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German Pages 284 Year 2019
Miguel Zulaica y Mugica Die Sozialität der Bildung
Pädagogik
Für Rahele
Miguel Zulaica y Mugica (Dr. phil.) ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft und Berufspädagogik der TU Dortmund tätig und arbeitet zu systematischen Problemstellungen der Erziehungs- und Bildungstheorie. Darüber hinaus befasst er sich mit Fragestellungen der pädagogischen Ethik, der Wissenschaftstheorie im Kontext der Erziehungswissenschaft und forscht zu den Gebieten Anerkennungs-, Handlungs- und Subjektivitätstheorien.
Miguel Zulaica y Mugica
Die Sozialität der Bildung Eine Studie zum Verhältnis von Anerkennungs- und Institutionentheorie
Der vorliegende Text ist die korrigierte Fassung der von der Fakultät Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie der Technischen Universität Dortmund im Juni 2018 angenommenen Dissertation.
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Inhalt
Einleitung | 7 1.1 Vorbemerkungen: Bildungstheorie als zerklüftetes Feld zwischen Freiheit und Anpassung | 7 1.2 Theoretische Verortung: Hegels Begriff der Bildung im Verhältnis zur Sozialität | 14 1.3 Konzeption und Forschungsstand | 24 1
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Das Verhältnis von Anerkennungs- und Institutionentheorie | 31
2.1 Frederick Neuhousers: Rekonstruktion von Rousseaus Anerkennungs- und Institutionentheorie | 35 2.1.1 Die Ambivalenz des Anerkennungsstrebens | 40 2.1.2 Die Versöhnung des Anerkennungsstrebens und die Möglichkeit sozialer Kooperation | 45 2.1.3 Rousseaus institutioneller Funktionalismus und Neuhousers Rezeption | 50 2.2 Ludwig Siep: Rekonstruktion von Hegels institutionellem Anerkennungsbegriff | 54 2.2.1 Der Anerkennungstest und die Institutionengenese | 59 2.2.2 Die Historizität von sozialen Konflikten | 63 2.2.3 Institutionalisierte Anerkennungsformen und ihre moralische Relevanz | 65 2.3 Axel Honneth: Anerkennung und Sittlichkeit | 69 2.3.1 Demokratische Sittlichkeit und Freiheit | 73 2.3.2 Die Triplizität der Freiheit als Struktur der Sittlichkeit | 79 2.3.3 Die soziale Freiheit und Anerkennung | 87 2.3.4 Die Sphären der sozialen Freiheit und die Idee einer kooperativen Sozialität | 92 2.3.5 Querverweise zwischen der Institution Schule und Honneths Sittlichkeitsbegriff | 107 2.4 Zwischenbetrachtung | 113
Die Sozialität der Bildung – Eine Annäherung | 121 3.1 Der Begriff und das Problem der Sozialität | 123 3.1.1 Sozialität aus einer soziologischen Perspektive | 124 3.1.2 Sozialität aus einer phänomenologischen Perspektive | 125 3.1.3 Sozialität aus einer anthropologischen Perspektive | 128 3.2 Das Verhältnis von Institutionentheorie und Sozialität | 133 3.3 Die Sozialität als kooperative Befreiung in Axel Honneths Sittlichkeitstheorie | 142 3.4 Die ambivalente Sozialität in Judith Butlers Anerkennungstheorie | 161 3.5 Die reflexive Sozialität aus einer pragmatistischen Perspektive von Robert Pippin und Rahel Jaeggi | 183 3.6 Sozialität und Bildung – Eine Verhältnisbestimmung | 200 3.6.1 Das Verhältnis von Sozialität und Bildung in Hegels Rechtsphilosophie | 201 3.6.2 Die ontologischen und epistemischen Implikationen von Hegels Bildungstheorie im Diskurs | 219 3
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Die Sozialität der Bildung im Diskurs | 231
4.1 4.2 4.3 4.4
Bildung und das Ideal individueller Transformation | 232 Deliberative Selbstartikulation als Bildungsziel | 236 Problemlösung als hegemoniale Schließung? | 245 Eine abschließende Betrachtung | 249
Danksagung | 255 Literatur | 257
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Einleitung
1.1 VORBEMERKUNGEN: BILDUNGSTHEORIE ALS ZERKLÜFTETES FELD ZWISCHEN FREIHEIT UND ANPASSUNG Das Sprechen über Bildung gestaltet sich in der derzeitigen Diskurslage der Bildungsphilosophie bzw. -theorie als schwierig und voraussetzungsreich. Das zerklüftete Feld der bildungstheoretischen Diskurseinsätze zerfällt bei genauerer Betrachtung in differente theoretische Konzeptionen, Theoriestrategien und politische Bezugnahmen. Zwischen historisch hermeneutischen Rekonstruktionen von Bedeutungsdimensionen des Bildungsbegriffs, die sich an „klassischen“ Texten orientieren, Diskursanalysen, philosophischen Begriffsklärungen, empirischen Konkretisierungsversuchen, kompetenztheoretischen Übersetzungen etc. erhält das Sprechen von Bildung jeweils andere theoretische Kontextualisierungen und wird mit anderen Intentionen und inhaltlichen Bestimmungen verknüpft. Neben der theoretisch unübersichtlichen Lage kennt der Begriff der Bildung auch keine disziplinären Grenzen (vgl. Tenorth 2011, S. 358). Hier scheinen begriffsstrategische Versuche, Bildung verbunden mit dem Anspruch auf Definitionsmacht eine eindeutige wissenschaftliche Zuordnung zu geben (vgl. Stojanov 2014a), vor dem Faktum der Pluralität von Begriffsverwendungen kapitulieren zu müssen. Die Diagnose von Bildung als „Containerwort“ (Lenzen 1997, S. 949) wird dabei durch seine zunehmende wissenschaftliche Entgrenzung verschärft. Hiernach lassen sich mit Bildung fast beliebig viele Komposita mit korrespondierenden Wissenschaftsdisziplinen bilden (Bildungswissenschaften, Bildungsphilosophie, Bildungssoziologie, Bildungsökonomie, Bildungspsychologie etc.). Es ist eine offene und empirisch zu untersuchende Frage, welche Faktoren diese Entwicklung bedingen. Ein möglicher Zusammenhang mag die spezifische Funktion des Bildungsbegriffs im öffentlichen Diskurs sein, in dem Bildung in der Regel als eine Antwort auf jede mögliche gesellschaftliche Problemlage fungiert (vgl. Winkler 2012, S. 12) und in der diesem der Schein einer regulativen Funktionalität anhaftet, die jede politische Herausforderung zu bear-
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beiten erlaubt. Die Entgrenzung des Bildungsbegriffs genauso wie des Begriffs des Lernens, der aufgrund der Forderung der Flexibilität in postfordistischen Gesellschaften in die Formel des lebenslangen Lernens inkludiert wird (vgl. Pongratz 2008), erfährt eine Ausdehnung auf jeden Lebensbereich und wird begleitet von der Forderung nach Institutionalisierung in Weiterbildungen, Bildungsräumen sowie in altersunabhängigen und altersspezifischen Bildungsangeboten. Die Ambivalenz dieser Bewegung besteht nicht nur in der Perpetuierung des Aufschubs der sozialen Eliminierung, die nach Bourdieu nicht aufgehoben, sondern nur „,sanfte[r]‘“ (Bourdieu 1987, S. 258) vermittelt wird, sondern auch „die fast totale Entgrenzung des pädagogischen Gegenstands“ (Herzog 2005, S. 117), die die Option der gesellschaftlichen Gestaltbarkeit und der politischen Agentur denkbar werden lässt. Sei es aus Gerechtigkeitserwägungen oder aus funktional-ökonomischen Kalkulationen bezüglich des zu mobilisierenden Humankapitals, die pädagogische Verfügbarkeit wird über die klassische Schule hinweg auf fast jedes Lebensalter erweitert (Bsp.: frühkindliche Bildung). Kanalisiert wird diese regulative Perspektive der gesellschaftlichen Funktionalität in einem Bildungssystem, das Individuen befähigen soll, an der Gesellschaft teilzuhaben und sie in einer Art und Weise zu reproduzieren, die als zukunftsadäquat betrachtet wird. Der Auftrag an Schulen ist es, die „universellen Kommunikationsvoraussetzungen in der nachwachsenden Generation“ (Baumert 2002, S. 120) zu sichern, um ein selbstbestimmtes Leben führen und Gesellschaft mitgestalten zu können. In dieser Differenz von Aufforderung zur Selbstentfaltung und der Festlegung der Bedingungen für diese, z.B. durch die Förderung von MINT-Fächern, erscheint ein Spannungsfeld. Der Verlauf dieses Spannungsfelds liegt theoretisch zwischen Anpassung und Freiheit, zwischen Lernen und Bildung und konfiguriert Bildung als das andere der Sozialisation oder des spröden Lernens. Freiheit, Autonomie oder Rousseaus Perfektibilität sind Motive, die immer wieder mit Bildung in einen Zusammenhang gebracht werden und die eine individuelle Unverfügbarkeit postulieren. Bedingung hierfür ist die Plastizität des Menschen und sein kulturell vermitteltes Selbst- und Weltverhältnis, indem es nicht durch biologisch evolutionäre oder neurologische Parameter determiniert ist. Menschen müssen sich und ihre Umwelt bzw. die Beziehungen zu ihren Mitmenschen als veränderbar wahrnehmen können. Aufgrund dieser Annahme erhält die Steigerungslogik der Vervollkommnung erst ein gedankliches Fundament. Problematisiert wurde dies vor allem im Diskurs um Ökonomisierung von Bildung, der zwischen zwei Ebenen changiert. Einerseits wird Ökonomisierung als eine von außen an das Bildungssystem herangetragene Handlungslogik gehandelt, die Bildungsprozesse verstellt. Ökonomisierung äußert sich hier als äußerer Sachzwang gegenüber den Teilnehmenden, der Transforma-
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tion von Bildung in Kapital (vgl. Münch 2010), dem Ausbau von Bildungsmärkten (vgl. Lohmann 2014), der Privatisierung (vgl. Liesner 2011) usw. Andererseits ist mit der Ökonomisierung eine Subjektform gefasst bzw. eine Verkörperung von Flexibilisierungs- und Optimierungsaufforderungen, die kein distinktives Kriterium zwischen externaler Unterdrückung und internaler Willensbekundung mehr zulässt (vgl. Voß/Pongratz 2001; Pongratz 2007; Bröckling 2007). Die Autonomie als eine Form der selbstbestimmten Lebensführung würde diese Diagnose entsprechend harmonisch in der postfordistischen Wirtschaftsform auflösen (vgl. Höhne 2015, S. 19 ff.). Wenn man nun die letzte Diagnose ernst nimmt, dann lässt sich die Entgrenzung des Bildungsbegriffs anhand seiner individuellen Ermächtigungs- und Regulationslogik nachvollziehen. Die Attraktivität des Begriffs der Bildung scheint folglich in der Semantik von Selbstregulation, Selbstverantwortung und Selbstdisziplinierung zu liegen. Eine Referenz für diese Bedeutungsdimension ist Humboldts Skizzierung vom Bildungsbegriff als freie Wechselwirkung zwischen Ich und Welt, die einen dynamischen und selbsttätigen Prozess individueller Selbstkonstitution im Verhältnis zur Welt und zum anderen impliziert. Eine normative Reaktualisierung der humanistischen Tradition ist in Julian Nida-Rümelins Studie Philosophie einer humanen Bildung zu finden, indem er Bildung identitätstheoretisch als Autorschaft des eigenen Lebens interpretiert (vgl. Nida-Rümelin 2013, S. 246). Dieses auf Selbstregulation und Selbstverantwortung abgestellte Verständnis von Bildung passt hierbei aber zur liberalen Idee einer meritokratischen Verteilung von Lebenschancen, indem Individuen unabhängig von Fremdbestimmung ihren biografischen Werdegang selbst gestalten können. Wird bei der Interpretation von Humboldts bildungstheoretischen Texten auch dessen Staatstheorie hinzugezogen, wird die Korrespondenz zwischen humanistischer Bildungstheorie, Wohlstand und Nationalökonomie offensichtlich (vgl. Humboldt 1792/2010a, S. 91 ff., S. 108 f.). Aus dessen Vorstellung eines liberalen Minimalstaats, mit dem er gegen ein paternalistisches Handeln ausgehend vom Staat anschreibt, spricht Adam Smiths unsichtbare Hand und dessen Markttheorie aus Wealth of Nation von 1776. Durch sein Wirken hemmt die „Macht des Staats das freie Spiel der Kräfte“ (ebd., S. 72). Wie Karl Polanyi in seiner wirtschaftshistorischen Studie The Great Transformation herausarbeitet, bündeln sich am Anfang des 19. Jahrhunderts die differenten Merkmale der Nationalökonomie zu einer Lebensform neben dem Staat. Hieraus lasse sich die Entdeckung „Existenz einer Gesellschaft“ (Polanyi 1944/2014, S. 157) von Ricardo und Hegel erklären, die nicht unmittelbar den Gesetzen des Staates unterworfen ist, sondern eine eigene Gesetzmäßigkeit aufweist. Hegel begreift diese als eine „bürgerliche Gesellschaft“, in die er das „System der B ed ü rf n i s s e “ (GPR, § 188) integriert, deren Wissen-
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schaft die „S t aat s -O e ko n o m i e “ (ebd., § 189) ist. Es dürfte auch kein Zufall sein, dass er seine Reflexion über den Begriff der Bildung explizit innerhalb seines Kapitels zum „System der B ed ü rf n i s s e “ ausführt, in der die Vielfalt der Arbeitsweisen und Gestaltungsmöglichkeiten zunehmen (vgl. GPR, S. 197).1 Mit Humboldt gesprochen wird eine lebendige „Wechselwirkung“ (Humboldt 1792/2010b, S. 235) erfahrbar, die für Hegel aber nur eine formelle „B ef re yu n g“ (GPR, § 195) darstellt, da der Wille ausschließlich in Form einer zufälligen „Wi l l kü h r “ (ebd., § 194) auftritt. Humboldts Grundprinzip, dass eine allgemeine Bildung nicht Untertanen, sondern Bürger/-innen als mündige gebildete Menschen zum Telos erhebt (vgl. Humboldt 1792/2010a, S. 106), ist nicht notwendig gegen ökonomische Verwertbarkeit als solche gerichtet, sondern gegen einen autoritären Staat, der die freie Entwicklung des Marktes blockiert, und eine daraus folgende Homogenisierung durch „Einförmigkeit“ (ebd., S. 71), durch Formung der Menschen zu Maschinen (vgl. ebd., S. 72) und zu „Massen“ (ebd., S. 105) befördern würde. Auch wenn er das Nützlichkeitskalkül vehement ablehnt (ebd.) und die Selbsttätigkeit als basales Motiv der Bildung deklariert, ist das Glück des Einzelnen von seiner gebildeten Kraft und Geschicklichkeit abhängig. Gegenseitige „Hülfsleistung“ (ebd., S. 75) mache den Menschen „träger“ (ebd.). Es ist folglich keine neue Beobachtung, dass Bildung auch und speziell als Selbstbildung (mehr oder weniger an Eigennutz orientiert) in Verwertungskontexte eingebunden ist. Die These, dass gerade durch die Globalisierung der marktwirtschaftlichen Ökonomie die Deutungshoheit eines methodologischen Individualismus und die Hypostasierung der individuellen Freiheit ein hohes
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Lothar Wigger macht darauf aufmerksam, dass es verfehlt wäre, Hegels Verständnis von „,Bildung‘ als individuelle Aufgabe, subjektives Lebensziel oder moralische Pflicht“ (Wigger 1994, S. 261) zu deuten, weil dessen Perspektive auf die Darstellung der Genese „neuzeitlicher Subjektivität“ (ebd.) gerichtet sei. Mit dem Ziel einer entsprechenden Rekonstruktion habe Hegel die „objektiven Lebensumstände“ (ebd., S. 262) systematisch in seine bildungstheoretischen Überlegungen verankert. Bildung sei innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft als „b l o ß e s M i t t e l “ (GPR, § 187) zur Realisation des eigenen Interesses gebunden, in welcher das Individuum in Anbetracht der „zunehmenden wechselseitigen Abhängigkeit und Verschlingung der auf einander bezogenen Arbeiten und Produktionen, der Vereinfachung und Mechanisierung der Arbeitsprozesse u.a. m.“ (Wigger 1994, S. 261) sich einer Notwendigkeit gegenüber sieht, „ihr Wissen, Wollen und Thun auf allgemeine Weise [zu] bestimmen“ (GPR, § 187). Die bildende Formung des Individuums ist als Privatperson und wirtschaftlicher Akteur/wirtschaftliche Akteurin in eine Notwendigkeit und keine Freiheit (vgl. GPR, § 186).
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Passungsverhältnis zu den individualistischen Semantiken des Bildungsbegriffs hat (vgl. Foucault 1979/2006), liegt nahe. Auch wenn mit der „neoliberalen Subjektform“ die nationalen Grenzen und die äußeren Zwänge noch weiter in den Hintergrund zu treten scheinen, verschiebt sich doch „nur“ die Radikalität des Individualismus. Genauer formuliert wird die individuelle Selbstgestaltung selbst zur Anpassung. Hegel mag dieses Problem gesehen haben, wenn er von formeller „B ef re yu n g “ spricht. Dieser Zusammenhang markiert aber nun das Problem zwischen Individualität und Sozialität, das im bildungstheoretischen Diskurs teilweise dualistisch betrachtet wird. Selbstregulation, Selbstverantwortung und Selbstdisziplinierung werden sozusagen von der Figur des Selbstunternehmertums, der Entrepreneurships etc. quasi sublimiert und zu Tugenden erhoben. Hiernach würden die Autonomie, die Mündigkeit, die Verantwortlichkeit und die Urteilsfähigkeit als Zielpunkt von Bildung keine kritische Folie gegen unreflektierte gesellschaftliche Einpassung mehr sein, sondern Bedingungen für diese (hierzu: Bröckling 2003, S. 18 f.; Pongratz 2007; Höhne/Kracher 2015, S. 354 ff.). Die Reflexion der eigenen Lebensführung schafft hiernach keine Distanz zu gesellschaftlichen Sachzwängen oder zur sozialen Funktionalität. Die Annahme ist, dass das funktionale Sollen in ein Selbst- und Weltverständnis transformiert wird. Das Sollen wird ein Wollen, und das Wissen um seine eigene Freiheit bezieht sich hier auf die Wahl der Bildungsoption, die die gesellschaftliche Existenz zu einer Frage der individuellen Biografie und der individuellen Selbstbildung macht. Das Subjekt wird – um die Argumentation abzuschließen – in seinem Subjektsein zum Objekt sozialer Funktionalität. Dieser Horizont ist folglich eine Herausforderung für bildungstheoretische Ansätze, die die Thematisierung von Bildung mit einem individuellen Varianzraum, einem kritischen Überschuss oder einer vom Individuum ausgehenden Veränderungsmöglichkeit verbindet. Auf der Suche nach bildungstheoretischen Strategien führen humanistische Idealisierungen (vgl. Litt 1928; Menze 1965) in eine Privatheit, die den Weltbezug in die Nähe von Hochkultur rücken, oder in denen die Dualität des Außen und des Innen zugunsten einer inneren Freiheit (Bollnow) aufgegeben werden (vgl. Mattig 2017, S. 4 f.). Demgegenüber stehen kritische Einsätze, die die Autonomie als Urteilsfähigkeit und Reflexion betrachten. Klafkis kritische Allgemeinbildungstheorie, die auf eine Bearbeitbarkeit von gesellschaftlichen Problemen abzielt (vgl. Klafki 1974) oder Eulers Vorschlag einer „reflektierte[n]
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Sachkompetenz“ (Euler 1999, S. 274)2, die sich kritisch gegen das instrumentelle Naturverständnis der Aufklärung, die „technologische Machbarkeit“ (ebd., S. 272) und die „bürgerlich-ökonomische Bornierung der Vernunft“ (ebd.) richtet, nehmen das Moment der Befreiung als regulative Idee einer gesellschaftsgestaltenden Rationalität auf. Hiervon abweichend, aber auch an der rationalen Reflexion anschließend sind Bildungstheorien, die die begriffliche Selbstreflexivität ins Zentrum der Bildung stellen. Bildung im Kontext von „Mündigkeit“ (Benner 2012, S. 178) zielt nach Benner auf eine „nicht-affirmative Bildung“ (ebd.) in Konfrontation mit einer „ausdifferenzierte[n] Humanität“ (ebd., S. 181), in dem sich Wissen nach seinen Geltungsansprüchen, Grenzen und Anwendungsbedingungen befragen lassen muss (hierzu: Benner 2005). Dörpinghaus postuliert in kritisch negativer Absicht die „begriffliche Fähigkeit des Menschen als eine aus der Erfahrung stammende Distanzleistung der Verzögerung“ (Dörpinghaus 2015, S. 464). Für Stojanov beruht Bildung hingegen positiv auf der Selbstartikulation bzw. auf der Fähigkeit zur „propositional-diskursive[n] Artikulation von eigenen Anliegen und Idealen“ (Stojanov 2006, S. 223). Gegen diese differenten Reflexionsformen könnte nun eingewendet werden, dass sie – unabhängig davon, ob sie auf gesellschaftliche Veränderungen drängen, ob sie eine kritische Urteilsfähigkeit bezogen auf Probleme, auf Wissensbestände bzw. Begriffe oder eine Diskursivität im Allgemeinen an das Ende von Bildungsprozessen setzen – eine Subjektivität postulieren, die sich von Fremdbestimmung frei verstehen möchte, und damit die Verflechtung von Subjektivierungsform und sozialer Genese übersehen. Ähnlich dual wird das Verhältnis zur sozialen Bedingtheit auch in den theoretischen Ansätzen zum transformativen Bildungsbegriff gefasst, die von Winfried Marotzki, Hans-Christoph Koller und Arnd-Michael Nohl geprägt wurden, und allgemein als individuelle Transformation von Selbst-, Welt- und Anderenverhältnis verstanden wird (vgl. Marotzki 1990; Koller 2012; Nohl 2006). Bemerkenswert an diesem Ansatz ist seine empirische Dimension und die Formalisierung des Bildungsbegriffs, welcher auf der Einsicht fußt, dass die Pluralität einer postmodernen Gesellschaft keine Priorisierung einer Großerzählung mehr zulässt. Das Primat wird hier auf das Individuelle und die Pluralität gelegt, indem der Transformation das Potenzial zugesprochen wird, die soziale Bedingtheit aus- und neu einzuklammern (vgl. Marotzki 1990, S. 53). Im Gegensatz zur Forderung, Bildungsphilosophie als praktische Philosophie (vgl. Stojanov
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Euler verwendet hier eine kursive Schreibweise, weil er hervorheben möchte, dass in dieser Formulierung seine „normative Bestimmung des subjektiven Prinzips der Bildung“ (Euler 1999, S. 274) zum Ausdruck kommen soll.
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2014a) zu betreiben und Normativität als den Bildungsbegriff implizit zu thematisieren, wird Bildung zur biografischen Struktur, die sich der Qualifizierung des Weltbezugs bzw. der objektiven Seite von Bildung enthält. Hierbei wird jedoch die Bildung als „soziale Tatsache“ (Tenorth 2016, S. 59) übersehen. Menschen handeln koordiniert und begrenzt durch differenzierte gesellschaftliche Systeme. Sie kooperieren mit anderen und sind mit pluralen Normen, Anforderungen, Lebensformen usw. konfrontiert, die sie bewältigen, mit denen sie einen Umgang finden oder die sie austarieren müssen. Reichenbach schreibt, dass Bildung „unabhängig davon, ob sie harmonisch oder tragisch gedacht wird - immer die Konstitution des Ichs im Wir“ (Reichenbach 2001, S. 36) meint, wenn berücksichtigt wird, dass Menschen „immer in eine ,Welt der Menschen‘ (Arendt) hinein geboren werden und ihre Zeit unter anderen Menschen verbringen“ (ebd.). Bildung ist hiernach an die Sozialität gebunden und ist kein davon unabhängiges Prinzip oder schon gar kein unabhängiger Prozess. Gerade wenn die Subjektkonstitution als ein gesellschaftlich vermittelter Prozess gedacht wird, indem nicht von einem vorgängigen Subjekt ausgegangen wird, dann muss die gesellschaftliche Dimension von Bildung in den Blick genommen werden. Die bildungstheoretische Reflexion rückt an dieser Stelle näher an eine soziologische Perspektive heran, die in einer gewissen Nähe zu Hegels Verständnis von Bildung steht, der diese als eine Allgemeinmachung und die Subjektwerdung im objektiven Geist interpretiert (vgl. Wigger 2012, S. 81). In dieser Bildungstheorie, die Hegel hinsichtlich des objektiven Geistes im Rahmen seiner Rechtsphilosophie3 darlegt, werden die Institutionen mit den Selbst- und Weltverhältnissen in einen Zusammenhang gebracht und es wird die Frage verfolgt, inwiefern diese eine kooperative Sozialität ermöglichen, in der sich die Individuen frei wissen.4
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Zum Verhältnis von Institutionen und Bildung schreibt Wigger: „Bestimmt und begründet werden sie in der ‚Philosophie des objektiven Geistes‘, die bei Hegel die Stelle der praktischen Philosophie einnimmt und die er als ‚Philosophie des Rechts‘ ausgeführt hat. Dort nimmt Hegel Erziehung und Bildung des Subjekts auf als Moment der Reproduktion des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat. Seine Analyse der Institutionen und Verhältnisse ist die Explikation der Konstitutionsbedingungen der neuzeitlichen Subjektivität.“ (Wigger 1994, S. 255).
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Jürgen-Eckhardt Pleines macht darauf aufmerksam, dass es sich bei Hegel „bei der Bildung, unter objektivem Blickwinkel gesehen, eher um eine Teilhabe an der Allgemeinheit des Wissens und Wollens bzw. um deren Individualisierung handelt.“ (Pleines 1983/1989, S. 164 f.).
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1.2 THEORETISCHE VERORTUNG: HEGELS BEGRIFF DER BILDUNG IM VERHÄLTNIS ZUR SOZIALITÄT Anders als bei Humboldt, dessen liberaler Bildungstheorie eine höhere Passung mit der pluralistischen Struktur posttraditioneller Gesellschaften attestiert wird (vgl. Koller 2012, S. 11 ff.), gilt die Rezeption der hegelianischen Bildungstheorie als problematisch. Neben der Kritik an der hegelianischen Philosophie 5 selber mag ein weiterer Grund im Interesse der geistesphilosophischen Pädagogik an dieser begründet sein. Als Vertreter, die sich aus dieser Denkrichtung mit Hegel beschäftigt haben, sind Wilhelm Dilthey, Hermann Nohl, Theodor Litt, Josef Derbolav, Jürgen-Eckhardt Pleines und (in kritischer Distanz) Lothar Wigger zu nennen. Litt nimmt in einer kritischen, umfänglichen Interpretation von Hegels Werken dessen Geschichtsphilosophie zum Ausgangspunkt für eine Reflexion eines Geschichtsbewusstseins (Litt 1953, S. 302 ff.) und befasst sich mit der „abendländlichen Geistesgeschichte“ (Litt 1948, S. 12) und deren Widersprüchen. Derbolav entwickelt aufgrund der Formel „Im-Anderen-zu-sich-selberKommen“ (Derbolav 1987, S. 185), die er als Gedankenfigur rezipiert, eine Theorie pädagogischen Handelns. Jürgen-Eckhardt Pleines thematisiert, entlang von Hegels Bildungstheorie, das Verhältnis von Sachlichkeit und Subjektivität (vgl. Pleines 1971). Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie sich im Paradigma des Geistbegriffs bewegen und damit Kritiken der Idealisierung (vgl. Pongratz/Bünger 2008, S. 114) auf sich ziehen. Das mutmaßliche Festhalten an einem modernen Subjekt steht auch einer Diskursentwicklung entgegen, die sich eher postmodernen und poststrukturalistischen Theoriekonzeptionen und/oder empirischen Ansätzen zuwendet. Der „systematische Anspruch“ (Derbolav 1987, S. 194) einer geisteswissenschaftlichen Philosophie kann zwar mit der Referenz auf Lyotards Diagnose vom Ende großer Erzählungen zurückgewiesen werden (vgl. Lyotard 1986), welcher hierdurch aber selbst zum Narrativ stilisiert wird. Die
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Hierzu: U.a. Käte Meyer Drawe, die den „autonomen“ (Meyer-Drawe 1990, S. 90) Vernunftbegriff in seiner Beherrschungslogik gegenüber der „Dingwelt“ (ebd., S. 91) problematisiert hat; Peter Euler, der Hegels Bildungstheorie als affirmativ betrachtet, die „im Ernst nicht systemvernichtende oder systemsprengende Qualität“ (Euler 1999, S. 268, Fn 124) habe; Norbert Ricken, der an Hegel kritisiert, trotz einer mit dem Anerkennungsparadigma angenommenen Sozialität ein „zentrisches Selbst“ (Ricken 2009, S. 81) zu postulieren; Martin Harant hebt zwar den Beitrag von Hegels Schultheorie für das moderne Schulverständnis hervor, kritisiert aber dessen „klassische[n] Begabungsbegriff“ (Harant 2013, S. 181), der auf der Grundlage empirischer Befunde zu problematisieren sei.
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Vergessenheit dieser pädagogischen Theorietradition übersieht, dass diese durchaus selbstkritisch ist. So artikuliert Pleines mit Hegel eine Kritik des individualistischen Begriffs „klassischer Bildung“ (Pleines 1983/1989, S. 176) und des „Subjektivismus“ (ebd., S. 171). Derbolav arbeitet zudem die Mängel an Hegels Philosophie heraus, die in einer „Geist-Hypostasierung“ (ebd., S. 194) und der „Natur-Verachtung“ (ebd.) lägen. Lothar Wigger geht über diese Tradition hinaus, weil er neben seinen anerkennungstheoretischen Schriften versucht, Hegels Theorien mit dem Begriff der Bildungsgestalt für die Empirie fruchtbar zu machen (vgl. Wigger 2016). Mit dieser Absicht steht er Marotzki nahe (vgl. Marotzki 1984), wenn auch die Einschätzung bezüglich des Weltbezuges different ist. Ein weiterer Rezeptionsstrang, der sich grob und mit dem Vermerk der Ausschnitthaftigkeit einer poststrukturalistischen Theorietradition zuordnen lässt, ist auch in der Bildungsphilosophie zu finden und greift Hegels Geistphilosophie im Horizont seines Skeptizismus und der dialektischen Verflüssigung auf. Hier wären Gerhard Gamms hermeneutische Analysen von Hegels Werk zu nennen, in denen er Hegels „Dialektik als (wenngleich kritisches und insofern nicht postmodernes) Bekenntnis zur Irreduzibilität der drei großen Gegner des Projekts der Moderne: Ambivalenz, Differenz und Kontingenz“ (Gamm 2015, S. 146, Fn 7) wertet. In eine ähnliche Denkrichtung bewegt sich Alfred Schäfer, wenn er Hegels Geist-Begriff mit Gamm als Medium begreift, das eine „unendliche Prozessualität und Mannigfaltigkeit“ (Schäfer 2009, S. 219) konstituiert, und Andreas Gelhard, der in der theoretischen Ambivalenz Hegels dessen „Skeptizismus“ (Gelhard 2014, S. 96) und das „Programm einer Selbstprüfung des Bewusstseins“ (ebd.). hervorhebt. Ein davon differenter Ansatz wird aktuell von Krassimir Stojanov verfolgt, der mit Honneth und Brandom Hegels Anerkennungs- und Geisttheorie in eine intersubjektive Diskurstheorie und in eine posttraditionelle Theorie der Allgemeinbildung zu überführen versucht (vgl. Stojanov 2006; 2014). Diese Diskursentwicklung geht des Weiteren mit einer internationalen Renaissance der Hegelrezeption einher. Hier seien der angelsächsische Neopragmatismus (u.a. McDowell 1994, Pinkard 2001, Pippin 2008, Brandom 2015), der Kommunitarismus (u.a. McIntyre 1981; Taylor 1988, 1994) und die Sozialphilosophie (u.a. Honneth 2013; Malabou 2005; Menke 2011; Jaeggi 2014; Brunkhorst 2017) zu nennen. Auch die kontroverse Diskussion um Hegels Primat des Allgemeinen und dessen ethischen Holismus wird inzwischen in einer weniger dichotomen Form geführt. Der Vorwurf des Totalitarismus wird dabei zunehmend relativiert und dementgegen die Liberalität seiner Theorien herausgearbeitet (hierzu: Rawls 2002; Quante 2011).
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In Anschluss an diese „Entgiftungsbemühungen“ gegenüber Hegels Theoriegebilde wird hier die Annahme vertreten, dass dessen Bildungstheorie insbesondere in Rekurs auf seine Rechtsphilosophie nicht nur eine gesellschaftliche Dimension mitzudenken erlaubt. Vielmehr ist die Sozialität ein genuines Begriffsmoment von Bildung selber und kein Derivat dieser, wenn berücksichtigt wird, dass Hegel seinem Begriff der Bildung eine historisch vermittelte Subjektivität zugrunde gelegt hat, in der er analytisch die sozialen Existenzbedingungen reflektiert (vgl. Wigger 1994, S. 261 f.). In seinem Werk Grundlinien der Philosophie des Rechts entwirft er in Folge dessen den Begriff der „B i l d u n g “ (GPR, § 187)6 als eine „En t zw e yu n g“ (ebd.) des Individuums von seiner Welt, die
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Hegels Begriff der Bildung lässt sich nach Wigger in zwei Verwendungsweisen differieren, (1) Bildung als „Selbstverwirklichung des Geistes (als Weltgeist, als Gott, als Absolutes)“ (Wigger 2012, S. 83) und (2) als „individuelle Bildungsgeschichte“ (ebd.) bzw. individuelle Allgemeinmachung. Nach Pleines sind „allgemeinbildende Reflexionen in den treffenden Passagen in der Phänomenologie und in der Rechtsphilosophie [zu finden], aber ebenso [spielen sie] in der Ästhetik, der Religionsphilosophie und selbst in der Logik eine herausragende und bestimmende Rolle“ (Pleines 2007, S. 292). Nun wird Bildung in seinen theoretischen systematischen Reflexionen jeweils in einer differenten Verhältnissetzung bestimmt. In der Phänomenologie des Geistes führt Hegel Bildung als einen Prozess des Bewusstseins ein, der sich dialektisch zum absoluten Wissen hinaufarbeitet (vgl. PhG, 11 f.). Hier beschreibt er den Bildungsprozess als einen Entfremdungsprozess des Geistes, in dem das Selbst als „negatives Wesen“ (ebd., S. 293) sich in einer Differenzierungsbewegung sein „n a t ü r l i c h e s “ (ebd., S. 267) Sein negiert und sich denkend der Wirklichkeit „bemächtig[t]“ (ebd., S. 268). Bildung ist ferner am „U e b e r g a n g “ (ebd., S. 269) der „Entäusserung“ (ebd.) vom Selbst zur Selbsterkenntnis in der Wirklichkeit verortet. In seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse beschäftigt sich Hegel ausführlich mit dem subjektiven Geist und entwirft eine Psychologie. Die „A u f m e r k s a mk e i t “ (ENZ, § 448) bezeichnet er hier als den Anfang der Bildung (ENZ, § 448Z), weil dieser Modus des subjektiven Geistes eine Differenz zwischen sich und den Gegenstand seiner Aufmerksamkeit setzt. Die Aufhebung dieser Differenz dekliniert er in theoretischer und praktischer Hinsicht aus. Die theoretische Bildung ist bezogen auf das Denken, die Intelligenz und die Urteilsfähigkeit. „Ein gebildeter Mensch ist ein Mensch, der ‚denkt‘, das heißt, jemand, der die allgemeinen Bestimmungen einer Sache erfassen, sie beurteilen und sich dementsprechende Ziele setzen kann. In praktischer Hinsicht ist ein gebildeter Mensch ein sittlicher Mensch“ (Wigger 2012, S. 84). Beide Hinsichten sind für die jeweiligen Systemteile und der letzte insbesondere für den objektiven Geist notwendige Momente der „s i t t l i c h e n B i l d u n g “ (TW 4, S. 482).
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nicht durch das Individuum selbst in seiner Besonderheit harmonisiert werden kann, sondern durch die „A rb ei t “ (ebd.) des Individuums an der Sache und ins Allgemeine hinein. Das Allgemeine ist die durch Handlungen und Gewohnheiten entstandene zweite Natur, in der sich der Geist in Form von Institutionen verobjektiviert. Telos des Bildungsprozesses ist die „Sittlichkeit“ (ebd.) bzw. die Sphäre des verwirklichten Geistes und der Freiheit, in dem die Entzweiung versöhnt wird. „Die B i l d u n g ist daher in ihrer absoluten Bestimmung die B e f r e y u n g und die A r b e i t der höheren Befreyung, nämlich der absolute Durchgangspunkt zu der, nicht mehr unmittelbaren, natürlichen, sondern geistigen, eben so zur Gestalt der Allgemeinheit erhobenen unendlich subjectiven Substantialität der Sittlichkeit. – Diese Befreyung ist im Subject die h a r t e A r b e i t gegen die bloße Subjektivität des Benehmens, gegen die Unmittelbarkeit der Begierde, so wie gegen die subjective Eitelkeit der Empfindung und die Willkühr des Beliebens. Daß sie diese harte Arbeit ist, macht einen Theil der Ungunst aus, der auf sie fällt. Durch diese Arbeit der Bildung ist es aber, daß der subjective Wille selbst in sich die O b j e c t i v i t ä t gewinnt, in der er seinerseits allein würdig und fähig ist, die W i r k l i c h k e i t der Idee zu seyn. – Eben so macht zugleich diese Form der Allgemeinheit, zu der sich die Besonderheit verarbeitet und herauf gebildet hat, die Verständigkeit, daß die Besonderheit zum wahrhaften F ü r s i c h s e y n der Einzelheit w i r d , und indem sie der Allgemeinheit den erfüllenden Inhalt und ihre unendliche Selbstbestimmung giebt, selbst in der Sittlichkeit als unendlich fürsichseyende, freye Subjectivität ist. Dieß ist der Standpunkt, der die B i l d u n g als immanentes Moment des Absoluten, und ihren Werth erweist.“ (Ebd.)
Hegel befasst sich mit dem objektiven Geist als die Wirklichkeit des Geistes und zweiten Natur insbesondere in seiner Rechtsphilosophie, in der er seinen Begriff der Sittlichkeit entwirft und damit auch die Sozialität der Bildung als ein Abarbeiten der Unmittelbarkeit des natürlichen Seins und der Sitten begreift. In dieser bilden die Gewöhnung und die Arbeit als praktische Bildung in die Gesellschaft hinein mit der theoretischen Bildung als Reflexion seines Selbst im Allgemeinen einen Zusammenhang. Dieser Prozess mündet in der „p o l i t i s c h e n T u g e n d “ (GPR, § 257), in der das Gewissen als moralische und subjektive Überzeugung und die normativen Forderungen der Institutionen des Staates übereinstimmen und sich folglich vernünftige Kooperationsverhältnisse herausgebildet haben, die vom Individuum als solche erkannt werden können. Aufgrund dessen werde ich den Bildungsbegriff aus dem Kontext von Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts diskutieren. Meiner Betrachtung lege ich insbesondere die von Hegel autorisiert veröffentlichte Vorlesung von 1821 zugrunde.
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Bemerkenswert an dieser Definition von Bildung sind nun mehrere Aspekte. (1) Bildung ist ein prozessualer Subjektbildungsprozess, der nicht bloß auf einen individuellen Veränderungsprozess bzw. auf der individuellen Reflexion, „bloße[r] Subjektivität“, beruht, sondern auf eine „subjektive Substantialität der Sittlichkeit“ hinausläuft. Der Begriff der Sittlichkeit kann hier als ein Verhältnisbegriff interpretiert werden, in dem die gesellschaftliche Realität als Wirklichkeit die Konkretisierung der Freiheit sein soll. Es ist „der zu r vo rh an d e n en We l t und zu r N at u r d es S el b s t b e w u s s t s e yn s ge wo rd en e B e g ri f f d er Fr e yh ei t “ (ebd.) Die „subjektive Substantialität“ ist also eine verobjektivierte Subjektivität, in der der Inhalt des Willens des Individuums als sittlicher Wille, mit den Sitten (Gewohnheiten und Praktiken) und ihrer Normativität übereinstimmt. Das Sollen und das Wollen sind hierin nicht different, sondern die sozialen Verpflichtungen werden einerseits unmittelbar gewollt, weil diese andererseits als gut und vernünftig erkannt werden können. In diesem Sinne ist die Sittlichkeit das „lebendige Gute“ und die „h art e A rb ei t “ (ebd.)7 gegen die „Unmittelbarkeit der Begierde“ zur Verallgemeinerung des Selbstund Weltverständnis ein notwendiger bzw. absoluter „Durchgangspunkt“ der Bildung. Subjektivität ist für Hegel hieraus folgend ein relationaler Begriff, indem das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft im Vordergrund steht und mit dem die Vorstellung einer sozialen Handlungsfähigkeit verknüpft ist. (2) Die Objektivität des Geistes als Allgemeinheit sind hiernach ferner die „s i t t l i ch en Mä ch t e “ (ebd., § 144) bzw. die Institutionen, die „an u n d f ü r s i ch s e yen d en Ge s et ze u n d Ei n ri ch t u n g en “ (ebd., § 143). Bildung als Arbeit bzw. „p rakt i s ch e B i l d u n g “ (ebd., § 197) ist hier eine Übung gesellschaftlicher Praktiken und eine Gewöhnung an Institutionen, die „zwe yt e Na t u r “ (ebd., § 151), wodurch ein objektives Selbst- und Weltverständnis sozial vermittelt und vom Individuum erarbeitet wird. Dies wiederum verschafft dem Individuum in der bürgerlichen Gesellschaft die Möglichkeit, seine „Subsistenz“ (ebd., § 199) zu sichern und in Kooperation mit anderen das Allgemeine, den Staat, zu verwirklichen. (3) Bildung als Subjektbildung ist hiermit vielmehr ein sozialphi-
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Adriaan Peperzak schreibt zum Sittlichkeitsbegriff: „Die Kluft zwischen dem bloßen Sollen (§§ 129-134) und dem Sein ist überbrückt, indem das handelnde Individuum das Gute (die Idee der Freiheit, die sich selbst will) als einen eigenen Zweck will und realisiert. Dadurch ist der Begriff der Freiheit vorhanden in der Form einer (zweiten) Natur. Die sittliche Welt ist das Haus, in dem das Selbstbewusstsein sich bei sich weiß (§ 147). Der ,besondere Wille‘ des einzelnen Subjekts (§ 143) ist das Dasein des Geistes, der sich, als höchste Form der Aktivität, unwiderstehlich verwirklicht“ (Peperzak 2017, S. 152).
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losophischer und weniger ein pädagogischer Begriff und ist dadurch nicht allein auf Settings wie etwa Familie oder Schule bezogen.8 Sie bezeichnet vielmehr ein soziales Formierungsprinzip, indem Hegel das Problem von individueller Selbstbestimmung und Fremdbestimmung überwinden möchte. Die Differenz zum aristotelischen Begriff von Sittlichkeit ist, dass Hegel die Legalität und die Moralität, in die Sittlichkeit zu integrieren bzw. aufzuheben sucht (vgl. ebd., § 141). Die Institutionen müssen den teilnehmenden Individuen als Familienmitglieder, als wirtschaftliche Akteurinnen/Akteure, als Rechtspersonen und als Bürger/innen Subjektformen ermöglichen, die ihnen sowohl ein kompetentes Mitwirken erlauben, als auch das Mitwirken als eine Befreiung zu erfahren ermöglichen. Dabei ist der Freiheitsbegriff im Sinne eines Sozialen zu verstehen, indem die Struktur der gemeinsamen Institutionen derart reflexiv ist, dass sich diese als vernünftig erweisen muss (hierzu: Honneth 2013; Neuhouser 2000). Anders formuliert: Der in der Praxis verselbstständigte Willensinhalt wird mit dem des „besonderen Willen“ identisch und dieser Inhalt, die institutionalisierten „G e s et z e u n d Ei n ri ch t u n gen “, können reflexiv im Sinne einer selbstbewussten Identifikation als Selbsterkenntnis eingeholt werden. Wenn diese Bedingung erfüllt ist, ist auch der Geist wirklich und die Gesellschaft bzw. der Staat Wirklichkeit der Vernunft und „Wi r kl i ch kei t der Idee“. Die Bildung als sozialer Formierungsprozess und individuelle Arbeit ist die Integrationsbewegung der Mitglieder der gesellschaftlichen Handlungssphären in einen Raum wechselseitiger Verständigung und Kooperation, die „zweyte Natur“. Dieser Raum ist deswegen sittlich, weil ihre „G es et z e “ als „Mei n i ge “ (GPR, § 11) gewusst
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Für Hegel ist Bildung sowohl ein aktiver, denkender als auch ein Prozess nicht bewusster Gewöhnung durch Teilhabe (vgl. TW 4, S. 482). Der Mensch wird hierbei auch gebildet. Er bildet sich nicht nur. Bezogen auf die Schule als Institution bringt Hegel diese zwei Momente wie folgt in Anschlag: Innerhalb des wissenschaftlichen Unterrichts soll das Denken im Allgemeinen ausbilden, um aus dem „unmittelbaren natürlichen Daseyn“ (TW 4, S. 484) als „formelle Grundlage der moralischen Handlungsweise“ (ebd.) herauszutreten. Der Eintritt in die Schule ist für Hegel darüber hinaus ein Übergang von der Familie in eine soziale Sphäre, in der andere rechtliche Beziehungen und Anerkennungsformen etabliert sind, die die sozialen Akteurinnen/Akteure zur Teilnahme habitualisieren müssen. Die Schule ist demnach „ein besonderer s i t t l i c h e r Z u s t a n d , in welchem der Mensch verweilt und worin er durch Gewöhnung an wirkliche Verhältnisse praktisch gebildet wird“ (ebd.). Dieses Bildungsprinzip ist aber nicht auf die Schule beschränkt, sondern auf das Ganze des verwirklichten Geistes. Die Schule ist „nur“ eine „Mittelsphäre“ (ebd., S. 349), die in die „wirkliche Welt“ (ebd., S. 352) überleitet (vgl. Wigger 1984, S. 142).
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werden können. In der Formierung, „daß der subjective Wille selbst in sich die Ob j ect i v i t ä t gewinnt“, und „in der Sittlichkeit als unendlich fürsichseyende, freye Subjectivität“ ist der „Standpunkt“ der Bildung eingelagert und hierin liegt für Hegel ihr „Wert h “. Die Sozialität der Bildung beruht nun, in Referenz zu Hegel, in den Selbstund Weltverhältnissen, die einerseits funktional auf die institutionell koordinierten Tätigkeiten und Kooperationen bezogen sind, und andererseits normativ im Horizont der Frage auftauchen, inwiefern die gesellschaftlichen Institutionen kooperative Beziehungen figurieren, die von den Individuen als Verwirklichung ihrer und der gemeinsamen Freiheit erkannt werden können. Um nun auf das Spannungsfeld zwischen Anpassung und Autonomie in Bezug auf die Subjektivierung zurückzukommen, könne aus der heutigen Sicht die Subjektivierungsform des „unternehmerischen Selbst“ als Bildungsgestalt verstanden werden. Bildung wäre nicht nur Selbstbildung. Die individuelle Selbstkonstitution müsste im institutionellen Rahmen betrachtet werden, womit Bildung zunächst auf die Gesellschaft verweist und eine sozialontologische Dimension aufweist. Die Frage ist folglich nicht nur, wie Individuen mit Problemen, Herausforderungen und Erfahrungen umgegangen sind und sich dabei gebildet haben, sondern auch wie sie gebildet wurden, welche Beziehungsformen, Handlungsmöglichkeiten sie praktizieren konnten und welche Haltungen und Deutungsmuster damit verbunden sind. Dieser Integrationsprozess nimmt dabei eine ambivalente Form ein, die auch Hegel durchaus bewusst gewesen ist. Hieran lässt sich auch erklären, wieso Hegel zur fortschreitenden Industrialisierung kritisch anmerkt, dass die Ausweitung der bürgerlichen Gesellschaft zu einer „A n h äu f u n g d e r R ei ch t h ü m e r “ (ebd., § 243) führt und die Arbeitsteilung eine „Vere i n z el u n g und B e s ch r än ku n g der besonderen Arbeit und damit Ab h än gi g k ei t und No t h der an diese Arbeit gebundenen Classe“ (ebd.) nach sich zieht. Mit einer für diese Zeit ungewöhnlichen soziologischen Genauigkeit führt er aus, dass das „Herabsinken einer großen Masse unter das Maaß einer gewissen Subsistenzweise“ (ebd., § 244) die „Erzeugung des P ö b el s “ (ebd.) hervorbringe. In dieser „Classe“ verliere das Individuum die Möglichkeit sich als „Mitglied der Gesellschaft“ (ebd.) zu erfahren und dies führe „damit zum Verluste des Gefühls des Rechts, der Rechtlichkeit und der Ehre, durch eigene Thätigkeit und Arbeit zu bestehen“ (ebd.). Der Begriff des „P ö b el s “ ist dabei sowohl eine sozioökonomische Kategorie in Bezug auf Armut als auch ein spezifisches Selbst- und Weltverständnis bzw. eine Gesinnung. Die Reproduktion des „Princip[s] der bürgerlichen Gesellschaft“ (ebd., § 245) macht Hegel von dem „Gefühl ihrer Individuen von ihrer Selbstständigkeit und Ehre“ (ebd.) abhängig. In ihr kommt nun der Widerspruch
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zum Vorschein, „daß bey dem Uebermaße des Reichthums, die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, d.h. an dem ihr eigenthümlichen Vermögen nicht genug besitzt, dem Uebermaße der Armuth und der Erzeugung des Pöbels zu steuern“ (ebd.). Soziale Beziehungen stellen sich hiernach durch identitätsstiftende Anerkennungsverhältnisse her, deren Gehalt, z.B. die Wertschätzung von individueller Leistung in bürgerlichen Gesellschaften, sich in Interaktionen zwischen Individuen und Gruppen habitualisiert. Das Prinzip der Anerkennung wird hier von der individuellen Interaktion gelöst und in ein Verhältnis zu Institutionen gesetzt. Die Subjektivität der bürgerlichen Gesellschaft bildet das Individuum und als „Privatperson“ bildet es sich zur Befriedigung seiner Bedürfnisse, womit der immanente Widerspruch der Ungleichheit und Marginalisierung von Gruppen verstetigt ist. Sicherlich greift hier Hegels Dialektik und mit der „Erzeugung des P ö b el s “ wird der Übergang zum Staat vorbereitet, der als sittlicher Staat die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft aufzuheben in der Lage sei. Trotzdem ist diese sozialontologische Dimension von Bildung bedenkenswert, da sie die sozialen Phänomene nicht bloß auf materialistische und quantifizierbare Kennzahlen oder auf individuelles Wahlverhalten reduziert. In Hegels Bildungstheorie werden Haltungen und Deutungsmuster der Subjektivität in eine historische Dimension eingefasst und gleichzeitig entlang von Widersprüchen und Gegensätzen über diese hinausgetrieben. Neben dem sozialontologischen Selbst- und Weltverhältnis, das auch durch den Begriff der Sozialisation gefasst werden könnte, eröffnet Hegel durch die Aufhebung der Subjektivität in die Sittlichkeit eine Reflexivität und ein Selbstbewusstsein. Er geht davon aus, dass der Begriff des modernen Subjekts die Annahme eines freien Willens voraussetzt, der sich negativ gegen äußere Begrenzung wendet und sich gleichzeitig reflexiv als frei wissen will (hierzu: Kap. 3.6.1). Die Sittlichkeit nimmt nun beide Momente des Willens auf, insofern sie die Wirklichkeit der „Id e e d e r Fr e yh ei t “ (ebd., § 142) sein soll. Die Reflexion ist dabei nicht nur ein subjektives Moment, das es zu integrieren bzw. aufzulösen gilt. Sie ist das Bewegungsprinzip des Bildungsprozesses auf objektiver und auf subjektiver Ebene. Die Negativität des Ichs, dass sich als solches begreifen soll, ist bei Hegel erst mal ohne Gegenstand und abstrakt. Mit der Habitualisierung der institutionalisierten Sitten und Normen konkretisiert sich das Selbstund Weltverhältnis in ein Verständnis seiner selbst, womit das Individuum sich im Prozess der Konkretion wiederum als partikular bzw. in seiner Partikularität wahrnimmt. Hegel spricht von einer abstrakten oder formellen Befreiung, die nur die „Mö gl i ch k ei t“ (ebd., § 10) oder das „V ermö g en “ (ebd.) aber nicht Realität der Freiheit ist. Sie bleibt ein „A b s t ra ct u m “ (ebd.), und damit unbestimmt. Die Frage nach dem „wahrhaften Fü rs i ch s e yn der Einzelheit“ bleibt
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solange offen, wie sich die Ich-Identität nicht zu einem Ganzen schließt bzw. der „Wille sich selbst zum Gegenstand hat“ (ebd.). Dies ließe sich nun derart verstehen, dass das sich bildende Subjekt in den differenten, sozial konkretisierten Beziehungen in seiner Begrenztheit und Abhängigkeit gewahr wird, solange es sich nicht mit einem begründeten sittlichen Ganzen identifizieren und das gemeinsame Handeln als sein eigenes erkennt. In diesem Moment der Identifikation aber erreicht es nicht nur ein vorläufiges epistemisches Selbst- und Weltverständnis, in dem es Gründe für die Identifizierung mit einem institutionellen Zusammenhang bzw. einer Lebensform angeben kann, sondern nach Hegel eine endgültige, eine „substantielle Subjectivität“. Hier ist das Individuum nicht nur dem Begriff bzw. der Erscheinung nach frei. Vielmehr sei die Freiheit als Idee verwirklicht. Diese Dialektik zwischen „Selbstvergewisserung und Selbstentzug“ (Schäfer 2011, S. 43), wie es Alfred Schäfer charakteristisch für Bildungsprozesse formuliert, perpetuiert sich nach Hegel nur dann, wenn Bildung als ein rein subjektiver Begriff verstanden wird, der sich über die Negativität definiert. Erst in der Objektivierung bzw. in einer gesellschaftlichen Form kann sich das Subjekt für Hegel zu seinem Willen in ein Verhältnis setzen und die Erkenntnis über seine Freiheit erlangen. Dies bedeutet, dass die Institutionen danach befragt werden müssen, ob die Selbst- und Weltverständnisse, in die Individuen sich hineinbilden und die sie gemeinsam bilden, Kooperationsverhältnisse ermöglichen, in denen sich die Teilnehmenden als „Mitglied[er] der Gesellschaft“ wahrnehmen können. Hegel beansprucht damit durchaus ein „qualitatives ‚Was‘ der Bildung“ (ebd., S. 45) anzugeben, welches sich auf die Konstitution des Allgemeinen bezieht. Die Frage ist nun, wer in Hegels Konzeption über die Wahrheit des Allgemeinen entscheidet und wer über die Adäquatheit der Gründe befindet. Dies ist aus seiner Betrachtung heraus die „Philosophie“ (GPR, § 141), die für die Beweisführung der „Wahrheit des Freyheitsbegriffs“ (ebd.) verantwortlich ist. Es ist das philosophische Wissen, das die „Fo r m d e r Al l g em ei n h ei t , d i e Ve rs t än d i g kei t “ (ebd., § 187) als solches bestimmen kann und die den Individuen „die Gew i ß h ei t ihrer Freyheit“ (ebd., § 153) nachweisen können soll, womit dieses Wissen zu Herrschaftswissen wird.9 Dies tritt besonders vor Au-
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Bildung ist hier nicht nur auf soziale Kooperation verwiesen. Sie geht mit dem Anspruch auf „Allgemeingültigkeit und Vernünftigkeit“ (Pleines 1983/1998, S. 167) darüber hinaus. Aus der Sicht von Pleines bahnt sich für Hegel schon in der antiken Sophistik das moderne Wissenschaftsverständnis an, von dem aus sich der „Übergang vom allgemeinen zum philosophischen Bewußtsein vollzieht“ (ebd., S. 168).
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gen, wenn der Begriff des Staates und die Legitimation der Monarchie in einen Kontrast zu demokratischen Regierungsformen gesetzt werden. Ihm nach dürfe nur „die Philosophie diese Majestät denkend betrachten, denn jede andere Weise der Untersuchung, als die speculative der unendlichen, in sich selbst begründeten Idee, hebt an und für sich die Natur der Majestät auf“ (ebd., § 281). Das Wahlrecht bezeichnet er hingegen als die „schlechteste der Institutionen“ (ebd.), da die Wahlentscheidung durch den „particulaire[n] Wille[n]“ (ebd.) die „Schwächung und de[n] Verlust der Souveränität des Staats“ (ebd.) bedeute. Diese Schließung des Bildungsprozesses in der politischen Herrschaft, die eben nur dann als absolut gesetzt werden kann, wenn sie sich dem individuellen Willen und der Problematisierung verschließt, konstituiert die eigentümliche Ambivalenz von Hegels Gesellschaftstheorie. Aus ihr können nur in dem Moment gedankliche Anregungen für eine Reaktualisierung erschlossen werden, wenn das Primat des Allgemeinen problematisiert und Hegel nicht abgenommen wird, dass die historische Gestalt der preußischen Monarchie das Ende der Geschichte darstellen soll. Wenn nun davon abgesehen wird, ließe sich allerdings ein doppeltes Kritikverständnis erstens aus der Verengung und zweitens aus der Sozialität der Bildung herleiten. (1) Negativ gelesen kann nämlich Hegels Verengung als ein spezifisches Problem von Sakralisierung gesellschaftlicher Modelle gedeutet werden, in der eine symbolische Überhöhung einer historischen Regierungsform absolut gesetzt wird, um die Möglichkeit von Verhandlung und von gesellschaftlicher Transformationen zu schließen. Es ist dann der Staat, der seine Gewalt durch die Vergewisserung (in Hegels Theorie) der Philosophie setzen kann. In diesem Moment wird die Regierungsform zu einer ahistorischen, unhinterfragbaren gesellschaftlichen Ordnung. Dies gilt auch für eine Demokratie, deren Verabsolutierung den Sachverhalt verschleiert, dass diese auch historisch genesen ist und dass diese sich auch argumentativ reproduzieren muss, um nicht selbstwidersprüchlich zu werden. (2) Solange der Bildungsprozess in seiner Sozialität als Gewöhnung an die Sitten und als Abarbeitung von der Unmittelbarkeit der Sitten, der praktischen Bildung als Gewöhnung und theoretischen Bildung als „Bildung des Verstandes“ (ebd., § 197) thematisiert wird, entsteht durch die Aufgabe von Hegels Idealisierung eine Entmythologisierung des Bildungsprozesses, in dem Bildung nicht nur für individuelle Transformationen reserviert ist, sondern Aneignung von Kompetenzen und Wissen für die Teilhabe an gesellschaftlichen Praktiken zur Bildung gezählt werden muss. Gleichzeitig impliziert diese Perspektive eine Reflexivität, die nach Widersprüchen innerhalb der Institutionen und der sozialen Systeme zu fragen erlaubt und gesellschaftskritische Einsätze denkbar werden lässt. Gesellschaftskritik ist dabei kein notwendiges Resultat, sondern eine Möglichkeit. Bildungsprozesse in diesem Sinne
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können auf Anpassung und Unterordnung, wie auch auf kritische Positionierungen hinauslaufen. Aufgrund dieser Offenheit kann der Bildungsbegriff auch als ein ambivalenter betrachtet werden. Um noch einmal auf das Beispiel mit der Subjektivierungsform des „unternehmerischen Selbst“ zurückzukommen, könnte diese im Horizont von Hegels Bildungsverständnis als eine Bildungsgestalt verstanden werden, da die optimierende Selbstregulation zur Teilhabe an einer neoliberalen Wirtschaftsform befähigt. Es könnte aber auch zugleich gefragt werden, welche Probleme mit einer rein egologischen Selbstoptimierung bezogen auf den gesellschaftlichen Kontext verbunden sind.10
1.3 KONZEPTION UND FORSCHUNGSSTAND In der folgenden Studie wird es mir aber nun weniger um eine hermeneutisch historische Interpretation von Hegels Bildungstheorie gehen, als die systematische Bearbeitung der Problemstellungen, die mit dieser verbunden sind. Eine grundlegende Problemstellung lässt sich über die sozialontologische Dimension von Hegels Bildungsphilosophie annähern und bezieht sich auf das Verhältnis von Anerkennung und Institutionen. Der Begriff der Anerkennung ist ein Grundbegriff der hegelianischen Sozialphilosophie, in der er das Problem der Subjektbildung als Entäußerung und als Prozess konfiguriert (hierzu: Quante 2009). Mit diesem wird das Paradox thematisiert, dass das Subjekt sich erst über die Freigabe des anderen als urteilsfähiges und freies Subjekt erfahren kann. Das
10 Bildungstheoretische Ansätze, die in der Tradition von Heydorn am „Widerspruch“ (Heydorn 1972, S. 14) der Bildung ansetzen und diese in ihrer „Herrschaftsfunktion“ (ebd., S. 16) und als „Instrumentarium der Befreiung“ (ebd.) betrachten möchten (Bsp.: Sünker 2003; Euler/Pongratz 1995), denken Bildung und Sozialität zusammen, da Heydorns Annahme, „Aneignung und Befreiung sind aufeinander verwiesen“ (Heydorn 1972, S. 143), Bedingung für Gesellschaftskritik wird. Heydorns Perspektive ist mit der Gewissheit verbunden, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse revolutioniert werden müssen, um den „Kapitalismus“ (ebd., S. 147) aufzuheben und um die kollektive „Erfahrung von Selbstbewußtsein“ (ebd.) zu entfalten. Ohne ein „revolutionäre[s] Subjekt“ (ebd.) würde Bildung in einer „Ausbeutungsfreiheit“ (ebd., S. 149) stehen bleiben. Die materialistische Dialektik Marx, die hier in Anschlag gebracht wird, ist durch eine grundierende Gewissheit von gesellschaftlicher Unterdrückung gekennzeichnet, die ich nicht als gegeben voraussetzen möchte. Auch wenn hier Bildung mit einem reflexiven Moment entfaltet wird, der kritische Bezugnahmen denkbar werden lässt, ist diese nicht an einem revolutionären Telos ausgerichtet.
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Selbstbewusstsein muss sich also immer aus sich heraus bewegen und bleibt auf das Bewusstsein des anderen und dessen Anerkennung verwiesen. Diese Entäußerungs- bzw. Entfremdungsfigur lässt sich nur über ein reziprokes Verhältnis überwinden, in dem jedes Subjekt den jeweiligen anderen als freies und urteilsfähiges Subjekt anerkennt, um selbst von anderen als ein solches anerkannt zu werden. Fichte entwirft auf dem Fundament dieses Gedankenmodells seine Rechtsphilosophie, an der Hegel anknüpft. Allerdings möchte er die quasi kantische Differenz von Anerkennung und Anerkennungswürdigkeit überwinden, da Anerkennung für Hegel nicht nur eine formale Bestätigung ist, sondern vielmehr als eine „stellungnehmende Reaktion“ (Wingert 2012, S. 92) gedacht werden muss, die sich in einer evaluativen Form auf Eigenschaften, Fähigkeiten, Sachverhalte oder Gegenstände bezieht.11 In diesem Kontext definiert Christoph Halbig Anerkennung als Verhältnis, in dem eine Person X eine andere Person Y in Bezug auf eine Eigenschaft Z lobt, wertschätzt, respektiert, toleriert etc. (vgl. Halbig 2011, S. 303). Die hegelianische Sittlichkeitstheorie integriert nun insbesondere im Rahmen seiner Rechtsphilosophie diese potenziell dynamische Anerkennungstheorie, die an einem interaktionistischen Ich-Du-Verhältnis ansetzt (vgl. Halbig 2011), in eine strukturelle Perspektive von einem Ich-Wir-AnderenVerhältnis der Institutionen (vgl. Quante 2011, S. 251). Hierdurch kommen nun drei Probleme in den Blick. Erstens klammert das Anerkennungsparadigma mit der systematischen Verankerung des Selbstverhältnisses in einen intersubjektiven Zusammenhang auf der einen Seite einen Subjektivismus bzw. die Annahme eines vorgängigen absoluten Subjekts zwar aus. Auf der anderen Seite setzt Anerkennung Subjekte voraus, die sich gegenseitig erkennen und anerkennen. In der Dialektik von zentrierender und dezentrierender Subjektivität werden die Interaktionsverhältnisse zweitens aufgrund des Wissens um die wechselseitige Abhängigkeit konflikthaft. Ferner erklärt sich die Konflikthaftigkeit der intersubjektiven Beziehungen vermittelt durch Anerkennung über die Frage nach Ankennungswürdigkeit bzw. Anerkennbarkeit. Diese Frage lässt sich darüber hinaus nur über die Wir-Formationen beantworten, über die die Individuen sich wechselseitig verstehen lernen. Mitglied einer bürgerlichen Gesellschaft zu sein,
11 Hegel sagt hierzu in der Phänomenologie des Geistes: „Diese G l e i c h h e i t mit Allen ist daher nicht jene Gleichheit des Rechts, nicht jenes unmittelbare Ankerkanntseyn und Gelten des Selbstbewußtseyns, darum weil es i s t ; sondern daß es gelte, ist durch die entfremdende Vermittlung, sich dem Allgemeinen gemäß gemacht zu haben. Die geistlose Allgemeinheit des Rechts nimmt jede Weise des Charakters wie des Da Ӏ seyns in sich auf, und berechtigt sie. Die Allgemeinheit aber, welche hier gilt, ist die gewordene, und darum ist sie w i r k l i c h “ (PhG, S. 267).
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bedeutet für Hegel auch, die individuelle Leistung als Beitrag anerkannt zu erfahren. Anerkennung kann letztlich ohne ihre institutionelle Konkretisierung nur als ein rein abstraktes Prinzip definiert werden. In ihrer Konkretion bleibt sie aber weder bei einer rechtlichen Figuration, noch bei einer rein moralischen Haltung stehen, sondern gibt darüber Aufschluss, was es bedeutet an Institutionen und sozialen Kooperationsverhältnissen teilzuhaben sowie was es bedeutet, soziales Mitglied dieser Institutionen zu sein und als Akteur/-in eine Sozialität auszubilden. Die eigentliche Spannung des Verhältnisses von Anerkennung und Institutionen liegt dabei zwischen der individuellen Selbstbestimmung als Möglichkeit, von Kooperationsaufforderungen zurückzutreten und diese an individuelle Entscheidungen zurückzubinden, und der Identifikation mit dem sittlichen Wir als Bedingung für eine Orientierung am Allgemeinen. Dies ist Gegenstand des zweiten Kapitels, um einerseits die institutionelle Bedingtheit von Anerkennung als solche zu thematisieren und andererseits Argumentationsfiguren zu analysieren, die sich um Antworten bemühen, einen Weg zwischen individualistischer Vereinzelung und kommunitärer Aufhebung zu entwickeln. Untersucht werden hierzu folgende Studien: Frederick Neuhousers Studie Pathologien der Selbstliebe, die sich entlang einer Rekonstruktion von Rousseaus Philosophie mit institutionalisierten Anerkennungsformen und deren sozialen Ambivalenzen auseinandersetzt, Ludwig Sieps Studie Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, in der entlang einer Rekonstruktion von Hegels anerkennungstheoretischer Argumentation eine kritische Institutionentheorie zu entwerfen versucht wird, um die praktische Philosophie theoretisch zu erneuern, und Axel Honneths Studie Das Recht der Freiheit, in der er Hegels Begriff der Freiheit als eine soziale Freiheit interpretiert und die Idee einer demokratischen Sittlichkeit entwirft. Nun ist die Rezeption von anerkennungstheoretischen Ansätzen in der Erziehungs- und Bildungsphilosophie wie auch in der Erziehungswissenschaft sehr weit gediehen. Der Begriff der Anerkennung wird im Diskurs als eine „zentrale Dimension pädagogischer Theorie und Praxis“ (Hafeneger 2002, S. 8) gehandelt, da pädagogische Institutionen in einem „hohen Maße durch Anerkennung geprägt“ (Schonville/Thole 2009, S. 140) seien. Eine adäquate Darstellung der Thematisierungsweisen würde hier den Rahmen sprengen (hierzu: Balzer 2014). Der Diskurs kann aber grob zwischen einer normativen Verwendungsweise der Anerkennung und einer eher machttheoretisch inspirierten Verwendungsweise differiert werden, wobei nach Benner eine institutionelle Bestimmung von Anerkennung speziell für pädagogische Settings ein Desiderat darstellen würde (vgl. Benner 2017). Bildungstheoretische Perspektiven, die systematisch auf den Anerkennungsbegriff rekurrieren, wurden von Eva Borst (2003), Krassimir
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Stojanov (2006), Norbert Ricken (2012) und Eva-Maria Klinkisch (2014) entworfen. Borst, Stojanov und Klinkisch stellen sich in die Tradition von Honneth und dessen intersubjektiven Anerkennungsbegriff. Borst verfolgt in ihrer Studie Anerkennung des Anderen als Problem des Unterschieds von 2003 die Absicht den Anerkennungsbegriff als eine „zentrale erziehungs- und bildungstheoretische Kategorie einzuführen“ (Borst 2003, S. 11) und stellt diesen in den Mittelpunkt der „Dialektik von Erziehung und Bildung“ (ebd., S. 217). Sie hebt hierbei auf einer geschlechtstheoretischen Perspektive der Anerkennung von Differenzen ab. Als bildungstheoretisches Ziel behandelt sie die Möglichkeit, „die geschlechtsdichotomischen Zuschreibungen aufzubrechen und andere Lebensformen anzuerkennen“ (ebd., S. 9). Dieses Ziel glaubt sie über der Reflexion von Anerkennungsprozessen ausgeben zu können, die sie durch Jessica Benjamins Psychoanalytik und Heydorns kritischer Bildungstheorie zu vermitteln versucht. Im Prozess eines sich in Macht- und Herrschaftsverhältnissen bildenden kritischen Subjekts könnten hegemoniale Strukturen in den Blick rücken und eine „Kultur der Anerkennung“ (ebd., S. 225) entstehen. Diese wiederum könne eine „humane Haltung und humanitäres Handeln“ (ebd., S. 181) hervorbringen. Auch an einem normativen Anerkennungsbegriff interessiert ist Stojanov in seiner Studie Bildung und Anerkennung von 2006, wenngleich er seine Diskussion auf die Frage des Weltbezugs aus anerkennungs- und bildungstheoretischer Sicht hin verdichtet. Hierbei möchte er mit Honneth und Brandom eine Brücke zwischen „der Entwicklung von Selbstbeziehungen und der Erschließung von Welt“ (Stojanov 2006, S. 14) schlagen. Stojanovs bildungstheoretische Perspektive intendiert im Telos die Genese einer Subjektivität und die Teilhabe einer diskursiven Praxis „propositionaler (Selbst-)Artikulation“ (ebd., S. 202) bzw. eines Gebens und Nehmens von Gründen, die abhängig von „bildungsstiftende[n]“ (ebd., S. 13) Interaktionsformen seien. Klinkisch erweitert Honneths Anerkennungstheorie aus einer bildungssoziologischen Perspektive in ihrer Studie Halbbildung oder Anerkennung von 2014 um die Frage nach der Anerkennbarkeit und der Verstrickung von Anerkennung in „Herrschaftsstrukturen, Heteronomie und Entfremdung“ (Klinkisch 2014, S. 79). Sie skizziert eine Art zweistufiges Kritikverständnis, indem auf der ersten Stufe die Anerkennungsverhältnisse und Missachtungen als bedingende und blockierende Faktoren für Bildungsprozesse begriffen und kritisierbar werden. Auf der zweiten Stufe, in der sie von Honneth auf Adorno und Horkheimer zurückgeht, möchte sie durch eine Reflexion des „Nicht-Identischen“ auf problematische Folgen der Vereindeutigung von Anerkennungsverhältnissen mit dem Begriff der Halbbildung aufmerksam machen und eine bildungssoziologische Perspektive entwerfen, „die
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gesellschaftliche Widersprüchlichkeit als solche anzuerkennen“ (ebd., S. 228) habe. Die Studie von Norbert Rickens Bildsamkeit und Sozialität von 2012 steht im Kontrast zu den vorangegangenen Perspektiven, weil diese Bildung explizit nicht entlang eines normativen Anerkennungsbegriffs figuriert, sondern versucht, anhand der anthropologischen Reflexionen über die „Fähigkeit zum Zeigen wie auch [die] elementare Fähigkeit zur Kooperation“ (Ricken 2012, S. 342) die „soziale Konzeption des Menschlichen“ (ebd.) zu erklären. Hierbei möchte er die Schnittstelle zwischen dem Außen und dem Innen des individuellen Formierungsprozesses beleuchten, den der Begriff der Bildsamkeit markieren würde. Die Schwierigkeit macht Ricken am Subjektbegriff fest, insofern „das Ineinander von Selbsttätigkeit und Fremdbedingtheit, von Autonomie und Heteronomie“ (ebd., S. 336) eine Klärung verdunkeln würde. Bildsamkeit bleibt für Ricken solange ein Surrogat, solange nicht eine „relationale Bestimmung von Bildsamkeit“ (ebd., S. 337) entwickelt werde. Hierfür ergänzt er den anthropologischen Sozialitätsbegriff von Michael Tomasello mit Judith Butlers Adressierungs- und Körpertheorie, die das „Denken des souveränen Subjekts“ (ebd., S. 348) überwinden und mit der Reflexion von „Verletzbarkeit und Macht“ (ebd.) den Blick des klassischen „Bildungsdiskurs[es]“ (ebd.) erweitern würde. Die bildungstheoretische Perspektive, die hier in Kapitel 3 und 4 entfaltet wird, zielt darauf ab, die Sozialität der Bildung hervorzuheben, und weist damit eine gewisse Nähe zu Rickens Bildsamkeitsbegriff auf, da auch hier die Integration in Kooperationsverhältnisse im Fokus steht und der Begriff der Bildung eine Ambivalenz erfährt. Allerdings würde der Bildungsbegriff vollständig in den Sozialisationsbegriff übergehen, wenn dieser im Integrationsparadigma stehen bleiben würde. Die Reflexivität ist im Kontrast hierzu ein weiteres Moment von Bildung, welches die klassischen Semantiken der Selbstbestimmung und Freiheit aufnimmt. Es wird nun im dritten Kapitel darum gehen, einerseits eine Perspektivverschiebung von der strukturellen Ebene der Institutionen auf das individuelle Selbst- und Weltverhältnis und deren Vermittlung über die Sozialität vorzunehmen und andererseits deren Verhältnis zur Reflexivität bzw. zur Möglichkeit kritischer Positionierungen zu diskutieren. Dabei werde ich nicht auf das kritische und entlarvende Potenzial des Halbbildungsparadigmas zurückgreifen, so wertvoll dieser Beitrag ist. Es wird auch nicht darum, gehen Bildung auf das ahistorische Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen zu vereidigen, auch wenn die Frage nach Diskursivität und der Möglichkeit reflexiver Kommunikationsformen auch hier ein zentraler Punkt ist. Demgegenüber soll die Reflexivität immanent aus der Gewöhnung an die Sitten selbst verstanden werden bzw. die Idee einer begrenzten Rationalität verfolgt werden, die sich ihrer historischen Vermitteltheit bewusst bleibt. Zur Betrachtung dieser Dimension in Kapitel 3
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wird neben einem begrifflichen Überblick die theoretischen Überlegungen Axel Honneths, mit dessen Theorie Sozialität als eine befreiende Kooperation gefasst wird, Judith Butlers, deren machttheoretische Einsätze die Skizze einer ambivalenten Sozialität ermöglichen und einer praxistheoretischen Perspektive Robert Pippins und Rahel Jaeggis, die Sozialität mit einer Problematisierungsfigur verbinden, die die Frage nach Gründen für das Scheitern von Praktiken eröffnet, herangezogen. Bildungstheoretisch grundiert werden diese Überlegungen abschließend auf der Folie der aus der hegelianischen Bildungstheorie hergeleiteten Bildungsdimensionen, (1) dem sozialontologischen Selbst- und Weltverhältnis, (2) dem epistemischen Selbst- und Weltverhältnis und (3) dem epistemischen Selbst- und Weltverständnis. Hierbei fordert die letzte Dimension womöglich den größten Widerspruch heraus, da sie die Fragen nach Wissen und Wahrheit impliziert. In Anbetracht der aktuellen Fragen jedoch um die demokratische Willensbildung und das „Postfaktische“ (hierzu: Bünger 2017) erscheint aus der hier vertretenen Perspektive die Beschäftigung mit reflexiven Kommunikationsformen und gemeinsamer Problembearbeitung hoch aktuell. Der strategische Entwurf von Ideologien und Gegenideologien mag aus einer inferioren Diskursposition eine Option sein, sichtbar zu werden. Sie bleibt aber in einer agonalen Logik des wechselseitigen Ausmanövrierens verhaftet, in der auch kein sachlicher Gehalt dessen, was eigentlich verhandelt werden soll, präsent ist. Gerade die Perspektive, Bildung als Arbeit an der Sache zu verstehen und Fragen nach Problembeschreibungen und Problemlösungen zu stellen, die nicht unabhängig von symbolischen Deutungsmustern sind, bietet möglicherweise eine Option zumindest die Beliebigkeit von rhetorischen Begründungen einzuklammern In diesem Kontext muss aber auch das Problem behandelt werden, inwiefern eine solche Perspektive wiederum Gefahr läuft, Herrschaftswissen zu werden. Das letzte Kapitel (4) dient dazu, die hier entwickelte bildungstheoretische Perspektive durch die Abgrenzung zu anderen bildungstheoretischen bzw. -philosophischen Einsätze zu klären und zu schärfen. Im ersten Schritt wird die individuelle Verengung des transformatorischen Bildungsbegriffs fokussiert und speziell an Winfried Marotzkis strukturaler Bildungstheorie diskutiert. Mit der theoretischen Ausrichtung Stojanovs am Weltbezug und an Bildung als reflexive Selbstartikulation entsteht eine gewisse theoretische Nachbarschaft zu der hier vorgestellten Perspektive. In Auseinandersetzung mit dieser soll jedoch die Historizität der diskursiven Praxis herausgestellt werden. Zuletzt wird die Relevanz der Problemlösungsperspektive in Abgrenzung zu radikaldemokratischen und postmodernen Theorieeinsätzen herausgestellt, für deren Diskussion auf die Kritik an dieser Perspektive von Alfred Schäfer referiert wird. Hierbei wird
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herausgearbeitet, dass ein ambivalenter Begriff der Bildung, in einem kritischen Rekurs auf Hegel, Bildung aus der individuellen Transformationslogik löst, die institutionelle Perspektive stärkt und eine gesellschaftstheoretische Einbettung von Bildungsbegriffen ermöglicht. Des Weiteren wird dargelegt, dass Bildung ohne einen starken Fortschrittsoptimismus verknüpft wird; Bildung muss nicht teleologisch in einer kritischen Haltung oder in Kritik aufgehen. Mit ihr erscheint eine problembezogene Reflexivität aber denkbar.
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Das Verhältnis von Anerkennungsund Institutionentheorie
Anerkennung wird in der Regel intersubjektivistisch gedeutet. Grob wird sie hier als ein bestätigender und/oder bewertender verbaler oder nonverbaler Akt zwischen mindestens zwei Subjekten bezogen auf Eigenschaften, Fähigkeiten, Leistungen etc. definiert, dem ein wechselseitiges Zusprechen von Urteilsfähigkeit bzw. von Adressierungsfähigkeit vorausgeht. Dieser identitätsstiftende Zusammenhang wird anerkennungstheoretisch different gedeutet. Pollmann unterscheidet hier zwischen einer „normative[n] Stoßrichtung“ (Pollmann 2008, S. 29) und einem „pejorativen Intersubjektivismus“ (Pollmann 2008, S. 30). Die „normative Stoßrichtung“, die Pollmann Honneths Anerkennungstheorie zuspricht, würde den identitätsstiftenden Effekt von Anerkennung als eine Ermöglichung eines „angemessenen Bewusstsein[s]“ (ebd. S. 30) bewerten. Derart gefasst wird die Anerkennung in einem sozialontologischen und anthropologischen Zusammenhang gebracht, in den das Subjekt in der Entwicklung seines Selbstbewusstseins gelangt, wenn es sich selbst über andere erkennen und schätzen lernt. Der „pejorative Intersubjektivismus“, der kennzeichnend für eine Theoriebildung innerhalb der poststrukturalistischen Tradition ist, lehnt die identitätsstiftende Prämisse mit dem Hinweis ab, dass die Idee „einer stabilen Ich-Identität“ selbst ein hegemonialer, sozialer Machtmechanismus ist, der das Individuum auf spezifische Identitätsnormen festlegt und mit dieser Festlegung ideologische soziale Ordnungen stabilisiert und verfestigt. Prominent wäre hier die Adressierungstheorie von Butler zu nennen. Hiervon unterscheiden lassen sich aus meiner Perspektive aber Theorien, die Anerkennungsverhältnisse nicht bloß intersubjektiv verstehen, sondern einspannen in ein institutionelles Verhältnis. Die Kritik an der interaktionistischen Struktur von Anerkennungstheorie ist, dass der institutionelle Rahmen aus dem Blick geraten würde (vgl. Wigger 2011). Hierdurch würde sich eine dichotome Diskursstruktur ergeben, in der Anerkennung auf der einen Seite zur moralischen
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Forderung oder auf der anderen Seite zur Erklärung fluider Machtdynamiken herangezogen wird, deren Vokabular in der wechselseitigen Unterwerfung und Überordnung verbleibt. Identitätsstiftung scheint hier per se positiv oder per se kritisch bewertet zu werden. Obwohl schon Honneth in seiner frühen Studie Kampf um Anerkennung Anerkennungsformen wie Liebe, Recht und Wertschätzung mit inhaltlichen Aspekten anreichert, richtet er hier sein Augenmerk auf eine formale Sittlichkeitskonzeption, die sich dem liberalen Diktum der Neutralität gegenüber Ideen des guten Lebens verpflichtet sieht. Aus dieser interaktionistischen Justierung heraus bleibt, ob kritische oder affirmative Anerkennung, ein Abstraktum, das auf die sozialen Praktiken appliziert wird. Ein alternativer Vorschlag ist die Betrachtung der Anerkennung als ein Strukturierungsmoment von Institutionen bzw. eine Einlagerung dieser in normative Bezugshorizonte, die den sozialen Raum konstituieren und in diesem produziert, reproduziert und verändert werden. In dieser Betrachtungsweise wird eine alternative Relation zwischen Anerkennungs- und Institutionentheorie ausgelotet. Die Produktivität einer entsprechenden institutionellen Perspektive liegt aus der hier vertretenen Sichtweise darin, dass Anerkennungsverhältnisse nicht ohne ihre soziale Kontextualisierung betrachtet, analysiert und möglicherweise auch kritisiert werden können. Hiernach steht nicht nur die Angemessenheit oder Unangemessenheit individuellen Handelns oder die notwendig scheiternde Adressierung im Blickpunkt, sondern die normative Infrastruktur von Institutionen und die Identitäten, die diese stiften. In ihr wird ferner eine Verhältnisbestimmung zwischen einem interaktionistischen Verhältnis, Ich und Du, und einem strukturellen Verhältnis, Ich, Wir und die anderen, unternommen. Studien, die eine Verschränkung der dynamischen Struktur von Anerkennungsbeziehungen unter Berücksichtigung der strukturellen Ebene von Institutionen versuchen, sind Pathologien der Selbstliebe von Frederick Neuhouser (übersetzt 2012), Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie von Ludwig Siep (1979/2014) und Das Recht der Freiheit von Axel Honneth (2011). Allen drei Ansätzen ist gemein, dass sie sich mit Fragen sozialer Kooperation und dem hierfür notwendigen Rahmen beschäftigen. Siep und Honneth verwenden in der Tradition Hegels hierfür den Begriff der Sittlichkeit (vgl. Menke 2008). Mit dem Begriff der Sittlichkeit und auch dem Kooperationsverständnis von Neuhouser wird eine Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft fokussiert, das soziale Beziehungen in eine Relation von Anpassung und Distanzierung konfiguriert, ohne beiden Seiten jeweils ein Primat zuzusprechen. Die menschliche Sozialität als eine Abhängigkeit des Einzelnen von einer gemeinsam gestalteten, sozialen Realität und die gleichzeitig notwendige Ermöglichung von Reflexion, Distanz und Non-Konformität können als Grundgedanken aller
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drei Theorieansätze vorweggenommen werden. Im Prinzip handelt es sich um das Grundproblem Hegels und den von ihm diagnostizierten Widerspruch der Moderne, welcher darin besteht, dass sowohl eine vernunftrechtliche Konzeption mit einem abstrakten Sollen als auch die individuelle Interessens- und Bedürfnisbefriedigungen dem Deutungsrahmen der Herrschaft und des Zwangs verhaftet bleiben. Beide, die universelle Reflexion und die praktische Beherrschung der Umwelt, berufen sich in der Überwindung des Zwangs auf die Vernunft und bringen gleichzeitig wieder Herrschaft hervor. Das Freiheitsversprechen der Modernen bleibt folglich uneingelöst (vgl. ebd., S. 1181). Die Sittlichkeit ist Hegels Antwort, in der die eingespielten Gewohnheiten, die die soziale Praxis durchziehen, nach ihrer Rationalität bzw. nach der Aufhebung dieses Gegensatzes befragt werden. Er versteht diese als „Gesamtheit der Sitten“ (Honnefelder 2011, S. 508), die historisch entstanden und sozial eingespielt sind, und aus der sich das konkrete und praktische Selbst- und Weltverständnis der Individuen speist. Hegel möchte folglich die historische Positivität der Sittlichkeit mit der kritischen subjektiven Rationalität durch die Fundierung der Moral in einem intersubjektiv strukturierten Anerkennungsverhältnis und der Annahme einer immanenten Rationalität bzw. einer individuellen Autonomie versöhnen. Nach Menke lassen sich nun zwei theoretische Strategien ausfindig machen, die an diesem Sittlichkeitsbegriff anknüpfen, eine (1) anerkennungstheoretische Deutung und eine (2) praxistheoretische Deutung von Sittlichkeit. Als Vertreter des anerkennungstheoretischen Ansatzes führt er Ludwig Siep (1979), Andreas Wild (1982) und Axel Honneth (1992) an, die die „subjektivitätskonstitutiven Prozesse und Gestalten sozialer Vereinigung“ (Menke 2008, S. 1183) aus der Theorieperspektive einer wechselseitigen Anerkennung interpretieren. Die praxistheoretische Deutungsvariante weise auf die Bedingtheit der Autonomie als eine soziale Praxis hin und ziele auf die „normative Auszeichnung bestimmter, eben autonomie- oder freiheitsverbürgender sittlicher Praktiken“ (ebd., S. 1184) ab. Hier nennt er u.a. Schriften von McDowell (1994), Henrich (1963), Riedel (1973), Pippin (1997; 2000) und Pinkard (2001; 2002). Insbesondere die letzte Lesart lässt sich auf den besonders umstrittenen Punkt ein, auf Hegels Geistphilosophie und der auf dieser basierenden Legitimation von Institutionen als Verwirklichung der Vernunft und der Freiheit. Ernst Tugendhat, der Hegels Sittlichkeitskonzeption als „totgeborenes Kind“ (Tugendhat 1993, S. 206) und deren Inkompatibilität mit modernen Begründungsfiguren der Egalität und der Individualität darzustellen versucht (vgl. ebd., S. 225), ist stellvertretend für eine Reihe von hegelkritischen Positionen, die die totalisierende „Einheitsvision“ (Quante 2011, S. 293) zwar zu Recht ablehnen, aber diese zugleich mit Hegels Theorie als solche gleichsetzen. Michael Quante und Robert Pippin zeigen in ihren Hegel-
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interpretationen, dass Hegels Sittlichkeitsbegriff gerade über die individuelle Autonomie vermittelt sei. Die Reflexivität und die „Einsicht durch Gründe“ (ebd., S. 295) sei nach Quante ein Moment des Gewohnheitsprozesses selbst und Pippin macht darauf aufmerksam, dass es das Moderne von Hegels Denken, die Negation der Krise und der wechselseitige Bezug von „Autorität und Freiheit“ (Pippin 2016, S. 288) sei. Nach Pippin wäre es eine Fehleinschätzung von Hegels Freiheitskonzeption, wenn sie auf Gewohnheitsrechts vereidigt würde (vgl. ebd.).1 Die Theorien, insbesondere von Siep und Honneth, nehmen von beiden Positionen Argumente auf und entwerfen eine Brücke zwischen Anerkennungstheorie und Praxis- bzw. Institutionentheorie. Während Siep trotz einer hohen Skepsis gegenüber Hegels Freiheitsbegriff dessen historische Dimension und eine Wechselwirkung zwischen Individuum und institutionalisiertem Wir verfolgt, geht Honneth in seiner Hegel-Rezeption weiter und versucht dessen Freiheitsbegriff zu reaktualisieren. Er schließt sich hierbei einerseits der praxistheoretischen Deutungsvariante an und dekliniert sie andererseits über seine anerkennungstheoretischen Überlegungen aus. Obwohl Neuhousers Rekonstruktion hier aus der Reihe fällt, liegen seine Überlegungen in einer theoretischen Nachbarschaft zu den Theorien von Siep und Honneth, da er auch ein Verhältnis zwischen der „Regelhaftigkeit“ (Hasse/Krücken 2008, S. 124) von Institutionen und potenziell fragilen Anerkennungsverhältnissen herzustellen versucht und arbeitet sich gleichermaßen an der Möglichkeit einer freiwilligen Selbstbegrenzung entlang von Rousseaus Werken ab.2 Das theoretische Anliegen, auf deren Folie, die folgenden Ansätze analysiert werden, basiert auf dem Problem der sozial vermittelten Subjektivität, der die paradoxe Annahme zugrunde liegt, dass Selbst- und Weltverständnis an eine historisch entstandene soziale Wirklichkeit rückgebunden ist und dass gleichzeitig das Sprechen von Subjektivität ein identifikatorisches Moment impliziert. Das letzte Moment ist nun derjenige, der der „Modernen“ zugesprochen wird und, wie in der Einleitung dargestellt, ein basaler Horizont für die bildungstheoretische Reflexion ist (s. Kap. 1). Die Auflösung des Selbst- und Weltverständ-
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Auch Rawls sieht Hegels Thesen in einer liberalen Tradition. Die Gleichsetzung von Hegels Staatskonzeption mit dem preußischen Staat von 1920 kennzeichnet er als „arg fehlinterpretiert“ (Rawls 2002, S. 454).
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Neuhousers Studie gilt einerseits als eine „most nuanced and comprehensive studies of Rousseau’s theory of amour-propre available today” (Linz 2009, S. 334), andererseits bietet Sie neben der historischen Perspektive einen systematischen Einblick in die Ambivalenz des Anerkennungsstrebens.
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nisses innerhalb eines historischen Verhältnisses einer institutionellen Perspektive umgeht zwar scheinbar die metaphysische Prämisse eines vorgängigen Subjekts und schwenkt den Blick auf die soziale Umwelt. Dieser Schwenk kann sich aber nicht, sofern an bildungstheoretischen Fragestellungen festgehalten werden soll, von der subjektiven Reflexivität lösen. Institutionen als sich quasi evolutionär entwickelnde Systeme zu definieren, ist dementsprechend keine adäquate theoretische Option. Es ist aber auch fraglich, ob der in Institutionen zum Ausdruck kommende kollektive Wille in eine Aufhebungsfigur mit dem individuellen Willen gebracht werden kann und sich in der Kooperation ein Subjekt herausschält. Im folgenden Kapitel wird jedoch genau diese Frage von der Seite der Institutionen, also Top-down behandelt und positiv nach der Seite der Ermöglichung betrachtet. Zugleich wird ein mögliches Herrschaftsverhältnis, das eine Ich-im-Wir-Figur potenziell entfaltet, different problematisiert. Im weiteren Verlauf dieser Ausführungen werden die Theorien danach befragt, wie sie das Verhältnis von Institution und Anerkennung konfigurieren und soziale Kooperation thematisieren.
2.1 FREDERICK NEUHOUSERS: REKONSTRUKTION VON ROUSSEAUS ANERKENNUNGS- UND INSTITUTIONENTHEORIE Jean-Jacque Rousseau schreibt im Discours sur l’inégalité (1755) den prägnanten Satz: „Der Wilde lebt in sich selbst, der soziable Mensch weiß, immer außer sich, nur in der Meinung der anderen zu leben; und sozusagen aus ihrem Urteil allein bezieht er das Gefühl seiner eigenen Existenz.“ (Rousseau 1755/2008, S. 269)
Hierin verdichtet Rousseau die Grundmotive seiner Gesellschaftskritik zu einer Formel, in der der in sich ruhende „Wilde“ dem entfremdeten „soziablen“ Menschen gegenübersteht. Während der „Wilde“ allein um seine Selbsterhaltung bemüht ist, strebt der vergesellschaftlichte Mensch nach Anerkennung und wird abhängig vom Urteil des anderen. Er dreht dabei die Argumentationsfigur von Hobbes und dessen Vorstellung eines Naturzustandes als „warre of all against all“ (Hobbes 1651/2002, S. 34) um, in dem Hobbes den Staat als zügelnden Faktor gegen die unkontrollierte, egozentrische Ruhmsucht und gegen den Kampf um begrenzte Güter in Stellung bringt (vgl. Nida-Rümelin 2008, S. 91 ff.). Die Knappheit der Güter erklärt Rousseau im Kontrast zu Hobbes mit dem
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sozialen Distinktionswillen der individuellen Besonderung. Die negativen Tugenden der Ruhmsucht, der Eifersucht, des Neides, der Eitelkeit usw. seien ferner keine „natürlichen“ Leidenschaften des Menschen, sondern gesellschaftliche Phänomene. Sie entstünden u.a. durch die „Vernunft“ (Rousseau 1755/2008, S. 149), Eigentumsverhältnisse (ebd., S. 175), Besitzansprüche (ebd., S. 189), Konkurrenzsysteme (ebd., S. 257) und Arbeitsteilung (ebd., S. 195 f.). Das Gedankenmodell der sozialen Relationalität vom Ehrstreben im Kontrast zur Autarkie eines sich selbst genügenden „Wilden“ veranlasste Rousseau die berühmte Unterscheidung von der natürlichen Selbstliebe „l‘amour de soi“ (ebd., S. 141) und der gesellschaftlich hervorgebrachten Eigenliebe „l’amour propre“ zu machen. Hobbes hat nach Rousseau zwei Prinzipien verkannt; Kategorien des Guten und des Bösen, des Rechts und des Unrechts erhalten ihren Sinn erst in sozialen Formationen, in denen Sitten- und Rechtsverhältnisse herrschen. Das zweite Missverständnis beruht nach Neuhouser auf der Annahme, dass Menschen im Naturzustand sich gegenüber anderen nicht selbstbegrenzen würden, Menschen eben dem anderen gegenüber ein Wolf seien. Rousseau macht hier geltend, dass der „Wilde“ sich durch ein „natürliches Mitleid“ (ebd., S. 145) auszeichne, das durch die selbstbezügliche Reflexion des sozialen Menschen verloren gehe und an das indirekt durch moralische Regeln des „soziable[n] Mensch[en]“ wieder erinnert werden müsse (vgl. ebd., S. 147). Das revolutionäre an Rousseaus Analyse ist, dass er das Versprechen der Aufklärung einer besseren Gesellschaft als ein Ergebnis des Vernunftsfortschrittes fragwürdig erscheinen lässt und die reflexive Distanzierung des Subjekts als eine Entfremdung denkt, die die Ansprechbarkeit für das Leiden des anderen bzw. das Mitleid aussetzt. Das Streben nach „Macht und Reputation“ (ebd., S. 269) ist nach Rousseau eine Konsequenz gesellschaftlicher Rationalität, für deren Therapie er eine Reihe von Möglichkeiten angeboten hat, deren Richtung und Stellenwert bis heute umstritten sind. Er wird sowohl als Vordenker eines totalitären Egalitarismus (Hierzu u.a.: Russel 2005, S. 707 ff.; Berlin 2002, S. 49; Fraenkel 2011, S. 264) als auch ein Verfechter einer demokratischen Freiheit (hierzu u.a.: Pateman 1970, S. 22; Cohn 2010; Celikates 2012, S. 685) gehandelt. Inzwischen rückt auch der Anerkennungsbegriff zur Decodierung von Rousseaus Gesellschaftstheorie immer weiter in den Vordergrund. Nun nehmen Theorien, die sich auf den Begriff der Anerkennung beziehen, in der Regel Fichtes Rechtsphilosophie und im Anschluss daran Hegels Sozialbzw. Geistphilosophie zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen (Bsp.: Düsing 1986; Wildt 1982; Siep 1979; Honneth 1992 u.a.). Entgegen dieser Linie zeigt Charles Taylor in seinem Essay Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung (2009) (ursprünglich 1992 mit dem Originaltitel Multiculturalism and The
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Politics of Recognition erschienen) auf, dass „man in Rousseau einen der Urheber des Diskurses der Anerkennung erblicken kann“ (Taylor 2012, S. 31). Dies sei nicht bloß der Fall, weil er den Begriff verwendet habe, sondern die „Gleichachtung“ (ebd.) als „unentbehrlich für die Freiheit“ (ebd.) angesehen hat. Die grundlegende Differenz zu anderen Denkern seiner Zeit läge in seiner Einschätzung, dass Anerkennung nicht bloß Mittel zum Zweck sei. Er verstehe das Streben nach Anerkennung bzw. den „Wunsch nach Wertschätzung“ (ebd., S. 34) darüber hinaus als eigenständiges Bedürfnis. Das Argument von Taylor ist, dass Rousseau hierdurch erst eine wechselseitige Abhängigkeit von Herrschaft und Knechtschaft annehmen hätte können. Die Leidenschaft, sich im Blick des anderen seines Selbstbildes zu vergewissern, sich zu erkennen und anerkannt zu wissen, sei die Bedingung, Unterwerfung nicht bloß als Gewaltverhältnis zu interpretieren, sondern sich auf diese in einer wenn auch prekären Wechselbeziehung einzulassen (vgl. ebd., S. 31 f.). Trotz der radikalen Kritik an dem Ehrbegriff, würde er das Anerkennungsstreben als solches nicht verabschieden wollen. Im Gegensatz hierzu ziehe er in seinen Vorstellungen einer wohlgeordneten Gesellschaft eine Differenz zwischen Ehre und Würde, einer hierarchisierenden und einer Anerkennungsbeziehung egalitärer Gegenseitigkeit. Damit ebne er in mehrfacher Hinsicht den Weg Hegels und seiner „Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft“ (ebd., S. 36). Allerdings würde nach Taylor Rousseaus Würdebegriff als „gleichheitliche Wertschätzung“ (ebd., S. 36) soziale Beziehungsformen entwerfen, die Rollendifferenzierungen ausschließen und eine Zielgleichheit eines allgemeinen Willens postulieren würden. Dieses Modell wäre auch die „Formel für die schrecklichsten Formen homogenisierender Tyrannei“ (ebd., S. 37). Taylors Interpretation von Rousseau liegt hierbei zwar auf der Linie von Nicholas Dent, in der er zwei Formen „l’amour propre“ als symmetrische Achtung und als graduelle Wertschätzung unterscheidet.3 Der zweiten Form der graduellen Wertschätzung wären hierbei die problematischen Folgen von Rousseaus Gesellschaftskritik zuzusprechen (Dent 1988, S. 52 ff.). Joshua Cohn, der Dents
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Dent sieht in der „amour-propre“ (Dent 1988, S. 88) die Bedingung für menschliches Zusammenleben und somit auch für Moralität. „Amour-propre then, in short, is as such due care of, and claim for ourselves that my acquire humane, gentle, secondary elaborations, or may acquire malign and cruel secondary beings. It is this concern and claim for ourselves that my acquire humane, gentle, secondary elaborations, or may acquire malign and cruel secondary elaborations.” (ebd., S. 56). Erst wenn sie durch soziale Existenzbedingung an der Bewertung primär setzt wird sie problematisch, „inflamed“ (ebd., S. 57).
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Differenzierung in seiner Argumentation integriert (Cohen 2010, S. 113 ff.), entschärft Rousseaus politische Ideen eines Allgemeinwillens, indem er diesen im Sinne eines Schutzes der persönlichen Autonomie interpretiert (ebd., S. 62 ff.). Dent und Cohen möchten hiermit nachweisen, dass Rousseaus Gesellschaftsvertrag mit Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats vereinbar ist. Taylors Skepsis entzündet sich aber gerade an der Spannung von Egalitarismus und Pluralismus. Eine Antwort auf diese Frage kann Cohen, wie er selbst eingesteht, nur unzureichend mit Rousseau geben (ebd., S. 90 ff.). Diese Stelle ist es jedoch, an der nun Frederick Neuhouser mit seiner 2012 veröffentlichten Studie „Pathologie der Selbstliebe“4 (im Original 2008) ansetzt. Er weist Dents und Cohens dualistische Differenzierung von einer nichtentfachten „amour propre“ im Sinne einer moralischen Achtung und einer entfachten „amour propre“ im Sinne eines Strebens nach Ehre und Überlegenheit als unterkomplex zurück (Neuhouser 2012, S. 89). Weder hätte Rousseau aus der Sicht von Neuhouser die Wertschätzung mit der egalitären Achtung gleichsetzen, noch hätte er Formen der Individualisierung homogenisieren wollen (ebd., S. 9). Entgegen der Schlussfolgerung Taylors, dass Rousseau das Ehrstreben bzw. den Wunsch nach Wertschätzung mit einem egalitären Würdebegriff nivellieren wollte, möchte Neuhouser nachweisen, dass Rousseaus Wertschätzungsformen nicht von einem Überlegenheitsstreben oder einem narzisstischen Besser-sein-wollen motiviert sind. Als Beispiel nennt er Stellen aus Rousseaus Werk Emile, in dem Emile als „Mensch mit gesundem Verstand“ (ebd., S. 93) und als „geschickter Handwerker“ (ebd.) anerkannt wird. Zudem entwickelt Neuhouser entlang Rousseau die These, dass dem moralischen Handeln ohne affektive Anziehungskraft die motivationale Grundierung fehle. Es reiche bei Rousseau nicht aus, die Achtung als eine egalitäre Anerkennungsform in Anschlag zu bringen, um das Ehrstreben aufzuheben. Menschen bedürften Wertschätzung im Sinne von „Lob und Bewunderung“ gegenüber „bestimmte[n] Eigenschaft[en] und Errungenschaft[en]“ (ebd., S. 90). Die Achtung, „die über eine Reihe von Rechten verfügt, über die alle Personen einfach auf Grund ihres Menschseins verfügen“ (ebd., S. 90), setze nicht ausreichend motivationale Kraft frei, um Menschen „über einen längeren Zeitraum hinweg“ (ebd., S. 353) zum tugendhaften Handeln zu bewegen. Darüber hinaus würden Menschen intrinsisch eine „aufrichtige Bekundung der Bestätigung, Bewunderung, des Erstaunens oder des Wohlgefallens“ (ebd., S. 100) anstreben und nicht
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Honneth bezeichnet diese Studie als einer der am weitesten gehenden Versuche, Rousseaus politische Philosophie zu entgiften (Honneth 2012a, S. 624).
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einen „Beweis ihrer praktischen Verpflichtung, alle Personen als moralisch Gleiche zu behandeln“ (ebd.).5 Sein Vorschlag ist es nun entgegen einer Problematisierung eine neutrale Lesart der „amour propre“ bzw. der Eigenliebe anzubieten, indem er Rousseaus Schriften Diskurs über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, Emile und den Gesellschaftsvertrag in eine einheitliche Interpretation zu integrieren sucht.6 Seine These ist es, dass Rousseau eine wohlgeordnete Gesellschaft derart konstruiert, dass Individuen sowohl Achtung als auch Wertschätzung erfahren müssen und sie sich nicht nur als achtungswürdige Subjekte, sondern auch als ein „spezifisches Individuum“ (ebd., S. 99) mit Eigenschaften und Begabungen erkannt und anerkannt wissen sollen (vgl. ebd., S. 98 ff.). Hiermit unterstellt er Rousseau einen zweifachen Freiheitsbegriff, den der Gleichheit aller und den der Individualisierung bzw. der individuellen Selbstverwirklichung. Rousseaus Ideal des Menschen impliziere dieser Interpretation zur Folge nicht bloß einen selbstgenügsamen Robinson, der sich unabhängig von anderen Menschen weiß. Ihm gehe es auch um einen gesellschaftsfähigen Menschen, der auf sozial und tugendhafte Weise seine Bedürfnisse nach Wertschätzung befrieden kann (vgl. ebd., S. 25-31). Neuhouser verhandelt die „amour propre“ in seinen Ausführungen dementsprechend als eine ambivalente, neutrale Leidenschaft, die abhängig von der psychologischen Konstitution des Menschen und dem gesellschaftlichen Kontext unterschiedliche individuelle Selbstverständnisse, soziale Praktiken und Wertorientierungen hervorbringe könne. Sie weise hierbei eine hohe Plastizität auf und bestimme in ihrer jeweiligen Form darüber, ob die Gesellschaft eine humanere sei oder ob sie „pathologische“ soziale Zustände bzw. Phänomene der Entfremdung verschulde. Das Spezifikum dieser Theorie ist, dass das Streben nach Anerkennung, welches weder ausschließlich aus einer entwicklungstheoretischen Sicht eine moralische Qualität zugeschrieben, noch in seiner Struktur teleologisch auf Gleichheit justiert wird, als eine ambivalente Motivation betrachtet wird. Das Wesentliche an der „amour propre“ sei, dass Sie „intrinsisch sozial“ sei. Es sind die zentralen Prämissen Neuhousers, dass die „amour de soi“ (ebd., S. 20) als Einheit von „Mitleid, Perfektibilität und freiem Willen“ (ebd., S. 75)
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Wolfgang Kersting stellt dar, dass in der politischen Philosophie die Verbindlichkeit von Gesetzen nicht nur prozedural verstanden wird, sondern auch in Relation mit motivationalen Aspekten steht (vgl. Kersting 2003, S. 19).
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Lucas Fain macht darauf aufmerksam, dass Rousseaus Schriften zu facettenreich wären, um den Anspruch einer systematischen Interpretation aufrecht zu erhalten (vgl. Fain 2010, S. 478).
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von der „amour propre“ zu unterscheiden sei, sie in keinem Ableitungsverhältnis zu dieser stehe und beide Leidenschaften als „condition humaine“ (ebd., S. 10) zur Entfaltung kommen müssten (vgl. ebd., S. 25-31). Das „Ich“ im Sinne einer sozialen Existenz sei letztlich vermittelt über das Streben nach Anerkennung, konstitutiv relational und nicht zurückführbar auf einen natürlichen Zustand der Autarkie. Sein an Rousseau angelehntes Argument ist, dass die im menschlichen Zusammenleben praktizierten Formen der Wertschätzung abhängig von den gesellschaftlichen Institutionen seien, die die Gefahren der „amour propre“ entfachen oder potenziell abmildern können (ebd., S. 94). „Dieser Aspekt ist für Rousseaus Projekt, eine institutionelle Lösung für die Probleme von l’amour-propre zu finden, offensichtlich relevant: Eine der Aufgaben eines derartigen Projekts wird darin bestehen, herauszufinden, wie die soziale Welt geordnet werden kann, um ihren Mitgliedern stabile und weniger destruktive Arten bereitzustellen, ihr grundlegendes Bedürfnis nach Beachtung zu befriedigen.“ (Neuhouser 2012, S. 175)
Hiernach erscheint Rousseaus Theorie als eine normative Gesellschaftstheorie, in der Vergesellschaftung über das Streben nach Anerkennung hergeleitet wird (vgl. ebd., S. 96). Die Anerkennung selbst ist aber noch kein erstrebenswertes Gut. Zu einem solchen wird sie erst, wenn diese mit den „grundlegenden Voraussetzungen menschlicher Freiheit und menschlichen Glück[s]“ (ebd., S. 77) vereinbar ist. Im Widerspruch zu kontraktualistischen Modellen, die die individuelle Entscheidung und das Wollen zentrieren, seien destruktive Formen der Eigenliebe auf gesellschaftliche Verhältnisse zu beziehen. „[E]ntfachte [...] Formen von l’amour propre“ (ebd., S. 78) deuten somit auf eine „schlecht geordnete […] Gesellschaft und mangelhafte [...] Erziehung“ (ebd.) hin, während „potentiell gutartige […] Formen“ eine wohlgeordnete Gesellschaft ermöglichen. Die Intuition, mit der Neuhouser Rousseau rekonstruiert, zielt auf die Möglichkeit der Realisierung von Vernunft, Freiheit und Glück nicht nur trotz, sondern letztlich aufgrund „l’amour propre“ ab. 2.1.1 Die Ambivalenz des Anerkennungsstrebens Um die ambivalente Potenzialität von „l’amour propre“ nachvollziehen zu können, sowohl Verursacher von „Übel“ zu sein, als auch „Vernunft“, „Tugend“ und „Selbstbestimmung“ (ebd., S. 123) hervorbringen zu können, skizziert Neuhouser die Gefahren der „amour propre“ bzw. die pathologischen Formen des Wunschs nach Wertschätzung. Folgende fünf „Gefahren“ der „amour propre“ hebt Neuhouser hervor:
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1. „Die von l’amour-propre angestrebte Befriedigung verleiht dem Selbst-Sein“ (ebd., S. 102).
„Anerkannt zu werden, bedeutet, eine bestätigte Existenz als ein ,wirkliches‘, Wirkungen hervorrufendes Subjekt für andere zu erlangen“ (ebd., S. 106). Die „,moralische Präsenz’“, die dem Individuum zugeschrieben werde, gebe über die jeweilige Performativität bzw. des Einflusses über andere Aufschluss. Der Verlust des Wirkungs- und Handlungsspielraums schlage in Ehrverletzungen um und könne zu Auslösern von Kriegen, Kämpfen und Konflikten werden (ebd., S. 102 ff). 2. „L’amour-propre strebt nach einer relativen (vergleichenden) Stellung“ (ebd., S. 107).
Die „amour propre“ ist „ein stellungsrelatives Gut“ (ebd., S. 107). Ihre Befriedung kann nur im Vergleich zu anderen erfolgen. Die Gefahr hierin bestehe in der Profilierung der Einzelnen über Erfolg, welches eine Über- und Unterordnung impliziere. „Das Streben nach Anerkennung wird dann zu einem Streben danach, höher als andere geschätzt zu werden“ (ebd., S. 107) Daraus folgen drei Probleme: (1) die hierarchische Struktur der Stellungen, (2) die künstliche Verknappung von Anerkennung, welche „zum Gegenstand von endloser Konkurrenz, endlosem Konflikt und enttäuschtem Verlangen“ (ebd., S. 109) wird, und (3) „das Phänomen des Rattenrennens oder des Konkurrenzkampfes“ (ebd., S. 109), der in einem „grenzenlose[n] Druck“ (ebd. S. 109) zum Erfolgsstreben, einem „Sichübertrumpfen“ (ebd., S. 109) und einem statusmarkierenden Konsumismus münde (vgl. ebd., S. 110). Dieser Konkurrenzkampf unterdrücke das Gefühl des Mitleids und verleite den Menschen, andere zu schädigen, sich an deren Unglück zu erfreuen und diese zu beherrschen (vgl. ebd., S. 110 ff.). 3. „L’amour-propre strebt nach einer Stellung in den Augen anderer“ (ebd., S. 112).
Während in der Stellungsrelativität der „amour propre“ die soziale Makroebene und die Struktur des Allgemeinen thematisiert werden, wird mit der intersubjektiven Abhängigkeit des Selbstbildes vom anderen der individuelle Bezugsrahmen und dessen Verflechtung mit dem Allgemeinen näher skizziert. Mit der Intersubjektivität des Selbstbildes bestehe die Gefahr einer Entfremdung im Sinne einer unzureichenden Realisation eines „echten Selbst-Sein[s]“ (ebd., S. 116) oder einer „echten Subjektivität“ (ebd., S. 116). Das Selbstbewusstseinsdilemma akzentuiert Neuhouser mit Rousseau in Hinsicht der Genese einer personellen „Integrität“ (ebd., S. 114) als eine Form des „moralische[n] Rückgrat[s]“
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(ebd., S. 115). Er macht darauf aufmerksam, dass die intersubjektive Abhängigkeit dann ein Problem ist, wenn Individuen kein stabiles Urteilsvermögen ausgebildet haben, aufgrund dessen sie sich von Werturteilen anderer relativ unabhängig machen können. In dem Maße, in dem ein Individuum in seinen Beurteilungen einfach nur anderen folgt, gibt es seinen Status als ein unabhängiges und wertverleihendes Subjekt auf. Indem es die Meinungen anderer als einziges Kriterium des Guten gelten lässt, distanziert es sich von der ihm als vernünftigem Wesen eigenen Autorität, auf der Grundlage seines eigenen Urteils und seiner eigenen Einsicht zu bestimmen, was gut ist. (Ebd., S. 116). Anders formuliert würde ein „Integritätsverlust“ auf eine „unzureichende Urteilsunabhängigkeit“ (ebd., S. 116) hinweisen. Diese Individuen würden die Maßstäbe ihres Selbstwertgefühls ausschließlich außer ihrer selbst suchen und wären der Unsicherheit der schwankenden Meinungen anderer ausgesetzt. Ihnen fehlten die „interne(n) Ressourcen der Selbstbestätigung“ (ebd., S. 116). Diese „substanzlos[e]“ und „instabil[e]“ Existenz nennt Neuhouser „entfremdetes Selbst“ (ebd.). Einer essenzialistischen Interpretation des Entfremdungsbegriffs versucht Neuhouser mit der Differenzierung von „Entäußerung“ und „Entfremdung“ zu entgehen. Beides sind jeweils Selbstverhältnisse, die konstitutiv intersubjektiv sind, also über die Perspektive des anderen entwickelt werden. Während die „Entäußerung“, die notwendige Bedingung eines inneren „Selbstsein(s)“ (ebd., S. 119) setzt, sagt sie noch nichts über die Qualität dieses Seins aus. „[M]enschliche Subjekte [existieren] in einem gewissen Ausmaß immer außer sich“ (ebd.). Die „Entfremdung“ hingegen „ist, wenn die betreffende Person stets außer sich existiert, wenn sie allein in der Meinung anderer existiert und nur auf der Grundlage der Urteile anderer mit sich selbst zufrieden sein kann. […] Ein entfremdetes Selbst trägt keine oder zu wenige der Quellen seines eigenen Seins in sich“ (ebd., S. 120) Das eigentliche Problem ist nicht ein Mangel an Selbstwertgefühl, sondern die Instabilität des „Selbstsein[s]“ und der zu geringen Widerstandskraft gegenüber Wertmaßstäben, die „wesentliche Güter (Gesundheit, Seelenfrieden, Sicherheit, Freiheit)“ (ebd., S. 120 f.) gefährden. Als „Heilmittel“ (ebd., S. 120) führt Neuhouser neben der Entwicklung „eines hinreichend egalitaristische[n] Verständnisse[s] ihres eigenen Wertes“ (ebd., S. 121), die Bildung eines „stabile[n] und befriedigende[n] Gefühl[s] ihrer eigenen Existenz“ (ebd.) auf.
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4. „Meinung (oder Urteile) sind konstitutiv für das von l’amour-propre angestrebte Gut“ (ebd., S. 123).
Die vierte Gefahr bezieht sich auf die Differenz von Schein und Sein bzw. von Inszenierung und „realen Gegebenheiten“ (ebd., S. 124). Mit der konstitutiven Abhängigkeit des Selbstseins von den Meinungen anderer ist grundsätzlich die „Strategie“ verbunden, durch das Inszenieren der „Vortrefflichkeit“ (ebd.) eine „,metaphysische‘ Verkehrung“ zwischen „Erscheinung und Wirklichkeit“ (ebd.) zu bewirken. Diese Gefahr wäre für die „Doppelzüngigkeit, Vortäuschung und Heuchelei der Menschen verantwortlich“ (ebd.). Statt „,Wahrhafte‘ Werte (Freiheit, Glück, wohlbegründete Wertschätzung)“ (ebd.) würden „,scheinbare‘ Werte (Geburtsstand, Wohlstand, gesellschaftlicher Einfluss)“ (ebd.) zum Orientierungsrahmen. Auf individueller Ebene wäre zusätzlich eine weitere Form der Entfremdung damit verbunden, und zwar die Selbstentfremdung, indem versucht wird „[…], die eigene Existenz als ein anerkanntes Selbst durch Eigenschaften zu begründen, die es zwar vortäuscht, in Wirklichkeit aber nicht besitzt“ (ebd., S. 125).7 5. „Die Bestrebungen von l’amour-propre sind durch ein Selbstverständnis (ein Verständnis der jeweils eigenen Verdienste) vermittelt“ (ebd.).
Mit der Struktureigenschaft der Vermitteltheit verbindet Neuhouser einen psychologischen Mechanismus der Selbstspiegelung. „Die Befriedigung meiner amour-propre verlangt vielmehr, dass die Anerkennung, die mir zuteil wird, jener Anerkennung entspricht, die ich zu verdienen glaube“ (ebd.). Diese Satisfaktionsbedingung birgt die Gefahr der Selbstüberschätzung bzw. des Narzissmus in sich. Die unbefriedigte Eitelkeit wiederum würde zu einer „umfassenden Knappheit von Anerkennung“ führen. Diese resultiere aus dem verletzten Stolz, der Unfähigkeit eine distanzierte Haltung zu anderen einnehmen zu können und einem wechselseitigen Vorenthalten von Anerkennung. Neuhousers anerkennungs- und gesellschaftstheoretische Rekonstruktion von Rousseau läuft rückgekoppelt an die institutionelle Ebene auf einen normativen
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Auch wenn Neuhouser auf die Gefahr eines „trügerischen Essentialismus“ (Neuhouser 2012, S. 124) hinweist, ist das Konzept der Selbstentfremdung nicht eindeutig von einem Essentialismus zu unterscheiden. Es ließe sich aber auch Fragen, ob der Vorwurf des Essentialismus ein Catch-all-Vorwurf ist. An dieser Stelle mag die Differenz von Inszenierung und Wirklichkeit intuitiv einsichtig sein. Sie suggeriert aber auch eine Authentizität eines Selbstseins, die diesem essenziell zugesprochen werden könnte.
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Maßstab hinaus, der darüber Auskunft geben soll, ob „l’amour propre“ in illegitimer Weise „entfacht“ werde. Er formuliert diesen Maßstab wie folgt: L’amour-propre ist entfacht, wenn sie jemanden dazu drängt, im Vergleich zu anderen eine Art von Vorrangstellung anzustreben, die es diesen unmöglich macht, ähnliche Bestrebungen zu entwickeln und zugleich ein akzeptables Maß an Befriedigung für ihr Streben nach Anerkennung zu erreichen. (Neuhouser 2012, S. 140).
Diese relativ abstrakte Formel bereitet die Grundlage für eine normative Gesellschaftstheorie, die nach gerechten Formen der sozialen Kooperation fragt. Als Weisen des Strebens nach Anerkennung differiert Neuhouser letztlich zwischen der Forderung nach „größere[r] moralische[r] Achtung“, dem Streben nach dem „Besser-Sein“ und danach „der Beste zu sein“. Während Ansprüche auf Vorrechte bzw. Privilegien grundsätzlich nicht mit dem Prinzip verträglich und deswegen illegitim seien, treffe dies auf die zwei anderen Formen nicht zu. Das Besser-sein-wollen ist für Neuhouser nur dann ein Problem, wenn es universell wird und sich zum Verlangen entwickelt, in jeder Hinsicht besser als der andere zu sein. Wohingegen die oder der Beste sein zu wollen aufgrund seines Ausschlusscharakters nicht verallgemeinerungsfähig wäre. Gleichwohl motiviere es Menschen zu Höchstleistungen und statte sie mit ausreichend Frustrationstoleranz aus, die dafür notwendige Arbeit aufzuwenden. Insgesamt müsse sich die Satisfaktion folgenden Bedingungen unterordnen: (1) Es müssen ausreichend „Quellen der Anerkennung“ (ebd., S. 143) zur Verfügung stehen, damit alle ihr Bedürfnis in ausreichendem Maße befriedigen können. (2) Es muss ein „substantielles Maß gleicher moralischer Achtung gewährt werden“ (ebd.). (3) Die moralische Gewichtung dieses Verlangens darf nicht derart überhöht sein, dass „eine Versöhnung mit dem enttäuschten Verlangen psychologisch unmöglich ist“ (ebd., S. 144). Das „Grafikationssystem [muss] für alle rational akzeptabel [sein]“ (ebd.). Dies ist für Neuhouser, dann der Fall, wenn sich die Anerkennung auf einen „wirkliche[n] Verdienst“ (ebd.) bezieht. Also wenn sie auf einen sachlichen Gehalt referiert. (4) Jeder muss von einem entsprechenden „Grafikationssystem“ profitieren können. Dieser an das Differenzprinzip Rawls erinnernde Grundsatz, bindet die Vorteile Einzelner und die Legitimation der Ungleichheit an die Möglichkeit der Partizipation an die Existenzbedingungen aller (hierzu: Rawls 2006, S. 77 f.). Diese Bedingungen bleiben in ihrer abstrakten Form normative Gerechtigkeitsgrundsätze, die orientierend sind. An dieser Stelle möchte Neuhouser den eingeschlagenen Pfad aber noch nicht verlassen, sondern die gesellschaftlichen und psychologischen Ursachen für die Pathologien in Rousseaus Werk herausar-
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beiten, um dessen politische und erziehungstheoretische Ausführungen als Therapie- und Heilmittel für die aus der „amour propre“ resultierenden „pathologischen“ Phänomene („Sklaverei, Konflikt, Laster, Elend und Entfremdung des Menschen“ (ebd., S. 207)) zu diskutieren. Zur Analyse von Lösungsansätzen zur Eingrenzung der „amour propre“ in ihren entfachten Formen untersucht er a) die institutions-, b) die erziehungs- und c) die vernunfttheoretischen Gedanken von Rousseau und zieht im letzten Teil c) einen Bogen zwischen Rousseaus Gesellschaftsvertrag und dessen Erziehungsvorstellungen in Emile. 2.1.2 Die Versöhnung des Anerkennungsstrebens und die Möglichkeit sozialer Kooperation Bei den sozioökonomischen Bedingungen als Quellen der Pathologien der Selbstliebe nimmt Neuhouser insbesondere auf den zweiten Diskurs Bezug und präpariert die ökonomische Ausbeutung, die Freizeit, den Luxus und das Privateigentum heraus. In Anlehnung an Marx interpretiert er Rousseau hierbei entlang der Frage einer Realisierung egalitärer Kooperation, die nur dann gegeben sein kann, wenn der „gesellschaftlich schädlichen Ungleichheit entgegengewirkt“ (ebd., S. 221) wird und wenn Institutionen, „stabile und gutartige Formen gesellschaftlicher Anerkennung für alle“ (ebd.) zur Verfügung stellen.8 Auffällig an Neuhousers Lesart ist, dass er nicht Rousseaus radikalem Autarkie-Gedanken, einer Lösung von gesellschaftlichen Subsystemen folgt, sondern dessen Theorien Pfade entlocken will, die auf eine Verbesserung der gegebenen gesellschaftlichen Formationen unter der Voraussetzung einer Einhegung der Eigenliebe abzielt. Aus diesem Grund hebt er Textpassagen heraus, die die Möglichkeit der Transformation denkbar erscheinen lassen. In diesem Kontext sind seine Ausführungen zu Institutionalisierungsprozessen zu verstehen, in denen er an Rous-
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In dem Aufsatz Rousseau’s Critique of Economic Inequality verdeutlicht Neuhouser, dass Rousseaus Ökonomiekritik die moderne Ökonomie nicht adäquat trifft, weil er die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Marktteilnehmer/-innen zu persönlich fasst. Marx habe die Verselbstständigung von Akkumulationsinteressen adäquater herausgearbeitet. Rousseaus Analysen müssten um die Einsicht ergänzt werden, dass Unterwerfung ohne direkte personale Beziehungen und Befehle vollzogen werde (vgl. Neuhouser 2013, S. 223 f.). Manjeet Ramgotra fragt zusätzlich, inwiefern Rousseau mit seinen politischen Partikularvorstellungen aktualisierbar sei. Die Idee von sich selbstverwaltenden Kleinstaaten wie „Corsica or Geneva“ (Ramgotra 2017, S. 141) könne im Kontext von „multicultural states and a globalized world“ (ebd.) nicht mehr überzeugend sein.
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seau zeigt, dass Institutionen wie das Eigentum, der Konsumismus oder die Arbeitsteilung einerseits zufällige Erscheinungen und andererseits durch die menschliche „Naivität“ (ebd., S. 176) befördert worden seien. In der Konsequenz bedeutet dies, dass Rousseau die Option offengehalten habe, dass Aufklärung produktiv zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen kann (vgl. ebd., S. 177). Zusätzlich wäre Rousseaus Realitätssinn nicht derart getrübt gewesen, dass er die Eigenliebe negieren und die Menschen zurück in die Wälder hätte senden wollen. Allerdings habe er seinen Lösungsansätzen die Macht zugesprochen, die „menschliche Verdorbenheit“ (ebd.) zu überwinden. Die Theorie erscheint aus der Perspektive von Neuhouser als pragmatischer Versuch, Lösungswege ohne Erfolgsgarantie und ohne geschichtsphilosophische Notwendigkeit, wie sie etwa in der Theorie von Hegel zu finden sind, auszuloten. Dementsprechend sieht Neuhouser Rousseau auch nicht als Vorgänger von Marx, sondern rückt ihn in die Nähe eines sozialdemokratischen Republikanismus. Nicht die marktwirtschaftliche Struktur der bürgerlichen Gesellschaft wird zum Hauptproblem erhoben, sondern das „fieberhaft[e], grenzenlos[e] Verlangen“ (ebd., S. 225) der Gewinnakkumulation zur Verbesserung des sozialen Status. Dieses ungezügelte Gewinnstreben, das Marx gesellschaftlich und kapitalismusinhärent denkt, wird hier als eine Verselbstständigung eines Anerkennungsstrebens inszeniert, auf das regulierend eingewirkt werden kann. Als konkrete Maßnahmen ließen sich mit Rousseau „die progressive Besteuerung, Steuern auf Luxusgüter und Beschränkung von Erbvermögen“ (ebd.) fordern. Statt Wettbewerb zu unterbinden, müsse das oberste Prinzip die Begrenzung der Kluft zwischen Arm und Reich und Institutionen an folgendem Maßstab auszurichten sein: „Gute Institutionen müssen so strukturiert sein, dass die zentralen Möglichkeiten, die sie bieten, um gesellschaftliche Stellung zu erlangen, nicht von der systematischen Unterwerfung anderer abhängig sind.“ (Ebd., S. 224)
Rousseaus Sozialphilosophie würde nun die drei Rechtsformen der Rechtsgleichheit, der Partizipationsrechte und der bürgerlichen Freiheitsrechte als Institutionen kennen, die diesen Maßstab einhalten und eine Beschränkung des Gewinnstrebens ermöglichen. Das Problem sei, dass wie o. g. die Achtung für die Kooperation nicht verbindlich genug sei, Rousseau aber außer der Ehe als Objektivierung der romantischen Liebe keine Institutionen der Wertschätzung aufgenommen hätte. Der Gewinn der romantischen Liebe nach Neuhouser ist, dass die Liebenden sich wechselseitig in ihrer Besonderheit anerkennen, sie folglich Subjekt und Objekt gleichzeitig sein können. Für eine weitergehende Institutio-
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nentheorie müsse jedoch auf Hegel zurückgegriffen werden, der weitere Sphären der Wertschätzung thematisiert habe (vgl. ebd., S. 227 f.). Diese institutionelle Perspektive erweitert Neuhouser des Weiteren mit der Reflexion erzieherischer Mittel, die Rousseau in Emile dargestellt habe. Diese lägen insbesondere in der Ausbildung der „amour de soi“, deren Potenzial in der Ermöglichung von Integrität und Selbstgenügsamkeit liege. Diese sei ferner als Reaktion auf die psychologischen Ursprünge zu deuten, die Abhängigkeit des Kleinkindes, die Unfähigkeit zu Sprechen, die Liebe, den „Drang zur Aktivität“ (ebd., S. 207), die „Herrschsucht“ (ebd., S. 207) und die „Wut“ (ebd.) aufgrund der empfundenen Ohnmacht. Als Erziehungsmittel böten sich insbesondere der Schutz des Kindes vor Verletzungen im Konkurrenzsystem und die in der Idee der negativen Erziehung angelegte natürliche Entfaltung als Gelegenheit an, ein „substantielles Reservoir an Selbstwertschätzung“ (ebd., S. 237) zu entwickeln und höhere Widerstandsfähigkeit gegen die Vereinnahmung durch andere zu gewinnen. Ein weiterer Faktor sei die mit der „amour de soi“ verknüpften Entfaltung des Mitleids, die durch eine zu frühe Entfachung der Eigenliebe überlagert werden könnte. Ihre Anregung sei das Fundament für die Perspektivübernahme und die moralische Achtung, da sie den Menschen befähigt, den Schmerz des anderen als ein eigenes Leiden zu erfahren. Mit der „Einbildungskraft“ (ebd., S. 239) könne das Mitleid von der Nahbeziehung auf die ganze „Menschheit“ (ebd., S. 241) progressiv erweitert werden, um der „amour propre“ im Zuge ihrer Erscheinung ein „Ideal menschlicher Gleichheit“ (ebd., S. 242) einzuflößen. Während die institutionellen und erzieherischen Maßnahmen die externen therapeutischen Mittel seien, diskutiert Neuhouser die vernunfttheoretischen Gedanken Rousseaus als innere Heilungsmittel. Hierfür wendet er sich dessen Schriften zum Gesellschaftsvertrag für die Skizze des Standpunkts der Vernunft und zu Emile hin, um die motivationalen Quellen für vernünftiges Handeln zu analysieren. In einer aufwendig entwickelten Argumentation zeichnet er Rousseaus Vernunftbegriff als einen intersubjektiven nach, dessen Sphäre die öffentliche Deliberation ist. Ferner sei eine allgemeine Gesetzgebung intersubjektiv an die Urteilsfähigkeit einer sich beratenden Gemeinschaft geknüpft, die ausreichend differente Erfahrungen, Perspektiven und Wissen bündelt, um Gesetze in ihrer Konsequenz abschätzen zu können. Die Intersubjektivität erkläre sich weiter aus dem Verpflichtungscharakter von Gesetzen, der sich erhöhe, wenn die Subjekte selbst am Prozess der Gesetzgebung teilhaben (vgl. ebd., S. 273 ff.). Die interpretatorischen Hürden von Rousseaus Möglichkeit des individuellen Irrtums und die Autorität der Mehrheitsentscheidung mildert er mit einer deliberativen Verobjektivierung und mit einer Grundsicherung von Freiheitsrechten ab. Demnach müsse die Korrektur des individuellen Willens im Kontext der ver-
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nünftigen Verallgemeinerung und der Notwendigkeit subjektiver Dezentrierung gegenüber der Meinung anderer (vgl. ebd., S. 283f) als Voraussetzung einer gemeinsamen Gesetzgebung gedacht werden. Dem allgemeinen Willen spricht er zugleich das Primat der Freiheit zu, der die Mehrheitsmeinung an die Grundrechte binden würde (vgl. ebd., S. 286). Seine Interpretation spitzt er derart auf einen öffentlichen Vernunftbegriff zu, dass er bei einer hegelianischen Formulierung der sittlichen Identifikation von Ich und Wir ankommt. „Vernünftige Autorität ist von sich aus ein ,geistiges‘ Phänomen, eines, das nur durch ein überindividuelles Subjekt entsteht, dessen Struktur die eines ,Ich‘ ist, das ,Wir‘ ist, und ein ,Wir‘, das ,Ich‘ ist.“ (Ebd., S. 293)
Für den „Standpunkt der Vernunft“ (ebd., S. 294) postuliert er nun folgende Bedingungen: (1) die Distanzierung von den eigenen partikularen Interessen und die Verallgemeinerung der Perspektive zu einem unparteiischen Standpunkt; (2) die Anerkennung der moralischen Gleichheit aller sowie (3) die Konsensfähigkeit und die Akzeptanz der Meinungen anderer als gleichwertig zur Eigenen. Seine weitreichende These ist, dass die „amour propre“ den Menschen ohne dessen Wissen „indirekt mit einem substantiellen Teil derjenigen subjektiven Ressourcen“ (ebd., S. 356) ausstattet, dass „sie vernünftige Wesen“ (ebd.) werden können. Durch ihre Relationalität führe sie den Menschen dazu, Vergleiche anzustellen. Die Tätigkeit des Vergleichs sei dabei grundlegend rational. Der Vergleich und die Differenzierung würde erst durch den Drang anderen und sich selbst einen Wert zuzuordnen evoziert. „[O]hne Vergleiche (der angemessenen Art) kann es keine Vernunft geben“ (ebd., S. 301). Dieser Vergleich ermögliche nicht nur die Perspektivübernahme, sondern sie könne das „Mitleid“ als unwillkürliches Gefühl auf angemessene Objekte wie die „fundamentale[n] Interessen“ (ebd.) jedes Einzelnen leiten. Darüber hinaus könne der Vergleich der Perspektiven eine Selbstbeschränkung ankündigen, insofern nicht nur die eigenen Wünsche im Verhältnis zum Anderem reflektiert werden, sondern das Paradigma der Perspektivübernahme die Bindung an eine „Art (ideellen) Konsens“ (ebd., S. 308) denkmöglich macht. (Hierzu auch: Neuhouser 2008, S. 919 ff.) Es bleibt jedoch die Frage offen, wie die Motivation nach einer graduellen Wertschätzung mit einer egalitären Achtung derart versöhnt werden kann, dass die Wertschätzung selbst zur Motivation einer Kooperation werden kann. Welche Motivationsgrundlage führt das Individuum folglich zur Einnahme eines vernünftigen Standpunktes? Hierfür lassen sich aus der Perspektive von Neuhouser zwei mögliche Erklärungsalternativen in Rousseaus Schriften finden. Die Erweiterung der „amour de soi“ auf eine Gemeinschaft als „Patriotismus“ (Neu-
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houser 2012, S. 313) und das reflexive Erkennen seiner selbst im Wir als Realisierung einer relationalen Beziehungsform zum anderem. Für Neuhouser kann der Patriotismus9 keine Versöhnung darstellen, weil dieser in der Haltung Liebe und in der Dualität von Nähe und Distanz verharrt. Versöhnt werde das Streben nach einer stellungsrelativen Anerkennung bei Rousseau im Kontrast hierzu, durch die Möglichkeit sich als Mitglied einer allgemeinen Gemeinschaft angehörig zu fühlen, in der das Urteil jedes Einzelnen als bedeutend für die gemeinsame Beratung wahrgenommen wird und er sich in dieser Gemeinschaft auf sich selbst beziehen kann.10 Statt einer Erweiterung des Mitleids wäre für die Deliberation eine Beschränkung auf das eigene Menschsein mit „fundamentalen Interessen“ (ebd., S. 318) notwendig, um diese Erkenntnis auf jeden der von Entscheidungen betroffenen Personen zu projizieren (vgl. ebd.). Die Erziehung kann nun dazu verhelfen, die „amour propre“ derart zu transformieren, dass Individuen sich in ihrem vernünftigen Urteilsvermögen wertgeschätzt erfahren wollen, ohne jedoch der Wertschätzung eine Priorität beizumessen, sondern als Bonus. Die „amour de soi“ könne über Erziehung zur Erweiterung des Mitleids auf eine Idee von Gleichheit aller Menschen und die „amour de propre“ zur tugendhaften Haltung eines vernünftigen Mitglieds einer „,geistigen‘ Gemeinschaft“ (ebd., S. 328) hingeführt werden. Hierdurch ließen sich egalitäre Kooperation, moralische Achtung und Wertschätzung in einen Zusammenhang bringen.11
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Sandra Seubert arbeitet an Rousseaus Erziehungsroman Emile heraus, dass Rousseau eine ambivalente Position zum Patriotismus habe, wenngleich er den Erzieher derart inszeniert, dass er versuche, die Entstehung von nationalen Vorurteilen durch Bildungsreisen aufzubrechen und auch eher einen republikanistischen Patriotismusbegriff skizziere, der an Freiheitsrechten orientiert sei, sei die Vaterlandsliebe auch ein starkes Motiv. Hierdurch werfe Rousseau den „paradoxen Charakter“ (Seubert 2012, S. 625) zwischen der Kontingenz kultureller Zugehörigkeit und demokratisch notwendiger Bereitschaft zur Kooperation auf, mit der sich die Demokratietheorie auseinandersetzen müsse (vgl. ebd., S. 620 ff.). Dieses Problem bildet einen zentralen Fokus von Axel Honneths Bemühungen, die in Kapitel 2.3 Gegenstand dieser Arbeit sein werden.
10 In der Frage politischer Partizipation lässt sich eine Rezeptionslinie ausmachen, die an dem Misstrauen Rousseaus gegen repräsentative Politikverständnisse anknüpft und mit diesen für direkte Demokratieformen argumentierten (u.a. Celikates 2012; Urbinati 2012; Comtesse 2016). 11 Es ist umstritten, den erwachsenen Emile als Beispiel für die Vollendung von Rousseaus praktischer Philosophie heranzuziehen. Ein Argument hierfür ist, dass in diesem
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Die positiven Aspekte der „amour propre“ sind neben dem Reiz sich auf intersubjektive Beziehungen überhaupt erst einzulassen und der durch Anerkennungsstreben affizierten Kreativität, die in „kollektiv nützliche Ziele“ (ebd., S. 255) gelenkt werden könne, die Ausbildung der Einsichts- und Urteilsfähigkeiten, wofür sie jedoch durch gute Institutionen und einer entsprechenden Erziehung gerahmt werden muss. Im Gegensatz zu Hegel würden diese differenten Aspekte aber kein dialektisches System, einer sich selbst bestimmenden und zu sich kommenden Subjektivität bilden, und in einer notwendigen oder wahrscheinlichen Verwirklichung von Freiheit und Vernunft kulminieren. Es wäre eher ein Kaleidoskop möglicher Ansatzpunkte, deren Realisierung mehr oder weniger möglich ist und selbst wenn institutionelle und erzieherische Mittel ergriffen würden, wäre der Erfolg unbestimmt. 2.1.3 Rousseaus institutioneller Funktionalismus und Neuhousers Rezeption Nun kann an dieser Stelle nicht die Plausibilität von Neuhousers Studie im Einzelnen geprüft werden. Er selbst verwendet viel Aufwand darauf, seinen heuristischen Ansatz zu rechtfertigen und die unpassenden Argumente Rousseaus entsprechend zu gewichten (vgl. ebd., S. 26). Als Anmerkung sei nur angebracht, dass Rousseau die Vernunft und die Aufklärung möglicherweise skeptischer betrachtet, als es die vernunfttheoretische Rekonstruktion von Neuhouser nahelegen würde. Gleichwohl markiert er die „Unzulänglichkeiten“ von Rousseaus Theorie, die darin bestünden, dass Rousseau mit dieser neutralen Betrachtung der „amour propre“ das metaphysische Programm verfolgt, die Natur des Menschen vom Bösen und als Verursacher des Übels „freizusprechen“ (ebd., S. 360). Zusätzlich würde er mit der Erklärung des Übels durch das Streben nach Anerkennung einen monokausalen Zusammenhang konstruieren (vgl. ebd., S. 361). Darüber hinaus kritisiert er die Universalisierung der Anerkennung als einziges Motiv des Handelns. Mit einer Referenz auf Nietzsche und Freud macht er darauf aufmerksam, dass ein „Wille zur Herrschaft“ (ebd., S. 364) zur Explikation von Ausbeutung, Konflikten und Kämpfen tragfähiger sei. Es wäre demnach „nicht plausibel anzunehmen, Herrschaft sei für Menschen nur deswegen attraktiv, weil sie eine besonders dramatische Art ist, Anerkennung zu erlangen“ (ebd., S. 362). Selbst in Rousseaus Theorie (der „Drang zur Aktivität“) zeige sich ein
Fall die Differenz zwischen Erziehendem und Emile nicht verständlich wäre (vgl. Fain 2010, S. 478).
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Beherrschungswille, der nicht in das Konzept der Eigenliebe integrierbar wäre.12 Trotz der Einschränkungen hebt er an dessen Theorie hervor, dass sie „eine einzigartig reichhaltige und überzeugende Auffassung von der Rolle an[biete], die das menschliche Verlangen nach Anerkennung in den Beziehungen der Menschen spielt.“ (Ebd., S. 358) Unabhängig hiervon ist der Ertrag von Neuhousers rekonstruierten Ambivalenzen der Anerkennungsbeziehungen, dass moralische Forderungen nach Anerkennung irritierbar werden. Die relationale Struktur einer Anerkennung, die hier insbesondere unter den Aspekt der Wertschätzung diskutiert wird und in ein institutionalisiertes Grafikationssystem verortet ist, macht die potenziellen Macht- und Herrschaftsbeziehungen sichtbar, die innerhalb von Anerkennungsverhältnissen konstituiert werden können. Statt nun eine potenzielle Symmetrie in Form einer Solidarität als orientierenden Fixpunkt gesellschaftlicher Konflikte anzunehmen, geht Neuhouser von der Stellungsrelativität und der Unter- und Überordnungsdynamik von Anerkennungsbestrebungen aus, sich selbst als besser oder als der Beste wahrnehmen zu können. Anerkennbarkeit rückt somit als Problem in den Blick. Ein weiterer Punkt, der hierbei deutlich wird, ist das produktive Moment eines intersubjektiv hergestellten Selbstwertgefühls und der daraus erwachsenen Konkurrenzbeziehungen, die abhängig von den Wettkampfstrukturen hyperbolische Formen annehmen können. Eine Differenz, die er nicht explizit macht, ist die Anerkennung als kulturelle, ethnische und geschlechtsspezifische Identifizierung. Gebunden an die Originalschriften Rousseaus, welche sich bei der Frage um Ungleichheit auf ökonomische Größen und der daraus resultierenden asymmetrischen Machtverhältnisse beziehen, nimmt auch Neuhouser die sozioökonomischen Bedingungen und deren Einfluss auf kulturspezifische Wertvorstellungen auf. Er knüpft dabei an der Vorstellung einer bürgerlichen Gesellschaft an, in der die marktwirtschaftliche Sphäre integriert ist. 13
12 Der These, dass der Drang zur Aktivität als eine Art Wille zur Herrschaft gedeutet werden kann, der weder in der Selbstliebe noch der Eigenliebe zuzuordnen sei, wird von Lucas Fain widersprochen, der aufzeigt, dass es sich hierbei um eine „specific form of being-at-work“ (Fain 2010, S. 478) im Horizont des aristotelischen Begriffs der „energeia“ handelt. Sie markiert die Differenz von Jung und Alt. Erst wenn sie eine moralische oder politische Form annimmt, verbindet sie sich mit der „amour propre“ (vgl. ebd., S. 478 f.). 13 In seiner Studie Rousseau’s Critique of Inequality von 2014 präzisiert Neuhouser diesen Gedanken in einer Annäherung an Rawls Gerechtigkeitstheorie und Rousseaus Kritik der Ungleichheit. Er arbeitet dabei die Position heraus, dass jedem die Möglichkeit gegeben sein sollte, über Anerkennungsbeziehungen „self-respect“ (Neuhou-
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Mit den Fragen um Konkurrenz, um die Struktur von Grafikationssystemen, um den sachlichen Gehalt von Leistungen etc., die Neuhouser aufwirft, kann zur Verdeutlichung von ihm aus eine Brücke zu schultheoretischen Problemstellungen geschlagen werden. Der institutionelle Code der Schule, der Selektion, der Allokation und der Qualifikation (hierzu: Fend 2009), bewegt sich im Spannungsverhältnis systeminduzierter Graduierung und Konkurrenz und zugleich in einer spezifischen Befähigung, die mehr oder weniger den institutionalisierten Forderungen einer Gesellschaft entsprechen. Den Formen der Anerkennung, die positiven Sanktionen, das gesellschaftliche Ansehen von sozialer Statuszuweisung, die Zertifizierung von Kompetenzen etc. legten der dargelegten Theorie zur Folge die Gefahr zugrunde, die Individuen zu verdinglichen und das Überlegenheitsstreben mit allen Verwerfungen, die damit verbunden sind, zu verselbstständigen. Ein Grundproblem, dass Neuhouser mit dem Begriff der Pathologie zu thematisieren sucht, ist im Gegensatz zur gegenseitigen Verdinglichung die Ermöglichung einer relativen Unabhängigkeit sozialer Wertungen. Die Frage kann damit in zwei Problemkreise aufgefächert werden. Menschen müssen andere Quellen ihres „Selbstsein[s]“ erhalten und die Anerkennungsregime müssen in einer Form eingerichtet sein, dass sie den Wunsch nach Wertschätzung in gewisser Weise moderieren. Für den ersten Punkt ist das über die Arbeit vermittelte Selbstverständnis die scheinbar relevanteste Quelle zur Genese eines relativ stabilen Selbstverständnisses und der zweite Punkt bezieht sich auf den Institutionenmaßstab bzw. Gerechtigkeitsmaßstab, der die Vorrangstellung einzelner Personen und Gruppen für illegitim erklärt und Forderungen nach Möglichkeiten, ein angemessenes Maß an Befriedigung zu erlangen, formuliert. Aus der psychologischen Ebene kann dem normativen Anspruch an ein Bildungssystem entgegengebracht werden, die Schüler/-innen solange vor einem Konkurrenzsystem zu schützen und eine sachliche Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt zu ermöglichen, dass zumindest die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung eines „Selbstsein[s]“ mit einem
ser 2014, S. 215) als ein „primary good“ (ebd., S. 214) zu erfahren, weil dies die Bedingung für soziale Kooperation sei. In dieser Schrift schließt er sich auch der habermasianischen Kolonialisierungsthese an, dass eine unbegrenzte ökonomische Sphäre sowohl die demokratische Anerkennung als „free and equal citizens“ (ebd., S. 214) als auch die Partizipation am Arbeitsprozess durch eine starke Stratifizierung gefährden würde. Neuhouser verschränkt in seinem Gerechtigkeitsbegriff als „fairness“ (ebd., S. 220) die Verteilungsgerechtigkeit mit der Anerkennungsgerechtigkeit in Hinsicht der Sicherung von demokratischen Beziehungsformen, „fair value of equal political liberties“ (ebd., S. 219), und einer Chancengleichheit „fair equality of opportunity“ (ebd.).
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eigenständigen Urteilsvermögen erhöht. Aus der Makroperspektive müsste die Schule eine Chancengleichheit und nicht bloß gleiche Bildungschancen realisieren. Dies würde darüber hinaus aber auch eine Gesellschaft voraussetzen, die jedem eine würdige gesellschaftliche Position ermöglicht, in der dieser die Freiheit erhält, sich auch gegen soziale Forderungen entscheiden zu können. Die Möglichkeit der Distanznahme heißt aber nach der Lesart von Neuhouser nicht, dass Sozialität verneint werde. Sie werde weder einfach durch eine negative Freiheit ausgeklammert, noch werde sie reflexiv transzendiert. Der relationale Charakter der „amour propre“ sei zwar Ursprung für soziale Verwerfungen, gleichzeitig sei sie aber auch die Bedingung für eine reflexive Perspektivübernahme und eine ethische Rücksichtnahme. Die Bedingungen des gemeinsamen Zusammenlebens, gemeinsame Zielsetzung und politische Entscheidungen seien die Wahrnehmung der eigenen Interessen im Vergleich zu anderen und die Erfahrung der Relevanz der Urteile und Meinungen anderer für diese. Die vergleichende Wertzuschreibung, so ließe sich Neuhouser verstehen, generiert Erfahrungsmöglichkeiten, die einer ungezwungenen Kooperation bedürfen. Diese Erfahrungen müssen jedoch durch politische und erzieherische Mittel gerahmt werden, die einerseits die Ungleichheit zwischen den Menschen beschränken und andererseits den Menschen eine relative Unabhängigkeit von der Anerkennung anderer ermöglichen. Eine Reaktualisierung dieser Theorie würde auch, bedingt durch die theoretische Referenz Rousseaus, eine hohe Passung zu einer traditionellen pädagogischen Perspektive aufweisen. Die Schwierigkeiten, die eine durch Rousseaus Theorie inspirierte Perspektive mit sich bringt, hat Neuhouser schon teilweise benannt. Die Begriffe der Entfremdung, der Pathologie oder der Selbstliebe als ein ahistorisches Selbstverhältnis, setzen präskriptive Natürlichkeitsvorstellungen voraus, die Semantiken vom wahren Selbst, von Gesundheit und von natürlichen Bedürfnissen aufrufen. Unter pluralistischen gesellschaftlichen Bedingungen sind entsprechende essenzielle Universalisierungen aber als problematisch zu betrachten (vgl. Taylor 2012, S. 23 ff.). Die erziehungstheoretischen Überlegungen einer Transformation der „amour propre“ scheinen zusätzlich die Allmachtsidee aufzuwärmen, die in Erziehung und Bildung die eigentlichen Quellen der gesellschaftlichen Veränderung sieht.14 Unabhängig von Rousseaus Pes-
14 Steffen Herrmann rekonstruiert in Anschluss an Neuhousers Rekonstruktion von Rousseaus Anerkennungstheorie und verdichtet dessen Kritik an individualisierenden Wettbewerbsbeziehungen und der „amour propre“ zu einer „Anerkennungsbesessenheit“ (Herrmann 2017, S. 172). Er macht mit Charles Taylor und Hartmut Rosa darauf aufmerksam, dass diese Form der Konkurrenz erst durch spezifische gesellschaftliche
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simismus, werden den pädagogischen Institutionen Versprechungen einer besseren Gesellschaft aufgebürdet und den Heranwachsenden die Verantwortung der Erwachsenen für die Lösung der gesellschaftlichen Probleme übertragen (hierzu: Arendt 1958). Institutionentheoretisch verharrt diese Theorie zudem in einem Funktionalismus, die die Prämisse setzt, soziale Konflikte durch institutionelle Modifikationen der Grafikationssysteme moderieren und regulieren zu können. Zwar zeigt Neuhouser, dass Rousseau realistisch genug war, zu sehen, dass die Transformation zur Verbesserung von gesellschaftlichen Zuständen nur potenziell denkbar wäre. Trotzdem konfiguriert diese Perspektive ein zu einfaches Verhältnis von Subjekt und Objekt, die die Prozessualität der institutionellen Genese nicht ausreichend berücksichtigt. Die folgenden Ansätze von Siep und Honneth justieren ihre Perspektiven in Anlehnung an Hegel genau an diesem Punkt, an der Genese und der immanenten Dynamik von Institutionalisierungsprozessen im Verhältnis zu Anerkennungsbeziehungen.
2.2 LUDWIG SIEP: REKONSTRUKTION VON HEGELS INSTITUTIONELLEM ANERKENNUNGSBEGRIFF Einen Versuch Hegels Anerkennungstheorie in einem systematischen Zusammenhang mit dessen Institutionentheorie zu lesen, hat Siep 1979 vorgelegt und 2014 leicht überarbeitet herausgegeben sowie mit einem zusätzlichen Kapitel zu aktuellen Anerkennungstheorien ergänzt. Seine Studie Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie ist eine Reaktion auf den Diskurs zur praktischen Vernunft in den 1970er-Jahren und sollte zu einer Rehabilitation dieser beitragen. Sein Interesse an dem Prinzip der Anerkennung erläutert er an einem aus
Bedingungen wie den „Zerfall tradierter Anerkennungsordnungen“ (ebd., S. 171) und „de[n] Neoliberalismus“ (ebd., S. 172) erklärbar wird und nicht allein mit psychologischen Annahmen verknüpfbar wären. Wenn Individuen in den entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnissen „ihre Anerkennungswürdigkeit ständig unter Beweis stellen müssen“ (ebd.), dann argumentiert er, dass nicht die „Transformation der Dispositionen der Individuen“ (ebd.), sondern die „gesellschaftlichen Anerkennungsverhältnisse“ (ebd.) in den Blick genommen werden sollten. Neuhouser würde dieser Einschätzung teilweise folgen, da er versucht, einen institutionellen Maßstab zu entwickeln. Allerdings wären hiernach auch erziehungstheoretische Überlegungen zur Problematisierung von Anerkennungsverhältnissen unangemessen, weil sie den Fokus auf die Individuen und deren psychologische Persönlichkeitsstruktur lenken würde.
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seiner Sicht unbefriedigenden Theorieangebot der praktischen Philosophie in der Bearbeitung von zwei zentralen Problemen, (1) die unzureichende Verschränkung von Handlungstheorie und normativer Theorie und (2) einer fehlenden „Methode für die Analyse historisch gewordener Institutionen und Moralsysteme“ (Siep 1979, S. 14). Dem Mangel des Theorieangebots läge einerseits ein formales Verständnis von Prinzipien und andererseits die „Idealisierung oder Formalisierung eines Typs von sozialem Handeln“ (ebd., S. 16) zugrunde. Er kritisiert in diesem Zusammenhang theoretische Strategien, die der Beurteilung von Handlungen ein ahistorisches Verfahren der Entscheidungsfindung zugrunde legen und sich ihren eigenen geschichtlichen Verflechtungen nicht bewusst seien (Rawls). Ferner führe die Verwendung der Prinzipien als „apriorisch[e] Vernunftsbegriffe“ (ebd., S. 15) dazu, dass die Geschichte nach der Verwirklichung einer „zeitlosen Vernunft“ (ebd., S. 16) befragt (Habermas, Apels) oder Prinzipien nachträglich gerechtfertigt (Lorenzen, Schwemmer) werden. Die These von Siep ist, dass das Prinzip der Anerkennung die Bewusstseinstheorie, die Institutionentheorie und die historische Normengenese (vgl. ebd., S. 25) systematisch derart aufeinander zu beziehen erlaubt, dass eine historisch gesättigte Theorieperspektive von Institutionen in deskriptiver und evaluativer Hinsicht entworfen werden kann und zugleich differente Handlungsformen einbezogen werden können. Seine Annahme ist weiter, dass das Prinzip der Anerkennung das Prinzip der Vergesellschaftung im Ganzen ist und damit spezifische Handlungsformen wie etwa „Dialog, Liebe, Arbeit“ (ebd., S. 17) nicht abstrahiert und idealisiert werden müssten. In dieser frühen Schrift versucht Siep mit Hegel nachzuzeichnen, dass Anerkennung sowohl ein Grundprinzip der Handlungsorientierung und der sozialen Erfahrung ist und zugleich ein evaluatives Prinzip, das aus einer Erfahrungsgeschichte hervorgeht (vgl. ebd., S. 16 f.). Siep orientiert sich hierbei an Hegels Kritik des transzendentalen Freiheitsbegriffs von Kant und Fichte, und zielt dabei auf eine Erneuerung der hegelianischen Versöhnung des aristotelischen Sittlichkeitsbegriffs und des „modernen‘ Freiheitsbegriff[s]“ (ebd., S. 18) ab. Die Methode, die seiner Perspektive nach erfolgversprechend für diesen Versuch sei, ist Hegels Untersuchung der Geschichte als Lernprozess des Bewusstseins. Hierbei fokussiert er den Bildungsprozess „des Bewußtseins“ (vgl. ebd., S. 24) in Hegels Geistphilosophie, die handlungstheoretische Überlegungen in Relation zu Prozessen der Normgenese setzt. Diese wären einerseits anhand immanente Prinzipien dekodierbar und andererseits einem Bedeutungswandel unterworfen. Er nimmt dementsprechend Hegels Topos der historischen Erfahrung eines sich in Institutionen konkretisierten Prinzips und den holistischen Vernunftbegriff auf, der als dialektische Verallgemeinerungsbewegung einer Verwirklichung dieser gedacht wird, wenngleich er kritisch die Geistphilo-
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sophie ablehnt und die Institutionengenese historisch liest. Die Anerkennung soll demnach als „,genetische[s]‘ Prinzip“ (vgl. ebd., S. 25) und als umfassender Bezugspunkt der praktischen Philosophie angeboten werden. Hiermit handelt sich Siep gleichwohl das Problem einer teleologischen Bewusstseinstheorie und Geschichtsphilosophie ein, die in einem holistischen objektiven Geist bzw. einem System von Institutionen mit dem Status einer „absoluten Sittlichkeit“ (ebd., S. 23) mündet, von der er sich allerdings distanzieren möchte. Er gibt zu bedenken, dass dieses „,Primat‘ der Allgemeinheit“ (ebd., S. 23) einer „absoluten Sittlichkeit“ ein immanenter Widerspruch in Hegels Theorie sei. Sie widerspreche der potenziellen Wechselseitigkeit des Prinzips der Anerkennung, welche auf ein Equilibrium zwischen besonderem und allgemeinem Willen ausgerichtet wäre. Die Subjektkonstituierung im Allgemeinen eröffne vielmehr vermittelt durch das im Prinzip der Anerkennung angelegte Bewusstsein der Abhängigkeit die Möglichkeit der wechselseitigen Distanzierung und Freigabe (vgl., S. 22 ff.). Es sei im Kontrast zu Hegels Sittlichkeitsbegriff in diesem Prinzip eine „Überwindung der Verabsolutierung sowohl des Staates wie des Individuums“ (ebd., S. 23) angedacht. Diese stehe folglich in einer eigentümlichen Spannung zum Staat als „höchster Zweck“ (ebd.). Hieraus zieht er die Konsequenz, dass ein Entwurf einer nicht-teleologischen Anerkennungstheorie sich von „bestimmten Voraussetzungen des Hegelschen Denkens“ (ebd., S. 25) lösen müsse. Zur Realisierung dieses Vorhabens legt er seine Studie sowohl historisch als eine kritische Rekonstruktion der hegelianischen Theorie als auch systematisch, bezogen auf die Bedingungen einer Reaktualisierung, an. Aus diesem Grund arbeitet er sich in weiten Teilen an der Anerkennungstheorie Hegels ab, (1) die er aus den Jenaer Schriften und der Phänomenologie hermeneutisch rekonstruiert, (2) auf die Fragestellungen der praktischen Philosophie hin prüft, (3) den Erfahrungsbegriff herausarbeitet und (4) mit Habermas Sozialisationstheorie konfrontiert. Erst im letzten Kapitel gibt er Hinweise für eine aktualisierte Anerkennungstheorie, wobei er sich auch hier mit einer ausführlichen Besprechung der Asymmetrie in Hegels Werk und einer Besprechung der Rechtsphilosophie aufhält. Letztlich konkretisiert er im letzten Unterkapitel sein systematisches Vorhaben und bleibt, soviel lässt sich vorwegnehmen, bei der Skizze eines Programms stehen. Er hat diesen Ansatz im weiteren Verlauf seiner Theoriearbeit auch nicht weitergeführt, sondern seinen Arbeitsschwerpunkt von sozialphilosophischen Fragestellungen auf Fragen der Natur- und Kulturethik verlagert. Sein zweites großes Hauptwerk legte er 2004 mit einem Vorschlag einer konkreten Ethik vor (vgl. Siep 2004). Gleichwohl hat er sich zu den Entwicklungen innerhalb der anerkennungstheoretischen Diskurse immer wieder zu Wort gemeldet (hierzu:
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u.a. Siep/Takeshima, A./Takeshima B./Karakus 2004; Siep 2007a, 2009a, 2009b, 2010, 2014), worin er auch seine Skepsis gegenüber seinem früheren Programm zum Ausdruck bringt. Die Neuauflage der Studie „Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie“ von 2014 stellt in dieser Konsequenz auch keine Fortführung dieser früheren Studie dar, deren Intention er in einem Aufsatz von 2010 mit Rawls „Reflexionsgleichgewicht“ (Siep 2010, S. 257) vergleicht, sondern er möchte sie als eine Reaktion auf die Hegelrezeption in der praktischen Philosophie verstanden wissen. Adressiert werden von ihm vor allem der Neopragmatismus, der französische Existenzialismus und die Phänomenologie wie auch die Frankfurter Schule (Siep 2014, S. 12). Die Veröffentlichung gilt dabei einerseits der Erinnerung an die in seiner Studie von 1979 „angedeuteten Überzeugung“ (vgl. Siep 2014, S. 13), dass die Anerkennungstheorie Hegels auch in den frühen Schriften nicht ohne Weiteres von der Geistkonzeption zu lösen sei und sich eine „durchgehende Linie von der ,Vereinigungsphilosophie‘ des Frankfurter Hegels und der Jenaer Philosophie des Geistes bis zu der späteren (,Heidelberger‘ und ,Berliner‘) Philosophie des objektiven Geistes zieht“ (ebd.). Im Speziellen scheint ihn die Rezeption von Hegels Rechtsphilosophie zur Neuauflage motiviert zu haben und verweist damit indirekt auf Honneths Transformation von Hegels Rechtsphilosophie Das Recht der Freiheit.15 Er formuliert darüber hinaus sein Anliegen, auf die Grenzen der Anerkennungstheorie als „umfassendes Prinzip“ (ebd.) aufmerksam zu machen. Damit verknüpft er seine Studie 2014 mit einem Ziel, das dem der Studie 1979 diametral entgegensteht. Dies bedeutet nicht, dass Siep das Prinzip der Anerkennung verabschieden oder die Rezeption Hegels im Sinne Poppers als Vordenker des totalitären Staates diskreditieren möchte (vgl. ebd., S. 15). Vielmehr geht es ihm um eine kritische Auseinandersetzung und Einschätzung von Hegels Werken und einer angemessenen Verortung von dessen Anerkennungstheorie. Dass der Anerkennungsbegriff weiterhin
15 Hegels Rechtsphilosophie laufe nach Siep auf eine Sakralisierung des Staats und der staatlichen Souveränität hinaus. Nach Siep wollte Hegel sich durch die Überhöhung des Staates und die bürgerlichen Freiheitsrechte vor dem politischen Anspruch von Religionen wappnen (vgl. Siep 2015b, S. 230). Dabei gehe er soweit seine Argumentationsfigur parallel zur „christlichen Trinitätslehre“ (Siep 2007b, S. 95) eine Trias von „Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat“ (ebd.) zu entwerfen, womit der Rechtsstaat nicht nur „philosophisch letztbegründet [werde], sondern […] auch vom religiösen Gewissen und seinem Gottesbild bestätigt“ (ebd.) werden kann. Er weist aber auch darauf hin, dass Hegels Verabsolutierung des Staates „sehr wenig“ (Siep 2015b, S. 201) mit den totalitären Systemen „des Nationalsozialismus, Faschismus und totalitären Kommunismus“ (ebd., S. 201 f.) zu tun gehabt hat.
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für das Denken Sieps maßgeblich ist, habe ich auch in meiner Arbeit zu den Grenzen der Anerkennungstheorie herausgearbeitet (hierzu: Zulaica 2010). Bestätigt wird dies auch von einem Essay, das 2015 in der Zeitschrift Information Philosophie erschienen ist, in dem er die Frage behandelt hat, inwiefern die Philosophie, die er unter den Titel des „deutschen Stil[s]“ (Siep 2015a, S. 23) subsumiert, für die Gegenwart transformiert werden könnte. In dieser bringt er seine Skepsis gegen holistische systemtheoretische Prämissen, Ausschließlichkeitsansprüche, geschichtsphilosophische und eschatologische Ideen und Semantiken radikaler „Traditionsbrüche“ (ebd., S. 12) zum Ausdruck, während er die Problemorientierung, die negative Kritik von Geltungsansprüchen und die Suche von „Konsensrahmen“ (ebd., S. 15) als aktualisierungsbedürftig betrachtet. In diesem Kontext weist er dem Prinzip der Anerkennung eine Relevanz bezogen auf soziale Konflikte zu, wie etwa die Phänomene der Migration und der Vertreibung (vgl. ebd. S. 22). Allgemein sollte dem Systemdenken ein Verständnis „eines komplementären Pluralismus im sozialen Rahmen der Anerkennung“ (ebd., S. 23) folgen. Darüber hinaus hält er auch am Bedarf einer Auseinandersetzung mit „Erfahrungsgeschichten“ (ebd., S. 20) fest, obwohl dieser nicht entsprechend einer Geschichtsphilosophie gelesen werden könne. In der Neuauflage hebt er zudem im Kontext einer kritischen Einschätzung von Honneths Studie Recht der Freiheit und Rahel Jaeggis Kritik der Lebensformen das Potenzial des Begriffs der Anerkennung im Zusammenhang mit einer „schwachen Form von Erfahrungsgeschichte“ (Siep 2014, S. 33) hervor. Hier lassen sich sowohl Widersprüche in der „uneingelösten Symmetrie zwischen staatlichen und individuellen Rechten“ (ebd., S. 31) als auch „Anerkennungsfortschritte“ (ebd., S. 33) in Bezug auf familienähnliche Gemeinschaften, den „Prozeß der Säkularisierung“ (ebd., S. 32), die fragile Genese von Menschenrechten, den religiösen Pluralismus etc. feststellen. Diese Bereiche könnten des Weiteren in ihrer Institutionengenese auch anhand von Erfahrungen mit Gegensätzen nachvollzogen werden. Allerdings bedürfte es keines teleologischen „Modell[s] der Anerkennungskämpfe“ (ebd., S. 34), sondern eines nicht-teleologischen Erfahrungsbegriffs. Diesen Erfahrungsbegriff hat er schon in der Studie 1979 als eine Grundlage für eine Institutionenkritik „uneingelöste[r] Symmetrie“ zu entwerfen versucht (vgl. Siep 1979). Zum weiteren Verständnis dieser wird im Folgenden seine Interpretation von Hegels Prinzip der Anerkennung und sein „nicht-triviale[r] Begriff von historischer Erfahrung“ (ebd., S. 264) besprochen, um das Verhältnis von Institutionentheorie und Anerkennungstheorie näher zu bestimmen. Aufgrund der Aktualisierung wird in den weiteren Ausführungen auf die Neuveröffentlichung von 2014 Bezug genommen.
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2.2.1 Der Anerkennungstest und die Institutionengenese Zur Klärung des Begriffs der Anerkennung zieht Siep vor allem die Ausführungen Hegels zu Liebe und Kampf in den Jenaer Schriften und des Kampfes in der Phänomenologie des Geistes heran. Allgemein definiert er diesen als „Struktur praktischer und normativer Intersubjektivität“ (Siep 2014, S. 17) oder ferner als „Struktur eines Bildungsprozesses vom einzelnen und gemeinsamen Bewußtsein […], der die verschiedenen Interaktionsformen und sozialen Beziehungen von Sprache, Arbeit, Liebe, Vertrag, Tausch, Recht usw. auf jeweils spezifische Art bestimmt“ (ebd., S. 69 f.). Mit „Struktur“ ist dabei nicht nur eine „bewußte Tätigkeit“ (ebd., S. 17) gemeint, sondern vielmehr Handlungsweisen bzw. Praktiken, die aus einer reflexiven Betrachtung heraus als Anerkennungsformen nachvollziehbar werden. Die wechselseitige Anerkennung als rechtliche Person ist Bedingung für den Vertragsschluss und kann als eine solche analysiert werden. Sie muss dem Handelnden nicht bewusst sein. Es muss auch kein Akt einer verbal geäußerten Handlung sein. Die Praxis ist eine institutionalisierte Anerkennungsform, die nicht bloß ideell der Praxis als Struktur aufliegt, sondern sie wäre angelehnt an Hegel das Prinzip der Institutionengenese selbst. Anerkennung ist folglich „Prinzip als begriffene Genese vernünftiger Institutionen in der Geschichte“ (ebd., S. 251). Als Prinzip sind es folglich mehr als spezifische Anerkennungsformen, die soziale Beziehungen charakterisieren. Ihm muss eine Systematik immanent sein, die eine Institutionalisierung überhaupt erst induziert. Sie muss Impuls und prozessierende Struktur einer Ich-Wir-Relation sein, die eine Abhängigkeit von einander und eine Kooperationsnotwendigkeit intendiert. Die Nahtstelle des Prinzips der Anerkennung stellt hierfür eine Dezentrierung des Ichs durch einen anderen dar. Anerkennung aus einer hegelianischen Terminologie nimmt folglich ihren Ausgang in dem von Fichte übernommenem Theorem: „Das Selbstbewußtseyn erreicht seine Befriedigung nur in einem a nd e r n S e l b s t b e w u ß t s e y n .“ (PhG, S. 108)
Die reflexive Differenz zwischen Bewusstsein und Selbstbewusstsein ist das Moment, in das Hegel die Anerkennung miteinbezieht. Seine Annahme ist nämlich, dass unser Wissen intersubjektiv strukturiert und dass das Selbstbewusstsein immer über andere vermittelt ist. Wir lernen uns folglich als selbstwissendes und selbstständig handelndes Ich nur über die Reaktionen des anderen zu erfahren. Erklärbar wird dies über die Systematik der Erfahrung von Selbstverlust und Selbstbehauptung im Kontext der Selbstprüfung bzw. eines Anerkennungstests,
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an dem Siep ansetzt (Siep 2014, S. 225-227). Die Frage nach dem Selbst führt das Individuum somit aus sich heraus ins Intersubjektive und damit auch in den Raum des Allgemeinen. Auf der Grundlage dieser Prämisse entwirft Hegel einen Erfahrungsprozess, der sich an den zwei Polen des „Außersichseins“, des Selbstverlustes und der Andersheit der Selbstbehauptung bewegt. Das „Außersichsein“ findet in der Vereinigung zwischen Individuen und als Unterwerfung unter die gemeinsamen Handlungsregeln statt. Das „Anderssein“-Wollen bedingt die Auflösung der Vereinigung und setzt den besonderen Willen vor. Anerkennung ist hier folglich eingespannt in der Dynamik von Vergemeinschaftung und Konflikt. Einerseits im „Außersichsein“ als „Vereinigung“ durch die Selbstnegation bzw. erste Negation von individuellen und „natürlichen“ Bestimmtheiten und andererseits im „Anderssein“ als „Distanz“ durch die Negation des anderen und dessen Andersseins. Bezogen auf die Institutionengenese verortet Hegel nach Siep die erste Bewegung der Anerkennung auf die Institution der Familie, in der die eigene Andersheit und die des Anderen negiert und vereinigt wird. Der Mangel dieser Sozialform ist die „Selbstverlorenheit in der Einheit der Liebe“ (Siep 2014, S. 101), die dem Widerspruch eingeschrieben ist, dass die Selbsterkenntnis in der Liebe das „selbstlose Für-andere-sein“ (ebd.) ist. Die Einheit von Einzelheit und Allgemeinem in der Familie bleibt dabei ohne Gegensatz des Willens, der jedoch Voraussetzung für ein allgemeines Subjekt sei. Hiermit setzt die zweite Negation des „Außersichseins“ ein und das „Anderssein“ (ebd., S. 109) des anderen, indem es die Allgemeinheit seines Willens im anderen zu erkennen trachtet und dabei seine Selbstständigkeit im anderen zu reflektieren sucht. Diese Selbstbehauptung führt zum Kampf, in dem die Selbstprüfung (Anerkennen als Erkennen seiner selbst im anderen) seines Selbstverständnisses zur Überwindung des Selbstverlustes führen soll. Siep zeigt bei der Diskussion der Interaktionsform des Kampfes die Differenzen in der Theorieentwicklung von Hegel auf, in der sich die Bedeutung von der Besitzsicherung und -ergreifung in den Jenaer Schriften zur reinen Selbsterkenntnis in der Phänomenologie des Geistes gewandelt habe (vgl. ebd., S. 104108). Trotz dieser Verschiebung der Pointierung könne festgehalten werden, dass der Grund für den Kampf der Geltungsanspruch der „Selbstständigkeit und Ganzheit des Bewußtseins gegen ein anderes selbstständiges Bewußtsein“ (ebd., S. 107) sei. Der Widerspruch des Kampfes sei aber, dass die Erkenntnis des eigenen selbstständigen Selbstbewusstseins durch den anderen nicht erbracht werden könne, weil der andere in seinem Anderssein bzw. in seiner Selbstständigkeit negiert wird. Die „Aufhebung des Anderen [würde hiernach wieder] in Selbstaufhebung“ (ebd., S. 109) umschlagen, d.h. es entsteht eine Reziprozität, auf deren Fundament sich beide erkannt und anerkannt wissen. Ausdruck findet
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dies in dem „reinen Begriff des Anerkennens“ (PhG, S. 110) bzw. dem doppelsinnigen Tun oder der doppelsinnigen Negation: „Das Thun ist also nicht nur insofern doppelsinnig, als es ein Thun ebensowohl g e g e n s i c h als g e g e n d a s a n d r e , sondern auch insofern, als es ungetrennt ebensowohl d a s T h u n d e s E i n e n als d e s A n d e r n ist.“ (PhG, S. 110)
Siep drückt dies mit der folgenden Formulierung aus: „Der Doppelsinn liegt darin, daß jeder das, was er gegen den Anderen tut – Negation des Anderen – auch gegen sich selbst tut – Negation seines Anderseins bzw. äußerlichen Daseins. Er bedeutet ferner, daß das Tun eines jeden – gegen sich und den Anderen – zugleich das Tun des Anderen ist.“ (Siep 2014, S. 109)
Die Negation des Andersseins des anderen bedeutet für Hegel also deswegen auch die Negation des eigenen Anderseins, das sich im Kampf in der Form der knechtischen Unterordnung oder dem Verlust des Lebens manifestiert. Der Kampf um Anerkennung kulminiert bekanntlich in der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft, den Hegel in Referenz zu Hobbes als ein intersubjektives Verhältnis darstellt, indem ausgehend von einem absoluten Wahrheits- und Besitzanspruch, zwei Selbstbewusstseine gegeneinander in einen unversöhnlichen Kampf um Ehre eintreten. Die Unterwerfung spaltet die Bewusstseinsgestalten in ein herrschaftliches und in ein knechtisches Bewusstsein. Das Spezifikum von Hegels Gedankenexperiment ist die Abhängigkeit des Herrn vom Knecht aufgrund dessen vermitteltes Selbstverständnis, welches jedoch aufgrund der erzwungenen Anerkennung nicht befriedigend ist. Die Machtasymmetrie dreht sich insbesondere durch den Bildungsgehalt der Arbeit, die der Knecht vollziehen muss und damit im Kontrast zum Herrn die Erfahrung der Selbstständigkeit gegenüber dem Ding macht, im Zuge von Hegels Diskussion um (vgl. PhG, S. 109-117). Über den Kampf bahnt sich dadurch die Erkenntnis an, dass die Bedingung für Anerkennung die wechselseitige Anerkennung ist und verweist damit auf die Notwendigkeit von Selbstbegrenzung und wechselseitiger Freigabe, eine Gestalt des Bewusstseins, die für die Bildung von „rechtsförmigen Beziehungen“ (Siep 2014, S. 151) notwendig ist. Es entsteht eine institutionelle bzw. eine Wir-Sphäre reziproker Intersubjektivität. In Hegels Worten: „I c h , das W i r , und W i r , das I c h ist“ (PhG, S. 145). Hieraus schlussfolgernd deklariert Siep die „Synthese“ (Siep 2014, S. 151) bzw. „Vereinigung“ (als Selbstüberwindung) und „Distanz“ (als Selbstbehauptung und als wechselseitige Freigabe) zusammen als Grundstruktur der Aner-
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kennung, die den geschichtlichen Prozess der Institutionengenese hervorbringe und welche auf höheren, institutionell gerahmten Anerkennungsstufen (Recht, Wirtschaftsverkehr, Staat) eine spezifische Form einnehme (vgl. ebd. 151 f.). Aus dieser Rekonstruktion Hegels heraus, unterscheidet Siep nun „drei Hauptstufen des Hegelschen Systems der praktischen Philosophie“ (ebd., S. 229): „[…] a) Institutionen im Sinne aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen, durch die soziale Beziehungen selbstbewußter Wesen erst zustande kommen (Arbeit, Familie, Zweikampf); b) Institutionen als Regeln des Zustandekommens oder Vollzugs eines gemeinsamen, allgemein ,zustimmungsfähigen’ Willens (Eigentum, Vertrag, Strafgesetz, Rechtsprechung etc.); c) Institutionen im Sinne von Einrichtungen einer Gemeinschaft und ihrer Gruppen, die deren Selbstverständnis in Bezug auf die gemeinsame Lebensweise und die Lösung gemeinsamer Aufgaben zum Ausdruck bringen (ständische Verhaltensregeln und Gremien zu ihrer Durchsetzung, Regierungen […].“ (Ebd.)
In der Bewegung der Anerkennung verlagert sich die Anerkennungsrelation von Ich und Du in den grundlegenden Institutionen zu Relationen von Ich und Wir in höheren institutionellen Formen und Anerkennungsstufen. Die Selbstbehauptung und die „Selbstartikulation des Willens“ (ebd., S. 231) als „Anerkennungstest“ (ebd., S. 259), die insbesondere in der Methode der Phänomenologie des Geistes deutlich hervortrete, bilde das Scharnier zwischen diesen Relationen, insofern der Wille zum Anerkanntsein im anderen auf eine Allgemeinheit abziele, die nur in institutionellen Handlungsregeln und schlussendlich in einem allgemeinen Willen zur Einheit gebracht werden könne. Der „Anerkennungstest“, als Darstellung seines Selbstverständnisses im anderen und der Prüfung dieses als allgemeingültig, dürfe demnach nicht nur individuell, sondern bezüglich kollektiver Identitäten verstanden werden. Institutionen müssten somit symbolisch als Ausdruck eines „gemeinsamen Selbstverständnisses“ (ebd., S. 259) gefasst werden und nicht nur als funktionale Größen. Methodisch hieße dies, Krisen als Radikalisierungen von in Institutionen verstetigten Normen durch entsprechend repräsentative Personen zu interpretieren und diese Radikalisierung als Widerspruch exemplifizieren zu können, welche dann zum Gegenstand von Kritik würden. Zusammenfassend nennt Siep letztlich drei Gründe für die Bedeutung des Prinzips der Anerkennung hinsichtlich der „Normen- bzw. Institutionengenese“ (ebd., S. 260), (1) die Vermitteltheit des „,Selbstverhältnis[ses]‘“ (ebd.) über den Anderen und die Schlussbewegung zur Bestätigung und Korrektur der eigenen Meinung, (2) der notwendige Wandel der Institutionen durch die reflexive Bewegung des Anerkennungstests bzw. Selbstprüfung und (3) der Telos der voll-
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endeten „Anerkennung des ,Ich‘ im ,Wir‘ und umgekehrt“ (ebd.), deren Triebfeder die Selbstbehauptung und deren Überwindung ist. 2.2.2 Die Historizität von sozialen Konflikten Die Interdependenz der Anerkennungstheorie mit deren teleologischer Geistesphilosophie ist es, die Siep große Schwierigkeiten bereitet, das Prinzip der Anerkennung nicht-teleologisch zu begreifen, weswegen auch das letzte Kapitel in weiten Teilen durch eine kritische Distanznahme zu Hegels Schriften gekennzeichnet ist. Zwar hält er durchgehend an der These fest, dass Hegel immanent kritisierbar wäre und die potenzielle Symmetrie der doppelsinnigen Selbstnegation in dessen Institutionentheorie eben nicht eingelöst wäre, was ihn aber nicht davon abhält, die Möglichkeit der Reaktualisierung zentraler Begriffe Hegels anzuzweifeln. Der Grund für die theorieimmanente Spannung macht er an Hegels Logik und Geschichtsphilosophie und der daraus resultierenden Bildungs- und Bewusstseinstheorie fest, an deren Ende nicht die „unverwechselbare Individualität“ (ebd., S. 246) stünde, sondern die in einer wissenschaftlichen Bildung münde, von der aus der Philosoph über die Legitimität des allgemeinen Willens bzw. des „Volksgeistes“ (ebd., S. 273) urteilen könne. Bildung in diesem Sinne hieße die Befreiung des Individuums „von seiner Natürlichkeit und den daran ,haftenden‘ Beziehungen zu anderen“ (ebd., S. 272) und das Einlassen auf die „,Besonderungen‘ des Volksgeistes“ (ebd., S. 273). In den gesellschaftlichen Beziehungen sollte sich dann auch nicht das besondere Individuum darstellen können. Es soll sich der „Geist des Ganzen“ (ebd.) im Individuum konkretisieren und verwirklichen, womit das Individuum austauschbar würde. Demnach wäre auch die Suche nach einer Verwirklichung des Prinzips der Anerkennung in den Institutionen vergeblich (vgl. ebd., S. 153) und dies nicht nur auf der Ebene von Ich und Wir, sondern auch zwischen den Institutionen. Hegel gehe von einer Hierarchie zwischen den Institutionen aus, die nach ihrem jeweiligen Differenzierungs- und Bildungsniveau gestaffelt sei. Dem Allgemeinen und damit vor allem dem Staat als höchste Stufe der Anerkennung käme in Verhältnissen zu niedrigeren Stufen ein Primat zu. Der Sicherung der staatlichen Zwecke verleihe er also ein höheres Recht als Freigabe anderer Institutionen, die diesen unterworfen werden. Die theoretischen Ausführungen Hegels wären abschließend durchgehend asymmetrisch angelegt und insbesondere in Hegels Rechtsphilosophie von seiner Kritik an den „Verwirrungen religiöser und ,liberalistischer Gesinnungen‘“ (ebd., S. 281) geprägt. Aus dieser umfassenden Kritik wird verständlich, wieso Siep nur eine Skizze einer nicht-teleologischen Anerkennungstheorie angefertigt hat. Die Elemente, die aus seiner Sicht für die gegenwärtige praktische Philosophie noch relevant sind,
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sind nun nicht Hegels inhaltliche Analysen der Institutionengenese und auch nicht seine teleologische Argumentationsstruktur, sondern grundsätzliche methodologische Überlegungen zum Verhältnis eines historischen Erfahrungsbegriffes, eines im Bedeutungswandel begriffenen Anerkennungsprinzips und einer Institutionengenese, die über ein reflexives Gleichgewicht zwischen wechselseitiger Vereinigung und Distanz beurteilt werden könne. Der Mehrwert, den Siep in der Relektüre Hegels sieht, ist dessen „Erfahrungsbegriff“ (ebd., S. 264), dem Momente einer „nicht-teleologischen Konzeption von Erfahrungen“ entnommen werden könnten, zu denen er (1) die Krisenthese, (2) die These der Institutionentransformation als Krisenreaktion und (3) die Möglichkeit eines historisch relativen anerkennungstheoretischen Institutionenmaßstabs im Horizont des Prinzips der Anerkennung zählt (vgl. ebd. 264). Hierfür muss die Krise jedoch als eine „Selbstprüfung einer Bewußtseinsweise“ (ebd., S. 264) interpretiert und in eine Kontinuität mit Transformationen gesetzt werden. Kern einer entsprechenden hegelianischen Institutionentheorie sind durch Widersprüche und Krisen induzierte Veränderungsprozesse, die mit theoretischen Konzeptionen kollektiven Lernens erläutert und im Rahmen einer zumindest schwachen „Erfahrungsgeschichte“ (ebd., S. 282) dargestellt werden könnten. Durch eine historische Untersuchung der Normgenese könne a) die konkrete Bedeutung von Anerkennung in Institutionen herausgearbeitet und es könne des Weiteren b) durch eine Extrapolation dieser Bedeutungsvarietäten des Prinzips eine kritische Positionierung artikulierbar werden, die auf historisch relative Fortschritte hinweist. Bedingung zur theoretischen Bearbeitung dieses Programms sind für Siep die folgenden drei Schritte: (1) die Verknüpfung der Anerkennungstheorie mit modernen bewusstseinstheoretischen Ansätzen (Sprachanalytik, Spieltheorie, Kommunikationstheorie), (2) eine philosophische Systematisierung von sozialpsychologischen Untersuchungen zu „gelungenen oder mißglückten Identitätsbildungen“ (ebd., S. 282) und (3) eine Interpretation der „in der Geschichte der Moralen und Verfassungen erprobte[n] Institutionalisierungen von Anerkennungsbeziehungen“ (ebd.). Trotz der Historizität des Programms glaubt Siep nicht, dass dieses in einen Relativismus münden würde. Zwar könne damit auf kein universelles Recht mehr rekurriert werden, aber spezifische „Erfahrungsschritte“ im Zuge der „Geschichte des Rechts“ (ebd., S. 283) wären gleichwohl irreversibel. Dies ist derart zu verstehen, dass „im vorstellbaren Raum der Gründe nichts erkennbar ist, was [den] freiwilligen Widerruf“ (Siep 2015a, S. 20) von spezifisch gewordenen Normen wie etwa der „Menschenrechte[n]“ (ebd.) oder des „Grundrechtsschutz[es]“ (Siep 2014, S. 284) rechtfertigen könne.16
16 Siep geht davon aus, dass Werte wie „Menschenwürde, Menschenrechte, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit“ (Siep 2015b, S. 203) gut begründet werden können, oh-
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Eine entsprechende Anerkennungstheorie, die er der praktischen Philosophie zuordnet, müsste den Ansprüchen genügen, institutionelle „Entwicklungen und Bewußtseinsentwicklungen, die Anerkennung verhindern oder erschweren, [zu] identifizieren und [zu] kritisieren“ (ebd., S. 283). Er formuliert weiter die Hoffnung, dass sich die Grundstruktur der Anerkennung, „des Sich-Wiederfindens im Anderen (Vereinigung), der Selbstbehauptung und der wechselseitigen Freigabe (Distanz)“ (ebd.), als adäquat für die Beschreibung von Institutionen erweisen wird und „,vernünftige‘ Institutionen“ (ebd.), daran zu erkennen wären, inwiefern sie Individuen und Gruppen das Bewusstsein ihrer Selbstständigkeit und der gegenseitigen Abhängigkeit ermöglichen (vgl. ebd., S. 283 f.). Gebundenheit und Veränderbarkeit, Loyalität und Freigabe müssten hiernach in Institutionen erfahrbar werden, um sie als Realisationen vom Prinzip der Anerkennung rekonstruieren zu können. Als Maßstab, der sich aus einer entsprechenden Theorie für eine „,kritische‘ praktische Philosophie“ (ebd., S. 284) ableiten ließe, führt er neben dem „Grundrechtsschutz“, die „Ermöglichung einer nicht ausschließlich politischen Existenzform und die Respektierung gesellschaftlicher ,NonKonformität‘“ (ebd.) an. 2.2.3 Institutionalisierte Anerkennungsformen und ihre moralische Relevanz Wie oben ausgeführt sieht er sich mit diesem Ansatz in einer Theorietradition mit Rawls später Gerechtigkeitstheorie im Sinne eines Reflexionsgleichgewichts, welche er im Zuge seines theoretischen Denkens im Kontext von anerkennungstheoretischen Überlegungen nur noch indirekt verfolgt. Er schwenkt beginnend mit seinem Aufsatz Zwei Formen der Ethik von 1997 (vgl. Siep 1997) auf eine holistische und historisch-hermeneutische Denkweise hin, in der er die Grundidee für seine 2004 veröffentlicht konkreten Ethik vorzeichnet. Allgemein kann dieses Programm als eine Überwindung des Anthropozentrismus der modernen Ethik und einer Rehabilitierung des Natur- und Kosmosbegriffs gelesen werden (vgl. ebd., S. 14 f.), wobei er wertethische Überlegungen in den Fokus seiner Theoriebildung stellt. Mit dieser Verlagerung des theoretischen Fokus
ne auf den Begriff „einer reinen oder absoluten Vernunft“ (ebd.) rekurrieren zu müssen. Sie lassen sich sowohl über historische Erfahrungen als auch über allgemeine Konzepte „der Person, der Autonomie, der Gleichheit und der Pflicht“ (ebd., S. 199) explizieren und plausibilisieren. Die Historizität führe hiernach aber nicht in einen bloßen Dezisionismus, da die genannten Werte auch in „außereuropäischen Kulturen“ (ebd., S. 203) zunehmend gefordert werden.
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geht das Argument einher, dass eine Reihe ethischer Fragen sich nicht ohne Bezug auf Weltbilder, Lebensformen, ethische Traditionen etc. angemessen thematisieren lassen. Hierzu zählt er Fragen zu Wandlungsprozessen der Identitätsbildung, zu interkulturellen Konflikten und zum Umgang mit der Natur (vgl. Siep 2009a, S. 120 f.). Die Grenzen des Prinzips der Anerkennung erklärt sich Siep über den Formalismus der Symmetrieforderung. Handlungstheoretische oder anthropologische Vorannahmen könnten nicht überzeugen, da gesellschaftliche Konflikte nur vordergründig Fragen der Anerkennung seien. Sie würden präziser an Wertvorstellungen liegen, in deren Hinsicht sich Menschen jeweils begegnen würden. Aus diesem Grund sei es notwendig, sich mit Vorstellungen des guten Lebens auseinanderzusetzen, um Konsensmöglichkeiten auszuloten. In seiner Studie Konkrete Ethik geht er davon aus, dass Weltbilder und ethische Traditionen Überzeugungssysteme sind, denen Aussagen über Erstrebens- und Ablehnungswertes inhärent sind, und in Bezug auf konkrete Fragestellungen wie etwa die gleichgeschlechtliche Ehe, die Pränataldiagnostik, das reproduktive Klonen etc. zur Klärung in ein reflexives Equilibrium gebracht werden könnten. Mit dieser Methode, die er an einem integrativen und graduellen Kohärenzbegriff orientiert, versucht er differente Weltbilder und Wertvorstellungen in einen Diskurs einzubinden. In einem Vergleich der Wertvorstellung könnten somit Annahmen und Lösungsvorschläge herausgearbeitet werden, die „möglichst überzeugend zu begründen“ (Siep 2004 S. 120) seien. Als übergeordnete Perspektive entwirft er „ein Konzept des guten Ganzen, [dass sich] als eine […] gegebene […] und geordnete […] Mannigfaltigkeit, innerhalb [derer] Gruppen und Individuen Ansprüche unterschiedlichen Gewichts auf eine gerechte Verteilung der Gedeihensbedingungen haben, auf eine Art „consensus omnium“ kultureller Schöpfungs-, Kosmos- oder auch Paradiesvorstellungen“ (ebd., S. 119) stützen lassen sollten. Die Philosophie nimmt hier die Rolle einer rahmenden, moderierenden Instanz ein, die den gesellschaftlichen Diskurs und die demokratischen Willensbildungsprozesse dezidiert nicht vorwegnimmt, sondern Untersuchungen zu Moral- und ethischen Überzeugungssystemen anbietet, um die Möglichkeiten und Bedingungen einer friedlichen Koexistenz in einer pluralistischen Ordnung zu diskutieren. Ähnlich wie Rawls schwebt Siep hier eine soziale Wohlordnung vor, die historisch im Zuge von Prozessen des Wertewandels immer wieder aktualisiert werden müsse (vgl. Siep 2010, S. 273). Nun sind auch in diesen Theorieteilen Semantiken der Anerkennung unverkennbar. Die Diskussion von Weltbildern nach Kohärenzen kann als ein Versuch verstanden werden, Passungsverhältnisse zu skizzieren, die gemeinsame Beratungen, Willensbildungsprozesse und politische Kooperationen ermöglichen
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sollen. Den Anerkennungsbegriff versucht er jedoch nicht im Kontext eines „normativen und teleologischen Begriff[s] von Vernunft und Selbstbewusstsein“ (Siep 2010, S. 269) zu rechtfertigen, sondern diesen als ein Ergebnis eines historischen Lernprozesses nachzuvollziehen. Aus Erfahrungen von Kämpfen, Kriegen, Diskriminierungen und menschlicher Kooperationsnotwendigkeiten wären Stufen „wechselseitiger Anerkennung“ (ebd.) entstanden, die die gesellschaftlichen Kommunikationsprozesse und die Moralvorstellungen prägen würden. Als Stufen und Formen der Anerkennung führt er (1) die Achtung, (2) die NichtDiskriminierung, (3) die Toleranz, (4) die Solidarität, (5) die Freundschaft und (6) das gemeinsame Werk an, die er anhand differenter Verpflichtungsgrade unterscheidet. Hierbei wären die ersten drei Formen, Achtung der körperlichen und psychischen Integrität und Unversehrtheit, die Gewährleistung von Partizipation und die Tolerierung der Fremdheit, verpflichtend. Den Verpflichtungsgrad der Solidarität differenziert er nach rechtlichen und sozialstaatlich notwendigen Hilfeleistungen wie einer Grundsicherung und verdienstlicher Pflichten solidarischer Beziehungsformen. Die Freundschaft und das gemeinsame Werk wären nicht erzwingbar, sondern würden auf individueller Zuneigung und spezifischen Passungen von Wertvorstellungen basieren (vgl. ebd., S. 272 f.). Die Skizze der Anerkennungsformen bietet nun neben einer ethischen Thematisierungsweise heuristische Anknüpfungspunkte und ein hohes Differenzierungsniveau. Insgesamt ist allerdings kritisch anzumerken, dass mit der wertethischen Wende im Denken Sieps ein gewisser Konservatismus deutlich wird. Während in seiner Studie noch die Identifizierung von problematischen Institutionalisierungsprozessen im Vordergrund stand, wenngleich seine skrupulöse Interpretation Hegels eine produktive Wendung der entsprechenden Theorieelemente verbaut zu haben scheint, kommt hier doch noch eine kritische Haltung zum Ausdruck. Seine Idee eines „guten Ganzen“ als regulative Idee eines Wertediskurses kann auch als eine Akkommodation an gegebene Moralsysteme gelesen werden. Aus seiner Perspektive mag ein prospektiver Horizont ein Moment einer überholten Philosophie sein, die noch in der Tradition einer Geschichtsphilosophie steht. Allerdings neigt seine moderierende Positionierung und seine Orientierung an einem allgemeinen Konsens, die Machtdynamiken zu unterschätzen, die mit Wertdiskursen einhergehen.17 Des Weiteren bleiben auch
17 Sieps werttheoretische Perspektivierung in der konkreten Ethik ist auf eine Reihe von Widersprüchen gestoßen, die insbesondere gegen seinen Wertrealismus, seine Kritik an der Subjektivitätstheorie und seine Natürlichkeitstheorie ausgerichtet sind. Der Sammelband Ethik und die Möglichkeit einer guten Welt von 2008 dokumentiert diese Auseinandersetzung. Während z.B. Dieter Birnbacher die Argumentation des natura-
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materielle Dimensionen des sozialen Raums und der Zusammenhang mit diesen ausgeblendet. An seiner Studie zum Prinzip der Anerkennung hervorzuheben ist aber, dass er ein konfliktuelles Verhältnis zwischen Institution und Individuum zeichnet, welches weder einem Individualismus noch einem Traditionalismus das Wort gibt, sondern in dem Selbstbegrenzung und Freigabe zusammengedacht werden und in einen sozialen Lernprozess eingesponnen werden. Sieps Institutionentheorie einzuschätzen, fällt an dieser Stelle eher schwer, weil er sich einerseits von den Hegelianischen Denkfiguren zu lösen versucht und andererseits nur Skizzen eines eigenen Programms entwickelt hat, dass er letztlich nicht weiterverfolgt hat (hierzu: Siep/Quante 2013). Nichtsdestotrotz zeigt seine Studie zweierlei: Anerkennungsverhältnisse sind im sozialen Kontext an mehr oder weniger stabilen normativen Ordnungen bzw. an Wir-Relationen gebunden. Das allgemeine Medium der Institutionen ermöglicht hierbei Verständigung und Handlungskoordination und fordert aber auch Anpassung. Im Prinzip
listischen Fehlschlusses in Erinnerung ruft und aufzeigt, dass Wertungen von als natürlich wahrgenommenen Phänomenen kein Sollen rechtfertigen können (vgl. Birnbacher 2008, S. 37 f.), kritisiert Angela Kallhoff, dass Sieps Wertrealismus das „subjektive Element der Bewertung sowie die Einsichtsfähigkeit des Menschen“ (Kallhoff 2008, S. 101) zu wenig berücksichtigt. Bernard Gesang konkretisiert die Kritik am Wertrealismus am Wert des Pluralismus, der auf einer subjektiven Intuition basiere und nicht selbstverständlich sei (vgl. Gesang 2008, S. 80). Ähnlich betont Torge Karlsruhen, dass die Annahme eines Konsens in Werturteilen empirisch nicht haltbar sei. Siep blende aus, dass positive Rechte durch politische Prozesse auf der „Basis von Kompromissen und Mehrheiten“ (Karlsruhen 2008, S. 107) zustande kämen. Bettina Schöne-Seifert konfrontiert die Wertethik Sieps mit dem Paternalismusproblem im Kontext wertrealistischer Überlegungen einer guten Welt, die subjektive Werthaltungen nicht integrieren kann (Schöne-Seifert 2008, S. 210 f.). Georg Mohr bemängelt gar, dass der konkreten Ethik eine Subjektivitätstheorie als „selbstreflexive[r] Rahmen“ (Mohr 2008, S. 167) fehle, „wenn sie sich nicht als dogmatische oder esoterische Lehre verstehen will“ (ebd.). Diese Kritik lässt sich kontrastieren mit dem Einwand Friedo Rickens, der argumentiert, dass die Gedankenmodelle des Reflexionsgleichgewichts nicht mit dem Werterealismus zusammenpassen. „Die erfahrenen Werte werden durch die anthropologischen Aussagen nicht korrigiert“ (Ricken 2008, S. 181), sondern nur durch weitere Erfahrungen. Michael Quante richtet seine Kritik an diesem Problem aus, wenn er ein Fehlen einer „ausgearbeitete[n] Theorie ethischen Abwägens“ (Quante 2008, S. 176) anmahnt. Die Kritiken überblickend wird bemängelt, dass Siep die Idee des Konsenses von Werturteilen überschätze und die Konfliktualität gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse unterschätze.
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der Anerkennung kommt nicht das unveräußerliche einzigartige Individuum zur Geltung, sondern die durch die soziale Umwelt vermittelten und im Wandel begriffenen Selbst- und Weltverständnisse, die überhaupt erst Handlungsfähigkeit sichern. Gleichzeitig gehört aber auch mit der „Moderne“ die Reflexion und die Freigabe bzw. die Kritik von unzumutbaren sozialen Ansprüchen zum Anerkennungstheorem. In seinen frühen Schriften entwirft er entsprechend ein prekäres Verhältnis von institutioneller Stabilisierung und kritischer Verflüssigung oder anders formuliert: eine Dynamik von ermöglichender Sozialität als Handlungsbedingung und kritischer Distanznahme. Im Kontrast zu Neuhouser und seiner Rousseau-Rezeption operiert Siep nicht mit sozialphilosophischen Begriffen wie Entfremdung oder Pathologie, weil er seine Aufgabe nicht im Entwurf einer kritischen Theorieperspektive sieht. Vielmehr geht es ihm um eine ethische Reflexion im Kontext einer moderierenden und historisch arbeitenden, praktischen Philosophie. Sieps Einschätzung, dass der Begriff der Pathologie in Anbetracht historischer Erfahrungen problematisch ist, erscheint aus der hier vertretenen Position heraus plausibel. Ein weiteres Moment, das auffällig ist, ist dass die Perspektive Sieps nicht die funktionalistischen Züge annimmt, wie sie Neuhousers Perspektive charakterisieren. Dies lässt sich aus der hier vertretenen Sichtweise an den unterschiedlichen Einsätzen der beiden Theorien erklären. Während Neuhouser an einem externen Kriterium guter Institutionen anknüpft und ein relativ starkes normatives Konzept der Gleichheit und Gerechtigkeit zugrunde legt, entwickelt Siep dagegen zwar auch eine kritische Institutionentheorie, seine Thematisierung von Anerkennung läuft aber auf eine historische Rekonstruktion und einen Selbstvergewisserungsprozess gemeinsamer Beratung hinaus. Die Verknüpfung eines historischen Erfahrungsprozesses, einer Institutionengenese und der Identifizierung von kritikablen sozialen Anerkennungsbeziehungen wird als Programm eher von Axel Honneth in Das Recht der Freiheit fokussiert. Dieser Ansatz wird nun im nächsten Schritt analysiert.
2.3 AXEL HONNETH: ANERKENNUNG UND SITTLICHKEIT Einer Diskussion von Axel Honneths Theorien steht derzeitig eine relativ unübersichtliche Lage von Publikationen gegenüber und dies nicht nur durch die Menge an Sekundärliteratur, sondern auch durch die vielfältigen Publikationen von Honneth selber. Die Studie, die die meiste Aufmerksamkeit erhalten hat, ist sein Frühwerk Kampf um Anerkennung von 1994, in der er sozialen Kämpfen im
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Kontrast zu Foucault moralische Motive zuspricht und in der der Kampf um Anerkennung im Prozess der Individualisierung zu einer Verflüssigung des sozialen Raums und zu einer zunehmenden Resonanz innerhalb diesem gegenüber Selbstverwirklichungsstreben führt (vgl. Honneth 2012). Mit dieser Studie ist die Absicht verbunden, die Tradition der kritischen Theorie zu erneuern (hierzu: Schmidt am Busch 2011). Sie wird bis heute rezipiert (hierzu u.a.: Prengel 2013; Schoneville 2013), diskutiert und kritisiert (hierzu u.a.: Bünger 2005; Laitinen 2009; Siep 2009a, 2009b; Behdorf 2010; Wigger 2011; Stahl 2013; Rosa 2017; Lepold 2017). Er selbst gibt in einer erweiterten Auflage von 2003 in der Auseinandersetzung mit Kritiken von Carl-Göran Heidegren, Heikki Ikäheimo, Arto Laitinen und Antti Kauppinen zu bedenken, dass seine Theorie der Anerkennung nur in „Versatzstücke[n]“ (Honneth 1994/2012, S. 341) vorliegen würde, die noch ohne rechte Passung sind (vgl. ebd.). Ein Höhepunkt der theoretischen Diskussion dieses Werkes stellt die Debatte zwischen Nancy Fraser und Axel Honneth dar, in der Fraser vorgreifend Kritikpunkte am Identitätsmodell, an der Ausblendung ökonomischer Verteilungskonflikte, an der Idee des guten Lebens und am Individualismus des Selbstverwirklichungsmodells aufwirft, die prägend für den weiteren Verlauf der theoretischen Auseinandersetzung gewesen sind (vgl. Fraser/Honneth 2003). Auch die folgenden theoretischen Entwicklungen Honneths, die meist als Aufsatzsammlungen veröffentlicht wurden, sind nur schwierig auf einen Gesamtentwurf zu beziehen. Henning Röhr beschreibt in einem 2009 veröffentlichen Aufsatz Anerkennung – Zur Hypertrophie eines Begriffs Honneths theoretische Bemühung in drei Phasen, der (1) Konkretisierung seiner Grundintention, (2) Versuche sozialhistorischer Herleitungen und (3) Verlagerung auf phänomenologische Analysen (vgl. Röhr 2009, S. 94). Nicole Balzer geht in ihrer Studie Spuren der Anerkennung von 2014 diesen Verästelungen sehr präzise nach (vgl. Balzer 2014).18 Für die hier verfolgte Fragestellung, dem Verhältnis von Anerkennungstheorie und Institutionentheorie nachzugehen, wird im Folgenden eine Begrenzung vorgenommen, und zwar auf dessen spezifische institutionelle Wende, die in seinem bisher umfangreichsten Werk Das Recht der Freiheit von 2011 gipfelt. Hier greift er einen theoretischen Gedanken auf, den er in seiner kleinen Studie Leiden an Unbestimmtheit von 2001 skizziert. In dieser kleinen Studie lotet er das kritische Potenzial von Hegels Rechtsphilosophie aus, indem er Hegels Begriff der Sittlichkeit als „kommunikative Sphäre“ (Honneth 2001, S. 54) einer „ungezwungenen Selbstverwirklichung“ (ebd., S. 53) deutet. Der Begriff der
18 Als weitere Gesamtdarstellung sind Deranty 2009, Schmidt am Busch 2011 und Zurn 2015 zu nennen.
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Freiheit verdrängt hierbei den der Anerkennung. Obwohl er sich in seiner Monografie Verdinglichung noch um ein anthropologisches Konzept einer elementaren Anerkennungsform und einer universalistischen Fundierung bemüht (vgl. Honneth 2005), nimmt er in seinem Aufsatz Das Reich der verwirklichten Freiheit von 2010 den Freiheitsbegriff erneut auf. Er nutzt hier Neuhousers Studie Foundations of Hegel’s Social Theory von 2000 zu Hegels Willensbegriff (vgl. Neuhouser 2000), um das theoretische Programm für Das Recht der Freiheit vorzuzeichnen, genauer gesagt, die historische Analyse von Institutionen in Hinsicht der „sozialen Bedingungen der individuellen Selbstbestimmung“ (Honneth 2010, S. 47). Seine frühere Idee, auf der Grundlage eines „,Geltungsüberhang[s]‘ der Anerkennungsnorm“ (ebd., S. 341) eine normativ gehaltvolle Gesellschaftstheorie zu entwerfen, wird in eine historische Faktizität von Anerkennungsnormen im Kontext von Freiheitskonzeptionen transformiert. Heikki Ikäheimo deutet diese theoretische Verlagerung der Argumentation als eine Strategie Honneths, die Probleme des Begriffs der Verdinglichung 19 zu umgehen, mit der er die „Spannung zwischen den universal-anthropologischen und den historischen Motiven seines Projekts“ (Ikäheimo 2014, S. 162) nicht hätte auflösen können. Mit dieser Wendung erhalte die Anerkennung aber nur noch eine nebensächliche Rolle und der universalistische Anspruch der früheren Schriften würden quasi aufgehoben (vgl. ebd.).20 Gleichzeitig, und dies erscheint hier
19 Eine Kritik am Verdinglichungsbegriff Honneths wird von Dirk Quadflieg formuliert, der Honneth aufgrund seiner These, dass die Verdinglichung eine Verdeckung der sozialen Freiheit wäre, die in intersubjektiven Verhältnissen angelegt sei, eine „verkürzte Verdinglichungskritik“ (Quadflieg 2011, S. 708) vorwirft. 20 Kristina Lepold zieht in ihrer kritischen Diskussion von Honneths anerkennungstheoretischer Gesellschaftstheorie eine Linie zwischen der frühen Anerkennungstheorie im Kampf um Anerkennung und seinen späteren Überlegungen in Das Recht der Freiheit. Honneth habe die Annahme von institutionalisierten Anerkennungsbeziehungen erst im Nachhinein konkretisiert und mit einer „Theorie der modernen Gesellschaft“ (Lepold 2017, S. 291) ergänzt. Tatsächlich werden die institutionellen Implikationen in Honneths Kampf um Anerkennung oftmals überlesen (vgl. Renault 2011). Die Argumentationsstruktur, so wie sie Lepold entwickelt, als eine Konkretisierung von Anerkennungsbeziehungen scheint aus der hier vertretenen Lesart aus mehreren Gründen zu verkürzt. Der gewichtigste Grund ist, dass Honneth den Freiheitsbegriff zum normativen Horizont erhebt und Anerkennung diesem unterordnet. Anerkennung wird mit der Bedingung verknüpft soziale Beziehungen zu gewährleisten, in der sich die Subjekte frei erfahren. Hierfür spricht auch, dass Honneth nicht mehr formell von Anerkennung als universellem Gut spricht, sondern differente Anerkennungsverhältnisse
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zentral, ermöglicht die Kopplung der Anerkennungsformen an eine institutionelle Theorieperspektive eine historische Kontextualisierung von Anerkennung. Selbstverwirklichung wird hier zur Verwirklichung von sozial vermittelten Selbstverhältnissen innerhalb von sittlichen Institutionen, die die Ermöglichungsbedingungen für Demokratie und Freiheit darstellen sollen. Die Grundintention dieser Idee einer „demokratischen Sittlichkeit“ ist, dass Kooperation einer „affektive[n] Anziehungskraft“ (Honneth 2013a, S. 612) bedarf, die durch die Identifizierung mit der symbolischen Dimension von Institutionen hergestellt werden muss. Ähnlich wie Neuhouser und Siep zeigt sich in Honneths Ausführungen eine grundlegende Skepsis gegenüber rein prozeduralen Verpflichtungen als ausschließliche Bedingung sozialer Kooperation. Erweitert wird diese durch das Problem der demokratischen Willensbildung und Selbstbestimmung unter den Bedingungen einer „postnationale[n] Konstellation“ (Habermas 1998, S. 91), Pluralismus und Globalisierung. Seine These, die er in Das Recht der Freiheit ausbuchstabieren möchte, ist, dass die Reproduktion sozialer Institutionen durch die Realisierung von Werten bedingt ist oder anders formuliert, dass Institutionen sich immer wieder als legitim erweisen müssen, um ihre Reproduktionsbedingungen zu sichern. Demokratisch sei diese Sittlichkeit, weil die Reproduktion der Gesellschaft als Verwirklichung der sozialen Freiheit erfahrbar sein muss. Seine Studie kann demnach als Versuch gewertet werden,
skizziert, egologische und relationale Anerkennungsverhältnissen. Beide Anerkennungsverhältnisse sind reziprok. Allerdings knüpft nur die zweite an der Haltung kooperativer Bezogenheit an. Der Anerkennungsbegriff wird demnach differenziert und qualifiziert und auf die Bedingung der Reproduktion und Erweiterung einer „demokratischen Sittlichkeit“ hin geprüft. Aufgrund dieser gewandelten Perspektivierung lässt sich auch Honneths Verschiebung von einer „formellen Sittlichkeit“ zu einer materialen Bestimmung von Gütern für eine soziale Praxis erklären. Lepolds Kritik, dass die „kritische Theorie der Anerkennung“ (ebd., S. 298) „blind dafür [sei], dass dieselbe Anerkennung, die für Personen gleichsam im Innen der Anerkennungsverhältnisse gut ist, auch ein Außen hat, dass sie zugleich in größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen steht und zur – mitunter problematischen – Strukturierung von Gesellschaft beiträgt“ (ebd., S. 298), müsste im Sinne der hier dargestellten Differenz bezogen auf Honneths Kritik der rechtlichen und moralischen Freiheit angepasst werden. Die gesellschaftlichen Folgen von Anerkennung wie etwa Selbstoptimierungsideologien bekommt er insofern in den Blick, als dass er hier eine Verselbstständigung individueller Freiheitsmuster vermutet. Aus diesem Grund spaltet er seine Rekonstruktion der ökonomischen Sphären in zwei Erzählungen, eine Erzählung hinsichtlich der sozialen Freiheit und eine hinsichtlich der individuellen Freiheit (s. Kap. 2.3.4).
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einen Begriff einer historisch konkretisierten Sozialität zu entfalten, indem Kooperation und Freiheit vereint und eine posttraditionelle und -nationale politische Kultur entworfen werden könne. Im Folgenden werde ich diese Argumentation entlang einer Auseinandersetzung mit Honneths Das Recht der Freiheit herausarbeiten und diskutieren. 2.3.1 Demokratische Sittlichkeit und Freiheit Mit der Konzeption einer „demokratischen Sittlichkeit“ rückt er in seiner Studie Das Recht der Freiheit von seinem „formale(n) Konzept der posttraditionellen Sittlichkeit“ (Honneth 2013a, S. 282) ab. Die vormalige Zurückhaltung auf die Frage des Anerkennungswürdigen, also des Was und des Wieso von Anerkennung, wird nun der explizite Gegenstand Honneths theoretischer Betrachtung. Sein Ziel ist es, eine historische Erzählung zu entwerfen, von der ausgehend die Genese von Gesellschaft in einen historischen Prozess sozialer Kämpfe eingebunden ist, in dem das Versprechen der individuellen Freiheit mehr oder weniger zur Verwirklichung gelangt. Es ist Honneths Absicht, die Institutionen, die er für die Reproduktion moderner Gesellschaften als konstitutiv erachtet, als Sphären zu rekonstruieren, denen das Versprechen der individuellen Freiheit immanent ist, jedoch deren Funktionsfähigkeit ebenfalls von der Ermöglichung dieser abhängt. Ferner soll diese Konkretisierung bzw. die „Idee der ,demokratischen Sittlichkeit’“ (ebd., S. 615) zum gerechtigkeitstheoretisch relevanten Bezugspunkt werden, insofern er Recht nicht nur formal als ein Ensemble an Rechten und Pflichten verstehen möchte, sondern als Normen, Prinzipien der kooperativen Handlungskoordination, deren Realisierung und Reproduktion anhand immanenter Gerechtigkeitsmaßstäben beurteilt werden könnten. Gerechtigkeit orientiert sich hier folglich nicht an der prozeduralen Richtigkeit, sondern an Vorstellungen des guten Lebens bzw. „des gemeinsam geteilten Guten“ (ebd., S. 30). Honneth bewegt sich auch dabei, wie in seinem früheren Ansatz, in der Tradition kommunitaristischer Gerechtigkeitstheorien (hierzu: MacIntyre 1981; Sandel 1982; Walzer 1992; Taylor 1992). Die Differenz zu seinem anerkennungstheoretischen Sittlichkeitsverständnis ist die institutionelle bzw. praxistheoretische Wendung, mit der er danach fragt, welche Praktiken demokratische Lebens- und Kooperationsformen konstituieren und bedingen und demnach als Verwirklichung individueller Freiheit begriffen werden können (Honneth 2013a, S. 113-118). Mit der institutionen- bzw. praxistheoretischen Perspektivverschiebung Honneths von kulturellen symbolischen Ordnungen, die auf der Folie des Individualismus und der Forderung nach Gleichheit interpretative Spielräume für
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Veränderungen zugelassen haben, kommen nun Sitten, tradierte Handlungsmuster und Gewohnheiten in den Blick, die soziales Handeln normativ strukturieren und deren Veränderungspotenzial in einer defizitären Reproduktion immanenter liegt. Honneth verbindet dabei die diskurstheoretischen Implikationen seiner frühen Anerkennungstheorie, deren Normativität sich aus der erweiterten Selbstverwirklichung gespeist hat, mit der Institutionentheorie, durch die Annahme einer symbolischen Retention moralischer Verpflichtung und Legitimität im praktischen Vollzug. Die Gerechtigkeitskonzeption soll hierdurch eine wesentlich materiellere Fundierung erhalten, da sie die Quellen der demokratischen Gesellschaft und der Verwirklichung individueller Freiheit in der Praxis freilegt und ihre normative Bedeutung zur Geltung bringen soll. Dieses archäologische Vorhaben möchte er nun nicht bloß philosophie- und moralgeschichtlich durchführen, sondern in Anwendung einer hybriden Methode, bestehend aus geschichtsphilosophischer Reflexion und sozialhistorischer Darstellung, die er als „normative Rekonstruktion“ (ebd., S. 23) betitelt. Realisiert sieht er diese Methode in Hegels Rechtsphilosophie und aktualisiert in Talcott Parsons und Emil Durkheims Soziologie im Sinne einer Verknüpfung von Gesellschaftstheorie und -analyse. Der theoretische Ansatzpunkt Honneths begreift Hegels historische Institutionentheorie als sozial konkretisierende Objektivierung von vormals abstrakten Prinzipien, die sich retrospektiv aus der historischen Entwicklung heraus als vernünftig begreifen lassen sollen. Die begriffslogische Rekonstruktion von Institutionalisierungsprozessen in Bezug auf die Materialisierung kohärenter Prinzipien wendet Honneth als Gesellschaftsanalyse an, die sich einerseits hermeneutisch im Horizont einer verstehenden Soziologie situiert und die andererseits im relativen Geltungsüberschuss konstitutiver Freiheitsprinzipien nach kritischen Bezugspunkten sucht (vgl. ebd., S. 26-28). Mit der Verknüpfung von Gerechtigkeitstheorie und Gesellschaftsanalyse möchte sich Honneth darüber hinaus von zwei aus seiner Sicht kritikablen theoretischen Strategien innerhalb des wissenschaftlichen Gerechtigkeitsdiskurses absetzen. Neben der formalen Prinzipienethik positioniert er sich gegen einen sogenannten „britischen Neohegelianismus“, zu dem er Michael Walzer, David Miller und Alasdair MacIntyre zählt. Mit ihnen teile er zwar die hermeneutische Perspektive im Rahmen einer rekonstruktiven Gerechtigkeitstheorie, sehe aber in der „hermeneutischen Rückanpassung der normativen Prinzipien an existierende Institutionsgefüge oder herrschende Moralüberzeugungen“ (ebd., S. 16) eine Form einer unkritischen unvermittelten Rückkopplung, die auf eine „Akkommodation“ (ebd.) hinauslaufen würde. Das Spannungsfeld zwischen universalistischem Formalismus und sozialrelativer Hermeneutik setzt nun den Rahmen, in
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dem Honneth seine Normativität lokalisiert. Weder veranschlagt er hierbei einen universellen Standort für sich, noch folgt er einer bloß historisch gesättigten Theorie des Guten. Für eine kritische Theorie bedarf es aus Honneths Sicht einer Differenz zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, die weder in einer Idealisierung noch in einer reinen Rekonstruktion mündet. Seine Prämisse hier ist, dass die individuelle Freiheit in einer dreifachen Weise zu verstehen ist, als negative, reflexive und soziale Freiheit, und die soziale Freiheit die Bedingung für wechselseitige Solidarität sei, die in den die Gesellschaft konstituierenden Institutionen faktisch eingelagert sei. Die Institutionen müssten hiernach für ihre Reproduktion den Code solidarischer Beziehungen ermöglichen, um demokratische Strukturen im Ganzen zu sichern. Vorausgreifend kann Honneths Theorieansatz auch als die Faktizität21 sozialer Freiheit interpretiert werden, deren normativer Gehalt im historisch relativen Deutungsrahmen der Institutionalisierung individueller Freiheit liegt. Seine These ist, dass mit dem philosophisch geschärften Begriffsbesteck die sozialhistorisch geronnenen Bedeutungsvarianten von Freiheit rekonstruiert und als Institutionenmaßstab angelegt werden können, mit denen wiederum Fort- und Rückschritte in der realen Praxis in Bezug auf diese immanenten Deutungen von Freiheit identifiziert werden könnten. Dieses Kritikverständnis zu umreißen, bedarf aus meiner Perspektive eine Decodierung einer an manchen Stellen vertrackt scheinenden Argumentation. Der Rückgriff auf Hegels Rechtsphilosophie ist hierbei ein basales Moment von Honneths Theoriebildung, der jedoch aufgrund dessen Ablehnung von Hegels organischer Einheitsidee, dessen affirmativer Fortschrittsoptimismus und dessen „idealistische[r] Monismus“ (ebd., S. 17) relativiert und transformiert werden müsse. Im Bewusstsein dieser Differenzen versucht Honneth, der hier vorgelegten Lesart nach, eine institutionsrelative Normativität zu konstruieren, die in einer ähnlichen Herangehensweise, wie es die frühen Schriften von Siep nahelegen, immanente Maßstäbe zu extrapolieren und kritisch zu wenden sucht. Die primären Thesen für dessen Kritikverständnis sind das von Honneth angenommene (1) Primat der Freiheit und (2) die Institutionalisierung der individuellen Freiheit, auf die die Semantiken der Gerechtigkeit Bezug nehmen können.
21 Honneth vergleicht seinen Ansatz mit dem von Habermas in seiner Studie Faktizität der Geltung. Die Differenz sieht er in der Breite seiner Studie, die nicht nur den Rechtsstaat, sondern alle „zentralen institutionellen Wertsphären“ (Honneth 2013a, S. 120, Fn 112) der aktuellen Entwicklung umfasse. Zum Verhältnis von Habermas und Honneth siehe Iser 2008.
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(1) Das Primat der Freiheit Sein Hauptargument ist die Verknüpfung der modernen Freiheitsidee mit dem Begriff der Gerechtigkeit, mit dem er einen Differenzraum zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit in den sozialen Zusammenhang zieht. Dies beschreibe ein Spannungsfeld zwischen Transzendenz und Immanenz. Sein Argument lautet: Die Verzahnung von Gerechtigkeit und individueller Freiheit ist freilich mehr als nur ein historisches Faktum. […] Zwischen unserem unablässigen Insistieren darauf, daß eine gesellschaftliche Ordnung ,gerecht‘ zu sein hat, und der individuellen Selbstbestimmung besteht insofern ein unauflösliches Band, als bereits die Orientierung an Gerechtigkeit nur Ausdruck unseres subjektiven Vermögens zur Rechtfertigung ist. […] Nach Gerechtigkeit zu fragen, den entsprechenden Gesichtspunkt auch nur geltend machen zu wollen bedeutet, selbst (mit)bestimmen zu wollen, welchen normativen Regeln das gesellschaftliche Zusammenleben gehorchen soll. […] Insofern stellt die Verschmelzung der Gerechtigkeitsvorstellung mit dem Autonomiegedanken eine irreversible, nur um den Preis der kognitiven Barbarisierung noch einmal rückgängig zu machende Errungenschaft der Moderne dar; und dort, wo sich eine derartige Regression tatsächlich ereignet, wird sie ,in den Gemütern aller Zuschauer […]‘ moralische Empörung erregen. (Honneth 2013a, S.38 ff.) Das Argument rekurriert auf die diskursive Praxis, wenn über Gerechtigkeit gesprochen, verhandelt oder gestritten wird. So setze die Thematisierung und das Erfragen von Gerechtigkeit schon die „individuelle Selbstbestimmung“ voraus. Gerechtigkeit in diesem Sinne könne darüber hinaus mit der Moderne nicht mehr substantiell, sondern nur noch diskursiv bzw. als Ort gedacht werden, indem um Legitimation gerungen und das Geben und Nehmen von Gründen gefordert wird. Dies bedingt, dass der Gerechtigkeitsdiskurs zumindest hypothetisch eine kommunikative Symmetrie impliziere, da sie mit der Idee der kommunikativen Freiheit auf eine intersubjektive Zustimmungsfähigkeit vereidigt sei. Demzufolge muss jedes Individuum, das etwas als gerecht oder ungerecht kennzeichnet, die Frage beantworten können, was der Grund oder die Gründe für eine entsprechende Feststellung ist oder sind. Mit dieser habermasianischen Argumentationsfigur zielt Honneth nun nicht auf eine Kommunikationsgemeinschaft ab, die eine notwendige Bedingung sprachlicher Verständigung sei. Vielmehr ist sie in einem historischen Prozess der Wertgenese kontextualisiert, in der Werte entstehen, mit anderen Werten konkurrieren und sich mehr oder weniger in Institutionen tradieren. Die Kontingenz des Wertes der individuellen Freiheit, die sich aus seiner Historizität ergibt, hebt Honneth zwar mit seinem Argument der unmittelbaren Verschlungenheit vom Freiheits- und Gerechtigkeitsbegriff auf, an Allgemeinheit gewinnt der Begriff der individuellen Freiheit aber erst mit seinem zweiten
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Argument, dass die individuelle Freiheit, die er mit dem Begriff der Selbstbestimmung bzw. der Autonomie identifiziert, für moderne Gesellschaften zu einem übergreifenden Prinzip geworden sei (ebd., S. 35-37).22 Die Selbstbestimmung habe, so Honneths Argument, nun den Status eines „irreversible[n]“ (ebd., S. 39) Wertes eingenommen. Als Prinzip konstituiert es moderne Gesellschaften, sofern diese von traditionellen unterschieden werden können, und wird zur Reproduktionsbedingung dieser. „Unter all den ethischen Werten, die in der modernen Gesellschaft zur Herrschaft gelangt sind und seither um Vormachtstellung konkurrieren, war nur ein einziger dazu angetan, deren institutionelle Ordnung auch tatsächlich nachhaltig zu prägen: die Freiheit im Sinne der Autonomie des einzelnen.“ (Ebd., S. 35)
Honneth begreift unter „Autonomie des Einzelnen“ die individuelle Selbstbestimmung, d.h. die Freiheit in der subjektiven Lebensführung, seine eigenen Bedürfnisse und Interessen verwirklichen zu können oder sie verwirklicht zu sehen. Seine These der Priorisierung reichert er mit dem Hinweis an, dass andere Werte sich als Ausdruck oder unter der Bedingung der Ermöglichung von individueller Freiheit reflektieren lassen müssen. Werte wie „Natürlichkeit“, „Innerlichkeit“, „Authentizität“ oder „Gemeinschaft“ müssen sich nach ihrer Passung zur Selbstbestimmung bzw. zur Autonomie befragen lassen. Historisch haben sie nach dieser Darlegung keine eigenständige, orientierende Funktion erhalten, sondern wurden zu „Bedeutungskomponenten“ (ebd., S. 36) dessen, „was es heißt, von der individuellen Selbstbestimmung zu sprechen“ (ebd., S. 36). Honneth schreibt dem Wert der individuellen Freiheit zusätzlich eine spezifische Vermittlungsfunktion zu, die darin bestünde, dass mit dieser eine „Verbindung“ zwischen dem „Orientierungshorizont des einzelnen“ (ebd., S. 36) und dem „normativen Rahmen der ganzen Gesellschaft“ (ebd., S. 36) hergestellt werden könnte. Andere Werte, wie Gemeinschaft oder Authentizität, sind partikulare Werte von Gruppen oder von Einzelnen geblieben. Erst mit ihrer Einbettung im Spannungsfeld individueller Selbstbestimmung und einer freien gesellschaftlichen Ordnung können sie sich als soziale Manifestationen oder als institutionalisierte Ermöglichungsverhältnisse von Freiheit erklären. Demgemäß
22 Auch die „,subjektkritischen‘ Ethiken der ,postmodernen‘ Generation“ (Honneth 2013a, S. 37), zu denen er Judith Butler zählt, würden nur auf eine „tiefergelegte Variante der modernen Freiheitsidee“ (ebd.) zurückgreifen, da ihre Intention sei, die „natürlichen Grenzen“ (ebd.) der Selbstbestimmung als kulturell gesetzt zu dekonstruieren.
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muss eine legitime Gesellschaftsordnung sich in der individuellen Freiheit des Einzelnen brechen und auf diese hin rechtfertigbar sein (ebd., S. 36). Hierin besteht dann auch „Das Recht der Freiheit“. Ein Recht, das nicht in Legalität aufgeht, sondern auf die Realität von differenten Freiheiten und der Legitimität besteht (vgl. S. 38-43). (2) Institutionalisierung der individuellen Freiheit und Gerechtigkeit Die Ermöglichung von „individueller Freiheit“ als allgemeine Formel sagt für Honneth noch nicht viel über Gerechtigkeit im Konkreten aus. Die Einnahme eines transzendentalen Standpunktes unabhängig von historischen Normen ist seiner Argumentation nach nicht möglich, weswegen diese hermeneutisch aus der sozialen und historischen Praxis entnommen werden müsse. Er schreibt hierzu: „Die Idee der Autonomie ist als solche viel zu heterogen und vielschichtig, als daß sie von sich aus festlegen könnte, worin das Maß der Gerechtigkeit bestehen soll; […] Zwar mag das Gut der Freiheit den ,Punkt‘ oder das ,Ziel‘ der Gerechtigkeit bilden, aber damit ist das Verhältnis zwischen dem ethischen Ziel und den Gerechtigkeitsgrundsätzen, zwischen dem Gut und dem Richtigen noch in keiner Weise bestimmt; dazu bedarf es erst einer rationalen Klärung nicht nur des Umfangs, sondern auch der Vollzugsweise jeder individuellen Freiheit […].“ (Ebd., S. 41)
Dieses Argument folgt dem Gedanken, dass mit der abstrakten Verknüpfung von Gerechtigkeit und Freiheit erst mal wenig gewonnen ist, weil Freiheit so im Abstrakten verharrt und damit unterbestimmt bleibt. Um diese Abstraktheit mit konkretem Inhalt zu füllen, verfolgt Honneth zwei theoretische Strategien. Die erste Strategie bezeichnet er als „Historische Vergegenwärtigung“ (ebd., S. 34) des Freiheitsbegriffs. Er unterscheidet hierbei drei Bedeutungsvarianten, die negative, die reflexive und die soziale Freiheit, deren Unterscheidung sich an Hegels Systematik von Recht, Moral und Sittlichkeit anschließt. Auch die Diskussion der Freiheitsbegriffe verläuft entlang von Hegels dialektischer Zusammenschau von Idealität und Realität der Freiheit, die die zweite theoretische Strategie der „normativen Rekonstruktion“ des Vollzugs der Freiheitskonzeptionen bestimmt. So spricht er in der Rekonstruktion der Handlungssysteme der „negativen“ und der „reflexiven Freiheit“ von der „Möglichkeit der Freiheit“ (vgl. ebd., S. 127) und bei der „sozialen Freiheit“ von „der Wirklichkeit der Freiheit“ (vgl. ebd., S. 219). Die historische Vergegenwärtigung ist eine philosophiegeschichtliche Begriffsrekonstruktion und die „normative Rekonstruktion“
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soll ein spezifisches Interpretationsverfahren von „empirische[m] Material[…]“ (ebd., S. 23) sein, dem eine normative Gesellschaftstheorie zugrunde liegt. Es ist Honneths Absicht die Handlungssysteme bzw. Institutionen, von denen er glaubt, dass deren Reproduktion für die Gesellschaft notwendig ist, ausgehend von einer normativen Gesellschaftstheorie derart zu rekonstruieren, dass die Institutionen sich aus einer historischen Entfaltung eines ihnen immanenten Wertes verstehen lassen. Es ist seine an Parson und Durkheim angelehnte These, dass die soziale Handlungspraxis über Handlungsnormen koordiniert wird, welche sich innerhalb einer relativ stabilen, praktischen Reproduktion institutionalisiert haben. Diese wird flankiert durch das von Merton und Durkheim formulierte Anomietheorem, dass wenn gewisse Werte und Normen nicht mehr realisiert werden, die entsprechenden Institutionen an Legitimität in der alltäglichen Praxis verlieren und ihre Reproduktion prekär werde (vgl. ebd., S. 18 f.). Die Instabilität von Institutionen könne nach Honneth zwei Gründe habe, erstens immanente Deutungskonflikte innerhalb einer Institution und zweitens durch die Kolonialisierung der institutionalisierten Anerkennungsnormen durch von anderen Institutionen übergreifende Verhaltenscodierungen. Soziale Bewegungen und Kämpfe sind für Honneth dabei sowohl Indikatoren für Legitimitätsproblematiken als auch Triebfeder für den sozialen Wandel. Bezogen auf die „normative Rekonstruktion“ sind sie als Deutungskonflikte für Honneth ein explorierender Faktor, wodurch sie eine epistemische Größe in den sozialhistorischen Ausführungen erlangen. Er skizziert seine Methode der „normativen Rekonstruktion“ als eine empirisch fundierte Erzählung von Institutionen, deren Entwicklungen Ausdeutungen von Normen seien, die von den sogenannten „Gründungsdokumente[n]“ (ebd., S. 241) der Institutionen, aus denen die normative Grundierung entnommen werden könne, gedeutet werden könnten. Institutionelle Wandlungsprozesse entstünden hierbei durch veränderte Deutungsweisen der institutionalisierten Normen und Prinzipien. Gerechtigkeitsmaßstäbe beziehen sich in dieser Terminologie auf in Praktiken eingelassene Vollzugsweisen differenter Freiheitsprinzipien und entsprechender Institutionen bzw. Handlungssysteme und deren unverwirklichten oder noch zu verwirklichenden Potenzialen (vgl. ebd., S. 26-29, 39-41). 2.3.2 Die Triplizität der Freiheit als Struktur der Sittlichkeit Die Unterscheidung von Idealität und Realität der Freiheit betrifft nicht nur die Methode der Normen- und Institutionengenese, sondern auch die Struktur des Freiheitsprinzips selbst. Hegels Kantkritik, an der sich Honneth orientiert, bezieht sich nicht nur auf die Unmöglichkeit eines ahistorischen Standpunktes, sondern auch auf den Status des Zwangs (vgl. S. 114 f.). Hegel kritisiert das individuelle
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Freiheitsverständnis der Moderne in Bezug auf das von ihr nicht eingelöste Versprechen, eine Freiheit ohne Zwang zu realisieren. Honneth kritisiert in der Tradition Hegels sowohl die Legalität als auch die Moralität in ihrer Abstraktheit, da die von ihr vermittelten Selbstverständnisse die Verpflichtung gegenüber anderen als extrinsische Pflicht wahrnehmen müssten. Äußern würde sich dies beim Recht als Über- und Unterwerfung gegen andere Ansprüche und bei der moralischen Pflicht als bloßes Sollen des Gewissens gegen die eigene Natur. In der Konzeption Hegels werden diese Gegensätze in der Sittlichkeit als die Versöhnung von Wissen und Wollen aufgehoben (s. Kap. 1). Honneth nimmt diesen Gedanken auf, den Hegel in den Grundlinien der Philosophie des Rechts systematisch verfolgt, und interpretiert diesen im Kontext seiner Idee einer sozialen Freiheit. Der Freiheitsbegriff bzw. der Selbstbestimmungsbegriff könne erst dann in all seinen Bedeutungsvariationen als verwirklicht gelten, wenn Subjekte in der Verfolgung ihrer Interessen und Absichten aufeinander Rücksicht nähmen und wenn sie diese Interessen und Absichten in freiwilliger Kooperation mit dem jeweiligen Anderen verwirklichen können. Das zentrale Zitat Hegels, auf das sich Honneth bezieht, ist: „Bei-sichselbst-Sein im Anderen“ (ebd., S. 86). In diesem Kontext werden wechselseitige Selbstbegrenzung und Verpflichtung gegenüber dem anderen zur zwanglosen Pflicht (vgl. ebd., S. 105 ff.). Er nutzt diesen Kooperationsbegriff als Kriterium innerhalb seines theoretischen Ansatzes zur Abgrenzung unterschiedlicher Institutionen bzw. „Handlungssysteme der individuellen Freiheit“ (ebd., S. 223). Zu seiner Differenzierung von Freiheit in die „rechtliche Freiheit“, die „moralische Freiheit“ und die „soziale Freiheit“, tritt eine Zuordnung von Institutionen bzw. Handlungssystemen hinzu, die von den jeweiligen Freiheiten grundiert würden.23 Zusätzlich erweitert er den Institutionenbegriff durch die Unterscheidung von regulierenden Handlungssystemen, in denen sich egologische Prinzipien der Distanznahmen sedimentiert haben (rechtliche und moralische Freiheit) und relationalen Handlungssystemen, die auf solidarische Kooperationsverhältnissen basieren (soziale Freiheit). Die Relevanz dieser Differenz erklärt sich über Honneths Verständnis von Pathologien:
23 Die Freiheitskonzeption entlehnt Honneth einer Unterscheidung Neuhousers, die er in seiner Studie Foundations of Hegel's Social Theory: Actualizing Freedom von 2000 und die er seiner Beschäftigung mit Marx in Marx (und Hegel) zur Philosophie der Freiheit von 2013 erneuert hat. Hier hat er die Definition des Willensbegriffs in Hegels Rechtsphilosophie zum Anlass genommen, diese in differente Freiheitskonzeptionen zu übersetzen, mit denen dann auch Gerechtigkeitsüberlegungen verbunden werden könnten.
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„Von einer ,sozialen Pathologie’ können wir in Zusammenhängen der Sozialtheorie immer dann sprechen, wenn wir es mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun haben, die zu einer nennenswerten Beeinträchtigung der rationalen Fähigkeiten der Gesellschaftsmitglieder führen, an maßgeblichen Formen der sozialen Kooperation teilzunehmen.“ (Ebd., S. 157)
Dem folgend untersucht er die Verwirklichungen der Freiheit danach, inwiefern Sie reflexive Ressourcen zur Kooperation ermöglichen bzw. ob sie durch ihre Selbstzentrierung die Partizipation an kooperativen Praktiken blockieren. Er diskutiert diese als Folgen einer Verselbstständigung bzw. Hypostasierung von Semantiken der Souveränität, der Unabhängigkeit, der Abgrenzung und Trennung von anderen, deren Symptomatik er als eine soziale „Rigidisierung“ (ebd., S. 158), als Phänomene der „Verhaltenserstarrung“ (ebd.), die mit „Stimmungen der Niedergedrücktheit und Orientierungslosigkeit“ (ebd.) und dem Auftreten einer „unentschlossenen handlungsarmen Persönlichkeitsform“ (ebd., S. 167) verbunden seien, und als eine „Abwesenheit irgendeines Krisenbewußtseins“ (ebd.) exploriere.24 Pathologien wären letztlich „Anomien“ (ebd., S. 231), die eine soziale Integration verstellen würden. Die o. g. Strategien der theoretischen Diskussion von Freiheitsbegriffen und der „normativen Rekonstruktion“ spiegeln sich auch in der Struktur seiner Studie wieder. Er verfolgt seine Absicht der Konkretisierung des Rechts der Freiheit in drei Schritten: (1) Historische Vergegenwärtigung: Das Recht der Freiheit, (2) Die Möglichkeit der Freiheit und (3) Die Wirklichkeit der Freiheit. In (1) entwickelt er die Freiheitsbegriffe systematisch aus der philosophischen Traditionen heraus. In (2) und (3) rekonstruiert er die institutionellen Verwirklichungen dieser Freiheitsbegriffe. Während er in (2) die Institutionen der negativen und der reflexiven Freiheit, die rechtliche und die moralische Freiheit betrachtet, analysiert er in (3) die Institutionen der sozialen Freiheit, die persönlichen Beziehungen, das marktwirtschaftliche Handeln und die demokratische Willensbildung. Mit der Struktur geht die These einher, dass die Sozialisierung in die rela-
24 Bemerkenswert ist hier, dass er den Institutionen der negativen und moralischen Freiheit das Potenzial des Pathologischen und den Institutionen der sozialen Freiheit bloß die Möglichkeit von Fehlentwicklungen zuspricht. Fehlentwicklungen unterscheiden sich von Pathologien darin, dass es Fehlinterpretation einer eigentlich kooperativen Struktur seien. Pathologien setzen Kooperationen als solche aus (vgl. Honneth 2013, S. 230). Siep merkt in Bezug hierauf an, inwiefern es mit einer wissenschaftlichen Philosophie verträglich ist von Pathologien zu sprechen und dies insbesondere in Anbetracht der deutschen Vergangenheit (Siep 2014, S. 36).
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tionalen Institutionen mit einer kooperativen Sozialität verbunden ist, deren Erwerb die sozialen Akteurinnen /Akteure als Verwirklichung ihrer Freiheit erfahren würden. Den Beweis dieser These glaubt er in den Rekonstruktionen erbringen zu können. Es reicht demnach nicht aus, nach einem theoretischen Argument zu fragen. Die Plausibilität soll über die empirische Faktizität erfolgen. Es würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen, die Freiheitsbegriffe und die Sphären theoretisch und empirisch zu diskutieren, weswegen an dieser Stelle skizzenhafte Darstellungen ausreichen müssen. Zur Verdichtung werden die jeweiligen Begriffe und deren Institutionalisierungen zusammengenommen. Die negative und rechtliche Freiheit Die „rechtliche Freiheit“, die Honneth anhand der Theorien von u.a. Hobbes, Sartre und Nozick diskutiert und problematisiert, sei eine negative Form der Freiheit, das Freisein „von äußeren Widerständen“ (ebd., S. 44) und zur Realisierung des „unmittelbaren Selbstinteresse[s]“ (ebd., S. 45). Hieraus folge eine Gerechtigkeitskonzeption eines radikalen Individualismus, der einzig durch die Freiheit der anderen notgedrungen begrenzt sei (ebd., S. 51). In institutioneller Form als Rechtssystem ermögliche die „rechtliche Freiheit“ eine Art „Moratorium“ (ebd., S. 149) und eine „Anonymisierung der Motivlagen“ (ebd.). Die Ambivalenz der rechtlichen Freiheit liegt nach Honneth darin, dass sie durch die Suspendierung sozialer Bindungen einen Raum zur ungestörten Selbstreflexion eröffnen würden, sie aber rational unterbestimmt seien (vgl. ebd., S. 59). Die Neutralität gegenüber der individuellen Motivlage würde gerade vor der „eigentlichen Schwelle zur individuellen Selbstbestimmung haltmach[en]“ (ebd., S. 56 f.). Mangels der fehlenden begrifflichen Verschränkung mit Ideen ethischer Selbstbefragung verfüge die rechtliche Freiheit nicht über die rationalen Ressourcen, ihre eigenen Grundsätze und ihre Erneuerung zu sichern. Diesen Widerspruch verdeutlicht er an dem Beispiel der „Glaubens-, Rede- und Meinungsfreiheit“ (ebd., S. 138), die die ethische Autonomie bewahren und die auf die „Praxis der ethischen Deliberation oder Lebensgestaltung“ (ebd., S. 155) abhebe, ohne aber Praktiken intersubjektiver Perspektivübernahme, Selbstdezentrierung und moralischer Selbstbegrenzung vorzusehen. Das Berufen auf die Meinungsfreiheit sei zwar ein wichtiges demokratisches Grundgut, sie privatisiere und entpolitisiere die Position jedoch. Das Recht eine Meinung zu haben, heiße eben nicht, diese als verhandelbar zu betrachten und sie in eine deliberative Praxis zu überführen. Vielmehr schaffe die „rechtliche Freiheit“ einen „geschützten Spielraum für egozentrische, von Verantwortungsdruck entlastete Handlungen“ (ebd., S. 47) und die Möglichkeit einer Distanznahme vom „sittlichen Praxiszusammenhang“ (ebd., S. 156) ohne Rechtfertigungsdruck. Der Rückzug auf den
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Standpunkt des Rechts käme einem Kommunikationsabbruch gleich, indem der andere nur noch instrumentell als potenziell konkurrierende Personen zu kontrollieren bzw. zu beherrschen sei. Sie berge darüber hinaus in ihrer institutionalisierten Form als Rechtssystem die Tendenz einer „Verselbstständigung“ (ebd., S. 162), die in Form eines „Prozess[es] der Verrechtlichung“ (ebd.)25 in Familie, Schule, Freizeit und Kultur seit den 1960ern zu beobachten sei. Sie führe zu den o. g. Pathologien der sozialen „Rigidisierung“ (ebd., S. 158) und den entsprechenden Symptomen Handlungsarmut, Niedergedrücktheit und Willenlosigkeit. Die „Sprache des Rechts“ (ebd., S. 167), die auch die politische Sphäre zunehmend durchziehe, figuriere Rollen, die Honneth mit „Charaktermasken des Rechts“ (ebd., S. 164) oder mit Formen eines „unsteten, ziellosen Charakters“ (ebd., S. 172) umschreibt.26
25 Hier führt er auch das Problem einer zunehmenden Verrechtlichung in der schulischen Kommunikation auf, die die Verständigungsmöglichkeiten verbauen würden (ebd. S. 162). 26 Honneths Kritik der rechtlichen Freiheit findet in Christoph Menkes Studie Kritik der Rechte eine sich brechende Resonanz. Menke stimmt Honneth erst mal in der Analyse der Paradoxie des Rechts zu, dass es nur die Möglichkeit der Freiheit beinhaltet, aber nicht den Gehalt der Wirklichkeit. Er hebt ferner heraus, dass die Ermächtigung des Individuums durch das Recht pathologisch ist. Allerdings sei die „Pathologie des Rechts“ (Menke 2015, S. 259) nicht bloß „auf der Ebene individueller ,Verhaltenssymptome‘“ (ebd.) zu suchen. Sie bestünde in der Hervorbringung der bürgerlichen Gesellschaft selbst. Menke setzt seine Kritik am Recht wesentlich radikaler an als Honneth. Das Ungerechte am modernen Recht bzw. dem bürgerlichen Recht bestehe gerade in der Ermächtigung des „Eigenwillens“ (ebd.) des Subjekts und einer „Privatisierung des Sozialen“ (ebd.). Im Gegensatz zu Honneth macht Menke darauf aufmerksam, dass der Akt des Rechtssetzens eine Machtsetzung ist, die in zweifacher Hinsicht gewaltförmig sei. Sie sei als unveränderliche normative Ordnung gesetzt und als Gewalt solle sie das Recht gegen das Unrecht durchsetzen, das durch die Rechtssetzung überhaupt erst hervorgebracht würde. Der spezifische Charakter dieses Rechts sei aber nicht seine unhinterfragbare Allgemeinheit, sondern die Verlagerung der Herrschaft in die Autorisierung privater Ansprüche und Vermögen. Der Widerspruch, den Menke im Privatrecht ausmacht, besteht nun darin, dass das Recht sich zwar aufgrund der Gewaltbegrenzung gegenüber Rechtspersonen rechtfertigt und es aber auch gleichzeitig Gewalt gegen ihre Veränderung ausüben muss, welche sie selbst nicht begrenzen kann. „Die Sicherheit des bürgerlichen Rechts ist der abstrakte Einspruch gegen Gewalt“ (ebd., S. 406). Das „bürgerliche Grundprogramm der Sicherheit“ (ebd., S. 406) sei ein antipolitisches Programm. Es würde die politische Durchdrin-
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Die reflexive und moralische Freiheit Bei der Begriffsanalyse der „reflexiven Freiheit“ unterscheidet er zwei Bedeutungsvarianten, die authentische Selbstverwirklichung (Herder, Nietzsche, Freud) und die Autonomie bzw. Selbstbestimmung (Kant, Habermas, Apel). Beide Ansätze setzen bei einem reflexiven Selbstverhältnis an, welches sich selbst in der individuellen Motivlage zu erkennen sucht; die Selbstverwirklichung im Sinne einer biografischen Authentizität (Herder) oder als Identifikation mit einem Wunschinhalt (Frankfurt) (vgl. ebd., S. 70 f.); die Selbstbestimmung als die Selbstgesetzgebung bzw. die Identifikation des individuellen Willens mit allgemeinen moralischen Regeln (Kant) (vgl. ebd., S. 59 f.) oder als das kooperative und konsensbasierte Setzen allgemeiner Normen einer Kommunikationsgemeinschaft (Apel, Habermas) (vgl. ebd., S. 69). Trotz der Uneinheitlichkeit der Theorieansätze würden beide aus der Perspektive von Honneth in ihren Aktualisierungsformen auf Gerechtigkeitsvorstellungen der Ermöglichung der jeweiligen Freiheitsvorstellungen hinauslaufen (ebd., S. 78 f.). Sei es die „Garantie eines Pluralismus“ (ebd., S. 75) (Mill, Humboldt), ein „liberale[r] Republikanismus“ (ebd., S. 76) (Arendt, Sandel) oder die institutionelle Verfügbarkeit moralischer Ziele (ebd., S. 79). Der Widerspruch der reflexiven Freiheit sei, dass die sozialen Voraussetzungen nur abgeleitet und nicht selbst Gegenstand dieser wären, weswegen er für diese eine „Logik der Nachträglichkeit“ (ebd., S. 79 f.) konstatiert. Die einzige Ausnahme bilde die diskurstheoretische Bestimmung
gung von nicht-politischen Sphären ausklammern, Revolutionierungen blockieren und sie der Kritik entziehen. Recht gebe nach Menke damit die Macht preis, Veränderungen sozialer Sphären denkbar werden zu lassen. Ähnlich wie Honneth entwirft auch Menke einen alternativen Rechtsbegriff, den er das „neue Recht“ (ebd., S. 397) nennt, in dem er Gerechtigkeit als eine Spaltung verstehen möchte, in der Gesetze die Form einer Entscheidung erhalten und im Kontext einer „politischen Selbstregierung“ (ebd., S. 401) verortet werden. Im Gegensatz zu Marx will er das bürgerliche Recht nicht abstrakt negieren, sondern in einer „Ungesichertheit“ (ebd., S. 401) aufheben, die auf seine „Gewalt der Veränderung“ (ebd., S. 405) als wesentliches Moment des neuen Rechts hinweist. Während Honneth mit seinem Kritikverständnis Verbesserungspotenziale herausarbeiten möchte, sieht Menke die Aufgabe der Kritik darin, „die Krise des bürgerlichen Rechts hervor[zu]treiben und [zu] verschärfen“ (ebd., S. 171). Nur auf diesem Weg könne zu einer „guten Regierung“ (ebd., S. 395) durchgedrungen werden und die Möglichkeit einer gelingenden sozialen Praxis (vgl. ebd., S. 395 ff.) vorstellbar werden. Eine Frage, die aber ungewiss bleibt, ist von wem eigentlich „die Gewalt der Befreiung“ (ebd., S. 407) ausgehen soll, von einer sich immer wieder auflösenden Kommunikationsgemeinschaft oder einer partikularen Gruppe.
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reflexiver Freiheit, in der das „Element des Freiheitsvollzugs“ (ebd., S. 81) mitgedacht wäre. Ihre Vermittlung von Selbstbestimmung und kollektiven Verständigungsprozessen als Bedingung öffentlicher Willensbildung hebt Honneth positiv hervor. Ihr Problem sei, dass sie die Kluft zwischen „Geltungsidealismus und Sozialtheorie“ (ebd., S. 82) nicht überwinden könne.27 Die „reflexive Freiheit“ als „moralische Freiheit“ sieht Honneth nun in Form eines „kulturellen Orientierungsmusters“ (ebd., S. 174) schwach institutionalisiert, wenngleich sich das Selbstverhältnis der reflexiven Freiheit (Selbstkontrolle, Rechtfertigung, Distanznahme und Perspektivübernahme) als Verhaltenserwartungen in den kulturellen Symbolsystemen („Alltagskultur“ (ebd., S. 181)) von „liberaldemokratischen Gesellschaften“ (ebd., S. 182) verstetigt hätte (vgl. ebd., 173 ff.). Ihre Funktion in der Gesellschaft läge im Kontrast zum staatlich organisierten Rechtssystem in einem „informell zugestandene(r) Spielraum“ (ebd., S. 191) der reflexiven und begründeten Distanznahme von sozialen Verpflichtungen. Das emanzipatorische Moment der moralischen Freiheit insbesondere der Idee der Selbstgesetzgebung sei die Einklammerung von „konventionelle(r) Pflichterfüllung“ (ebd., S. 213) und der Ablehnung von „unvereinbaren Forderungen“ (ebd., S. 205). Parallel zur rechtlichen Freiheit geht Honneth auch hier von einem Problem in der Verselbstständigung eines moralischen Selbstverständnisses aus, dass sich von allen sozialen Verflechtungen unabhängig zu wissen glaubt. Sein Argument an dieser Stelle ist, dass der Gedanke des Verallgemeinerungsverfahrens reflexiver Autonomie und der ihr notwendig immanenten „Illusion“ der Unparteilichkeit zu einer Radikalisierung dieser tendiert und soziale Beziehungen ausgrenzt und zersetzt. Obwohl diese Illusion sozialpathologische Phänomene wie etwa einen „rigide[n] Moralismus“ (ebd., S. 211) und sogar einen „moralisch begründete[n] Terrorismus“ (ebd., S. 207) nach sich ziehen könnte, möchte er nicht den Wert der Unparteilichkeit als solche negieren. Hierfür unterscheidet er die Abstraktionsstufen der Dezentrierung zur Unparteilichkeit und der Dezentrierung zur Depersonalisierung. Die Differenz zwischen den Abstraktionsstufen zieht er zwischen der Berücksichtigung sozialer Beziehungen und dem „Gespür für die emotionalen Abstufungen von Nähe und Ferne“ (ebd., S. 199). Die Depersonalisierung würde die Situiertheit der Entscheidungsfindung in sozialen Konflikten ausgrenzen und den handelnden Akteurinnen/Akteuren idealisierte und rigorose Sollensforderungen entgegenhalten. Die Abstraktionsstufe der Unparteilichkeit lagere hingegen moralische Re-
27 Hier wiederholt er ein bekanntes Argument gegen die Diskursethik, die die Kluft zwischen ideellem und konkretem Diskurs nicht schließen kann, sie also abstrakte und nicht einlösbare Forderungen an die Praxis stellt (hierzu: Werner 2011, S. 142 ff.).
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geln in die sozialen Verflechtungen jedes Einzelnen ein und reflektiere diese innerhalb der Beziehungskonstellationen der beteiligten Personen. Um seine mäandrierende Argumentation möglichst auf den Punkt zu bringen, kann die Depersonalisierung als eine unverbundene Pflichtethik und die Unparteilichkeit in der Lesart Honneths als ein Reflexionsgleichgewicht zwischen differenten Gütern wie der moralischen Integrität, der familiären Nähe, der Freundschaft, der Kollegialität etc. vorgestellt werden, die die soziale Existenz bedingen (vgl. ebd., S. 201 ff.). Sein grundlegendes Argument ist, dass eine Person unmöglich von Normen und Regeln „sozialen Zusammenlebens“ (ebd., S. 203) Abstand nehmen kann, weil diese seine Denk- und Handlungsoptionen schon im Vorhinein einschränken würden. Eine entsprechende Dezentrierung würde auf einen „unüberwindlichen Widerstand [stoßen, wo die Person] auf die Schicht jener moralischen Normen trifft, die in einer bestimmten Zeitspanne die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen immer schon geregelt haben“ (ebd., S. 202). Worauf wir hier stoßen sollen, ist folglich die Sittlichkeit, die Honneth zum Ausgangs- und Endpunkt seiner theoretischen Analyse macht und die er als Verwirklichung der sozialen Freiheit diskutiert. Das gemeinsame Problem der rechtlichen und der moralischen Freiheit sei zusammengefasst ihr unterbrechender und „aufschiebende[r] Charakter“ (ebd., S. 205), in dem die moralische Freiheit über das Rechtsverständnis ungestörter Interessensverfolgung mit einem „Recht, auf die öffentliche Auslegung moralischen Einfluß zu nehmen“ (ebd.), hinweggeht. Trotzdem würden beide die Sozialität als freiwillige Kooperation und Ergänzung nicht angemessen integrieren. Es geht Honneth nun nicht um eine Erneuerung eines Aristotelismus und einem Primat einer sittlichen Loyalität im Kontrast zu moralisch hergeleiteten Grundoder Menschenrechten. Sein Ziel ist es vielmehr, eine Zusammenschau der Alltagsnormativität mit Prinzipien moralischer Rücksichtnahme zu erreichen und Praktiken zu rekonstruieren, die Anerkennungsverhältnisse etablieren, in denen eine reziproke Erwünschtheit der Ziele des jeweils anderen, eine freiwillige Selbstbegrenzung und eine gegenseitige Komplementarität, realisiert sein sollen. Während nun regulierende Handlungssysteme Anerkennungsverhältnisse institutionalisieren, die einer kognitiven wechselseitigen Freigabe und einer reziproken Zuweisung eines normativen Status als Rechtsperson oder als Person mit moralischer Integrität entsprechen, fundierten relationale Handlungssphären auf Anerkennungsverhältnisse wechselseitiger Ergänzungsbedürftigkeit. Es ist nun seine These, dass freundschaftliche Beziehungen, gemeinschaftliches Zusammenleben in Liebesbeziehungen oder in familiären Kontexten, dass wirtschaftliches Handeln – sei es als Konsum oder als Arbeit –, aber auch dass politisches Handeln missverstanden wird, wenn es vom einzelnen Individuum als
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Rechtsperson oder als moralisches Subjekt ausgehend gedacht werden. Vielmehr nähmen die Individuen Rollen an, deren Erfüllung eine kommunikative Abstimmung zur Kooperation notwendig mache (vgl. ebd., S. 224). Gleichzeitig seien diese kooperativen Handlungssphären nur dann sittlich, wenn sie die „Bedingung reflexiver Zustimmungsfähigkeit“ (ebd., S. 226) erfüllten. Honneth spricht also von „demokratischer Sittlichkeit“, weil Demokratie durch deliberative Praktiken der Beratung, der Diskussion, der gemeinsamen Problembearbeitung und der reziproken Rücksichtnahme konstituiert würden, die nicht rechtsförmig einklagbar oder einfach moralisch gefordert werden könnten. Die Herausbildung entsprechender kooperativer Haltungen setze Handlungssphären (persönliche Beziehungen, marktwirtschaftliches Handeln und demokratische Willensbildung) voraus, die aufgrund ihrer Relationalität kooperative und reflexive Selbstverhältnisse vermitteln würden. Demokratie ist demnach nicht bloß eine Regierungsform. Sie ist eine Lebensform, die in Sozialisationsbedingungen eingebettet ist, die entsprechende demokratische, auf Freiheit und Gleichheit ausgerichtete Haltungen und Handlungsformen hervorbringt. Während also z.B. Charles Taylor nach geschichtlichen Quellen des Selbst sucht (hierzu: Taylor 1994), möchte Honneth die gesellschaftlichen Quellen reflexiver Intersubjektivität und demokratischer Kooperation (Honneth 2013a, S. 622 ff.) freilegen. 2.3.3 Die soziale Freiheit und Anerkennung Im Verlauf der Ausführungen wurden die wesentlichen Aspekte des Begriffs der sozialen Freiheit in seiner Relationalität schon genannt. Was Honneth in seiner begriffshermeneutischen Darstellung, in Rekurs auf Hegel und Karl Marx und in Abgrenzung zu Arnold Gehlen herleiten möchte, ist ein Begriff der zwanglosen, reflexiven und solidarischen Kooperation, für deren Handlungskoordination Institutionen notwendig seien, die die sozialen Akteurinnen/Akteure als „Bündel von normierten Verhaltenspraktiken“ (ebd., S. 106) über deren Abhängigkeit voneinander in der Verwirklichung ihrer Bedürfnisse und Wünsche informieren. Honneth definiert soziale Freiheit in Anlehnung an Hegel wie folgt: „Freiheit meint hier, wenn wir Hegel folgen, die Erfahrung einer persönlichen Ungezwungenheit und Erweiterung, die daraus resultiert, daß meine Zwecke durch die Zwecke des anderen befördert werden.“ (Ebd., S. 115)
Es ist hiernach die Wahrnehmung der „persönlichen Ungezwungenheit“, die im Rahmen der sozialen Freiheit eine begriffliche Form erhalten soll. Dieses „ungezwungene Zusammenspiel“ (ebd., S. 113) unterschiedlicher Akteurinnen/Akteu-
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ren, die innerhalb handlungskoordinierender Institutionen keinem präskriptiven „Müssen“ mehr folgen, sondern in dem jeder seine individuelle Zielorientierung im anderen erblickt, sieht Honneth als Kern einer sozialverfassten Selbstverwirklichung. Diese geht in eine Kooperation über, in der das Ich und der andere zur Einheit werden. Aus einer atomaren Ansammlung isolierter Subjekte wird ein solidarisches Wir, dessen Handlungspraxis als gemeinsames Werk zu verstehen ist. In diesem Sinne wären die gesellschaftlichen Handlungssphären bzw. Institutionen auch als eine Erweiterung und nicht bloß als eine Behinderung der individuellen Freiheit zu interpretieren. Dabei unterscheidet Honneth zwei Lesarten Hegels: Die schwache Lesart der sozialen Freiheit, welche nach Honneth von Joseph Raz vertreten wird, fragt nach den sozialen Bedingungen für die Realisierung von Selbstbestimmung (vgl. ebd., S. 90 f.). Hiervon different sei eine starke Lesart Hegels, in der die Institutionen selbst Ausdruck reflexiver Freiheit seien. Aus der Perspektive von Honneth wollte Hegel „[…] an der Wirklichkeit nicht nur irgendwelche sozialen Bedingungen freilegen, die die Realisierung selbstgesetzter Ziele ermöglichen, sondern er will den ,Stoff‘ der Realität soweit verflüssigt sehen, daß sich in ihm die Struktur der reflexiven Freiheit selbst noch einmal objektiv gespiegelt findet.“ (Ebd., S. 91)
Mit diesem Unterschied markiert Honneth eine qualitative Differenz zwischen einer bloßen Erweiterung der reflexiven Freiheit und einer in der sozialen Substanz objektivierten Freiheit. Freiheit in diesem Sinne bedeutet nicht nur, sich seiner Absichten bewusst zu sein und diese als selbstgesetzt verstehen zu können. Hierüber hinaus sei die den Sozialisationsprozessen vorgängige soziale Praxis Ziel und Gegenstand der Freiheit. Das Subjekt kann sich erst als frei erfahren, wenn es an persönlichen Beziehungen (Freundschaft und Familie), an wirtschaftlichen Reproduktionsprozessen und an Prozessen der politischen Willensbildung teilnimmt und die Freiheit objektiv erfahrbar wird. Anerkennung wird hier zum Strukturmerkmal der sozialen Wirklichkeit, womit sie nicht bloß als intersubjektive Versöhnungsfigur gedacht wird, sondern als Aufhebung „subjektiver Freiheit und Objektivität“ (ebd., S. 91). Anerkennung bedeutet in diesem Zusammenhang, sich in Kooperationszusammenhängen zu wissen, in der sich das Subjekt „bestätigt oder sogar dazu aufgefordert sieht, seine reflexiv gewonnenen Absichten zu verwirklichen“ (ebd.). Die Anerkennung als institutionalisierte Anerkennungsbeziehung ist hier nicht auf der Ebene fertiger Subjekte angesiedelt, sondern geht von deren Genese und von der sozialontologischen Größe einer präfigurativen Wir-Beziehung aus. In
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Rekurs auf Hegels Begriff der „Bildung“ verankert er die Freiheit im Rahmen von Sozialisationsprozessen, in denen das Subjekt rollenspezifisches Handlungswissen zur Teilnahme an den sozialen Interaktionsformen bzw. Institutionen erlernt, die die Subjekte als soziale Akteurinnen/Akteure über die vergesellschafteten Normen und Werte informieren und koordinieren. Dies impliziert, dass die Handlungsvollzüge selbst intersubjektiv über den Bereich des Partikularen hinausgehen und damit in einen Verallgemeinerungsprozess involviert sind. Das Subjekt muss sich als gesellschaftlich teilnehmendes Individuum wahrnehmen lernen, womit seine Absichten selbst objektiv und in der Handlung verobjektiviert werden. Im Gegensatz zu Siep und zu seinen früheren Schriften greift er Aspekte von Hegels Geistphilosophie und seinem Bildungsbegriff wieder auf. Institutionen übernehmen hier zwei Funktionen, (1) die Reproduktion stabiler Kooperationsbeziehungen und (2) die Befähigung zur Teilnahme an diesen (vgl. ebd., S. 93). Die Gerechtigkeitsidee bewegt sich entsprechend auf der Ebene des Rechts der Institutionen und dem Recht der Teilhabe (vgl. ebd. S. 115), insofern Honneth soziale Freiheit als eine Responsivität der „umgebenden Handlungssphären“ (ebd., S. 113) gegenüber den Zielen und Absichten der vergesellschafteten Subjekte denkt.28 Anerkennung ist hier sowohl die Form institutionalisierter Verhaltenserwartungen als auch die Erfahrung verobjektivierter Freiheit.29
28 Mit der Responsivität nähert sich Honneth damit eher Hartmut Rosa und dessen Resonanztheorie als „Antwortverhältnis“ (Rosa 2017, S. 353) an, da die persönlich erlebte Ungezwungenheit im Umgang miteinander über eine rechtliche Reziprozität hinweggeht. Rosa unterscheidet Resonanz von Anerkennung als eine spezifische „Weltbeziehung“ (ebd., S. 354) darin, dass diese als eine unverfügbare „dynamische Verbindung“ (ebd., S. 354) über die Intersubjektivität hinausgehe. Anerkennung könne einseitig gegeben werden, setze immer die Trennung zwischen zwei Subjekten voraus und impliziere die Gefahr einer Reifizierung. Unabhängig davon könne um Resonanz nicht gekämpft werden. Rosas Kritik am Anerkennungsbegriff ist schlussendlich die Fixierung des Weltverhältnisses von Subjekten. Im Gegensatz hierzu verflüssige Resonanz das „Weltverhältnis“ (ebd., S. 357) und resultiere in transformativen Prozessen (vgl. ebd., S. 355 ff.). Honneths Idee der sozialen Freiheit integriert jedoch auch eine Reihe der genannten Eigenschaften, da eine affektive Anziehungskraft solidarischer Beziehung auch nicht unmittelbar verfügbar ist. Die Konfliktualität von Anerkennung erscheint im Gegensatz zu Rosas Resonanzbegriff aber eine soziale Dynamik aufzunehmen, die mehr empirischen Gehalt als die romantisierte Resonanzbeziehung hat. 29 Siep kritisiert an Honneths Studie, dass sie erneut mit einem idealisierten Anerkennungsbegriff operiert, ohne die eigentliche Ambivalenz zu thematisieren (vgl. Siep
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Die kritische Differenz zwischen Sozialisation und Institutionenkritik entfaltet er aus den Semantiken der individuellen Freiheit selbst und versucht dabei den Vorwurf der Normalisierung zu vermeiden. Zur Realität einer „Kultur der Freiheit“ (ebd., S. 115) gehörten auch die rechtliche bzw. negative und die moralische bzw. die reflexive Freiheit, deren interpretatives Schemata anhand eines „berechtigten Maßstab[s]“ (ebd.) die Überprüfung von Institutionen erlaubt. Die Widerständigkeit bzw. die sozialen Kämpfe beruhten aber nicht auf der Anwendung universeller Gesetze, sondern wären „Reaktionsbildungen auf Zerwürfnisse“ (ebd., S. 114) in Interaktionen, die einer Juridifizierung vorausgehen. Wandlungen in Rechtsprechungen und Rechtsverhältnissen wären nach Honneth immer sekundär gegenüber sozialen Bewegungen, die sich an Widersprüchen und Exklusionserfahrungen entzünden würden. Mit der Implementierung der verschiedenen Freiheitsideen „in den Korpus institutionalisierter Sittlichkeit“ (ebd., S. 116) glaubt Honneth nun, dass in der „Theorie eine Dynamik, eine Offenheit und Transgressivität“ (ebd.) entstehen würden, die gegen eine Überhöhung stabiler Institutionen sprechen würde. Seine Idee ist, dass die Institutionalisierung der negativen und reflexiven Freiheit sowie die Möglichkeit der Negation zu Wandlungsprozessen und Revisionen der Institutionen führen. In dieser „Spiralbewegung“ (ebd.) verhaftet, hätte auch Hegel aus Honneths Sicht seine „Sittlichkeitslehre für die dynamischen, ja revolutionären Veränderungen“ (ebd.) offenhalten können, die er sich letztlich durch ein Primat des Allgemeinen verbaut hätte. Zusammenfassend lässt sich nun die Idee der sozialen Gerechtigkeit als Befähigung zur Partizipation an institutionalisierten Anerkennungsbeziehungen und zur reflexiven Distanznahme von diesen interpretieren. Die dieser Idee zugrundeliegenden Güter sind folgende: (1) Die Befähigung zur Partizipation an „normativ gehaltvolle und daher ,sittlich‘ genannte Institutionen der rechtlichen Sicherstellung, der staatlichen Obhut und der zivilgesellschaftlichen Unterstützung“ (ebd., S. 115) obliegt. Bedingung hierfür ist, dass die inhärenten Praktiken Rollenverhältnisse und Interaktionsformen stiften, die von ihren Mitgliedern als Objektivierung ihrer individuellen Freiheit erfahrbar sind. Wenn dies der Fall ist, sind diese Praktiken
2011, S. 24 ff.). Die Kritik kann insofern konkretisiert werden, als dass Honneth zwischen unterschiedlichen Anerkennungsverhältnissen, abhängig von regulierenden oder rationalen Handlungssphären spricht, zwischen einer wechselseitigen Begrenzung und zwischen kooperativer Anerkennung bzw. Wertschätzung. Die zweite Form enthält den affektiven Anteil, der für einen solidarischen Bezug aufeinander notwendig sei. Während die rechtliche und moralische Achtung eher kritisch diskutiert wird, hebt Honneth die zweite Form idealisierend hervor.
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kommunikative Güter, in denen Individuen gemeinschaftlich ihre Wünsche und Ziele erfüllen können und gleichzeitig die gemeinschaftlichen Ziele und Wünsche als die Verwirklichung ihrer Freiheit erkennen können (vgl. Honneth 2001, S. 29), das Wir im Ich und das Ich im Wir ist. Diese Identifizierungsfigur ist bedingt durch einen Begriff der „Gewöhnung, der in einem dynamischen Prozess der wechselseitigen Anpassung verflochten ist. (2) Um diese institutionellen Anerkennungsverhältnisse und die Sittlichkeit unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit verstehen zu können, muss die Frage nach der Legitimität in der Praxis implementiert und gegen diese formuliert werden können, weswegen die „verbriefte Chance“ (ebd.) des reflexiven Widerspruchs als wesentliches Element der demokratischen Sittlichkeit realisiert werden können muss. Hieraus entstehen nach Honneth soziale Widerstände, Emanzipationsbestrebungen, sozialer Wandel und Kämpfe. Ihre Struktur ist für Honneth der Kern einer demokratischen Mitbestimmungskultur als reflexive Forderung. Dieses negative Moment der Reflexion bezieht sich für ihn auf keinen transzendentalen Reflexionsstandort, sondern muss selbst in den Institutionen verankert sein. In seiner normativen Rekonstruktion der Institutionen wird dies deutlich, wenn er nach Demokratisierungstendenzen fragt und diese an Praktiken festmacht, die als potenziell symmetrische Beteiligungsformen interpretiert werden können. Sie sollen diesem Gedanken folgend Einzelnen und Gruppen die Formen der „institutionellen Reflexivität“ (Honneth 2013a, S. 617) zur Selbstreflexion und eine moralische Rücksichtnahme ermöglichen, die asymmetrische „herrschaftsbedingte […] Blockaden oder Fehlentwicklungen“ (ebd., S. 618) einzuklammern erlauben und die allgemeinen Forderungen der Gleichheit in eine reell wahrnehmbare Form überführen (ebd., S. 616 ff.). Ein Telos ist dabei u.a. die Transformation von Forderungen des sozialen Kampfes in eine rechtliche Form (ebd., S. 614 f.). (3) Die rechtliche Distanznahme und das zeitweilige Aussetzen sozialer Verpflichtungen markiere für Honneth durchaus einen Fortschritt, weswegen er das Recht in Tradition zu Hegel auch zur verwirklichten Freiheit hinzunimmt. Demokratisch legitimierte Rechte sind für Honneth in ihrem sekundären Status einerseits Ergebnis von „Kämpfen um die soziale Verwirklichung des den jeweiligen Handlungssphären eigensinnigen innewohnende[n] Freiheitsversprechen“ (ebd., S. 614) und damit andererseits auch ein Ergebnis einer „öffentlichen Selbstgesetzgebung als normativ gerichteter Lernprozeß“ (ebd., S. 615). Damit steht nicht „das Paradigma des Rechts“ (ebd., S. 614) im Vordergrund seiner Gerechtigkeitstheorie, sondern die „Wandlungen im moralischen Alltagsverhalten“ (ebd., S. 614). Honneths Sittlichkeits- und Gerechtigkeitsbegriff läuft zusammengenommen auf einen Kritikbegriff hinaus, der abhängig von aus der Empirie entnommenen
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Institutionsmaßstäben ist. Diese Maßstäbe sollten a) einen historisch bedingten Hinweis für noch nicht verwirklichte Potenziale der jeweiligen Institutionen geben, b) Fehlentwicklungen und Kommunikationsblockaden in den Blick nehmen, die eine Verwirklichung der Freiheit verhindern oder gar rückgängig machen und c) Kolonialisierungseffekte zwischen egologischen und relationalen Handlungslogiken und -sphären herausschälen. Honneths Kritikbegriff ist folglich ein Dreifacher: Die „rekonstruktive Kritik“30 deutet (1) auf Fort- und Rückschritte hinsichtlich der Verwirklichung egalitärer Selbstverwirklichungsmöglichkeiten bzw. auf Fehlentwicklungen der Institutionen, (2) auf sogenannte Kolonialisierungsprozesse zwischen den Handlungssphären und (3) auf durch die egologischen Selbstverhältnisse hervorgerufenen sozialen „Pathologien“ hin. 2.3.4 Die Sphären der sozialen Freiheit und die Idee einer kooperativen Sozialität Wie beschrieben unterscheidet Honneth zwischen differenten Handlungssphären der sozialen Freiheit, a) die persönlichen Beziehungen, b) den ökonomischen Markt und c) die politische Öffentlichkeit (ebd., S. 232). Diese Handlungssphären kennzeichnen sich aus Sicht Honneths als relationale Institutionen durch die Form der Bedürfnisse und Ziele. In ihnen sollen a) „individuelle Bedürfnisse und Eigenschaften“ (ebd., S. 233), b) partikulare „Interessen und Fähigkeiten“ (ebd.) und c) individuelle „Absichten der Selbstbestimmung soziale Gestalt annehmen und intersubjektiv zur Verwirklichung kommen“ (ebd.). Im Gegensatz zu regulierenden Handlungssystemen des Rechts und der Moral seien diese Sphären kooperativ angelegt und im Bewusstsein wechselseitiger Abhängigkeit verschränkt. Die Auswahl trifft Honneth ohne größeren Rechtfertigungsaufwand. Allein der Idealisierung des Marktes als Sphäre mit einer immanenten Moral hat er ein ausführliches Kapitel im Umfang von 40 Seiten gewidmet, in dem er die zu erwartenden kritischen Einwände antizipiert. Eine Antwort auf die Frage, weswegen er aber andere Sphären wie etwa das Bildungssystem, welches er der Sphäre des marktwirtschaftlichen und politischen Handelns unterordnet, die Religion oder den Sport nicht zum Gegenstand seiner Untersuchung gemacht hat, sucht man vergebens.31
30 Zur Herleitung und Einbettung von Honneths Kritikbegriff im Rahmen der Kritischen Theorie (vgl. Ludwig 2012, S. 100 ff.). 31 Die Zunahme an religiösen Konflikten in den letzten Jahrzehnten bleibt in Honneths Ausführungen unberücksichtigt.
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Unabhängig von diesen Bedenken beschäftigt Honneth sich umfassend mit den drei genannten Sphären, die er noch einmal unterteilt: (1) „Das ,Wir‘ persönlicher Beziehungen“ (ebd., S. 233) in (a) Freundschaft, (b) Intimbeziehungen und (c) Familien, (2) „Das ,Wir‘ des marktwirtschaftlichen Handelns“ (ebd., S. 317) in (a) Konsumsphäre und (b) Arbeitsmarkt und (3) „Das ,Wir‘ der demokratischen Willensbildung“ (ebd. S. 470) in (a) demokratischer Öffentlichkeit, (b) demokratischer Rechtsstaat und (c) politische Kultur.32 Die normative Rekonstruktion basiert entsprechend auf der oben dargestellten These, dass Institutionen durch soziale Akteurinnen/Akteure aufgrund von Werten reproduziert werden, die diese als legitim erkennen und anerkennen. Dabei müssen die sozialen Handlungssphären, sofern sie demokratisch sind, die Tätigkeit mit der reflexiven Zustimmungsfähigkeit verschränken, um die Frage nach Legitimität und Illegitimität stellen zu können.33 Auch an dieser Stelle wird eine Begrenzung des Argumentationsverlaufs notwendig, um den Fokus der folgenden Darstellungen auf die institutionalisierten Anerkennungssemantiken und die normativen Codes der Institutionen zu legen. (a) Die Sphären der persönlichen Beziehungen Bei den Institutionen der persönlichen Beziehungen der Freundschaft, den Intimbeziehungen und der Familie zeichnet er insgesamt Idealbilder bürgerlicher Beziehungskonstellationen und einer scheinbar ungebrochenen Fortschrittsbewegung, die diese zum Ideal seiner theoretischen Idee, einer sozialen Freiheit, erhebt. Freundschaft34 unterscheidet er vom Begriff der Intimbeziehung35 und vom Begriff der Familie36 durch den Begriff der Liebe, die in der Intimbezie-
32 Die Ausführungen zur politischen Kultur entsprechen weniger seiner Systematik der „normativen Rekonstruktion“ als einer Zusammenführung differenter Argumentationsstränge zu einem Ausblick. 33 Diese Konzeption läuft Gefahr einen Petitio principii zu begehen, wenn die historische Rekonstruktion den orientierenden Setzungsakt der normativen Ordnung nicht überzeugend darstellen kann. Die demokratische Struktur der Gesellschaft ist erste Prämisse und gleichzeitig Konklusion. 34 Als Gründungsdokumente zieht er Schriften zur Freundschaft von „Furgeson, Hume, Hutcheson und Adam Smith“ (ebd., S. 241) heran. 35 Für die normative Grundierung bezieht er sich auf Shakespeares Romeo und Julia (vgl. ebd., S. 254). 36 Als Gründungsdokumente für die Familie als Sphäre der sozialen Freiheit nennt er Schleiermachers Schrift Die Weihnachtsfeier (1806) und Hegels Überlegungen zur Familie in den Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821) (vgl. ebd., S. 280).
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hung die Form des wechselseitigen Begehrens (ebd., S. 252) und in der Familie die Form der Zuneigung und Fürsorge angenommen habe. In der Freundschaft sei die „reziproke Wertschätzung“ (ebd. S. 246) der Lebensführung des jeweils anderen die zugrundeliegende Anerkennungsform, die die Funktion eines ungezwungenen Raums „ethischer Selbsterkundung“ (ebd., S. 250) habe. Im Laufe der historischen Deutungsvariationen sei sie eine kommunikative Interaktionsform geworden, die den Individuen ihre Lebensführung unter Erwartung der Anteilnahme und des gegenseitigen Vertrauens zu reflektieren erlaube, sich selbst schätzen zu lernen und zu einer größeren „Entscheidungsreife“ (ebd., S. 270) zu gelangen. In der Intimbeziehung wird diese Reflexion der Lebensführung aufgehoben in einer „Erinnerungsgemeinschaft“ (ebd., S. 262), in der die individuelle Biografie zu einer gemeinsamen wird, die durch „unterstützendes Wohlwollen“ (ebd., S. 263) begleitet wird. Hinzu kommt die „sexuelle Intimität“ (ebd., S. 265) und reziproke Befriedigung der ganzen „leiblichen Identität“ (S. 270), die ein elementares Selbstvertrauen stiften könne. Die Familie ist durch eine Triangulation von Eltern und Kind gekennzeichnet, in der eine phasenspezifische liebevolle Zuwendung den Beteiligten ein Selbstvertrauen in ihre konkrete Person ermöglichen soll (ebd., S. 302). Mit ihrem Spezifikum der gegenseitigen Abhängigkeit, der „organische[n] Rythmizität“ (ebd., S. 306) von Lebensabschnitten, der übergenerationellen Struktur und der Möglichkeit, einen Umgang damit finden zu können, könne sie zu einem kooperativen Individualismus befähigen. Obwohl er auf problematische Tendenzen einer „Kolonialisierung“ (ebd., S. 276) durch einen verstärkten Individualismus und durch ökonomische Flexibilisierungs- und Mobilisierungsimperative hinweist, erscheinen die Handlungsformen konfliktarm. Im Vergleich zum Kampf um Anerkennung, indem er noch eine prekäre Balance zwischen Symbiose und Selbstbehauptung skizzierte (vgl. Honneth 2012, S. 153 f.), scheint diese Dynamik hier verloren zu gehen. (b) Die Sphäre des marktwirtschaftlichen Handelns In der Antizipation des Vorwurfs einer „unzulässigen Idealisierung“ (ebd., S. 358) hat Honneth seiner Untersuchung des Marktes eine theoretische Klärung und Rechtfertigung vorgeschaltet. In Anschluss an Adam Smith, Hegel, Durkheim, Polanyi und einer kritischen Gewichtung der marxistischen Ökonomietheorie entwirft er eine Idee des „moralischen Ökonomismus“ (ebd., S. 357). Der Tenor dieser Analysen ist eine Senkung des theoretischen Anspruchs aufgrund einer zunehmenden Verrechtlichung des Marktes und einer Verselbstständigung der Gewinnmaximierung innerhalb der globalisierten Marktwirtschaft, deren Funktionalität scheinbar unberührt von moralischen Verwerfungen bleibt. Dieser Widerspruch zu Honneths Grundprämissen der normativen Reproduktionsbedin-
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gung hält ihn nicht davon ab, den Markt unter das Paradigma der sozialen Freiheit zu ziehen. Statt die Sphäre als Verwirklichung der sozialen Freiheit zu rekonstruieren, verlagert er aber das Argument in Richtung einer transzendentalen Figur der regulativen Idee einer moralischen Grammatik der sozialen Freiheit, auf die soziale Bewegungen immer wieder Bezug genommen hätten und die angenommen werden müsste, um einen immanenten kritischen Bezugspunkt zu erhalten, von dem aus Fehlentwicklungen kritisiert werden könnten. Dieser Standpunkt ließe sich nun derart verstehen, dass Ökonomie aus der Perspektive Honneths von innen bzw. aus ihrer eigenen Logik heraus kritisierbar sein muss, da ein externer Standpunkt über ein abstraktes Sollen nicht hinauskommt. Es bedürfe einer eigenständigen Beschreibung der Wirtschaft, die die Kritik an dieser als ein ihr inhärentes Phänomen bzw. als eine immanente Reaktion auf nicht realisierte moralische Ansprüche behandelt. Seine These ist folglich, dass Arbeitskämpfe, Proteste oder Kritiken des Neoliberalismus einer in der Marktwirtschaft angelegten Codierung folgen, die er insbesondere bei Adam Smith formuliert sieht. Adam Smith hätte mit seiner liberalen Markttheorie eine Art moralische Einhegung des partikularen Freiheitsstrebens im Horizont des Gemeinwohls bzw. Allgemeinwohls beabsichtigt, die er mit einer Theorie moralischer Gefühle und der Möglichkeit von freiwilliger Selbstbegrenzung gerahmt hätte (vgl. ebd., S. 329 f.). Mit Hegel und Durkheim interpretiert er diese am Allgemeinwohl orientierte Begrenzungsidee als ein basales Solidarbewusstsein, dass der individuellen Nutzenkalkulation Grenzen der Legitimation setzt. Im Gegensatz zur Vorstellung einer rechtlichen Begrenzung des Marktes glaubt Honneth nicht an eine bloß rechtstaatliche Einhegung ökonomischer Prinzipien. Zumal die Figur des individualistischen Homo oeconomicus, mit der sowohl die Vertreter/-innen „der zeitgenössischen Ökonomie“ (ebd., S. 319) wie auch die des Marxismus wirtschaftliches Handeln im Kapitalismus beschreiben und welche mit der Idee einer negativen Freiheit verflochten sei. Dies zeige auch Hegel, wenn er die Einführung eines liberalen Rechtssystems als eine Gründungsbedingung für die kapitalistische Marktwirtschaft und deren Expansion nachzeichnen würde. An dieser Stelle bewegt Honneth sich nun nicht weit entfernt von der Einschätzung Marx und seiner Kritik des Rechts. In einen Widerspruch begibt sich Honneth aber sowohl zu Habermas (der kritischen Theorie im Ganzen), Marx und der modernen Wirtschaftstheorie, wenn er die Möglichkeit der Begrenzung des Marktes durch inhärente vorvertragliche, moralische Regeln in Anschlag bringt, die sich wiederum in einer rechtlichen Begrenzung des Marktes niederschlagen können. Das Prinzip der Arbeit, das den Markt konstituiert, folgt hiernach nicht nur einer zweckrationalen Beherrschungslogik, sondern muss sich
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qualitativ in Form und Ziel vor dem Gemeinwesen als legitim ausweisen lassen können. Honneth formuliert diesen Zusammenhang wie folgt: „In Begriffen der Anerkennung wiedergegeben heißt das, daß die ökonomischen Akteure sich vorweg als Mitglieder einer kooperativen Gemeinschaft anerkannt haben müssen, bevor sie sich wechselseitig das Recht zur individuellen Nutzenmaximierung auf dem Markt einräumen können; und der Umfang dieser negativen Freiheiten hat sich dann daran zu bemessen, bis zu welchem Grad sie noch mit den Erfordernissen jener vorgängigen Anerkennung vereinbar sind.“ (Ebd., S. 349)
Zur Plausibilisierung dieser These zieht er einerseits die wirtschaftshistorische Studie The Great Transformation von Karl Polanyi heran, in der die Entwicklung der Marktwirtschaft als ein historisch ausgedehnter und weitverzweigter Prozess dargestellt wird und in der er den Begriff des „eingebetteten Marktes“ (ebd., S. 337) geprägt hat. Polanyi arbeitet dabei eine Korrelation zwischen der Dominanz des Verwertungsimperativs und dem kollektiven Gefühl „des Unbehagens“ (ebd.) heraus. Übersetzt in das Vokabular Emil Durkheims aggregieren die Verwerfungen zu Phänomenen sozialer Anomalien, die desintegrative Auswirkungen auf die Identitätsbildung einzelner haben sollen. Honneths Argument ist dementsprechend, dass die reale Durchsetzung des Marktes unter dem Primat der negativen Freiheit zu den problematischen Entwicklungen wie etwa Ausbeutung, asymmetrischen Arbeitsverhältnisse, der Stratifizierung des sozialen Raums etc. geführt haben und Anomien, die er als soziale Pathologien begreift, hervorrufen würde. Letztlich wäre die Konsequenz dieser Anomien ein Legitimationsverlust des Marktes als Integrationssystem, der in Widerständen oder paralysierten Persönlichkeitsformen zum Ausdruck kommen würde. Konkret heruntergebrochen hieße dies, dass den Individuen die Teilnahme am Markt sinnlos erscheinen würde und normative Reaktionen „in Form von Selbstzweifeln, Unrechtsempfindungen, Erwartungshaltungen und Rollenzumutungen“ (ebd., S. 359) beobachtbar sein müssten. Gegen Marx Ökonomietheorie, dass Ausbeutung, Machtasymmetrien in Vertragsverhältnissen und Verdinglichung von Arbeitsprozessen Systemfaktoren des Kapitalismus seien, die dessen Krisenanfälligkeit erklären würden, und Arbeitskämpfe nicht moralisch, sondern in der Logik des Marktes als Interessenspolitik verstanden werden müssten, wendet sich Honneth nun mit seiner Idee des „moralischen Ökonomismus“. Er kritisiert (1) den ökonomischen Determinismus und die Ausblendung der historisch belegbaren „Plastizität wirtschaftlicher Interessen“ (Honneth 2013b, S. 360), womit auch die „Konfliktualität“ (ebd., S. 361) und die „Politisierung“ (ebd., S. 359) sozialer Bewegungen uneingeholt blieben.
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Insgesamt (2) fehle Marx Diagnose die empirische Dimension.37 Sowohl die Frage nach Ausbeutung, Vertragsfreiheit und angemessenen Lohnverhältnissen könnte nach Honneth nur innerhalb der Marktwirtschaft gestellt und empirisch beantwortet werden (vgl. S. 356 ff.).38 Folglich möchte er entgegen der Annahme die Sphäre des Marktes wäre ein moralisch ungebundener Handlungsraum (Habermas) und der Erklärung, die diese Normfreiheit vor dem Hintergrund eines egologischen und interessensgeleiteten Verhaltensmusters des Homo oeconomicus, ob kritisch (Marx) oder affirmativ (moderne Wirtschaftstheorie) präskribiert, eine alternative, normative Betrachtungsweise etablieren. Hierbei entsteht eine von ihm auch intendierte Spaltung der normativen und historischen Rekonstruktion in einen ideellen Horizont und in eine empirische Wirklichkeitsdarstellung. Der Pfad der Marktwirtschaft soll als eine legitime Sphäre sozialer Freiheit „idealisierend“ (ebd., S. 358) freigelegt und gleichzeitig das Ausbleiben oder Zurücknehmen dieser Ansprüche aufgedeckt werden (vgl. ebd.). Honneth möchte die Marktwirtschaft an dem Versprechen messen, von dem er glaubt, sie aus den Gründungsdokumenten entnehmen zu können. Diese doppelte Strategie in der normativen Rekonstruktion der Marktsphären als Konsumsphäre und Arbeitsmarkt, erzeugt eine Differenz zwischen idealem Anspruch und empirischer Darstellung, die virulent und tendenziell zunehmend
37 Menke erwidert auf die Kritik der Entpolitisierung, dass sozialrechtliche Beschränkungen der „Willkürfreiheit“ (Menke 2015, S. 460, Fn 248) äußerlich sind. Sie also nichts an dem Faktum ändern würde, dass Arbeitskraft als Ware verkauft würde. 38 Ausbeutung wird von Honneth hier normativ gelesen, während Rahel Jaeggi darauf aufmerksam macht, dass Marx Ausbeutung nicht moralisch verwendet (vgl. Jaeggi 2013a). Sie passt also nicht in Honneths Handlungstheorie, sondern muss als ein funktionaler und relationaler Begriff gelesen werden, der erst in einer ethischen Thematisierung des ganzen Systems zum Gegenstand der Kritik werden kann. Jean-Philippe Deranty versucht in seinem Aufsatz Marx, Honneth and the Tasks of a Contempory Critical Theory (2013) Marx und Honneth zusammenzudenken. Er verknüpft beide Theorien in der Erfahrung von Arbeit und den Produktionsbedingungen innerhalb des Kapitalismus, die die sozialen Sphären insgesamt dominieren würden. Demnach stünden Missachtungserfahrungen, die zu Kämpfen um Anerkennung führen, in einer Relation zu den Produktionsverhältnissen, z.B. Kämpfe um politisches Recht oder feministische Bewegungen gegen Unterwerfung (ebd., S. 757). Deranty hat gewissermaßen recht, wenn er den Zusammenhang zwischen den differenten Handlungssphären und Arbeit in den Blick nimmt, aber der Kampf um äquivalente Löhne zwischen Frauen und Männer setzt die Arbeitsweise nicht aus.
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ist. Der Konsumsphäre39 attestiert Honneth das Potenzial einer „komplementären Bedürfnisbefriedigung“ (ebd., S. 384), einer „ethischen Selbstkontrolle“ (ebd., S. 404) und einer gemeinschaftlichen Reflexion von Interessen und Absichten zur Aufhebung der Machtasymmetrie zwischen konsumierenden und produzierenden Akteurinnen/Akteuren. Historische Ansätze für die Etablierung einer entsprechenden moralischen Infrastruktur der Konsumsphäre sieht er in den durch den Owenismus inspirierten Konsumgenossenschaften Mitte des 19 Jh. und Anfang des 20. Jh., mit denen Selbstreflexion der individuellen Bedürfnisse in der Gemeinschaft und der Versuch, die Marktmacht der Unternehmen zu brechen, verbunden gewesen wäre (vgl. ebd., S. 370 ff.). Überblickend präpariert er folgende normativen Konflikte heraus, (1) moralische Vorbehalte um die Vermarktung spezifischer Güter (Sexualität, Drogen, Organe etc.), (2) Fragen um die Angemessenheit der Preisgestaltung, (3) Legitimität von Bedürfnissen (sozialer und/oder ökologisch nachhaltiger Konsum/Verschwendung) und (4) Fragen zur fairen Verteilung, die insbesondere in diskursiven Mechanismen bzw. „intermediäre[n] Organe[n] der Meinungsbildung“ (ebd., S. 406) ihre Verwirklichung finden könnten. Statt jedoch einer Institutionalisierung entsprechender reflexiver Ressourcen, hätte sich eine „Mentalität des privaten Konsumismus“ (ebd., S. 405) durchgesetzt, die von der Ideologie der „Konsumentensouveränität“ (ebd., S. 389) grundiert werde. Aktuell wäre eine „gewachsene Atomisierung des Verbrauchers“ (ebd.) und eine sich verstärkende ökonomische Macht der Unternehmen zu beobachten, weswegen Honneth im Resultat den Zweifel formuliert, ob die Institution in dieser problematischen Form ein „Baustein demokratischer Sittlichkeit“ (ebd., S. 408) sein könne. Zu einem ähnlich ernüchternden Ergebnis kommt er auch am Ende der Rekonstruktion der Arbeitssphäre40, wenn er feststellt, dass die individualistische
39 Als Gründungsdokument zieht er die Ausführungen des Systems der Bedürfnisse und der „Polizey“ als marktregulierende Instanz in Hegels Rechtsphilosophie heran (vgl. ebd. S. 362 ff.). 40 Auch beginnt Honneth seine Rekonstruktion ausgehend von Hegels Rechtsphilosophie. Siep kritisiert an dieser Vereinnahmung Hegels als Vordenker einer sozialen Marktwirtschaft, dass Hegel die Neutralisierung des Markts nicht als Problem gesehen habe, sondern als Voraussetzung für ihre Integration in die Sittlichkeit des Staates. Der Staat sei bei Hegel die „Sinnstiftungs- und Identifikationsinstanz, die nicht nur dem selbstbezogenen Interesse der Marktteilnehmer überlegen, sondern auch der Gesinnungsmacht der Religion gewachsen ist“ (Siep 2014, S. 45). Weder würde Hegel moralische Implikationen im Marktverkehr sehen, noch werde das Streben nach „bewußte[r] Wertschätzung“ (ebd., S. 43) im System der Bedürfnisse verortet. Vielmehr sei sie eine anonyme Bezie-
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bzw. negative Freiheit zum dominanten Interpretationsschema geworden ist. Als normative Codierungen sieht Honneth die subjektiv rechtlich zugestandene Freiheit der individuellen Interessensrealisierung (vgl. ebd., S. 423), das „Leistungsprinzip“ (ebd., S. 426), Forderungen zur Humanisierung des Arbeitsmarktes (vgl. ebd., S. 438) in Form von „Lohn- und Arbeitsmarktsicherheit“ (ebd., S. 445), die Etablierung von Mitbestimmungsrechten (vgl. ebd., S. 441) und die „Chancengleichheit“ (ebd., S. 445). Als solidarische Anerkennungsform hätte sich potenziell die wechselseitige Wertschätzung als „vollwertiges Gesellschaftsmitglied“ (ebd., S. 463) realisieren können, durch die eine „wechselseitige Interessenbefriedigung“ (ebd.) und ein durch bildungs- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gerahmter Austausch von Leistungen ermöglicht werden könne (vgl. ebd., S. 465). Soziale Bewegungen, die er besonders hervorhebt, sind Kooperationsmodelle wie „Vereine, Genossenschaften und Selbsthilfeorganisationen“ (ebd., S. 438) im 19. Jh., die den Markt als kollektiv zu gestaltende Größe interpretiert haben. Dieses zivile Engagement sei durch den Wohlfahrtsstaat und die rechtlichen Reformen im letzten Drittel des 19 Jh. geschwächt worden. Insgesamt habe der sozial integrierende Wohlfahrtsstaat einen Doppelcharakter. Er böte zwar eine soziale Sicherung, hätte aber auch „desozialisierende […] Effekte“ (ebd., S. 429). Auch die Gewerkschaften seien ambivalent, da sie von Beginn des 20. Jh. nicht nur auf die Chancengleichheit aller Akteurinnen/Akteure gedrängt hätten, sondern zunehmend die Rolle der Interessensvertretung einzelner Gruppen übernommen hätten (vgl. ebd., S. 444). Honneth kommt zu dem Schluss, dass sich statt einer gemeinwohlorientierten und kooperativen Selbstverständigung eine individualisierte Verantwortungszuschreibung in der Sphäre verankert habe, die Erfolg und Misserfolg am individuellen Willen misst. Im Zuge der ökonomischen Globalisierung seit den 1990er-Jahren wären die normativen Forderungen und Gerechtigkeitsansprüche der faktischen Chancengleichheit, der Arbeitsplatzsicherheit und der demokratischen Mitbestimmung von „Renditezielen und Effizienzimperativen“ (ebd., S. 466) im privaten und öffentlichen Sektor verdrängt worden. Stattdessen greifen Forderungen der „strategischen Selbstoptimierung“ (ebd., S. 466) und „Programme der allseitigen Selbstaktivierung“ (ebd., S. 469) um sich. Dieser „allgemeine Einstellungswandel“ (ebd., S. 465) erkläre nach Honneth auch das Aus-
hungsform von „konkreten Marktteilnehmer[n]“ (ebd., S. 42). Diese finde erst in den Kooperationen statt, die jedoch nicht Teil des Marktes wären (ebd., S. 43). Hier liegt aber auch die Differenz zwischen Honneth und Siep. Honneth integriert schon im Leiden an Unbestimmtheit die Kooperation als kooperative Institutionen bzw. Standesgenossenschaften in die Marktsphäre (vgl. Honneth 2001, S. 120).
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bleiben „sichtbare[r] ,Empörung‘ auf den flexibilisierten Arbeitsmärkten“ (ebd.). Wenn dieses Ausbleiben des öffentlichen Widerstandes auch seiner Theorie eklatant widerspricht, drückt er doch seine Hoffnung aus, dass transnationale Gewerkschaftsverbände und Nichtregierungsorganisationen Mobilisierungsmöglichkeiten schaffen und einen Beitrag zur „moralischen Zivilisierung der kapitalistischen Marktwirtschaft“ (ebd., S. 470) erbringen könnten. Die von ihm erwartete Kritik einer Idealisierung der Marktwirtschaft ist in der Rezeption dieser Studie in einer derartigen Wucht ausgefallen, dass er sich genötigt sah, in einer kleineren Studie Die Idee des Sozialismus (2015) seine Perspektive erneut darzulegen. Hierbei räumt er ein, dass es „methodische Beschränkungen“ (Honneth 2015, S. 12) gewesen seien, die den Verdacht einer affirmativen, systemstabilisierenden Perspektive genährt hätten und die aber nur leicht modifiziert werden müssten, um das Transformationspotenzial seiner Theorie aus Das Recht der Freiheit für eine „gänzlich anders verfaßte […] Gesellschaftsordnung“ (ebd.) verdeutlichen zu können. Sein Ziel in dieser Studie ist es, den Begriff des Sozialismus von seiner „Erblast“ (ebd., S. 57) zu befreien, sodass dieser erneuert und mit seiner Vorstellung einer demokratischen Sittlichkeit versöhnt werden könne. Hierfür analysiert er den Begriff des Sozialismus und greift dafür Marx Idee der sozialen Freiheit und dessen Vorstellung einer freien Assoziation heraus. Er interpretiert diese als ein überindividuelles Streben jedes Einzelnen einer reziproken Selbstverwirklichung (ebd., S. 39). Darüber hinaus möchte er eine historische Beobachtung wiederaufnehmen, die er am Ende der Studie zum Arbeitsmarkt beiseite ließ, und zwar die ausbleibende Empörung. Als Erklärungsansatz bietet er hier das Konzept der „Pathologien zweiter Ordnung“ (ebd., S. 18) an, für die die „Visionen des Sozialismus“ (ebd., S. 20) quasi therapeutische Ansatzpunkte bieten könnten. Die Modifikationen, die er im Vergleich zu seiner rekonstruktiven Kritik tätigt, können aus der hier vorgestellten Lesart in vier Strategien zusammengefasst werden. Die erste Strategie ist die Lösung des Begriffes des Markts vom Kapitalismus. Entgegen einer marxistischen Gleichsetzung sieht er mindestens drei Marktbegriffe, Smiths Markt der „invisible hand“, den zivilgesellschaftlich eingebundenen Markt und den über einen demokratischen Rechtsstaat organisierten Markt (vgl. ebd., S. 93 ff.). Die Öffnung des Marktbegriffs leitet seine Überlegungen zur zweiten Strategie ein, die politische Demokratie und die liberalen Freiheitsrechte als Bedingung für die Marktsphäre bestimmen zu können, worin er sich von Marx Kritik an den liberalen Freiheiten und dessen totalisierenden Wirtschaftsvorstellungen distanzieren möchte (vgl. ebd., S. 121 ff.). Als dritte Strategie versucht er über eine Kritik an der Widerstandstheorie der sozialistischen Tradition, die geschichtsphilosophisch von der Arbeiterklasse als Kollektivsubjekt ausgegangen
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wäre, seine Theorie des „Kampfes um Anerkennung“ (ebd., S. 104) als Artikulationsformen, die retrospektiv auf noch nicht verwirklichte, normative Potenziale hindeuten, mit einem demokratischen Sozialismus zu verknüpfen. Letztlich möchte er den Sozialismus angereichert mit Deweys Lerntheorie als einen Horizont verstehen, der experimentelle Erkundungen zu einer Verwirklichung sozialer Freiheit zulässt. Diese Erkundungen bindet er zurück an die Instanz der öffentlichen Willensbildung, als Möglichkeit der zwanglosen Deliberation. Der Markt wird eine Funktion innerhalb der demokratischen Lebensform, in der eine wechselseitige Ergänzung der Handlungssphären stattfinden soll und die er unter die Idee „egalitärer Partizipation“ (ebd., S. 144) zusammenfasst. Mit dieser Entkopplung der kritischen Perspektive von der empirischen Wirklichkeit verstärkt Honneth aber eine Tendenz, die seine Ausführungen schon in Das Recht der Freiheit aufgewiesen hat, und zwar die des Idealismus.41
41 Christopher Zurn schreibt Honneth einen „socio-theoretic idealism“ (Zurn 2015, S. 201) zu, der in mehrfacher Hinsicht problematisch sei. 1) Wenn die individuelle Zustimmung der normative Kern Honeths Konzept ist, dann passt die ökonomische Entwicklung nicht mit dem Konzept sozialer Freiheit zusammen. Andere Erzählungen wie etwa der Libertanismus oder die Annahme der Neutralität des Marktes könnten mehr überzeugen (ebd., S. 198 f.). Es bedürfe dagegen der Beschreibung sozialer Mechanismen ökonomischer Macht, die die soziale Integration tatsächlich beschreiben können (ebd., S. 201). 2) Eine kritische Theorie müsse sich vielmehr mit „mircopolitical and psychoanlytic lines“ beschäftigen, die nicht personelle und nicht bewusste Integrations- und Disziplinierungsmechanismen in den Blick rücken. 3) Zusätzlich müsse sich eine kritische Theorie mit differenten Formen sozialer Macht auseinandersetzen. Die Methode von Honneth ignoriere aber „some of the most important sources of oppression“ (ebd., S. 204) und hebe hier auf Internalisierungsprozesse (Bsp.: Sklavenbewusstsein bei Rousseau, Klassenbewusstsein bei Marx, die autoritäre Persönlichkeit in der frühen Frankfurter Schule usw.) von sozialen Normen ab, die Herrschaft stabilisieren. Insgesamt fragt Zurn danach, ob Honneths Konzept über einen Konventionalismus hinausgehen würde (ebd. S. 194). Wenn nicht, würde es in einem „empty chauvinism coupled with an uncritical endorsement of the status quo“ (ebd., S. 195) münden. Wenn ja, dann laufe die Theorie auf einen „Eurocentrism or cultural imperialism“ (ebd.) hinaus. In beiden Fällen wäre das Konzept inakzeptabel. Aus Honneths Perspektive ließe sich gegen diese Kritik mobilisieren, dass er sehr wohl disziplinierende Mechanismen in den Blick nimmt, die nicht unmittelbar bewusst sind. Er beschäftigt sich z.B. in der Konsumsphäre mit der „Mentalität des privaten Konsumismus“ (Honneth 2013a, S. 405), die durch die Ideologie der „Konsumentensouveränität“ (ebd., S. 389) flankiert und mit dem bedürfniserzeugenden Inst-
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(c) Die Sphäre der demokratischen Willensbildung Die Handlungssphären der persönlichen Beziehung und des wirtschaftlichen Handelns stehen bei Honneth in einer Relation mit dem „,Wir‘ der demokratischen Willensbildung“ (Honneth 2013a, S. 470), die er nicht streng holistisch verstanden wissen will. Im Gegensatz zur Totalisierung der Handlungssphäre der
rument der Werbung hervorgerufen werde. Die „Omnipräsenz der Werbung“ (ebd., S. 403) und die „einmontierten Versprechen auf Lebensglück und Persönlichkeitserweiterungen“ (ebd., S. 388) regierten „Selbstbilder und Identitätsentwürfe“ (ebd., S. 404). Ein weiteres Beispiel ist die der „strategische[n] Selbstoptimierung“ (ebd., S. 466) innerhalb der Sphäre der Arbeit, die aus einer individualistischen Ausrichtung der kapitalistischen Marktwirtschaft resultieren würde. Auch der Vorwurf, dass Honneth sich nicht mit differenten sozialen Mächten auseinandersetzen würde, lässt sich teilweise entkräften, da er doch gerade mit der Differenzierung der Institutionen unterschiedliche Machtverhältnisse fokussiert und auf unterschiedliche Internalisierungsformen hinweist. Der erste Vorwurf der Selbstbestimmung wiegt für Honneth aus zweierlei Hinsicht jedoch schwer, da er auf der einen Seite das distinktive Kriterium für die Realität sozialer Freiheit ist, aber auf der anderen Seite mit dem Ausbleiben sozialer Kämpfen innerhalb der Konsum- und Arbeitssphäre problematisch wird. Gegen Zurn ließe sich sagen, dass das kritische an der anonymen, disziplinarischen Macht gerade das Ausbleiben reflexiver Zustimmungsfähigkeit ist. Sofern an der Idee einer begründeten Kritik festgehalten wird und nicht auf eine traditionalistische Kulturkritik zurückgriffen wird, muss sie in irgendeiner Weise eine Idee von Freiheit, Selbstbestimmung oder Autonomie entwerfen. Wenn nun soziale Kämpfe sowohl die Bedingungen für die reflexive Zustimmungsfähigkeit als auch der Gradmesser für diese sind, dann müsste jenes Ausbleiben als eine Verwirklichung der Freiheit betrachtet werden. Dann wären neoliberale und libertanistische Erzählungen aber adäquatere Folien für eine Beschreibung der institutionellen Entwicklung oder der Freiheitsbegriff ist insuffizient, um die Sphäre zu explorieren. In Anbetracht dieses Problems bleibt Honneth Hegel verpflichtet, wenn er der begrifflichen Arbeit eine therapeutische Wirkung zuspricht, wie er dies in Die Idee des Sozialismus explizit in Bezug auf die Marktwirtschaft formuliert. Es ist also die Frage, welche Bedeutung haben Narrative für die Herstellung sozialer Beziehungen. Das Menschenbild, das wie auch in seinen frühen Schriften mit dem symbolischen Interaktionismus korrespondiert, richtet sich an einer symbolischen Reproduktion von Gesellschaft aus. Zielpunkt seiner Studie ist dann auch kein universeller Standpunkt der Wahrheit, sondern eine historisch gesättigte Erzählung, die ein Freiheitsstreben zur identifizierenden Größe erhebt. Diese Strategie wird ein Gegenstand einer Auseinandersetzung mit Honneths Sozialitätsbegriff im dritten Kapitel sein.
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Familie und der bürgerlichen Gesellschaft im Staat in Hegels Rechtsphilosophie möchte Honneth eine relativ symmetrische Wechselwirkung zwischen den Sphären skizzieren, die insgesamt eine demokratische Sittlichkeit konstituieren. Trotzdem bezeichnet er die „politische Sphäre“ (ebd.) als „Herzstück“ (ebd.) dieser, weil mit ihr die demokratischen Prinzipien der öffentlichen Deliberation und Willensbildung in das gesellschaftliche Zusammenleben einbezogen werden. Die Priorisierung der öffentlichen Deliberation als Legitimationsinstanz politischer Macht veranlasst Honneth zudem, gänzlich von der Staatskonzeption Hegels abzurücken (vgl. ebd. S. 500 f.). Er zieht verstärkt die theoretischen Bezüge zu Durkheim (Verfassungspatriotismus), Dewey (Kooperationsidee) und Habermas (demokratische Öffentlichkeit als relationale Institution) in den Fokus seiner Ausführungen (vgl. ebd., S. 500, S. 569). Sie bilden einerseits die heuristische Perspektive, mit der er das historische Material analysiert, und stellen andererseits die normativen Gründungsideen für die Sphären der Öffentlichkeit und der Willensbildung bereit. In der demokratischen Öffentlichkeit bündeln sich nach Honneth die reflexiven Voraussetzungen der sozialen Freiheit. Die Möglichkeit der Teilnahme an Praktiken der Diskussion, der zwanglosen kommunikativen Klärung und Realisierung von Absichten und Interessen ist hiernach auch der Freiheitsgehalt, der dieser Institution immanent sei. Als Fortschritte in der Verwirklichung kennzeichnet er das Entstehen von Kommunikationsmedien, die unabhängig aufklärend und sachlich informieren und den Einzelnen eine reflexive Prüfung und Differenzierung der individuellen Meinung erlauben, das historische Auftreten sozialer Bewegungen, die Machtasymmetrien destabilisieren und die als Artikulationsmedien kommunikative Räume öffnen, und die Genese sozialer Bedingungen, wie etwa die Sicherung der „nötigen Bildungsvoraussetzungen“ (ebd., S. 557). Gleichzeitig sieht er historische Entwicklungen, die Mechanismen der Deliberation blockieren, Kritik ausklammern, Partizipation einschränken oder allgemein entpolitisierend wirken, als Fehlentwicklungen. Diese treffen auf Prozesse der Kommerzialisierung von Kommunikationsmedien zu, auf die Priorisierung von Unterhaltung und der ausschließlichen Bedienung von Entspannungsbedürfnissen, woraus Tendenzen des Konsumismus und des Konformismus hervorgehen, auf eine Stratifizierung der Öffentlichkeit und der daraus folgenden Limitierung des Zugangs zu Informationsquellen, die durch eine sozial selektive gesellschaftliche Infrastruktur verstärkt werden (vgl. ebd., S. 514559). Allgemein nimmt die demokratische Öffentlichkeit die Funktion der zwanglosen Figuration eines allgemeinen Willens ein, die im Staat als „reflexives Organ“ (ebd., S. 569) oder als „Netzwerk von politischen Instanzen“ (ebd.)
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objektiv werden soll. Die Allgemeinheit des Willens, ist hiernach folglich nicht inhaltlich an eine spezifische Rationalität (Wissenschaft, Wirtschaft, Kirche), sondern an eine kommunikative Vernunft gebunden, die er mit Habermas dialektisch denkt. Wenn politische Macht sich über die Rationalität inkludierender Diskursivität legitimiert, ist sowohl die Durchsetzung partikularer Interessen als auch die Exklusion gesellschaftlicher Gruppen illegitim und ungerecht. Die Sphäre des demokratischen Rechtsstaats erhält somit keinen eigenen epistemischen Standpunkt, von dem er ausgehend seine Herrschaft inthronisieren könne, sondern sie sei an „die Bedingung einer zwanglosen Selbstgesetzgebung unter Bürgerinnen und Bürger“ (ebd., S. 568 f.) rückgekoppelt. Dieser müsse in der Konsequenz „als eine in sich gegliederte Körperschaft der praktischen Umsetzung demokratisch ausgehandelter Willensbeschlüsse“ (ebd., S. 571) interpretiert werden. Ein „moderner Staat“ (ebd.), den er in die Tradition der Werte der Französischen Revolution stellt (ebd., S. 583), stehe ferner in einer doppelten Relation zur Sphäre der politischen Öffentlichkeit, (1) als Ort der politischen Macht und (2) als stabilisierende Instanz. Die Prämissen für diese Annahmen seien, dass in der demokratischen Öffentlichkeit gemeinsame Probleme diskutiert und um vernünftige Lösungen gerungen werde. Darüber hinaus sollen die staatlichen Akteurinnen/Akteure diesen Prozess begleiten und den Diskurs in ihre Entscheidungen einfließen lassen. Politische Entscheidungen seien hierbei sowohl von der Expertise der Öffentlichkeit als auch von der solidarischen Struktur dieser abhängig. Nur wenn die von politischen Entscheidungen betroffenen Personen in einem ausreichenden Maße für eine sachliche Beurteilung gesellschaftlicher Problemstellungen informiert sind und sie frei an Beratungen teilnehmen können, die sich unter den Voraussetzungen wechselseitiger Achtung und gemeinsamer Zielorientierung zu konkreten Lösungsvorschlägen verdichten, werde der Rechtsstaat handlungsfähig, insofern seine Beschlüsse zum Ausdruck sozialer Freiheit werden. Aus diesem Grund muss ein demokratisch legitimierter Staat neben seiner Schutzfunktion auch die Rahmenbedingungen für eine zwanglose Deliberation schaffen. Das Kernproblem dieser Rechtsstaatskonzeption, Staat als „Erweiterung einer öffentlichen Sphäre der demokratischen Willensbildung“ (ebd., S. 573), sei ihr Verhältnis zu Partikularinteressen und der Konstitution des demokratischen Wir als Souverän. Umso mehr der Staat als „,Erfüllungsorgan‘ partikularer gesellschaftlicher Interessen“ (ebd., S. 573) entlarvt werde, umso mehr werde dessen Legitimität sinken. Phänomene wie eine Klassenherrschaft im 19. Jh. (ebd., S. 582 ff.) oder die „Voreingenommenheit staatlichen Handelns zugunsten kapitalistischer Verwertungsimperative“ (ebd., S. 608), die im 20 Jh. durch den Neoliberalismus und die Globalisierung zugenommen habe (ebd., S. 600 ff.), führten zu Gefährdung der eigenen Legitimati-
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onsgrundlage und zu sozialen Verwerfungen. Eine erfahrungsgesättigte Reaktion hierauf wäre die Haltung der „Politikverdrossenheit“ (ebd., S. 606), die auf ein Misstrauen gegen diese Parteilichkeit fuße. Neben dieser Tendenz des Rückzugs ins Private werde das demokratische Wir durch eine nationale Hintergrundkultur destabilisiert, die (1) gegenüber den politischen Herausforderungen, die eine globalisierte Wirtschaft nach sich zieht, ohnmächtig erscheint, die desweiteren (2) den gesellschaftlichen Pluralisierungsprozessen nicht folgen kann, und die (3) die Prinzipien der modernen Rechtsstaatlichkeit, wie etwa die Bindung an die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, (vgl. ebd., S. 601 f.) untergräbt. Eine der wesentlichen Fehlentwicklungen sei deswegen das bisherige Scheitern der „Transnationalisierung“ (ebd., S. 611) der Bürgerschaft wie etwa die unzureichende politische Vereinigung der europäischen Staaten zu einer Gemeinschaft. Mit der Skizze einer auf der demokratischen Deliberation fundierenden, staatlichen Agentur nähert Honneth sich einem habermasianischen Prozeduralismus an. Der grundlegende Unterschied ist, dass er die notwendige, demokratische Haltung der Beteiligten, zu der die Bereitschaft zur Perspektivübernahme, zur kritischen Selbstreflexion in Anbetracht der anderen einer Kommunikationsgemeinschaft, zur Begründung und zur Revision der eigenen Argumentation, zur Suche und Bindung seiner selbst an einen Konsens und letztlich zur Kooperation in der Interessendefinition und Realisation, nicht durch eine universelle Verpflichtung eines sprachpragmatischen Verständigungsimperativs vermittelt glaubt, weil diese zu formal sei. Die demokratische Solidarität könne nach Honneth nicht allein im rechtlichen Vokabular einer prozeduralen Demokratietheorie formuliert werden. Dem Vorschlag des Verfassungspatriotismus hafte der Mangel an, dass er zu wenig „affektive Anziehungskraft“ (ebd. S. 612) biete, um eine Transnationalisierung der „staatsbürgerlichen Solidarität“ (ebd.) zu realisieren. Die Sphäre der politischen Kultur könne als ein Versuch gelesen werden, die Idee des demokratischen Liberalismus mit dem kommunitaristischen Motiv der Wertbindung zu versöhnen und eine Perspektive für eine Ausweitung der solidarischen Kooperationsbereitschaft und die Überwindung der nationalstaatlichen Begrenzung zu entwerfen. Seine Antwort zielt auf eine dialektische Verknüpfung von politischer Identität, die sich aus einem gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungshintergrund speist und die Einklammerung der Exklusionslogik des Wir, indem er an ein geschichtlich erfahrbares, übernationales Freiheitsstreben erinnert. Er lässt die demokratische Sittlichkeit in einem „europäischen Archiv kollektiver Freiheitsbestrebungen“ (ebd., S. 624) kulminieren, dem ein „Patriotismus“ (ebd.) innewohnen würde, der auf die Verwirklichung „aller in den verschiedenen Sphären institutionalisierten Freiheitsversprechen gerichtet“ (ebd.) sei. Sein Anspruch kann derart formuliert werden, dass die Anerkennungsform
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der „wechselseitig in ihrer Urteilsfähigkeit anerkennenden Gesellschaftsmitglieder“ (ebd., S. 570), die die Grundlage der ganzen Sphäre der demokratischen Willensbildung ist, grundsätzlich nicht durch nationale Grenzen begrenzt und durch eine nationale Identitätspolitik flankiert werden soll, sondern potenziell alle von Entscheidungen betroffene Personen einbeziehen soll.42 Sein Ziel kann nun diesen Ausführungen folgend als ein Versuch gedeutet werden, den symbolischen Gehalt von Institutionen als Kooperations- und Reproduktionsbedingung herauszuarbeiten und dessen Identifikationsmoment in einer geschichtlichen Erzählung aufzuheben, die die Stabilisierung und Erweiterung einer „Kultur der Freiheit“ ermöglicht (vgl. ebd., S. 622 ff.). Weder schwebt ihm ein Kooperationsfunktionalismus wie etwa Neuhouser mit Rousseau vor, noch überführt er wie Siep das Symmetrieversprechen des Prinzips der Anerkennung als solches in ein reflexives Equilibrium zwischen Individuum und Institution. Sein Ansatz ist es, die Sozialität als fundamentale Abhängigkeit vom anderen und die Kooperationsnotwendigkeit mit institutioneller Handlungskoordination symbolisch derart zu vermitteln, dass diese Kooperation als frei und nicht als notwendiges Übel erfahren wird. Das Mittel hierfür ist die historische Erzählung und gemeinschaftliche Identifikation. Pointiert formuliert, reaktualisiert Honneth Hegels Bildungsidee eines Kollektivsubjekts im modernen Ge-
42 Rutger Claassen kritisiert an Honneth, dass er keine Theorie des Prozeduralismus entwirft und seine normativen Implikationen nicht ausreichend ausweisen würde. Vielmehr würde er „a selective reading of modern history“ (Claassen 2014, S. 80) anbieten. Er setze damit an einem ähnlichen Punkt wie etwa Zurn an, suche aber nach der eigentlichen normativen Quelle. Seine Vermutung ist, dass Das Recht der Freiheit mit den anerkennungstheoretischen Überlegungen aus Der Kampf um Anerkennung kontrastiert werden müsste, um dieses normative Desiderat zu schließen, was jedoch trotzdem auf einen substanziellen Maßstab hinauslaufen würde. Die normative Verwendungsweise des Anerkennungsbegriffs in Das Recht der Freiheit legt diese Vermutung tatsächlich nahe. Hier müsste aber die Differenz in der Argumentation zwischen den Studien zur Geltung gebracht werden. Während er in seiner frühen Studie noch an einer stärkeren Universalisierung interessiert ist (vgl. Honneth 2012, S. 276 ff.), ist sein Argument zur normativen Grundierung ein werttheoretisches, dass den Wert der Freiheit als historisch irreversibel betrachtet. Eine zweite Stufe zur normativen Konkretisierung dieser Werte ist die Annahme von Gründungsdokumenten, deren epistemische Grundlage jedoch nicht ausreichend geklärt ist. Die Auswahl scheint sowohl durch den normativen Horizont der Arbeit bedingt und nicht notwendig durch eine Empirie fundiert zu sein. Dies wird an der Doppelstrategie innerhalb der Sphäre des Marktes deutlich.
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wande eines demokratischen und sozialen Selbstverständnisses. Anerkennung wird hier als eine intersubjektive Relation wechselseitig aufeinander angewiesener Subjekte durch normierte „Verhaltenspraktiken“ (ebd., S. 86) gerahmt, die eine Perspektivübernahme und eine wechselseitige Wunsch- und Zielartikulation in einer Form ermöglichen, in der ein gemeinsames Handeln realisiert werden kann und in denen die Akteurinnen/Akteure sich als frei erfahren. Institutionen sind dementsprechend verobjektivierte Anerkennungsverhältnisse, die als Verwirklichung der Freiheit verstanden werden können, insofern das Kriterium der „reflexiven Zustimmungsfähigkeit“ bzw. die reflexive Freiheit die Form einer intersubjektiven Freiheit einnimmt. Der Schritt von einer Moralität der Anerkennung zur Institutionentheorie wie oben dargestellt, ist bedingt durch das Interesse der Frage nach den Bedingungen von Kooperation wechselseitiger Anerkennung und „intersubjektive[r] Freiheit“ (ebd., S. 86) zu konkretisieren. Der Gerechtigkeitsbegriff basiert bei Honneth folglich auf historischen Erfahrungen von Missachtungen und Anerkennung in Bezug auf ein Freiheitsstreben, welches auf eine kooperative Sozialität bzw. eine inklusive Vergesellschaftungsform abzielt. 2.3.5 Querverweise zwischen der Institution Schule und Honneths Sittlichkeitsbegriff Aus einer erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Perspektive heraus weist die Studie Das Recht der Freiheit theoretische Leerstellen auf, da sie pädagogische Institutionen außerhalb der Familie nicht mit seiner Methode der normativen Rekonstruktion analysiert. Wenn diese jedoch hiernach befragt wird, dann wird man in Honneths Studie mindestens dreifach fündig. In der Sphäre der Familie beschäftigt Honneth sich mit den Wandlungsprozessen bezüglich des Verständnisses des Kindes und der daraus folgenden Erziehungsvorstellungen, weg von autoritären, hin zu autoritativen Stilen (vgl. ebd., S. 315). Innerhalb der Institutionen der Familie und Schule zeichnet er zusätzlich eine Tendenz der Verrechtlichungen nach (ebd., S. 162). Der dritte Punkt ist bezogen auf das Bildungssystem, das er allerdings nicht als eigenständige Sphäre der verwirklichten Freiheit rekonstruiert. Er subsumiert dieses unter die Sphäre des marktwirtschaftlichen Handelns zur Sicherung der Qualifizierung (vgl. ebd., S. 463) und der demokratischen Willensbildung zur Vermittlung von „Lern- und Kritikfähigkeit“ (vgl. ebd., S. 557). Nehmen wir nun diesen dritten Punkt auf, dann sind die zentralen „sittlichen“ Aufgaben des Bildungssystems folglich die Qualifikation und eine reflexive Bildung im Sinne einer Befähigung zur kritischen Teilnahme an Willensbildungsprozessen. Im Artikel Die verlassene Schule der Demokratie erläutert er den Zusammenhang und fordert in Rekurs auf Dewey
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und Durkheim dazu auf, Pädagogik und Demokratietheorie zusammenzudenken. Hier möchte er dafür sensibilisieren, dass Schule eine Ressource für die Reproduktion der demokratischen Lebensform ist und dass in dieser kooperativen Kommunikations- und Reflexionsformen eingeübt werden sollten (Honneth 2012b, S. 5 f.). Wesentlich hierfür seien kooperative Lern- und Unterrichtsformen. Statt sich durch individuelle Leistung zu identifizieren und sich am Konkurrenzkampf zu orientieren, sollten Lernende sich als Mitglied einer „Kooperationsgemeinschaft“ (ebd., S. 6) erfahren können. Schule wird hierdurch in das Allgemeine eingespannt und erhält eine komplementäre Funktion zu den gesellschaftlichen Institutionen. Die Beschäftigung mit Hegel hätte Honneth aber auch zu der Einsicht führen können, dass die Schule darüber hinaus eine eigentümliche „Mittelsphäre“ (vgl. TW4, S. 184; hierzu: Wigger 1984) ist, deren Funktion und Regelhaftigkeit weder ausschließlich in der Familie noch in der „wi rk l i ch en We l t “ (vgl. TW4, S. 486) aufgeht. Im Kontrast hierzu wird aus einer allgemeinerziehungswissenschaftlichen und schultheoretischen Perspektive auf die eigenständige Struktur der Schule als Institution hingewiesen, in der differente Anerkennungsformen sedimentiert sind. Lothar Wigger analysiert, dass die Akteurinnen/Akteure im Schulkontext sich im Medium des Rechts, der sachlichen Arbeit, der Leistung und der Moralität erkennen und anerkennen, die jeweils differente Konfliktfelder darstellen (vgl. Wigger 2010). Helmut Fend zeigt, dass der institutionelle Code der Selektion, der Allokation, der Legitimation und der Qualifikation basal für das moderne Schulverständnis sind (vgl. Fend 2009). Alfred Schäfer arbeitet in einer Studie zu Leistungsdiskursen heraus, dass sich Ökonomie und Schule in dem jeweils in Anschlag gebrachten Leistungsverständnis voneinander unterscheiden. In der Schule korreliert dieser im Kontrast zur Ökonomie mit den Werten Chancengleichheit und Fairness (vgl. Schäfer 2015). Werner Helsper ergänzt die strukturelle Perspektive mit dem Hinweis auf die lebensweltliche und soziale Relevanz von Schule, die sich in Biografien niederschlagen würden (vgl. Helsper 2008). Schule wird hiernach als eine Institution mit einem spezifischen Code, mit charakteristischen Anerkennungsverhältnissen, einem spezifischen Leistungsverständnis und als eine eigentümliche Lebenswelt gefasst. Diese Darstellung hätte sicherlich ausführlicher sein können. Sie zeigt jedoch, dass die Institution Schule eine relative Eigenständigkeit aufweist und im Sinne Honneths die Frage nach ihrem Status im sittlichen Gefüge eröffnet. Kann Sie als eine Sphäre verwirklichter sozialer Freiheit betrachtet werden oder liegt ihr ein individualistisches Freiheitsverständnis zugrunde? Entsprechend dem Institutionenbegriff Honneths müsste diese strukturell eine relationale Institution sein, da deren Wirklichkeit ein kooperatives Verhältnis zwischen den Akteurinnen/Akteuren voraussetzt. Ihre Funktionen, wie etwa die Qualifikation,
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kann sie nur in einem gemeinsamen Lernprozess erfüllen. Sie müsste sich ferner in einer historischen Rekonstruktion als eine normative Institution erweisen, um Bezugspunkt für eine gesellschaftstheoretische Kritik zu werden. Sie muss entsprechend in ihrer historischen Form normative Gerechtigkeitsansprüche realisiert haben und zugleich Adressatin für solche sein. Eine entsprechende Rekonstruktion würde den Rahmen dieser Arbeit jedoch sprengen. Einige Anmerkungen zur normativen Grundierung der Schule müssen an dieser Stelle genügen. Zentrale institutionelle Veränderungsprozesse des deutschen Schulsystems des 20. und 21. Jahrhunderts wären für eine normative Betrachtung neben anderen sicherlich folgende: Die an individuelle Arbeit geknüpfte Leistung, die die Ungleichheit des sozialen Status legitimiert (kritisch hierzu Stojanov 2011, S. 165.174), lässt sich auf Dokumenten wie etwa die Ökonomietheorie Adam Smiths und Humboldts Bildungs- und Schultheorie zurückführen. Neben den Differenzierungen des deutschen Schulsystems im Zuge des 20. Jahrhunderts und einer zunehmenden Formalisierung des Curriculums hat die Bildungsexpansion im Zuge der sozialdemokratischen Ära und zu einer Modifikation der Legitimationsfigur geführt, in der die Leistungsgerechtigkeit durch die Forderung nach Chancengleichheit (vgl. Zymek 2014) ergänzt wurde. Der Wendung von einem materiellen Bildungsverständnis hin zu einer formellen Kompetenzorientierung, die mit der Einführung von „Large Scale Assessments“ (vgl. Baumert 2001 et al.) dominant wird, hat die Aufmerksamkeit zusätzlich auf eine Ungleichverteilung von Bildungschancen gelenkt. Die Bemühungen um eine Etablierung von Chancengerechtigkeit und um die Mobilisierung von Humankapital nehmen in curricularen Modifikationen, Zentralisierungen von Prüfungen und Liberalisierung des Schulrechts Form an. Gleichzeitig befördert die Entwicklung die wissenschaftlich begleitete und politisch durchgesetzte Inklusion (vgl. Budde 2015) und eine Verstärkung der erziehungswissenschaftlichen Diskurse, die unter den Titel der Heterogenität zusammengefasst werden (vgl. Walgenbach 2014; Mecheril/Vorrink 2014). Die Sensibilisierung für schulische Disparitäten und die UN-Behindertenrechtskonvention haben neben dem Gerechtigkeitsbegriff der Leistungsgerechtigkeit (Statuszuweisung nach Leistung) und der Chancengleichheit (die Herstellung von fairen Ausgangsbedingungen) den Begriff der Partizipationsgerechtigkeit (das Recht auf soziale Teilhabe) in den Fokus gerückt. Trotz dieser normativen Semantiken ist umstritten, ob die Schule zur qualifizierenden Agentur geworden ist, die Bildung als Ware anbietet und ob Bildungsbiografien über Wahlentscheidungen bezüglich der potenziellen Verwertbarkeit des Gelernten rekonstruiert werden könnten. Gegen eine entsprechende Interpretation spricht zwar neben der Hypostasierung des Handlungsmodells des sogenannten Homo oeconomicus auch ein staatlich organisiertes Schulsystem
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mit Schulpflicht, aber die Quantifizierung der Bildungsstandards nach Kompetenzen habe nach Radtke eine Ernüchterung und eine Entkulturalisierung der Erziehungsaufgaben der Schule zur Folge gehabt. Die Schule wäre von ihren normativen Ansprüchen, die der klassische Bildungsbegriff an diese gerichtet habe, entlastet worden. Außerdem habe die Wahrnehmung des gesellschaftlichen Pluralismus, die den nationalen Code der Idee der Selbstbildung in Tradition von Humboldt und Herder antiquiert erscheinen lassen. Der Begriff der Bildung werde nach Frank-Olaf Radtke somit obsolet (vgl. Radtke 2017, S. 68 ff.). Die Dominanz von Verwertungsimperativen innerhalb der Schule, die wirtschaftlich induziert worden wären, würden die Schule auf die Sicherstellung und Erweiterung von Leistungsfähigkeit abstellen. Die Schule würde demnach einem individualistischen Freiheitsverständnis der ökonomischen Sphäre folgen und sie wäre den Verwertungsimperativen der kapitalistischen Markwirtschaft unterworfen (hierzu auch: Fuchs 2003; Pongratz 2007; Krautz 2012). Zurück bliebe jedoch eine Art „Residuum“ (Radtke 2017, S. 70) der Bildung, dessen Füllung noch nicht absehbar wäre. Diesem skeptischen Resultat können Erzählungen entgegengesetzt werden, die an Allgemeinbildungskonzeptionen anknüpfen (hierzu: Stojanov 2006; Tenorth 2016). Hierbei ist der aktuellste Versuch einen Begriff von Allgemeinbildung zu konzipieren, der von Heinz-Elmar Tenorth. In diesem interpretiert er das angelsächsische „Literacy“-Konzept als „Grundbildung“ und entwickelt mit Baumerts Modell „moderner Allgemeinbildung“ (Baumert 2002, S. 119) eine Perspektive, die ihm erlaubt, die „gesellschaftliche Dimension der Bildung“ (Tenorth 2016, S. 58) zu skizzieren und die von Baumert deklarierten differenten „Modi der Weltbegegnung“ (Baumert 2002, S. 119) als Kern der kulturellen Literalität (vgl. Tenorth, S. 59) zu deuten. Auffallend an Tenorths Positionierung ist, dass er sich nicht am Gegensatz von Lernen und Bildung aufhält oder überhaupt den Versuch unternimmt eine adäquate Unterscheidung zu machen. Auch greift er einen Individualitätsbegriff auf, der ein Wechselverhältnis von Besonderem und Allgemeinheit voraussetzt. Bildung sei, wenn sie auf Individualität abhebt, nicht bloß Kultivierung von „Privatheit“ (ebd., S. 58), sondern in ihr konkretisiere sich prozessual „eine historisch-kulturell spezifische Subjektform“ (ebd.). In dem Tenorth den Begriff der „Subjektform“ verwendet, macht er darauf aufmerksam, dass es hier um eine gesellschaftliche Handlungsfähigkeit geht und dass in ihr gesellschaftliche Erwartungen zur Teilhabe implementiert sind. Es läge nun ferner an „Gesellschaften wie unsere“ (ebd., S. 58)43,
43 Auf wen sich das „unsere“ bezieht, bleibt offen.
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„[…] dass allgemeine – kognitive, soziale, moralische, instrumentelle, habituelle – Prämissen für die Teilhabe an Kommunikation generalisiert werden müssen, beginnend bei Kulturtechniken über kulturelle Basiskompetenzen bis hin zu spezifischen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Tugenden und Haltungen, wie sie sich in einem fest institutionalisierten ‚gesellschaftlichen Curriculum‘ manifestieren.“ (Ebd.)
Der Grund weswegen er bei den Weltmodis (kognitiv-instrumentelle, ästhetischexpressive und evaluativ-normative Rationalität [vgl. Baumert 2002, S. 120]) nicht von Kulturtechniken, sondern von Grundbildung sprechen möchte, ist die „zentrale implizite gesellschaftliche Normativität“ (Tenorth 2016, S. 59) des Bildungsprozesses, den er als eine Selbstkonstruktion im Allgemeinen denkt, d.h. eine „Gleichzeitigkeit von Individuierung und Vergesellschaftung“ (ebd.). Diese implizite Normativität verortet er in der reflexiven Brechung der gesellschaftlichen Erwartung an der Selbstbestimmung des Subjekts, wobei Brechung zu scharf formuliert wäre. Die Legitimität läge vielmehr darin, dass die „gesellschaftliche Erwartung an die Handlungsfähigkeit ihrer Mitglieder […] von einem autonomen Subjekt, z.B. einer zurechnungsfähigen, selbstverantwortlichen ‚Person‘ im rechtlichen Sinne, ausgeht“ (ebd.). Mit dieser Argumentation bewegt sich Tenorth auf Honneths Institutionentheorie zu, ohne dies möglicherweise zu beabsichtigen. Auch hier erhält die Gesellschaft eine reflexive Infrastruktur, die solange als legitim erkannt werden kann, solange die Praktiken eine Subjektform realisieren, die als Manifestation von Autonomie wahrgenommen wird. Dann kann nämlich die Grundbildung auch ein ethisches Gut bzw. ein Recht sein, wie es Tenorth im Sinne einer „Bildungsgerechtigkeit“ (ebd., S. 67) herausstellt. Das Problem, dass er sich dabei einhandelt, ist der evaluative Status der Vergesellschaftungsform selbst. Ist diese „unsere Gesellschaft“ derart strukturiert, als dass die Grundbildung eine Bedingung für ein gutes Leben ist (vgl. ebd.)? Zur Beantwortung dieser Frage müsste folglich geklärt werden, inwiefern die Legitimität der gesellschaftlichen Erwartungen überhaupt gegeben ist. Honneth könnte mit seiner Idee einer reflexiven, kooperativen Sozialität eine passende Denkfigur zur Verfügung stellen, wobei diese Perspektive auf eine kritische Gesellschaftsanalyse abzielt. Bildung und Sozialität wären hierbei in einem diskursiven Feld zwischen Freiheit und Anpassung, Handlungsfähigkeit und Begrenzung eingespannt und in den sozialen Beziehungen aufgehoben. Tenorth setzt nun genau das voraus, was mit Honneth in Anschluss an Hegel als freiwillige Selbstverpflichtung gedacht werden könnte, ohne aber über die gesellschaftliche Kontextualisierung der Schule Auskunft zu geben. Er lässt keinen Zweifel daran, dass die Anpassung sich in der reflexiven Zustimmungsfähigkeit des autonomen Subjekts versöhnt. Auch wenn die
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normativen Voraussetzungen bei Honneth und Tenorth wohl andere sein mögen. Während Honneths Fokus auf der Reproduktion und Erweiterung der demokratischen Lebensform liegt, scheint bei Tenorth die Funktionalität mit einem gewissen Spielraum für Non-Konformität den normativen Horizont zu bilden. Neben der Qualifizierung wäre für Honneth auch die Kultivierung von Kritikfähigkeit Aufgabe der Schule, da dies die Bedingung für die Teilhabe an einer öffentlichen Willensbildung wäre.44 Welches Kriterium ließe sich aber nun heranziehen, um zwischen den beiden Perspektiven von Radtke oder von Tenorth zu entscheiden? Folgt Schule einer ökonomischen, ethisch neutralisierten, individualistischen Logik? Oder ist sie eine Freiheit ermöglichende Institution? Der Hinweis Tenorths, die gesellschaftliche Dimension von Bildung zu fokussieren und die in PISA und TIMMS abgefragten Kompetenzen als legitimes Gut zu thematisieren, ist wichtig und erstmal plausibel. Durch die gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen wird die gesellschaftliche Teilhabe aber zu Legitimationsbedingung von Schule. Sie bindet diese an das Versprechen, den Individuen ein selbstbestimmteres Leben zu ermöglichen. Dies ist aber von der gesellschaftlichen Struktur abhängig und fordert eine gesellschaftstheoretische Perspektive heraus.45 Ohne eine sittliche Aufhebung der Schule und ohne die Annahme einer Verwirklichung der Freiheit entsteht vielmehr das Bild einer ambivalenten Institution, die nicht in einer Überhöhung der Schule als ideellem Bildungsort kulminiert (vgl. Benner 2012, S. 190).46 Eine historisch normative Rekonstruktion der Schule würde jedoch
44 Zur Kritik an der Idee demokratischer Kompetenzen (vgl. Bünger 2013, S. 216). 45 Wenn etwa durch gesellschaftliche Prozesse wie der sogenannten Industrie 4.0 (Ittermann/Niehaus 2015) das Angebot an Arbeit immer weiter sinkt, es aber die Prämisse einer marktwirtschaftlich strukturierten Gesellschaft ist, soziale Existenz durch Arbeit zu vermitteln, dann wird die Verknüpfung der Grundbildung und der gesellschaftlichen Integration brüchiger. 46 Thematisierungen von Schule, die diesem Ort nicht den Schein der Befreiung überstülpen, sondern diesen als einen Ort der Ermöglichung- und Begrenzung zugleich (Helsper 2008), als Ort der Herstellung von differenten Ungleichheitsordnungen (Hagedorn 2010; Walgenbach 2014; Budde 2017), als einen Ort uneindeutiger Kommunikationsformen und fragiler Machtverhältnisse (Reh/Helsper 2012), als einen Ort disziplinarischer Unterwerfung und Widerständigkeit (Grabau/Rieger-Ladich 2014) und als Ort immanenter Konfliktualität (Wigger 2010) diskutieren, sind einer normativen Idealisierung möglicherweise vorzuziehen, da sie die Reflexion von Machtstrukturen in den Fokus ziehen.
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Gefahr laufen, ein abstraktes Verständnis von Schule zu befördern und die konkrete Praxis aus dem Sichtfeld zu verlieren.
2.4 ZWISCHENBETRACHTUNG In der bis hierhin vorgenommenen argumentationsanalytischen Betrachtung der differenten Studien zum Verhältnis von Anerkennung und Institutionen kann als Gemeinsamkeit konstatiert werden, dass alle drei den Versuch unternommen haben, sich den Bedingungen für gesellschaftliche Kooperation trotz und aufgrund des Strebens nach Anerkennung zu nähern. Sowohl die hegelianische Sittlichkeits-Formel des Ich im Wir und des Wir im Ich als auch das Problem der affektiven Identifizierung im kooperativen Zusammenhang können als Folien dieser Studien in Anschlag gebracht werden, wobei die Konfliktualität von situativ fragilen Anerkennungsbeziehungen und die sozial vermittelten Anerkennungsverhältnisse in Hinsicht der Anerkennbarkeit different fokussiert und thematisiert werden. Frederick Neuhousers Studie zu Rousseaus Anerkennungstheorie, die trotz ihres historisch hermeneutischen Vorgehens einen systematischen Kern hat, sticht gegenüber den anderen Studien von Siep und Honneth dadurch heraus, dass das Streben nach Anerkennung als ein ambivalentes, anthropologisches Bedürfnis, „l’amour propre“, eingeführt wird, dass die Bedingung menschlicher Vergesellschaftung fundieren soll. Der Wille sich selbst im anderen erkennen zu wollen, ist hiernach kein Spezifikum eines historisch gewordenen Subjektverständnisses, sondern der Grund, weswegen Menschen sich als soziale Wesen begreifen lernen können. Das „Selbstsein“ im anderen setzt den anderen als anderen und stellt diesen in ein relationales Verhältnis zum Selbst. Die wechselseitige Abhängigkeit im Selbstsein, in dem Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl relativ aufeinander bezogen sind, und das damit einhergehende Geltungsbedürfnis stellt für Neuhouser sowohl die Möglichkeit eines gemeinsamen auf Perspektivübernahme basierenden Handelns als auch die Bedingung für die Herausbildung sozialer Pathologien dar. Soziale Pathologien entstehen hier durch Institutionen, die Grafikationssysteme etablieren, die eine hyperbolische Form des Wettkampfes herausfordern und befriedigende Positionen der Anerkennung nur für eine begrenzte Anzahl von Teilnehmenden ermöglichen. Sie befördern die Privilegierung Einzelner und das Streben nach Besonderung, die oder der Beste sein zu wollen. Neuhouser hebt hierbei die destruktive Kraft evaluativer Statuszuweisungen in Konkurrenzsystemen hervor, um damit den Begriff der Selbstentfremdung zu beleuchten. Entfremdung bestimmt Neuhouser
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als ein äquivalentes Verhältnis externaler Wertung und internaler Selbstbewertung. In diesem Fall kann das Selbst auf keine internale Referenz für sein Selbstsein zurückgreifen und bleibt auf die Fremdperspektive als Referenz verwiesen. Dies evoziert wiederum eine vollkommene Abhängigkeit, die auf gegenseitige Unterordnung abzielt. Der Kampf um Anerkennung ist somit kein reines Interaktionsverhältnis, sondern er ist durch institutionalisierte Normen induziert und reguliert. Abhängig von der gesellschaftlichen Konstitution und den institutionalisierten Normen, so könnte das Argument Neuhouser interpretiert werden, können Anerkennungsverhältnisse herrschaftliche oder kooperative Beziehungsformen hervorbringen (s. Kap. 2.1.1). Mit Rousseau zielt er an diesem Punkt auf die Frage nach der Möglichkeit einer relativen Unabhängigkeit gegenüber anderen ab, die er mit der Erziehungstheorie und der Bildung internaler Quellen der evaluativen Selbstreferenz und dem Gesellschaftsvertrag von Rousseau und der Bildung einer vernünftigen „,geistigen‘ Gemeinschaft“ bearbeitet, während in der Erziehung ein stabiles Selbstverständnis ausgebildet werden sollte. Ist sein Hauptargument bezogen auf den Gesellschaftsvertrag, dass die „amour propre“ aufgrund ihrer Relationalität die basalen Voraussetzungen für eine moralische Perspektive in die menschlichen Beziehungen einzieht. Die Selbstliebe, „l‘amour de soi“, die nach Rousseau den Gedanken der Autarkie nahelegt und die mit einem unmittelbaren Mitleid verbunden sei, zieht jedoch keine Dezentrierung der subjektiven Perspektive nach sich. Erst der Vergleich mit und die Differenzierung zu anderen ermöglicht dem Argument folgend eine reflexive Perspektivübernahme und eine egalitäre Wertzuschreibung. Neuhouser schreibt der „amour propre“ folglich die Möglichkeit zu, sich im Vergleich zu anderen als Subjekt mit fundamentalen Interessen wahrzunehmen, deren Realisierung über den Standpunkt einer diskursiv gefassten Gemeinschaft zum Gegenstand der Reflexion wird. Hierfür müsse das anthropologisch angenommene Gefühl des Mitleids in einer reflexiv vermittelten Verallgemeinerungsbewegung auf einen allgemeinen Willen transzendiert werden. Mit dieser Verallgemeinerungsbewegung thematisiert Neuhouser das Problem von Ich und Du als Mitglieder eines Wir und der Frage nach der Zugehörigkeit zu diesem Wir. Wenn solidarische Haltungen abhängig gemacht werden von einer affektiv besetzten Wir-Zugehörigkeit, dann entsteht ein doppeltes Inklusions- und Exklusionsproblem, insofern (1) Integrationsbedingungen gesetzt werden, über die die Mitglieder eines Wir sich im Interaktionsverhältnis zwischen Ich und Du bewerten und (2) sich zu anderen, die nicht Wir sind, als Wir abgrenzen. Nach Neuhouser hätte schon Rousseau für die Lösung dieser Dialektik der Wir-Zugehörigkeit nicht bloß einen Patriotismus ins Spiel gebracht. Er habe hierüber hinaus einen gewissen universellen Standpunkt skizziert, in dem das
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Mitleid der „amour de soi“ und die Relationalität der „amour propre“ aufgehoben wären (s. Kap. 2.1.1). Neben den Tendenzen einer Idealisierung einer Authentizität und einer Hypostasierung von einer regulativen Perspektive im Erziehungskontext eröffnet Neuhouser eine Perspektive auf Grundprobleme zwischen einer über Anerkennung vermittelten Identifikation im und mit anderen und der Ambivalenz von Wir-Zugehörigkeit. Einerseits wird die Schwierigkeit einer graduellen Wertschätzung innerhalb von institutionalisierten Gratifikationssystemen deutlich. Andererseits wird der Fokus auf die Spannung zwischen Anerkennung als egalitäre Achtung und Anerkennungswürdigkeit gelenkt. Die Argumentationsfigur einer Verallgemeinerungsbewegung moralischer bzw. solidarischer Beziehungsformen lässt sich nun auch in den anderen diskutierten Studien wiederfinden. Rousseaus Vernunftbegriff und Gesellschaftsvertragskonzeption bleibt allerdings noch bei der Einnahme eines universalen vernünftigen Standpunkts verhaftet (s. Kap. 2.1.3). Mit Hegels Annahme einer historisch gewordenen Vernunft, an der Ludwig Siep ansetzt, wird dieser, sofern nicht Hegels monistischer Geistphilosophie gefolgt wird, problematisch. Sieps Argumentationslinie verläuft über historische Erfahrungen von Normkonflikten, die er in zweifacher Weise in Relation zum Anerkennungsparadigma setzt. (1) Handlungstheoretisch könnten soziale Konflikte als Anerkennungsverhältnisse interpretiert werden, in denen die Figur der Selbstprüfung bzw. des „Anerkennungstests“ (kollektiver) Selbst- und Weltverständnisse als Folie herangezogen werden. Hier bewegt er sich relativ nah an Honneths Theorem, die Grammatik sozialer Bewegungen über das Modell des Kampfes um Anerkennung verstehen zu wollen. Siep fasst Anerkennung aber nicht rein normativ, sondern beschreibt sie in einer dialektischen Dynamik von Vereinigung, Selbstbehauptung und gegenseitiger Freigabe. Soziale Konflikte, Kriege etc. sind aus der Beschreibung Sieps nicht nur Folgen von Missachtungserfahrungen. Ihre Begründung liegt im Anerkennungsparadigma selbst, da dieses überhaupt erst eine Differenz zwischen Ich und anderen schafft, dass nur über ein komplexeres, aufhebendes, normatives Selbst- und Weltverständnis überwunden werden könne. (2) Diese doppelte Negation beinhaltet aber nun die normative Implikation der potenziellen Symmetrie und damit die zweite Relation, in der Siep das Anerkennungsparadigma zur historischen Erfahrung aufeinander anwendet (s. Kap. 2.2.1). Normen wie etwa der Grundrechtsschutz gehen nach Siep auf Erfahrungen konfliktlösender Anerkennungsverhältnisse zurück, deren Institutionalisierung als Lernprozess betrachtet werden könne. Wie gezeigt, beschreibt er mit dieser Theorie eine Institutionengenese von weniger komplexen Institutionen wie Arbeit, Familie und Zweikampf über Rechtssysteme hin zu Regierungen, die eine gemeinsame Bearbeitung von Problemen er-
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möglichen sollen. Die Institutionalisierungen solidarischer Beziehungen, wie etwa in sozialstaatlichen Einrichtungen, könnten hiernach sowohl im Prozess als konfliktreiche Anerkennungsverhältnisse und im Resultat als Erfahrungen aufhebender Anerkennungsformen beschrieben werden. Siep ist nun aber vorsichtig genug, seiner Argumentation keine universelle Fortschrittsbewegung zu unterstellen. Er argumentiert zwar, dass bestimmte Normen, wie etwa der Grundrechtsschutz, irreversibel mit dem Selbstverständnis moderner Gesellschaften verknüpft wären, diese aber nicht als ahistorisch und unwandelbar angenommen werden könnten. Mit dieser anerkennungstheoretischen Perspektive ließe sich nun argumentieren, dass das problematische Verhältnis von Ich, Wir und anderen nicht durch einen theoretischen Vorgriff auf eine aufhebende Institution gelöst werden könne. Fragen nach der Wir-Formation und der sozialen Gestalt können nach Siep nur empirisch beantwortet werden. Sie können aber mit dem Anerkennungsparadigma aufgrund dessen immanenter Symmetrieversprechen geprüft und kritisiert werden. Hiermit wird keine Institution als teleologische Entfaltung von Freiheit betrachtet. Auch das Denken von Solidarität über WirZuhörigkeit liegt Sieps Perspektive fern. Im Gegenteil, normative Anerkennungsverhältnisse, die auf stärkerer Gemeinschaftsbindung basieren, wie gewisse Solidaritätsformen, z.B. zivilgesellschaftliches Engagement, Freundschaft oder kooperative Beziehungsformen, die er unter den Titel gemeinsames Werk fasst, hält er nicht für verallgemeinerungsfähig. Die Normen, die er als irreversibel kennzeichnet, liegen letztlich im Horizont rechtlicher Bestimmungen, Menschenrechte und Grundrechte. Praktische Philosophie habe hiernach zwei Aufgaben, der Normen- und Institutionengenese nachzugehen und die historischen institutionalisierten Normen zu begründen. Mit dem Anerkennungsparadigma wären, so die Annahme Sieps, beide Aufgaben zu verknüpfen. Mit der wertethischen Perspektive entsteht eine andere Argumentationslogik, in der die sozialphilosophischen Implikationen seiner früheren anerkennungstheoretischen Überlegungen in den Hintergrund rücken (s. Kap. 2.2.2). Der sozialphilosophische Pfad des Anerkennungsparadigmas wird aber nun von Honneth beschritten, der gerade die gesellschaftstheoretische Perspektive und die ethische Reflexion in einem pluralistischen und demokratischen Wir kulminieren lassen möchte (s. Kap. 2.3). In seinem Aufsatz Das Ich im Wir, in dem er sich mit dem Argument des Kollektivismus auseinandersetzt, schreibt er: „Das Ich sucht das Wir des gemeinsamen Gruppenerlebens, weil es auch nach der Reifung noch auf Formen der sozialen Anerkennung angewiesen ist, die den dichten Charakter direkter Ermutigung und Bestätigung besitzen; weder seine Selbstachtung noch sein Selbstwertgefühl kann es ohne die stützende Erfahrung aufrechterhalten, die es durch das
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Praktizieren gemeinsam geteilter Werte in der Gruppe macht. Insofern ist die Gruppe, weit davon entfernt, eine Bedrohung für die persönliche Identität darzustellen, mit den Worten Adornos eine ,Quelle der Humanität‘.“ (Honneth 2010 b, S. 279)
Hier entwirft aus einer psychoanalytischen Perspektive die ethische Bedeutung des Wir bzw. der Gruppe für das Individuum in seinem Selbstsein. Diese Grundhaltung Honneths, dass Wir bzw. die Gruppe als „Quelle der Humanität“ zu verstehen, wird auch im Das Recht der Freiheit deutlich, wenn er die moralische Reflexion bezüglich ihres Individualismus kritisiert, in der die moralische Haltung als Sollen dem Wollen gegenüberstellt wird. Das Symmetriepostulat, mit dem auch Siep operiert, wäre aus dieser Perspektive solange nur formal, wie es nicht in einer gesellschaftlichen Wirklichkeit sedimentiert wird. Erst wenn Individuen als an Gruppen Teilnehmende sich als normative Adressatinnen/Adressaten verstehen lernen und die Selbstverwirklichung des jeweils anderen wünschen und an deren Entfaltung mitarbeiten, könne Gleichheit real und erfahrbar werden. Seine These ist es, dass ein solidarisches Wir dann entsteht, wenn die gesellschaftliche Kooperation nicht durch Zwang, sondern durch Wollen gekennzeichnet ist. Dieses kommunitaristische Motiv erweitert Honneth nun aber erstens mit der Idee einer demokratischen Sittlichkeit, in der die soziale Freiheit die negative und reflexive Freiheitsidee integriert. Der subjektive Vorbehalt, der Rückzug aus dem Wir und der Kooperationsverzicht sollen dementsprechend Aspekte der Sittlichkeit selbst sein. Die jeweiligen Wir-Formen bzw. Institutionen, auf die die gesellschaftlichen Mitglieder gemeinsam Bezug nehmen können, müssen sich folglich aus einem reflexiven Verhältnis heraus als Realität der subjektiven Freiheit verstehen lassen. Zweitens knüpft er die demokratische Sittlichkeit an historischen Erfahrungen (Französische Revolution) transnationaler Freiheitsbestrebungen, die eine Kultur der Freiheit denkbar erscheinen lassen.47 Sein Ansatz ist es hierbei im Kontrast zu Siep, nicht „nur“ eine kritische Perspektive gegenüber Institutionen zu entwickeln. Honneth möchte weitergehend die Institutionen, die er mit dem Wir identifiziert, als Ermöglichungsverhältnisse rekonstruieren, um hierauf aufbauend ein immanentes Kritikverständnis zu entwerfen. Sein Projekt ist es, das Wir der persönlichen Beziehungen, des wirtschaftlichen Handelns und der demokratischen Öffentlichkeit historisch und empirisch als normative Institutionen darzustellen, die zu ihrer Reproduktion nicht nur einer gemeinsamen Handlungskoordination bedürfen. Die Kooperationsbereitschaft müsse zusätzlich auf ein identifikatorisches Moment zurückge-
47 Auf diese Argumentationsfigur gehe ich im nächsten Kapitel näher ein.
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führt werden, das als freiwillig erfahren wird und dabei über ein rationales Nutzenkalkül hinweggeht (s. Kap. 2.3.1). Die egologische Struktur, die er der negativen und der reflexiven Freiheit zuspricht, stelle im Kontrast hierzu ein fragiles Verhältnis dar, dass Kooperationen eher gefährde als diese zu stabilisieren. Es ist das Spezifikum von Honneths Studie Das Recht der Freiheit, dass er zwei grundlegend differente Anerkennungslogiken innerhalb regulierender und relationaler Handlungssphären nachzeichnet. Die individualisierende Anerkennungslogik, die er insbesondere der Sphäre des Rechts zuspricht, in der sich die Subjekte von anderen lösen, die Beziehungsebene einklammern und zentrisch die Anerkennung ihrer Rechte verlangen. Dieser zentrierenden Anerkennungslogik steht eine Art dezentrierender Anerkennungslogik gegenüber, die dann zur Geltung kommt, wenn die zur Bedürfnisbefriedigung notwendigen Güter von einer gemeinsamen Tätigkeit abhängig sind. Freundschaftliche, familiäre und partnerschaftliche Beziehungen sind für Honneth genauso wenig durch zweckrationales und instrumentelles Handeln von Subjekten, die sich in ihrer rechtlichen Vereinzelung anerkannt wissen wollen, aufrechterhaltbar oder sogar gestaltbar wie es für Arbeitsverhältnisse und Prozesse demokratischer Willensbildung der Fall wäre. In allen diesen Beziehungen müssen die Individuen die anderen als Kooperationspartner anerkennen, deren Perspektive berücksichtigen und reziprok auf die Bedürfnisse des jeweils anderen eingehen. Sie müssen sich jeweils im anderen erkennen können. Was dies aber genau bedeutet, lässt sich nach Honneth über der historischen Gestalt der Institutionen, deren normative Struktur und den mit diesen einhergehenden sozialen Bewegungen verstehen. Er greift hier also auf seine These aus seinem Frühwerk Kampf um Anerkennung zurück, in der er den sozialen Bewegungen die Funktion zugeschrieben hat, den normativen Überschuss von Anerkennung zu konkretisieren. Diese empirische Dimension sozialer Bewegungen speist er nun in das Freilegen von Deutungsweisen der in den Institutionen angelegten normativen Versprechen ein (s. Kap. 2.3.2). Die Institutionen werden zum Medium, in dem gemeinsam geteilte Werte praktiziert werden, und in dem Störungen durch differente Interpretationen, durch Kolonisierungseffekte anderer, wie etwa egologische Handlungsmuster oder durch das ausbleibende Praktizieren aufgrund von Anomieeffekten, einer als widersprüchlich wahrgenommenen sozialen Realität sozialen Widerstand hervorrufen. Wenn aber nun die Institutionen im Sinne Honneths praxistheoretische Ergänzung seines anerkennungstheoretischen Sittlichkeitsverständnisses zur Wirklichkeit der Freiheit werden, erhält die Gewöhnung an die jeweiligen Praktiken einen normativen Sinn. Die Sozialität des sich einpassenden Subjekts nimmt eine befreiende Form an, da sie das Individuum dazu befähigt zu koope-
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rieren. Die Anerkennungsverhältnisse sind hierdurch auch nicht an die Darstellung einer unverwechselbaren Individualität gebunden, sondern an kooperative Selbst- und Weltverständnisse, die im Telos eine Symmetrie implizieren. Auch Siep zeigt auf, dass Hegels Anerkennungstheorie in einer institutionellen Umwelt zumindest asymmetrisch ansetzt und problematisiert die Anpassungsbewegung dahingehend, dass Hegel ein Primat der Allgemeinheit setzen würde (s. Kap. 2.3.3). Honneth schließt sich einerseits dieser Kritik an, wendet aber andererseits ein, dass das Gedankenmodell Hegels einer reflexiv vermittelten Wechselbeziehung, eine Verflüssigung der individuellen und der allgemeinen Ebene zur Konsequenz hätte. Hierauf stützt er sein Argument, dass eine kritische Bezugnahme auf soziale Phänomene nur aus einer immanenten Perspektive artikuliert werden könne, die sich im Medium des Allgemeinen verständlich machen kann und dabei auf einen begründeten Maßstab zurückgreifen muss. Das Subjekt ist hierbei immer Teil einer sozialen Welt und Mitglied von Institutionen, über die es sich erkennen lernt. Diese teilnehmende Perspektive ist für Honneth nun mit der Idee individueller Freiheit, an die Reflexivität zurückgebunden. Was es bedeutet, von gerechten Arbeitsverhältnissen oder von einer gerechten demokratischen Partizipation zu sprechen, muss den Deutungsmustern der Praxis selbst entnommen werden. Solange wir nach Honneth Gerechtigkeitsfragen gegenüber Institutionen stellen wollen, müssen sie als normative Institutionen realisiert werden48 und hiernach befragt werden können. Hieraus folgt, dass Honneth das Erlernen der Handlungsfähigkeit nicht nur als einpassende Gewöhnung verstehen möchte, in der die Internalisierung von Handlungsabläufen als Befreiung betrachtet wird. Wie in der Rekonstruktion der Handlungssphären dargestellt, müssen die Institutionen die Teilnehmenden dazu befähigen, ein reflexives Verhältnis zu sich und den Praktiken einzunehmen. Dies ermöglichen nach Honneth reflexive Medien wie die Konsumgenossenschaft innerhalb der Sphäre des Marktes oder Kommunikationsmedien innerhalb der Sphäre der demokratischen Willensbildung (s. Kap. 2.3.4). Über diese Medien der Beratung und Kommunikation könnten neben der Reflexion auch Machtverhältnisse flexibilisiert und Herrschaftsblockaden aufgelöst werden. Honneth kommt mit seinem Verständnis einer reflexiven, kooperativen Sozialität als eine Handlungsbefähigung zur Reproduktion potenziell sittlicher Institutionen nun Hegels Bildungsgebegriff (s. Kap. 1) sehr nahe, weswegen auch dessen Sozialitätsbegriff im nächsten Kapitel wiederaufgenommen und im Kontext des Verhältnisses der Sozialität zur Bildung disku-
48 Aus diesem Grund möchte er an einer normativen Betrachtung der Institution des marktwirtschaftlichen Handelns festhalten.
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tiert wird. In dieser Diskussion wird die Frage nach dem Ich im Wir von der Seite des Ichs gestellt und auch das Problem der Wir-Zugehörigkeit, das Neuhouser mit Rousseau eröffnet, erneut thematisiert.
3
Die Sozialität der Bildung – Eine Annäherung
Der Begriff der Sozialität provoziert unweigerlich eine Reihe von Assoziationen. Angefangen bei gesellschaftlicher Integration, ethischer Solidarität und Selbstbegrenzung, sozial vermittelter Wahrnehmung, Identitätsbildung, identifikatorischer Vereindeutigungen, machtvoller Ein- und Ausgrenzungen bis hin zu sozialen Ordnungsstrukturen konfigurieren alle das Verhältnis von Ich, Du und Wir in mehr oder weniger komplexer Weise. Es entstehen Verhältnisse des Aufeinander-bezogen-seins, in dem die Abhängigkeit voneinander pointiert und die Handlungskomplementarität akzentuiert wird. Handlungen finden hierin gerahmt von sozialen Ordnungen und im Zusammenhang mit oder in Abgrenzung von anderen statt. Diese grundlegende Assoziation bietet die Fundierung für eine Reihe von Thematisierungsweisen, die sich von einem Individualismus und dem Begriff eines unabhängigen Subjekts lösen wollen. Sei es aus einem soziologischen Erkenntnisinteresse, in dem die Sozialisierungsprozesse und sozialen Dynamiken in den Blick genommen werden, einem sozialphilosophischen Erkenntnisinteresse, die Bedingungen menschlichen Zusammenlebens zu reflektieren, oder einem pädagogisch bildungstheoretischen Erkenntnisinteresse, die Strukturen menschlichen Lernens im sozialen Raum näher zu bestimmen. Die Frage nach der Individualität und ihrer Konstituierung bildet den Kristallisationspunkt der Diskurse um den Begriff der Sozialität herum. Hier lassen sich wiederum verschiedene Gedankenmodelle unterscheiden, die jeweils differente Perspektivierungen auf die Sozialgenese ein- oder ausblenden. In Ansätzen, die der Individualität eine Vorrangstellung einräumen und das Soziale als Resultat voluntärer Handlungen rationaler Akteurinnen/Akteure skizzieren, wäre das Wir ein zeitweiliger Zusammenschluss von Individuen, die sich diesem Wir aus rationalen Entscheidungen heraus anschließen. Das Du wäre zugleich sowohl ein potenzieller Partner/eine potenzielle Partnerin als auch eine konkurrierende Person, abhängig von der Interessenskohärenz (Hobbes, methodischer Individua-
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lismus). Eine weitere Figur ist die Emergenzfigur, in der das Wir als ein Ganzes von interagierenden Individuen verstanden wird, in der die Sozialität in einem balancierten Verhältnis zur Individualität steht und das Soziale aufgrund einer wechselseitigen Dynamik eine prekäre Kontinuität erhält (Neuhouser s. Kap. 2.1; Siep s. Kap. 2.2). Hiervon lässt sich aus meiner Sicht das holistische Modell unterscheiden, indem die Individualität eine Ausdifferenzierung einer vorrangigen Sozialität ist und indem das Verhältnis von Ich und Du sich nur über ein Wir bzw. im Rahmen einer oder mehrerer sozialer Ordnungen denken lässt (Hegel s. Kap. 3.6.1; Gehlen s. Kap. 3.6.2; Honneth s. Kap. 3.3). Diese letzte Variante zersplittert bei genauerer Betrachtung in verschiedene Theorierichtungen. Demnach lässt sich die Vorrangstellung der Sozialität als Vereinheitlichungsprinzip menschlicher Gesellschaften und als deren Existenzbedingung betrachten, die gerade in der Befreiung von der individuellen Willkür liegt (Gehlen). Im Kontrast hierzu kann die vorgängige Sozialität auch als Bedingung von Individualität und Freiheit betrachtet werden (Hegel, Honneth, in kritischer Distanz auch Jaeggi s. Kap. 3.5). Ihre Vorgängigkeit lässt sich aber auch als unhintergehbares Faktum einer machttheoretischen Problematisierung des Vereinheitlichungsprinzips und der Sensibilisierung für die Dialektik der Differenzbildung heranziehen (Butler s. Kap. 3.4; Waldenfels und Meyer-Drawe s. Kap. 3.1.2). Diese Darstellung ist sicherlich nur eine grobe Skizze, mit der ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit beanspruche. Ihr Sinn liegt darin, ein (uneinheitliches, fragmentiertes) Feld zu eröffnen, das die folgende Begriffsarbeitsanalyse in Bezug auf die Sozialität (s. Kap. 3.1) und auf das Verhältnis von Sozialität und Institutionen (s. Kap. 3.2) einleiten soll. In den Kapiteln 3.3, 3.4 und 3.5 werden theoretische Analysen sozialphilosophischer Theorien in Hinsicht des Sozialitätsbegriffs durchgeführt. Dabei geht es darum, stärker als in Kapitel 2 das Individuum in den Fokus zu rücken. Während in Kapitel 2 die Institutionentheorie im Fokus stand, wird hier mit der Sozialität die Vermittlungsebene auf der Ebene des Individuums zum Gegenstand, um diese in einer bildungstheoretischen Betrachtung münden zu lassen. In Kapitel 3.3 nehme ich Honneths Institutionentheorie erneut auf, um sie mit dem Sozialitätsbegriff zu kontrastieren. Hierbei wird der Aspekt von Ich im Wir hervorgehoben und Honneths Theorie nach dessen Subjektbegriff im Kontext der Idee einer kooperativen Sozialität befragt. In Kapitel 3.4 wird Judith Butlers Adressierungstheorie diskutiert, in der sie eine asymmetrische, ambivalente Sozialitätsstruktur entwickelt und dabei gleichzeitig kritisch Hegels Dialektik rezipiert. In Kapitel 3.5 rückt mit der neopragmatistischen Perspektive von Robert Pippin und Rahel Jaeggi das Moment der Reflexivität in den Fokus. Sie entwerfen ein Kritikverständnis, das vom Scheitern der Praxis ausgeht und das hier unter dem Titel „Reflexive Sozialität“ geführt wird.
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In Kapitel 3.6 wird ferner eine bildungstheoretische Kontextualisierung dieser differenten Sozialitätsbegriffe anhand Hegels Bildungsbegriff durchgeführt. In einer Anlehnung an diese wird eine Bildungsidee entworfen, in der die sozialphilosophischen Modellierungen von Sozialität mit bildungstheoretischen Implikationen in Zusammenhang gebracht werden. Die These, die in den folgenden Ausführungen verfolgt wird, ist, dass Hegels Bildungsbegriff sich zwar in den Sozialitätsvorstellungen von Honneth und Butler teilweise widerspiegelt, die kritische Dimension sich aber nicht auf die Identitätsebene reduzieren lässt, ob affirmativ oder kritisch. Es wird gezeigt, dass Bildung mit Hegel eine sachliche Dimension hat, auf die Rahel Jaeggi mit ihrem Kritikverständnis referiert.
3.1 DER BEGRIFF UND DAS PROBLEM DER SOZIALITÄT Zur Annäherung an den Begriff der Sozialität unterscheide ich im Folgenden verschiedene Thematisierungsweisen: eine soziologische, eine phänomenologische und eine anthropologische. Die soziologische Begriffsannäherung beginnt mit Andreas Reckwitzs und George Herbert Meads Ausführungen, wobei der Fokus auf Meads Philosophie der Sozialität liegen wird. Als phänomenologische Theorieeinsätze werden die Theorien von Käthe Meyer-Drawe (Sozialität und Leiblichkeit) und Bernhard Waldenfels (Sozialität und Alterität) herangezogen. Für die anthropologische Dimension von Sozialität wird auf die theoretischen Überlegungen von Michael Tomasello referiert. Diese Auswahl begründet sich über die inhaltliche Differenz der theoretischen Zugänge. Die soziologische Perspektive stellt hierbei den Vergesellschaftungsprozess ins Zentrum der Reflexion. Die phänomenologische Perspektive kontrastiert die Identitätsbildung mit einem leiblichen Erfahrungsbegriff, der sich einer vereindeutigenden Handlungstheorie entziehen soll. Die anthropologische Perspektive nach Tomasello versucht, die menschliche Phylogenese und den Institutionalisierungsprozess auf der Grundlage einer sozialen Kooperativität zu erklären. Mit dieser begrifflichen Bestimmung werden grundlegende Problemstellungen für die weitere vertiefende Diskussion erarbeitet.
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3.1.1 Sozialität aus einer soziologischen Perspektive Grundlegend lässt sich aus meiner Sicht ein enger und weiter Begriff von Sozialität unterscheiden. Andreas Reckwitz skizziert eher einen engen Begriff von Sozialität, insofern er diese als „einzelne, abgrenzbare Strukturierungsform des Sozialen, d.h. ein spezifisches solches Netzwerk heterogener Elemente“ (Reckwitz 2015, S. 196f) definiert. Hiernach ließen sich verschiedene Sozialitäten miteinander vergleichen und wären auf „unterschiedlichsten Ebenen denkbar – von der Weltgesellschaft und dem Weltökosystem bis zur Dyade zweier Menschen, eines Menschen mit einem Tier oder eines Menschen mit einer Maschine.“ (Reckwitz 2015, S. 197) Sozialitäten bilden neben den Begriffen der Praktik, des Dispositivs und des Gefüges „Brückenkonzepte zur Umschreibung [hybrider] Verkettungen zwischen Kulturellem und Materiellem“ (ebd., S. 195). In Distanz zum „radikalen Sozialkonstruktivismus“ (ebd., S. 194) dekliniert Reckwitz diese soziologischen „Brückenkonzeptionen“ in Bezug auf ihre Relationalität im Verhältnis von Kulturalität und Materialität durch. Die Sozialität grenzt er hierbei von Dispositiven als strategische und subjektivierende Wissenskomplexe und von Praktiken als „kleinste Einheit von Kultur-/Materialitätskopplungen“ (ebd., S. 196) ab. Dabei sind aber Praktik und Sozialität komplementäre Begriffe, insofern die Praktik die „Mikroaktivität“ (ebd., S. 196) und die Sozialität als „den umfassendsten Komplex solcher Strukturierungen von Kulturellem und Materiellem“ (ebd.) bezeichnen würde. Die Institution wäre hiernach wie z.B. auch Gesellschaft oder Klasse eine Sozialitätsform, die Reckwitz im Gegensatz zu homogenen Institutionentheorien hybrid gedacht wissen will. Innerhalb dieses Verständnisses von Sozialität bleibt diese ein soziologischer Strukturierungsbegriff, um Differenzen zwischen unterschiedlichen sozialen Ordnungen einzuziehen. Dagegen betrachtet George H. Mead in seiner Philosophie der Sozialität Sozialität als „die Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu sein“ (Mead 1969, S. 280). In einer sozialphilosophischen Reflexion der Relativitätstheorie betrachtet er die zeitlich-räumliche Struktur von Ereignis- und Handlungsabläufen, denen er, angelehnt an Whitehead, eine systemabhängige, relative Zeitlichkeit zuspricht. Die Perspektivierung, die der Intersubjektivität seiner Sozialpsychologie zugrunde liegt, wird hier zum allgemeinen Modus menschlicher Welterfahrung und -wahrnehmung. Selbst in der Betrachtung der Natur zeige sich die Sozialität in der „Massenzunahme eines bewegten Objektes als ein extremes Beispiel für Sozialität“ (ebd., S. 283), womit die Handlungen nicht nur in Interaktionen, sondern auch in Bezug auf Gegenstände im Allgemeinen einen perspektivischen und damit einen „sozialen Charakter“ (ebd., S. 280) erhalten.
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Seine pragmatistische Handlungstheorie als eine probleminduzierte Verhaltensanpassung im Horizont der reflexiven Perspektivübernahme wird hierdurch ausgeweitet auf alle Gegenstände möglicher Erfahrung. Mit einer quasi hegelianischen Theorieperspektive entwirft Mead eine Phänomenologie der Sozialität, die das selbstbewusste Differenzierungsvermögen menschlicher Handlungsvollzüge in natürlichen Ereignisabläufen zu rekonstruieren versucht. Hierdurch verleiht er der pragmatistischen Erkenntnisweise eine Universalität, die er in eine radikale Perspektivierung überführt. Wenn z.B. ein Gegenstand durch Druck manipuliert wird, muss das handelnde Individuum die Perspektive des Gegenstandes, dessen raumzeitliches Verortetsein antizipieren, um die Wirkung des Drucks vorhersagen zu können. Gleichzeitig ist die Handlung eingewoben in ein Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Gegenwart spricht Mead dabei eine Singularität zu, in der Neues entsteht, das allein durch das Selbstbewusstsein des handelnden Individuums in eine Kontinuität eingebettet wird. Aufgrund der Retro- und Prospektivität des handelnden und planenden Individuums entsteht ein Sinnzusammenhang, der das Abwägen alternativer Handlungsstrategien ermöglicht (vgl. ebd., S. 299). Die zunehmend komplexeren Handlungsvollzüge und Kooperationen führen, ähnlich wie bei Hegel, zu einem zunehmenden Differenzierungsprozess, der allerdings nicht notwendig in einer zu sich kommenden Vernunft mündet (vgl. ebd., 323). Um auf den Begriff der Sozialität zurückzukommen, wird dieser zu einer Universalkategorie des menschlichen Bewusstseins sowohl im Verhältnis zu anderen Menschen als auch im Verhältnis zur Natur. Phänomenologisch ließe sich die Sozialität als eine Erfahrung des Selbstbewusstseins kennzeichnen, welche sich im Verhältnis zu einem relativen, natürlichen und sozialen Raum erkennt. Sie ist ferner eingelagert in ein perspektivisches Interaktions- und Problemlösungsverhalten. 3.1.2 Sozialität aus einer phänomenologischen Perspektive Der symbolische Interaktionismus nach Mead blende aus der Sicht von MeyerDrawe die „soziale Konstitution des Selbst“ (Meyer-Drawe 1984, S. 263) zwar ein, ließe jedoch „die Leistung präflexiver und präpositionaler Leiblichkeit angesichts der Faszination der Identität eines geistigen Selbst und eines bestimmten homogenen sozialen Sinns (generalized other) unterbestimmt“ (ebd.). Aus einer Auseinandersetzung mit den phänomenologischen Argumenten zum Begriff der Sozialität von Husserl, Heidegger, Fritz Schütze und vor allem Merleau-Ponty problematisiert Meyer-Drawe die Rationalitätsannahme der Pädagogik, wobei sie die Pädagogik der Kommunikation nach Schaller ins Zentrum ihrer Kritik stellt. Ihr Anliegen mit Merleau-Ponty ist, die Genese der Sozialität als einen
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ambiguen Prozess der Zentrierung des Ichs zu begreifen, der seinen Anfang in einer „primordiale[n] Kollektivität“ (ebd., S. 191) bzw. einer „primordialen Inter-Subjektivität“ (ebd., S. 269) nimmt. Diese „ursprüngliche Sozialität“ (ebd.) ist gekennzeichnet durch eine diffuse Unentschiedenheit zwischen dem Ich und dem anderen. Beide erfahren sich jeweils über den anderen, und nehmen diesen noch nicht als anderen wahr. Die Leiblichkeit bzw. das „leibliche […] Zur-WeltSein“ (ebd., S. 191) bildet bei Meyer-Drawe eine Erfahrungsebene, deren Charakteristik die Entfremdung bzw. eine eigentümliche Selbstentzogenheit des Ichs von sich ist. Sie bringt hier das Motiv des „Blick[s] des Anderen“ (ebd., S. 180) ins Spiel, von dem Sie die Dialektik von Selbstverstehen und Fremdverstehen entfaltet und die „Undurchdringlichkeit“ (ebd.) der Faktizität herleitet. Sie beschreibt den Weg der Genese der Sozialität ausgehend von der „vorprädikativen synkretischen Verschlingung“ (ebd., S. 189) hin zu einer „primordialen Kollektivität“ zu einer „konkret-historischen Inter-Subjektivität“ (ebd., S. 269), die die Entwicklung der Egozentrik einer kommunikativen Rationalität als historisch bedingten Umstrukturierungsprozess kennzeichnet. Das Individuum wird demnach zu einem Subjekt erst in der Sozialisation selbst und gedacht als ein sich ausdifferenzierendes Ich- und Anderen-Verhältnis. Kommunikation und Sozialität bliebe entsprechend der Studie Sozialität und Leiblichkeit von Meyer-Drawe immer fragil, weil das Ich als ein „konkretes leibliches Ich“ (ebd., S. 180) von anderen erfahren werde und sich das Ich aufgrund des durch das Fremdverstehen vermittelte Selbstverstehen „in bestimmter Weise fremd bleibe“ (ebd.). Diese dynamische Dialektik, die sich hier aus einer „ursprünglichen Sozialität“ und einer historisch konkretisierten Sozialität herauskristallisiert und die Identitätsbildung konflikthaft und unabgeschlossen konfiguriert, nimmt Waldenfels in seiner Unterscheidung von „[f]rontale[r] und laterale[r] Sozialität“ (Waldenfels 2015, S. 52) auf. Auch Waldenfels denkt Sozialität von der leiblichen Erfahrung aus, orientiert seine Studie jedoch stärker an der relationalen Struktur des Begriffs des Wir. Demnach sei die Sozialität nicht ohne ein Wir zu denken. Die „frontale Sozialität“ unterscheide sich zwar von der „lateralen Sozialität“ im kollektiven Strukturierungsgrad. So verweise die „frontale Sozialität“ auf eine Begegnung zweier Ich, die sich „Angesicht zu Angesicht“ (ebd.) gegenüberständen, während innerhalb der „lateralen Sozialität“ die Beziehungen grundsätzlich durch einen institutionalisierten, kontextualisierten Zusammenhang figuriert seien. Dem Anderen begegne man hier „als jemand“ (ebd., S. 53). Die dichotome Gegenüberstellung der frontalen und lateralen Sozialität dyadischer Beziehungen, in der der „Fremderfahrung“ (ebd.) ein Resonanzraum geboten sei, führe zu einer egologischen Struktur einer Intersubjektivität, die die Möglichkeit eines kontextlosen Raums
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suggeriert. Waldenfels gibt zu bedenken, dass es weder ein Ich ohne ein Du noch andere ohne Wir gibt. Dies plausibilisiert er an einer Reflexion sozialer Beziehungen bzw. „intime[n] Bereiche[n] wie Familie, Liebesbeziehung, Geschlechtlichkeit, persönliche Freundschaft und Feindschaft und Nachbarschaft als Zwischenbereiche“ (ebd., S. 71). Diese Beziehungen, in denen sich Individuen unmittelbar begegnen, sind immer auch Als-Beziehungen, aus denen die Akteurinnen/Akteure sich erst als Freund/-in, als Familienmitglied, als Nachbar/-in usw. erfahren können. Der Anfang jeder Beziehung sei eine „Ko-affektion“, die über eine gemeinsame Erfahrung das Wir einführt, ohne jedoch von einem ursprünglich gefassten Wir präskribiert zu sein. Mit seiner an Levinas angelehnten Erfahrungstheorie der Diastase, in der die Erfahrung zwischen Pathos und Response zeitlich gedehnt sei, geht das Erlebnis als Ereignis der Sinnbildung einer Antwort vorweg. Das Ich entsteht erst als „Patient“ (ebd., S. 21) im Erleiden1 von etwas. Das Was ist eine Interpretation des antwortenden Ichs bzw. des „Respondenten“ (ebd., S. 22) auf ein Worauf, das als solches nicht bestimmbar wäre. Sozialität ist eine asymmetrische Identifizierung im Medium der Nichtidentifizierung und läuft auf ein Scheitern im Wir-Sagen hinaus, ohne auf ein atomares Ich rekurrieren zu können. Sie mündet in der Erfahrung radikaler Fremdheit, der Fremdheit als Selbstverlust des Patienten und der Fremdheit des anderen als Respondenten. Diese phänomenologische anthropologische Perspektive setzt mit der primordialen Sozialität an der Intuition einer vorgängigen Entzogenheit an, für die die leibliche Erfahrung als Ausgangspunkt der Argumentation herangezogen wird. Das Selbst wird hier als eine Art Strukturierungsprinzip eingeführt, dass die Kommunikation aus einer Asymmetrie heraus ordnet. Diese Ordnung bleibt in dem Gedankenmodell immer prekär, solange die Erfahrung von Fremdheit zugelassen und das Ich oder Wir nicht totalisiert wird. Auch wenn diese mit Paradoxien angereicherte Perspektive zu einer Überdehnung einer erfahrungsimmanenten Entfremdungsfigur verleitet, beinhaltet sie und insbesondere Waldenfels Analysen zum performativen Wir bezogen auf Repräsentationsannahmen doch ein gewisses Irritationspotenzial, auf das im Laufe dieser Studie an unterschiedlichen Stellen wieder zurückgegriffen wird.
1
Unter Pathos fasst Waldenfels eine passivische Erfahrungskonstruktion eines Erleidens und eines leidenschaftlichen Verhältnisses. Waldenfels denkt Erfahrung in seiner Doppelstruktur von Pathos und Response zugleich passivisch und aktivisch (Waldenfels 2015, S. 20 f.).
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3.1.3 Sozialität aus einer anthropologischen Perspektive Michael Tomasello entwirft im Rahmen seiner evolutionären Anthropologie darüber hinaus einen Sozialitätsbegriff, der die Fähigkeit zur geteilten Aufmerksamkeit im Gegensatz zu Meads Symbolismus in den vorsprachlichen Bereich verlagert. Ausgangspunkt von Tomasellos Theoriebildung ist der Versuch, ein „Rätsel“ (Tomasello 2015, S. 14) der Evolutionsbiologie bezüglich der rapiden Entwicklung der menschlichen Kognition zu lösen. Aus einer evolutionsbiologischen Sichtweise ließe sich nach Tomasello nicht erklären, weswegen Schimpansen, die eine 99 %-ige genetische Übereinstimmung mit den Menschen haben, sich nicht in einer ähnlich hohen Geschwindigkeit entwickelt hätten. Das Spezifikum an Tomasellos Antwort ist, dass er nicht auf die Kognition als eine biologisch evolutionär gewonnene Fähigkeit abhebt, sondern eine soziale Kognition ins Spiel bringt, die er als das Grundprinzip „kultureller Lernprozesse“ (ebd., S. 17) betrachtet. Unter der sozialen Kognition fasst Tomasello eine Fähigkeit der wechselseitigen Intentionalitätszuschreibung und der Perspektivübernahme. Die eigentliche Differenz zwischen Schimpansen und Menschen sei ein essentielles „altruistische[s] Motiv“ (Tomasello 2011, S. 97) menschlicher Kommunikation. Es sei für menschliche Kommunikation basal, dass Menschen die Bedeutung von Informationen, Gegenständen und Wissen für den jeweils anderen und dessen Interessen und Wünschen einschätzen lernen, das eigene Handeln nach dessen Interessen und Wünschen anpassen und kooperativ handeln können. Die Grundthese ist also, dass Menschen schon in rudimentären Zeigegesten eine prosoziale Haltung anderen gegenüber einnehmen, die Bedingung für die Weitergabe von Wissen durch „Imitationslernen, […] Unterricht, […] Zusammenarbeit“ (Tomasello 2015, S. 16 f.) ist und einen „Wagenhebereffekt“ (ebd., S. 16) bewirken würde. Die ausdifferenzierten, gesellschaftlichen Ordnungssysteme deuten nach Tomasello auf eine durch kulturelle Weitergabe stabilisierende Umwelt hin, die durch Tradierungs- und Veränderungsprozesse über Generationen geprägt sei. Auch wenn hier die Ideen des deutschen Idealismus, insbesondere die Theorien von Schleiermacher aber auch von Hegel, im neuen Gewand zu erscheinen drohen, entfaltet Tomasello ein Argument vorgängiger Sozialität menschlicher Kommunikation, in der die kommunikative Perspektivübernahme ein Charakteristikum menschlicher Existenz ist. Die Betrachtung der menschlichen Kommunikation führt er in seiner Studie Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation weiter aus, in der er sowohl ontogenetisch als auch phylogenetisch die Funktion der geteilten Intentionalität für kulturelles Lernen und Handeln untersucht. Als ontogenetische Argumente bringt Tomasello die rudimentäre kommunikative Funktion von Zeige- und
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ikonischen Gesten2 und den kommunikativen Spracherwerbsprozess an, der ohne geteilte Aufmerksamkeit nicht denkbar wäre. Phylogenetisch rekonstruiert er im Kontinuum einer Sprachevolution eine kommunikative Grammatikalität, durch die die drei Kommunikationsmotive der Aufforderung, des Informierens und des Teilens (Tomasello 2011, S. 314) entstanden seien. Im Kontrast zu Mead nimmt er an, dass die Perspektivübernahme nicht nur mit der Sprache als System von syntaktischen und semantischen Konventionen initiiert wird, sondern dass diese schon in vorsprachlichen Gestiken angenommen werden müssten. Ontogenetisch stellt er die Bedeutung der Gestiken an der Genese der Kommunikationsfähigkeit des Menschen dar und verortet sie im phylogenetischen Prozess der Erweiterung menschlicher Kommunikation. Schon Zeigegesten, die Tomasello als „ursprünglich[ste]“ (ebd., S. 164) Form menschlicher Kommunikation bezeichnet und die Kinder schon ab dem dritten Lebensmonat beherrschen, würden alle phylogenetisch evolutionär entstandenen Kommunikationsmotive aufweisen. Aufgrund von Analysen kindlicher Zeigegesten arbeitet er heraus, dass Zeigegesten im Gegensatz zu früheren Studien von Bates, Camaionie und Volterra nicht nur für einfache deklarative und imperative Kommunikationsmotive verwendet werden, sondern, dass die imperativen Zeigegesten „Gib-mir-das“ auch empfehlenden und vorschlagenden Charakter haben können (vgl. ebd., S. 130) und die deklarativen Funktionen in Untertypen der Expression und der Information unterteilt werden müssen. Demnach würden Kinder mit Zeigegesten sowohl auf ihre Einstellungen und Gefühle hinweisen, als auch andere mit wichtigen Informationen bezüglich eines Sachverhaltes gemeinsamer Aufmerksamkeit versorgen wollen (vgl. ebd., S. 131). Die expressiven und informierenden Gesten setzen jedoch sozio-kognitive Fähigkeiten voraus, die das Kind erst mit neun Monaten auszubilden beginnt. Hier spricht Tomasello von der „Neunmonatsrevolution“ (ebd., S. 152), in der es lernt, die Intentionen des anderen zu verstehen und eine Kooperationsabsicht zu unterstellen.
2
Ikonische Gesten zeigen nach Tomasello an, „(1) […] daß dies die Handlung ist, die der andere vollziehen soll oder die ich selbst zu vollziehen beabsichtige, oder über die ich den anderen informieren will, und (2) das Erbitten eines Gegenstandes oder der Hinweis auf einen Gegenstand, der ,dies macht‘ oder ,mit dem man dies macht‘“ (Tomasello 2011, S. 78). Die Besonderheit der ikonischen Geste ist, dass sie im Kontrast zu einfachen Zeigegesten einen symbolischen Gehalt realisiert, ohne deren Verständnis die Geste unverständlich bleibt. Bsp.: Das Zeigen eines Gastes auf sein leeres Glas in einer Bar signalisiert dem Barkeeper, dass das Glas wieder aufgefüllt werden soll.
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Tomasello hebt in seiner Argumentation speziell die informierende Geste hervor, da diese ein Hilfsmotiv bedürfe, dass von der Fähigkeit zur geteilten Aufmerksamkeit abhängig sei, und deswegen von Kindern erst ab dem zwölften Lebensmonat verwendet würde. Die Kooperationsbereitschaft beim Informieren erklärt Tomasello mit dem Entstehen von relativ stabilen Gruppentätigkeiten bzw. von Formen der „mutualistischen Zusammenarbeit“ (ebd., S. 207) wie etwa dem Jagen, Kämpfen und Herstellen und nennt sie sogar „die Geburtsstätte des gemeinsamen begrifflichen Hintergrunds, die notwendig ist für inferentiell reichhaltige kooperative Kommunikation menschlichen Stils“ (ebd., S. 210). Es wäre sowohl bei Schimpansen zu beobachten und bei Menschen zu rekonstruieren, dass sie bei Gruppenaktivitäten nur Partner/-innen auffordern, die sich als „hilfsbereiter und toleranter“ (ebd., S. 208) erwiesen hätten. Dies deute nach Tomasello des Weiteren darauf hin, […] daß eine größere Toleranz unter Artgenossen in der menschlichen Evolution ausgereicht hätte, um eine Bewegung in Richtung auf echte Zusammenarbeit wie auch auf imperative Zeigegesten in Gang zu setzen, ohne daß weitere kognitive Fertigkeiten notwendig gewesen wären, die diejenigen der heutigen Menschenaffen übersteigen. (Ebd., S. 209) Der „Ruf“ (ebd., S. 216) kooperativ zu sein, um sich durch Gruppentätigkeiten Vorteile zu verschaffen, ist demnach der Ausgangspunkt für die Ausdifferenzierung und Verfeinerung menschlicher Kooperation bzw. der menschlichen Arbeit. Das „Lehren“ (ebd., S. 216) eröffnet hierbei die Möglichkeit verbesserter Kooperation (ebd.) und bildet den Kern von Tomasellos Erklärung für die Geschwindigkeit menschlicher und sozialer Entwicklungen. Im Gegensatz zu Mead würde Tomasello demnach nicht sagen, dass das Denken des Menschen notwendig symbolisch wäre und dass dieses den Menschen zu einer besonderen Spezies machen würde. Menschen könnten „natürlich auch ohne Symbole denken, wenn wir unter ,Denken‘ Wahrnehmen, Erinnern, Kategorisieren und intelligentes Handeln verstehen [würden], wie man es bei anderen Primaten auch finde“ (Tomasello 2015, S. 269). Das Symbolische erhält seine Relevanz gerade in der Ausweitung menschlicher Kommunikation und Kooperation. Während die Zeigegeste noch keinen repräsentativen Gehalt hat, der auf einen nicht anwesenden Gegenstand oder eine Handlung hinweist, beinhaltet die ikonische Geste mit ihrem simulierenden und imitierenden Charakter eine „repräsentationale Dimension“ (ebd., S. 219), deren Verständnis eine Verallgemeinerung des gemeinsamen Erfahrungshintergrunds bedarf.
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„Belohnt wird das Beherrschen ikonischer Gesten mit der Fähigkeit, effektiver über eine größere Bandbreite von Situationen mit Personen zu kommunizieren, mit denen man weniger Erfahrung teilt.“ (Ebd., S. 219)
Das Symbolische, das hier einer instrumentellen Logik folgt und auf reziproker Anerkennung und Erwartungen von wechselseitiger „Hilfsbereitschaft“ (ebd., S. 224) basiert, impliziert nach Tomasello aufgrund des notwendigen gemeinsamen Hintergrundes und des rekursiven Selbstbezugs im Horizont der Bewusstseinszustände anderer eine Normativität, aufgrund der die Hilfsverweigerung sanktioniert und ein Konventionalisierungsprozess initiiert wird. Zur Sicherung der „sozialen Normen der Hilfsbereitschaft/Reziprozität sowie der Konformität/Solidarität/Zugehörigkeit“ (ebd., S. 226) hat sich das Kommunikationsmotiv des Teilens von Einstellung gebildet, das auf kulturelle Gruppenselektion ausgerichtet sei. Hier sei die Imitation als ein sozialer Lernprozess die basale Praxis, die für menschliche Vergemeinschaftungsprozesse charakteristisch sei und in der Menschen narrative Strukturen und Traditionen bilden, um Gruppen mit Identitätszuschreibungen zu konstituieren. Die Gruppenangehörigen können sich hierin einer gemeinsamen Erfahrungsgeschichte, gemeinsamen Werten und Einstellungen vergewissern und damit anfangen zwischen Wir und Fremden zu unterscheiden. Es entsteht auf der einen Seite ein Gruppendruck, sich den Verhaltenserwartungen als Bedingung für Zugehörigkeit anzupassen, und auf der anderen Seite Diskriminierungsprozesse von Individuen, die als nichtzugehörig markiert werden. Narrationen haben hiernach ihre soziale Funktion in der gruppenspezifischen Selbstvergewisserung und in der Bindungsherstellung einer solidarischen Gemeinschaft. Diese verschiedenen Thematisierungsweisen kontextualisieren jeweils differente Problemstellungen mit dem Begriff der Sozialität. Reckwitz verwendet diesen als kategorialen Begriff, um soziologische Ordnungsschemata zu differenzieren und fasst diesen relativ eng. Bei Mead erhält der Sozialitätsbegriff eine existenzielle Dimension, die die Handlungsfähigkeit des Individuums in einer differenzierten sozialen Umwelt sichert. Er wird zum Merkmal menschlichen Daseins, sofern diese auf die Perspektivübernahme zur Handlungskoordination angewiesen sind. Meyer-Drawe und Waldenfels verschieben den Begriff der Sozialität auf den der Begegnung (frontaler und lateraler Sozialität) und betrachten die Erfahrung des Mitseins phänomenologisch. Wesentlich für diese Perspektive ist die Sensibilisierung für die Selbstentzogenheit des Individuums, weswegen Waldenfels passivisch von „Patienten“ spricht. Die primordiale Sozialität als weiterer Term drückt einen Widerfahrniszusammenhang aus, der die Kontroll- und Identifizierungslogiken von Handlungsfähigkeit und Handlungs-
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koordination in kooperativen Zusammenhängen irritiert und für die Möglichkeit der Fremdheitserfahrungen öffnet. Dieser phänomenologische Ansatz, insbesondere von Waldenfels, versucht, Zugehörigkeitsordnungen zu verflüssigen und er sperrt sich gegen eine prospektive Kooperationsaffirmation, wie sie bei Mead und Tomasello zu finden sind. Tomasello deutet die Sozialität als Kennzeichen menschlicher Onto- und Phylogenese, insofern die menschliche Vergesellschaftung von Kooperationsformen durchdrungen und konstituiert werde. Neben der schon im Vorsprachlichen eingelassenen Perspektivübernahme ist die Gemeinschaftsbildung über symbolische Ordnungen nun besonders relevant im Kontext einer Verschränkung von Institutionentheorie und Sozialität. Trotz der sehr differenten und widersprechenden theoretischen Ansätze lassen sich aus diesen systematische Fragestellungen herleiten, die sich der weiteren Bearbeitung stellen. (1) Die Frage nach der Form der Vergesellschaftung ist möglicherweise der grundlegendste Problemzusammenhang. Wie wird das Individuum zum Akteur/zur Akteurin oder/und zum Subjekt im sozialen Kontext? Welche Bedeutung hat der andere für das Ich? Wie ist das Verhältnis zum Wir? Welche gesellschaftstheoretischen Annahmen erklären die Handlungsfähigkeit sozialer Akteurinnen/Akteure? (2) Ein weiterer Komplex von Fragen betrifft den Zusammenhang von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit. Wie wird Zugehörigkeit hergestellt? Welche Relevanz hat diese für soziale Akteurinnen/Akteure? Welche Bedeutung hat die Nichtzugehörigkeit für diese? (3) Hiermit drängt die Frage nach der Normativität als Reflexionsgröße in den Vordergrund. In welcher Form ist Normativität eine Dimension sozialer Handlungsfelder? Ist die Sozialität selbst normativ und lässt sich auf sie bezogen eine kritische Perspektive entwickeln? Oder ist sie eine ambivalente Kategorie, die ausschließlich Formierungsparadigmen umfasst? (4) Der vierte kategoriale Bereich betrifft den Begriff der Reflexivität, der bei Mead mit dem Begriff der Differenzierung anklingt und mit Semantiken der Freiheit, Veränderung und Transformation verbunden ist. Ist der Begriff der Sozialität mit Momenten von Freiheit, Befreiung oder Möglichkeitsräumen der Veränderung verbunden? Zusammenführen lassen sich diese Fragen zu den Problembereichen der Vergesellschaftung, der Identifikation, der Normativität und der Reflexion. Im nächsten Schritt steht der gesellschaftstheoretische Problemkontext von Handlungskoordination und Institutionalisierung im Vordergrund. Es wird eine Argumentationslinie aufgenommen, die bei allen drei Thematisierungsweisen explizit formuliert oder implizit mitgedacht wurde, und den Begriff der Institution in Bezug auf die symbolischen Ordnungen diskutiert und in ein Verhältnis zum Sozialitätsbegriff bringt, womit der Problemhorizont der differenten Sozialitätsbegriffe im weiteren Verlauf der Diskussion aufgespannt wird.
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3.2 DAS VERHÄLTNIS VON INSTITUTIONENTHEORIE UND SOZIALITÄT In den verschiedenen anerkennungstheoretischen Ansätzen (s. Kap. 2), die ich vorausgehend diskutiert habe, wird auf eine soziale Vermitteltheit vom Selbstund Weltverhältnis verwiesen. Der Begriff der Institution nimmt hierbei eine zentrale Rolle ein, der das Bewusstsein über Handlungen in einen sozialen Bedeutungsraum verortet und eine historische Genese einzieht. Grundsätzlich wird das Verhältnis von Individuen und sozialen Verhaltensweisen fokussiert, um die komplexen Koordinationsordnungen zu erklären, die das alltägliche Handeln und deren relative Stabilität sichern. Institutionen lassen sich allgemein als soziale Ordnungen verstehen, die durch menschliches Handeln geschaffen und von diesen aufrechterhalten werden. Sie regeln auf der Basis von Regeln und Praktiken das gesellschaftliche Zusammenleben und sind somit als Vergemeinschaftungsformen zu betrachten, die eine stabilisierende Wirkung auf die Bearbeitung von Bedürfnisbefriedigungsprozessen und gesellschaftlichen Problemlagen bzw. Reproduktionsprozessen im Allgemeinen haben sollen. Hierbei können sie einerseits eine befreiende Wirkung auf die sozial Beteiligten haben, andererseits tragen sie „die mögliche Gefahr einer umfassenden sozialen Kontrolle und Disziplinierung“ (Immergut/Jäger 2008, S. 547) in sich, worauf insbesondere Vertreter/-innen der kritischen Theorie (u.a. Adorno, Horkheimer, Habermas), der machttheoretischen Diskurstheorie (Foucault, Butler) aber auch soziologischer Theorien wie der „totalen Institution“ Goffmans (Goffman 1973, S. 18) aufmerksam machen. Dieser dichotom formulierte Konflikt und die theoretische Frontbeschreibung geben Anhaltspunkte für die Diskussion des Sozialitätsbegriffs. Diese entscheidet über die Frage, ob Institutionen als rationale kollektive Gebilde verstanden werden, die durch Handlungsroutinen einen Handlungsfähigkeit ermöglichenden Charakter haben, oder ob Sie als sich verselbstständigende Wissensordnungen regulierender und repressiver Ordnungen betrachtet werden. Grundsätzlich besteht die Relevanz des Begriffs der Institution in dem sozialreferenziellen Konstruktionsprinzip, das vordergründig ohne psychologische Präskriptionen und natürliche Referenzen (vgl. Pippin 2005, S. 105 f.) auszukommen scheint, um die regulative Passung von Menschen in kooperativen Zusammenhängen zu erklären (vgl. Durkheim 1924/1976, S. 70 f.). Versuchen, aufgrund von anthropologischen Prämissen ahistorische Handlungsmuster zu entwerfen, wird mit dem Institutionalismus eine historische und kulturrelative Theorieperspektive entgegengesetzt, mit der ein gesellschaftstheoretischer und sozial immanenter Fokus einhergeht. Dieser Grundgedanke ist maßgeblich für
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Handlungstheorien, die das Individuum in ein emergentes Verhältnis zu sozialen Strukturen einlagern. Émile Durkheim formuliert hierauf aufbauend eine strukturfunktionalistische Gesellschaftstheorie und die Annahme einer „Unabhängigkeit der sozialen Tatsachen“ (vgl. ebd., S. 72), die nicht auf natürliche oder psychologische Determinanten zurückzuführen seien. Menschen erzeugten mit ihren Handlungen sozialen Sinn, der durch Habitualisierungen zu Praktiken gerinnt und der sich in Institutionen objektiviert. Das Verstehen der objektivierten Sinnordnung wird sowohl zur Bedingung sozialen Handelns als auch zum Verständnis von Handlungen im sozialen Raum selbst. Allgemein begreifen Raimund Hasse und Georg Krücken Institutionen „als Phänomene […], die Regelhaftigkeiten bewirken, indem sie bestimmte Strukturmerkmale und Verhaltensweisen unterstützen und andere eher ausschließen‘ (Hasse/Krücken 2008, S. 124). Die primäre Prämisse ist demnach, dass Verhaltensweisen als soziale Handlungen durch „bestimmte Strukturmerkmale“ figuriert werden und eine normative Ordnung im Horizont von (Nicht-)Teilnahme und/oder (Nicht-)Zugehörigkeit handlungsorientierend wird. Das Handeln wird von der individuellen Ebene des Willens, der Absicht, des Interesses gelöst und auf objektivierte „Strukturmerkmale“ und deren Zusammenhang bezogen. Die wesentlichen Differenzen, die für den weiteren Argumentationsverlauf nun relevant sind, lassen sich am Rationalitätsparadigma und an der symbolischen Dimension von Institutionen verdeutlichen. Das Rationalistätsparadigma ist für Positionen kennzeichnend, die davon ausgehen, dass Institutionen funktionale Strukturen in der Bearbeitung von Bedürfnissen und Problemen reproduzieren, die in den Handlungsroutinen prozessiert sind (u.a. Durkheim, Mead, Parsons). Durkheim beschreibt Gesellschaft als eine „moralische Macht“ (Durkheim 1924/1976, S. 107), die die institutionalisierten Kooperationszusammenhänge als „Zivilisation“ (ebd., S. 107) hervorgebracht hat. Sie ist hierbei nicht nur soziale Existenzbedingung, sie ist Bedingung für das Menschsein als solches und für die Entwicklung des menschlichen Geistes – „der Mensch ist nur insoweit Mensch, als er zivilisiert ist“ (ebd., S. 108). Die Sprache als „gesellschaftliche[s] Faktum“ (ebd.) vermittelt hierbei die gesellschaftlichen „Ideen, Gefühle, Glaubensinhalte und Verhaltensvorschriften“ (ebd.), die uns erst zum Menschen machen und die Voraussetzungen für „alle höheren geistigen Funktionen“ (ebd.) schaffen. Die Annahme ist, dass die Institutionen mit einem zunehmenden Verallgemeinerungsgrad an Integrationskraft gewinnen. Die Konnexion hat auch Mead vor Augen, wenn er die Institution als „eine gemeinsame Reaktion seitens aller Mitglieder der Gemeinschaft auf eine bestimmte Situation“ (Mead 1973, S. 308) definiert. Im Anschluss an seine Theorie des symbolischen Interaktionismus, indem Menschen über die symbolisch vermittelte Perspektivübernahme
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lernen, sozial zu handeln, bilden Institutionen generalisierte Reaktionsformen aus, die eine „Zusammenarbeit“ (ebd., S. 315) ermöglichen. Im „Erziehungsprozeß“ (ebd., S. 312) lernt das Individuum, entsprechend die gesellschaftlichen Normen zu interpretieren und in „der Gesellschaft adäquat und gruppenkonform“ (ebd., S. 308) handeln zu können. Es internalisiert den „Geist der Gemeinschaft“ (ebd., S. 315) und erarbeitet sich eine Identität als Persönlichkeit im sozialen Kontext. Der Institutionalisierungsprozess wird von Mead dabei insgesamt unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation betrachtet, indem gesellschaftlich sedimentierte Symbole einen gesellschaftlichen Verständigungsraum schaffen. Die charakteristische Eigenschaft von Symbolen sei nach Mead, dass sie einerseits inhaltlich unterbestimmt und andererseits formal potenziell universell sind. Hierdurch lassen sich Institutionen als symbolische Ordnungen verstehen, die den Kommunikationsprozess konstituieren, die aufgrund der Interpretationsbedürftigkeit veränderbar sind und die durch die Verallgemeinerungstendenz von Symbolen die Perspektivübernahme von allen „rationalen Wesen“ (ebd., S. 316) denkbar erscheinen lassen. In der „Verallgemeinerung von Wertsystemen“ (Parson 1972, S. 26) besteht nach Talcott Parson dann auch die Eigenschaft moderner Gesellschaften, die er im Rahmen seines gesellschaftlichen Strukturfunktionalismus analysiert. Als „Handlungssystem[e]“ (ebd., S. 12) spricht er Institutionen eine Rationalität zu, die auf „Normenerhaltung, Integration, Zielverwirklichung und Anpassung“ basiert. Im Begriff der Funktionalität geht er folglich davon aus, dass Institutionen Individuen ermöglichen, Zwecke zu realisieren, die gleichzeitig allgemeine Zwecke wären (vgl. ebd.). Die Verallgemeinerungen der Handlungssysteme sind hierbei koordinierende Ordnungen, die mit der formalisierenden Verallgemeinerung an Integrationsmöglichkeiten gewinnen und mit dem Individualismus jedoch an solidarischer Bindekraft verlieren. Auf das Problem der Solidarität werde ich später eingehen. Hier ist relevant, dass diese verschiedenen Institutionentheorien dem Institutionalisierungsprozess eine Funktionalität zuschreiben, die mit der Verallgemeinerung von Regeln, Praktiken und Haltungen eine Ausweitung von Koordinations- und Kommunikationsmöglichkeiten bedingen und damit Integration gewährleisten. Demgegenüber stehen Ansätze, die die Institutionen als kollektive Wissensbestände definieren und Institutionalisierungsprozesse von der Funktionalitätsprämisse lösen. Peter L. Berger und Thomas Luckmann beispielsweise rekonstruieren Institutionen anhand habitualisierter und typisierter Handlungen, die Resultate eines Verallgemeinerungsprozesses sind, und reduzieren damit Semantiken der Funktionalität, Rationalität und Widersprüchlichkeit auf ein Minimum (vgl. Berger/Luckmann 1971). Aus ihrer Sicht gibt es keine spezifisch rationalen Einschränkungen oder Kohärenzforderungen bei der Institutionalisierung von Verhal-
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ten. Nichts spräche „dabei für einen ,Funktionszusammenhang‘ a priori – von einem logisch-schlüssigen System ganz zu schweigen“ (ebd., S. 67). Zur Vermeidung einer tautologischen Argumentationsstruktur trennen sie den Institutionalisierungsprozess von der situativen Ausgangssituation. Anknüpfend an Meads Interaktionismus entwerfen sie ein soziales Interaktionsgeschehen, in der zwei Personen ihre Handlungen im Umgang mit der Umwelt wechselseitig nach „typischen Verhaltensmustern“ (ebd., S. 60) typisieren und in gemeinsamen Handlungsvollzügen komplementäre Rollen einnehmen. In dieser „wechselseitigen Typisierung“ (ebd.), etwa bei der Speisenzubereitung, können beide Interaktionspartner eine „Routinegewißheit“ (ebd., S. 61) ausbilden, die ihren Handlungen mehr Effizienz verleiht. Eine Institutionalisierung beginnt für Berger und Luckmann aber erst beim Auftauchen des Dritten bzw. einem Kind, das in die habitualisierten Handlungsformen eingeführt werden soll. Institutionalisierungen setzen hier also Generationsverhältnisse voraus, mit denen zugleich ein Abstraktionsprozess initiiert wird, der die Verhaltensmuster von der ursprünglichen Situationswahrnehmung entkoppelt. Während Mead Institutionen als organisierte Formen des Umgangs mit spezifischen Situationen definiert und diese in situative Relevanzsysteme einbettet, heben Berger und Luckmann genau diesen Zusammenhang auf. Mit dem Einsetzen der Sozialisation als Tradierung von Handlungswissen und Normen im Generationsverhältnis werden die typisierten Habitualisierungen zu historischen Institutionen und zu einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, die gewissermaßen unabhängig von subjektiven Relevanz- und Sinnsetzungen ist. Die Objektivation kommt somit ohne subjektive und situative Relevanzprüfung aus. Während in der Interaktion der Sinn einer Handlung transparent und verfügbar sei, transformiert sich diese in der Institution zu einem undurchsichtigen Zusammenhang. Die Praxis nimmt dezisive Züge an, „So macht man das“ (ebd., S. 63). Legitimatorisches Wissen soll dieser nachträglich eine Sinnhaftigkeit verleihen. Es entsteht „voraussagbar[es] und kontrollierbar[es]“ (ebd., S. 67) Verhalten, welches durch keine vorgängige „Logik“ (ebd.) rationalisierbar wäre. Rationalität ist in dieser Theorie eine Konstruktionsleistung des „reflektierende[n] Bewußtsein[s]“ (ebd., S. 69) vom Individuum, das seiner biografischen Erzählung eine Kohärenz in der „gesellschaftliche[n] Welt“ (ebd.) verleihen will. Sie ist ferner Struktur eines „gesellschaftlich zugänglichen Wissensvorrat[s]“ (ebd.) im Sinne einer konsistenten Gewissheit. Wissen ist im Kontext der Wissenssoziologie zu allererst vortheoretisches Handlungswissen bzw. „Rezeptwissen, das heißt: Wissen, das die institutionseigenen Verhaltensvorschriften mit Inhalt versorgt“ (ebd., S. 70). Dieses Wissen erfasst einerseits die „gesellschaftliche Wirklichkeit“ (ebd., S. 71) und produziert sie zugleich. Sie hat keinen sozial externen Ort, auf den dieses rekurrieren könnte, um den Geltungsanspruch zu begründen. Sie ordnet den sozialen Raum nach Identitäten und Zugehö-
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rigkeit. Vom Wissen abweichendes Verhalten kann als „moralische Verworfenheit, Geisteskrankheit oder bloße Ignoranz“ (ebd., S. 70) markiert werden. Hiernach entstehen ausdifferenzierende Wissensbereiche und Wissenschaften, die den sozialen Raum normieren. „Das Problem logischer Kohärenz“ (ebd., S. 75) stellt sich nach Berger und Luckmann erst „auf der Ebene der Legitimierung“ (ebd.). Sowohl John W. Meyer und Brian Rowan (1977) als auch Paul J. DiMaggio und Walter W. Powell (1983) entwickeln ihre sogenannten neo-institutionellen Theorien ausgehend von dieser Relativierung des funktionalen Begründungsmusters. Statt von Regeln sprechen Meyer und Rowan von Mythen bzw. „societal myths“ (Meyer/Rowan 1978, S. 84 f.), die sozial ausgehandelte Deutungsschemata seien und die einen normativen Raum des Richtigen und des Angemessenen aufspannen. Rationalitätsforderungen werden demgemäß zu Rationalitätsmythen, die die scheinbare Zweckrationalität von Institutionen in einen sozialen Kontext einbetten. Zwar halten Meyer und Rowan am rationalen Bearbeitungsmuster von Institutionen fest, da sie (wie auch Berger und Luckmann) diesem eine Problemzentrierung zusprechen. Allerdings wäre die Bearbeitungsform abhängig von gesellschaftlicher Anerkennung und diese sei nicht notwendig an einer richtigen „Lösung“ orientiert.3 Die entscheidende Differenz zwischen einer funktionalistischen und einer wissenssoziologischen Perspektive wäre folglich die Einschätzung bezogen auf die Verselbstständigung von Institutionen bzw. deren Rückbindung an Problembearbeitungen und deren Wandelbarkeit.
3
W. Richard Scott bündelt diese Deutungsschemata in der „cultural-cognitive“-Säule (vgl. Scott 2014, S. 59) seines Drei-Säulen-Modells, indem er regulative, normative und kulturell-kognitive Institutionen voneinander unterscheidet. Im Kontrast zu den regulativen Institutionen, die sanktionsbasierte Gesetze und Regeln umfassen, und normativen Institutionen, die auf moralisch bindenden Erwartungen fundieren, sind kulturell-kognitive Institutionen, die über kulturell interpretierte Deutungsschemata Akteurinnen /Akteure über die Verständlichkeit ihres Handelns informierten. Diese Unterscheidung mag den Verbindlichkeitsgrad und den Interpretationsmodus von Institutionen deutlich hervorheben, sortiert aber den sozialen Raum in unterschiedliche Rationalitätsformen. Auch wenn Scott mit seinem Säulen-Modell den Funktionalismus integriert, wäre diese Differenz für wissenssoziologische und neo-institutionelle Perspektiven nur künstlich, da die instrumentelle Funktion selbst ein „Rationalitätsmythos“ wäre. Seth Aburtyn hebt im Vergleich dieser differenten Ansätze das symbolische Moment als „symbolic reality“ (Aburtyn 2016, S. 226) der institutionellen Sphäre hervor. Neben der physischen, der zeitlichen und sozialen Dimension charakterisieren Institutionen einen symbolischen Gehalt, dass das Handeln von Wertreferenzen abhängig werden lässt (vgl. ebd., S. 225).
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Um nun an dieser Stelle auf den Sozialitätsbegriff zurückzukommen, lohnt sich in Anbetracht dieses Problemhorizonts ein vertiefter Blick in Tomasellos kulturanthropologische Theorie, da er sowohl die regulative bzw. funktionale als auch die kulturelle Dimension sprachevolutionär ableitet sowie voneinander abgrenzt und sie in der Erziehungs- und Bildungsphilosophie Resonanz erhalten hat. In Referenz zur Annahme Durkheims sozialer Tatsachen formuliert zuletzt Johannes Bellmann die „Nicht-Rückführbarkeit von Sozialität auf das Verhalten von Individuen“ (Bellmann 2016, S. 63) und erweitert diese durch Michael Tomasellos Annahme, dass Menschen sich durch die „Fähigkeit zur gemeinsamen Aufmerksamkeit“ (ebd., S. 62) vom Schimpansen unterscheiden. Bellmanns Bezug auf Tomasello erklärt sich durch die sprachevolutionäre Herleitung von geteiltem Hintergrundwissen und der Zeigegeste als zentrale Praktik der sozialen Reproduktion und Wissensweitergabe, die insbesondere Erziehungsverhältnisse prägten. Die Kooperation folgt bei Tomasello des Weiteren prima facie der Logik einer moralischen Grundierung menschlicher Praxis. Hierbei geht er von einer reziproken Kooperationsverpflichtung aus, die er über die Grice-Theorie der kommunikativen Absicht plausibilisiert (vgl. Tomasello 2011, S. 230). In dieser glaubt er, die Quelle für Normen kommunikativer Verpflichtung erkennen zu können, „wirkliche Normen“ (ebd., S. 230). Mit Habermas gesprochen geht Tomasello von „unvermeidlichen Rationalitätsvoraussetzungen“ (Habermas et al. 2016, S. 808) aus, aus denen „strengere sozial[e] Normen“ (Tomasello 2011, S. 233) herleitbar wären. Diese Geltungsansprüche einer in der Praxis angelegten Verständigungsorientierung kontrastiert er mit Konformitätsnormen, die insbesondere in den Identifizierungsdynamiken eingelagert seien. Diese sprachevolutionäre Perspektive auf die Soziogenese des Menschen veranlasst Norbert Ricken Tomasellos Sozialitätsbegriff als Grundlage für ein praxeologisches Verständnis menschlicher Identitätsbildung zu verwenden. „Auch wenn man einzelnen Argumenten der Überlegungen Tomasellos nicht immer folgen mag, unstrittig scheint doch […] zu sein, dass der sozialen Verfasstheit des Menschlichen eine gerade nicht mehr nachrangige, sondern konstitutive Bedeutung für die evolutionäre und kulturelle Entwicklung zuerkannt werden muss; damit ist aber zugleich auch verbunden, nicht in individuellen oder gar biologischen Ausstattungen und Dispositionen nach fundierenden Momenten zu suchen, sondern Praktiken selbst als nicht weiter hintergehbare Ausgangspunkte der Analyse zu betrachten.“ (Ricken 2012, S. 342)
Ricken argumentiert in diesem Kontext für eine Verschränkung der Kommunikationsmotive des Informierens und des Teilens, da die Kooperationsbereitschaft innerhalb von Praktiken der Informationsweitergabe nicht gruppenspezifischer
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Normen und Wir-Identitäten zu lösen sei. Kooperation und Imitation, „Wie-dieanderen-sein-Wollen“ (Tomasello 2011, S. 229), verhalten sich demnach komplementär zueinander und kennzeichnen die soziale Existenz. Hiermit würde entsprechend die Grenze zwischen Konformitätsnormen und moralischen Normen porös. Die Imitation im Zuge von Konformitätsforderungen als „extreme Form der Kooperativität des Menschen“ (ebd., S. 254) tritt für Tomasello allerdings vor allem „in den kulturellen Institutionen“ (ebd.) wie etwa der Ehe, dem Geld und der Regierung hervor, die überhaupt erst „wegen der kollektiven Praktiken und der Überzeugungen existieren“ (ebd.) würden. Die Institutionalisierung aus dieser Perspektive ist als Prozess zu interpretieren, der ausgehend von der unmittelbaren Abhängigkeit der Menschen voneinander zu denken ist und deren Koordination, bezogen auf das Erreichen gemeinsamer Ziele, abzielt. In der Kooperation müssen Menschen dabei auf ein gemeinsames Hintergrundwissen zurückgreifen, dessen Bedingungen eine gemeinsame Aufmerksamkeit, ein Wissen über gemeinsame Ziele und ein gemeinsamer Objektbezug sind (vgl. ebd., S. 90 f.). Das implizite Wissen des gemeinsamen Hintergrunds wird mit zunehmender Routine zu unabhängigen sozialen Tatsachen und verstetigt sich zu kulturellen Institutionen. Tomasello verwendet zur Veranschaulichung hierfür das Beispiel einer Zahnärztin, die ihrer Assistentin nur noch durch eine Zeigegeste, die nächsten Arbeitsschritte signalisieren muss, ohne die Komplexität dieser spezifischen zahnärztlichen Behandlung in der Situation erklären zu müssen (vgl. ebd., S. 91). Institutionen sind hiernach konstituiert durch kooperative Problembearbeitung eines gewohnheitsgemäßen Handlungswissens, das innerhalb einer Wir-Identität strukturiert, über das Einstellungen, Werte und Haltungen vermittelt werden, das (Nicht-)Zugehörigkeit reguliert und mit dem ein Geltungsanspruch verbunden ist. Dabei tritt Reflexivität im Sinne von Perspektivität und von Geltungsansprüchen in eine eigentümliche Spannung zur gleichermaßen vorausgesetzten in- und exkludierenden Wir-Identität. Rickens Rezeption Tomasellos kulturanthropologischer Überlegungen ist auf den letzten Punkt ausgerichtet. Er folgt nicht dessen altruistischen Ausführungen, sondern betrachtet die Zeigegeste unter der Prämisse von Integration und Persuasivität. Der Sozialitätsbegriff nimmt hierin eine ambivalente Form an, in der Kooperation mit Identität und Anpassung assoziiert wird. Anerkennungstheoretisch korrespondiert mit dieser praxeologisch gedachten Ambivalenz Butlers Subjektivationssystematik, die Ricken für die Analyse von Interaktionen nutzt (hierzu: Ricken 2013). Es lassen sich mit Tomasello also sowohl eine kooperative Sozialität reziproker Kooperationsverpflichtungen als auch eine ambivalente Sozialität im Horizont von Konformitätsnormen entwerfen.
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An dieser Stelle möchte ich an Honneths institutionentheoretische Ausführungen erinnern, in denen er Institutionen als kulturelle Deutungsschemata verstehen will (s. Kap. 2.3.1), die innerhalb eines sozialen konflikthaften Aushandlungsprozesses institutionalisierter und dynamischer Selbst- und Weltverständnisse gedacht wird und als deren normative Grundierung der Semantiken freier und egalitärer Kooperativität einführt. Hierbei muss ein Rationalitätsparadigma hinzutreten, um Institutionen als soziale Größen der Aufgaben- und Problembearbeitung verstehbar werden zu lassen. Mit dem Ansatz der rekonstruktiven Kritik werden beide Momente, der Wertbindung und der Rationalität, miteinander in einer perpetuierten Verwirklichungssystematik von sich historisch wandelnden, symbolischen Systemen verknüpft. Er bezeichnet diese Wertabhängigkeit von Institutionen und Praktiken dabei auch als „moralische Faktizität“ (Honneth 2013a, S. 17) und stellt sich damit in die Tradition einer durch Parsons und Durkheim korrigierten Institutionentheorie Hegels und seiner Rechtsphilosophie. Das grundlegende Problem, mit dem er sich beschäftigt, ist das der sozialen Solidarität im Verhältnis zur Freiheit. Solidarität als soziale Bindung von Menschen an gemeinsame Ziele, die reziprok verwirklicht werden sollen, basiert für Honneth auf der Existenz relationaler bzw. kooperativer Institutionen (s. Kap. 2.3.3). Gleichzeitig sollen diese Institutionen Freiheit erst ermöglichen. Ähnlich wie Durkheim, der postuliert hat, dass „Freiheit nur in und durch die Gesellschaft eine Realität“ (Durkheim 1924/1976, S. 109) hat und die Gesellschaft nicht bloß eine „Gruppe der Individuen“ (ebd., S. 113) sei, sondern ein gemeinschaftliches Ideal, denkt Honneth die kooperative Sozialität im Zusammenhang mit seinem Begriff der sozialen Freiheit als eine befreiende. Diese befreiende kooperative Sozialität, die in Kapitel 3.3 diskutiert wird, liegt jedoch quer zu Tomasellos Annahme, dass die Bindung von Normen an kulturell vermittelte Wir-Identitäten in Zwangsverhältnisse münden würde. Es sind für Honneth gerade die konkreten sozialen Beziehungen und nicht bloß die formalisierten Rechtsverhältnisse, in denen Menschen Anerkennung erfahren und die Freiheit realisieren würden (s. Kap. 2.3.2, Kap. 2.3.3). Indem er aber nun die Solidarität mit institutionellen Wir-Formen verwebt, steht er vor dem Problem, Freiheit von Konformitäts- und Exklusionslogik innerhalb kultureller Institutionen abgrenzen zu müssen. Als ein Gegenentwurf wird in Kapitel 3.4 Judith Butlers Adressierungstheorie zur Skizze einer ambivalenten Sozialität herangezogen. Ihr Ansatz lässt sich in die Nähe von Berger und Luckmanns Institutionentheorie in der Hinsicht rücken, als dass das Wissen und gesellschaftliche Macht unlösbar ineinander verwoben sind, womit sie aber vor allem an Foucaults Machttheorie anknüpft (Butler 2002, S. 250 f.). Foucaults Theorem der „Disziplinarinstitutionen“ (Fou-
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cault 1994, S. 269), zu denen er das Militär, das Gefängnis, die Psychiatrie und die Schule zählt, kennzeichnet er durch eine „politische Ökonomie des Körpers“ (ebd., S. 37), in der „Macht/Wissen[s]-Komplexe“ (ebd., S. 39) den individuellen Körper zum Gegenstand von Strafsystemen und Disziplinarordnungen erheben. Neben dem „politische[n] Körper“ (ebd., S. 40) Foucaults, der sich in der Unterwerfung konstituiert, hebt Butler auf Althussers postmarxistische Ideologietheorie und dessen Theorem der „Interpellation“ (Butler 2001, S. 101) ab, mit der sie die Psyche als Ort von Machtwirkungen zu bestimmen sucht. Das Problem, das in der Diskussion von Butlers Konzeption im Zentrum steht, ist das Verhältnis von Unterwerfung und Handlungsfähigkeit. Sie kritisiert an Foucaults Subjekttheorie und an Althussers Theorem des „ideologischen Apparats“ (Althusser 1977, S. 138) gerade eine hermetische Schließung, die sie mit ihrem Konzept der Wiederholung bzw. der „Reiteration der Macht“ (Butler 2001, S. 21) und dem „Scheitern der Anrufung“ (ebd., S. 121) zu widerlegen versucht. Das Scheitern ist auch ein basales Motiv in der dritten Perspektivierung der reflexiven Sozialität, in der neben Robert Pippin vor allem Rahel Jaeggis Studie Kritik der Lebensformen von 2014 im Vordergrund steht. In deren Positionen steht in Anlehnung an Hegel die Erfahrung von Widersprüchen und des Scheiterns im Fokus einer gesellschaftskritischen Reflexion (vgl. Pippin 2005, S. 123; Jaeggi 2014, S. 368 ff.). Das Spezifikum an Jaeggis Konzeption ist, dass sie mit dem Begriff der Lebensform eine Differenz zu Institutionen einzieht. Sie definiert Lebensformen als „Bündel von Praktiken“ (ebd., S. 77) und als „kollektive Gebilde“ (ebd.), deren Realisierung, ebenso wie Institutionen, von Habitualisierung und normativen Kooperationserwartungen abhängig ist. Diese seien aber „,weicher‘ und informeller“ (ebd., S. 74) als tendenziell kodifizierte Institutionen. Vielmehr handle es sich bei den zwei Konzeptionen um zwei unterschiedliche Aggregatzustände von sozial verstetigten Deutungsmustern, die einen wechselseitigen Bezug aufweisen. Lebensformen erzeugen sozusagen die Umwelt für die Bildung von Institutionen. Innerhalb ihres Rahmen entsteht durch Institutionalisierung und durch Materialisierung in Form sozialer Artefakte eine erfahrbare „dingliche Welt“ (ebd., S. 122), in dem sich die Individuen vorfinden und die die „Lebens- und Handlungsmöglichkeiten“ (ebd., S. 123) prägen. Die kritische Reflexion setzt an dem Punkt an, in dem eine Problematisierung durch das Scheitern der Praktiken und Gewohnheiten evoziert wird. Anders als das reflexive Bewusstsein der wissenssoziologischen Theorie Bergers und Luckmanns ist dies nicht bloß eine nachträglich applizierte Sinnstruktur, sondern weist in der Frage nach der Problemadäquanz von Lebensformen und demnach auch von Institutionen einen sachlichen Gehalt auf. In Kapitel 3.5 wird dementsprechend die Möglichkeit von Reflexion und von begründeter Kritik ausgelotet.
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3.3 DIE SOZIALITÄT ALS KOOPERATIVE BEFREIUNG IN AXEL HONNETHS SITTLICHKEITSTHEORIE Das symbolische Moment institutioneller Zusammenhänge ist für alle Anerkennungstheorien, die sich in eine rousseausche und hegelianische Tradition einreihen, ein notwendiges Moment sozialer Praxis. Ohne natürliche und psychologische Präskriptionen, über die soziale Verhaltensweisen erklärt werden könnten, bleiben symbolische Ordnungen, die von der Interpretation der teilnehmenden Akteurinnen/Akteure abhängig sind, eine die soziale Praxis bestimmende Größe. Diese können als mehr oder weniger kontingente Institutionen oder Diskurse gefasst werden, die in Handlungsmotiven zum Ausdruck kommen oder Dispositionen konstituieren. Neuhouser, Siep und Honneth verwenden den Begriff der Institutionen, um auf eine relative Stabilität gesellschaftlicher Orientierungssysteme zurückgreifen zu können und die Kooperation als Fundament der Argumentation in den Vordergrund zu setzen. Während Siep eher konzeptionell offene Aussagen über das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft tätigt, in dem ein reflexives Äquilibrium angedacht ist (s. Kap. 2.2) und Neuhouser, der anerkennungstheoretischen Bezügen in Rousseaus Werks nachspürt und dabei das Verhältnis anthropologischer und sozialontologischer Verhaltensannahmen sowie institutioneller Passungsverhältnisse umreißt (s. Kap. 2.1), versucht Honneth „soziale Tatsachen“ konkret zu fassen, die aus seiner Sicht gerechtigkeitstheoretische Relevanz haben (s. Kap. 2.3). Honneths Institutionsbegriff basiert auf einer Verschränkung folgender Annahmen. (1) Der Gesamtkonzeption Honneths läuft eine geteilte Intentionalität als Primat sozialer Kooperation hinaus, die ihren Resonanzraum in einem über narrative Gemeinschaftsbildung hergeleiteten Hintergrund hat. Das Zusammenleben und das intersubjektive Verständnis sind grundiert durch einen geschichtlichen Erfahrungshintergrund, der die individuellen Biografien im Medium des Allgemeinen verknüpft und das Potenzial hat, ein Bewusstsein für gemeinsames Handeln zu schaffen. (2) Die zweite Prämisse ist die Annahme eines rationalen Gehalts gesellschaftlicher Institutionen, deren relative temporale Stabilität und handlungskoordinierende Funktion die kooperative Bearbeitung sozialer Belange und Probleme erlaubt. (3) Die Bedingung der Stabilität und der Funktionalität der Institutionen ist die Reproduktion der zugrundeliegenden Sinnstruktur (s. Kap. 2.3). Die Institutionen, die Honneth geschichtlich rekonstruiert, sind regulativ wie auch normativ. Die regulative Rationalität, die soziale Verpflichtung und gemeinsame Überzeugungen denkt Honneth zusammen. Krisen der Institutionen sind aus diesem Konzept heraus Legitimationskrisen. Der Prozess der Institutionalisierung wird aus einer technischen Expertendimension in gesell-
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schaftliche Verhandlungsprozesse verlagert. Die Dysfunktionalität erhält eine ethische bzw. eine politische Dimension, die sich in sozialen Kämpfen äußert. Nach Honneths Institutionentheorie verknüpfen sich Kommunikationsnormen der Regulation von Kooperation eng mit Konformitätsnormen der Gruppenselektion, um es mit Michael Tomasellos Vokabular auszudrücken. Institutionalisierte Normen bedürfen einer Wir-Identität, die die Gruppen als Solidaritätsgemeinschaften stabilisieren und Handlungen im Rahmen des gesellschaftlichen Kontexts erst verständlich erscheinen lassen. Ersichtlich wird dies an der Zurückweisung Honneths der Institution des Rechtssystems, für das die negative Freiheit sinnstiftend ist, einen von der Sittlichkeit unabhängigen Status zuzuweisen. Seine Kritik einer pathologischen Verselbstständigung des Rechtsparadigmas ohne Wertbindung zur Folge, gefährde diese die Funktionalität kooperativer Zusammenhänge und untergrabe die soziale Kohäsion. Im Gegensatz zu Institutionen der sozialen Freiheit (persönliche Beziehungen, Marktwirtschaft und demokratische Willensbildung), in der der Vorrang der Sozialität als ein synthetisierendes Wir hervortrete und in der Honneth Vereinzelungseffekte als Fehldeutungen des gemeinsamen Horizontes verstanden wissen will (s. Kap 2.3.3), befördere die Orientierung am Privatinteresse und an gegenseitiger Abgrenzung die Hypostasierung des Individualismus. Handlungsverpflichtungen können nach Honneth in modernen Gesellschaften nur auf Akzeptanz stoßen, wenn ein Vertrauen in die realen Institutionen besteht und die Möglichkeit jedes Einzelnen der kooperativen Selbstverwirklichung real gegeben wäre. Der Zwang institutioneller Autorität und die Mimese in kulturelle Deutungsmuster müssen hiernach ineinander übergehen, sofern die Institutionen in ihren Strukturen tatsächlich die Akteurinnen/Akteure zur Teilhabe befähigen und reale und gleichberechtigte Partizipation ermöglichen. Die Konformitätsnormen sollen den Charakter zwangloser Verpflichtungen erhalten. Zur Deutung des gesellschaftlichen Zusammenhalts zieht er aufgrund dessen in Rekurs auf Durkheims Anomietheorie den Begriff der Solidarität heran (vgl. Honneth 2013, S. 328 f.). Honneth fasst unter Solidarität eine Haltung der wechselseitigen Erwünschtheit des Handlungsziels des jeweiligen anderen, womit die Kategorie zum Fundament der sozialen Freiheit avanciert. Sozialität lässt sich aus der Theorie Honneths als normativer Begriff reziproker solidarischer Rücksichtnahme bzw. „Solidaritätsbewusstsein“ (Honneth 2013a, S. 330), demokratische Kooperativität und moralische Selbstbegrenzung verstehen. Der Solidaritätsbegriff ist nun aber nicht aus sich selbst heraus verständlich. Kurt Bayertz stellt fest, dass dieser uneinheitlich und ungeklärt verwendet werde (vgl. Bayertz 1998, S. 11). Historisch betrachtet wird dieser Begriff mit der Aufklärung und dem Wandel von unhinterfragten gemeinschaftlichen Ordnun-
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gen zu gesellschaftlichen Ordnungen relevant, in der der soziale Zusammenhalt nicht mehr auf eine göttliche Ordnung zurückgeführt werden kann (vgl. Metz 1998, S. 173 f.; hierzu auch Engelhard Jr. 1998, S. 436 f.). Bayertz unterscheidet allgemein vier Bedeutungsvariationen, „Solidarität als allgemeine Brüderlichkeit“, „Solidarität und gesellschaftliche Einheit“, „Solidarität und die Legitimation des Sozialstaates“ und „Solidarität als Kampfbegriff“ (Bayertz 1998, 11 f.). Zusammenfassen lassen sich diese Aspekte als erwünschte Reziprozität, als soziale Kohäsion, als Legitimationsprinzip und als politische Forderung, die Honneth einerseits deskriptiv aus den modernen Institutionen herauspräparieren möchte und diesen andererseits einen normativen Gehalt für eine kritische Positionierung zu entnehmen versucht. In Kontrast zu Bourdieu, der zur Verwendung des Begriffs der Solidarität als analytischem Begriff einen Bruch mit dem emotionalen und normativen Alltagsgebrauch zur Voraussetzung macht (vgl. Bourdieu et al. 1991), ist es Honneths Anliegen die Solidarität als Voraussetzung der Realisierung sozialer Freiheit in seine ethischen Gerechtigkeitsüberlegungen zu integrieren. Dabei skizziert er einen überindividuellen Solidaritätsbegriff, der sich in einem Ensemble von Normen der Reziprozitätserwartungen, -verpflichtungen und entsprechenden formellen und informellen Sanktionsmechanismen transtemporal generalisiert. Solidarität ist bei Honneth folglich eingefasst in eine Gruppe, deren Mitglieder sich gegenseitig in einer „besondere[n] Form der Verbundenheit und wechselseitige[n] Verpflichtung“ (Mau 2005, S. 247) begegnen. Es muss folglich eine Identifizierung miteinander und mit dem Wir stattfinden (vgl. Bayertz 1998, S. 11). Solidarische Beziehungen finden in gemeinschaftlich strukturierten Gruppen oder Gesellschaften statt, die durch Institutionen stabilisiert werden. 4 Neben
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Während Habermas im Kontext der Diskursethik eine universalistische Idee von Solidarität als „Kehrseite von Gerechtigkeit“ (Habermas 1986, S. 314) zu skizzieren versucht, macht Richard Rorty darauf aufmerksam, „daß unser Solidaritätsgefühl am stärksten ist, wenn die, mit denen wir uns solidarisch erklären, ,zu uns‘ gehören und ,wir‘ etwas Begrenzteres als die Menschenrasse ist. Das kommt daher, daß die Begründung ,weil er ein Mensch ist‘ eine schwache, nicht überzeugende Begründung für eine großzügige Handlung liefert“ (Rorty 1989, S. 308). Wolfgang Kersting schreibt bezogen auf die Ebene der Normativität: „Solidaritätsnormen sind hingegen partikularistischer Natur. Sie verpflichten nicht menschliche Individuen als menschliche Individuen, sondern als Mitglieder einer bestimmten sozialen Gemeinschaft; sie konstituieren somit auch keine inklusive Verpflichtungssymmetrie zwischen Menschen als Menschen, sondern nur eine partikular-exklusive Verpflichtungssymmetrie zwischen den Mitgliedern einer bestimmten Gemeinschaft; zwischen diesen und den anderen,
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der Problematisierung Tönnies, der eine Differenz zwischen Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung im Verpflichtungsgrad und in der identifizierenden Verbundenheit macht und damit die Anwendbarkeit von Solidarität auf größere gesellschaftliche Systeme bezweifelt, ist fragwürdig, ob Solidarität aufgrund der Einbettung in die Wir-Identität eine per se erstrebenswerte Haltung ist. Solidarische Rücksichtnahme kann freiwillige Hilfeleistungen und Verzichtsverhalten nach sich ziehen. Es kann aber genauso in der Marginalisierung, der Exklusion von oder sogar im Kampf gegen Außenseiter und „Fremde“ kulminieren. Darüber hinaus ist umstritten, ob eine globale oder transversale Solidarität denkbar ist. Claus Offe entgegnet Positionen, die unter Solidarität eine nichtkalkulierende Unterstützung mit „Fremden“ skizzieren, dass solidarische Beziehungen in soziale Interdependenzen zu verorten sind und mit Reziprozitätserwartungen gekoppelt wären. Statt in universeller Hinsicht auf eine „globale Solidarität“ (vgl. Brunkhorst 2002) abzuheben, sollte vielmehr in Fällen von Unterstützung anderer ohne Erwartungen auf Gegenleistung nach Claus Offe von Altruismus gesprochen werden (vgl. Offe 2004). Hieraus entfaltet sich nun das Problem einer potenziell exkludierenden und machtvoll inkludierenden Wir-Identität und einer sittlichen Normativität im Sinne solidarischer Anerkennungsbeziehungen, die sich über eine narrative Struktur des Teilens und der Selbstverständigung herstellen und es werden folgende Fragen eröffnet: Wer gehört eigentlich zum Wir? Unter welchen Bedingungen gehört jemand zum Wir? Wer gehört nicht zum Wir? Diese Fragen bündeln sich in Honneths kritischem und demokratischen Sittlichkeitsbegriff, der zwischen der sozialen Abhängigkeit und Involviertheit auf der einen Seite und der Möglichkeit, die Bedingungen seines eigenen Lebens gestalten zu können, auf der anderen Seite, ein Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft zu entwerfen sucht, welches durch soziale Kämpfe progressive Entgrenzungsdynamiken erfährt. Der Verweis auf einen Sittlichkeitsbegriff und die Verbundenheitsbedingungen von Kooperation in Wir-Sphären birgt nun die Gefahr einer aristotelischen Akkommodation an das Gegebene und einer Ausblendung von Machtstrukturen, Ungleichheiten und Ausgrenzungen. Entgegen eines ethischen Holismus in der Tradition von Aristoteles und einer Totalisierung der Gemeinschaft entwickelt Honneth die Idee eines inklusiven und demokratischen Gemeinwesens von gleichberechtigten und selbstbewussten Mitgliedern (vgl. Honneth 2013, S. 615 ff.), in dem Konflikte durch das den Handlungssphären inhärenten Spannungsfeld von Vergemeinschaftung und freiheitlichen Gerechtig-
den Nicht-Gemeinschaftsmitgliedern, besteht, hingegen ein Verhältnis der ethischen Asymmetrie“ (Kersting 1998, S. 415).
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keitsansprüchen Konflikte entstehen. In den folgenden Ausführungen sollen nun zwei Argumente geprüft werden, die mit Honneth gegen den Vorwurf einer regressiven Gesellschaftskonzeption im Anschluss an seine Gerechtigkeitstheorie mobilisieren können. Das erste Argument ist (1) das Primat der Freiheit (s. Kap. 2.3.1) und das zweite Argument ist (2) die Abstraktion der „Schicksalsgemeinschaft“ (vgl. ebd., S. 612) im Zuge der Institutionalisierung sozialer Freiheit. (1) Schon in seiner Studie Kampf um Anerkennung von 1994 ging es Honneth um eine „Idee einer posttraditionalen demokratischen Sittlichkeit“ (Honneth 1994/2012, S. 280 f.), in der er eine „Mitte“ (ebd. S. 276) zwischen universalistischer Moral und kommunitaristischer Ethik zu skizzieren versucht hat. Die Formierung eines „Wir“ in historisch konkreten Formen steht hier unter dem Fokus einer transzendentalen Perspektive, die an der Ermöglichung von „individueller Selbstbestimmung“ (ebd. S. 279) gemessen werden können soll. Seine Betrachtung von Institutionen ist hier vom Individuum und der Interaktion ausgehend, insofern er die Genese von „intersubjektiven Schutzvorrichtungen, die die Bedingungen äußerer und innerer Freiheit sichern“ (ebd.) zum Fluchtpunkt der normativen Betrachtung macht. Wenn das „Ich“ in den frühen Schriften Honneths „Wir“ sagt, dann erkennt das „Ich“ den anderen nicht notwendig als jemand, der im institutionellen Kontext zu verorten sei. Das Ich nimmt den anderen nicht nur als Freund/-in, als Familienmitglied, als Partner/-in, als Rechtsperson oder als Marktteilnehmer/-in etc. wahr, sondern als anerkennungsbedürftigen und -würdigen Menschen, dem das Recht auf eine Autonomie ermöglichende Anerkennung nicht verwehrt werden darf. Die Verlagerung der Anerkennungsverhältnisse im Zuge der Individualisierung von einer partikularen und hierarchisierenden Form der Ehre zu einer universellen und egalitären Anerkennungsform der Würde soll aus Sicht Honneths zu einer realen „Zunahme von Universalität oder Egalität“ (ebd. 280) führen. Die Mischung aus deontologischer Moraltheorie und historisch relativer Sittlichkeit impliziert eine Skepsis gegenüber der Vergesellschaftung und figuriert eine sozial latente Konfliktualität, die jedoch teleologisch potenziell zur Aufhebung tendiert.5 Mit seiner Schrift Leiden an Unbestimmtheit wechselt seine Argumentation (vgl. Honneth 2001, S. 7-17). Die vormals noch am Universalismus der Diskurs-
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Diese Skepsis macht sich auch daran bemerkbar, dass er Hegels Rechtsphilosophie als Referenz ablehnt, da sich Hegel in dieser Schrift von „de[n] institutionellen Gegebenheiten seiner Zeit“ (ebd., S. 281) hat beeinflussen lassen. So seien bei der Liebe z.B. nur noch die „patriarchalen Beziehungsmuster der bürgerlichen Familie“ (ebd.) herausgekommen.
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ethik anknüpfende Anerkennungstheorie erhält hier eine Verlagerung vom Du auf das Wir. Wie in Kapitel 2.3 erläutert, revidiert Honneth seine Kritik an der „Rechtsphilosophie“ Hegels partiell und nähert sich den spezifischen Anerkennungsverhältnissen über das Wir an. Diese Wendung lässt sich auch als eine Art „institutional turn“ titulieren, weil er die Normativität historisch im Horizont institutionalisierter Deutungsmuster denkt. Die Radikalität des theoretischen Wandels liegt darin, dass er die der Freiheit vorausgesetzte Reflexivität, die in der moralischen Freiheit thematisch wird, nicht als individuelle Fähigkeit, sondern als eine institutionalisierte Praxis verstehen möchte. Konkret stellt sich Honneth dies derart vor, dass sich Individuen in freundschaftlichen Beziehungen wechselseitig zur „reflexiven Betrachtung und Überprüfung der eigenen Lebensentscheidungen“ (Honneth 2013a, S. 247) auffordern, dass Partner/-innen in Liebesbeziehungen sich wechselseitig in einer gemeinsamen Erzählung integrieren und diese gestalten, dass die Familie zu einem „kooperativen Individualismus“ (ebd., S. 316) im Umgang miteinander befähigt, dass Individuen innerhalb der Marktsphäre unter Bedingungen kollektiver Selbstverständigungsmechanismen (Bsp. Syndikalismus) ethische Selbstkontrolle und eine Gemeinwohlorientierung einüben können, dass Bürger/-innen innerhalb der demokratischen Willensbildung eine „reflexiv[e] Ich-Fähigkeit“ (ebd., S. 591) ausbilden können, um gemeinsamen Problemen rational zu begegnen und um Multiperspektivität, Argumentations- und Kritikfähigkeit zu lernen. Die vom Anerkennungsprinzip geleitete Vergesellschaftung wird hier bestimmt durch Institutionen, denen die Codes der modernen Reflexionsformen eingeschrieben sind. Wenn man so möchte, detranszendentalisiert Honneth die Vernunft und institutionalisiert die Geltungsansprüche einer von Habermas inspirierten „kommunikativen Vernunft“ in den Anerkennungsverhältnissen, die das soziale Leben in den differenten Handlungssphären durchzieht und wodurch Rationalität prozessualisiert und historisiert wird (vgl. Honneth 2013, S. 620 ff.). Die entfallene Universalität einer „reinen Anerkennung“ wird nun durch das Argument der Irreversibilität des Werts der Freiheit für die Moderne im Kontext der Gerechtigkeit ersetzt. Ohne Freiheit könne in der Moderne nicht nach Gerechtigkeit gefragt werden (s. Kap. 2.3.1). Honneth geht hier explizit von einem Primat der Freiheit aus, das in differenter Weise die Institutionen und deren Deutungsmuster konstituiert und die Reproduktion westeuropäischer Gesellschaften bedingen soll (vgl. ebd., S. 623). Institutionen müssen hiernach historisch dynamisch entwickelnde Freiheitsversprechen realisieren, um als gerecht und legitim zu gelten. Die Prämisse ist, dass nur unter der Bedingung einer Entfaltung freiheitlicher Kooperationsformen Institutionen als legitim gelten und ein Solidaritätsbewusstsein entsteht, welches Institutionen stabilisiert. Dem entgegen
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führten Ungerechtigkeit, Herrschaftsblockaden, Pathologien und Ungleichheit zu einer verminderten Kooperationsbereitschaft. Das institutionalisierte Wir ist bzw. soll hier ein freiheitsverbürgendes „Wir“ sein, das eine immanente Normativität aufweist, die sich in den alltäglichen Lebenszusammenhängen, in sozialen Bewegungen und historischen Konkretionen darstellt. Mit der Imprägnierung der sozialen Genese einer institutionellen Umwelt mit Gerechtigkeitssemantiken anhand von Gründungsdokumenten und empirisch-hermeneutischen Rekonstruktionen, legt Honneth die Grundlage für seinen komplexen Kritikbegriff, der auf ungenutzte Verwirklichungspotentiale und auf ideologische Herrschaftsblockaden innerhalb von Institutionen hindeutet und mit dem die Kolonialisierungseffekte zwischen den Institutionen thematisiert werden sollen (s. Kap. 2.3.4). Der argumentative Anker für seine Kritik sind des Weiteren die potenzielle Instabilität und die historische Bedingtheit von Institutionen, die in einer Geschichte sozialer Bewegungen eingesponnen seien. Soziale Bewegungen bzw. soziale Kämpfe haben dabei in Honneths Theorie eine multifaktorielle Bedeutung. „Der Motor und das Medium von geschichtlichen Prozessen der Realisierung institutionalisierter Freiheitsprinzipien ist nicht in erster Linie das Recht, sondern sind soziale Kämpfe um deren angemessenes Verständnis und die sich daraus ergebenden Verhaltensänderungen; […].“ (Ebd., S. 614)
Im Gegensatz zu liberalen Theorien, die Freiheit an das Rechtssystem binden, sieht er die sozialen Bewegungen als treibende Kraft emanzipativer Prozesse. Sie sind damit Impulsgeber für soziale Veränderungsprozesse, sinnstiftende Phänomene und empirisches Fundament in Bezug auf ideologische Herrschaftsverhältnisse. Diese Funktionszuweisung hat nun zwei Implikationen. Verstehen des gesellschaftlich sedimentierten Selbst- und Weltverständnisses setzt eine interpretative Kontextualisierung sozialer Bewegungen voraus, die diesen Deutungsraum in spezifischer Weise verändert haben. Die zweite Implikation ist, dass soziale Kämpfe aus dem herrschenden tradierten Deutungshorizont heraus verstanden werden müssen, um Veränderungen erkennen zu können. Sie sind entsprechend erst verständlich, wenn sie sich in ein Verhältnis zu den institutionalisierten Symboliken bringen lassen. Es muss ein Kohärenzverhältnis zwischen Tradition und Neuinterpretation angenommen werden, um eine zwar dynamische, aber vorausgesetzte Kontinuität in den Deutungsmustern rekonstruieren zu können. Hiermit positioniert sich Honneth gegen Ansätze des Dekonstruktivismus und der Agonalität, die das Grundlose, den Bruch, die Situativität und das
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Voraussetzungslose pointieren. Paradigmatisch zeigt dies die Auseinandersetzung Derridas mit Hegels Aufhebungsbegriff: „Solange die Aufhebung in der beschränkten Ökonomie verstrickt bleibt, ist sie die Gefangene dieses natürlichen Bewußtseins. Das ,Wir‘ der Phänomenologie des Geistes kann sich noch so sehr als das Wissen dessen aufbauschen, was das in seine Geschichte und in die Bestimmung seiner Gestalten versenkte naive Bewußtsein nicht weiß, es bleibt naiv und vulgär, weil es den Übergang, die Wahrheit des Übergangs nur als Zirkulation des Sinns oder des Wertes denken kann. Es entwickelt den Sinn oder die Begierde des natürlichen Bewußtseins nach Sinn, das sich im Kreis einschließt, um den Sinn zu wissen, um zu wissen, woher er kommt und wohin er geht. Er sieht den Un-Grund des Spiels nicht, von dem sich die Geschichte (des Sinns) abhebt.“ (Derrida 1976, S. 419 f.)
Die Uneinholbarkeit von Sinnstiftung wird hier gegen ein hermeneutisches Verstehen in Stellung gebracht, dem eine hermetische Zirkularität vorgeworfen wird. Das reflexive Moment des Sich-selbst-verstehen-wollens läuft nach Derrida nicht nur ins Leere des Nicht-wissens, sondern bleibt an einem naiven Souveränitätsglauben, „natürlichen Bewußtsein[s]“, haften, welches den eigentlich dezisionistischen Charakter von Entscheidungen, „Un-Grund des Spiels“, verkennt. Hiermit breche die oszillierende Bewegung von Tradition, Interpretation und Veränderung. Begründungen wären nicht mehr als strategische Einsätze, die sich weder auf tradierte Deutungsmuster reduzieren, noch in ein vorgängiges symbolisches System integrieren ließen. Dies würde schlussendlich bedeuten, dass soziale Bewegungen nicht dialogisch im Horizont einer Verständigungsorientierung interpretiert werden könnten. Das Verständlichkeitsmotiv wäre selbst eine Strategie und damit keiner Logik eines kommunikativen Handelns unterworfen. Die demokratische Sittlichkeit ist aber ohne eine Verständigungsorientierung nicht denkbar. Sie würde sich in einer Fragmentierung von Praktiken auflösen und als theoretisches Konstrukt zur metaphysischen Struktur werden, die identifizierend die scheinbar gegebenen Normen idealisiert. Unabhängig davon, inwiefern unter diesen Voraussetzungen einfachste Praktiken, wie das Einkaufen überhaupt realisierbar wären, könnte Honneth gegen diese Position einwenden, dass soziale Kämpfe erst innerhalb konkreter sozialer Kontexte nachvollziehbar werden. Der Sinn von Arbeitsniederlegungen im Zuge der Industrialisierung kann ihm nach nicht ohne die Berücksichtigung der Arbeitsbedingungen, der Lebensumstände, des historischen Wandels, der Wirtschaftsform, des Eigentumsrechts usw. nachvollzogen werden. Die Widerstandssemantiken müssen auf ein Wir Bezug nehmen, ohne aber, wie gezeigt, auf einen universalen Standpunkt referieren zu können. Der Wert der Freiheit muss eine
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Art normativen Überschuss aufweisen. Hierbei möchte er dezidiert nicht neohegelianischen Ansätzen von Michael Walzer, David Miller und Alasdair MacIntyre folgen, die aus seiner Sicht die Strategie einer „hermeneutische[n] Rückanpassung“ (ebd., S. 16) rekonstruierter Gerechtigkeitsprinzipien verfolgen und damit „[m]achtlos und ohne Biß“ (ebd.) seien. Weder kann ein dynamischer Traditionsbegriff wie der von Alasdair MacIntyre, der die Rationalität von Traditionen an ihrer Integrationsfähigkeit von verändernden Neuerzählungen oder konträren Interpretationen bemisst (vgl. MacIntyre 1988), noch können Ansätze wie der einer epistemischen Anerkennungsgemeinschaft, wie sie etwa von Robert B. Brandom vertreten werden und in denen Verständnis von Interpretationen nur unter der Bedingung der Anerkennung die Autorität der Tradition gesichert werden kann (vgl. Brandom 2015, S. 304), theoretisch attraktiv sein. Die Autorität kann für Honneth kein Bezugspunkt einer kritischen Gesellschaftstheorie darstellen. Vielmehr muss sich der „Gehalt“ der tradierten Haltungen und Praktiken selbst „als vernünftig oder gerechtfertigt“ (Honneth 2013a, S. 16) ausweisen lassen. Die kritische Bezugnahme sozialer Kämpfe auf Gerechtigkeitsdefizite in der sozialen Wirklichkeit führt nach Honneth primär zu einem Rechtfertigungsdruck der tradierten Praktiken. Sie bilden dabei auch den Reflexionsimpuls für soziale Diskurse um eine gerechtere Form der Wirklichkeit. Gebunden ist diese Reflexivität aber wiederum an die Institutionalisierung der Idee der Freiheit. Das Argument wird an dieser Stelle zirkulär und damit auch selbstreferent. Die Überzeugungskraft von Honneths Argumentation hängt an der Annahme, die er mit Dewey teilt, dass die Freisetzung des Menschen von Gemeinschaften in moderne Gesellschaften einen sozialen Aushandlungsprozess der Bedingungen gesellschaftlicher Kooperation notwendig gemacht hat, der nur unter der Hinnahme immenser sozialer Zerwürfnisse hinter den Wert der Freiheit zurückgehen kann. Die Verknüpfung der institutionellen Struktur einer modernen bzw. bürgerlichen Gesellschaft an die Freiheitssemantiken bedeutet auch, dass er die Negation und damit einen Aspekt von Hegels Subjektivität einhegen muss. Deutlich zeigt sich dies an seiner Diskussion der reflexiven Freiheit, deren Potenzial in der Negation des Vorgegebenen und der Skepsis läge und damit ein wesentlicher Faktor moralischer Selbstbegrenzung und der Möglichkeit von Widerständigkeit sei. Allerdings sieht er in dieser individuellen Freiheit auch das Problem einer Verselbstständigung des „Ich“ vom „Wir“, wie etwa bei den Haltungen eines „unverbundenen Moralisten“ (ebd., S. 207) oder dem „moralisch begründeten Terrorismus“ (ebd.). Wenn die Gefährdung der Institutionen durch reflexive Negation in Form von Beziehungs- bzw. Kommunikationsabbruch als Ausdruck einer pathologischen und egologischen Fehldeutung kritisiert werde, würden
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partikulare Entscheidungen, die sich quer zu den Praktiken sozialer Freiheit verhalten, als problematisch markiert. Ihre Problematik bestehe dann in der Einklammerung der institutionalisierten Kooperationserwartungen bzw. der geforderten Solidarität in Liebesbeziehungen, in Freundschaften, in Familie, in der Wirtschaft sowie in der demokratischen Willensbildung. Die Grenzziehung, die hier vorgenommen wird, kann auch als Immunisierung einer „freien Gesellschaft“ vor einer radikalen Kritik gelesen werden. Wenn Hegel sich nun in der Gewißheit glaubte, das Recht der Geschichte auf seiner Seite zu haben, muss bei Honneth gefragt werden, von welchem Standpunkt aus er seine Interpretation entwirft. Was berechtigt ihn, von Pathologien zu sprechen und der bürgerlichen Existenz einen allgemeinverbindlichen Sinn zu verleihen? Unterläuft ihm hier nicht eine ambivalenzarme Idealisierung institutionalisierter Handlungssphären und dadurch eine Entpolitisierung des „Wir“ der demokratischen Sittlichkeit? (2) Das „Wir“ der demokratischen Sittlichkeit ist hiernach die unhinterfragbare Integrationsinstanz, mit der sich die Individuen identifizieren und in deren Kontext sie sich solidarisch verhalten sollten. Sie hat den paradoxen Status, Wirklichkeit und Ideal zugleich zu sein. Wirklich ist sie als Praktik konstituierender Deutungsschemata, die die Reproduktion kooperativen Handelns grundiert. Ideal als Überschuss an Sinn, der eine kritische Bezugnahme gegenüber der empirischen Praxis ermöglicht. Dieses Konzept immanenter Kritik bindet den kritischen Maßstab an die Existenz von Institutionen und muss diese als erstrebenswerte Wir-Identitäten setzen. Auf das Problem der Idealisierung bin ich im vorherigen Punkt schon eingegangen. Hier möchte ich das Problem der Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit besprechen. Das Wir setzt ein Innen und ein Außen, ein unter das Wir erkennbare und anerkennbare Du und ein fremdes andere, das nicht unter das Wir subsumierbar ist, voraus. Einem Innen, in dem solidarisches Verhalten zwischen den Mitgliedern der Gruppe gefordert und unsolidarisches Verhalten sanktioniert wird, und einem Außen, in dem die identifikatorische Basis für Solidarität wegbricht. Wer ist nun aber das „Wir“ der demokratischen Sittlichkeit? Wer gehört dazu und wer nicht? Honneth verhandelt diese Fragen in seinem letzten Kapitel zur demokratischen Kultur, in der er die Schwierigkeit einer europäischen Einigung, dem Verlust an nationalstaatlicher Souveränität und der fehlenden integrativen europäischen Erzählung, die „vertrauensbildende […] und solidarische […] Anerkennungsbeziehungen“ (ebd., S. 621) fundieren würde. Die Ambivalenz des „Wir“ sieht er insbesondere im Nationalstaatskonzept, das eine Hintergrundkultur solidarischer Wechselseitigkeit ermöglicht hat, aber gleichzeitig eine Totalisierung der Institutionen nach sich gezogen hat. Die Auflösung eines totalisierenden „Wir“ glaubt er nun, in der Erzählung selbst leisten zu können. Das Nar-
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rativ der demokratischen Schicksalsgemeinschaft möchte er aus historischen Ereignissen speisen, die sich im Horizont der Verwirklichung der sozialen Freiheit als Fort- oder Rückschritt lesen ließen. Diese Ereignisse nennt er in Rekurs auf Kant „Geschichtszeichen“ (ebd., S. 623). Hierzu zählt er z.B. die Französische Revolution, die Pariser Kommune oder die Machtergreifung Francos. Die Spezifika dieser Ereignisse sind, dass sie ein kollektives Gedächtnis bzw. einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund geprägt hätten, der mit dem europäischen „Wir“ eng verknüpft sei, und dass ihre Bedeutung nur transnational zu verstehen sei (vgl. ebd., S. 622). Das integrative „Wir“, in dem das „Ich“ sich wiederfinden soll, wäre aus diesem Grund kein nationales, auch kein neutral demokratisch verfasstes, sondern ein transnationales, auf Freiheitsstreben ausgerichtetes „Wir“. Honneth argumentiert an dieser Stelle gegen den Vorschlag Habermas eines Verfassungspatriotismus, nicht weil er der Grundintention einer rationalen Identifizierung mit dem Wert der Würde und der Generalisierung der moralischen Selbstbegrenzung negieren würde, sondern weil er das Medium des Rechts für zu abstrakt betrachtet, um solidarische Beziehungen zu stiften (s. Kap. 2.3.2). Seine Kritik am Recht ist ihre Bindung an einen negativen Freiheitsbegriff und das Fordern eines egologischen Selbst- und Weltverhältnisses gegenseitiger Abgrenzung und Absicherung, das der Vorstellung einer sozialen Wirklichkeit der Responsivität, der wechselseitigen Ermöglichung von Selbstbestimmung und -verwirklichung entgegenstehen würde (vgl. ebd., S. 113). Von traditionalistischen Modellen, die Normen der Authentizität aufrufen und von Vergemeinschaftung sprechen, distanziert sich Honneth ebenso explizit. Dies wird deutlich an seiner Kritik der „Konzeption von Authentizität“ (ebd., S. 78). Sie sei „nicht umfassend genug“ (ebd.) und umklammere „zu wenig das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, als daß sie aus sich heraus eine eigenständige Idee von Gerechtigkeit hervorbringen könnte“ (ebd.). Zudem sei die Entfremdungsfigur einer „diachronen Selbstfindung“ (ebd., S. 67) und die Entdeckung eines eigenen „authentischen Willens“ (ebd.) aufgrund der Einsicht in die soziale Formiertheit des Selbst obsolet geworden. Der kommunitaristische Gedanke der Gemeinschaft als Raum geteilter Aufmerksamkeit und Solidarität möchte er im Kontrast hierzu durch die „auf dem Boden eines derartigen Geschichtsbewußtseins“ (ebd., S. 624) dokumentierten „kollektive[n] Freiheitsstrebungen“ (ebd.) erweitern. Die Haltung des Freiheitsstrebens ist, wenn man so möchte, Honneths archimedischer Punkt, von dem er ausgehend seine Gesellschaftstheorie entwickelt und die Bereitschaft einer moralischen Selbstbegrenzung in Form von Solidarität herleitet. Bedingt durch die Annahme, dass Institutionen von den Teilnehmenden solange aufrechterhalten und reproduziert werden, solange sie ausreichend „Offenheit und Transgressivität“ (ebd., S. 116) aufweisen, um die nachwachsenden
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Ansprüche aus den Praktiken der reflexiven Freiheit zu integrieren, deklariert er die Legitimitätsbedingung als Fundament seiner Institutionentheorie. Bricht diese Responsivität des „Bei-sich-selbst-Sein im Anderen“ (ebd., S. 114) ein oder wird fraglich, entstehen soziale Kämpfe, die bis zur Revolution führen könnten (ebd., S. 116). Sein Ziel ist abstrakten Sprechweisen von Freiheit und Autonomie ein differenzierteres und historisch gesättigtes Freiheitsverständnis entgegenzuhalten, um ein Bewusstsein dessen zu erlangen, was genau unter der „reziproke[n] Abhängigkeit“ (ebd., S. 616) im Horizont der „Verwirklichung der eigensinnigen Freiheit“ (ebd.) und unter Voraussetzung einer „posttraditionellen Sittlichkeit“ (ebd., S. 117 f.) bedeuten könnte. Eben einer demokratischen Sittlichkeit, die auch distanzierte Beziehungskonstellationen von Marktteilnehmerinnen/Marktteilnehmern und von Bürgerinnen/Bürgern in solidarische Kooperationszusammenhänge einbindet, ohne auf nationalistische Solidaritätskonzepte zurückgreifen zu müssen. Dementgegen soll eine „transnationale, engagierte Öffentlichkeit“ (ebd., S. 624) als Integrationsinstanz gesetzt werden. Wenn nun also die Assoziation bzw. das Identitätsprinzip maßgeblicher Orientierungspunkt für Integration bleibt, dann kann der Exkludierungsproblematik eng gefasster Gemeinschaftskonzeptionen nach Honneth nur mit einer Identifizierung begegnet werden, die das negative Moment einer auf Gleichheit und Gerechtigkeit bezogenen Wir-Konstruktion bzw. einer demokratischen Sittlichkeit und entsprechend vermittelten Haltung implementiert. Es bleibt folglich eine relativ fluide Allgemeinheit, deren Offenheit über die sozialen Bewegungen und Kritik gedacht wird und die mit Gerechtigkeitssemantiken durchzogen sei. Fragen der Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit wären hiernach gerechtigkeitsrelevante Punkte von Kritik, die die Partizipationsbedingungen und -möglichkeiten in den Blick nähmen. Schlussendlich versucht Honneth eine Erzählung einer demokratischen, kooperativen und solidarischen Sozialität innerhalb einer inklusiven europäischen Kultur zu entwerfen, die die „Hoffnung“ (ebd.) einer Ausdehnung solidarischer und moralischer Rücksichtnahme mit sich trage. Honneths Gerechtigkeitstheorie ist dabei eine Reaktion auf einen Prozess der Regression, in dem sich die politischen Systeme immer weiter von Prozessen der demokratischen Willensbildung entkoppeln (ebd., S. 607) und sich im Zuge der Globalisierung eine „systematische Privilegierung von wirtschaftlichen Interessen“ (ebd., S. 608) in den institutionalisierten politischen Entscheidungen abzeichnen. Sein Problem ist, dass die „erforderlichen Ressourcen einer gemeinsamen Hintergrundkultur allmählich zu versiegen“ (ebd., S. 609) beginnen und in Anbetracht von Globalisierung und weltweiter Migration sich keine „alternative[n] Quellen der staatsbürgerlichen Solidarität“ (ebd.) abzeichnen würden. Folglich kann das Konzept der demokratischen Sittlichkeit als eine Antwort auf eine zeitdiagnosti-
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sche Krisenwahrnehmung und als ein Versuch, ein inklusives „Wir“ zu denken, verstanden werden. Die Strategien, ein inklusives europäisches „Wir“ zu entwerfen, um den rationalen Gehalt deliberativer Willensbildung und progressiver Errungenschaften im Zuge der Globalisierung zu retten bzw. neu zu denken, können nun auf mehreren Ebenen kritisiert werden. Waldenfels macht auf den relativ simplen Sachverhalt aufmerksam, dass das „inklusive Wir“ (Waldenfels 2015, S. 439) an seinen Rändern in ein „exklusives Wir“ (ebd.) verwandelt wird und nimmt hierbei Bezug auf die Polemik Nietzsches gegen ein Europa als Integrationsinstanz. Er bündelt dies in dem Zitat Nietzsches: „Wir guten Europäer“. Nach Waldenfels wäre es eine Illusion, dass durch ein erweitertes Narrativ die „Integrations- und Bindekraft“ (ebd., S. 432) von nationalstaatlicher Identität auf komplexe Wir-Identitäten überführt werden könnten. Das „Menschheits-Wir“ stelle „für die meisten von uns auf der Landkarte der Emotionen einen weißen Fleck dar […]“ (ebd.). Die moralisch intendierte Ausdehnung des „Wir“ berge darüber hinaus sogar die Gefahr, dass Menschen sich an „ältere Wir-Formen“ (ebd.) klammern, die ihnen „größeren Halt und mehr Wärme versprechen“ (ebd.). Eine transkulturelle Überdehnung eines „Wir“ würde zudem die Gewaltförmigkeit des Souveränitätsglaubens nur noch verschärfen (ebd., S. 441) und das Potenzial haben „Fremdheit in Feindschaft“ umschlagen zu lassen. Weder wäre eindeutig, wer eigentlich zum Wir gehört, noch wer für das Wir sprechen darf und an den Grenzen liegt das Barbarische, das Unvernünftige etc. Zygmunt Bauman formuliert eine ähnliche Kritik, wenn er zu bedenken gibt, dass „keine der derzeit bestehenden politischen Formationen einem genuin kosmopolitischen Maßstab angemessen“ (Bauman 2017, S. 46) seien. Aus seiner Sicht stellen WirIdentitäten, ob Stämme, Imperien, Nationalstaaten oder „Superstaaten“ (ebd.), „unverändert steinzeitlich ein ,Wir‘ gegen ,die anderen‘“ (ebd.) dar. Der Globalisierung von Problemen und Konflikten könnte nicht mehr einfach mit der Ausdehnung von Integrationsinstanzen begegnet werden, weil, hierin sind sich Bauman und Waldenfels einig, die Wir-Referenz in der antagonistischen Struktur verhaftet eine regressive Tendenz habe. Die Krisendiagnose Honneths einer Erosion des sozialen Raums durch die Zunahme an globalen Interdependenzen führe nach Bauman also nicht deswegen zu einer Renaissance nationalstaatlichen Denkens, weil keine andere sinnvermittelnde Wir-Identität symbolisch verfügbar wäre, sondern weil die Denkfigur des „Wir“ als Integrationsinstanz den Individuen eine „Versicherheitlichung“ (ebd., S. 49) verpreche und die Illusion vermittle, das erlebte Chaos zu ordnen und zu normalisieren.
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Neben dieser Problematisierung der Denkfigur der Wir-Identität, kritisiert Albrecht Koschorke in seiner Studie Hegel und wir grundlegend die theoretische Figur der historischen Rekonstruktion in der Tradition Hegels. „Wo das geschichtliche Denken sozusagen bei sich ist, in der Zirkelstruktur der historischkulturellen Reflexivität, zersetzen sich seine Prämissen.“ (Koschorke 2015, S. 187)
In seiner literaturwissenschaftlichen und diskurstheoretischen Analyse von Hegels Begriff der Dialektik und Bildung dekonstruiert er die geschichtsphilosophische Argumentation als eine Form der „Vergangenheitspolitik“ (Koschorke 2015, S. 108). Hierbei verfolgt er die Absicht, die identitätspolitische Verknüpfung symbolischer Bindungskraft einer synthetisierenden Geschichtserzählung und hierauf basierende Solidarität, auf die Unhaltbarkeit seiner metaphysischen Argumentationsstruktur zurückzuführen. Hierbei setzt er sich sowohl kritisch mit dem epistemischen Fundament eines Wir-stiftenden Geschichtsbewusstseins als auch mit der potenziellen Gewaltförmigkeit des hegelianischen Systemzwangs in einheitsbildenden Narrativen auseinander (vgl. ebd., S. 170 ff.). Koschorke richtet sich dabei auch implizit gegen die Methodik Honneths, der ein integrierendes Geschichtsbewusstsein „eine[r] europäische[n] Kultur geteilter Aufmerksamkeit und erweiterter Solidaritäten“ (Honneth 2013a, S. 624) als Horizont einer demokratischen Sittlichkeit setzt. Auch wenn Honneth die historische Kontingenz mit dem Argument der Irreduzibilität des Freiheitswertes in Anschlag bringt, erklärt er doch die Integrationskraft der Institutionen mit ihrer normativen Funktionalität. Im Widerspruch zu dieser normativen Perspektive bringt Korschorke die Vereinheitlichungstendenz eines aufhebenden Narratives vor, das zur Ausblendung seiner Konstruiertheit tendieren würde. Diese rekursiv an Lyotard angelehnte These wird von Koschorke an den Theoriestrategien des Deutschen Idealismus (vgl. ebd., S. 90 ff.) und dezidiert an Hegels Geschichtsphilosophie diskutiert. Hierbei destilliert er zwei Strategien heraus, die essentiell dem Bildungsbegriff Hegels zugrunde lägen. Die erste Strategie ist das „Paradox der Unverfügbarkeit“ (ebd. S. 143) durch ein zeitlich dynamisiertes Subjekt zu lösen. Der petitio prinzipii, der dem Deutschen Idealismus implizit wäre, wenn aus einer historisch bestimmten Subjektivität ein selbsttätiges Subjekt heraustreten soll, werde durch den Entwicklungsbegriff und die „Idee des Fortschritts“ (ebd., S. 92) aufgehoben. Das Subjekt als Unterworfenes und zugleich Autonomes werde in „zwei Zeitformen“ (ebd.) verortet, einer „lineare[n], vektorielle[n] Zeit“ (ebd.) und einer „zyklische[n] Zeit“ (ebd.). In diesem Kontext ließe sich die Behauptung aufstellen, dass das Subjekt zu sich kommt, zu einem „verallgemeinerte[n]
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Ich“ (ebd.). Das „Mysterium des Reflexivpronomens ,sich‘“ (ebd.) könne durch diese zeitliche Zirkularität des Fortschritts auf Prozess und Resultat bezogen werden: das sich bildende und das sich gebildete Subjekt. Die zweite Theoriestrategie, die er insbesondere an Hegels Geschichtsphilosophie verdeutlicht, bezeichnet Korschorke als „Bifokalität“ (ebd., S. 125) von Hegels Erzählweise, die einerseits historisch und andererseits metaphysisch wäre. An diesem Punkt macht er bei Hegel einen „janusköpfigen Übergang“ (ebd.) aus, in dem Hegel aus dem geschichtlichen Denken heraus in die Rolle eines ahistorischen „Chronist[en]“ (ebd., S. 128) trete. Zusammengefasst formuliert Koschorke dies wie folgt: „Alles Wissen, sagt der erste Erzähler, ist geschichtlich- gesellschaftlich produziert und bedingt. Alles Wissen, sagt der zweite Erzähler, ist absolut und ruht in Gott.“ (Ebd., S. 128)
Wenn Koschorkes Argumentation hier auch etwas holzschnittartig anmutet und das Problem der Reflexivität nicht abschließend diskutiert wird, trifft seine Kritik vor allem Hegels staatstheoretische Überlegungen, in dem er dem preußischen Staat eine historische Sakralisierung verleiht. Die problematische Tragweite dieser theoriestrategischen Entscheidung verdeutlicht er in einer historischen Betrachtung des preußischen Staates am Anfang des 18. Jahrhunderts, die eine agrarwirtschaftlich geprägte Gesellschaft mit diversen „alten und neuen Provinzen“ (ebd., S. 172) gewesen sei. Historisch informiert, skizziert Korschorke die hegelianische Idee eines „Staatsorganismus“ (ebd., S. 171) als einen politischen Mythos, der von der „administrativen Elite“ (ebd.) genutzt werden konnte, einen zentralistischen Staat zu legitimieren. Preußen sei im Kontrast zu Hegels holistischer Totalitätsannahme eben ein „heterogenes politisches Gebilde“ (ebd.) gewesen, in der die Reichweite der staatlichen Herrschaft sehr begrenzt gewesen sei. Insofern hätte Hegel eine Staatsideologie und ein nationalkulturelles Narrativ entworfen, das dem preußischen Staat geholfen habe, auch mit dem Mittel „polizeistaatlicher Unterdrückung“ (ebd., S. 178) das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. In der Tradition Adornos kritisiert er an Hegels Einheitserzählung die „falsche Versöhnung [und die] erzwungene Totalität“ (ebd.) und bezieht diese allgemein auf Versuche, politische Bindung und Zugehörigkeit über ein gemeinsames Geschichtsbewusstsein zu generieren. Explizit diskutiert er diese Problematik an Diskussionen um die Einheit Europas und entsprechende einheitsstiftende Narrativen, die eine Einigung hervorbringen sollen. Gegen ein entsprechendes Narrativ entwickelt Koschorke in diesem Zusammenhang vier Argumentationslinien. Erstens würde jeder Versuch einer Verein-
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heitlichung einer gemeinsamen europäischen Geschichte an der Diskontinuität des Historischen scheitern, dass weder etymologisch, namensgeschichtlich, geographisch, kulturell noch von den Gedächtnisbeständen her in einen Zusammenhang gebracht werden könne (vgl. ebd., S. 148-169). Dabei würden in jeder Erzählung Prämissen gesetzt und Entscheidungen bezüglich der Struktur, Ordnung und Zugehörigkeit getroffen, die partikular wären. Konstituiert die attische Demokratie, die Französische Revolution oder die Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts ein gemeinsames Selbstverständnis? Steht Europa in einer christlichen oder in einer christlich-jüdischen Tradition? Gehört die Türkei zu Europa? Wo wird das Zentrum gesetzt, zwischen Frankreich und Deutschland, in der Konstruktion eines protestantischen Nordens und eines katholischen Südens? Hier kündigt sich das zweite Argument der „multiple modernities“ (ebd., S. 208) an, und zwar, dass jede Einheitserzählung in Anbetracht der Uneinheitlichkeit und Diversität Europas fragwürdig sei und sich auch nicht mehr in der Breite verfangen könne. Drittens würden die „kulturellen Folgekomplikationen durch eine Forcierung von europäischer Identität […] deren Vorteile im politischen Geschäft bei Weitem übersteigen“ (ebd., S. 189). Unabhängig vom Ordnungsschema, dass dem Narrativ zugrunde gelegt wird, sei es Religion, Geographie, wissenschaftliche oder politische Kultur, müsse ein ahistorischer Standpunkt gesetzt werden, der potenziell Konflikte befördere. Dies werde insbesondere an dem „militärischen Apparat“ (ebd., S. 197) offensichtlich, der die europäischen Grenzen sichern soll. Mit Waldenfels ließe sich an dieser Stelle fragen, wie der soziale Raum mit der „Wir-Rede“ (Waldenfels 2015, S. 179) konfiguriert wird. Wer sagt in welcher Form, zu wem und vor wem „Wir“? Koschorkes Problem des Monolithischen bezieht Waldenfels auf das inklusive Wir, das die Möglichkeit des Ich-Sagens opfert (vgl. ebd., S. 181) und wodurch Fremdheit in Feindschaft umschlagen kann (vgl. ebd., S. 187). Dieses durch eine epische Erzählung (mit Kämpfen, Helden, Feinden, Opfern und Siegen) erzeugte Gewaltpotenzial steht viertens dem europäischen „Projekt einer Integration ohne Krieg“ (Koschorke 2015, S. 223) entgegen. Die dramaturgische Zuspitzung von Befreiungsnarrativen realisieren antagonistische Strukturen, die im Muster von Gemeinschaft und Opferbereitschaft Souveränitätsvorstellungen verstetigen. Konkludierend lehnt Koschorke eine pathetische Aufladung der real existierenden, politischen und wirtschaftlichen Verdichtung Europas ab, mit dem Kalkül diese administrativ besser regieren zu können. Statt einer weiteren „kollektiven Mythenbildung“ (ebd., S. 206) schlägt er auf der einen Seite pragmatische politische Handlungsmöglichkeiten, wie etwa das Schaffen einer politischen Öffentlichkeit auf europäischer Ebene oder eine zunehmende Verflechtung europäischer Wissenschaft vor. Auf der anderen Seite setzt er der epischen Erzählung eine weniger patheti-
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sche episodische Erzählweise bzw. einen realistischeren „Erzählmodus“ (ebd., S. 220) entgegen, der in keiner Einheit bzw. in keine „Kollektivsingulare“ (ebd., S. 219) mündet. Diese diskontinuierliche, postheroische Erzählweise habe weder einen zentralen Handlungsverlauf, noch eine dichotome, manichäische Struktur oder charismatische Akteurinnen/Akteure, die autonom handeln. An der „ideologische[n] Schwäche“ (ebd., S. 223) eines plurikulturellen und polyzentrischen Europas sieht er im Kontrast zu den Versuchen, eine Gemeinschaftsidee zu formulieren, einen Vorteil Europas, das als ein „weltoffenes, abgrenzungsschwaches, unfertiges Zukunftsprojekt“ (ebd., S. 224) betrachtet und kommuniziert werden könne. Wenn diese kritische Rückfrage nun an Honneth adressiert wird und dessen Theorie danach gefragt wird, ob er eine Vergangenheitspolitik betreibe, in der er das Historische kolonialisiere, und er hierauf fundierend eine Totalisierung der Wir-Sphären einziehe, könne mit Honneth darauf verwiesen werden, dass seine historischen Rekonstruktionen keine einheitlichen Linien aufweisen und mit Brüchen, Rückschritten und verworfenen sozialen Formen angereichert sind. Sie binden die historischen Ereignisse nicht in eine durchgehende Fortschrittsentwicklung einer epischen Erzählung ein, sondern nehmen teilweise den Charakter des Episodischen an. Honneth kommt dabei aber zu einer anderen Einschätzung als Koschorke bezüglich der politischen Handlungssphäre. Die Partikularisierung und Fragmentierung politischer Räume ist für ihn ambivalent. Einerseits erhöhe die Individualisierung Freiheitsräume. Andererseits schließt sie diese aber auch wieder, weil durch die auch von Koschorke diagnostizierte Verdichtung Europas eine hohe Abhängigkeit in der Problembearbeitung entstanden sei. Kritisch betrachtet er hingegen, die Deutungsmuster, die die mögliche Genese eines gemeinsamen und demokratisch vermittelten Problembewusstseins verhindern. Separatistische Bewegungen, nationale Souveränitätsmythen, egologische Ideologien und Immunisierungsstrategien durch die Ausdehnung der Privatheit wären nach Honneth kritikable Phänomene, die jedoch nur dann Gegenstand von Kritik werden können, wenn diese anhand begründeter Normen bewertet werden könnten. Eine Rückfrage an Koschorke seitens Honneth könnte sein, woher er seinen Optimismus nehme, dass wirtschaftliche und politische Ordnungen, ohne zumindest im Kern ein gemeinsames geschichtliches Hintergrundwissen vorauszusetzen, nach demokratischen Prinzipien ausgerichtet würden. Eine politische Willensbildung basiere auf der Bereitschaft jedes teilhabenden Individuums nicht nur die Perspektive des anderen zu übernehmen, sondern den anderen in seiner Andersheit wahrzunehmen, Differenzen zu achten, eigene Ansprüche zu rechtfertigen und politische Entscheidungen mitzutragen. Ein gemeinsamer europäischer Verständigungsraum ließe sich nicht rein technisch einrichten,
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sondern müsste als Praxis eine Relevanz für die Alltagsdiskurse haben. Auch politische Konzepte, die das Unscharfe und das Unfertige pointieren, bedürfen deliberativer Praktiken, da, wie Koschorke es selbst zu bedenken gibt, die rechtliche und wirtschaftliche Sphäre sich als ein engmaschiges Netz über Europa spannt. Ob jedoch die geschichtliche Symbolik einer freiheitlichen Kultur das von Honneth angenommene Integrationspotenzial entfaltet, bleibt auch eine spekulative Frage. Problematisch ist allerdings von der „Europäischen Gemeinschaft“ (Honneth 2013a, S. 611) als einer „Schicksalsgemeinschaft“ (ebd., S. 612) zu sprechen, suggeriert dies doch eine harmonisierende Inklusion aller Bürger/-innen zu einem Wir, das zwar in verschiedene Wir-Formen differenziert ist, welche aber in der demokratischen Sittlichkeit kanalisiert werden. Hiermit wird Honneths Perspektive eigentümlich selbstreferentiell. Insgesamt lässt sich festhalten, dass das doppelte Problem des inklusiven (Anpassungsdruck nach innen) und exklusiven Wir (Ausgrenzung nach außen) in Teilen quer zu Honneths Überlegungen steht. Möglicherweise hilft hier programmatisch die phänomenologische Perspektive Waldenfels, der sowohl die Performativität der „Wir-Rede“ als auch das Spannungsfeld mit und gegen das Fremde im Wir-Sagen in den Blick nimmt. Das Konzept der Responsivität einer ambivalenten Sozialität nach Waldenfels kommt sicherlich auch der Idee einer „zerstreuten Sozialität“ (Koschorke 2015, S. 219) näher, die Koschorke als Charakteristikum der „multiple modernity“ deklariert, zumal Waldenfels mit Levinas eine Ansprechbarkeit expliziert, die darauf abzielt eine Achtsamkeit bzw. eine Sensibilität für das Fremde zu ermöglichen. Das Scheitern von Identifizierung und die Ambivalenz der Fremdheit sind programmatische Aspekte der philosophischen phänomenologischen Anthropologie Waldenfels, die er in seiner letzten Studie der Sozialität und Alterität systematisch diskutiert. Er kritisiert hier das Anerkennerungsparadigma Hegels bezüglich der Ausblendung jeglicher Ambivalenz. Dieses kenne nicht das radikal Fremde bzw. das andere der Vernunft. „[S]obald die Sonne der einen Vernunft ihre Strahlen aussendet“ (Waldenfels 2015, S. 48), leuchten sie jeden Schatten und alles Fremde aus. In Hegels Versöhnungsformel „Ich, das Wir, und Wir, das Ich“ (ebd., S. 47) trete die Identifizierung sich selbstbewusster Subjektive in den Vordergrund und der für Waldenfels Argumentation wesentliche „Spalt […] zwischen Sagen und Gesagtem [und] Tun und Getanem“ (ebd.) werde geschlossen. Hiergegen spreche jedoch, dass das Subjekt seine Äußerung und sein Handeln nie vollständig kontrolliere. Phänomenologisch bleibe die Erfahrung als Selbst- und Fremdaffizierung ein Widerfahrnis, das gerade quer zum intentionalen Subjekt läge und deren hegelianischen Aufhebung den anderen
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zum „Zaungast“ (ebd.) werden lasse und das Nichtidentifizierte zum Problem mache. Die holistische Versöhnung der totalen Identifizierung einer Anerkennung, auf die auch Bedorf aufmerksam macht (vgl. Bedorf 2010, S. 13), verliert den „performativen Charakter, indem es in der Dialektik des Selben und des Anderen zerrieben wird.“ (Waldenfels 2015, S. 48). Schlussendlich übernehme der andere nur die Funktion einer Art „Relaisstation“ (ebd., S. 47), d.h. er oder sie wird für die eigene Selbstverwirklichung vergegenständlicht und instrumentalisiert. Die Sozialität, in der keine scharfe Differenz zwischen der frontalen Sozialität (zwischen Ich und Du) und der lateralen Sozialität (zwischen Ich, Du und Wir) bestehe, sei immer ein Spannungsverhältnis eines „performativen Wir“ (ebd., S. 178), auf das hin Bezug genommen wird, wenn ein Ich einen anderen anspreche. Der signifikante Unterschied läge nun nicht in der Triade der Begegnung, sondern in der Normalisierung eines figurierenden Sprechaktes, der sich im anderen und der Erfahrung der dialektischen Fremdheit brechen kann. Aus dieser Erfahrung in der Begegnung des anderen schließt Waldenfels das Potenzial, den „sozialen Zirkel“ (ebd. S. 72) zu übersteigen und damit Raum für Veränderungen zu schaffen. Mit Waldenfels könnte nun also gegen Honneth eingewendet werden, dass er ein normalisierendes Sozialitätskonzept verwendet, indem der andere unter das Wir subsumiert und gerade die hierin bestehende Quelle für Irritation mit dem Anerkennungsparadigma aufgehoben wird. Der institutionalistische Holismus, der den signifikanten anderen für die Integration instrumentalisiert, erstarre so zu einem formellen „Mitsein“ (ebd., S. 72). Seine Verwendungsweisen von Freiheit und Anerkennung ließen auf dieser Folie ein Bewusstsein für Ambivalenzen vermissen. Fragen der Kolonialisierung, der Interdependenz von europäischem freiheitlichen Selbstverständnis mit Armut insbesondere außerhalb Europas, der Dialektik von Sicherheit und Freiheit und die Grenzregime, die sehr eindeutig zwischen Zugehörigkeit und NichtZugehörigkeit entscheiden usw. werden von ihm nicht oder kaum behandelt. Grundsätzlich müsste bei der Haltung des Freiheitsstrebens gefragt werden, um wessen Freiheit es eigentlich geht. Unabhängig hiervon kann aber auch Waldenfels Kritik am Anerkennungsparadigma daraufhin diskutiert werden, ob die Ausblendung von Ambivalenzen und der Fremdheit generalisiert werden kann, oder ob das Paradigma nicht selbst theoretische Einsätze bietet, die diesen Varianzraum bzw. einen Raum der Unbestimmtheit eröffnen.
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3.4 DIE AMBIVALENTE SOZIALITÄT IN JUDITH BUTLERS ANERKENNUNGSTHEORIE Judith Butler beschäftigt sich im Kontrast zu Waldenfels Kritik mit dem hegelianischen Anerkennungstheorem, um mit diesem Politiken der Identifizierung zu rekonstruieren und Ambivalenzen sichtbar zu machen. Hervorzuheben an Butlers Thematisierungsweise des Anerkennungsbegriffs und dessen pejorativer Struktur, die sie in Anschluss an Foucault und Althusser durchdekliniert, ist eine zweifache Intention ihrer Theoriebildung, die in einer gesellschaftstheoretischen und einer ethischen Dimension zum Ausdruck kommt. Die Programmatik des Theorieansatzes steht dabei in einer Tradition einer machttheoretisch zentrierten kritischen Theorie, die das Integrationsmoment gesellschaftlicher Praktiken in einen vorbewussten und nicht willentlich kontrollierbaren Bereich verortet. Sie setzt hier ähnlich wie Waldenfels mit einer Figur der Passivität bzw. der Ausgesetztheit an, in der das Subjekt eine Art Reaktion bzw. eine sozial vermittelte Figuration der Verinnerlichung ist, dessen Genese sich einer Performanz sozialer Anrufungen verdankt. Gemeinsam ist den Ansätzen, die beide Bezüge zu Levinas, Laplanche, Foucault etc. herstellen, dass sie nicht nur das Ich als eine Art emergentes Phänomen, das aus Unterwerfungszusammenhängen heraustritt, verstehen, sondern auch, dass die Unterwerfungszusammenhänge, den Subjekten nicht bewusst sind und nicht vollständig transparent werden können. Der Entstehungskontext der Subjektivität wird von beiden als nicht transparent, als einem dem Subjekt und seiner scheinbaren Souveränität entzogener Horizont betrachtet. Die daraus folgende Einklammerung des Erkenntnisparadigmas subjektiver Rationalität und individueller Autonomie wird jeweils aber unterschiedlich theoretisch gerahmt (vgl. Butler, S. 7-11). Während Waldenfels die Fremdheit anthropologisch phänomenologisch mit der Idee der Erfahrung als Widerfahrnis und mit der Diastase d.h. der „zweifachen Ungleichzeitigkeit von originärer Vorgängigkeit des Pathischen und originärer Nachträglichkeit des Responsiven“ (Waldenfels 2015, S. 24) erklärt, hebt Butler auf die Praktik der „Anrufung“ bzw. „Interpellation“ (Butler 2002, S. 11) in Rekurs auf Althusser ab, indem eine ähnlich temporal paradoxale Argumentationsfigur Anwendung findet. Beide versuchen mit dem Begriff der Performativität das Subjekt im Sinne eines selbstbewussten und -kontrollierenden Ichs in seiner Ambivalenz zu verstehen und die Vereinheitlichungstendenz der Ich-Identität zu problematisieren. Waldenfels setzt hierfür an einem spannungsvollen Verhältnis von Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit sozialer Begegnungen an, die die Grundlage für seine Theorie von „sozialen Hyperphänomenen“ (Waldenfels 2015, S. 72) bildet, zu denen er die Gabe, die Gastlichkeit, die Stellvertretung, das Vertrauen und die Gewalt
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zählt. Butler beleuchtet dem Gegenüber vor allem Herrschaftsverhältnisse nach der Relation zwischen Unterwerfung und Beherrschung. Unterwerfung und Beherrschung sind zwei Begriffe, die Butler im Kontext ihres Machttheorems diskutiert. Wesentlich ist für den Machtbegriff Butlers, dass sie ihn aus einem interaktionistischen und handlungstheoretischen Theoriezusammenhang herauszulösen und mit Foucault in eine Subjektivationstheorie zu überführen versucht. Wesentlich für diesen Machtbegriff ist, dass er (1) nicht mit Repression gleichgesetzt werden kann, (2) dass er als produktives Verhältnis gedacht werden kann, (3) dass er nicht im Gegensatz zum subjektiven Willen steht, sondern (4) diesen erst hervorbringt und (5) daraus folgend das Verhältnis von innen und außen sozial konstituiert sei (vgl. Butler 2001, 7-11). Sie wendet sich insbesondere mit dem letzten Punkt gegen die für den Machtbegriff elementare Setzung von zwei Willenssubjekten, in der ein Verhältnis von Unterwerfung und Beherrschung entsteht. Theoretische Konstruktionen, die Machtverhältnisse in einer instrumentellen Zweck-Mittel-Relation interpersonell konfigurieren, bleiben aus Ihrer Sicht dem modernen Paradigma der Subjektivität verhaftet und müssten Subjekte sozialontologisch präskribieren. Mit der Neuformulierung des Machtbegriffs möchte sie hingegen die „Subjektbildung“ (Butler 2001, S. 33) selbst als einen sozial vermittelten Prozess fokussieren. Das zentrale Problem des Begriffs der Subjektbildung, an dem sich Butler nun theoretisch abarbeitet, ist die paradoxe „Simultaneität“ (ebd., S. 110) der Subjektivation. Hierunter fasst sie einen Widerspruch zweier Prämissen, die zugleich angenommen werden müssen, um vom Subjekt sprechen zu können. Die erste Prämisse ist, dass die Unterwerfung des Subjekts unter Normen die Bedingung für dessen Handlungsfähigkeit ist. Die zweite Prämisse ist, dass die Handlungsfähigkeit Bedingung für die Unterwerfung ist. Das Paradox bewegt sich folglich um die Freiheit des Willensaktes, der nicht ungebunden gedacht werden kann, aber gleichzeitig als solcher angenommen werden muss, um die Differenz des Subjekts, als handelndes, vom Objekt, als unterworfenes, tätigen zu können. Mit diesem Paradox greift sie ein Subjekttheorem auf, dass Autonomie dem Deutungsschema einer negativen Freiheit, einer losgelösten Subjektivität entnommen ist, dessen Spezifikum im individuellen Willensakt liegt, der nur unter der Bedingung einer Selbstidentifizierung als eigener wahrgenommen werden kann. Die verschiedensten handlungstheoretischen und ethischen Konzeptionen entwerfen hierauf aufbauend Argumentationen zur Willensfreiheit und zum Status individueller Entscheidungen. Auch Honneths Anerkennungstheorem und dessen Sittlichkeitskonzeption sind in einer entsprechenden Tradition zu lesen, die die Legitimation politisch praktischer Entscheidungen und Prozesse an die Ermöglichung von Freiheit knüpft (s. Kap. 2.3.1). Butler unterläuft aber nun das
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Argument der freiwilligen Zustimmung, indem sie dem Diktum der Freiwilligkeit eine vorausgängige Unterwerfung unterstellt. Die Unterwerfung wird hier aber nicht als Manipulation oder ideologische Gesellschaftsstruktur gedeutet, deren Entlarvung eine Befreiung verspräche. Sie geht eben nicht davon aus, dass die Unterwerfung unter Normen durch eine nicht ausreichend informierte oder desinformierte Entscheidungsfindung vollzogen werde (vgl. Butler 2001, S. 1622). Die Asymmetrie kann ihr nach nicht kontraktualistisch auf der Grundlage einer zumindest hypothetischen und unter der Bedingung hinreichender Informiertheit oder Informationsmöglichkeit erfolgten Zustimmung aller von einer normativen Ordnung betroffenen Personen aufgelöst werden. Die Identifizierung von subjektivem und allgemeinem Willen ist weder im prospektiven noch im retrospektiven Sinne Zielpunkt ihrer Argumentation. Die Paradoxie ist genauso wenig gesellschaftskritisch im Sinne einer Kenntlichmachung eines „schlechten Allgemeinen“, eines verzerrten Diskurses oder einer unfreien Einrichtung von Institutionen gedacht, die Haltungen hervorbringen, die eigentlich nicht im Interesse der Akteurinnen/Akteure sein können. Dieser kritische Ansatz würde auf eine qualitative Differenzierung verschiedener Gesellschaftsformen und politischer Systeme hinauslaufen. Einen solchen legitimationsbedürftigen Blickwinkel möchte Sie jedoch nicht einnehmen (vgl. Butler 2013, S. 221 f.). Keiner Erzählung, keiner Wir-Sphäre könnte ein privilegierter Status im Widerstreit gegen andere eingeräumt werden. Entscheidbarkeit hieße, Lebensformen bestimmen zu können, für deren Generalisierung Gründe angegeben werden könnten. Dem Subjekt als einzelner Akteur/einzelne Akteurin, als Gruppe oder als Staat kann innerhalb Butlers Theorie jedoch keine Position zugewiesen werden, von der aus eine letzte Begründung getätigt werden könnte. Das Geben und Nehmen von Argumenten kann somit auch nicht mehr ohne Weiteres an den Semantiken der Überzeugung anknüpfen, ohne strategische, dezisive und rational nicht begründbare Momente vorauszusetzen. Die Unmöglichkeit einer Erzählung eines kohärenten autonomen Subjekts ist für Butler schon deswegen unhinterfragbar, weil das „Entstehungsszenario“ (Butler 2001, S. 24) der sozialen Existenz und des Handelns nie vollständig nachvollziehbar wäre. Diese Intransparenz schränkt die Verantwortung demnach immer auch ein, weswegen Sie diesen Begriff aus einem subjektivistischen kantianischen Paradigma lösen will (vgl. ebd., S. 22; S. 111 ff.). Die Annahme der Unterwerfung ist hieraus folgend für Butler keine Komplikation eines individuellen Defizits noch einer kritikwürdigen Einrichtung der Gesellschaft. Sie ist wesentlich grundsätzlicher sozialontologisch als eine Konstante von Vergesellschaftungsprozessen und einer Bedingung von Subjektbildung gedacht. Trotzdem ist hier noch unklar, was Butler meint, wenn sie von
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Unterwerfung spricht. Wer unterwirft sich vor wem oder vor was? Ist Unterwerfung eine spezifische Praktik oder eine allgemeine Eigenschaft einer Praxistheorie? Was heißt es eigentlich, dass Beherrschung nicht in einen Kontrast zur Unterwerfung gesetzt werden kann? Lassen sich möglicherweise unterschiedliche Formen der Unterwerfung differenzieren und qualitative Differenzen rekonstruieren? Die Frage nach dem Wer der Unterwerfung kann als ein Grundproblem von Butlers Theoriebildung gelesen werden. Dies betrifft das Theorem der Verinnerlichung normativer Ordnungen. Die besondere Spannung in Butlers Subjektivationstheorie ist nämlich der volitionale Aspekt des reflexiven Selbstbezuges, der affirmativ oder negierend sein kann. Verkörperungs- bzw. Habitustheoreme weisen hier eine unüberbrückte Leerstelle zwischen der Mimese von Normen und der Selbstreflexion auf. Die Subjektivation besagt nicht nur, dass Menschen gesellschaftliche Regeln praktizieren, sondern auch, dass innerhalb des Praktizierens eine Identifizierung mit den Normen stattfindet und diese als eine Form der Selbstbestimmung erfahren wird. Der Akteur/die Akteurin handelt nicht nur als jemand im Verhältnis von Rollenerwartungen, die er innerhalb einer singulären Identität ausbalancieren muss. Als Subjekt handelt er als ein transtemporales Ich, das jede Handlung begleitet. Die Erklärung der Habitualisierung im Sinne Bourdieus wäre hier nur eine Verlegenheitslösung eines tiefergreifenden Problems, und zwar dem Rätsel einer nicht intentionalen Selbstunterwerfung. Ihr Versuch einer Antwort basiert auf einer theoretischen Verzahnung von Machttheorie und Psychoanalyse. Ihre Frage hierzu lautet: „Welche psychische Form nimmt die Macht an?“ (ebd., S. 8), wobei sie mit dieser Frage schon einen anderen Performativitätsbegriff und Normativitätsbegriff andeutet, indem das Innen der Psyche und das Außen der Macht ineinander verschoben werden. Sozialisationstheorien in der Tradition von Parsons, Durkheim, Mead, Habermas beschreiben den Lernprozess von Regeln als ein Internalisierungsgeschehen, in dessen Verlauf die menschliche Psyche durch die Teilhabe an sozialen Interaktionsordnungen und Diskursen geformt wird (vgl. Grundmann 2011). Der symbolische Interaktionismus nach Mead rationalisiert diesen Zusammenhang mit einer über die Perspektivübernahme vermittelten Verallgemeinerungsbewegung zu generalisierten Normen und Rollenerwartungen (vgl. Mead 1973, S. 216221). Gegen diese Repräsentationstheorie wendet Butler ein, dass Normen keine mechanischen Regelsätze seien, die psychisch verinnerlicht werden müssten, sondern dass Normen selbst ein psychisches Phänomen seien (vgl. Butler 2001, S. 24). „Ich vertrete die Auffassung, daß dieser Prozeß der Verinnerlichung der Psyche die Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Leben bewirkt, womit wir eine Unterscheidung
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zwischen dem Psychischen und dem Sozialen gewinnen, die sich deutlich von Erklärung der psychischen Verinnerlichung von Normen unterscheidet. Da Normen zudem nicht mechanisch und nicht auf durchweg vorhersagbare Weise verinnerlicht werden – nimmt die Norm als psychisches Phänomen einen anderen Charakter an?“ (Ebd., S. 24)
Diese Verlagerung hat zur Konsequenz, dass es eben kein präsoziales Ich gibt, das sich zu äußeren Normen wie etwa Rollenerwartungen verhalten muss, sondern dass das Ich selbst ein Machteffekt ist. Bezogen auf einen politischen Akteur/eine politische Akteurin hieße dies, dass die Identifizierung mit einer normativen Ordnung zur Existenzbedingung des Ichs wird. Bsp. 1: Die Person als rechtliches Subjekt, fordert sein Recht auf Eigentum ein, weil das Eigentumsrecht sein Selbstverständnis ausmacht. Ohne die Eigentumsordnung verlöre das Subjekt seine selbstbezügliche Referenz. Bsp. 2: Eine Person als ökonomisches Subjekt generiert in Konkurrenz zu anderen durch die Optimierung der Arbeitsabläufe einen höheren Gewinn. Ähnlich wie auch Honneth geht Butler nicht von einer egologischen Verhaltensdisposition aus, sondern von einer Figuration des Selbstverständnisses durch die diskursiven Ordnungen. Bsp. 3: Eine Person sucht als heterosexueller Mann eine Partnerin, um eine Beziehung mit dieser zu führen. Bedingung für diese Suche ist ein heteronormatives Deutungsmuster, Diskurse der Paarbeziehung, der Monogamie usw. Auch hier münden nach Butler die normativen Ordnungen in keinen Rollenerwartungen, sondern in Subjektpositionen, die durch Diskurse bedingt sind. Der Willensbegriff ist in diesen Beispielen historisch kontingent gedacht, das Subjekt als Figuration ohne „ontologischen Anspruch“ (ebd., S. 68). Mit den Diskursen sind dabei Rationalitätsformen verknüpft, deren Realisierung Selbstbezugnahmen fordern. Die Eigentumsordnung setzt einen abstrakten Personenbegriff und die Annahme einer Zurechnungsfähigkeit voraus, die Ökonomie ein selbstinteressiertes und kalkulierendes Subjekt, die Partnerschaft Sexualitätsdiskurse. Institutionalisierungsprozesse können mit Butler als prozessierende Diskursdispositive gedacht werden, die im Modus der Selbstidentität praktiziert werden. Für Butler ist das Subjekt nämlich nicht nur unterworfen, sondern auch produktiv. „Wenn das Subjekt weder durch die Macht voll determiniert ist noch seinerseits vollständig die Macht determiniert (sondern immer beides zum Teil), dann geht das Subjekt über die Logik der Widerspruchsfreiheit hinaus, es ist gleichsam ein Auswuchs, ein Überschuß der Logik.“ (Butler 2001, S. 22)
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Die Formulierung „Überschuß der Logik“ nimmt den Widerspruch des freien Willensaktes des Subjektes wieder auf und deutet darauf hin, dass ein komplexeres Denkmodell entwickelt werden muss, um die Dichotomie von Freiheit und Determinismus zu überwinden. Das Modell, das sie hierfür heranzieht, ist die Konzeption der Althusserschen Interpellation, welches sie mit Anrufung und Adressierung übersetzt (vgl. ebd., S. 101). In diesem verschmelzen verschiedene theoretische Motive in eine phänomenologisch argumentierte Praktik der Identifizierung. Hier kommen die Begriffe des Begehrens, des Gewissens, der Subjektivation und der Möglichkeit der Iterabilität zusammen. Althussers nur vordergründige dyadische Rufsituation, in der ein Polizist einen Passanten ruft und dieser sich aufgrund dieser Aufforderung umwendet, nimmt den argumentativen Modus ein, die Figuration der Subjektivität als eine situative verstehen zu können und diese an den Begriff der Schuld zu koppeln. Die Umwendung des aufgeforderten Subjekts bildet den Kern der Argumentation zur Subjektbildung, da in dieser Handlung eine wechselseitige, aber asymmetrische und notwendig verkennende Anerkennung stattfindet. Der Polizist adressiert das angerufene Individuum als Staatsbürger/-in und macht es mit diesem performativen Sprechakt zu einem zurechnungsfähigen und haftbaren Subjekt. Das sich umwendende Individuum erkennt sich in dem rechtlichen Subjekt wieder und das Gesetz – verkörpert durch den Polizisten – an. Ein Selbstverhältnis entsteht, indem es sich als schuldfähiges Subjekt widerfährt, dessen Schuld es gegenüber dem Polizisten ist, sich zu ihm zu wenden und sich mit „Hier bin ich“ (ebd., S. 101) zu identifizieren. Dieses bildungstheoretisch von Platon bekannte Paradigma der Umwendung im Sinne einer bildenden Periagoge ist bekanntlich auch mit einem Gewaltakt verbunden, der sich durch eine Höherbildung als Befreiung rechtfertigt (hierzu: Kauder 2001). Die Anrufung nimmt ihren Ausgang nicht in einem höheren geistigen Bewusstsein, sondern in einem vom Gesetz vermittelten Gewissen, dass das Ich als selbstreflexives Ich einsetzt. Außerdem zerrt der Polizist den „Höhlenmenschen“ nicht um, sondern das Individuum wendet sich selbst um und unterwirft sich diesem. Das Paradox, mit dem Butler an dieser Stelle arbeitet, ist das der Subjektwerdung im Moment der Anrufung, in der Umwendung von Subjektivität geprägt ist. In diesem Sinne formuliert sie die Formierung des Subjekts wie folgt: „Eine auf das Subjekt ausgeübte Macht, ist die Unterwerfung doch eine vom Subjekt angenommene Macht, eine Annahme, die das Instrument des Werdens dieses Subjekts ausmacht.“ (Ebd., S. 16)
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Das Annehmen der Macht expliziert Butler mit dem psychoanalytischen Begriff des Begehrens, des „leidenschaftlichen Verhaftetseins“ (ebd., S. 121) oder der Begierde und greift in Folge den von Freud geprägten Begriff der Melancholie als Symptom der notwendigen Bedingung der Verkennung durch die Anerkennung auf. Das Begehren wurde bis in die Moderne als ein körperlicher Zwang betrachtet, der quasi natürlich unser Handeln determiniert, sofern die Menschen sich nicht negieren, indem sie sich selbstdisziplinieren. Hobbes setzte die Begierden als motivationales Fundament des Menschen, dessen Selbstdisziplinierung und Negation der Willkürfreiheit nur vor dem Hintergrund eines mächtigen Souveräns zu erwarten wäre, der mit den Mitteln eines sanktionierenden Rechts Sicherheit gewährleisten und das Sicherheitsbegehren und die Angst vor der potenziellen Gewalt für die Herstellung von Frieden nutzen soll (vgl. Hobbes 1651/2011, S. 162 ff.). Rousseau hat als erstes das Begehren in einem sozialkontextuellen Zusammenhang gedacht, da er mit der Idee einer „amour propre“ (s. Kap. 2.1) das Verlangen nach Ehre in gesellschaftliche Konkurrenzordnungen verortet und setzt dieser Selbstliebe eine Selbstbestimmung entgegen, eine natürliche Genügsamkeit in der bearbeitenden Auseinandersetzung mit den universalen Gesetzen der Natur. Die Gewinnung einer menschlichen Freiheit, die darin liegt nicht mehr zu wollen als es das Können erlaubt, bildet die Haltung, allgemeine Gesetze zu akzeptieren und sich diesen entsprechend zu disziplinieren. Kant näherte sich mit dem kategorischen Imperativ dem Naturgesetzargument an, dachte die Autonomie als Selbstgesetzgebung vom „Faktum der reinen Vernunft“ (KpV, S. 142) ausgehend gegen das natürliche Sein des Menschen, wobei er mit Natur nicht das Ideal eines natürlichen kulturfernen Zustands, sondern den ausgedehnten Raum, der durch die Naturgesetze bestimmt ist, gefasst hat (vgl. KrV, § 26). Die Selbstgesetzgebung ist hier negativ gegen den Körper gewendet und diese Rigidität der Autonomie ist die argumentative Kontrastfolie gegen die Butler sich mit Nietzsches Kritik des Moralismus des modernen Subjekts wendet (vgl. Butler 2001, S. 70-76; S. 175). Sie rekonstruiert hier, dass die Kategorie des Gewissens als vernunftgeleitete und moralische Selbstdisziplinierungsinstanz von Nietzsche in der Dialektik als Selbstunterwerfung gedacht wird. Das Gesetz in Form des Verbots nimmt die Form einer Gewalt an, die sich im reflexiven Selbstbezug exekutiert. Hegel hat ebenfalls das sich selbstbegrenzende Subjekt als Ziel seiner Theorie verstanden, wollte aber diese Dualität von Vernunft und Natur, Geist und Körper nicht akzeptieren und skizziert die Selbstdisziplinierung, die er teleologisch als ersten wesentlichen Schritt im Bildungsprozess denkt, als institutionalisierte Kulturtechnik, die qua Teilnahme an den sittlichen Sphären erlernt wird (vgl. PhG, S. 116 ff.; s. Kap. 1). Man könnte auch sagen, dass die Disziplinierung immer nur eine vorweggenommene Selbstge-
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setzgebung ist. Diese sozial vermittelte konjunktivische Subjektkonstruktion Hegels (die Subjektivität ist das Versprechen des in die Zukunft projizierten Bildungsprozesses, der im Staat und nicht im Individuum seine Verwirklichung findet) und die Gewissenskritik Nietzsches erhellen Butlers Ausgangspunkt für Ihren Begehrensbegriff. Butler verkoppelt nämlich vor diesem philosophischen Diskurshintergrund das Begehren mit der Dialektik des Verbots und der Ambivalenz des Körpers. Mit Foucault argumentiert Sie, dass es keinen vorgängigen begehrenden Körper gibt (vgl. Butler 2001, S. 88 ff.). Das Begehren entstehe mit dem Verbot, das der Normativität der Identifizierung eingeschrieben sei. Butler denkt Normativität im Kontext des Autonomiebegriffes gesetzesförmig und setzt an einer dialektischen Struktur von Gesetzen an. Dialektisch hieran ist, dass die Begrenzung eine normalisierende Grenze markiert, von ein- und ausgeschlossenen Handlungsmöglichkeiten bzw. von ein- und ausgeschlossenen Existenzweisen. Nach der Performativitätstheorie Butlers bringt das Gesetz, die Regel bzw. die Norm das ausgeschlossene andere überhaupt erst hervor und macht es zum Gegenstand des Begehrens. Die normalisierende Wirkung des Gesetzes, dessen was begehrt werden darf, löst aus Butlers Perspektive das Begehren der Selbstreglementierung aus. Durch diesen Diskurseffekt werde das Begehren und auch der Körper verdoppelt (vgl. Butler 2001, S. 63 f.). Es entstehe ein Begehren, anerkennungswürdig zu sein, eine soziale Existenz zu erhalten und die selbstreflexive Handlungsfähigkeit zu begehren, die ein Begehren im Rahmen des sozial erlaubten ermöglicht und ein Begehren des Begehrens des Verbotenen, des Nicht-Erlaubten oder des Pathologisierten. In Rekurs auf Hegels Begriff der „Eigensinnigkeit“ (ebd., S. 58) und zu Foucaults Körperbegriff thematisiert Butler diese „dialektische Umkehrung“ (ebd.), indem ein sich selbst reglementierender Köper in seinem eigensinnigen Verhaftetsein in der Unterdrückung eingeflochten ist und zugleich auch Ort des Widerständigen sein kann. Die „Interpellation“ nach Althusser bildet meiner Interpretation nach die metaphorische Brücke einer situativen Assoziation, die den Prozess der Verkörperung subjektiver Selbstreflexion initiiert. Ihre eigentümliche Produktivität erhält sie durch eine metabolische Differenzierungssystematik, da sie das Ich, das Du, das Wir und das andere im Moment der Anrede setzt, durch die identifizierende Normativität des Sprechaktes zur Subjektivation auffordert und aufgrund der Dialektik des Verbots Existenzweisen ausschließt. Anerkennung als Erkennung ist das Erkennen des sozial vermittelten Subjekts, das sein Handeln nach den normativen Erwartungen ausrichtet und die Normen als seine zu verkörpern versucht. Zugleich ist die Anerkennung innerhalb dieses Subjektivationstheorems verkennend gegenüber dem Nichtidentischen, dass es nicht zu erkennen vermag.
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Bevor jedoch der Ort des Widerständigen in Butlers Konzeption genauer betrachtet wird, ist noch die Struktur der Psyche als solche zu klären. Wieso erhält das Ausgeschlossene, Nichtidentische bzw. Pathologisierte überhaupt eine Bedeutung? Butler bietet hierfür zwei Erklärungsmuster an, (1) eine primäre kindliche Unterordnung und (2) die Melancholie. Es ließe sich gegen Butler nämlich einwenden, dass das Anrufen einer Person nicht wie ein göttlicher Schöpfungsakt verstanden werden könne. Die adressierte Person wird nicht erst im Moment der Anrufung zu jemand, sie wird als jemand angerufen. Weiter ließe sich argumentieren, dass mit jeder Interaktion im sozialen Raum auch Veränderungen der Selbstverhältnisse der beteiligten Personen verbunden wären und dass aber ein vorgängiges Individuum, das angesprochen werden kann, die Voraussetzung für das Ansprechen überhaupt sei. Daraus würde folgen, dass es eine Art ursprüngliches Individuum gäbe. In der Vorwegnahme dieses Arguments entwirft sie eine Art Gründungsmoment der Unterwerfung beim Kind, dessen ursprüngliche „Leidenschaft“ (ebd., S. 12) bzw. relativ ungerichtete „Liebe“ (ebd., S. 13) und dessen „Überlebenswunsch“ (ebd., S. 13) zur Bindung an und Unterwerfung unter diejenigen zwingt, die diesem die Existenz ermöglichen. Butler geht also davon aus, dass das Kind in seiner primären Abhängigkeit von Personen Bindungen eingeht und sich mit den Normen zu identifiziert (Bsp.: als Mädchen oder als Junge) und diese zu inszenieren lernt, um anerkennungswürdig zu sein. Dieses Verhalten fundiert nach Butler nun nicht auf einer bewussten Entscheidung, sondern ist Konsequenz des Bindungsverhaltens. Butler formuliert dies wie folgt: „Das Kind weiß nicht, woran es sich bindet, aber es muß sich binden, um überhaupt und um als es selbst weiterzuleben. Ohne Abhängigkeit ausgebildete Bindung kann kein Subjekt entstehen, aber ebensowenig kann irgendein Subjekt sich leisten, dies im Verlauf seiner Formierung vollständig zu ,sehen’. Das Verhaftetsein in seinen ursprünglichen Formen muß sowohl entstehen wie verleugnet werden, seine Entstehung muß seine teilweise Verleugnung sein, soll es überhaupt zur Subjektwerdung kommen.“ (Ebd.)
Mit dieser präsubjektiven Bindung als Voraussetzung für das Subjekt entsteht ihrer Argumentation entsprechend eine psychische Struktur von einem Innen, welches wiederum in Bewusstes und Unbewusstes gespalten ist. Die Verleugnung einer bedingungslosen Unterwerfung als Grundlage der eigenen Existenz kann für Butler vom Individuum nun nicht einfach hinterfragt werden, da sie einerseits mit der Gefährdung der eigenen Existenz verbunden sei. Die Katego-
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rien, Namen6 und Begriffe, mit denen das Kind adressiert wurde, begründen das Selbstverständnis des Heranwachsenden, das sich hieraus zu verstehen lernt. Andererseits wird dieses Unbewusste der eigenen Entstehungsbedingungen durch eine basale Beschämung verhindert, die sich beim Erwachsenen einstellen würde, wenn dieser die primäre Bindung hinterfragen würde. „Daraus erklärt sich ein Stück weit die Beschämung des Erwachsenen in der Konfrontation mit seinen frühesten Liebesobjekten – Eltern, Kindermädchen, Geschwistern usw. –, das Gefühl einer nachträglichen Beschämung, wenn man sich sagt: ,Einen solchen Menschen kann ich doch unmöglich geliebt haben!‘ Diese Äußerung räumt genau das ein, was sie verleugnet, indem sie das ,Ich‘ an das Ausgeschlossene bindet, das in nichts als dieser entschlossenen Vorstellung gründet. Das ,Ich‘ wird somit in seinen Grundlagen bedroht vom Gespenst der Wiederkehr dieser (unmöglichen) Liebe und bleibt dazu verurteilt, diese Liebe unbewußt zu wiederholen, den Skandal, diese Unmöglichkeit, immer wieder neu zu durchleben und von sich wegzuschieben, den Skandal, der das ,Ich‘-Gefühl bedroht.“ (Ebd., S. 13 f.)
Diese Präskription Butlers ist nun in mehrfacher Hinsicht problematisch. Nicht nur, dass Sie universalisiert, dass alle Menschen Scham in Anbetracht ihrer Primärbeziehungen empfinden und deswegen nicht ihre Identität hinterfragen würden, sondern auch in der Hinsicht, dass das Argument persuasiv und suggestiv vorgetragen wird. Auffallend ist die Exklamation, „Einen solchen Menschen kann ich doch unmöglich geliebt haben!“, in der ein unbestimmtes Ich retrospektiv sein Unverständnis seiner vergangenen „Liebe“ gegenüber „Menschen“ ausspricht und in dieser Vergegenwärtigung Scham verspürt. Die doppelte Perfektbildung vermittelt den Eindruck gesprochener Sprache. Wer allerdings spricht, wird nur deutlich, wenn die Nominalphrase „die Beschämung des Erwachsenen“ hinzukommt. Wird berücksichtigt, dass Butler allgemein von „Subjektwerdung“ (ebd.) spricht, dann spricht das Ich für jeden Erwachsenen, der, wenn er sein Leben biografisch erzählt, diesen Ausruf nachempfände und sich mit der ablehnenden Haltung identifizieren könne. Sie positioniert die lesende Person nicht in eine distanzierte reflexive Haltung, aus der heraus diese über die Plausibilität der Annahme urteilen könnte, sondern macht diese performativ zum Zeugen der
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Einen Erfahrungsbericht, der nachzeichnet, was es bedeuten kann, benannt zu werden, bietet Ibon Zubiaur mit seiner Studie Wie man Baske wird von 2015, in dem er die Mikrostruktur einer sich selbst überhöhenden und gleichzeitig im Konstruktionsprozess begriffenen nationalistischen Kultur der „Basken“ aus einer exilierten Binnenperspektive heraus beschreibt.
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angenommenen Scham. Die Suggestion wird zudem durch den Gebrauch des Verbs „verurteilt“ und dem emotional konnotierten Begriff des Skandals verstärkt. Verurteilt ist in Verbindung mit dem Futur I und der Prädikativphrase „vom Gespenst der Wiederkehr“ zu einem unausweichlichen Schicksal, dass nicht endend mit der Existenz verbunden ist. Der „Skandal“ der Beschämung kann nicht überwunden werden und bedroht die Ich-Grenzen bzw. das Gefühl der Einheit eines Ichs unmittelbar. Ausgestattet mit dem Pathos psychoanalytischer Informiertheit und der tragenden Emphase des Skandals entwickelt sie das Theorem der „traumatischen Wiederholung“ (ebd., S. 14), die unbewusst die „eigene Auflösung“ (ebd.) indiziert und deren „durchleben“ (ebd.) „mit dem schrecklichsten Leid“ (ebd.) verkoppelt sei. Das Leid steht in Korrelation mit der Gewalt der Identifizierung, die sie auch als „ethische Gewalt“ (Butler 2007, S. 7) bezeichnet. In Anbetracht der Bedeutung dieses Unbewusstseins-Theorems für Butlers Subjektivierungstheorie und der existenzbedrohlichen (Un-)möglichkeit von Widerständigkeit kann es verwundern, dass sie auf diese suggestive Rhetorik zurückgreift. Es ist eine Argumentation des universellen Verdachts gegen diejenigen, die sich nicht mit der Exklamation (s. o.) identifizieren können. Diese, so ließe sich argumentieren, wären sich ihrer biografischen Erfahrungen noch nicht im ausreichenden Maße bewusst. Die Konsequenz wäre zudem eine „neurotische Wiederholung“ (Butler 2001, S. 14), die in einer Aufrechterhaltung des Subjekts als „Sperre“ (ebd.) gegen das „Begehren“ (ebd.) wirken würde, welches aber gleichzeitig die Zentrierung des Ichs aufzulösen drohe. Diese paradoxale Denkfigur, die ohne Irrtumsmöglichkeit daherkommt, nimmt in der Theoriearchitektur die Funktion an, das Konzept der Melancholie zu fundieren. An dieser Stelle lasse ich den Faden des kritischen Einspruchs gegen Butlers Schamtheorie liegen, um das Melancholietheorem näher zu betrachten. Butler geht davon aus, dass mit der primären Unterwerfung ein reflexives Ich und auch ein Wir induziert wird, nach dessen Normen es sich auszurichten hat, um anerkennungswürdig zu sein. In Anlehnung an Freud wird diese Subjektivierung begleitet durch einen „Masochismus“ (ebd., S. 61) im Sinne einer an Schuld anhaftenden Selbstdisziplinierung. Dieser Selbstverdinglichungsprozess eines sich selbst reglementierenden Ichs leitet Butler nun über die Dialektik des Verbots und die Abhängigkeitsstruktur der Liebe her. Das Argument ließe sich nun wie folgt formulieren: Die kindliche Liebe wird durch die Normen, über die es ein sich selbst disziplinierendes Selbstverständnis entwickelt, auf sein Ich gelenkt, eine narzisstische und reglementierende Selbstbezüglichkeit entsteht. Die Prämisse hierfür ist die Ausbeutbarkeit der kindlichen Liebe, aufgrund dessen Überlebenswunschs. Zugleich richtet sich die Liebe aufgrund der Dialektik des Verbots auf das Objekt, das es nicht begehren darf, aber als Objekt des Be-
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gehrens erhalten bleibt. Butler diskutiert dies an dem Beispiel der Homosexualität in Anschluss an Freud und Foucault (vgl. ebd., S. 78). Das Paradoxon ist, dass das Objekt des Verbots sowohl erhalten bleibt, als auch als Verlust erfahren wird, im Sinne einer negierten Existenzweise. Melancholie ist die Trauer, die mit diesem Verlust einhergeht, und die Unterwerfung als Entstehung des Ichs markiert (vgl. ebd., S. 163). Das Problem und die „Ambivalenz“ (ebd., S. 158) der Melancholie bestehe nun darin, dass diese zwar auf den Verlust hinweist, dem das Subjekt nicht betrauern dürfe und sich ein „unbewußte[r] Glaube einsetze, das Ich könne den erlittenen Verlust ausgleichen“ (ebd., S. 159). Hieraus folgt für Butler eine Art doppelte Aggressivitätsstruktur, auf der einen Seite ein negativer Narzissmus, der über die richtende Instanz des Gewissens sich selbst bestraft, und auf anderen Seite die Negation des Verlusts, an den das Ich melancholisch gebunden sei und die Trauer in Wut bzw. Zorn wandeln würde (vgl. ebd., S. 168). Diese ambivalente und sadismusförmige Gewalt, die das Subjekt gegen sich selbst und gegen das Ausgeschlossene richtet, ist die Konsequenz dieser Entfremdungsbewegung, an deren Anfang die soziale Norm oder der Entzug bzw. der Verlust zu stehen scheint (vgl. ebd., S. 174 f.). Butler bezeichnet die hierauf bezogene Melancholie auch als „entzogene Aufhebung“ (ebd., S. 165) in Rekurs auf Hegels Aufhebungsparadigma, Aufhebung als „Suspendierung, Bewahrung und Überwindung“ (ebd., S. 164). Die „Liebe“ überwindet den Verlust durch die „Flucht in das Ich“ (ebd.) als „Ersatzobjekt“ (ebd., S. 165), in dem das negierte libidinöse Objekt eine Repräsentanz erhält und abgewertet wird. Den Anerkennungsbegriff, dessen Teleologie die wechselseitige Befreiung bzw. Ermöglichung von Autonomie ist, kehrt sie sozusagen um. Autonomie ist hiernach ein Effekt der „Gewalt des Verlustes“ (ebd.), der das „Gewissen“ bzw. das normative Selbstbewusstsein initiiere und das durch die „Rückwendung“ (ebd.) ins Ich ausgeblendet werde. Die Ermöglichung einer Handlungsfähigkeit im gesellschaftlichen Rahmen und unter sozialen Kategorien wird zur ambivalenten Gedankenfigur, insofern Integration in ein dialektisches Begehren und in eine Gewaltdynamik verortet wird. Das Verhältnis von Gewissen und Gesellschaftlichkeit ist nach Butler dabei keine simple, monolinguale Überführung von einem konstruierten Außen in ein Inneres. Die Interpellation, um wieder auf das Initiationsmoment zurückzukommen, „funktioniert“ (ebd.) über das Scheitern und den prekären Status der ritualisierten Normen, die in der Wiederholung praktiziert, interpretiert und neu hervorgebracht werden. Das in Praktiken aufgerufene Ich wird strukturell signifiziert und muss diese Normen (re-)signifizieren, deren Bedeutungen gleichwohl verschoben werden können. In diesem Zwischenraum entsteht nun das Potenzial für Veränderungen und Widerständigkeit. In Kontrast zu „post-befreiungstheoretische[n]“ (ebd., S. 21) Ansätzen, die Hand-
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lungsfähigkeit als „Formen des Kapitals oder der symbolischen Beherrschung“ (ebd.) auffassen würden glaubt sie, dass die Verständlichmachung als „Reiteration der Macht“ (ebd.) einen Varianzraum zur „Subversion“ (ebd., S. 95) bzw. zur „Möglichkeit einer Neuverkörperung der Subjektivationsnorm“ (ebd.) eröffne. Hieraus kann geschlossen werden, dass die Resignifizierung von Subjektpositionen, wie die eines schwulen Mannes oder einer lesbischen Frau, überhaupt nur in ihrer Sozialität, als ritualisierte und institutionalisierte Lebensformen erfolgen und nicht von einem distanzierten Standort aus, sondern aus einer teilnehmenden Perspektive. Aus Butlers gesellschaftstheoretischem Gedankenmodell lässt sich der Begriff der Sozialität im Kontext einer ambivalenten Subjektivierung verstehen, in der die „,Instituierung‘ des Ich“ (ebd., S. 184) die Selbst- und Weltverhältnisse konstituiert und gleichzeitig übersteigt.7 Ähnlich wie Waldenfels hebt sie mit der Anrufung eine primäre Passivität im Gegensatz zur aktivischen Konstruktion des modernen Subjekts hervor. Die Interpellation ließe sich auch mit dem Erfahrungsbegriff von Waldenfels im Sinne eines Widerfahrens thematisieren (s. Kap. 3.1.2). Im Gegensatz zu Waldenfels möchte Butler aber nicht das Anerkennungstheorem verabschieden, da sie dieses als Vergesellschaftungsprinzip betrachtet. Nun sind die Fragestellungen in den beiden theoretischen Perspektiven anders gelagert. Waldenfels fragt aus einer phänomenologischen Theorieperspektive nach Erfahrungsmöglichkeiten des Fremden und nach ethischen Semantiken, die die Logik gegenseitiger Begrenzung durchbrechen. Anerkennungsverhältnisse sind ohne Grenzsetzungen nicht denkbar, weswegen er die hypersozialen Phänomene aufgrund ihrer Unmittelbarkeit und ihrer grenzüberschreitenden Potentialität in den Blick nimmt. Dagegen versucht Butler die Identifizierungslogik des Anerkennungstheorems produktiv zu nutzen und kritisch zu wenden. Sie entfaltet die Identifizierungsdynamik der Anerkennung in der Subjektgenese als ein begrenzendes und ermöglichendes Verhältnis und arbeitet die soziale Immanenz des Selbst- und Weltverhältnisses heraus. Veränderungen werden im Modus diskursinhärenter Bedeutungsverschiebungen und durch das Bewusstsein der
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Nach Nicole Balzer würde es Butlers Anerkennungstheorem „erlauben, den Zusammenhang von Verhältnissen und Selbstverhältnissen, von Sozialität und Individualität als einen paradoxen Zusammenhang zu erläutern, ohne auf vereinfachende Konstruktionen der ‚Verinnerlichung‘ bzw. der ‚Nachahmung‘ zurückzugreifen (vgl. Schäfer 2005)“ (Balzer 2014, S. 591). Weiter schreibt sie, dass „Sozialisation als ein sich qua und als Anerkennung vollziehendes – Unterwerfung und Überschreitung gleichermaßen umfassendes – Subjektivationsgeschehen“ (Balzer 2014, S. 592) übliche Sozialisationstheorien unterlaufen würde.
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unüberwindlichen sozialen Abhängigkeit vom anderen denkbar, die mit der Vergegenwärtigung der „entzogenen Aufhebung“ (ebd., S. 165) einhergehen soll. „Gerade durch die Verwerfung dieser Vorstellung von Autonomie wird Überleben möglich; das ,Ich‘ wird von seinem melancholischen Ausschluß aus dem Sozialen befreit. Das Ich entsteht unter der Bedingung der ,Spur‘ des anderen, der sich in diesem Entstehungsmoment bereits in einer gewissen Entfernung befindet. Die Autonomie des Ich zu akzeptieren heißt, diese Spur zu vergessen; und diese Spur zu akzeptieren heißt, sich auf einen Prozeß des Trauerns einzulassen, der nicht abgeschlossen werden kann, weil eine abschließende Loslösung nicht ohne die Auflösung des Ich möglich wäre.“ (Ebd., S. 182)
Statt einer Befähigung zur Autonomie stünde für sie ein Bewusstwerdungsprozess der epistemischen Unzugänglichkeit der Subjektbildung im Zentrum. Die Befreiung wäre nicht eine von der Willkür der anderen, sondern von der Idee eines asozialen Subjekts. Hierauf zielen auch ihre biografietheoretischen Aussagen, wenn sie die Frage nach den Handlungsräumen, aber auch nach den „Spuren“ der Gesellschaftlichkeit im Subjekt oder auch nach Möglichkeiten der Widerständigkeit stellt. Dieser Aspekt tritt besonders in Ihrer Adorno-Vorlesung Kritik der ethischen Gewalt hervor, in der sie ihren Subjektbegriff in Verhältnis zur Psyche der Macht modifiziert, da sie neben der Straftheorie noch die selbstdezentrierende Wirkung des biografischen Narrativs anvisiert und die Narration seiner selbst in ihrer genetischen Subjektivität betrachtet. Das Spezifikum der Sozialität ist, dass in ihr ein Moment der Entzogenheit, der Entfremdung virulent verankert ist. Dieser Entzug wird im Narrativ im doppelten Sinne entfaltet. Das Erzählen selbst ist einerseits eine Konstruktion im Medium der Sprache, die basierend auf einer Selbstreflexion ein Selbst- und Weltverhältnis entwirft, ohne aus einer selbsttransparenten Perspektive sprechen zu können. Die Frage, „Wer bin ich?“, ist abhängig vom Du, vom Wir, vom Wann, vom Wo und vom Wieso der Sprechsituation. Butler betrachtet die Narration über sich selbst hierbei als eine „Enteignung“ (Butler 2007, S. 175) gegenüber den anderen im Horizont der Verständlichkeit und Anerkennungsfähigkeit. Andererseits wirkt das Erzählte als eine irritierende Erfahrung, die eigene Sozialität im Sinne der Gesellschaftlichkeit in den Blick zu bekommen. Diese Einsicht hat nach Butler auch eine ethische Qualität, da sie die „eigene Undurchsichtigkeit“ (ebd., S. 65) in den Vordergrund zieht. „Diese Unfähigkeit zur vollen Erzählung mag sehr wohl dokumentieren, wie wir von Anfang an im Leben anderer ethisch mit impliziert sind. Es geht hier nicht darum, einer Vorstellung von Inkohärenz das Wort zu reden; wir sollten bloß in Betracht ziehen, dass
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unsere ,Inkohärenz‘ uns als in Relationalität gründende Wesen ausweist, die von einer sozialen Welt, die jenseits und vor uns liegt, impliziert, angesehen, hergeleitet und gestützt werden.“ (Ebd., S. 89)
Die These, die dieser Aussage zugrunde liegt, ist, dass die Erzählung notwendig mit Brüchen einhergeht, da das Ich sich nicht ohne andere, ohne den sozialen Raum erzählen kann. Das Kohärenzparadigma der Moderne muss hiernach scheitern, weil kein Individuum ein unabhängiges autopoietisches System ist, das seinem Leben nur den Schein einer autonomen, von anderen freien Person geben kann. Die ethische Implikation liegt nun nicht in dem Versuch sich noch unabhängiger zu wissen, um sich selbst und anderen gegenüber eine intersubjektiv zugängliche Rechtfertigung zu gewinnen. Das Anknüpfen an den Rechtfertigungsgedanken überführe die subjektive Reflexion wieder in das Rechtsschema des ethischen Konstruktivismus, in dem das Begründen, Urteilen und Richten zentral ist und die Grenzen zwischen dem Ich und dem anderen wieder hochgezogen werden. Dieser aber führe zu einem moralischen Rigorismus, der gerade die Anerkennung des anderen verfehle. Die „rechtliche Feststellung von Schuld und Unschuld“ (ebd., S. 62) zielt nach Butler auf das Strafen und die Prüfung des anderen als anderen, dessen Handlungen seine individuellen sind, weswegen „die Verurteilung“ (ebd., S. 65) den anderen zum „Nichtanerkennbaren“ (ebd.) machen soll. Das Ich möchte sich vom anderen „reinigen“ (ebd.). Ziel sei die „Verdammung, die Anprangerung [und] die vernichtende Kritik“ (ebd.), womit die Anerkennung im Modus des Kampfes bliebe und die Möglichkeit von „Gemeinsamkeit“ (ebd.) negiert werde. Anerkennung als Verurteilung bleibt für Butler ein persuasives Anerkennungsverhältnis, indem der andere als „ethisches Wesen“ (ebd., S. 68) zerstört werden soll. Auffallend ist hier, dass Butler nicht nur auf einen persuasiven Anerkennungsbegriff abstellt, sondern einen ethischen in Aussicht stellt. Die Anerkennung in strafender Hinsicht zerstört aus ihrer Sicht „die Bedingungen der Autonomie und höhlt somit die Fähigkeit des adressierten Subjekts zur Selbstreflexion und zur sozialen Anerkennung aus“ (ebd., S. 68). Im Kontrast hierzu müsste eine Anerkennung „im Dienst der Lebenserhaltung und Lebensförderung stehen“ (ebd. S. 69), um eine „ethische Reflexion und [ein] ethisches Verhalten“ (ebd., S. 68) zu ermöglichen. Diese Form der ethischen Anerkennung bezieht sich auf eine „Verletzbarkeit, der wir nicht entrinnen können, die wir nicht abschließend im Namen des Subjekts auflösen können“ (ebd., S. 136), in der wir uns wechselseitig anerkennen könnten, ohne uns selbst und den anderen vollständig erkennen zu können. Die „Verletzlichkeit“ (ebd., S. 135) nach Butler weist gerade auf die Fragilität unserer physischen und sozialen Existenz hin, einem „primären Ausgesetzt-
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sein“ (ebd.). Dabei geht es ihr nicht um eine graduelle Differenzierung von Verletzlichkeit, weil dies wieder zu Selbstschutzmechanismen führen würde. Verletzlichkeit ist eher eine universelle quasi anthropologische Kategorie einer „geteilten Verletzlichkeit, einer gemeinsamen Körperlichkeit“ (ebd.). Die Selbstentzogenheit der Verletzlichkeit klammere eine Verantwortlichkeit aus, die Semantiken der Autonomie zur Bedingung hat. Hiergegen hält Butler mit Levinas einen anderen Verantwortungsbegriff, den sie aus der Erfahrung der Verletzlichkeit herleitet und der auf wechselseitige Anerkennung des Ausgesetztseins basiert. Diese Form der Verantwortung biete im Horizont dieser Theorie keine Rechtfertigungsgründe für Gegengewalt im Sinne einer „gerechte[n] Strafe“ (ebd., S. 135) oder einer „gerechte[n] Vergeltung“ (ebd.). Die ethische Implikation der Sozialität des biografischen Narrativs liegt folgend im Gewaltverzicht aufgrund der Einsicht einer „geteilten Verletzlichkeit“. Bezogen auf den ethischen Anerkennungsbegriff glaubt sie, dass dieser „eine gewisse Bereitschaft, die Grenzen der Anerkennung selbst anzuerkennen“ (ebd., S. 59) und eine Haltung der „Geduld“ (ebd.), der „Bescheidenheit“, „Großzügigkeit“ (ebd., S. 60) und der Vergebung evozieren würde. „Die eigene Undurchsichtigkeit oder die eines Anderen anzuerkennen macht aus dieser Undurchsichtigkeit keine Transparenz. Um die Grenzen der Anerkennung zu wissen, heißt, selbst dies nur begrenzt zu wissen, und ist damit eine Erfahrung der Grenzen des Wissens selbst. Die Einsicht kann im Übrigen zu Bescheidenheit und Großzügigkeit gleichermaßen führen, denn ich brauche Vergebung für das, was ich nicht vollständig wissen konnte, und ganz ähnlich gilt für mich die Verpflichtung anderen zu vergeben, die sich ihrerseits teilweise konstitutiv undurchschaubar sind.“ (Ebd.)
Diese Annahme lässt nach Butler aber auch eine Neubewertung der Anredeszene zu. Sie beschränke sich nicht nur auf die Frage der Rechenschaft, sondern in der dieser impliziten Anerkennung wird nach Butler auch eine „Beziehung“ zum anderen, einem „Du“ (ebd. S. 70), hergestellt. Die „ethische Wertigkeit“ (ebd.) der Anredeszene ist nun einerseits in ihrer dezentrierenden Wirkung vor dem Du und in der sozialen Produktivität der Anerkennung zu sehen. Dezentriert wird das Individuum durch die über das Du vermittelte Selbsterkenntnis, die das Subjekt aus sich herausdrängt. Butlers Einschätzung, dass Hegel ein ekstatisches Subjekt skizziert, dem eben der direkte Zugang zur Selbstidentifizierung ohne andere versperrt bleibt (vgl. ebd., S. 41), ist durchaus plausibel und wird noch ausführlicher zu betrachten sein. Diese zirkuläre Erkenntnisbewegung müsse jedoch im Horizont eines Wir gedacht werden, weil innerhalb der Anerkennung die Selbsterkenntnis auf einen Verlust des Ichs und zugleich auf eine Rückge-
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winnung dessen im Horizont sozialer Normen hinausläuft, die es als eigene verstehen muss, um anerkannt zu werden. Die Begegnung des „Du“ in seiner „Singularität [hat] die Irreduzibilität des Ausgesetztseins“ (ebd., S. 49) zum Inhalt, wie sie es mit Adriana Cavarero formuliert. Mit Hegel weist sie des Weiteren darauf hin, dass Anerkennung nicht auf die „Dyade als Bezugsrahmen“ (ebd., S. 42) reduziert werden kann. Aus diesem Grund erweitert Butler die Anredeszene mit einer ethischen Dimension um zwei Aspekte. Der erste Aspekt ist die Begegnung mit dem „Du“ innerhalb der Anerkennung, die das „Ich“ zum Prozess der Selbsterkenntnis nötigt. Hier wird auch die Frage, „Wer bist Du?“ (ebd., S. 37), möglich, die eine Irritation der sozialen „Wahrheitsregime“ (ebd.) nach sich ziehen könne. Der zweite Aspekt ist das Wir als notwendiger Dritter, in dessen Rahmen es sich zu erkennen versucht und auf Normen stößt, die nicht seine sind. Ethisch relevant wird dies im Kontext der „Verletzlichkeit“ und deren wechselseitigen Bestimmtheit durch die Verletzlichkeit. Sie verlagert hierbei auch die Kritik von der individuellen Ebene auf die gesellschaftliche Ebene. Nicht die Beurteilung des Subjekts in seiner Verantwortlichkeit für sein Handeln kommt in den Blick, sondern seine Sozialität bzw. sein Ausgesetztsein gegenüber Normen, die er überhaupt erst hervorgebracht hat. Die Erzählung ist nach Butler ein gesellschaftlicher Text, eine „Enteignung“ (ebd., S. 52), in der der Erzähler eine Fiktion wird. Daraus folgt für Butler, dass Erzählungen auf keine individuelle Verantwortung zurückführbar sein können. Über die Sozialität der Narration und die passivisch gedachte Verantwortung im Horizont der „geteilten Verletzlichkeit“ schlägt Butler den Bogen zur Gesellschaftskritik, indem das über das Narrativ erfahrene Ausgesetztsein der Subjektbildung die Gesellschaft und die sozialen Normen in den Fokus zieht. Aufbauend auf Adornos Verknüpfung von Gesellschaftskritik und Selbstreflexion nimmt sie die Frage, mit der sich auch Honneth beschäftigt, nach den gesellschaftlichen Ermöglichungsbedingungen auf und lenkt diese mit ihren an Foucault angelehnten diskurstheoretischen Überlegungen auf die Frage, wie die „Arten und Weisen“ (ebd., S. 147) der Subjektbildung strukturiert sind und „wer und was als menschliches Subjekt gilt“ (ebd.). Mit ihrer zwischen Adornos Gesellschaftskritik und Foucaults Machttheorie eingespannten Positionierung möchte Sie nicht den „Tod des Subjekts“ (ebd.) verkünden, sondern sie bewegt sich gerade in der Dialektik reflexiver Selbstbefragung in ihrer Bedingtheit durch die Gesellschaft und der Einsicht in diese Bedingtheit. Die Dekonstruktion dieser Subjektivierungsweisen gibt Antworten auf die Fragen: Wer ist unter welchen Bedingungen handlungsfähig? Wer darf sprechen? Wer ist sichtbar? Welche Lebensformen dürfen gelebt werden? Und welche nicht? Diese Befragung ist auch der Ort an dem die ethische Frage nach dem lebbaren Leben und nach der „Neugestaltung der gesell-
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schaftlichen Bedingungen“ (ebd., S. 178) virulent sei. Die Veränderung setzt voraus, dass die Menschen bereit sind, „[sich] im Verhältnis zu anderen aufzulösen und anders zu werden“ (ebd., S. 180), weil darin „[ihre] Chance liege, menschlich zu werden“ (ebd.). Die Auflösung tritt schon in der Psyche der Macht im Kontext der Widerständigkeit als Motiv auf und wird hier zur Bedingung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse basierend auf Gesellschaftskritik. Eine „Verantwortungsethik“ müsse ihr nach nicht nur „,Ziel und Absicht‘ der Handlung, sondern auch ,die daraus resultierende Einrichtung der Welt‘“ (ebd., S. 176) berücksichtigen. Nun verknüpfen sowohl Honneth als auch Butler ethische Theorieeinsätze mit gesellschaftstheoretischen Überlegungen. Die Differenz zwischen beiden liegt in der Einschätzung normativer Begründungen ethischer Positionierungen und kritischer Urteile. Honneth führt mit seinen Versuchen, gerechtigkeitstheoretische Grundierungen für kritische Aussagen zu entwerfen, ein habermasianisches Projekt fort, in dem die impliziten evaluativen Urteile von Kritik normativ ausgewiesen werden müssen (s. Kap. 2.3). Gesellschaftskritik muss sich demnach eine Verallgemeinerung von ihren normativen Bedingungen gefallen lassen und für deliberative Praktiken öffnen. Kritik, solange sie nicht strategisch ausgerichtet ist, muss hiernach seine Geltungsansprüche thematisieren und deren rationalen Gehalt herauspräparieren. Das kritische Argument ist damit immer zugleich deskriptiv und evaluativ und soll darüber hinaus rational motivierend sein (vgl. Stahl 2013, S. 22 ff.). Die an Rationalitätsbedingungen zurückgebundene Argumentation müsse hiernach in einen demokratischen Diskurs eingespeist werden, von dem angenommen wird, dass er potenziell symmetrisch und vernünftig geführt werden könne. In Kapitel 2.3 wurde gezeigt, dass Honneth sich allerdings gegen die konstruktivistische Theorie einer metareflexiven Perspektive wendet. Wenn er hier auch die gesellschaftstheoretische Verzweigung von Habermas Diskursethik positiv hervorhebt, beabsichtigt er eine immanente Rekonstruktion der sozialen Freiheit aus den historisch verstetigten Institutionen heraus. Er argumentiert hier für eine starke Version der sozialen Freiheit, in der nicht nur das Vorhandensein spezifischer Güter für die reflexive Selbstbestimmung angemahnt wird; in dieser sollen die für die gesellschaftlichen Reproduktionen notwendigen sozialen Handlungssphären, selbst die reflexiven Strukturen bzw. Praktiken enthalten sein, die eine Partizipation an demokratischen Willensbildungsprozessen und gemeinschaftlicher Problembearbeitungen ermöglichen. Diese befreiende kooperative Sozialität, die das ethische Problem der Verpflichtung und den Widerspruch zwischen der individuellen und der allgemeinen Perspektive löst, bleibt aber im Paradigma der dezentrierenden Deliberation. Es ist Honneths Perspektive, dass dieses ein historisches Rationalitätsmuster ist, welches sich in die Deutungsmuster moderner Institutionen
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eingeschrieben hat und das in gewisser Weise irreduzibel ist. Gründe sind hiernach nicht nur strukturell bestimmt, inwiefern ihre Formulierungen den Bedingungen einer universellen Kommunikation angemessen sind. Sie sollen inhaltliche Gestalt annehmen, insofern sie die soziale Wirklichkeit im Horizont der sozialen Freiheit zu interpretieren erlauben sollen. Im Kontrast zur Formalität einer Diskursethik können nach Honneth soziale Strukturen, die historisch durch soziale Bewegungen und Kämpfe realisiert wurden oder sich tendenziell abzeichnen, angegeben werden und als Positionierungen in soziale Deutungskonflikte bzw. in politische Gestaltungsprozesse überführt werden. Die Reproduktion, die Vermeidung von Rückschritten und die Erweiterung sozialer Freiheit muss demnach politisch eingefordert und erkämpft werden. Honneth lässt sich an dieser Stelle nun so lesen, dass die Forderungen begründende Form annehmen sollten, damit sie an den Praktiken der reflexiven Kommunikation teilhaben können, deren Rekonstitution die soziale Freiheit in den verschiedenen Sphären sichert. Die zur zweiten Natur gewordene Selbstreflexivität erlaubt es Honneth, die scheinbar paradoxale Formulierung der „ungezwungenen Verpflichtung“ zu denken, ohne in der zirkulären Denkbewegung zwischen individuellem und allgemeinem Willen eingegrenzt zu bleiben (s. Kap. 2.3.1; Kap. 2.3.2). Zu den Problemen und der Überzeugungskraft dieses Vorschlages wurde schon an anderen Stellen etwas gesagt, hier möchte ich die Brücke und die Differenz zu Butlers Theorie in den Mittelpunkt stellen. Sie argumentiert, wie auch Honneth, von einer Teilnehmerperspektive und der Genese der Subjektpositionen aus den sozialen Praktiken heraus. Sie möchte den Praktiken der Selbstreflexivität und der Selbstbegrenzung nicht den Gehalt einer Befreiung entnehmen. „Vielmehr gestaltet sich das Selbst nach der Norm, bewohnt und verkörpere sie“ (Butler 2013, S. 229) und identifiziert sich mit Kategorien, die nicht die seine sind. An Habermas und an die kritische Theorie, die sich am Begründungsparadigma orientiert, adressiert, gibt sie zu bedenken, dass eine unkritische Haltung gegenüber der Normativität entsteht. Ihre Position läuft auf die Betonung der Negativität des „ek-statisch[en]“ (Butler 2008, S. 1307) Subjekts hinaus und der Denkmöglichkeit gegen die Regierbarkeit des Subjekts als sozial ermergentes Phänomen der sozialen Instituierung des Ichs und der Selbstbestimmung, die den Möglichkeitsraum von Transformationen einebnen und die Machtstrukturen kontingent gesetzter Grenzen ausblenden soll. In dem „Spiel“ (Butler 2013, S. 238) der „vorhandenen Ontologie“ (ebd.) und des „Wissbaren“ (ebd.) sieht sie in Anschluss an Foucault den kritischen Einsatz ihrer Gesellschaftstheorie, den sie, wie gezeigt, mit einer ethischen Dimension der dezentrierenden Wirkung in der eigenen und wechselseitigen Anerkennung und der Intransparenz der sozialen Genese einführt. Das Konzept der „Verletzlichkeit“, das sie hieraus entwickelt, ist dabei nicht an Forderungen gebunden,
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sondern an die Erfahrung der Alterität, die eine ethische Haltung ermöglichen soll, ohne diese an ein equilibrierendes Verfahren der Pflichtabwägung rückzukoppeln. Die Kritik an Butler, die z.B. Martha Nussbaum in ihrer polemischen Auseinandersetzung mit Butler formuliert (Nussbaum 1999), keine ethische Perspektive zu entwickeln, läuft folglich zumindest partiell ins Leere. Es ist eine Verkennung der theoretischen Bemühungen um einen alternativen Normbegriff, wenn Nussbaum Butler einen Quietismus vorwirft, der mit dem Bösen kollaborieren würde. Partiell deswegen, weil ein Teilmoment von Nussbaums Argumentation bedenkenswert ist, nämlich dass ihre Theorie kein Differenzierungspotential hätte und damit auch eine kritische Bewertung von unterschiedlichen Praktiken zulassen würde. „Butler cannot explain in any purely structural or procedural way why the subversion of gender norms is a social good while the subversion of justice norms is a social bad.“ (Nussbaum 1999, S. 43)
Genau diese Differenzierung ist kein Anliegen Butlers, da diese eine autorisierende Positionierung nach sich ziehen würde, die ein Amalgam von Macht und Wissen setzen würde. Das Problem an Gründen ist für Butler, dass „sie die kritische Beziehung auszuschließen und ihre eigene Macht auszuweiten suchten, um das gesamte Feld des moralischen und politischen Urteils zu ordnen. Sie ordnen und erschöpfen das Feld der Gewissheit selbst.“ (Butler 2013, S. 235) Auffällig ist die Verwendung des Begriffs der Gewissheit, der auch nach Hegel eben nicht gleichbedeutend mit Wissen ist. Für Hegel entsteht sie aus dem Gefühl und ist unbestimmt. Sich selbst gewiss sein geht noch nicht über ein Gefühl des Selbstischen hinaus, in dem es sich selbst nicht weiß. Solange Wissen gewiss bleibt, weiß das Subjekt nicht, dass es wissend ist. Es kann keine Gründe der „Verstandesallgemeinheit“ (Enz., § 447) angeben und kann sich nicht vor der „Gemeinschaft der Vernünftigen“ (ebd.) rechtfertigen. Die gewissen Gründe bleiben damit bei Butler im strategischen Feld und können sich auf keine sachlichen und allgemeinen Grundierungen berufen. Eine kritische Positionierung, die sich kriteriologisch begründet auf ethische Vorstellungen des guten Lebens bezieht, läuft nach Butler selbst Gefahr, autoritär zu werden. Meave Cook hält Butler zugute, dass sie in ihrer Kritik an Geltung von einem „antiautoritären Impuls geleitet“ (Cook 2013, S. 123) und ihr „Antiautoritarismus“ (ebd., S. 124) ein wichtiges Motiv für eine kritische Gesellschaftstheorie sei. Dieser antiautoritäre Kritikbegriff mag sie nun auch dazu veranlassen, dem diskursiven Austausch von Gründen gegenüber „feindlich“ (ebd., S. 123) gestellt zu sein
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und diesen „performative[n], körperliche[n] Kritikformen“ (ebd., S. 123 f.) vorzuziehen. Sie gibt aber zu bedenken, dass die Wertvorstellungen, die mit einem Antiautoritarismus einhergehen, auch auf die Ideen von Zurechnungsfähigkeit verweisen. Ein „Begriff der Kritik“ (ebd., S. 124) sei gerade aufgrund seiner nicht paternalistischen und antiautoritären Hinsicht „auf den Austausch von Gründen in öffentlichen, inklusiven und offenen Argumentationen angewiesen“ (ebd., S. 124). Nach Meave Cook, die die rationale Motivation von Kritik vor Augen hat, liegt die Schwierigkeit darin, dass ein Verzicht auf einen „kontexttranszendierenden Begriff der Geltung“ (ebd., S. 126) die Möglichkeit versperre, Transformationen von Werthorizonten als Fort- oder Rückschritte zu interpretieren. Universalistische Deutungen dürften aber nicht den Fehler begehen, selbst in einen „theoretischen Autoritarismus“ (ebd.) zu verfallen. Dies wäre speziell bei linkshegelianischen Ansätzen der Fall. Ihr geht es um einen Dialog über Geltungsansprüche von Vorstellungen des guten Lebens bzw. der guten Gesellschaft (vgl. ebd.). Ihre These ist die Vorstellung, dass die „Repräsentation der guten Gesellschaft eine erschließende Kraft“ (ebd., S. 130) habe und damit utopischen Gehalt entfalte. Gleichzeitig müsse die „ethische Orientierungshilfe“ für Kritik offenstehen. Der „Anspruch auf Rationalität“ (ebd. 132) müsste demnach weiterhin erhoben werden. Diesen mit Elementen eines mystischen Kraftbegriffs erweiterten Habermasianismus möchte ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Wesentlich an ihrem Kritikpunkt ist, dass der Raum der Gründe nicht ohne Weiteres umgangen werden kann, wenn ein Autoritarismus vermieden werden soll. Rahel Jaeggi formuliert ein Argument, dass komplementär zu dem von Nussbaum und Cook am Differenzierungsdefizit von Butlers theoretischem Ansatz anknüpft (vgl. Jaeggi 2009, S. 282). Aus ihrer Sicht verfange sich die „Ideologietheorie von Althusser zu Butler“ (ebd.) in einer „Art von Totalisierung des Ideologieverdachts“ (ebd., S. 282), weil sie das „falsche Bewußtsein“ (ebd.) zur „Eigenart jeder Weltauffassung“ (ebd.) deklariere und jede „Formierung als einerseits unumgänglich, andererseits aber restriktiv“ (ebd.) auffassen würde. Diese Setzung hätte nach Jaeggi zur Folge, dass keine Differenz zwischen einer „notwendige[n] Prägung und Verzerrung“ (ebd.) bestimmt werden könnte. Dieses Argument hebt auf die spezifische Problematisierung von Normativität in der Tradition von Foucault ab, in der diese eine ambivalente Struktur erhält. Entsprechend denkt Butler den Normativitätsbegriff konkret innerhalb einer dialektischen Bewegung, in der Normen ein zu negierendes Ausgeschlossenes produziert, dass in Praktiken und Haltung als Negiertes prozessiert wird. Diese Stabilität von Norm als psychische Struktur wird mit der Interpellation zwar prekär und veränderlich vorgestellt, allerdings enthalten Butlers Ausführungen aus dieser Konstruktion heraus keine evaluative Indexikalität, die Formierungen als mehr oder weniger herrschaftlich oder
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begrenzend deutbar lassen würde. Diese Theorieperspektive ist an einer „Verflüssigung“ (ebd.) interessiert, daran die Möglichkeitsräume in der Destabilisierung von festgelegten und durch Identifizierung festlegenden Existenzbedingungen denkmöglich zu machen. Die Entgrenzung der Konfliktualität hat in diesem Sinne durchaus eine progressive Ausrichtung, insofern sie eine hohe Sensibilität für Machtstrukturen evoziert und Befreiungsnarrative skeptisch zu betrachten erlaubt und systematisch hinterfragt. Sowohl für Jaeggi als auch für Cook fundieren aber gesellschaftskritische Aussagen auf Vorstellungen einer besseren Gesellschaft, die Transformationsnotwendigkeiten überhaupt eröffnen würden. Die Gesellschaftstheorie, sofern sie sich als normativ verstanden wissen will, müsste mit einer ethischen Perspektive unterfüttert werden, die Gründe für die Kritik und als rationale Motivation für die Veränderung angeben könnte. Im Kontrast zu Cook und Habermas muss nach Jaeggi Kritik jedoch weniger an eine universelle Ethik zurückgebunden werden. Vielmehr müssen die ethischen Implikationen von Lebensformen bzw. Praktiken in der Bearbeitung von gemeinsamen Problemen rekonstruiert und an ihrer ethisch relevanten Funktionalität gemessen werden. Jaeggis Kritikverständnis wird in dieser Studie im folgenden Kapitel 3.5 erläutert. Das Allgemeine an dem Kritikpunkt gegenüber Butler ist das Fehlen einer rationalen und orientierenden Dimension der politischen Theorie, die in einer Art abstrakten Negation verhaftet bliebe. Der antiautoritäre Impuls fokussiere zwar Ermöglichungsbedingungen, bliebe damit aber beim Individuum stehen. Mit Hegel gesprochen käme das Allgemeine nicht zu seinem Recht. Weder verorte sich die Theorie Butlers in einem diskursiven Raum, noch biete sie eine Grundlage, Praktiken hinsichtlich gesellschaftlicher Probleme und Fragen differenziert zu kritisieren. Den Punkt, den Butler mit ihrem an Hegels Subjekttheorie angelegten „ek-statisch[en]“ (Butler 2008, S. 1307) Subjekt im Kontrast zu Honneths affirmativen Implikationen herausarbeitet, ist zwar das Scheitern der (Selbst-)Identifizierung aufgrund des sozial vermittelten Zugangs zur Vernunft (vgl. ebd., S. 1305). Sie könne nach Jaeggi aber nicht nach dem „Muster bestimmter Negation“ (Jaeggi 2009, S. 283) Gründe für das Scheitern sozialer Prozessen wie etwa den Kapitalismus angeben.8 An diesem Punkt setzen jedoch Robert Pippin und Jaeggi mit ihrer neopragmatistischen Theorie an, die im Folgenden hinsichtlich einer reflexiven Sozialität diskutiert wird.
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Die normative Zurückhaltung Butlers stellt sich allerdings für praxistheoretische Ansätze und entsprechend empirisch ausgelegte Untersuchungen als produktiv dar, da es den Analysen von Interaktionsdynamiken ein hohes Reflexionsniveau verleiht (hierzu: Ricken/Balzer 2010; Kleiner/Rose 2014; Reh/Ricken 2012; Reh/Rabenstein 2012; Reh 2013; Balzer/Bergner 2012 u.a.).
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3.5 DIE REFLEXIVE SOZIALITÄT AUS EINER PRAGMATISTISCHEN PERSPEKTIVE VON ROBERT PIPPIN UND RAHEL JAEGGI Während Honneth seinen Sozialitätsbegriff an der hegelianischen Sittlichkeitstheorie ausrichtet und die gesellschaftsanalytische und gerechtigkeitstheoretische Reflexion, nach der normativen Konfiguration der sozialen Praktiken und der Institutionen in Bezug auf die Ermöglichung eines guten Lebens im Horizont der Verwirklichung sozialer Freiheit geprüft werden soll, in den Mittelpunkt seiner Theorie setzt,9 liest Robert Pippin Hegels Sozialitätsbegriff im Kontrast zu Honneth aus einer sozialpragmatistischen Perspektive, in dem das Scheitern der in Praktiken institutionalisierten Ordnung als Konfliktlösungsmodell „praktische Gründe“ (ebd.) evoziert. Den hegelianischen Vernunftbegriff fasst er in Folge dessen als ein Ensemble von „optimale[n] Regeln eines allgemeinen legitimierbaren Verfahrens zur Bewältigung von Konflikten“ (Pippin 2005, S. 118) auf. Das Konfliktmodell wäre auf Hegels Rechtsphilosophie derart zu übertragen, als dass Pippin den Rechtsbegriff mit dem modernen Normbegriff übersetzt und die Institutionen als Gebilde von „kollektiv sanktionierten Normen“ (ebd., S. 121) interpretiert. Hegels Rechtsphilosophie könne hiernach als historische Analyse sozialer Modelle mit zunehmend komplexeren Freiheitsbegriffen verstanden werden, in der verschiedene historisch gegenwärtige Versuche durchdacht und nach Widersprüchen und Gründen ihres Scheiterns untersucht werden. Aus dieser Interpretation heraus würde Hegel die Modelle des abstrakten Rechts, der moralischen Selbstbegrenzung, der familiären Bindung, des freien Warenverkehrs, der ständischen Selbstverwaltung, der beruflichen Genossenschaften, den Sicherheit gewährleistenden Staat, den vernünftigen und sittlichen Staat auf ihre logische Konsistenz und Krisenanfälligkeit betrachten. Die „Lebensform oder das Man“ (ebd., S. 121) im Singular würde es aus Sicht von Pippin für Hegel nicht geben. Es würde vielmehr ein Verhältnis von „Gleichgesinntheit“ (ebd., S. 121) und „individuelle[r] Selbstbestimmung und Befriedigung“ (ebd.) in der Praxis bestehen, welches durch die differenten normativen Modularisierungen mehr oder weniger erfolgreich abgestimmt sei, d.h. die Verhaltenskoordination
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Gegen Honneth gibt Robert Pippin zu bedenken, dass Hegels Begriff der Anerkennung im Gegensatz nicht psychologisch gedacht wäre (vgl. Pippin 2016, S. 21). Die Anerkennung würde bei Hegel eben nicht auf eine „wechselseitige Affirmation, gemeinsam beschlossener Solidarität“ (ebd.) abzielen, sondern auf geistige Selbst- und Weltverhältnisse (Bildungsgestalten). Hier bringt er aber vor allem den Anerkennungsbegriff der Phänomenologie des Geistes in Anschlag.
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dauerhaft sichern. Das Spezifikum an Hegel im Kontrast zu Ansätzen des „methodischen Individualismus“ (ebd., S. 123) (hierzu zählt Pippin alle individualistischen und mentalistischen Theorien wie etwa kontraktualistische, handlungstheoretische und spieltheoretische Ansätze) ist, dass er nicht auf einen externen Maßstab zurückgreife, um soziale Verhältnisse als besser oder schlechter zu kategorisieren. Er setze im Gegensatz hierzu an der Erfahrung der „Mangelhaftigkeit“ (ebd., S. 123) bzw. der Krise an, um die Praxis aus einem inhärenten Standpunkt zu kritisieren. Diese Erfahrung geht aus Sicht von Pippin nun nicht restlos in der Praxis auf (vgl. ebd.), weswegen eine Distanzierung von der sozialen Wirklichkeit ermöglicht wird (eine immanente Kritik). Die „Negativität“ der Subjektivität (das Moment des „reinen“ Ichs) biete aber kein Fundament für eine „Autorisierungspraxis zweiter Stufe“ (ebd.), die den Wandel von Normen legitimieren könnte. Ihre Bedeutung als bestimmte Negation liege darin, Gründen für das Scheitern einer Praxis nachzugehen. Wollte man als Maßstab ihrer Mangelhaftigkeit einen inkommensurablen, externen Standard verwenden, könnte sie nicht als mangelhaft erfahren werden. Wenn das aber der Fall ist, dann muss das Scheitern – die Negation – einer Praxis immer ein bestimmtes sein, das heißt, sie muss mangelhaft sein in Bezug auf X oder Y und aus Gründen A oder B. (ebd.) Er formuliert gegen eine „Antihermeneutik“ (ebd., S. 122), die er in der Tradition von Heidegger, Gadamer und Derrida stellt, die These, dass eine normative Beurteilung von sozialer Praxis erst einen umfassenden epistemischen Zugang zu diesen erhält. „Eine soziale Praxis lässt sich jedoch nur dann wirklich verstehen, wenn die Tatsache, dass sie zum Problem werden kann, theoretisch eingeholt ist. Öffentlichkeit und Sozialität ohne Selbstbewusstsein sind blind. Selbstbewusstsein und Zweckmäßigkeit ohne Sozialität sind leer.“ (Ebd., S. 125)
Pippin hat hier eine ähnlich kritische Hermeneutik wie Honneth vor Augen, macht aber das Moment der Negativität gegenüber Institutionen stärker als dies bei Honneth in seinem Sittlichkeitskonzept der Fall ist. Ohne an dieser Stelle auf die Adäquatheit von Pippins Interpretation von Hegels Rechtsbegriff näher eingehen zu wollen, zeigt er, dass der Systemzwang von institutionalisierten Autorisierungspraktiken wenn nicht überstiegen, dann doch zumindest eingeklammert werden kann. Die Bestimmtheit von Gründen, die gegen eine soziale Ordnung gerichtet sind und diese nicht notwendig autorisieren, eröffnen den Raum für Gründe und lassen eine Konkretion der Problematisierung sozialer Strukturen zu. Pippins kritischer Einsatz bleibt nicht beim Singulären und bei „persuasiven
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Erleidungsmetaphern“ (Drerup 2017, S. 221) stehen, die gegen die Identifikation den Vorwurf des Essentialismus mobilisieren „und das Anderswerden“ (ebd.) nobilieren, sondern er zieht eine sachliche Dimension ein, insofern das Scheitern immer an soziale Sachverhalte und an Praktiken gebunden ist, die im Horizont von Problemen, Fragen, Interessensdifferenzen etc. wahrgenommen werden. Mit der Thematisierung des Scheiterns von Praktiken knüpft Pippin nun lose an den Erfahrungs- bzw. Entäußerungsbegriff Hegels an. Das Scheitern wird zum Impuls eines reflexiven Bewusstwerdungsprozesses von zur Gewohnheit gewordenen Handlungspraktiken. Als Begriff verweist er nun einerseits auf Logiken der Handlungshemmnisse, der Störungen, der Auflösung von Selbstverständlichem und von Irritationen und andererseits markiert er einen Mangel bzw. ein Defizit, das es zu bearbeiten und zu überwinden gilt. Die Normativität dieses Begriffs liegt in der Problembeschreibung eines Scheiterns, einer Krise, einer immanenten Nötigung zur Problemlösung, um wieder handlungsfähig zu werden. Im Horizont dieser Problemlösungslogik beschäftigt sich zuletzt Rahel Jaeggi in einer pragmatistischen Relektüre von Hegels Dialektik dezidiert und vertiefend mit dem Topos des Scheiterns als Kern ihrer „kritische[n] Theorie der Kritik von Lebensformen“ (Jaeggi 2014, S. 12). Ihre These in ihrer gleichnamigen Studie Kritik von Lebensformen ist, dass Lebensformen sowohl als ein „Ensembles von Praktiken und Orientierungen“ (Jaeggi 2014, S. 105) als auch als Reaktionen auf spezifisch historische Probleme gelesen werden müssten. Sie müssten des Weiteren im Kontext von „Problemlösungsgeschichten“ (ebd., S. 450) rekonstruierbar sein, aufgrund dessen diese im Rahmen einer ethischfunktionalen Rationalitätsform begriffen werden und in ihrem sachlichen Bezug Gegenstand von Argumenten sein können.10 In dem Begriff der Lebensformen –
10 Jaeggi grenzt den Begriff der Lebensform von einer ganzen Reihe von artverwandten Begriffen wie den der „Lebensführung“ (Jaeggi 2014, S. 71), der „Lebensgewohnheiten“ (ebd.), der „Lebensweise“ (ebd., S. 72), der „Mode“ (ebd.) bzw. des „Lebensstil[s]“ (ebd., S. 73), der „Sitte und [des] Brauch[s]“ (ebd., S. 73), der „Tradition“ (ebd., S. 74), der „Institution“ (ebd.) und der „Kultur“ (ebd., S. 75) ab. Für die in diesem Text verfolgten Zwecke reicht die Konzentration auf die Differenz zum Begriff der Institution und der Kultur. Sie möchte Lebensformen im Verhältnis zu Institutionen als eine Hintergrundkultur mit einer materiellen Dimension verstehen. Hierbei pointiert sie den formalen Charakter von Institutionen, die kodifizierter sind und die hierdurch eine sichernde Funktion für die Persistenz von Lebensformen übernehmen würden. Sie bildeten aus dieser Perspektive heraus einen anderen „Aggregatzustand“ als Lebensformen. Ein weiterer Faktor für die Persistenz von Lebensformen ist der Umstand, dass sie in Architektur, Produktionsweisen bzw. allgemein in sozialen Arte-
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hierunter zählt sie Weisen der „kollektiven Lebensführung“ (ebd.) wie etwa die bürgerliche Familie, das Städtische oder der Kapitalismus (ebd., S. 90) – verknüpft Jaeggi moderne Praxistheorien in Anschluss an Charles Taylor, Andreas Reckwitz und Theodore Schatzki mit Hegels dialektischem Widerspruchsbegriff, den sie mit MacIntyres dynamischem Traditionsbegriff und John Deweys Experimentalismus reaktualisiert und in einen „pragmatistischen ,Materialismus‘“ (ebd., S. 450) überführt. Die Brücke zwischen diesen Theorien schafft sie durch ihren Gewohnheitsbegriff. Sie integriert in ihrem passivischen und aktivischen Gewohnheitsbegriff auf der einen Seite die interpretatorische Varianz internalisierter und zu Gewohnheit gewordener Normen und Regeln, die in situativen Anwendungen kontextspezifische Bewährungsleistung erbringen und sich als problemadäquat erweisen müssen (vgl. ebd., S. 102; S. 123 f.). Mit dieser Bewährungsleistung und Problemadäquanz sei auf der anderen Seite eine Anfälligkeit für Irritation, Erfahrungen des Scheiterns und der Krise verbunden, womit Reflexion herausgefordert werden könnte. Das Scheitern von Gewohnheiten wird für Jaeggi aufgrund dessen zum argumentativen Ausgangspunkt für ihre Widerspruchstheorie zwischen Praxis und Begriff. Das Scheitern von Handlungsroutinen sieht sie als Indikator dafür, dass die Wirklichkeit der Lebensform nicht oder nicht mehr ihrem Begriff entspricht. Die eingeübten Praktiken der jeweiligen Lebensformen ermöglichen nicht mehr die von ihr versprochene Problembearbeitung. Umgekehrt ist der Begriff somit auch widersprüchlich, da dieser nicht die Problemlösungsressourcen bereitstellen würde, die Handlungsfähigkeit herzustellen. Wenn darüber hinaus, die misslingenden Lebensformen „an einem kollektiven praktischen Reflexionsdefizit“ (ebd., S. 447) leiden würden und sich Lernhindernisse bzw. Lernblockaden einstellen würden, spricht Jaeggi von einer Ideologie. In einer „Traditionslinie der Kritischen Theorie als Ferment individueller kollektiver Emanzipationsprozesse“ (ebd., S. 12) fokussiert sie hiermit Verselbstständigun-
fakten materialisiert würden, womit sie sich vom Begriff der Institution unterscheiden würde. Hiermit nähert sich Jaeggi aber dem Kulturbegriff an, der durch die Verschränkung von kulturellen Selbstverständnissen und kulturellen Artefakten gekennzeichnet sei. Ihr Argument gegen die Verwendung des Begriffs der Kultur ist neben dessen „Unklarheit“ (Jaeggi 2014, S. 76) dessen totalisierende und essentialistische Tendenz, die quer zum „hybriden Wesen“ (ebd., S. 77) von Lebensformen liegen würde. Während nach Jaeggi dem Kulturbegriff die identifizierende Frage anhafte, von wessen Kultur gesprochen werden soll, käme der Begriff der Lebensform ohne direkte und holistische Identifizierung aus und versachliche die Diskussion um differente Lebensweisen.
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gen, Naturalisierungen etc., die die Gestaltbarkeit von Lebensformen ausblenden und Lernblockaden verstetigen. Mit ihrer normativ-ethischen Reflexion von Lebensformen distanziert sie sich dabei von der liberalistischen Forderung „ethischer Enthaltsamkeit“ (ebd., S. 37) und der zum Neutralismus verpflichteten philosophischen Perspektive. Sie wirft insbesondere Rawls und Habermas aufgrund ihrer metaethischen Positionierung eine fehlende Gesellschaftstheorie vor, die nach Jaeggi auf den rationalen Gehalt von Lebensweisen hindeuten würde (vgl. ebd., S. 51). Die „Enthaltsamkeitsdoktrin“ (ebd., S. 40) und die Vermeidung von Paternalismus führe darüber hinaus zu einem unangemessenen Konfliktverständnis. Es wäre aus ihrer Perspektive ein Missverständnis anzunehmen, dass Konflikte vermieden oder gelöst werden könnten, wenn zu diesen eine Haltung der Neutralität bezogen würde. Sie gibt hierbei zu bedenken, dass die technischen, wirtschaftlichen und kommunikativen Interdependenzen in der Moderne die Wahl- und Realisierungschancen von Lebensformen von politischen Entscheidungen und öffentlichen Leistungen abhängig machen. Privates Glück werde eben öffentlich entschieden, weswegen es folgerichtig wäre „die Debatte über Lebensformen aus der Dunkelheit des Privaten herauszuholen und öffentlich zu führen“ (ebd., S. 39). Unabhängig davon, dass Rawls und Habermas mit ihrem „zoologischen Blick“ (ebd., S. 50) die Hybridität und Dynamik von Lebensformen verkennen und zur „Romantisierung“ (ebd.) und zum „Traditionalismus“ (ebd.) tendieren würden, glaubt sie, dass gerade die Thematisierung der Konflikte von Lebensformen weniger paternalistisch sei, wenn die Geltungsansprüche aller Lebensformen gleichermaßen diskursiv zugänglich gemacht würden. Gleichzeitig geht es ihr im Kontrast zu Honneth nicht um brachliegende, begründete normative Potenziale (vgl. Jaeggi 2013b, S. 278) von Institutionen und einer normativen Stabilisierung. Sie positioniert sich konträr hierzu entgegen eines positiv graduierenden für ein negativistisches Kritikverständnis, in dem Gründe für Konflikte, für Krisen und für ein „normative[s] Scheitern […]“ (Jaeggi 2014, S. 191) verhandelt werden müssten. Die Pointierung der Negativität und die Ablehnung der Neutralität eines moralischen Normativismus liberaler Theorien mündet bei ihr zudem auch nicht in einer „Totalisierung des Ideologieverdachts“ (Jaeggi 2013b, S. 282), deren Gefahr sie in Karl Mannheims Wissenssoziologie sieht und die auch die „Ideologietheorie von Althusser zu Butler“ (ebd.) charakterisiere. Sie kritisiert an dieser Position, dass die aufklärerische Dimension verloren gehe und dass reflexive Differenzierungsmöglichkeiten von Praktiken durch die Generalisierung des Unterworfenseins nivelliert würden. Dementgegen möchte sie ähnlich wie Pippin an einer bestimmten Negation festhalten, die weder einen Vorrang des Allgemeinen postuliert und Institutionen
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als erstrebenswert setzt, noch in der Partikularität grundloser Widerständigkeit verharrt. Die Aufgabe, die sie hiergegen einer kritischen Theorie und Philosophie zuspricht, ist die philosophische Klärung von Gründen und Gegengründen und damit sei sie selbst in den „Prozess des demokratischen Gebens und Nehmens von Gründen gewissermaßen eingelagert, ohne in diesen das ,letzte Wort‘ zu haben“ (ebd., S. 55). Aus diesem Grund distanziert sie sich in ihrem Ansatz auch von linksschmittianistischen Agonalitätstheorien, zu denen sie Mouffe, Laclau und Gramsci zählt, die soziale Konflikte zu perpetuieren suchen. Der universelle Verdacht gegen Normativität, Begründbarkeit und Geltungsansprüche führe für Jaeggi zu dem Problem, dass diese Theorien den „Beziehungscharakter von Konflikten“ (ebd., S. 57) nicht adäquat erfassen würden. Über Dezisionen lasse sich nach Jaeggi nicht streiten. Gegenstand von Konflikten wären aus ihrer Sicht normative Geltungsansprüche, die sowohl die „Macht- und Dominanzansprüche“ (ebd.) erklärten und diese in einen demokratischen Verhandlungsprozess einbänden. Die Verhandelbarkeit von Lebensformen basiere dieser Argumentation folgend auf den Geltungsansprüchen und deren Relativität. Mit der Kritik der differenten Positionen verdeutlicht sie, dass es ihr weder um eine moralische Begrenzung von ansonsten unhinterfragten Lebensformen noch um ein bloßes Sollen einer ethischen Vorstellung des guten Lebens und auch nicht um gegenhegemoniale strategische Diskurseinsätze geht. Den Raum der Gründe denkt sie anhand der Annahme einer ethisch-funktionalen Normativität von Lebensformen, die mit begründungsbedürftigen Geltungsansprüchen verbunden seien. Sie bestreitet hierbei einerseits die Annahme, dass die instrumentelle Rationalität unabhängig von normativen Gründen analysiert und beurteilt werden könne und andererseits die Annahme, dass die instrumentellen bzw. funktionalen Gründe selber nicht normativ seien (vgl. ebd., S. 175 ff.). Funktionalität als Prädikat sei eine bewertende Zuschreibung, insofern ein Gegenstand, ein Sachverhalt oder eine Praxis ihre jeweilige Aufgabe erwartungsgemäß erfülle. Funktionalität basiere auf Zielsetzungen, wie etwa die Ermöglichung von Selbstständigkeit in der Familie, die Eigentumsakkumulation innerhalb der Wirtschaft oder die Qualifikation in der Schule, nach der diese beurteilt werden könnten. Sie ist folglich auf Normen des Gutseins gerichtet. Dieser Zusammenhang kann an dem Beispiel der Bildungseinrichtung Schule erläutert werden. Sie ließe sich aus Jaeggis Theorie heraus als eine Institution mit einem Ensemble von Erziehungs-, Unterrichts- und Kommunikationspraktiken betrachten, die normativ scheitern würde, wenn sie ihre Funktion der Qualifizierung nicht oder nur unzureichend umsetzen würde. Die Qualifizierung der Schule ist hiernach nicht bloß ein funktionales Ziel einer liberalen Marktwirt-
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schaft. Sie ist darüber hinaus eine ethische Norm, insofern die Schule die Heranwachsenden für die Mitwirkung und die Partizipation an der gesellschaftlichen Reproduktion befähigen soll und diese Partizipation als erstrebenswert gilt. Eine Nichtgewährleistung dieser Teilhabe durch eine mangelnde Qualifikation würde hiernach einen „praktische[n] Widerspruch“ (Jaeggi 2013b, S. 291) erzeugen. „Etwas funktioniert nicht (gut), und es ist nicht gut, wie es funktioniert.“ (Ebd.)
Auf die Schule bezogen, würde dies bedeuten, dass die Realisierung der Partizipation in einem selektiven Schulsystem, das von der Partizipation ausgeschlossene Personengruppen produziert, in Hinsicht ihrer Qualifizierungsfunktion problematisiert werden könnte. Ihren Widerspruchsbegriff verortet Jaeggi hierbei in einer marxistischen Tradition und hier in der Relation zwischen Realität und Begriff. In der immanenten Kritik, die Jaeggi vor Augen hat, reicht es nicht, einen Institutionenmaßstab zu entwickeln und urteilend die Realität zu bewerten. Der Begriff, der das Selbst- und Weltverständnis vermittelt, muss selbst zum Gegenstand der Kritik werden. Kritik gibt hier über eine defizitäre Problemadäquanz und über eine im Verhältnis zum Problem unterbestimmte begriffliche Struktur der Lebensformen Auskunft. Sie führt darüber hinaus zu den Fragen der reflexiven Ressourcen der jeweiligen Lebensformen und der Möglichkeit von (nicht singulär individuellen) Transformationsmöglichkeiten. Der Begriff der Schule in ihrer Verwirklichung müsste also selbst Gegenstand der Reflexion sein. Dies hieße nicht nur, nach Optimierungspotenzialen zu suchen, sondern den Begriff der Schule innerhalb einer marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft als solchen zu reflektieren, da der Widerspruch die gesamte Lebensform, die die Schule als Institution kontextualisiert, betreffen würde. An dieser theoretischen Gelenkstelle könne aber nun der Einwand stark gemacht werden, dass ein relatives Gutsein einer funktionalen Lebensform nicht notwendig eine ethische Perspektive eröffnet, die vom Zweckzusammenhang zu lösen wäre. Aus diesem Grund erweitert sie ihren ethisch funktionalen Normbegriff mit einem durch Pinkard inspirierten Widerspruchsverständnis, das auf die „Unbewohnbarkeit“ und die „Nichtlebbarkeit“ hindeutet (vgl. ebd., S. 195). Ihre Prämisse ist, dass die Funktionalität ohne normative Vorstellungen vom guten Leben, dem ein allgemeiner Geltungsanspruch immanent ist, nicht denkbar sei. Das Scheitern von Praktiken stelle nicht nur die Problemadäquanz infrage, sondern auch die Lebbarkeit der in der Wirklichkeit institutionalisierten Handlungsnormen. Zum besseren Verständnis von Jaeggis Argumentation muss der Problembegriff noch näher analysiert werden, den sie dem Bedürfnisbegriff vorzieht. Prob-
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leme seien allgemein „kulturell spezifisch und historisch wie sozial formiert“ (Jaeggi 2014, S. 205). Bedürfnisse würden hingegen meist anthropologisch gedacht und suggerierten eine Art „Nullpunkt“ (ebd.) bzw. einen vorsozialen Anker der Interpretation. Hiergegen sind soziale Probleme für Jaeggi immer schon „normative Probleme“ (Jaeggi 2013b, S. 292) bzw. „Probleme zweiter Ordnung“ (Jaeggi 2014, S. 205). Sie sind sowohl interpretationsabhängig als auch lebensformintern, insofern sie erst aus der Teilnehmerperspektive heraus beschreibbar wären. Sie bezeichnet ihren theoretischen Ansatz dabei als eine „Zwischenposition zwischen anthropologischem Universalismus und konstruktivistischem Kulturalismus“ (ebd., S. 215), da sie die Gegebenheit externer Probleme (Probleme erster Ordnung) zugesteht, deren Problembeschreibung wieder nur aus der historischen Teilnehmerperspektive getätigt werden könne. Wie eine Dürre z.B. erlebt, beschrieben und welche praktischen Handlungskonsequenzen aus dieser hergeleitet werden könnten, wäre nur in Beziehung zu der durch die Lebensformen vermittelten Selbst- und Weltverständnisse nachvollziehbar. Ob sie als Strafe Gottes, als natürliches und menschenunabhängiges Phänomen oder als eine Folge des menschlich beeinflussten Klimawandels gedeutet wird, ist relativ zur Lebensform und dem jeweiligen Deutungsrahmen. Als Handlungskonsequenzen wären im ersten Fall das Beten oder andere religiöse Rituale angemessene Praktiken. Im zweiten Fall würde das Problem möglicherweise mit Sicherungsmaßnahmen und Wasserversorgungssystemen gelöst werden. Im dritten Fall müsste der Blick auf die Produktionsweise und die Konsumgewohnheiten insgesamt gelenkt und problematisiert werden. Abhängig nun von den Problemlösungsressourcen der Lebensformen könnten Probleme besser gelöst oder weitere Widersprüche und Konflikte produziert werden. Das Beten würde weder ein reflexives Verhältnis zum Phänomen noch zu sich selbst herstellen, sondern sich in die Hoffnung auf eine göttliche Instanz flüchten. Die zweite Perspektive ist in der Haltung einer technischen Gestaltbarkeit und der Naturbeherrschung verankert, die keine kritische selbstreflexive Dimension initiiert. Aus der dritten Perspektive heraus wird auch das eigene Handeln als Faktor der Verursachung in die Problembeschreibung hinzugezogen. Mit Jaeggi ließe sich nun argumentieren, dass dies potenziell das höchste Reflexionsniveau aufweist, weil es eine gesellschaftskritische Selbstreflexion ermöglicht. Zusammengefasst überträgt sie mit ihrer durch Dewey geleiteten, pragmatistischen Lesart von Hegels idealistischer Vernunftdialektik und Marx materialistischer Rationalitätskonzeption die subjektive Eigenschaft der rationalen „Problembewältigung“ (ebd., S. 447) auf Lebensformen und reaktualisiert hierbei die selbstreflexive Geschichtsphilosophie der kritischen Theorie im Kontext eines ethischen Funktionalismus, in dem die Semantiken des „Nichtlebbaren“ und der
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Dysfunktionalität miteinander verschmolzen werden. Sie formuliert ihre Intuition wie folgt: „Subjekte machen ihre Geschichte - aber nicht unter selbstgewählten Bedingungen. Um die Voraussetzungen von Emanzipation und kollektiver Selbstbestimmung auszuloten, gilt es also, das komplizierte Verhältnis von Geltungsmacht, Intransparenz und der oft schwer entwirrbaren Komplexität miteinander verketteter Praktiken und Einstellungen zu verstehen.“ (Ebd., S. 446)
Die eschatologischen Andeutungen dieser Erzählung der „Emanzipation“ schwächt Jaeggi mit Deweys Begriff des Experiments und mit ihrer kulturspezifischen Problemtheorie ab. Sie fasst Lebensformen als Experimente auf, die um „die richtige Lösung“ (ebd., S. 451) von Problemen konkurrieren. Hierbei geht sie von einer Pluralität von Lebensformen aus, die teils differente aber auch gleiche Probleme bearbeiten und darin vergleichbar wären. Sie skizziert hier entsprechend kein Bild einer harmonischen Pluralität von Lebensformen. Ihr Gedankenmodell eines „experimentelle[n] Pluralismus“ (ebd., S. 448) stellt den Konflikt in den Vordergrund und bündelt diesen in eine Problemlösungsrationalität. Ein naheliegender kritischer Einwand, dass der Konflikt in einem unpolitischen Raum der problemzentrierten Klärung verschoben würde, würde hier jedoch zu kurz greifen, da das Problem immer ein normatives und eben kein ahistorisches ist. So gesehen wäre die Emanzipationsbewegung auch eher prozessualer zu interpretieren, als es der Begriff der Transformation und der Aufhebung in einer hegelianischen Tradition assoziieren würde. Mit ihrer Problemtheorie folgt sie auch nicht einem marxistischen Antagonismus, der immer nur von einem zentralen zu überwindenden Widerspruch ausgeht, sondern sie gibt zu bedenken, dass „Ideologiekritik mit einer Vervielfältigung von Widersprüchen rechnen“ (Jaeggi 2013b, S. 293) muss, die auch teilweise miteinander kollidieren könne. Auch wenn sie nun mit einem relativen Problembegriff und der Pluralität der Widersprüche den postmodernen Vergesellschaftsformen Rechnung trägt, sieht sie in der Perpetuierung von „Widersprüchlichkeit“ (ebd.) kein erstrebenswertes Ziel. Ideologiekritik wäre dementgegen auf „ein romantisch-harmonistisches Ideal von Widerspruchsfreiheit [und] die Idee einer endgültigen Überwindung von Konflikten“ (ebd.) angewiesen. Die Konfliktualität erhält in ihrer Theorie nicht den Status eines Selbstzwecks, sondern ist die Konsequenz einer defizitären sozialen Realität. Sie eröffnet einen Raum der Gründe, der in historische Prozesse eingefasst ist und in denen Individuen dann (kollektive) Subjektivität erhalten, wenn sie mit der zur „zweiten Natur gewordenen Selbst- und
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Weltwahrnehmung“ (ebd., S. 294) brechen und nach Gründen für die Dysfunktionalität von Handlungsroutinen fragen. Im Fokus steht also eine Selbstreflexion im Horizont des komplizierten Verhältnisses „von Gestaltungsmacht, Intransparenz und der oft schwer entwirrbaren Komplexität miteinander verketteter Praktiken und Einstellungen“ (Jaeggi 2014, S. 446), die Gegenstand der Ideologiekritik sind und die das Subjekt in die Lage versetzen sollen, seine eigenen „Lebensverhältnisse“ (ebd., S. 445) zu gestalten. Dieses emanzipative Motiv legt sie als „Metakriterium“ (ebd.) ihrer Kritik von Lebensformen offen und reiht sich in die Tradition der kritischen Theorie Max Horkheimers ein, in der das „Vermögen“ (ebd.) dieser Gestaltung sozial gedacht wird. Die durch das Scheitern von Gewohnheiten initiierte Selbstreflexion bleibt aus der Sicht von Jaeggi nicht bei sich stehen, sofern es sich hier um ein Scheitern von Praktiken handelt. Sich selbst zu begreifen, heißt hiernach, sich als Mitglied von Lebensformen zu begreifen. Ferner hieße dies auch, sich selbst erst als frei begreifen zu können, wenn die Lebensformen als „Resultat von Vorgängen kollektiver Selbstbestimmung“ (ebd., S. 446) begriffen werden könnten. Sozialität lässt sich nun in diesem Kontext mit Jaeggi im doppelten Sinne lesen, erstens als soziale Formierung und zweitens als Ideal einer reflexiven kooperativen Sozialität. Die Verknüpfung dieser beiden Begriffe von Sozialität ist nun der Problemhorizont, der aus der Erfahrung innerhalb der sozialen Wirklichkeit entsteht und an eine gesellschaftliche „Kooperationsstruktur“ (ebd., S. 161) gebunden ist. Letztlich verortet Jaeggi diesen Reflexionsprozess innerhalb einer dialektischen Bewegung der Transformation von Lebensformen und Aufhebung im Sinne einer Negation der defizitären Lebensformen, der Erhaltung der Negation in Form der Gründe und einer Verbesserung dieser aufgrund eines höheren Reflexionsniveaus. Subjekte erkennen sich als Handelnde, die „ihre Geschichte“ (ebd., S. 446) gemeinsam machen, ohne jedoch die Bedingungen dieser Gestaltung selbst wählen zu können. In Anschluss an diese Darstellung lassen sich gegenüber Jaeggis Kritik der Lebensformen die folgenden drei Probleme kritisieren und diskutieren: • Das Problem der Lebensformen als problembearbeitende Kollektivsubjekte • Der Rationalitätsbegriff und die Frage nach dessen epistemischen Status • Das Problem eines kompetitiven Funktionalismus und die normative Hierar-
chisierung der Lebensformen (1) Es mag auf den ersten Blick nicht selbstverständlich sein, dass Lebensformen Probleme lösen. Hierbei wird kollektiven Gebilden eine Subjekthaftigkeit mit spezifischer Intentionalität und Rationalität zugeschrieben. Vergleichbar mit
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Honneth bedient sich Jaeggi einer geschichtlichen Perspektive, die Entwicklungsverläufe zu rekonstruieren erlauben soll. Hierbei skizziert sie einen historischen, rationalen Lernbegriff, in dem Krisen Lernprozesse in Richtung eines höheren Reflexionsniveaus initiieren. Die Rationalität der Lebensformen ist dem zur Folge retrospektiv eingewoben in eine „Problemlösungsgeschichte“, in der ein „genuines Anreicherungsgeschehen“ (ebd., S. 354) die quasi potenzielle Handlungsfähigkeit der Lebensformen und ihrer Mitglieder entfaltet. In diesem geschichtlich evolutionären Prozess bilden sich, so könnte die Theorie gedeutet werden, Kollektivsubjekte heraus, die sich an ihrer Gestaltungsfähigkeit messen lassen sollen. Im Vergleich zu Honneths evaluativer Institutionentheorie, geht es Jaeggi, wie erwähnt, nicht um eine Legitimationsfigur für Institutionen. Mit ihrer negativistischen Perspektive blickt sie auf den geschichtlichen Verlauf, insofern sie das Moment der bestimmten Negation hervorhebt. Kritik setzt ja gerade im Scheitern bzw. in der Krise einer ganzen Lebensform an und nicht an unzureichenden Deutungsweisen eines rekonstruierten normativen Horizonts. Hiermit übersteigt Jaeggi Honneths Anspruch einer rekonstruktiven Kritik, da mit ihrem Konzept immanenter Kritik der Begriff z.B. der Ökonomie gänzlich innerhalb einer prozessierten kritischen Selbstreflexion zur Disposition stehen kann, wenn deren spezifische, an historischen Problemstellungen entstandene Rationalitätsform die von ihr erzeugten Widersprüche nicht lösen kann. Nun könnte je nach Lesart Honneths Das Recht der Freiheit und modifiziert durch seine Studie zur Idee des Sozialismus (s. Kap. 2.3.4) eine ähnliche Verflüssigung der sozialen Umwelt angenommen werden. Die grundlegende Differenz ist aber, dass es Jaeggi nicht um ein singuläres Narrativ einer Kultur der Freiheit geht, sondern jede Lebensform quer zu kulturellen und geografischen Kontexten eine Geschichtlichkeit hat. Wir haben es nach Jaeggi mit einer Pluralität an Geschichten und Widersprüchen zu tun. Narrative unterliegen des Weiteren in Jaeggis Konzept pragmatischen Bedingungen, da die begriffliche Form, in der auf „wirkliche“ Probleme Bezug genommen wird, über die denkbaren Möglichkeiten und deren Bearbeitung entscheidet. Die Problembeschreibung im Horizont ihrer historischen Genese ist dabei Gegenstand der Interpretation und damit auch selbst politisch. Aus ihr können unterschiedliche Begründungslinien resultieren, die zu einem demokratischen Diskurs hingeführt werden können. Jaeggi stellt sich diesen als einen problemorientierten Streit zur Sachlichkeit des Begriffs bzw. der Begriffe vor, womit sie eine demokratische Lebensform im Sinne einer reflexiven, symmetrischen und kooperativen Kommunikation voraussetzt und daraus folgend asymmetrische Entscheidungsstrukturen als Widerspruch kritisieren muss. Butler würde an dieser Stelle hingegen die Asymmetrie, die nicht Sichtbarkeit und die herrschaftliche Blockade als Ausgangspunkte ihrer Argu-
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mentation begreifen (s. Kap. 3.4). So einleuchtend diese Setzung Butlers in Anbetracht einer empirischen Wirklichkeit ist, in der die öffentliche Willensbildung international durch Renationalisierungsbewegungen und einer strategischen Diskursführung („postfaktisches Zeitalter“) geprägt ist, kann mit Jaeggi doch eine Vorstellung dessen in Anschlag gebracht werden, wie ein Gespräch im Kontext rationalen politischen Handelns gedacht werden könnte. Um nun wieder auf den Kritikpunkt des Kollektivsubjekts zurückzukommen, wird dies für Jaeggi dann zum Problem, wenn sie eine universale Rationalität und einen Weltgeist im Sinne Hegels annehmen würde. Ihre Studie scheint an manchen Stellen eine entsprechende Interpretation zu assoziieren. Sie entwirft aber aus der hier vertretenen Perspektive keine Geschichte im Singular, die zu ihrem Ende kommt. Der Rationalitätsbegriff scheint aber trotzdem Ambivalenzen aufzuweisen, was zum nächsten Problem hinleitet. (2) Die Bedingung, dass Lebensformen auf Problemkonstellationen und Problemlösungen ausgerichtet sind, könnte auch mit der Annahme übersetzt werden, dass Lebensformen durch Institutionen verstetigt werden, die zumindest vom Anspruch her Funktionen erfüllen sollen. Eine Schule soll qualifizieren. Demokratische Wahlen sollen politische Macht nach dem Prinzip der Repräsentativität legitimieren. Das Verfassungsgericht soll die Verfassung schützen. Ob die Probleme, die dabei mutmaßlich gelöst werden, die jedes Einzelnen sind; ob institutionelle Handlungsweisen tatsächlich derart zweckrational sind und ob hier nicht mehr Symbolik als reales Handeln mit angesprochen wird, wären Fragen, die nach Jaeggi empirisch zu beantworten wären. Die basale Prämisse ist aber, dass Lebensformen funktional verstanden und zugleich normativ analysiert werden können. Hiermit ist ein normativer Rationalitätsmaßstab verbunden. Die Differenz „rationale[r] Lebensformen“ (ebd. S. 450) und „falsche[r] und regressive[r] Lebensformen“ setzt, so könnte man annehmen, einen Standort voraus, der außerhalb einer Teilnehmerperspektive ist. Im Rekurs eines „praktischen Reflexionsdefizit[s]“ (ebd., S. 447) oder der „Fähigkeit zu rationaler Problembewältigung“ (ebd.), an denen sich Fort- oder Rückschritt entscheidet, zieht sie scheinbar eine universale Rationalität in ihre Theorie ein. Hiergegen spricht jedoch ihr eigener normativer Problembegriff, der sich nicht von einer der Lebensform inhärenten Perspektive vollständig lösen kann. Sie changiert gewissermaßen zwischen einer historischen und ahistorischen Rationalität, da sie aus einem kontextunabhängigen Standpunkt die Lebensform als Ganze betrachten möchte, sie aber auch gleichzeitig den Ort der Krise oder das Scheitern der Praktiken innerhalb der Lebensformen denkt. Zur Verdeutlichung ihres Kritikverständnisses grenzt Sie ihre Idee einer immanenten Kritik von einer externen Kritik und einer internen Kritik ab.
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Die externe Kritik geht aus ihrer Perspektive von einem Standpunkt außerhalb der sozialen Praktiken aus, von dem aus Kriterien an die soziale Wirklichkeit herangetragen werden. Diesen „Blick von nirgendwo“ (ebd., S. 261), der konstruktiv und normativistisch Geltungsansprüche von einem Draußen an die soziale Gemeinschaft heranträgt, kontrastiert sie durch die interne Kritik, die hermeneutisch die der sozialen Wirklichkeit impliziten Normen herausschält und kritisch auf Differenzen zwischen Ideal und Praxis hindeutet. Als Beispiele hierfür nennt sie u.a. den Widerspruch von christlicher Nächstenliebe und der diskriminierende Umgang mit Asylsuchenden oder etwa die Diskrepanz von „Verfassungsidee“ (ebd., S. 264) und „Verfassungswirklichkeit“ (ebd.). Problematisch an der internen Kritik wäre der darin zur Geltung kommende „strukturelle Konservatismus“ (ebd., S. 273), da bei diesem allein die Wiederherstellung einer gesellschaftlichen Praktik oder Institution im Fokus stände. Die immanente Kritik ist demgegenüber nicht bloß rekonstruktiv, sondern transformativ (vgl. ebd., S. 302). Jaeggi kennzeichnet diese als ein reaktives und aktives Verfahren, reaktiv, weil sie eine zumindest latente Krisenhaftigkeit sozialer Praktiken annimmt, aktiv, da sie analytisch einen Zusammenhang zwischen Norm und Praxis herstellt und Probleme hervorbringt, von denen sie aber auch gleichzeitig ausgegangen ist. Die distinktive Differenz zur internen Kritik wäre hierbei, dass die immanente Kritik davon ausgeht, dass die Normen konstitutiv für die Praxis sind und auch verwirklicht werden, während die interne Kritik soziale Praxis in Hinblick einer Nichtverwirklichung impliziter Normen rekonstruiert. Die immanente Kritik versteht soziale Krisen demnach nicht als eine Abkehr von Normen oder als einen Werteverfall, sondern als Konsequenz von den in der Praxis verwirklichten Normen selbst. Immanente Kritik deckt die „Defizienz“ (ebd., S. 298) der Normen und der Praxis auf und kann in dieser Form zum „Ferment eines Transformationsprozesses“ (ebd., S. 301) werden. Sie begreift Widersprüche aus der verwirklichten Gesellschaft heraus und nimmt damit gewissermaßen einen alternativen Standpunkt quer zu den Ortsbestimmungen eines Drinnens oder Draußens ein. Als Beispiel könnten die „Demokratiemüdigkeit“ (Appadurei 2017, S. 17) und die sichtbaren Tendenzen zum „autoritären Populismus“ (ebd., S. 34) different kritisiert werden. Aus einem Standpunkt einer externen Kritik könnte in diesem Zusammenhang auf das Ideal eines unverzerrten Diskurses hingedeutet werden. Vom Standpunkt der internen Kritik könnte an die demokratische Verfassung erinnert werden. Die immanente Kritik müsse die Krise als einen Widerspruch der verwirklichten demokratischen Praxis selbst herausarbeiten. Hierbei kann sie sich nicht damit begnügen soziologische Faktoren heranzuziehen, um abstrakte Erklärungsansätze zu entwerfen. Sie muss im Prinzip mit Hegel gesprochen den „Geist“ die „Bildungsgestalt“ und ihren Widerspruch decodieren.
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Möglicher Ansatzpunkt in Hinsicht auf diese Problematik wären zum Beispiel die nationale Codierung demokratischer Willensbildungen und der entsprechenden Souveränitätsansprüche. Im Moment der Transformation der immanenten Kritik liegen für Jaeggi aber nun sowohl die Schwierigkeiten als auch die Potenziale dieses Verfahrens. Das Potenzial sieht Jaeggi in der Lokalisation der Kritik aus einer internen Perspektive heraus, die aus dem Bestehenden einen utopischen Gehalt entfaltet. Die wesentliche Schwierigkeit der immanenten Kritik ist, dass der hergestellte Zusammenhang zwischen Norm und Praxis und die Entfaltung des Potenzials über die Krisen auf ein „finales Telos der Geschichte“ (ebd., S. 305) hinauslaufen könnte. Gegen eine entsprechende Deutung möchte sie der immanenten Kritik eine „konstruktivistisch-performative Wende“ (ebd., S. 306) verleihen, in der das herstellende Moment des Verfahrens hervorgehoben wird. Mit ihrem Begriff der normativen Probleme möchte sie einerseits den Anspruch fallen lassen „zwingende ,letzte Gründe‘“ (ebd., S. 306) anzugeben und andererseits gibt sie mit der Pluralisierung von Widersprüchen die Idee einer letzten Aufhebung auf. Hiermit erhält die immanente Kritik gewissermaßen eine seriellere Struktur, da sie „nur“ auf eine „vorläufige Überwindung“ (ebd., S. 307) drängen kann. Trotz dieser Vorläufigkeit müsse mit der immanenten Kritik aber die Prämisse eines „rationalen Lernprozess[es]“ (ebd.) gesetzt werden, der an einem Gedankenmodell einer richtigen Lösung von Problemen orientiert bleibt. Mit dieser Setzung möchte sie einem demokratischen Aushandlungsprozess die Entscheidung nicht vorwegnehmen. Ihre Intention ist es, überhaupt Gründe zu entwickeln, die in Verhandlungen eingebracht werden können. Obwohl diese „konstruktivistisch-performative Wende“ nun keine Letztbegründungen zulassen soll, glaubt sie nicht, dass die Perspektive „ohne Kriterien“ (ebd.) auskommen muss. Es gibt aus ihrer Sicht „praktische Probleme, die zwar nicht interpretationsunabhängig“ (ebd., S. 306) seien, „sich aber – wie das Symptom – doch irgendwie ,melden‘, also als praktische Konsequenzen und Verwerfungen hervorbringen“ (ebd.). Die Problemlösungsrationalität würde damit nicht mehr bloß kontingent. Sie müsste sich an der Wirklichkeit bewähren. „Normative Richtigkeit“ der immanenten Kritik hängt für Jaeggi hieraus folgend davon ab, ob sie den Prozess der kritischen Transformation als einen „rationalen Prozess“ (ebd., S. 308) ausweisen kann. Der euklidische Punkt in Jaeggis Argument ist demnach die Annahme gegebener praktischer Probleme, die zwar interpretationsabhängig seien, aber sich den Menschen stellen und auch besser oder schlechter gelöst werden können. An dieser Stelle könnte eingewandt werden, dass hier möglicherweise schwache aber trotzdem metaphysische Bedingungen postuliert würden. Eine
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konstruktivistische Perspektive müsste allerdings auch plausibilisieren, wieso gerade die Annahme eines rein konstruktivistischen Problembegriffs in Anbetracht z.B. von Wandlungen der klimatischen Bedingungen durch menschliches Handeln oder etwa der weltweiten Fluchtbewegungen in Konfrontation mit Armut und Krieg nicht artifiziell sein soll. Trotzdem bewegt sich Jaeggi hier in einem Grenzbereich, in dem nicht immer deutlich wird, mit welchen Geltungsansprüchen sie ihre Position ausstatten möchte. Hervorzuheben aus der hier vertretenen Position ist allerdings die Historizität von Lebensformen, die über normative Problemstellungen verstanden werden können und aus denen eine relative Rationalität rekonstruiert werden kann. Gründe wären folglich auch relativ zum normativen Problem und relativ zur historischen Lebensform. (3) Die Festschreibung der Lebensformen auf eine Problemlösungsgeschichte könnte des Weiteren auch einen Funktionalismus zur Konsequenz haben, der auf eine Verdinglichung von Kulturen und deren Marginalisierung hinausläuft, und dies insbesondere dann, wenn sie als dysfunktional bewertet würden. Der Pluralismus konkurrierender Lebensformen kann hier nur wenig zur Abmilderung des Kritikpunktes der Hierarchisierung beitragen, da die von Jaeggi angenommene Hybridität von Lebensformen nicht mitgedacht wird. Lebensformen werden vereinzelt, als solche gegenübergestellt und voneinander abgegrenzt. Mit der Sprechweise der Lebensform möchte sie sich zwar von der Identitätszuschreibung des Kulturbegriffs lösen und die Diskussion auf eine distanzierte Ebene ziehen, zumal Individuen sich gleichzeitig verschiedenen Lebensformen zugehörig fühlen können. Trotzdem ist es eine Herausforderung für ihre Theorie als Praxistheorie aus der Normativität von (Nicht-)Zugehörigkeit herauszukommen. Deutlich wird dies an der Diskussion der Neutralitätsthese bezogen auf die Frage der Menschenrechte, in der sie die Frage nach der Rechtfertigung im Kontext ihrer kulturspezifischen Genese, „Ethos der Moderne“ (ebd., S. 46), thematisiert. Hier nimmt sie die Position ein, dass weder die Position des Universalismus noch die „Dominanz einer Mehrheitskultur“ (ebd.) überzeugen könne. Jaeggi schlägt dagegen vor, sich der Lebensformabhängigkeit „des Ethos der Autonomie“ (ebd.) selbst bewusst zu werden und gleichzeitig diesen „im Modus eines offen ausgetragenen Konflikts um Lebensformen“ (ebd.) mit der „Möglichkeit der Widerrede“ (ebd.) zu vertreten. Diese gewissermaßen wertethische Haltung, die sich in ihrer Bedingtheit weiß, nimmt in ihrer Problemorientierung aber einen kompetitiven Charakter an. Neben der Problematik der Hierarchisierung, die möglicherweise derart abgeschwächt werden könnte, als dass Gründe mit der Frage von Richtigkeit verbunden sind und differente Begründungsmuster einen Streit hervorrufen, der den Diskurs überhaupt ermöglicht, kann der Kritikpunkt
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des Funktionalismus hinsichtlich eines verdinglichenden Effizienzkriteriums noch weiter spezifiziert werden. Die Beurteilungs- und Bewertungssemantiken anhand rationaler Problembewältigungsfähigkeiten überschneiden sich mit Managementphrasen und ökonomischen Subjektpositionen wie sie Bröckling in seiner Studie Das unternehmerische Selbst darstellt (vgl. Bröckling 2007; s. auch Kap. 1). In Zusammenhang mit der Tendenz zum Funktionalismus könne nun gegen Jaeggis Theorie eingewandt werden, dass sich die Theorie an der Grenze eines ökonomisch rationalen Pragmatismus bewege. Hiergegen wiederum könnte auf Jaeggis ethischfunktionalen und dynamischen Normativitätsbegriff aufmerksam gemacht werden, der der scheinbaren Neutralität der Funktionalität widerspricht und in der Normativität als „Wechselspiel innerhalb des Dreiecks von Sein (empirischer Zustand), Sollen (normativem Zustand) und den sich verändernden sachlichen Bedingungen“ (ebd., S. 195) bestimmt wird. Etwas als funktional zu beschreiben bedeutet hiernach auch den Zweck gut zu heißen. Die Zwecksetzung beruht aber im Endeffekt auf einer bestimmten Problemwahrnehmung (der sachlichen Dimension) und auf Wertvorstellungen und -entscheidungen (einer ethischen Dimension). Die Vermessung von Gegenständen, Produkten und Fähigkeiten nach Effizienzkriterien wäre nach Jaeggi eine normative Handlungslogik einer Lebensform, wie etwa dem Kapitalismus, die nach Nützlichkeit kategorisiert. Jaeggi geht es nun aber nicht darum, diese Perspektive zu generalisieren. Es geht ihr grundsätzlich um den Begriff selbst. „Seinem Begriff nicht zu entsprechen bedeutet dann in Bezug auf soziale Gebilde, die mit ihm gesetzten Aufgaben nicht zu erfüllen und der in ihm historisch angelagerten Problemstellung nicht zu entsprechen. […] Eine Lebensform, die ihrem Begriff nicht entspricht, erfüllt ihre ethisch verfasste Funktion nicht so, wie diese sich vor dem Hintergrund einer spezifischen Problemlösungsgeschichte herausgebildet hat.“ (Ebd., S. 195)
Mit diesem „kontextübergreifenden“ (ebd., S. 199) Kritikverständnis ist nun aber keine egologische und subjektzentrierte Optimierungslogik verbunden, wie sie für ein effizienzorientiertes ökonomisches Problembearbeitungsverständnis charakteristisch wäre. Es geht ihr nicht um ein Nützlichkeitskalkül. Ihr Ziel ist eine „kollektive Selbstbestimmung“. Skeptisch könnte an dieser Stelle letztlich noch angemerkt werden, dass ein normativer „Überschuss“ (ebd., S. 198) des Begriffs nicht ausreicht, um dieses Ziel zu begründen. Bei der demokratischen Lebensform und der öffentlichen Willensbildung läge diese Annahme wohl aber näher, als es für die Lebensform der Ökonomie, die auf dem privaten Eigentumsrecht basiert, der Fall wäre. Sie muss für ihr rekonstruktives immanentes Kritikverfah-
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ren ähnlich wie Honneth bei der Sphäre des wirtschaftlichen Handelns von einer normativen Institution bzw. Lebensform ausgehen. Der Vorzug ihrer Theorie ist, dass sie die spezifische Form der bürgerlichen Marktwirtschaft nicht stabilisieren möchte. Auch wenn Jaeggis Rationalitätsbegriff an einigen Stellen ihrer Ausführungen ahistorische Züge annimmt und der kompetitive Modus zwischen Lebensformen problematische Hierarchisierungen zur Folge haben könnte, ist aus der hier vertretenen Sicht bedenkenswert, dass sie mit ihrer Theorie auf den sachlichen Gehalt von Symboliken des Widerstandes und der kritischen Positionierungen aufmerksam macht und diese reflexiv betrachten möchte. Seien es Gesten, Symbole der Empörungen oder Protestaktionen, für sie sind es Reaktionen auf Irritations-, Krisenerfahrungen oder Erfahrungen des Scheiterns. Sie verknüpft dabei aber die abstrakte Negation einer subjektiven Negativität mit einer bestimmten Negation, die sich in Gründen ausdrücken muss, um diese im Verständigungsraum als Medium des Allgemeinen von der Unmittelbarkeit der subjektiven Wahrnehmung zu lösen und damit zur Dezentrierung und Differenzierung der subjektiven Perspektive aufzufordern. Gründe werden hierdurch keine hegemonialen Einsätze, sondern erhalten durch die Bearbeitung gesellschaftlicher Widersprüche, Probleme und Fragen eine differenzierte und diskursiv zugängliche Form. Sie haben einen sachlichen Gehalt, deren Artikulation eine Abarbeitung von der Unmittelbarkeit der Lebensform vorausgeht. Mit der „konstruktivistisch-performative[n] Wende“ der immanenten Kritik nehmen die Gründe zudem einen epistemischen Status ein, der eine relationale Positionierung zu diesen zulässt. In Kontrast zur Theorie Butlers versucht Jaeggi folglich, einen reflexiven Kommunikationsraum zu skizzieren, der aber nicht ahistorisch oder gar unpolitisch gedacht ist. Der Streit ist hierbei einerseits konstitutiv, ohne aber die Möglichkeit der Verständigung zu verunmöglichen. Hiervon abgesehen ist selbst die Klärung von Differenzen, ohne schon an einen Kompromiss zu denken, ohne reflexive Kommunikation unmöglich. Ein bloßes Nein, eine Widerständigkeit ohne Grund mag störend sein und unterbrechend wirken. Es bleibt aber auch singulär und damit unzugänglich. Selbst wenn nun die Problemorientierung ein Deutungsschema aufruft, das Aspekte eines Funktionalismus aufweist, bleibt ein Problembewusstsein und der Versuch Lösungen zu generieren, ein basales Element politischen Handelns und sozialer Verhandlungsprozesse. Die Prämisse hierfür ist allerdings eine kooperative Sozialität, die weder rein individualistisch noch ausschließlich agonal strukturiert sein kann und in die Jaeggi eine reflexive Dimension integriert.
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3.6 SOZIALITÄT UND BILDUNG ‒ EINE VERHÄLTNISBESTIMMUNG In der bisherigen Argumentation wurden differente sozialphilosophische Konzeptionen analysiert, die mehr oder weniger in Referenz zu Hegel ein dialektisches Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft zu entwerfen versuchen. Während mit Honneths Sittlichkeitstheorie eine kooperative Sozialität rekonstruiert werden konnte, die in der Teilhabe an der reflexiven Kooperation befreiend sein soll (s. Kap. 3.3), lässt sich mit Butler die Ambivalenz von Sozialität als ein in sich verschlungenes und fragiles Verhältnis von Unterwerfung, Überordnung und unterbrechender Widerständigkeit thematisieren (s. Kap. 3.4). Innerhalb des sozialphilosophischen Pragmatismus von Pippin und insbesondere Jaeggi kann die Sozialität im Scheitern der habitualisierten Praxis als Initial einer kritischen Selbstreflexion gedacht werden (s. Kap. 3.5). Im folgenden Kapitel wird nun mit dem hegelianischen Bildungsbegriff eine bildungstheoretische Kontextualisierung und Diskussion dieser differenten Begriffe angebahnt, um sich einem Bildungsbegriff zu nähern, in dem die Sozialität mitgedacht wird. Das Spezifikum der hegelianischen Bildungsphilosophie ist, dass sie Bildung im Raum des Allgemeinen und der Gesellschaft und nicht bloß als individuelle Selbstformierung zu denken erlaubt (s. Kap. 1.1). Trotz der großen Schwierigkeiten, die Hegels monistische Geistphilosophie birgt, wird die Möglichkeit ihrer Reaktualisierung geprüft. Für diese Betrachtung bietet sich Hegels Rechtsphilosophie an, da diese den „objektiven Geist“ zum Gegenstand hat, der in Hegels System der Ort der Gesellschaft und damit auch der Sozialität ist. Im weiteren Verlauf wird die These vertreten, dass die Rechtsphilosophie einen dezentrierten Subjektbegriff bereithält, den Hegel im Sinne der Negativität und seiner Entfremdungskonzeption denkt. Diese Negativität muss aber als eine Bestimmte im Zusammenhang mit der Differenzierungssystematik gedacht werden, in der die Frage nach dem Selbst im Sozialen einen Prozess der dialektischen Bildungsbewegung auslöst. Zur Plausibilisierung dieser These wird im Folgenden also insbesondere ein Rückgriff auf Hegels Rechtsphilosophie gewagt, um von hier aus Semantiken einer inhärent reflexiven Sozialität aufzufächern. Anzumerken ist, dass es mir hierbei nicht um eine vollständige Interpretation der Rechtsphilosophie geht. Dies würde einer eigenständigen Arbeit bedürfen. Es geht mir vielmehr darum, die Prozessualität der Subjektbildung und die Konturen von Hegels Sozialitätsbegriff nachzuzeichnen.
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3.6.1 Das Verhältnis von Sozialität und Bildung in Hegels Rechtsphilosophie In der Vorlesung Grundlinien der Philosophie des Rechts, die Hegel 1819/20 gehalten hat, rückt, wie schon in der Auseinandersetzung mit Honneths Recht der Freiheit dargestellt (s. Kap 2.3), der Erwerb der Sozialität bzw. die sittliche Bildung in das Zentrum der Theoriebildung. Das Ziel dieser Schrift ist der Versuch Hegels nachzuweisen, dass der Wille als subjektiver Geist im Staat als Gefüge von Institutionen sich objektiviert bzw. „sich gegenständlich wird“ (Jaeschke 2010, S. 367). Hegel verfasste seine Rechtsphilosophie im Kontext eines theoretischen und politischen Diskurses, in dem das Naturrecht und der damit verbundene Liberalismus im Nachklang der Französischen Revolution einer umfassenden Kritik unterzogen wurden. Im Streit zwischen universellem Liberalismus und geschichtlichem Kontextualismus argumentiert er für eine Vermittlung beider Positionen, wobei er einerseits die Vernunft historisiert und andererseits die Geschichte als Verwirklichung der Freiheit interpretiert (vgl. ebd., S. 366). Zur Vermittlung steht hier das positive Recht und die Idee des Vernunftrechts, d.h. eine Vermittlung von faktischer Geltung, vernünftiger Erkenntnis und Autonomie. Ausgangspunkt seiner theoretischen Bemühungen ist die kantische Argumentationsfigur der Trennung von Subjektivität und Begriffsinhalt, woraus die Trennung von Moral und Recht folgt. Er problematisiert diese in der Hinsicht, dass diese Dualität die Herstellung eines systematischen Zusammenhangs zwischen „Rechtsbegründung und den Inhalten des privaten und öffentlichen Rechts“ (Siep 2017b, S. 7) verhindere. Genau hierin liegt aber nun das eigentliche Ziel Hegels, das Ganze des Rechts als eine Objektivierung des Geistes bzw. des „praktische[n] Geist[s]“ (GPR, § 4) nachzuweisen. In ihr muss sich in Analogie zur Phänomenologie des Geistes eine selbstbewusste Struktur begrifflich explorieren lassen, die die historischen Rechtssysteme ins Verhältnis zum Bewusstsein der Selbstgesetzgebung bzw. der konkreten Selbstbestimmung setzt. Staatswissenschaft und Vernunftrecht werden von Hegel verknüpft und zusammengedacht (vgl. Ilting 1982, S. 225 f.). Der Begriff des Rechts bei Hegel kann dabei nicht mit dem positiven Recht weder in materieller noch in normativer Hinsicht gleichgesetzt werden (vgl. Pippin 2017, S. 33). In Abgrenzung zu einem rechtswissenschaftlichen historischen Reduktionismus beginnt er seine Ausführungen mit der Prämisse, dass der „Boden des Rechts […] überhaupt das G e i s t i g e [ i s t ] , und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der W i l l e, welcher f r e y ist, so daß die Freyheit seine Substanz und
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Bestimmung ausmacht, und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freyheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweyte Natur, ist.“ (GPR, § 4)
Recht wird hier einerseits als Autonomie eines Willens eingeführt, der das normative Recht setzt, welches in seiner geistigen Form begriffen werden kann. Freiheit bedeutet in diesem Zusammenhang, die sich selbst wissende Selbstbestimmung. Mit dem Rechtssystem als „das Reich der verwirklichten Freyheit“ wird die Objektivation des Geistigen gefasst, deren institutionalisierten Rechte bzw. Normen auf der einen Seite als Willensakte verstanden und auf der anderen Seite als vernünftig begriffen werden können (vgl. Pippin 2008, S. 113). Hier verleitet der Begriff der Wirklichkeit zu interpretativen Missverständnissen, die durch die berühmt gewordene Formel Hegels in der Vorrede zu seiner Rechtsphilosophie, „Was ve rn ü n f t i g i s t , d as i s t wi rk l i ch ; u n d was wi r kl i ch i s t , d as i s t ve rn ü n f t i g “ (ebd., S. 14). teils zu polemischen Anfeindungen geführt hat. Die naheliegende Interpretation dieser Aussage, dass die Gesamtheit der faktisch wahrnehmbaren Zustände, also der historische Staat beispielsweise, vernünftig sein soll, unterstellt Hegel einen naiven Wirklichkeitsbegriff.11 Es wird dabei außer Acht gelassen, dass der Begriff der Wirklichkeit bei Hegel eine logische Kategorie des Seins ist, in dem die Differenz von Erscheinung und Wesen in einer begrifflichen Einheit zusammengeführt und überwunden ist.12 Insofern ist nicht alles, was erfahrbar ist, wirklich und vernünftig, sondern nur das Sein, was vernünftig ist, ist wirklich. Was „Wi r kl i ch kei t hat“ (GPR, § 1) ist ferner weder der „b l o ß e “ (ebd.) Begriff noch das „vorübergehende Daseyn“ (ebd.), sondern die von dem „Begriff selbst gesetzte Wirklichkeit“ (ebd.). Eine „p h i l o s o p h i s ch e R e ch t s w i s s en s ch af t [die] die Id ee d es R ech t s , den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung zum Gegenstande“
11 Sebastian Ostritsch spricht im Verweis auf Hegels Enzyklopädie davon, dass Wirklichkeit für Hegel ein „terminus technicus“ (Ostritsch 2014, S. 36) ist. 12 Hegel schreibt in seiner Logik zum Begriff der Wirklichkeit: „Die Wirklichkeit ist die Einheit des Wesens und die Einheit des Wesens und der Existenz; in ihr hat das gestaltlose Wesen und die haltlose Erscheinung; - oder das bestimmungslose Bestehen und die bestandlose Mannichfaltigkeit ihre Wahrheit.“ (WdL, S. 369) Wenn Hegel von Wirklichkeit spricht, dann kann dies als eine Qualifizierung eines Seinszustandes betrachtet werden, der als vernünftig und damit als Verwirklichung der Idee erkennbar sein soll. Mit Wirklichkeit ist eben kein empirisch wahrnehmbares Dasein gemeint. Ontologie und Epistemologie sind nicht voneinander in der Form getrennt, als dass der Mensch auf eine Wirklichkeit stößt, die es zu erkennen und zu beherrschen lernt. Dem Menschen widerfährt ein Dasein, in dem es sich selber wiedererkennt.
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(ebd.) hat, kann sich nach Hegel weder auf eine formelle begriffliche Deduktion konzentrieren und belehrend angeben, wie ein Zustand sein sollte. Sie kann ferner auch nicht das faktisch Daseiende als wirklich betrachten. Sie muss vielmehr an den „Erscheinungen“ zeigen, was das Wesenhafte bzw. Wesentliche an diesen ist. Der einzelne Staat muss als Individuierung der Idee betrachtet und in diesem die Idee „als denkendes Selbstverhältnis“ (Vieweg 2012, S. 42) herausgeschält werden. Es müssen folglich die vernünftigen Prinzipien in ihm erkannt und zur Wirklichkeit kommen. Es ist also ein Programm immanenter rekonstruktiver Kritik vorgezeichnet, in der eine Differenz innerhalb der Realität durch den Begriff der Wirklichkeit eingezogen ist und deren Prinzip sich auch Honneth bedient (s. Kap. 2.3).13 Der Begriff des Rechts als staatlich gesetztes und institutionalisiertes Recht, was zu tun verlangt wird, und das moralische Recht, was zu tun als richtig erkannt und gesollt wird, soll in der Idee des Rechts aufgehoben und Recht und Gerechtigkeit zusammengedacht werden. Nur in der Gleichzeitigkeit beider Bestimmungen des Rechts ist für Hegel entsprechend Freiheit denkbar. Dies bedeutet, dass das Individuum sich als rechtschaffender Bürger/rechtschaffende Bürgerin eines vernünftigen Staates mit vernünftigen Gesetzen erfahren kann.14 Die Bedingung für einen entsprechenden Nachweis ist für Hegel der „logische“ und damit wissenschaftliche Nachweis für die Vernunft der Rechtsinhalte, womit er über die Konstruktion eines abstrakten Rechtsbegriffs hinausgeht. Dies ist der Grund, weswegen er die Rechtsphilosophie in einen Zusammenhang mit seiner Logik stellt und diese äquivalent als eine „Kategorienanalyse und Subjektivitätstheorie“ (Siep 2017b, S. 7) konzipiert. Die Methode, mit der er den kantischen Dualismus der Rechtsphilosophie überwinden möchte, lässt sich als „soziologische“ Analytik des institutionellen Gefüges der Gesellschaft lesen. „Soziologisch“ im Sinne einer systematischen Darstellung der gesellschaftlichen
13 Hierzu: „This means that actuality [d.h. Wirklichkeit] includes, beyond mere existence, a philosophical comprehension of the rational principles that inform existing reality and make manifest its inherent goodness. Applied to the social world, ,actuality‘ refers to existing social reality as reconstructed within rational (philosophical) thought […]. As such, actuality represents a purified version of existing reality that is more fully rational than any particular existent social order but that is not for that reason indivepend of, or out of touch with, the existing world“ (Neuhouser 2000, S. 258). 14 Hierzu schreibt Hegel: „Auf die Frage eines Vaters, nach der besten Weise seinen Sohn sittlich zu erziehen, gab ein Pythoräer (auch anderen wird sie in den Mund gelegt) die Antwort: wenn du ihn zum B ü r g e r e i n e s S t a a t s vo n g u t e n G e s e t z e n machst“ (GPR, § 153).
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Differenzierungsprinzipien. Er möchte folglich nachweisen, dass die sozialen Subsysteme „logische“ Begriffe beinhalten, die sich in der Ausdifferenzierung der Gesellschaft entfalten und in ihrer Komplexität anreichern. Im Gesamtsystem sollen die Differenzen in eine Einheit aufgehen, die als Einheit des Wissens auch die Einheit des Subjekts herstellt (vgl. Vieweg 2012, S. 43). Am Ende dieses Prozesses soll die Selbsterkenntnis stehen, die nicht von Fragen der ethischen Gerechtigkeit geschieden sein soll. Das Ganze als vernünftig zu erkennen heißt dann auch, sich selbst im Ganzen zu erkennen und als Teil des Ganzen zu wollen. Wissen und Wollen werden teleologisch vereint. Hierbei kommt ein grundlegendes Argument seiner theoretischen Betrachtung zum Ausdruck und zwar, dass Institutionen zwar historisch gewachsen, aber nicht von Natur aus gegeben seien. Sie seien, wie dargestellt, geistiger und damit für Hegel von sozialer Natur. Deswegen spricht Hegel auch von der „zweyten Natur“ (GPR, § 4), die aus dem Willen des Menschen hervorgeht und damit Produkt bzw. Objektivation menschlicher Freiheit sei. Dies lässt sich nun in drei inhaltlichen Implikationen für das Verständnis von Hegels Rechtsphilosophie zusammenfassen. (1) Erstens bringt die „zweyte Natur“ als eine geistige Natur gleichzeitig Subjektivität hervor und wird von dieser konstituiert. Sie existiert darüber hinaus als allgemeiner Wille bzw. „s i t t l i ch e S u b s t a n t i a l i t ät “ (ebd., § 152) aufgrund des Willens Einzelner. Mit der Subjektivität meint Hegel aber nicht die individuelle Selbstanschauung, sondern eine logisch kohärente Selbsterkenntnis. Das Ganze als Vernünftiges sei auch immer mehr als die Gesamtheit der Individuen bzw. der Akzidenzen. Ohne Individuum oder Akzidenz ist das Ganze jedoch auch nicht wirklich. (2) Die zweite Implikation ist, dass die „substanzielle Wirklichkeit“ nur dann objektivierter Geist sein kann, wenn sie als Verwirklichung der Freiheit erfahrbar wird, sie also als Rechtsstaat die Subjektivität objektiviert. Dies ist erfüllt, wenn das Individuum als Mitglied der Gesellschaft zum Subjekt wird, indem es die Institutionen als „seine“ bzw. als Erweiterung seiner Persönlichkeit verstehen lernt. (3) Diese als „seine“ verstanden wissen zu können, hieße für Hegel des Weiteren, dass sie rational sein müssen oder anders ausgedrückt, sie sachlogisch als Ganzes begriffen werden können. Die Architektur von Hegels Rechtsphilosophie ist in Folge dessen als eine Erfahrungsgeschichte der Freiheit bezogen auf die Menschheitsgeschichte und auf das subjektive Selbst- und Weltverhältnis konzipiert. Als Ideen der Freiheit führt er das abstrakte Recht an, womit Hegel das Naturrecht bzw. Vernunftrecht abhandelt, die Moralität, in der er seine Handlungstheorie darlegt, und die Sittlichkeit, in der er seine Institutionentheorie expliziert (vgl. Honneth 2010a, S. 34 f.). Diesen Freiheitsideen sind jeweils charakteristische Selbst- und Weltverhält-
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nisse immanent, die Hegel mit den Begriffen des Wissens und des Wollens analysiert und ausdekliniert. Mit den Freiheiten sind zudem Rationalitätsformen verknüpft, die solange abstrakt, einseitig und damit unbegriffen bleiben, solange sie nicht die soziale Wirklichkeit strukturieren, d.h. solange sie nicht zu vernünftigen Institutionen geworden sind. Als Institutionen bzw. „s i t t l i ch [e] Mä c h t e “ (GPR, § 145) betrachtet Hegel die Familie und Ehe, die bürgerliche Gesellschaft bestehend aus Ökonomie, positivem Recht, der Polizei als Verwaltungs-, Versorgungs- und Sicherheitsinstitution und der Korporation im Sinne von Berufsgenossenschaft und den Staat als höchste und alles umfassende Institution bzw. als „organische Totalität“ (ebd., § 256). Der freie Wille und die Subjektgenese Basal für Hegels Verständnis von Subjektbildung ist hierbei dessen Willensbegriff (vgl. Rawls 2002, S. 427), den er als theoretischen Ausgangspunkt seiner Rechtsphilosophie gewählt hat. Er begreift den Willen ausgehend von seinen Ausführungen in der Enzyklopädie als praktischen Geist bzw. als eine Verwirklichung von Gedanken, die innerhalb ihrer Tätigkeit Objektivität erlangen (vgl. Wigger 1983, S. 57 f.).15 Mit der Bestimmung des Willens als dem Ausgangspunkt der „zweyten Natur“ (GPR, § 4), d.h. das „Rechtssystem“ als „das Reich der verwirklichten Freiheit“ (ebd.), denkt er die Geschichte als eine Entfaltung des Geistes, in der die Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens aus einem Prozess der Objektivierung subjektiver Handlungsvollzüge hervorgehen. Hegel spricht der Rationalität hierbei eine Intentionalität zu, die die praktische Identifikation strukturiert. Freiheit als Selbstbestimmung bzw. Autonomie meint für Hegel die Einheit von der Person als „u n en d l i ch es Ich “ (ebd., § 14) und der Person als bestimmte gesellschaftliche Persönlichkeit.16 Der Mensch ist dann frei, wenn er sich als freies Subjekt will und sich in seiner Besonderheit als frei
15 Der Willensbegriff kann als ein historisches Deutungsmuster interpretiert werden, ohne den ontologischen und metaphysischen Bedingungen, die Hegel in seinen Geistbegriff vereint, folgen zu müssen (hierzu: Rawls 2002, S. 426; Honneth 2001). 16 Zur Doppelfunktion der Bestimmungen von Persönlichkeit und Person in Hegels Rechtsphilosophie sagt Michael Quante: „Die Persönlichkeit des Willens ist in dem Sinne das Universalprinzip der Rechtsphilosophie, dass sie auf keiner der reichhaltigeren Entwicklungsstufen verloren gehen darf. Als das Moment der ,Allgemeinheit, (§ 35) ist sie einerseits unverzichtbarer Bestandteil jeder Stufe des an und für sich freien Willens; andererseits wird dieses Moment der Allgemeinheit selbst im Laufe der Willensteleologie auch ,konkreter‘, so dass die Bestimmung der Persönlichkeit selbst einen Differenzierungs- und Anreicherungsprozess durchläuft“ (Quante 2017, S. 44).
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weiß. Der zweite Halbsatz markiert nun auch eine Differenz zu personalen Autonomievorstellungen, die allein von der individuellen Intention ausgehen. Hegel geht vielmehr von einer sozial vermittelten Freiheit aus, in der zum einen die Institutionen die zum Handeln befähigenden Selbst- und Weltverhältnisse bereitstellen und in der zum anderen die Individuen ein reflexives Bewusstsein über ihr Freisein erlangen (hierzu: Quante 2011, 318 ff.). Hegel differenziert den freien Willen hieraus folgend in drei Momente, die dialektisch miteinander verwoben sind, (1) die Negativität der abstrakten Allgemeinheit, (2) die Selbstbestimmung der Besonderheit und (3) die Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit im Sozialen. (1) Das erste Moment ist die „reine […] Reflexion des Ich in sich“ (GPR, § 5). Hierunter fasst Hegel das Konzept des selbsttransparenten absoluten Subjekts, dass sich vom Inhalt seines Wollens und Denkens insofern frei weiß, als dass es sich auf den Standpunkt des „reinen D en ken s “ (ebd.) zurückziehen und von jeglicher Bestimmtheit abstrahieren kann. Mit dieser Rekurrenz auf das Descartessche Ich, dass jede inhaltliche Bestimmung als „Schranke“ (GPR, § 5) seiner Freiheit erfährt, weiß sich das Ich nur in der Negativität bzw. im „negative[n] Wille[n]“ (GPR, § 5) bei sich selbst. Es ist der reine Begriff des Selbstbewusstseins, der qua rationaler Intentionalität zum reinen „Sich-Selbst-Wollen“ (Quante 2011, S. 319) ohne Begrenzung wird, und damit das Begriffsmoment einer Allgemeinheit, die ohne Inhalt in einen infiniten Regress bzw. einer „schrankenlosen Unendlichkeit“ (GPR, § 5) übergeht. Hegel thematisiert mit dem „reinen Ich“ die Idee der erstpersönlichen Perspektive bzw. einer Subjektfigur, die nach Wahrheit strebt. Es weiß sich dann als verwirklicht, wenn eine vollkommene Identität bzw. eine Ich-Gleichheit erfahrbar wird. Das „reine Ich“ ist hierbei insofern dialektisch, als dass die Frage nach der Wahrheit einerseits eine Negation bzw. eine systematische Skepsis gegen alle als wahr angenommenen Aussagen induziert, die bei genauerer Betrachtung sich als widersprüchlich, einseitig bzw. partikular herausstellen. Sie wirkt aber andererseits in dieser Skepsis destruktiv und verflüssigt letztlich die eigene Identität. Die „reine Reflexion“ ist nach Hegel hieraus folgend eine „Freiheit der Leere“ (ebd.), da die Skepsis gegen jeden Inhalt einen Begriff des wahren Ich voraussetzt und diesen zugleich verunmöglicht. Sie würde zur „Furie des Zerstörens“ (ebd.), worin er den Grund für religiösen und politischen „Fanatismus“ (ebd.) sieht.17 Den Absolutheitsanspruch dieses Freiheitsmomentes blendet jede Form der Selbstbegrenzung gegenüber anderen aus und wendet sich reaktionär gegen diese.
17 Hier hat er nach Schnädelbach vor allem den jakobinischen Terror vor Augen (vgl. Schnädelbach 2000, S. 182).
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(2) Die Frage, „Wer bin ich?“, können wir nach Hegel weiter nur beantworten, wenn wir unserem Ich einen bestimmten Ort geben und es mit Inhalt füllen. Deswegen ist das zweite Moment des Willens bei Hegel die Selbstbestimmung, „das Übergehen aus unterschiedsloser Unbestimmtheit zur Un t er s ch e i d u n g , B es t i m m en und S et zen einer Bestimmtheit“ (ebd., § 6). Sie ist die Identifizierung mit einem Wunschgehalt bzw. mit einem Inhalt des Willens. Michael Quante und Axel Honneth plausibilisieren dieses Moment der Selbstbestimmung mit Harry Frankfurts hierarchisch gestuftem Autonomiebegriff (vgl. Quante 2011 S. 300 ff.; Honneth 2001, S. 25 f.), bei dem die willentliche Identifizierung mit dem handlungswirksamen Wunsch Selbstbestimmung bedeute (vgl. Frankfurt 1971, S. 7 ff.). Mit Frankfurt lässt sich nämlich die Aussage „Ich will x“ sowohl auf (1) Handlungen als auch auf (2) Willensinhalte beziehen. (1) Im ersten Fall erstreckt sich das Wollen auf Wünsche erster Ordnung. Bsp.: Ich will ein Steak essen. (2) Im zweiten Fall ist das „Ich will“ auf die Wünsche zweiter Ordnung bezogen. Bsp.: Ich will mich eigentlich vegetarisch ernähren und möchte deswegen kein Steak essen. Autonomie hieße für Frankfurt nun, dass ich einen Wunsch zweiter Ordnung habe, der handlungsbestimmend werden soll. Bei dem Beispiel hieße dies, dass das Ich darauf verzichtet, das Steak zu essen. In diesem Fall würde es sich mit seinem Wunsch zweiter Ordnung identifizieren, „Ich bin Vegetarier“. Wenn der Widerspruch zwischen dem Wunsch erster und zweiter Ordnung aufrecht erhalten bliebe, läge ein Fall von Selbsttäuschung oder Willensschwäche vor. Die Willensfreiheit kann aus diesem Horizont heraus als „beschließender Wille“ (GPR, § 12) und damit „wirklicher Wille“ (ebd., § 12) gedacht werden. In diesem Sinne ließe sich Hegels Aussage, dass das Ich „in das Dasein“ (ebd., § 5) tritt, als eine Bestimmung des Willensinhaltes und einer Identifikation mit diesem verstehen. Das Ich bestimmt sich hier als konkrete Person bzw. als jemand mit besonderen Einstellungen, Haltungen und Präferenzen. Diese Individualisierung seiner selbst ist für Hegel allerdings auch unzureichend, weil das Subjekt sich nur in einer scheinbaren Unabhängigkeit wägt, da es die natürliche und soziale Bestimmtheit seiner Willensinhalte reflexiv nicht einholen könnte (vgl. ebd., § 15). (3) Deswegen ist das dritte Willensmoment die „Einheit“ (ebd., § 7) von Allgemeinheit und Besonderheit, womit Hegel ein prozessuales Gedankenmodell entwirft, in dem das Ich sich selbst negieren muss, um seine Identität im Allgemeinen zu erhalten, und erst mit der Verallgemeinerung dieser Bestimmung das Subjekt sich als Freies erfahren kann. „Der Wille ist die Einheit dieser beyden Momente; - die i n s i c h reflectirte und dadurch zur A l l g e m e i n h e i t zurückgeführte B e s o n d e r h e i t ; - E i n z e l n h e i t ; | die S e l b s t b e -
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s t i m m u n g des Ich, in Einem, sich als das Negative seiner selbst, nemlich als b e s t i m m t , b e s c h r ä n k t zu setzen und bey sich, d.i. in seiner I d e n t i t ä t mi t s i c h und Allgemeinheit zu bleiben, und in der Bestimmung sich nur mit sich selbst zusammen zu schließen.“ (Ebd., § 7)
Das „S u bj ekt “ (ebd.) ist für Hegel dabei kein vorausgesetztes „Fertiges und Allgemeines“ (ebd.), sondern es wird auf das Allgemeine als konkrete Allgemeinheit und damit auf die anderen bzw. die Gesellschaft verwiesen. Der Mensch ist in diesem Sinne zuerst ein historisches und soziales Wesen. Wenn er sich als Ich bestimmt und sich somit als beschränkt oder anders ausgedrückt abhängig erfährt, erkennt es sich in seiner Besonderheit, aber auch in seiner Abhängigkeit. Es gewinnt ein Selbst- und Weltverständnis, das wiederum nur als frei wahrgenommen werden kann, wenn das Ich sich in der Beschränkung als Selbst erfährt bzw. wenn „ihm seine Freyheit Gegenstand sey“ (ebd., § 27). Hier ist es wichtig anzumerken, dass Hegel seine Beschäftigung mit dem Begriff des freien Willens explizit nicht ausgehend von der Seite der Selbstverursachung denkt (vgl. Pippin 2017, S. 35 ff.). Im Verharren am Gedanken der Selbstverursachung liegt ihm nach genau der Mangel des abstrakten Begriffs der Idee des freien Willens, „d er f re ye Wi l l e, d er d en f r e ye n Wi l l e n wi l l “ (ebd., § 27). Ob ich frei sein kann, wird hier zur Frage nach dem Status der Triebe oder nach einer spezifischen „Anlage der Freyheit“ (ebd., § 22). Der Standpunkt „der B eu r t h ei l u n g d e r Tri eb e “ (ebd., § 18), ob gut oder böse, kann nach Hegel keine befriedigende Antwort bieten, da diese immer bei der „Willkühr“ (ebd.) stehen bleibt. Auch die Vorstellung von natürlichen sozialen Trieben, die er der „empirischen Psychologie“ (ebd., § 19) zuschreibt, unterliegt aus Hegels Perspektive einem Widerspruch bzw. einem Kategorienfehler, da die Triebe nicht mit Pflichten gleichgesetzt werden könnten. Eine Psychologie kann demnach keine „Wissenschaft des Rechts“ (ebd.) sein, da diese einer „philosophische[n] Gestalt“ (ebd.) bedürfe. Es wäre nach Hegel „wo h l f ei l “ (ebd.) anzunehmen, dass der Mensch „die Th at s ach e s ei n es B ewu ß t s e yn s in sich“ (ebd.) fände; dass dieser also „von Natur den Trieb zum Recht, auch den Trieb zum Eigentum, zur Moralität, auch den Trieb der Geschlechterliebe, den Trieb zur Geselligkeit u.s.f. habe“ (ebd.). Diese Zwecke müssten im Kontrast hierzu auf „das vernünftige System der Willensbestimmung“ (ebd.) bezogen bzw. aus dem „Begriffe“ (ebd.) heraus betrachtet werden. Die Inhalte der Begriffe sind hiernach „Inhalt der Wissenschaft des Rechts“ (ebd.) und nicht die vermeintlichen „Naturbestimmungen“ (ebd.). An der Position, Freiheit als Anlage zu postulieren, mit der er auf Kant referiert, hebt er nun zwar die „Forderung der R ei n i gu n g d e r Tr i eb e “ (ebd.) zur Überwindung dieser „Naturbestimmtheit“
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(ebd.) als ein wahres Moment heraus, da die Triebe durch die „Reflexion“ (ebd., § 20) von ihrer „Rohheit und Barbarey“ (ebd.) befreit werden würden. In dem „Hervortreiben der Allgemeinheit des Denkens“ (ebd.) liegt gerade der „absolute Werth der B i l d u n g“ (ebd.). Erst wenn aber das Selbst seinen besonderen Willen auf den Begriff gebracht hat, kann es sich der These Hegels nach als frei erkennen. Dies ist der Grund, um wieder auf das obere Zitat zurückzukommen, dass der Wille in seiner Einheit die „Ei n zel n h e i t “ ist, und diese „Ei n zel n h ei t “ „eigentlich nichts anders [ist], als der Begriff selbst“ (ebd., § 7). Nicht der Wille als solcher ist frei, sondern der Wille ist im Horizont eines spezifischen Selbstverständnisses bzw. Inhalts kann frei sein. „Wenn man daher vom freyen Willen, als solchem, spricht, ohne die Bestimmung, daß er der an und für sich freye Wille ist, so spricht man nur von der Anlage der Freyheit, oder von dem natürlichen und endlichen Willen (§. 11.) und ebendamit, der Worte und der Meynung unerachtet, nicht vom freyen Willen.“ (Ebd., § 22)
Freiheit ist also weder die unmittelbare triebgeleitete Identifizierung mit einem Wunschinhalt erster Ordnung noch die reflexive Identifizierung mit einem Wunschinhalt zweiter Ordnung, sondern die reflexive Identifizierung mit einem Wunschinhalt, der vernünftig bzw. „Daseyn des Begriffs“ (ebd., § 22) ist. Dies wiederum ist weder von einem Innen noch von einem Außen her zu beurteilen. Die Argumentationsfigur Hegels entspricht einer Entäußerungsbewegung, in dem der Wille fähig ist, nach außen Zwecke zu setzen. Dieses Außen ist zugleich aber die Allgemeinheit des Willens als Wirklichkeit (die Normen, die Institutionen). Der Wille übersteigt dabei in seiner prozessualen, dialektischen Struktur diesen Gegensatz. Die Ich-Gleichheit ist hiernach ein Resultat einer „s i ch s el b s t b e s t i m m en d e [n] A l l ge m ei n h e i t “ (ebd., § 21). Erst als „sich in sich vermittelnde Thätigkeit und Rückkehr in sich“ (ebd., § 7) ist der Wille ein freier Wille und Wirklichkeit des Rechts bzw. der Normen, die als selbstverständlich gewollt und als selbstgesetzt gewusst bzw. sie „Mei n i g e “ (ebd., § 11) sind. Pippin interpretiert Hegels Freiheitsbegriff hinsichtlich dieser vermittelten Subjektgenese als ein „certain mode of self-representation and self-understanding“ (Pippin 2017, S. 36) innerhalb sozialer Praktiken. Das Subjekt, das Handlungen vollzieht, muss dabei die Abhängigkeit von anderen erkennen und kann diese Handlung erst vermittelt übers Allgemeine als „seine“ bestimmen. Er verdeutlicht diesen Zusammenhang am Beispiel der Autorschaft: „Thus I can be said to be freely writing this article, its production would be really mine, even if I am in various ways responding to external contingencies and influences not of
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my own making, if the sense or significance of those influences is a feature of general institutional and social practices which are Themselves ‚mine‘, understood by me as practices and institutions without which I could not be me.“ (Ebd., S. 38)
Die Sozialität basiert nun auf der Verschränkung der prozessualen Subjektgenese und der Bildung in die Gesellschaft. Die Bildung verläuft bei Hegel in diesem Zusammenhang zwischen den zwei Dimensionen der Sittlichwerdung zur praktischen Teilnahme an (praktische Bildung) und der begrifflichen Erfassung von der Wirklichkeit (theoretische Bildung) (s. Kap 1.1). Der Bildungsprozess beruht weiter auf der Vermittlung beider Dimensionen in Form eines Selbsterkenntnisprozesses, welcher nicht an einem selbsttransparenten isolierten Subjekt, sondern an einem relationalen Subjekt ansetzt. In einem teleologischen Prozess, dessen Endpunkt die Aufhebung im Staat ist, changiert die Identitätsbildung zwischen Konkretisierung seiner Identität als Persönlichkeit über den anderen und der Negation der Partikularität der jeweiligen erworbenen Identität. Erst wenn das Subjekt seine soziale Existenz als allgemein weiß und sein Wollen mit dem Willen der anderen bzw. der Allgemeinheit übereinstimmt, käme dieser Bildungsprozess zu einem Abschluss (vgl. Wigger 1981, S. 61 f.). In diesem Fall ist die doppelte Negation der Aufhebungsbewegung des Willens, die Negation des natürlichen Seins durch die Gewohnheit an die Sitten und die Negation der Unmittelbarkeit der Sitten durch die Reflexion der Sitten, verwirklicht. Das Verhältnis von Gewohnheit und Bildung Zum Verständnis dieser Bildungsbewegung wird nun ein kurzer Blick auf die rudimentäre Gewohnheitstheorie Hegels, die in der Regel als neoaristotelische Position interpretiert wird 18 und in der Gewohnheiten nicht auf natürliche Dispositionen reduzierbar sind, geworfen. Hegel bestimmt die Gewohnheit in der Enzyklopädie als eine „U e b u n g “ (Enz., § 410) und einen „Mechanismus des Selbstgefühls“ (ebd.) durch das die „zweite Natur“ (ebd.) entsteht. Als eine „Einund Durchbildung der Leiblichkeit“ (ebd.) kann der Mensch seine Gefühle und „Vorstellungs-Willens-Bestimmungen“ (ebd.) mechanisieren und dadurch eine Unmittelbarkeit verleihen, in der er nicht mehr von seiner „Naturbestimmtheit“ (ebd.) getrieben wird. Matthias Haase macht im Kontext von Hegels Gewohnheitsbegriff geltend, dass hier die anthropologische Gewohnheitstheorie Hegels
18 Hierzu: Pinkard (2013); Pippin (2008); Quante (2011); Wood (1990). Vernunft wird innerhalb des praxistheoretischen Neohegelianismus als eine besondere Gewohnheit im Verhältnis zu anderen Gewohnheiten wie etwa dem Sprechen gefasst (kritisch hierzu: Haase 2017, S. 426).
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keine systematische ist und mit dieser der „Zirkel von Selbsterhaltung und Reproduktion“ (Haase 2017, S. 426) nicht erklärbar wäre. Der Begriff der Gewohnheit müsste bei Hegel aber in ein Verhältnis zu den Begriffen „der Erkenntnis und der sozialen Wirklichkeit“ (ebd.) gesetzt werden, womit die Anthropologie überstiegen wird und die Philosophie des Geistes greift. Dieser Hinweis ist insofern relevant, als dass Hegel den Menschen und sein Verhalten im gesellschaftlichen Kontext und der Sinngenese in kooperativen Praktiken betrachtet, die wiederum an die Reflexion gebunden sind (s. Kap. 2.3.3). Nehmen wir einmal das Beispiel des Sprechens. Dies wäre aus dieser Theorieannahme eine Praxis, die nicht aus einer natürlichen Disposition oder Fähigkeit heraus ableitbar wäre. Es wäre als wiederholter Vollzug einer Tätigkeit im Rahmen der Allgemeinheit bzw. der Verständlichkeit zu denken. Die willkürliche Aneinanderreihung von Lauten kann hiernach aber noch kein Sprechen sein. Erst die Strukturierung der Laute nach phonetischen, morphologischen und syntaktischen Regeln würde eine Äußerung verständlich werden lassen und damit eine Bedingung von Sprechen erfüllen. Diese Ordnungsstrukturen können ferner nicht biologisch interpretiert werden, sondern müssten mit Hegel als geistige Objektivationen betrachtet werden, die ihre Realität darin haben, dass sie praktiziert werden und die eine funktionale Kooperation von Menschen in ihrer sozialen Existenz ermöglichen. Dies gilt zugleich auch für das Denken, das Hegel als eine Praxis begreift. „Das ganz freie, in dem reinen Elemente seiner selbst thätige D e n k e n bedarf ebenfalls der Gewohnheit und Geläufigkeit, dieser Form der U n m i t t e l b a r k e i t , wodurch es ungehindertes, durchgedrungenes Eigenthum meines e i n z e l n e n S e l b s t s ist. Erst durch diese Gewohnheit e x i s t i r e Ich als denkendes für mich. Selbst diese Unmittelbarkeit des denkenden Bei-sich-seyns enthält Leiblichkeit (Ungewohntheit und lange Fortsetzung des Denkens macht Kopfweh); die Gewohnheit vermindert diese Empfindung, indem sie die natürliche Bestimmung zu einer Unmittelbarkeit der Seele macht.“ (Enz, § 410)
Hegel skizziert hier eine Art Supervenienzbeziehung zwischen Ich und dem Denken als Praxisform. Begriffliche Differenzierung, analytische und synthetisierende Fähigkeiten sind Tätigkeiten, die geübt werden müssen und für die der Einzelne sich selbstdisziplinieren muss, um nicht von der Partikularität und von der Idiosynkrasie der Empfindungen und „willkürliche[n] Einfälle[n]“ (GPR, § 151 Zus.) beherrscht zu werden. Die „zweyte Natur“ ist in diesem Kontext als eine geistige bzw. soziale Wirklichkeit zu betrachten, die nicht in der scheinbar unveränderlichen Struktur der ersten Natur aufgeht, sondern anhand der Kategorie der Bildung prozessual und transformativ gedacht wird (vgl. ebd., § 151). Der
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Mensch als Einzelner wird durch das Allgemeine (die soziale, institutionelle Umwelt, die Lebensformen, die Kultur etc.) bestimmt, das wiederum plastisch und formbar vorgestellt werden muss (vgl. Malabou 2005, S. 69). Die Prozessualität und Transformativität wird aber nicht individuell, wie etwa bei humboldtianischen Ansätzen, sondern historisch gesellschaftlich verortet. Dies wird sehr deutlich, wenn Hegel die Gleichzeitigkeit von Freiheit und Unfreiheit in der Gewohnheit herausstellt. Die Disziplinierung des Körpers durch „Verleiblichung“ von Praktiken ist der Zwangscharakter der Tätigkeit und gleichzeitig die Ermöglichung von Handlungsfähigkeit aufgrund der „u n mi t t el b ar e[ n], b e wu ß t l o s e [n] Stellung“ (Enz., § 410) von Gewohnheiten, in der die befreiende Wirkung liegt. Gewohnheiten ermöglichen folglich soziale Handlungen durch die Integration in die historisch gewordenen Institutionen und sichern die Kontinuität dieser zugleich. Die „f o rme l l [e]“ (ebd.) Befreiung liegt nun einerseits in der Unmittelbarkeit von Gewohnheiten bzw. in der Befreiung von der aufwendigen Handlungskoordination komplexer, simultan ablaufender Prozesse und andererseits in der Suspendierung der „Wieso-Frage“. Die Unfreiheit der Gewohnheit sei nach Hegel des Weiteren „r e l a t i v “ (ebd.), da zwischen guten und schlechten Gewohnheiten unterschieden werden könnte. So habe „die Gewohnheit des Rechten überhaupt, des Sittlichen, […] den Inhalt der Freiheit“ (ebd.). Der Zwang der Gewohnheit muss sich in der Hinsicht der Verwirklichung von Freiheit und damit auch im Horizont der differenten, historisch entstandenen und in Institutionen vergegenständlichten Willensformen als gerechtfertigt erweisen. Das Gewöhnen an institutionalisierte Praktiken hat hierbei sowohl eine praktische als auch eine reflexive Auseinandersetzung mit der sozialen Realität. Eine praktische im Vollzug sozialer Praktiken, die in Institutionen als deren Gesamtzusammenhang eingebettet sind und in das Individuum hineinversetzt werden. Eine reflexive im Sinne eines Begreifens des symbolischen Gehalts der institutionalisierten Umwelt und eines differenzierten Verstehens seiner selbst innerhalb der komplexen sozialen Handlungssphären. Ohne Reflexion bleibt der Wille bloß ein „objektive[r] Wille“ (GPR, § 26) bzw. ein Wille, der ohne Selbstbewusstsein ist. Hierzu zählt Hegel „kindliche, sittliche, wie der sclavische, abergläubische u.s.f.“ (ebd.) Willensformen. Bildung ist nun als Gewöhnung „die harte Arbeit gegen die bloße Subjektivität des Benehmens, gegen die Unmittelbarkeit der Begierde, so wie gegen die subjective Eitelkeit der Empfindung und die Willkühr des Beliebens“ (ebd., § 187). Als reflexive Bewegung ist Bildung eine höhere Bildung zur „Verständigkeit“ (ebd.) und zur Besonderheit des Allgemeinen, welche nur denkend begriffen werden kann. Das Bildungssubjekt erreicht sein Telos in einer freien Subjektivität innerhalb einer verwirklichten und vernünftigen Sittlichkeit. Es ist nun He-
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gels These, dass die Negativität der begrifflichen Differenzierung als Prinzip der Subjektivität eine affirmative Form einnimmt, weil die Sittlichkeit als Substanzielle durch die Struktur des Selbstbewusstseins charakterisiert sei. In ihr wird die Verwirklichung des dritten Willensmoments und damit die Idealität einer sittlichen Sozialität konkret. Die sozialen Institutionen nehmen die Eigenschaften einer Subjekthaftigkeit an, womit diese personalisiert werden. Der Bildungsprozess läuft hier auf den Bahnen einer geschichtlichen Begriffsentfaltung menschlicher Institutionen und der subjektiven bildenden Arbeit, die in der Sittlichkeit verschränkt werden. Die gebildete Sittlichkeit und die Sittlichkeit der Bildung Mit dem Begriff der Sittlichkeit rekonstruiert Hegel nach eigenem Verständnis ein Geflecht an Institutionen, die im Sinne einer zwanglosen Verpflichtung eine vernünftige und integrierende Struktur aufweisen und aufgrund dessen einen „an und für sich seiende[n] Willen“ (GPR, § 21) ermöglichen sollen (vgl. Honneth 2001, S. 102 ff.). Die Integration in die „zweyte Natur“ beschreibt er hierbei als einen dialektischen Bildungsprozess, in dem das Ich einerseits durch die Gewöhnung an die Vergesellschaftungspraktiken der differenten Handlungssphären, Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat, und andererseits durch die Abarbeitung an der Unmittelbarkeit der immanenten Sitten Subjektivität erwirbt. Dabei erkennt das Selbst sich nur in Relation zu den Sphären, als konkretes und partikulares Ich und nicht als reines und allgemeines Ich. Es erfährt sich entsprechend dem Gesellschaftsmodell Hegels als Familienmitglied, als Marktteilnehmer/-in, als Rechtsperson und als Bürger/-in eines Staates (vgl. GPR, § 289). Im Zuge der Subjektgenese erhält das Ich damit zwar einen zunehmend gehaltvolleren Begriff seiner selbst bzw. seiner Persönlichkeit. Diese Identitätsbildung muss hierbei aber als ein Schwanken zwischen Selbstgewissheit und Verlust, zwischen Bestimmtheit und Zweifel vorgestellt werden. Hegel unterlegt diesem Prozess keine vorgängige unverwechselbare Individualität, die teleologisch verwirklicht werden soll. Sie ist eine Verwirklichung der Idee der Subjektivität selber (vgl. ebd., § 152). Die Institution der Familie „als die u n mi t t el b a re S u b s t an t i a l i t ä t des Geistes“ (ebd., § 158) löst die Subjektivität als Selbstgefühl und -bestimmung in ihrer symbiotischen Struktur der „Li eb e “ auf und weist damit über sich hinaus. Die Subjektivität „als selbstständige concrete“ (ebd., § 181) Person leitet in die bürgerliche Gesellschaft über und erhält im System der Bedürfnisse (s. Kap. 1.1) Realität, die durch den „äu ß eren S t aa t , - No t h - u n d V e rs t an d es - S t aa t “ (ebd., § 183) begrenzt wird. Hier gewinnt die Subjektivität einen konkreten Ort innerhalb des differenzierten Ganzen des Staates. Das abstrakte Recht und die Moralität werden in ihrer Abstraktheit überwunden und
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gleichzeitig in die „s u b s t an t i el l [e] S i t t l i ch k ei t “ integriert. Die subjektive Seite der Sittlichkeit erstreckt sich hier über das Privatrecht, das bürgerliche Wohl und die „sittliche Gesinnung“, die durch die „Korporationen“ als „zweite Familie“ und die Stände als Instanziierung der Regierungsgewalt in der bürgerlichen Gesellschaft mit dem Staat vermittelt werden soll (vgl. Schnädelbach 2000, S. 303 ff.). Hegel lässt diesen dialektischen Prozess dementsprechend im Staat münden, den er als eine „constitutionelle“ (ebd., § 273 Zus.) Monarchie qua „göttliche[r] Autorität“ (ebd., § 279) mit einer bürgerlichen Bürokratie beschreibt, und überführt die Negativität in eine affirmative Haltung des „P at r i o t i s mu s “ (ebd., § 268) als „subjektives Gegenstück“ (Schnädelbach 2000, S. 306) zur objektiven „Idealität“ des Staates. Die Staatstheorie Hegels ist entsprechend eine praktischere Philosophie als politische Philosophie, in der der objektive Geist sich im staatlichen Subjekt konkretisiert. Familie und bürgerliche Gesellschaft finden als „ideelle […] Sphären“ (GPR, § 262) ihren wahren Zweck im Staat und sind in diesem bestimmt. Die Staatstheorie kann hier nur skizzenhaft bleiben. Allerdings soll auf drei grundlegende Aspekte hingewiesen werden. (1) Seine Staatslehre umfasst sowohl die Idee des Staates, den Begriff des Staates als auch seine historische Verwirklichung. Als Idee des Staates ist es die „Wirklichkeit des substantiellen Willens“ (ebd., § 258) und damit verwirklichter Geist. Es ist ferner ein individueller Staat und als ein individueller Staat ein besonderer, der im Vergleich und in Konkurrenz zu anderen Staaten steht. In dieser Form ist die „allgemeine Idee als Gattung und absolute Macht gegen die individuellen Staaten“ (ebd., § 259). Nach Schnädelbach bewegt sich Hegel hier in einem „prekären Zwischenraum zwischen ,dem‘ Staat und den Staaten“ (Schnädelbach 2000, S. 300). (2) Der Staat erhält in Hegels Staatslehre zudem zwei Verfassungen, eine enge und eine weite (vgl. ebd., S. 306 f.). Mit dem Begriff der Verfassung, „die entwickelte und verwirklichte Vernünftigkeit, im B es o n d e r en “ (GPR, § 265), fasst er die Funktionen des Staates als einen „äu ß erl i ch e [n] S t aa t “ (ebd., § 157) gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft. In dieser Form ist der Staat als „f o rmel l e [...] A l l g e me i n h ei t “ (ebd.) nicht er selbst, sondern sichert die Rechtsperson und dessen Wohl als einen Not- bzw. Verstandesstaat. Im Rahmen dieser Bestimmung ist es auch nachvollziehbar, wieso Hegel die „Rechtspflege“ (ebd., § 209) als Verwaltung des positiven Rechts und die „Polizey“ als „sichernde Macht des Allgemeinen“ (ebd., § 231), die eigentlich Regierungsgewalten sind, der bürgerlichen Gesellschaft und nicht den Staat selbst zuordnet. Der weite Begriff der Verfassung, „der eigentlich p o l i t i s c h e Staat und s ei n e V erf as s u n g “ (ebd., § 267), ist die Idee bzw. als Ganzes der „Or ga n i s mu s “ (ebd.) auf den sich die „politische G es i n n u n g “ (ebd.) als „P at r i o -
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t i s mu s “ bezieht. Hier tritt der Staat als „Wirklichkeit der sittlichen Idee“ (ebd., § 257) als „absoluter unbewegter Selbstzweck“ (ebd., § 258) auf. In dieser Differenz von Verstandesstaat und Vernunftstaat kulminiert die Kritik Hegels am Liberalismus und dessen Idee von Gewaltenteilung und Volkssouveränität. Weder möchte er eine Gewaltenteilung, die die Einheit des Staates untergraben würde – der Staat muss eine in sich differenzierte Ganzheit sein, eben eine „organische Totalität“ (ebd., § 256) – noch könne eine „Volkssouveränität“ (ebd., § 279) einen allgemeinen Willen bilden und dementsprechend Freiheit gewährleisten. Das Volk sei ohne die „nothwendig und unmittelbar zusammenhängende G l i ed e ru n g d es G an z en “ (ebd., § 279 Zus.) eine „formlose Masse“ (ebd.). In der konstitutionellen Monarchie sei hingegen in der inneren Struktur die Gesetzgebung als Legislative, die Regierungsgewalt als Exekutive und die „fürstliche Gewalt“ (ebd., § 275) als höchste vereinheitlichende Gewalt gesetzt und die Prinzipien der Demokratie, Aristokratie und Monarchie zusammengeführt, Demokratie in der gesetzgebenden Kammer, Aristokratie in der Regierungsgewalt und Monarchie in der „absoluten Selbstbestimmung“ (ebd.) bzw. im Willensakt des Monarchen. (3) Hegel schließt die prozessuale Gestalt des Bildungsprozesses in der „grundlose[n] S el b s t b es t i m mu n g des Willens“ (ebd., § 279) des Monarchen. In diesem aus ersten und letzten Willensakt konstituiert sich die Individualität der „substantiellen Sittlichkeit“ und hieraus folgend das Subjekt. „Diß absolut entscheidende Moment des Ganzen ist daher nicht die Individualität überhaupt, sondern ein Individuum, der M o n a r c h .“ (Ebd., § 279)
Unabhängig davon, dass es nicht einsichtig ist, wieso einer Person von Geburt aus die Eigenschaft zugeschrieben wird, den allgemeinen Willen zu verkörpern19, ist eine weitere Frage, wie hierin die Freiheit als Identifikation mit dem Ganzen „wirklich“ werden soll. Eine Antwort hierauf gibt Hegel mit der „politischen Ges i n n u n g “ (ebd., § 268) und dem „Zu t ra u en “ (ebd.) des Patriotismus, dass aus dem zur „G ew o h n h ei t gewordene[n] Wollen“ (ebd.) hervorgeht. Dieses „Zu t rau en “ ermöglicht dann auch die Identifizierung mit dem Willensakt des Monarchen und der Gewissheit über dessen Vernunft. Diese unmittelbare Selbstverständlichkeit des Zutrauens ist jedoch noch nicht reflexive Einsicht. Hegel räumt hier ein, dass das Zutrauen „zu mehr oder weniger gebildeter Ein-
19 Karl Marx merkt hierzu kritisch an: „Hegel verschränkt die beiden Subjekte, die Souveränität ‚als die ihrer selbst gewisse Subjektivität‘ und die Souveränität ‚als die grundlose Selbstbestimmung des Willens‘ als den individuellen Willen; durcheinander, um die ‚Idee‘ als ‚Ein Individuum‘ herauszukonstruieren“ (Marx 1972, S. 226).
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sicht übergehen kann“ (ebd.). Die Bildung als „Allgemeinheit des Denkens“ (ebd., § 20) scheint aber dabei von der individuellen Seite ausgehend aufgrund dieser Prämisse keine Notwendigkeit mehr zu sein. Wenn aber die Reflexion als Moment des modernen Subjekts, das sich in seiner Handlung erkannt wissen möchte, in die Sittlichkeit aufgehoben werden soll, dann entstehe hier zumindest eine Spannung. Diese verschärft sich zunehmend mit der Annahme, dass dem Staat das höchste Recht zukommt und es nur der „philosophischen Betrachtung“ (ebd., § 279) zusteht, diesen zu begreifen. Es wäre zu fragen, inwiefern die Gewöhnung hier eine „Befreyung“ sein soll, wenn an ihrem Ende Macht durch Herrschaftswissen legitimiert werden soll. Siep beschäftigt sich in seiner Analyse von Hegels Staatskonzeption genau mit dieser Ambivalenz, die er in einem Spannungsverhältnis von Freiheitsermöglichung und einer „Reprise platonischer Herrschaft der Weisen“ (Siep 1992, S. 238) sieht, das Hegels Rechtsphilosophie charakterisieren würde. Er zeigt auf, dass Hegel den „,modernen‘ Begriff der moralischen Freiheit“ (ebd., S. 223) als einen auf vernünftiger Einsicht beruhende Selbstverwirklichung aufzuheben versucht, ohne jedoch diese in einer totalitär gedachten Allgemeinheit zu negieren. Hegels Begriff der Sittlichkeit als das „lebendige Gute“ (GPR, § 142) soll zwischen der Formalität der Moralität, die nach Hegel die Kluft zwischen subjektiver Einsicht und vernünftig Gesolltem nicht zu überbrücken erlaubt, und einer „bestimmte[n] Gemeinschaft von Menschen“ (Siep 1992, S. 237) vermitteln. Die Sittlichkeit als „ein sich entwickelndes gemeinsames Selbstverständnis (,Geist‘), das sich in Institutionen und Personen ,verkörpern‘ kann“ (ebd., S. 228), dürfte aus Hegels Konzeption heraus seine Wirklichkeit nur im besonderen Willen realisieren, welcher die Gründe für die Regeln gemeinsamer Kooperation begreifen können muss, um sich als frei erkennen zu können. Die Dynamik dieser Denkfigur steht aber im Widerspruch zur Tendenz, dass das Allgemeine unabhängig von der subjektiven Willkür sein soll, sobald es sich als absolut manifestiert und ein Ziel ihrer Entwicklung angibt. In diesem Fall würde „das Gute verendlicht und der Wille um sein sittliches Streben gebracht“ (ebd., S. 227). Die „adäquate Erkenntniß“ (GPR, § 147), in dem die Sittlichkeit auf den Begriff gebracht werden könnte, muss die Gemeinschaft einerseits als Verwirklichung der rechtlichen, moralischen und der sittlichen Freiheit erkennen können, anderseits müsste sich das Begreifen in ihrer Konkretion zugleich ihrer Partikularität bewusst werden. Hieraus müsste die Möglichkeit von Entfremdung und Widerständigkeit gegenüber dem Staat denkbar sein. Während Hegel jedoch noch in den Jenaer Schriften die Entfremdung als Prinzip der Veränderung in Anschlag bringe, würde er nach Siep mögliche Transformationen nur noch „Philosophen und philosophisch gebildeten Beamten“ (Siep 1992, S. 236) zutrauen.
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Die hybride Struktur eines fluiden und kollektiven Selbstverständigungsprozesses werde von Hegel durch „kosmische und logische Entsprechungen“ (ebd., S. 238) umgangen, womit die Sittlichkeit zu erstarren droht. In einer neueren Studie zum modernen Staatsbegriff Der Staat als irdischer Gott macht Siep weiter darauf aufmerksam, dass Hegel Despotie und Tyrannei in seiner Rechtsphilosophie thematisiere und dass er im „Extremfall des ‚Gewissensnotstands‘“ (Siep 2015b, S. 76) die Berechtigung für Verweigerung sehe, aber eben nicht für eine „gewaltsame Widerstandshandlung“ (ebd.). Es gäbe in Hegels Schriften keine „etwaigen Grenzen [der] Gehorsamspflicht“ (ebd., S. 77) gegenüber dem Staat. Historisch erkläre sich die „,Verabsolutierung‘ des Staates“ (ebd.) grundsätzlich über das Verhältnis von Staat und Religion. Gegen kirchliche Machtansprüche und religiösen Fanatismus, die ohne empirischen Nachweis die „höchsten Güter in Aussicht“ (ebd., S. 78) stellen könnten, bedürfe es einer Sakralisierung der staatlichen Autorität, die auf Freiheit ausgerichtet sei. Das Fragwürdige dieser Setzung lässt sich aus Hegels Schriften selbst entnehmen. Das Wissen von Normen und Regeln im Staat ist im Kontrast zur religiösen Wahrheit kein „gegebene[r] Inhalt; der in seinen Grund-Bestimmungen nicht durch Denken und Begriffe erkannt ist; eben so ist das Verhältnis des Individuums zu diesem Gegenstande eine auf Autorität gegründete Verpflichtung“ (GPR, § 270). Hiermit zieht Hegel eine unauflösbare Spannung in seinen Sittlichkeitsbegriff ein, die nur unter der Bedingung eines absoluten und platonischen Wissens im monarchistischen Staat aufgehoben werden kann (hierzu auch: Siep 2017a, S. 523 f.). In Anbetracht der gewaltförmigen Geschichte von Nationalstaaten, der zunehmenden Kontingenz und Pluralisierung von Rationalitätsformen kann weder dieses Primat des Staates noch der ethische Holismus überzeugen. Ohne aber eine harmonisierende Aufhebung des Bildungsprozesses im Staat bliebe auch der Selbsterkenntnisprozess ohne letzten Endpunkt. Anknüpfend an die von Andreas Gelhard vorgeschlagene kritische Lesart von Hegels Phänomenologie des Geistes, in der er „Hegel gegen Hegel – de[n] skeptische[n] Hegel gegen den theologischen Hegel“ (Gelhard 2014, S. 95) in Stellung bringt, müsste auch Hegels Rechtsphilosophie systematisch nach Aktualisierungsmöglichkeiten befragt werden. Aus der hier vertretenen Position bildet die Argumentationsfigur der Bestimmung der Subjektivität als Negation einen Ansatzpunkt, womit die Reflexion im Bildungsprozess im sozialen Raum verankert wird, die an Brüchen, Irritationen und Widersprüchen ansetzend scheinbar zur Natur gewordene Handlungsroutinen nach Gründen zu befragen erlaubt und dadurch die Einsicht in die soziale und historische Vermitteltheit des eigenen Selbst- und Weltverständnisses ermöglicht. Im Kontext der Bildung als Selbsterkenntnisprozess wäre der
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Bildungsprozess, sowohl als eine Mimesis sozialer Rituale und Regeln als auch im Sinne einer möglichen Reflexion und skeptischen Infragestellung von Sitten bzw. Normen und Praktiken zu verstehen. Die Differenzerfahrung des Selbst würde den Staat ferner als hermetisches System Hegels für eine Konfliktualität öffnen, die entsteht, wenn die Integration des Ichs in ein Wir nicht mehr selbstverständlich ist. Indem Bildung gleichzeitig Gewohnheit und Reflexion in sich vereint, erhält der Begriff der Bildung einen ambivalenten Charakter. Bildung kann hierbei auf Anpassung hinauslaufen und sie kann in Kritik resultieren. Hegel schreibt hierzu: „[…] Identität, in der das Sittliche die wirkliche Lebendigkeit des Selbstbewußtseyns ist, kann allerdings in ein Verhältnis des Glaubens und der Ueberzeugung, und in ein durch weitere Reflexion vermitteltes übergehen, in eine Einsicht durch Gründe“ (GPR, § 147). Sie fordere damit eine gesellschaftstheoretische Perspektive heraus, die nach der Form der Bildung fragt. Es kann also gefragt werden, in welcher Form bildet die Gesellschaft das Individuum und nicht nur wie bildet sich das Individuum. Eine weitere Ambivalenz ist die Frage nach dem Status der Gründe, die in ihrer Absolutheit die Funktion von Herrschaftswissen einnimmt. Zur analytischen Wendung von Hegels Bildungsbegriff schlage ich im folgenden drei Dimensionen vor, die auf ontologischen und epistemischen Implikationen von Hegels Willensbegriff beruhen und mit denen ich das Verhältnis von Bildung und Sozialität zu fassen versuche: (1) das sozialontologische Selbst- und Weltverhältnis, (2) das epistemische Selbst- und Weltverhältnis und (3) das epistemische Selbst- und Weltverständnis. (1) Mit dem sozialontologischen Selbst- und Weltverhältnis nehme ich das Verhältnis von Gewohnheit und Bildung auf. Bildung ist hier vor allem ein Sozialisationsgeschehen mit seiner ganzen Ambivalenz. So sei die „praktische Bildung“ (GPR, § 197) eine durch „Zucht sich erwerbend[e] Gewohnheit o bj ect i ve r Thätigkeit und allgemeingültiger Geschicklichkeit“ (ebd.), die sich abhängig von der Struktur der Arbeit modifizieren kann. (2) Das epistemische Selbst- und Weltverhältnis nimmt den Aspekt der Reflexion auf, in dem das Individuum sich in seiner Partikularität und Abhängigkeit von anderen wahrnimmt. Hiermit sollen die Differenzerfahrungen und das Abarbeiten von Unmittelbarkeit der Sitten thematisierbar werden. (3) Mit dem epistemischen Selbst- und Weltverständnis wird auf die reflexive Einsicht und die Frage nach Gründen abgehoben, der „Allgemeinheit des Denkens“. Im nächsten Schritt greife ich wieder die bisher dargestellten Sozialitätsbegriffe auf, um diese im Kontext der hier entwickelten Bildungsdimensionen zu diskutieren.
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3.6.2 Die ontologischen und epistemischen Implikationen von Hegels Bildungstheorie im Diskurs In der folgenden Diskussion konfrontiere ich die bisher erarbeiteten theoretischen Konzeptionen und Sozialitätsbegriffe mit den Bildungsdimensionen, die aus der Beschäftigung mit Hegels Rechtsphilosophie erarbeitet wurden. Im ersten Schritt wird insbesondere das sozialontologische Selbst- und Weltverhältnis fokussiert und am Verhältnis von Institution und Anerkennung diskutiert. Im zweiten Schritt werden die Reflexivität und die epistemischen Implikationen Gegenstand sein und im Rahmen der Frage nach Diskursivität und Begründung betrachtet. Die Sozialität der Bildung Das sozialontologische Selbst- und Weltverhältnis bezieht sich auf die gesellschaftstheoretische Annahme, dass die Subjektwerdung in ein komplexes Geflecht von differenten Anerkennungsbeziehungen eingewoben ist. Der Begriff Bildung bezieht sich in diesem Kontext auf einen sozialen Formierungsprozess, der abhängig von der institutionellen Umwelt ist, indem das Individuum zu handeln lernen muss. Sie ist nicht auf die Erziehung oder auf Schule reduziert, sondern auf den ganzen Bereich des öffentlichen Lebens bezogen. 20 Der Begriff der Anerkennung ist wie an unterschiedlichen Stellen diskutiert (s. Kap. 2.2, 2.3) ein Schlüsselbegriff in Hegels Sozialphilosophie, insofern Anerkennung motivationale und das Soziale konstituierende Funktion hat. Im Kontrast zu anerkennungstheoretischen Interpretationen der Phänomenologie des Geistes, die Anerkennungsbeziehungen als potenziell symmetrische Ermöglichungsverhältnisse konturieren, verschiebt sich mit der Rechtsphilosophie dieses Verhältnis auf eine asymmetrische Ich-Wir-Relation. Die Interaktion ist hier eingerahmt durch Institutionen, in denen die Individuen Einstellungen, Haltungen und Wünsche ausbilden, die von den anderen anerkannt werden. Quante betrachtet Anerkennungsverhältnisse hinsichtlich der Rechtsphilosophie als von sozialen Kontexten konstituierte „Abhängigkeitsbeziehungen“ (Quante 2011, S. 251), die eine Handlung, wie etwa das Grüßen einer Freundin/eines Freundes, zu zwei gleichzeitig ablaufenden Handlungen macht, (1.) die Gestaltung der situativen Interaktion und (2.) die (Re-)Produktion von sozialen Normen (hierzu auch: Wigger 2010).
20 Hannes Kuch dekliniert den hegelianischen Bildungsbegriff für die ökonomische Sphäre durch, wobei er den normativen Gehalt des Bildungsbegriffs im Kontext eines „solidarischen Geist[s]“ (Kuch 2017, S. 148) interpretiert und hierüber einen kritischen Bezugspunkt zu ökonomischen Subjektformierungen entwickelt.
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Jede Handlung, unabhängig davon, ob sie verbal oder nonverbal (Mimiken und Gestiken) getätigt, und indem der andere positiv als anerkennungswürdig gesetzt wird, wäre hiernach multidimensional zu betrachten, als ein interaktionistisches Verhältnis, das in ein institutionelles und gruppenspezifisches Verhältnis eingelassen wäre. Anerkennungsverhältnisse sind demnach triadische Relationen, insofern sie im Rahmen von Normen der Anerkennungswürdigkeit zu verorten sind (hierzu: Behdorf 2010). Die Triade ist hier jedoch noch unscharf, da zwischen normativer Hinsicht und situativen Dritten unterschieden werden muss. Nach Hegel konstituiert das Wir Handlungssphären, die Subjekte als Teil ihrer Persönlichkeit wahrnehmen lernen und sich mit diesen identifizieren (s. Kap. 2.6.1). Hieran knüpft Honneth an und eröffnet damit die Dimension des Wir als historisch konkretisierte Institution. Situativ können sich aber verschiedene Wir-Formen in Gruppen überlagern, die Auswirkungen auf die Handlungen haben können. Vor wem und von wem die oder der Anerkannte anerkannt wird, macht einen Unterschied bezüglich der Reaktion. Wird die Autorität der anerkennenden Person anerkannt? Welche Relevanz haben die Personen, von denen die anerkannte Person anerkannt wird? Stehen sie zueinander in einem kooperativen, konkurrierenden, freundschaftlichen, solidarischen etc. Beziehungsverhältnis? Welche Bedeutung hat die anerkennende Person für die anwesenden Dritten? Sind es gleichzeitig verschiedene Gruppen? Anerkennungsverhältnisse müssten folglich danach unterschieden werden, wer wen, vor wem und in welcher Hinsicht anerkennt. Nicole Balzer hat zur Verdeutlichung dieses Zusammenhangs folgende Formulierung vorgeschlagen: „Theorieübergreifend […] ließe sich ‚Anerkennung‘ als ein Akt kennzeichnen, in dem ein/eine Adressierende/r einem/einer Anderen ‚anzeigt‘ bzw. ‚spiegelt‘, wer diese/r ‚in seinen Augen‘ – im Verhältnis zu sich und/oder zu Anderen und/oder zu Normen sowie zu Anderem (einer Sache) – ‚ist‘, so dass Anerkennung auch als eine (evaluative spezifische oder unspezifische) ‚Bedeutungsanzeige‘ qua Adressierung zu begreifen wäre.“ (Balzer 2014, S. 584)
Balzer lehnt in ihrer Studie Spuren der Anerkennung diese Formel an den prozessualen und dynamischen Charakter von Butlers Adressierungstheorie an, in dem sie aufzeigt, dass diese verschiedenen Dimensionen nicht kausal aufeinander reduzierbar und im Praktizieren prekär seien (ebd., S. 589 ff.). Für die empirische Betrachtung von Anerkennungspraktiken hebt sie insbesondere ethnographische Methodologien hervor, in denen Interaktionen nicht vorab durch die Reproduktion von vorausgesetzten Normen determiniert würden, sondern syste-
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matisch eine Offenheit für die Beobachtung der Unschärfe und des Möglichkeitsraums von (Re-)Signifizierungsprozessen angelegt wäre. Der poststrukturalistische Theorieeinsatz korrespondiert mit der situativen Unschärfe, der Instabilität von Autorisierungssymboliken und den impliziten Verhandlungsräumen. Wenn allerdings das sozialphilosophische Modell Hegels der theoretischen Betrachtung zugrunde gelegt wird, dann müssen die Beobachtungen durch historische und institutionenanalytische Studien ergänzt werden. Die Interaktionen, die situativen Konstellationen, die Autorisierungssymboliken etc. wären hiernach ohne die Rekonstruktion institutioneller Semantiken nicht nachvollziehbar. Wenn Praktiken auch prekär situativ (re-)produziert werden und der Interpretation der Akteurinnen/Akteure unterworfen sind, kann mit Bourdieu eingewendet werden, dass sich die „Distribution des symbolischen Kapitals im Allgemeinen als sehr stabil“ (Bourdieu 1998, S. 175) erweisen würde. Für Bourdieu basiert Anerkennung auf einer „symbolische[n] Alchemie“ (ebd., S. 173), die eine Art Autorisierungsglauben erzeugt und durch inkorporierte „Wahrnehmungs- und Bewertungsstrukturen“ (ebd, S. 175) hervorgerufen wird. Bourdieu deutet symbolische Ordnungen ähnlich wie Tomasello (s. Kap. 3.1.3) im Sinne der Gemeinschaftskonstituierung, über die Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit verhandelt werden. Die „symbolische Gewalt“ (ebd., S. 174), die Unterwerfung und Gehorsam ohne direkte Gewalt bewirken kann, und die „Distribution des symbolischen Kapitals“ (ebd., S. 175) kann nach Bourdieu nur durch eine „symbolische Revolution“ (ebd.) verändert werden, die durch eine „mehr oder weniger radikale(n) Revolution der Erkenntnisinstrumente und Wahrnehmungskategorien“ (ebd.) bedingt wäre. So entfernt dieser Ansatz vom Befreiungsgedanken Hegels liegt, nähert er sich der sozialen Vermitteltheit von Hegels Begriff der „zweiten Natur“ an. Das sozialontologische Selbst- und Weltverhältnis, Bourdieu würde vom Habitus sprechen, steht im relationalen Verhältnis zu den sozialen Kategorien, die innerhalb der Sozialisation zu deuten gelernt werden. Dem Gedanken der individuellen Transformation, der eher in Tradition einer humboldtianischen Bildungstheorie steht, wird durch sozial sedimentierte Handlungssphären und deren Prinzipien immanente Grenzen entgegengestellt, die vom Individuum als solchem in seiner Einzelheit bzw. in seiner Abhängigkeit von anderen nicht zu überwinden sind. Diese Einschätzung teilt Bourdieu zwar mit Honneth, aber Honneth beschäftigt sich mit der Gesellschaft unter dem Vorzeichen der Freiheit. Das Anliegen Honneths ist ja gerade die symbolische Dimension in Kontrast zu Tomasello und Bourdieu an das Narrativ der Freiheit zu binden, um den Begriff der Solidarität zu erneuern und eine kooperative Sozialität zu entwerfen (s. Kap. 2.3; Kap. 3.3). Die Thematisierung der hegelianischen Sittlichkeit, in der
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die kooperative Solidarität über eine Wir-Zugehörigkeit gedacht wird, steht wie in Kapitel 3.3 vor dem Problem, die Dialektik von In- und Exklusion unzureichend lösen zu können. Es ist die Frage, ob die Idee einer Kultur der Freiheit ausreicht, die reaktionären Momente dieser Dialektik fokussieren zu können. Auch das europäische Narrativ der Freiheit, das Europa als eine Schicksalsgemeinschaft vereinen könne, sei ambivalent. Ihr emanzipatorischer Klang verklinge an den Grenzen Europas und nehme in Anbetracht von Kolonialisierungen, von Kriegen im Zeichen der Demokratisierung, gewaltsamer Rohstoff- und Grenzsicherungspolitik etc. eher die Form einer Doppelmoral an. Mit diesem Hinweis soll aber nicht verdeckt werden, dass Honneth auf ein virulentes Problem moderner Gesellschaften aufmerksam macht, und zwar das Problem der Motivation zur notwendigen Kooperation in Anbetracht transnationaler Problemstellungen. Während Koschorkes Kritik an der symbolischen Vergemeinschaftung Honneths Theorieansatz vor große Schwierigkeiten stellt, ist seine Antwort auf dieses Problem eines plurikulturellen und polyzentrischen Europas im Horizont der „multiple modernities“ durch eine diskontinuierliche, postheroische Erzählweise zwar anregend, aber auch begrenzt. Die „ideologische Schwäche“ als Stärke Europas hervorzuheben, ändert nichts am Problem, dass der Raum des Politischen als ein gemeinsamer gedacht werden muss, damit Entscheidungen als geltend erachtet werden können. Die Möglichkeit, auf ein individuelles Nutzenkalkül zu referieren, erhöht die Stabilität und Integrationskraft auch nicht. Ohne nun eine Antwort geben zu können, sensibilisieren Korschorkes Polyzentrismus (s. Kap. 3.3) und Waldenfels Entfremdungsdynamik des performativen Wir (s. Kap. 3.1.1, Kap. 3.3) hier aber für das grundlegende dialektische Problem von Repräsentativität und Vergemeinschaftung. Auch Butlers Theorie der (Re-)Signifizierung ist trotz der Fluidität nur bedingt im Sinne einer individuellen Veränderung bzw. Verschiebung institutionalisierter Symboliken zu verstehen. Im Vergleich zu Honneth setzt sie aber bei einem relationalen fragilen Subjektbegriff an, der in einer Art perpetuierter Entfremdungsbewegung ohne individuelle Substanz gedacht wird (s. Kap. 3.4). In Ihrem Anliegen autorisierende Identifizierungsakte in der Reproduktion von strukturellen Normen sichtbarzumachen und gleichzeitig diese in eine Dynamik einzuspannen, in denen Akteurinnen/Akteure im wechselseitigen Bezug auf das Begehren der Anerkennungswürdigkeit vom anderen mit der Berücksichtigung des Dritten die Normen interpretieren, verschränkt sie die strukturelle Dimension von Diskursen und die Situativität der Interaktionsebene. Im Verhältnis zu Bourdieu führt ihre Interpellationssystematik folglich zu einer weniger festlegenden Markierung als die Habitustheorie Bourdieus. Die ambivalente Sozialität Butlers speist ihr kritisches Potenzial gegenüber Herrschaftsstrukturen aus einem radika-
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len foucaultschen Konstruktivismus, in dem Wissen und Macht identifiziert werden und auf eine subjektkritische Dekonstruktion von Identitätspolitiken abgezielt wird, ihrer Theorie der Melancholie, mit der sie die psychologischen Mechanismen für Unterwerfungspraktiken entwirft, und ihrer Performativitätstheorie, in dem sie mit Derrida auf die Unmöglichkeit von Reproduktion hinweist und situative Möglichkeitsräume eröffnet (s. Kap. 3.4). Wenn ihr in diesem Konzept auch eine differenztheoretische Fundierung fehlt und ihr Paradigma der Adressierung zudem Gefahr läuft, als ein unspezifiziertes Konzept (hierzu: Benner 2017) zum Catch-all-Begriff zu werden, nimmt sie das negative Moment der Reflexivität auf, das auch für Hegels Begriff der Bildung von Bedeutung ist und das nicht in der Sozialisation aufgeht. Die Reflexivität der Bildung Hiermit ist (2) das epistemische Selbst- und Weltverhältnis und die Reflexivität der Gewohnheiten angesprochen. Hegels Freiheitsbegriff bleibt dann nicht bei einer Institutionentheorie stehen, die ausschließlich die Stabilisierung hervorhebt, wie es etwa bei Arnold Gehlen der Fall ist, wenn die Reflexivität des Bildungsbegriffs in Anschlag gebracht und das Primat der Allgemeinheit kritisiert wird. Gehlens Begriff des „Mängelwesens“ (Gehlen 1966, S. 32) lässt sich zwar mit dem Gedanken der „zweyten Natur“ (GPR, § 4) derart zusammenführen, dass dieser als ein Prozess der Bildung im Raum der Unbestimmtheit des menschlichen Wesens gedacht werden kann. Gehlen setzt den Formierungsgedanken des hegelianischen Bildungsbegriffs jedoch als Bedingung für die menschliche Anpassungsfähigkeit und Transformierbarkeit des Menschen an seine Umweltbedingungen. Die Institutionen wären hiernach Befreiungen, weil sie die Einzelnen durch das Einüben, Erziehen und Sozialisieren in die tradierten Gewohnheiten einführen und Handlungssicherheit ermöglichen (vgl. Gehlen 1966, S. 51; S. 79). Diese Verschränkung von Reproduktion und Normativität, die sich nicht nur in einer funktionalen Kooperation erübrigt, versucht Honneth im Kontrast zu Gehlen, als Prämisse für sein Konzept einer rekonstruktiven Kritik fruchtbar zu machen, in deren Mittelpunkt die zwanglose Verpflichtung steht. Seine Interpretation der sittlichen Freiheit als soziale Freiheit (s. Kap. 2.3.2) basiert auf der Vermittlung von Allgemeinheit und Subjektivität. Diese Interpretation von Hegel ist insofern plausibel, als dass die Pflichten, an die das Subjekt im aristotelischen Sinne gewöhnt wird, eine Befreiung von der „unbestimmten Subjektivität“ (GPR, § 4) und gleichzeitig Gegenstand der Reflexion sein sollen. Die institutionelle Umwelt muss hiernach als Verwirklichung der Struktur der Freiheit selbst gelten. Der Prozess der Bestimmung der Subjektivität kann für Hegel allerdings nur dann als ein freier gedacht werden, wenn sich das
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Subjekt in der Unterwerfung als frei weiß. Die sich selbst befragende Subjektivität ist hiernach gleichermaßen eine Reflexion der Gesellschaft. In dieser retrospektiven Reflexionsstruktur bleibt das Subjekt sich solange äußerlich, solange es sich nicht in einer Selbstidentität aufgehoben erkennt. Der Bildungsprozess kann in Bezug zu Hegels Rechtsphilosophie nun gerade als ein Abarbeiten der Unmittelbarkeit der Sitten begriffen werden, in das die Selbstverständlichkeit im Scheitern der Identifizierung porös und die Frage nach Gründen geöffnet wird. Deshalb ist die zweite Dimension des Bildungsprozesses das epistemische Selbstund Weltverhältnis, das genau da einsetzt, wo eine Irritation mit der scheinbar vorgegebenen Ordnung stattfindet und die Partikularität der eigenen sozialen Identität offenbar wird. Mit der Frage nach dem „reinen Ich“ implementiert Hegel in diesem Zusammenhang einen Zweifel, der die Identitätsbildung notwendig begleitet und Freiheit nicht zur einfachen Repetition von Normen herabsetzt. Es ist eine aus der immanenten Differenzierung entstehende Spannung, die sich gegen eine idealisierende Harmonisierung sperrt. Um es pointiert auszudrücken, lässt sich Hegel derart verstehen, dass die moderne Subjektivität im Modus eines Sich-selbst-verstehen-wollens und damit in einer narrativen Selbstreflexion mündet. Diese Selbstreflexion unterwandert allerdings die Einzigartigkeit einer biografischen Erzählung, da die Bedingung des Selbst die Sozialität ist. Das Kohärenzideal eines sich selbstbestimmenden und identischen Subjekts scheitert letztlich an der Einsicht in die Abhängigkeit von der sozialen Wirklichkeit, deren Strukturen in den Blick der Befragung geraten (s. Kap. 3.6.1). Diese fehlschlagende Identifizierung des Partikularen bzw. Besonderen im Allgemeinen des „reinen Ichs“ wird in der hegelianischen Aufhebungsfigur auf eine in die Zukunft verlagerte Versöhnung mit einem holistischen Ganzen gerichtet. An dem Ende dieser teleologischen Figur als Bildungsprozess steht eine synthetisierte Form, in dem das Selbst als Allgemeines seine Bestimmung in der „s u b s t an t i el l e [n] Ei n h ei t “ (GPR, § 260) finden soll. Ein Ende, an dem das Subjekt sich mit dem Gehalt seines Wissens identifiziert, eine Ich-Gleichheit einsetzt, es sich im Ganzen als allgemein weiß und dieses Wissen als sinnstiftend erfährt. Die Einsicht in die freiheitsermöglichende Struktur des Allgemeinen geht mit dem Willen einher, sich allgemein und damit auch autonom zu wissen. Diese Autonomie manifestiert sich wie dargestellt im Staat als „Ges t al t der Freiheit“ (GPR, § 266), in der die Institutionen ihren systematischen und begrifflichen Begründungskontext erhalten. Die These Hegels ist die normative Wirkung der begrifflichen Konsistenz eines in sich gegliederten Staates, der am Ende eines Bildungsprozesses die Individualität moderner Subjektivität in einer Sittlichkeit zu versöhnen sucht, dessen Kern ein souverän handelnder und zentralistischer Staat ist, der im eigentlichen Sinne „d as Wi s s en d e “ (GPR, § 270)
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ist. In Hegels idealisierender Staatstheorie wird die dritte Implikation, das (3) epistemische Selbst- und Weltverständnis, der Dominanz eines monolithischen Allgemeinen unterworfen. Die retrospektive Gewissheit der Vernünftigkeit des Staates basiert hier auf Gründen, deren Universalität sich aus einer geschichtlichen Einheitserzählung legitimiert. Im Spannungsfeld von Geschichtlichkeit und metaphysischer Hypostasierung liegt das implizite Problem Hegels, auf das der Bildungsbegriff eine Antwort geben soll. Eine Reaktualisierung dieser Bildungsdimensionen steht im Horizont von Hegels Staatslehre und seinem ethischen Holismus vor unüberbrückbaren Schwierigkeiten. Das Verhältnis von Reflexivität und Gründen muss folglich eine andere Fundierung erfahren, als sie von Hegel vorgeschlagen wird. Zumal Hegel mit seiner Systematik das Problem des Allgemeinwillens nur scheinbar gelöst hat und in letzter Konsequenz auf ein vorreflexives Zutrauen, ein angewöhntes Überzeugtsein und ein herrschaftlich legitimiertes Wissen abstellt.21 Butlers Adressierungstheorie erneuert durch die Neuformulierung des hegelianischen Subjekts als „ek-statisches“ Subjekt nun sowohl das sozialontologische als auch das epistemische Selbst- und Weltverhältnis (s. Kap. 2.4). An diesem Punkt gehen Honneth wie auch Jaeggi über das epistemische Selbst- und Weltverhältnis hinaus und beschäftigen sich explizit mit dem epistemischen Selbst- und Weltverständnis. Es ist nun Butlers Zielsetzung die Destruktion von Diskursen und die Sichtbarmachung ausgeschlossener und marginalisierter Menschen problematisierbar zu machen. Hierfür entwickelt sie eine über Subversion funktionierende Theorie unbewusster Mechanismen der Macht, die in der Subjektivation eine brüchige Form annimmt. Das Irritationspotenzial Butlers liegt darin, den Ausschlusscharakter von Kommunikationsgemeinschaften in den Blick zu bekommen und eine Transformativität dieser durch Störung denkbar zu machen. Honneth sieht nun in diesem spezifischen Kritikverständnis auch ein aufklärerisches Potenzial, welches ein Korrektiv sein kann (s. Kap. 2.3.1). Honneth wie auch Jaeggi wollen aber nicht an diesem Punkt stehen bleiben. Honneth glaubt im Kontrast zu Butler, dass an der Idee einer reflexiven deliberativen Kommunikation festgehalten werden sollte, wenn die Idee eines vernünftigen politischen Handelns noch Relevanz haben soll (s. Kap. 2.3.4). Für Jaeggi liegt in dieser machttheoretischen Perspektive ein mangelndes Differenzierungsniveau vor, da der Ideologieverdacht überdehnt würde (s. Kap. 3.5). Die Kritik an Butler wäre hier, dass sie zwar Herrschaftsstrukturen in
21 Es dürfte inzwischen im „Zeitalter des Postfaktischen“ fraglich sein, ob politisches Handeln sich dem Schein des Wissens noch geben muss oder ob wir nicht eher schon in einem postvernünftigen Zeitalter leben, indem Souveränität und Macht keinen Schein ihrer Begründetheit mehr brauchen.
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der Genese und Wirkungen von Diskursen problematisieren könnte, aber keine Idee davon entwickeln würde, wie diese Problematisierung diskursiv gemacht werden bzw. wie ein Gespräch bzw. ein Raum an Gründen aussehen könnte. Honneth glaubt den Raum an Gründen im demokratischen Wir institutionalisiert, wobei jedoch nicht universell im Anschluss an eine Diskursethik gedacht werden dürfte. Es müsste im Gegensatz zu dieser Universalität in ihrer historischen Konkretion betrachtet werden (s. Kap. 2.3.3). Nun kommt dem epistemischen Selbst- und Weltverhältnis als eine Negation der Sitten in Honneths Sittlichkeitstheorie eine korrektive aber auch ambivalente Funktion zu. Mit der negativen und moralischen Freiheit wird die negative Reflexivität als ein „Freisein-von“ durch einen unterbrechenden „aufschiebende[n] Charakter“ (s. Kap. 2.3.2) gekennzeichnet. Ihr liegt nach Honneth eine egologische Haltung zugrunde, die die Gefahr beinhaltet, dass die sozialen Beziehungen ausgeklammert werden, die aber die soziale Existenz konstituieren würden. Hier läge also ein Selbstwiderspruch vor. Die Möglichkeit des Aussetzens und der Distanzierung von Unmittelbarkeit der Sitten müsste auch Teil einer demokratischen Sittlichkeit sein, da in der Reflexivität die Möglichkeit der kritischen Bezugnahme und die Transformativität der Institutionen verankert sei (s. Kap. 2.3.2). Diese Integration der individuellen Freiheit in das institutionelle Gefüge, setzt wiederum voraus, dass eine vorgängige Identifizierung mit den sozialen Beziehungen schon vorliegt; es also kooperative Praktiken gibt, deren Reproduktion für die eigene Existenz und für den demokratischen Diskurs notwendig sind. Mit dem Scheitern von Praktiken spricht Pippin der Reflexion in der Tradition Hegels allerdings ein weitergehendes kritisches Potenzial zu (s. Kap. 3.5), in dem das epistemische Selbst- und Weltverhältnis eine systematischere Funktion einnimmt, insofern sie nicht von der Reproduktionsfähigkeit der Institutionen begrenzt wird. Insbesondere Jaeggis Entwurf der immanenten Kritik zieht mit ihrem passivischen und aktivischen Gewohnheitsbegriff einen epistemischen Ansatzpunkt in die Sozialität mit ein, der durch eine negativistische Ausrichtung der Reflexion gekennzeichnet ist. Ihr Versuch ist es, die liberale Diskursverengung aufgrund von Neutralitätsgeboten zu öffnen, sich von der Selbstreferentialität radikal konstruktivistischer Theorien zu lösen und die anerkennungstheoretische Sittlichkeitstheorie, dessen Fluchtpunkt das moralische „Gutsein“ ist, zu überwinden. Hierfür setzt sie auf die Idee einer praktischen Rationalität, die über die Dysfunktionalität von Lebensformen das Gegebene zu transzendieren erlaubt und die sie gleichzeitig mit ihrem normativen Problembegriff zu historisieren und zu demokratisieren sucht. Dies kann auch als eine Verschränkung von Sozialität und Bildung in einer Weise interpretiert werden, die Elemente des hegelianischen Bildungsbegriffs, der Gewöhnung, der Negation, der begrifflichen
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Struktur der Wirklichkeit, des Widerspruchs, der Differenzierung, der Arbeit an der Sache und der Aufhebung, aufnimmt, ohne jedoch Hegels Legitimationstheorie neu zu beleben (s. Kap. 3.5). Die Argumentation aus der Binnenperspektive der Lebensformen basiert im Sinne der hier entwickelten Systematik auf einer sozialen Formierung (ontologischem Selbst- und Weltverhältnis), der Störung der Handlungsroutinen durch das Scheitern als praktische Irritationen und Widersprüche (epistemisches Selbst- und Weltverhältnis) und dem sozial vermittelten Problembewusstsein (epistemisches Selbst- und Weltverständnis). Für die dritte bildungstheoretische Dimension des (3) epistemischen Selbstund Weltverständnisses ist speziell die Thematisierung der Frage nach Wissen und Gründen bedeutsam. Diese philosophische Frage ist schon seit Platon mit dem Topos der Bildung eng verbunden. Bildung wird von Platon im Höhlengleichnis als ein Weg zum Wissen und ein Umgang mit Wissen beschrieben (vgl. Kauder 2001). Dies ist auch bei Hegel nicht anders, dessen idealistischer Monismus die kantische Trennung der theoretischen und praktischen Vernunft zu annullieren versucht und die Frage nach Wissen mit Fragen nach Freiheit und Gerechtigkeit verbindet. In dieser Tradition steht nun auch Jaeggi, wenn sie Funktionalität und Ethik innerhalb ihrer Normtheorie einen gemeinsamen Ort gibt (s. Kap. 3.5). Ihr Hinweis, dass Funktionalität selbst ein evaluatives Urteil ist und dass diese ohne Zielsetzung irrational ist, ist überzeugend argumentiert. 22 Indem Sie darüber hinaus das Erwägen von Gründen nicht nur zur individuellen Angelegenheit herabsetzt, sondern sich auf Lebensformen als sozial verstetigte Selbst- und Weltverständnisse bezieht, können dysfunktionale Handlungsroutinen kollektive Bedeutung erhalten und auf kollektive Probleme abheben. Die defizitäre Problemadäquanz wird zum Gegenstand der Reflexion und der öffentlichen Deliberation. Die sachliche Dimension basiert hier auf der Frage, inwiefern die Lebensformen Handlungsoptionen bieten, die ihnen inhärente und normative Zielsetzungen zu erreichen erlauben. Sind z.B. die Handlungsoptionen, die eine kapitalistische Marktwirtschaft ermöglichen, adäquat, um Armut zu begrenzen? Bieten der Begriff und die Verwirklichung von Nationalstaatlichkeit die Problemlösungsressourcen, um ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen? Die Thematisierung von Fragen nach Problembearbeitung und -lösungsrationalität ist dabei Jaeggis argumentativer Anker, rhetorische Strategien auszu-
22 Dieses Problem wird in der Sprachanalytik auch mit dem Problem des „Bootstrapping“ (Halbig/Henning 2012, S. 10) verhandelt, dass dann vorliegt, wenn für die Begründung von Zielen auf die Wahl selbst Bezug genommen wird und nicht der Wahl externe Gründe zugrunde gelegt werden. Dieses Problem vor Augen spricht Joseph Raz auch vom „Mythos der instrumentellen Rationalität“ (Raz 2012, S. 363).
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höhlen und die Deliberation auf eine Sachebene zu verlagern. Hierfür reicht es sicherlich nicht aus, den Problembegriff als solchen zu verwenden. Jaeggi muss zudem die Überzeugung zur Geltung bringen, dass Probleme teilweise nicht nur kulturell hergestellt werden, sondern, dass einige Probleme erster Ordnung sich notwendig stellen, auch wenn sie im Diskurs lebensformspezifischer Interpretationsmuster abhängig bleiben, oder andere Probleme eine hohe soziale Persistenz aufweisen (vgl. Jaeggi 2014, S. 251 f.).23 Jaeggi bricht hier mit einem Konstruktivismus, der Ontologie und Epistemologie gleichsetzt und mit dem keine Aussage über eine Wirklichkeit getätigt werden kann. Foucaults Wissensregime (Foucault 1994), Lyotards Diagnose an einem Ende der großen Erzählungen angekommen zu sein (vgl. Lyotard 1986) und Rortys „repräsentationale Abhängigkeit“ (Rorty 2000, S. 125) von Wissen sind Referenzen, mit der die Frage nach Gründen aus den Angeln gehoben und verflüssigt werden soll. Die Position, die Jaeggi anbietet, schlägt jedoch eine Brücke zwischen Realismus und Konstruktivismus. Für ihre Theorie muss sie einerseits voraussetzen, dass die Realität durch eine Widerständigkeit erfahrbar wird. Erdbeben, klimabedingte Phänomene wie die Desertifikation bzw. Wüstenbildung, die Ausbreitung von atomarer Strahlung in Folge eines Supergaus oder die körperliche Symptomatik der Ebolaerkrankung wären hiernach in gewisser Weise unabhängig von der Interpretation und hätten einen realen Gehalt. Nun vertritt Jaeggi keinen metaphysischen Realismus, mit dem das Wesen der Dinge begrifflich erfassbar wäre. Ihre Position ist, dass diese Erfahrungen durch die Problematisierung interpretiert werden und zu normativen Problemen zweiter Ordnung werden. Diese Phänomene stellen sich folglich aus der Binnenperspektive der Lebensform als Probleme, die eine Handlungskoordination erfordern. Der Streit kann in diesem Zusammenhang darüber geführt werden, welche Problembeschreibung Handlungsoptionen ermöglicht und welche Formen der Problembearbeitung in den Blick kommen und adäquat sind. Zwischen den differenten Wirklichkeitskonstruktionen kann daraus folgend im Horizont des Reflexionsniveaus differenziert werden oder besser gestritten werden. Dieser Streit über das Reflexionsniveau von Lebensformen birgt dabei selbst eine bildende Dimension, weil es eine sachliche Beschäftigung mit dem Phänomen initiiert. Das Argument der Gleichrangigkeit von Narrativen und der damit
23 Marx Analyse, dass der Kapitalismus durch ein „Prinzip der unbegrenzten Akkumulation“ (Piketty 2014, S. 25) gekennzeichnet sei und dadurch eine soziale Stratifizierung implementiert, ist nach Thomas Pikettys ökonomischer Analyse bis heute evident. Selbst wenn diese Wirtschaftsweise ein soziales Konstrukt ist, hat es in der Form Objektivität, als dass es nicht durch reine Dekonstruktion modifiziert werden kann.
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einhergehenden Strategie, sich einem Diskurs zu entziehen, kann aus dieser Perspektive kritisiert werden. Entsprechend sind auch Problematisierungen nicht bloß Setzungen. Sie haben reale Konsequenzen für die Lebensbindungen, die Gegenstand des Diskurses sein können. Genauso wenig wie nun dieser Unterschied ausgeblendet werden kann, kann auch eine bloße Emotion zum Gegenstand der Deliberation werden. Moralische Empörungen müssen ihren sachlichen Gehalt objektivieren und diskursiv zugänglich werden. Mit dem materialistischen Pragmatismus Jaeggis aber auch mit Honneths Vorstellung öffentlicher Beratung reicht es nicht aus, den Raum der Gründe zum Forum strategischer Gefühlserregungen zu instrumentalisieren. Es müsste die Frage gestellt werden, auf welches Problem die Gefühlserregung hinweist (s. Kap. 3.5). Trotzdem ist dieser Verständigungsraum, den Jaeggi an die Problematisierung und die Problembearbeitung orientiert, nicht als unpolitisch zu kennzeichnen und das Geben und Nehmen nicht als universeller interessenfreier Raum zu deklarieren. Die Formulierung von Kritik und Gründen bleibt der Teilnehmerperspektive verhaftet, auch wenn an manchen Stellen ihrer Ausführungen ein universeller Rationalismus im Sinne einer aufhebenden Transformation durchklingen mag (vgl. Jaeggi 2014, S. 447). An dieser Stelle möchte ich aber die Relativität der Gründe hervorheben, die zwar an der Sache orientiert sind, die Sache ist selbst aber nicht interpretationsunabhängig. Deswegen sollte auch die Vervielfachung der Widersprüche und die Normativität des Problembegriffs betont werden, womit eine hegelianische Geschichtsteleologie aufgegeben werden müsste. Mit dieser Pluralisierung von Problemen, Widersprüchen etc. wird nun auch die Emanzipationserzählung einer kollektiven Selbstbestimmung problematisierungsbedürftig. Zu bevorzugen wäre eine sachliche Reflexion ohne starken universellen Telos und ohne pathetische Fortschrittserzählung. Mit der Vereinheitlichung des Problemfokus im Horizont eines Kollektivsingulars des gemeinsamen Werks geht eben, wie bei Honneth gezeigt (s. Kap. 3.3), die Gefahr einher, differente Problemlagen und widersprechende Problembeschreibungen auszublenden und ein Verhältnis von einem Innen und einem Außen zu strukturieren, in dem das Fremde einverleibt und unsichtbar wird. An dieser Stelle muss Waldenfels These ernstgenommen werden, dass erst die „Dezentierung des Subjekts und die Pluralisierung der Rationalität […] Raum für Fremdes“ (Waldenfels 2007, S. 363) entstehen hat lassen. Aber auch wenn wir nach Waldenfels nicht wissen können, worauf wir eigentlich antworten (s. Kap. 3.1.2), antworten wir doch auf etwas. Die Skepsis gegenüber diskursiver Auseinandersetzung und kritischer Rationalität muss sich dagegen fragen lassen, wie sie neuen Politiken der Souveränität, der Selbstermächtigung und des „Rechthabens“ (Simanowski 2016, S. 171) begegnen möchte.
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Die Sozialität der Bildung im Diskurs
In den bisherigen Ausführungen habe ich mich insbesondere mit sozialphilosophischen Theorien beschäftigt, auf deren Grundlage eine Verhältnisbestimmung zwischen Sozialität und Bildung ausgelotet wurde. Die folgende abschließende Diskussion wird nun als Gelegenheit genutzt, die hier vorgestellte bildungstheoretische Perspektive in Bezug und Abgrenzung zu drei theoretischen Perspektiven zu setzen, die eine Verwandtschaft zu oder eine Irritation vom dargelegten Bildungsverständnis sind. In Kapitel 4.1 wende ich mich der Theorie des transformativen Bildungsbegriffs zu, die von Winfried Marotzki, Hans-Christoph Koller und Arnd-Michael Nohl vertreten wird. In dieser Tradition wird vor allem das Individuum ins Zentrum gestellt und Bildung als Selbstbildung definiert. Diese Position steht im Widerspruch zu der hier vorgenommenen Verschränkung von Bildung und Sozialität, wenngleich Marotzki und dessen Begriff der Bildungsgestalt auf Hegel referieren. Aus diesem Grund greife ich explizit Marotzkis Position heraus, um sie exemplarisch zu diskutieren. Die Kritik der Formalität und die Reflexion der gesellschaftlichen Dimension in der Referenz zu Hegel führt mich weiter zu Krassimir Stojanovs Bildungskonzeption als reflexive Selbstartikulation (s. Kap. 4.2). Mit dem Versuch eine reflexive Subjektivität zu reaktualisieren, besteht eine gewisse Verwandtschaft zu dem hier vertretenen Theorieansatz, wobei gezeigt werden soll, dass die Dimension der Historizität und Sozialität anders justiert wird. Statt eines universellen Spiels des Gebens und Nehmens von Gründen zu postulieren, wird hier die reflexive Rationalität deliberativer Praktiken in ihrer historischen Immanenz betrachtet und an ein politisches Verständnis gekoppelt, das an der Idee gemeinsamer Problemlösung orientiert ist. Für die pragmatische Idee der Problemlösung stellt letztlich die durch Mouffe und Laclau informierte Position Alfred Schäfers der Problemlösung als hegemoniale Schließung eine relevante Irritation dar (s. Kap. 4.3). Im Kontrast zu dieser wird herausgearbeitet, dass die Annahme einer beschränkten Rationalität, die sich ihrer eigenen Historizität bewusst ist, einen politischen
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Streit über Gründe überhaupt erst ermöglicht. In Kapitel 4.4 wird eine abschließende Reflexion vorgenommen, in dem auch versucht wird, einen Ausblick zu formulieren.
4.1 BILDUNG UND DAS IDEAL INDIVIDUELLER TRANSFORMATION Winfried Marotzki brachte in seiner Studie Entwurf einer strukturalen Bildungstheorie von 1990 den Begriff der Bildungsgestalt in die bildungstheoretische Diskussion ein und begründete hierauf eine bildungstheoretische Biografieforschung (vgl. Marotzki 1991). Dieser wurde von Jochen Kade (vgl. Kade/Hof/Petershof 2008), Sigrid Nolda (vgl. Kade/Nolda 2014), Thorsten Fuchs (vgl. Fuchs 2011) und Lothar Wigger (vgl. Wigger 2016) aufgenommen und weitergeführt. Mit ihm entwickelte Marotzki in Rekurs auf Rainer Kokemohr eine erziehungswissenschaftliche Theorie zur empirischen Nutzung biografischer Interviews. Seine theoretische Stoßrichtung rechtfertigt er in Referenz auf Jean-Paul Sartre und Theodor W. Adorno mit einem Primat des Individuellen. Mit der Sichtbarmachung individueller Lern- und Bildungsprozesse beabsichtigt er entgegen einer reduktionistischen Sozialtheorie die „Emergenz und Kontingenz von Subjektivität“ (Marotzki 1990, S. 116) derart zu fokussieren, dass die Bedingungen von Subjektivität im Zuge gesellschaftlicher Wandlungsprozesse offengelegt werden können (vgl. ebd., S. 113). Historisch verortet er sein Theorieinteresse am Paradigma der „Moderne“, mit der sich nach Martin Kohli erst die Aufforderung zur biografischen Selbstdarstellung institutionalisiert habe (vgl. Kohli 1985), und setzt am Problemhorizont der individuellen biografischen Verarbeitung der Kontingenz moderner Gesellschaften an. Auch wenn die Idee einer kohärenten Identität aus einer postmodernen Perspektive umstritten ist, sind die im Interview erhobenen biografischen Narrative für Marotzki keine rein situativ hervorgebrachten Erzählungen. Vielmehr werden in Ihnen Deutungsund Wahrnehmungsmuster realisiert, in denen die Erzählung und die Erzählweise aufeinander referieren und zu einer Art „Gestalt“ gerinnen. Die Bildungsgestalt ist hierbei ein aus Erfahrungen mit der Welt hervorgegangenes Selbst- und Weltverständnis das Deutungs-, Wahrnehmungsmuster und Haltungen umschließt. In ihr (der Bildungsgestalt) verknüpft Marotzki den hegelianischen Gestaltbegriff aus der Phänomenologie des Geistes, der stufenförmig Selbst- und Weltverständnisse nach dem Grad ihrer Reflexivität ordnet, mit biografietheoretischen Überlegungen (vgl. Marotzki 1990, S. 53 ff.).
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Das biografische Narrativ hat bei Marotzki in Anlehnung an Fritz Schütze zwei Ebenen, die einer Ereignisstruktur bzw. Prozessstruktur und die einer spezifischen Reflexionsform eines biografischen Bildungs- und Lernprozesses, der einen Zusammenhang zwischen Erfahrungshintergrund und neuen Erfahrungen stiftet. Das Individuum zählt nicht nur eklektisch historische Daten seines Lebens auf, es interpretiert diese und gibt ihnen im Horizont eines gelebten Lebens einen spezifischen Sinn. Biografische Erzählungen sind somit mehr als reine Lebensläufe. Ihnen liegen subjektive Konstruktionsleistungen eines Individuums zugrunde, das sich selbst als eine Person zu verstehen und sich als kohärente Identität im Horizont seiner sozialen Umwelt verständlich zu machen sucht. Marotzki nennt diese Verarbeitungsform „Biographisierung“ (Moratzki 2016, S. 63). Anders ausgedrückt kennzeichnet die individuelle Perspektive eine Selbstund Weltreferenz, die sich wie eine codierende Kontextur gegenüber Erfahrungen verhält und diese rationalisiert, bewertet, negiert und/oder integriert. Diese Reproduktion der kontextimmanenten Selbst- und Weltdeutung erhält nach Marotzki dann eine bildungstheoretische Relevanz, wenn die Kontextualisierung der neuen Erfahrung scheitert und eine Krise des jeweiligen Selbst- und Weltverständnisses einsetzt. Die Verunsicherung bzw. Irritation der biografischen Gestalt setzt hierbei das Potenzial einer Transformation des Selbst- und Weltverhältnisses frei, womit ein qualitativer Sprung im Lernprozess entstehen kann, eine Wandlung der modalisierenden Kontextur. Lerntheoretisch formuliert Marotzki diese These mit Gregory Batesons Lernebenenmodell. Hiernach definiert er Bildung als einen höherstufigen Lernprozess, der im Kontrast zur Akkumulationslogik von Lernen eine neue Kontextualisierung von Erfahrungen, Wissen und Informationen ermöglicht (Marotzki 1990, S. 53 ff.). Die Krise bzw. der Widerspruch erhält die Funktion des Movens des Bildungsprozesses. Der Widerspruch ist aber nicht als eine reine geistige Operation zu verstehen, die ein theoretisches Problem eröffnet. Er basiert auf einer „Logik der Sinnkrise“ im Sinne einer fehlgeschlagenen „Biographisierung“ (ebd., S. 103), die einen Bruch in der biografischen Kontinuität und Modalisierung hervorruft. Als Beispiel für eine entsprechende Transformation interpretiert er ein Interview einer Frau, die aufgrund der Lektüre der antipädagogischen Schriften von Alice Miller in Distanz zu ihrem Lehramtsstudium tritt, ihr Referendariat abbricht und nach Irland auswandert. In Irland hofft sie, ihr Kind nach ihren Natürlichkeitsvorstellungen zu erziehen und ihrer schriftstellerischen Tätigkeit nachzugehen. Das Werk von Alice Miller hat nach Marotzki dazu geführt, dass sie die Studieninhalte inhaltlich sowie auch ihren eigenen Orientierungsrahmen am Lehramtsberuf strukturell negiert und letztlich die Konsequenz des Abbruchs gewählt hat. Marotzki verbindet dabei Hegels dialektischen Negationsbegriff mit
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dem beckschen „Individualisierungstheorem“ (Marotzki 1990, S. 353). So fordere die Einsicht, dass Subjektivität „im Modus der Geworfenheit [und] der Kontingenz diversifiziert“ (ebd., S. 204), ein zunehmendes Reflexionsniveau im Umgang mit der Pluralisierung und Individualisierung der Lebensformen heraus (vgl. ebd., S. 53). Der Bildungsbegriff basiert zusammengefasst auf einer kriseninduzierten Negation, die sich in ein transformiertes Selbst- und Weltverständnis aufhebe und den individuell wahrgenommenen Freiheitsgrad erhöhe, indem die Komplexität der individuellen Kontextur steige und die eigenen Lernbedingungen im höheren Maße verfügbar würden. Die theoretische und empirische Produktivität des Begriffs der Bildungsgestalt scheint in der Transformationslogik als operationalisierbares Konzept zu liegen. Gleichwohl wird die Grenzbeschreibung, die mit dieser einhergeht aus verschiedenen Gründen kritisiert. Dominik Krinninger und Hans-Rüdiger Müller befragen das Konzept der Transformation insgesamt nach ihrer impliziten Normativität. So blenden die Radikalität der gebotenen Selbsttransformation und die Krisenrhetorik die alltäglichen Differenzerfahrungen und die niedrigschwelligeren Bearbeitungsmuster aus (vgl. Krinninger/Müller 2012, S. 60). Thorsten Fuchs und Lothar Wigger problematisieren hieran anschließend die strukturelle Formalität des transformatorischen Bildungsbegriffs (vgl. Fuchs 2012), der aufgrund seines Schematismus eine gehaltvollere Beschreibung von Bildungsprozessen versperre (vgl. Wigger 2016, S. 114). Einen Grund für diese Formalität macht Wigger bei Marotzki in seiner Hegelrezeption aus. Hiernach verstricke er sich im Gedankenmodell der Stufenfolge der Phänomenologie des Geistes und übersehe dabei, dass Hegel die Negation als Movens der Bildungsbewegung nur zur Rechtfertigung seines eigenen philosophischen Standpunktes funktionalisiere. Bildung ist zusammengefasst nur dann als individuelles Transformationsgeschehen kohärent zu denken, wenn Sozialisation als formierendes und Bildung als transformierendes Moment getrennt voneinander gedacht werden. Hierbei entsteht eine Grenze zwischen einem Innen, der sozialen Immanenz, und einem Außen, einem transzendierenden Moment. In Rekurs auf Hegels Rechtsphilosophie habe ich versucht zu zeigen, dass Bildung hier sozial immanent gedacht und das Verhältnis von Sozialisation und Bildung anders justiert wird. In diesem ist der soziale Formierungsprozess des Subjekts mit dem reflexiven Moment der Differenz derart ineinander verschoben, dass sowohl das Gewöhnen an als auch das Reflektieren von Sitten zum Bildungsprozess selbst gehören. Bezogen auf das biografische Narrativ hieße dies, dass die Frage, welche vom Selbst- und Weltverhältnis vermittelten Handlungsformen das Individuum ausbildet, um spezifischen Problemlagen zu begegnen, auf die Frage hin verlagert werden
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müsste, aus welchen sozialen Zusammenhängen die jeweiligen Selbst- und Weltverhältnisse hervorgehen. Dabei ist die Differenz von Autonomie und Heteronomie nur ein abstrakter Dualismus, der bei Hegel in eine oszillierende Bewegung zwischen Wir und Ich, zwischen der identifizierenden Vergesellschaftung und ihrer negierenden Befragung überführt wird. Das biografische Narrativ als Konstruktion einer zeitlich ausgedehnten Erfahrungsgeschichte mit differenten Prozessstrukturen, wie es Fritz Schütze darstellt (vgl. Schütze 1983), kann mit Hegels Willensbegriff nun eher als ein Versuch der Erzählerin bzw. des Erzählers gewertet werden, eine kohärente Selbstkonstruktion zu entwerfen. Vor dem Hintergrund des sozialontologischen Selbst- und Weltverhältnisses muss das Narrativ folglich als ein gesellschaftlicher Text gelesen werden, der dem Ich als autonome Selbstbestimmung gerade entzogen und sozial immanent ist. Gleichwohl bliebe die Erzählung auch eine individuelle Selbstdeutung. Es ist gerade die Reflexion von Differenzen, die nicht auf ahistorische Kriterien und Maßstäbe abheben kann, sondern an den Grenzen sozialer Immanenz verläuft und die die Bildungsgestalt für Modifikationen und Veränderungen ohne letzten Standpunkt öffnet. Das Spezifikum dieser bildungstheoretischen Interpretation der Subjektgenese besteht nun in der Verschränkung von Sozialisation und Bildung. Bildung bleibt aus einer hegelianischen Theorieperspektive nicht bei der individuellen Transformation des Selbst- und Weltverhältnisses im Umgang mit gesellschaftlichen Problemstellungen stehen, sondern fragt primär nach der institutionellen Umwelt, aus der heraus Bildungsgestalten als kollektive Selbst- und Weltverständnisse interpretierbar werden. Diese Problemstellung der gesellschaftlichen Kontextualisierung wurde von Hans-Christoph Koller (vgl. Koller 2014) und Nadine Rose (vgl. Rose 2012) mit Butlers Subjektivierungsbegriff und von Florian von Rosenberg mit Bourdieus Habitusbegriff (vgl. Rosenberg 2011) bearbeitet. Die Gemeinsamkeit dieser Konzeptionen beruht auf der gesellschaftstheoretischen Erweiterung des Transformationsbegriffs durch die Einbettung dieses in den sprachphilosophischen Kontext der Iterabilitätssystematik Derridas, die sie mit Butler als Möglichkeit der Bedeutungsverschiebung gesellschaftlicher Identifizierungen interpretieren (vgl. Rosenberg 2011, S. 76 f.; Koller 2012, S. 133; Rose 2014). Beim theoretischen Ansatz der Verschiebung semantischer Performativität bezweifle ich allerdings, ob die Resignifizierungstheorie in ein begriffliches Passungsverhältnis zum Transformationsbegriff gebracht werden kann. Peter Alheit und Bettina Dausien haben in einem 2016 veröffentlichten Artikel mit dem Titel Die biographische Konstruktion der Wirklichkeit im Kontrast hierzu die Metapher des „Driftens“ (Alheit/Dausien 2016, S. 275) in Anschluss
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an die systemtheoretischen Überlegungen Humberto Maturanas und Francisco Varelas vorgeschlagen, um die eigensinnige Verarbeitungsstruktur von Erfahrungen innerhalb individueller „Selbstreferentialität“ (ebd.) und dem damit verknüpften „Veränderungspotential […]“ (ebd., S. 2016) darzustellen. Hierbei denken sie das biografische Narrativ als eine „Selbstthematisierung“, die die habitualisierten Deutungsmuster reproduziert, in der aber auch die Handlungsmöglichkeiten und -grenzen sichtbar und verschiebbar werden. Bettina Dausien bezeichnet diesen Zusammenhang in ihrer Studie Biographie und Geschlecht von 1996 als „Biographizität“ und formuliert diesen wie folgt: „Die Reproduktion und Veränderung sozialer Konstrukte und Erfahrungsbestände geht gewissermaßen durch das ‚Nadelöhr‘ individuell-biographischer Reproduktion hindurch.“ (Dausien 1996, S. 578)
Es ist eine relative Freiheit, die Dausien hier dem biografischen Lernprozess zuspricht, in dessen Verlauf Entscheidungen getroffen, Chancen gewählt und verpasst werden. In denen Lebenssituationen als schicksalhaft wahrgenommen oder zur Kritik und Veränderung anregen. In ihm würden sich Varianzräume aufmachen, die Lebensverläufe kontingent erscheinen lassen. Aus meiner Perspektive lassen sich der Biographizitätsbegriff und der hier vorgeschlagene Bildungsbegriff aufgrund der Verankerung von Sozialität und prozesshafter Verarbeitung in ein produktives Verhältnis bringen – wenn auch geprüft werden müsste, ob der Biografiebegriff ausreicht, um die gesellschaftstheoretische Dimension hinreichend zu beleuchten.
4.2 DELIBERATIVE SELBSTARTIKULATION ALS BILDUNGSZIEL In Abgrenzung zur formalen Konzeption der transformativen Bildungsidee, in dem das Primat auf dem Individuum liegt, beschäftigt sich Stojanov mit Fragen der Allgemeinbildung bzw. der Bildung ins Allgemeine. Sein Grundproblem ist, ein posttraditionelles Verhältnis zwischen Individuum und Allgemeinheit zu formulieren, (1) in dem Bildung nicht bloß Tradierung kultureller Inhalte bedeutet, (2) in dem Bildung als Ziel einer pädagogischen Orientierungsgröße bleibt (vgl., Stojanov 2006, S. 11 f.) und (3) in dem Bildung nicht im Partikularen aufgelöst wird (Stojanov 2012, S. 2). Die Verwendung des Begriffs „Bildung“ soll hiernach einen universellen Charakter erhalten, der nicht materiell gefüllt, sondern mit einem intersubjektivistischen Wissensbegriff verschränkt werden
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soll. An postmodernen Theorien der Bildung kritisiert er, dass der Universalismus negiert und Partikularität normativ aufgeladen wird. Subversive Gegenpraktiken oder auch Selbsttransformationen können aus seiner Perspektive nicht per se, auch nicht im formalen Sinne, mit Bildung gleichgesetzt werden, weil Bildung ein normatives Konzept sei, in dem es um höhere Entwicklung und bessere Zustände geht. Es wäre kontraintuitiv Personen mit einer nationalsozialistischen Gesinnung, die eine demokratische Ordnung angreifen und terroristische Angriffe als partikulare Gegenbewegungen planen, als gebildet oder Persönlichkeitstransformationen zu entsprechenden Haltungen als Bildungsprozesse zu beschreiben. Vielmehr sei Bildung ein „[e]ssentially contested concept“ (Stojanov 2014a, S. 206), dessen Feststellung normgebend ist und dialektisch an Bewertungen – wie nicht gebildet oder Unbildung – haften bleibt. Die Beschäftigung mit Konzeptionen von Bildung müsse sich folglich, mit deren normativem Gehalt auseinandersetzen und dieser eine allgemeine Form geben. Stojanov führt dieses Projekt eines normativen Bildungsbegriffes in seiner Studie Bildung und Anerkennung systematisch aus. Seine These hier ist, […] dass Bildung qua individuelle Selbst-Entwicklung und Welt-Erschließung ein intersubjektiv vermittelter Vorgang ist, der dann initiiert wird, wenn die Interaktionen, in denen er eingebettet ist, bestimmte Qualitätsmerkmale aufweisen, die sich in normative Anforderungen an institutionalisierte (schul-)pädagogische Praktiken übersetzen lassen. (Stojanov 2006, S. 9)
Der Zielpunkt Stojanovs ist der Begriff der Autonomie, den er als Fähigkeit zur Teilnahme an diskursiven Praktiken begreifen möchte. Die „sprachpragmatische Intersubjektivitätstheorie Jürgen Habermas' und Karl-Otto Apels“ (ebd., S. 13) sei aufgrund der „kognitivistische[n] Verengung“ (ebd., S. 13) für eine bildungstheoretische Perspektive problematisch, weil sie erst bei komplexen Fähigkeitskonzeptionen ansetzt, die weite Bereiche der pädagogischen Fragestellung und der „Entwicklung von Subjektivität“ (ebd., S. 14) ausgrenzen würde. An dieser Stelle bringt er Axel Honneths Anerkennungstheorie ins Spiel, die aufgrund psychoanalytischer Theoreme schon die Beziehung zwischen Erwachsenen und Säuglingen als intersubjektives Verhältnis zu begreifen erlaubt und die Formierungsprozesse basaler Selbstverhältnisse nach dem normativen Konzept der reziproken Anerkennung aufschlüsselt. In der „Selbst-Entwicklung“ schließt sich Stojanov folglich Honneths These an, dass ein über Liebe, Achtung und Wertschätzung vermitteltes gutes Selbstverhältnis mit Autonomie im Sinne von Selbstverwirklichung realisiert werden kann. Das Problem von Honneths anerkennungstheoretischem Ansatz jedoch sei, dass er zu stark auf das Selbstverhält-
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nis abstelle und für eine bildungstheoretische Thematisierung in Richtung eines Prozesses der „Welt-Erschließung und […] Wissensgenerierung“ (ebd.) geöffnet werden müsse. Die Überwindung der Selbstreferentialität von Honneths Theorie versucht er deswegen, durch die folgenden differenten, theoretischen Elemente zu erreichen: (1) die begriffliche Schärfung des Intersubjektivitätstheorems durch phänomenologische Überlegungen Husserls, (2) eine Ergänzung dieser durch die Sprachund Symboltheorien von Humboldt und Cassirer und (3) die Vernetzung von Honneths Anerkennungstheorem mit der sprachpragmatischen Theorie Brandoms. Mit Husserl führt er einen Weltbegriff ein, der die intersubjektive Konstitution des Leibes als „primordiale Sphäre“ (ebd., S. 150) definiert und damit die Dezentrierung bzw. Entfremdung als Bedingung von Selbstwahrnehmung bestimmt. „Erkennung und Anerkennen“ (ebd., S. 151) im Kontext der phänomenologischen Überlegungen hieße für Stojanov, dass sich das Subjekt über die Fremdwahrnehmung konstituiert und es sich als „Mitkonstituierender der Welt“ (ebd.) erfahre. Anerkennung dränge die „Akteure“ (ebd.) somit aus sich selbst und ihrer partikularen Wirklichkeitswahrnehmung heraus. Dieses transzendierende Potenzial der Selbstwahrnehmung im anderen und die Weltkonstituierung verknüpft er mit Humboldts symbolischer Welterschließung und Cassirers Symbolisierungstätigkeit. Hier definiert er die „Symbolisierungstätigkeit [als den] Geburtsort der Subjektivität bzw. [als den] Beginn des Handelns des Einzelnen“ (ebd., S. 159). Sie sei die kulturelle „Welt-Erschließung und Selbst-Entwicklung“ (ebd., S. 157), insofern die Welt durch die „Selbst-Artikulation“ (ebd., S. 158) erschlossen würde. Die Annahme ist, dass das Ich seine anfänglichen „Wünsche und Impulse“ (ebd., S. 159) nur stabilisieren könne, wenn es diese verbalisieren bzw. ihnen eine sprachliche Form verleihen würde. Identität entstehe durch die „Symbolisierungstätigkeit“ bzw. eine symbolische Entäußerung, die die Perspektivübernahme und die intersubjektive Objektivierung der anfangs partikularen Perspektive voraussetze. Die Denkfigur, die Stojanov hier verfolgt, ist, dass die Verbalisierung individueller Impulse ein kreativer Akt ist, der komplexe kognitive und emotionale Prozesse impliziert. Sich verständlich vor anderen zu machen, bedarf eines Verständnisses von Wortspielen und Passungsverhältnissen, in denen die Wahrnehmung bzw. die Reflexion der Fremdperspektive vorausgesetzt wird. Die symbolische Formierung der individuellen Perspektive transformiert, reflektiert und modifiziert das Selbst genauso wie es die Welt als Raum von Bedeutung als veränderbar figuriert. Dieses Moment der Bildung reformuliert er mit Richard Rortys Begriff der „Edification“ (Stojanov 2014a, S. 208), in der „Selbstartikulation“ als eine Übersetzungsleistung verstanden wird, die besonders in Konfrontation mit Fremdheit herausgefordert wird. Selbstbil-
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dung ist in diesem Sinne die Entwicklung neuer Sprachspiele und metaphorischer Konstruktionen. Hieran kritisiert er allerdings die Beschränkung der Selbstbildung, wie auch bei Marotzki und Koller, auf spezifische Formen der Kommunikation (vgl. ebd.). Er möchte diese symbolische Übersetzungsleistung aber auch auf den Kontext allgemeinen Wissens bzw. allgemeiner Wissensgenerierung bezogen denken, weswegen er sein Augenmerk auf die „reflexive Distanzierung“ (Stojanov 2006, S. 160) lenkt, die die „sozialisatorische Aneignung“ (ebd.) symbolischer Muster übersteigt. Der theoretische Bezugspunkt ist dann die Universalität und nicht die Partikularität und damit die „zweite Natur“ (ebd.) bzw. die „,Welt‘ als ein interperspektivischer symbolischer Raum“ (ebd., S. 161). In Zusammenschau mit dem Anerkennungstheorem ordnet Stojanov der Erfahrung der Anerkennung eine Ermöglichungsfunktion für den Erwerb der „Grundfähigkeit zur Selbstautonomie“ (ebd., S. 161) zu. Sie ist also notwendige Bedingung für die welterschließende Teilhabe an diskursiven Praktiken. Er schreibt hierzu: „Liebe ermöglicht etwa nicht nur das Selbstvertrauen der geliebten Person, sondern auch die Entstehung und die Verfestigung ihrer Ideale, die dann auf der Grundlage der Erfahrung mit moralischem Respekt propositional artikuliert werden, und damit Selbstachtung des Einzelnen als jemand mit aufbauen können, der zur Einnahme Standpunktes der Allgemeinheit fähig ist. Diese Ideale werden schließlich aufgrund der Anerkennungsform der Wertschätzung zu subjektiven Theorien des Einzelnen verdichtet, durch welche er sich als Teilnehmer einer universalistisch entgrenzten Diskursgemeinschaft positionieren und sich schätzen lernen kann.“ (Ebd., S. 161)
Die Anerkennung als Bedingung zur Entwicklung von Selbstvertrauen, -achtung und -wertgefühl wird zum Gut einer kommunikativen Praxis, wodurch er diese zum Fixpunkt eines Konzepts der Partizipationsgerechtigkeit festlegen kann. Sie sind aber noch keine hinreichenden Bedingungen für die Motivation zur Welterschließung. Es ist nun Stojanovs Ziel „Anerkennungsformen“ derart zu konzeptualisieren, dass die „Welterschließung“ (ebd., S. 162) und nicht die „Selbstbeziehungen“ in den „Vordergrund“ (ebd.) gerückt werden. Hierfür möchte er der Anerkennung eine modifizierte Architektur verleihen, für die er sich Robert B. Brandoms sozialem Pragmatismus zuwendet. Er zieht hierbei Brandom in zweifacher Weise zurate, bezogen (1) auf den Begriff des Wissens und (2) auf dessen Anerkennungstheorem hinsichtlich der Teilhabe am Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen. Stojanov übernimmt Brandoms sozial-pragmatisches Wissensmodell, in dem Wissensgenerierung als ein sozialer Erfahrungsprozess mo-
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delliert und in einem schwachen inferenziellen Begriffsholismus verankert ist. Die Grundprämisse dieser in der Tradition der angelsächsischen Sprachanalyse stehenden theoretischen Modellierung ist, dass unser Weltverständnis basal durch „propositionale […] Behauptung[en]“ (ebd., S. 202) konstituiert wird und dass der Wahrheitsanspruch, der mit diesen entsprechenden prädikativen Aussagen einhergeht, ein prozessualer ist. Das Spezifikum von Brandoms Sprachpragmatismus ist, dass er nicht in erster Linie Wahrheitskriterien entwickeln möchte. Er möchte nicht sagen, wann von Wahrheit im universellen Sinne gesprochen wird oder welches Kriterium angenommen werden müsse, um von Wissen zu sprechen. Vielmehr interessiert er sich dafür, wie die soziale Praktik der Wissensgenese strukturiert ist und wie Begriffe innerhalb dieser Praktiken verstanden werden können. Propositionale Aussagen, wie etwa – „Ich gehe davon aus, dass die Flüssigkeit Säure enthält, weil der Streifen des Lackmustests sich rot verfärbt.“ – ist hierbei nicht bloß die Feststellung eines Faktums, sondern eine normativ gehaltvolle Aussage, weil von einem Selbst Begriffe im Urteilen angewendet werden. Die Anwendung bedeutet zugleich, dass die Autorität der anderen, die „Scorekeeper“ (Brandom), die die Normen verwalten, anerkannt werden muss. Die „Scorekeeper“ sind die anderen, deren Perspektive in der Artikulation eingenommen werden muss, um ihre „ursprünglich privatpartikularen Meinungen zu propositional ausdifferenzierten ,discursive commitments‘“ (ebd., S. 203) zu verallgemeinern. Sie verpflichten das einzelne Selbst und berechtigen es zur Teilhabe am sozialen Spiel des Begründens und des Forderns. In dieser Praxis bildet sich eine Diskursgemeinschaft im Vollzug der normativen Festlegung von Begriffen, die die Teilnehmer/-innen anerkennen müssen, um ihre Meinung objektivieren zu können. Stojanov integriert Brandoms Inferentialismus nun in seine bildungstheoretische Konzeption, indem er dessen Wissensbegriff einerseits habermasianisch und andererseits dessen Anerkennungsbegriff psychologisch interpretiert. Die Grundlage für proportionale Aussagen, die als Wissen und damit als wahr deklariert werden können, ist die „Fähigkeit zur Perspektivenübernahme und zum Perspektivenwechsel“ (ebd., S. 204), die dem Subjekt ermöglicht, seine partikulare Meinung zu transformieren und innerhalb des inferentiellen Rahmens von Begriffen, Normen und Urteilen seine Selbstartikulation argumentativ zu begründen. Wahrheit ist somit von der Praxis aus gedacht. Sie ist etwas, das man macht und nicht etwas, das festgelegt wird, und sie wird in der „Anerkennungsgemeinschaft“ diskursiv ausgehandelt. Die Anerkennungsgemeinschaft ist der zweite Fixpunkt Stojanovs, in der die Normen instituiert werden, auf die sich die Teilnehmer/-innen berufen müssen, um diese begrifflich anwenden und korrigieren zu können. Die Bedingung hierfür ist, dass sich die Teilnehmer/-innen jeweils als Subjekte im anderen erkennen
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und anerkannt sehen. Sie müssen sich gegenseitig verpflichten und zur Verantwortung ziehen. Diese Anerkennung als selbstbezügliches Wesen und als Subjekt flicht Stojanov in seinen Begriff des Respekts ein. Respekt bedeutet die Anerkennung des anderen „als kompetente[n] Teilnehmer am Spiel der diskursiv-argumentativen Hervorbringung von konzeptuellen Bedeutungen“ (ebd., S. 208). Die Problematisierung, die er mit dieser Konzeption anstrebt, ist die „Blockade der individuellen Wissensgenerierung“ (ebd., S. 209). Eine entsprechende Blockade entstünde hiernach durch eine „Synthese zweier Missachtungsformen“ (ebd.), dem […] Ignorieren der ursprünglichen Ideale des Einzelnen und seiner oder ihrer Fixierung auf die partikularen Kontexte seiner oder ihrer Familiensozialisation, die sich speziell bei Personen mit Migrationshintergrund in ihrer Betrachtung durch die 'Brille der kulturellen Zugehörigkeit' äußert. (Ebd.)
Die erste Missachtung ist die Ignoranz gegenüber symbolischen Ressourcen der Individuen, denen die Relevanz für die gemeinsame Wissensgenerierung abgesprochen wird. Die zweite Missachtung läge in der Festlegung der Individuen auf ihre kulturspezifische Herkunft. Beide Missachtungsformen verwehrten eine Partizipation am Prozess der „Arbeit am Begriff“ (Stojanov 2014b, S. 160), die gerade in einer dialektischen Verallgemeinerungsbewegung zwischen der Mobilisierung „ursprünglicher Ideale“ und der Fähigkeit des Übersteigens der individuellen partikularen Sozialisation changiere. Zusammengenommen lässt sich der Bildungsbegriff als eine Subjektgenese verstehen, die ontogenetisch mit der Entwicklung eines guten Selbstverhältnisses einsetzt und die in der diskursiven Kompetenz zur Teilnahme an einer intersubjektiven Diskursgemeinschaft mündet. Die Anerkennungsformen der Liebe, der Achtung und der Wertschätzung werden somit zu den gesellschaftlichen Bedingungen für die Selbstartikulation und für die Einsicht in die intersubjektive Konstitution der eigenen Identität. Die Selbstartikulation ist ferner selbst ein Bildungsmedium, als dass die Verbalisierung von Wünschen und Idealen eine symbolische Tätigkeit mit einer eigentümlich dezentrierenden Struktur ist. Sie ist eine kreative Praxis der Übersetzung und Verständigung, in der ein Wechselverhältnis zwischen Selbst und Welt verankert sei. Ihr ist hiernach die Reflexion der eigenen Impulse aus der Perspektive des anderen immanent. Anerkennungstheoretisch eingeholt wird dieser Weltbezug durch Brandoms Anerkennungstheorem und dem wechselseitigen Respekt als Subjekt, das den Prozess der Wissensgenese durch Selbstdistanz und verallgemeinernde Selbstartikulation mitgestalten kann. Bildung definiert Stojanov als Selbstbildung wie folgt:
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Der sich-bildende Mensch artikuliert (und modifiziert) begrifflich seine Begierden, Wünsche und Ideale, indem er oder sie sich an Reflexions- und Argumentationsdiskursen über zentrale Werte- und Weltdeutungsmuster beteiligt. (Stojanov 2014a, S. 211)
Die Denkfigur, die diesem Verständnis unterlegt ist, ist eine hegelianische Vermittlungsfigur, die Brandom als inferenzielles Verhältnis denkt. Vermittelt werden die individuelle Ebene, die sich durch die Selbstartikulation eine begriffliche Fassung gibt und in dieser Form argumentativ zugänglich wird, und die allgemeine Ebene, die reformiert, modifiziert und transformiert wird. Hier reflektiert das Selbst sich bezogen auf Begründbarkeit von Aussagen, Ansprüchen und Bedürfnissen im Horizont einer Diskursgemeinschaft. Stojanov geht ferner davon aus, dass die Individualität sich in der Transformation aufhebt. In dieser Aufhebung erhält das Individuelle eine neue Gestalt, die das Allgemeine modifiziert. Folglich muss die individuelle Ebene in Form subjektiver Intuitionen, Wünsche und Ideale wie auch das Allgemeine in Form von Begriffen, Gründen und Deutungsmustern jeweils zu ihrem Recht kommen. Das Konzept changiert zwischen einer im intersubjektiven Verhältnis eingespannten Sozialisation transzendierender Selbstartikulation und einem deliberativen Wissens- und Autonomieverständnis. In Bezug auf die schulpädagogische Dimension fordert er entsprechend ein intersubjektives Wissensverständnis, in dem prozessual ein Wechselverhältnis zwischen assoziativen Prozessen der Artikulation und ihrer Überführung in begriffliche Strukturen realisiert werden soll, durch die eine gemeinsame Wissensgenese stattfinden könne. Die Forderung hieße, dass die diskursive Anwendung von Begriffen und die gleichzeitige Festlegung auf Normen, sich aus der Perspektive von jedem Teilnehmenden als berechtigt bzw. legitim erweisen muss. Er kritisiert in diesem Kontext die kritisch konstruktive Didaktik Klafkis und die Idee der „epochaltypischen Probleme“, die nicht der „soziokulturelle[n] Pluralität“ (ebd., S. 211) gerecht würden und den „sozial-lebensweltlichen Erfahrungen“ (ebd.) der Heranwachsenden entrückt seien. Diese würden weiter zu einer Art Eklektizismus an Problemen führen, die in Listen zusammengefasst würden, die im Einzelnen nicht mehr begründet erscheinen (vgl., S. 211 ff.). Trotz dieser Kritik möchte er aber nicht von der schulischen Befassung mit epochaltypischen Problemen absehen, sondern sie einbinden in seine Anerkennungstheorie. Sein Argument ist, dass die „Erfahrung mit moralischem Respekt und sozialer Wertschätzung“ (ebd., S. 213), die Lernenden dazu motivieren würde, sich mit den entsprechenden Problemen zu beschäftigen. In dieser können sie sich, so die Hoffnung Stojanovs, selbst überschreiten und in der Verallgemeinerung ihrer „persönlichen Ansichten und Meinungen als gesellschaftlich
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wertvoll darstellen“ (ebd., S. 214). Schule als „Ort der Bildung“ (ebd.) muss durch Empathie und Respekt zur „Arbeit des Begriffs“ (Stojanov 2014b, S. 160) einladen. Grundsätzlich lässt sich gegen die Idee einer inferentiellen Wissensgenese, in der ein sich-selbst-korrigierender Prozess zwischen Allgemeinheit und Besonderheit stattfindet und die in einer Diskursgemeinschaft verankert ist, nichts einwenden. Die antizipierende Anerkennung des anderen als ein selbstbezügliches Wesen, das in seinen Artikulationsweisen respektiert werden muss, lässt sich schon Mollenhauer entnehmen und verblasst aus der hier vertretenen Position auch nicht in seiner Überzeugungskraft (vgl. Mollenhauer 1973, S. 67 ff.; 1972, S. 43 ff.). Auch wenn dies heißt, dass diese Artikulation mit einer wechselseitigen Verpflichtungs- und Verantwortungszuschreibung verknüpft ist. Es ist weiterhin im Kontext seines Projektes nachvollziehbar, dass er die Begrenzung der Anerkennungstheorie auf das Selbstverhältnis zu überwinden und nach einem universelleren Medium der Anerkennung sucht, als es die kulturellen Deutungskonflikte in Honneths Theorie hergeben mögen. Für diesen universellen und Welt zugewandten Anerkennungsbegriff zieht er entsprechend Brandom heran. Das Problem an dieser Konzeption ist, dass Brandom Anerkennung nicht psychologisch denkt, sondern als eine Struktur der Wissensgenese und nicht als Quelle des Selbstwertgefühls. Brandom beschäftigt sich ja explizit mit Hegels Phänomenologie des Geistes, um das epistemische Modell eines schwachen Holismus und Inferentialismus zu entwickeln (vgl. Brandom 2006, S. 336). Brandom rezipiert den Anerkennungsbegriff hier im Horizont der theoretischen Wissensgestalten und nicht als eine Grammatik sozialer Kämpfe, die durch Missachtung motiviert wären. Die Idee des Selbstbewusstseins als ein das Wissen konstituierendes Verhältnis steht im Zentrum des „Scorekeeping-Modells“. Die allgemeine Anerkennung besteht für Brandom in der „wechselseitigen Autorität von Allgemeinem und Besonderem“ (Brandom 2015, S. 299, Fn 36), die sich in der eigenen Verantwortung und in der Verpflichtung manifestiert, „Unvereinbarkeiten zwischen Ihrem und meinen empirischen Urteilen“ (ebd.) aufzulösen. Er fasst den Anerkennungsbegriff zwar auch sozial, insofern die gegenseitige Anerkennung „einzelne[r] selbstbewusste[r] Selbste (Träger von Verpflichtungen und Verantwortungen) als auch deren Gemeinschaften (die Selbste also, insofern sie so miteinander verbunden sind, dass sie sich gegenseitig Verpflichtungen zuschreiben, diese Verpflichtungen bewerten und einander zur Verantwortung ziehen)“ (ebd., S. 304) instituiert. Anerkennung nimmt dabei zugleich aber auch eine inferentielle und eine geschichtliche Form an (vgl. ebd.). Inferentiell charakterisiere sie den „Prozess des Urteilens“ (ebd.) zwischen Allgemeinheit und Besonderheit.
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Diesen Prozess knüpft er an die Erfahrung im Zuge der materiellen Anwendung von Begriffen im Konkreten und die Autorität des Besonderen, die der Autorität des Allgemeinen entgegentritt (vgl. ebd., S. 354). Die geschichtliche Form bezieht sich auf die „Anwendung und zugleich Instituierung begrifflicher Normen“ (ebd., S. 304), die den Verwendungsweisen von Begriffen und den entsprechenden Normen eine Autorität zuweist und die Berechtigung für zukünftige Verwendungsweisen und für Korrekturen rahmt (ebd., S. 305). Ohne dies hier weiterverfolgen zu können, lässt sich hiernach zumindest die Frage stellen, ob ein gutes Selbstverhältnis als Selbstachtung oder Selbstwertgefühl gleichzeitig auch ein differenzierteres Selbstbewusstsein evoziert. Eine weitere Schwierigkeit ist aus der hier dargelegten Lesart von Hegels Bildungsbegriffs die scharfe Unterscheidung von Sozialisation und Bildung. Auch wenn er nachvollziehbar darauf hinweist, dass Hegels Bildungsverständnis mit der Idee der „Identitätsbildung“ (Stojanov 2014b, S. 153) verknüpft werden kann, hält er an der scharfen Trennung zwischen diesen beiden Formierungsvorstellungen fest. Allerdings kann die Formierung innerhalb institutionalisierter Praktiken und der Entwicklung von Haltungen in Anbetracht von Hegels Gewöhnungsbegriff nicht einfach als das andere der Bildung definiert werden. Soziale Institutionen als Verwirklichung normativer Ordnungen, die willentlich (kollektiver Wille) gesetzt und autorisiert werden, sind für Hegel Formen des Geistes bzw. der spezifischen Rationalitätsformen. Unabhängig davon, dass die habituelle Einübung nicht ohne Reflexivität denkbar ist, ist die sozialisatorische Formierung selbst eine praktische Bildung. Er bettet zwar Hegels Idee der sittlichen Gemeinschaft und mit Honneth auch dessen Freiheitsidee in seine anerkennungstheoretischen Überlegungen ein (Stojanov 2014b, S. 158 f.), die gesellschaftliche Dimension bleibt aber nur ein Hilfsgerüst für die Subjektwerdung. Die Historizität des Subjekts und des Selbstbewusstseins bleibt dabei unberücksichtigt. Seine Bildungsidee scheint in der Universalität der Diskursgemeinschaft zu resultieren, ohne näher die verpflichtende Gemeinschaft zu problematisieren. Die individuelle Verantwortlichkeit für begriffliche Unvereinbarkeiten gilt als gesetzt und ist unabhängig von der sozialen Konstellation, in der eine Verpflichtung stattfindet. Mit Brandom kann Stojanov diese Selbstverpflichtung folglich nicht in Beziehung zu sozialen Machtverhältnissen setzen. Aus diesem Grund bezeichnet Pippin Brandoms sprachpragmatische Theorie auch als einen „inferenzialistischen Positivismus“ (Pippin 2016, S. 273), der kein distinktes Kriterium vorsieht, zwischen „,der Ausübung normativer Autorität‘ und ,der Ausübung von Zwangsgewalt‘“ (ebd., S. 278) zu unterscheiden. Brandom fehlt nach Pippin ein Sozialitätsbegriff, der darüber Aufschluss geben könnte, wie Normen gesellschaftlich verwaltet werden und unter welchen Bedingungen Verpflichtungen
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von Akteurinnen/Akteuren übernommen werden. Stojanov knüpft zwar an den gesellschaftskritischen Theorieentwürfen Honneths an. Aber das Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen wird merkwürdig idealisiert. Sie wird zu einer ahistorischen Metaebene, zu der die wechselseitige Anerkennung einen Zugang verschaffen soll. Dies setzt die Selbstreflexivität dieser Praxis außer Kraft, die für diskursive Praktiken in der Wissensgenese wie auch in der politischen Willensbildung gelten muss. Deliberative Praxisformen müssen ihre Institutionalisierung immer wieder neu herstellen und angeben, weswegen sie als eine historische Rationalitätsform ein gemeinsames Handeln aller von Entscheidungen Betroffenen ermöglicht, in der die Selbstverpflichtung aller Beteiligter nicht bloß als Zwang, sondern als freiwillig wahrgenommen wird. In der Einschätzung, dass die reflexiven Freiheitsformen historisch sind, würde ich Honneth folgen, wobei sein Ansatz die Institutionen in Bezug auf ihren normativen Überschuss historisch zu rekonstruieren und dabei ein solidarisches Wir herauszuschälen, das identifikatorische Moment realisiert, problematisch ist. Jaeggis Ansatz einerseits Lebensformen in ihrer Historizität zu betrachtet, diese andererseits entlang von Widersprüchen zu problematisieren und nach ihren Problemlösungsdefiziten und ideologischen Effekten zu analysieren, bietet hingegen ein Reflexionsniveau, welches Institutionen weder radikal auflöst, noch sie affirmativ setzt.
4.3 PROBLEMLÖSUNG ALS HEGEMONIALE SCHLIESSUNG? Die Denkfigur einer gemeinsamen Problemdefinition und Problemlösung ist im Zuge der Etablierung poststruktureller Denkfiguren innerhalb der Bildungs- und Erziehungsphilosophie auf Kritik gestoßen. Insbesondere Alfred Schäfer hat sich in seiner Studie Die Erfindung des Pädagogischen von 2009 in Referenz zu Laclau und Mouffe eingehend mit dieser Argumentationsfigur beschäftigt und diese kritisiert. Die Annahme einer Problemlösung verlange ihm nach eine „paradoxe Schließung“ (Schäfer 2009, S. 390), in der sich das Partikulare durch die metaphorische Sakralisierung von Geltungsansprüchen und Gründen universalisiere. Hieraus folgert er, dass Problemlösungen Normen instituieren wie etwa Leistungsstandards, um Qualifikationsanforderungen zu erfüllen, und diese „Instituierungsprozesse“ (ebd., S. 391) ein „hegemonialer Effekt agonaler Auseinandersetzungen“ (ebd.) seien. Der Verweis auf „das Reflexionsniveau oder die Plausibilität“ (ebd.) kann Schäfer zur Folge keine legitime Autorität für sich beanspruchen, sondern würde die „Grundlosigkeit“ (ebd.) der normativen Setzungen metaphorisch ausblenden. Jaeggis Kritikverständnis muss aus dieser
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Position heraus hoch problematisch sein, weil die Befragung der Lebensformen nach Problemlösungsdefiziten als ein Funktionalismus gedeutet werden müsste, in dem der Raum des Politischen und des Konflikts geschlossen würde und die grundlose „Instituierungsproblematik“ (ebd., S. 392) unreflektiert bleibe. Zum Verständnis dieser grundlegenden, adornitisch inspirierten Irritation jeder Form kooperativer Handlungsformen und Sozialität sind drei Argumente wesentlich, (1) das logische Argument der „Grundlosigkeit“, (2) die Dialektik von „Sakralisierung und Ästhetisierung“ (ebd., S. 385) und (3) die Unlösbarkeit von Problemen und das Konzept des „leeren Signifikant[en]“ (ebd., S. 390). Die Argumentation beginnt mit der philosophischen Frage nach Wahrheit bzw. nach dem ersten Grund, von dem aus alle anderen begrifflichen Ordnungen hergeleitet werden könnten. Die Suche also nach einem universellen Hebel, der einer theoretischen Argumentation eine eindeutige Orientierung verleihen könnte. Diese Suche nach einem Urgrund, einem absoluten Wissen muss für Schäfer im historischen Rückblick als gescheitert erklärt werden. Während vormoderne Philosophen noch Gott als letzten Ausgangspunkt ihres Denkens analytisch gesetzt hätten, ist diese Suche spätestens seit Kant, der bekanntlich die Metaphysik radikal kritisiert hat und die Idee von Gott, Welt, Seele und Freiheit in einen von der Erfahrung nicht einholbaren transzendentalen Bereich verschoben hat, introspektiv in das Subjekt verlagert worden (ebd., S. 178 f.). Transparent durch die Setzung des „Faktums der reinen Vernunft“, wird die Entscheidung über wahr oder falsch vom vernünftigen und autonomen Subjekt gefällt. Das Selbst wird zu seinem eigenen Gesetzgeber. Schäfer verwendet nun auf der einen Seite das Argument eines logischen Fehlschlusses – ein Grund kann sich nicht selbst begründen – weswegen jeder Grund auf einen unabhängigen Grund referieren muss, um begründet zu sein. Auf der anderen Seite arbeitet er heraus, dass ein infiniter Regress durch die „Sakralisierung“ eines gesetzten Grundes umgangen wird. Mit Kant werde folglich das Subjekt als höchste Wahrheitsinstanz sakralisiert. Dies bedeutet für Schäfer im Weiteren, dass die „Unstellbarkeit“ (ebd., S. 383) der letzten metaphysischen Einsicht ein Bild erhält und damit metaphorisch hergestellt und gleichzeitig seine Metaphorik negiert. Es inszeniert sich als rationaler Grund und Realität. Die Annahme des Subjekts wird aus wissenstheoretischen Überlegungen notwendig und Fakt. Diese metaphorische Verlagerung hat aber darüber hinaus auch eine grundlegende Bedeutung für die Pädagogik, weil sie diese Subjektivität zu ermöglichen versucht. „[D]ie Unmöglichkeit und Notwendigkeit der subjektiven Setzung einer das Subjekt uneinholbar transzendierenden Grundlage und dem Anspruch, dies auch noch sozial zu ermöglichen. Die pluralen, ihren Möglichkeitscharakter berücksichtigenden Annäherun-
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gen an das Pädagogische sind daher nicht beliebig, sondern sie scheinen selbst auf eine historisch sich ergebende Problemkonstellation bezogen zu sein, die sie jedoch nicht definitiv zu fassen vermögen.“ (Ebd., S. 386)
Diesem „Riss in der sozialen Welt“ (ebd., S. 362) treten pädagogische Konzeptionen mit Antworten entgegen, die den Schein der Plausibilität und des Begrifflichen ästhetisch herstellen. Solange der Anspruch besteht, dieses Problem begrifflich darzustellen und rational zugänglich zu machen, wird ihr Einsatz naiv und problematisch. Die Ambivalenz des Ästhetischen hier ist, dass sie als rhetorisches Mittel sich selbst vergessen machen kann und damit den Raum für konfliktuelle Ansprüche schließt. Sie kann sich aber gleichzeitig in ihrem rhetorischen Status inszenieren, die „Grundlosigkeit“ des Grundes und die Partikularität des „Instituierungsprozesses“ darstellen. Vor einem ausschließlichen Dezisionismus bewahrt sich Schäfer durch das Konzept des „leeren Signifikant[en]“ (ebd., S. 390), der einen „uneinholbaren Bezugspunkt“ der Problemartikulation darstellt. Leer ist der Signifikant, weil es keine inhaltlichen Bestimmungen für die Problematisierung des „unlösbare[n] Problem[s]“ (ebd.) geben würde, welches es repräsentiere. Kants Autonomie wäre folglich ein „leerer Signifikant“, der in der Problembeschreibung als Problem erscheint, aber gleichzeitig auch eine partikulare Form annimmt. Artikulation des Problems in seiner Konkretion, in der dem Signifikant ein Signifikat zugesprochen werden soll, wird partikular und gezwungen sich rhetorisch darzustellen. An der Stelle ließe sich einwenden, dass das Theorem der „Grundlosigkeit“ selbst kein Rhetorisches ist und einen negativen universellen Bezugspunkt in Schäfers Konzeption darstellt. Allerdings muss dem Hinweis nachgegangen werden, ob ein Ansatz, der auf ein politisches Verständnis gemeinsamer Problemlösungen abhebt, zugleich auch eine hegemoniale Schließung des Deutungsraums bzw. eines politischen Raums darstellt. Eine entsprechende Vermutung liegt nahe, wenn Gründe den Anspruch universeller Wahrheit für sich beanspruchen und eine Lösung als die richtige und wahre ideologisch in Anschlag gebracht wird. In diesem Fall wäre der Status des Grundes tatsächlich ein sakraler. Er stünde nicht mehr zur Disposition und über diesen könnte nicht gestritten werden. Demgegenüber kann über Setzungen aber auch nicht gestritten werden. Wie und worüber soll etwas gesagt werden? Was soll eigentlich verhandelt werden? Wenn dieser kritische Einsatz allein an die Hegemonie einer Ideologie adressiert ist und nicht zwischen Ideologien differenzieren möchte, dann kann auch nicht zwischen z.B. autoritätsaffinen politischen Forderungen, die ihre mediale Marginalisierung als strategischen Ausgangspunkt zu verwenden wissen, und sachlich hergeleiteten Argumenten unterschieden
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werden. Was heißt es in diesem Kontext aber eigentlich von Konflikten zu sprechen? Die Idee, Ideologien mit Gegenideologien zu begegnen, perpetuiert nur Konflikte. Eine deliberative Praxis, die am gemeinsamen Handeln orientiert bleibt, kann sich zwar nur dann als demokratisch verstehen, wenn die artikulierten Gründe verhandelt werden können und sie sich selbst als partikular ausweisen. So wie es Carsten Bünger in Referenz zu Lefort und in Bezug auf Demokratie schreibt, muss der Diskurs für die „Auseinandersetzung um Begründungen offengehalten“ (Bünger 2013, S. 212) werden. Die Einsicht in die Widerspruchsmöglichkeit gegen Gründe heißt aber nicht, dass keine gemeinsame Problembeschreibung und -gestaltung basierend auf Gründen notwendig ist. Vielmehr heißt es, dass sie sich immer ihrem Riss und ihrer Historizität bewusst sein sollte. Wenn wir nun wieder auf den sozialen und prozessualen Bildungsbegriff Hegels zurückgreifen, dann besteht ihre Relevanz in der entfremdenden Erfahrung von Irritationen und Widersprüchen innerhalb der Praxis. Diese Erfahrung kann ferner eine Selbstdistanzierung in der Abarbeitung der Unmittelbarkeit von Sitten bzw. sozialen Normen ermöglichen (s. Kap. 3.6.2). Dieses Abarbeiten ist zugleich aber auch eine Arbeit an der Sache1, die nicht unmittelbar in ein politi-
1
Wenn ich von Arbeit an der Sache spreche, dann nicht im Sinne einer ontologisch festgelegten Sache, die es begrifflich zu erfassen gilt. Die Arbeit an der Sache, ist als eine Arbeit am Begriff zu verstehen, die eine historisch kontextualisierte Reflexion von Gegenständen, Problemen, Sachverhalten etc. ist, die wiederum nicht unabhängig von kulturellen Deutungsmustern verstanden werden können. Diese Reflexion ist folglich nicht abstrakt vorzustellen. Sie ist konkret an den Versuch gebunden, Wirklichkeit bzw. Welt zu begreifen; Begreifen im Sinne von Negation und Differenzierung. Die Kritik Adornos an Hegel, dass der Differenzierungsprozess der doppelten Negation beim unvermittelten „Etwas“ anfängt und beim Absoluten mündet (vgl. Adorno 1966/2003, S. 139), ist plausibel. Ich folge aber nicht dessen negativistischer Konsequenz. Die „Sachlichkeit“ (Breithausen 2014, S. 274), die von Jutta Breithausen in Anschluss an Adorno als eine Haltung beschrieben wird, der Sache gerecht zu werden, ermöglicht einerseits überhaupt erst, Differenzen erkennen zu können. Andererseits kann Sie ein diskursives Feld eröffnen, in dem über Problembeschreibungen, -lösungen und Begründungen gestritten werden kann. An dieser Stelle ist Horkheimers Bildungsbegriff weiterführender, wenn auch das Emanzipationsversprechen nicht ohne Ambivalenzen ist. „Gebildet wird man nicht durch das, was man ,aus sich selbst macht‘, sondern einzig in der Hingabe an die Sache, in der intellektuellen Arbeit sowohl wie in der ihrer selbst bewußten Praxis. Nicht anders als in dem Eingehen in sachliche Arbeit vermag das Individuum über die Zufälligkeit seiner bloßen Exis-
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sches Positionsspiel eintritt, sondern eine differenzierende Tätigkeit ist, die überhaupt erst Differenzen zu erkennen erlaubt. Aus dieser Auseinandersetzung mit der Sache können darüber hinaus Gründe entwickelt werden, die zumindest den Anspruch erheben, dem verhandelten Gegenstand angemessener zu sein. Über die Plausibilität und den Reflexionsgrad kann dann zwar gestritten werden, aber auch wenn nun keine Universalität angenommen werden kann, bietet diese Differenzierung doch eine Einsicht in die Komplexität, die Pluralität und die Konfliktualität von Problembeschreibungen. Es bedarf also aus der hier vertretenen Position einer selbstreflexiven Haltung, die Probleme als Gemeinsame zu erkennen, zu beschreiben und sie innerhalb kommunikativ kooperativer Praktiken zu lösen. Die „Sakralisierung“ dieser Lösungen würde einer solchen Praxis widersprechen, da die Artikulation von Gründen, nur dann potentiell symmetrisch und demokratisch sein kann, wenn diese in ihrer Partikularität dargestellt werden und die Widerspruchsmöglichkeit anerkannt wird. Diese Beschränkung ist zudem der Aspekt, auf deren Grundlage über Problembeschreibungen und allgemeine Problemlösungen verhandelt und vom Einzelnen abverlangt werden kann, eine begründete Position zu entwickeln. Bleibt diese Form der Verhandlung aus und wird der Konflikt zum eigentlichen Prinzip, ist es fragwürdig, ob sich deliberative Praktiken, die die subjektive Selbstreflexivität voraussetzen, sich reproduzieren. Diese Frage stellt sich insbesondere in Anbetracht von Souveränitätsbestrebungen partikularer Gruppen und „etablierter“ politischer Akteurinnen/Akteure, wenn politisches Handeln allein auf rhetorische und performative Strategien abgestellt wird (hierzu: u.a. Kellershohn 2016; Bruns et al. 2016; Fraser 2017). Innerhalb dieser egologischen Logik ideologischer Durchsetzung erscheint es irrelevant, ob Gründe ästhetisch inszeniert oder rational sind.
4.4 EINE ABSCHLIESSENDE BETRACHTUNG Die Studie ist grundlegend durch die Idee motiviert, an eine bildungstheoretische Tradition zu erinnern, die Bildung aus einer individuellen Verengung löst und diese sozial denkt. Für diese Motivation erschien zusätzlich das hegelianische Anerkennungsparadigma als ein sozialphilosophisches Modell, das die Genese des Selbst- und Weltverhältnisses aufgrund dessen intersubjektiver Struktur konfiguriert, als eine Möglichkeit, Bildung und Sozialität zusammenzudenken.
tenz hinauszukommen, an der der alte Bildungsglaube haftet und in der ohne jene Entäußerung bloß das beschränkte eigene Interesse und damit das schlechte Allgemeine sich durchsetzt“ (Horkheimer 1985, S. 415).
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Mit der institutionellen Wendung dieses Anerkennungsparadigmas, die Axel Honneth in seiner Studie Das Recht der Freiheit systematisch ausführt, wird dieses reaktualisiert und ein Weg geebnet, Anerkennung nicht nur ausgehend von einer interaktionistischen Ich-Du-Figuration zu begreifen, sondern eine WirDimension in diese zu integrieren. Diese Erweiterung ist insbesondere für die Verhältnisbestimmung des Begriffs der Sozialität aussichtsreich, weil Selbstverhältnis und Gesellschaft ineinander verwoben werden. Das Individuum kann hiernach nicht „Ich“ sagen, ohne auf soziale Kategorien und auf ein Wir zu referieren. Die Sozialität der Bildung verläuft also über ein sozial vermitteltes Formierungsprinzip, das auch als Sozialisation interpretiert werden könnte. Inwiefern dieses Prinzip noch den Titel „Bildung“ verdient, ist eine Frage, die die vorliegende Arbeit in ihrer Struktur bestimmt hat. Aus der anerkennungstheoretischen Institutionentheorie in Kapitel 2 von Frederick Neuhouser, Ludwig Siep und Axel Honneth ließe sich hierfür die Idee einer kooperativen Sozialität entnehmen. Während Neuhouser in einer anerkennungstheoretischen Rekonstruktion Rousseaus politischer Philosophie die Ambivalenzen vom Streben nach Anerkennung herausarbeitet (s. Kap. 2.1), ist Siep an einer Erneuerung der praktischen Philosophie interessiert (s. Kap. 2.2). Beide geben zu bedenken, dass soziales Handeln nicht ohne die Einbettung in historisch gewachsene Institutionen zu verstehen ist. Es ist nun aber vor allem der Begriff der sozialen Freiheit Honneths, in dem Institutionen nicht nur verflüssigt werden sollen. Mit diesem möchte er darüber hinaus Beziehungsformen nachzeichnen, die Ausdruck einer kooperativen Freiheit sein sollen. Die freundschaftlichen, familiären, wirtschaftlichen und politischen Handlungsformen, die das Individuum als soziales Subjekt kontextualisieren, sollen als eine Art Persönlichkeitserweiterung erfahrbar werden, womit er der Sittlichkeitstheorie aus Hegels Rechtsphilosophie ein modernes Gewand verleihen möchte. Hiermit ruft er zudem bildungstheoretische Semantiken der Autonomie, der Ermöglichung und der Selbstverwirklichung auf, in der Sozialität und Bildung unmittelbar aufeinander bezogen wären (s. Kap. 2.3). Es ließe sich auf der Basis Honneths demokratischer Sittlichkeitstheorie für eine kooperative Sozialität argumentieren, in der die Befähigung zur Partizipation eine bildende wäre (s. Kap. 2.4). Zur Diskussion dieser befreienden kooperativen Sozialität als bildungstheoretisches Konzept sollte der Begriff der Sozialität weiter aufgespannt und multiperspektivisch betrachtet werden, wofür in Kapitel 3 differente theoretische Betrachtungsweisen und Problemstellungen herangezogen wurden und eine bildungstheoretische Kontextualisierung vorgenommen worden ist. Vor dem Problemhorizont, der in Kapitel 3.1 zu differenten Sozialitätsbegriffen und in Kapitel
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3.2 zum Verhältnis von Sozialität zu Institutionen entwickelt wurde, wurde die Idee einer befreienden kooperativen Sozialität wieder aufgegriffen und in Hinblick der Identifikationsproblematik analysiert. Dabei standen der reflexive Gehalt des Institutionenbegriffs, die Frage nach deren Rigidität und die narrative Idealisierung des Wir im Blickpunkt der Analyse. Bei der Diskussion dieses Sozialitätsbegriffs wurde herausgearbeitet, dass Honneth sich mit einem grundlegenden Problem der politischen Theorie beschäftigt, und zwar der Solidarität als Bedingung für gemeinsames Handeln. Seine Antwort, eine Kooperation durch das Narrativ einer „Kultur der Freiheit“ zu denken, trifft allerdings auf differente Probleme. Neben der idealisierten Rekonstruktion der Institutionen, habe ich mich besonders der Ambivalenz eines symbolisch hergeleiteten Kollektivsingulars gewidmet, mit dem, wenn es auch demokratisch gedacht ist, die Gefahr einhergeht, den Blick für das andere und für das Fremde zu verlieren (s. Kap. 3.3). Als weitere Ansätze wurden Butlers Adressierungstheorie bezogen auf die Idee einer ambivalenten Sozialität (s. Kap. 3.4) und Jaeggis pragmatistischer Materialismus vor dem Hintergrund einer reflexiven Sozialität gelesen. Beiden ist gemein, dass Sie das Selbstverhältnis genuin sozial denken. Butlers Ansatz einer Adressierungstheorie setzt da an, wo Honneth den Faden liegen lässt, und zwar am Problem der Ambivalenz des Wir und der Integration, zu dem sie in ihrem komplexen machttheoretischen Ansatz ein Verhältnis zu entwerfen sucht. Hierbei sensibilisiert sie für die Brüche innerhalb von Anerkennungsbeziehungen und ermöglicht die Markierung von Exklusionsmechanismen und gleichzeitig die Reflexion von Wissensregimen. Eine ambivalente Sozialität, gedacht auf dem Fundament von Butlers Theorie der Adressierung, geht somit über die bloße soziale Formierung hinaus. Entlang der Bildungsdimensionen, die ich in Kapitel 3.6.1 in einer Diskussion von Hegels Bildungstheorie entwickelt habe, (1) dem sozialontologischen, (2) epistemischen Selbst- und Weltverhältnis und dem (3) epistemischen Selbst- und Weltverständnis (s. Kap. 3.6.1), habe ich versucht zu zeigen, dass mit Butler eine Selbstreflexion denkbar ist, die die Partikularität der Identität sichtbar werden lässt. Diese Reflexionsform, die ich mit dem epistemischen Selbst- und Weltverhältnis thematisiert habe, ist besonders für die subjektive Dezentrierung und die Wahrnehmung des anderen relevant. Meine Kritik an Butler ist aber, dass sie keinen Hinweis darauf gibt, inwiefern ein Gespräch denkbar wäre, dass die Kooperation als wesentlichen Faktor von Sozialität ermöglichen würde. Diese Dimension lässt sich jedoch aus der hier vertretenen Sicht mit der Position von Rahel Jaeggi denken, die mit ihrer Studie Kritik der Lebensformen eine theoretische Perspektive entwickelt, die eine Versachlichung von Gründen bei einer gleichzeitigen lebensformspezifischen Relativierung
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anbietet (s. Kap. 3.5). Wenn auch ihr Rationalitätsbegriff an einigen Stellen ahistorische Züge annehmen mag, skizziert sie mit ihrem Problembegriff einen Raum an Gründen, der einerseits die sachliche Arbeit und eine Verallgemeinerung der individuellen Perspektive fordert, aber andererseits durch die Vervielfachung von Widersprüchen und Lebensformen die Gefahr einer Sakralisierung von Gründen zumindest abschwächt (s. Kap. 3.6.2). Schlussendlich scheint mir die hier vorgestellte, an der hegelianischen Terminologie orientierten Perspektivierung auf Bildung aus mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Bildung verweist innerhalb der sozialontologischen Ebene auf die Gesellschaft und die Abhängigkeit der Selbstwerdung von anderen. Bildung ist hier nicht ausschließlich Selbstbildung, sondern stellt eben ein Wechselverhältnis zwischen Selbst und Welt dar. Wenn nun aber Hegels Idee der endgültigen Aufhebung nicht gefolgt wird, dann bleibt Bildung im Spannungsverhältnis von Macht und Ohnmacht, sozialer Handlungsfähigkeit und Begrenzung (s. Kap. 3.6.1). In diesem Sinne nähert sich der Bildungsbegriff dem Konzept der Subjektivierung an (s. Kap. 3.6.2). Wenn Markus Rieger-Ladich die Vertreter/-innen des transformativen Bildungsbegriffs mit dem Beispiel des Walter Whites aus Breaking Bad konfrontiert und minutiös die Transformationsprozesse nachzeichnet, dann könnte nach der hegelianischen Konzeption gefragt werden, wie die Gesellschaft strukturiert ist, dass sie entsprechende Subjektformierungen ermöglicht (vgl. Rieger-Ladich 2014). Statt allein auf die Individualität abzuheben, würden die gesellschaftlichen Praktiken und Institutionen zum Gegenstand der Reflexion erhoben werden. Bezogen auf die bildungstheoretische Biografieforschung könnte hierduch die „gesellschaftstheoretische Dimension des Biographiekonzepts“ (Dausien 2016, S. 40) auch mehr ausgeschöpft werden, ohne den Bildungsbegriff zu verabschieden. Zumal Bettina Dausien mit ihrem Theorem der „Biographizität“ selbst Semantiken aufnimmt, die an die Idee der Reflexion gesellschaftlicher Verflechtung in und von biografischen Erzählungen anschließen und somit eine Annäherung dieser Implikationen zu bildungstheoretischen Semantiken denkbar wären (s. Kap. 4.1). Es ließe sich aber auch auf Winfried Marotzki verweisen, der im Zusammenhang von Bildung, Biografie und Gesellschaft schreibt: „Die bildungstheoretische Perspektive entfaltet […] eine Sichtweise auf gesellschaftliche Problembestände. Bildungsprozesse sind Prozesse der gesellschaftlichen Problemwahrnehmung und Problemlösungsversuche.“ (Marotzki 1990, S. 53)
Auch wenn die selbstreflexive Rationalitätsform nun an die Institutionalisierung einer modernen Subjektivitätsform gebunden sein mag, ist sie doch die eigentli-
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che Differenz, in der sich Bildung von Sozialisation unterscheidet und durch die eine gesellschaftliche Problemwahrnehmung konstituiert wird. Die Konzeption und das Festhalten an einer reflexiven Diskursivität kann allerdings aus einer praxistheoretischen Perspektive nicht in Hinsicht einer ahistorischen Rationalität universalisiert werden (s. Kap. 4.2). Sofern sie demokratisch gedacht wird, ist sie an ihre argumentative Reproduktion gebunden. Ihr Sinn muss diskursiv zugänglich werden, ohne als Praxis sakralisiert zu werden. Wenn dies auch ihre Schwäche zu sein scheint, da hierdurch die Gestalt der demokratischen Form und sie durch ihren Begriff selbst zum Gegenstand der Reflexion und der Kritik wird, werden aber auch ihre immanenten Widersprüche offensichtlich. Ferner kann die Problematisierung aufgrund dieser kritischen Reflexion selbst ein Ort des Konflikts sein, weil der Problembeschreibung relative und kontingente Deutungsmuster eingeschrieben und sie mit Strategien der hegemonialen Grundierung verflochten sind. Ohne aber die Idee einer Verständigungsorientierung innerhalb einer deliberativen Praxis, die auf einem Problemlösungshorizont basiert, bleibt die rhetorische Inszenierung ohne sachliche Dimension und die Kritik der Sakralisierung läuft ins Leere (s. Kap. 4.3). Für einen bildungstheoretischen Diskurs würde dies zudem bedeuten, die Frage nach einer zeitgemäßen Allgemeinbildung wieder zu stellen, in der die Aspekte der Qualifizierung, die sachliche und die kritische Reflexion von Wissen aufeinander bezogen werden.2 Am Schluss soll allerdings kein Plädoyer für einen idealisierten Bildungsbegriff geführt werden. Bildung ist in der hier dargestellten Lesart ambivalent, da ihre Gestalt von der Gesellschaft abhängig ist. Es soll folglich auch nicht die Position eingenommen werden, dass Bildung nur Kritik oder kritische Widerständigkeit sein muss, sondern dass mit Bildung die kritische Reflexion eine Denkmöglichkeit bleibt.
2
In diesem Kontext könnte es sich auch lohnen, an entsprechende allgemeinbildende Konzeptionen wie u.a. die Allgemeinbildungsidee Wolfgang Klafkis (vgl. Klafki 1985) zu erinnern, der anhand der hier dargelegten Perspektive und unter Bedingung eines aktualisierten Problembegriffs neujustiert werden müsste, sich für eine weitere Reflexion mit Peter Eulers „reflektiert[er] Sachkompetenz“ (Euler 1999, S. 292) bezüglich eines kritischen und sachlichen Urteilsvermögens oder mit Dietrich Benners „kritische[r] Urteils- und Partizipationskompetenz“ (Benner 2017, S. 147) auseinanderzusetzen, mit dem die kritische Reflexion von Wissen ins Zentrum rückt.
Danksagung
Eine Arbeit über die Sozialität der Bildung wäre ein widersprüchliches Projekt, wenn der Schein einer individuellen und losgelösten Autorschaft aufrechterhalten bleiben würde. Das Thema und der Inhalt fordern geradezu diese Illusion zu dekonstruieren und die vielen wertvollen sozialen Beziehungen einzublenden, die deren Entstehung ermöglicht und begleitet haben. Hier ist nun der Ort, an dem ein längst überfälliges und schlichtes Danke zum Ausdruck kommen soll. Danken möchte ich dem betreuenden Professor Lothar Wigger, der sich mit seiner Offenheit auf meine Denkform eingelassen und mich in meiner gedanklichen Suchbewegung inhaltlich aber auch stets menschlich unterstützt hat. Im Rahmen der Lehrstuhlkultur, den Oberseminaren, den gemeinsamen Foren und sachlichen Diskussionen konnte ich mein Denken konkretisieren und schärfen. Im Wesentlichen wurde und wird diese Lehrstuhlkultur durch Kolleginnen und Kollegen geprägt, die das Gemeinsame und nicht die Konkurrenz in den Vordergrund stellen. Es hat sich eine Praxis gegenseitiger Unterstützung gebildet, die der wissenschaftlichen Arbeit eine humane Dimension verliehen hat. Für die vielen Diskussionen, sozialen Gesten gegenseitiger Unterstützung und geteilten biographischen Erfahrungen möchte ich in alphabetischer Reihenfolge Nermina Ahmic, Carsten Bünger, Sonja Herzog, Nushin Hosseini-Eckhardt, Lena Naydowski, Petula Neuhaus, Barbara Platzer, Lukas Schildknecht und Janina Somasundaram danken. Einen besonderen Dank möchte ich an Philippe Marquardt richten, mit dem ich das Glück hatte, das Büro teilen zu dürfen und dessen Beitrag zu meiner Promotion nicht zu unterschätzen ist. Auch möchte ich meinen Gutachtern Andreas Dörpinghaus und Hans-Rüdiger Müller danken. Darüber hinaus ließe sich die Liste an Kolleginnen und Kollegen, zu denen ich fachliche und freundschaftliche Beziehungen gepflegt habe, fortsetzen. Ich möchte um Entschuldigung bitten, dass ich nicht alle mit Namen nennen kann und hoffe, dass Sie sich durch diese Danksagung angesprochen fühlen.
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Die Schwierigkeit des Dankens ist, dass es nicht mehr aber auch nicht weniger als ein symbolischer Akt ist, der nur sehr begrenzt die eigentliche Dimension der Unterstützung zum Ausdruck bringen kann. Dieser Umstand wird umso deutlicher, umso augenfälliger die Differenz zwischen dem Symbol und der Unterstützung wird. Dieses Gefühl des Unzureichenden setzt insbesondere bei meiner Frau Rahele Bagherzadeh Yazdi ein. Mit Ihrer liebevollen Sensibilität, Ihrem lebendigen Intellekt, Ihrem geistreichen Humor, Ihrer verständigen Geduld und nicht zuletzt mit Ihrem scheinbar unerschütterlichen Glauben an mich half sie mir das hürdenreiche Labyrinth bis zur Promotion zu gehen und diesen Weg sinnhaft werden zu lassen. Die Kraft für diese Arbeit habe ich auch der Lebendigkeit und Lebensfreude meiner beiden Söhne Kian und Rami zu verdanken. Es ist für mich ein großes Gut, dass ich Ihnen zur Entfaltung Ihrer Selbstständigkeit verhelfen darf. Auch meiner leider zu früh verstorbenen Mutter Zita Gertrud Zulaica y Mugica möchte ich danken, die weder meinen Schulabschluss, noch mein Studium und auch nicht meine Promotion erleben konnte. Trotz der inzwischen vergangenen Zeit schaue ich noch mit tiefer Trauer aber auch mit Freude auf meine Kindheit mit Ihr und der erfahrenen Liebe zurück. Meinem Vater José Luis Maria Zulaica y Mugica möchte ich für das Vertrauen, die Sicherheit und für die Erfahrungen einer geisteswissenschaftlichen Diskussionskultur danken. Weiteren Dank möchte ich an Susanne Jüngling, die unsere Familie mit Ihrer Lebenslust und gütigen Gelassenheit wiederbelebt hat, an meine Schwiegereltern, die mich in Ihrer Familie stets willkommen geheißen und großzügig unterstützt haben, an meine Schwestern und deren Partner, an meinen Schwager und seiner Familie und zum Schluß an meine Freunde richten.
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Pädagogik Anselm Böhmer
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