachtet von einem Subjekt aus- und auf ein Objekt übergehen muss, um einen vollständigen Gedanken zu bilden, der dann in einem grammatisch vollständigen Satz abgebildet werden kann. Ein vollständiger Satz besteht nach Moritz demnach wie oben S. 110ff. besprochen gewöhnlich aus den Satzgliedern Subjekt – Prädikat – Objekt. Er stellt das Problem mit den intransitiven Verben im 2. Brief vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s selbst fest. Als Beispiel für einen einfachen Satz wählt Moritz dort: „Der Mensch denkt“ (UAD, S. 25). Mensch ist hier das Subjekt, denkt das Prädikat. Das Subjekt Mensch steht im Nominativ, was sich nach Moritz daran erkennen lässt, dass „dieß Wort […] nicht die mindeste Veränderung an[nimmt], sondern […] so hingesetzt [wird], als ob es, außer aller Verbindung mit andern Wörtern, ganz für sich allein, stände“ (UAD, S. 25). Eine erste, morphologische Definition von Nominativ lautet entsprechend: „Das äußere Kennzeichen des Nominativ's wäre also: wenn ein Nennwort so unverändert, wie es im Wörterbuch gefunden wird, in einer zusammenhängenden Rede steht.“ (UAD, S. 25). Dieses morphologische Kriterium ist im Deutschen aber nicht hinreichend, wie folgende Beispiele zeigen: „[D]ie Freude überwindet die Traurigkeit“ und „[D]ie Traurigkeit überwindet die Freude“ (UAD, S. 25). Die Wörter Freude und Traurigkeit behalten hier jeweils ihre unflektierten Stammformen und erfüllen also das morphologische Kriterium des ersten Kasus. Sie stünden damit beide im Nominativ. Das ist aber nicht der Fall. In beiden Sätzen steht nach Moritz eines der Wörter im Akkusativ (für ihn ist es jeweils das zweite, was sich allerdings an der Satzoberfläche aufgrund der freien Wortstellung des Deutschen nicht begründen lässt) (vgl. UAD, S. 25f.). Zur Unterscheidung zwischen Nominativ und Akkusativ führt Moritz nun ein logisch-syntaktisches, „den innern Bau der Rede“ (UAD, S. 26) betreffendes Kriterium ein. Das Prädikat, das im Satz zum Subjekt als Element, „wovon geredet wird“ (UAD, S. 26), tritt, drückt eine Aktion aus, die vom Subjekt ausgeht und sich logisch auf etwas, nämlich ein Objekt, beziehen muss: „Dasienige[,] was bloße abgesonderte Benennungen zu einer zusammenhängenden vernünftigen Rede, oder zu einem Urtheil macht, ist allemal ein Zeitwort, oder vielmehr das Urtheil oder die eigentliche Rede ist selber in diesem Zeitworte enthalten: überwindet war also, im obigen Beispiele, die eigentliche Rede oder das Urtheil, die Freude war das Subiekt oder Fundament der Rede, worauf dieselbe sich stützte, oder worauf sie gebauet werden mußte. Wenn Sie nun sagen: Die Freude überwindet, so werden Sie selber empfinden, daß Sie noch nichts vollständiges gesagt haben, weil Sie sich doch, in Ihrer |27| Seele, immer etwas hinzudenken müssen, was die Freude überwindet! Die Rede verlangt also hier nicht blos ein Subiekt, von dem sie ausgeht, sondern auch einen Gegenstand oder ein Obiekt worauf sie abzielt, oder zu dem sie hineilet. Das
Das in sich selbst Vollendete
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macht, Sie schreiben hier der Freude eine Handlung zu; nun läßt sich aber eine wirkliche Handlung gar nicht ohne einen Gegenstand denken, worauf sie sich bezieht; derselbe muß also allemal da seyn, er mag nun durch Worte ausgedrückt werden oder nicht. “ (UAD, S. 26f.; Herv. im Orig.)
Und dieses Objekt steht im Akkusativ: „Traurigkeit steht hier […] im Akkusativ, weil es dasienige ist, worauf sich die Handlung des Ueberwindens unmittelbar bezieht, oder weil es der wirkliche Gegenstand von der Handlung des Ueberwindens ist“ (UAD, S. 26; Herv. im Orig.).
Dieser Satzbauplan gilt für transitive Verben wie schreiben. Er gilt aber nicht für intransitive Verben wie schlafen oder liegen: „[S]agen Sie aber: ich schlafe, oder: ich liege, so brauchen Sie sich keinen Gegenstand oder kein Obiekt Ihrer Rede mehr zu denken, sondern das Schlafen oder das Liegen an sich selber ist schon der Gegenstand ihrer Rede.“ (UAD, S. 27)
Liegen und schlafen bezeichnen nach Moritz keine Handlungen, sondern Zustände, die „schon an sich ein Ganzes ausmach[en]“ (UAD, S. 27). Intransitive Verben verlangen deshalb auch kein Akkusativobjekt. „Dieses Obiekt oder dieser Gegenstand einer Handlung ist es nun eben, was wir den Akkusativ nennen, das Wort mag eine |28| andre Endigung annehmen, oder nicht. Sie sehen also hieraus, sobald das Prädikat oder das Zeitwort keine wirkliche Handlung, sondern blos einen Zustand anzeigt, so kann es auch kein eigentliches Obiekt oder keinen wirklichen Gegenstand haben, oder mit andern Worten: es kann keinen Akkusativ zu sich nehmen: denn wenn Sie sagen: ich liege, so kann alles was nun noch kommen soll, unmöglich ein Gegenstand des Liegens seyn. Sagen Sie also: ich liege die Erde, so hat das nicht den mindesten Zusammenhang, weil Sie durch Ihr Liegen nicht auf die Erde wirken; sagen Sie hingegen: ich pflüge die Erde, so hängt das sehr gut zusammen, weil Sie durch Ihr Pflügen auf die Erde wirken. Pflügen und Erde fügt sich also besser zusammen als Liegen und Erde, weil pflügen eine wirkliche Handlung, und liegen blos einen Zustand anzeigt: Sie können sagen: die Erde wird gepflügt, aber nicht: die Erde wird gelegen.“ (UAD, S. 27f.; Herv. im Orig.)
Der erste Satz des Kapitels über die intransitiven Verben in den Zusätzen lautet nun: „Es giebt einige Handlungen, die gewissermaßen in sich selber wieder zurückfallen, und eigentlich gar keinen unmittelbaren Gegenstand außer sich selber haben; sie scheinen mehr ein wirksamer Zustand, als wirkliche Handlungen zu seyn, und man könnte wol sagen, daß sie zwischen den Handlungen und dem blossen Zustande gleichsam in der Mitte stehen.“ (ZUAD, S. 12; Herv. A. A.)
Als Verben, die solche Handlungen bezeichnen, nennt Moritz in der Kapitelüberschrift: „folgen, zuhören, zusehen, nachlaufen, nachkommen, schmeicheln, trotzen, leuchten, drohen, helfen, dienen, gehorchen, dan-
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ken, liebkosen, widersprechen, fluchen“. Wir würden sie heute als relative, intransitive Verben bezeichnen, das heisst als Verben, die im Satz eine Ergänzung im Dativ verlangen. Aus heutiger Sicht eine Ausnahme stellt natürlich liebkosen dar, das wir mit Akkusativobjekt verwenden – ich liebkose Dich, die Puppe, das Kätzchen etc. Moritz verwendet es allerdings in der Bedeutung angenehmes plaudern.197 Fluchen schliesslich gehört zwar auch heut noch zu den Intransitiva, allerdings ist die Verwendung mit einem direkten Dativobjekt veraltet. Moritz beginnt seine Reflexion über die Intransitiva jedoch mit Beispielen, die nicht der genannten Klasse der relativen, sondern der Klasse der absoluten Verben zugehören. Es handelt sich dabei um Verben wie gehen und kommen, die überhaupt keine direkte Ergänzung zu sich nehmen können und damit das Kriterium Handlung, die in sich selbst zurückfällt prototypisch erfüllen. „Von dieser Art ist z.B. das Wort gehen“, so setzt er das Kapitel fort: „Das Gehen wird erst durch die Richtung, die es nimmt, zu einer wirklichen Handlung. Die Füße selber, die ich beim Gehen einen nach dem andern in die Höhe hebe, sind nicht der Gegenstand oder das Objekt, sondern blos das Adjekt des Gehens, oder dasjenige, womit ich gehe. Ich aber bin auch nicht der unmittelbare Gegenstand des Gehens; denn ich kann mich selber ja nicht gehen, so wie ich mich selber schlagen kann: beim Schlagen denke ich mir, daß meine Hände auf mich selber zurückwirken, beim Gehen aber |13| sind meine Füße für sich allein beschäftiget, und ihre wechselseitige Bewegung geschiehet blos um dieser Bewegung selber willen, und nicht, wie die Bewegung der Hände beim Schlagen, um auf irgend einen Gegenstand unmittelbar zu wirken: daraus sieht man offenbar, daß die Handlung in sich selbst wieder zurück fällt; wenn sie daher einen Gegenstand haben soll, so muß derselbe erst durch eine Präposition hinangefügt werden, als: ich gehe auf den Berg.“ (ZUAD, S. 12f.; Herv. im Orig.)
197 Die Bedeutung und die Rektion von liebkosen war bereits zu Moritz’ Zeiten umstritten. Der von Moritz hier angeführten Bedeutung von liebkosen als angenehmes plaudern (vgl. Grimm, Jacob & Grimm, Wilhelm 1854–1960, 6, Sp. 965) gesellte sich bereits ab dem 16. Jahrhundert die weitere Bedeutung eines „Schmeichelns durch Gebärden (...), wobei begleitende Worte sogar fehlen dürfen“ (vgl. Grimm, Jacob & Grimm, Wilhelm 1854–1960, 6, Sp. 965f.) hinzu. Adelung nimmt wie Moritz eine Ableitung des Wortes von kosen in der Bedeutung von reden an, bezweifelt aber, das liebkosen in der auch von Moritz behaupteten Bedeutung verwendet wird, sondern nimmt ausschliesslich die Bedeutung „seine Liebe und Zährtlichkeit gegen eine Person durch Streicheln, Küsse und ähnliche Handlungen an den Tag legen“ (Adelung 1990 [1793–1801] II, Sp. 2061) an. Nach Adelung kann liebkosen nur mit dem Akkusativ verwendet werden. Er weist aber darauf hin, dass „Herr Stosch und einige andere“ die Dativrektion forderten, was nach Adelung aber falsch ist (Adelung 1990 [1793– 1801] II, Sp. 2062). Das Grimmsche Wörterbuch lässt für liebkosen sowohl Akkusativ- als auch Dativrektion zu (vgl. Grimm, Jacob & Grimm, Wilhelm 1854–1960, 6, Sp. 966). Heute ist ausschliesslich die transitive Verwendung des Wortes für „zärtlich streicheln, an sich drücken, küssen o.Ä.“ (Duden 1999, S. 2428) gebräuchlich.
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Damit ist die Möglichkeit von Sätzen, die ohne Patiens gebildet werden können, begründet. Dass die Verben gehen und kommen auch kein Dativobjekt regieren und damit eigentlich gar nicht in das gegenwärtige Kapitel gehören, stellt Moritz selbst ein paar Zeilen später fest. Dann geht er zur Besprechung der in der Kapitelüberschrift genannten Verben über. Bei der Vorstellung einer Handlung, die in sich selbst zurückgewälzt wird, mag man heute zunächst vielleicht an Handlungen wie sich schämen, sich waschen etc. denken, die wir in der Form der reflexiven Verben ausdrücken und für die das Sanskrit und das Altgriechische ein eigenes Genus verbi, nämlich das Medium, bereitstellen. Die so bezeichneten Handlungen wälzen sich aber offensichtlich nicht in sich selber, sondern in oder auf das agierende Subjekt zurück. Und Moritz macht anhand des Beispiels gehen auch deutlich, dass er hier nicht an reflexive Verben denkt. In der bereits zitierten Passage heisst es ja: „Ich aber bin auch nicht der unmittelbare Gegenstand des Gehens; denn ich kann mich selber ja nicht gehen, so wie ich mich selber schlagen kann […]“ (ZUAD, S. 12). Die Besonderheit der angeführten Verben muss aber in ihrem Genus verbi gesucht werden, das ja die Handlungsform der Verben anzeigt. Moritz selber behandelt diese Kategorisierung des Verbs nicht eigens. Johann Friedrich Heynatz, einer seiner Vorgänger am Grauen Kloster in Berlin, bezeichnet in seiner Deutschen Sprachlehre zum Gebrauch der Schulen Verben wie gehen als Zeitwörter mit „Mittelgeschlecht“ oder „Neutra“. Er vermischt damit terminologisch zwei Handlungsformen des Verbs, nämlich das Medium und das Neutrum, welche die klassische Grammatik unterscheidet. Seine Erklärung zeigt aber, dass er von der Kategorie der Verba neutra spricht. Verben wie gehen sind nämlich keine Aktiva und können deshalb auch kein Passivum bilden198: „Es giebt zwei Geschlechter der Zeitwörter 1) das thuende, (Activum), welches ein Thun bedeutet, und ein leidendes Geschlecht, welches mit dem Hülfsworte werden gemacht wird, hervorbringen kann; 2) das Mittelgeschlecht (Neutrum), welches mehr einen Zustand als ein Leiden bedeutet, und kein leidendes Geschlecht hervorzubringen im Stande ist. Ich lobe ist ein Aktivum, weil ich sagen kann: ich werde gelobet; hingegen ich gehe ist ein Neutrum, weil ich nicht sagen kann: ich werde gegangen. Man kann auch noch das Kennzeichen zu Hülfe nehmen, daß ein Neutrum so leicht keinen Ackusativ bei sich hat." (Heynatz: Sprachlehre. 3. Aufl. 1777. S. 195; fett im Orig, kursiv A. A.)
198 Heynatz’ Formulierung, wonach diese Verben eher einem Zustand als einem Leiden entsprechen und auch nicht so schnell einen Akkusativ zu sich nehmen können, findet sich als schwache Allusion in den oben zitierten Stellen bei Moritz (vgl. UAD, S. 27f. und ZUAD, S. 12) wieder.
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Die fraglichen Verben bei Moritz gehören also dem ‚Mittelgeschlecht’ an. Die Annahme eines neutralen Genus verbi, oder von sogenannten Verba neutra, hat in der Grammatikgeschichte eine lange Tradition. Bereits die klassischen lateinischen Grammatiker waren sich aber uneinig darüber, ob die Verba neutra tatsächlich eine eigene Gattung bilden, da einige die Ansicht vertraten, dass jede Handlung auschliessend entweder aktiv oder passiv sein müsse. Das Problem der Akkusativrektion der fraglichen Verben wurde dann mit Konstruktionen wie vivere vitam gelöst (vgl. unten S. 187). In James Harris’ Hermes or a philosophical inquiry concerning universal grammar von 1751 bewegt sich die Diskussion der Verba neutra nun im engen Umkreis der Denkfigur des in sich selbst. Der für Harris zentrale Begriff der Energie (vgl. oben S. 175) spielt auch in seiner Sprachtheorie eine grundlegende Rolle. Im Zusammenhang mit einer vermögenspsychologisch motivierten Unterscheidung der Satzmodi, die den Aussagesatz der Perception, alle anderen Satzmodi jedoch der Volition zuordnet (vgl. Harris 21765, S. 15f.) gibt er die folgende Definition von Sprache: „'TIS a phrase often apply’d to man, when speaking, that he speaks his MIND; as much as to say, that his Speech or Discourse is a publishing of some Energie or Motion of his Soul. So it indeed is in every one that speaks […].“ (Harris 21765, S. 15; Herv. im Orig.)
Zentral ist der Energie-Bergiff auch für Harris’ Wortarteneinteilung und für die Syntaxtheorie. Im Kapitel Concerning the species of verbs, and their other remaining Properties, das die Verba neutra behandelt, definiert Harris zunächst die Verben semantisch als Wörter, die Energien bezeichnen (vgl. Harris 21765, S. 173)199, wobei er hier unter Energie sowohl Bewegung als auch die Abwesenheit von Bewegung versteht (vgl. Harris 21765, S. 173; Anm. a)200. Dieser Definition zu Grunde liegt die ontologische Unterscheidung zwischen Substanz und Akzidenz. Alle Dinge, so schreibt Harris, „either exist as the Energies, or Affections, of some other thing, or without being the Energies or Affections of some other thing“ (Harris 21765, S. 29; Herv. im Orig.). Erstere heissen Attributes, Letztere heissen Substances. Verben bezeichnen Attributes. Im Satzverbund hat ein Verb als Prädikat eine notwendige Beziehung auf eine Agens, das eine energizing Substance bezeichnet. Harris nennt das Agens deshalb Energizer. Zur Vervollständigung eines Satzes gehört aber noch ein Patiens. Harris verwendet für das Patiens den Begriff Subject, der
199 „ALL Verbs, that are strictly so called, denote Energies“ (vgl. Harris 21765, S. 173). 200 „We use this word ENERGY, rather than Motion, from its more comprehensive meaning; it being a sort of Genus, which includes within it both Motion and its Privation (vgl. Harris 21765, S. 173; Anm. a; Herv. im Orig.).
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hier semantisch und nicht grammatikalisch-syntaktisch zu verstehen ist.201 Ganz ähnlich wie Moritz später den vollständigen Satz bestimmt, spricht Harris nun von der Valenz des Verbs: „Now as all Energies are Attributes, they have reference of course to certain energizing Substances. Thus 'tis impossible there should be such Energies, as To love, to fly, to wound, &c. if there were not such Beings as Men, Birds, Swords, &c. Farther, every Energy doth not only require an Energizer, but is necessarily conversant about some Subject. For example, if we say, Brutus loves – we must needs supply – loves Cato, |174| Cassius, Portia, or some one. (vgl. Harris 21765, S. 173f.; Herv. im Orig.)
Von hier aus stellt Harris fest, dass jedes Verb zwischen einem Agens („Energizer which is active“) und einem Patiens („Subject which is passive“) steht (vgl. Harris 21765, S. 174). Je nachdem, ob das Agens oder das Patiens in Subjektposition steht, nennt Harris das Verb aktiv oder passiv.202 Nun gibt es Fälle, in welchen Agens und Patiens identisch sind, zum Beispiel wenn wir sagen „Brutus loved himself “: „[…] in such Case the Energy hath to the same Being a double Relation, both Active and Passive (Harris 21765, S. 175; Herv. im Orig.) und es handelt sich dann um Verben im Genus medium der alt-griechischen Grammatik, das in anderen Sprachen, zum Beispiel dem Englischen, durch reflexive Formen ersetzt wird (vgl. Harris 21765, S. 176) und deshalb nach Harris nicht universal ist (vgl. Harris 21765, S. 179). Von der Handlungsform der Verbs middle unterscheidet Harris anschliessend die universale der Verbs neuter.203 In deren Beschreibung kommt nun auch das Motiv des in sich selbst vor. Harris hält nämlich fest, die Energie dieser Verben trete nicht aus dem Subjekt heraus, son-
201 Vgl. Miyawaki (2002), S. 139, Anm. 44. Zur Verwendung des Begriffs subject in englischen Grammatiken des 18. Jahrhunderts vgl. Michael (1970), S. 481–485. 202 „Hence then, if the Energizer lead the Sentence, the Energy follows its Character, and becomes what we call A VERB ACTIVE. – Thus we say Brutus amat, Brutus loves. On the contrary, if the passive Subject be principal, it follows the Character of this too, and then becomes what we call A VERB PASSIVE. – Thus we say, Portia amatur, Portia is loved“. (vgl. Harris 21765, S. 174; Herv. im Orig.) 203 Diese Unterscheidung der Handlungsformen Medium und Neutrum findet sich bei Heynatz und Moritz nicht, weder inhaltlich noch terminologisch. Die beiden deutschen Autoren unterscheiden nur die von Harris als universal bezeichneten Handlungsformen Aktiv, Passiv und Neutrum (vgl. Harris 21765, S. 179), wobei der Begriff Neutrum bei Moritz fehlt. Nun sind Aktiv und Passiv bei Harris streng genommen nur zwei Aspekte ein und derselben Handlungsform des Verbs (vgl. Harris 21765, S. 174). Man kann mit Miyawaki deshalb sagen, dass Harris eigentlich nur zwei Handlungsformen unterscheidet, eine in moderner Terminologie transitive (Aktiv und Passiv umfassend) und eine intransitive (Neutrum) (vgl. Miyawaki 2002, S. 140). Und dies entspricht dann auch genau der Einteilung in zwei Klassen, die Heynatz explizit und Moritz zumindest implizit vornehmen (vgl. oben S. 183).
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dern bleibe stets in ihm selbst. Als Beispiel verwendet er, wie später Heynatz und Moritz, das Verb gehen: „AGAIN, in some Verbs it happens that the Energy always keeps within the Energizer, and never passes out to any foreign extraneous Subject. Thus when we say, Caesar walketh, Caesar sitteth, 'tis impossi|177|ble the Energy should pass out (as in the case of those Verbs called by the Grammarians VERBS TRANSITIVE) because both the Energizer an the Passive Subject are united in the same Person. For what is the Cause of this walking or sitting? – 'Tis the Will and Vital Powers belonging to Caesar. And what is the Subject, made so to move or to sit? – 'Tis the Body and Limbs belonging also to the same Caesar.204 'Tis this then forms that Species of Verbs, which Grammarians have thought fit to call VERBS NEUTER, as if indeed they were void both of Action and Passion, when perhaps (like Verbs middle) they may be rather said to imply both. Not however to dispute about names, as these Neuters in their Energizer always discover their passive Subject[*], which |178| other Verbs cannot, their passive Subjects being infinite; hence the reason why 'tis as superfluous in these Neuters to have the Subject exprest, as in other Verbs it is necessary, and cannot be omitted. And thus 'tis that we are tought in common Gram|179|mars that Verbs Active require an Accusative, while Neuters require none. (Harris 21765, S. 176ff.; Herv. im Orig.)
In der klassischen Grammatiktradition war die Existenz der Verba neutra umstritten. So vertritt etwa Sanctius in seiner bis ins 18. Jahrhundert einflussreichen Minerva205 Julius Caesar Scaliger folgend (vgl. Sanctius 1982, S. 218, vgl. Sanctius 1986, S. 89 V°) die Meinung, alle Verben seien entweder aktiv oder passiv: „Philosophia, id est recta & incorrupta iudicandi ratio nullum concedit medium inter agere, & pati. Omnis nanque motus aut actio est, aut passio. Imo, si rem penitus inspicias, actio & passio nihil differunt, nisi ratione quadam, sicut Acclive, & declive. Id quod docet Aristotel. 3. Physi. cap. 3.“ (Sanctius 1986, S. 89 V°)206
204 Moritz sieht das in ZUAD, S. 12 anders. Die Beine sind nach ihm nicht das Objekt des Gehens, sondern das Adjekt. 205 Vgl. Weiss 1992, S. 20; Schreyer 1996, S. 47. Minerva ist auch eine wichtige Quelle für Harris’ Hermes, zum Beispiel gerade für das hier besprochene Kapitel. So schreibt er im Zusammenhang mit dem Aktiv und dem Passiv: „'Tis in like manner that the same Road between the Summit and Foot of the same Mountain, with respect to the Summit is Ascent, with respect to the Foot is Descent.“ (Harris 21765, S. 174; Herv. im Orig.). Vgl. dazu Sanctius: „ Imo, si rem penitus inspicias, actio & passio nihil differunt, nisi ratione quadam, sicut Acclive, & declive.“ (Sanctius 1986, S. 89 V°). Vgl. zur Bedeutung der Minerva für Hermes auch Harris 1803, S. xvi. 206 „[…] la philosophie, c’est-à-dire le raisonnement correct et sans défaut qui préside au jugement, n’admet rien entre agir et subir (agere et pati). Et en effet tout mouvement est action ou passion. Et même, si l’on y regarde de plus près, il n’y a aucune différence entre action et passion, sinon de perspective mentale comme entre la monté et la descente. C’est ce qu’enseigne Aristote, Phys. III, 3.“ (Sanctius 1982, S. 218; kursiv im Orig.)
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Er lehnt die Existenz der Verba neutra also ab: „[…] verba neutra neque ulla [sic!] sunt, neque natura esse possunt: quoniam illorum nulla potest demonstrari definitio.“ (Sanctius 1986, S. 90 R°)207
Sanctius schreibt weiter: „Itaque iam constat omnia verba aut esse activa, aut passiva; ut ex Aristotele coprobavimus. Unde falsum est & illud quod ex Cathegorij Dialectici disputant: inter agere, & pati medium esse iacere, & stare, situm esse. Nam si iacet, aut sedet, aut situs est aliquid agit. Sedet enim sessionem, & stat stationem. Ego enim illas Cathegorias, sive praedicamenta Aristotelis non esse, multis argumentis possum comprobare. Multo minus illa ferenda sunt apud Philosophos & Theologos tritissima, de actionibus permanentibus, & transeutibus. Nam si actio est aliquid agit.“ (Sanctius 1986, S. 91 R°)208 „Quum igitur (secluso verbo substantivo) Omnia verba sint, aut activa, aut passiva, intelligendum est [.; Ae] Activa omnia vel in varios transire accusativos, ut facere verba, fidem, finem: vel in unicum tantum, idest, in suum, ut vivere vitam: mori mor|92 R°|tem: egere egestatem: furere furorem: [sic!]“(Sanctius 1986, S. 91 V°f.)209
Der Wechsel hin zu der Meinung, die Harris und Moritz vertreten, dass nämlich nicht jedes Verb ein Akkusativobjekt zu sich nehmen kann, tritt mit der Grammatik von Port Royal ein. Claude Lancelot hatte in seiner Nouvelle Méthode pour apprendre […] la langue latine (1644; 21650, revue et augmenté; 51656) noch die traditionelle Meinung vertreten:
207 „[…] les verbes neutres n’existent pas et ne peuvent exister par nature puisqu‘ on ne peut en donner aucune définition.“ (Sanctius 1982, S. 219) 208 „Ainsi il est clair désormais que tous les verbes sont actifs ou passifs, comme nous en avons trouvé la confirmation chez Aristote. C’est pourquoi les dialecticiens ont tort d’affirmer aussi, d’après les Catégories, qu’entre agere et pati il y a jacere (être couché), stare (se tenir debout), situm esse (être assis). Car si on ‚est couché‘ si l’on ‚est assis‘, ou si l’on ‚se trouve‘, on fait quelque chose. En effet sedet sessionem (litt. il est assis une assise), stat stationem (on maintient son maintien). Pour ma part je peux prouver par de multiples arguments que ces Catégories ou Praedicamenta ne sont pas d’Aristote. Il faut encore moins accepter les discussion rebattues des philosophes et des théologiens sur les actions permanentes et les actions transitoires. Car s’il y a action, on fait quelque chose.“ (Sanctius 1982, S. 220) 209 „Puisque donc, à l’exclusion du verbe substantif, tous les verbes sont actifs ou passifs, il faut bien comprendre que tous les verbes actifs passent ou bien sur divers accusatifs tels que facere verba, fidem, finem (litt. faire des paroles, la confiance, la fin), ou bien sur un seul, c’est-à-dire le sien, comme vivere vitam (vivre la vie), mori mortem (mourir la mort), egere egestatem (manquer le manque), furere furorem (être en fureur de fureur). (Sanctius 1982, S. 221)
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„Les verbes neutres ont aussi souvent cet accusatif, car premièrement ils peuvent toujours gouverner l’accusatif du nom de leur origine, comme vivere vitam, gaudere gaudium […].“ (Lancelot 51656; zit. nach Sanctius 1982, S. 222, Anm. 13 [Anm. der Herausgeberin]; Herv. im Orig.)
Die Grammatik von Port Royal lehnt das Argument, dass Verba neutra doch immer mindesten einen Akkusativ zu sich nehmen können, dann aber ab:210 „On peut résoudre par là cette question; si tout verbe non passif régit toujours un accusatif, au moins sous-entendu. C’est le sentiment de quelques grammairiens fort habiles, mais pour moi je ne le crois pas […].|83| […] quand l’action signifiée par le verbe n’a ni sujet, ni objet différent de celui qui agit […]; alors il n’y a pas assez de raison pour dire qu’ils gouvernent l’accusatif, quoique ces grammairiens aient cru qu’on y sous-entendait l’infinitif du verbe, comme un nom formé par le verbe, voulant, par exemple, que curro soit ou curro cursum, ou curro currere; néanmoins cela ne paraît pas assez solide […].“ (Arnauld & Lancelot (1997 [31676], S. 82f.; Herv. im Orig.)
Die traditionelle Definition der Verba neutra findet sich nach Geneviève Clerico, der Herausgeberin von Sanctius’ Minerva, bei Priscian, der sich unter den klassischen Grammatikern am eingehendsten mit dem Thema auseinandersetzt (vgl. Sanctius 1982, S. 218, Anm. 2). Clerico umschreibt Priscians Charakteristika der Verba neutra wie folgt: „[…] ils sont en –o, pour leur forme et ne peuvent prendre de désinences passives; ils ont un sens actif ou passif; le nominatif suffit pour constituer avec eux une constructio perfecta; il n’est pas nécessaire de leur ajouter des cas obliques, ils ‚n’appellent‘ donc aucun complément comme on le dira plus tard.“ (Sanctius 1982: 218, Anm 2, kursiv im Orig.)
Auch Harris verweist (an der im letzten Hermes-Zitat mit Asterisk [*] bezeichneten Stelle) auf eine Passage aus Institutionum grammaticarum von Priscian. Und dort kommt die Wendung in sich selbst im Zusammenhang mit den Verba neutra nun wörtlich vor: „sunt quaedam ex eadem forma, quae passivam videntur habere significationem, sed quae non extrinsecus fit, quam Graeci […] vocant, id est quae ex se in se ipsa fit intrinsecus passio, ut 'rubeo', 'ferveo', 'caleo', 'tepeo', 'marceo', 'aegroto', 'titubo', 'vacillo'. itaque huiuscemodi verba non egent casu […].“ (Priscian 1857–1874, S. 378; Herv. A. A.).211
210 Vgl. Sanctius 1982, S. 220, Anm. 8 [Anm. der Herausgeberin]. 211 „Es gibt welche von eben der Art, die passive Bedeutung zu haben scheinen, die aber nicht von aussen zustande kommt und die die Griechen 'Selbsterleidung' nennen, das heisst ein Erleiden [ein Ausdruck des Erleidens], das [der] sich von sich aus, in sich selbst und von innen vollzieht, wie [in den Worten] 'ich werde rot', 'ich erglühe', 'ich werde beunruhigt', 'in bin verliebt', 'ich bin matt', 'ich bin krank', 'ich bin unsicher', 'ich stehe auf schwachen
Der Begriff Gesichtspunkt
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Nachdem die Geschichte der Theorie der Verba neutra nun bis zu einer Stelle verfolgt wurde, an der die Wendung in sich selbst wörtlich erscheint, kann der Bogen zurückgeschlagen werden zum Ausgangszitat aus Moritz’ Zusätzen zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ’s und Dativ’s. Moritz spricht dort von einem „wirksamen Zustand“, als einem Mittelding zwischen Handlung und blossem Zustand. Auf der Grundlage von Harris’ Behandlung der Verba neutra kann man diesen „wirksamen Zustand“ als „energetischen Zustand“ fassen und dies erlaubt nun die Adaption des sprachwissenschaftlichen Konzeptes des in sich selbst in den Bereich der Ästhetik. Der Begriff der Energie findet sich nämlich in einem Aufsatz von Johann Georg Sulzer mit dem Titel De l’Energie dans les ouvrages des beaux-arts von 1765. Sulzer verwendet den Begriff der Energie hier im Sinne einer force supérieure, die vom Kunstwerk ausstrahlt und auf den Rezipienten einwirkt. Damit vertritt er genau die wirkungsästhetische Position, gegen die Moritz seine Konzeption des Kunstwerks als in sich selbst Vollendetem ins Feld führt. Wenn diese ästhetische Energie nun nicht wie Sulzer meint vom Kunstwerk auf den Rezipienten übergeht, sondern nach Moritz im Kunstwerk selber bleibt, so wie die Energie der Verba neutra nicht auf eine Objekt übergeht, sondern nach Moritz in ihnen selber bleibt, dann kann das Kunstwerk nach Moritz ebenso als „wirksamer Zustand“ verstanden werden, wie die Verba neutra. Und so bedarf der Satz mit einem Verbum neutrum als Prädikat zu seiner Vollendung ebenso wenig eines Objekts, wie das Kunstwerk als in sich selbst Vollendetes. 3.3.2
Der Begriff Gesichtspunkt
Die geometrische Figur des Zirkels mit ihren sie generierenden beziehungsweise analysierenden Komponenten Umkreis, Mittelpunkt und Radius dient Moritz als bevorzugter Bildspender für die Veranschaulichung produktions-, rezeptions- und werkästhetischer Theoreme. Die Anwendung der Kreismetapher auf alle drei kunstphilosophischen Beschreibungsebenen deutet schon ihre Komplexität an und weist gleichzeitig auf ihre Verwendung in den der Kunstphilosophie benachbarten Disziplinen Psychologie und Kosmologie, die in der für Moritz charakteristischen Weise als mit der Kunstphilosophie verschwisterte in diese miteingehen. Die zentrale Bedeutung der Kreismetapher für die Kunstphilosophie wird von allen Kommentatoren hervorgehoben.212
Füssen'. Und daher bedürfen Verben dieser Art nicht eines Kasus [ Falles] […].“ (Übersetzung: Dr. Judith Steiniger, Weimar; Herv. A. A.). 212 Vgl. Schrimpf 1980, S. 95–98; Meier 2000, S. 179.
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Moritz reflektiert die Komplexität des Zirkelsbegriffs an verschiedenen Stellen. Er erkennt nicht nur den Zirkel an sich als „eine[n] der zusammengesetztesten und schwersten Begriffe, die wir haben“ (MzE I, 2 [1783], S. 103), sondern ebenso den aus der Perspektivenlehre stammenden, bei Moritz aber aus der Kreismetapher abgeleiteten und daher mit dem Begriff des Mittelpunktes eng verwandten und für sein Denken äusserst fruchtbaren Terminus Gesichtspunkt:213 „Gesichtspunkt ist ein Ausdruck, dessen man sich oft bedient, ohne recht aufmerksam auf den Begriff zu seyn, welchen er bezeichnet, und welcher vielleicht einer unserer schwersten Begriffe ist.“ (MzE, IV, 2. [1786], S. 16)
Sowohl die Kreismetapher als auch der Begriff Gesichtspunkt finden sich bei vielen Autoren des 18. Jahrhunderts. Schrimpf vermutet, Moritz habe die Anregung, „William Hogarths Begriff der Schönheitslinie als metaphysische Metapher zu verwenden und spekulativ auszudeuten“ (Schrimpf 1962, S. XVI) von Lessing, der im Vorbericht zur deutschen Übersetzung von Hogarths Zergliederung der Schönheit schreibt: „Hr. Hogarth zeiget, daß alle körperliche Schönheit in der geschickten und mannichfaltigen Anwendung der Wellenlinie liege, und der schwankende Geschmak [sic!] ist glücklich durch diese Entdeckung auf etwas gewisses eingeschränkt. Ich sage eingeschränkt, aber festgesetzt noch nicht. Man betrachte einmal die Reihe verschiedner Wellenlinien, welche er oben auf der ersten Kupfertafel vorstellig macht. Eine jede derselben hat einen Grad von Schönheit: doch nur eine verdient den Namen der eigentlichen Schönheitslinie; diejenige nehmlich[,] welche weder zu wenig, noch zu sehr gebogen ist. Alleine welche ist dieses? Hr. Hogarth bestimmt sie nicht […]. Wann es aber unmöglich seyn sollte, wie ich es beynahe selbst dafür halte, die eigentliche Mitte anzugeben, in welcher die Linie weder zu platt noch zu gekrümmt ist: so sollte ich doch meinen, daß es wenigstens möglich |107| sey, die äussern Grenzen anzugeben, jenseits welcher sie den Namen der eigentlichen Schönheitslinie verlieren müsse. Doch auch dieses läßt unser Verfasser unausgemacht. […] Er ließ also seinen Faden, als ein Künstler, da fahren, wo ich wollte, daß ihn ein philosophischer Meßkünstler ergreiffen [sic!] und weiterführen möchte.
213 Caroline Herder berichtet in einem Brief vom 25. Dezember 1788 an ihren Mann, Moritz sei nach eigener Aussage durch die Beschäftigung mit der Perspektive auf die Mittelpunktmetapher gestossen (Der Brief ist abgedruckt in Schrimpf 1962, S. 245f.). Nun verwendet Moritz den Begriff Gesichtspunkt aber bereits 1780 (FE, S. 81), während sein Unterricht in Perspektivenlehre bei Maximilian von Verschaffeldt erst im Sommer 1788 in Rom stattfindet, wo er zur Vorbereitung auf die Professur, die ihm der Kurator der Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften Friedrich Anton Freiherr von Heinitz in Aussicht gestellte hat, auch Architektur und Mathematik studiert (vgl. Klingenberg 1996, S. 141).
Der Begriff Gesichtspunkt
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Die ganze Sache würde, ohne Zweifel, auf die Berechnung der punctorum flexus contrarii ankommen, doch so, daß man die metaphysischen Gründe der Schönheit niemals dabey aus den Augen lassen müßte.“ (Lessing 1854 [1754], S. 106f.; Herv. im Orig.)
Zentral für Moritz’ Text dürfte aber wiederum eine Stelle aus Herders Plastik sein, die allerdings auch auf Hogarths Schönheitslinie rekurriert. Im vierten Abschnitt heisst es dort: „Die gerade Linie nähmlich ist die Linie der Vestigkeit, das sagt uns Sinn und Auge. Ein Teil ruhet auf dem andern, hängt am andern, unterstützt und wird unterstützt: so wohl senk- als waagrecht hat die Natur daher, wo sie Vestigkeit nötig hatte, diese Linie gewählt. […] Die Linie der Vollkommenheit ist der Kreis, wo Alles aus einem Mittelpunkt strahlet und in ihn zurückfällt, wo kein Punkt dem andern gleich ist und doch Alles zu Einem Kreise wallet. Wo es anging, hat die Natur die Linie der Richtigkeit mit dem Kreise der Vollkommenheit umwunden. So verjüngte sie Pflanzen und Bäume: so strahlt die vollkommene Sonne, und es wölbt sich der umfassende Himmel, und der Tropfe ründet sich, wie die Erde u.f. – So hat sie auch am Körper die Linie der Vestigkeit mit Rundheit umkleidet: Arm und Beine, Finger und |522| Hals zusammt dem Himmel, den er trägt, sind geründet: jeder Bruch, jede Ecke und Winkel dieser Teile sind unerträglich. Da aber die Gefäße hienieden der Vollkommenheit nicht fähig sind, und die Linie der richtigen Notdurft sie immer überwältigend zu sich ziehet, siehe, so ward, wie im Weltgebäude durch den Streit zweier Kräfte die Ellipse ward, in der sich die Planeten, so hier die Linie der Schönheit, in der sich die Formen der Körper winden. Sie entstand, wie bei Plato die Liebe von Bedürfnis und Überfluß, aus der geraden Linie und Rundheit. Der Zirkel war für uns zu voll, nicht zu umschauen, nicht zu umfassen; die gerade Linie zu dürftig, um den vielseitigen Organismus zu geben, zu dem unser Körper da sein sollte.“ (Herder 1987 [1778], S. 521f.; Herv. im Orig.)
Als Denk- und Vermittlungsschema erscheint die Kreismetapher innerhalb des moritzschen Gesamtwerkes aber zunächst in den sprachwissenschaftlichen Werken. Ihre dortige Ausformung bildet die Grundlage für ihre spätere Verwendung in den ästhetischen Texten. Von der zentralen Bedeutung des Begriffs Gesichtspunkt für die Kunstphilosophie Moritz’ zeugen zwei programmatische Texte, die beide 1789 entstanden sind und wohl im Zusammenhang mit Moritz’ Professur an der Königlichen Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften und seinem offenbar geplanten214 grösseren Werk Theorie der schönen Künste und Wissenschaften verstanden werden müssen: Grundlinien zu einer vollständi-
214 Nach Klischnig geht der Plan für dieses Werk, das Moritz offenbar in Zusammenarbeit mit anderen Autoren (Goethe, Wieland) verfassen wollte, schon auf die Jahre am Grauen Kloster zurück. Vgl. Klischnig 1794, S. 87f., 192 und 271.
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gen Theorie der schönen Künste215 und Bestimmung des Zwecks einer Theorie der schönen Künste216. In den Grundlinien zu einer vollständigen Theorie der schönen Künste fasst Moritz seine italienische Kunstphilosophie in achtzehn Thesen zusammen, wobei die nachfolgend zitierten Thesen 1 bis 3 direkt in das ontologische Zentrum des objektiv Schönen führen, beziehungsweise mit dem Hauptgesichtspunkt, aus dem das Werk betrachtet werden muss, ein solches Zentrum postulieren: „1) Das ächte Schöne ist nicht bloß in uns und unserer Vorstellungsart, sondern außer uns an den Gegenständen selbst befindlich. 2) Es giebt daher eine würkliche Theorie des Schönen, wodurch das Auge auf einen gewissen Punkt geheftet wird, aus welchem das Schöne nothwendig beobachtet werden muß, wenn es gehörig soll geschätzt und empfunden werden. 3) Dieser Punkt ist allemal in dem Kunstwerke selbst zu suchen: denn jedes ächte Kunstwerk hat einen solchen Punkt in sich, wodurch alle seine Theile, und ihre Stellungen gegen einander noth|75|wendig werden, und aus diesem Hauptgesichtspunkte betrachtet, sich uns auch als nothwendig darstellen.“ (GTsK, S. 74f.; fett im Orig., kursiv A. A.; Schriften, S. 120.)
Im Ermöglichen des Auffindens dieses „Hauptgesichtspunktes“, als Methode der anschauenden Erkenntnis des Schönen im einzelnen Kunstwerk mit dem Ziel der Erkenntnis des „vollständige[n] Begriff[s] des Schönen“ (ZTsK), der extensional mehr umfasst als bloss das Kunst-Schöne und letztlich Einsicht gewähren soll in das wahrhaft Nützliche des Schönen, liegt denn auch der Zweck der Theorie der schönen Künste. „Und nur auf die Weise betrachtet [scil. als In sich selbst Vollendetes], kann 4) das Schöne wahrhaft nützlich werden; indem es unser Wahrnehmungsvermögen für Ordnung und Übereinstimmung schärft, und unsern Geist über das Kleine erhebt, weil es alles Einzelne uns stets im Ganzen, und in Beziehung auf das Ganze, deutlich erblicken läßt. Um nun aber 5) jedes schöne Kunstwerk, als ein für sich bestehendes Ganze zu betrachten, ist es nöthig, in dem Werke selbst den Gesichtspunkt aufzufinden, wodurch alles Einzelne sich erst in seiner nothwendigen Beziehung auf das Ganze darstellt, und
215 Erschienen in: Monats-Schrift der Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften zu Berlin, 2. Jg., 3. Bd., 1789, 2. St., S. 74–77. Wiederabgedruckt in Klischnig 1794, S. 192–196 und unter dem Titel Grundlinien zu einer künftigen Theorie der schönen Künste in LP, S. 283–286 und Schriften 120–121. 216 Dieser auf eine Handschrift von 1789 zurückgehende Text erschien 1795 unter dem Titel Bestimmung des Zwecks einer Theorie der schönen Künste. Vom verstorbenen Hofrath Moritz in: Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmacks, 1. Bd., S. 255–256. Vgl. zu näheren editorischen Informationen: Schriften, S. 375; Werke II, S. 922.
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wodurch es uns erst einleuchtet, daß in dem Werke weder etwas überflüssig sey, noch etwas mangle. Diesen wahren Gesichtspunkt für das Schöne in allen Fällen auffinden zu lehren, würde also das Geschäft einer vollständigen Theorie der schönen Künste seyn.“ (ZTsK )
Die Kreismetapher findet ihre konkrete Ausformulierung und Anwendung auf dem Feld der Kunstphilosophie nun unter anderen in den Texten Die metaphysische Schönheitslinie und Über die bildende Nachahmung des Schönen. Speziell dem Begriff des Gesichtspunktes gewidmet ist ein Abschnitt im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Der Aufsatz Die metaphysische Schönheitslinie erschien 1793 in Die große Loge oder der Freimaurer mit Wage und Senkblei. Die Forschung setzt seine Niederschrift aber vor der Italienreise oder zumindest vor der Ausarbeitung der Bildenden Nachahmung an (vgl. Schrimpf 1980, S. 27; Meier 2000, S. 177).217 Der Text nimmt innerhalb der moritzschen Kunstphilosophie eine herausragende Position ein, da er deren grundlegenden Begriffe inhaltlich genauer bestimmt und sie an Beispielen aus der schönen Literatur konkretisiert. Es spielt in diesem Zusammenhang letztlich keine Rolle, wann der Aufsatz entstanden ist. Die folgende Stelle enthält, mit Ausnahme des Begriffs der bildenden Nachahmung, der in der Metaphysischen Schönheitslinie nicht explizit entwickelt wird, die zentralen autonomieästhetischen Postulate Moritz’. Die Kreismetapher trägt dabei entscheidend zur Anschaulichkeit des verhandelten Stoffes bei: „Wenn wir uns die Natur als einen großen Zirckel [sic!] denken, deßen Theile insgesammt eine Neigung gegen sich selbst haben, um miteinan|177|der ein Ganzes auszumachen, so sind uns wegen der unermeßlichen218 Größe des Umkreises die Krümmungen fast unmerkbar, und wir glauben da allenthalben nichts als grade Linien, oder bloß abzweckende Mittel zu sehen, wo doch eine immerwährende Neigung zum Zweck ist, die uns entwischt, weil wir nicht einmal einen so großen Theil des Zirkels überschauen können, der uns eine wirkliche Krümmung darstellte; wir müßen diese Krümmungen nur ahnden, nur errathen. Indem wir nun einen Drang empfinden, das höchste Schöne in der allein in sich selbst vollendeten ganzen Schöpfung nachzuahmen, so geben wir demjenigen was uns in der Natur gerade Linien, oder bloß abzweckende Mittel zu sein scheinen, eine allmälige Neigung gegen sich selber, gleichsam als ob wir in dem
217 Schrimpf selbst äussert Zweifel an der These des frühen Entstehungsdatums (1962 hatte er ein solches noch vermutet, vgl. Schriften, S. XIIIf.). Günther, der die Schrift in seiner Ausgabe erst im Anhang abdruckt (Werke III, S. 778–784), vermutet in ihr „eine zunächst verworfene Vorstufe der ‚Bildenden Nachahmung‘ […], einen Versuch, die eigenartige geometrische Theorie von Verschaffelt […] anzuwenden“ (Werke III, S. 778). 218 Im Orig. „unermeßlichem“.
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Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik
großen unermeßlichen Zirkel einen kleineren im verjüngten Maaßstabe nachbilden wollten.“ (Schönheitslinie, S. 176f.; Herv. im Orig.)
Das einzige „wahre in sich Vollendete“ und „allerhöchste Schöne“, qua harmonisches, autonomes Ganzes, ist der Kosmos, wie Moritz in der Passage, die der zitierten Stelle vorangeht, feststellt, und nur Gottes Bewusstsein zugänglich: „Das Einzige wahre in sich Vollendete, ist nur die ganze Natur als ein Werk des Schöpfers, der allein mit seinem Blick das Ganze umfaßt, und den Zweck dieses großen Gegenstandes in ihn selbst zurückwälzt. In so fern also hier Zweck und Mittel zusammen gedrängt eins ausmachen, stellt sich das allerhöchste Schöne nur dem Auge Gottes dar.“ (Schönheitslinie, S. 176)
Das Bild des Zirkels veranschaulicht das menschliche Unvermögen, die Gesamtheit der physikalischen, moralischen und historischen Beziehungen im Universum, ihre harmonische Ordnung und ihre letztlich erst aus dieser harmonischen Gesamtheit begreifbare intransitive Zweckmässigkeit zu erkennen. Dies gelingt dem Bild des Zirkels durch dessen geometrische Eigenschaft, dass sich der Krümmungsgrad seines Umkreises – der bei Moritz eine in sich selbst vollendete Ganzheit symbolisiert, da sich die Enden jedes möglichen Ausschnittes aus der Kreislinie gegen den Mittelpunkt des Kreises neigen – mit wachsendem Radius tendenziell gegen Null entwickelt. Der Mensch vermag die Umrisslinie des Kreises, der für die Zweckmässigkeit der Welt steht, also nicht als solche zu sehen, er erkennt an der Peripherie vielmehr nur vermeintliche Geraden, deren Endpunkte für ihn wohl in der Unendlichkeit verschwinden, die Zwecke des Kosmos bleiben ihm verborgen: „Unser umschränkter Verstand sieht in der großen Natur nichts als Mittel, und ahndet nur die Zwecke.“ (Schönheitslinie, S. 176.)
Der zweite Teil der zentralen Passage aus der Metaphysischen Schönheitslinie beschreibt nun den künstlerischen Produktionsprozess. Der Künstler muss, um seinem Nachahmungsdrang nachzukommen, den in der Welt wahrgenommenen vermeintlich geraden Linien eine Neigung gegen sie selbst geben. Was dies konkret bedeutet, hat Moritz nirgends so deutlich gemacht wie in der Metaphysischen Schönheitslinie. Für das materielle Ergebnis dieses Prozesses, das Kunstwerk, greift Moritz noch einmal auf die Kreismetapher zurück. In der hier verwendeten Formulierung klingt die Definition der schönen Künste an, die Moritz zuerst im zweiten Teil der Revision des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde im Kontext der Taubstummen-Diskussion verwendet hat: „Die schönen Künste sind ein Abdruck der Natur im verjüngten Maaßstabe –“ (MzE, IV, 2 [1786], S. 4)
Der Begriff Gesichtspunkt
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In Über die bildende Nachahmung des Schönen (1789) wird die Kreismetapher nicht mehr so explizit angewendet wie in der Metaphysischen Schönheitslinie. Sie bleibt als Denkschema aber aktuell und ihre Spuren finden sich über den Text verteilt in verschiedenen Zusammenhängen. Nicht der Kreismetapher zugehörig ist die zirkuläre Darstellung der Begriffe edel/schön, gut, nützlich und ihrer Gegenteile, die Moritz als anschauliches, allerdings wenig stringentes Argument für die bereits im Versuch einer Vereinigung aller schönen Künste und Wissenschaften unter dem Begriff des in sich selbst Vollendeten (1786) postulierte Antinomie zwischen dem Schönen und dem Nützlichen (oder Affinität zwischen Schönem und Unnützem) im ersten Teil der Bildenden Nachahmung aufstellt. Sie bestimmt implizit aber jene zentrale Stelle, die inhaltlich dem ausführlich besprochenen Zitat aus der Metaphysischen Schönheitslinie (vgl. oben S. 193) entspricht: „Denn dieser grosse Zusammenhang der Dinge ist doch eigentlich das einzige, wahre Ganze; jedes einzelne Ganze in ihm, ist, wegen der unauflöslichen Verkettung der Dinge, nur eingebildet – aber auch selbst dies Eingebildete muss sich dennoch, als Ganzes betrachtet, jenem grossen Ganzen in unsrer Vorstellung ähnlich, und nach eben den ewigen, festen Regeln bilden, nach welchen dieses sich von allen Seiten auf seinen Mittelpunkt stützt, und auf seinem eignen Daseyn ruht. Jedes schöne Ganze aus der Hand des bildenden Künstlers, ist daher im Kleinen ein Abdruck des höchsten Schönen im grossen Ganzen der Natur; welche das noch mittelbar durch die bildende Hand des Künstlers nacherschafft, was unmittelbar nicht in ihren grossen Plan gehörte. Wem also von der Natur selbst der Sinn für ihre Schöpfungskraft in sein ganzes Wesen, und das Maass des Schönen in Aug' und Seele gedrückt ward, der begnügt sich nicht, sie anzuschauen; er muss ihr nachahmen, ihr nachstreben, in ihrer geheimen Werkstatt sie belauschen, und mit der lodernden Flamm' im Busen bilden und schaffen, so wie sie: –“ (Nachahmung, S. 560; fett im Orig.; kursiv A. A.)
Angesprochen ist hier also erneut die psychische Konstitution des Künstlers, die in der Genielehre der Bildenden Nachahmung scharf von derjenigen des Dilettanten abgegrenzt wird.219 Der Künstler, der als Mensch selbst dem System der Natur zugehört,220 ist auf Grund der Organisation seiner Seelenkräfte in der Lage, im grossen Ganzen der Natur den Mittelpunkt zu finden, von dem ausgehend sich dieses grosse Ganze als Kreis organisiert. Moritz beschreibt den Prozess dieses Auffindens auch mittels einer Metapher aus der Optik: Die Tatkraft funktioniert in der Art einer opti-
219 Vgl. zur Genielehre der Bildenden Nachahmung Meier 2000, S. 185–188. Zum Dilettantismusproblem vgl. Vaget 1970; Vaget 1971, S. 70–77 und passim; Schrimpf 1980, S. 112f. 220 Dieser Gedanke wird ausführlich entwickelt in EN. Die Überlegung, dass die Natur durch die Hand des Künstlers mittelbar schafft, geht zurück auf EN, S. 6; Schriften, S. 13.
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schen Linse oder eines Brennglases, indem sie die Beziehungen des grossen Ganzen der Natur wie Lichtstrahlen bündelt und in einem Brennpunkt verdichtet. „Alle die in der thätigen Kraft bloss dunkel geahndeten Verhältnisse jenes grossen Ganzen, müssen nothwendig auf irgend eine Weise entweder sichtbar, hörbar, oder doch der Einbildungskraft fassbar werden: und um diess zu werden, muss die Thatkraft, worinn sie schlummern, sie nach sich selber, aus sich selber bilden. – Sie muss alle jene221 Verhältnisse des grossen Ganzen, und in ihnen das höchste Schöne, wie an den Spitzen seiner Strahlen, in einen Brennpunkt fassen. – Aus diesem Brennpunkte muss sich, nach des Auges gemessener Weite, ein zartes und doch getreues Bild des höchsten Schönen ründen, das die vollkommensten Verhältnisse des grossen Ganzen der Natur, eben so wahr und richtig, wie sie selbst, in seinen kleinen Umfang fasst. Weil nun aber dieser Abdruck des höchsten Schönen nothwendig an etwas haften muss, so wählt die bildende Kraft durch ihre Individualität bestimmt, irgend einen sichtbaren, hörbaren, oder der Ein|25|bildungskraft fassbaren Gegenstand, auf den sie den Abglanz des höchsten Schönen im verjüngenden Maasstabe überträgt.–“ (Nachahmung, S. 563; fett im Orig.; kursiv A. A.)
Ausgehend von der Metapher des Brennpunktes wird denn im obigen Zitat mit den Ausdrücken „ründen“ und „Umfang“ auch wieder die Kreismetapher aktualisiert. Die ersten Verwendungen der Kreismetapher und des Gesichtspunktbegriffs finden sich nun aber eben nicht im Kontext ästhetischer Überlegungen, sondern in den Sprachschriften, und die metaphysische Überhöhung des Gesichtspunktbegriffs findet anlässlich der Auseinandersetzung mit der Taubstummenfrage im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde statt. Zum allerersten Mal erscheint der Ausdruck Gesichtspunkt in einem Abschnitt aus dem Text Freiheit und Entschliessung. Fallen und Aufstehen. Selbstgespräch aus den Beiträgen zur Philosophie des Lebens aus dem Tagebuche eines Freimäurers von 1780: „Heute Morgen dachte ich mir das Leben noch so süß und reizend, blos weil es meiner Leidenschaft zu schmeicheln schien. Ein einziger kleiner Umstand hat mir auf einmal meinen ganzen Gesichtspunkt verrückt. Aber in diesem Augenblick würde es mir auch schon um ein grosse leichter werden von Leben Abschied zu nehmen. Indes will ich mich doch nicht irre machen lassen, in meiner angefangnen Laufbahn fortzuwandeln. Aber wenn dein Geschöpf im Staube zu schwach ist, Gott, so versage ihm deinen Beistand nicht!“ (FE, S. 81).
Moritz verwendet den Ausdruck hier noch ganz alltagssprachlich. Nach Adelung bedeutet „Gesichtspunct“:
221 Im Orig. „jenen“.
Der Begriff Gesichtspunkt
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„[…] derjenige Punct oder Standort, aus welchem man eine Sache betrachtet, so wohl eigentlich, als figürlich. Sie sehen, daß ich ihren Zustand aus dem rechten Gesichtspuncte betrachtet habe. In der Perspective ist es derjenige Punct, in welchem die Perpendicular-Linie aus dem Auge auf die Tafel gezogen wird; der Augenpunct, Hauptpunct, Punctum oculi, Punctum visus.“ (Adelung 1990 [1793– 1801] II, Sp. 628f.)
Im selben alltäglichen Sinne verwendet Moritz den Ausdruck im Aufsatz Über den märkischen Dialekt von 1781. Er entschuldigt sich am Ende des ersten Briefes bei seinem Adressaten etwa dafür, dass er wiederholt „den Gesichtspunkt aus den Augen“ verloren habe, worauf er „eigentlich, in meinem Briefe an Sie, meine Aufmerksamkeit vorzüg|13|lich richten wollte“ (Märkisch, S. 12f.). Wie später in der Deutschen Sprachlehre (vgl. DS, S. 82, 135) unterstreicht Moritz aber auch hier bereits, dass man an einem Untersuchungsgegenstand verschiedene Aspekte betrachten kann: „Um uns also vor unserm eignen Dialekte zu hüten, müssen wir denselben recht genau kennen lernen, damit er unsre verfeinerte Sprache nicht verunstalte; ob man ihn gleich auch noch aus mehrern Gesichtspunkten betrachten muß, wie nehmlich durch ihn unsre Büchersprache bereichert, und die vaterländische Geschichte vielleicht noch mehr aufgeklärt werden kann, u. s. w. Für ietzt wollen wir ihn blos aus dem ersten Gesichtspunkte beobachten, um seine Unarten, welche sich am häufigsten in unsre verfeinerte Sprache einschleichen, aus derselben zu verbannen, dabei können wir ia |20| denn immer beiläufig noch andre Betrachtungen mit anstellen.“ (Märkisch, S. 19f.)
Auch das Bild des Kreises und seines Mittelpunktes dient in manchen Fällen nur der Veranschaulichung eines notwendigen Zusammenhangs zwischen zwei Dingen, zum Beispiel in der folgenden Stelle aus der Deutschen Sprachlehre für die Damen, wo es um die für den einfachen Satz aus logischen Gründen notwendigen Satzglieder Subjekt und Prädikat geht: „[…] wer reden wollte, ohne irgend wovon zu reden, der beschriebe einen Cirkel ohne Mittelpunkt; wer etwas bloß benennet, ohne davon zu reden, der nimmt einen Mittelpunkt ohne Cirkel an: der Mittelpunkt ist der Grund der Rede, der Cirkel ist die Rede selber, beide lassen sich nicht ohne einander denken.“ (DS, S. 280)
Ein anderes Beispiel für diese Verwendung des Kreis-Mittelpunkt-Bildes stammt aus dem ersten Band des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde: „Das Pronomen Possessivum. Die Vorstellungen von dem, was wir das Unsrige nennen, drehen sich beständig um die Vorstellung von unsrem eignen Ich. Die Kreise aber, in welchen sie sich um diese Vorstellung bewegen, sind so mannichfaltig und verschieden, als die Dinge, welche uns umgeben. Und der engste Kreis verliert sich sogar in dem Mittelpunkte selber, denn wir sagen mein ich, und fühlen keinen Widerspruch dabei, wenn wir uns selbst, als etwas außer uns selber, denken.“ (MzE, I, 2 [1783], S. 101)
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Ihre erkenntnisunterstützende Umdeutung, die direkt zum Begriff des Gesichtspunktes führt, erfährt die Kreis-Mittelpunkt-Metapher dann aber in der Auseinandersetzung mit der Präposition um in den Zusätzen zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ's und Dativ's.222 Moritz muss hier erklären, weshalb die Präposition um sich mit dem Akkusativ verbindet, obwohl in Sätzen wie um das Haus stehen Bäume offenbar keine Bewegung ausgedrückt wird, was in Moritz’ Kasustheorie aber die Voraussetzung für die Akkusativrektion ist (vgl. ZAUD, S. 66, vgl. oben S. 115). Um das semantische Konzept von um zu veranschaulichen und so zu beweisen, dass dieses entgegen der ersten Intuition doch die Vorstellung einer Bewegung in sich fasst, verwendet Moritz nun das Bild des Zirkels. In der Vorstellung, die der Satz um das Haus stehen Bäume weckt, erscheint das Haus im Zentrum einer Reihe von Bäumen. Die Paraphrase die Bäume umgeben das Haus macht dann deutlich, dass „man […] sich also die Bäume gleichsam als handelnd [denkt], indem sie das Haus einschließen oder umgeben“ (ZUAD, S. 66). Das Haus „denkt man sich als den wirklichen Gegenstand dieser Einschließung oder Umgebung“ (ZUAD, S. 66). Moritz erklärt, wie dies zu verstehen ist: „[…] sobald sich […] das Stehen der Bäume nicht nur auf eine, sondern auf alle |67| Horizontalseiten des Hauses erstreckt, so fügt sich die Vorstellung von dem Hause nicht nur an die Vorstellung von dem Stehen der Bäume hinan, sondern wird von derselben ganz eingeschlossen, und so verwandelt sich der bloße Zustand des Stehens der Bäume in eine Art von Würkung auf das Haus, um welches dieselben stehen, so daß dieses Haus nunmehro ein wirklicher Gegenstand von dem Stehen der Bäume zu seyn scheinet, weil die Richtung von dem Stehen eines jeden Baumes, welche sonst ganz unbestimmt war, nunmehro eine gewisse Bestimmung auf das Haus hin erhalten hat.“ (ZUAD, S. 67)
Bäume und Haus stehen in der Vorstellung von um das Haus stehen Bäume also im selben Abhängigkeitsverhältnis zueinander wie der Mittelpunkt eines Zirkels und die Punkte seines Umkreises. Die Analogie zwischen der Vorstellung eines Zirkels und der Vorstellung, die von Sätzen wie um das Haus stehen Bäume geweckt wird, geht aber noch weiter. Um einen Satz wie Die Menschen stehen um mich her zu verstehen, muss man sich nach Moritz die Standorte aller Personen sukzessive einzeln vorstellen. In der Vorstellung findet damit eine Bewegung statt und das Verhältnis zwischen der Reihe von Menschen und mir muss damit durch den Akkusativ ausgedrückt werden. In Moritz Diktion klingt das so:
222 Aus Stellen aus den Zusätzen und aus der Deutschen Sprachlehre für die Damen hat Moritz den Aufsatz Die Präposition um für das Magazin zur Erfahrungsseelenkunde zusammengestellt (MzE, I, 2 [1783], S. 101–109).
Der Begriff Gesichtspunkt
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„Um ist ein zusammengesetzter Begriff, welcher aus vor, hinter, ne|72|ben, u. s. w. besteht; diese Begriffe muß ich mir immer erst einen nach dem andern denken, indem ich um sage, und, die Personen stehen um mich her, heißt so viel, sie stehen theils vor mir, theils hinter mir, theils neben mir, u. s. w. Sobald ich also den Begriff um zergliedern will, kann ich auch die Vorstellung, von den Personen überhaupt genommen, nicht zusammenhalten, sondern muß dieselbe ebenfalls trennen: demohngeachtet aber kann ich mir den Begriff um nicht, so wie den Begriff von den stehenden Personen, auf einmal denken, und doch soll ich ihn diesem letzten Begriffe anpassen: dieses kann auf keine andre Weise geschehen, als daß ich mir das Stehen der Personen insgesamt, wie eine Bewegung einer einzelnen Person, die um mich her geht, gedenke, und im Grunde ist es auch beinahe eben dasselbe: die Person, die in eben dem Cirkel um mich her geht, betritt auch alle die Standörter, welche jene Personen stehend betreten, nur daß immer hinter ihr und vor ihr der ganze Platz leer bleibt, welcher dort schon besetzt war, und daß eine und eben dieselbe Person alle Standörter des Cirkels betritt, welche dort immer von einer andern Person betreten wurden; nun benimmt es aber der Natur des Cirkels nicht das mindeste, ob derselbe gehend oder stehend beschrieben wird, wenn er nur beschrieben wird; ich kann ihn mir doch nicht auf einmal denken, und wenn derselbe an sich noch so still steht, so muß er sich doch immer durch meine Vorstellung bewegen, oder er muß vielmehr erst in |73| derselben, durch eine Folge mehrerer Begriffe, entstehen: geht also eine Person um mich herum, so beschreibt sie einen Cirkel, steht aber eine Reihe von Personen um mich herum, so thut sie eben dasselbe, und ersetzt die Bewegung jener einzelnen Person durch ihre Ausdehnung, ob nun aber gleich diese Reihe von Personen zugleich vor mir, neben mir, und hinter mir, schon wirklich befindlich ist, so beschleunigt doch dieses meine Vorstellung eben so wenig, als ob sie erst dahin käme; denn ich kann mir doch nicht eher denken, daß diese Reihe von Personen um mich her steht, bis ich mir erst, nicht auf einmal, sondern eins nach dem andern, gedacht habe, daß sie vor mir, neben mir, hinter mir, u. s. w. befindlich sey: wenn also gleich die um mich stehende Reihe an sich nicht fortrückt, so muß sie doch in meinen Gedanken fortrücken, sobald ich mir vorstellen will, daß sie um mich her steht. Stände dieselbe ganze Reihe von Personen vor mir, so würde ich auch von einer jeden einzelnen Person, in dieser Reihe, sagen können, daß sie vor mir stände; sobald diese Reihe von Personen aber um mich steht, kann ich nicht ebendasselbe von einer jeden einzelnen Person behaupten, was ich von der ganzen Reihe sage: denn eine jede einzelne Person hat auch eine andere Richtung gegen mich, was kann ich aber von einer Anzahl von Personen behaupten, das auf keine einzige insbesondre paßt? – Natürlicher Weise eben dieses, daß sie eine Anzahl von Personen ist, denn das paßt auf keine einzige insbesondre: eben so denke ich |74| mir auch von einem Cirkel von Personen, eben daß er ein Cirkel ist, ohne daß dieses auf eine einzige der Personen insbesondre zu passen braucht, sonst müßte ja ein Theil des Cirkels der ganze Cirkel seyn: so wie ein jeder Theil das Ganze bilden hilft, so hilft auch eine jede einzelne Person um mich her einen Kreis bilden.“ (ZUAD, S. 71ff.)
Nun interpretiert Moritz Präpositionen generell lokalistisch. In der Deutschen Sprachlehre für die Damen deutet er die lokalen Präpositionen mit Hilfe der relationalen semantischen Konzepte Berührung, Annäherung und Verlas-
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Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik
sung zweier Gegenstände (vgl. DS, S. 67 und oben S. 144). Die Präposition um bezeichnet so den Umstand, dass ein Ding ein zweites Ding an allen äusseren Seiten berührt oder sich ihm von allen äusseren Seiten her nähert. Die Präpositionen sind nach Moritz entstanden aus der Erfahrung des Menschen mit dem Raum. Sie bezeichneten deswegen zunächst auch nur die realen räumlichen Beziehungen des wahrnehmenden Menschen zu den ihn umgebenden Dingen. Erst im Verlauf der Entwicklung der Sprache erhielten sie auch eine übertragene Bedeutung: „Die Begriffe zu diesen Wörtern [scil. den lokalen Präpositionen] sind zuerst aus der Körperwelt hergenommen, und alsdann auch auf unkörperliche Dinge angewandt worden: denn man sagt Z. B. ich gehe über die Brücke, und man sagt auch, ich denke über die Sprache nach. Besonders sind die Begriffe von auf, an, unter u. s. w. zuerst vom menschlichen Körper selbst hergenommen: auf brauche ich, wenn etwas mei|62|nen Kopf, an, wenn etwas meine Seite, und unter, wenn etwas meinen Fuß berührt; über brauche ich, wenn sich etwas meinem Kopfe, bei, wenn sich etwas meiner Seite nähert; von brauche ich, wenn etwas meinen Kopf, Seite, oder Fuß verläßt. (DS, S. 61f.; Herv. im Orig.)
Als sprachliche Zeichen für die ontologischen räumlichen Beziehungen zwischen den Gegenständen in der Körperwelt erfüllen die Präpositionen deshalb eine zentrale Funktion: Nun gründet sich aber auf Berührung, Annäherung, und Verlassung der ganze Zustand und alle Veränderungen in der Körperwelt; denn ohne diese würde alles ohne Zusammenhang und ohne Beziehung aufeinander seyn. Man siehet also leicht, wie wichtig diese kleinen Wörter sind, wodurch diese drei Hauptbegriffe ausgedrückt und auf mannichfaltige Weise abgeändert werden.“ (DS, S. 62; Herv. im Orig.)
Ihre Untersuchung kann nach Moritz deshalb Aufschluss geben über die Funktionsweise des Denkens: „Jemehr wir in die Natur dieser kleinen Wörter eindringen, desto besser werden wir uns das innre Triebwerk der Sprache entwikkeln lernen. Lassen Sie uns also immer etwas länger, als bei den blossen Bildwörtern, bei denselben verweilen: denn sie machen gleichsam die innersten Fugen, und die künstlichste Zusammensetzung der mannichfaltigen Bilder in unsrer Seele aus.“ (DS, S. 69)
Die Präposition um ist nun insofern ein Sonderfall, als sie sich aus den anderen lokalen Präpositionen, die ein horizontales Verhältnis anzeigen, zusammensetzt. Das macht sie zu einem komplexen Begriff. Sie steht, wie gesehen, für das Verhältnis zwischen Gegenständen, das man sich in Analogie zum Verhältnis eines Mittelpunktes zu seinem Umkreis vorstellen muss. Und dieses semantische Konzept des Kreises passt nun nach Moritz auch auf Verhältnisse von unkörperlichen Dingen:
Der Begriff Gesichtspunkt
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„Die deutsche Sprache bedienet sich der Präposition um figürlicher Weise, bei unkörperlichen Din|84|gen, sehr häufig, und vielleicht nicht ohne Grund: denn da wir doch die unkörperlichen Dinge beständig mit den körperlichen vergleichen müssen, wenn wir dieselben benennen wollen, so scheinet es, daß der sichtbare Umfang oder die Einschliessung etwas sey, wovon wir oft in unsern Vorstellungen von unkörperlichen Dingen etwas Aehnliches bemerken, das wir nicht schicklicher, als mit diesem Namen bezeichnen können, da wir keinen eigentlichen dafür haben.“ (ZUAD, S. 83f.)
Deshalb steht die Präposition um in vielen sprachlichen Wendungen, deren Bedeutung mit dem Bild des Zirkels veranschaulicht werden kann, zum Beispiel in der Wendung wie steht es um dich: „Sehr darstellend ist der Ausdruck, wie steht es um dich, oder, wie steht es um die Sache, gut oder schlecht? Ich denke mir nehmlich dasjenige, was außer der Person oder der Sache befindlich ist, und eine Beziehung auf dieselbe haben kann, als ob es einen Kreiß um sie her schlösse, wovon die Person oder Sache der Mittelpunkt ist, worinn alle Radien des Umkreises zusammentreffen.“ (ZUAD, S. 80; Herv. im Orig.)
Ein zweites Beispiel ist die Wendung um eine Sache wissen: „Um eine Sache wissen, braucht man nur, wenn die Sache nicht allgemein bekannt ist, sondern wie ein Geheimniß von wenigen Personen bewahrt, und gleichsam in den Cirkel ihres Wissens eingeschlossen wird, welchen sie nicht überschreiten darf. Niemand wird also sagen, ich weiß darum, daß die Menschen sterben müssen, wohl aber, ich weiß mit darum, daß dieses oder jenes geschehen ist, welches bisher noch heimlich gehalten wird. Hast du darum gewußt, heißt daher beinahe eben so viel, als, hast du die Sache mit heimlich halten helfen? Die Präposition um ist also hier sehr gut gewählt, um zu zeigen, daß das Wissen weniger Personen gleichsam einen Kreis um eine Sache herzieht, ausser welchem sie nicht bekannt werden darf.“ (ZUAD, S. 82; Herv. im Orig. )
Dank dem semantischen Konzept des Kreises ist die Präposition um nun auch dazu geeignet, Verhältnisse zwischen Vorstellungen auszudrücken. Im Satz, ich gehe, um das Haus zu betrachten, hat das um zwar die Funktion einer Konjunktion, „seiner innern Natur nach [ist es aber] eben sowohl Präposition, als wenn es vor einem Nennwort steht“ (ZUAD, S. 77). Moritz trennt in seiner Analyse des Satzes die finale Infinitivkonjunktion um zu auf und bildet die zwei Einheiten um und zu betrachten als mit zu erweiterter Infinitiv (vgl. ZUAD, S. 77). Den Nebensatz interpretiert er aus heutiger Sicht ganz korrekt als Finalsatz: das Haus zu betrachten bezeichnet er nämlich als Endzweck der Handlung des Gehens (vgl. ZUAD, S. 76). Genauer analysiert ist das Haus der Gegenstand der im Infinitiv ausgedrückten Handlung betrachten und damit grammatikalisch ein Objekt, das entsprechend im Akkusativ beziehungsweise im Objektiv steht (vgl. ZUAD, S 76), „und zu betrachten […] ist der eigentliche Zweck [des] Ge-
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Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik
hens, welcher durch die Präposition um an das Wort gehen hinangefügt wird“ (ZUAD, S. 76; Herv. im Orig.). Um ist hier nun das treffende Wort zur Bezeichnung der Finalität, da der Zweck bloss in einer Vorstellung besteht und sich „die äußere Handlung des Gehens […] auf keine Weise zu dieser Vorstellung hinbewegen“ kann, sondern sich „beständig gleichsam um dieselbe herum bewegen“ muss (ZUAD, S. 76; Herv. im Orig.). Moritz vergleicht dieses Verhältnis zwischen Handlung und Zweck mit dem Verhältnis zwischen Radachse und Rad, um zu zeigen, dass sich die Handlung zwar um ihren inneren Zweck in einem Kreis bewegt, trotzdem aber eine lineare Bewegung auf einen äusseren Gegenstand vollzieht: „[…] so wie aber das Rad, welches sich um seine Axe bewegt zugleich fortrückt, so hat auch die Handlung meines Gehens, welche sich zuerst um meinen innern Endzweck oder Vorsatz bewegt, immer noch eine andre Richtung nach einem äußern Gegenstande, nach dessen Erreichung sie |77| aufhören kann, und sich nicht mehr um meinen Vorsatz zu bewegen braucht, weil derselbe erfüllt ist: sobald ich das Haus selber erreicht habe, und es würklich betrachte, brauche ich nicht mehr zu gehen, um es zu betrachten, eben so wie ein Rad stille stehen kann, und sich nicht mehr um seine Axe zu drehen braucht, sobald der Wagen dahin gekommen ist, wo er seyn soll.“ (ZUAD, S. 76f.)
Das Beschriebene gilt für alle Handlungen: „Auf die Art bewegen sich alle unsre Handlungen, um einen gewissen Endzweck oder Vorsatz, der die innre Grundlage ihrer Bewegung ist, und ihnen zugleich ihre Richtung nach irgend einem Gegenstande giebt, der wenigstens außer demjenigen Umkreise liegt, welchen sie umfassen, er mag übrigens außer uns oder in uns seyn.“ (ZUAD, S. 77)
Auf Grund der finalen Funktion, die die Präposition um gemäss dieser Analyse erfüllt, leitet Moritz aus ihr etymologisch das Frageadverb warum ab. Und in diesem Frageadverb warum wiederum erkennt er den Mittelpunkt aller menschlichen Vorstellungen: mit ihm fragt man nach Erklärungen und sucht nach Gründen und dieses Suchen nach Gründen ist „der letzte Zweck des menschlichen Denkens“ (vgl. Schriften, S. 9–11) und schliesslich die differentia specifica des Menschen. „Aus der Präposition um, in diesem letzten Verstande genommen, scheinet auch die Frage warum entstanden zu seyn, welche sich, bei allen was wir denken, unsrer Seele aufdringt, gleichsam als ob diese Frage ein nothwendiges Bedürfniß des Denkens wäre; dieses ist sie auch wirklich: denn sie ist gleichsam der Mittelpunkt unsrer Vorstellungen, nach welchen sich alle unsre Ge|78|danken hinsenken, und in welchen sie zusammentreffen. Eben so wenig wie ein Stein sich in der Luft erhalten kann, eben so wenig können wir einen Gedanken in unsrer Seele schwebend erhalten, so daß er sich zu keinem warum heruntersenken sollte, auf dem er ruhen könnte: je schwerer uns freilich der Gedanke ist, desto länger wird er auch rollen müssen, ehe er einen festen Ruhepunkt findet, und der, den er gefunden hat, wird oftmals, unter ihm einsinken, so daß er vermöge seiner ihm ei-
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genthümlichen Schwere, sich immer tiefer herunter senken muß, bis er endlich oder niemals einen festen Grund findet, der ihn tragen kann.“ (ZUAD, S. 77f.; Herv. im Orig.)
Damit hat die Kreis-Mittelpunkt-Metapher nach ihrer Geburt in der Grammatik die Ausdeutung in den Bereich der Anthropologie erfahren, in dessen Kontext, wie nun zu zeigen ist, die Gesichtspunktmetapher ihre auch für die Ästhetik wichtige Ausgestaltung erfährt. Denn die für den Begriff Gesichtspunkt zentrale Reflexion findet sich als „Abschweifung“ (MzE, IV, 2 [1786], S. 19) im Kontext der moritzschen Auseinandersetzung mit der Taubstummenfrage im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Das geht leicht vergessen, wenn sie in der Fassung zitiert wird, die unter dem Titel Der letzte Zweck des menschlichen Denkens in der Grossen Loge steht, wie dies die gängigen Werkausgaben tun.223 Ausgangspunkt der Überlegungen zum Begriff Gesichtspunkt ist die Frage nach den „pantomimischen Zeichen[…]“ (MzE, IV, 2 [1786] S. 12) der Taubstummen. Im Zeicheninventar von Moritz’ Untersuchungsobjekt Karl Friedrich Mertens finden sich etwa folgende Zeichen-Types (vgl. Mze, I, 3 [1783]): -
ausgebreitete Arme für Christus (Christus am Kreuz, der gekreuzigte Christus) Bart für Jude gehörnter Kopf (ev. + Krallenfüsse) für Teufel Feuer für Hölle Stern auf der Brust für König
Nach Moritz’ Analyse handelt es sich dabei um metonymische, in der Terminologie Peirces, indexikalische Zeichen für Konkreta.224
223 Vgl. Schriften, S. 9–11. Der Text folgt hier dem Druck im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde, ergänzt aber den Titel aus GL. Die Entfernung aus dem Kontext begründet sich hier aus der Textauswahl des Herausgebers Schrimpf, die sich natürlich auf die Ästhetik und Poetik konzentriert, was eine Berücksichtigung sprachphilosophischer und sprachpsychologischer Zusammenhänge ausschliesst (vgl. Schriften, S. XIII). Vgl. Werke III, S. 338f., hier werden die betreffenden Stellen aus dem Magazin allerdings im Anhang nachgeliefert. Der Kontext der Taubstummenfrage ist übrigens auch in der Grossen Loge gegeben, da Der letzte Zweck des menschlichen Denkens auf den Aufsatz Hephata! folgt, der seinerseits ein Wiederverwendung der Stelle ist, die im Magazin unmittelbar vor der Gesichtspunkts-Passage steht. 224 Die detaillierte Analyse des Zeicheninventars, das sich aus Moritz’ Beschreibung von Mertens rekonstruieren lässt, zeigt, dass Mertens sich komplexer ausdrücken kann, als Moritz wahrnimmt. Nach Moritz kann Mertens Nomina nur durch eine indexikalische TeilGanzes-Relation und Verba nur mittels ikonischer Nachahmung bilden.
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„Ein König z. B. wird durch Bezeichnung eines Sterns auf der Brust, ein Arzt durch einen Griff an den Puls bezeichnet. – Ein solches |13| leichtes natürliches Zeichen vertritt beinahe die Stelle eines Worts.“ (MzE, IV, 2 [1786], S. 12f.)
Der Taubstumme isoliert also zur Bezeichnung eines Gegenstandes einen Teil davon, der ihm für das zu Bezeichnende besonders aussagekräftig erscheint. In diesem Zusammenhang führt Moritz den Begriff Gesichtspunkt ein: „Der Taubstumme hält ein gewisses Bild an einem kleinen Punkte in demselben fest, der ihm zum Hauptgesichtspunkte dienet. – Er bezeichnet z. B. die Person des Königs, indem er |16| sich mit dem Finger einen Stern auf die Brust zu mahlen scheint – dieser einzelne Gesichtspunkt dient ihm statt des Nahmens König. –“ (MzE, IV, 2 [1786], S. 15f.; Herv. A. A.)
Und an diese Bemerkung schliesst er nun die allgemeine Betrachtung über den Begriff an, die zeigt, dass er hier nicht aus der Perspektivlehre, sondern aus der Kreismetapher stammt. Denn es ist die Vorstellung des Kreises, die Moritz hier zur Veranschaulichung des Konzeptes der deutlichen Vorstellung heranzieht: Eine deutliche Vorstellung entspricht demnach einem Kreis mit einem Mittelpunkt (vgl MzE, IV, 2 1786], S. 16). Liegt dieser Mittelpunkt ausserhalb des Zentrums des Kreises, so Moritz, wird dessen Wahrnehmung verfälscht: „[…] setze ich nun den seynsollenden Mittelpunkt eines Umkreises nicht gerade in die Mitte desselben, so kann ich unmöglich eine deutliche Idee von dem Umkreise erhalten, der eine Theil desselben muß gleichsam aus der Sphäre meiner Betrachtung wegfallen – ich urtheile daher falsch – das Wohlgeordnete und Gerade kömmt mir schief und ungerade vor – ich habe die Sache nicht aus dem rechten Gesichtspunkte betrachtet. –“ (MzE, IV, 2 [1786], S. 16)
Und unter Verwendung des Ergebnisses der Analyse des Finalsatzes in den Zusätzen heisst es weiter: „Der Mittelpunkt des Umkreises ist der Zweck, worauf sich alles übrige bezieht, wie die Radien eines Zirkels auf den Mittelpunkt desselben – nehme ich nun z. B. einen untergeordneten Zweck für den Hauptzweck, so muß mir nothwendig ein großer Theil der Dinge, die ich aus einem Gesichtspunkte betrachte, unzweckmäßig scheinen – der Cirkel ist nicht gehörig geründet – ich kann die Sache nicht fassen. –“ (MzE, IV, 2 [1786], S. 16)
Das Streben danach, Zwecke zu finden, erklärt Moritz nun wie bereits in den Zusätzen angelegt, zum Wesen des Menschen: „[…] darin besteht das Wesen, die ewige Tendenz unsrer Denkkraft – den ganzen Umfang unsrer Ideen auf irgend einen Mittelpunkt zu beziehen, worin sie alle, wie die Radien eines Zirkels sich vereinigen – diesen Mittelpunkt ausfündig zu machen, dahin ist das Streben aller denkenden Köpfe in jedem Zeitalter gegangen. –“ (MzE, IV, 2 [1786], S. 18)
Der Begriff Gesichtspunkt
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Dieses Streben ordnet Moritz teilweise dem Instinkt zu. Die Möglichkeit des Irrtums hebt es aber über das bloss Instinkthafte hinaus. Die Fähigkeit, sich zu irren, macht die Freiheit des Menschen aus und erhebt ihn über das Tier. „Es ist das Wesen unsrer Seele, so wie es zum Wesen der Spinnen gehört, sich zu dem Mittelpunkte ihres Gewebes zu machen.225 – Diese Tendenz nach Wahrheit, nach Beziehung und Ordnung in unsern Gedanken und Vorstellungen ist unser Instinkt, es ist ein Bestreben, wozu wir weiter kein Motiv haben, als die Natur unsres Wesens. Daß wir aber des rechten Gesichtspunktes auch verfehlen können, und die Natur unsres Wesens nicht bis dahin reicht, daß wir ihn nothwendig treffen müssen – dieß giebt unserm Denken Freiheit, und nimmt unsrer Denkkraft wieder das Instinktmäßige – daß wir irren können, ist daher einer unser edelsten Vorzüge – es ist uns zwar unmöglich, nach dem Irrthum zu streben – aber es ist uns möglich, demohngeachtet auf den Irrthum zu gerathen – und nachher wieder einzusehen, daß wir darauf gerathen sind – dieß giebt unsrer Denkkraft Selbstthätigkeit – sie muß ihrer Natur nach immer nach Wahrheit streben – aber sie muß sie nicht ihrer Natur auch |19| finden – sie muß das Mannichfaltige auf einen Zweck zu beziehen suchen – das heißt: sie muß aus dem Mannichfaltigen einen Gegenstand herausheben, den sie zum Mittelpunkt der übrigen macht – aber sie kann sich diesen Gegenstand selber wählen – sie kann jedes Einzelne in irgend einem Ganzen mit der Würde des Zwecks bekleiden, und dem Ganzen Beziehung darauf geben. – Dieß hat sie auch gethan – keine Kunst, keine Wissenschaft ist wohl z. B., die nicht einmal in dem Kopfe irgend eines Menschen zum Zweck alles übrigen gemacht wäre. – Nun kann also ein Wetteifer unter allen den verschiednen denkenden Kräften auf Erden entstehen – indem immer einer noch einen bessern Gesichtspunkt als der andre findet, woraus er die Dinge betrachtet, und man auf die Weise dem eigentlichen Mittelpunkte, oder dem eigentlichen Ziel alles menschlichen Denkens immer näher kömmt, ohne es vielleicht je ganz zu erreichen. –“ (MzE, IV, 2 [1786], S. 18f.)
Trifft diese Definition des Menschen auch auf die Taubstummen zu? Das scheint nicht der Fall zu sein, da ihnen die Wortsprache nicht zur Verfügung steht, die für das Denken aber notwendig ist, wie Moritz in den folgenden Abschnitten zeigt. Die Zeichensprache der Taubstummen erklärt
225 Das Beispiel des Spinnennetzes als eines natürlichen, instinktgebundenen Produkts konnte Moritz in Harris erster Abhandlung aus seinen Three Treatises finden, wo es heisst: „In the next place […] we must exclude all those admired Works of the Animal World, which, for their Beauty and Order, we metaphorically call artificial. The Spider’s Web, the Bee’s Comb, the Beaver’s House, and the Swallow’s Nest, must all be referred to another Source – For who can say, these ever learnt to be thus ingenious? or, that they were ignorant by Nature, and knowing only by Education? (Harris 2003 [1744], S. 11; Herv. im Orig.).
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Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik
er als gegenüber der arbiträren Wortsprache defizient. Sie entspricht mit ihrer metonymischen Semiose der Wortsprache in ihrem Entstehungsstadium: „[…] der einzelne Gesichtspunkt, woraus der Taubstumme ein Bild betrachtet, und woran er es gleichsam fest hielt, wie z. B. das Bild oder die Vorstellung von einem Könige, an dem Stern, der dessen Brust bekleidet, muß ihm statt des Worts dienen. – Allein diese Vorstellung ist weit unbehülflicher, als die durch Worte. – Diese Zeichensprache ist |20| ohngefähr das, was die Wortsprache in ihrer Kindheit gewesen seyn mag […]“ (MzE, IV, 2 [1786], S. 19f.).
Und in Anlehnung an die Sprachursprungshypothese Mendelssohns fährt er fort:226 „[…] – sie bezeichnete bloß etwas an einem Dinge, wobei man sich das übrige erinnern konnte – als z. B. an einem Pferde das Wiehern, an einem Ochsen das Blöcken. – Indem man nun dieß Geräusch durch die Stimme nachahmte, so stellte sich nach dem Gesetz der Ideenvergesellschaftung zugleich die ganze Gestalt des Thieres, das ein solches Geräusch hervorbrachte, dar. –“ (MzE, IV, 2 [1786], S. 20)
In der Entwicklung der Sprache vollzog sich nach Moritz dann eine Verschiebung von natürlichen zu willkürlichen Zeichen. Die Unterscheidung zwischen natürlichen und willkürlichen Zeichen ist für die aufklärungssemiotische Zeichenklassifikation zentral. Das Unterscheidungskriterium liegt dabei im Zeichenursprung: Willkürliche Zeichen sind durch intelligenten Wesen, natürliche Zeichen durch die Natur gesetzt. Christian Wolff argumentiert in der Ontologia (1730, § 956), der Begriff des natürlichen Zeichens enthalte in sich bereits den Grund für die Signifikation des Zeichens. Aus der Natur eines Dinges, das ein Zeichen ist, kann abgeleitet werden, was es bedeutet. Natürliche Zeichen gehen den Dingen, die sie
226 Im Sendschreiben an den Herrn Magister Lessing in Leipzig, das Mendelssohn seiner Übersetzung von Rousseaus Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes beilegt, bestimmt er zunächst David Hume folgend die Ideenassoziation zum Prinzip des menschlichen Denkens (vgl. Mendelssohn 1972 [1756], S. 104f.). Daran anknüpfend beschreibt er den Sprachursprung wie folgt: „Gesetzt nun, die natürliche [sic!] Menschen hätten sich ein wenig umgesehen, sie hätten in ihren Wäldern Schafe blöcken, Hunde bellen, Vögel singen, und das Meer brausen gehöret, sie hätten dieses so oft gehöret und die Gegenstände zugleich gesehen, daß die sichtbaren Bilder mit den Tönen in ihrer Seele eine Art von Verbindung erlangt hätten; so werden sie niemals ein Schaf hinter sich blöcken hören, ohne sich das Bild dieses Thieres in ihrer Einbildungskraft vorzustellen. Sie werden auch das Schaf niemals sehen können, ohne den Ton einigermassen zu empfinden, der sich in ihrer Seele mit diesem Bilde vereiniget hat. Wenn es also einem Wilden einfiele, diesen Ton nachzuahmen (wozu die Thiere selbst nicht selten Lust bekommen) so wird ein andrer Wilde, der diesen nachgeahmten Ton von ungefähr hörete, sich das Bild vorstellen, das er mit diesem Tone zu verknüpfen gewohnt ist. Dieses ist der Ursprung der nachahmenden Töne.“ (Mendelssohn 1972 [1756], S. 106)
Der Begriff Gesichtspunkt
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bedeuten, voran, folgen auf sie oder sind mit ihnen kopräsent (vgl. Wellbery 1984). Zwischen natürlichem Zeichen und seinem Bezeichneten besteht eine Kausalrelation (vgl. Wolff 1733, § 293). Bei einem willkürlichen Zeichen handelt es sich um einen Gegenstand, der von Menschen „nach Gefallen“ zum Zeichen für einen anderen Gegenstand gemacht wird, mit dem er „sonst vor sich nicht würde[…] zusammen kommen“ (Wolff 1733, § 294). Beispiele sind: „Schilde der Handwerker und Künstler, die besonderen Trachten für Personen von gewissem Stande oder Geschlechte“ (Wolff 1733, § 294) sowie die „Wörter“ (Wolff 1733, § 295). Bei Moritz liegt der Ursprung der willkürlichen Zeichen in den natürlichen Zeichen. Die Unterscheidung der beiden Zeichentypen beschreibt er als Verschiebung von einer metonymischen hin zu einer metaphorischen Semiose, in der sich eine Trennung von Zeichen und Begriff vollzieht.227 „Aber die vorzüglichste Aufmerksamkeit fiel doch immer auf das Geräusch, und die Vorstellung von dem Ganzen litte unter der zu lebhaften Vorstellung des Einzelnen, bis man bei der fernern Ausbildung der Sprache, und da der erste Ursprung des Worts allmälig vergessen wurde, auch das Einzelne, was das Wort anfänglich bezeichnet hatte, nicht mehr in Betrachtung zog, sondern sobald man das Wort hörte, seine ganze Aufmerksamkeit auf das Ganze richtete, und es mit dem Worte gleichsam umfaßte. – Das Zeichen hörte auf, Sache zu seyn, und wurde bloß Zeichen. – Der Ton wurde als Ton, der an sich in der Natur statt fand, gar nicht mehr in Betrachtung gezogen. Die Begriffe von Zeichen und Sache lagen in der Seele abgesondert, und konnten sich nicht mehr untereinander verwirren. –“ (MzE, IV, 2 [1786], S. 20)
Die willkürlichen Zeichen unterstützen die symbolische Erkenntnis im Sinne Leibniz’ (vgl. S. unten 234), während die natürlichen Zeichen dies nicht vermögen. „Die ganze Masse der Zeichenbegriffe zusammengenommen wog auch nicht einen einzigen Sachbegriff, in Ansehung ihres innern Gehalts, auf – darum wurde sie nun eben ein so bequemes, behendes und leichtes Werkzeug zum Denken, welches die Masse der sichtbaren Zeichen nie werden kann. Denn diese können nie aufhören, zugleich in andern Beziehungen als Sachen gedacht zu werden, sie können nie ganz reine Zeichen werden. Ein Stern auf der Brust eines Königes bleibt immer außer dem Zeichen der Würde auch an sich noch etwas. –“ (MzE, IV, 2 [1786], S. 21)
227 Hier unterscheidet er sich bereits wieder von Mendelssohn.
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Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik
Dabei denkt Moritz hier aber offenbar nur an die artikulierte Wortsprache: „Man kann kein Bild, keine Figur erfinden, die nicht außer der Idee des Menschen noch irgendwo in der Natur statt fände – aber die ganze Natur außer dem Menschen, die ganze Thierwelt und alle Flüsse und Winde bringen keinen artikulirten Ton hervor – dieser ist und bleibt das Eigenthum des Menschen, wodurch er sich gleichsam zum Herrn der ihn umgebenden Natur macht, und alles unter das Gebiet seiner allmächtigen Denkkraft zwingt. – Er kann das unermeßliche Weltall, welches vor ihm steht, vermittelst dieser Zeichen in- und auseinanderwickeln – auf der Walze stehen vierundzwanzig Stifte, in denen die unendliche Harmonie dieses ganzen Weltalls mit allen ihren Melodien schlummert. – “ (MzE, IV, 2 [1786], S. 21)
Und diese Wortsprache hat der Taubstumme eben nicht zur Verfügung. Seine Denkkraft kann aber trotzdem erhöht werden, nämlich „durch ein beständiges Streben nach Simplifizirung der Zeichen, vermöge deren der Taubstumme, die ihn umgebende Welt in seinem Kopfe zu ordnen sucht – erlangt er nun gleich durch dieses Streben nie seinen Zweck, so ist doch dieß unwillkührliche Streben selbst schon eine unmerkliche Uebung der Denkkraft – und wenn es vorzüglich |23| auf Erhöhung derselben ankömmt, so ist es gleichviel, wodurch sie erhöht wird. –“ (MzE, IV, 2 [1786], S. 22f.) „Indem der Taubstumme, durch das Bedürfniß, sich andern verständlich zu machen, genöthigt wird, Zeichen zu erfinden, bei denen andere sich irgend ein Ganzes denken sollen, so wie er es sich dabei denkt, und indem er zu dem Ende irgend einen Theil eines Ganzen zum Zeichen des Ganzen macht – so lernt er unvermerkt, das einzelne mit beständiger Rücksicht auf das Ganze, und das Ganze mit beständiger Rücksicht auf das Einzelne, betrachten. – Und daß wir dieß, sey es auch auf noch so verschiedene Weise, lernen – scheinet doch der eigentliche Endzweck unsres Erdenlebens zu seyn. – Kein denkendes Geschöpf, bei dem dieser Endzweck, sey es auch, auf welche Art es wolle, erreicht ist, scheint mir vernachläßiget zu seyn. –“ (MzE, IV, 2 [1786], S. 23)
Das hier entwickelte, als Endzweck des Erdenlebens bezeichnete Betrachten des Einzelnen mit beständiger Rücksicht auf das Ganze sowie des Ganzen mit beständiger Rücksicht auf das Einzelne entspricht nun dem hermeneutischen Postulat aus Moritz’ Kunsttheorie, wie er es etwa in der Bestimmung des Zwecks einer Theorie der schönen Künste beschreibt, und das Suchen nach Gesichtspunkten entspricht dem Geschäft dieser Theorie der schönen Künste (vgl. oben S. 192).
Die bildende Nachahmung
3.3.3
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Die bildende Nachahmung
Ein Haupttheorem der Ästhetik von Karl Philipp Moritz ist die bildende Nachahmung des Schönen (vgl. Kap. 3.1). Gemäss diesem Konzept definiert sich Kunst weniger durch die Eigenschaft des Kunstwerks ein Abbild zu sein, zum Beispiel der schönen Natur, als vielmehr durch die Fähigkeit des Künstlers sich im Produktionsprozess analog zur schaffenden Natur zu verhalten. Der Künstler soll nicht die Natur, sondern, mittels seiner Schöpfungskraft, der Natur nachahmen. Kunstproduktion ist Aus-sichHerausbilden, eher ein Produzieren als ein Reproduzieren (vgl. Szondi 1974, S. 93), eher poiesis als mimesis (vgl. Kap. 3.1): „Wem [...] von der Natur selbst, der Sinn für Schöpfungskraft in sein ganzes Wesen, und das Mass des Schönen in Aug’ und Seele gedrückt ward, der begnügt sich nicht, sie anzuschauen; er muss ihr nachahmen, ihr nachstreben, in ihrer geheimen Werkstatt sie belauschen, und mit der lodernden Flamm’ im Busen bilden und schaffen, so wie sie:–“ (Nachahmung, S. 560; Herv. A. A.)
Als Quelle für das Konzept der bildenden Nachahmung, für den Wechsel von der Mimesis zur Poiesis, hat die Forschung verschiedentlich auf Shaftesbury’s Soliloquy (1711) und die dortige Bestimmung des Künstlers als „second Maker “ (Shaftesbury 1981 [1711], S. 110; Herv. im Orig., vgl. Sörensen 1963, S. 80) sowie auf Lessing und Herder (vgl. Todorov 1995, S. 149) verwiesen. Anneliese Klingenberg hat aber schon 1995 darauf hingewiesen, dass Moritz das Prinzip der bildenden Nachahmung nicht erst in der Auseinandersetzung mit dem Schönen, sondern bereits in seiner Sprachtheorie entwickelt habe (Klingenberg 1995, S. 32f.). Und tatsächlich lässt sich die artikulatorische Mimesis, die in der Deutschen Sprachlehre für die Damen als zentrales Prinzip von Moritz’ Sprachursprungstheorie die ursprüngliche Wahrheit der Wörter garantiert, als bildende Nachahmung interpretieren. Die Quellen für dieses Prinzip und damit verbunden die Quellen für den Lautsymbolismus müssen also die bisher in der Forschung genannten Quellen ergänzen. Vorarbeit dazu hat Friedrich Müffelmann geleistet. Sein Kapitel Moritz’ Anschauungen über den Ursprung der Sprache geht allerdings von der impliziten und damit unreflektierten methodischen Prämisse aus, Moritz’ Sprachschriften seien als einheitliches Werk zu betrachten. Dadurch legitimiert sich Müffelmanns Methode, entkontextualisierte Stellen aus heterogenen Texten zu einer homogenen „Auffassung von dem Ursprung der Sprache“ Moritz’ zu amalgamieren.228 Bei aller vorgeblichen Exaktheit
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Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik
Sprache“ Moritz’ zu amalgamieren.228 Bei aller vorgeblichen Exaktheit blendet Müffelmann die Entwicklung, die Moritz bei der Frage des Sprachursprungs durchläuft (vgl. Kap. 2.3.2), aus.229 Die Quellen der moritzschen Überlegungen zum Sprachursprung verortet Müffelmann vor allem bei Condillac und Rousseau sowie bei Charles de Brosses. Mindestens die beiden ersten kennt er aber offenbar nur aus Herders Darstellung in dessen Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1987 [1772]) und aus Wundts Völkerpsychologie (1900). Entsprechend vorsichtig klingt seine Formulierung: „[E]r scheint […] sich den naturalistischen Standpunkt der französischen Denker Condillac und Rousseau zu eigen gemacht zu haben, dass die Sprache aus Empfindungslauten, unartikulierten Schreien entstanden sei, die der Anblick der Gegenstände in dem Menschen ausgelöst habe“ (Müffelmann 1930, S. 17). Darüber hinaus argumentiere Moritz an manchen Stellen mit Herder, an anderen gegen ihn. „Klar erkennen“ liessen Moritz’ Äusserungen, „dass er sowohl die ‚Wundertheorie’, wonach die Sprache übernatürlichen Ursprungs, ein Schöpfungsakt Gottes ist, als auch die ‚Erfindungstheorie’ der Empiristen des 17. und 18. Jahrhunderts ablehnte […]“ (Müffelmann 1930, S. 17). Für das Thema des folgenden Kapitels interessant ist Müffelmanns Hinweis, Moritz’ Hypothese der bildenden Nachahmung der Laute gehe auf den Traité de la formation mechanique des langues (1765) von Charles de Brosses zurück. Diesem Hinweis soll im Folgenden insbesondere nachgegangen werden. Zunächst aber soll die Geschichte der Theorie der Lautsymbolik am Beispiel einiger im Hinblick auf Moritz ausgewählter zentraler Positionen nachgezeichnet werden.230 Als erster für die westliche Sprachphilosophie
228 Es ist „nicht allzu schwer, an der Hand zerstreuter Äusserungen und einzelner Abschnitte seiner grammatischen Schriften seine Anschauungen über die Sprache, speziell über ihren Ursprung, festzustellen […]“ (Müffelmann 1930, S. 15f.). 229 So integriert er etwa im folgenden Zitat aus der Deutschen Sprachlehre in Klammern eine Variante der Zweitausgabe, ohne zu reflektieren, worin der Grund für die Ergänzung besteht: „Dies bestätigt sich wirklich dadurch, dass die Taub- und Stummgebornen, wenn sie ihr Gehör erhalten, erst durch die Sprache (deutliche) Begriffe bekommen […]“ (Müffelmann 1930, S. 21f.). 230 Zwei wichtige sprachtheoretische Positionen, in welchen die Lautsymbolik eine zentrale Rolle gespielt hat, müssen dabei unberücksichtigt bleiben: die mystische Sprachbetrachtung des Mittelalters (vgl. dazu Nate 1999, Gardt 1994 und Klein 1992) und die barocke Lautsymbolik (vgl. dazu Hundt 2000, v.a. S. 190–194; Gardt 1994 und Kayser 1932). Einzig eine für die Lautsymbolik in deutschen Sprachlehren einflussreiche Stelle soll hier angeführt werden. Sie stammt aus der ersten deutschsprachigen Grammatik von Valentin Ickelsamer: „Etymologia heisset der ware rechte verstand / oder die außlegung und anzeygung des ursprungs der wörter / und ist in allen sprachen / glaub ich / kaum ein lieblicher ding / dann solche Etymologias unn Composition der wörter erkennen unn verstehn / Es ist so künstlich ding / das geleich ettliche tieffe geheimnuß allein unter den Buchstaben verborgen ligen / welliches auch den Juden ein ursach ist dz sie schier mit allen buchstaben irer
Die bildende Nachahmung
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und für die Lautsymbolik relevanter Text gilt Platons Dialog Kratylos.231 Mit ihm beginnt die folgende Darstellung. Die Sprachursprungsfrage spielt im Kratylos zwar eine bestenfalls untergeordnete Rolle.232 Aber Platons Dialog initiiert die Lautsymbolik. Darauf weist auch Eugenio Coseriu in seiner Geschichte der Sprachphilosophie hin und wünscht sich eine historische Aufarbeitung der Auseinandersetzung mit der, wie er sie nennt, „ikastischen Funktion der sprachlichen Zeichen“ (Coseriu 2003, S. 53)233: „[Sokrates] liefert damit einen Beitrag zum Problem der ikastischen Funktion der sprachlichen Zeichen, der bis heute nicht entscheidend weiterentwickelt wurde. Es wäre reizvoll, die weit verstreuten Arbeiten zu diesem Themenkomplex einmal systematisch auszuweiten und das Ergebnis mit Platons Ausführungen im Kratylos zu vergleichen“ (Coseriu 2003, S. 53). Was Coseriu hier anregt, unternimmt Gérard Genette in seinem Buch Mimologiken. Reise nach Kratylien (1976). Genette stellt in dieser Studie eine Reihe von Texten aus unterschiedlichen Epochen vor, die sich alle
sprach / also schertzen unn philosophirn / In unsern Teütschen wörtern ist auch sollicher kunst nicht wenig / Aber es ist so gar in unbrauch / unverstand / unn vergeß kommen / das ich glaub / das nit ein Nation sey / wie irer wörter unn sprach weniger verstand und ursach wisse und geben künde / als die Teütschen.“ (Ickelsamer, Valentin, Ein Teütsche Grammatica, o. O. u. J. [1534], fol. DIIrf; zit. nach: Klein 1992, S. 81). Klein sieht hierin ein „quasi-mysthisches Fundament“ der deutschen Sprachtheorie (vgl. Klein 1992, S. 81, Anm. 4). Die Überzeugung, dass gerade hinter den deutschen Buchstaben und Wörtern besondere Geheimnisse verborgen seien, blieb „bis weit ins 17. Jahrhundert ein legitimatorischer Grundzug grammatisch-sprachtheoretischer Arbeiten in Deutschland“ (Klein 1992, S. 81). 231 Vgl. etwa Coseriu 2003, S. 41 oder Borsche 1991, der auf S. 140 schreibt: „[…] Platon [ist] für die Geschichte der Sprachtheorie von herausragender Bedeutung. Immerhin ist die erste zusammenhängend überlieferte ‚sprachtheoretische’ Schrift der Antike ein platonischer Dialog: der Kratylos“. Natürlich reicht die Geschichte der westlichen Sprachphilosophie mindestens zurück bis in die Zeit der Vorsokratiker (vgl. etwa Pinborg 1975, S. 69). Moritz bezieht sich in seinem sprachwissenschaftlichen Werk nirgends direkt auf einen antiken Autor. Manche seiner Fragestellungen und Lösungsansätze lassen sich aber zumindest indirekt bis in diese Zeit zurückverfolgen. 232 Dass der Kratylos aber gleichwohl nicht aus dem Kontext der Sprachursprungsdebatten wegzudenken ist, betont etwa Cordula Neis (vgl. Neis 2003, S 25f.) 233 In seiner „Textlinguistik“ definiert Coseriu die ikastische Funktion des Zeichens als die „direkte Nachahmung der bezeichneten Sache durch das signifiant eines einzelnen Zeichens bzw. durch die signifiants einer Zeichenkette“ (Coseriu 2006, S. 111). Es handelt sich nach Coseriu also um eine Relation zwischen den materiellen Zeichen (den Zeichenträgern) und den bezeichneten Sachen (vgl. Coseriu 2006, S. 111). In seinem Aufsatz „Naturbild und Sprache“ von 1982 umschreibt Coseriu die ikastische Funktion des sprachlichen Zeichens als dessen nachahmende Funktion (vgl. Coseriu 2004, S. 73). Die Problematik sei in ihren Grundzügen seit Platons Kratylos bekannt gewesen. Bereits früh habe man verschiedene Formen dieser „direkt darstellenden Zeichenfunktion“(Coseriu 2006, S. 111) unterschieden. Besonders im 18. Jahrhundert seien Klassifikationsvorschläge unternommen worden (vgl. Coseriu 2006, S. 111). Die neuere Linguistik hingegen habe das Problem marginalisiert.
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der Mimologik widmen. Unter Mimologik versteht er eine sprachphilosophische Überzeugung, welche zwischen Wort und Ding eine Beziehung der widerspiegelnden Analogie (der Nachahmung) behauptet, die die Wahl des Wortes für das Ding motiviert. Diesen Typ der Beziehung zwischen Wort und Ding nennt Genette Mimologie. Als „Gründungstext, Matrix und Programm“ des mimologische Diskurses oder des Mimologismus bestimmt Genette eben Platons Kratylos. Mimologismus ist deshalb ein Synonym für Kratylismus (vgl. Genette 2001, S. 10). Genettes Mimologiken dienen mir im Folgenden immer wieder als Leitfaden. Nach der Besprechung von Platons Kratylos und der für die Sprachursprungsdebatte zentralen Position Herodots folgen Kapitel zu Publius Nigidius Figulus, Augustinus und Leibniz. Im Anschluss daran wird untersucht, inwieweit de Brosses Traité als Quelle für Moritz’ Sprachursprungstheorie betrachtet werden kann. 3.3.3.1 Zur Lautsymbolik in der Sprachphilosophie vor Charles de Brosses Der Ursprung der Lautsymbolik: Platons Kratylos Der Dialog Kratylos234 wird heute Platons mittlerer Schaffensphase zugeordnet. Louis Méridier zufolge hat Platon den Dialog zwischen dem Euthydemos (um 386) und dem Gastmahl (um 385) geschrieben (vgl. Genette 2001, S. 14, Anm. 1). Nach neueren Datierungen ist er zwischen 393 und 388 v. Chr. entstanden (vgl. Hansen 2002, S. 24). Der Erstdruck, in der lateinischen Übersetzung von Marsilio Ficino, erfolgte ca. 1482/84 (Opera, Florenz o.J.).235 Die erste deutsche Übersetzung erschien nach Hansen 1772. Der Übersetzer sei Moritz’ späterer Kollege am Gymnasium zum Grauen Kloster und vertrauter Freund Johann Georg Zierlein236 (vgl. MzE I, 1 [1783], S. 58) gewesen (vgl. Hansen 2002, S. 24).237 In Moritz’ Schriften findet sich keine direkte Bezugnahme auf den Kratylos. In
234 Bibliografien der Literatur zum Kratylus finden sich in: Derbolav 1972, Gaiser 1974 und in der International Philosophical Bibliography (online). 235 Das griechische Original wurde erstmals gedruckt in: Hapanta ta tu Platonos, herausgegeben von M. Musoros, Venedig 1513. 236 Nach Zierleins frühem Tod im Jahr 1782 schrieb Moritz im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde einen Nachruf (vgl. MzE I, 1 [1783], S. 56–64). 237 Im bei Hansen angegebenen Publikationsorgan, Gottlob Benedikt von Schirachs Magazin der deutschen Kritik, Band 1/2, Halle 1772, findet sich allerdings nur ein mit „Zn“ unterzeichner Essay zum Kratylos, aber keine Übersetzung.
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Zierlein hätte er aber einen Gewährsmann erster Güte gehabt und es ist gut möglich, dass der Lautsymbolismus bei den vielen gemeinsamen Spaziergängen (vgl. MzE I, 1 [1783], S. 58) einmal Thema geworden ist. Einen Beleg dafür gibt es freilich nicht. Ein anderer Zeitgenosse von Moritz, Christoph Meiners238, hat den Einfluss Platons auf die Sprachlehre der Zeit 1782 als eher gering eingeschätzt: „[D]ie neuern Schriftsteller über die Sprache [haben] den Kratylos wenig oder gar nicht genuzt [sic!] [...]“. Trotzdem hält er den Kratylos für einen wichtigen Text: „[Es] ist nichts desto weniger gewiß, daß er alles enthält, was sich über die Frage von der eigentlichen Beschaffenheit und Natur articulierter Wörter sagen läßt“ (Meiners 1782, S. 770).239 Zum Inhalt: Sokrates wird gebeten, im Streit um die Frage nach der Richtigkeit der Namen zwischen den beiden Kontrahenten Hermogenes und Kratylos zu vermitteln. Hermogenes ist Anhänger der VertragsThese. Er hält alle Namen für richtig, da sie durch Vereinbarung gefunden worden sind. Kratylos hingegen vertritt die Naturalismus-These und ist der Meinung, dass nur diejenigen Namen richtig und damit überhaupt Namen sind, die ihrem Gegenstand von Natur aus zukommen. Sokrates entscheidet sich bekanntlich weder für die „Natur-“ noch für die „Vertragslehre“ (Schrastetter 1989), verfolgt aber „die Wege, die die beiden Thesen eröffnen, bis zu ihrem äussersten Ende“ (Coseriu 2003, S. 58). Darüber aber, wo sich Sokrates und mit ihm Platon in der Frage positionieren, gehen die Interpretationen bis heute auseinander. Der Dialog gliedert sich in drei Teile (wobei sich der zweite Teil noch mal unterteilen lässt). Im Einleitungsteil werden die beiden Thesen vorgestellt (383a – 384c). Der erste Hauptteil, der mit Abstand umfangreichste, besteht aus dem Gespräch des Sokrates mit Hermogenes (385b – 390e) und einem Etymologie-Teil (391a – 427d). Sokrates verteidigt hier gegen Hermogenes die Naturalismus-These von Kratylos. Sie wird anhand von Etymologien überprüft. Die Wörter werden dabei als Definitionen aufgefasst. Schliesslich werden die Wörter in Phoneme zerlegt, die ihrerseits lautsymbolisch als motiviert bezeichnet werden. Im zweiten Hauptteil dann vertritt Sokrates gegen Kratylos die These des Hermogenes (427e – 440e). Relevant für die Frage nach den Quellen für Moritz’ Sprachphilosophie und Sprachursprungshypothese ist der Etymologie-Teil, insbesondere
238 Christoph Meiners, 1747–1810, war Professor der Weltweisheit in Göttingen. Er bleibt in negativer Erinnerung, weil er in seinem „Grundriss der Geschichte der Menschheit“ (1785) rassistisches und antisemitisches Gedankengut verbreitet. 239 Vgl. als Beispiel der zeitgenössischen Interpretation des Kratylos auch Garnier 1782 (vgl. dazu Droixhe & Hassler 1989, S. 337).
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die Stellen zur Lautsymbolik (426c – 427d). Sie sind zwar nicht die direkte Quelle, stehen aber am Beginn einer Tradition, aus der die Quelle von Moritz erwächst. Die Frage nach dem erkenntnistheoretischen Wert der Sprache. Eugenio Coseriu stellt den Kratylos in seiner „Geschichte der Sprachphilosophie“ in den Kontext der vorsokratischen Sprachphilosophie und stellt fest, Platon frage, wie andere antike Denker vor und nach ihm, nach dem erkenntnistheoretischen Wert der Sprache. Diese Fragestellung sei jedoch „noch wenig ausdifferenziert“ gewesen (Coseriu 2003, S. 33). Es gelte hier dementsprechend zu unterscheiden zwischen Beschäftigungen mit „Sprache im allgemeinen“, „Sprache als Satz“ und „Sprache als Wort“ (Coseriu 2003, S. 33), wobei sich Platon im Kratylos vornehmlich mit der letzten „Erscheinungsform des Phänomens ‚Sprache’“ (Coseriu 2003, S. 33) auseinandersetzt, nämlich mit der Frage, „ob ein Wort dem Gegenstand oder Sachverhalt […], den es bezeichnet, entspricht oder nicht“ (Coseriu 2003, S. 33). Eine zentrale erste Frage an Platons Text betrifft dann die „Interpretation des Verhältnisses von ‚Wort’ und ‚Gegenstand’ in epistemologischer Sicht“ (Coseriu 2003, S. 34): „Was kann gemeint sein, wenn die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Wort und dem von ihm bezeichneten Gegenstand gestellt wird“ (Coseriu 2003, S. 34). Coseriu unterscheidet hier einen ontologischen, einen logisch-funktionalen und einen glottogonischen Sinn (vgl. Coseriu 2003, S. 34). Im ontologischen Sinn meint die Frage: „Entspricht ein Wort (qua onoma, signifiant) tatsächlich dem Sein des Gegenstandes, den es benennt?“ (Coseriu 2003, S. 34; Herv. im Orig.). In logisch-funktionaler Hinsicht wird gefragt: „Wozu ist der Name da? Wodurch wird der artikulierte Laut zu einem Namen? Welches Verhältnis besteht zwischen dem durch den Namen bezeichneten Gegenstand und dem, was über ihn ausgesagt wird?“ (Coseriu 2003, S. 34). Schliesslich kann sich die Fragestellung nach Coseriu auch in Richtung auf den Ursprung der Namen verschieben und ist dann ein „glottogonische[s] Problem“ (Coseriu 2003, S. 34; Herv. im Orig.). Diese verschiedenen Interpretationen der Frage nach dem Verhältnis zwischen Wort und Gegenstand werden bei Platon, wie überhaupt in der Antike, nicht klar differenziert. Trotzdem geht es de facto vornehmlich um den ontologischen Aspekt der Fragestellung. Coseriu hält fest, der logischfunktionale Aspekt werde von Platon zwar mehrmals angedeutet, jedoch erst von Aristoteles explizit herausgearbeitet. Und der glottogonische Aspekt schliesslich beherrsche die Diskussion in der nacharistotelischen Philosophie und erscheine in ähnlich lautenden Formulierungen in der späteren Sprachphilosophie bis Leibniz (vgl. Coseriu 2003, S. 34f.).
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Die Frage nach dem semiotischen Status der Sprache. Das Verhältnis zwischen „Wort“ und „Gegenstand“ kann und muss aber nicht nur in epistemologischer, sondern auch in zeichentheoretischer Hinsicht differenziert interpretiert werden. Die Frage zielt hier auf die unterschiedlichen theoretischen Erscheinungsformen des sprachlichen Arbitraritätsprinzips. Coseriu hat die Geschichte des Arbitraritätsbegriffs in seinem Aufsatz L’arbitraire du signe. Zur Spätgeschichte eines aristotelischen Begriffs von 1967 detailliert nachgezeichnet. In der Geschichte der Sprachphilosophie unterscheidet er drei Phasen in der Entwicklung des Sinns der Problemstellung, in welchen die Behauptungen, zwischen „Wort“ und „Gegenstand“ herrsche ein beziehungsweise kein notwendiges Verhältnis, jeweils unterschiedlich interpretiert werden. Bei Platon relevant ist die erste Phase dieser Entwicklung: Entweder ist das Verhältnis zwischen „Wort“ und „Gegenstand“ demnach notwendig, von Natur aus gegeben, oder aber nicht notwendig, und das heisst hier „durch Gesetz, Usus, Konvention, Übereinkunft“ gegeben (vgl. Coseriu 2003, S. 35). In Frage steht damit die „Richtigkeit der Namen“: „Gibt es eine natürlich motivierte Entsprechung zwischen dem Wortlaut (der Wortform) und dem bezeichneten Gegenstand? Liegt es in der Natur der Sache, dass ihr Name gerade so und nicht anders lauten muss?“ (Coseriu 2003, S. 36). Werden diese Fragen bejaht, eröffnen sich neue Probleme: Denn wahr oder falsch können nur Aussagen, nicht aber Wörter sein. Auch wenn die vorplatonische Philosophie dieses Prinzip nach Coseriu noch nicht klar ausgesprochen hat, wurde ihm doch „intuitiv Rechnung getragen“ (Coseriu 2003, S. 37). So haben die vorsokratischen Philosophen, wenn sie nach der Richtigkeit der Namen fragten, das Wort wie eine Aussage oder eine Definition behandelt. Dazu musste das Wort in kleinere Teile zerlegt werden, die ihrerseits Bedeutung tragen. Während dies etwa bei Komposita einfach war, führte das Verfahren bei Simplicia nach Coseriu „oft zu völlig willkürlichen Ergebnissen“ (Coseriu 2003, S. 37). Und natürlich wurde das Problem durch die Zerlegung des Wortes in elementare Bestandteile nicht gelöst, sondern nur verschoben. Denn nun galt es, die Grundbestandteile der Wörter zu ermitteln, die nun eben eine Ähnlichkeit mit den Dingen haben sollten, damit sie als deren Nachahmung gedeutet werden konnten (vgl. Coseriu 2003, S. 37). Dabei erwies es sich oft als notwendig, von der Ebene der bedeutungstragenden zu jener der bedeutungsunterscheidenden Einheiten hinabzusteigen. Den Phonemen wurden dann entweder eine unmittelbar lautmalerische (onomatopoetische) oder mittelbar lautsymbolische (ikastische) Funktion zugeschrieben (vgl. Coseriu 2003, S. 37). Was Coseriu hier beschreibt, ist genau das, was Platon im EtymologieTeil des Kratylos macht. Der Etymologie-Teil hat bei den Kommentatoren
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seit jeher zu Diskussionen geführt, vor allem darüber, ob Platon hier ernst oder ironisch sei.240 Das soll hier nicht Thema sein. Immerhin hat der lautphysiognomische Teil die Tradition begründet, aus der dann auch Moritz’ Sprachursprungshypothese entstehen wird. Josef Derbolav zeichnet diese Tradition in einer Fussnote knapp nach: „Platons Motive wirken im Altertum bei Varro, bei den Stoikern weiter, sie tauchen in der Kabbala auf und wandern von hier in die Mystik. Sie begleiten J. Böhme bei seinen tiefsinnigen Bemühungen um die adamistische [sic!] Ursprache, ‚bei welcher der Mensch das Wort des Namens eines Dinges im Munde’ formt, ‚wie das Ding in der Schöpfung ist worden’; sie inspirieren die ‚characteristica universalis’ eines Leibniz, sie finden sich in der Lautsymbolik der Schlesischen Dichterschule, im System der Buchstabendeutung des Enzyklopädisten Ch. D. Brosses; sie begegnen uns seit Hamann und Herder in der Sprachphilosophie der Romantik bei J. Grimm u.a., und sie werden auch in jüngster Zeit mit dem verschärften methodischen Bewusstsein der vergleichenden Sprachforschung und der Ausdruckspsychologie wieder aufgenommen und weitergeführt […].“ (Derbolav 1972, S. 71, Anm. 3)
Gérard Genettes Interpretation des Etymologie-Teils scheint mir für meinen Zweck hilfreich zu sein. Ihr werde ich in den folgenden Abschnitten folgen. Der Etymologie-Teil. Nach Genette bedienen sich die „Etymologien“ des Sokrates verschiedener Verfahren von lexikalischen Manipulationen, die sich auf die Kategorien Analyse und Paronymie (=annähernde Homonymie) zurückführen lassen. Allen gemeinsam ist ihre motivierende Funktion (vgl. Genette 2001, S. 26). Genette unterscheidet im Kratylos das Verfahren der indirekten Motivation von der direkten Motivation. Es geht in Platons Dialog ja um die Frage nach der Richtigkeit der Benennungen. Und Genette warnt davor, „diesen Begriff zu verraten, wollte man ihn unmittelbar in eine direkte mimetische Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat übersetzen“ (Genette 2001, S. 27). Eine „Benennung“ kann auch dann als „richtig“ klassiert werden, wenn sie sich in lexikalische Bestandteile zerlegen lässt, deren Bedeutungen zum durch die Benennung Benannten ‚passen’. Die „Benennung“ erfährt dann eine indirekte Motivation. Ob die lexikalischen Bestandteile ihrerseits als „richtig“ klassiert werden können, ist eine andere Frage, die zeigt, dass das Problem der Arbitrarität durch die indirekte Motivation nur verschoben wird. Da Sokrates seine etymologischen Verfahren zunächst an Eigennamen vorführt, um sie anschliessend auf andere Wörter (Gemeinnamen) anzuwenden, interpretiert Genette alle sokratischen Etymologien als Eponymi-
240 Vgl. dazu den Forschungsüberblick von Derbolav, 1971, S. 228f.
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en. Es geht Sokrates nach Genette also nicht darum, durch Etymologie den Ursprung von Namen zu finden, sondern darum zu prüfen, ob die Namen „richtig“ sind im Sinne von zutreffend, stimmig. „Zusätzlich zu seiner Bezeichnungsfunktion kann man für den Eigennamen eine echte Bedeutung entdecken, die das ‚etymologische’ Verfahren offenbart, und seine Richtigkeit besteht exakt in einem Vertrag der Übereinstimmung zwischen Bezeichnung und Bedeutung (zwischen Bezeichnetem und Bedeutetem), wobei letztere erstere gewissermassen steigert, verstärkt, bestätigt: sie, mit einem Wort, motiviert, indem sie ihr einen Sinn gibt.“ (Genette 2001, S. 28; Herv. im Orig.) „Die Eponymie einer Person ist die Tatsache, dass sie einen Beinamen trägt; die Eponymie des Namens ist sein Wert als Beiname, der Einklang zwischen seiner Bezeichnung und seiner Bedeutung, seine indirekte Motivation.“ (Genette 2001, S. 29)
Nun hat ein Gemeinname an sich eine Bedeutung. Sie wird bei diesem Verfahren „gewissermassen vorübergehend ausser Kraft“ gesetzt und der Gemeinname wie ein Eigenname behandelt (vgl. Genette 2001, S. 30). Das Problem bei dieser indirekten Motivation besteht in ihrer Zirkularität. Jedes Produkt der Analyse muss seinerseits wieder indirekt motiviert, das heisst auf andere Wörter bezogen werden. Und da der Wortschatz endlich ist, ist das Verfahren zirkulär (vgl. Genette 2001, S. 31). Um diesem Problem zu entgehen führt Platon nach Genette die direkte Motivation ein. Die direkte Motivation beruft sich auf einen Symbolismus der Laute (vgl. Genette 2001, S. 32), der in einer lautlichen Mimesis (vgl. Genette 2001, S. 34) besteht.241 Physiognomische Lautanalyse242 im Etymologie-Teil. Am Ende des Etymologie-Teils kommt Sokrates auf die Motiviertheit der Laute zu sprechen. Die Argumentation verläuft folgendermassen:243 Alle bisher aufgeführten Etymologien sind nach Sokrates Ableitungen aus einem vorhandenen Vorrat an Stammwörtern. Diese Stammwörter verlangen nach Erklärung, denn sonst schwebten alle bisherigen Deutungen in der Luft. Die Richtigkeit der Stammwörter gründet sich nun anscheinend darauf, dass die Laute (Buchstaben) dieser Wörter eine unmittelbare Nachahmung der Dinge selbst darstellen, nämlich ihrer Geräusche vermit-
241 Dass auch dieses Verfahren zirkulär ist, merkt Derbolav an: „Der Lautphysiognomiker scheint […] nur mit Hilfe eines Zirkelverfahrens zu seinen Ergebnissen zu gelangen, dadurch nämlich, dass er die Bedeutung des jeweils Gemeinten, |72| ohne es selber zu merken, in die Lautstruktur der Worte physiognomisch hineinprojiziert“ (Derbolav 1971, S. 71f.). 242 Der Begriff wird verwendet von Derbolav (Derbolav, 1972, S. 34) und Borsche (Borsche 1991, S. 148). 243 Die folgende Zusammenfassung der Argumentation orientiert sich an Apelt 1993, S. 34f.
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telst der Stimme (423 b). Diese Art der Nachahmung wäre nach Sokrates aber Gegenstand der Musik, nicht der Wortbildung. Die Wortbildung darf sich nicht an Äusserlichkeiten wie Geräuschen, sondern muss sich am Wesen der Dinge orientieren und dieses mit Buchstaben und Silben nachahmen (424 b). Es gilt also zu ergründen, ob und inwiefern die Stammwörter mit ihren Lauten dem Wesen der Dinge entsprechen. Dazu nimmt Sokrates eine Einteilung der Laute vor (424 a), zu der er anschliessend eine parallele Einteilung der Dinge sucht, indem er bestimmte Beziehungen zwischen Lauten und dem Wesen der Dinge zu finden versucht. Als leitender Gesichtspunkt dieser Suche dient die heraklitische Bewegungslehre, die eine durchgängige Bewegung des Alls annimmt (436 e). Danach scheint dann zum Beispiel Ρ die Bewegung zu bezeichnen (426 a), Ι das Feine (427 a), und Λ das Glatte (427 b). Darin bestünde dann die Richtigkeit der Sprache. Aber der gesuchte Parallelismus lässt sich nach Sokrates nicht finden. Die Argumentation soll nun im Detail verfolgt werden. Sokrates leitet die Lautanalyse durch einen Verweis auf die Gestik der Taubstummen ein und kommt damit auf dem Umweg über die gestische Mimesis zur lautlichen Mimesis: „Gesetzt, wir hätten keine Stimme und keine Zunge, wollten aber einander Kunde geben von den Dingen, würden wir dann nicht, wie jetzt die Stummen, versuchen mit Hand, Kopf und dem übrigen Körper uns Zeichen zu geben?“ (422)
Und Sokrates erläutert an einem Beispiel, was er damit meint: „[W]ollten wir z.B. das Oben und das Leichte zum Ausdruck bringen, so würde wir die Hand zum Himmel erheben, indem wir die Natur des Dinges selbst nachahmten; wenn aber das Unten und Schwere, so würden wir die Hand zur Erde senken; und wollten wir ein Pferd im Laufe oder ein anderes Tier kenntlich machen, so weisst du, würden wir unseren Körper und unser Gebaren dem so ähnlich wie möglich machen.“ (423; Herv. A. A.)
Analog soll es sich auch bei der Sprache verhalten: „Da wir nun den Drang haben durch Stimme, Zunge und Mund solche Kunde zu geben, wird da nicht die von diesen Organen ausgehende Tätigkeit dann sich als Kenntlichmachung irgend eines beliebigen Dinges darstellen, wenn dadurch eine Nachahmung von etwas zustande kommt?“ (423; Herv. A. A.)
Diese verbale Mimesis bezeichnet Genette als „eine Art stimmliche Transposition der Mittel, die der gestischen Mimesis eigen sind […]“ (S. 35.; Herv. im Orig.) Die verbale Mimesis sei eine „stimmliche Mimik, deren Definition, ja Beschreibung einen Umweg über die ‚eigentliche’ Mimik erfordert, als befände das Instrument des Redens sich hier ausserhalb seiner Rolle oder seines Registers, indem es eine Partitur spielt, die nicht genau die seine ist“ (S. 35.; Herv. im Orig.). Derbolav umschreibt
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das, was Genette „stimmliche Mimik“ nennt, als „physiognomische Lautgebärden“ und präzisiert: „[Die] physiognomischen Lautgebärden […] können sich in Silben, aber auch in Einzellauten (Buchstaben) verkörpern. In ihnen scheint sich das Gemeinte unmittelbar auszudrücken, weshalb man Wortrichtigkeit auf dieser Ebene als Ausdruckstransparenz bezeichnen könnte, wie sie etwa beim Verstehen von natürlichen oder mimischen Gesten statt hat“ (Derbolav 1972, S. 70; kursiv im Orig.) Und er meint, dass bei „der Methode der physiognomischen Lautanalyse […] gleichsam so verfahren [wird], als ob die Sprache in ihren Urworten der Elementarstruktur der Wirklichkeit nachkonstruiert worden sei und damit notgedrungen in einer Ähnlichkeitsbeziehung zu ihr stünde“ (Derbolav 1972, S. 34; kursiv im Orig.). Für die Einschätzung der Parallelen zwischen Moritz’ Sprachursprungshypothese und Platons Kratylos sind bei der Beschreibung der stimmlichen Mimik zwei Fragen entscheidend. Erstens: Was meint Sokrates mit der „von den Organen ausgehenden Tätigkeit“. Ist das die Artikulation, oder sind es die Produkte der Artikulation, also die Laute? Und zweitens: Was genau wird nachgeahmt? Was ist unter der „Natur des Dinges selbst“ zu verstehen? Das bleibt auch nach der folgenden Ausführung noch offen: „Wort also ist, wie es scheint, nichts andedes [sic!] als durch Stimme bewirkte Nachahmung des Gegenstandes, den der Nachahmende nachahmt und mit seiner Stimme als den Gegenstand seiner Nachahmung bestimmt.“244 (423; Herv. A. A.)
Sokrates geht auf diese Probleme anschliessend selbst ein: „Wir müssten dann doch einräumen, dass jene Leute, die Schafe nachahmen und Hähne und die anderen Tiere, eben damit den Wesen, die sie nachahmen, ihren Namen geben.“ (423)
Und dies scheint Sokrates falsch zu sein. Hermogenes fragt denn auch: „Aber welche Art von Nachahmung, Sokrates, soll denn nun zu einem wirklichen Wort führen?“ (423). Und Sokrates führt aus: „Das wird, wie mir scheint, nicht stattfinden, erstens, wenn wir die Dinge so nachahmen, wie es in der Musik geschieht, obschon es auch hier die Stimme ist, durch die wir nachahmen; und zweitens wird es auch zu keiner Benennung (Wortbildung) kommen, wenn wir diejenigen Beschaffenheiten nachahmen, welche die Musik nachahmt. Was ich damit meine? Nun jedes Ding hat seinen Klang (Stimme), seine Gestalt, viele auch ihre Farbe.“ (423)
Das heisst wohl: die klangliche Nachahmung des Klanges, den ein Ding von sich gibt (oder der es begleitet), führt nicht zu einem wirklichen Wort.
244 Die Überlieferung dieser Stelle ist nach Apelt unsicher (Apelt 1993, S. 146, Anm. 143).
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Bei der oben erwähnten „von den Organen ausgehenden Tätigkeit“ handelt es sich also offenbar nicht um Laute und die „Natur des Dinges selbst“ besteht nicht in Klangeigenschaften. Eben so wenig besteht die „Natur des Dinges selbst“ in der Gestalt oder der Farbe des Gegenstandes: „Wenn nun jemand diese Eigenschaften nachahmt, so scheint für diese Arten von Nachahmung die Kunst der Namengebung nicht die zuständige zu sein; das sind vielmehr die Musik und die Malerei.“ (423)
Was soll aber nun nachgeahmt werden? Nach Sokrates hat „jedes Ding auch sein Wesen, wie es seine Farbe und die eben genannten Eigentümlichkeiten hat? Haben nicht zunächst Farbe selbst und Klang ein jedes ihr bestimmtes Wesen und so auch alles andere, dem man diese Bezeichnung des Seins zugebilligt hat? […] Könnte einer eben diese Seite eines jeden Dinges, sein Wesen nämlich, durch Buchstaben nachahmen, würde er dann nicht das eigentliche Wesen einer jeden Sache offenbaren?“ (423)
Die stimmliche Mimik, so hält auch Genette fest, besteht nach Sokrates nicht in der Nachahmung der Klänge, die ein Gegenstand erzeugt. „[D]as Ziel der Sprache muss ein höheres sein: nicht den eitlen höheren Schein nachahmen, sondern das Wesen (ousia) des Gegenstandes“ (Genette 2001, S. 35). Was Sokrates aber mit „das Wesen des Gegenstandes nachahmen“ genau meint, bleibt hier unklar. Apelt merkt an: „Damit wird auf das onomatopoietische Prinzip als das für die Entstehung der Stamm- und Grundwörter massgebende hingewiesen. Demnach besteht eine natürliche Verwandtschaft zwischen dem Sprachlaut und der durch diesen bezeichneten Sache.“ (Apelt 1993, S. 146). Diese Aussage ist aber schwer nachzuvollziehen. Von einem „onomatopoietischen Prinzip“ scheint hier doch eben gerade nicht die Rede zu sein. Die simple Nachahmung eines Lautes mit der Stimme gehört nach Sokrates eher zur Tonkunst. Genette betont, dass für Sokrates nicht jeder Stimmlaut bereits Sprache sei, sondern nur diejenigen Stimmlaute, die Sokrates „Buchstaben und Silben“ (gramma te kai syllabai) tauft. Es handelt sich dabei nach Genette um eine Spezifikation, die in gewisser Weise die spätere „Unterscheidung zwischen phonisch und phonematisch vorwegnimmt“ (Genette 2001, S. 35). „Der Gebrauch des Wortes ‚Buchstabe’ dort, wo die Schrift im Prinzip keineswegs involviert ist, darf nicht zu Missverständnissen führen; wir werden sehen, dass Sokrates sehr wohl an die artikulierten |36| Laute denkt. Aber er darf uns auch nicht überraschen: Die Tatsache, dass er durch einen Buchstaben bezeichnet werden kann, ist genau (und vor allem in einem so strengen Alphabet wie dem Altgriechischen) das sicherste empirische Kriterium für die Phonematizität eines Lautes, das heisst (im Augenblick) für seine Zugehörigkeit zur Sprache.“ (Genette 2001, S. 35f.)
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Die Laute, die nach Sokrates nachahmend sind, sind Phoneme. „Auf der Seite des Signifikaten ahmt die Rede nicht irgend etwas nach“, hält Genette fest, „sondern nur das Wesen des Gegenstandes; auf der Seite des Signifikanten ahmt sie nicht durch irgendeinen beliebigen Laut nach, sondern nur durch Phoneme“ (Genette 2001, S. 36), verstanden als Lautelemente der Sprache (vgl. Genette 2001, S. 35, Anm. 1). Sokrates präzisiert die stimmliche Nachahmung (mimema phone), die ganz simpel auch einfach die stimmliche Nachahmung eines Lautes sein kann und Sokrates deshalb nicht befriedigt, also zu „das Wesen eines jeden Dinges nachahmen durch Buchstaben und Silben“ (Kratylos, 423e). Was nun folgt, ist nach Genette der „erste[…] bekannte[…] (oder zumindest erhaltene[…]) Versuch eine Tableaus des phonetischen Symbolismus in unserer Kulturtradition“ (Genette 2001, S. 36).245 Sokrates nennt einige Laute und zeigt ihre Ähnlichkeit mit von ihnen bezeichneten Gegenständen auf. Dabei macht er eine wichtige Präzisierung: Relatum in der Ähnlichkeitsrelation ist nicht der Laut, sondern das Artikulationsorgan. So hat das Rho Ähnlichkeit mit „Bewegung“. Und diese Ähnlichkeit besteht offenbar nicht zwischen dem Laut und der Sache „Bewegung“, sondern zwischen der Artikulation des Rho und der Sache „Bewegung“. Denn Sokrates sagt: „Der Laut ρ also war […] allem Anschein nach ein treffliches Werkzeug der Bewegung für den Namengeber, um möglichste Ähnlichkeit mit der Bewegungskraft zu erzielen; wenigstens benutzt er sie vielfach dazu.“ (St. 426)
Sokrates nennt in der Folge einige Beispiele. Dann fährt er fort: „[A]lles dies gibt er [scil. der Namengeber] meist bildlich wieder durch das ρ. Denn er bemerkte, glaub’ ich, dass die Zunge dabei fast gar nicht zum Stillstand kommt, sondern in stärkster Schwingung ist; daher hat er, wie mir scheint, sich dieses Lautes für diesen seinen Zweck bedient […].“ (St. 426)
245 Victor Goldschmidt behauptet in seinem Essai sur le ‚Cratyle’, das Tableau sei „ganz sicher keine Erfindung Platons“ und verweist auf die Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Buchstaben und Silben bei den Vorsokratikern Demokrit und Hippias (auf das Platon selbst in Hippias maj, St. 285 c–d hinweist) (Goldschmidt 1940, S. 151; zit. nach Genette 2001, S. 36). Derbolav hingegen meint: „Es spricht manches dafür, dass die lautphysiognomische Interpretation der Phoneme überhaupt nicht von irgendwoher übernommen wurde, sondern einem genuin platonischen Einfall entstammt. Jedenfalls hat sie die Folgezeit so verstanden und dann auch eifrig nachgeahmt“ (Derbolav 1972, S. 37). Diese Einschätzung stützt auch Borsche: „Platon gilt als der Erfinder dieser Betrachtungsweise, die in vielerlei Gestalt von der Buchstabenmystik der Kabbala bis zur Ausdruckspsychologie der modernen Linguistik die Jahrtausende überdauert hat.“ (Borsche 1991, Anm. 31 [S. 164]). Keine Zweifel über die Originalität der Lautsymbolik hegt Rijlaarsdam: „Ist nun die Theorie über die Lautsymbolik der ersten Namen im Kratylos von Platon selbst? Zweifelsohne.“ (Rijlaarsdam 1978, S 159).
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Dass hier nicht der Laut, sondern die Bewegung der Zunge in der Artikulation in Analogie zum Gegenstand steht, wird von den KratylosKommentatoren oft übersehen. So wird auch Derbolavs sonst präzise Studie bei der Interpretation dieser Stelle schwammig. Derbolav schreibt: „Platon gibt auch eine andeutende Erklärung dieser Wortrichtigkeit als Ausdruckstransparenz, die letztlich auf das Prinzip der Onomatopoiesis hinausläuft: zwischen den spezifischen Artikulationsbewegungen mit Zunge, Zähnen und Lippen und bestimmten aussersprachlichen Bewegungs- und Geräuschvorgängen besteht eine strukturelle Affinität, die es möglich macht, charakteristische Züge des Gemeinten in der Benennung phonetisch nachzubilden. Aber auch eine gewisse Raumsymbolik spielt in diesen Deutungszusammenhängen eine Rolle, insofern Platon auch der Mundstellung bzw. der Buchstabengrösse einen Symbol- und Ausdruckswert zuschreibt.“ (Derbolav 1972, S. 70; Herv. A. A.)
Derbolav ist sich hier meines Erachtens in der Interpretation unsicher. Dass Platons Erklärung letztlich auf das Prinzip der Onomatopoesie hinauslaufe, scheint mir aber falsch zu sein.246 Denn die Onomatopoesie betrifft ja nur akustische Merkmale. Sokrates’ lautsymbolisches Tableau sieht folgendermassen aus (vgl. Coseriu 2003, S. 54): ρ ι δ, τ λ ο
= = = = =
Ausdruck der Bewegung Ausdruck des Leichten und Durchdringenden Ausdruck des Ankettenden und Festhaltenden Ausdruck des Gleitenden, Glitschigen und Klebrigen Ausdruck des Runden
Zur Illustration sei der integrale Wortlaut der Stelle in der konsequent eindeutschenden Übersetzung Schleiermachers angeführt: „SOKRATES: Zuerst nun scheint mir das R gleichsam das Organ jeder Bewegung zu sein, welche wir ja selbst auch noch nicht erklärt haben, woher sie diesen Namen führt. Aber es ist wohl offenbar, daß er auch ein Gehen bedeuten will, und er kommt von Weg her; nur daß wir kein einfaches Zeitwort ‚wegen’ mehr haben. Sich bewegen heißt aber soviel, als sich auf den Weg machen, und Bewegung also drückt das auf dem Wege sein aus; indes könnte man auch das Gehen dazu nehmen, |426d| und Weggehung sagen oder Weggang. Das Stehen aber will nur ein Stillen des Gehens ausdrücken, der Verschönerung wegen aber ist es Stehen genannt worden. Der Buchstabe R also, wie ich sage, schien dem, welcher die Benennungen festsetzte, ein schönes Organ für die Bewegung, indem er sie durch seine Rührigkeit selbst abbildet; daher bedient er sich desselben hierzu
246 Derbolav bezieht sich hier vielleicht auf Steinthal, der in seiner Geschichte der Sprachwissenschaft schreibt: „[…] Plato [ist] der Erfinder des onomatopoetischen Princips der Sprache […]“ (Steinthal 1890, S. 103: zit. nach Rijlaarsdam 1978, S. 41).
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auch gar häufig. Zuerst schon in Strömen und Strom stellt er durch diesen Buchstaben die Bewegung dar; ebenso in |426e| Trotz und in rauh, und in allen solchen Zeitwörtern wie rasseln, reiben, reißen, zertrümmern, krümeln, drehen, alle dergleichen bildet er größtenteils ab durch das R. Denn er sah, daß die Zunge hierbei am wenigsten still bleibt, sondern vorzüglich erschüttert wird, daher gewiß hat er sich dessen hierzu bedient. Das G hingegen zu allem dünnen und zarten, was am leichtesten durch alles hindurchgeht; daher |427a| stellt er das Gehen und das Gießen durch das G dar. Wie im Gegenteil durch W, S, Sch und Z, weil die Buchstaben sausend sind, stellt er alles dergleichen dar und benennt es damit, schaudern, sieden, zischen, schwingen, schweben; auch wenn er das schwellende nachahmt, scheint der Wortbildner meistenteils dergleichen Buchstaben anzuwenden. Dagegen scheint er das Zusammendrücken und Anstemmen der Zunge bei d und t und der Lippen bei b und p für eine nützliche Eigenschaft zu halten zur Nachahmung des bindenden, dauernden so wie des Pech und Teer. Ebenso hat er bemerkt, daß bei dem l die Zunge am behendesten schlüpft, und hat sich dieser Ähnlichkeit bedient, um das lose, lockere und schlüpfrige selbst und das leckere und leimige und viel anderes dergleichen zu benennen. Wo nun aber der entschlüpfenden Zunge die Kraft des G oder K zu Hilfe kommt, dadurch bezeichnet er das glatte, gleitende, gelinde, klebrige. |427c| Von dem n bemerkte er, daß es die Stimme ganz nach innen zurückhält, und benannte daher damit das innere und innige, um durch den Buchstaben die Sache abzubilden. Das a widmete er dem ganzen, langen, das e dem gedehnten, ebenen, weil die Buchstaben groß und vollständig tönen. Für das runde brauchte er das u als Zeichen und drängte daher in den Namen des kugelrunden besonders soviel davon zusammen als möglich. Und so scheint auch im übrigen der Wortbildner sowohl durch Buchstaben als Silben jeglichem Dinge seine eigene Bezeichnung und Benennung angewiesen und hieraus denn das übrige ebenfalls nachahmend zusammengesetzt zu haben. Dieses |427d| nun, o Hermogenes, scheint mir die Richtigkeit der Benennungen sein zu wollen, wenn nicht unser Kratylos etwas anderes meint.“ (Platon 1807, S. 95–97)
Genette analysiert in dieser Argumentation zwei Arten der Rechtfertigung der mimologischen Zuschreibungen. Einerseits zeige Sokrates die Anwesenheit des betrachteten Phonems in Wörtern auf, „deren anerkannte Bedeutung den Bedeutungswert, den Sokrates diesem Phonem zuweist, zulässt“(Genette 2001, S. 39). Andererseits verweise er auf „die gewissermassen physische Anwesenheit dieses Bedeutungswertes in der akustischen Wirkung und/oder in der artikulatorischen Hervorbringung diese Phonems […]“ (Genette 2001, S. 39). Genette bezeichnet die erste Rechtfertigung als indirekten, die zweite als direkten Beweis, spricht letzlich aber beiden Arten die Beweiskraft ab. „Letzteres“, so schreibt er, „ist eine Art physische Erklärung […]; ersteres ist ein einfache statistische Annahme, deren Beweiskraft in der Zahl und, genauer, in der numerischen Überlegenheit der günstigen Fälle über die ungünstigen liegt“ (Genette 2001, S. 39). Nach Genette ist Sokrates (und mit ihm Platon) von der mimetischen Fähigkeit der Elemente der Sprache überzeugt. Die konkreten Wör-
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ter der konkreten Sprache lösen diese Fähigkeit aber nicht immer ein. Das liegt daran, dass sich der Namensgeber geirrt hat. Sein Irrtum setzt aber natürlich voraus, dass er es auch hätte richtig machen können. Wie Kratylos ziehe auch Sokrates die mimetische Motivation der Übereinkunft vor und glaube an die Möglichkeit einer Richtigkeit der Benennungen, also an die mimetische Fähigkeit der Elemente der Sprache. Er bezweifle aber, dass diese Fähigkeit bei der Bildung des Wortschatzes ein zentrale Rolle gespielt habe (vgl. Genette 2001, S. 43). Genette nennt diese Haltung des Sokrates (Platons) sekundären Kratylismus (oder sekundären Mimologismus). Der sekundäre Kratylismus neigt nach Genette auch dazu, die Sprache verbessern zu wollen. Der primäre Kratylismus wäre dann die naive Position des Kratylos, der glaubt, die Richtigkeit der Namen sei bereits überall gegeben.247 Begründungsverfahren der Lautsymbolik. Nach der KratylosAnalyse von Genette lassen sich also drei mimologische Begründungsverfahren auf zwei Ebenen unterscheiden (vgl. Abbildung 12): Begründungsverfahren i) statistisch
ii) lautliche Mimesis
mimetisch
iii) bildliche Mimesis
Abbildung 12: Begründungsverfahren der Lautsymbolik in Anlehnung an Genette
Diese mimologischen Begründungsverfahren bilden die Grundlage für alle künftigen Mimologiken. Eugenio Coseriu hat die beiden mimetischen Verfahren in seiner grundsätzlichen Darstellung der von ihm als ikastische Funktion bezeichneten nachahmenden Funktion des Zeichens noch um die Synästhesie ergänzt. Er unterscheidet also (vgl. Coseriu 2006, S. 111– 118):248
247 Die Analyse Genettes ist also durchaus differenziert, was etwa Wolfgang Ullrich Wurzel entgangen ist, der in Platon einen Vorreiter seiner „Natürlichen Morphologie“ erkannte und Genettes Kratylos-Analyse, die er allerdings nur aus zweiter Hand zu kennen schien, etwas herablassend kritisiert hat (vgl. Wurzel 1987, S. 121). 248 Die drei Kategorien gehören bei Coseriu zur Oberkategorie „Nachahmung durch die Substanz des Zeichens“, die sich auf der Ausdrucksseite des Zeichens unterscheidet von
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i. die unmittelbare Nachahmung durch das Lautbild (Onomatopöie) ii. die mittelbare Nachahmung durch die Artikulation iii. Synästhesie Und in seinem Aufsatz Naturbild und Sprache von 1982 trennt er dann eine „lautliche Nachahmung im engeren Sinne“, nämlich die „unmittelbare Nachahmung des Hörbaren“, von „kompliziertere[n] bzw. raffiniertere[n] Formen des Mimetischen“ (Coseriu 2004, S. 75). Als Beispiele für die zweiten Formen nennt er die Synästhesie sowie die Nachahmung durch Artikulationsbewegungen, von der Lorenzo Hervás y Panduro und andere ausgegangen seien:249 „Man hat bekanntlich die sog. Synästhesie der Sinne herangezogen und dadurch Parallelismen wie hochtonig – spitz – klein – leicht – hell bzw. tieftonig – stumpf – gross – schwer – dunkel begründet. Und Hervás und andere dachten an eine Nachahmung nicht nur durch die akustische Beschaffenheit der Wörter, sondern auch und sogar an erster Stelle durch die entsprechenden Artikulationsbewegungen.“ (Coseriu 2004, S. 75)
Epikur Eine zweite traditionsbildende Quelle für die Sprachursprungsdebatte ist Epikurs Sprachursprungshypothese. Einflussreich auf spätere Sprachursprungstheorien waren hier insbesondere Epikurs Natürlichkeitstheorie und seine Erklärung der Sprachenvielfalt mit den unterschiedlichen Eindrücken, welchen Sprachgemeinschaften je nach geografischer Lage ausgesetzt sind. Konstitutiv für die Sprachursprungshypothesen epikureischer Denker der nachfolgenden Jahrhunderte wie Pierre Gassendi oder Julien
der „Nachahmung durch die [in einem weiteren glossematischen Sinn verstandene; A. A.] Form des Zeichens“ (vgl. Coseriu 2006, S. 118f.). Letztere ist für mein Thema nicht relevant. Gemäss Coseriu können Zeichen, die in der Sprache eigentlich keine ikastische Funktion haben, in einem Text eine solche Funktion erhalten (vgl. Coseriu 2006, S. 112). Zur mittelbaren Nachahmung durch die Artikulation merkt Coseriu an, sie dürfe „natürlich nicht genetisch verstanden werden“ (Coseriu 2006, S. 115). 249 Wen Coseriu hier neben Hervás noch im Sinn hat, lässt er leider unausgesprochen, genauso wie die Quellenangaben zu Hervás oder „den anderen“. Die Stelle(n) dürfte(n) sich jedoch in Hervás 21-bändiger, italienisch verfassten Enzyklopädie Idea dell’Universo finden, deren Bände 17–21 sich der „Storia delle lingue“ widmen. In Gerda Hasslers Aufsatz Typologie und Anthropologie bei Lorenzo Hervás y Panduro (Hassler 2004), der unter anderem die Überlegungen Hervás zum Sprachursprung nachzeichnet, finden sich aber keine Hinweise darauf. Überhaupt scheint mir Hervás hier eine eher abgelegene Referenz zu sein.
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Offray de La Mettrie sei, so schreibt Cordula Neis, erstens die Ablehnung eines göttlichen Eingriffs, als Initialzündung der Sprachgenese oder als Gesetzgeber für die Wort-Ding-Zuordnung, und zweitens, dass im Gegensatz zur christlichen Tradition und der geläufigen Interpretation der Babel-Erzählung die Diversität der Einzelsprachen als Segen und nicht als Fluch gewertet werde250 (vgl. Neis 2003, S. 27). Beide Positionen finden sich bei Moritz (vgl. Kap. 2.3.2). Epikurs (ca. 341–271 v.Chr.) Sprachtheorie steht in engem Zusammenhang mit seiner Naturphilosophie. Ein eigenes theoretisches Interesse an der Sprache findet sich nicht bei ihm (vgl. Hossenfelder 1991b, S. 217). Der Grund dafür liegt in der Zielsetzung, die er der Philosophie und Wissenschaft überhaupt gibt. Sie besteht allein darin, individuelle Glückseligkeit zu erlangen und zu sichern. Was sich nicht unmittelbar oder mittelbar aus dieser Aufgabe herleitet, ist nach Hossenfelder für Epikur überflüssig (vgl. Hossenfelder 1991b, S. 217). Aus zwei Gründen brauchte Epikur nach Hossenfelder aber eine Theorie der Sprache: „zum einen zur Sicherung seines deterministischen Naturbildes, zum anderen zur Rechtfertigung seines Sensualismus“ (Hossenfelder 1991b, S. 218). Letzter Sinn allen Tuns ist für Epikur die individuelle Glückseligkeit. Sie besteht in der Ataraxie, der Seelenruhe. Eine ihrer stärksten Bedrohungen ist die Furcht vor dem Tod und vor den strafenden Göttern. Diese Ängste will Epikur durch ein streng materialistisches Naturbild beseitigen, in dem alles durch immanente Ursachen geschieht und die Götter deshalb keinen Platz haben. Epikur übernimmt zu diesem Zweck das atomistische Modell Demokrits (vgl. Hossenfelder 1991b, S. 218). Zum Beweis des göttlichen Eingreifens in das Weltgeschehen war aber nach Hossenfelder auch immer wieder die menschliche Sprache herangezogen worden, weil dieses komplexe geistige Phänomen anders nicht zu erklären sei. Epikur habe daher eine Theorie finden müssen, die zu zeigen vermochte, dass auch die menschliche Sprache auf natürliche Weise, ohne die Hilfe einer göttlichen Macht entstanden sei. Deshalb habe sich sein Hauptinteresse auf den Ursprung der Sprache gerichtet (vgl. Hossenfelder 1991b, S. 218). Das wichtigste Zeugnis für Epikurs Sprachtheorie ist eine Passage seines Briefes an Herodot, der einen kurzen, gedrängten Abriss seiner Naturphilosophie gibt: „Ferner muß man annehmen, daß auch unsere Natur in vieler und vielfältiger Hinsicht von den Sachen selber belehrt und genötigt worden ist und daß das Denken das von ihr
250 Dass die Babel-Geschichte in der christlichen Tradition durchaus vielfältig und keineswegs immer als Sünde interpretiert wurde, zeigt Arno Borst in seiner materialreichen Studie „Der Turmbau von Babel“ (1957–1963).
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Dargebotene später präzisiert und erweitert hat, in einigen Dingen schneller, in anderen langsamer und in einigen Perioden und Zeiten [mit grösseren Änderungen], in anderen mit kleineren. Daher sind auch die Namen ursprünglich nicht durch Satzung entstanden, sondern die Natur der Menschen, die bei jedem Volk eigentümliche Affekte erleidet und eigentümliche Vorstellungen empfängt, stößt selbst auf eigentümliche Weise die Luft hervor, die von den jeweiligen Affekten und Vorstellungen in Bewegung gesetzt wird, so wie eben die regionale Verschiedenheit der Völker ist. Später wurden die Eigentümlichkeiten |219| in den einzelnen Völkern gemeinschaftlich festgesetzt, damit die gegenseitigen Äußerungen weniger zweideutig würden und kürzer im Ausdruck. Ferner brachten Fachleute, die bestimmte unbekannte Dinge einführten, Wörter in Umlauf, sofern sie gezwungen waren, sich mitzuteilen, und die andern faßten sie mit Hilfe des Denkens gemäß der meisten Veranlassung auf und deuteten sie auf diese Weise. (Epikur, Brief an Herodot, in: Usener, H. (Hrsg.): Epicurea. Leipzig 1887 [ed. ster. Stuttgart 1966]; zit. nach Hossenfelder 1991b, S. 218f.; Herv. A. A.)
Der Kontext des Zitats scheint verderbt zu sein (vgl. Hossenfelder 1991b, S. 219). Es gibt aber zwei weitere Quellen: Lukrez’ De rerum naturae (V 1028–90) und das Fragment 10 des Diogenes von Oinoanda. In beiden Zeugnissen wird die Sprachphilosophie im Zusammenhang der Kulturentstehungstheorie behandelt. Diese Einordnung war nach Hossenfelder demnach im Epikureismus üblich und da Lukrez‘ Werk sich aller Wahrscheinlichkeit nach eng an eine Vorlage aus Epikurs eigener Hand hält251, so ist sogar zu vermuten, dass die Einordnung auf Epikur selbst zurückgeht (vgl. Hossenfelder 1991b, S. 219). Im Hinblick auf Moritz zentral sind die Aussagen, „unsere Natur“ sei „in vieler und vielfältiger Hinsicht von den Sachen selber belehrt und genötigt worden“ und die Namen seien „ursprünglich nicht durch Satzung entstanden, sondern die Natur der Menschen“ stosse „selbst auf eigentümliche Weise die Luft hervor, die von den jeweiligen Affekten und Vorstellungen in Bewegung gesetzt“ würde (Epikur, Brief an Herodot, in: Usener, H. (Hrsg.): Epicurea. Leipzig 1887 [ed. ster. Stuttgart 1966]; zit. nach Hossenfelder 1991b, S. 218). Zu fragen ist hier, was Epikur mit „unsere Natur“ meint und wie es zu verstehen ist, dass die Sachen „unsere Natur“ „nötigen“.
251 In seinem Epikur-Buch wird Hossenfelder hier noch deutlicher: „Es besteht Grund zu der Annahme, dass er [Lukrez] sein Lehrgedicht Über die Natur der Dinge nach einer von Epikur selbst stammenden Vorlage abgefasst hat, und zwar nach dem Grossen Auszug aus Über die Natur. Er scheint sich ohne eigenen philosophischen Ehrgeiz streng an die Vorlage gehalten und nur die poetische Form und Ausschmückung sowie natürlich die Übertragung ins Lateini|25|sche beigesteuert zu haben. Wir hätten demnach in seinem […] Lehrgedicht eine äusserst zuverlässige Quelle, die fast so zu bewerten ist, als ob Epikur selbst zu uns spräche“ (Hossenfelder 2006, S. 24f.; kursiv im Orig.).
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In der Übersetzung von Otto Apelt, die Cordula Neis für ihre Auslegung des Textes heranzieht, lautet die betreffende Stelle: „Man muß sich ferner auch davon überzeugen, daß die Natur in vielen und mannigfachen Beziehungen der Belehrung und dem Zwange folgt, die von den Dingen selbst ausgehen […]“ (Brief Epikurs an Herodot, in: Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, X, S. 75; zit. nach Neis 2003, S. 26; Herv. A. A.). Die Verbindung dieser Formulierung mit der Aussage Epikurs, die Menschen liessen „je nach ihrer natürlichen volksmäßigen Eigenart und besonderen Vorstellungsweise den Luftstrom (zur Bezeichnung der Dinge) dem Munde in individuell gestalteter Weise entfahren“, und zwar „bestimmt durch die jeweiligen Seelenregungen und Vorstellungen“ (Brief Epikurs an Herodot, in: Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, X, S. 75; zit. nach Neis 2003, S. 26; Herv. A. A.) bringt Neis wahrscheinlich zur Interpretation: „Die menschliche Natur erzwingt förmlich die Artikulation von Lauten“ (Neis 2003, S. 27). Leider führt sie nicht weiter aus, wie sie das meint, oder wie Epikur das meinen könnte. Auch Arno Borst spricht in seiner Auslegung der Epikur-Stelle von einem Zwang: „Die Natur bringe die Sprache hervor, aber sie sei nicht überall dieselbe, vielmehr abhängig von den klimatischen Bedingungen und von den Unterschieden der Leidenschaften und Vorstellungen bei den einzelnen Nationen: darum sei die Sprache nicht überall die gleiche. Wahrnehmung und Gefühl, die beiden Grundpfeiler epikureischer Psychologie, erklären die Verschiedenheit der Sprachen, und diese wird dadurch fast schon geheiligt. Daß später das Volk die ihm gemeinsamen Ausdrücke kanonisiert habe, daß erfahrene Männer nach reiflicher Überlegung oder unter einer Art natürlichen Zwangs neue Wörter hinzuerfanden, das erhöhte nur noch diese Naturheiligkeit der differenzierten Sprachen.“ (Borst 1995 I, S. 137; Herv. A. A.)
Was das für ein „natürlicher Zwang“ sein könnte, sagt Borst nicht. Nach Hossenfelder unterscheidet Epikur drei Ursprungsquellen der Sprache. Er lehnt erstens die These ab, dass die Sprache durch Satzung entstanden sei, gleichviel, ob ein Gott den Menschen die Sprache gebracht oder ein einzelner Mensch den Dingen zuerst Namen gegeben und diese dann die Mitmenschen gelehrt haben soll (vgl. Hossenfelder 1991b, S. 219). Epikur versucht vielmehr zu zeigen, dass sich alle Erscheinungen in der Welt, und so auch die Sprache, ohne Rückgriff auf die Götter auf natürliche Weise erklären lassen. Und gegen die These, ein einzelner Mensch habe die Sprache erfunden, wendet Lukrez ein, es sei nicht einzusehen, weshalb gerade dieser eine und nicht ein anderer Mensch die Sprache erfunden haben sollte, ferner würde er wohl auch gar keinen Grund gesehen haben, Sprache zu erfinden (vgl. Lukrez 1994, V. 1041ff.; vgl. Hossenfelder 1991b). Der Ursprung der Sprache ist nach Epikur nur als
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natürlicher Vorgang verstehbar. Lukrez führt aus, wie Epikur das meint (vgl. Lukrez 1994, V 1056ff.): Das Sprachvermögen ist von Geburt an in uns angelegt und wir verwenden es zunächst unbewusst und instinktiv, ähnlich wie die Tiere. Der Mensch wird veranlasst, bei bestimmten Gelegenheiten bestimmte Laute hervorzubringen und so verschiedene Dinge mit verschiedenen Namen zu belegen, ohne dass es eines bewussten, willkürlichen Schöpfungsaktes bedürfte, „sondern die Bezeichnungsregeln sind von der Natur vorgegeben“ (Hossenfelder 1991b, S. 220; Herv. A. A.). Damit stellt sich erneut die Frage, was Epikur damit meint, die Sprache sei von der Natur vorgegeben. Hossenfelder interpretiert folgendermassen: Die unmittelbaren Ursachen der Lautäusserung sind nach dem Herodot-Brief Affekte und Vorstellungen. Affekte meint hier nach Hossenfelder alle Gefühlsregungen, die unmittelbar verhaltensrelevant sind, wie Zorn, Hass, Liebe und vor allem Lust und Schmerz, auf die sich nach Epikur alle andern zurückführen lassen. Vorstellungen bezeichnet alle wiedergebenden Vorstellungen, die der Erkenntnis dienen und die allesamt ursprünglich aus Sinneseindrücken stammen. Beide, Affekte und Vorstellungen, sind psychische Gegebenheiten, die unmittelbar das Sprechorgan zur Tätigkeit veranlassen, sodass das Sprechen also ursprünglich eine unwillkürliche Reaktion auf äussere oder innere Eindrücke ist (vgl. Hossenfelder 1991b, S. 220f.). Um bildende Nachahmung wie bei Moritz, wo Laute und Dinge in einer Ähnlichkeitsrelation stehen, geht es hier also offenbar nicht. Epikur nimmt eine zweite Quelle an: Nachdem durch die instinktive Ausübung des angeborenen Sprachvermögens die ursprünglichen Bezeichnungen entstanden waren, wurden sie in den einzelnen Völkern vereinheitlicht (vgl. Hossenfelder 1991b, S. 222). Schliesslich, und das ist die dritte Sprachquelle, hätten die Menschen auch neue Worte erfunden (vgl. Hossenfelder 1991b, S. 223). Für die Vermittlung der epikureischen Sprachursprungsthese war vor allem Lukrez wichtig. Neis hält fest, nach Lukrez sei für den Sprachursprung einerseits die physische Konstitution des Menschen, andererseits seine emotionale Disposition ausschlaggebend. Während seine körperliche Ausstattung ihn mit der Grunddisposition zur Lautsprache versehe, veranlassten ihn seine Emotionen unmittelbar zur Lautäusserung. Diese Äusserungen stelle Lukrez den affektiven Äusserungen der Tiere an die Seite, was zu erbittertem Widerstand von religiösen Traditionalisten, aber auch von Cartesianern geführt habe (vgl. Neis 2003, S. 32). Diese Umstrittenheit des Epikureismus unterstreicht auch Stefano Gensini in einem Artikel über Epicureanism and Naturalism in the Philosophy of Language from Humanism to the Enlightenment. Die Übernahme epikureischen Gedankengutes unter kulturellen und politischen Gesichtspunkten habe eine Gefahr dargestellt, da die deutliche Parallelisierung von menschlicher Sprache und tierischen
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Kommunikationsformen bei Epikur und Lukrez die Einmaligkeit des Menschen und den Mythos des babylonischen Turmbaus in Frage gestellt hätten (vgl. Neis 2003, S. 34). Die Lukrez-Rezeption in Deutschland war nach Hugh Barr Nisbet sogar noch grösseren Hindernissen ausgesetzt als in Frankreich und England. Tatsächlich ist die erste deutsche Übersetzung von De rerum natura erst 1784 erschienen (Nisbet 1986, S. 97).252 Nisbet weist aber etwa auf Wielands Auseinandersetzung mit Lukrez hin253 und hält schliesslich fest: „Even from this scattered examples, it is apparent that Lucretius provided a constant encouragement to secular ways of thinking in the second half of the eighteenth century in Germany. None of the mayor thinkers of the time adopted his philosophy as a whole, of course; it simply helped to undermine the Christian beliefs they had inherited.“ (Nisbet 1986, S. 102).
Die Philosophie Epikurs war also in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland präsent, vermittelt über die französische Literatur des 17. Jahrhunderts, den englischen Empirismus und den Einfluss der Moralischen Wochenschriften (vgl. Kimmich 1993, S. 90). Publius Nigidius Figulus Bei den lateinischen Grammatikern kommt es nach Genette in der Nachfolge des Kratylos zu einem Nebeneinander von „Spekulationen über die Expressivität der elementaren Laute“ und einer „Art etymologische[r] Hermeneutik“ und damit einer direkten mimetischen und einer indirekten etymologischen Motivation der Sprache (vgl. Genette 2001, S. 46). Dies sei der Fall bei Publius Nigidius Figulus, der als Urheber einer lautsymbolischen Spekulation bis ins 18. Jahrhundert hinein berühmt blieb. Publius Nigidius Figulus (ca. 100 v. Chr. – 45 v. Chr.) war ein römischer Gelehrter, Senator, Freund Ciceros und Gegner Caesars, mit einem „grossen Hang zu spitzfindigen Grübeleien und entlegener, geheimer Weisheit“ (Gellius 1965, Bd. I., S. 241; Anm.). Neben philologischen, theologischen und naturwissenschaftlichen Schriften verfasste er mit den Commentarii grammatici eine „Sammlung umfangreicher, gelehrter grammatischer Beobachtungen von wenigstens 28 Büchern“ (Gellius 1965, Bd. I., S. 241; Anm.). Diese Ausführungen zur Grammatik hätten aber einer systematischen Ordnung ermangelt und seien deshalb wenig beachtet
252 Es handelt sich um eine Übersetzung in Prosa von Franz Xaver Mayr. 253 Die Natur der Dinge (1751), Geschichte des Agathon (1766–1767), Die Abderiten (1774–1780). Vgl. zu Wielands Auseinandersetzung mit Epikur und Lukrez: Kimmich 1993, S. 180–210.
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worden (vgl. Gellius 1965, Bd. I., S. 241; Anm.; Bd. II, S. 463f. = Buch XIX, Kap. 14.). Die Texte sind nur fragmentarisch überliefert.254 Die Autoren des 18. Jahrhunderts bezogen sich auf wenige Erwähnungen Nigidius Figulus’ in Aulus Gellius’ Attischen Nächten. Etymologische Ableitungen von Nigidius Figulus finden sich dort etwa im Buch X, Kap. 5. (Gellius 1965, Bd. II, S. 48, = Buch X, Kap. 5) oder im bis auf die Kapitelüberschriften verlorenen Buch VIII, Cap. 14 (Gellius 1965, Bd. I, S. 405, = Buch VIII, Kap. 14). Die für Moritz und andere Sprachwissenschaftler zentrale lautsymbolische Überlegung findet sich aber im Buch X, Kap. 4 unter dem Titel: „Höchst geistreiche Belehrung von Seiten des P. Nigidius, dass die Wortbenennungen nicht willkürlich gemacht, sondern auf ganz natürliche Art entstanden seien“. Nach Gellius vertritt Nigidius Figulus in seinen Bemerkungen über Grammatik die Ansicht, dass Wörter nicht durch Zufall, sondern „nach einem gewissen nothwendigen Naturgesetze“ entstanden sind. Nigidius Figulus führe „viele Beweise an, weshalb es den Anschein haben könne, das die Bildung der Wörter eine mehr natürliche als willkürliche ist“ (Gellius 1965, Bd. II, S. 47, = Buch X, Kap. 4). Gellius zitiert aber nur einen solchen Beweis, dafür einen seiner Ansicht nach „allerliebsten und geistvollen“: „Wenn wir das Wörtchen ‚vos (ihr)255’ aussprechen, bedienen wir uns einer gewissen mit der Veranschaulichungsmachung dieses Ausdrucks übereinstimmenden Mundbewegung und drängen allmählig den |48| vordersten Theil der Lippen heraus und richten den nach vorwärtsgekehrten Hauchanlaut (spiritus) und Tonstrahl (anima) gegen die hin und auf die zu, mit welchen wir Unterredung pflegen. Wenn wir nun aber dagegen das Wörtchen ‚nos (wir)’ aussprechen, so geschieht dieser Ausdruck weder dadurch, dass der Stimmanschlag frei herausgelassen wird und seine Richtung nach vorn nimmt, noch dadurch, dass wir bei der Aussprache (des ‚nos’) die Lippen vorstrecken, sondern wir drängen den Hauchanlaut und die Lippen, so zu sagen, nach uns selbst zurück (und in uns hinein). Dasselbe findet auch statt bei den Wörtern: tu und ego, desgleichen bei tibi (dir) und mihi (mir). Denn sowie, bei einer Bestätigung (durch Zunicken), und bei einer Verneinung (durch Kopfschütteln) allemal unsere Kopfbewegung oder die der Augen mit dem Wesen der beabsichtigten Andeutung nicht im Widerspruche steht, so ist nun auch bei genannten Wörtern der Ausdruck des Mundes und Wortlautes ein natürlich gebotener“ (Gellius 1965, Bd. II, S. 47f., = Buch X, Kap. 4).256
254 Die Texte sind gesammelt in: Nigidius Figulus 1965. Vgl. zu Nigidius Figulus: Hertz 1845. 255 Die Zusätze in runden Klammern stammen vom Übersetzer Weiss: „[…] das in runden (Halbmond-) Klammern Eingeschlossene enthält […] theils von mir eigenmächtig der Erklärung halber Hinzugefügtes, was sich im lateinischer Urtext nicht findet, theils füglich daraus zu Entfernendes und zu Tilgendes“ (Gellius 1965, Bd. I, S. VI). 256 Eine etwas abweichende Übersetzung findet sich bei Genette: „Wenn wir vos sagen, machen wir eine Bewegung mit dem Mund, die dem Sinn dieses Wortes entspricht, denn wir
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Nigidius Figulus nimmt hier also eine Lautsymbolik an, die weder onomatopoetisch, noch synästhetisch noch ikastisch ist, sondern die Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem durch eine deiktische Geste motiviert. Lippen und Luftstrom zeigen auf die Gegenstände, die mit den Ausdrücken „vos“ und „nos“ gemeint sind. Die Stelle war im 18. Jahrhundert bekannt. Charles de Brosses referiert sie in seinem Traité de la formation méchanique des langues et des principes physiques de l’étymologie (1765) mit leichter Skepsis: „Vielleicht trieb der alte lateinische Grammatiker Publius Nigidius, dieses System zu weit, da er es z.B. auf die Pronomina Personalia anwenden, und bemerken wollte, daß die Bewegung der Organs in den Wörtern ego und nos vermittelst einer inneren Rückkehr auf sich selbst gebildet werde, statt das die Inflexion in den Wörtern tu und vos auswärts auf die Person zugehe, mit der man spreche“ (de Brosses 1777, S. 298). Und Nicolas Beauzée zitiert diesen Abschnitt integral im Artikel Onomatopoée in der Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des arts et des métiers (Encyclopédie, Vol 11, p. 485f.). Augustinus Augustinus unterscheidet im Kapitel 6 seiner Frühschrift Prinzipien der Dialektik, De origine verbi, das sich explizit auf die Stoa bezieht, zunächst eine onomatopoetische Ähnlichkeit zwischen Signifikant und Signifikat von einer synästhetischen Ähnlichkeit zwischen Signifikant und Signifikat (vgl. Genette 2001, S. 48ff.).257 Genette hält fest, dass die Ähnlichkeit durch Synästhesie eine Variante der Ähnlichkeit durch Onomatopoesie sei, „insofern beide eine mehr oder weniger direkte Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat schaffen, ohne erklärtes Dazwischenschieben eines anderen Signifikanten und/oder Signifikats“ (Genette 2001, S. 51). Genette bezeichnet diese Beziehung durch Synästhesie als „schief“ (Genette 2001, S. 51). Dann aber verlässt Augustinus die Motivation durch
schieben sanft die Spitze der Lippen nach vorn und lenken unseren Atem denen entgegen, an die wir uns richten. Nos dagegen wird ausgesprochen, ohne dass wir den Atem ausstossen und die Lippen vorschieben, indem wir sie vielmehr sozusagen nach innen zurückziehen. Das gleiche gilt für tu in Opposition zu ego, tibi in Opposition zu mihi. Ganz so, wie wir beim Bejahen oder Verneinen eine Bewegung mit dem Kopf machen, die mit dem übereinstimmt, was wir sagen wollen, enthält die Aussprache solcher Wörter eine Art natürliche Gebärde des Mundes und des Atems“ (Genette 2001, S. 47). Im Original heisst die Stelle mit der Gebärde: „[…] ita in his vocibus quasi gestus quidam oris et spiritus naturalis est […]“ (Gellius 1990, S. 308). 257 Vgl. allgemein zu Augustinus Schrift De Dialectica die kurze Übersicht von Ruef (1995), der das Kapitel 6 jedoch ausklammert. Zu Augustinus Sprachtheorie vgl. Coseriu 2003, S. 121– 147 sowie zur Sprachphilosophie der Stoa Coseriu 2003, S. 109–120.
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Ähnlichkeit zwischen den Wörtern und den Dingen und gelangt zu einem neuen Motivationsprinzip, der Ähnlichkeit der Dinge untereinander: „hinc ad ipsarum inter se rerum similitudinem processisse licentiam nominandi“ (Augustinus, ohne Seitenangabe, zit. nach Genette 2001, S. 51). Genette interpretiert „dass die Ähnlichkeit zwischen zwei Dingen dazu ermächtigt, den Namen des einen vom Namen des anderen abzuleiten; so wird man etwa von crux, das dem Kreuz durch seinen unangenehmen Klang ähnelte, crus entlehnen, dessen Signifikat (‚Bein’) nicht Unangenehmes mehr hat, dem Holz des Kreuzes jedoch durch seine Länge und Härte ähnelt.“ (Genette 2001, S. 51; kursiv im Orig.) Es handelt sich hier um eine Analogie im Sinne einer proportionalen Beziehung: crus verhält sich zu crux wie das Bein zu Kreuz. Zwischen Wort (crus) und Ding (Bein) gibt es hier nach Genette eine „indirekte analogische Beziehung“ (Genette 2001, S. 51). Es ist nach Genette eine „Ableitung durch Metapher“(Genette 2001, S. 51). Eine weitere Motivationsklasse bei Augustinus gibt nach Genette „die analogische Beziehung ganz auf“ (Genette 2001, S. 51). Hier herrscht eine notwendige Beziehung der Nähe (vicinitas) zwischen den Signifikaten. Es handelt sich hier nach Genette um eine Ableitung durch Metonymie (vgl. Genette 2001, S. 52). So kann man piscina (Schwimmbad) metonymisch von piscis ableiten kraft der Kontiguitätsbeziehung zwischen dem Wasser im allgemeinen und den Fischen. Denn im Schwimmbad hat es Wasser und im Wasser schwimmen normalerweise Fische (vgl. Genette 2001, S. 52). Weitere metonymische Ableitungen sind (vgl. Genette 2001, S. 52): -
Ursache – Wirkung Behältnis – Inhalt Inhalt – Behältnis Teil – Ganzes
Die letzte Motivationskategorie ist die Ableitung durch Antiphrase (contrarium), z.B. bellum (Krieg) aus bellus (schön). Auch hier ist die Motivation durch die Beziehung zwischen den Signifikaten gegeben (vgl. Genette 2001, S. 52). Nach Augustinus gibt es also folgende Motivationskategorien (vgl. Abbildung 13):
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Urwörter258 (Augustinus: c unabula verborum = Wiege der Wörter)
sekundäre Wörter259
Relata
Signifikant – Signifikat
Signifikat – Signifikat
Art der Motivation Beziehung
Direkte (mimetische) Motivation
indirekte (etymologische) Motivation
Tropus Beispiel
Ähnlichkeit
Ähnlichkeit (direkte Analogie, similitudo)
Ähnlichkeit (indirekte Analogie, similitudo)
Nähe (vicinitas)
Widerspruch (contrarium)
Onomatopoesie clangor (=das Schmettern)
Synästhesie
Metapher
Metonymie
Antiphrase
asperitas (bezeichnet die Rauheit und ist selber rauh zu hören)
crux – crus
piscina – piscis
bellum – bellis
Abbildung 13: Motivationskategorien bei Augustinus (vgl. Genette 2001, S. 50ff.)
Leibniz Gottfried Wilhelm Leibniz findet in Moritz’ sprachwissenschaftlichen Schriften nirgends explizit Erwähnung, erhält aber im Kontext von dessen sprachverbesserischen Bemühungen eine gewisse Bedeutung: Bei der Gründung der von Moritz mitinitiierten Deputation zur Verbesserung der Deutschen Sprache innerhalb der Preussischen Akademie der Wissen-
258 259
Nach Coseriu 2003, S. 114f. Nach Coseriu 2003, S. 114f.
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schaften260 berief sich der Kurator der Akademie, Ewald Friedrich Graf von Hertzberg, nämlich auf Leibniz’ Unvorgreifliche Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache ([ca. 1697], publ. 1717), um das Vorhaben durch diesen Bezug auf den Gründer und ersten Präsidenten der Akademie als in der Akademietradition verankert zu legitimieren (vgl. Dutz 1996, S. 42).261 Will man Leibniz als Quelle für Moritz postulieren, steht man vor einer doppelten Schwierigkeit: erstens fehlt in den sprachwissenschaftlichen Schriften Moritz’ wie gesagt ein expliziter Hinweis auf Leibniz und zweitens waren einige der Texte zur Sprache von Leibniz zu Moritz’ Lebzeiten noch gar nicht publiziert.262 Für Moritz greifbar waren folgende Texte: Die 1717, also ein Jahr nach dem Tode Leibniz’ von Johann Georg Eckhart herausgegebenen Collectanea Etymologica, die auch die Unvorgreiflichen Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache263 ent-
260 Die 1700 von Leibniz gegründete Preussische Akademie der Wissenschaften in Berlin war während der Zeit Friedrichs II. fest in französischer Hand, sowohl was die Präsidenten, als auch was die Verhandlungssprache anbelangte. Der Nachfolger Friedrichs, Friedrich Wilhelm II., wünschte, man möge die Aktivitäten der Akademie mehr auf die Deutsche Sprache ausrichten. In diesem Zusammenhang ist eine kleine Schrift Karl Philipp Moritz’ zu sehen, die den Titel Ueber die Kultur der Deutschen Sprache (1791) trägt und an den Kurator der Akademie, von Hertzberg, gerichtet war. Es scheint, dass Moritz mit dieser Schrift, die das Anliegen einer Verbesserung und Popularisierung der deutschen Sprache enthielt, mit den Ausschlag für die Gründung der Deputation zur Verbesserung der Deutschen Sprache gegeben hatte (vgl. Dutz 1996, S. 41f.). 261 Auf der Akademieversammlung vom 26. Januar 1792 wurden die Unvorgreiflichen Gedanken schliesslich offiziell vorgestellt. Die schriftlichen Fassungen der im Anschluss daran gehaltenen Referate wurden jedoch wiederum in Französisch veröffentlicht, zwei Jahre später allerdings auch in Deutsch (vgl. Dutz 1996, S. 43). 262 So wird etwa die Ermahnung an die Teutschen, in der Leibniz – wie später Moritz in der Deutschen Sprachlehre für die Damen – die Sprache als „hellen Spiegel“ bezeichnet, erst 1846 von Carl Ludwig Grotefend herausgegeben. Zudem ist die Quellenlage oft diffus (was für die Filiationsfrage allerdings sekundär ist): Leibniz beschäftigte zahlreiche Schreiber, die Diktat abnahmen, Leibniz’ eigene Texte und Exzerpte anderer Bücher kopierten, sodass aus den Quellen oft nicht eindeutig feststellbar ist, was tatsächlich Leibnizsches Gedankengut ist und was nicht. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Entscheidung über Letzteres oft von den Herausgebern getroffen worden ist, wie etwa auch das Setzen von Titeln, zum Beispiel des Titels Monadologie. Die historiografische Arbeit mit Texten von Leibniz bedarf deshalb zunächst einer „Rekonstruktion“ (vgl. Dutz 1996). 263 Die bis heute verlässlichste Edition des Textes stammt von Paul Pietsch aus dem Jahre 1907/08 (Neuauflage 1916) (vgl. Dutz 1996, S. 37, Anm. 21). Von den Unvorgreiflichen Gedanken existieren drei handschriftliche Fassungen, die sich aber alle voneinander unterscheiden (vgl. Dutz 1996, 38). Insbesondere gibt es kein Manuskript, dass der Druckfassung der Edition Eckhart entspricht. Der Titel Unvorgreifliche Gedanken geht offenbar ebenfalls auf Eckhart zurück. Eine Autorisation durch Leibniz ist nicht vorhanden. Die Edition Eckhart bildet aber die Quelle für die Neuausgaben des Textes im 18. Und 19. Jahrhundert. So druckt Gottsched den Text aus der Edition Eckhart in seinen 1732 an-
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hielten, die Nouveaux essais sur l’entendement humain die Leibniz wohl zwischen 1703 und 1705 und nach Angabe von Cassirer innerhalb weniger Wochen (vgl. Cassirer 1996, S. XII), verfasst hat, die jedoch erst 1765 in der Edition von Rudolf Eric Raspe264 erschienen sind, sowie die in Louis Dutens Leibnizausgabe von 1768 gesammelten Texte und Briefe zur Philologie und Etymologie265. Es sind vor allem diese Texte, die im folgenden Kapitel herangezogen werden.266 Die Sprache, oder allgemeiner die Verwendung von Zeichen, ist für Leibniz’ Erkenntnistheorie grundlegend. Er bezeichnet die Sprache als Spiegel des Verstandes267 und schöpft damit eine für das Sprachdenken des 18. Jahrhunderts einflussreiche Metapher, die sich zu den bereits gängigen des Bildes oder Gemäldes gesellt und sich auch in Moritz’ Sprachlehre für die Damen findet. Nun hält Dascal zurecht fest, dass ein Spiegel zwar einem Betrachter das Spiegelbild eines Objektes zeigt, als Gegenstand an sich aber keinen Einfluss auf das Funktionieren oder die Struktur dieses Objektes hat (vgl. Dascal 1987, S. X). Leibniz würde mit seiner Metapher also keinen Einfluss der Zeichen auf das Denken behaupten. So ist sie
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onym erschienen Beyträgen zur kritischen Historie der deutschen Sprache integral ab. Der Text erscheint schliesslich 1768 zweisprachig in Louis Dutens’ Sammlung Leibnizscher Schriften. In Raspes Edition der Oeuvres philosophiques latines et françois de feu M. de Leibnitz hiess das Werk: Nouveaux essais sur l’entendement humain par l’Auteur du Système de l’harmonie préétablie. Als Verlagsort wird oft Amsterdam angegeben, das in der Zeit beliebter Druckort war, um der Zensur zu entgehen. Der Verlag Schreuder war aber in Leipzig ansässig und hatte in Amsterdam bloss eine Dependance (vgl. Dutz 1996, 36, Anm. 19). Als Grund für die Nichtveröffentlichung der Nouveaux essais durch Leibniz werden Pietätsgründe angenommen (vgl. etwa Aarsleff 1982, S. 51). John Locke, mit dessen Essay concerning human understanding sich das Werk ja befasst, war nämlich 1704 verstorben. Für diese Erklärung gibt es jedoch nach Klaus D. Dutz keine eindeutige Belegstelle (vgl. Dutz 1996, 36). Die Collectanea Etymologica enthält auch hier die Unvorgreiflichen Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. Zur methodischen Herangehensweise der Historiografie der Linguistik an Leibniz vgl. Dutz 1989, S. 204f. Die Metapher findet sich in verschiedenen Texten. Im ersten Satz der Unvorgreiflichen Gedanken heisst es: „Es ist bekannt, dass die Sprache ein Spiegel des Verstandes, und dass die Völker, wenn sie den Verstand hoch schwingen, auch zugleich die Sprache wohl ausüben, welches der Griechen, Römer und Araber Beyspiele zeigen“ (Leibniz 1996 [ca. 1697, publ. 1717], S. 672). Und in der Ermahnung an die Deutschen: "Was aber den Verstand betrifft und die Sprache, welche gleichsam als ein heller Spiegel des Verstandes zu achten, so glaube ich, diesfalls habe ein jeder die Macht, seine Gedanken vorzutragen […]." (Leibniz 1967 [1682, publ. 1846]), S. 17). Und die Metapher findet sich schliesslich in den Nouveaux Essais: Ich glaube wirklich, „dass die Sprachen der beste Spiegel des menschlichen Geistes sind und dass eine genaue Analyse der Wortbedeutungen besser als alles andere die Verrichtungen des Verstandes erkennen lassen würde.“ (Leibniz 1996 [1765], S. 341).
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von modernen Interpreten auch verstanden worden268 und die Kontexte der entsprechenden Stellen stützen diese Deutung. Aber die Spiegelmetapher ist im philosophischen System Leibniz’ alles andere als unbedeutend oder zufällig. Sie steht in seiner Monadologie im Zentrum seiner Konzeption der individuellen Substanz: jede Monade spiegelt das Universum aus ihrer Perspektive (vgl. Dascal 1987, S. X; Poser 1996, S. 150ff.; Poser 2005, S. 121ff., zur spiegelnden Monade S. 132). Und den Zeichen kommt in Leibniz Erkenntnistheorie nicht einfach eine abbildende, sondern vielmehr eine konstituierende Funktion269 zu. So heisst es im fünften Paragraphen der Unvorgreiflichen Gedanken, Zeichen seien nicht nur notwendig, um „unsere Meynung Andern anzudeuten, sondern auch unsern Gedanken selbst zu helfen“ (Leibniz 1996 [ca. 1697, publ. 1717], S. 673). Wie die Zeichen den Gedanken zu Hilfe kommen hat Leibniz in seinen Meditationes de cognitione, veritate et ideis (1684 in den Acta Eruditorum erschienen) gezeigt, in welchen er eine als „symbolisch“ bezeichnete, mittels Zeichen funktionierende Erkenntnis als die für den Menschen zentrale etabliert. Die einflussreiche Schrift ist eine Kritik der cartesischen Erkenntnisprinzipien beziehungsweise des cartesischen Wahrheitskriteriums.270 Zunächst ergänzt Leibniz die cartesische Stufenleiter der Erkenntnis wie folgt: „Eine Erkenntnis ist […] entweder dunkel oder klar; die klare wiederum entweder verworren oder deutlich; die deutliche entweder inadäquat oder adäquat, und gleichfalls entweder symbolisch oder intuitiv.“ (Leibniz 1684, S. 9; Herv. im Orig.)
Und er präzisiert anschliessend die einzelnen Stufen.271 Ein Begriff (notio) ist dunkel, wenn sein Gegenstand nicht wiedererkannt werden kann, klar ist eine Erkenntnis (cognitio) hingegen dann, wenn das Wiedererkennen ihres Gegenstandes möglich ist, das heisst, wenn wir „fehlerfrei die unter den Begriff fallenden Dinge von solchen unterscheiden können, die nicht
268 Zum Beispiel Heinekamp: „Da die Sprache Erzeugnis und Werkzeug des Geistes ist, offenbart sich in ihr der Charakter des Geistes und seiner Tätigkeit“ (Heinekamp 1992, S. 322). 269 Vgl. zum Einfluss der Zeichen auf das Denken bei Leibniz auch Krämer 1992. 270 René Descartes hat in den §§ 43–45 seiner Prinzipien der Philosophie (1644) als Kriterium für die Wahrheit einer Erkenntnis gefordert, sie müsse klar (clara) und deutlich (distincta) sein, und diese beiden Merkmale definiert (vgl. Descartes 1992, S. 14f.). Nach Leibniz ist dieses Wahrheitskriterium untauglich, da etwas, dessen Begriff klar und deutlich ist, zwar möglich, nämlich widerspruchsfrei, ist, daraus aber nichts über das Bestehen eines korrespondierenden Sachverhalts folgt (vgl. Poser 1996, S. 152f.). 271 Ich orientiere mich hier an der Analyse von Proß, die er im Kommentar zum Vierten Kritischen Wäldchen von Herder gibt (vgl. Proß 1987, S. 872f.). Eine ausführlichere Lektüre und Interpretation des Textes liefert Ungeheuer 1990.
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unter ihn fallen“ (Poser 1996, S. 152).272 Klare Erkenntnisse sind verworren, wenn die Merkmale ihres Gegenstandes, die dazu dienen, den Gegenstand von anderen zu unterscheiden, nicht einzeln aufgezählt werden können. Es handelt sich dabei zum Beispiel um die Erkenntnis von nur einem Sinn zugänglichen Objekten wie Farben oder Gerüchen. Man kann eine Farbe von einer anderen Farbe unterscheiden, aber nicht angeben, worin der Unterschied genau besteht. Ein deutlicher Begriff (notio) ist dann ein solcher, bei dem man die Merkmale angeben kann, worin sich sein Gegenstand von anderen Gegenständen unterscheidet, das heisst bei dem „alle Unterscheidungsmerkmale klar sind“ (Poser 1996, S. 152). Leibniz unterscheidet hier drei Möglichkeiten. So haben wir deutliche Begriffe von Dingen, von welchen wir eine Nominaldefinition besitzen „die nichts anderes ist als eine Aufzählung der zureichenden Merkmale“ (Leibniz 1684, S. 10). Leibniz schreibt, einen solchen Begriff hätten wir „gewöhnlich von […] Merkmalen, die mehreren Sinnen gemeinsam sind“ (Leibniz 1684, S. 10). Wir haben aber auch deutliche Erkenntnisse von undefinierbaren Begriffen, wenn diese ursprünglich sind und nicht in Merkmale aufgelöst werden können. Proß spricht hier von primitiver Erkenntnis (cognitio primitiva), die bereits eine intuitive Erkenntnis ist. Und schliesslich gibt es die deutliche Erkenntnis von zusammengesetzten Objekten. Bei dieser deutlichen Erkenntnis können die Merkmale einer Sache also angegeben werden, die Erkenntnis der Merkmale selber, etwa der Farbe, jedoch bleibt oft verworren. Die Sache würde dann nach Leibniz deutlich aber inadäquat erkannt. Eine adäquate Erkenntnis einer Sache würde erst dann vorliegen, wenn auch ihre Merkmale wiederum deutlich erkannt würden und ihre Analyse also „bis ans Ende durchgeführt“ (Leibniz 1684, S. 11) werden könnte. Leibniz ist unsicher, ob diese Stufe der Erkenntnis dem Menschen möglich ist: „ […] ob die Menschen hierfür ein vollkommenes Beispiel bieten können, weiss ich nicht, doch kommt ihr das Wissen von den Zahlen sehr nahe“ (Leibniz 1684, S. 11). Hier kommt die symbolische Erkenntnis ins Spiel. Wenn bei einer vollständig durchgeführten Analyse alle Merkmale überschaut werden, dann spricht Leibniz von einer intuitiven Erkenntnis (anschauende Erkenntnis). Das ist dem Menschen aber nur bei ursprünglichen Begriffen der Fall (primitive intuitive Erkenntnis). Bei zusammengesetzten Begriffen ist Menschen dieser Überblick wohl kaum mehr möglich (vgl. Leibniz
272 Nach Poser meinen Begriff (notio) und Erkenntnis (cognitio) hier dasselbe (vgl. Poser 2005, S. 100). Proß schreibt: „Leibniz sieht in dieser Schrift [scil. die Meditationes] einen engen Zusammenhang zwischen Wahrnehmungs- und Erkenntnisform, ‚notio’ und ‚cognitio’ (Proß 1987, S. 872). Vgl. auch Ungeheuer 1990, S. 502.
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1684, S. 14), sie bedienen sich hier vielmehr Zeichen, die für ein Merkmalbündel stehen. Leibniz schreibt: „In den meisten Fällen […], besonders bei einer längeren Analyse, überschauen wir das ganze Wesen des Gegenstandes nicht auf einmal, sondern wir verwenden an Stelle der Gegenstände Zeichen, deren Erklärung wir beim Denken für den Augenblick der Kürze halber zu unterlassen pflegen […].“ (Leibniz 1684, S. 11)
Leibniz veranschaulicht dies am Beispiel eines Tausendecks. Wenn man sich ein Vieleck mit tausend Seiten vorstellt, wird man sich nicht immer das Wesen einer Seite mit allen ihren Merkmalen auch noch vorstellen, sondern man wird anstelle des Gegenstandes Seite das Wort Seite verwenden, ohne es zu erklären. Diese Art von Erkenntnis nennt Leibniz symbolische Erkenntnis. Sie ist die entscheidende Ergänzung der cartesischen Stufenleiter, denn sie erlaubt, „einen Typ menschlicher Erkenntnis einzufügen, dem zwar nicht die Unmittelbarkeit göttlicher Schau zukommt, der aber dennoch zu verlässlichen Ergebnissen gelangt“ (Poser 1996, S. 153). Die höchste Erkenntnis ist die adäquate und intuitive (vgl. Leibniz 1684, S. 7). Nur Gott besitzt stets eine adäquate und intuitive Erkenntnis. Inwiefern sie für den Menschen nach Leibniz hingegen unerreichbar bleibt, beschreibt Proß: „Die fortlaufende Analyse nach den Kriterien der Klarheit und Distinktheit […] scheitert daran, ihr Ziel der adäquaten und gleichzeitig intuitiven Erkenntnis zu erreichen, überall da, wo sie mit komplexen Gegenständen der Wahrnehmung zu tun hat. Sie endet bei komplexeren Analysen bei Nominaldefinitionen, die sie für Realdefinitionen hält; auch das Unterscheidungskriterium, das Leibniz anführt, um das Analyseergebnis zu testen, genügt nicht: Nominaldefinitionen listen nur Unterscheidungsmerkmale auf, Realdefinitionen bemühen sich, die Möglichkeit der Realität (sei es a priori oder a posteriori) zu beweisen, allerdings bleibt der Anspruch auf eine vollkommene Analyse der Ursprünge von Wahrnehmung und Erkenntnis zweifelhaft. Die ‚Weltweisheit’ gelangt zu adäquaten und anschauenden Erkenntnissen, wenn überhaupt, dann nur dort, wo sich ihre Ergebnisse mit der ‚cognitio primitiva’, der elementaren und unauflöslichen Erfahrung des Menschen treffen. Und diese ‚cognitio primitiva’ steht dem Verfahren einer Analyse a posteriori am nächsten, denn sie demonstriert die logische ‚Möglichkeit’ einer Sache durch das unwiderlegliche Argument der Wirklichkeit der Erfahrung.“ (Proß 1987, S. 874; kursiv im Orig.)
Für die Menschen wird die symbolische Erkenntnis damit zur wichtigsten Erkenntnisform (vgl. Poser 2005, S. 102). Wenn menschliches Denken zu einem Verständnis des Verhältnisses von Gott und Welt gelangen will, gelingt ihm dies nur „auf dem Wege einer symbolischen Erkenntnis, in der Komplexes, insbesondere Unendliches, unter Verlust an Inhalt durch endliche Zeichen dargestellt wird“ (Poser 2005, S. 99). Voraussetzung für die symbolische Erkenntnis ist eine angemessene Zeichensprache. Es kann sich dabei sowohl um einen logischen Kalkül als auch um die natür-
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liche Sprache handeln (vgl. Poser 2005, S. 102).273 Daraus erklärt sich das umfassende Interesse Leibniz für die natürliche Sprache. Relevant für die Sprachursprungshypothese bei Moritz ist in erster Linie das Buch III der Nouveaux Essais, das sich den Worten widmet. Die Nouveaux Essais sind eine dialogische Auseinandersetzung mit John Lockes Essay concerning human understanding (1690). Leibniz hat sie verfasst, weil er nicht in persönlichen Kontakt zu Locke hatte treten können (vgl. Aarsleff 1982, S. 49ff.). Philaletes spricht im Dialog die Position Lockes274, Theophilus die Antworten Leibniz’. Bei der Betrachtung der Sprache in Buch III unterscheiden sich die Positionen Lockes und Leibniz’ in der Frage, ob die Sprache konventionell oder natürlich sei, was für die philosophischen Positionen der beiden grundlegend ist (vgl. Aarsleff 1982, S. 42 und 52ff.). Das Grundmissverständnis Leibniz’ liegt nach Aarsleff darin, dass er den Essay concerning human understanding als Suche nach der Wahrheit liest, während es Locke, im Kontext der Royal Society, um eine Beschreibung des Prozesses geht, wie der Mensch praktisch zu Erkenntnissen gelangen kann (vgl. Aarsleff 1982, S. 52ff.).275 Mit den Aussagen zu den Sprachfunktionen im ersten Kapitel von Lockes Essay ist Leibniz noch einverstanden. Philaletes hält im §1 fest, Gott habe den Menschen als „geselliges Geschöpf“ bestimmt und ihm das „Vermögen der Sprache verliehen“, die das „grosse Hilfsmittel und das gemeinsame Band dieser Gesellschaft“ sei (vgl. Leibniz, NE, III, 1, 1; S. 267). Eine Allusion auf diese Stelle findet sich in Moritz’ Deutscher Sprachlehre (vgl. Anm. 83). Auch Leibniz betrachtet den Menschen als geselliges Geschöpf. Im §2 weist Philaletes der Sprache eine kommunikative Funktion zu. Die Laute der Sprache stehen als Zeichen für die Ideen und dienen so deren Mitteilung. Theophilus macht hier einerseits eine Präzisierung, andererseits eine Ergänzung. Die Mitteilungsfunktion verbindet er mit der gesellschaftsbildenden Funktion und erklärt sie zur Bedingung für
273 Leibniz versteht unter Zeichen alles, was wir „im Denken für die Dinge verwenden“, etwa Wörter, Buchstaben oder chemische Zeichen (Leibniz [1688] publ. 1840, S. 919; Übers. nach Poser 2005, S. 101) und definiert den Begriff auch als „Wahrgenommenes, von dem auf das Bestehen eines nicht Wahrgenommenen geschlossen wird“ (Leibniz [1702–1704] publ. in Leibniz 1961, S. 497. Übers. nach Poser 2005, S. 101). 274 Leibniz hat die Übersetzung des Essay von Pierre Coste verwendet und den Text Lockes mit einigen Kürzungen, Umstellungen und Paraphrasen übernommen (vgl. Aarsleff 1982, S. 51). 275 „It is not a metaphysical treatise, not a ‚recherche de la vérité.’ It does not pretend to offer a complete system of knowledge and truth, but to present a discussion of the ways in which knowledge may be obtained and secured. Its nature is essentially practical, and for that reason it pays much attention to the ways in which we may wrongly come to believe we have certain knowledge when in fact we do not.“ (Aarsleff 1982, S. 54)
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den Sprachursprung: „Ich glaube, dass wir ohne den Wunsch, uns verständlich zu machen, in der Tat niemals die Sprache gebildet haben würden […]“ (Leibniz, NE, III, 1, 2; S. 268). Theophilus ergänzt die Sprachfunktionen aber auch um die kognitive Funktion für die Erkenntnis und das Gedächtnis entsprechend der symbolischen Erkenntnis aus den Meditationes de cognitione, veritate et ideis: „[…] ist sie aber einmal ausgebildet, so dient sie dem Menschen auch dann, wenn er für sich allein denkt, sowohl dadurch, dass ihm die Worte Mittel an die Hand geben, sich abstrakter Gedanken zu erinnern, als auch durch die Förderung, die man beim Nachdenken durch den Gebrauch von Charakteren und tauben Gedanken findet; denn es würde zu viel Zeit erfordern, wenn man alles erklären und an die Stelle der einzelnen Termini immer ihre Definitionen setzen wollte.“ (Leibniz, NE, III, 1, 2; S. 268)
In § 3 geht es um allgemeine Ausdrücke (Appellativa). Leibniz stellt hier eine These auf, die er später in der Brevis Designatio wiederholen wird (vgl. Leibniz 1710, S. 1). Alle Eigennamen gehen auf Appellativa zurück. Locke kommt im §5 des ersten Kapitels des dritten Buches auf den „Ursprung aller unserer Begriffe und Erkenntnisse“ und damit indirekt auch auf den Ursprung der Sprache zu sprechen. Er vertritt die These, dass sich alle Wörter auf sinnliche Wahrnehmungen zurückführen lassen: „Vielleicht führt es uns dem Ursprung aller unserer Begriffe und Erkenntnisse ein wenig näher, wenn wir beachten, wie gross die Abhängigkeit unserer Wörter von bekannten sinnlich wahrnehmbaren Ideen ist und wie diejenigen Wörter, die Handlungen und Begriffe |3| bezeichnen, welche von der Sinneswahrnehmung weit entfernt sind, doch ihren Ausgangspunkt darin haben. Sie werden von sinnlich deutlich wahrnehmbaren Ideen auf abstrusere Bedeutungen übertragen und müssen nun Ideen vertreten, die unserer Sinneswahrnehmung unzugänglich sind.“ (Locke 1981, III, 1, 5; S. 2f.)
Leibniz antwortet hier, dies sei tatsächliche der Fall, weil die Menschen, gezwungen durch ihre „Bedürfnisse“, die „natürliche Ordnung der Ideen“ hätten verlassen müssen. Leibniz denkt hier an eine metaphysische Ordnung der Ideen, welche die Menschen einst mit den Engeln geteilt hätten. Das Zurückführen der Sprache auf Sinneswahrnehmungen kann deshalb zum Ursprung der Begriffe führen, sondern nur eine „Geschichte unserer Entdeckungen“ geben (Leibniz, NE, III, 1, 5; S. 270). Locke führt seinen Gedankengang fort: „[…] zweifellos würden wir in allen Sprachen, die wir bis auf ihren Ursprung zurückverfolgten, beobachten, dass die Namen, die solche Dinge bezeichnen, die wir nicht mit unseren Sinnen wahrnehmen, ihren Ausgangspunkt in sinnlich wahrnehmbaren Ideen haben“ (Locke 1981, III, 1, 5; S. 3.)
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Und das führt ihn schliesslich zu einer Aussage, die an Moritz Formulierung erinnert, die Natur würde dem Menschen die ersten Wörter aufdrängen: „Wir können erraten, wie die Natur den Menschen bereits bei der Benennung der Dinge unvermerkt die Anfänge und Grundlagen all ihrer Erkenntnisse eingab […]“ (Locke 1981, III, 1, 5; S. 3.).
In Leibniz’ Nouveaux Essais lautet die Formulierung aus dem Mund Philaletes: „Daraus können wir entnehmen, welche Art von Begriffen diejenigen hatten, die jene Sprache zuerst redeten, und wie die Natur den Menschen den Ursprung und Anfang aller ihrer Erkenntnisse durch die Worte selbst unbewussterweise darbot“ (Leibniz, NE, III, 1, 5; S. 270).
In seiner Replik umschreibt Leibniz mit der Stimme Theophilus das Gesagte als „Analogie der sinnlichen und unsinnlichen Dinge“ (Leibniz, NE, III, 1, 5; S. 271), „die den Tropen als Grundlage gedient hat“ (Leibniz, NE, III, 1, 5; S, 271). Dieses Verhältnis veranschaulicht er am Beispiel des Gebrauchs der Präpositionen. Die Präpositionen zu, mit, von, vor, in, ausser, durch, für, über, gegen sind alle „vom Ort, von der Entfernung und von der Bewegung hergenommen und nachher auf alle Arten von Veränderungen, Ordnungen, Folgen, Verschiedenheiten, Übereinstimmungen übertragen worden“ (Leibniz, NE, III, 1, 5; S. 271). Aus dieser Liste behandelt Moritz nur die Präpositionen ausser und gegen (vgl. ZUAD, S. 66), über die Leibniz in der Folge aber nichts weiter sagt. Als Beispiel von Leibniz sei die Präposition über gewählt: „Das Wörtchen über wird gleichfalls auf das Objekt [des Denkens] angewandt, man sagt: Man denkt über eine Problem nach, ungefähr wie ein Arbeiter über das Holz oder über den Stein gebeugt sitzt, den er schneidet und formt (Leibniz, NE, III, 1, 5; S. 272; kursiv im Orig.).
Im zweiten Kapitel hat das Einverständnis ein Ende. Locke vertritt hier klar die Thesei-Theorie, die nach Aarsleff mit der Ablehnung jedes Begriffs einer natürlichen Sprache „absolutely fundamental to his discussion of language“ (Aarsleff 1982, S. 63) ist. Locke erklärt, Wörter seien durch „willkürliche Verknüpfung“ (Locke 1981, III, 2, 1; S. 5) zu Kennzeichen von bestimmten Ideen gemacht worden, „auf Grund einer durchaus willkürlichen Festlegung“ (Locke 1981, III, 2, 8; S. 9) und nicht aufgrund eines „natürlichen Zusammenhangs“ (Locke 1981, III, 2, 1; S. 5) zwischen einzelnen artikulierten Lauten und gewissen Ideen. Dem muss Leibniz nach Dutz widersprechen, weil Locke den Aspekt der Geschichtlichkeit
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von Sprache, der für Leibniz wichtig ist,276 ausschliesst (vgl. Dutz 1989, S. 227). Leibniz stimmt Locke aber zunächst zu: „Ich weiss, dass man in den Schulen und auch sonst allgemein zu sagen pflegt, die Bedeutung der Worte sei willkürlich (ex instituto); und es ist allerdings richtig, dass diese Bedeutungen |273| nicht durch eine natürliche Notwendigkeit bestimmt sind […]“ (Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 272f.; kursiv im Orig.). Er schränkt die Gültigkeit dieser Aussage aber gleich wieder ein: „[n]ichtsdestoweniger sind sie es bald durch natürliche Gründe, bei denen der Zufall mitwirkt, bald durch moralische Gründe, bei denen eine Wahl stattfindet“ (Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 273).277 Vollständig willkürlich sind nach Leibniz’ vorsichtiger Formulierung „[v]ielleicht […] manche künstliche Sprachen, die ganz aus der Wahl hervorgegangen“ (Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 273) sind: das Chinesische und die Universalsprachen von George Dalgarno und John Wilkins. Dann beschreibt Leibniz jedoch Fälle von Sprachen, die sowohl „willkürliche“ als auch „natürliche und zufällige“ „Bestandteile“ enthalten und das sind solche, die „aus schon bekannten Sprachen gemacht worden sind“ (vgl. Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 273). Leibniz’ erstes Beispiel sind Sondersprachen wie das Rotwelsche, die auf der lexikalischen und grammatischen Basis der Standardsprache beruhen, sich aber mittels neuartiger (metaphorischer) Verwendung vorhandener Ausdrücke einen gruppenspezifischen Sonderwortschatz bilden (vgl. Bussmann 2002, S. 606). Die „natürlichen und zufälligen Bestandteile“ sind hier dann die unveränderten Lexeme aus der Standardsprache, die „willkürlichen“ die Lexeme des Sonderwortschatzes, deren „herkömmliche Wortbedeutung durch Metaphern“ verändert wurden oder aber „neue Wörter“, die durch „Zusammensetzung oder Ableitung“ aus Elementen der Standardsprache gebildet wurden (vgl. Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 273). Als zweites Beispiel beschreibt Leibniz die mittelalterliche Verkehrsprache Lingua Franca als Pidginsprache (vgl. Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 273f.), um dann auf die Gemeinsprachen zu kommen, die er aus sprachgeschichtlicher Perspektive als Ableitungen beschreibt: „Was die Sprachen, die seit langem bestehen, betrifft, so gibt es darunter kaum irgendwelche, die heute nicht ausserordentlich verändert wären“ (Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 274).
276 Leibniz interessiert sich für die Genese der Sprache mehr als für die Beschaffenheit der Ursprache. Ihn interessiert, wie sich die Sprachen ausgehend von Wurzelwörtern entwickelt haben. 277 Dutz interpertiert die „moralischen Gründe“ als „sprachebenenabhängige [d.h. registerabhängige; A. A.] oder sozialrelevante Anlässe“ (Dutz 1989, S. 227f.) und merkt an, Leibniz sei in diesem Punkt etwas nebulös (vgl. Dutz 1989, S. 227f. und Anm. 81). Leibniz führt als Beispiele aber keine Sprachebenen, sondern Sondersprachen an.
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In einem sprach- und völkergeschichtlichen Abriss führt Leibniz dann alle Sprachen auf das Skythische und alle Völker auf die Skythen zurück,278 um daraus die Hypothese einer Ursprache und eines Urvolkes abzuleiten: „In alledem findet sich also kein Umstand, der der Ansicht von dem gemeinschaftlichen Ursprunge aller Völker und einer ursprünglichen Grundsprache widerstritte; ja alles begünstigt sie vielmehr“ (Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 276). Leibniz lehnt damit also die Primigenität des Hebräischen ab, vertritt mit der Skythen-These aber gleichwohl eine monogenetische Auffassung des Sprachursprungs (vgl. Dutz 1989, S. 222). Die Ursprache ist jedoch verloren gegangen: „Lingua Adamica [...] nobis certe ignota est“ (Leibniz [1688], publ. 1840, S. 919). Nach Leibniz sind bereits die ersten Menschen von der Ursprache abgewichen (vgl. Heinekamp 1976, S. 539). Wesentlicher als die Frage nach der Beschaffenheit der Ursprache ist für Leibniz sowieso der monogenetische Aspekt der Sprachursprungsfrage (vgl. Dutz 1989, S. 224). Eine systematische Sprachursprungstheorie hat er nicht entworfen; die Frage nach dem Sprachursprung stand nicht im Zentrum seines Philosophierens. Es gibt aber verstreut über sein Werk immer wieder Aussagen zum Thema, die sich vom Früh- zum Spätwerk zwar entwickeln, aber nicht widersprechen (vgl. Dutz 1989, S. 220). Die Ursprache verbleibt dabei im Status der hypothetischen Notwendigkeit.279 Sie ist für Leibniz ein Modell, an dem sich hypothetisch die idealen Verhältnisse von Bezeichnung und Referenz untersuchen lassen (vgl. Dutz 1989, S. 222). Als Hypothese in diesem Sinne muss wahrscheinlich die Stelle in den Nouveaux Essais verstanden werden, in welcher Leibniz vermutet, in der Ursprache würden die Verbindungen zwischen Wort und Idee klar erscheinen: „[W]enn wir die ursprüngliche Sprache in ihrer Reinheit besässen oder sie doch so weit erhalten hätten, dass sie uns noch erkennbar wäre, so müssten in ihr die Gründe der Verbindungen klar erscheinen, mögen diese nun physischer Art sein oder auf eine willkürliche Festsetzung zurückgehen, die weise und des ersten Urhebers würdig sein müsste“ (Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 276).
Nach Heinekamp macht Leibniz „keinen wesentlichen Unterschied zwischen der lingua primigenia und den bekannten Sprachen (vgl. Heinekamp 1976, S. 539)280. Alle natürlichen Sprachen lassen sich insofern als lingua primitiva beziehungsweise lingua radicalis auffassen, als das Ursprungsprin-
278 Vgl. zur Skythen-These Metcalf 1974. 279 Die hypothetische Notwendigkeit ist ein Begriff aus Leibniz’ metaphysischem System der möglichen Welten und der wirklichen Welt (vgl. Poser 2005, S. 81f.). 280 Heinekamp bezieht sich hier auf die Brevis Designatio. Leibniz sagt das an der von Heinekamp angegebenen Stelle aber nicht explizit (vgl. Leibniz 1710, S. 2).
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zip ihrer Wörter dasselbe ist (vgl. Dutz 1989, S. 224; Heinekamp 1976, S. 539). Die unterschiedlichen Sprachen bilden zwar unterschiedliche Derivate der Wörter, sie haben nach Leibniz aber gemeinsame Wurzelwörter, deren Analyse eine Grundlage für den Vergleich der Sprachen untereinander bietet (vgl. Dutz 1989, S. 224). Dies führt ihn zu zwei Problem- und Arbeitsbereichen: erstens zum Vergleich von Sprachen, um Materialsammlungen anzulegen, mit deren Hilfe man dann zweitens die Etymologie der Wörter untersuchen und die zugrundeliegenden Wurzeln ermitteln könnte (vgl. Dutz 1989, S. 224). Gerade das Deutsche hat nach Leibniz viel Ursprüngliches bewahrt: „Wenn das Hebräische oder Arabische sich dieser Grundsprache am meisten nähert, so muss sie doch in ihnen zum mindesten schon stark verändert sein, und das Deutsche scheint mehr Ursprüngliches und (um die Sprache des Jakob Böhme zu reden) Adamitisches bewahrt zu haben“ (Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 276).
Das Ursprüngliche an den abgeleiteten Sprachen besteht nach Dutz in der Gesetzmässigkeit, mit der sprachliche Wurzeln angewendet oder neue Wurzeln geschaffen werden (vgl. Dutz 1989, S. 229). Jede natürliche Sprache kann solche neuen Wurzelwörter bilden (vgl. Heinekamp 1976, S. 540): „Aber gesetzt auch, dass unsere Sprachen abgeleitete sind, so haben sie doch im Grunde etwas Ursprüngliches in sich, was sie vermöge der neuen Stammworte erlangt haben, die sie seither zwar durch Zufall, aber doch auf physische Gründe hin, gebildet haben“ (Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 276).
Wurzelwörter sind sprachliche Gebilde, so führt Heinekamp aus, aus denen andere Wörter erklärt werden können, die ihrerseits aber nicht auf andere zurückführbar sind (vgl. Heinekamp 1976, S. 540). Es sind nach Leibniz onomatopoetische Wörter und Laute sowie Interjektionen und Partikel. Die Beziehung zwischen diesen Zeichen und dem Bezeichneten bestehen von Natur aus. „In den Wurzeln werden die Wahrnehmungen der Wirklichkeit unmittelbar in Sprache umgeformt. Diese Worte bilden die Punkte, in denen sich Sprache und Wirklichkeit unvermittelt treffen. Daher beruht auf ihnen das ‚Natürliche’, das Leibniz den gewachsenen Sprachen zuerkennt“ (Heinekamp 1976, S. 541). Dass die Wahrnehmung der Wirklichkeit unmittelbar in Sprache geformt wird, das klingt nun ganz nach Moritz und es gilt jetzt zu untersuchen, wie sich diese Aussage Heinekamps konkret durch Stellen in den Nouveaux Essais stützen lässt. Als erstes Beispiel für auf physische Gründe hin gebildete Wurzelwörter nennt Leibniz onomatopoetische Bezeichnungen für Tierlaute, etwa „das lateinische Wort coaxare, das von den Fröschen gesagt wird und mit dem deutschen quaken in Beziehung steht“ (Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 276; kursiv im Orig.). Leibniz leitet von quaken dann etymologisch weitere
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Wörter ab, zum Beispiel quek, das im Althochdeutschen Leben oder Lebendiges bedeutet und von quaken abstammt, da die Laute der Frösche auch ein Lebenszeichen sind oder, mit derselben Erklärung, Quecksilber (lebendiges Silber) sowie erquicken (sich gleichsam wiederbeleben) (vgl. Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 276f.). Quaken hat damit den Status eines Wurzelwortes: „Man wird also annehmen dürfen, dass die deutsche Sprache hinsichtlich dieser Worte als ursprünglich gelten kann, da die Alten es nicht nötig hatten, einen Laut, der die Nachahmung des Fröschequakens ist, anderswoher zu entlehnen“ (vgl. Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 277).
Nach Heinekamp sind diese Wörter, welche elementare Naturgeräusche nachahmen, nicht einfach „passive Reduplikation“. Die onomatopoetische Nachahmung sei für Leibniz vielmehr „aktive Umformung von Natur in Sprache“. Das wird besonders gut sichtbar bei den Namen für Tiere und Gegenstände, die von den Lauten, die sie hervorrufen, abgeleitet sind. Heinekamp nennt die Beispiele Kuckuck und Geige aus der unveröffentlichten Epistolaris de historia etymologica dissertatio (1712) (vgl. Heinekamp 1976, S. 541). „Diese Laute“, schreibt Heinekamp, „erhalten ihre Bedeutungsfunktion ohne Zweifel durch das sprechende Subjekt. Trotzdem darf man sagen, dass in ihnen ‚sonus rebus manifeste consentit’ […], denn es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen Wort und Ding“ (Heinekamp 1976, S. 541). Aber Leibniz betrachtet nicht nur onomatopoetische Wörter als Wurzelwörter, sondern auch einzelne Laute (Leibniz schreibt Buchstabe) und betritt damit das Feld der Lautsymbolik. Bereits in den Unvorgreiflichen Gedanken hat er ein Beispiel dafür gegeben: Das W bezeichnet er dort als einen Buchstaben, „der eine Bewegung mit sich bringet“281 und hält anschliessend fest: „Dergleichen Exempel sind nicht wenig vorhanden, so nicht allein der Dinge Ursprung entdecken, sondern auch zu erkennen geben, dass die Wort nicht eben so willkürlich oder von ongefehr herfürkommen, als einige vermeynen, wie dann nichts ohngefehr in der Welt, als nach unserer Unwissenheit, wenn uns die Ursachen verborgen. Und weilen die Teutsche Sprache vor vielen andern dem Ursprung sich zu nähern scheinet, so sind auch die Grund-Wurzeln in derselben desto besser zu erkennen […].“ (Leibniz 1996 [ca. 1697, publ. 1717], S. 691)
In den Nouveaux Essais findet sich eine ausführlichere Passage dazu. Leibniz geht hier zunächst auf den Buchstaben R ein:
281 Vgl. auch Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 279.
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„[D]ie alten Deutschen, Kelten und andere mit ihnen verwandte Völker, scheinen aus einem Naturinstinkt den Buchstaben R angewandt zu haben, um eine heftige Bewegung und ein Geräusch, gleich dem dieses Buchstabens, zu bezeichnen“ (vgl. Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 277; kursiv im Orig.).
Beispiele sind: rinnen, rühren, Rhein, Rhone, Ruhr, aber auch rauben, Rad und rauschen. Anschliessend geht es um den Buchstaben L: „Wie nun der Buchstabe R von Natur eine heftige Bewegung bezeichnet, so der Buchstabe L eine sanftere“ (Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 278; kursiv im Orig.). Die Beispiele, die Leibniz im Anschluss vorführt, sind nun im Hinblick auf Moritz interessant. Die sanfte Bewegung erscheint in Wörtern wie leben, laben, lieben oder lauffen (im Sinne von „schnell dahingleiten, wie fliessendes Wasser“) (vgl. Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 278).282 Auch bei Moritz bezeichnet das L eine schnelle Bewegung der Dinge ausser uns (Bsp. fliessendes Wasser) sowie eine angenehme Empfindung der Seele (Bsp. Liebe) oder des Körpers (Bsp. Leben) (vgl. DS, S. 543ff.). Bei Moritz ist die Analogie zwischen dem Laut L und dessen Bezeichnetem schnelle Bewegung beziehungsweise eine Empfindung, die man schnell ausdrücken möchte vermittelt über das Artikulationsorgan Zunge, die das beweglichste und flüchtigste Sprachwerkzeug ist und dadurch einen schnellen Ausdruck ermöglicht (vgl. oben S. 92f.). Für Leibniz ist die Signifikation „von Natur aus“ gegeben, die Sprachschöpfer haben sie „aus einem Naturinstinkt“ heraus gewählt und nicht willkürlich vereinbart. Aber zur Art der Analogien, nach welchen R und L ihre Bedeutungen zukommen, äussert er sich nicht klar. Er geht aber offenbar wie später Moritz von Analogien aus, in welchen die Beziehung zwischen Laut und Bedeutung über die Artikulationsorgane als mimetische Zwischenglieder führt. Er gibt einen Hinweis in diese Richtung, der an Moritz erinnert: Dass der Buchstabe R eine heftige, L aber eine sanfte Bewegung bezeichnet, erkennt man daran, „dass Kinder und diejenigen, denen das R zu hart und zu schwer auszusprechen ist, an seine Stelle den Buchstaben L setzen und z.B. sagen: Mon leveland pèle“ (Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 278; Herv. A. A.).
Es handelt sich also um dieselbe raum-zeitliche beziehungsweise instrumentelle Analogie, bei der auch die Artikulationsorgane ein Element der Relation darstellen, wie bei Moritz (vgl. oben S. 92f.). Nur vor diesem
282 Weitere Beispiele sind etwa „legen (leicht hinsetzen), woher liegen […] kommt […]; lego: ich lese zusammen (d.h. ich sammle auf, was man niedergelegt hat, das Gegenteil von legen […] Laub (etwas leicht sich Bewegendes […]“ (Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 278; kursiv im Orig.).
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Hintergrund wird nämlich die Aussage verständlich, die Leibniz der Diskussion des Buchstabens L folgen lässt:283 „Wir brauchen hier nicht von zahllosen anderen Bezeichnungen zu sprechen, die beweisen, dass in dem Ursprung der Worte eine natürliche Beziehung zwischen den Dingen und den Lauten und Bewegungen der Sprachorgane obwaltet.“ (Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 278; Herv. A. A.)
Als weiterer Beleg für die These, dass Leibniz die Signifikation zwischen Laut und Bedeutung auch in einer über die Artikulationsorgane vermittelten Analogie sah, kann eine bei Schulenburg zitierte Aufzeichnung Leibniz’ zu Johann Leonhard Frischs Schrift Untersuchung des Grundes und Ursachen der Buchstab-Veränderung etlicher Teutschen Wörter von 1716 herangezogen werden, die freilich unveröffentlicht blieb und Moritz deshalb nicht zugänglich war. Leibniz schreibt dort über die Wörter hauchen, hiatus und chasma, sie schienen „etwas absonderliches zu seyn, und, wie es sich offt bey den rechten Wurzeln befindet, der Bewegung des Mundes zu antworten “ (vgl. Schulenburg 1973, S. 7; Herv. A. A.).284 Nicht mit allen Wörtern, die ein L enthalten, lässt sich aber eine sanfte Bewegung assoziieren. So sind zum Beispiel der Löwe und der Luchs „nichts weniger als sanft“ (vgl. Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 278). Hier mögen sich die Sprachschöpfer „an einen anderen Umstand gehalten haben, nämlich an den schnellen Lauf, der diese Tiere furchtbar macht oder der uns zur Eile zwingt – als wollte jemand, der ein solches Tier kommen sieht, den anderen zurufen: Lauft! (d.h. flieht!)“ (vgl. Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 278). Damit ist das L nun nicht mehr Zeichen für eine sanfte, sondern für eine schnelle Bewegung, genau wie bei Moritz, und der soziale Aspekt in der Sprachschöpfung (einer will die übrigen warnen) steht auch für Moritz am Anfang der Sprache, wenn jemand einen anderen vor einer Kuhle warnen will (DS, S. 540). Überhaupt seien die meisten Worte „durch verschiedene Zufälle und Ver|279|änderungen ausserordentlich
283 Heinekamp hat diesen Zusammenhang bereits gesehen, aber zu wenig deutlich dargestellt. Die sanfte Bewegung, die das L bezeichne, könne man „wohl kaum als primären Gegenstand des akustischen Sinnes verstehen“, stellt er zu Recht fest (Heinekamp 1976, S. 543). Man müsse hier deshalb, so fährt er fort, eine Übersetzung aus dem Bereich anderer Sinne in den des akustischen Sinnes annehmen (Heinekamp 1976, S. 543). Das entspräche der synästhetischen Analogie, die hier aber gerade nicht vorliegt. Auch Heinekamp vermutet aber dann (allerdings ohne die eben zitierte Stelle zu nennen), die Analogie beruhe hier wohl darauf, dass die Sprechorgane die angegebene Bewegung nachzuahmen versuchen (vgl. Heinekamp 1976, S. 543). 284 Heinekamp bezieht diese Äusserung nicht auf die ganzen Wörter hauchen, hiatus und chasma, sondern nur auf den Buchstaben H, was hier legitim erscheint (vgl. Heinekamp 1976, S. 543).
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modifiziert und entfernen sich von ihrer ursprünglichen Aussprache und Bedeutung“ (vgl. Leibniz, NE, III, 2, 1; S. 278f.). Laute mit onomatopoetischer Bedeutung können sich nach Leibniz zu Silben und Wörtern zusammenfügen. Das Zeichen hat, so Heinekamp, molekulare Struktur (vgl. Heinekamp 1976, S. 542). In der Brevis Designatio (Leibniz 1710, S. 2) gibt Leibniz ein Beispiel: In Ruck wird die heftige Bewegung, die das R ausdrückt, durch das auslautende K gestoppt. Die Zahl der Wörter, deren Bedeutung Leibniz aus der Bedeutung der einzelnen Buchstaben erklärt, ist nach Heinekamp aber klein. Leibniz scheine anzunehmen, dass in den meisten Fällen ein oder nur wenige Laute die Bedeutung der Wurzeln bestimmen (vgl. Heinekamp 1976, S. 542). Das entspräche der Ansicht Moritz’, wonach die Bedeutung eines Wortes auf einer Hauptsilbe beruht. Eine dritte Gruppe von Wurzeln, neben den onomatopoetischen Wörtern und Lauten, bilden die Interjektionen und Partikel, die Leibniz eventuell als Ursprung der Sprache überhaupt betrachtet hat.285 3.3.3.2
Charles de Brosses Traité de la formation méchanique des langues
Friedrich Müffelmann hat Charles de Brosses Traité de la formation méchanique des langues et des principes physiques de l’étymologie von 1765 als die Quelle für Moritz’ Sprachursprungshypothese bezeichnet (Müffelmann 1930, S. 25ff.), ein Buch, das auch in Deutschland, gerade in der Sprachursprungsdebatte, weitherum bekannt war.286 Charles de Brosses, der wegen seines Amtes als Parlamentspräsident (président à mortier) von Dijon in der Forschung auch oft le Président de Brosses genannt wird, war Mitglied der Académie des Sciences, Arts et Belles-Lettres in Dijon und ab 1746 korrespondierendes Mitglied der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres in Paris. Die Aufnahme in die Académie Française wurde ihm auf Betreiben Voltaires dreimal verwehrt (Auroux et al. online). Neben dem Traité hat er unter anderem eine Histoire des navigations aux terres australes (1756) verfasst, in der sich auch linguistische Beobachtungen und Reflexionen finden, die seine Sprachursprungshypothese bereits vorwegnehmen.287
285 Vgl. dazu Heinekamp 1976, S. 543ff. 286 Zum Einfluss von de Brosses auf die Texte zum Sprachursprung anlässlich der Berliner Preisfrage nach dem Ursprung der Sprache vgl. Neis 2003, S. 61f., 235ff., 479ff. 287 Dieses Werk wurde 1767 von Johann Christoph Adelung ins Deutsche übersetzt und mit Anmerkungen versehen.
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Der Traité wurde 1777 von Michael Hissmann288 unter dem Titel Über Sprache und Schrift deutsch herausgegeben und 1778 von Dietrich Tiedemann in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek rezensiert. Müffelmann vermutet, dass Moritz durch die Rezension auf das Werk aufmerksam geworden sein könnte und dann vielleicht Hissmanns deutsche Übersetzung gelesen habe (Müffelmann 1930, S. 26). Zeitlich ist das plausibel, fallen Moritz’ früheste publizierte Überlegungen zur Sprache doch ins Jahr 1779. Die Rezension ist bei allem grundsätzlichen Lob aber doch recht kritisch und es ist nicht offensichtlich, dass sie Moritz zur Lektüre des Werkes bewogen haben sollte. Freilich spricht auch nichts offensichtlich dagegen. Wenig wahrscheinlich hingegen scheint mir die These Müffelmanns, die Rezension selber könne die Quelle sein289. Der Text der Rezension liefert hier nicht die nötige Evidenz. Es sind vor allem zwei Stellen aus der Übersetzung Hissmanns, die Müffelmann zur Stützung seiner Filiationsthese anführt (vgl. Müffelmann 1930, S. 26f.): Einmal die Aussage, das Sprechorgan nehme die Gestalt des Gegenstandes an, der vermittelst des Stimmlauts angezeigt werden soll (vgl. de Brosses 1777 I, S. 49; de Brosses 1765 I, S. 9), ergänzt um eine spätere Passage, in welcher der Velar290 K als für etwas Hohles, die Lautverbindung Fl für etwas Flüssiges stehend bestimmt wird (vgl. de Brosses 1777 I, S. 291f.; de Brosses 1765 I, S. 263f.), und dann die Aussage, für die Namen der Sprechorgane würden diejenigen Laute verwendet, die sie selber hervorbringen (vgl. de Brosses 1777 I, S. 54 und 279; de Brosses 1765 I, S. 248 ). Auf beide Passagen wird zurückzukommen sein. Hinter die Behauptung Müffelmanns, hier sei „die Übereinstimmung mit de Brosses so offensichtlich, dass kaum an einen Zufall gedacht werden kann“ (Müffelmann 1930, S. 27) ist aber sicher ein Fragezeichen zu setzen. Eine wörtliche Übereinstimmung gibt es nicht, und die inhaltliche, die nun
288 Michael Hissmann (1752–1784) war Philosoph in Göttingen, wo er 1782 eine ausserordentliche und kurz vor seinem Tod 1984 eine ordentliche Professur für Philosophie erhielt. Ein Hauptthema seiner zahlreichen Veröffentlichungen war die Psychologie. „Es war der englisch-französische Sensualismus, welchen er in Deutschland mit allem Nachdrucke vertrat, indem er sich an Locke, Condillac, Bonnet, Helvetius, Robinet, Hartley, Search, Priestley u. A. anschloss […]“ (Prantl 1880, S. 503). Neben De Brosses übersetzte Hissmann 1780 auch Condillacs „Essai sur l’origine des connoissances humaines“. 289 „Man braucht […] nicht unbedingt direkte Entlehnung anzunehmen. Es ist durchaus möglich, dass Moritz durch Tiedemanns eingehende Besprechung einige Vertrautheit mit den Ansichten des französischen Philosophen gewonnen hat“ (Müffelmann 1930, S. 27). 290 Bei de Brosses als „Guttural“ bezeichnet, entsprechend der zeitgenössischen Lautlehre. Vgl. etwa den Artikel Lettres in der Encyclopédie: „Considérées dans leur cause, elles [scil. les articulations] sont ou labiales, ou linguales, ou gutturales, selon qu'elles paroissent dépendre plus particulierement du mouvement ou des levres, ou de la langue, ou de la trachéeartere que le peuple appelle gosier“ (Beauzée 1966a, S. 407).
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tatsächlich offensichtlich ist, kann eine Filiation de Brosses – Moritz nicht beweisen. Die Filiation de Brosses – Moritz ist, so viel kann vorweggenommen werden, nicht evident, aber dennoch, und das wird zu zeigen sein, plausibel.291 Im Folgenden wird die Sprachursprungshypothese des Traité vorgestellt und daraufhin untersucht, inwieweit sie Moritz als Quelle gedient haben könnte. Vorsicht geboten ist dabei mit der deutschen Fassung Hissmanns. Johann Georg Hamann bezeichnet Hissmann in einem Brief an Herder als „elenden Übersetzer“.292 Der Vergleich mit dem Originaltext fördert tatsächlich einige sinnverzerrende Ungenauigkeiten zu Tage. Im Folgenden werden längere Passagen aus dem Traité deshalb nach dem Original von 1765 und nur die in den Fliesstext integrierten kürzeren Stellen nach Hissmanns Übersetzung zitiert. Die französischen Texte stehen dann jeweils in der Fussnote. Als Einstieg soll aber noch kurz die Entstehungsgeschichte des Traité beleuchtet werden, was auch ein Licht auf dessen Verbindung zur Encyclopédie wirft. Die Vorarbeiten zum Traité reichen zurück bis in die frühen 1750er Jahre. 1751293 trug de Brosses vor der Académie des Inscriptions et BellesLettres in Paris zwei Mémoires sur la matière étymologique vor, die aus seiner Beschäftigung mit der Etymologie in der Akademie von Dijon hervorgegangen waren (vgl. Sautebin 1899, S. 21f.), sowie 1753 ein Papier mit dem Titel Observations sur les langues primitives. Die Vorträge wurden dann nicht in
291 Schliesslich bringt auch Müffelmann seine Filiationsthese auf diesen Nenner: „Wie dem […] auch sei, die Annahme, dass Moritz unmittelbar oder mittelbar aus dieser Quelle geschöpft hat, dürfte nach dem Gesagten als nicht unbegründet erscheinen“ (Müffelmann 1930, S. 27). 292 Herder schreibt im August 1777 an Hamann: „De-Brosses Werk ‚über Sprache und Schrift’ ist übersetzt u. mir vom Uebersetzer (Hißmann) |372| zugeschickt worden. Ich habs noch nicht ansehen können, obs Einerlei Schrift mit der mechanique des langues sei, die ich für Pluchens Arbeit gehalten habe“ (Hamann 1957 III, S. 371f.) Hamann antwortet darauf am 13. Oktober 1777: „De Brosses Traité de la formation mechanique des langues ist von Plüche Mechanique eben so sehr unterschieden [scil. wie Tetens Versuche über den Menschen von Tiedemanns]. Den elenden Uebersetzer Hißmann habe schon zufällig aus seiner Geschichte der Aßociation der Ideen kennen gelernt und erscheint hier abermal in Lebensgröße“ (Hamann 1957 III, S. 377). In einem Briefentwurf an Moses Mendelssohn aus demselben Monat hat Hamann allerdings noch geschrieben: „Tetens, de Broßes von der Sprache, die Berner Beyträge, den Sethos deutsch und fr. habe alle mit Vergnügen durchlaufen […]“ (Hamann 1957 III, S. 374). 293 Kuehner (1944, S. 35) gibt als Datum des Vortrags der Mémoires an: „as early as 1746 (the date of Condillac’s Essai)“. Dies beruht wahrscheinlich auf einer Verwechslung von Angaben aus seiner mutmasslichen Quelle Sautebin (1899). Nach Sautebin wurde de Brosses 1746 als korrespondierendes Mitglied in die Académie des Inscriptions et Belles-Lettres in Paris aufgenommen (vgl. Sautebin 1899, S. 21). Die Verwechslung der Daten mag Kuehner in seiner These bestärkt haben, de Brosses habe seinen Text unabhängig von Condillac verfasst (vgl. Kuehner 1944, S. 36).
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den Recueil des Mémoires veröffentlicht, sondern Diderot überlassen zur Verwendung für die Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers. Nicolas Beauzée verwendete sie unter Nennung von de Brosses Namen für seine Artikel Lettres und Onomatopée sowie für den zweiten Paragraphen des Artikels Langue.294 Die Mémoires wurden auch an Turgot geschickt, der sie als Vorlage für seinen Enzyklopädie-Artikel Etymologie verwendete (vgl. Sautebin 1899, S. 22).295 Aus der weiteren Beschäftigung mit der Etymologie sowie mit fremden Sprachen296 entstand schliesslich der Traité de la formation méchanique des langues von 1765, nachdem einzelne Kapitel seit 1763 in der Akademie von Dijon bereits vorgetragen worden waren (vgl. Sautebin 1899, S. 22).
294 Vgl. dazu und zu weiteren Übernahmen in die Encyclopédie Nobile 2005, S. XXVIIff. Sautebins Feststellung, „[l]es articles: Langues, [scil § 2 des Artikels Langue; A. A.], Lettres, Métaphore, Onomatopée sont tout simplement des extraits de ces deux Mémoires“ (Sautebin 1899, S. 22) ist in ihrer Generalisierung illegitim, für den Artikel Métaphore gar falsch. Sautebins Quelle dürfte Turgots Artikel Etymologie sein, der am Schluss auf die Mémoires De Brosses und die daraus schöpfenden Encyclopédie-Artikel verweist und dabei den Artikel „Langue“ ebenfalls falsch als „Langues“ angibt (Turgot 1756, S. 111). De Brosses kommt in seinem Vorbericht zum Traité dann auch selber darauf zu sprechen, dass seine handschriftlichen Überlegungen Eingang in die Encyclopédie gefunden haben (De Brosses 1777, S. 3; vgl. auch die Anmerkung dazu von Hissmann; de Brosses 1765 I, S. ). 295 Die Anlehnung war offenbar so gross, dass sich Turgot gegen Plagiatsvorwürfe wehren musste. De Brosses selbst hat aber für Turgot Partei ergriffen und betont, im Kern würden sie wesentlich voneinander abweichen (vgl. Sautebin 1899, S. 22; Genette 2001, S. 120; Anm. 1). 296 Ein Muster dieser Auseinandersetzung findet sich auch in der Histoire des navigations aux terres australes von 1756. Am Ende des Berichtes von „Jacques le Maire et Guillaume Schouten, en Magellanique, en Polynèsie & en Australasie“ (vol. I., S. 349–420) finden sich einige Listen mit Vokabularien von den besuchten Inseln. De Brosses merkt da und dort etwas an. In diesem Zusammenhang entwickelt er auch eine Art Sprachursprungshypothese, worauf bereits Ulrich Ricken (1990, S. 253) hingewiesen hat, allerdings ohne die konkrete Stelle anzugeben. Es handelt sich um eine Wörterliste „De la nouvelle Guinée“ (vgl. Vol. I., S. 415). Zum Wort Coocq, das Poule bedeutet, merkt de Brosses an: „C’est une onomatopée ou imitation du cri de cet oiseau que les Celtes à l’autre extrêmité du monde ont aussi nommé coq, par la même raison: preuve évidente que la nature conduit les hommes de tous les pays, à nommer les choses bruyantes par le son du bruit qu’elles font. Les exemples de ceci sont en grands nombres. On aura la vraie langue humaine primitive & ses racines. 1° En rassemblant de toutes les langues ces sortes d’onomatopées ou termes imitatifs. 2° En observant la langage des enfans qui nomment tous les objets extérieurs à leur portée, par les sillabes labiales ba, pa, ma, les seules que la nature les mette encore en état de prononcer, puis peu à près, da, ta, la, na, gha: En observant aussi les interjections des enfans, qui sont le cri de la nature, la marque & le nom propre de leur bien ou de leur mal-être: en un mot l’expression de leurs sentimens & de leurs affections intérieures. C’est de ces trois principes physiques & naturels que sortent les racines primordiales de toutes les langues de l’univers, qui tout ont commencé par être pauvres & barbares, & qui se sont ensuite enrichies & altérées par une multiplication infinie de causes combinées, mais dont la première origine radicale revient toujours à celles-ci.“ (de Brosses 1756, Vol. I, S. 415, Anm. a).
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Sprachbetrachtung Die Beschäftigung mit der Materie und der Form der Sprache ist nach de Brosses die Voraussetzung für eine gründliche Auseinandersetzung mit der Philosophie der Rede (philosophie du discours) (vgl. de Brosses 1777 I, S. 4; de Brosses 1765 I, S. iv). Der Begriff méchanique aus dem Buchtitel bezeichnet dabei die Funktionsweise der Artikulationsorgane. Das sei eine etwas trockene Materie, merkt de Brosses an, „[a]llein es kann nicht übergangen wer|21|den, weil es Wirkungen der Natur darlegt, die die Grundsätze abgeben, aus denen die Folgen und Entwicklungen fliessen“ (de Brosses 1777 I, S. 20f.).297 Die Wahrheit der Ideen hängt, so hält de Brosses in Übereinstimmung mit Locke fest, von der Wahrheit der Ausdrücke (im Sinne einer Korrespondenz zwischen ursprünglichem Sinn des Ausdrucks und Idee) ab (vgl. de Brosses 1777 I, S. 4; de Brosses 1765 I, S. iv) und das bedeutet von der Wahrheit der ursprünglichen Elemente der Wortbildung (vgl. de Brosses 1777 I, S. 6; de Brosses 1765 I, S. vii). Die Etymologie liege daher nahe bei der Logik (vgl. de Brosses 1777 I, S. 5; de Brosses 1765 I, S. v) und diese beiden Disziplinen einander „gänzlich zu nähern“, das ist denn auch de Brosses Absicht mit seinem Buch (vgl. de Brosses 1777 I, S. 5; de Brosses 1765 I, S. v). „Dans cette vue, on y remonte jusqu’aux premieres causes, jusqu’aux principes élémentaires de l’expression des idées, par la formation des mots, afin d’en déduire |vi| avec plus de connoissance & de justesse les rapports & le degré de force que ceux-ci doivent avoir, lorsqu’ils sont rassemblés en troupes nombreuses. Car on ne parvient à connoître la force du discours résultant de l’assemblage des termes, qu’autant qu’on a commencé par bien connoître la force des termes même; leur valeur réelle & primitive; leur acception conventionelle & dérivée, qui ne s’est établie, bien ou mal-à-propos, que sur le véritable & premier sens physique du mot, que sur un rapport réel entre les termes, les choses et les idées.“ (de Brosses 1765 I, S. vf.)
Notwendig wird damit ein vollständige Analyse der Wörter „bis zu den Wurzeln […], aus denen die Wörter entstanden [sind]“ (de Brosses 1777 I, S. 7).298 Damit befindet sich de Brosses bei der Frage nach dem Sprachursprung. Klären will er sie mit einer Kombination von rein mechanisch-
297 „[…] puisqu’il décrit les opérations de la nature, lesquelles fondent les principes d’où sortent les conséquences & les développemens“(de Brosses 1765 I, S. xxvii) 298 „Pour réussir à cette espece d’analyse, il a fallu remonter jusqu’aux racines qui ont produit les mots usités dans le langage humain; en decouvrir le premier germe, & suivre ses développemens de branches en branches; observer comment & pourquoi ils ont été produits tels qu’ils frappent notre oreille; en un mot, arriver en dernier degré de l’analyse, aux principes les plus simple & vraiment primitifs […].“ (de Brosses 1765 I, S. viii)
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physiologischen Gründen und etymologischen Ableitungen.299 Der Sprachursprung ist aber nicht das Hauptanliegen des Traité. Vielmehr sollen zuerst Wurzelwörter gefunden werden, die als Universalien die Grundmorpheme einer Ursprache bildeten, um dann zu zeigen, wie sich daraus durch Derivation die heutigen Sprachen entwickelt haben.300 So beschreibt de Brosses im ersten Kapitel vier Verfahren der ersten Spracherzeugung,301 welche er im sechsten Kapitel um eine chronologisch zu verstehende302 sechsstufige Rangordnung der ersten Wörter303 ergänzt. Diese Methode der Sprachbetrachtung ist nach de Brosses rein empirisch. Sie bedarf „keiner fremden Hülfe“, sondern folgt nur „der Natur Schritt vor Schritt in ihren Wirkungen“ (de Brosses 1777 I, S. 16)304. Das gilt auch für die Auseinandersetzung mit dem Sprachursprung. Man könne nicht mehr eruieren, welches die Ursprache gewesen sei, stellt de Brosses zunächst fest (vgl. de Brosses 1765 I, S. 202ff.). Deshalb müsse man „vermittelst der Untersuchung der Natur die Art aufsuchen, nach welcher sie bei der Bildung einer ursprünglichen Sprache verfahren würde“ (de Brosses 1777 I, S. 249)305. Dazu stellt er sich den Menschen in seinem Urzustande vor und beruft sich dabei auf „l’étrange hypothèse de quelques anciens philosophes, qui pré|215|tendoient que l’homme dans les premiers tems de l’humanité vivoit isolé dans les bois à la maniere des brutes, sans sçavoir encore faire un usage utile de sa faculté de parler; & que ce ne fut que petit à petit & par développement qu’il commença d’inventer & de dresser les signes de la parole“ (de Brosses 1765 I, S. 214f.).
Die „quelques anciens philosophes“ mit ihrer „étrange hypothèse“ sind natürlich die antiken Vordenker des Materialismus: Epikur, Lukrez und
299 Eine Hauptstütze seiner These, der menschliche Nachahmungstrieb, ist allerdings eher psychologisch. 300 Juliard bezeichnet das Vorgehen de Brosses’ als „a science in the eighteenth-century sense of the word, that is, as an organized field of study based upon facts and observations“ (Juliard 1970, S. 12). 301 In der Originalterminologie: Méthodes méchaniques & naturelles de la formation des mots (vgl. de Brosses 1765 I, S. 9). 302 De Brosses macht das nicht explizit. Sautebin interpretiert es aber ebenso: „Voici […] les catégories de mots primitifs qu’il [scil. de Brosses; A. A.] distingue, classés dans l’ordre de leur apparition présumée“ (Sautebin 1899, S. 48). Vgl. auch Genette 2001, S. 109. 303 In der Originalterminologie: Ordres des mots primitifs (vgl. de Brosses 1765 I, S. 196) 304 „Plusieurs personnes éclairées ont trouvé quelque chose de neuf & d’intéressant dans cette méthode d’appliquer ainsi l’analyse & la synthèse à la formation du langage, sans autre guide que la nature suivie pied à pied dans ses opérations.“ (de Brosses 1765 I, S. xxi) 305 „Il faut rechercher par l’examen de la nature comment elle procéderoit à la formation d’une langue primitive“(de Brosses 1765 I, S. 214).
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Horaz.306 Wir wollen, so schreibt de Brosses, „sehen, wie aus den ersten Keimen der Organen, und aus dem natürlichen Vermögen, die Artikulation der Werkzeuge zu verändern, eine Sprache entstehen kann“ (de Brosses 1777 I, S. 251).307 Ohne äusseren Reiz scheint dies jedoch nicht möglich zu sein und de Brosses folgt deshalb der mit den antiken Materialisten bereits eingeführten sensualistischen Tradition. Er will „den Augenblick zu finden suchen, in welchem die ersten Wörter aus den ersten Sensationen entstehen“ (de Brosses 1777 I, S. 251).308 „Voyons nos sentiments & nos premieres perceptions créer par l’organe de la voix leurs signes représentatifs, tels qu’il peuvent convenir aux choses signifiées, & autant qu’il est possible à la voix d’effectuer cette convenance, selon ses facultés naturelles“ (de Brosses 1765 I, S. 216).
Das Erkenntnisziel der Sprachreflexion ist für de Brosses aber letztlich ein ontologisches beziehungsweise psychologisches: „Mais je ne m’arrête aux mots que pour arriver aux choses. Si j’en examine la fabrique, c’est dans l’espérance qu’elle me découvrira celle des idées, & au lecteur intelligent celle des opinions: Sicque adopinamur de causis maxuma parvis. LUCRET.“ (de Brosses 1765 I, S. 25). „Certaines observations que l’on peut faire sur cette matiere, & qui ne paroissent d’abord que des simples questions de grammaire, s’élevent en les géneralisant jusqu’ à la plus subtile métaphysique, jusqu’ à la naissance mêmes de nos idées.“ (de Brosses 1765 I, S. 33)
So folgt er an der Stelle, wo er die Empfindung als notwendigen Auslöser der Sprachentstehung eingeführt hat, denn auch konsequent weiter der sensualistischen Sprachursprungshypothese und setzt Sprache und Denken in ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis: „Suivons pas à pas les premieres variétés des sentimens & des perceptions, pour voir les modifications de la parole suivre insensiblement celles de la pensée: sans
306 Von den drei zitiert er aber nur (oder immerhin) einen, nämlich Horaz mit der berühmten Stelle aus Serm. 1.3. („Cum prorepserunt primis animalia terris, mutum ac turpe pecus, […] Dehine absistere bello“) (vgl. de Brosses 1765 I, S. 215). Der Bezug zur materialistischen Naturzustandshypothese geht aber auch bei de Brosses nicht ohne vorheriges Zugeständnis an die christliche Tradition. Der erste Satz des Haupteiles lautet: „Le but principal de ce Traité est d’examiner le matériel de la parole, ce grand appanage de l’humanité, qui contribue à élever l’homme au-dessus des autres animaux, au même dégré qu’il a plû au Créateur de douer l’espece humaine par-dessus toute autre, de cette importante faculté naturelle“ (de Brosses 1765 I, S. 3). 307 „Voyons abstraction faite des langages usités sur la terre comment il en peut éclore un du premier germe des organes, & de la faculté naturelle donnée à l’homme d’en varier les articulations“ (de Brosses 1765 I, S. 215). 308 „[…] saisir l’instant où les premiers mots naissent des premieres sensations“ (de Brosses 1765 I, S. 216).
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Die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Ästhetik
que la nuance des uns ni des autres s’écartes encore beaucoup de la premiere forme. De-là descendant à la formation progressive & développée du langage, nous verrons l’analyse des mots nous donner celle de l’opération de l’esprit, & réciproquement les opérations de l’esprit nous donner les causes de la propagation infiniment variée du très-petit nombre des germes de la parole, & nous découvrir jusque dans sa source tout le systême grammatical.“ (de Brosses 1765 I, S. 216)
Diese Stelle erinnert an die moritzsche Bestimmung der Sprache als Analyseinstrument für das Denken und des Endzwecks der Sprachlehre in der Deutschen Sprachlehre für die Damen: „Allein die Sprachlehre hat einen höhern Endzweck: sie soll uns die geheimen Fugen auseinander legen, wodurch das Gebäude unsrer Sprache sich ineinander schließt; sie soll uns aufmerksam machen, auf den Gang unsrer Gedanken, wovon unsre Ausdrücke nur Gemählde sind, und auf die Art soll sie uns das Gemählde mit dem Original vergleichen, und uns die Sprache, als die erste Quelle aller menschlichen Wissenschaften kennen lehren, woraus diesel|9|ben, wie unzähliche Bäche entsprungen sind.“ (Moritz, DS, S. 8f.)
De Brosses jedoch bleibt bei der Formulierung des höheren Erkenntnisziels stehen: Die geistige Seite des Prozesses will er nämlich nicht untersuchen: „Es kommt in diesem Werk auf die materielle Operation der Stimme, und nicht auf die geistige Verrichtung der Seele an, die jene lenket“ (de Brosses 1777 I, S. 66).309 Die psychischen Vorgänge des Sprechens will de Brosses nur am Rande befragen. „Ce n’est que de l’opération matérielle qu’il sera question dans ce Traité. Dans les remarques qu’il contient l’organe de la voix n’est considéré que comme un instrument méchanique, que comme une machine propre par sa construction à rendre des sons articulés & à les rendre nécessairement tels qu’il les rend, en vertu d’une organisation donnée; & l’abstraction faite de l’opération toute spirituelle de l’ame humaine qui dirige le jeu de la machine. Mais il arrivera souvent que les effets nous feront découvrir les causes; & qu’au moyen du jeu de l’instrument nous connoîtrons la conduite & la direction de la puissance intérieure qui le régle“(de Brosses 1765 I, S. 29)
Es scheint damit, dass Moritz sein Nachdenken über Sprache dort beginnt, wo de Brosses aufhört. Die Theorie von de Brosses wäre dann die Grundlage für die Theorie Moritz’, nämlich tatsächlich bis zu einem gewissen Punkt zu schauen, wie der Geist hinter der Maschine funktioniert.
309 „Ce Traité roule sur l’opération matérielle de la voix, non sur l’opération spirituelle de l’ame qui la dirige.“ (de Brosses 1765 I, S. 27)
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Sprachursprungshypothese In der Sprachursprungsfrage vertritt de Brosses dezidiert die PhyseiThese. Bereits im Vorbericht macht er deutlich, dass er die Sprache für motiviert hält. Zumindest in ihrem Ursprung müsse es zwischen den Worten und den durch sie bezeichneten Gegenständen einen natürlichen Zusammenhang gegeben haben. Das System des ersten Baus der Sprache und die Bezeichnung der Dinge mit Namen seien, so schreibt er gegen die empiristische Auffassung der Sprachentstehung in der Folge Lockes, „nichts weniger, als willkührlich und konventionell“ (de Brosses 1777 I, S. 11).310 Seine These lautet in einer ersten Formulierung: „[D]ans ce petit nombre de germes ou d’articulations, le choix de celle qu’on veut faire servir à la fabrique d’un mot, c’est-à-dire au nom d’un objet réel, est physiquement déterminé par la nature & par la qualité de l’objet même, de maniere à dépeindre, autant qu’il est possible, l’objet tel qu’il est […].“ (de Brosses 1765 I, S. xii)
Wäre das nicht der Fall, das heisst wäre der Keim 311 – gemeint ist der Laut oder die Artikulation (diese Unterscheidung wird wichtig werden) – nicht durch den Gegenstand determiniert, den das mit ihm gebildete Wort bezeichnet, so „würde dem Wort gar keine Idee ankleben“(de Brosses 1777 I, S. 10)312, die Signifikation käme also nicht zu Stande. Hinter dieser Begründung steht zum Einen die nicht weiter ausgeführte Überzeugung, die Signifikation sei, zumindest in ihrem Ursprung, abhängig von der „Wahrheit“ der Wörter, verstanden als Korrespondenz des Zeichens mit dem bezeichneten Gegenstand: „La premiere règle, la plus simple qu’indique la nature dans la formation des mots est qu’ils soient vrais; c’est-à-dire qu’ils représentent la chose nommée, aussi-bien qu’il est possible à l’instrument vocal de la représenter. La vérité des mots, ainsi que celle des idées, consiste dans leur conformité avec les choses: aussi l’art de dériver les mots a-t-il été nommé étymologie, c’est à dire discours véritable […]. Nul doute que les premiers noms ne fussent convenables à la nature des choses qu’ils
310 „[…] le systême fondamental du langage humain & de la premiere fabrique des mots n’est nullement arbitraire, mais d’une nécessité déterminée par la nature même […]“ (de Brosses 1765 I, S. xvii). Vgl. auch: „Que le systême de la premiere fabrique du langage humain & de l’imposition des noms aux choses n’est donc pas arbitraire & conventionel, comme on a coutume de se le figurer […]“ (de Brosses 1765 I, S. xiii). An einer späteren Stelle räumt de Brosses ein, die Menschen hätten den Dingen auch andere Namen, nämlich willkürliche, geben können (vgl. de Brosses 1777, S. 283). 311 De Brosses verwendet in seinem Vorbericht ein Metaphernfeld mit Keim, Wurzel und Zweig, um auszudrücken, dass es hier um den ersten Ursprung der Sprache geht (vgl. de Brosses 1777, S. 7). 312 „[…] le mot n’en [scil. de l’objet] donneroit aucune idée […]“ (de Brosses 1765 I, S. xii)
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expriment; en juger autrement ce seroit croire les hommes insensés: car ce seroit |31| dire que leur but en parlant n’étoit pas de se faire entendre“ (de Brosses 1765 I, S. 30f.).
Schliesslich verbirgt sich hinter der Begründung der These aber der Satz des zureichenden Grundes. Um zu beweisen, dass die „Etymologie […] nicht eine ungewisse Wissenschaft“ (de Brosses 1777 I, S. 69) sei313, schreibt de Brosses: „Il y a encore aujourd’hui des personnes qui par ignorance ou faute d’y avoir réfléchi, se figurent que les étymologies sont chimériques ou purement arbitraires. Elles croient sans doute que les noms ont été imposés aux objets sans raison suffisante, & par hazard. C’est, à proprement parler, dire qu’il se produit des effets sans cause; ce qui est contre les premieres notions du sense commun“ (de Brosses 1765 I, S. 32).
Beide Begründungen der Motivationsthese führt auch Moritz an, allerdings in veränderter Funktion beziehungsweise in verändertem Kontext. Die Vermutung, die Wörter seien in ihrem ersten Ursprung „vielleicht wahrer gewesen“ (DS, S. 545), steht bei Moritz ohne weitere Reflexion am Schluss der Deutschen Sprachlehre und erfüllt keine Begründungsfunktion mehr. Der Satz vom zureichenden Grund schliesslich begründet bei Moritz nicht die Motiviertheit der Wörter, sondern diejenige der Buchstaben (vgl. DS, S. 463f. vgl. oben S. 98), ist aber überhaupt ein zentraler Grundsatz in Moritz’ Denken (vgl. z.B. oben S. 134). Aber die Motivations-These von de Brosses ist natürlich erklärungsbedürftig. Wie genau „bestimmt“ die „Natur und Beschaffenheit des Gegenstandes“ die „Auswahl des Keims“ oder die „Artikulation“ „physisch“? Das heisst: Worin besteht die „Angemessenheit“ der „Namen“ zu der „Natur der Sachen“? Und was ist mit „Natur und Beschaffenheit des Gegenstandes“, mit der Art, „wie er an und für sich ist“ gemeint? Einen ersten Hinweis zur Beantwortung dieser Fragen gibt de Brosses gleich im Anschluss an seine These. Sein Argument basiert auf einer Analogie zwischen Sprache und Malerei, die im Hinblick auf die in dieser Arbeit postulierte Beziehung zwischen der Sprachreflexion und der Kunstreflexion bei Moritz ein besonderes Augenmerk verdient. De Brosses schreibt: „[…] l’homme, qui sera dans le cas d’imposer le premier nom à une chose rude, emploiera une inflexion rude & non pas une inflexion douce; de même qu’entre les sept couleurs primitives, un peintre, qui veut peindre l’herbe, est obligé d’employer le vert & non pas le violet.“ (de Brosses 1765 I, S. xiif.)
313 „L’étymologie n’est pas un art incertain“ (de Brosses 1765 I, S. 31).
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Der Vergleich mit der Malerei führt in den Bereich der Theorie der bildenden Kunst. Dass das Abbild in der Malerei der Natur ähnlich sein muss, ist zumindest in dieser allgemeinen Formulierung ein Topos der klassischen französischen Ästhetik bis zu Charles Batteux und braucht von de Brosses hier nicht weiter legitimiert zu werden. Die Analogie überträgt nun die Evidenz des Quellkonzepts, des klassischen Mimesis-Topos, auf die Sprache als Zielkonzept. Aber die Analogie geht noch weiter. Hinter dem Gemälde steht der Maler als Autor, der in seiner Schöpfung durch die Vorgaben der Natur eingeschränkt bleibt. Entsprechend, so legt die Analogie nahe, muss sich der Sprachschöpfer, wenn er Dinge mit Wörtern darstellen will, auch an die Vorgaben der Natur halten. Oder nochmal anders gewendet: Der bildende Künstler ist nicht frei in der Wahl seiner Mittel, sie sind durch das Vorbild determiniert. Dasselbe gilt für den Schöpfer der Sprache. Genette unterstreicht in seiner Besprechung des Traité die Verwendung des Verbs dépeindre, „das ganz klar eine pikturale, oder graphische, Idee der Nachahmung konnotiert“ (Genette 2001, S. 100). Dafür spricht auch die Verwendung des Wortes peinture: „[…] la premiere fabrique du langage humain n’a donc pu consister, comme l’expérience & les observations le démontrent, qu’en une peinture plus ou moins complette des choses nommées; telle qu’il étoit possible aux organes vo|xv|caux de l’effectuer par un bruit imitatif des objets réels.“ (de Brosses 1765 I, S. xivf.)
Konkretisierend fährt de Brosses dann fort, die Bezeichnung der Dinge werde doppelt determiniert, nämlich erstens von der Physiologie des menschlichen Sprechapparats und zweitens von den Eigenschaften des Dinges selbst. Das System des ersten Baus der Sprache sei „[…] un vrai sys|xiv|tême de nécessité déterminée par deux causes. L’une est la construction des organes vocaux qui ne peuvent rendre que certains sons analogues à leur structure: l’autre est la nature & la propriété des choses réelles qu’on veut nommer. Elle oblige d’employer à leur nom des sons qui les dépeignent, en établissant entre la chose & le mot un rapport par lequel le mot puisse exciter une idée de la chose“ (de Brosses 1765 I, S. xiiif.; Herv. A. A.)
Beide Ursachen sind naturgegeben, die Eigenschaften der Dinge ebenso wie die Physiologie der Sprechorgane. Hinter beidem steht damit ein und dieselbe Natur.314 Die Natur ist insofern die Ursache der ersten Sprache, als sie den Sprachschöpfer erstens analog zum bildenden Künstler dazu zwingt oder, wie Hissmann übersetzt, „nöthigt“ (de Brosses 1777 I, S. 11),
314 Die Natur ist freilich nur für die Entstehung der ersten Sprache beziehungsweise der Wurzelwörter verantwortlich, aus welchen sich die Sprachen dann auf anderem Wege, aber durch Derivation entwickelt haben.
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die ersten Wörter nach gewissen Formen zu bilden, nämlich Formen, die mit den zu bezeichnenden Gegenständen in einer Ähnlichkeitrelation stehen,315 und zweitens dem Sprachschöpfer durch die Physiologie der Sprechorgane nur gewisse Laute zur Verfügung stellt (was das „Zeugniß der Erfahrung und der Beobachtungen“ bestätigt316). De Brosses erklärt die Sprachentstehung damit sensualistisch als ein „ganz nothwendiges Produkt der Empfindungen […], die von den Eindrücken der äusseren Gegenstände, ohne alles Zuthun der menschlichen Willkühr, hervorgebracht“ wurde (vgl. de Brosses 1777 I, S. 14)317. Nach de Brosses ist die ursprüngliche, allen modernen Sprachen zugrunde liegende Sprache318 damit „organisch[…], [physisch] und nothwendig[…]“319 (de Brosses 1777 I, S. 12). Die „ersten Prinzipien der Sprache“ müssen also „aus der Organisation des Menschen, und aus dem Eigenthümlichen der benannten Dinge hergeholt werden“ (de Brosses 1777 I, S. 15)320. Die weitere
315 Das Zitat zeigt, dass de Brosses von einer triadischen Signifikation mit den Elementen Wort, Idee und Sache ausgeht. 316 „[…] la premiere fabrique du langage humain n’a donc pu consister, comme l’expérience & les observations le démontrent, qu’en une peinture plus ou moins complette des choses nommées; telle qu’il étoit possible aux organes vo|xv|caux de l’effectuer par un bruit imitatif des objets réels.“ (de Brosses 1765 I, S. xivf.) 317 „[…] dans la premiere fabrique du langage humain & des noms radicaux, cette forme [scil. la forme des noms omposés aux choses; A. A.] est l’effet nécessaire des sensations venues des objets extérieurs, sans que la volonté y est ait presque aucune part […]“ (de Brosses 1765 I, S. xviii.) 318 De Brosses will nur das allen Sprachen gemeinsame betrachtet. Die Eigenheiten jeder einzelnen Sprache ergeben sich nach de Brosses aus der Verschiedenheit des Klimas und der Sitten (de Brosses 1777 I, S. 16; de Brosses 1765 I, S. xxi). 319 „[I]l existe une langue primitive, organique, physique & nécessaire, commune à tout le genre humain“(de Brosses 1765 I, S. xv). Hissmann übersetzt „physique“ mit „natürlich“ (de Brosses 1777 I, S. 12). Das scheint illegitim zu sein, wenn man die Stelle mit einer späteren vergleicht, wo „physique“ und „naturel“ nebeneinander stehen („[…] généraux, naturels & physiques.“ [de Brosses 1765 I, S. 10]). Aber auch Genette scheint „physique“ synonym mit „naturel“ zu verstehen: „Die Sprache ist notwendig, insofern sie physisch ist, aufgezwungen von der Natur und nicht willkürlich durch den Menschen eingesetzt, und diese Notwendigkeit ist organisch, insofern sie von der Beschaffenheit der Sprechorgane herrührt (Genette 2001, S. 99). Eine frühere Stelle bei de Brosses hingegen legt nahe, dass er mit „physique“ dasjenige meint, was Genette durch „organisch“ bezeichnet sieht: „[L]es germes de la parole, ou les inflexions de la voix humaine, d’ou sont éclos tout les mots des langages, sont des effets physiques & nécessaires, résultans absolument, tels qu’ils sont, de la construction de l’organe vocal; & du méchanisme de l’instrument, indépendamment du pouvoir & du choix de l’intelligence qui le met en jeu[.]“ (de Brosses 1765 I, S. xi). Vielleicht hat Genette auch einfach recht, wenn er meint, es sei schwierig, jedem der Bestimmungsworte „organisch“, „physisch“ und „notwendig“ eine spezifische Bedeutung zuzuordnen, da sie bei de Brosses in etwa synonym seien. 320 „[Les] premiers principes du langage, tirés de l’organisation humaine, & de la propriété des choses nommées […]“ (de Brosses 1765 I, S. xix).
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Entwicklung des Sprachsystems verdankt sich dann der menschlichen Willkür (de Brosses 1777 I, S. 16)321. Moritz entwickelt die Vorstellung von den „Eindrücken der äusseren Gegenstände“ weiter, wenn er in seiner Sprachursprungsthese formuliert, die Sprache sei in die Natur eingewebt. Das erlaubt ihm in der Deutschen Sprachlehre Gott sozusagen als Weber und damit als ersten Sprachschöpfer einzuführen. De Brosses hat, wie dann auch Moritz in der Hypothese, Gott ja gänzlich zugunsten der Natur aus seiner Sprachursprungshypothese ausgeklammert, nachdem er ihn zunächst als Zugeständnis an die christlichen Tradition zum Schöpfer des Sprachvermögens erkoren hat.322 Die menschliche Willkür ist also auch bei Moritz ausgeschlossen. Er ersetzt (oder ergänzt) in der Deutschen Sprachlehre aber die Natur durch Gott als Schöpfer. Seine These kommt dort damit einer Vermittlung gleich zwischen dem göttlichen und dem (sensualistischen) menschlichen Sprachursprung. In der Hypothese übernimmt er dann konsequent die Position de Brosses. Zwei Fragen bleiben bei de Brosses noch unbeantwortet: Mit welchem Mittel die Natur ihren Zwang oder ihre Nötigung ausübt323 und welcher Art die Ähnlichkeit ist, die zwischen Sache und Wort herrschen soll. De Brosses präzisiert nun seine Vorstellung der Signifikation. Am Prozess der Signifikation sind demnach vier „einander ganz unähnliche[…] Grundtheile[…]“ beteiligt: Ding, Idee, Ton und Buchstabe (vgl. de Brosses 1777 I, S. 41)324. Ton und Buchstabe als materielle Teile der Signifikation würde die moderne Semiotik als Signifiant zusammenfassen. Die Signifikation ist die „Bestimmung“ der Sprachfähigkeit, die de Brosses wie folgt sensualistisch beschreibt: „Son usage [scil. l’usage de la faculté naturelle de la parole] consiste à rendre par la voix ce que l’ame a reçu par les sens; à représenter de nouveau au-dehors ce qui est au-dedans, & qui y étoit déja venu du dehors“(de Brosses 1765 I, S. 3).
Den Prozess der Signifikation beschreibt er dann folgendermassen: „L’objet extérieur & physique; l’impression que son image porte & laisse dans le cerveau; l’expression de cette image par un son vocal qui s’y rapporte réellement ou conventionellement; la peinture de ce même son fixé par des caracteres qui lui
321 Vgl. de Brosses 1765 I, S. xixf. 322 „[L]a parole, ce grand appanage de l’humanité, qui contribue à élever l’homme au-dessus des autres animaux, au même dégré qu’il a plû au Créateur de douer l’espece humaine pardessus toute autre, de cette importante faculté naturelle“(de Brosses 1765 I, S. 3). 323 Später wird klar werden, dass es sich dabei um den Nachahmungstrieb handelt. 324 „La fabrique des mots roule sur quatre élémens entièrement dissemblables entre eux; l’être réel, l’idée, le son, & la lettre.“ (de Brosses 1765 I, S. 3)
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donnent de la permanence, qui montrent tout à la fois |4| l’objet, l’idée de l’objet, & l’expression vocale de l’idée, dans le tems même oû tout cela est absente“ (de Brosses 1765 I, S. 3f.).
Damit die Signifikation funktioniert, muss es zwischen den einander ganz unähnlichen Grundteilen gemäss der These von de Brosses „ein geheimes Band“ (de Brosses 1777 I, S. 45)325 geben, ein „physisches, und in Absicht auf sein erstes Prinzipium nothwendiges Verh|46|hältniß“ (S. 45f.), das nicht auf willkürliche Vereinbarung fusst326 und damit der „nothwendige Grund vom Bau der Wörter“ (de Brosses 1777 I, S. 45)327 wäre, auf dem die Entstehung von Sprache überhaupt möglich war. Ohne einen solchen notwendigen Grund, wäre auch der willkürliche Ausbau der Sprache, der zu den modernen Sprachen geführt hat, nicht möglich gewesen (vgl. de Brosses 1777 I, S. 46; de Brosses 1765 I, S. 6). De Brosses will dieses geheime Band finden durch die Untersuchung des „Materiellen der Sprache, und der Wörter; vermittelst einer genauen Analyse eines jeden einzelnen Theils unsrer Tonmaschine, und einer jeden, diesen verschiedenen Theilen eigenthümlichen Bewegung, die ganz nothwendig aus dem natürlichen Bau dieser Theile entspringt“ (S. 47)328. Als Resultat findet er vier mechanische und natürliche Verfahren der ursprünglichen Wortschöpfung329, die Moritz allesamt übernimmt: die onomatopoetische Nachahmung, die Nachahmung durch die Stellung der Artikulationsorgane, die Bennenung mittels der ersten Laute, die Kindern zur Verfügung stehen, und die Benennung der Artikulationsorgane mittels der Laute, die sie selbst hervorbringen. Die ersten beiden etablieren eine Ähnlichkeitsrelation zwischen Sache und Wort,330 die letzten beiden funktionieren nach anderen Analogien. Mit den vier Verfahren kommen sechs „Rangordnungen“ der ersten Sprache zu Stande, die offenbar chronologisch zu verstehen sind. Voraussetzung für das Entstehen von Sprache ist nach de Brosses, wie für Leibniz (vgl. oben S. 234) immer eine Kommunikationssituation:
325 „Un lien secret“ (de Brosses 1765 I, S. 5). 326 „“[…] une relation physique & nécessaire dans son premier principe, non simplement arbitraire & conventionelle […]“ (de Brosses 1765 I, S. 5) 327 „[…] principe nécessaire de la fabrique des mots […]“ (de Brosses 1765 I, S. 5) 328 „[…] par l’examen du matériel de la parole & des mots, par l’analyse exacte de chaque partie de la machine vocale, de chaque mouvement propre aux diverses parties, résultant nécessairement de leur construction naturelle […]“ (de Brosses 1765 I, S. 7). 329 „[M]éthode[s] méchanique[s] & naturelle[s] de la formation des mots“ (de Brosses 1765 I, S. 9). 330 Beziehungsweise zwischen Wort und Idee der Sache: „[…] les sons vocaux signifient les idées représentatives des objets réels […]“ (vgl. de Brosses 1777, S. 50; de Brosses 1765 I, S. 10), eine semiotische Differenzierung, die de Brosses aber nicht weiter verfolgt.
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„Une langue primitives si nous pouvons discerner la trace nous donera les racines des termes habituels servant à exprimer nos idées, ou à dénommer les objets qui tombent sous nos sens. L’homme parle pour faire connoître à un autre homme ce qui est en lui, ou ce qui est hors de lui […].“ (de Brosses 1765 I, S. 217).
Tatsächlich vertritt er die Meinung, dass ein einzelner isolierter Mensch keine Sprache erfinden würde (vgl. de Brosses 1777 II, S. 17ff.).331 Moritz scheint diese Ansicht zu teilen. Zumindest versetzt er seinen Sprachschöpfer explizit in eine Kommunikationssituation (vgl. DS, S. 540). Am Beginn der Sprache stehen nach de Brosses’ sechsstufiger chronologischer Ordnung der Sprachentstehung Laute zur Bezeichnung dessen, was in den Menschen vorgeht. In der Mitteilung von einfachen inneren Empfindungen unterscheidet sich der Mensch aber noch nicht vom Tier: „S’il est question d’une simple sensation intérieure (car il ne s’agit pas encore ici de réflexion ni d’idée combinée) il la dénote fort bien par le geste, l’accent332, le simple cris; & cette parti du langage est donnée à l’animal comme à l’homme.“ (de Brosses 1765 I, S. 217)
Hiervon grenzt er die Interjektionen ab, die zwar als „Geschrey der Natur“333 auch innere Empfindungen abbilden, die er aber als die ersten Worte und damit als die „erste Ordnung der ursprünglichen Wörter“334 (de Brosses 1777 I, S. 256) bezeichnet. „Je dis que les noms des affections du sens intérieur sont les premiers mots, les plus anciens, les plus originaux de la langue primitive: qu’ils sont invariables: qu’ils ont une liaison nécessaire & physique en vertu de la conformation humaine avec l’affection intérieure dont ils sont l’expression: & qu’ainsi le son, la formation des mots premiérement primitifs est indépendante de toute convention des
331 „Un homme seul ne feroit que très peu d’usage de sa faculté de parler. C’est beaucoup en vérité qu’un enfant élevé de cette maniere ait fait entendre quelques mots. Que l’on suppose un homme vivant seul dés son enfance, & absolument isolé de toute société, il ne sera pas, ou il ne sera que très-peu d’usage de sa faculté de parler. Elle ne sert qu’à communiquer ses idées à autrui. Un homme seul n’étant pas dans ce cas n’en a que faire. Tout son langage consisteroit en cris de sentiment, en geste de surprises, en quelques articulations d’organe nécessairement conformes à leur structure: encore seroient-elles rares; parce que dans son |12| enfance il n’auroit eu ni besoin ni exercice de sa faculté de les fléchir. […] D’ailleurs en vivant ainsi séparé du reste du monde, il exerceroit fort peu son jugement: il n’auroit presque point d’idées, mais seulement dans l’ame la mémoire de quelques perceptions très – simple. De sorte que si nous lui supposons tout d’un coup les organes dénoués, & la plus grande facilité physique pour discourir, il y seroit fort embarassé, faute de liaison & de combinaison d’idées dans l’esprit. (de Brosses 1765 II, S. 11f.) 332 „Les accens sont une espece de chant joint à la parole. […] ils doivent être joints au premier ordre qui est celui des interjections; car ils sont comme elles l’expression du sentiment intérieur.“ (de Brosses 1765 I, S. 277). 333 „[…] les interjections qui expriment la sensation du dedans, & qui sont le cri de la nature“ (de Brosses 1765 I, S. 221). 334 „Premier ordre des mots primitifs“ (de Brosses 1765 I, S. 222).
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peuples, & née de la constitution de l’homme. Il y a donc dans la langue primitive des mots nécessaires, & ce sont ceux qui signifient les idées nées de l’affection intérieure, le premier de tous les sens; qui peignent la douleur ou la joie, l’aversion ou le desir. Ce ne sont d’abord que des accens, des voix simples, tels qu’en prosérent aussi beaucoup d’autres animaux.“ (de Brosses 1765 I, S. 230).
Auch bei Moritz sind die ersten Laute Schreie der Freude (über das Licht) oder der Klage (über die einbrechende Nacht) (vgl. Hypothese, S. 343; Kinderlogik, S. 96). De Brosses sieht seine These durch den ontogenetischen Spracherwerb bestätigt. Es seien die innere Empfindungen „und nicht die Gegenstände ausser uns, die, so zu sagen, von uns noch nicht wahrgenommen worden sind“335 (de Brosses 1777 I, S. 256), welche den kindlichen Spracherwerb initiierten. Die Interjektionen bilden deshalb nach de Brosses nicht nur die erste Ordnung der ursprünglichen Wörter sondern auch die erste Wortart, den ersten der „acht Theile[…] der Rede“ (de Brosses 1777 I, S. 256; de Brosses 1765 I, S. 221) und nicht die Substantive, wie die Grammatiker gewöhnlich glaubten. 336 Ihre allerersten Worte bilden Kinder nach de Brosses dann mittels der Artikulationsorgane, die ihnen zuerst zur Verfügung stehen. Er meint, die labialen Laute seien, abgesehen vom einfachen Vokal, am leichtesten zu bilden337 und Kinder bezeichneten deshalb die ersten Gegenstände, nämlich ihre Eltern, mittels dieser Laute (vgl. de Brosses 1777 I, S. 51ff.; vgl. de Brosses 1765 I, S. 12ff.; vgl. dazu Neis 2003, S. 235ff.): „Les mots Baba, Papa, Mama, Atta, Tata, Gaga, Nana, sont des racines primordiales nées de la nature humaine, & dont la naissance est une conséquence absolue de cette vérité physique, l’homme parle. […] [C]es petits |234| mots Papa & Maman, familiers aux enfans & les premiers qu’ils soient en état d’articuler, sont primitifs & radicaux pour toutes les langues du monde […].“ (de Brosses 1765 I, S. 233f.; kursiv im Orig.)
Das ist die zweite Rangordnung der ersten Sprache. Hissmann merkt hier kritisch an, dies gelte nicht für alle Sprachen, und führt Beispiele an. Er meint, die ersten Töne der Kinder würden sich vielmehr daraus erklären, welche Laute sie in ihrer Sprache oft zu hören bekommen (vgl. de Brosses 1777 I, S. 52; Anm. 3). Moritz hingegen folgt zumindest der These, „Va-
335 „Ce sont les sentimens ou sensations intérieures, & non les objets du dehors qui ne sont, pour ainsi dire, encore apperçus ni connus.“ (de Brosses 1765 I, S. 221). 336 Vgl. dazu Neis 2003, S. 236f. Hissmann kritisiert in einer Anmerkung zu dieser Stelle Condillac, der die Sprache ganz aus den Interjektionen entstanden betrachtet. Die Interjektionen seien zwar ursprünglich, aber es gäbe viel zu wenig davon, als dass daraus die Sprache entstanden sein könnte. Damit kritisert Hissmann natürlich auch de Brosses. 337 Die Reihenfolge ist nach de Brosses: einfacher Vokal, Labial, Guttural (vgl. de Brosses 1777, S. 265; de Brosses 1765 I, S 231).
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ter“ und „Mutter“ seien die ersten Worte, die Kinder lallten (vgl. DS, S. 171f.). Die dritte Rangordnung der ersten Sprache leitet de Brosses aus der Beobachtung ab, die Bezeichnungen für die Sprechorgane richteten sich nach dem Ton, den diese produzieren (Vgl. de Brosses 1777 I, S. 53ff.; vgl. de Brosses 1765 I, S. 14ff.). „L’homme forme volontiers les noms qu’il donne à chaque organe de sa parole sur le caractere ou l’inflexion propre à cet organe […]“. (de Brosses 1765 I, S. 248).
Die Menschen hätten den Organen auch konventionelle Namen geben können, so räumt er ein, doch die Natur sei oft ihr Führer gewesen und die Bezeichnungen für die Sprechorgane könnten deshalb als beinahe notwendig bezeichnet werden (vgl. de Brosses 1777 I, S. 279f. ).338 Hissmann lehnt diese These in einer Anmerkung ab (vgl. de Brosses 1777 I, S. 55; Anm. 4). Moritz hingegen vertritt sie im Magazin zur Erfahrungsseelenkunde (vgl. Mze, III.3, S. 112f.) und das ist die erste Übereinstimmung, auf die Müffelmann hinweist. Am Beispiel der „Gutturalinflexion“ gu gh, „die tief aus der Kehle geholt ist“339 (de Brosses 1777 I, S. 280), zeigt de Brosses, wie sich die Motivation schliesslich durch Verschiebung der Ähnlichkeitsrelata in andere Bereiche ausgebreitet hat. Zunächst stand die „Gutturalinflexion“ in vielen Sprachen für die Kehle (zum Beispiel gorge). Die Inflexion diente dann aber auch dazu, Gegenstände zu benennen, die einen der Kehle ähnlichen Schall hervorbringen (gargouiller, gargarism, gargarozzo, gâchis, glougloux, glotte, glouton, gouphre, golphe). Schliesslich hat man damit auch Dinge bezeichnet, die „entweder natürlicherweise tief sind, oder deren Idee sich gerne mit der Idee der Tiefe verbindet“340 (de Brosses 1777 I, S. 280). Damit kommt hier eine Lautsymbolik zur Sprache, die schon in die Richtung von Moritz’ Sprachursprungstheorie weist. Mittels des Verfahrens der onomatopoetischen Nachahmung hat der Mensch dann Wörter für die Dinge ausser sich gebildet. Das ist die vierte Rangordung der ersten Sprache:341
338 „Quoique les hommes ayent pu convenir de |249| donner aussi d’autres noms à ces organes, la nature a été le guide qui le plus souvent a machinalement déterminé ces mots, qu’on doit par-là regarder comme mots presque nécessaires appartenans à la langue primitive, & née de la conformation humaine.“ (de Brosses 1765 I, S. 248f.). 339 „[P]rofondément gutturale“ (de Brosses 1765 I, S. 249). 340 „[Des] choses, soit naturellement profondes, soit dont l’idée se lie volontiers avec celles de |250| profondeur.“ (de Brosses 1765 I, S. 249f.) 341 De Brosses weisst an dieser Stelle auf die Etymologie des Wortes „Onomatopoiie“, das „Bildung des Namens“ („Formation du nom“ [de Brosses 1765 I, S. 218]) bedeute, was
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„S’il faut dénoter un objet extérieur & lui donner un nom, dans le peu de relation qui se trouve entre le mot & la chose, l’homme immite au moins du mieux qu’il peut avec sa voix la peinture de l’objet. C’est ce qu’on |218| appelle onomatopée ou vox repercussa naturae.“ (de Brosses 1765 I, S. 218).
Die erste Benennung der Gegenstände geschah nach de Brosses durch Nachahmung der Schälle, welche die Objekte von sich geben. „Denn es giebt nur sehr wenige Gegenstände, die nicht tönen sollten […]“342 (de Brosses 1777 I, S. 48). Beispiele für onomatopoetische Wörter sind: „bruit, trictrac, taffetas, racler, flairer“ (de Brosses 1777 I, S. 254; de Brosses 1765 I, S. 219). Moritz referiert diese These, widerspricht aber de Brosses geradezu (natürlich ohne ihn zu nennen), wenn er zu bedenken gibt, es existierten in der Natur verhältnismässig wenig Dinge, die klingen (vgl. DS, S. 537). Weshalb kommt es aber zu dieser Nachahmung? Die Antwort auf diese Frage löst zugleich das Problem, auf welchem Wege die Natur bei der Sprachschöpfung ihren Zwang auf den Menschen ausübt. Verantwortlich für die Nachahmung ist nämlich der Nachahmungstrieb des Menschen. „[L]e premier & le plus naturel mouvement de l’homme est d’imiter dans le nom qu’il donne aux choses l’impression que la chose même fait sur les sens.“ (de Brosses 1765 I, S. 219).
Der Nachahmungstrieb ist nach de Brosses empirisch evident und wird nicht weiter erklärt. „C’est une vérité de fait assez connue que l’homme est par sa nature porté à l’imitation: on le remarque de la maniere la plus frappante dans la formation des mots. S’il faut imposer un nom à un objet inconnu, & que cet objet agisse sur le sens de l’ouïe dont le rapport est immédiat avec l’organe de la parole, pour former le nom de cet objet l’homme n’hésite, ne réfléchit, ni ne compare; il imite avec sa voix le bruit qui a frappé son oreille, & le son qui en résulte est le nom qu’il donne à la chose. […] |253| Tous les mots de ce genre peuvent donc être regardés comme nécessaires; leur formation étant purement méchanique & absolument liée au physique des choses, sans que l’arbitraire y ait aucune part; quoique les hommes puissent d’ailleurs donner à leur guise d’autre noms à ces mêmes choses. Les mots appartiennent par conséquent à la langue primitive […].“ (de Brosses 1765 I, S. 252f.]
Das onomatopoetische Verfahren taugt auch zur Bezeichnung von Dingen, die an sich keine Klänge von sich geben. Man kann dann etwa das
beweise, dass bereits die alten Griechen die Onomatopoesie als das ursprüngliche Wortbildungsverfahren erkannt hätten (vgl. de Brosses 1777 I, S. 253; vgl. de Brosses 1765 I, S. 218; vgl. auch Neis 2003, S. 484). 342 „Car il y a peu d’objets qui n’en [scil. bruit que fait l’objet; A. A.] fassent […]“ (de Brosses 1765 I, S. 9).
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Geräusch nachahmen, das durch die Bewegungen des Dinges entsteht. Für Objekte, die nur durch den Gesichtssinn wahrnehmbar sind, scheint eine onomatopoetische Namensgebung jedoch schwieriger zu sein. Denn Geräusche sind die einzigen „Farben“, welche die Stimme zur Darstellung äusserer Objekte zur Verfügung hat343 (vgl. de Brosses 1777 I, S. 285–288; vgl. de Brosses 1765 I, S. 257ff.). Das stellt de Brosses Motivationsthese natürlich in Frage und er widmet dem Problem deshalb zwei gesonderte Kapitel (de Brosses 1777 I, S. 314ff.; de Brosses 1765 I, S. 289ff.). „Auch in diesem Fall“, so meint er, „entfernt sich der Mensch […] so wenig als möglich von dem Plan, den die Natur selbst entworfen hat, und von seiner Begierde und Fertigkeit zu malen“ (de Brosses 1777 I, S. 301). De Brosses nennt zwei Verfahren für die Bezeichnung visueller Dinge. Das erste ist die Annäherung. Eine Blume zum Beispiel hat nach de Brosses keine Eigenschaft, welche die Stimme abbilden könnte. Der Namensgeber entdeckt aber, wie sich der Stengel der Blume im Wind bewegt. Er bedient sich deshalb der „flüssige[n] Inflexion FL“ (de Brosses 1777 I, S. 316), welche ihm „die Natur zur Bezeichnung flüssiger und beweglicher Gegenstände gegeben hat“344 (de Brosses 1777 I, S. 316). Besser geeignet scheint ihm aber das Verfahren des Vergleichs. So kann man eine gewisse Blume immortelle (Wintergrün) nennen, wegen ihrer langen Dauer. Lautsymbolismus und artikulatorische Mimesis Das zweite Verfahren der ersten Namensgebung aus dem Vierer-Katalog (vgl. oben S. 262), die Ähnlichkeitsabbildung der Sprechorgane, ist für Moritz der zentrale Punkt. Nach de Brosses ist es das komplexeste Verfahren. Es verbergen sich dahinter denn auch verschiedene, von de Brosses allerdings nicht differenzierte, Analogien zwischen Sache und Wort. Sie gilt es im Hinblick auf die Sprachursprungsthese Moritz’ sorgsam auseinanderzuhalten. Eine erste Möglichkeit besteht in der Nachahmung einer visuellen Eigenschaft des Dinges durch die Stellung der Artikulationsorgane: „L’organe prend, autant qu’il peut, la figure qu’a l’objet même qu’il veut dépeindre avec la voix […]“ (de Brosses 1765 I, S. 9).
343 „[L]e bruit est son opération propre & (si l’on me permet de parler ainsi) la seule couleur que lui ait donnée la nature pour représenter les objets externes.“ (de Brosses 1765 I, S. 258). 344 „La voix saisit cette circonstance, & figure l’objet à l’oreille avec son inflexion liquide FL que la nature lui a donnée pour caractéristique des choses fluides & mobiles“ (de Brosses 1765 I, S. 291; kursiv im Orig.).
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Das entspricht der von Moritz am Schluss der Deutschen Sprachlehre für die Damen vorgestellten Erklärung des Sprachursprungs. De Brosses verbindet nun mit der Ähnlichkeit zwischen der Stellung des Artikulationsapparates und dem bezeichneten Gegenstand auch eine Ähnlichkeit des aus der Stellung resultierenden Lauts mit dem Gegenstand: „[…] il donne un son creux si l’objet est creux, ou rude si l’objet est rude; de sorte que le son qui résulte de la forme & du mouvement naturel de l’organe mis en cet état, devient le nom de l’objet; nom qui ressemble à l’objet par le bruit rude ou creux que la prononciation choisie porte à l’oreille.“ (de Brosses 1765 I, S. 9)
Um die These aufrechtzuerhalten, die Motivation der Wörter bestehe in einer Ähnlichkeitrelation zwischen Laut und Ding, argumentiert de Brosses hier mit einer dreigliedrigen Analogiekette, die dem Laut in ihrem dritten Glied synästhetisch eine visuelle Qualität zuspricht.345 Die Analogien lassen sich folgendermassen darstellen (vgl. Abbildung 14):
Gegenstand
hohl
= Gestalt
= visuelle Eigenschaft
Sprech organ
hohl
= Laut = Ähnlichkeits bzw. Kausalitätsrelation
Laut
hohl
= Designation
Abbildung 14: Dreigliedrige Analogie zwischen Laut und Bezeichnetem bei de Brosses
345 Das widerspricht der These Genettes, de Brosses würde die Synästhesie auf Grund seiner sensualistischen Ideologie ablehnen (vgl. Genette 2001, S. 114). De Brosses verdeutlicht im Übrigen nirgends, was er unter einem hohlen Laut versteht. Auf diese Lücke in der Argumentation de Brosses hat bereits Juliard (1970, S. 32) hingewiesen.
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Die Analogie zwischen den ersten beiden Gliedern könnte man als direkte Ähnlichkeit, diejenige zwische den letzten beiden als indirekte, synästhetische Ähnlichkeit bezeichnen. Vermittelt über den Artikulationsapparat herrscht zwischen Laut und Gegenstand also eine synästhetische Ähnlichkeit: „Il en faudra conclure que si les sons vocaux signifient les idées représentatives des objets réels, c’est parce que l’organe a commencé par s’efforcer de se figurer lui-même, autant qu’il a pu, semblable aux objets signifiés pour rendre aussi par-là les sons aëriens qu’il moule le plus semblables qu’il lui est possible à ces objets.“ (de Brosses 1765 I, S. 10). „Les choses entr’ouvertes se peignent par la lettre de gorge, comme Gouffre, Golfe, ou encore mieux par le caractere de l’aspiration, comme dans Hiatus AΩ (respiro) est un terme imitatif pour lequel, comme dans Hiare, l’instrument organique se figure en hiatus comme l’objét qu’il veut représenter: ce qu’il tâche toujours de faire dans tous les mots physiques dont le son ou l’inflexion peuvent être représentatifs de la chose nommée.“ (de Brosses 1765 I, S. 267; kursiv im Orig.)
Es kommen nun aber auch noch weitere Relata ins Spiel. So kann sich die Ähnlichkeit des Lauts nicht nur „auf die Sache selbst“, und damit sind wahrscheinlich deren visuellen Merkmale gemeint, sondern auch auf deren „innere Beschaffenheit“ oder auf ihre „Wirkung“ beziehen: „A cet effet, la voix, pour nommer, emploie par préférence celui de ses organes dont le mouvement propre |10| figurera le mieux à l’oreille, soit la chose, soit la qualité ou l’effet de la chose qu’il veut nommer.“ (de Brosses, S. 9f.)
Verantwortlich dafür ist die Natur, wie gesehen vermittelst des Nachahmungstriebs der Menschen: „C’est la nature qui conduit la voix à se servir, par exemple, d’un organe dont le mouvement soit rude pour former l’expression racler.“ (de Brosses 1765 I, S. 10; kursiv im Orig.).
Darüber hinaus führt de Brosses hier noch eine weitere Analogie ein, die er einige Seiten später ausführt und als Ausdehnung des Verfahrens der Nachahmung durch Artikulationsorgane bezeichnet: „Nous avons vu que l’instrument vocal, lorsqu’il veut nommer, c herche naturellement à imiter les bruits aisés à contrefaire. Il va plus loin sur le même principe. L’expérience & les observations en trés-grande nombre, nous montreront encore une liaison habituelle entre un certain son provenant d’un certain organe, & tout un genre d’idées ou de choses considérées sous une certaine face. Nous observerons que la plûpart des objets qu’on a pu considérer comme étant par leur nature dans un état de stabilité (par exemple) |16| tirent leur nom d’une certaine racine, ou d’un certain mouvement d’organe plus propre que nul autre à désigner cet état. Que ceux qu’on a pu considérer comme étant dans un état de fluidité, d’excavation, de rudesse, &c. fournissent de pareilles observations. Qu’en chaqun de ces cas, on a, pour former la racine du nom de l’objet, naturellement fait usage du
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mouvement de l’organe le plus fixe, ou le plus mobile, ou le plus creux, ou le plus rude, &c. comme étant sur-tout propre à dépeindre l’effet qu’on vouloit désigner. Ceci n’est qu’une extension de la seconde méthode un peu plus développée.“ (De Brosse 1765 I, S. 15f.; kursiv im Orig.; fett A. A.)
Die Eigenschaften der Gegenstände, die de Brosses im letzten Zitat nennt, „fest […] flüssig hohl und hart“ (de Brosses 1777 I, S. 57), werden von unterschiedlichen Sinnen wahrgenommen. Entsprechend funktioniert die Benennung der Gegenstände auch nach unterschiedlichen Analogien. De Brosses reflektiert dies aber nicht. Diese Grundsätze sind nach de Brosses „allgemein, natürlich und physisch“ (de Brosses 1777 I, S. 50)346. Auch in der Schrift sieht de Brosses nun dieses Abbildverhältnis. Die früheste Schrift habe die Dinge abgebildet. Daraus sei die Hieroglyphenschrift entstanden und daraus schliesslich das Alphabet. „Le tout donc tendoit d’abord, dans l’écriture comme dans la voix, à cette ressemblance avec l’objet exprimé. Si le caractère écrit signifie les sons vocaux, c’est donc parce qu’il a commencé par |12| ressembler, autant qu’il a été possible, à l’objet nommé & signifié […].“ (de Brosses 1765 I, S. 11f.).
Das von de Brosses gesuchte „geheime Band“ zwischen Ding, Idee, Ton und Buchstabe besteht also in einer Aehnlichkeitsrelation: „De sorte que la réunion de trois especes par elles-même aussi disparates que le sont l’idée, la voix, & la lettre, résulte de ce commun effort d’assimilation, & de leur tendance vers l’objet signifié, où elle trouvent un centre commun, établissant entr’elles une relation non seulement intuitive, mais réelle, & dont l’effet est d’une extrèm promptitude.“ (de Brosses 1765 I, S. 12) „Nous aurons un juste sujet d’en induire que la nature a mis347 un rapport entre la forme du son & la maniere d’exister des objets nommés, & que ce rapport est naturellement fondé entr’elles sur une espece de ressemblance imparfaite, telle que le mouvement d’organe employé par préférence peut la produire mieux qu’aucun autre. C’est en effet ce qu’il sera difficile de nier à la vue d’une foule d’exemples |17| qui nous montreront que chaque classe de choses, ou de considérations sur les choses, se rapporte, quant aux noms qu’elles ont reçus, à un certain mouvement propre à l’un des organes, & s’articule presque toujours par ce même mouvement vocal.“ (de Brosses 1765 I, S. 16f.)
346 „[…] généraux, naturels & physiques.“ (de Brosses 1765 I, S. 10). 347 Hier scheint mir die Übersetzung Hissmans nicht treffend. Er übersetzt: „Hieraus werden wir sicher folgern können, daß die Natur unter der Form des Tons, und unter der Art, wie die benannten Gegenstände existiren, ein gewisses Verhältniß fest gestellet hat […]“ (de Brosses 1777 I, S. 57; Herv. A. A.). Das Verb mettre aus dem Originaltext sollte aber besser mit festgesetzt wiedergegeben werden. Das fest gestellet Hissmanns ist irreführend.
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Eine weitere Variante der Ähnlichkeit ist der Lautsymbolismus. Er liegt der fünften Rangordnung der ersten Wörter zugrunde. Nach de Brosses gibt es „zwischen gewissen Beschaffenheiten der Wesen eine Verbindung […], ohne dass man den Grund dieser Verbindung angeben könnte“ (de Brosses 1777 I, S. 289). Solche Verbindungen gibt es zwischen „gewisse[n] Buchstaben, und gewisse[n] Figuren oder Beschaffenheiten äusserer Gegenstände.“ (de Brosses 1777 I, S. 290). De Brosses verweist auf Platons Kratylos und behauptet, Beispiele für solche Buchstaben seien in einer so grossen Anzahl vorhanden, „daß nothwendig ein gewisser verborgener Zwang bey der Bildung der Wörter mitgewirkt haben muß“ (de Brosses 1777 I, S. 290)348. Als Beispiele nennt er (beziehungsweise Hissmann) die Wörter Festigkeit und Beständigkeit (fermeté und fixité; vgl. de Brosses 1765 I, S. 261), die beide die Buchstabenkombination st enthalten, die also offenbar etwas Festes bezeichnen soll. So bedient man sich nach de Brosses auch der Interjektion st, wenn man jemanden im Zustand der Unbeweglichkeit verharren lassen will. Weitere Beispiele sind: Stare, Stabilité, Stips, Stupide. Das Lockere und Hohle hingegen wird mit Sc bezeichnet, zum Beispiel Scutum, Scaturire (vgl. de Brosses 1777 I, S. 290; de Brosses 1765 I, S. 261). Auch den Lautsymbolismus erklärt de Brosses mechanischphysiologisch: „Sçavoir que les dents étant le plus immobile des six |263| organes de la voix, la plus ferme des lettres de dent, sçavoir le T. a été machinalement employée pour désigner la fixité; comme pour désigner le creux & la cavité on emploie le K. ou C. ou lettre de gorge, le plus creux & le plus cave des six organes.“ (de Brosses 1765 I, S. 262f.)
Mit dem K ist nun genau das Beispiel angesprochen, das Moritz in seiner Sprachursprungshypothese anführt, und auch die Analogie ist dieselbe. Als weitere Beispiele nennt de Brosses das N, das der flüssigste unter allen Buchstaben sein soll. Ebenso beziehe sich die Verbindung fl auf alles Flüssige (vgl. de Brosses 1777 I, S. 292; de Brosses 1765 I, S. 263). Und
348 „D’autres observations paroissent nous montrer qu’il y en a aussi de liées à certaines modalités des êtres; sans qu’il soit quelquefois possible de démêler nettement le principe de cette liason entre des choses où l’on n’apperçoit aucun rapport; telles que sont certaines lettres, & certaines figures ou modes des objet extérieurs. Mais lors même qu’en ce cas la cause reste inconnue (car elle ne l’est pas toujours) l’effet ne laisse pas que d’être fort sensible. C’est ce que Platon a fort bien reconnu […]. |261| Les exemples sont en si grand nombre qu’il faut que quelque nécessité cachée ait ici coopéré à la formation des mots.“ (de Brosses 1765 I, S. 260f.; kursiv im Orig.)
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die Rauhigkeit der äusseren Gegenstände bezeichne man „durch die rauheste Artikulation von allen, durchs R.“349 (de Brosses 1777 I, S. 293).350 Die Weiterentwicklung der Sprachen vollzog sich dann nach de Brosses über Ableitung vom ersten System. Da das erste System natürlich und notwendig war, sind auch die späteren Ableitungen in gewisser Weise noch natürlich (vgl. de Brosses 1777 I, S. 14)351 und folgen einem von der Natur vorgegebenen Plan: „Tant d’exemples dérivés de chaque organe, & conformes à ses propriétés, démontrent jusqu’à l’évidence que la nature agit primitivement sur le langage humain, indépendamment de tout ce que la réflexion ou la convention y ont ensuite ajoûté sur le plan déja dressé par la nature, qui en a toutefois été souvent altéré.“ (de Brosses 1765 I, S. 270).
Die „nachahmende Abbildung“ (de Brosses 1777 I, S. 12) hat sich vermehrt. Von den Namen der Gegenstände, die sich leicht durch „den Ton der Stimme“ nachahmen lassen, bis zu den Namen der Gegenstände, die „dieser Nachahmung am wenigsten fähig sind“ (de Brosses 1777 I, S. 12). Der ganze Fortgang der Sprache ist „nach dem von der Natur eingeflößten352 Nachahmungsplan geschehen“ (de Brosses 1777 I, S. 12). Dass dies der Plan ist, den die Natur selbst entworfen hat, „wird noch immer von der Erfahrung und den Beobachtungen bestätigt“ (de Brosses 1777 I, S. 12).353
349 „On peint la rudesse des choses extérieures par l’articulation R. la plus rude de toutes.“ (de Brosses 1765 I, S. 265; kursiv im Orig.). 350 Hissmann merkt an, die Gegenbeispiele würden hier stark überwiegen, und erinnert mit Leibniz daran, dass der Löwe in vielen Sprachen nicht mit einem R, sondern mit dem fliessenden L gebildet werde (de Brosses 1777 I, S. 293; Anm. 62). 351 Vgl. de Brosses 1765 I, S. xiif.) 352 Im Original „dicté“ (de Brosses 1765 I, S. xv), was mit „vorgegeben“ übersetzt werden könnte. 353 „[…] cette peinture imitative s’est étendue de degrés en degrés, de nuances en nuances, par tout le moyens possibles, bons ou mauvais, depuis les noms des choses le plus susceptibles d’être imitées par le sons vocal, jusqu’aux noms des choses qui le sont le moins; & […] toute la propagation du langage s’est faite, de maniere ou d’autre, sur ce premier plan d’imitation dicté par la nature; ainsi que l’expérience & les observations le prouvent encore“ (de Brosses 1765 I, S. xv)
4 Schlusswort Wichtige Gedankenfiguren aus Moritz’ Kunsttheorie haben sich bereits in seiner Auseinandersetzung mit Sprache herausgebildet. Die These dieser Arbeit konnte an drei Beispielen bestätigt werden. Die Gedankenfigur, dass etwas in sich selber zurückfällt, wurde bisher als semiotisches Paradox einer Verschmelzung von Signifiant und Signifié interpretiert. Sie verliert diesen paradoxen Charakter, wenn man erkennt, dass sie in einem grammatischen Zusammenhang entstanden ist: Es gibt nämlich Handlungen, die kein direktes Objekt zu haben scheinen, und damit muss es Sätze geben, die nur aus Subjekt und Prädikat bestehen. Die Energie der Verba neutra, die solche Prädikate bilden, wirkt dann auf das Prädikat selber zurück. Vom Begriff Gesichtspunkt konnte gezeigt werden, dass er sich bereits vor Moritz’ Beschäftigung mit der Perspektive im Kontext der erkenntnistheoretischen und sprachphilosophischen Auseinandersetzung mit der Taubstummensprache herausgebildet hat. Für das Konzept der bildenden Nachahmung konnte schliesslich bestätigt werden, dass es als Lösung auf das mimesistheoretische Problem der Sprachursprungserklärung, wie mit Lauten eine lautlose Welt abgebildet werden kann, entsteht. Die Lösung liegt in der artikulatorischen Mimesis, die als Konzept eine lange, bei Platon einsetzende Tradition hat. Moritz ist in seiner Ausgestaltung aber durchaus eigenständig und übernimmt keineswegs einfach die Position von Charles de Brosses, wie die Forschung bislang annahm. Einerseits beschreibt er den Spracherwerb als zweite Schöpfung, in der sich der vernünftige Sprecher eine Welt erschafft, andererseits löst er mit der konsequenten Formulierung des Prinzips der artikulatorischen Mimesis das zentrale Problem der Nachahmungstheorie, wie Worte für Dinge gefunden werden sollen, die nicht klingen. Die Übereinstimmungen mit Charles de Brosses sind zwar offensichtlich und es ist plausibel, dass der Traité Moritz als Quelle vorgelegen hat, obwohl dies nicht durch wörtliche Übernahmen belegt werden kann. Für manche Stellen könnte aber auch direkt Etienne Bonnot de Condillacs Essai sur l’origine des connoissance humaine (1746) die Quelle sein, was zu prüfen wäre. De Brosses dürfte mit seiner organischen Nachahmung den Anstoss zur Entwicklung des Konzepts der bildenden Nachahmung gegeben haben. Und die argumentativ zentrale Analogie zwischen Sprache und
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Schlusswort
Malerei könnte den Transfer des Konzeptes in die Ästhetik ermöglicht haben. Moritz geht mit seiner Formulierung der Sprachursprungshypothese jedoch über de Brosses hinaus, indem er einem Weg, den de Brosses selber weist, konsequent folgt. Dieser Hinweis findet sich allerdings nur im französischen Original. Ob Moritz den Traité auf französisch gelesen hat, lässt sich jedoch nicht entscheiden. Eine erste Übereinstimmung zwischen den beiden Autoren liegt im Erkenntnisziel der Sprachreflexion: Sowohl de Brosses Beschäftigung mit der Etymologie als auch die Sprachlehre Moritz’ haben die Analyse des Denkens beziehungsweise der Dinge zum Ziel. Nur Moritz aber verfolgt dieses Ziel dann tatsächlich in den psychologischen Stellen seiner Sprachlehre. Eine zweite Übereinstimmung betrifft den methodischen Rückgriff auf die Ontogenese, die bei Moritz eine noch grössere Rolle spielt als bei de Brosses. Bei der Auseinandersetzung mit dem Sprachursprung geht Moritz aber wie gesagt über de Brosses hinaus. Zunächst teilt er die Vorstellung, dass die Natur als schöpferisches Prinzip eine grundlegende Rolle spielt, setzt aber zumindest bis zum Hypothesen-Aufsatz Gott als erste schöpfende Instanz wieder ein, der bei de Brosses ausgeklammert wurde. Die These der Zwang-ausübenden Natur bei de Brosses geht zurück auf Epikur und findet sich auch bei Moritz. Die bei Moritz mit der Zwang-These verbundene „Einwebe“-These scheint aber von ihm selbst zu stammen. Die vier Verfahren der ersten Wortschöpfung von de Brosses übernimmt er. Die nicht mimetischen Verfahren referiert er allerding bloss nebenbei, genauso wie die These, dass die Sprachschöpfung allein in einer Kommunikationssituation möglich gewesen sei. Weiter übernimmt er die These, dass die ersten Laute Interjektionen der Freude und des Leids gewesen sind. Bei der Frage der ersten Benennung der äusseren Gegenstände weicht Moritz jedoch von de Brosses ab. Er erkennt das Hauptproblem der de Brosseschen Argumentation: nur wenige Dinge klingen. Von hier aus kommt es zur Übernahme der These der organischen Nachahmung, die Moritz nun aber konsequenter als de Brosses durchführt und als Nachbildung statt als Abbildung versteht: „Das k und die verwandten Gaumenlaute scheinen mehr die Gestalten der Dinge zu umfassen, das l und die verwandten Zungenlaute aber scheinen mehr die verschiednen Bewegungen der Dinge außer uns, und der Empfindungen in uns, nachzubilden.“ (DS, S. 545; Herv. A. A.)
Damit ist ein Grundmerkmal der bildenden Nachahmung, dass sie eher Poiesis als Mimesis ist, hier bereits entwickelt. Die Analyse der Analogien zwischen Sprechapparat, Lauten und Gegenständen hat gezeigt, dass es de Brosses vor allem um die Analogie zwischen Sprechorgan und Gegenstand geht, die durch einen synästhe-
Schlusswort
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tisch mit einer Gestalt verbundenen Laut (hohler Klang) vermittelt ist (vgl. Abbildung 14), denn der hohle Klang kann nur aus einem „hohlen“ Organ stammen. Dies besagt die doppelte natürliche Determiniertheit der Sprache durch die Objekte und die Sprechorgane. „L’organe prend, autant qu’il peut, la figure qu’a l’objet même qu’il veut dépeindre avec la voix. Il donne un son creux si l’objet est creux, ou rude si l’objet est rude; de sorte que le son qui résulte de la forme & du mouvement naturel de l’organe mis en cet état, devient le nom de l’objet; nom qui ressemble à l’objet par le bruit rude ou creux que la prononciation choisie porte à l’oreille. A cet effet, la voix, pour nommer, emploie par préférence celui de ses organes dont le mouvement propre |10| figurera le mieux à l’oreille, soit la chose, soit la qualité ou l’effet de la chose qu’il veut nommer.“ (de Brosses 1765 I, S. 9f.)
Weiter heisst es: „Il en faudra conclure que si les sons vocaux signifient les idées représentatives des objets réels, c’est parce que l’organe a commencé par s’efforcer de se figurer lui-même, autant qu’il a pu, semblable aux objets signifiés pour rendre aussi par-là les sons aëriens qu’il moule le plus semblables qu’il lui est possible à ces objets.“ (de Brosses 1765 I, S. 10; Herv. A. A.).
Hier weist Hissmanns Übersetzung nun eine wichtige Ungenauigkeit auf. Die hervorgehobene Stelle übersetzt er mit „und dadurch“: „Man wird […] daraus den Schluß ziehen müssen, daß, wenn die Töne der Stimme die Ideen wirklicher Gegenstände abbilden; dieses alles deswegen geschieht, weil das Organ sich so stark, als möglich angestrengt hat, eine den Objekten ähnliche Figur anzunehmen, und dadurch, so viel als nur immer möglich, die Lufttöne den Gegenständen ähnlich zu formen.“ (de Brosses 1777 I, S. 50; Herv. A. A.)
Er macht damit erstens aus der finalen Konjunktion pour eine nebenordnende und tilgt zweitens das den Finalsatz relativierende aussi. Genette erkennt aber gerade in dieser grammatischen Form den Hinweis auf eine bei de Brosses nur implizite Konsequenz, die Moritz dann deutlicher gezogen hat. Genette schreibt: „[Die] organische Nachahmung wird durchaus als ein Mittel im Dienste eines Zweckes dargestellt, der die klangliche Nachahmung ist (‚um auch dadurch wiederzugeben...’); man muss jedoch sofort die Wirkung dieses merkwürdigen ‚auch’ festhalten, das die Gültigkeit des Finalsatzes proportional einschränkt: als wäre der ‚Zweck’ in Wirklichkeit nur eine Nebenwirkung des ‚Mittels’: Das Organ ahmt den Gegenstand nach, und gerade dadurch (und gleichsam nebenbei) ahmt der hervorgebrachte Klang auch den Gegenstand nach. Man sieht, dass die sprachliche Mimesis sich notfalls den Wortklang sparen könnte, der hier nur eine Art Epiphänomen der Anstrenung ist, die das Sprechorgan unternommen hat, um sich dem bedeuteten Gegenstand ‚ähnlich zu machen’, das heisst, um dessen Form anzunehmen: Die analogische Beziehung verbindet fast unmittelbar das Organ mit dem Objekt, die Sprache ist eine Art artikulatorische Mimik, eine sehr
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markierte Spezifikation der platonischen mimema phone. Diese sprachliche Utopie, die ganz klar mehr ausgesprochen als argumentativ untermauert wird, weist uns bereits auf ein charakteristisches Merkmal des Mimologismus von de Brosses hin, nämlich, paradoxerweise, eine relative Entwertung des eigentlichen Klangphänomens – sagen wir: der Stimme selbst – |102| zugunsten sichtbarerer oder berührbarerer (in seinem Vokabular: abbildbarerer) Phänomene des sprachlichen Aktes […].“ (Genette 2001, S. 101f.)
Die Analogie zwischen Sprechorgan und Gegenstand, die organische Mimesis, wird denn von de Brosses in der Folge auch nur mit grosser Vorsicht zur Erklärung der Ursprache herangezogen. Genette schreibt: „Das Prinzip direkter organischer Mimesis, das (trotz Nigidius) einer der originellsten Beiträge des Präsidenten zum Gebäude des Kratylismus war, und auch einer der einträglichsten, da er es erlaubte, die ‚theoretische’ Hauptschwierigkeit (wie soll man durch Töne nachahmen, was keine hervorbringt?) zu umgehen – dieses Prinzip wird also an der Schwelle zur Anwendung aufgegeben, anscheinend aus dem einfachen Grund, weil es unanwendbar ist, und nachdem erst einmal allgemein postuliert worden ist, dass die Zunge, oder die Kehle, oder der Gaumen die Form des zu bezeichnenden ‚Gegenstandes’ annehmen, schreckt man vor den Beweisführungen in einzelnen zurück.“ (Genette 2001, S. 112)
Dass Moritz die Nachahmungsthese der Sprache in ihrem Ursprung akzeptiert, zeigt der 15. Brief der Deutschen Sprachlehre. Aber bei Moritz heisst es wie gesehen eben nicht mehr abbilden, sondern nachbilden (vgl. DS, S. 544f.). Er verwendet damit einen anderen Nachahmungsbegriff als die französische Klassik und mit ihr de Brosses. Die Sprachreflexion spielt für das Werk von Karl Philipp Moritz also eine zentrale Rolle und darf bei dessen Interpretation nicht unberücksichtigt bleiben. Sie stand am Anfang von Moritz’ Karriere und war zunächst geprägt von der Suche nach einer eigenen sprachtheoretischen und grammatischen Position. Die Dissertation hat hier dargelegt, wie stark einerseits der Einfluss rationalistischen Gedankenguts in der Tradition der Grammatik von Port Royal etwa für die Satzgliedlehre gewesen ist – dabei wurde sogar ein direkter Einfluss der Grammaire générale et raisonnée vermutet –, wie Moritz aber andererseits die rationalistischen Prämissen gegen ihre Stammtheorie wendet und dabei zu ganz eigenen grammatischen Überzeugungen kommt. Die Entwicklung hin zur psychologischen Sprachbetrachtung liess sich dabei an den in kurzen Abständen erschienenen Texten gut beobachten. Sie führt in der Deutschen Sprachlehre zu einer originellen Wortarteneinteilung, die sich an der psychologischen Wirkungsweise der Wörter auf den Menschen orientiert. Ein ähnliches Resultat zeigte die Analyse der Adressierungen an ein Laienpublikum, insbesondere an die Damen. Moritz übernimmt hier vom Frauenbildungsdiskurs seit Fontenelle und Algarotti vorgegebene Versatzstücke, wie die explizite Adressierung an die Damen, verfasst damit aber nicht ein
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typisches Frauenbildungsbuch, sondern eine philosophisch und grammatisch anspruchsvolle, wenn auch nicht systematisch-vollständige Sprachlehre. Um den Kontext der moritzschen Sprachreflexion noch besser zu verstehen, müssten die Werke Condillacs und Herders so genau auf ihren Einfluss hin geprüft werden, wie dies hier für de Brosses und andere geschehen ist. Mit seiner Art der Sprachreflexion entspricht Moritz dem Bild des Grammairien, wie ihn César Chesnau Du Marsais in der Encyclopédie beschrieben hat. Der Grammairien besitze im Gegensatz zum einfachen Grammatiker, dem Grammatiste, das Bewusstsein, dass die Sprache nicht unabhängig vom Denken betrachtet werden kann. Diesen „esprit philosophique“ verbinde er mit dem Wissen um die höhere Bedeutung seines Gegenstandes, der dazu dienen könne, dass „les citoyens en doivent devenir plus éclairés & plus instruits, & [...] qu’ils en penseront avec plus de justesse, de précision, & de clarté, & qu’ils en feront bien plus disposés à devenir utiles & vertueux“ (Du Marsais 1966, S. 847).
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Einzelwerke AdB: Allgemeiner deutscher Briefsteller, welcher eine kleine deutsche Sprachlehre, die Hauptregeln des Styls, und eine vollständige Beispielsammlung aller Gattungen von Briefen enthält. Berlin: Maurer 1793.
Allegorie: Über die Allegorie. In: Montasschrift der Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften zu Berlin. 2. Jg. 3. Bd. S. 49–54. (Zit. nach: Schriften, S. 112–115). Anweisung: Anweisung die gewöhnlichsten Fehler, im Reden, zu verbessern, nebst einigen Gesprächen von M. Carl Philipp Moritz, Conrektor am grauen Kloster zu Berlin. Als das zweite Stück zu der Abhandlung über den märkischen Dialekt. Berlin: bei Arnold Wever. 1781. AUAD: Anhang zu den Briefen vom Unterschiede des Akkusativ's und Dativ's worinn der Unterschied zwischen für und vor erklärt, und die Ursach gezeigt wird, warum durch und für immer den Akkusativ, und von, mit, aus, nach und zu, beständig den Dativ nach sich haben. Nebst einer Erklärung von der wahren Beschaffenheit des Genitiv's, und einem Vorschlage, die alten Benennungen Nominativ, Genitiv, u. s. w. mit zweckmäßigern zu vertauschen. Von M. Carl
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Philipp Moritz, Conrektor am grauen Kloster zu Berlin. Berlin: bei Arnold Wever. 1781. Beattie: [Anmerkungen und Zusätze zu] James Beattie’s Grundlinien der Psychologie, natürlichen Theologie, Moralphilosophie und Logik. Aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen und Zusätzen begleitet von Karl Philipp Moritz. Bd. 1. Berlin: Bei Christian Friedrich Voß und Sohn 1790. Denkwürdigkeiten: Denkwürdigkeiten, aufgezeichnet zur Beförderung des Edlen und Schönen. Herausgegeben von Carl Philipp Moritz. Erstes Vierteljahr. Berlin: Bey Johann Friedrich Unger 1786. DS: Deutsche Sprachlehre für die Damen. In Briefen von Carl Philipp Moritz. Mit Königlich Preußischer und Churfürstlich Sächsischer allergnädigster Freiheit. Berlin: bei Arnold Wever. 1782. Edelste a: [Ohne Titel]. In: Denkwürdigkeiten. S. 5–16. Edelste b: Das Edelste in der Natur. In: GL. S. 74–88. FE: Freiheit und Entschliessung. Fallen und Aufstehen. Selbstgespräch. In: Beiträge zur Philosophie des Lebens aus dem Tagebuche eines Freimäurers. 1780. S. 81 Gesichtspunkt: Gesichtspunkt. In: Magazin zur Erfahrungsseelenkunde, Bd. IV, 2. St. (1786), S. 16–19. [Weitere Drucke unter dem Titel „Der letzte Zweck des menschlichen Denkens. Gesichtspunkt“ In: GL. S. 276–278 und LP. S. 278–282. GL: Die grosse Loge oder der Freimaurer mit Wage und Senkblei. Von dem Verfasser der Beiträge zur Philosophie des Lebens. Berlin: bey Ernst Felisch 1793. GTsK: Grundlinien zu einer vollständigen Theorie der schönen Künste. In: MonatsSchrift der Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften zu Berlin. 1789, Bd. 3., 2. St. S. 74–77. (Zit. nach: Werke. Bd. 2. S. 591–592). GW: Grammatisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bd. 1. Berlin: Felisch 1993. Hephata!: Hephata!. In: GL. S. 265–276. Hypothese: Auch eine Hypothese über die Schöpfungsgeschichte Mosis. In: Berlinischen Monatsschrift. Bd. 3. 1784. S. 335–346. Kinderlogik: Versuch einer kleinen praktischen Kinderlogik, welche auch zum Theil für Lehrer und Denker geschrieben ist. Berlin: Bey August Mylius 1786. KS Vorrede: Vorrede. In: Kleine Schriften die deutsche Sprache betreffend von M. Carl Philipp Moritz Conrektor am grauen Kloster zu Berlin. Berlin: bei Arnold Wever 1781. S. . LP: Launen und Phantasien von Carl Philipp Moritz. Herausgegeben von Carl Friedrich Klischnig. Our Life itself can nothing more supply Tan just to plan our projects and – to die. Berlin: bei Ernst Felisch 1796. MA: Mythologischer Almanach für Damen. Herausgegeben von Karl Philipp Moritz. Berlin: bei Johann Friedrich Unger 1792.
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Werke von Karl Philipp Moritz
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Personenregister Das Register erschliesst die Autoren, mit Ausnahme Moritz’. Aarsleff, Hans 79, 236, 240, 242 Addison, Joseph 38, 39 Adelung, Johann Christoph 1, 12, 13, 16, 22–24, 30–32, 42, 49–51, 53–55, 58, 76, 77, 106, 114, 120, 126, 128, 130, 140, 147–152, 182, 196, 197, 249 Aebi, Adrian 5, 9, 51, 79, 95, 152, 174 Algarotti, Francesco 23, 35, 36, 38–44, 276 Amman, Johann Konrad 169 Angerstein, Johann Carl 43 Apelt, Otto 217, 219, 220, 228 Aristoteles 62, 115, 117–122, 124, 214 Arnauld, Antoine 63, 64, 115, 118, 119, 121, 122, 124, 176, 188 Auerbach, Sigmund 9 Augustinus 179, 212, 232–234 Aveyron, Victor von 169
Badstübner-Gröger, Sibylle 175 Bahner, Werner 8 Barthélemy, Louis 43 44, 47 Batteux, Charles 159, 160, 259 Baumgarten, Alexander Gottlieb 15, 145, 146 Beauzée, Nicolas 78, 122, 232, 250, 252 Beck-Busse, Gabriele 43 Biester, Johann Erich 48, 51, 58 Bödiker, Johann 24, 137 Bodmer, Johann Jacob 133, 134, 154, 155 Böhme, Jakob 14, 216, 245 Bonnet, Charles 250 Borsche, Tilman 211, 217, 221 Borst, Arno 70, 226, 228 Brekle, Herbert 9, 43, 129 Brosses, Charles de 3, 6, 11, 12, 85, 86, 97, 102, 104, 108, 210, 212, 216, 232, 249– 277 Burnet, James (Lord Monboddo) 42 Bursill-Hall, Geoffrey L. 63 Büsching, Anton Friedrich 23, 24, 26, 30, 60 Bussmann, Hadumod 243
Caesar, Gaius Julius 230 Cassirer, Ernst 236 Chapuset, Johann Carl 134 Chesselden, William 67 Choffin, David Stephan 43 Cicero, Marcus Tullius 117, 230 Claudius, Matthias 152 Clerico, Geneviève 188 Condillac, Etienne Bonnot de 11, 18, 47, 81, 108, 210, 250, 251, 264, 273, 277 Coseriu, Eugenio 117, 211, 213–215, 222, 224, 225, 232, 234 Costazza, Alessandro 16, 178, 179 Coste, Pierre 240
Dalgarno, George 243 Damis, Christine 78 Dascal, Marcelo 236 237 Davis, John W. 67 169 Deligne, Alain 5 62 Demokrit, 221 226 Derbolav, Josef 212, 216–219, 221, 222 Descartes, René 237 Deshoulières, Antoinette 48 Dessoir, Max 9 Diderot, Denis 81, 82, 174, 252 Dietz, Gunther 32 Diogenes Laertius 228 Diogenes von Oinoanda 227 Dobnig-Jülch, Edeltraut 42, 43, 46 Dodart, Denis 169 Du Marsais, César Chesneau 48, 117, 277 Dürbeck, Gabriele 140 Dutens, Louis 236 Dutz, Klaus D. 235, 236, 242–245
Eberhard, Johann August 52 Eckhart, Johann Georg 235 Eco, Umberto 70 Eichinger, Ludwig M. 9, 50 Engelien, August 11 Epikur, 225–230, 254, 274 Euler, Leonhard 35
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Personenregister
Eybisch, Hugo 11
Félibien, Jean-François 170 Fénelon, François de Salignac de la Mothe 35 Ferrein, Antoine 169 Ficino, Marsilio 212 Fischer, Bernhard 162 Fontenelle, Bernard le Bovier de 23, 35– 38, 40, 42–45, 170, 276 Forsgren, Kjell Åke 16, 118, 120, 133 Franz, Michael 175, 176 Fricke, Corinna 1, 16–18, 49 Friedrich II. König von Preußen 57, 235 Friedrich Wilhelm II König von Preußen 235 Friese, Gottfried 171 Frisch, Johann Leonhard 24, 130, 137, 248
Gaiser, Konrad 212 Gardt, Andreas 7, 9, 210 Garnier, Jean-Jacques 213 Gassendi, Pierre 225 Gedike, Friedrich 48, 49 Gehrig, Julia 13 Geiger, Ludwig 2, 9 Gellius, Aulus 230, 231, 232 Genette, Gerard 34, 95, 211, 212, 216– 221, 223, 224, 230–234, 252, 254, 259, 260, 268, 275, 276 Gensini, Stefano 229 Gessinger, Joachim 3, 17, 168, 169, 170, 172 Gessner, Salomon 48, 49, 142 Girard, Gabriel 16, 52, 87, 88, 133, 134, 138, 154–156 Goethe, Johann Wolfgang von, 15, 162, 191 Goldschmidt, Victor 221 Gottsched, Johann Christoph 50, 57, 58, 96, 113, 129, 137, 235 Gottsched, Luise Adelgunde Victorie 50 Grimm, Jacob 216 Grimm, Jacob & Wilhelm 122, 182 Groddeck, Wolfram 36 Grotefend, Carl Ludwig 78, 235 Günther, Horst 193 Gusdorf, Georges 168
Habel, Thomas 22 Häcki Buhofer, Annelies 1, 3, 9, 20, 32, 49, 50, 51, 62, 113, 114 Haller, Albrecht von 140, 169
Hamann, Johann Georg 216, 251 Hansen, Frank-Peter 212 Harris, James 42, 46, 48, 151, 152, 174– 176, 184–189, 205 Hartley, David 140, 250 Hassler, Gerda 52, 66, 225 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 18 Heinekamp, Albert 237, 244–246, 248, 249 Heinicke, Samuel 169 Heinitz, Friedrich Anton Freiherr von 190 Heinze, Johann Michael 129 Hélvetius, Claude Adrien 250 Hentschel, Uwe 48 Herder, Caroline 50, 190 Herder, Johann Gottfried 12, 15, 31, 42, 50, 66, 73, 74, 82, 106, 139, 150, 151, 168, 173, 174, 191, 209, 210, 216, 237, 251, 277 Herodot 212, 226–229 Hertz, Martin 231 Hertzberg, Ewald Friedrich Graf von 157, 235 Hervás y Panduro, Lorenzo 225 Herz, Henriette 50 Heynatz, Johann Friedrich 22, 24, 47, 50, 51, 57, 58, 125, 129, 137, 138, 154, 155, 183, 185, 186 Hinsche, Georg 11 Hippias 221 Hissmann, Michael 3, 21, 250–252, 259, 260, 264, 265, 271, 272 Hobbes, Thomas 66, 70, 73, 79, 83 Hogarth, William 190, 191 Hollmer, Heide 35, 36, 42, 47–50, 62 Holtus, Günter 43 Horaz 179, 255 Hossenfelder, Malte 226–229 Humboldt, Wilhelm von 1, 18, 20 Hume, David 206 Hundt, Markus 210
Ickelsamer, Valentin 210, 211 Isermann, Michael 5, 62 Itard, Jean 169
Jahnke, Jürgen 178, 179 Jakobson, Roman 16, 179 Jellinek, Max Hermann 9 Jördens, Karl Heinrich 22 Juliard, Pierre 254, 268
Kayser, Wolfgang 210
Personenregister Kemp, Wolfgang 161 Kimmich, Dorothee 230 Klein, Wolf Peter 210, 211 Klingenberg, Anneliese 2, 52, 158, 190, 209 Klischnig, Karl Friedrich 51–53, 62, 129, 157, 191, 192 Klopstock, Friedrich Gottlieb 11 Knobloch, Clemens 1, 2, 9, 10, 18, 19, 20, 21 Krämer, Sybille 237 Krüger, Johann Gottlob 139, 140 Kuehner, Paul 251
L’Epée, Charle-Michel de 169 La Mettrie, Julien Offray 226 Lambert, Johann Heinrich 120 Lamy, Bernard 46, 79 Lancelot, Claude 63, 64, 115, 118, 119, 121, 122, 124, 176, 187, 188 Lasch, Agathe 11, 48, 49 Leibniz, Gottfried Wilhelm 69, 73, 74, 78, 110, 143, 165, 207, 212, 214, 216, 234– 249, 262, 272 Lenz, Karl Gotthold 22 Lessing, Gotthold Ephraim 15, 49, 174, 190, 191, 206, 209 Lindner, Johann Gotthilf 157 Locke, John 3, 18, 73, 80, 143, 236, 240– 243, 250, 253 Lukian von Samosata 37 Lukrez 227–230, 254
Matthias, Adolf 11 Maupertuis, Pierre Louis Moreau de 81, 82 Mayr, Franz Xaver 230 Meier, Albert 1, 9, 35, 56, 106, 107, 168, 170, 189, 193, 195 Meiner, Johann Werner 16, 50, 53–55, 63, 65, 78 Meiners, Christoph 213 Meister Eckhart (alias Eckhart von Hochheim) 179 Mendelssohn, Moses 15, 71, 174, 206, 207, 251 Méridier, Louis 212 Mertens, Karl Friedrich 168, 169, 203 Metcalf, George J. 244 Meves, Uwe 8 Meynier, Johann Jakob 119 Michael, Ian 185 Milton, John 151 Miyawaki, Masataka 185
309
Müchler, Johann Georg 175 Müffelmann, Friedrich 9, 11–13, 16, 26, 108, 154, 155, 209, 210, 249–251, 265 Mukarovsky, Jan 179 Mylius, August 51, 58
Nate, Richard 210 Naumann, Bernd 32, 41, 49, 54, 58 Neis, Cordula 52, 66, 69, 211, 226, 228– 230, 249, 264, 266 Nettelbeck, Uwe 50 Neumann, Werner 2, 8, 9 Newton, Isaac 38 Nicolai, Friedrich 22 Niewöhner, Heinrich 165, 166 Nigidius Figulus, Publius 212, 230–232, 276 Nisbet, Hugh Barr 230 Nobile, Luca 252 Noille-Clauzade, Christine 46
Padley, George Arthur 63 Paracelsus (Hohenheim, Theophrastus Bombastus von) 14 Parthey, Gustav 29 Peirce, Charles Sanders 16 Pellisson, Paul 37, 39 Pereira, Jacob Rodrigues 169 Pfotenhauer, Helmut 166, 167 Pietsch, Paul 235 Pinborg, Jan 211 Platon 51, 58, 79, 117, 118, 191, 211–217, 219, 221–224, 271, 273 Pluche, Noël Antoine 251 Ponce de León, Pedro 169 Pörksen, Uwe 52 Poser, Hans 237–240, 244 Poullain de la Barre, François 35 Prantl, Carl von 250 Priestley, Joseph 140, 250 Priscian 188 Proß, Wolfgang 139, 151, 168, 174, 237– 239 Pustejovsky, John 172
Rahden, Wolfert von 105 Rapp, Wolfgang 9, 21 Raspe, Rudolf Eric 236 Reichard, Elias Caspar 128–130, 292 Reimers, Klaus 17 Reisinger, Liselotte 13 Ricken, Ulrich 3, 35, 252 Rijlaarsdam, Jetske C. 221, 222
310
Personenregister
Ripplinger, Stefan 2 Ritter Santini, Lea 38 Robinet, Jean-Baptiste-René 250 Rousseau, Jean-Jacques 4, 11, 44, 45, 108, 206, 210 Rüdiger, Johann Christian Christoph 22, 29, 30 Ruef, Hans 232
Saine, Thomas P. 165 Sanctius (Brocensis), Franciscus (alias Sánchez de las Brozas, Francisco) 63, 186–188 Sarasin, Jean-François 37 Sautebin, Hippolyte 251, 252, 254 Scaliger, Julius Caesar 186 Schildt, Joachim 11 Schirach, Gottlob Benedikt von 212 Schleiermacher, Friedrich 222 Schlichtegroll, Friedrich von 22 Schmidt, Hartmut 11, 20, 21, 78 Schrastetter, Rudolf 213 Schreyer, Rüdiger 186 Schrimpf, Hans Joachim 2, 9, 10, 159, 160, 162–165, 189, 190, 193, 195, 203 Schulenburg, Sigrid von der 248 Schweizer, Hans Rudolf 145 Search, Edward (alias Abraham Tucker) 250 Sedlarz, Claudia 52 Sénelier, Jean 44 Shaftesbury, Anthony Earl of 15, 179, 209 Sicard, Roche-Ambroise Cucurron 169 Sonnet, Martine 35 Sørensen, Bengt Algot 14, 15, 18 Stammler, Wolfgang 11 Staudinger, Susanne 42, 43, 46 Steele, Richard 38 Stein, Charlotte von 162 Steinberg, Christian Gottlieb 43 Steiniger, Judith 189 Steinthal, Heymann 10, 11, 222 Stern, Martin 164
Stosch, Samuel Johann Ernst 22, 29, 30, 52, 60, 131, 135, 182 Sulzer, Johann Georg 15, 66–69, 84, 89, 90, 160, 189 Süssmilch, Johann Peter 11, 75 Szondi, Peter 162, 164, 209
Telonius, Christian Gottfried 152 Tetens, Johannes Nikolaus 251 Tiedemann, Dietrich 250, 251 Tintemann, Ute 9, 21 Todorov, Tzvetan 14, 15, 16, 18, 179, 209 Trautwein, Robert 167 Turgot, Anne Robert Jacques 82, 252
Ungeheuer, Gerold 237, 238 Unzer, Johanna Charlotte 43 Vaget, Hans Rudolf 195 Varro, Marcus Terentius 216 Vaugelas, Claude Favre de 64 Verschaffeldt, Maximilian von 190 Vicq d’Azyr, Félix 169
Weiss, Fritz 231 Weiss, Helmut 62, 63, 64, 65, 119, 186 Wellbery, David E. 174, 207 Wever, Anton 32, 51, 59–61 Wieland, Christoph Martin 191 Wilkins, John 243 Winckelmann, Johann Joachim 167 Wippel, Johann Jacob 24 Wohler, Christian Friedrich Gottlieb 43 Wolff, Christian 35, 63, 169, 206, 207 Wolle, Christoph 63, 104 Woodmansee, Martha 51 Wundt, Wilhelm 12, 210 Wurzel, Ullrich 224
Zedlitz, Karl Abraham von 58 Ziegler, Jürgen 117–119 Zierlein, Johann Georg 212, 213 Zöllner, Johann Friedrich 153