Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft [1 ed.] 9783428483105, 9783428083107

Im europäischen Einigungsprozeß wird seit der Inangriffnahme des Projekts der Errichtung und Vollendung des Binnenmarkte

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German Pages 452 Year 1995

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Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft [1 ed.]
 9783428483105, 9783428083107

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HEIKE KUHN

Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 22

Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft

Von Heike Kuhn

Duncker & Humblot • Berlin

Die vorliegende Untersuchung wurde im Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer durchgeführt

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kuhn, Heike: Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft / von Heike Kuhn. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zum europäischen Recht ; Bd. 22) Zug!.: Speyer, Hochsch. für Verwaltungswiss., Diss., 1994 ISBN 3-428-08310-5 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-08310-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist von der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer im Sommersemester 1994 als Dissertation angenommen worden. Für die Veröffentlichung wurde sie überarbeitet und ergänzt, um neuere Entwicklungen aufzeigen zu können. Schrifttum, Rechtsprechung und Dokumente der Gemeinschaftsinstitutionen konnten bis zum 30.04.1994 berücksichtigt werden. Die Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als Forschungsreferentin am Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Dem Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht, insbesondere Völker- und Europarecht, und Betreuer der Arbeit, Herrn Prof. Dr. Siegfried Magiera, danke ich für die wohlwollende Begleitung der Arbeit und seine konstruktive Kritik. Folgenden Personen, die zum Entstehen der Arbeit beigetragen haben, bin ich zu Dank verpflichtet. Frau Doris Gerlo! und Frau Dr. Ulrike Städtler vom Informationsdienst des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften haben mir stets die neuesten Urteile und Schlußanträge zukommen lassen. Frau Angelika Grund vom Europäischen Dokumentationszentrum der Universität Mannheim hat mir zahlreiche weitere Gemeinschaftsdokumente zur Verfügung gestellt. Frau Maren Kresse, Bonn, hat durch ihren linguistischen Sachverstand zu einer besseren Lesbarkeit des Textes beigetragen und gewissenhaft Korrektur gelesen. Besonderen Dank sagen möchte ich Frau Elisabeth Lerchenmüller, Sekretärin am Forschungsinstitut, die mir eine wertvolle Hilfe bei der Textverarbeitung, insbesondere bei der Erstellung des Inhaltsverzeichnisses und des Literaturverzeichnisses, war. Danken möchte ich auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Forschungsinstituts und der Hochschule in Speyer für die gewährte Unterstützung und die besonders angenehme Arbeitsatmosphäre.

6

Vorwort

Schließlich gebührt mein Dank Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Heinrich Sieden-

top! für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und den Herren Professoren Dr. Siegfried Magiera und Dr. Dr. Detlef Merten für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe. Oberwinter , im Dezember 1994

HeikeKuhn

Inhaltsübersicht Einleitung

29

1. Teil Die gemeinschaftliche Praxis im sozialen Bereich A.

B.

Die Bedeutung des sozialen Bereichs vor Inkrafttreten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ............

34

I. Der soziale Bereich von der Gründung der Gemeinschaft bis zu ihrer ersten Erweiterung ....................................

34

11. Der soziale Bereich vom Zeitpunkt der ersten Erweiterung der Gemeinschaft bis zum Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte ...................................................

44

III. Der soziale Bereich seit dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte ...........................................

49

Die Bedeutung des sozialen Bereichs nach Inkrafttreten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ............

55

I. Spezielle Kompetenzzuweisungen im sozialen Bereich ........

57

11. Institutionen im sozialen Bereich ..................................

62

III. Soziale Aspekte in Aufgaben- und Zielbestimmungen .........

63

IV. Änderungen allgemeiner Kompetenznormen ....................

63

V. Beachtung des Subsidiaritätsprinzips für den sozialen Bereich ....................................................................

64

VI. Die Beschlüsse des Europäischen Rates von Dezember 1993.

74

VII. Das Grünbuch über die europäische Sozialpolitik und das Weißbuch "Wachstum, Wenbewerbsfähigkeit, Beschäftigung" ..................................................................

75

VIII. Kritik des Europäischen Parlaments an der Gestaltung des sozialen Bereichs im Vertrag über die Europäische Union ....

78

8

Inbaltsübersicht

C.

Das Tätigwerden der Gemeinschaft im sozialen Bereich im einzelnen .....................................................................

79

I. Maßnahmen im Hinblick auf Wanderarbeitnehmer und ihre Familienangehörigen ...........................................

79

11. Maßnahmen im Hinblick auf Personen, die von der Niederlassungsfreiheit oder dem Recht auf freien Dienstleistungsverkehr Gebrauch machen ..................................

99

III. Maßnahmen im Hinblick auf Unionsbürger und sonstige in der Gemeinschaft lebende Personen ............................... 102 IV. Errichtung von Institutionen im sozialen Bereich ............... 165

2. Teil Bewertung einzelner gemeinschaftlicher Maßnahmen im sozialen Bereich aus rechtlicher Sicht A.

Einflüsse des Gemeinschaftsrechts auf individuelle Arbeitsverhältnisse .................................................................. 176 I. Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer im Rahmen des EG-Vertrages .......................................... 177 11. Der vom Gemeinschaftsrecht gesetzte Rahmen für Arbeitsbedingungen .......................................................... 205

B.

Der Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit als ·Sozialtourismus· ................................................................... 237 I. Gewährung von Familienleistungen nach den Art. 72 ff. VO (EWG) Nr. 1408/71 ............................................ 238 11. Gewährung von Leistungen bei Krankheit nach den Art. 18 ff. VO (EWG) Nr. 1408171 ..................... ... ............ 260 111. Ergebnis ............................................................... 272

C.

Der Soziale Dialog auf europäischer Ebene ............................ 275 I. Die Stärkung des Sozialen Dialogs seit Mitte der achtziger Jahre ................................................................... 276 11. Die Diskussion um Kollektivverträge auf europäischer Ebene .................................................................. 278

Inhaltsübersicht

9

III. Perspektiven des Sozialen Dialogs auf europäischer Ebene .................................................................. 291

3. Teil Bilanz und Perspektiven: Von der Errichtung eines Europäischen Sozialraums zur Europäischen Sozialunion A.

Die Begriffe "Sozialraum" und "Sozialunion" ......................... 295 I. Der Begriff "Sozialraum" ........................................... 295

11. Der Begriff "Sozialunion" .......................................... 303 111. Ergebnis ............................................................... 307 B.

Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich ............ 308 I. Das Verhältnis der Gemeinschaft zu den Mitgliedstaaten . . . . . 309

11. Spezielle Kompetenzzuweisungen im sozialen Bereich . . . . . . . . 345 III. Die Bedeutung allgemeiner Kompetenznormen für den sozialen Bereich ...................................................... 377 IV. Grenzen einer gemeinschaftlichen Kompetenzausübung im sozialen Bereich ...................................................... 384 V. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen ...................... 389 C.

Das Protokoll über die Sozialpolitik mit dem darin enthaltenen Abkommen der Elf als weiterer Schritt auf dem Wege zur Errichtung einer Europäischen Sozialunion ............................ 392 I. Protokoll über die Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392

11. Abkommen über die Sozialpolitik ................................. 394 III. Kritische Würdigung ................................................ 399 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und Ausblick .......... 404 Literaturverzeichnis ............................................................. 413 Sachregister ....................................................................... 442

Inhaltsverzeichnis Einleitung .........................................................................

29

1. Teil Die gemeinschaftliche Praxis im sozialen Bereich A.

Die Bedeutung des sozialen Bereichs vor Inkrafttreten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ................

34

I. Der soziale Bereich von der Gründung der Gemeinschaft bis zu ihrer ersten Erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

34

1. Die Uneinigkeit der Gründerstaaten über den Rang der gemeinschaftlichen Sozialpolitik .............................. 2. Die Haltung einzelner Gemeinschaftsorgane und der Mitgliedstaaten zu einem gemeinschaftlichen Tätigwerden im sozialen Bereich .................................... a) Erste Erfahrungen mit den Vorschriften des EWGVertrages ...................................................... aa) Kommission und Europäisches Parlament ........ bb) Rat und Regierungen der Mitgliedstaaten ......... b) Die Krise im sozialen Bereich und ihre Überwindung ........................................................... aa) Der Streit um die Befugnisse der Kommission im sozialen Bereich ................................... bb) Der Kompromiß im sozialen Bereich .............. ce) Das weitere Verhalten einzelner Gemeinschaftsorgane .......................................... c) Neue Impulse durch die Gipfelkonferenzen von 1969 und 1972 ...................................................... 11. Der soziale Bereich vom Zeitpunkt der ersten Erweiterung der Gemeinschaft bis zum Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte ...................................................

34 36 36 37 38 38 38 39 40 42

44

12

Inhaltsverzeichnis

1. Gemeinschaftliche Aktionsprogramme im sozialen Bereich ............................................................... 2. Die Sorge um die Beschäftigungslage ........................ 3. Dreierkonferenzen der Regierungen der Mitgliedstaaten, der Gemeinschaft und der Sozialpartner ............ .... 4. Forderungen des Europäischen Parlaments nach einem verstärkten Tätigwerden der Gemeinschaft im sozialen Bereich ............................................................ III. Der soziale Bereich seit dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte ............................................ 1. Neuerungen im sozialen Bereich durch die Einheitliche Europäische Akte ................................................ 2. Die Annahme der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer im Jahre 1989 .............. 3. Forderungen des Europäischen Parlaments nach einem verstärkten Tätigwerden der Gemeinschaft im sozialen Bereich ............................................................ 4. Der Soziale Dialog .............................................. B.

44 45 47 48 49 49 50 53 54

Die Bedeutung des sozialen Bereichs nach Inkrafttreten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ............

55

I. Spezielle Kompetenzzuweisungen im sozialen Bereich ........

57

1. Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Recht auf freie Niederlassung .................................................... 2. Gesundheitswesen ............................................... 3. Allgemeine und berufliche Bildung, Jugend ................ 4. Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt ................

57 57 59 61

11. Institutionen im sozialen Bereich .................................. 1. Europäischer Sozialfonds ....................................... 2. Wirtschafts- und Sozialausschuß .................... ..........

62 62 62

III. Soziale Aspekte in Aufgaben- und Zielbestimmungen .........

63

IV. Änderungen allgemeiner Kompetenznormen ....................

63

V. Beachtung des Subsidiaritätsprinzips für den sozialen Bereich .................................................................... 1. Ausschließliche Zuständigkeiten der Gemeinschaft 2. Konkurrierende Zuständigkeiten der Gemeinschaft ........

64 65 70

Inhaltsverzeichnis

C.

13

3. Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit 4. Kritische Würdigung ............................................

71 72

VI. Die Beschlüsse des Europäischen Rates von Dezember 1993.

74

VII. Das Grünbuch über die europäische Sozialpolitik und das Weißbuch "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung" .................................................................. VIII. Kritik des Europäischen Parlaments an der Gestaltung des sozialen Bereichs im Vertrag über die Europäische Union ....

75

Das Tätigwerden der Gemeinschaft im sozialen Bereich im einzelnen ..................................................................... I. Maßnahmen im Hinblick auf Wanderarbeitnehmer und ihre Familienangehörigen ........................................... 1. Entwicklung und inhaltliche Ausgestaltung des Freizügigkeitsrechts .................................................. a) Entwicklung des Freizügigkeitsrechts ..................... b) Inhaltliche Ausgestaltung des Freizügigkeitsrechts ..... aa) Zugang zum Arbeitsmarkt eines anderen Mitgliedstaates ............................................. bb) Recht auf Gleichbehandlung ............ ........ .... cc) Rechte der Familienangehörigen des Wanderarbeitnehmers .......................................... dd) Erlaß von für Wanderarbeitnehmer vorteilhaften Reise- und Aufenthaltsbestimmungen ......... ee) Verbleiberecht ... ...... .......... ............ ...... .... 2. Ergänzende Maßnahmen zur Erleichterung der Inanspruchnahme der Freizügigkeit ................................ a) Transparenz des gemeinschaftsweiten Arbeitsmarktes .. b) Gegenseitige Anerkennung der beruflichen Befähigungsnachweise................... .. ...... .... ........ ........ c) Aktion der Gemeinschaft in dem den Mitgliedstaaten vorbehaltenen Bereich der öffentlichen Verwaltung .... d) Ergänzende Systeme der sozialen Sicherheit ............. e) Schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmem ........................................................ f) Erleichterung der Mobilität junger Arbeitskräfte ........ g) Verbesserung der Wohnsituation der Wanderarbeitnehmer .........................................................

78 79 79 79 80 82 82 82 83 84 85 85 86 87 90 90 91 92 94

14

Inhaltsverzeichnis

h) Tätigkeit der Sozialdienste innerhalb der Gemeinschaft ........................................................... 3. Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer ................. a) Erste gemeinschaftliche Regelungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit ....................................... b) Inhaltliche Ausgestaltung der sozialen Sicherheit . ......

95 95 96 97

II. Maßnahmen im Hinblick auf Personen, die von der Niederlassungsfreiheit oder dem Recht auf freien Dienstleistungsverkehr Gebrauch machen .......................................... 99 1. Erlaß allgemeiner Programme zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs ......................................... 99 2. Beseitigung von Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen .. 100 3. Inhaltliche Ausgestaltung der sozialen Sicherheit der Niederlassungsberechtigten .................................... 101 4. Ergänzende Maßnahmen zur Erleichterung der Inanspruchnahme des Rechts auf freie Niederlassung oder auf freien Dienstleistungsverkehr ............................. 102 III. Maßnahmen im Hinblick auf Unionsbürger und sonstige in der Gemeinschaft lebende Personen ............................... 102

1. Maßnahmen auf dem Gebiet des freien Personenverkehrs ........................................................... 2. Maßnahmen auf dem Gebiet des sozialen Schutzes ......... a) Sozialer Schutz im engeren Sinne und soziale Sicherheit .............................................................. aa) Untersuchungen der Kommission in bezug auf den sozialen Schutz und die soziale Sicherheit ... bb) Sozialer Schutz der Entwicklungshelfer ........... ce) Herausbildung gemeinsamer Kriterien für ausreichende Zuwendungen und Leistungen im Rahmen der Systeme der sozialen Sicherung ..... dd) Annäherung der Ziele und der Politik im Bereich des sozialen Schutzes .......................... ee) Vorschlag der Kommission zur Ausweitung des sachlichen Geltungsbereichs der va (EWG) Nr. 1408/71 ...................... ........... ........... b) Finanzielle Hilfen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beihilfen zur Unterstützung entlassener oder von Entlassung bedrohter Arbeitnehmer .......... bb) "EGKS-Beihilfen " .......... ............ ..............

102 104 104 104 105 105 106 106 107 107 109

Inhaltsverzeichnis

ce)

Ausbildungshilfen für die Kinder entlassener Arbeitnehmer .......................................... dd) Beihilfen zur Aus- oder Weiterbildung für Waisen .................................................. ee) Unterstützung der Opfer von Naturkatastrophen ..................................................... 3. Maßnahmen auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes ..... a) Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ........................ aa) Maßnahmen in den EGKS-Sektoren ............... bb) Maßnahmen im EAG-Sektor ........................ ce) Allgemeine Maßnahmen für alle Sektoren ........ (1) Empfehlungen der Kommission ................. (2) Aktionsprogramme................................ (3) Erlaß von Richtlinien ............................. b) Öffentliches Gesundheitswesen............................. aa) Maßnahmen im EAG-Sektor ........................ bb) Allgemeine Maßnahmen für alle Sektoren ........ 4. Maßnahmen auf dem Gebiet der Arbeitsbedingungen ..... a) Ermittlung der geltenden Arbeitsbedingungen ........... b) Schutz der Arbeitnehmer vor Massenentlassungen ...... c) Schutz der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen .................... d) Schutz der Arbeitnehmer bei ZahlungsUlÜahigkeit des Arbeitgebers ................................................... e) Kenntnis von den Bedingungen des Arbeitsvertrages ... f) Harmonisierung von Sozialvorschriften im Straßenverkehr ......................................................... g) Betriebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer ......... aa) Statut für Europäische Aktiengesellschaften ...... bb) Struktur der Aktiengesellschaft ..................... ce) "Vredeling-Richtlinie" ............................... dd) Einsetzung Europäischer Betriebsräte . . . . . . . . . . . . . ee) Weitere Vorschläge der Kommission .............. h) Weitere Aktivitäten des Rates und der Kommission .... 5. Maßnahmen auf dem Gebiet der Berufsausbildung ......... a) Berufsberatung ................................................ b) Aufstellung allgemeiner Grundsätze für die Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung und Erlaß von Leitlinien zur Ausarbeitung eines gemeinschaftlichen Tätigkeitsprogramms ................. c) Aufstellung von Aktionsprogrammen .....................

15 109 109 110 110 111 111 112 113 113 115 116 120 120 121 123 124 125 126 126 127 127 128 128 129 130 131 133 133 135 136

136 137

16

Inhaltsveneichnis

d) Empfehlung des Rates über den Zugang zur beruflichen Weiterbildung und Entschließungen des Rates zur Berufsausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Berufliche Qualiftkation von in der Landwirtschaft tätigen Personen .............................................. 6. Maßnahmen zur Förderung des Wohnungsbaus ............ 7. Maßnahmen zur Gleichbehandlung von Männem und Frauen im Arbeitsprozeß ....................................... a) Erlaß der Richtlinie des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen .................................................... b) Maßnahmen zur Verwirklichung einer umfassenden Gleichbehandlung von Männem und Frauen im Arbeitsprozeß ............................... .................. aa) Richtlinien des Rates. .... ................. ............ bb) Empfehlung des Rates zur Kinderbetreuung ..... .. ce) Entschließung des Rates zum Schutz der Würde von Frauen und Männem am Arbeitsplatz ..................................................... dd) Weitere Vorschläge der Kommission .............. 8. Maßnahmen zur Förderung einzelner Personengruppen ... a) Frauen.......................................................... aa) Aktionsprogramme ................................... bb) Weitere Maßnahmen .................................. b) Jugendliche ............................ .... ............ ........ aa) Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ........... bb) Förderung des Jugendaustauschs ................... ce) Weitere Maßnahmen des Rates und der Kommission ......... .............................. .......... c) Behinderte .................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verarmte Personen ........................................... e) Ältere Menschen .............................................. f) Arbeitslose ..................................................... IV. Errichtung von Institutionen im sozialen Bereich ............... 1. Europäischer Sozialfonds ....................... ................ a) Erste Erfahrungen mit dem Europäischen Sozialfonds nach seiner Errichtung ............................... b) Reformen des Europäischen Sozialfonds ................. aa) Reformen in den Jahren 1971, 1977 und 1983 ... bb) Reformen in den Jahren 1988 und 1993 ........... c) Das fmanzielle Volumen des Europäischen Sozialfonds ............................................................

141 142 142 143 144 145 145 146 147 147 148 148 148 150 151 152 152 154 154 159 161 163 165 165 165 166 166 167 171

Inhaltsverzeichnis

d) Besondere Maßnahmen des Europäischen Sozialfonds zugunsten einzelner Mitgliedstaaten ............... 2. Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung .............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen ............................................. 4. Europäische Stiftung für Berufsbildung ......................

17 172 173 174 175

2. Teil Bewertung einzelner gemeinschaftlicher Maßnahmen im sozialen Bereich aus rechtlicher Sicht

A.

Einflüsse des Gemeinschaftsrechts auf individuelle Arbeitsverhältnisse...................................................................... 176 I. Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer im Rahmen des EG-Vertrages .......................................... 177

1. Gemeinschaftliche Rechtsetzung am Beispiel von Art. 118 a EGV ........................................................ a) Entstehungsgeschichte des Art. 118 a EGV und Auslegung der Vorschrift ........................................ b) Verletzung von Art. 118 a EGV durch den Erlaß der RL 92/85/EWG? ............................................. aa) Inhalt der RL 92/85/EWG ........................... bb) Bewertung der an der Richtlinie geübten Kritik .. ce) Ergebnis ...... ................. ........... ....... ....... c) Das Verhältnis des Art. 118 a EGV zu anderen gemeinschaftlichen Handlungsermächtigungen ............. aa) Angleichung der Rechtsvorschriften (Art. 100 und 100 a EGV) ....................................... bb) Verkehr (Art. 75 und 84 EGV) ..................... cc) Umwelt (Art. 130 s EGV) ........................... dd) Gesundheitsschutz auf dem Gebiet der Kernenergie (Art. 30-39 EAGV) ......................... d) Die Problematik des Erlasses von Mindestvorschriften ........................................................ 2. Empfehlungen der Kommission zur Annahme einer Europäischen Liste der Berufskrankheiten ................... a) Empfehlung vom 23.7.1962 ................................ b) Empfehlung vom 22.5.1990 ................................ c) Art. 118 a EGV als Handlungsermächtigung für einen verbindlichen Rechtsakt .............................. 2 Kuhn

178 181 187 187 188 192 192 193 197 197 198 198 200 201 202 204

18

Inhaltsverzeichnis

11. Der vom Gemeinschaftsrecht gesetzte Rahmen für Arbeitsbedingungen .......................................................... 205 1. Begründung des Arbeitsverhältnisses ......................... a) Inhalt der RL 911533/EWG ................................. b) Bewertung der an der Richtlinie geübten Kritik ......... aa) Kritik an der gewählten Rechtsgrundlage ......... bb) Inhaltliche Kritik ...................................... c) Ergebnis ....................................................... 2. Inhaltliche Gestaltung des Arbeitsverhältnisses ............. a) RL 77/187/EWG ............................................. aa) Inhalt der Richtlinie .................................. bb) Vom Mitgliedstaat vorgesehenes Widerspruchsrecht als Verletzung der Richtlinie? ................ cc) Ergebnis. . ........ ......................... .. . . ......... b) RL 80/987/EWG ............................................. aa) Inhalt der Richtlinie .................................. bb) Haftung der Mitgliedstaaten für die nicht fristgemäße Umsetzung der Richtlinie .................. (1) Das Francovich-Urteil: Sachverhalt und tragende Gründe ...................................... (2) Aufnahme des Francovich-Urteils und an ihm geübte Kritik ................................. (3) Weitere, durch das Francovich-Urteil aufgeworfene Fragen ................................... cc) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B.

205 206 207 207 209 211 212 213 213 214 220 221 221 223 223 227 233 236

Der Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit als "Sozialtourismus" ........... ..................................... .......... 237 I. Gewährung von Familienleistungen nach den Art. 72 ff. VO (EWG) Nr. 1408/71 ................................................. 238

1. Rechtliche Grundlagen .......................................... 2. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs auf dem Gebiet der Familienleistungen und die hieran geübte Kritik ....... a) W ohnsitzerfordemis im Beschäftigungsstaat ............. aa) Rechtsprechung des Gerichtshofs ................... bb) Die an dieser Rechtsprechung geübte Kritik ...... b) Sonderregelungen für Frankreich .......................... aa) Rechtsprechung des Gerichtshofs ................... bb) Die an dieser Rechtsprechung geübte Kritik ...... (1) Die "Exportverpflichtung" ......................

238 240 241 241 242 244 244 247 247

Inhaltsverzeichnis

(2) Die Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof ................................................... c) Vermeidung einer Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen ........................................... aa) Rechtsprechung des Gerichtshofs ................... bb) Die an dieser Rechtsprechung geübte Kritik ...... 3. Kritische Würdigung ............................................

11. Gewährung von Leistungen bei Krankheit nach den Art. 18 ff. VO (EWG) Nr. 1408171 .................................... 1. Rechtliche Grundlagen .......................................... 2. Die Entscheidungen Rindone und Paletta ................... a) Sachverhalte beider Entscheidungen ....................... aa) Rindone....... ........ .. . ........... .. ............ . ..... bb) Paletta .................................................. b) Tragende Gründe beider Entscheidungen ................. aa) Rindone ................................................. bb) Paletta. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die an den Entscheidungen geübte Kritik ................... 4. Kritische Würdigung ............................................

19 248 254 254 256 258 260 260 262 262 262 263 264 264 265 267 269

III. Ergebnis ............................................................... 272 C.

Der Soziale Dialog auf europäischer Ebene ............................ 275 I. Die Stärkung des Sozialen Dialogs seit Mitte der achtziger Jahre ................................................................... 276

11. Die Diskussion um Kollektivverträge auf europäischer Ebene .................................................................. 1. Die Bedeutung von Art. 118 b EGV für Kollektivverträge auf europäischer Ebene .................................. 2. Vertragsparteien eines Kollektivvertrages auf europäischer Ebene ....................................................... a) Repräsentation der Vertragsparteien durch UNICE, EGB und CEEP ............................................... b) Repräsentation der Vertragsparteien durch andere Organisationen ................................................ 3. Art des Vertragsabschlusses .................................... a) Bisherige Lösungsvorschläge ............................... b) Neuerungen durch das Abkommen über die Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Möglicher Inhalt von Kollektivverträgen auf europäischer Ebene .......................................................

278 278 280 280 282 283 284 285 287

20

Inhaltsverzeichnis

a) Bisher vertretene Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 b) Neuerungen durch das Abkommen über die Sozialpolitik .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 5. Wirkung von Kollektivverträgen auf europäischer Ebene und rechtliche Überprüfung der Verträge ........... 290 III. Perspektiven des Sozialen Dialogs auf europäischer Ebene ... 291

3. Teil Bilanz und Perspektiven: Von der Errichtung eines Europäischen Sozialraums zur Europäischen Sozialunion A.

Die Begriffe "Sozialraum" und "Sozialunion" ......................... 295 I. Der Begriff "Sozialraum" ........................................... 295

1. Sicht der Gemeinschaft ......................................... 297 2. Sicht eines Mitgliedstaats ....................................... 299 3. Sicht des Schrifttums ............................................ 301 11. Der Begriff "Sozialunion" .......................................... 303 1. Sicht der Gemeinschaft ......................................... 303 2. Sicht des Schrifttums ................................ ............ 305 111. Ergebnis ............................................................... 307 B.

Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich ............ 308 I. Das Verhältnis der Gemeinschaft zu den Mitgliedstaaten ..... 309 1. Kompetenzzuweisungen an die Gemeinschaft im allgemeinen ............................................................. a) Grundsätze ..................................................... aa) Keine Allzuständigkeit der Gemeinschaft ......... bb) Das sog. "Prinzip der begrenzten Ermächtigung" ................................................... b) Der Gemeinschaft ausdrücklich zugewiesene Kompetenzen .......................................................... aa) Einleitung .............................................. bb) Kompetenzen aus speziellen Vertragsvorschriften ....................................................... ce) Kompetenzen aus Aufgaben- und Zielbestimmungen LV.m. subsidiären Kompetenznormen .. c) Stillschweigend begründete Kompetenzen (flimplied powers") der Gemeinschaft .................................

309 309 309 310 314 314 314 315 317

Inhaltsverzeichnis

d) Die Bedeutung subsidiärer Kompetenznormen am Beispiel von Art. 235 EGV ................................. aa) Einleitung .............................................. bb) Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 235 EGV .. (1) Vertrag sieht erforderliche Befugnisse nicht vor .................................................. (2) Ziel der Gemeinschaft ............................ (3) Zielverwirldichung im Rahmen des Gemeinsamen Marktes .................................... (4) Tätigwerden der Gemeinschaft erscheint erforderlich ........................................... (5) Erlaß der geeigneten Vorschriften durch den Rat ............................................. ce) Ergebnis................................................ e) Wahrnehmung der Kompetenzen durch die ermächtigten Gemeinschaftsorgane .................................... aa) Keine allgemeine Rechtsetzungsbefugnis der Organe .................................................. bb) Übertragung von Kompetenzen eines Organs auf andere Organe oder Gemeinschaftsinstitutionen . f) Handlungsformen des gemeinschaftlichen Tätigwerdens ............................................................. aa) Rechtsakte der Art. 189 EGV und 161 EAGV ... (1) Verordnung ........................................ (2) Richtlinie ........................................... (3) Entscheidung ...................................... (4) Empfehlungen und Stellungnahmen ........... (5) Abgrenzung der Rechtsakte ..................... (6) Auswahl des Rechtsakts ......................... bb) Sonstige Rechtshandlungen .......................... 2. Wesentliche Eigenschaften des Gemeinschaftsrechts ....... a) Das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zu nationalem Recht ........................................................... aa) Vorrang des Gemeinschaftsrechts .................. bb) Unmittelbare Geltung des Gemeinschaftsrechts .. b) Der Grundsatz des "effet utile" ............................ c) Die Dynamik des Gemeinschaftsrechts ...................

21 318 318 319 319 320 323 324 325 325 326 326 327 328 328 328 329 331 332 333 333 334 335 335 336 338 340 341

11. Spezielle Kompetenzzuweisungen im sozialen Bereich ........ 345 1. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ........... a) Freizügigkeit (Art. 48 f. EGV) ............................ b) Soziale Sicherheit (Art. 51 EGV) ..........................

345 345 346 351

22

Inhaltsverzeichnis

3. Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs ................. a) Inhalt der Freiheiten ......................................... b) Die Entscheidung Cowan ................................... 4. Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsprozeß ............................................................. 5. Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer . . . . 6. Förderung des Dialogs zwischen den Sozialpartnern ...... 7. Berufsausbildung ................................................ a) Gemeinschaftliches Tätigwerden in bezug auf die Berufsausbildung in den Mitgliedstaaten ................. aa) Auslegung des Art. 128 EWGV durch den Gerichtshof ............................................. bb) Die an dieser Rechtsprechung geübte Kritik ...... ce) Ergebnis ................................................ b) Zugang zum Berufsausbildungssystem eines anderen Mitgliedstaats ................................................. aa) Rechte der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen ................................. bb) Rechte sonstiger Unionsbürger ..................... 8. Abstimmung der Sozialordnungen und Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen ..................................................... a) Abstimmung der Sozialordnungen (Art. 117 EGV) ..... b) Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen (Art. 118 EGV) ......... c) Ergebnis .................... ............................ .......

355 356 358 360 363 363 363 364 365 366 366 367 367 369 369 370 373 377

III. Die Bedeutung allgemeiner Kompetenznormen für den sozialen Bereich ......................................................... 377 1. Die Bedeutung der Kompetenzen zur Angleichung der Rechtsvorschriften (Art. 100 ff. EGV) ................... .... a) Art. 100 EGV ................................................. b) Art. 100 a EGV ............................................... 2. Die Bedeutung der subsidiären Kompetenznorm des Art. 235 EGV .................................................... a) Gründung von Institutionen ................................. b) Erlaß von Rechtsakten .......................................

378 378 379 381 381 382

IV. Grenzen einer gemeinschaftlichen Kompetenzausübung im sozialen Bereich ...................................................... 384 1. Beschränkung durch Vorschriften, die spezielle Kompetenzzuweisungen im sozialen Bereich enthalten ............. 384

Inhaltsveneichnis

2. Beschränkung durch sonstige Vertragsvorschriften 3. Beachtung der Grundrechte .................................... 4. Beschränkung durch allgemeine Prinzipien .................. a) Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ... b) Beachtung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten .... ...................................................... c) Beachtung des Subsidiaritätsprinzips ......................

23 386 386 387 387 388 389

V. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen ...................... 389

c.

Das Protokoll über die Sozialpolitik mit dem darin enthaltenen Abkommen der Elf als weiterer Schritt auf dem Wege zur Errichtung einer Europäischen Sozialunion ............................ 392 I. Protokoll über die Sozialpolitik .................................... 392

1. Inhalt............................................................... 392 2. Rechtsnatur ........................................................ 393 11. Abkommen über die Sozialpolitik ................................. 1. Inhalt............................................................... a) Ziele der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten ........ b) Tätigkeitsfelder im Rahmen des Abkommens ............ c) Sozialer Dialog ............................................... d) Übertragung der Durchführung von Richtlinien auf die Sozialpartner .............................................. e) Sicherstellung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen ................ f) Aufgaben und Pflichten der Kommission ................. 2. Rechtsnatur .......................................................

394 394 394 395 396 397 397 398 398

III. Kritische Würdigung ................................................ 399 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und Ausblick .......... 404 Literaturverzeichnis ............................................................. 413 Sachregister ....................................................................... 442

Abkürzungsverzeichnis a.A. / A.A.

anderer Ansicht

ABI.

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

Abs.

Absatz / Absätze

a.E.

am Ende

a.F.

alte Fassung

AFG

Arbeitsförderungsgesetz

AiB

Arbeitsrecht im Betrieb

Anm.

Anmerkung (in der vorliegenden Arbeit)

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

AP

Arbeitsrechtliche Praxis (Entscheidungssammlung)

ArbG

Arbeitsgericht

ArbuR

Arbeit und Recht

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

AWD

Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters

BAG

Bundesarbeitsgericht / Entscheidungen des BAG (amtliche Sammlung)

BArbBI.

Bundesarbeitsblatt

BayVBI.

Bayerische Verwaltungsblätter

BB

Betriebs-Berater

Bd.

Band

BGBI.

Bundesgesetzblatt

BKGG

Bundeskindergeldgesetz

BR-Drs.

Bundesrats-Drucksache / Bundesrats-Drucksachen

BReg.

Bundesregierung

BSG

Bundessozialgericht

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

Buchst.

Buchstabe / Buchstaben

Bull.

Bulletin

Abkürzungsveneichnis

25

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung)

bzw.

beziehungsweise

CDE

Cahiers de Droit Europeen

CMLR

Common Market Law Review

DB

Der Betrieb

ders.

derselbe

dies.

dieselbe / dieselben

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

DVO

Durchführungsverordnung

DWiR

Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EA

Europa-Archiv

EAG

Europäische Atomgemeinschaft

EAGV

Vertrag zur Gründung der EAG

ebd.

ebenda (vorhergehende Anmerkung)

ECLR

European Competition Law Review

ECU

European Currency Unit

ed., eds.

editor / editors

EEA

Einheitliche Europäische Akte

EFRE

Europäischer Fonds für regionale Entwicklung

EFTA

Europäische Freihandelsassoziation

EG

Europäische Gemeinschaft

EGKS

Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

EGKSV EGV

Vertrag über die Gründung der EGKS

ELR

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Titel 11 des Vertrages über die Europäische Union) European Law Review

EP

Europäisches Parlament

EPZ

Europäische Politische Zusammenarbeit

ERE

Europäische Rechnungseinheiten

ESF

Europäischer Sozial fonds

EU

Europäische Union

26

Abkürzungsverzeichnis

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EUI

European University Institute

EuR

Europarecht

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWG EWGV

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der EWG

FS

Festschrift

GA

Generalanwalt

GTE

Groeben I Thiesing I Ehlermann (s. Literaturverzeichnis)

h.M.

herrschende Meinung

Ittsg.

Herausgeber

IAO

Internationale Arbeitsorganisation

LV.m.

in Verbindung mit

JA JCMS

Juristische Arbeitsblätter

JöR JuS

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Schulung

JZ KOM

Juristenzeitung Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Dokumente

KSchG

Kündigungsschutzgesetz

KSE

Kölner Schriften zum Europarecht

LohnFG Mio.

Lohnfortzahlungsgesetz Million, Millionen

Mrd.

Milliarde, Milliarden

m.w.N. NDV

mit weiteren Nachweisen

Journal of Common Market Studies

Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht

NZS

Neue Zeitschrift für Sozialrecht

Abkürzungsverzeichnis

27

o.g.

oben genannt / oben genannter / oben genannte / oben genannten

RdA

Recht der Arbeit

RE

Rechnungseinheiten

RIW

Recht der Internationalen Wirtschaft

RL

Richtlinie

Rn. RMC Rs. Rspr. RTDE

Randnummer / Randnummern

S.

Revue du Marche commun et de I'Union europeenne Rechtssache Rechtsprechung Revue Trimestrielle de Droit Europeen Satz / Sätze / siehe

SG

Sozialgericht

SGb

Die Sozialgerichtsbarkeit

Slg.

Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften

sog.

sogenannte / sogenannter

st. Rspr.

ständige Rechtsprechung

u.a.

unter anderem / und andere

u.ä.

und ähnliches

u.U.

unter Umständen

verb. Rs.

verbundene Rechtssachen

vgl.

vergleiche

VO

Verordnung

Vorb.

Vorbemerkung / Vorbemerkungen

VSSR

Vierteljahresschrift für Sozialrecht

WEGS

Wohlfahrt / Everling / Glaesner / Sprung (s. Literaturverzeichnis)

WSA

Wirtschafts- und Sozialausschuß

ZAR

Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik

ZERP-DP

Zentrum für europäische Rechtspolitik, DiskussionsPapier

ZfA

Zeitschrift für Arbeitsrecht

ZfV

Zeitschrift für Verwaltung

28

Abkürzungsverzeichnis

ZG ZGR

Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

ZIAS

Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeitsund Sozialrecht

Ziff.

Ziffer I Ziffern

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZSfH/SGB

Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch

ZSR

Zeitschrift für Sozialreform

Einleitung Im europäischen Einigungsprozeß wird seit der Inangriffnahme des Projekts der Errichtung und Vollendung des Binnenmarktes auch der sozialen Dimension des Binnenmarktes - und damit der Gemeinschaftstätigkeit im sozialen Bereich - verstärkte Aufmerksamkeit zuteil. Das "soziale Europa" , der "europäische Sozialraum" und die "Europäische Sozialunion" sind in den letzten Jahren ebenso ins Gespräch gekommen wie ein angenommenes "soziales Deftzit" Europas. Nachdem die Staats- und Regierungschefs von elf Mitgliedstaaten im Jahre 1989 die "Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer" angenommen haben, worüber die Tagespresse ausführlich berichtet hat, ist das Bestreben der Gemeinschaft, neben der Vertiefung der Integration im wirtschaftlichen Bereich eine verstärkte Integration im sozialen Bereich zu erreichen, einer breiten Öffentlichkeit bewußt geworden. Hingegen ist nicht in diesem Maße von der Öffentlichkeit bemerkt worden, daß kurz vor Unterzeichnung des Vertrages über die Europäische Union das gesamte Vertragswerk zu scheitern drohte: Grund hierfür waren nicht etwa umstrittene Fragen der Wirtschafts- und Währungsunion oder der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, sondern die tiefgreifenden Kontroversen zwischen elf Mitgliedstaaten und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über das weitere Vorgehen der Gemeinschaft im sozialen Bereich. Schon daran zeigt sich die Brisanz der Errichtung eines "sozialen Europas" . Was jedoch ist unter dem sozialen Bereich zu verstehen? Worin liegt die "soziale Dimension" der Gemeinschaft, die der Rat als eines seiner "Hauptanliegen"1 bezeichnet und von der die Kommission annimmt, sie sei "seit den Anfängen der Gemeinschaft zu einem wesentlichen Bestandteil des Integrationsprozesses geworden"?2 In welcher Weise wird die Gemeinschaft, die 1 Vgl. dazu die Antwort des Rates vom ABI. C 32/55 (1994). 2 KOM (93) 551 vom 17.11.1993,14.

22.12.1993 auf die schriftliche Anfrage E-2613/93,

30

Einleitung

doch noch immer als eine primär mit wirtschaftlichen Fragen befaßte Gemeinschaft verstanden wird, 3 im sozialen Bereich tätig, und wie kann es dazu kommen, daß ein einzelner Mitgliedstaat sich einem gemeinschaftlichen Tätigwerden im diesem Politikbereich derart vehement widersetzt? Eine genaue Darstellung dessen, was den sozialen Bereich in einem Gemeinwesen - und damit auch in der Gemeinschaft - ausmacht, ist angesichts des schillernden und weiten Begriffs "sozial" kaum zu leisten. Um der Gefahr zu begegnen, mittels eines - notwendigerweise dem eigenen nationalen Recht verhafteten - bestimmten Verständnisses des Begriffs "sozial" eine Begriffsbildung vorzunehmen, die auf Gemeinschaftsebene unter Umständen untauglich wäre, da sie Sachverhalte ausgrenzen würde, die die Gemeinschaft erfassen will, wird im folgenden unter dem sozialen Bereich dasjenige Tätigwerden der Gemeinschaft verstanden, das die Gemeinschaft selbst als ein solches beschreibt. Dabei ist festzustellen, daß die Gemeinschaft den sozialen Bereich im Gegensatz zu rein wirtschaftlichen Maßnahmen sieht, d.h. der soziale Bereich umfaßt nach dem Gemeinschaftsverständnis alle diejenigen Maßnahmen, die den einzelnen nicht zuerst und vorwiegend als Wirtschaftsfaktor begreifen, sondern ihn in seiner "sozial rechtlichen " Stellung sehen. Insoweit besteht ein enger Bezug zu dem seit einigen Jahren diskutierten Begriff des "Europas der Bürger", 4 der aber über den sozialen Bereich noch hinausgeht, indem er auch politische Aspekte - zu nennen ist insbesondere das WahlrechtS - berücksichtigt. Die besonderen Schwierigkeiten, auf die ein gemeinschaftliches Vorgehen im sozialen Bereich trifft, liegen darin begründet, daß Maßnahmen im sozialen Bereich als "Innenpolitik" verstanden werden, so daß jede Einwirkung von außen besonders kritisch aufgenommen wird. Zudem treffen gemeinschaftliche Maßnahmen im sozialen Bereich auf ganz unterschiedliche - historisch gewachsene und teilweise hart erkämpfte - Sozialsysteme, die den von ihnen erfaßten Personen vertraut sind. Je nach nationalem Verständnis

Vgl. Bieback, Deutsche Rentenversicherung 1/94,22. Vgl. dazu Magiera, Emergence. S Vgl. dazu insbesondere die RL 93/109/EG des Rates vom 6.12.1993 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum EP für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, ABI. L 329/34. 3

4

Einleitung

31

und nationaler Denktradition richten sich daher sehr unterschiedliche Erwartungen an ein hoheitliches Tätigwerden im sozialen Bereich. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, das gemeinschaftliche Tätigwerden im sozialen Bereich zu erfassen und rechtlich zu würdigen. Schwerpunkte dieser Untersuchung liegen auf Gebieten, die in jüngster Zeit auf gemeinschaftlicher und mitgliedstaatlicher Ebene wie auch im Schrifttum besonders intensiv erörtert worden sind. Dies sind u.a. die Gebiete Arbeitsschutzrecht und Arbeitsrecht sowie der Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat. Einen weiteren Schwerpunkt der Untersuchung bilden grundsätzliche Fragen von Kompetenzzuweisungen an die Gemeinschaft im sozialen Bereich. Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil stellt die gemeinschaftliche Praxis im sozialen Bereich dar. Hierzu wird zunächst die Bedeutung des sozialen Bereichs für die Gemeinschaft vor Inkrafttreten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft untersucht. Dies geschieht in drei Zeitabschnitten: (1.) vom Zeitpunkt der Gründung der Gemeinschaft bis zur ersten Erweiterung der Gemeinschaft, (2.) vom Zeitpunkt der ersten Erweiterung bis zum Inkrafttreten der EEA und (3.) vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der EEA bis in die Gegenwart. Besonderer Wert wird darauf gelegt, die gegensätzlichen Standpunkte einzelner Gemeinschaftsorgane zu einem Tätigwerden der Gemeinschaft im sozialen Bereich deutlich voneinander abzugrenzen. Im Anschluß daran wird die Bedeutung des sozialen Bereichs für die Gemeinschaft nach Inkrafttreten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft behandelt. Schließlich wird das Tätigwerden der Gemeinschaft im sozialen Bereich im einzelnen beschrieben, um so eine umfassende Darstellung des gemeinschaftlichen Tätigwerdens im sozialen Bereich aufzuzeigen, die - soweit ersichtlich - bisher im Schrifttum nicht in dieser Form vorliegt. In Kapitel A. des ersten Teils erfolgt eine Beschränkung auf die von der Gemeinschaft vorgelegten Dokumente, das Schrifttum wird nur vereinzelt ergänzend herangezogen; in Kapitel B. des ersten Teils hingegen wird angesichts der Aktualität der Materie das Schrifttum ergänzend herangezogen. Ziel des zweiten Teils der Arbeit ist es, eine rechtliche Bewertung einzelner gemeinschaftlicher Maßnahmen im sozialen Bereich vorzunehmen. Dabei wurden solche Maßnahmen ausgewählt, die in besonderem Maße geeignet

32

Einleitung

sind, die auftretenden Fragestellungen des Zusammenwirkens von innerstaatlichem Recht und Gemeinschaftsrecht zu veranschaulichen. Im Hinblick auf alle in der Gemeinschaft erwerbstätigen Personen werden der Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer im Rahmen des EG-Vertrages und der vom Gemeinschaftsrecht gesetzte Rahmen für Arbeitsbedingungen behandelt. Speziell im Hinblick auf Wanderarbeitnehmer wird der Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat in bezug auf Familienleistungen und Leistungen bei Krankheit erörtert. Ausgelöst durch verschiedene Entscheidungen des Gerichtshofs sind diese genannten Leistungen Gegenstand kritischer Auseinandersetzung zwischen einzelnen Gemeinschaftsorganen und verschiedenen Mitgliedstaaten geworden wie auch vom Schrifttum eingehend erörtert worden. Schließlich wird der Soziale Dialog als erster Ansatz eines kollektiven Arbeitsrechts auf Gemeinschaftsebene näher beleuchtet. Schwerpunkt dieses letzten Kapitels des zweiten Teils ist die Behandlung der Frage, inwieweit rechtlich die Möglichkeit eröffnet worden ist, auf europäischer Ebene Kollektivverträge abzuschließen. Im dritten Teil der Arbeit, der sich mit Bilanz und Perspektiven der gemeinschaftlichen Integration im sozialen Bereich befaßt, werden zunächst die - häufig verwendeten - Begriffe "Sozialraum" und "Sozialunion" konkretisiert. Im Anschluß daran werden die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich untersucht. Unabdingbar erscheint es insoweit, zunächst das Verhältnis der Gemeinschaft zu den Mitgliedstaaten - insbesondere die der Gemeinschaft zugewiesenen Kompetenzen und das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht - zu klären. Vor diesem Hintergrund können dann die speziellen Kompetenzzuweisungen im sozialen Bereich behandelt werden. Anschließend wird die besondere Bedeutung allgemeiner Kompetenznormen (Art. 100 ff. EGV und Art. 235 EGV) für den sozialen Bereich verdeutlicht. Ferner werden die Grenzen einer gemeinschaftlichen Kompetenzausübung im sozialen Bereich aufgezeigt. Schließlich werden die Neuerungen, die sich durch das Protokoll über die Sozialpolitik mit dem darin enthaltenen Abkommen ergeben, aufgezeigt und kritisch gewürdigt. Während des Entstehens der vorliegenden Arbeit ist der Vertrag über die Europäische Union in Kraft getreten. Aus dieser veränderten Rechtslage, der Rechnung zu tragen war, ergibt sich an einigen Stellen der Arbeit ein "Neben-

Einleinmg

33

einander" alter und neuer Regelungen. Den hierbei aufgetretenen Schwierigkeiten, insbesondere bei der Bezeichnung der Vorschriften des früheren EWG-Vertrages und des nunmehr geltenden EG-Vertrages, wurde auf folgende Weise begegnet: In den Fällen, in denen auf die frühere Fassung der Vorschriften abgestellt wird, wurde die Bezeichnung "EWG-Vertrag" beibehalten. Bei gleichlautender Fassung der jeweiligen Vorschrift des EWG-Vertrages und des EG-Vertrages wird seit Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union allein auf den EG-Vertrag abgestellt. Soweit zum Verständnis der Arbeit Änderungen der Vertragsvorschriften bedeutsam sind, wird auf diese - zum Teil innerhalb der Anmerkungen - ausdrücklich hingewiesen.

3 Kuhn

1. Teil

Die gemeinschaftliche Praxis im sozialen Bereich A. Die Bedeutung des sozialen Bereichs vor Inkrafttreten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Die Bedeutung des sozialen Bereichs für die Gemeinschaft soll anband einer Untersuchung der Entwicklung in drei Zeitabschnitten erfolgen: von der Gründung der Gemeinschaft bis zu ihrer ersten Erweiterung (1.), der ersten Erweiterung der Gemeinschaft bis zum Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte (11.) und der Zeit nach Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte (III.). I. Der soziale Bereich von der Gründung der Gemeinschaft bis zu ihrer ersten Erweiterung

In diesem ersten Kapitel soll die Gründungsphase der Gemeinschaft bis zu ihrer ersten Erweiterung durch die beitretenden Staaten Dänemark, Großbritannien und Irland am 1.1.1973 dargestellt werden. Behandelt wird somit das Europa der sechs Gründerstaaten.

1. Die Uneinigkeit der Gründerstaaten über den Rang der gemeinschaftlichen Sozialpolitik Über die Frage, ob der zu errichtende Gemeinsame Markt eine Angleichung der in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden sozialpolitischen Vorschriften bedingt oder nicht, bestanden seit der Gründung der Gemeinschaft Meinungsunterschiede. 1

A. Bedeutung des sozialen Bereichs vor Inkrafttreten des EG-Vertrages

35

Bei dem Treffen der Außenminister der sechs EGKS-Staaten vom 1.3.6.1955 in Messina vertraten die Minister im Schlußkommunique die Ansicht, "daß die Schaffung eines geeinten Europas durch die Entwicklung gemeinsamer Institutionen, die schrittweise Verschmelzung der nationalen Wirtschaften, die Schaffung eines gemeinsamen Marktes und die schrittweise Harmonisierung ihrer Sozialpolitik2 weiterverfolgt werden" müsse. 3 Mit der Leitung der aus Regierungsvertretern zusammengesetzten Ausschüsse wurde der belgisehe Außenminister Spaak beauftragt. 4 Am 21.4.1956 unterzeichneten die Delegationsführer den von Spaak redigierten Bericht, der zwar die Errichtung eines unwiderruflichen Gemeinsamen Marktes vorsah, die Gebiete der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik jedoch den Mitgliedstaaten vorbehielt. Allerdings sollte auf diesen Gebieten eine durch übernationale Behörden zu sichernde Harmonisierung angestrebt werden. 5 Dieses ursprünglich vorgesehene Absehen von der Durchführung einer gemeinschaftlichen Sozialpolitik wurde im Verlauf der Vertragsverhandlungen insbesondere von französischer Seite kritisiert. Vor allem für die Bereiche Überstundenbezahlung, Gleichheit der Löhne für Männer und Frauen, Urlaubszeiten und Kinderzuschläge forderte Frankreich eine Angleichung der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Regelungen. 6 Seine Forderung begründete Frankreich mit der Wettbewerbsgleichheit im Gemeinsamen Markt.1 Hintergrund dieser Forderung waren I:rankreichs vergleichsweise hohe Soziallasten und die französische Sichtweise der wirtschaftlichen Bedeutung von Sozialleistungen, die als den Wettbewerb verfälschende künstliche Kosten verstanden wurden. 8 Von den übrigen Verhandlungspartnern - darunter insbesondere der Bundesrepublik Deutschland - wurde die Forderung nach einer "sozialen Harmo-

Vgl. WEGS/Sprung, Vor An. 117 Anm. 1. Hervorhebung eingefügt. 3 Die internationale Politik 1955, 323. 4 Ebd., 324. S Die internationale Politik 1956/57, 359. 6 Vgl. Heise, 28. 7 Vgl. WEGS/Sprung, Vor An. 117 Anm. 1. 8 Ders., ebd., Anm. 1 ff. I

2

36

1. Teil: Die gemeinschaftliche Praxis im sozialen Bereich

nisierung" schon deshalb zurückgewiesen, weil man Frankreichs Verständnis von "wettbewerbsverzerrenden Sozialkosten" nicht teilte,9 sondern Sozialleistungen als natürliche, standortbezogene Kosten verstand, deren Angleichung für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes nicht erforderlich und für den Wettbewerb sogar unerwünscht war, da sie einer Ausrichtung der Produktion nach dem kostengünstigsten Standort entgegenzuwirken vermochte. 10 Die daraufhin im EWG-Vertrag getroffenen Regelungen stellten einen Kompromiß zwischen den gegensätzlichen Standpunkten dar. Deutlich wird dies insbesondere am Wortlaut von - dem unverändert geltenden - Art". 117 Abs. 2 EGV, der einerseits von "dem eine Abstimmung der Sozialordnungen begünstigenden Wirken des Gemeinsamen Marktes" und andererseits von "der Angleichung ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften " spricht. Angesichts der struktur- und traditionsbedingten Unterschiede in den Systemen der sozialen Sicherheit der einzelnen Mitgliedstaaten sowie der Vielschichtigkeit sozialer Probleme vertraute man auf eine von der wirtschaftlichen Integration ausgehenden Antriebswirkung. 11 Gleichzeitig erhoffte man sich von den der Gemeinschaft eingeräumten flankierenden Befugnissen gewisse Fortschritte im sozialen Bereich.

2. Die Haltung einzelner Gemeinschaftsorgane und der Mitgliedstaaten zu einem gemeinschaftlichen Tätigwerden im sozialen Bereich a) Erste Erfahrungen mit den Vorschriften des EWG-Vertrages Die Anfangsjahre der Gemeinschaft waren geprägt durch die Abgrenzung von gemeinschaftlichen Kompetenzen zu den bei den Mitgliedstaaten verbliebenen Kompetenzen im sozialen Bereich.

9 Vgl. H~is~,

28.

Vor Art. 117 Anm. 6. Vgl. Kommission, Bericht über die Entwicklung der sozialen Lage in der Gemeinschaft im

10 WEGS/Sprung,

11

Jahr 1970, 8.

A. Bedeunmg des sozialen Bereichs vor Inkrafttreten des EG-Vertrages

aa)

37

Kommission und Europäisches Parlament

Sowohl die Kommission als auch das EP maßen dem sozialen Bereich einen hohen Rang bei. Die Kommission trat früh für eine eigenständige Sozialpolitik der Gemeinschaft ein. Bereits in ihrem ersten Gesamtbericht legte sie dar, daß der EWG-Vertrag der Gemeinschaft auch eine besondere Aufgabe auf sozialpolitischem Gebiet übertragen habe. Die künftige Tätigkeit der Gemeinschaft in diesem Bereich müsse berücksichtigen, daß die angestrebten sozialpolitischen Ergebnisse auf die gleiche Stufe wie die wirtschaftspolitischen gestellt worden seien. 12 Die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, unter denen sämtliche wirtschaftlichen und sozialen Faktoren zu verstehen seien, stelle ein ständiges soziales Ziel der Gemeinschaft dar .13 Angesichts der sozialen Zielsetzung der Gemeinschaft verkündete die Kommission ihre Absicht, die auslegungsbedürftigen sozialpolitischen Vorschriften des EWG-Vertrages nicht restriktiv zu handhaben. 14 Im Hinblick auf den Arbeitskräftemangel in einzelnen Ländern gegenüber Arbeitslosigkeit und struktureller Unterbeschäftigung in anderen Ländern sei der optimale Einsatz des Arbeitskräftepotentials in der Gemeinschaft das erste Ziel einer Koordinierung der Sozialpolitik der einzelnen Mitgliedstaaten. 15 Die frühen Arbeiten der Kommission im sozialen Bereich bezogen sich in erster Linie auf die Durchführung von Erhebungen über die Zahl der Erwerbspersonen, die Höhe der Lohnkosten und Arbeitnehmereinkommen sowie die Dauer der Arbeitszeit in verschiedenen Industriezweigen der Mitgliedstaaten. 16 Ein weiteres Tätigkeitsfeld der Kommission waren Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin.17

121. EWG-Gesamtbericht (1958), Ziff. 102.

7. EGKS-Gesamtbericht (1959), Ziff. 261 f. EWG-Gesamtbericht (1959), Ziff. 159. IS 3. EWG-Gesamtbericht (1960), Ziff. 283 f. 16 Vg!. dazu die EWG-Gesamtberichte 4 (1961), Ziff. 149; 5 (1962), Ziff. 151; 7 (1964), Ziff. 227; vg!. auch den 13. EGKS-Gesamtbericht (1964/1965), Ziff. 446, und den von der Kommission jährlich veröffentlichten "Bericht über die Entwicklung der sozialen Lage in der Gemeinschaft" mit statistischem Anhang. 17 Dazu unten, C.rn.3. 13

14 2.

38

1. Teil:

Die gemeinschaftliche Praxis im sozialen Bereich

Das EP erkannte das Bestreben der Kommission, ihren Verpflichtungen auf dem Gebiet der Sozialpolitik gewissenhaft nachzukommen, ausdrücklich an 18 und unterstützte die Kommission in ihren Arbeiten.1 9 Die Verringerung von Unterschieden in den Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit wurde begrüßt,20 jedoch eine plötzliche Änderung der Sozialgesetzgebung in den einzelnen Mitgliedstaaten zwecks Anpassung vom Sozialausschuß des EP als nicht wünschenswert bezeichnet. 21

bb)

Rat und Regierungen der Mitgliedstaaten

Kritik erfuhr die Tätigkeit der Kommission durch den Rat und die Regierungen der Mitgliedstaaten. Der Kommission wurde die extensive Auslegung der Sozialvorschriften ebenso vorgeworfen wie ihre - sich nicht in erster Linie auf eine koordinierende Förderung der Zusammenarbeit beschränkende, sondern vielmehr - gestaltende Tätigkeit im sozialen Bereich. 22 Auch das bewußte Betreiben einer "Rosinenpolitik" wurde der Kommission wegen ihrer zu Einzelbereichen der Sozialpolitik vorgelegten Empfehlungen und Empfehlungsentwürfe vorgehalten. 23 Bemängelt wurde zudem, daß die Verhältnisse in den Mitgliedstaaten, insbesondere die finanziellen Konsequenzen der angestrebten Verbesserungen, nicht hinreichend bedacht WÜfden. 24 b) Die Krise im sozialen Bereich und ihre Überwindung

aa)

Der Streit um die Befugnisse der Kommission im sozialen Bereich

Die gegensätzlichen Auffassungen von Kommission und EP einerseits sowie Rat und Mitgliedstaaten andererseits über den Umfang der Befugnisse der Kommission im sozialen Bereich führten zu erheblichen Spannungen zwiEntschließung vom 28.3.1963, ABI. S. 1290. Für den Bereich der Betriebssicherheit s. etwa die Entschließungen vom 15.1.1959, ABI. S. 163, und vom 1.7.1960, ABI. S. 1070. 20 Entschließung vom 22.1.1964, ABI. S. 412. 21 Bericht des Abgeordneten Nederhorst im Namen des Sozialausschusses des EP über die soziale Harmonisierung, EP-Sitzungsdokument 1961/62 Nr. 87, Ziff. 38. 22 Vg\. die Darstellung bei GTE/Cu"all/Pipkom, Vor 117 bis 128 Rn. 29. 23 VgI. die Darstellung von Weiter, 667. 24 Ebd. 18

19

A. Bedeutung des sozialen Bereichs vor Inkrafttreten des EG-Vertrages

39

schen den Beteiligten. Für einen Zeitraum von zwei Jahren (von 1964 bis 1966) tagte der Rat nicht mehr in der Zusammensetzung der Arbeits- und Sozialminister. Eine Folge davon war die Drohung des EP, den Rat wegen Untätigkeit zu verklagen, wenn er "im Sozialbereich in seiner bisherigen Tatenlosigkeit verharren sollte" .25 In diesem Zusammenhang darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Gemeinschaft Mitte der sechziger Jahre ohnehin eine allgemeine institutionelle Krise zu überwinden hatte, deren Ursache in der - umstrittenen - Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik lag, und die erst durch den sog. "Luxemburger Kompromiß"26 entschärft werden konnte.

bb)

Der Kompromiß im sozialen Bereich

Nachdem es für einen Zeitraum von zwei Jahren nicht zu Sitzungen des Rates der Arbeits- und Sozialminister gekommen war, fand am 19.12.1966 eine Ratstagung der Sozialminister unter dem Vorsitz des niederländischen Sozial- und Gesundheitsministers Veldkamp statt. 27 Ein von Veldkamp vorgelegtes Memorandum über die Sozialpolitik war Anlaß, die in Art. 118 EWGV vorgesehene Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission im einzelnen zu erörtern. Mit Einverständnis des Rates sollte die Kommission vorrangig den Fragen einer Vereinheitlichung der in den einzelnen sozialen Systemen verwendeten Begriffe und DefInitionen, einer Untersuchung der Kosten der sozialen Sicherheit und der Art ihrer Verteilung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie einer Prüfung der Frage nachgehen, ob die im Rahmen anderer internationaler Organisationen geschlossenen Übereinkommen über soziale Mindestnormen von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden können. 28 Weiterhin wurde vereinbart, daß die Methoden zur Durchführung dieser Arbeiten von den Delegationen der Regierungen der Mitgliedstaaten und der Kommission gemeinsam festgelegt werden sollten. 29

2SBull. EG 1-1967, Ziff. 48. 26 Vgl. dazu etwa GrabitzlSchweitzer, An. 21 Bull. EG 2-1967, Ziff. 32 f. 28 Ebd., Ziff. 33. 29 Ebd.

148 Rn. 10.

40

1. Teil: Die gemeinschaftliche Praxis im sozialen Bereich

Ziel dieses Rückgriffs auf eine einvernehmliche Methodenwahl war es zwar nicht, die der Kommission nach dem Vertrag zustehenden Rechte anzutasten, praktisch wurde die Tätigkeit der Kommission aber "unter Aufsicht" des Rates gestellt. Es überrascht daher nicht, daß die Gewerkschaften Sorge hatten, der Rat schmälere die Vorrechte der Kommission und führe ein im Vertrag nicht vorgesehenes Vetorecht ein, indem er alle Schritte der Kommission im sozialen Bereich von der vorherigen Zustimmung sämtlicher Mitgliedstaaten abhängig mache. 30 Trotz der an dem Kompromiß geäußerten Kritik führte dieser in der Folgezeit zu einer regeren Tätigkeit des Rates im sozialen Bereich. Bereits im Juni 1967 beschloß der Rat im Hinblick auf die Verwirklichung von Art. 118 EWGV ein umfangreiches Arbeitsprogramm, das insbesondere die Bereiche Arbeit, Beschäftigung, Förderung des sozialen Aufstiegs der Arbeitnehmer, soziale Sicherheit und Sozialstatistik betraf. 31

ce)

Das weitere Verhalten einzelner Gemeinschajtsorgane

Die nach der Beilegung der Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Befugnisse der Kommission einsetzende Entwicklung zeigte, daß das Zusammenwirken von Rat und Kommission im sozialen Bereich als durchaus effektiv bezeichnet werden konnte. Das EP behielt demgegenüber seine eher kritische Position hinsichtlich des erreichten Integrationsstands im sozialen Bereich bei. Kennzeichnend für das Verhalten der Kommission ist zunächst ein "besseres Gespür" für realisierbare Maßnahmen. Ihre von Anfang an eingenommene Haltung, daß wirtschaftliche und soziale Belange untrennbar miteinander verknüpft seien, vertrat sie zwar weiterhin, ihre diesbezüglichen Äußerungen waren aber wesentlich milder formuliert. 32 Die Kommission richtete ihre

30 Entschließung des Europäischen Gewerkschaftssekretariats zur Sozialpolitik der EWG vom 19.5.1967, Bull. EG 7-1967, 88. Richtig ist es, von den "Rechten der Kommission" zu sprechen. 31 Bull. EG 8-1967, Ziff. 48. 32 Vgl. dazu die Ausführungen zu den allgemeinen Aspekten der Sozialpolitik im 4. EG-Gesamtbericht (1970), Ziff. 122, gegenüber denjenigen im 2. EWG-Gesamtbericht (1959), Ziff. 159.

A. Bedeutung des sozialen Bereichs vor Inkrafttreten des EG-Vertrages

41

Aufmerksamkeit hauptsächlich auf Beschäftigungsfragen, 33 den wirkungsvolleren Einsatz der Mittel des Europäischen Sozialfonds34 sowie eine stärkere Berücksichtigung sozialer Anliegen im Rahmen der gemeinsamen Politiken. 35 Als eine wichtige Grundlage für eine breite Diskussion wollte sie die im Jahre 1971 veröffentlichte "Vorläufige Ausrichtung für ein Programm einer gemeinschaftlichen Sozialpolitik"36 verstanden wissen. 37 Darin bezeichnete die Kommission als vorrangige Maßnahmen der Gemeinschaft u.a. die beschleunigte Vollendung des gemeinsamen Arbeitsmarktes, die Beseitigung der Unterbeschäftigung und der strukturellen Arbeitslosigkeit, die Verbesserung der Sicherheits- und Hygienebedingungen am Arbeitsplatz, die Verbesserung der Lebensbedingungen, die Verbesserung der Stellung der Frau sowie die Aufstellung eines Sozialbudgets. Verschiedenen Anregungen der Kommission kam der Rat innerhalb kürzester Zeit nach. Durch den Ratsbeschluß vom 26.11.1970 wurden Regierungssachverständige der Mitgliedstaaten mit der Ausarbeitung eines Europäischen Sozialbudgets beauftragt,38 das hinsichtlich Auswirkung und Finanzierung des sozialen Bereichs in den einzelnen Mitgliedstaaten für mehr Transparenz sorgen sollte. Mit einem weiteren Ratsbeschluß vom 14.12.1970 wurde ein Ständiger Ausschuß für Beschäftigungsfragen39 eingesetzt. Dem Gremium40 wurde aufgegeben, neben einem ständigen Dialog die Konzertierung und die Konsultation zwischen Rat bzw. Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten, der Kommission und den Sozialpartnern zu ermöglichen, um so die Koordinierung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten zu erleichtern und sie mit den Zielsetzungen der Gemeinschaft abzustimmen. 41 Der Rat selbst betonte die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten für den gesamten Bereich der Sozialpolitik in EG-Gesamtberichte 2 (1968), Ziff. 367; 4 (1970), Ziff. 122. Dazu unten, C.IV.l.b. 3. EG-Gesamtbericht (1969), Ziff. 316. 36 Bull. EG, Beilage 2/1971. 37 Ebd., 5 (Vorwort). 38 Bull. EG 5-1971, Ziff. 32. Die Kommission war zuvor vom EP aufgefordert worden, den Regierungen der Mitgliedstaaten die Veröffentlichung eines jährlichen Sozialbudgets nach dem Vorbild der deutschen Bundesregierung vorzuschlagen, s. dazu die Entschließung vom 16.6.1970, ABI. C 80/14 (15). 39 ABI. L 273/25. 40 Zur Zusammensetzung s. Art. 2 Abs. 2 und 3, ebd. 41 Ebd., Art. 2 Abs. 1. 33

34 35

42

1. Teil: Die gemeinschaftliche Praxis im sozialen Bereich

seinem Arbeitsprogramm zur Durchführung von Art. 118 EWGV vom 27.7.1971. 42 Ferner kam der Rat den Forderungen nach einer Reform des ESF nach. 43 Das EP erachtete den im sozialen Bereich erreichten Integrationsstand auch weiterhin als unbefriedigend. Für den von ihm am Ende der Übergangszeit festgestellten besorgniserregenden Unterschied zwischen dem Prozeß der Integration sowie dem wirtschaftlichen Fortschritt einerseits und der sozialen Entwicklung in der Gemeinschaft andererseits44 wurde vor allem der Rat verantwortlich gemacht. Bemängelt wurde, daß der Rat die für den sozialen Fortschritt unerläßlichen Entscheidungen nach wie vor hinauszögere oder überhaupt nicht treffe. 45 c) Neue Impulse durch die Gipfelkonferenzen von 1969 und 1972 Bereits auf der Gipfelkonferenz in Den Haag am 1.12.12.1969 zeigte sich eine Aufwertung des sozialen Bereichs. Die Staats- und Regierungschefs erklärten in ihrem Schlußkommunique, daß sie "eine Reform des Sozialfonds im Rahmen einer weitgehenden Abstimmung der SozialpolitiT " . Zum Verständnis dessen, wie der Begriff auszulegen ist, tragen diese Bezeichnungen aber ebensowenig wie die deutsche bei, da auch in größeren Lexika und Wörterbüchern keiner der genannten Begriffe aufzufmden ist. 40 Die wörtliche Auslegung des Begriffs "Arbeitsumwelt" erweist sich demnach als schwierig, da das im skandinavischen Rechtskreis beheimatete Wort in den anderen Mitgliedstaaten nicht bekannt ist und seine Verwendung in diesen Gemeinschaftssprachen infolgedessen eine Sprachschöpfung darstellt.

36 EuGH, Rs. 49171 (Hagen OHG), Sig. 1972, 23 (35); Rs. 50171 (Wünsche OHG), Sig. 1972,53 (65); Rs. 64/81 (Corman), Sig. 1982, 13; vgl. dazu auch Groux, FS Pierre Pescatore, 275 ff. 37 So schon EuGH, Rs. 75/63 (Unger), Sig. 1964, 381 (396). 38 Vgl. jeweils Art. 3 der Beitrittsverträge 1972 (ABI. L 7317), 1979 (ABI. L 291/12) und 1985 (ABI. L 302/13). 39 Vgl. etwa den Neunten Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, BT-Drs. 12/4096 vom 13.1.1993, 102. 40 Vgl. etwa Langenscheidts Großwörterbuch der englischen und deutschen Sprache "Der kleine Muret-Sanders"; Langenscheidts Großwörterbuch Französisch; Kramers' Duits Woerdenboek; Langenscheidts Großwörterbuch Italienisch.

A. Individuelle Arbeitsverbältnisse

183

Der sprachliche Kontext des Begriffs" Arbeitsumwelt" zeigt, daß das Bemühen der Mitgliedstaaten, die Verbesserung der Arbeitsumwelt zu fördern, zu dem Zweck erfolgt, die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen, d.h. die Vorschrift weist eine bestimmte Zweckbezogenheit auf. Auch die anderen genannten Bezeichnungen lassen dies erkennen. Aus dieser Zweckbezogenheit können allerdings Rückschlüsse auf den Inhalt des Begriffs "Arbeitsumwelt" nur insoweit gezogen werden, als er jedenfalls den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer umfassen muß. Die Verwendung des Wortes "insbesondere", das allgemein dann verwendet wird, wenn neben der folgenden Aufzählung weiterer Raum für andere Bereiche gelassen werden soll, deutet darauf hin, daß es neben der Arbeitsumwelt noch andere Bereiche gibt, die zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer gefördert werden können. 41 Dieses Argument könnte gegen eine weite Auslegung des Begriffs "Arbeitsumwelt" sprechen, da bei einer Auslegung, die sämtliche Aspekte der Arbeit umfassen würde, keine sonstigen Bereiche mehr verblieben. Aus dem Wortlaut des zweiten Teils von Art. 118 a Abs. 1 EGV (tI ... setzen sich die Harmonisierung der in diesem Bereich bestehenden Bedingungen bei gleichzeitigem Fortschritt zum Ziel") ist geschlossen worden, daß sich der Begriff" Arbeitsumwelt" nicht auf die bloße Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz im engeren Sinne beschränken könne. Dies folge aus der Verwendung des Wortes "Bereich", das darauf hindeute, daß der in Frage stehende Bereich jener der Arbeitsumwelt und nicht der der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer sei, da andernfalls das Wort "Bereich" im Plural hätte verwendet werden müssen. 42 Selbst wenn man diese Argumentation zugrunde legt, bedeutet das noch nicht, daß der Begriff" Arbeitsumwelt" zwingend weit auszulegen sei. Ebensowenig kann aus dem Gebrauch des Wortes "Fortschritt" geschlossen werden, auf welche Weise der Begriff" Arbeitsumwelt" auszulegen ist. Mit der Methode der wörtlichen Auslegung ist damit der Begriff "Arbeitsumwelt " inhaltlich nicht zu klären. Zudem spricht der sprachliche Kontext des Begriffs nicht eindeutig für eine weite oder eine enge Auslegung. Einfluß, 67. Vgl. dazu S. 12 des Berichts ·über den Begriff Arbeitsumwelt und den Anwendungsbereich von Art. 118 ades EWG-Vertrags· (Anm. 31). 41 Wank,

42

184

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

Kann anband der wörtlichen Auslegung kein eindeutiges Ergebnis gefunden werden, ist der Sinn einer Vorschrift aus der Systematik des Vertrages zu ermitteln (systematische Auslegung). Ein Blick auf die Vorschrift des Art. 118 a Abs. 3 EGV, nach der die aufgrund dieses Artikels erlassenen Bestimmungen die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran hindern, "Maßnahmen zum verstärkten Schutz der Arbeitsbedingungen beizubehalten oder zu treffen, die mit diesem Vertrag vereinbar sind" , bringt keine größere Klarheit. Durch die Verwendung des auch im zweiten Spiegelstrich von Art. 118 EGV enthaltenen Begriffs "Arbeitsbedingungen" könnte die Vorschrift zwar auf eine eher weite Auslegung des Art. 118 a Abs. 1 EGV deuten, andererseits bliebe dann aber offen, warum es zur Verwendung der unterschiedlichen Begriffe im ersten und dritten Absatz der Vorschrift gekommen ist. Schließlich ist zu bedenken, daß der unterschiedliche Wortgebrauch in Art. 118 a Abs. 1 und 3 EGV darauf beruhen könnte, daß sich Abs. 3 auf die Befugnisse der Mitgliedstaaten bezieht und deshalb eine allgemeinere und umfassendere Formulierung gewählt wurde. Zur Stellung des Art. 118 a EGV im Gesamtgefüge des Vertrages ist festzustellen, daß der in das Kapitel Sozialvorschriften eingefügte Art. 118 a EGV auf die seit der Gründung der EWG im Vertrag enthaltene Regelung des Art. 118 EGV folgt. Durch Art. 118 EGV wird der Kommission die Aufgabe übertragen, eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen zu fördern, wobei u.a. die Gebiete des Arbeitsrechts und der Arbeitsbedingungen, der Verhütung von BerufsunfaIlen und Berufskrankheiten sowie des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit hervorgehoben sind. Zu berücksichtigen ist, daß hier durch den in Art. 118 a Abs. 1 EGV verwendeten Begriff" Arbeitsumwelt" ein neuer, nicht an die in Art. 118 EGV verwendete Terminologie anknüpfender und damit bisher gemeinschaftsrechtlich nicht geklärter Begriff in den Vertrag aufgenommen wurde. Aus dieser Stellung des Art. 118 a EGV im Gefüge der Sozialvorschriften läßt sich schließen, daß jedenfalls nicht alle der von Art. 118 EGV genannten Materien von Art. 118 a EGV umfaßt sein können, da es andernfalls ausgereicht hätte, die Befugnis zum Erlaß von Richtlinien innerhalb der schon vorhandenen Vorschrift des Art. 118 EGV zu regeln. Der Einfügung einer weiteren - selbständigen Vorschrift hätte es in diesem Fall gerade nicht bedurft.

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

185

Verläßt man die Vorschriften über die Sozialpolitik und betrachtet Art. 100 a EGV, nach dem der Gemeinschaft die Befugnis zur Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten übertragen wird, erkennt man, daß Abs. 2 der Vorschrift hinsichtlich der Bereichsausnahmen von "Bestimmungen über die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer" spricht, während Abs. 4 im Zusammenhang mit den Rechtfertigungsgründen für mitgliedstaatliche Sonderregelungen wiederum den Begriff "Arbeitsumwelt " nennt. Dies spricht dafür, den Begriff" Arbeitsumwelt" in Art. 100 a Abs. 4 EGV enger zu fassen als die in Abs. 2 genannten "Bestimmungen über die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer" .43 Daß der Begriff in Art. 100 a Abs. 4 EGV anders als in Art. 118 a Abs. 1 EGV auszulegen ist, kann nicht angenommen werden. 44 Aus diesen Erwägungen folgt, daß die systematische Auslegung eher für eine enge Auslegung des Begriffs" Arbeitsumwelt" spricht. Sinn und Zweck einer Gemeinschaftsregelung festzustellen ist Untersuchungsgegenstand der teleologischen Methode. Diese Methode erscheint dem dynamischen Charakter der Verträge als Rahmen eines vorwärtszutreibenden Integrationsprozesses besonders angemessen, so daß sogar vertreten wird, der teleologischen Auslegung sei gegenüber der wörtlichen und der systematischen Auslegung der Vorrang zu geben. 45 Um Sinn und Zweck von Art. 118 a EGV zu ermitteln, ist somit danach zu fragen, warum die Vorschrift in den Vertrag eingefügt wurde und was sie bewirken soll. Diese Frage kann nicht beantwortet werden, ohne den Inhalt von Art. 118 a EGV zu würdigen. Die Vorschrift, die der Zielbestimmung des Art. 117 EGV nachgebildet ist, spricht in ihrem Abs. 1 in gleicher Weise wie Art. 117 EGV die Mitgliedstaaten an, so daß beiden Vorschriften ein "programmatischer Charakter" zugesprochen werden kann. 46 Art. 118 a EGV geht allerdings insoweit über Art. 117 EGV hinaus, als er der Gemeinschaft verbindliche Ziele setzt und ihr zur Erfüllung derselben zudem in Abs. 2 beVgl. Wank, Einfluß, 68. Müller-Graff, 146 f.; GTE/Pipkom, Art. 100 a Rn. 102; ebenso wohl EhleT71llUl1l, 392; a.A. indessen PescaJore, 160. 45 Vgl. BleckmannlBleckmann, Rn. 259. 46 Vgl. EuGH, Rs. 149/77 (Defrenne 111), Sig. 1978, 1365 (1378); GrabitzlJansen, Art. 118 a Rn. 2; Buchner, VSSR 1992, 15; Wank, Einfluß, 66. 43

44

186

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

stimmte Befugnisse einräumt. 47 Damit stellt Art. 118 a EGV für die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten eine Zielbestimmung dar, die die Gemeinschaft zur Errichtung eines Mindestsockels von Rechten der Arbeitnehmer auf Sicherheit und Gesundheit ermächtigt und verpflichtet. 48 Die Einfügung einer Zielbestimmung in einen Vertrag wird dann in Erwägung gezogen, wenn die bisherigen Bemühungen auf einem bestimmten Gebiet nicht für ausreichend erachtet und die mit der Erreichung des Ziels Betrauten für kompetent gehalten werden, effektiv zur Zielverwirklichung beizutragen. Dieser Auffassung entspricht es, daß die Kommission Art. 118 a EGV als eine "harmonische Weiterführung" der Art. 117 und 118 EGV bezeichnet hat. 49 Wie bereits erörtert wurde, ist die wesentliche Bedeutung des Schutzes von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz allgemein anerkannt. Angesichts der Vorstellung von einer gemeinschaftsweiten Mobilität der Arbeitskräfte im europäischen Binnenmarkt erscheint die Errichtung von in der gesamten Gemeinschaft geltenden Mindeststandards, auf deren Einhaltung der einzelne Arbeitnehmer vertrauen kann, als ein in erster Linie von der Gemeinschaft erreichbares Ziel. Die oben gestellte Frage nach dem Grund der Einfügung von Art. 118 a EGV in den Vertrag ist somit dahin gehend zu beantworten, daß auf diese Weise eine - als erstrebenswert angesehene - gemeinschaftsweite Verbesserung des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz erreichbar erschien. Bereits diese Erwägungen sprechen für eine enge, auf den Gesundheitsschutz beschränkte Auslegung des Art. 118 a EGV. Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß zwischen dem eingeführten neuen Begriff" Arbeitsumwelt" und dem Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer eine Verknüpfung hergestellt worden ist. Die Verbesserung der Arbeitsumwelt soll zu dem Zweck erfolgen, "um die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen". Diese zweckbezogene Eingrenzung des Begriffs "Arbeitsumwelt" bedeutet damit, daß hierunter ein Gebiet zu verstehen ist, das sich konkret auf den Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer auswirken kann. 47 48

GTE/Pipkom, An. 118 a Rn. 7. Vgl. ders., ebd., Rn. 8.

49 Kommission, Mitteilung über ihr Aktionsprogramm für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, KOM (87) 520 vom 23.10.1987,6.

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

187

Als Ergebnis läßt sich somit feststellen, daß der Gemeinschaft durch Art. 118 a EGV keine umfassende Kompetenz zur Regelung sämtlicher arbeitsrechtlicher Fragen in der Gemeinschaft übertragen worden ist. Die Vorschrift ermächtigt zum Erlaß solcher Richtlinien, die den Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer bezwecken. Demzufolge können auch entferntere Maßnahmen unter die Vorschrift gefaßt werden, wenn nur die notwendige enge Verknüpfung zum Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer besteht. b) Verletzung von Art. 118 a EGV durch den Erlaß der RL 92/85/EWG? Anband einer neueren Richtlinie, der RL 92/85/EWG des Rates vom 19.10.1992 "über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz" ,50 die auf Art. 118 a EWGV gestützt wurde, soll überprüft werden, ob dieser Rechtsakt nach der hier vertretenen, engeren Auslegung der Vorschrift des Art. 118 a EGV hiervon gedeckt ist. Diese Richtlinie wurde deshalb ausgewählt, weil ihr Inhalt sowohl auf gemeinschaftlicher als auch auf mitgliedstaatlicher Ebene in besonderem Maße kontrovers diskutiert worden war. 51 00)

Inhalt der RL 92/85/EWG

Der Inhalt der RL 92/85/EWG, die die zehnte Einzelrichtlinie LS.d. Art. 16 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie 89/3911EWG vom 12.6.1989 "über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit"52 darstellt, soll im folgenden kurz dargestellt werden. Ziel der Richtlinie ist die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinso ABI. L 348/1.

Vgl. Lörcher, 54; Rondorf / Wittrock, 10; ferner den Beitrag des Abgeordneten Le Chevallier in der Aussprache des EP vom 8.7.1992, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 3· 51

420/171 f. zum ABI. Zur Haltung der Bundesrepublik Deutschland s. etwa den Beschluß des Bundesrates vom 1.3.1991, BR-Drs. 803/90. 52 ABI. L 183/1.

188

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

nen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen (Art. 1 Abs. 1). Die genannten Frauen werden als eine Gruppe mit besonderen Risiken betrachtet. 53 Damit entspricht die Richtlinie mehreren Vorgaben. Zunächst ist Abschnitt 19 der Gemeinschaftscharta zu nennen, wonach jeder Arbeitnehmer in seiner Arbeitsumwelt zufriedenstellende Bedingungen für Gesundheitsschutz und Sicherheit vorfmden muß. Weiterhin hatte sich die Kommission im Rahmen ihres Aktionsprogramms zur Anwendung der Gemeinschaftscharta im Rahmen der neuen Initiativen zur Gleichbehandlung von Männem und Frauen u.a. den Erlaß einer Richtlinie betreffend den Schutz Schwangerer am Arbeitsplatz zum Ziel gesetzt. 54 Schließlich sind gemäß Art. 15 der Rahmenrichtlinie 89/3911EWG besonders gefährdete Risikogruppen gegen speziell sie bedrohende Gefahren zu schützen. Inhaltlich gewährt die Richtlinie insbesondere Schutz vor bestimmten gesundheitsgefährdenden berufsbedingten Expositionen (Art. 6) und der Verrichtung von Nachtarbeit (Art. 7). Weiterhin garantiert sie einen Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Monaten ohne Unterbrechung (Art. 8), die Freistellung von der Arbeit für Vorsorgeuntersuchungen (Art. 9), ein Kündigungsverbot (Art. 10) und im Falle des Mutterschaftsurlaubs die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder eines Anspruchs auf eine angemessene Sozialleistung (Art. 11 Ziff. 2 b). Ferner verpflichtet sie die Mitgliedstaaten, den betroffenen Arbeitnehmerinnen mittels innerstaatlicher Vorschriften Rechtsschutz zu bieten (Art. 12). Spätestens zwei Jahre nach ihrem Erlaß soll die Richtlinie umgesetzt sein (Art. 14 Abs. 1); dabei rechtfertigt ihre Umsetzung nicht den Abbau des innerstaatlichen Schutzes der im Rechtsakt genannten Frauen, der zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie bestand (Art. 1 Abs. 3).

bb)

Bewertung der an der Richtlinie geübten Kritik

Die Kontroversen um die Richtlinie wurden in erster Linie durch die Uneinigkeit über die Dauer des Mutterschaftsurlaubs sowie über die Höhe der entsprechenden Lohnersatzleistungen veranlaßt. 55 Achter Erwägungsgrund der Richtlinie, ABI. L 348/1 (1992). KOM (89) 568 vom 29.11.1989, 36 ff. 55 Lörcher, 54.

53

54

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

189

Untersucht man die hierfür von der Kommission vorgetragene Begründung, ergibt sich folgendes: Als Grund für die in Art. 5 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags vorgesehene Beurlaubung bei vollem Lohnausgleich bzw. Zahlung einer Beihilfe wird darauf verwiesen, daß ohne eine solche Regelung eine Vielzahl schwangerer Arbeitnehmerinnen gezwungen wäre, ganz oder teilweise auf diesen Urlaub zu verzichten, um nicht das Einkommen zu verlieren. Dies würde offensichtlich dem angestrebten Ziel der Verbesserung des Gesundheitsschutzes im Arbeitsumfeld entgegenwirken. 56 Auch die in Art. 6 des Richtlinienvorschlags vorgesehene Aufrechterhaltung der mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen Rechte während der gesamten Dauer des Mutterschaftsurlaubs stützte die Kommission darauf, daß diese Maßnahmen als eine unabdingbare Folge erscheinen müßten, damit die Arbeitnehmerinnen insbesondere aus Karrieregründen nicht auf den Schutz ihrer Gesundheit oder Sicherheit verzichten. 57 Demnach folgt aus dieser zuletzt genannten Begründung, daß mit dem Richtlinienvorschlag neben dem Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmerinnen noch ein anderes Ziel, nämlich das der Wahrung des Grundsatzes der Chancengleichheit, verfolgt werden sollte. Dies räumte die Kommission an anderer Stelle der Begründung auch selbst ein. 58 Zu untersuchen ist zunächst, ob die Gewährung fmanzieller Hilfen noch als von Art. 118 a Abs. 1 EGV umfaßte Maßnahme zur Verbesserung der Arbeitsumwelt angesehen werden kann. Zweitens ist zu überprüfen, ob die Tatsache, daß sich der Rat der Motivation der Kommission angeschlossen hat, zusätzlich zur Verbesserung der Arbeitsumwelt auch die Chancengleichheit der Geschlechter zu fördem,59 die gewählte Rechtsgrundlage des Art. 118 a EWGV beeinflussen mußte. Zur Beurteilung der Frage, ob die Gewährung fmanzieller Hilfen noch als Maßnahme zur Verbesserung der Arbeitsumwelt LS.v. Art. 118 a Abs. 1 EGV angesehen werden kann, ist auf den Sinn und Zweck des Anspruchs auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts bzw. auf eine angemessene Sozialleistung während des Mutterschaftsurlaubs abzustellen. Dabei sind zunächst die Gründe für die Gewährung eines Mutterschaftsurlaubs anzuführen. KOM (90) 406 vom 17.10.1990, 7 (Ziff. 25 der Begriindung). Ebd., 8 (Ziff. 27 der Begründung). S8 Ebd., 4 (Ziff. 11 der Begründung). S9 Vgl. dazu den neunten Erwägungsgrund der RL 92/85/EWG, ABI. L 348/1 (1992).

S6

S1

190

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

Der Mutterschaftsurlaub dient dem Schutz der Gesundheit und des Wohlbefindens der Mutter und des Kindes vor schädigenden Einflüssen in dem Zeitraum vor und nach der Entbindung. Eines derartigen Schutzes bedürfen insbesondere erwerbstätige Frauen, die beruflichen Anforderungen ausgesetzt sind, welche ihren Gesundheitszustand beeinträchtigen können. 60 Überlegt werden muß daher, ob der bezweckte Erfolg (Gesundheitsschutz von Mutter und Kind) auch bei einem Mutterschaftsurlaub ohne finanzielle Unterstützung eintreten könnte, denn auch in diesem Fall wäre die betroffene Arbeitnehmerin für den maßgeblichen Zeitraum keinen beruflichen Anforderungen ausgesetzt. Hiergegen läßt sich einwenden, daß die Arbeitnehmerin damit in eine Zwangslage zwischen der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus der Erwerbsarbeit als wirtschaftlicher Existenzgrundlage und ihrer mutterschaftsbedingten Schonungsbedürftigkeit gebracht würde. 61 Eine wirkliche Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmerin bestünde nicht, denn wie auch immer ihre Entscheidung ausfiele, müßte sie nachteilige Folgen in Kauf nehmen: Bei Inanspruchnahme des Mutterschaftsurlaubs träfen sie finanzielle Verluste, bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zur Geburt bzw. unmittelbar nach der Entbindung wären sie und das Neugeborene gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, daß Freistellungszeiträume, die nicht durch eine ausreichende fmanzielle Unterstützung gedeckt sind, von den anspruchsberechtigten Frauen nicht in vollem Umfang wahrgenommen werden. 62 Um es der betroffenen Arbeitnehmerin zu ermöglichen, die notwendigen Schutzfristen in ihrem und des Kindes Interesse in Anspruch zu nehmen, müssen Mutterschaftsurlaub und finanzielle Unterstützung demnach notwendigerweise verbunden sein, da sich der Schutzzweck des Gesetzes nur auf diese Weise erreichen läßt. 63 Zusätzlich ist zu bedenken, daß eine Gemeinschaft, deren sämtliche Mitgliedstaaten Arbeitnehmerinnen Mutterschaftsurlaub in Verbindung mit Ent-

60 S. dazu Ziff. 22 der Begründung des RichtiinienvQrschlags der Kommission, KOM (90) 406 vom 17.10.1990. 61 Vgl. dazu für den deutschen Mutterschutz Bulla / Buchner, Einführung, Rn. 4. 62 So etwa in Großbritannien, s. dazu Coester-Waltjen. 70 f. 63 Für das deutsche Recht vgl. etwa Bulla / Buchner, Einführung, Rn. 4.

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

191

geltfortzahlungen gewähren64 und deren Mitgliedstaaten sich zudem über die Notwendigkeit einig sind, auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte hinzuwirken und dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen (Art. 117 EGV), schwerlich einen Rechtsakt zum Schutz von werdenden Müttern hätte verabschieden können, der zwar Mutterschaftsurlaub vorgesehen, die Gewährung des Anspruchs auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts bzw. auf eine angemessene Sozialleistung aber in das Belieben des einzelnen Mitgliedstaats gestellt hätte. Ebensowenig vermag das Argument zu überzeugen, die Festschreibung dieses Anspruchs auf ftnanzielle Unterstützung auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts sei angesichts der schon bestehenden mitgliedstaatlichen Regelungen überflüssig. Dies ergibt sich daraus, daß vom nationalen Recht gewährte Ansprüche - im Gegensatz zu solchen des Gemeinschaftsrechts - jederzeit zur Disposition des einzelnen Mitgliedstaates stehen. 65 Weiterhin ist die Frage aufgeworfen worden, ob die Motivation des Rates, der mit dem Rechtsakt neben der Verbesserung des Gesundheitsschutzes der betroffenen Arbeitnehmerinnen auch die Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt bezweckte, die Wahl der Rechtsgrundlage beeinflussen konnte und gegebenenfalls auch mußte. In diesem Rahmen ist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs einzugehen, der entschieden hat, daß sich die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts im Rahmen des Zuständigkeitssystems der Gemeinschaft auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen muß. 66 Zu untersuchen ist daher, ob die RL 92/85/EWG in jeder Hinsicht von der angeführten Rechtsgrundlage gedeckt wird. Der Inhalt der RL 92/85/EWG bezweckt in erster Linie den Gesundheitsschutz der von einer Schwangerschaft und deren Folgen betroffenen Arbeitnehmerinnen, hat daneben aber auch Auswirkungen auf die Rechtsstellung jeder Frau, die durch ihre besondere biologische Situation gegenüber einem

64 Vgl. dazu die Übersicht der Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag KOM (90) 406 vom 17.10.1990, 17 ff., ferner die Übersicht bei Lohka~-Himminghofen, 6. 6S Dies gilt im übrigen auch für internationales Recht, vgl. dazu Lörcher, 55. 66 EuGH, Rs. 45/86 (KommissionlRilt), Slg. 1987, 1493 (1520); bestätigt durch Rs. 131/86, (Vereinigtes KönigreichlRilt), Slg. 1988, 905 (933), und Rs. C-62/88 (Griechische RepubliklRat - "Tschernobyl"), Slg. 1990, 1-1527 (1-1549).

192

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

männlichen Arbeitnehmer keine Nachteile erleiden soll (vgl. dazu Art. 11 der Richtlinie) . Wie oben bereits festgestellt wurde, kann das Ziel des Gesundheitsschutzes nur unter Aufrechterhaltung der mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte wirksam verfolgt werden, da andernfalls begründeterweise zu befürchten ist, daß die zu schützenden Arbeitnehmerinnen ihre Ansprüche nicht wahrnehmen werden. Infolgedessen besteht zwischen dem Gesundheitsschutz und der Gewährleistung eines rechtlichen Status eine enge und untrennbare Verknüpfung, die es verbietet, den einen Aspekt ohne den anderen zu sehen. Der vom Rat in den Erwägungsgründen der Richtlinie gegebene Hinweis auf die mit dem Rechtsakt zusätzlich zum Gesundheitsschutz verfolgte Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt erscheint somit folgerichtig. Die weitergehende Frage, ob Art. 118 a EGV auch dann die richtige Rechtsgrundlage gewesen wäre, wenn sowohl die Kommission als auch der Rat mit der Richtlinie vorrangig die Förderung der Chancengleichheit hätten bezwecken wollen, kann hier offen bleiben. 67 Festzustellen ist daher, daß die RL 92/85/EWG vom Rat zulässigerweise allein auf Art. 118 a EWGV gestützt werden konnte. ce)

Ergebnis

Als Ergebnis läßt sich feststellen, daß der Erlaß der RL 92/85/EWG von der Handlungsermächtigung des Art. 118 a EWGV gedeckt ist. c) Das Verhältnis des Art. 118 a EGV zu anderen gemeinschaftlichen Handlungsermächtigungen Fragen nach dem Anwendungsbereich und der Tragweite des Art. 118 a EGV stellen sich auch im Hinblick auf seine Abgrenzung zu anderen Vertragsvorschriften. Dabei sind die der Gemeinschaft durch Art. 118 a EGV verliehenden Befugnisse im Rahmen des EG-Vertrages von Handlungser67 Für den Bereich der gemeinschaftlichen Kulturpolitik vertritt etwa Niedobitek, 213, daß keine rechtlichen Gesichtspunkte erkennbar seien, die es den Gemeinschaftsorganen verböten, von ihren vertraglichen Kompetenzen vorrangig aus kulturpolitischen Gründen Gebrauch zu machen; vgl. auch Bleckmann/Bleckmann, Rn. 122.

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

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mächtigungen in den Bereichen der (allgemeinen) Angleichung der Rechtsvorschriften (Art. 100, 100 a EGV), des Verkehrs (Art. 75 und 84 EGV) und der Umwelt (Art. 130 s EGV) abzugrenzen. Außerhalb des EG-Vertrages sind die Vorschriften über den Gesundheitsschutz für den Bereich der Kernenergie (Art. 30-39 EAGV) zu berücksichtigen. 00)

Angleichung der Rechtsvorschriften (Art. 100 und 100 a EGV)

Der im Bereich des Sicherheits- und Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz vor Inkrafttreten der EEA häufig herangezogene Art. 100 EWGV68 ist inzwischen durch die Art. 100 a und 118 a EGV weitgehend verdrängt worden. In Betracht kommt ein Rückgriff auf Art. 100 EGV für denwohl eher seltenen - Fall, daß die Gemeinschaft nicht nur Mindestvorschriften, sondern abschließende Regelungen treffen will und die Voraussetzungen des Art. 100 a EGV nicht vorliegen. 69 Die Abgrenzung von Art. 100 a und 118 a EGV ist aus mehreren Gründen von besonderer Bedeutung. Erstens sieht Art. 118 a EGV lediglich Mindestvorschriften vor, während die aufgrund des Art. 100 a EGV erlassenen Maßnahmen nicht auf Mindestvorschriften beschränkt bleiben, sondern eine stärkere Harmonisierung zulassen. Zweitens erlaubt Art. 100 a EGV ganz allgemein den Erlaß von "Maßnahmen" zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, d.h. der Rat ist in der Wahl des Rechtsinstruments der Angleichung frei und damit nicht auf den Erlaß von Richtlinien beschränkt. Drittens ist zu berücksichtigen, daß die Mitgliedstaaten nach Art. 118 a Abs. 4 EGV nicht daran gehindert werden, mit dem Vertrag vereinbare Maßnahmen zum verstärkten Schutz der Arbeitsbedingungen beizubehalten oder zu treffen. Für "nationale Alleingänge" nach Art. 100 a Abs. 4 EGV ist dies nur unter eingeschränkten Voraussetzungen, insbesondere unter Beteiligung der Kommission, möglich. Viertens ist zu überprüfen, ob es zutrifft, daß - wie vom Ausschuß des EP für soziale Angelegenheiten vertreten wird - Art. 118 a

68 Vgl. dazu oben, 1. Teil, C.m.3.a.cc.

An. 118 a Rn. 35; anders indessen Schutz, BArbBI. 17, der allein auf Art. 100 EWGV abstellt. 69 Vgl. dazu GTE/Pipkom,

13 Kuhn

11/1986,

194

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

EGV als "feste, grundlegende und dauerhafte Vertragsnorm" anzusehen ist, während Art. 100 a EGV nur begrenzte Geltungsdauer zukomme. 70 Um die Vorschriften der Art. 100 a und Art. 118 a EGV voneinander abzugrenzen, ist in erster Linie auf ihre unterschiedliche Zielsetzung abzustellen. Während Art. 118 a EGV aus einer sozialpolitischen Motivation heraus den Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer bezweckt, zielt Art. 100 a EGV vor allem auf eine Beseitigung der die Verwirklichung des Binnenmarktes beeinträchtigenden nichttarifären Handelshemmnisse ab71 und ist daher als "binnenmarktfmale Kompetenznorm"72 zu verstehen. Dabei macht der Umstand allein, daß die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes betroffen ist, die Anwendung des Art. 100 a EGV noch nicht erforderlich, da nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Rückgriff auf Art. 100 a EGV nicht gerechtfertigt ist, wenn der zu erlassende Rechtsakt nur nebenbei eine Harmonisierung der Marktbedingungen innerhalb der Gemeinschaft bewirkt.?3 Einen Anhaltspunkt zur Abgrenzung beider Vorschriften voneinander bietet die Differenzierung zwischen produktbezogenem und personenbezogenem Arbeitsschutz. 74 Für eine Regelung, die zwar auch den Schutz und die Sicherheit der Arbeitnehmer bezweckt, in erster Linie aber als produktbezogene Angleichungsmaßnahme zu verstehen ist, stellt damit Art. 100 a EGV die richtige Handlungsermächtigung dar. Derartige produktbezogene Angleichungsmaßnahmen stellen beispielsweise die Richtlinien des Rates vom 14.6.1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften für Maschinen75 und zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für persönliche Schutzausrüstungen76 dar, die zutreffenderweise auf Art. 100 a EWGV gestützt wurden. 10 S. dazu S. 15 des Berichts ·über den Begriff Arbeitsumwelt und den Anwendungsbereich von Art. 118 ades EWG-Vertrags" (Anm. 31). 11 Vgl. dazu Birk, RdA 1992, 71; Nielsen / Sr;yszczak, 181; BleckmannlCoen, Rn. 1861; Buchner, ZfA 1993,291; von Hoyningen-Huene / Compensis, 235. 12 Beglinger, 8. 13 EuGH, Rs. C-155191 (Kommission/Rot), Urt. vom 17.3.1993 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht); Hervorhebung eingefügt. 14 Anders dagegen Krimphove, 246 f., der sämtliche Maßnahmen der Gemeinschaft auf diesem Gebiet als "technischen Arbeitsschutz" bezeichnet. 15 RL 89/392IEWG, ABI. L 183/9; geändert durch RL 93/44IEWG vom 14.6.1993, ABI. L 175/12, und RL 93/68/EWG vom 22.7.1993, ABI. L 220/1. 16 RL 89/686/EWG vom 21.12.1989, ABI. L 399118; geändert durch RL 93/95/EWG vom 29.10.1993, ABI. L276/11.

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

195

Ein anderer Aspekt unterschiedlicher Arbeitsschutzvorschriften der Mitgliedstaaten sind die von ihnen ausgehenden Wirkungen. Vorstellbar ist, daß unterschiedliche Arbeitsschutzvorschriften der Mitgliedstaaten zum einen grenzüberschreitende Dienstleistungen erschweren und zum anderen für Unternehmen wettbewerbsverfälschende unterschiedliche Kostenbelastungen darstellen können. Im Hinblick auf die Erschwernis eines freien Dienstleistungsverkehrs in der Gemeinschaft ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen, nach der das Gemeinschaftsrecht es den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, ihre Rechtsvorschriften auf alle Personen auszudehnen, die - sei es auch nur vorübergehend - eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausüben; dabei ist unerheblich, in welchem Land der Arbeitgeber ansässig istJ7 In diesem Fall wäre Art. 100 a EGV für rechtsangleichende Maßnahmen zum Abbau der aus den unterschiedlichen Arbeitsschutzrechten resultierenden Behinderungen des freien Dienstleistungsverkehrs die richtige Rechtsgrundlage. Vorstellbar ist jedoch auch, daß bei Vorliegen gleichwertiger Niveaus des Sicherheits- und Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer in den einzelnen Mitgliedstaaten arbeitsrechtliche Kollisionsnormen aufgestellt werden. 78 Diesen letzten Weg hat die Kommission mit ihrem auf die Art. 57 Abs. 2 und 66 EWGV gestützten Richtlinienvorschlag über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vom 28.6.1991 gewählt.19 Die Annahme, daß Unterschiede in den Gesundheitsschutzvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten zu wettbewerbsverfälschenden unterschiedlichen Kostenbelastungen der Unternehmen führen können,80 weshalb eine Rechtsangleichung nach Art. 100 a EGV erfolgen müsse, kann wohl nicht begründet werden. Dies folgt daraus, daß zahlreiche innerstaatliche Faktoren Einfluß auf die Kostenbelastung eines Unternehmens haben und von daher nicht nachzuvollziehen ist, weshalb gerade dieser Gesichtspunkt gemeinschaftliche Maß-

77 EuGH, verb. Rs. 62 und 63/81 (SecolEV1), Sig. 1982, 223 (236 f.); Rs. C-113/89 (Rush Portuguesa), Sig. 1990,1-1417 (1-1445).

GTE/Pipkom, Art. 118 a Rn. 48. ABI. C 225/6. 80 So GTE/Pipkom, Art. 118 a Rn. 49.

78

79

196

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

nahmen der Rechtsangleichung veranlassen sollte, während andere Faktoren außer Betracht zu bleiben hätten. 81 Auch das Argument, die Geltungsdauer von Art. 100 a EGV sei im Gegensatz zu Art. 118 a EGV begrenzt,82 vermag nicht zu überzeugen. Zwar nimmt Art. 100 a Abs. 1 EGV ausdrücklich auf die Ziele des Art. 7 a EGV und damit auf das - inzwischen überschrittene - Zieldatum des 31.12.1992 Bezug. Da die Festsetzung dieses Termins aber keine automatische rechtliche Wirkung mit sich gebracht hat83 und auch nach Ablauf des Datums Handlungsbedarf für Angleichungsmaßnahmen bestehen kann, war der Termin nicht als Ausschlußfrist zu verstehen. 84 Zudem ermächtigt Art. 100 a Abs. 1 EGV explizit zu Rechtsangleichungsmaßnahmen, "die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. "85 Daß durch diese Formulierung zum Ausdruck gebracht werden sollte, die Voraussetzungen der "Errichtung" und des "Funktionierens " müßten kumulativ vorliegen, kann nicht angenommen werden, da selbst nach Errichtung des Binnenmarktes Maßnahmen zu seinem Funktionieren notwendig werden können. Nicht anzunehmen ist demnach, daß die Verfasser der Vorschrift für diesen Fall Art. 100 a EGV als Handlungsermächtigung ausschließen wollten. 86 Für diese Auslegung der Vorschrift spricht im übrigen auch, daß zu der in Art. 100 EGV enthaltenen ähnlichen Formulierung "Errichtung und Funktionieren des Gemeinsamen Marktes" vom Schrifttum vertreten wird, die Verwendung des Begriffs "Funktionieren" zeige, daß die Rechtsangleichung eine 81 Ähnlich im Ergebnis Hailbronner, der annimmt, daß unterschiedliche Schutzstandards zwar geeignet seien, die Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen zu beeinträchtigen, diese die Durchsetzung der Marktfreiheiten aber Ld.R. nicht gefährden würden, s. dazu HandkommentarlHailbronner, Art. 118 a Rn. 7. 82 S. dazu S. 15 des Berichts ·über den Begriff Arbeitsumwelt und den Anwendungsbereich von Art. 118 ades EWG-Vertrags· (Anm. 31). 83 S. dazu die in der Schlußakte zur EEA enthaltene Erklärung zu Art. 8 ades EWG-Vertrages. 84 Ebenso GTE/Pipkom, Art. 100 a Rn. 6; HandkommentarlKlein, Art. 100 a Rn. 24; GrabitzlLangeheine, Art. 100 a Rn. 10; Glaesner, 133. 8S Hervorhebung eingefügt. 86 So auch GTE/Pipkom (Anm. 84); HandkommentarlKlein (Anm. 84); Glaesner (Anm. 84); GrabitzlLangeheine (Anm. 84), der zudem darauf hinweist, daß ein etwaiges Außerkrafttreten des Art. 100 a EWGV Probleme für die Aufrechterhaltung eventueller nationaler Sonderregelungen nach Abs. 4 aufwerfen würde.

A. Individuelle ArbeitsveIhäItnisse

197

zeitlich unbegrenzte Aufgabe der Gemeinschaft sei.87 Letztlich ist ferner zu berücksichtigen, daß keine Vertragsvorschrift die Geltung von Art. 100 a EGV ausdrücklich ausschließt. Als Ergebnis läßt sich feststellen, daß die Vorschriften des Art. 100 a und 118 a EGV verschiedene Zielsetzungen verfolgen und dem Rat unterschiedliche Handlungsbefugnisse einräumen. Daher kann der im Schrifttum verschiedentlich geäußerten Auffassung, Art. 118 a sei gegenüber Art. 100 a EGV als lex specialis anzusehen,88 nicht gefolgt werden.

bb)

Verkehr (Art. 75 und 84 EGV)

Soweit Maßnahmen nach den Art. 75 und 84 EGV mit dem Ziel einer Förderung der Verkehrssicherheit oder des sozialen Fortschritts89 ergriffen werden und damit zugleich Sicherheit und Gesundheit der im Verkehrssektor Beschäftigten verbessert werden, gehen sie als speziellere Vorschriften insoweit Art. 118 a EGV vor. 90

ce)

Umwelt (Art. 130 s EGV)

Auch bei dieser Abgrenzung ist auf den Zweck der gemeinschaftlichen Maßnahmen abzustellen. Untersucht werden muß, ob Regelungsgegenstand einer Maßnahme der Schutz der Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmern oder aber der gesamten Bevölkerung ist. Im ersten Fall kommt Art. 118 a EGV als Handlungsermächtigung in Betracht, im zweiten Fall wird Art. 100 a EGV Anwendung fmden. Enthält eine Maßnahme Regelungen, die sowohl dem Schutz der Arbeitnehmer als auch dem Schutz der Bevölkerung dienen, ist auf den Schwerpunkt ihres Wirkungsbereichs abzustellen. 91 Die RL 88/6W/EWG,92 die eine ÄnArt. 100 Rn. 34. So HandkommentarlHailbronner, Art. 118 a Rn. 10; Wlotzke, RdA 1992, 87. 89 Der EuGH hat die Einbeziehung dieser Fragen in das Sachgebiet Verkehr ausdrücklich anerkannt, vgl. Rs. 16/78 (Choquet) , Sig. 1978, 2293 (2301 ff.); Rs. 97/78 (Schumalla), Sig. 87 GTEITaschner,

88

1978,2311 (2317 f.). 90

So auch GTEIPipkom, Art. ebd., Rn. 53.

9! Ders.,

118 a Rn. 50.

198

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

derung der RL 82/501lEWG (sog. Seveso-Richtlinie)93 bedeutete, wurde demzufolge auf Art. 130 s EWGV gestützt, da die in ihr enthaltenen Regelungen vorrangig dem Schutz der Bevölkerung und nicht dem ebenfalls erfaßten Schutz der Arbeitnehmer verpflichtet sind.

dd)

Gesundheitsschutz auf dem Gebiet der Kernenergie (Art. 30-39 EAGV)

Aus der Kollisionsregelung des Art. 232 EGV folgt, daß die Vorschriften über den Gesundheitsschutz für den Bereich der Kernenergie den Vorschriften des EG-Vertrages als Spezialregelung vorgehen. d) Die Problematik des Erlasses von Mindestvorschriften Werden Richtlinien auf die Handlungsermächtigung des Art. 118 a EGV gestützt, ist der Rat auf den Erlaß von Mindestvorschriften beschränkt. Die Bedeutung einer Beschränkung auf das Rechtsinstrument der Mindestvorschrift, insbesondere die Vor- und Nachteile des Erlasses von Mindestvorschriften, werden im folgenden untersucht. Auf dem Gebiet des Sicherheits- und Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer übernimmt die Gemeinschaft durch Art. 118 a EGV eine neben der mitgliedstaatlichen Kompetenz der Mitgliedstaaten für dieses Gebiet tretende Verantwortlichkeit. 94 Infolgedessen entspricht Art. 118 a EGV der bisher im sozialen Bereich bereits bekannten Praxis, nach der die Gemeinschaft lediglich Mindestgarantien gewährt und den Mitgliedstaaten die Beibehaltung oder Einführung günstigerer Vorschriften überläßt. 95 92 RL 88/610/EWG vom 24.11.1988 zur Änderung der RL 82/501IEWG über die Gefahren schwerer Unfälle bei bestimmten Industrietätigkeiten, ABI. L 336/14. 93 RL 82/501lEWG vom 24.6.1982 über die Gefahren schwerer Unfälle bei bestimmten Industrietätigkeiten, ABI. L 230/1. 94 GTEIPipkom, Art. 118 a Rn. 5. 9S Vgl. dazu bereits Art. 5 der RL 7S/129IEWG (Massenentlassungen), ABI. L 48/29, und seine durch die RL 92/561EWG geänderte Fassung, ABI. L 245/3; Art. 7 der RL 77/187IEWG (Übergang von Unternehmen), ABI. L 61126; Art. 9 der RL 80/9871EWG (ZahlungsulÜahigkeit des Arbeitgebers), ABI. L 283/23; Art. 7 der RL 911533/EWG (Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers), ABI. L 288/32; so auch GrabitzlJansen, Art. 118 a Rn. 7; GTE-Pipkom, Art. 118 a Rn. 35, und HandkommentarlHailbronner, Art. 118 a Rn. 7.

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

199

Der Erlaß von Mindestvorschriften LS.v. Art. 118 a Abs. 2 EGV bedeutet nicht, daß die Gemeinschaft damit auf den "kleinsten gemeinsamen Nenner" bzw. das "arithmetische Mittel" der in den einzelnen Mitgliedstaaten jeweils geltenden gesundheits- und sicherheitsspezifischen Bestimmungen ZUTÜckgreift.% Unzutreffend ist es daher, Mindestvorschriften als "Minimalnormen" zu bezeichnen,97 da auch sie durchaus "ehrgeizige Normen" darstellen können. 98 Zu dem Instrument der Mindestvorschrift wird die Gemeinschaft dann greifen, wenn ein Unterschreiten dieser Schwelle durch keinen Mitgliedstaat hinnehmbar wäre. 99 Damit wird durch den Erlaß von Mindestvorschriften eine - möglicherweise für einzelne Mitgliedstaaten erhöhte - Schwelle errichtet, unterhalb deren sich nach Ablauf der Umsetzungsfristen kein Staat befmden darf. HlO Als Nachteil eines Erlasses von Mindestvorschriften ist die Schwierigkeit der Festlegung des "richtigen Niveaus" der Mindestvorschriften zu nennen. So werden zu niedrig angesetzte Mindestvorschriften keine besondere Relevanz entfalten, da ihre Einhaltung für die Mitgliedstaaten entweder mühelos oder aber nur mit wenig Aufwand verbunden sein wird. Indessen dürfte die Festsetzung von sehr hoch angesetzten Mindestvorschriften dazu führen, daß sie für einige Mitgliedstaaten entweder nur mit großen Verzögerungen und Defiziten bei der Umsetzung verwirklicht werden können oder aber gänzlich unerfüllbar sind. 101 Die Vorteile des Rückgriffs auf das Rechtsinstrument der Mindestvorschrift liegen darin, daß wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten nur eine schrittweise Anpassung an höhere Standards abverlangt werden muß, während ein in anderen Mitgliedstaaten bereits erreichtes höheres Arbeitsschutzniveau nicht beeinträchtigt wird. 102 An die Stelle einer - häufig nicht zu verwirkliHunter u.a., 155. Vgl. auch Weber / Leienbach / Dohle, 169. S. dazu den Bericht der deutschen Bundesregierung zur Anwendung des Art. 118 a EWGV, BT-Drs. 11/8335 vom 25.10.1990,2; Clever, Sozialrecht, 10; Majone, 155; unklar insoweit de Gier, 100. 98 Clever, ebd.; Tegtmeier, 316. 99 Schmidhuber, in: Europa im Blickfeld 12/92, 7. 100 Hunter u.a., 155. 101 Vgl. dazu Erdmann, Perspektiven, 27. 102 Vgl. dazu Clever, Sozialrecht, 11; Walwei, 51; Koll, 1239; Rondoif / Wittrock, 7; Bericht der deutschen Bundesregierung zur Anwendung des Art. 118 a EWGV, BT-Drs. 11/8335 vom 25.10.1990,2. 96

'TI

200

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

chenden - "Vollharmonisierung auf höchstem Niveau"103 treten in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Sicherheitsstandards, die jedoch nicht unter eine bestimmte, vom Gemeinschaftsrecht festgelegte Schwelle absinken dürfen. Auch ein stufenweises Vorgehen der Gemeinschaft selbst kann sich empfehlen: Falls sich nach einer bestimmten Zeitspanne diejenigen Mitgliedstaaten, die bisher wesentlich niedrigere Standards kannten, auf das von den Mindestvorschriften vorgeschriebene höhere Niveau eingerichtet haben, könnte der Rat neue Mindestvorschriften mit höheren Standards beschließen, die möglicherweise sogar über dem Niveau der fortschrittlichsten Mitgliedstaaten liegen und damit auch für diese Länder eine Fortentwicklung bedeuten würden. Wägt man die Vor- und Nachteile des Erlasses von Mindestvorschriften gegeneinander ab, sprechen die überzeugenderen Gründe für den Gebrauch dieses Rechtsinstruments. Zutreffend erscheint deshalb die Prognose zu sein, daß eine auf das Konzept der Mindestvorschrift zurückgreifende Politik damit rechnen kann, auf die Akzeptanz der Bürger zu stoßen,104 da sie den unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung tragen kann. Dafür, daß Art. 118 a EGV auf Dauer nicht die einzige Vorschrift bleiben wird, in der die EG zum Instrument der Mindestvorschrift greift, 105 spricht zudem Art. 2 des dem Vertrag über die Europäische Union beigefügten Abkommens über die Sozialpolitik. 106

2. Empfehlungen der Kommission zur Annahme einer Europäischen Liste der Berufskrankheiten Für den Bereich des Tätigwerdens der Gemeinschaft im Bereich des Sicherheits- und Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer außerhalb von Art. 118 a EGV wird die Annahme einer Europäischen Liste der Berufskrankheiten, die Gegenstand von zwei Empfehlungen der Kommission ist, behandelt.

BleckmannlCoen, Rn. 1861. Clever, Sozialrecht, 11. 105 So Herzog, 19. 106 Dazu unten, 3. Teil, C.II.1. 103

104

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

201

a) Empfehlung vom 23.7.1962 Bereits am 23.7.1962 hatte die Kommission an die Mitgliedstaaten eine auf Art. 155 EWGV gestützte Empfehlung zur Annahme einer Europäischen Liste der Berufskrankheiten gerichtet. 107 Darin empfahl sie die Einführung eines "Mischsystems ", in dem einerseits die in einer Liste genannten und allgemein anerkannten Berufskrankheiten einen Entschädigungsanspruch begründen können (sog. Beweisvermutung), andererseits ein Entschädigungsanspruch auch bei einer nicht in der Liste aufgeführten Krankheit begründet sein könne, wenn von dem Arbeitnehmer hinreichend nachgewiesen werde, daß die Krankheit Folge seiner Arbeit seL108 Die Kommission begründete ihre Empfehlung mit zwei Argumenten. Erstens hielt sie die Schaffung einer Europäischen Liste der Berufskrankheiten deshalb für erforderlich, weil die in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Listen nicht einheitlich seien und erst eine gegenseitige Abstimmung zur Erreichung eines sozialen Fortschritts beitragen könne. 109 Zweitens führte sie an, daß die Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft die Schaffung einer aufeinander abgestimmten Gesetzgebung erfordere, damit allen Arbeitskräften in jedem Land der Gemeinschaft gleicher Schutz gewährt werden könne. 110 Dieser Empfehlung, die vier Jahre später durch eine weitere Empfehlung der Kommission zu den Voraussetzungen für die Entschädigung im Fall von Berufskrankheiten ergänzt wurde,111 folgten die Mitgliedstaaten nicht. Aus den noch immer unterschiedlichen Entschädigungsmodellen der Mitgliedstaaten für von ihnen anerkannte Berufskrankheiten resultierte der im Jahre 1989 vom Gerichtshof entschiedene Fall Grimaldi. 112 Die von dem belgischen Gericht zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage, ob ein Text wie die Europäische Liste der Berufskrankheiten unmittelbare Wirkung in einem MitABI. S. 2188. Ebd., 2190. Die Bekanntmachung des Mischsystems in Europa wurde der Konunission als Verdienst angerechnet, vgI. dazu Voirin, 68. 109 Zweiter Erwägungsgrund der Empfehlung, ebd. 110 Ebd. 111 Empfehlung 66/462/EWG vom 20.7.1966, ABI. S. 2696. 112 Rs. C-322/88, Slg. 1989,4407. 107 108

202

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

gliedstaat erlangt habe, weil sie klar, hinreichend genau und eindeutig sei, diesem Mitgliedstaat kein Ermessen hinsichtlich des zu erreichenden Ziels einräume und einer Empfehlung der Kommission als Anlage beigefügt sei, die nach mehr als 25 Jahren noch nicht formell in die innerstaatliche Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats umgesetzt worden sei, verneinte der Gerichtshof. 113 Allerdings stellte er fest, daß die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet sind, die Empfehlung bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten insbesondere dann zu berücksichtigen, wenn die Empfehlung geeignet ist, Aufschluß über die Auslegung anderer innerstaatlicher oder gemeinschaftlicher Bestimmungen zu geben. 114 Nehmen die innerstaatlichen Gerichte diese ihnen auferlegte Verpflichtung ernst, kann der Empfehlung somit - je nach Fallgestaltung - große Bedeutung zukommen. 115 b) Empfehlung vom 22.5.1990

In ihrer Mitteilung über ihr Aktionsprogramm zur Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte hatte die Kommission bereits angekündigt, daß sie den Mitgliedstaaten die Annahme einer aktualisierten Europäischen Liste der Berufskrankheiten empfehlen werde. 116 Hintergrund der Aktualisierung war die von der Kommission bemängelte Diskrepanz zwischen den einzelstaatlichen Listen, die es insbesondere im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarkts zu verringern gelte. 117 Dieser Ankündigung kam die Kommission alsbald durch den Erlaß der Empfehlung vom 22.5.1990 118 nach. Wie unterschiedlich sich die Situation in den Mitgliedstaaten noch im Jahr 1989 darstellt, vermittelt der in Anhang III der Empfehlung abgedruckte Überblick. Die Kommission rät den Mitgliedstaaten - wie schon in ihrer früheren Empfehlung - zur Einführung eines Mischsystems. Nunmehr werden Ebd., 4419 f. Ebd., 4421. 115 Vgl. dazu Neri, Affari sociali internazionali 1990, 198; Martin, 330; Mögele, BayVBI. 1993, 133. 116 KOM (89) 568 vom 29.11.1989, 47 f. 117 s. dazu die Antwort des damaligen Kommissars Marin im Namen der Kommission vom 19.4.1988 auf die schrift1iche Anfrage Nr. 2348/87, ABI. C 229127. 118 Empfehlung der Kommission betreffend die Annahme einer Europäischen Liste der Berufskrankheiten (90/326IEWG), ABI. L 160/39. 1\3

114

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

203

allerdings zwei Listen aufgestellt: Diejenigen Krankheiten, die als Berufskrankheiten allgemein anerkannt sind und zur Entschädigung berechtigen, sind in Anhang I genannt. Anhang 11 enthält eine Aufzählung derjenigen Krankheiten, bei denen ein Entschädigungsanspruch dann angenommen werden soll, wenn die berufliche Verursachung und Berufsbezogenheit nachgewiesen werden kann. 119 Wesentlich nachdrücklicher als in ihrer Empfehlung aus dem Jahre 1962 zeigt die Kommission, daß sie die Beachtung dieser zweiten Empfehlung quasi "erwartet": So empfiehlt sie den Mitgliedstaaten, die in Anhang I enthaltene Europäische Liste "möglichst unverzüglich" in ihre Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zu übernehmen. 120 Ferner bittet sie die Mitgliedstaaten um Unterrichtung über die zur Durchführung der Empfehlung getroffenen oder geplanten Maßnahmen nach Ablauf einer dreijährigen Frist. Dabei weist sie zugleich darauf hin, daß sie nach Ablauf der Frist anhand des Stands der Durchführung der Empfehlung in den einzelnen Mitgliedstaaten prüfen werde, ob eine Notwendigkeit bestehe, eine Rechtsvorschrift mit verbindlichem Charakter vorzuschlagen. 121 Zu fragen ist, ob diese nachdrückliche Aufforderung, dem Inhalt der Empfehlung Folge zu leisten, dazu führen kann, die Rechtsnatur der Empfehlung in Frage zu stellen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist zwar die amtliche Bezeichnung einer Maßnahme nicht entscheidend, da es vielmehr auf die tatsächliche Übereinstimmung einer Maßnahme mit der für sie gewählten Form ankommt. 122 Im vorliegenden Falle ist aber zu berücksichtigen, daß die nachdrückliche Aufforderung der Kommission ihren Grund wohl darin fmdet, daß die bereits kurze Zeit nach Gründung der Gemeinschaft vorgelegte Empfehlung aus dem Jahre 1962 die Mitgliedstaaten über einen Zeitraum von nahezu drei Jahrzehnten nicht zum Handeln veranlaßt hat. Obwohl nicht geleugnet werden kann, daß mit diesem Hinweis ein gewisser politischer Druck ausgeübt werden kann (und wohl auch soll), stellt der Ebd., Ziff. 1 und 2. Ebd., Ziff. 1. 121 Ebd., 40. 122 EuGH, verb. Rs. 16 und 17/62 (Confederation nationaleIRat), Slg. 1962,961 (978); Rs. 6/68 (Watenstedt), Slg. 1968,611 (620); Rs. 147/83 (Binderer GmbH), Slg. 1985,257 (271). 119

120

204

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

Hinweis im Grunde genommen jedoch lediglich eine Absichtserldärung der Kommission über ihr zukünftiges Verhalten dar. Über die Tatsache, daß der Kommission auf dem Gebiet der Verhütung von Berufskrankheiten die Aufgabe übertragen wurde, eine enge Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu fördern, dürfte angesichts des Wortlauts von Art. 118 EGV und seiner Auslegung durch den Gerichtshof123 kein Streit möglich sein. c) Art. 118 a EGV als Handlungsermächtigung für einen verbindlichen Rechtsakt Die Ankündigung der Kommission, nach Ablauf der von ihr zur Beachtung der Empfehlung vom 22.5.1990 gesetzten Frist eine Prüfung dahin gehend vorzunehmen, ob der Stand der Durchführung der Empfehlung es notwendig erscheinen lasse, eine Rechtsvorschrift mit verbindlichem Charakter vorzuschlagen, wirft die Frage auf, welche Handlungsermächtigung für eine entsprechende verbindliche Maßnahme zur Verfügung stehen würde. Als Handlungsermächtigung könnte Art. 118 a EGV in Betracht kommen. Zu prüfen ist, ob die Kommission dem Rat nach dieser Vorschrift den Erlaß einer Europäischen Liste der Berufskrankheiten vorschlagen könnte. Voraussetzung hierfür ist zunächst, daß der Erlaß einer derartigen Liste eine Maßnahme zur Verbesserung der Arbeitsumwelt darstellen würde, durch die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer geschützt werden kann. Die Frage, ob eine Krankheit, an der der einzelne Arbeitnehmer leidet, eine (gegebenenfalls entschädigungspflichtige) Berufskrankheit ist oder nicht, ist für seinen Sicherheits- und Gesundheitsschutz von entscheidender Bedeutung. Auch für nicht erkrankte Arbeitnehmer ist diese Frage wichtig, da die Aufnahme einer Krankheit in eine nationale Liste zu veränderten Sicherheitsund Gesundheitsschutzvorschriften im Betrieb führen kann. Damit besteht zwischen der Beachtung einer Liste der Berufskrankheiten und dem Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer der nach der hier vertretenen Auslegung des Begriffs" Arbeitsumwelt" notwendige enge Zusammenhang. Das Vorgehen, eine Europäische Liste der Berufskrankheiten mittels einer Richtlinie des Rates zu erlassen, die schrittweise anzuwendende Mindestvor123

S. dazu das Urteil des EuGH, Rs. 126/86 (Zaera), Sig. 1987, 3697.

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

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schriften enthält, dürfte nicht auf Bedenken stoßen. Auf diese Weise würde nämlich einzelnen Mitgliedstaaten ein gewisser Handlungsspielraum erhalten bleiben. Mitgliedstaaten, deren innerstaatliche Vorschriften wesentlich unter dem von der Europäischen Liste vorgesehenen Niveau liegen würden, könnten mit Übergangszeiträumen operieren. Demgegenüber bliebe es Mitgliedstaaten, die zusätzlich zu den in der Europäischen Liste genannten Berufskrankheiten weitere Krankheiten als beruflich veranlaßt ansehen wollten, unbenommen, einen verstärkten Schutz zugunsten ihrer Arbeitnehmer beizubehalten (Art. 118 a Abs. 3 EGV). Da eine solche Maßnahme in erster Linie sozialpolitisch motiviert wäre und nicht die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts als vorrangiges Ziel bezwecken würde, wäre Art. 118 a EGV die richtige Handlungsermächtigung. Sollte die Kommission somit nach Ablauf der dreijährigen Frist anband der Durchführung der Empfehlung feststellen, daß die Notwendigkeit besteht, eine Rechtsvorschrift mit verbindlichem Charakter vorzuschlagen, wäre dieser Vorschlag auf Art. 118 a EGV zu stützen. Dafür, daß auch die Kommission dies so sehen könnte, spricht, daß sie im Jahr 1983 - und damit vor Einfügung des Art. 118 a in den EWG-Vertrag - auf die Frage nach einer alle Mitgliedstaaten bindenden Regelung erklärt hat, sie sehe nicht, "wie sie den Mitgliedstaaten eine solche Regelung für das betreffende Problem vorschlagen könnte" .124 D. Der vom Gemeinschaftsrecht gesetzte Rahmen für Arbeitsbedingungen

1. Begründung des Arbeitsverhältnisses Ein vom Gemeinschaftsrecht gesetzter Rahmen im Hinblick auf die Begründung eines Arbeitsverhältnisses besteht erst seit Erlaß der auf Art. 100 EWGV gestützten Richtlinie des Rates "über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag geltenden Bedingungen" vom 14.10.1991. 125 Die Richtlinie ist vor dem Hintergrund 124 S. dazu die Antwort von Herrn Richard im Namen der Kommission vom 7.7.1983 auf die schriftliche Anfrage Nr. 2278/82, ABI. C 227/4. 125 RL 91/533/EWG, ABI. L 288/32.

206

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

der Entwicklung neuer Arbeitsformen und der daraus folgenden Vielzahl der Arten von Arbeitsverhältnissen entstanden und soll neben dem Schutz der Arbeitnehmer durch verbesserte Information die Transparenz des Arbeitsmarktes bewirken. 126 a) Inhalt der RL 911533/EWG Kern des Richtlinieninhalts ist - wie der Titel des Rechtsakts zeigt - die Informationspflicht des Arbeitgebers über wesentliche Bedingungen des Arbeitsverhältnisses. Spätestens zwei Monate nach Aufnahme des Arbeitsverhältnisses muß der Arbeitnehmer über die wesentlichen Punkte des Arbeitsvertrages oder des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber in Kenntnis gesetzt werden. Unter diesen wesentlichen Punkten sind u.a. die Personalien der Parteien, der Sitz bzw. Wohnsitz des Arbeitgebers, die normale Tages- oder Wochenarbeitszeit, die Dauer des Jahresurlaubs, die Länge der beiderseitigen Kündigungsfristen wie auch der anfangliche Grundbetrag und andere Bestandteile sowie die Periodizität der Auszahlung des Arbeitsentgelts zu verstehen (Art. 2 Abs. 1 und 2). Nach Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie können die Angaben über den Jahresurlaub, die Kündigungsfristen, die Höhe des Arbeitsentgelts und die normale Tages- und Wochenarbeitszeit durch einen Hinweis auf geltende Vorschriften oder Tarifvertragsbestimmungen ersetzt werden. Änderungen, die die wesentlichen Punkte des Arbeitsvertrages oder des Arbeitsverhältnisses betreffen, müssen ebenfalls grundsätzlich in schriftlicher Form erfolgen (Art. 5). Der Geltungsbereich der Richtlinie umfaßt alle Arbeitnehmer, die einer mitgliedstaatlichen Arbeitsrechtsordnung unterliegen (Art. 1 Abs. 1). Allerdings können die Mitgliedstaaten nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie verschiedene Arbeitsverhältnisse vom Geltungsbereich ausnehmen. Diese Ausnahmen betreffen erstens Arbeitsverhältnisse mit einer Dauer von höchstens einem Monat, zweitens Arbeitsverhältnisse, deren Wochenarbeitszeit nicht mehr als 8 Stunden beträgt, und drittens Arbeitsverhältnisse, die eine Gelegenheitsarbeit und/oder eine Tätigkeit besonderer Art betreffen, sofern in diesen Fällen objektive Gründe die Nichtanwendung rechtfertigen.

126

Ebd., erster und zweiter Erwägungsgrund.

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

207

Für im Ausland tätige Arbeitnehmer gelten verschiedene Sonderregeln. Den Mitgliedstaaten bleibt es unbenommen, für Arbeitnehmer günstigere Vorschriften anzuwenden oder zu erlassen bzw. tarifvertragliehe Bestimmungen zu fördern oder zu ermöglichen (Art. 7). Kommt der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen aus der Richtlinie nicht nach, sind von den Mitgliedstaaten diejenigen Vorschriften vorzusehen, die zur außergerichtlichen und gerichtlichen Geltendmachung der Rechte notwendig sind (Art. 8 Abs. 1). Dabei können die Mitgliedstaaten die gerichtliche Geltendmachung vom Vorliegen einer innerhalb einer Frist von 15 Tagen unerwidert gebliebenen Mahnung des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber abhängig machen (Art. 8 Abs. 2). Nach ihren Schlußbestimmungen ist die Richtlinie bis spätestens zum 30.6.1993 von den Mitgliedstaaten umzusetzen (Art. 9 Abs. 1). Soweit ersichtlich, hat bisher kein Mitgliedstaat die Umsetzung vorgenommen. b) Bewertung der an der Richtlinie geübten Kritik Die Richtlinie ist sowohl in bezug auf die gewählte Rechtsgrundlage als auch in bezug auf ihren Inhalt kritisiert worden. 00)

Kritik an der gewählten Rechtsgrundlage

Die Wahl von Art. 100 EWGV als Rechtsgrundlage der Richtlinie, der bereits im Richtlinienvorschlag der Kommission als Rechtsgrundlage angeführt worden war, ist auf Kritik unterschiedlicher Art getroffen. Das EP bemängelte, diese Rechtsgrundlage sei nicht angemessen, vielmehr sei als solche Art. 118 a EWGV heranzuziehen gewesen.l 27 Hierzu führte die Abgeordnete Salisch aus, bei den Bestimmungen gehe es eindeutig um einen verstärkten Schutz der Arbeitnehmer, wofür Art. 118 a EWGV die geeignete Vorschrift sei. 128 Nach der in dieser Arbeit vertretenen Auslegung des Art. 118 a EGV, die im vorherigen Kapitel eingehend dargelegt wurde, kann diese Vorschrift al121 128

Entschließung vom 8.7.1991, ABI. C 240/21. Verhandlungen des EP, Nr. 3-406/152 (Sitzung vom 11.6.1991).

208

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

lein Rechtsgrundlage für Maßnahmen sein, die in einem engen Zusammenhang zum Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer stehen. Gegenstand der RL 911533/EWG ist jedoch die Regelung arbeitsrechtlicher Fragen,129 ohne daß ein konkreter Bezug zum Sicherheits- und Gesundheitsschutz erkennbar würde. Damit kam auch Art. 100 a EWGV, der in Abs. 2 die Bestimmungen über die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer ausdrücklich ausnimmt, nicht als Rechtsgrundlage in Betracht. 130 In ihrer Begründung des Vorschlags hatte die Kommision zur Rechtsgrundlage ausgeführt, daß es sich um eine Richtlinie zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten mit unmittelbarer Auswirkung auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes handele und daher Art. 100 EWGV heranzuziehen seLl3l Diese rechtliche Bewertung der Kommission wurde auch vom WSA geteilt. 132 Die Kommission räumte allerdings später ein, daß ihre Entscheidung "nach sehr sorgfältiger Erörterung" gefallen sei,133 woraus angesichts der Debatten im EP wohl darauf geschlossen werden kann, daß auch Überlegungen im Hinblick auf die Wahl von Art. 118 a EWGV als Rechtsgrundlage des Vorschlags in Betracht gezogen wurden. Der deutsche Bundesrat äußerte im Hinblick auf die gewählte Rechtsgrundlage des Art. 100 EWGV Bedenken, da nach seiner wiederholt vertretenen Auffassung arbeitsschutzrechtliche Vorschläge nur insoweit in Art. 100 EWGV eine Rechtsgrundlage fänden, als die zu harmonisierenden Vorschriften hinreichend wettbewerbsrelevant seien. Nicht ersichtlich sei aber, inwiefern wettbewerbsrelevante Unterschiede bestünden, die durch einen nach Eingehung des Arbeitsverhältnisses auszustellenden Nachweis beseitigt werden könnten. 134 Diese Kritik vermag indessen nicht zu überzeugen, da sich aus Art. 100 EGV keine Beschränkung der nach dieser Vorschrift möglichen An129 Däubler spricht davon, daß hier ein "Kembereich" des Arbeitsrechts Gegenstand einer gemeinschaftsrechtlichen Normierung geworden ist, s. dazu NZA 1992, 577. 130 So auch die Stellungnahme vom Vorsitzenden des EP-Ausschusses für Recht und Bürgerrechte Graf Staujfenberg, Dok. A 3-0141/91 vom 24.5.1991. 131 KOM (90) 563 vom 8.1.1991, 3. 132 Stellungnahme des WSA zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über einen Nachweis für Arbeitsverhältnisse vom 24.4.1991, ABI. C 159/32. 133 So ausdrücklich das Kommissionsmitglied MillM, in: Verhandlungen des EP, Nr. 3406/155 (Sitzung vom 11.6.1991). 134 Beschluß des deutschen Bundesrates vom 17.5.1991 zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über einen Nachweis für Arbeitsverhältnisse, BR-Drs. 133/91,2. VgI. auch den Beschluß des Bundesrates vom 14.12.1990, BR-Drs. 609/90.

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

209

gleichungsmaßnahmen auf die Verfolgung lediglich wirtschaftlicher Ziele ergibt. 135

bb)

Inhaltliche Kritik

Die inhaltliche Kritik an der Richtlinie betrifft ihren Geltungsbereich (Art. 1), den Zeitpunkt der Aushändigung des Schriftstücks (Art. 3) und die zur Verteidigung der Rechte notwendige Mahnung (Art. 8 Abs. 2). Im Hinblick auf den Geltungsbereich der Richtlinie, die nicht anwendbar sein soll, wenn die Mitgliedstaaten von der ihnen nach Art. 1 Abs. 2 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen und bestimmte Arbeitsverhältnisse ausnehmen, ist vom Schrifttum bemängelt worden, daß es sich hierbei um "eine Reihe nicht unwichtiger Ausnahmen handele" .136 Die Kritik ist wohl dahin gehend zu verstehen, daß den Mitgliedstaaten, erleichtert durch den nicht eindeutigen Begriff der "Gelegenheitsarbeit", zu große Freiräume eingeräumt werden. 137 Noch weiter geht die diesbezügliche Kritik des deutschen Bundesrates, der bereits an dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission, nach dessen Art. 1 Abs. 2 allein Arbeitsverhältnisse mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von höchstens acht Arbeitsstunden vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen bleiben sollten, Kritik geübt hatte. Er forderte, daß grundsätzlich alle Arbeitsverhältnisse von der Richtlinie erfaßt werden und Ausnahmen sachlich begründet werden müßten. Die sachliche Rechtfertigung der Ausnahme für die bis zu acht Stunden Beschäftigten sei nicht erkennbar. Eine derartige Ausnahme könne wegen des hohen Frauenanteils, der in diesen Beschäftigungsverhältnissen vorherrsche, als mittelbare Diskriminierung angesehen werden. Als zusätzliches Argument führte er an, daß gerade in diesen Arbeitsverhältnissen häufig Unklarheiten über Arbeitszeiten und Urlaub bestünden. 138 Diese gegen den "eingeschränkten" Geltungsbereich der Richtlinie Vgl. GTE-Taschner, Art. 100 Rn. 33. NZA 1992, 578. 137 Ders., ebd. 138 Beschluß des deutschen Bundesrates vom 17.5.1991, BR-Drs. 133/91,3. Vgl. dazu auch die vom EP am 8.7.1991 vorgeschlagene Änderung Nr. 15, nach der Art. 1 Abs. 2 des Kommissionsvorschlags ersatzlos entfallen sollte, ABI. C 240/16 (18). 135

136 Däubler,

14 Kuhn

210

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaft1icher Maßnahmen

vorgebrachten Bedenken erscheinen durchaus berechtigt; abzuwarten bleibt jedoch, ob und in welchem Umfang die Mitgliedstaaten von der Möglichkeit der Beschränkung des Geltungsbereichs der Richtlinie nach Art. lAbs. 2 Gebrauch machen werden. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Aushändigung des Schriftstücks, das dem Arbeitnehmer nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie spätestens zwei Monate nach Aufnahme der Arbeit übergeben sein muß, ist vom deutschen Bundesrat dahin gehend Kritik geübt worden, daß nur eine vor Dienstbeginn ausgehändigte Nachweiserklärung die erforderliche Information des Arbeitnehmers über die ihm zustehenden Rechte und Pflichten gewährleiste. 139 Dieser Kritik ist insoweit zuzustimmen, als eine vor Dienstbeginn ausgehändigte Nachweiserklärung eine erhebliche Verbesserung der Position des Arbeitnehmers mit sich brächte, da er noch vor Arbeitsaufnahme seinen diesbezüglichen Entschluß überprüfen könnte. Schließlich ist die zur Verteidigung der Rechte notwendige Mahnung (Art. 8 Abs. 2) vom Schrifttum kritisiert worden. Danach können die Mitgliedstaaten eine gerichtliche Geltendmachung der Rechte des Arbeitnehmers davon abhängig machen, daß der Arbeitgeber zunächst erfolglos abgemahnt wurde. Im Hinblick auf diese Regelung wurde den Verfassern der Richtlinie vorgeworfen, nicht "sehr viel Realitätssinn" entwickelt zu haben.l 40 Begründet wurde dies mit dem Argument, daß derjenige, der abhängig und ersetzbar sei, sich hüten werde, den Unwillen des Arbeitgebers zu provozieren. Beispielhaft wird die auf der Basis eines 1O-Stunden-Vertrages beschäftigte Verkäuferin genannt, die ihren Arbeitgeber schwerlich formal abmahnen oder verklagen werde. 141 Auf diese Weise würden oft nur Betriebsratsmitglieder oder besonders geschützte Arbeitnehmergruppen in der Lage sein, die von der Richtlinie vorgesehenen Rechte erfolgreich geltend zu machen. 142 Dieser Kritik ist in vollem Umfang zuzustimmen. Der Schutzzweck der Richtlinie würde verfehlt, wenn man von einem Arbeitnehmer erwartet, daß er bei Nichtaushändigung eines die wesentlichen Angaben seines Arbeitsverhältnisses enthaltenden Schriftstücks innerhalb der von der Richtlinie vorgeseBeschluß des Bundesrates vom 17.5.1991, ebd. NZA 1992, 578. 141 Ders., ebd. 142 Ebd.

139

140 Däubler,

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

211

henen Frist, d.h. nur kurze Zeit nach der Arbeitsaufnahme, gegen seinen Arbeitgeber vorgehen solle. Angemessener erscheint es daher, die Verteidigung der Rechte der Arbeitnehmer auf andere Weise zu gewährleisten. Zu erwägen wäre beispielsweise, wie vom Schrifttum vorgeschlagen, die Nichtaushändigung des Schriftstücks mit den für den Arbeitsvertrag wesentlichen Angaben nach Fristablauf als Ordnungswidrigkeit einzustufen. 143 Weniger empfehlenswert dürfte es sein, eine routinemäßige Umfrage des Betriebsrates bei neu beschäftigten Personen nach Fristablauf und - im Falle der Nichtaushändigung des Schriftstücks - ein weiteres Vorgehen des Betriebsrates vorzusehen. Einerseits sind auf Gemeinschaftsebene Fragen der Mitbestimmung und demzufolge auch der Kompetenzen eines Betriebsrates höchst umstritten. l44 Andererseits würden durch eine solche Regelung Arbeitnehmer in Kleinbetrieben vom Schutzbereich des Rechtsaktes ausgenommen, da für diese Form der Betriebe häufig keine die Mitbestimmung der Arbeitnehmer wahrnehmenden Organe vorgeschrieben sind. c) Ergebnis Während die an der Rechtsgrundlage der Richtlinie, nämlich Art. 100 EWGV, geübte Kritik nicht zu überzeugen vermag, da diese Vorschrift den Richtlinieninhalt deckt, ist der in bezug auf den Richtlinieninhalt geübten Kritik teilweise zuzustimmen. Geht man von Sinn und Zweck des Rechtsaktes aus, der von einer Verbesserung der rechtlichen Stellung des Arbeitnehmers geleitet ist, müssen die den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeiten, den Geltungsbereich der Richtlinie zu beschränken (Art. 1 Abs. 2) und die Verteidigung der Rechte an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen (Art. 8), als zu weitgehend erscheinen, da sie geeignet sind, den durch die Richtlinie bezweckten Schutz in einem nicht unbedeutenden Maße auszuhöhlen. Positiv ist hervorzuheben, daß die Richtlinienbestimmungen für "Normalarbeitsverhältnisse" , d.h. gewöhnliche voll- und teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, eine nicht unwesentliche Stärkung der Rechte des Arbeitnehmers be143 144

Ebd. Vgl. dazu oben, 1. Teil, C.m.4.g.

212

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

deuten werden. 145 Auch in anderem Zusammenhang beanstandete Schutzlükken, wie etwa die bei Betrieben ohne Arbeitnehmervertretung und Betrieben mit nur einem Arbeitnehmervertreter nicht in der RL 77/187/EWGI46 vorgesehene Verpflichtung des Arbeitgebers zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer im Falle eines Betriebsüberganges, 147 werden geschlossen, indem nunmehr jede Änderung bestimmter Angaben schriftlich erfolgen muß (Art. 5). 2. Inhaltliche Gestaltung des Arbeitsverhältnisses

Seit Mitte der siebziger Jahre ist die inhaltliche Gestaltung des Arbeitsverhältnisses zum Gegenstand der Gemeinschaftsrechtsetzung geworden. Wie bereits im ersten Teil dargestellt wurde, sind insbesondere drei auf Art. 100 EWGV gestützte Richtlinien des Rates von besonderer Bedeutung, die sich auf den Schutz vor Massenentlassungen (RL 75/129/EWG),148 die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (RL 771187/EWG)149 sowie auf den Schutz vor Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (RL 80/987/EWG)150 beziehen. Aus der Anzahl der dem Gerichtshof vorgelegten Auslegungsfragen geht hervor, daß die Anwendung der beiden letztgenannten Rechtsakte in der Praxis größere Schwierigkeiten als die den Schutz vor Massenentlassungen betreffende Richtlinie bereitet. Aus "diesem Grund konzentrieren sich die folgenden Erörterungen auf die rechtliche Bewertung der Richtlinien 771187/EWG und 80/987/EWG. 145

Karpenstein, 163.

Richtlinie vom 14.2.1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen, ABI. L 61/26. 141 Colneric, FS Ernst Steindorff, 1140. 148 Richtlinie vom 17.2.1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (751l29/EWG), ABI. L 48/29; geändert durch Richtlinie vom 24.6.1992, ABI. L 245/3. 149 Richtlinie vom 14.2.1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (771l87IEWG), ABI. L 61/26. ISO Richtlinie vom 20.10.1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunf"ahigkeit des Arbeitgebers (80/987IEWG), ABI. L 283/23. 146

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

213

a) RL 77/187/EWG 00)

Inhalt der Richtlinie

Zweck der RL 77/187/EWG ist es, die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel zu schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Anspruche zu gewährleisten. 151 Aus diesem Grund sieht die Richtlinie vor, daß bei einer vertraglichen Übertragung oder Verschmelzung die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis auf den Erwerber übergehen (Art. 1 und 3). Dabei können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß der Veräußerer neben dem Erwerber noch nach dem Übergang für Pflichten aus einem Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis einzustehen hat (Art. 3 Abs. 1). Die zum Zeitpunkt des Übergangs in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bleiben für mindestens ein weiteres Jahr in Kraft (Art. 3 Abs. 2). Für die Rechte der Arbeitnehmer auf Leistungen bei Alter, bei Invalidität oder für Hinterbliebene aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten gelten die Regelungen des Art. 3 Abs. 1 und 2 allerdings nicht (Art. 3 Abs. 3). Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer sowie der Personen, die zum Zeitpunkt des Übergangs bereits aus dem Betrieb des Veräußerers ausgeschieden sind, hinsichtlich deren Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter einschließlich der Leistungen für Hinterbliebene (Art. 3 Abs. 3). Für den Veräußerer oder den Erwerber stellt der Übergang keinen KÜDdigungsgrund dar (Art. 4). Weitere Bestimmungen betreffen den Einfluß des Übergangs auf die Arbeitnehmervertretung (Art. 5) und deren Information und Konsultation (Art. 6). In den Schlußbestimmungen ist festgelegt, daß die Richtlinie nicht die Möglichkeit der Mitgliedstaaten einschränkt, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zu erlassen (Art. 7).

ISI Zweiter Erwägungsgrund der Richtlinie, ABI. L 61/26 (1977); s. auch EuGH, Rs. C-

392/92 (Schmidt), Urt. vom 14.4.1994, Rn. 15 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröf-

fentlicht) .

214

bb)

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnalunen

Vom Mitgliedstaat vorgesehenes Widerspruchsrecht als Verletzung der Richtlinie?

Wie eben ausgeführt, gehen nach Art. 3 der Richtlinie die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnis auf den Erwerber über. Diese Regelung dürfte dem Interesse der Arbeitnehmer entsprechen, denen in der überwiegenden Zahl der Fälle am Bestand ihrer Arbeitsverhältnisse und somit an einer Tätigkeit für den Erwerber des Unternehmens gelegen sein wird. Denkbar sind aber auch Fälle, in denen ein einzelner Arbeitnehmer gleich aus welchen Gründen - das Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber des Unternehmens nicht fortsetzen und den von der Richtlinie gewährten Schutz nicht in Anspruch nehmen will. Im deutschen Recht wird dem betroffenen Arbeitnehmer in einem solchen Fall ein - von der Rechtsprechung entwickeltes - Widerspruchsrecht eingeräumt, obwohl der Wortlaut des § 613 a BGB einen derartigen Verzicht nicht vorsieht. 152 Die Vereinbarkeit eines vom innerstaatlichen Recht gewährten Widerspruchsrechts mit den Richtlinienbestimmungen war im deutschen Schrifttum kontrovers diskutiert worden; sie bildete den Gegenstand der Entscheidung des Gerichtshofs vom 16.12.1992 (Katsikas u.a.).153 Bevor auf diese Entscheidung eingegangen wird, werden die insoweit vertretenen unterschiedlichen Auffassungen kurz dargestellt. Die Frage, ob das von der Rechtsprechung anerkannte Widerspruchsrecht gegen die Richtlinie verstoße, ist, obwohl die RL 77/187 /EWG bereits im Jahre 1980 in deutsches Recht umgesetzt wurde,154 erst nach der Entscheidung des Gerichtshofs in den verb. Rs. 144 und 145/87 (Berg und Busschers) aus dem Jahre 1988 verstärkt im Schrifttum diskutiert worden. Anlaß hierfür war die vom Gerichtshof in dieser Entscheidung vorgenommene Auslegung 152 Ständige Rspr. des BAG seit dem Urteil vom 2.10.1974, BAG 26, 301; s. aus jüngerer Zeit die Urteile vom 20.4.1989, BAG 61, 369, und vom 22.4.1993, NJW 1994,2170. Vgl. da-

zu Zöllner / Loritz, 235.

153 EuGH, verb. Rs. C-132/91 , C-138/91 und C-139/91 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). Ein diese Frage betreffendes Vorabentscheidungsersuchen des ArbG Bonn, Rs. C-126/92, ABI. C 135/17 (1992), wurde inzwischen wieder gestrichen, ABI. C 153/4

(1993).

154 Gesetz über die GIeichbehandlung von Männem und Frauen am Arbeitsplatz und über die Erhaltung von Ansprüchen bei Betriebsübergang (Arbeitsrechtliches EG-Anpassungsgesetz) vom 13.8.1980, BGBI. I, 1308.

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

215

von Art. 3 der Richtlinie. Insoweit wurde festgestellt, daß - vorbehaltlich einer vom nationalen Recht eingeräumten gesamtschuldnerischen Haftung des Veräußerers und des Erwerbers ab dem Zeitpunkt des Übergangs - der Veräußerer nach dem Zeitpunkt des Übergangs von seinen Pflichten aus dem Arbeitsvertrag oder dem Arbeitsverhältnis allein aufgrund des Übergangs befreit ist, selbst wenn die betroffenen Arbeitnehmer dem nicht zustimmen oder Einwände dagegen erheben. 155 Der Gerichtshof begründete dies mit dem Argument, daß der Übergang des Unternehmens ipso jure den Übergang der Arbeitgeberpflichten aus dem Arbeitsvertrag oder -verhältnis vom Veräußerer auf den Erwerber bewirkt. 156 Aus diesem Urteil wurde von Teilen des deutschen Schrifttums geschlossen, daß für die Beibehaltung der Auslegung des § 613 a BGB "endgültig kein Spielraum mehr" sei 157 und - weitergehender - daß die bisherige Rechtsprechung des BAG zumindest seit Inkrafttreten der RL 771187/EWG gemeinschaftswidrig bzw. "Makulatur" sei. 158 Zur Begründung dieser Auffassung wurde zum einen darauf verwiesen, daß auch ohne Widerspruchsrecht kein Arbeitnehmer gezwungen sei, für den Betriebserwerber tätig zu werden, da er jederzeit sein Arbeitsverhältnis kündigen könne; 159 hiergegen läßt sich jedoch einwenden, daß nach deutschem Recht bei einer Lösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer vor dem Bezug des Arbeitslosengeldes eine Sperrfrist von mehreren Wochen eintreten kann (§ 119 AFG), zudem scheidet eine Abfmdung des Arbeitnehmers für den Verlust des Arbeitsplatzes bei einer durch ihn selbst ausgesprochenen Kündigung aus (§§ 9, 10 KSchG). Zum anderen wurden rechtspolitische Überlegungen angestellt und ausgeführt, daß keine Veranlassung bestünde, die mutwillige Aufgabe des Arbeitsplatzes und die damit verbundene Inanspruchnahme des sozialen Netzes durch das Widerspruchsrecht zu fördern. l60

EuGH, verb. Rs. 144 und 145/87 (Berg und Busschers), Slg. 1988,2559 (2582). Ebd., 2581 f. 157 Bauer, NZA 1990, 883; vgl. auch ders., NZA 1991, 139. 158 Meilicke, OB 1990, 1770; Birk, RIW 1989, 14. 159 Meilicke, OB 1991, 1326. 160 Ders., ebd., 1327.

155

156

216

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

Im Gegensatz dazu sah ein anderer Teil des Schrifttums die Gewährung eines Widerspruchsrechts als mit der Richtlinie vereinbar an. 161 Begründet wurde dies in erster Linie damit, daß das Widerspruchsrecht eine unter Art. 7 der Richtlinie fallende günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschrift darstelle. 162 Weitere Überlegungen betrafen die Frage, ob Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie tatsächlich den Übergang des Arbeitsverhältnisses mit zwingender Wirkung für den Arbeitnehmer vorschreibe. 163 Diesen Streit dürfte das genannte Urteil des Gerichtshofs Katsilcas u.a. beigelegt haben. Der Gerichtshof entschied dahin gehend, daß es Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie einem Arbeitnehmer, der im Zeitpunkt des Übergangs seines Arbeitsvertrages i.S.v. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie beim Veräußerer beschäftigt ist, nicht verwehrt, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zu widersprechen. Im Ergebnis bleibt das deutsche Widerspruchsrecht somit unangetastet. Überraschend vermag auf den ersten Blick die Tatsache erscheinen, daß der Gerichtshof die Vereinbarkeit des Widerspruchsrechts mit dem Rechtsakt nicht aus Art. 7, sondern aus Art. 3 herleitet. Bei näherer Betrachtung wird dieses Vorgehen allerdings einsichtig. In seinen Ausführungen zu Art. 3 der Richtlinie verweist der Gerichtshof zunächst auf die Zielsetzung der RL 77/187/EWG. Diese solle die Aufrechterhaltung der Rechte der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Inhabers des Unternehmens gewährleisten, indem den Arbeitnehmern die Möglichkeit eingeräumt werde, ihr Beschäftigungsverhältnis in unveränderter Form mit dem neuen Arbeitgeber fortzusetzen. l64 Hingegen bezwecke die Richtlinie nicht die Fortsetzung des Arbeitsvertrages oder Arbeitsverhältnisses mit dem Ver-

161 F. Löw, DB 1991, 548; dies., Betriebsveriußerung, 117; Hit1feld, 201; Heither, 136; Oetker, 138; von Alvensleben, 267; Joost, 222; Jaeger, AiB 1991, 39; Gaul, Betriebsübergang, 222; so wohl auch Hanau / Adomeit, 65. Eine Klärung der Frage durch eine Vorlage des BAG an den EuGH wurde von Lenz / MlJIIs angeregt. 162 F. Löw, ebd.; Hit1feld, ebd; Heither, ebd.; Oetker, ebd.; unklar von Alvensleben, ebd. 163 F. Löw, ebd. 164 Rn. 21 des Urteils; st. Rspr., s. dazu EuGH, Rs. 19/83 (Wendelboe), Slg. 1985, 457 (466 f.); Rs. 105/84 (Mikkelsen), Slg. 1985, 2639 (2650 f.); Rs. 287/86 (Ny Mt/llie Kro), Slg. 1987,5465 (5483); Rs. 362/89 (D'Urso), Slg. 1991,1-4105 (1-4142 f.).

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

217

äußerer für den Fall, daß die in dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer nicht für den Erwerber tätig werden wollten. 165 Ausgehend von der Zielsetzung der Richtlinie stellt der Gerichtshof fest, daß dieser Schutz gegenstandslos sei, wenn der von einem Unternehmensübergang betroffene Arbeitnehmer selbst, aufgrund seiner eigenen und freien Entscheidung, das Arbeitsverhältnis nach einem Unternehmensübergang mit dem neuen Unternehmensinhaber nicht fortsetze. In einem solchen Fall fmde die Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie keine Anwendung. Dies folge bereits aus seiner früheren Rechtsprechung, wonach er eine freie Entscheidung des Arbeitnehmers, das Arbeitsverhältnis nicht fortzusetzen, im Falle einer Kündigung des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt des Übergangs sowie ferner für den Fall angenommen habe, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund einer aus freien Stücken zwischen dem Arbeitnehmer und dem Veräußerer bzw. dem Erwerber des Unternehmens getroffenen Vereinbarung mit Wirkung zum Zeitpunkt des Übergangs beendet werde. 166 Aus dieser Argumentation wird deutlich, daß der Gerichtshof dem Widerspruch die gleiche Wirkung wie einer Kündigung bzw. einem Aufhebungsvertrag beimißt. Dies erscheint folgerichtig, denn in all diesen Fällen wird der Wille des Arbeitnehmers, für den Erwerber nicht tätig werden zu wollen, unzweifelhaft erkennbar. Dieser Wille wird allerdings auf unterschiedliche Weise dokumentiert, da es sich bei einer Kündigung und einem Widerspruch um einseitige, allein vom Arbeitnehmer vorzunehmende Rechtsgeschäfte handelt,167 während ein Aufhebungsvertrag nur in beiderseitigem Einvernehmen geschlossen werden kann. Das Urteil Katsi!cas u.a. steht nicht im Widerspruch zu der früheren Rechtsprechung des Gerichtshofs, da sich diese auf andere Sachverhalte bezog. Den Fall, daß der Arbeitnehmer, ohne dem Übergang seines Arbeitsvertrages oder Arbeitsverhältnisses zu widersprechen, Änderungen des Arbeitsvertrages oder Arbeitsverhältnisses mit dem neuen Unternehmensinhaber zu-

34 des Uneils; so auch schon EuGH, verb. Rs. 144 und 145/87 (Berg und 1988,2559 (2581). In dieser Weise ist die Richtlinie auch vom Schrifttum verstanden worden, vgl. Blanpain / Klein, 166; von Alvensleben, 128. 166 EuGH, Rs. 105/84 (Mikkelsen), Slg. 1985, 2639 (2651). 16.5

Rn.

Busschers), Slg.

167

Für den Widerspruch so ausdrücklich auch Birk, Anmerkung.

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2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

stimmt, betraf das Urteil vom 10.2.1988 (Daddy's Dance Hall).l68 Der dänische Hq,jesteret l69 hatte die Frage vorgelegt, ob ein Arbeitnehmer beim Abschluß eines Vertrages mit dem Erwerber eines Betriebs auf Rechte aus der RL 77/187/EWG verzichten könne, wenn er im Zusammenhang damit solche Vorteile erhalte, daß die Änderung der Anstellungsbedingungen ihn insgesamt gesehen nicht schlechter stelle; dies war vom Gerichtshof verneint worden. In der Entscheidung ging es damit um die Disponibilität einzelner Richtlinienbestimmungen, nicht aber, wie in dem Urteil Katsikßs u.a., um den Bestand des Arbeitsvertrages oder Arbeitsverhältnisses insgesamt. Das nur kurze Zeit später ergangene Urteil vom 5.5.1988 (Berg und Busschers)170 betraf in gleicher Weise einen Fall, bei dem nicht der gesamte Bestand des Arbeitsvertrages oder Arbeitsverhältnisses in Frage gestellt wurde. Behandelt wurde allein die Frage, ob Art. 3 Abs. 1 der RL 77/187/EWG so auszulegen sei, daß für das Eintreten der von der Bestimmung vorgesehenen Rechtsfolge (Entlassung des Veräußerers aus der Haftung) die Zustimmung des Arbeitnehmers erforderlich sei. Auch diese Frage wurde vom Gerichtshof verneint. Ein weiteres wichtiges Argument, das gegen einen Übergang des Arbeitsvertrages oder Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber bei Ablehnung durch den Arbeitnehmer spricht, ist darin zu sehen, daß die - gegenteilige - Annahme einer Verpflichtung des Arbeitnehmers, für den Erwerber tätig werden zu müssen, gegen Grundrechte des Arbeitnehmers verstößt. Der Arbeitnehmer muß bei der Wahl seines Arbeitgebers frei sein und kann nicht verpflichtet werden, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, den er nicht frei gewählt. hat. 171 Dieser Argumentation des Gerichtshofs liegen zwei tragende Gedanken zugrunde. Erstens ist der von der Richtlinie gewährte Schutz dann entbehrlich, wenn der betroffene Arbeitnehmer - unerheblich aus welchen Motiven - aus freien Stücken auf ihn verzichten will. Würde man demgegenüber eine Verpflichtung zu einem weiteren Tätigwerden des Arbeitnehmers annehmen, wäre die Zielsetzung der Richtlinie verfehlt, die die Interessen des Arbeitnehmers bei EuGH, Rs. 324/86, Sig. 1988,739. HI/>jesteret ist das höchste Gericht Dänemarks. \70 EuGH, verb. Rs. 144 und 145/87, Sig. 1988, 2559 (2581). \71 Rn. 35 des Urteils Katsikas u.a.

\68

\69

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

219

einem Übergang wahren soll, ihn aber nicht an einem Arbeitsverhältnis festhalten soll, an dessen Bestand er offensichtlich kein Interesse hat. Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle deshalb auch, daß in beiden dem Urteil Katsi/cas u.a. zugrundeliegenden Rechtssachen sich nicht die Arbeitnehmer auf den Schutz der Richtlinie beriefen, sondern deren jeweilige Arbeitgeber. Zweitens ergibt sich aus den Grundrechten des Arbeitnehmers, daß er nicht verpflichtet sein kann, für einen von ihm nicht frei gewählten Arbeitgeber zu arbeiten. Zwar wird in der Urteilsbegründung nicht angegeben, welche Grundrechte hier verletzt sein könnten; anzunehmen ist aber, daß die in allen Mitgliedstaaten zu beachtenden Grundrechte der Berufsfreiheit, der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Würde des Menschen angesprochen sind. Die im Schrifttum unter Verweis auf eine Entscheidung des britischen Oberhauses ("House of Lords") anzutreffende Formulierung, die Möglichkeit der freien Wahl des Arbeitgebers mache den Unterschied zwischen einem Diener und einem Sklaven aus,l72 erscheint zwar - wie an anderer Stelle zutreffend bemerkt wird - "pathetisch", da sie außer acht läßt, daß dem Arbeitnehmer im Falle des Betriebsinhaberwechsels das - ihn vom Sklaven unterscheidende - Recht der Kündigung unbenommen bleibt. 173 Zutreffenderweise muß aber darauf abgestellt werden, daß die Würde eines Arbeitnehmers es verbietet, über ihn als Mensch bei einem Unternehmensübergang wie über einen Gegenstand zu verfügen und ihn praktisch wie einen solchen zu "verkaufen" .174 Hiergegen kann nicht eingewendet werden, daß der Arbeitnehmer auch im Falle einer Universalsukzession - wie beispielsweise dem Erbfall ohne Einfluß auf den Unternehmensübergang bleibt. 175 Der Unterschied einer rechtsgeschäftlichen Übertragung zu einer Universalsukzession liegt nämlich darin, daß im ersteren Fall eine rechtsgeschäftliche Beteiligung des Arbeitnehmers möglich ist, während sie bei der Universalsukzession von vornherein ausscheidet. 176

172 F. Löw, DB 1991,546. 173

Meilicke, OB 1991, 1328.

So auch die Argumentation des BAG bei seiner das Widerspruchsrecht einräumenden Grundsatzentscheidung vom 2.10.1974, BAG 26, 301 (304). 175 So aber Meilicke, OB 1991, 1328. 176 So auch BAG 26,301 (311). 174

220

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

Hinsichtlich der nach einem Widerspruch eintretenden Rechtsfolgen, die von der RL 77/187/EWG nicht geregelt werden, führt der Gerichtshof aus, daß die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht verpflichte, die Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrages oder Arbeitsverhältnisses mit dem Veräußerer für den Fall vorzusehen, daß ein Arbeitnehmer sich frei dafür entscheide, den Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis nicht mit dem Erwerber fortzusetzen. Die Richtlinie stehe dem allerdings auch nicht entgegen. Insoweit obliege es den Mitgliedstaaten, die Rechtsfolgen für diesen Fall zu bestimmen. 177 Dieser Auslegung ist zuzustimmen. Zur Haftung des Veräußerers eines Unternehmens nimmt die Richtlinie allein in Art. 3 Abs. 2 Stellung, wonach die Mitgliedstaaten eine gesamtschuldnerische Haftung des Veräußerers und des Erwerbers nach dem Übergang vorsehen können. Damit bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, Lösungen zu entwickeln für alle anderen (haftungs-) rechtlichen Fragen, die sich aus der Anwendung der Richtlinie ergeben. ce)

Ergebnis

Sinn und Zweck der RL 77/187/EWG ist es, die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel zu schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Anspruche zu gewährleisten. Dieser Zielsetzung wird dadurch Rechnung getragen, daß ein innerstaatlich vorgesehenes Widerspruchsrecht, mit dem der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit einem Erwerber des Unternehmens widersprochen werden kann, weiter bestehen bleibt. Begründet werden hätte die Anerkennung eines Widerspruchrechts auch mit dem Argument, daß hierin eine für den Arbeitnehmer günstigere Rechtsund Verwaltungsvorschrift LS.d. Art. 7 der Richtlinie zu sehen seL178 Der Gerichtshof ist jedoch einen anderen Weg gegangen, indem er das Widerspruchsrecht als nicht vom Schutzbereich der Richtlinie umfaßt angesehen hat. Diese Argumentation erscheint bei näherer Betrachtung überzeugender, da sie auf Sinn und Zweck der Richtlinie abstellt und den Geltungsanspruch Rn. 37 des Urteils Katsikas u.o. Dazu kritisch Buchner, ZfA 1993, 315. Daß dies überzeugender gewesen wäre, vertritt Birk, EuZW 1993, 159. Demgegenüber sieht Ehrich, NZA 1993, 638, diese Frage als durch die Entscheidung Katsikas u.o. als offen gelassen an. 177

178

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

221

eines gemeinschaftlichen Rechtsakts für den Fall zurücknimmt, daß andernfalls der bezweckte Schutz vereitelt würde. b) RL 80/987/EWG 00)

Inhalt der Richtlinie

Zweck der Richtlinie des Rates vom 20.10.1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (80/987/EWG)179 ist es, eine Verbesserung der rechtlichen Stellung der Arbeitnehmer, die hinsichtlich ihrer Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ungenügend geschützt sind, herbeizuführen. Obwohl auch das nationale Recht den Schutz der Lohnforderung des Arbeitnehmers bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers kennt, erweist sich dieser Schutz häufig als wenig effektiv, da sich andere Vertragspartner des Arbeitgebers durch die Bestellung von Sicherheiten eine vorrangig zu befriedigende Position verschaffen. 180 Nach der Richtlinie gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, wenn ein nach nationalem Recht vorgesehenes Verfahren über das Vermögen des Arbeitgebers zur gemeinschaftlichen Befriedigung seiner Gläubiger beantragt worden ist, durch welches auch Ansprüche aus einem Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis berücksichtigt werden, und die zuständige Behörde entweder die Eröffnung des Verfahrens beschlossen oder festgestellt hat, daß das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die verbliebene Vermögensmasse die Eröffnung des Verfahrens nicht rechtfertigt (Art. 2 Abs. 1). Erreicht werden soll die Sicherung der Arbeitsentgelte durch den Autbau von Garantieeinrichtungen, welche die Befriedigung der nichterfüllten Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen für den vor einem bestimmten Zeitpunkt liegenden Zeitraum erfassen (Art. 3 Abs. 1). Nach Wahl der Mitgliedstaaten ist dieser Zeitpunkt entweder - erstens - der Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers oder - zweitens - der Zeitpunkt der Kündigung zwecks Entlassung des Arbeitnehmers wegen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ABI. L 283/23. Ebd., zweiter Erwägungsgrund; vgl. auch den ersten und zweiten Erwägungsgrund des Kommissionsvorschlags vom 13.4.1978, ABI. C 135/2. 179 180

222

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

oder aber - drittens - der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsvertrages oder des Arbeitsverhältnisses des betreffenden Arbeitnehmers wegen Zahlungsunfabigkeit des Arbeitgebers (Art. 3 Abs. 2). Die Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen kann von den Mitgliedstaaten begrenzt werden, wobei bestimmte Vorgaben zu beachten sind (Art. 4). Bei Autbau, Mittelautbringung und Arbeitsweise der zu errichtenden Garantieeinrichtungen müssen drei Grundsätze beachtet werden: erstens die Unabhängigkeit des Vermögens der Garantieeinrichtung vom Betriebsvermögen der Arbeitgeber; zweitens die Entrichtung von Beiträgen zur Mittelautbringung auch durch den Arbeitgeber, soweit nicht die öffentliche Hand die Garantie in vollem Umfang übernimmt; drittens das unabhängige Bestehen von Zahlungspflicht und Finanzierungspflicht der Einrichtungen (Art. 5). Das einzelstaatliche Recht kann vorsehen, daß Beiträge der Arbeitnehmer zu gesetzlichen Systemen der sozialen Sicherheit oder Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der Garantie bleiben (Art. 6). Allerdings haben die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß den Arbeitnehmern aufgrund der vom Arbeitgeber nicht geleisteten Pflichtbeiträge zu den Systemen der sozialen Sicherheit keine Nachteile entstehen (Art. 7). Die allgemeinen und Schlußbestimmungen enthalten eine GünstigkeitsklauseI (Art. 9) sowie einen Hinweis darauf, daß es den Mitgliedstaaten nicht verwehrt ist, die zur Vermeidung von Mißbräuchen notwendigen Maßnahmen zu treffen bzw. die in Art. 3 vorgesehene Zahlungspflicht oder die in Art. 7 vorgesehene Garantiepflicht abzulehnen oder einzuschränken, wenn sich herausstellt, daß die Erfüllung der Verpflichtung wegen einer zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestehenden Kollusion nicht gerechtfertigt ist (Art. 10).

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

bb)

Haftung der Mitgliedstaaten für die nicht fristgemiiße Umsetzung der Richtlinie

(1)

Das Francovich-Urteil: Sachverhalt und tragende Gründe

223

Vor dem Urteil des Gerichtshofs vom 19.11.1990 in den verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich und Bonifaci, im folgenden: Francovich) , 181 auf das im folgenden im einzelnen eingegangen wird, ist der RL 80/987/EWG keine sonderlich große Beachtung geschenkt worden. Im Hinblick auf die Richtlinie wurde noch im Jahre 1989 die Ansicht vertreten, sie habe "keine übermäßige Aufmerksamkeit auf sich ziehen" 182 können bzw. ihr vor dem Erlaß des genannten Urteils ein "Mauerblümchendasein"183 bescheinigt. Die Entscheidung ist vor folgendem Hintergrund zu sehen: Nach Art. 11 der RL 80/987/EWG hatten die Mitgliedstaaten innerhalb einer Frist, die im Oktober 1983 ablief, die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um den Richtlinienbestimmungen nachzukommen. Dieser Verpflichtung kam die Italienische Republik nicht nach, weshalb die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien einleitete. Mit Urteil vom 2.2.1989 in der Rs. 22/87 (Kommission/Italien) stellte der Gerichtshof einen Vertragsverstoß der Italienischen Republik gegen den EWG-Vertrag aufgrund der nicht fristgemäßen Umsetzung fest. 184 Dem Francovich-Urteil selbst lag folgender Sachverhalt zugrunde: Mehrere italienische Arbeitnehmer, deren Lohnansprüche wegen Zahlungsunfähigkeit ihrer Arbeitgeber nicht befriedigt werden konnten, verklagten den italienischen Staat auf Zahlung des rückständigen Lohns nach Maßgabe der Bestimmungen der RL 80/987/EWG. Hilfsweise begehrten sie vom italienischen Staat Schadensersatz. Die angerufenen nationalen Gerichte legten dem Gerichtshof daraufhin u.a. die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob sich die Kläger unmittelbar gegenüber dem säumigen Mitgliedstaat auf die Bestimmungen der nicht umgesetzten Richtlinie berufen könnten bzw. für den Fall, Slg. 1991,1-5357, inzwischen bestätigt durch EuGH, Rs. C-334/92 (Wagner Miret), Urt. 16.12.1993 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). 182 Birk, RIW 1989, 14. 183 Klinke, 25; vgl. auch Lutter, 125. 184 Slg. 1989, 143 (172). Auch gegen Griechenland erging ein entsprechendes Urteil, s. dazu Rs. C-53/88 (Kommission/Griechenland), Slg. 1990,1-3917 (1-3938). 181

vom

224

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

daß eine unmittelbare Berufung nicht in Betracht komme, ob sie Ersatz für den sich aus der unterbliebenen Umsetzung der Richtlinie entstandenen Schaden verlangen könnten. Da die Entscheidung von besonderer Bedeutung ist, werden ihre tragenden Urteilsgründe näher erörtert. Kernpunkt der Entscheidung ist die Aussage des Gerichtshofs, nach der die Bestimmungen der RL 80/987/EWG dahin gehend auszulegen seien, daß die Betroffenen ihre Rechte mangels fristgemäß erlassener Durchführungsmaßnahmen nicht gegenüber dem Staat vor dessen nationalen Gerichten geltend machen können. Allerdings habe ein Mitgliedstaat die Schäden zu ersetzen, die den einzelnen durch die Nichtumsetzung der RL 80/987/EWG entstünden. Zur unmittelbaren Wirkung der Richtlinienbestimmungen, die die Rechte der Arbeitnehmer festlegen, führte der Gerichtshof aus, daß diese nicht in jeder Hinsicht als unbedingt und hinreichend genau erschienen. Eine derartige Prüfung müsse sich auf drei Gesichtspunkte erstrecken, nämlich erstens auf die Bestimmung des Personenkreises, dem die vorgesehene Garantie zugute kommen solle, zweitens auf den Inhalt der Garantie und drittens auf die Person des Schuldners der Garantieansprüche,185 Sowohl die Bestimmung des von der Richtlinie zu schützenden Personenkreises als auch der Inhalt der Garantie ließen sich ohne große Mühe ersehen. Aus dem Rechtsakt werde deutlich, daß für den zu schützenden Personenkreis die Arbeitnehmereigenschaft nach nationalem Recht gefordert werde. Für den Inhalt der Garantie räume Art. 3 der Richtlinie den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht hinsichtlich der Festsetzung des Zeitpunkts zu, von dem an die Befriedigung der Ansprüche garantiert werden müsse. 186 Der Gerichtshof verweist insoweit auf frühere Urteile, nach denen die Tatsache, daß ein Staat zwischen zahlreichen möglichen Mitteln zur Erreichung des durch eine Richtlinie vorgeschriebenen Ziels wählen kann, nicht ausschließe, daß einzelne sich vor nationalen Gerichten auf Rechte berufen, deren Inhalt sich bereits aufgrund der Richtlinie mit hinreichender Genauigkeit bestimmen lasse. 187 Auch im vorliegenden Fall schreibe die RL 80/987/EWG das Ziel, den Arbeitnehmern bei Sig. 1991, 1-5357 (1-5408). Ebd., 1-5409. 187 EuGH, Rs. 286/85 (McDermott und Cotter), Sig. 185

186

1987, 1453 (1467).

A. Individuelle Arbeitsverbältnisse

225

Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers die Befriedigung ihrer nichterfüllten Ansprüche zu garantieren, mit hinreichender Genauigkeit und Unbedingtheit vor. Daß den Mitgliedstaaten ein gewisser Gestaltungsspielraum in bezug auf die Methoden für die Festsetzung der Garantie und die Begrenzung des Garantiebetrags eingeräumt werde, ändere daran nichts. Dies folge daraus, daß für die in der Richtlinie vorgesehene Mindestgarantie der Zeitpunkt zugrundezulegen sei, bei dessen Wahl die Garantieeinrichtung am wenigsten belastet werde. Dies sei der Zeitpunkt der ZahlungsUJÜahigkeit des Arbeitgebers. 188 Das Vorliegen der letzten zu erfüllenden Voraussetzung, nämlich die hinreichende Bestimmtheit der Person des Schuldners der Garantieansprüche, erachtete der Gerichtshof als nicht gegeben. Er begründete seine Auffassung damit, daß der Mitgliedstaat bei der Einrichtung des nach Art. 5 der Richtlinie vorgesehenen Garantiesystems über einen großen Gestaltungsspielraum in bezug auf Aufbau, Arbeitsweise und Aufbringung der Mittel verfüge. Insoweit könne die Tatsache, daß die Richtlinie die vollständige Finanzierung eines Garantiesystems durch die öffentliche Hand als eine von mehreren Möglichkeiten vorsehe, nicht dazu führen, den Staat als Schuldner der nichterfüllten Ansprüche anzusehen. Dies folge daraus, daß die Zahlungsverpflichtung zunächst die Garantieeinrichtung treffe und erst dann, wenn der betreffende Staat seine Befugnis zur Einrichtung des Garantiesystems in der Weise ausübe, daß er die vollständige Finanzierung der, Garantieeinrichtung durch die öffentliche Hand vorsehe, der Staat als Schuldner angesehen werden könne. 189 Aufgrund dieser Erwägungen seien die Bestimmungen der RL 80/987/EWG dahin auszulegen, daß die betroffenen Arbeitnehmer mangels fristgemäß erlassener Durchführungsmaßnahmen diese Rechte nicht vor den nationalen Gerichten dem Staat gegenüber geltend machen könnten. Zu dem Problem, ob und in welchem Umfang der Staat für Schäden hafte, die durch eine Verletzung seiner gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen verursacht werden, führte der Gerichtshof aus, daß in diesem Zusammenhang das allgemeine System und die fundamentalen Grundsätze des Vertrages zu prüfen seien. In bezug auf die Frage, ob ein Staat unter den genannten Vor188 Slg. 1991, 1-5357 (1-5410). 189 Ebd., 1-5412. IS Kuhn

226

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

aussetzungen hafte, legte er dar, daß die durch den EWG-Vertrag geschaffene eigene Rechtsordnung in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von den nationalen Gerichten anzuwenden sei. 190 Nach seiner ständigen Rechtsprechung müßten die nationalen Gerichte, die im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anwenden, die volle Wirkung dieser Bestimmungen gewährleisten und die Rechte, die das Gemeinschaftsrecht den einzelnen verleihe, schützen. 191 Wenn die einzelnen nicht die Möglichkeit hätten, für den Fall einer Verletzung ihrer Rechte durch einen dem Mitgliedstaat zurechenbaren Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht eine Entschädigung zu erlangen, wäre die volle Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen beeinträchtigt und der Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert. Vor allem dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die volle Wirkung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen, die dem einzelnen Rechte einräumen, von einem Tätigwerden des Staates abhängig sei und die einzelnen im Falle der Untätigkeit des Staates diese Rechte nicht vor den nationalen Gerichten geltend machen könnten, sei die Möglichkeit einer Entschädigung unerläßlich. Für diese Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Schadensersatz spreche auch Art. 5 EWGV, nach dem die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der sich aus dem Vertrag oder aus Handlungen der Gemeinschaftsorgane ergebenden Verpflichtungen zu treffen haben. Zu diesen Verpflichtungen gehöre es auch, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht zu beheben. 192 Nachdem der Gerichtshof die Frage, ob der Staat haftet, bejaht hatte, legte er die Voraussetzungen eines gegen den Staat gerichteten Entschädigungsanspruchs im einzelnen dar. Er führte aus, daß die Voraussetzungen der Staatshaftung von der Art des dem verursachten Schaden zugrundeliegenden Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht abhingen. Im Falle des Verstoßes eines Ebd., 1-5413. EuGH, Rs. 106/77 (Simmenthal), Sig. 1978, 629 (643 f.); Rs. C-213/89 (Faaortame), Sig. 1990, 1-2433 (1-2473). 192 Damit schloß sich der Gerichtshof der Argumentation von GA Mischo, der im Falle einer vom EuGH nach Art. 169-171 EWGV festgestellten Vertragsverletzung die Vorschrift des Art. 171 EWGV als Anspruchsgrundlage filr eine Haftung ansah, nicht an; s. dazu den Schlußantrag, Sig. 1991,1-5379 f; vgl. auch die nunmehr geänderte Fassung der Vorschrift. Der Argumentation von GA Mischo folgt Prieß, 120, der zudem die Rechtsprechung zu Art. 176 EWGV (nunmehr geändert) als "ergänzendes Argument" hennzieht. 190 191

A. Individuelle ArbeitsveIhältnisse

227

Mitgliedstaats gegen seine Verpflichtung aus Art. 189 Abs. 3 EWGV bestehe ein gemeinschaftsrechtlicher Entschädigungsanpruch unter drei Voraussetzungen. Erstens müsse das von der Richtlinie zu erreichende Ziel einzelnen Rechte verleihen, zweitens müsse der Inhalt dieser Rechte auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden können, und drittens müsse zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem den Geschädigten daraus entstandenen Schaden ein Kausalzusammenhang bestehen. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen stehe dem einzelnen ein Entschädigungsanspruch zu, der zwar unmittelbar im Gemeinschaftsrecht begründet sei, dessen Erfüllung sich aber nach dem nationalen Haftungsrecht richte. 193 Dieser Rückgriff auf das nationale Recht sei die Folge des Fehlens einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung, die, wenn es sie gäbe, die zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung des Verfahrens bestimmen müßte. 194 Zu dem Vorliegen der Voraussetzungen im zu entscheidenden Fall erklärte der Gerichtshof, es sei durch sein früheres Urteil festgestellt worden, daß der Mitgliedstaat gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen habe, indem er die RL 80/987/EWG nicht fristgemäß umgesetzt hätte. Das mit der RL 80/987/EWG zu erreichende Ziel beinhalte die Begründung eines Rechts der Arbeitnehmer auf eine Garantie für die Befriedigung ihrer nichterfüllten Ansprüche auf das Arbeitsentgelt; der Inhalt dieses Rechts lasse sich auf der Grundlage der Richtlinie bestimmen. Schließlich bestehe ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht und den den Geschädigten hieraus entstandenen Schäden, da die Schäden gerade durch die Nichtumsetzung der Richtlinie eingetreten seien. Aus alledem folge, daß ein Mitgliedstaat die Schäden zu ersetzen habe, die den einzelnen durch die Nichtumsetzung der RL 80/987/EWG entstünden. 195 Aufnahme des Francovich-Urteils und an ihm geübte Kritik

(2)

Das Francovich-Urteil ist in der Öffentlichkeit und im Schrifttum auf großes Interesse gestoßen. Dabei reichen verhaltenere Einschätzungen von "weitSlg. 1991, 1-5357 (1-5415 f.). Vgl. dazu EuGH, Rs. 60/75 (Russo), Slg. 1976, 45 (56); Rs. 33/76 (Rewe), Slg. 1976, 1989 (1998 und Leitsatz 2). 195 Slg. 1991,1-5357 (1-5416). 193

194

228

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

reichend" , 196 "bedeutend", 197 "in der Spruchpraxis des Gerichtshofs folgerichtig"198 und "von großem praktischen Interesse"l99 bis zu Aussagen, die Entscheidung zähle "zu den wichtigsten Entscheidungen des EuGH im Bereich des Individualrechtsschutzes auf Gemeinschaftsebene"200 bzw. der Entscheidung komme "Grundsatzcharakter"201 zu. Nach anderen Einschätzungen wird sie als "kühn" ,202 "spektakulär" ,203 "bahnbrechend" ,204 "sensationell" ,205 "revolutionär" ,206 "brisant und konfliktträchtig" ,207 "überraschender dezisionärer Kraftakt" ,208 "Wendepunkt für die Rechte einzelner"209 bzw. als "Meilenstein in der Integrationsgeschichte der Rechtsprechung des EuGH"210 empfunden. Selbst von der Kommission wurde die Entscheidung als "bahnbrechend" bezeichnet. 211 Angenommen wird, daß die Entscheidung - vergleichbar den Entscheidungen Van Gend en Loos212 und Costa/E.N.E.L.213 - eine feste Größe im Gemeinschaftsrecht werden wird, da durch sie eine neue Ebene erklommen worden sei. 214 Bei diesem großen Interesse an der Entscheidung überrascht es nicht, daß zu der Frage der Haftung der Mitgliedstaaten für die nicht fristgemäße Umsetzung von Richtlinien gegensätzliche Standpunkte eingenommen werden. 215 Soweit ersichtlich, überwiegt die positive Aufnahme der Entscheidung die an

196

197

Fischer, 41. Prieß, 125.

Steiner, 9. 199 Dubouis, 1; vgl. auch Hailbronner, JZ 1992,284, und Streinz, EuZW 1993, 599. 200 Buschhaus, 142. 201 Bah111lll1l1l, 63; auch Bebr, 584, bezeichnet die Entscheidung als "a leading case". 202 Vgl. dazu Streinz, Europarecht, 116; Mögele, BayVBI. 1993, 132. 203 Langen/eid, DÖV 1992,961; ScheT7berg, 230; Schwane, ZfV 1993, 6. 204 Schockweiler, EuR 1993, 110. 198

lOS Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 206 1J1/

S. U. Pieper, NJW 1992, 2454.

Lenz,

Neue Justiz

272 vom 23.11.1991, 11.

1993, 196.

Ossenbühl, 997. 209 Smith, 132. 210 Schle11l11ler-Schulte / Ukrow, 88. 208

211 EG-Nachrichten Nr.

48 vom 2.12.1991,3 f.

Rs. 26/62, Slg. 1963, 1. 213 EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251. 214 Klinke, 24; a.A. aber J. Geiger, 474. 21S Triantafyllou, 567, hatte dies nach den Erfahrungen mit der an der unmittelbaren Wir212 EuGH,

kung von Richtlinien geäußerten Kritik erwartet.

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

229

ihr geübte Kritik. Den für und gegen die Entscheidung vorgebrachten Argumenten wird im folgenden nachgegangen. Beginnt man mit den gegen die Entscheidung vorgebrachten Argumenten, trifft man zunächst auf die Ansicht, der Gerichtshof habe durch Richterrecht dem primären Gemeinschaftsrecht eine detaillierte Staatshaftungsnorm hinzugefügt. Zur Setzung von entsprechendem sekundären Gemeinschaftsrecht sei der Rat nicht befugt gewesen, vielmehr seien allein die Mitgliedstaaten berechtigt gewesen, eine solche Ergänzung des Gemeinschaftsrechts zu beschließen. Deren Kompetenz habe vom Gerichtshof allenfalls dann durchbrochen werden dürfen, wenn die Nichtregelung dieses Komplexes im EWG-Vertrag als planwidrige Unvollständigkeit anzusehen gewesen wäre. 216 Gegen die Annahme einer planwidrigen Unvollständigkeit spreche aber, daß bereits der zeitlich frühere EGKS-Vertrag in Art. 88 eine Haftung der Mitgliedstaaten vorsehe. Der Umstand, daß der EWG-Vertrag indessen keine Regelung der Haftung der Mitgliedstaaten und lediglich eine Haftung der Gemeinschaft unter den Voraussetzungen von Art. 215 EWGV vorsehe, spreche dafür, daß auf eine solche Regelung bewußt verzichtet worden sei. 217 Das Argument, daß die Haftung der Mitgliedstaaten im EWG-Vertrag - insoweit im Unterschied zum EGKS-Vertrag - nicht geregelt wurde, trifft zwar zu. Zu bedenken sind aber einerseits die unterschiedlichen Zielsetzungen beider Verträge und andererseits Art und Weise der von Art. 88 EGKSV vorgesehenen Haftung der Mitgliedstaaten. Während der EGKS-Vertrag eine beschränkte Teilintegration des Kohle- und Stahlsektors bezweckt, war der EWG-Vertrag (und ist nunmehr der EG-Vertrag) als Rahmenvertrag auf eine umfassende Integration in allen von ihm erfaßten Bereichen ausgerichtet. Anders als für den Anwendungsbereich des EGKS-Vertrages, der den Mitgliedstaaten detaillierte Rechte und Pflichten auf einem engen Sektor einräumt, deren Beachtung auf weitaus einfachere Weise überprüft und somit auch beanstandet werden kann, ist ein solches Vorgehen im Bereich des EG-Vertrages ungleich schwieriger. Die hier zu regelnden Materien erfassen eine weitaus größere Zahl von Lebenssachverhalten. Zahlreiche Rechtsakte bezwecken den Schutz einzelner Gemeinschaftsangehöriger und nicht - wie überwiegend im EGKS-Vertrag - das Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander und zur Ge216 Dänzer-Vanotti, 217

740. Ähnlich auch Ossenbühl, 995.

Dänzer-Vanotti, ebd.

230

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

meinschaft. Von daher erscheint es für den Anwendungsbereich des EG-Vertrages konsequent, den Mitgliedstaaten im Verhältnis zur Gemeinschaft eine Treuepflicht aufzuerlegen (Art. 5 EGV) und für den Fall eines Verstoßes gegen eine vertragliche Verpflichtung eine Anhörung des betroffenen Mitgliedstaates sowie - eventuell hieran anschließend - eine Klagemöglichkeit der Kommission vor dem Gerichtshof vorzusehen (Art. 169 EGV). Erfüllt der Mitgliedstaat nach der erfolgreichen Durchführung eines Vertragsverletzungsverfahrens noch immer die durch das Urteil festgestellten notwendigen Maßnahmen nicht, kommt ein erneutes Vertragsverletzungsverfahren in Betracht, das nunmehr auf Art. 171 Abs. 2 EGV zu stützen ist. 218 Angesichts der unterschiedlichen Zielsetzungen des EG- und des EGKS-Vertrages und den daraus resultierenden unterschiedlichen Sanktionsmechanismen kann daher aus der Existenz von Art. 88 EGKSV nicht gefolgert werden, eine Schadensersatzpflicht der Mitgliedstaaten für den Bereich des EWG-Vertrages sei unter keinen Umständen beabsichtigt gewesen. Als zusätzlicher Einwand zur Unterstützung der Argumentation, der EWGVertrag habe keinen Hinweis auf eine mitgliedstaatliche Haftung erkennen lassen, wurde vorgebracht, daß sich aus Art. 215 Abs. 2 EWGV der allgemeine Gedanke entnehmen ließe, die Befugnis zur richterlichen Rechtsfortbildung im Haftungsbereich bedürfe grundsätzlich einer ausdrücklichen Ermächtigung durch den Rat. 219 Dem konnte jedoch angesichts der Tatsache, daß dieses Argument weder im Wortlaut noch in der Zielsetzung des Art. 215 Abs. 2 EWGV eine Stütze fmdet, nicht gefolgt werden. Weiterhin ist gegen das Francovich-Urteil vorgebracht worden, der Gerichtshof habe durch seinen Erlaß in unzulässiger Weise Rechtspolitik,

218 In diesem Zusammenhang ist die Neufassung des Art. 171 EGV, nach der als Sanktionen fiir die Nichtbeachtung von Urteilen des Gerichtshofs entweder die Zahlung eines angemessenen Pauschalbetrags oder eines Zwangsgelds vorgesehen sind, von Bedeutung. Sie dürfte angesichts der Tatsache erfolgt sein, daß in der Vergangenheit bei verschiedenen Mitgliedstaaten nach der Durchfiihrung gegen sie gerichteter erfolgreicher Vertragsverletzungsverfahren, die in erster Linie wegen der Nichtumsetzung von Richtlinien eingeleitet wurden, kein Tätigwerden in der vom Gerichtshof geforderten Weise zu beobachten war. Zur (Nicht-) Befolgung der Urteile des Gerichtshofs s. die alljährlichen Berichte der Kommission über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, zuletzt den 11. Jahresbericht - 1993 -, KOM (94) 500 vom 29.03.1994, Anhang V. 219 Karl, 444.

A. Individuelle Arbcitsverbältoisse

231

Rechtsvereinheitlichung bzw. Rechtsschöpfung betrieben. 220 Von anderen "großen" Entscheidungen des Gerichtshofs hebe sich die Entscheidung Francovich dadurch ab, daß es der Gerichtshof nicht mit der Etablierung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes habe bewenden lassen, sondern konkrete Tatbestandsmerkmale für einen Schadensersatzanspruch entwickelt habe. Da der EWG-Vertrag aber keinerlei Anhaltspunkte dafür enthalten habe, wie ein gemeinschaftsrechtlicher Schadensersatzanspruch ausgestaltet sein solle und daher verschiedene Modelle in Betracht kämen, habe der Gerichtshof mit der Festlegung auf ein bestimmtes Hafiungsmodell Rechtspolitik bzw. Rechtsvereinheitlichung im Detail betrieben. 221 Die Rechtsvereinheitlichung sei nach Art. 100 und 100 a EWGV aber grundsätzlich Sache des Rates. Zudem müsse bedacht werden, daß Rechtsvereinheitlichung primär nur im Hinblick auf solche nationalen Bestimmungen zulässig sei, die sich unmittelbar auf die Vollendung des Binnenmarktes auswirkten. 222 In eine ähnliche Richtung zielt der Einwand, es sei fraglich gewesen, ob der RL 80/987/EWG eine genau bestimmte Mindestgarantie entnommen werden konnte, da sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit offen gelassen habe, eine nicht exakt vorgegebene Höchstgrenze für die Garantie der Lohnrückstände einzuführen. 223 Dieser Kritik ist entgegenzuhalten, daß der Gerichtshof in der Entscheidung Franeovieh nicht etwa selbst ein Hafiungsmodell entwickelt hat, sondern unter verschiedenen, vom Rat in der Richtlinie selbst vorgegebenen, Haftungsmodellen eines ausgewählt hat. Hierbei hat er sich für dasjenige Modell entschieden, das den betroffenen Mitgliedstaat am wenigsten belastet. Aus der Entscheidung kann nicht geschlossen werden, daß der Gerichtshof dadurch den säumigen Mitgliedstaat auf eben dieses Modell festlegen wollte, d.h. daß der säumige Mitgliedstaat bei der noch ausstehenden Umsetzung auf genau dieses Modell festgelegt wäre. Anzunehmen ist vielmehr, daß auch diesem Mitgliedstaat alle in der Richtlinie genannten Optionen eines Schutzes der Arbeitnehmer offen stehen. Damit hat der Gerichtshof durch seine Entscheidung den betroffenen Arbeitnehmern diejenige Rechtsposition eingeräumt, die sie bei fristgemäßer 220 Ders., ebd.; 221 Ebd. 222 223

Dänzer-Vanoni, 741; Neßler, RIW 1993, 209 f.; verhaltener Prieß, 125.

Karl, ebd. Hailbronner, JZ 1992,285 f.

232

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

Umsetzung der Richtlinie und damit einem vertragsgerechten Verhalten des Mitgliedstaats jedenfalls dann inne gehabt hätten, wenn der betreffende Mitgliedstaat sich für die ihn am wenigsten belastende Haftungsmöglichkeit entschieden hätte. 224 Von daher ist es nicht überzeugend, dem Gerichtshof vorzuwerfen, er betreibe Rechtspolitik bzw. Rechtsvereinheitlichung, da dies längst geschehen war, nämlich zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie durch das dazu befugte Organ, d.h. den Rat selbst. Auch das Argument, der Mitgliedstaat hätte bei einer Umsetzung der Richtlinie die zu gewährende Garantie begrenzen können, kann nicht zu der Annahme führen, hierdurch fehle es an einer Bestimmbarkeit des Richtlinieninhalts. 225 Da über die Art und Weise einer Umsetzung des säumigen Mitgliedstaats allenfalls Spekulationen vorgenommen werden können und insofern keineswegs davon auszugehen war, daß dieser Mitgliedstaat von der in Art. 4 der Richtlinie eingeräumten Option Gebrauch machen würde, vermag die bloße Existenz dieser Vorschrift nichts an der Bestimmbarkeit des Richtlinieninhalts gemäß dessen Art. 3 zu ändern. Als weiterer Kritikpunkt wurde angeführt, der Gerichtshof habe mit der Entscheidung in das Gestaltungsermessen der Mitgliedstaaten bei der Ausformung des Rechtsschutzes eingegriffen. Nach Art. 5 EWGV werde den Mitgliedstaaten dieses Ermessen aber grundsätzlich garantiert. Hinsichtlich der materiell rechtlichen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs sei es vom Gerichtshof auf Null reduziert; dies dürfte nur statthaft sein, wenn ein effektiver Rechtsschutz allein mit den vom Gerichtshof entwickelten Haftungskriterien sichergestellt werden könne. 226 In ähnlicher Weise wurde bemängelt, der judiziellen Rechtserzeugung durch den Gerichtshof habe jede Dringlichkeit gefehlt, da ein Rechtsnotstand nicht vorgelegen habe. Ohne Schäden befürchten zu müssen, hätte der Gerichtshof das Ergebnis der Überlegungen abwarten können, die die Mitgliedstaaten zur Ergänzung des EWG-Vertrages anstellten. 227 Dem ist zu entgegnen, daß nicht erkennbar ist, auf welche Weise die betroffenen Arbeitnehmer die ihnen durch das Gemeinschaftsrecht eingeräumte 224 Vg!. dazu Zuleeg, JZ 1994,6.

So aber Hailbronner, JZ 1992,285. ebd. 227 Karl, 444 f.; Dänzer-Vanotti, 741. 22S

226 Ders.,

A. Individuelle AIbeitsveIhältnisse

233

Rechtsposition (Schutz ihrer Lohnansprüche für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers) im Falle der Nichtumsetzung der Richtlinie in innerstaatliches Recht innehaben sollten. Nach nationalem Recht bestand mangels Umsetzung - kein entsprechender Schutz. Auf die unmittelbare Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts konnten sich die betroffenen Arbeitnehmer aufgrund der insoweit aus der Richtlinie nicht eindeutig erkennbaren Person des Schuldners der Ansprüche nicht berufen. Damit wäre den Betroffenen der Rechtsschutz verweigert worden; ein Zustand, der um so weniger befriedigen konnte, als der Gerichtshof den säumigen Mitgliedstaat bereits für die Nichtumsetzung genau dieses Rechtsakts gerügt hatte. Zuzugeben ist zwar, daß der Gerichtshof durch die genaue Festlegung des Schadensersatzanspruchs das Gestaltungsermessen des Mitgliedstaats in diesem speziellen Fall beschränkt hat. Bedacht werden muß aber, daß eine Entscheidung des Gerichtshofs, die den betroffenen Arbeitnehmern keinen Ersatzanspruch gegen den säumigen und bereits durch den Gerichtshof verurteilten Mitgliedstaat zugesprochen hätte, auch und gerade aufgrund der Treuepflicht jedes Mitgliedstaats im Verhältnis zur Gemeinschaft (Art. 5 EGV) sowie der Verpflichtung der Gemeinschaft zur Rechtsstaatlichkeit228 unverständlich geblieben wäre. Da auf andere Weise kein effektiver Rechtsschutz der betroffenen Arbeitnehmer zu erreichen war, konnte erst durch den Haftungsanspruch eine "konkrete Rechtsschutzlücke" geschlossen werden. 229 (3)

Weitere, durch das Francovich-Urteil aufgeworfene Fragen

Abgesehen von der an der Entscheidung vom Schrifttum geübten Kritik werden weitere Fragen aufgeworfen, die nachstehend behandelt werden. Zu den formellen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs des einzelnen aufgrund einer nicht umgesetzten Richtlinie wurde darauf hingewiesen, daß nach dem Francovich-Urteil die Durchführung eines Verfahrens nach Art. 169 EWGV ebensowenig erforderlich ist230 wie die Verneinung der unmittel-

228 EuGH, Rs. 101/78 (GrQ1Ulria), Slg. 1979,623 (637). S. auch S.U. Pieper, NJW 1992, 2457 f. 229 Klinke, 27; Vgl. auch Schlemmer-Schulte / Ukrow, 82; Bahlmann, 64. 230 DlJubler, NZA 1992, 584.

234

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

baren Wirkung der nicht umgesetzten Richtlinie durch den Gerichtshof. 231 Angesichts des erheblichen Zeitaufwandes, der zur Klärung dieser "Vorfragen" notwendig wäre, muß es zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes als sachgerecht erscheinen, dem Betroffenen einen direkten Schadensersatzanspruch gegen den säumigen Mitgliedstaat zuzubilligen, ohne ihn zuvor auf eine Anrufung des Gerichtshofs zu verweisen. Im Hinblick auf die materiellen Voraussetzungen des Anspruchs sind mehrere Argumente zu bedenken. Zunächst ist bemerkenswert, daß der Gerichtshof für die Staatshaftung kein Verschulden des betroffenen Staates verlangt, sondern - wie bei dem verschuldensunabhängigen Vertragsverletzungsverfahren - allein den objektiven Verstoß gegen die Umsetzungspflicht genügen läßt. 232 Dies erscheint konsequent in Anbetracht der Tatsache, daß die Umsetzungsverpflichtung im Falle des Erlasses einer Richtlinie, die auf einer Einstimmigkeit verlangenden Rechtsgrundlage - wie vorliegend Art. 100 EWGV - beruht, aus den Art. 189 Abs. 3 und Art. 5 EGV folgt sowie ferner aus dem auch im Gemeinschaftsrecht geltenden allgemeinen Rechtsgrundsatz des venire contra factum proprium. 233 Aus der Formulierung des Urteils ist ferner geschlossen worden, es gestatte keine Beschränkung einer Staatshaftung allein auf den Fall einer unterlassenen Richtlinienumsetzung, sondern umfasse die gesamte Durch- bzw. Ausführung von Gemeinschaftsrecht. 234 Dem ist insoweit zu folgen, als das Urteil von einem im Gemeinschaftsrecht enthaltenen Grundsatz ausgeht, nach dem die Mitgliedstaaten zum Ersatz der Schäden verpflichtet sind, die den einzelnen durch Verstöße der Mitgliedstaaten gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen. 235 Im Hinblick auf die Voraussetzungen, unter denen die vom Gemeinschaftsrecht festgelegte Staatshaftung einen Entschädigungsanspruch eröffnet, nimmt der Gerichtshof allerdings allein zu einem Verstoß gegen Art. 189 Abs. 3 EWGV Stellung. 236 Zuzugeben ist zwar, daß es vom Effektivitätsge231

Fischer, 43.

87; vgl. auch Däubler, NZA 1992, 584, und Hai/bronner, JZ 1992,288 f. 233 Vgl. EuGH, Rs. 14/61 (Hoogovens), Slg. 1962, 511 (551); verb. Rs. 17 und 20/61 (Klöckner und Hoesch), Slg. 1962,653 (689); Rs. 19/61 (Mannesmann), Slg. 1962,717 (752). 234 Triantafyllou, 566; so wohl auch Preiskel, 294. 235 Slg. 1991,1-5357 (1-5415). 236 Ebd., 1-5415 f. 232 Schlemmer-Schulte / Ukrow,

A. Individuelle Arbeitsverhältnisse

235

bot und vom Gedanken des wirksamen Individualschutzes prinzipiell keinen Unterschied machen kann, ob den einzelnen Rechte in einer Verordnung, einer Richtlinie oder unmittelbar im Vertrag eingeräumt worden sind. 237 Mit diesem Urteil sind aber die entsprechenden Voraussetzungen einer Haftung bei einem sich nicht gegen eine Richtlinie richtenden Verstoß nicht explizit geklärt worden. Es bleibt abzuwarten, ob sich die - sicherlich naheliegende Vermutung bestätigen wird, die vom Gerichtshof in dieser Entscheidung dezidiert allgemein formulierten Grundsätze gingen weit über den konkreten Fall hinaus. 238 Ferner hat das Francovich-Urteil Anlaß zu Überlegungen gegeben, primären Rechtsschutz über die Geltendmachung von Normenerlaßansprüchen vor den nationalen Gerichten zu gewähren, um so die Umsetzung der Richtlinie und die sich daran anschließende direkte Durchsetzung der gemeinschaftlich vorgegebenen Rechte zu erzwingen. 239 Dabei wird als Vorteil angesehen, daß sich die Mitgliedstaaten auf diese Weise die Nichtumsetzung des Gemeinschaftsrechts nicht durch das Inaussichtstellen finanzieller Kompensation erkaufen könnten, was der erstrebten vollen Wirkung des Gemeinschaftsrechts zuwiderliefe. 24O Den sich gegen die Zulässigkeit einer Normenerlaßklage ergebenden Bedenken, vor allem unter Berücksichtigung des dem Normgeber insoweit zustehenden Ermessens, wurden die aus der Richtlinie folgenden Anforderungen an die Umsetzungsnorm hinsichtlich der Rechtsstellung des einzelnen und die aus Art. 189 Abs. 3 EWGV fließende Umsetzungsverpflichtung entgegengehalten. 241 Gegen diesen "legislativen" Ansatz ist jedoch einzuwenden, daß der einzelne, dem es in erster Linie um die Erreichung deIjenigen Rechtsposition geht, die ihm das Gemeinschaftsrecht einräumen will, als Mittel zum Zweck der Einhaltung der Umsetzungsverpflichtung benutzt werden müßte. Die Umsetzungsverpflichtung trifft aber allein das Verhältnis des jeweiligen Mitgliedstaats zur Gemeinschaft. Zudem ist zu bedenken, daß ein Verfahren, in dem zunächst auf Normenerlaß geklagt werden müßte und erst anschließend ein So Hailbronner, JZ 1992,289. ebd. 239 Triantafyllou, 568; Langen/eid, OÖV 1992, 961. 240 Dies., ebd. 241 Langen/eid, ebd., 961 f. 237

238 Ders.,

236

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

Ersatzanspruch geltend gemacht werden könnte, eher länger dauern wird als ein Verfahren, bei dem es allein um den Ersatzanspruch geht. Zudem kann die Errichtung von Institutionen, wie sie beispielsweise die RL 80/987/EWG vorsieht, nicht für die Vergangenheit geschehen, so daß die Betroffenen u.U. letztlich doch auf einen Haftungsanspruch gegen den säumigen Staat verwiesen werden müßten. Die Gewährung primären Rechtsschutzes über die Geltendmachung eines Normenerlaßanspruchs erscheint daher keine überzeugende Alternative. Ein Einwand gegen eine Staatshaftungspflicht infolge der Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats vermag schließlich nicht aus der Tatsache hergeleitet werden, daß der Gerichtshof in der Vergangenheit selbst eine Staatshaftungspflicht infolge Vertragsverletzung als nicht vertraglich verankert angesehen hat. 242 Dies folgt aus der "dynamisch-evolutiven Natur des Gemeinschaftsrechts ",243 das eine Blockierung des Integrationsprozesses unter Festschreibung eines bestimmten Integrationsniveaus verbietet. 244 ce)

Ergebnis

Unter Abwägung der verschiedenen Argumente ist das Francovich-Urteil zu begrüßen. Zu bedenken ist, daß der entschiedene Fall als Musterbeispiel dafür angesehen werden kann, wie sich Mitgliedstaaten über viele Jahre hinweg ihren gemeinschaftlichen Pflichten entziehen und dies zu erheblichen Nachteilen für die Betroffenen führen kann. 245 Zwar stellt die Zuerkennung von Staatshaftungsansprüchen für den - hier vorliegenden - Fall der nicht unmittelbaren Anwendbarkeit des einschlägigen Gemeinschaftsrechts und der daraus resultierenden Nichtexistenz von durch nationale Gerichte zu schützenden Rechtspositionen "unzweifelhaft ein Wag242 Vgl. dazu die bereits im Jahre 1974 angebrachten Vorschläge des Gerichtshofs zur Europäischen Union, die hinsichtlich eines Klagerechts von Einzelpersonen angeregt hatten, zur Wahrung individueller Rechte bei Vertragsverstoß eines Mitgliedstaats den dadurch benachteiligten Personen einen vor den nationalen Gerichten zu verfolgenden Schadensersatzanspruch einzuräumen, Bull. EG Beilage 9/1975, 18 f. Hieraus ist zutreffenderweise geschlossen worden, daß der Gerichtshof zumindest zum damaligen Zeitpunkt eine im EWG-Vertrag verankerte Staatshaftung als nicht gegeben ansah, s. dazu Schlewner-Schulle / Ukrow, 88. 243 Schlewner-Schulle / Ukrow, ebd. 244 Vgl. dazu BleckmannlBleckmann, Rn. 499 ff. 245 Hailbronner, JZ 1992,285.

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

237

nis dar", das aber letztlich durch einen "erst-recht-Schluß" gerechtfertigt wird. 246 Bei näherer Betrachtung erweist sich das Urteil daher als konsequente Fortsetzung der "effet-utile"-Rechtsprechung des Gerichtshofs, durch welche er die Einheit und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu sichern sucht. 247 Somit trifft die Einschätzung zu, das Urteil sei "Zeugnis des QuaIitätssprung~, den ... die EG auf dem Weg zur Rechtsgemeinschaft vollzogen hat". 248 Die Autorität des Gemeinschaftsrechts wird durch den vom Francovich-Urteil ausgehenden Druck auf die Mitgliedstaaten249 zur fristgemäßen Umsetzung von Richtlinien gestärkt werden. Dies erscheint in Anbetracht der zahlreichen Verstöße der Mitgliedstaaten gegen Richtlinienbestimmungen250 als dringend erforderlich. Allerdings wird abzuwarten bleiben, ob sich ein mitgliedstaatlicher Rechtsbefolgungswille gegenüber einer gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungspflicht stärker als gegenüber dem vorausgegangenen primären Vertragsbefehl erweist. 251

B. Der Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit als "Sozialtourismus" In der Vergangenheit haben im Bereich der sozialen Sicherheit der Wanderarbeitnehmer verschiedene Urteile des Gerichtshofs zu den Familienleistungen und zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Aufsehen gesorgt. Die auf diese Leistungen bezogene Rechtsprechung des Gerichtshofs wird als verdeckte "Ersatzgesetzgebung" bezeichnet und gleichzeitig kritisiert, daß es zu einem übermäßigen Transfer einzelner Leistungen der sozialen Sicherheit aus Staaten, die bei diesen Leistungen ein hohes Niveau gewährleisten, in solche Staaten, deren Leistungsniveau weit niedriger liegt, kommen könne. Befürchtet wird eine daraus resultierende Mobilität, die nur den Zweck verfolge, sich die

246 TrianJafyUou, 566. 2J.7 248

2J.9

Vgl. Fischer, 42; Schockweiler, RTDE 1992,46; Klein / Haratsch, 142.

Meier, 246. S.U. Pieper, NlW 1992, 2454.

2SO Vgl. dazu den zehnten Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts - 1992 -, ABI. C 233 vom 30.8.1993 (Anhinge). 151 Vgl. Schlemmer-Schulte / Ukrow, 94, die hierfür Argumente anführen.

238

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

günstigsten Sozialleistungen zunutze zu machen, worin letztlich ein "Sozialtourismus" läge. 252 Dieser Thematik wird im folgenden nachgegangen. Dazu werden zunächst die rechtlichen Grundlagen einzelner Leistungen der sozialen Sicherheit untersucht und jeweils im Anschluß daran die an der Rechtsprechung des Gerichtshofs geübte Kritik behandelt. I. Gewährung von Familienleistungen nach den Art. 72 ff. VO (EWG) Nr. 1408/71

Das Recht der Familienleistungen ist in besonderem Maße durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs geprägt worden. Obwohl der Katalog an Problemen auf dem Gebiet der Familienleistungen relativ begrenzt ist, ist dieser Katalog sozialpolitisch wie rechtlich von großem Interesse. 253 Gerade die Diskussion um Familienleistungen ist von einer besonderen Spannung zwischen nationalen Interessen und rechtlichen wie sozialpolitischen Belangen der Gemeinschaft geprägt, die in dieser Form bei den anderen Sozialleistungen nicht gegeben ist. Der Grund hierfür liegt darin, daß die ratio der Familienleistungen einen starken familienpolitischen Akzent erhalten hat, die Familienpolitik nach dem Verständnis der Mitgliedstaaten aber als nationales Forum verstanden wird, das schon von daher gemeinschaftsrechtlicher und -politischer Erfassung nicht zugänglich sei. 254 Inwieweit diese Auffassung der Mitgliedstaaten zutreffend ist, wird nach einer Untersuchung der rechtlichen Grundlagen und der Darstellung der wesentlichen Entscheidungen des Gerichtshofs· auf diesem Gebiet erörtert.

1. Rechtliche Grundlagen Die VO (EWG) Nr. 1408/71 trifft eine Unterscheidung zwischen "Familienleistungen" und "Familienbeihilfen" . Unter dem Begriff "Familienleistungen " sind alle Sach- oder Geldleistungen zu verstehen, die zum Ausgleich von

59.

252

Vgl. Chassard / Quintin, 112 f.; Polster, 51; ferner - einschränkend - Walwei / Wemer,

2531gl, 109. 254 Ders., ebd.

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

239

Familieolasten im Rahmen der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. h VO (EWG) Nr. 1408/11 genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, jedoch mit Ausnahme der in Anhang 11 aufgeführten besonderen Geburtsbeihilfen (Art. 1 Buchst. u Ziff. i VO [EWG] Nr. 1408/11). Demgegenüber erfaßt der Begriff "Familienbeihilfen " regelmäßige Geldleistungen, die ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und gegebenenfalls des Alters von Familienangehörigen gewährt werden (Art. 1 Buchst. u Ziff. ii VO [EWG] Nr. 1408/71). Der Begriff der Familienbeihilfen ist somit enger als derjenige der Familieoleistungen. Das Kapitel über die Familieoleistungen der VO (EWG) Nr. 1408/11 wurde durch den Erlaß der VO (EWG) Nr. 3427/89 vom 30.10.1989255 neu geregelt. Anlaß hierfür war das Urteil des Gerichtshofs in der Rs. 41/84 (Pinna l),256 in dem der Gerichtshof bestimmte, für Frankreich geltende Sonderregelungen (Art. 73 Abs. 2 VO [EWG] Nr. 1408/11 a.F.) für nichtig erklärte. Der gesamten Verordnung wurde rückwirkende Geltung ab dem 15.1.1986 (Zeitpunkt des Erlasses des Urteils Pinna l) beigemessen, die Geltung der Neufassung des Art. 76 VO (EWG) Nr. 1408/11 allerdings auf den Zeitpunkt ab dem 1.5.1990 beschränkt. 257 Inhaltlich sehen die Vorschriften des Kapitels über die Familieoleistungen zunächst eine Zusammenrechnung der in verschiedenen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Beschäftigung vor (Art. 72 VO [EWG] Nr. 1408/11). Arbeitnehmer, Selbständige und Arbeitslose, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat wohnen, werden grundsätzlich so behandelt, als ob ihre Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten (Art. 73, 74 VO [EWG] Nr. 1408/71).258 Die Gewährung der Leistungen erfolgt entweder durch den zuständigen Träger des Staates, dessen RechtsvorABI. L 33111. Slg. 1986, 1 Cf. 257 Art. 3 der VO (EWG) Nr. 3427/89, ABI. L 331/1 (1989). 258 Für Selbständige bedeutete dies eine Verbesserung ihrer rechtlichen Stellung, da ihnen dieses Recht bis zum Erlaß der VO (EWG) Nr. 3427/89 nicht eingeräumt worden war, s. ~ den fünften Erwägungsgrund der VO (EWG) Nr. 3427/89, ebd., sowie EuGH, Rs. C-114/88 (Delbar) , Slg. 1989, 4067 (4078 f.), und Rs. C-15/90 (Middleburgh), Slg. 1991, 1-4655 {l. 4682 f.). Als Grund dafür, daß Familienleistungen bei der Erweiterung der VO (EWG) Nr. 1408nl auf Selbständige durch die VO (EWG) Nr. 1390 vom 12.5.1981 (ABI. L 143/1) nicht erfaßt wurden, vermutet Delprat, 48, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber die Annahme einer Änderungsverordnung abwartete, mit der das Kapitel 7 reformiert werden sollte. 255

256

240

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

schriften für den Arbeitnehmer oder den Selbständigen gelten, oder - im Falle eines arbeitslosen Arbeitnehmers oder Selbständigen - durch den zuständigen Träger des Staates, nach dessen Rechtsvorschriften die Betroffenen Leistungen bei Arbeitslosigkeit beziehen (Art. 75 Abs. 1 VO [EWG] Nr. 1408/71). Für den Fall der Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen gemäß den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates (Beschäftigungsstaat) und den Rechtsvorschriften des Staates, in dem die Familienangehörigen wohnen (Wohnstaat, der häufig mit dem Herkunftsstaat identisch sein wird) sieht Art. 76 VO (EWG) Nr. 1408/71 Prioritätsregeln vor. Diese Vorschrift dient demnach der Vermeidung von Doppelleistungen, die durch eine Kumulierung der Ansprüche eintreten könnten. 259 Bei der Gewährung von Familienleistungen sind zwei Sachverhalte zu trennen: Im ersten Fall verwirklicht der Wanderarbeitnehmer den anspruchsbegründenden Tatbestand vollständig im Beschäftigungsstaat, d.h. er und seine Familienangehörigen unterscheiden sich von einem erwerbstätigen Staatsangehörigen des Beschäftigungsstaates und dessen Familienangehörigen allein durch die andere Staatsangehörigkeit. Für diesen ersten Fall gilt, daß auf die unter den persönlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallenden Personen grundsätzlich das Recht des Beschäftigungsstaates anwendbar ist, das ihnen die gleichen Rechte und Pflichten wie den Staatsangehörigen dieses Staates gewährt bzw. auferlegt (Art. 13 und 3 VO [EWG] Nr. 1408/71). Der zweite Fall betrifft die Gewährung von Familienleistungen für den Fall der Verwirklichung des sozialrechtlichen Ausgleichstatbestandes in einem anderen Mitgliedstaat. Er wird von den Art. 72 ff. VO (EWG) Nr. 1408/71 260 geregelt. Die folgende Untersuchung beschränkt sich auf diesen zweiten Fall.

2. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs auf dem Gebiet der Familienleistungen und die hieran geübte Kritik Die einschlägigen Entscheidungen des Gerichtshofs auf dem Gebiet der Familienleistungen lassen sich thematisch in die Komplexe Wohnsitzerfordernis im Beschäftigungsstaat (a.), Sonderregelungen für Frankreich (b.) und Ver-

259 260

GTElWillms, Art. 51 Rn. 100. Zur Durchführung dieser Vorschriften vgl. Art. 85 ff. der VO (EWG) Nr. 574/72.

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

241

meidung einer Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen (c.) einordnen. a) Wohnsitzerfordernis im Beschäftigungsstaat

aal

Rechtsprechung des Gerichtshofs

Ein von den nationalen Behörden aufgestelltes Wohnsitzerfordernis der Angehörigen im Beschäftigungsstaat ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs unbeachtlich, d.h. der Wanderarbeitnehmer muß so behandelt werden, als ob seine Angehörigen im Beschäftigungsstaat wohnten. Die erste an dieser Stelle zu nennende Entscheidung Brusse261 betraf einen Fall, in dem ein nach dem nationalen Recht aufgestelltes Wohnsitzerfordernis die Inanspruchnahme der durch Art. 73 VO (EWG) Nr. 1408/71 garantierten Familienleistungen zu vereiteln drohte. In diesem Fall war ein Arbeitnehmer aufgrund einer Vereinbarung nach Art. 17 VO (EWG) Nr. 1408/71 den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen unterstellt, in dem er und seine Familie wohnten. Das vorlegende Gericht erbat Auskunft darüber, ob auch dann ein Anspruch auf Kindergeld gemäß den Rechtsvorschriften des Staates, dem dieser Arbeitnehmer unterstellt war, besteht, wenn diese Leistung nach den anzuwendenden Vorschriften nur Personen gewährt wird, die im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats wohnen. Unter Berücksichtigung der ratio legis des Art. 73 VO (EWG) Nr. 1408/71, der zugunsten des Arbeitnehmers einen echten Anspruch auf Gewährung von Familienleistungen nach den anwendbaren Rechtsvorschriften begründet, nahm. der Gerichtshof dies an. Der Anspruch dürfe nicht durch die Anwendung einer in diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Klausel entzogen werden, nach der Familienleistungen nur den im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats wohnenden Personen gewährt werden, so daß das Wohnorterfordernis insoweit unbeachtlich sei. 262

261 EuGH, Rs. 101/83, Slg. 1984,2223. 262

Ebd., 2240. Zur Aufstellung eines Wohnortcrfordemisses vgl. auch EuGH, Rs. C-251/89

(ÄlhanasopouJos u.a.), Slg. 1991, 1-2797. In dieser Entscheidung stellt der Gerichtshof aus-

drücklich fest, daß die Zuerkennung eines Anspruchs "völlig wertlos" sein kann, wenn diese an ein Wohnortcrfordemis geknüpft wird (1-2840). 16 Kuhn

242

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

. Die Gewährung von Familienleistungen für in einem anderen Mitgliedstaat wohnende arbeitslose Angehörige haben die Entscheidungen Bronzin0263 und Gatt0264 vom 22.2.1990 zum Gegenstand. Der Gerichtshof legte die Art. 73 und 74 VO (EWG) Nr. 1408/71 dahin gehend aus, daß dann, wenn nach den Rechtsvorschriften des die Familienleistungen erbringenden Mitgliedstaats die Gewährung der Leistungen davon abhänge, daß der Familienangehörige des Arbeitnehmers als Arbeitsloser der Arbeitsvermittlung im Geltungsbereich dieser Rechtsvorschriften zur Verfügung stehe, diese Voraussetzung auch als erfüllt anzusehen sei, wenn der Familienangehörige als Arbeitsloser der Arbeitsvermittlung in dem Mitgliedstaat zur Verfügung stehe, in dem er wohne.

bb)

Die an dieser Rechtsprechung geübte Kritik

Insbesondere die beiden letztgenannten Entscheidungen Bronzino und Gatto trafen auf Kritik, der im folgenden nachgegangen werden soll.

Von der Beklagten (Bundesrepublik Deutschland) war zunächst vorgebracht worden, die inlandsbezogene Anknüpfung in § 2 Abs. 4 BKGG erkläre sich aus der Tatsache, "daß deutsche Behörden Ausbildungs- und Arbeitsstellen nur dann vermitteln könnten, wenn der Begünstigte der Berufsberatung oder Arbeitsvermittlung in der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung stehe. 265 Wenn auch zutrifft, daß die Jugendarbeitslosigkeit in Italien weiter verbreitet ist als in Deutschland und es von daher wahrscheinlicher ist, daß für ein in Italien lebendes Kind Kindergeld zu zahlen sein wird als für ein in der Bundesrepublik lebendes Kind,266 vermag dies nichts an der Berechtigung zum Bezug von Kindergeld eines in Deutschland beschäftigten Wanderarbeitnehmers zu ändern. Kindergeld ist dann zu zahlen, wenn die vom Gesetz beschriebene Bedarfslage vorliegt, unabhängig davon, wie wahrscheinlich der Eintritt der Bedarfslage ist. 267

263

EuGH, Rs. C-228/88, Sig. 1990, 1-531.

264 EuGH, Rs. C-12/88, Sig. 1990,1-557. 2M

s. dazu den Sitzungsbericht in der Rs. C-228/88 (Bronzino), Sig. 1990, 1-537.

266 Vgl. dazu die Nachweise bei 267

Ders., ebd.

Eichenhofer, 5Gb 1991, 170.

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

243

Als weiteren Einwand hatte die Beklagte vorgebracht, für die Arbeitsvermittlung eines anderen Mitgliedstaats bestehe keine Veranlassung zu einer schnellen und vorrangigen Vermittlung des Betroffenen, da dieser durch nicht von ihr aufzubringende Leistungen mitversorgt werde. Dieses Argument entbehrt jeder rechtlichen Grundlage angesichts der in Art. 84 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 niedergelegten Verpflichtung der Behörden und Träger der Mitgliedstaaten, sich bei der Anwendung der VO (EWG) Nr. 1408/71 so zu unterstützen als handele es sich um die Anwendung ihrer eigenen Rechtsvorschriften. Im Hinblick auf ein vom innerstaatlichen Recht aufgestelltes Wohnorterfordernis ist zwar zutreffend, daß dieses gleichermaßen von inländischen Arbeitnehmern wie von Wanderarbeitnehmern erfüllt werden kann, so daß eine offenkundige Form der Diskriminierung nicht vorliegt. Es muß aber berücksichtigt werden, daß Wanderarbeitnehmer - aus den unterschiedlichsten Gründen, etwa aufgrund einer noch andauernden Wohnungssuche oder der Annahme, die Tätigkeit im Beschäftigungsstaat werde nur vorübergehender Natur sein - wesentlich häufiger als inländische Arbeitnehmer in eine Situation geraten können, in der sie beschließen, ihre Familienangehörigen sollten in einem anderen Mitgliedstaat (meist dem Herkunftsstaat) wohnen bzw. dort verbleiben. 268 Den betroffenen Wanderarbeitnehmern in diesem Fall die Gewährung der Familienleistungen ihres Beschäftigungsstaates zu verwehren, hieße, das Ziel des Art. 51 EGV zu beeinträchtigen; gleichzeitig könnte die Aufstellung eines Wohnorterfordernisses als Voraussetzung für den Bezug von Familienleistungen im Beschäftigungsstaat Arbeitnehmer davon abhalten, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen. 269 Damit würde das Ziel der Freizügigkeitsregeln, die einen Abbau der sich dieser Grundfreiheit tatsächlich entgegenstellenden Hindernisse bezwecken,270 vereitelt. Daß der Wohnsitz kein entscheidendes Kriterium für die Leistungsgewährung sein kann, ergibt sich im übrigen auch aus dem fünften Erwägungsgrund der VO (EWG) Nr. 1408/71. Hierin wird herausgestellt, daß die Vorschriften über die Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften für die soziale Sicherheit "zur Verbesserung der Lebenshaltung und der BeschäftigungsbeGau/hier, 286; Sieveking, Funktionen, 55; Eichenhofer, SGb 1991, 168. C-228/88 (Bronzino), Slg. 1990,1-531 (1-554). 210 Vgl. dazu Klang, 95; Henningsen, Rahmenbedingungen, 178.

268 Vgl. dazu

269 So die Argumentation des EuGH, Rs.

244

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

dingungen dieser Arbeitnehmer beitragen (sollen); sie sollen innerhalb der Gemeinschaft sicherstellen, daß alle Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gleich behandelt werden und die Arbeitnehmer und ihre anspruchsberechtigten Angehörigen unabhängig von ihrem Arbeits- oder Wohnort271 in den Genuß der Leistungen der sozialen Sicherheit kommen." Schließlich ist zu bedenken, daß, lebten die Kinder im Beschäftigungsstaat, das Kindergeld ohnehin in voller Höhe fällig würde. 272 Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte sowie dem Zweck des Art. 73 VO (EWG) Nr. 1408171, der eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer dadurch verhindern will, daß ein Mitgliedstaat die Gewährung von Familienleistungen ablehnen kann, weil die anspruchsberechtigten Angehörigen des Wanderarbeitnehmers in einem anderen als dem die Leistungen erbringenden Staat wohnen, sind die Entscheidungen Bronzino und Gatto zu begrüßen. Die an den Entscheidungen geübte Kritik vermag nicht zu überzeugen, entspricht es doch einer "sozialstaatlichen Logik", daß bei der Gewährung von Kindergeld der Wohnort der Kinder und der Ort des Eintritts der Tatbestandsvoraussetzungen unerheblich sein müssen,273 insbesondere dann, wenn für die zu erfüllenden Voraussetzungen Begriffe gebraucht werden, die - jedenfalls im Grundsatz - international im gleichen Sinne verwendet werden. 274 b) Sonderregelungen für Frankreich 00)

Rechtsprechung des Gerichtshofs

Von besonderer Bedeutung sind die Entscheidungen des Gerichtshofs in den Rs. 41/84 (Pinna I) vom 15.1.1986275 und Rs. 359/87 (Pinna /1) vom 2.2.1989,276 mit denen der Gerichtshof die für Frankreich geltende Sonderre-

Hervorhebung eingefügt. Vgl. Henningsen, Rahmenbedingungen, 178. 213 Vgl. dazu Sieveldng, Funktionen, 55. 274 Dies ist mit Eichenhofer, SGb 1991, 170, für die Begriffe "arbeitslos" und "verfügbar" anzunehmen. 275 Sig. 1986, 1. 276 Sig. 1989, 585. 271

272

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

245

gelung des Art. 73 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408171 insoweit für ungültig erklärte, als diese Vorschrift ausschloß, daß den französischen Rechtsvorschriften unterliegenden Arbeitnehmern für ihre im. Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnenden Familienangehörigen nach den französischen Rechtsvorschriften Familienleistungen gewährt werden. 277 Zum Verständnis der für Frankreich geltenden Sonderregelung des Art. 73 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408171 ist zunächst auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift einzugehen. Art. 73 VO (EWG) Nr. 1408171 ersetzte Art. 40 VO Nr. 3, nach dem der Beschäftigungsstaat Zahlungen lediglich in Höhe der im. Wohnstaat gewährten Familienbeihilfen zu leisten hatte. Damit hob Art. 73 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408171 die von Art. 40 VO Nr. 3 vorgesehenen Beschränkungen für alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Frankreich auf. Da sich Frankreich einer einheitlichen Lösung unter Hinweis auf die Höhe und die Natur seiner Familienleistungen verweigerte,278 kam es zu der für Frankreich geltenden Sonderregelung der Art. 73 Abs. 2 und 75 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408171. 279 Wie aus Art. 98 (später Art. 99) VO (EWG) Nr. 1408171 und dem zwölften Erwägungsgrund der VO (EWG) Nr. 1408171 hervorgeht, sollte diese Frankreich betreffende Sonderregelung lediglich eine "befristete Übergangslösung" darstellen, die letztlich durch eine für alle Mitgliedstaaten in gleicher Weise geltende Regelung abzulösen war. Geplant war eine Prüfung des gesamten Fragenkreises der Zahlung von Familienleistungen an die nicht in den zuständigen Staaten wohnenden Familienangehörigen durch den Rat vor dem 1.1.1973, um zu einer einheitlichen Lösung für alle Mitgliedstaaten zu gelangen. Demzufolge wurde die zeitliche Vorgabe zur Einführung einer einheitlichen Regelung vom Zeitpunkt des Erlasses der VO (EWG) Nr. 1408171 (14.6.1971) auf etwa anderthalb Jahre bemessen. Die Kommission legte allerdings erst im. Jahre 1975 einen Vorschlag zur Vereinheitlichung der Regelung für die Zahlung der Familienleistungen an Arbeitnehmer, deren Familienangehörige in einem anderen als dem Beschäftizn Zu berücksichtigen ist allerdings, daß Frankreich erstattungspflichtig war, soweit andere Mitgliedstaaten als Wohnsitzstaaten leistungspflichtig wurden, vgI. dazu An. 75 Abs. 2 Buchst. c VO (EWO) Nr. 1408/71 a.F. i.V.m. An. 98 VO (EWO) Nr. 574/72. 278 S. dazu Ohler, 35; Steinmeyer, Schriftenreihe, 178. 279 Ohler, 35 f.

246

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinscbaftlicher Maßnahmen

gungsland wohnen, vor. 280 Obwohl dieser Vorschlag Frankreich wiederum einen gewissen Sonderstatus einräumte,281 wurde er sowohl vom EP als auch vom WSA begrüßt. 282 Allerdings rügte das EP die Kommission für die verspätete Vorlage; der WSA hingegen vermutete hierfür als Erklärung die Schwierigkeiten und Auswirkungen des Beitritts der drei neuen Mitgliedstaaten. Der Rat vermochte jedoch über diesen Vorschlag keine Einigkeit zu erzielen, "weil einer der Mitgliedstaaten seinen Vorbehalt noch nicht zurückziehen konnte. "283 Daß es sich hierbei um Frankreich handelte, ist offensichtlich. 284 Auch in der Folgezeit änderte sich an dieser Rechtslage nichts. Erst durch den Erlaß der VO (EWG) Nr. 3427/89, mit der der Rat Art. 99 aufhob,285 kam es zu einer für alle Mitgliedstaaten einheitlichen Lösung. Trotz der in der Entscheidung Pinna 1 festgestellten Ungültigkeit des Art. 73 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408171 ließ es der Rat nicht zu, die Vorschrift zur Begründung von Forderungen heranzuziehen, die sich auf Leistungen für Zeiträume vor dem Erlaß dieses Urteils bezogen hätten; dies begründete er mit zwingenden Gründen der Rechtssicherheit. 286 In engem Zusammenhang mit der Entscheidung Pinna 1 steht die Entscheidung Pinna 11 vom 2.2.1989,287 die die Wirkungen der Ungültigkeit von Art. 73 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408171 betrifft. Der Gerichtshof erklärte, daß die festgestellte Ungültigkeit dieser Bestimmung zur allgemeinen Anwendbarkeit des in Art. 73 Abs. 1 der Verordnung festgelegten Systems der Zahlung von Familienlei-

Vorschlag vom 10.4.1975, ABI. C 96/4. Vgl. dazu die vorgeschlagene Änderung von Anhang V, Abschnitt "D. Frankreich" der VO (EWG) Nr. 1408171, ebd. 282 EP, Entschließung vom 14.10.1975, ABI. C 257110; WSA, Stellungnahme vom 23.124.9.1975, ABI. C 286/19. Allerdings wurden von französischer Seite Vorbehalte dahin gehend geltend gemacht, daß die Vereinheitlichung solange, wie unterschiedlich hohe Soziallasten bestünden, nur schwer anzuwenden sei, s. dazu BuH. EG 10-1975, Ziff. 2412. 283 S. dazu BuH. EG 12-1975, Ziff. 2420; BuH. EG 12-1976, Ziff. 1310. 284 Dies wird aus dem französischen Schrifttum, das sich mit dem Urteil Pinna 1 beschäftigt, nicht deutlich, vgl. etwa Gauthier, 285, der das Nichtzustandekommen einer für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen verbindlichen Regelung mit den Worten "faute d'un accord unanime entre les Etats membres ... " umschreibt. 285 S. dazu Art. 1 Abs. 4 der VO (EWG) Nr. 3427/89, ABI. L 331/1. Vgl. dazu auch EuGH, Rs. C-99/89 (YaiIez-Campoy), Slg. 1990,1-4097. 286 EuGH, Rs. 41/84 (Pinna 1), 1986, 1 (25 ff.). 287 EuGH, Rs. 359/87 (Pinna 11), Slg. 1989, 585. 280 281

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

247

stungen führt, solange der Rat keine mit Art. 51 EWGV in Einklang stehenden neuen Regelungen erlassen hat. 288

bb)

Die an dieser Rechtsprechung geübte Kritik

Die Urteile Pinna 1 und Pinna II sind vom Schrifttum kritisch gewürdigt worden. 289 In erster Linie bezieht sich die an den Urteilen geübte Kritik einerseits auf die aufgestellte "Exportverpflichtung" und andererseits auf eine angenommene Überschreitung der Befugnisse des Gerichtshofs. Die "Exportverpflichtung"

(1)

Das Urteil Pinna I, durch das die bisherige partielle Durchbrechung des Beschäftigungslandprinzips durch das Wohnlandprinzip aufgehoben wurde,290 ist insbesondere vom französischen Schrifttum kritisiert worden. Gegen die nunmehr auch Frankreich treffende Exportverpflichtung wurde beispielsweise angeführt, die Gewährung der hohen französischen Leistungen könne im Wohnstaat zu lokalen Ungleichheiten führen und als eine von einem reicheren Land gewährte Hilfe eher zum Konsum als zur Entwicklung beitragen. 291 Argumentiert wurde ferner, die französischen Leistungen seien auf das Niveau der französischen Familien zugeschnitten und nicht auf das Niveau einer italienischen Familie in Kalabrien, "wo Kassenbestände, Einkommen, Wohnungen und die Schulpflicht nur schwierig zu kontrollieren seien". 292 Befürchtet wurde zudem, auf Frankreich könnten "unerträgliche Kosten" zukommen. 293 Diese Kritik vermag bei näherer Betrachtung der Rechtslage nicht zu überzeugen. Wie bereits dargestellt wurde, sollte der Frankreich eingeräumte Sonderstatus nur vorübergehender Art sein, so daß auch ein in Frankreich be288

Ebd., 615.

Bokeloh, BArbBI. 11/1986, 13; Von Raepenbusch, 475; Wyatt, CMLR 1986, 703; Bosseher, 269; Morgon, 483; Sieveldng, ZSR 1987, 520 f.; Neri, Affari sociali intcmazionali 1989, 185; Watson, ELR 1989, 346; einelJi, Rivista italiana di diritto dellavoro 1987 n, 30; ders.; Rivista italiana di diritto dellavoro 1990 n, 25; Monroe, 547; Ohler, 31 ff.; Kaupper, 289

Familienleistungen, 138 f. 290 Steinmeyer, Schriftcnrcihe, 178. 291 Rodiire, 310. 292

Coral, 520.

293 Ders., ebd.; Gaulhier, 288.

248

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

schäftigter Arbeitnehmer darauf vertrauen durfte, für seine in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaften Familienangehörigen zu gegebener Zeit einen Anspruch auf die französischen Familienleistungen zu erhalten. Darauf, wie diese Leistungen im Wohnstaat verwendet werden,294 kann es ebensowenig ankommen wie auf die Frage, ob diese Leistungen zu lokalen Ungleichheiten führen können. Der Befürchtung schließlich, diese Entscheidung des Gerichtshofs könnte zu unerträglichen Kosten für Frankreich führen, ist entgegenzuhalten, daß, lebten diese Angehörigen des Wanderarbeitnehmers zusammen mit diesem in Frankreich, die Leistungen gleichermaßen in voller Höhe - wie für jeden französischen Arbeitnehmer - zu zahlen wären. Die Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof

(2)

Fundierter erscheint indessen die Kritik an der insoweit betriebenen Rechtsfortbildung des Gerichtshofs. Die durch die Urteile Pinna I und Pinna 11 betriebene Rechtsfortbildung liegt darin, daß der Gerichtshof zunächst die Vorschrift des Art. 73 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 für ungültig erklärt hat, die Wirkungen dieser festgestellten Ungültigkeit zeitlich beschränkt und später die Folgen der Feststellung dieser Ungültigkeit bestimmt hat. Dies wirft die Frage auf, ob sich der Gerichtshof mit seiner Rechtsprechung noch in den Grenzen von Art. 164 EGV gehalten hat. Hiergegen könnte sprechen, daß der Gerichtshof durch diese Entscheidungen Recht gesetzt hat, die Setzung von Recht aber nach dem Vertrag grundsätzlich dem Rat als Gemeinschaftsgesetzgeber vorbehalten ist. 295 Bei seiner richterlichen Tätigkeit gegenüber dem Rat, dem die politische Gestaltung bei der Verwirklichung der Vertragsziele obliegt, ist dem Gerichtshof aber Zurückhaltung auferlegt. 296 Für die Einhaltung des Art. 164 EGV könnte andererseits sprechen, daß in einer Rechtsordnung, die auf Veränderung der Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten angelegt ist und zudem auf die Verwirklichung bestimmter politischer Ziele sowie auf die wirtschaftliche und rechtliche Integration

294

Vgl. dazu Sieveking, Funktionen,

295 GTEIKTÜCk, Art. 164 Rn. 58. 296

55.

S. dazu GrabitzlPemice, Art. 164 Rn. 22; GTEIKrück, ebd., Rn. 6.

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

249

von Verfassungsstaaten abzielt, auch die "Wahrung des Rechts" einer weit größeren Dynamik als im traditionellen Verfassungsrecht unterliegt. 297 Um dies beantworten zu können, müssen verschiedene Gesichtspunkte berücksichtigt werden, insbesondere Folgen und Wirkungen einer Ungültigkeitserklärung von Regelungen des sekundären Gemeinschaftsrechts. Im Gegensatz zu seiner in den Anfangsjahren der Gemeinschaft eingenommenen Position, er könne im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens einen Rechtsakt nicht für nichtig erklären,298 entschied der Gerichtshof später, daß Ungültigkeitserklärungen für jedes andere Gericht einen ausreichenden Grund darstellen, die Handlung des EG-Organs als ungültig anzusehen. 299 Damit hat der Gerichtshof die Systematik der Verfahrens arten insofern durchbrochen, als er dem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV der Sache nach die gleichen Konsequenzen wie dem Nichtigkeitsverfahren nach Art. 173 EGV eingeräumt hat. 3OO Eine grundsätzliche Unterscheidung beider Verfahrensarten wird damit zwar schwieriger, dies ist aber angesichts der "historischen Ambiguität"301 beider Vorschriften in ihrem Verhältnis zueinander ohnehin angelegt. 302

Im Rahmen von Vorabentscheidungen wendet der Gerichtshof den für Nichtigkeitsklagen nach Art. 173 EGV geltenden Art. 174 Abs. 2 EGV analog an. 303 Art. 174 Abs. 2 EGV räumt dem Gerichtshof die Möglichkeit ein, die Wirkungen eines Nichtigkeitsurteils, das grundsätzlich ex tune-Wirkung hat, im Hinblick auf Verordnungen zu beschränken; für eine Beschränkung können u.a. Gründe der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Achtung wohlerworbener Rechte Dritter sprechen. 304

GrabitziPemice, ebd., Rn. 12. EuGH, Rs. 16/65 (Schwarze), Slg. 1965, 1151 (1165). 299 EuGH, Rs. 66/80 (International Chemical Corporation), Slg. 1981, 1191 (1215); Rs. 112/83 (Societe des produits de maIs), Slg. 1985, 719 (747). 300 Schweitzer / Hummer, 127 (noch zu Art. 173 und 177 EWGV). 301 Mertens de Wiltnars, FS Hans Kutscher, 292. 297

298

302

Von daher erscheint die - noch zu Art.

173 und 177 EWGV geäußerte - Auffassung von

Ohler, 44, eine Unterscheidung könne nicht mehr vorgenommen werden, unzutreffend. 303 EuGH, Rs. 4/79 (Providence agricole), Slg. 1980, 2823 (2853); Rs. 109/79 (MaIseries de Beauce), Slg. 1980, 2883 (2913); Rs. 145/79 (Roquene Freres), Slg. 1980, 2917 (2946 f.); Rs. 112/83 (Societe des produits de maIs), Slg. 1985, 719 (747 f.). 304 GrabitzlWenig, Art. 174 Rn. 9. Kritisch zur Analogie Beckmann, 114 f.

250

2. Teü: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

Bei der Ungültigkeitserldärung von Art. 73 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408171 im Urteil Pinna I ist zu bedenken, daß der Gerichtshof damit einen Zustand herbeiführte, der in der Verordnung selbst angelegt war, da die in Frage stehende Regelung nur vorübergehender Natur sein sollte und eine einheitliche, für alle Mitgliedstaaten geltende, Bestimmung ohnehin seit mehr als einem Jahrzehnt ausstand. Hinsichtlich der Befristung der Wirkung der festgestellten Ungültigkeit muß bedacht werden, daß im Falle einer anderen Entscheidung Anlaß zu der Annahme bestanden hätte, zahlreiche der in Frankreich beschäftigten Arbeitnehmer würden Ansprüche auch für vergangene Zeiträume geltend machen, mit denen Frankreich nicht zu rechnen brauchte. Berücksichtigt man diese Erwägungen und die evolutive Natur des Gemeinschaftsrechts, ist nicht anzunehmen, daß der Gerichtshof mit seiner Entscheidung Pinna I die ihm durch Art. 164 EGV übertragene Aufgabe überschritten hat. Schwieriger erscheint hingegen die Beantwortung der Frage, ob sich der Gerichtshof im Rahmen des Gemeinschaftsrechts gehalten hat, indem er in dem Urteil Pinna 11 entschieden hat, daß die Feststellung der Ungültigkeit von Art. 73 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408171 zur allgemeinen Anwendung des in Art. 73 Abs. 1 dieser Verordnung festgelegten Systems der Zahlung von Familienleistungen führt, solange der Rat keine neuen, mit Art. 51 EWGV in Einklang stehenden Regelungen erlassen hat. Da der Gerichtshof auf diese Weise faktisch eine "einheitliche Lösung" LS.d. Art. 99 VO (EWG) Nr. 1408171 eingeführt hat, Le. das Beschäftigungslandprinzip statt des Wohnlandprinzips nunmehr auch für Frankreich, wenn auch nur vorübergehend bis zu einer vom Rat zu treffenden Neuregelung, ist fraglich, ob dies in Einklang mit Art. 51 EWGV und der im EWGVertrag vorgesehen Kompetenzverteilung zwischen den Organen stand und nunmehr mit dem EG-Vertrag vereinbar ist. Hiergegen könnte sprechen, daß nach der Kompetenzverteilung des EWG-Vertrages wie nunmehr des EG-Vertrages das eigentliche Rechtsetzungsorgan der Gemeinschaft der Rat (Art. 145 EWGV bzw. 145 EGV) ist, der die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen einstimmig beschließen muß (Art. 51 EWGV bzw. 51 EGV). Für ein Handeln im Rahmen des Gemeinschaftsrechts könnte andererseits sprechen, daß dem Gerichtshof, wollte er die in Frankreich beschäftigten Arbeitnehmer

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

251

nicht rechtlos stellen, keine andere Wahl blieb, als Art. 73 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408111 zum einzig gültigen Bezugssystem zu erklären. Für die Beurteilung dieser Frage sind die kontroversen, im Sitzungsbericht des Urteils Pinna II zum Ausdruck gekommenen Auffassungen der verschiedenen Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen. Gegen die Anwendbarkeit von Art. 73 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408111 auf in Frankreich beschäftigte Arbeitnehmer, deren Angehörige in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, sprachen sich die beklagte Caisse d'allocations jamiliales de la Savoie und die französische Regierung aus. Die Beklagte, die dem Kläger die Gewährung von Familienbeihilfen nach Erlaß des Urteils Pinna I verweigerte, begründete ihr Verhalten damit, daß Gemeinschaftsverordnungen über die Harmonisierung der sozialen Sicherheit vom Rat einstimmig zu erlassen seien und der Gerichtshof infolgedessen nicht das Recht habe, sich durch die Aufstellung einer neuen Rechtsvorschrift an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen. Bis zum Zeitpunkt des Erlasses einer neuen Verordnung, die einstimmig zu erfolgen habe, sei das vor Erlaß des Art. 73 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 geltende Recht anwendbar, also die VO Nr. 3 über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. 305 Deren Art. 40 regele die Zahlung von Familienbeihilfen ausschließlich nach dem Kriterium des Wohnlandes. 306 Eine sich hiervon unterscheidende rechtliche Bewertung vertrat die franzö-

sische Regierung. Sie betonte, daß der Gerichtshof dann, wenn er dem Satz-

teil "eines anderen Mitgliedstaats als Frankreich" in Art. 73 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408111 keine praktische Bedeutung mehr habe beimessen und ihn somit als "toten Buchstaben" habe ansehen wollen, er dies mit Sicherheit klargestellt hätte. Eine Anwendung von Art. 73 Abs. 1 anstelle von Art. 73 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408111 könne schon deshalb nicht in Betracht gezogen werden, weil hierin eine wesentliche Änderung des sachlichen Geltungsbereichs der VO (EWG) Nr. 1408111 liege, da sich Abs. 1 auf Familienleistungen beziehe, Abs. 2 hingegen auf Familienbeihilfen beschränkt sei. Den Rückgriff auf die VO Nr. 3 wollte die französische Regierung nicht zulassen und verwies den Kläger stattdessen auf die Verpflichtung Frankreichs, bis zum Erlaß einer neuen Verordnung Maßnahmen zu treffen, um die Belange

30S 306

ABI. 1958 S. 561. Sitzungsbericht in der Rs. 359/87, Slg. 1989, 585 (590).

252

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

der Arbeitnehmer zu wahren und insbesondere eine Unterbrechung der Zahlung der Familienbeihilfen zu verhindern. 307 Demgegenüber sprachen sich der Kläger, die Kommission und die Regierungen von Italien, Portugal und Griechenland, für die Anwendbarkeit des Art. 73 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 aus. Der Kläger führte zur Begründung dieser Auffassung aus, daß sich Art. 73 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 als Ausnahme von der allgemeinen Regel der Anwendung der Rechtsvorschriften des Beschäftigungslandes auf den Arbeitnehmer darstelle. Aufgrund der Ungültigkeitsfeststellung dieser Vorschrift im Urteil Pinna I sei von nun an allein Art. 73 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 anwendbar. 308 Zum Wortlaut des (Frankreich ausschließenden) Art. 73 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 nahmen die italienische und die portugiesische Regierung dahin gehend Stellung, daß der Wegfall der Vorschrift, die die Ausschlußklausel in Art. 73 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 rechtfertige, von selbst zum Wegfall der logisch-systematischen Grundlage dieser Ausschlußklausel fübre 309 bzw. diese Einschränkung angesichts der Ungültigkeit von Art. 73 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 jeden Sinn verliere. 310 Für diese letztgenannte Ansicht, die auch von GA Lenz und vom Gerichtshof geteilt wurde, sprechen die überzeugenderen Argumente. Zu dem Einwand, die Abs. 1 und 2 des Art. 73 VO (EWG) Nr. 1408/71 beträfen unterschiedliche Anwendungsgebiete, da sich Abs. 1 auf "Familienleistungen" beziehe, Abs. 2 hingegen auf "Familienbeihilfen " , weist GA Lenz unter Bezugnahme auf die in Art. 1 Buchst. u Ziff. i und ii VO (EWG) Nr. 1408/71 enthaltenen Definitionen beider Begriffe nach, daß Familienbeihilfen nur eine Kategorie der Familienleistungen darstellen, d.h. die Begriffe in einem Verhältnis von Oberbegriff ("Familienleistungen") und Unterbegriff ("Familienbeihilfen") zueinander stehen. Hieraus leitet er ab, daß damit auch das Verhältnis von Art. 73 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 zu dessen Abs. 2 in sachlicher Hinsicht das der allgemeinen Regel und der Spezialnorm ist, die Vor'3JJ1Ebd., 592. 308 Ebd., 588 f. Nicht wieder aufgenommen wurde die vom Kläger zuvor vertretene Ansicht, daß die Bestimmung des Art. 73 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408nl bereits wegen Ablaufs der in Art. 98 gesetzten Frist ungültig sei, s. dazu den Schlußantrag von GA Mancini in der Rs. 41/84 (Pinna 1), Sig. 1986, 1 (13 f.). 309 So die italienische Regierung in der Rs. 359/87 (Pinna 11), Sig. 1989, 585 (593 f.). 310 So die portugiesische Regierung in der Rs. 359/87 (Pinna 11), ebd., 595.

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

253

schriften also nicht in einem Aliud-Verhältnis zueinander stehen. 311 Diese Auslegung überzeugt, denn die einzig denkbare Konstruktion eines AliudVerhältnisses wäre die folgende: Art. 73 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408171 nimmt eine Koordinierung der Familienleistungen für sämtliche Mitgliedstaaten außer Frankreich vor, für das ausschließlich für den Teilbereich der Familienbeihilfen Regelungen getroffen werden. Gegen diese Konstruktion spricht, daß kein sachlicher Grund für die gänzliche Ausnahme Frankreichs aus der gemeinschaftsrechtlichen Koordinierung für Familienleistungen erkennbar ist. Zudem wären dann diejenigen Familienleistungen, die keine Familienbeihilfen sind, von der Verordnung überhaupt nicht erfaßt gewesen. Eine derartige Lücke vom Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung kann jedoch nicht unterstellt werden. 312 Durch die Ungültigkeitserklärung von Art. 73 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408171 fielen die gegenüber der Grundnorm des Art. 73 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408171 bestehenden Ausnahmen, nämlich zum einen die sachliche Beschränkung auf Familienbeihilfen und zum anderen die territoriale Beschränkung auf Arbeitnehmer, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat als Frankreich wohnen, ersatzlos fort. 313 Infolgedessen mußte es zur allgemeinen Geltung des Art. 73 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408171 als einzig gültigem Bezugssystem kommen, da die Anwendung des Beschäftigungslandprinzips auch für Frankreich die einzig denkbare vertragskonforme Lösung des Problems war. 314 Dem kann die in Art. 73 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408171 enthaltene Wendung "eines anderen Mitgliedstaats als Frankreich" nicht entgegengehalten werden. Zwar hat der Gerichtshof diese Wendung in seinem Urteil Pinna I nicht ausdrücklich für ungültig erklärt, die Feststellung der Ungültigkeit von Art. 73 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408171 konnte aber nur die Wirkung haben, dem fraglichen Satzteil jede Daseinsberechtigung und praktische Bedeutung zu nehmen, d.h. dieser Satzteil war bereits durch das Urteil Pinna I stillschweigend für ungültig erklärt zu erachten. 315 311 Schlußantrag in der Rs. 359/87 (Pinna lI), ebd., 604 f. Ein Regel-/ Ausnahmeverhältnis nimmt auch Pretot, 74, an. Demgegenüber spricht sich Ohler, 49 ff., für ein Aliud-Verhältnis in territorialer Hinsicht aus. Dies erscheint angesichts seiner zuvor getroffenen Feststellung, daß ein Aliud-Verhältnis in sachlicher Hinsicht nicht vorliegt, nicht konsequent. 312 Schlußantrag in der Rs. 359/87 (Pinna /1), ebd., 606. 313 Ebd., 605. 314 A.A. demgegenüber Kaupper, Familienleistungen, 139. 315 Schlußantrag in der Rs. 359/87 (Pinna /1), Slg. 1989,585 (605).

254

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

c) Vermeidung einer Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen 00)

Rechtsprechung des Gerichtshofs

Die bis zum 30.4.1990 geltende Fassung des Art. 76 VO (EWG) Nr. 1408/71 sah zur Vermeidung einer Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen vor, daß der Anspruch auf die nach den Art. 73 und 74 VO (EWG) Nr. 1408/71 geschuldeten Familienleistungen oder Familienbeihilfen ausgesetzt wird, wenn wegen der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit FamiIienleistungen auch nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Familienangehörigen wohnen, zu zahlen sind. Die Formulierung der Vorschrift gab Anlaß zu Zweifeln bei ihrer Auslegung und führte demgemäß zu einer Befassung des Gerichtshofs mit diesen Fragen. Der Gerichtshof entschied im Jahre 1978, daß eine Aussetzung nicht erfolgen dürfe, wenn neben der Tätigkeit des Wanderarbeitnehmers im Beschäftigungsstaat auch dessen Ehepartner im Heimatstaat berufstätig sei, jedoch nach den Rechtsvorschriften des Heimatstaates keinen Anspruch auf Familienbeihilfen erworben habe, weil nicht alle Voraussetzungen der Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats erfüllt seien. 316 Im Jahre 1986 entschied er, daß dann, wenn der Betrag der vom Wohnstaat gezahlten Leistungen unter demjenigen des von dem anderen Staat gewährten Betrages liege, dem Arbeitnehmer nach den der VO (EWG) Nr. 1408/71 zugrundeliegenden Prinzipien der höhere Betrag erhalten bleiben und er vom Träger des letztgenannten Staates eine Zusatzleistung in Höhe des Unterschieds zwischen beiden Beträgen erhalten müsse. 317 Dies folge daraus, daß das mit Art. 51 EWGV verfolgte Ziel der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer für die Auslegung der auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit erlassenen Verordnungen maßgebend sei. Insoweit könne man nicht, ohne gegen diesen Grundsatz zu verstoßen, Art. 76 VO (EWG) Nr. 1408/71 in der Weise anwenden, daß dem Arbeitnehmer der Vorteil der günstigeren Leistungen dadurch entzogen werde, daß die in ei-

316 EuGH, R3. 134/77 (Ragazzom), Slg. 1978, 963 (970 f.); bestätigt durch Rs. 191/83 (SaI4/Jno), Slg. 1984, 3741 (3754 f.); Rs. 153/84 (Ferraioll), Slg. 1986, 1401 (1410 f.), und Rs. C-117/89 (Kracht), Slg. 1990,1-2781 (1-2799). 317 EuGH, Rs. 153/84 (Fe"aioll), ebd., 1411 f.

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

255

nem Mitgliedstaat vorgesehenen Leistungen durch die in einem anderen Mitgliedstaat geschuldeten Leistungen ersetzt würden. 318 Um die Frage, welcher von zwei Mitgliedstaaten zur Zahlung der Familienleistungen bei einer Erwerbstätigkeit beider Ehepartner in zwei verschiedenen Staaten verpflichtet sei, ging es insbesondere in Fällen, in denen Mitgliedstaaten unterschiedlich hohe Familienleistungen gewähren. Hierzu entschied der Gerichtshof, daß die eine Kumulierung der Familienbeihilfen ausschließenden Vorschriften der Art. 76 und 79 va (EWG) Nr. 1408171 sowie Art. 10 Abs. 1 Buchst. a va (EWG) Nr. 574172 nur insoweit Geltung beanspruchen könnten, als sie den Berechtigten nicht grundlos einen Teil der ihnen nach dem Recht eines Staates zustehenden Leistungen nähmen,319 Liege der Betrag der Beihilfen, deren Zahlung ausgesetzt werde, über demjenigen der gezahlten Beihilfen, sei die Antikumulierungsvorschrift nur teilweise anzuwenden und der Unterschiedsbetrag als Ergänzung zu gewähren. 320 Auch für den gemeinschaftsrechtlich nicht geregelten Fall, daß beide Elternteile in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten arbeiten und der Familienangehörige in einem dritten Mitgliedstaat wohnt, entschied der Gerichtshof, daß das aufgeworfene Kumulierungsproblem in Einklang mit dem Zweck von Art. 51 EWGV und den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs enthaltenen Leitlinien zu lösen sei. Bei der Auslegung der Art. 12 und 73 va (EWG) Nr. 1408171 kam er zu dem Ergebnis, daß der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Familienleistungen im Beschäftigungsstaat in Höhe der Differenz zu dem Betrag bestehe, der in dem Mitgliedstaat gezahlt werde, in dem sein Ehepartner eine Arbeitnehmertätigkeit ausübt. 321 318 Ebd. Dabei weist der Gerichtshof darauf hin, daß dieser Gedankengang auf der Linie der Auslegung des - in bezug auf Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern und für Waisen geltenden - Art. 77 VO (EWG) Nr. 1408nI liegt, wie durch das Urteil vom 12.6.1980, Rs. 733n9 (Laterza), Slg. 1980, 1915 (1925 f.) erfolgt. 319 EuGH, Rs. l00n8 (RoSSI), Slg. 1979, 831 (844 f.); Rs. 733n9 (Laterza), ebd.; Rs. 104/80 (Beeck), Slg. 1981,503 (514 f.); Rs. 104/84 (Kromhout), Slg. 1985,2205 (2219 f.); Rs. 153/84 (Fe"aioh), ebd.; vgl. auch Rs. 807n9 (Gravino) , Slg. 1980, 2205 (2218 f.); Rs. 320/82 (D'Amario), Slg. 1983, 3811 (3820 f.). Zu dieser st. Rspr. des Gerichtshofs, nach der eine ausschließlich nach innerstaatlichem Recht erworbene Leistung nicht aufgrund einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts gekilrzt werden kann, vgl. etwa EuGH, Rs. 100/63 (Von der Veen), Slg. 1964, 1215 (1232 f.); Rs. 22/67 (Gojfart), Slg. 1967,429 (437); Rs. 24n5 (Petrom), Slg. 1975, 1149 (1161). Diese Rechtsprechung bezeichnet Schuler, 132, sogar als "Dog-

ma".

320

Vgl. dazu die eben genannten Urteile. C-I68/88 (Dammer), Slg. 1989,

321 EuGH, Rs.

4553 (4575 ff.).

256

bb)

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

Die an dieser Rechtsprechung geübte Kritik

Folge der früheren Fassung des Art. 76 VO (EWG) Nr. 1408/71 war, daß eine im Wohn- und Herkunftsstaat unterlassene AntragsteIlung zu einem Scheitern des von Art. 76 VO (EWG) Nr. 1408/71 vorgesehenen fälligen, länderübergreifenden Zuständigkeitswechsels führte. Das Zuständigkeitssystem der Verordnung konnte somit durch den bloßen Verzicht auf eine Antrag stellung umgangen werden. 322 Um die Entwicklung der Rechtsprechung nachvollziehen zu können, müssen die für dieses Gebiet wichtigen Entscheidungen Salzan03 23 und Ferraioli324 kurz dargestellt werden.

In der Entscheidung Salzano325 lag der Sachverhalt so, daß die im Wohnund Herkunftsstaat (Italien) mit den Kindern lebende Ehefrau des in Deutschland beschäftigten Wanderarbeitnehmers Salzano keine Familienleistungen bezog, weil sie den hierfür im Wohnstaat erforderlichen Antrag nicht gestellt hatte, d.h. zu einer Kumulierung von Leistungen, der Art. 76 VO (EWG) Nr. 1408/71 entgegenwirken will, war es in dem konkreten Fall nicht gekommen. Der Gerichtshof entschied, daß die Aussetzung des Anspruchs auf Familienbeihilfen nicht erfolge, wenn nicht alle Voraussetzungen des Rechts des Wohnstaats für die tatsächliche Auszahlung der Beihilfen erfüllt seien. 326 In der Entscheidung Ferraioli 327 erklärte der Gerichtshof, daß dann, wenn der Betrag der vom Wohnstaat gezahlten Leistungen unter demjenigen der von dem anderen verpflichteten Staat gewährten Leistungen liege, dem Arbeitnehmer der höhere Betrag erhalten bleiben und er vom zuständigen Träger des letztgenannten Staates eine Zusatzleistung in Höhe des Unterschieds zwischen den beiden Beträgen erhalten müsse. 328 In bezug auf beide Entscheidungen ist dem Gerichtshof vorgeworfen worden, er habe den allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach ein Verzicht nicht ei322 Andris, 102; Bokeloh, BArbBI. 11/1986, 16.

EuGH, Rs. 191/83, Slg. 1984, 3741. EuGH, Rs. 153/84, Slg. 1986, 1401. 32S Anm. 323. 326 Ebd., 3755. m Anm. 324. m Ebd., 1411. 323

m

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

257

nen Dritten verpflichten dürfe, übersehen. 329 Diese Kritik vermag jedoch nicht zu überzeugen, weil aus der Fassung des Art. 76 va (EWG) Nr. 1408171 hervorgeht, daß die Bestimmung einen Ausgleich zwischen zwei Mitgliedstaaten treffen will, weshalb keiner von diesen beiden Staaten als "Dritter" verstanden werden kann. Dem in der Entscheidung Fe"aioli ausdrücklich anerkannten "Differenzanspruch"330 ist entgegengehalten worden, daß damit den in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnenden Ehepartnern ein Wahlrecht eingeräumt werde, nach welcher Rechtsordnung sie ihre Anspruche geltend machten. 331 Bei der rechtlichen Würdigung dieses "Differenzanspruchs " muß jedoch zum einen bedacht werden, daß eine etwaige nationale Wahlmöglichkeit "nur Folge der durch das innerstaatliche Recht eingeräumten eheinternen Wahlmöglichkeit und familialen Autonomie wäre, welche Ausfluß des auch vom Gemeinschaftsrecht zu beachtenden Gebots gleicher Behandlung von Männern und Frauen ist. "332 Zum anderen gebietet es, wie der Gerichtshof in der Fe"aioli-Entscheidung selbst ausführt, das mit Art. 51 EWGV verfolgte Ziel der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, eine gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeitsvorschrift wie Art. 76 va (EWG) Nr. 1408171 nicht so anzuwenden, daß dem Arbeitnehmer der Vorteil der ihm - nach dem Recht des einen Mitgliedstaats - zustehenden günstigeren Leistungen durch ihre Ersetzung der ihm nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats zustehenden ungünstigeren Leistungen entzogen wird. 333 Gerade dieser letzte Gesichtspunkt ist von entscheidender Bedeutung. Dem Gerichtshof kommt es hierbei nämlich auf die KlarsteIlung an, daß das Gemeinschaftsrecht dem Arbeitnehmer in jedem Fall einen Anspruch auf die höheren Familienleistungen gewährt, welche ihm nach dem Recht eines Mitgliedstaats zustehen.

329 Kaupper, Familienleistungen,

142.

Stahlberg, 241. 331 So wohl Andris, 102. 332 Stahlberg, 241. Ähnlich auch GA Damwn in seinem Schlußantrag zum Ferraioli-Uneil, der darauf verweist, daß es widersinnig wäre, wenn eine gemeinschaftsrechdiche Vorschrift die den Ehepartnern durch das nationale Recht der jeweiligen Mitgliedstaaten eingeräumte Gleichbehandlung aufgrund des Umstandes beseitigen würde, daß einer von ihnen nach der Rückkehr mit den Kindern in sein Herkunftsland eine Berufstätigkeit aufnimmt und ausübt, Sig. 1986, 1402 (1403 f.). 333 EuGH, ebd., 1411. 330

17 Kuho

258

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

Allerdings sind die Befürchtungen derjenigen Mitgliedstaaten, die ein hohes Leistungsniveau bei den Familienleistungen aufweisen, angesichts der Auslegung des Art. 76 VO (EWG) Nr. 1408/71 durch den Gerichtshof in gewissem Umfang nachvollziehbar und verständlich. Vor Erlaß der VO Nr. 3427/89334 konnte jeder Mitgliedstaat durch eine bei ihm erfolgende AntragsteIlung stets zur Zahlung der gesamten Familienbeihilfen verpflichtet werden. Obwohl diese Folge dem Ziel der Freizügigkeitsvorschriften (Gleichbehandlung der Wanderarbeitnehmer mit den inländischen Arbeitskräften ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Familienangehörigen) entspricht, erscheint es bei einer beruflichen Tätigkeit beider Ehepartner in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten angebracht, gewisse "soziale Lasten" auch auf diese beiden Mitgliedstaaten zu verteilen. Diesem Gedanken entspricht die Neufassung von Art. 76 VO (EWG) Nr. 1408/71,335 durch die die nunmehr anzuwendenden Prioritätsregeln wesentlich präziser als zuvor bestimmt werden. Die Bestimmung enthält eine klare Präferenz zugunsten des Wohnstaates: Sieht der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, Familienleistungen aufgrund der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit vor, ruht der Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegebenenfalls geschuldeten Familienleistungen bis zu dem in den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats vorgesehenen Betrag (Abs. 1). Auch der Möglichkeit einer im Wohnstaat unterlassenen AntragsteIlung beugt die Neufassung der Bestimmung vor. Für diesen Fall ist vorgesehen, daß der zuständige Träger des anderen Staates (Beschäftigungsstaat) Absatz 1 anwenden kann, als ob Leistungen in dem ersten Mitgliedstaat gewährt würden (Abs. 2).

3. Kritische Würdigung Die vorstehende Untersuchung einzelner Entscheidungen des Gerichtshofs hat gezeigt, daß die vorgebrachte Kritik, die sich einerseits gegen einen übermäßigen Leistungsexport in andere Mitgliedstaaten richtet und andererseits

ABI. L 331/1. Geändert durch VO (EWG) Nr. 3427/89 vom 30.10.1989, ABI. L 331/1; berichtigt in ABI. L 264/30 vom 20.9.1991. 334 335

B. Transfer von Leistungen der sozialen SicheIbeit

259

dem Gerichtshof eine unzulässige Rechtsfortbildung vorwirft, letztlich nicht zu überzeugen vermag. In bezug auf den bemängelten übermäßigen Leistungsexport in andere Mitgliedstaaten, der eine Folge der Rechtsprechung des Gerichtshofs sei, sind folgende Argumente zu bedenken. Nach der Grundregel des Art. 73 VO (EWG) Nr. 1408171 besteht ein Anspruch auf Familienleistungen nach dem Recht des Beschäftigungsstaates, auch wenn die Familienangehörigen im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen. An dieser rechtlichen Stellung der Betroffenen vermögen auch befremdend wirkende Sichtweisen nichts zu ändern, wie etwa das Argument der deutschen Bundesregierung in den Verfahren Bronzino und Gatto, bei der Verwirklichung bestimmter Tatbestandsvoraussetzungen des BKGG handele es sich "nur formell um Kindergeld", der Sache nach aber um eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme. 336 In Fällen, in denen für einen Familienangehörigen in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten Anspruche bestehen, soll vorrangig der Wohnstaat zur Leistung herangezogen werden. Dieser Gedanke hat - angesichts der mit Art. 76 VO (EWG) Nr. 1408171 a.F. gewonnenen Erfahrungen - zu einer entsprechenden Neufassung der Bestimmung durch die VO (EWG) Nr. 3427/89 geführt. Hierin liegt kein Widerspruch zum Beschäftigungsstaatprinzip des Art. 73 VO (EWG) Nr. 1408171, was schon daraus folgt, daß bereits das dieser Bestimmung gegenüberstehende Prinzip des Wohnstaats in der früheren Fassung des Art. 76 VO (EWG) Nr. 1408171 angelegt war. 337 Ist Art. 76 VO (EWG) Nr. 1408171 einschlägig, bestehen demnach Anspruche auf Familienleistungen in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten, so daß der dem Beschäftigungsstaatprinzip zugrundeliegende Gedanke, nach dem der Arbeitnehmer mit seiner Arbeitskraft zum Steuer- bzw. Beitragseinkommen desjenigen Staates beiträgt, in dem er beschäftigt ist,338 auch hier angewendet wird: Bei unterschiedlichem Leistungsniveau zweier Mitgliedstaaten ist in jedem Fall der höhere Anspruch zu gewähren, der aufgrund der fmanziellen Lastenverteilung zwischen zwei Mitgliedstaaten339 allerdings in der Weise "ge-

f.).

336

Vgl. dazu den Sitzungsbericht in der Rs.

331

Vgl. dazu Steinmeyer, Schriftenreihe,

1989, 357. 339 Steinmeyer, Schriftenreihe, 181.

338 Vgl. Bokeloh, ZSR

173.

C-228/88 (Bronzino),

Sig.

1990, 1-531 (1-537

260

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

splittet" wird, daß zu seiner Finanzierung beide betroffenen Mitgliedstaaten beitragen müssen. Der an einer Rechtsfortbildung des Gerichtshofs vorgebrachten Kritik ist einzuräumen, daß kaum ein Kapitel der VO (EWG) Nr. 1408171 so stark von der Rechtsprechung des Gerichtshofs beeinflußt worden ist wie das die Familienleistungen betreffende Kapitel 7. Allerdings ist zu bedenken, daß gerade dieses Kapitel Gegenstand einer bei Erlaß der Verordnung selbst schon ins Auge gefaßten Reform sein sollte, was Art. 98 (später Art. 99) VO (EWG) Nr. 1408171 und der zwölfte Erwägungsgrund der Verordnung zeigen. Eine Rechtsfortbildung auf dem Gebiet der Familienleistungen war also in der Verordnung bereits angelegt, konnte jedoch wegen Uneinigkeiten im Rat, insbesondere wegen der Unnachgiebigkeit Frankreichs, das auf einer Beibehaltung seiner - nur zeitweilig vorgesehenen - Sonderstellung beharrte, nicht erfolgen. Abschließend bleibt festzustellen, daß seit Inkrafttreten der VO (EWG) Nr. 3427/89, durch die die von Anbeginn beabsichtigte Reform des Kapitels 7 schließlich verwirklicht wurde, "eine gewisse Beruhigung" auf dem Gebiet der Familienleistungen eingetreten ist. 340 11. Gewährung von Leistungen bei Krankheit nach den Art. 18 tT. VO (EWG) Nr. 1408nl

1. Rechtliche Grundlagen Die Gewährung von Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft wird von den Art. 18 ff. VO (EWG) Nr. 1408171 sowie den Art. 16 ff. VO (EWG) Nr. 574172 geregelt. Dabei sind mehrere Sachverhalte zu unterscheiden. In der ersten Fallgruppe besteht ein ständiger Aufenthalt im Versicherungsstaat (dies ist der Beschäftigungsstaat), in dem auch der Eintritt der Krankheit erfolgt. Der Wanderarbeitnehmer verwirklicht den anspruchsbegründenden Tatbestand somit vollständig im Beschäftigungsstaat, d.h. der einzige Unterschied zu einem erkrankten inländischen Arbeitnehmer ist die unterschiedliche Staatsangehörigkeit des Wanderarbeitnehmers. Für diesen Fall gilt, daß der unter den persönlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallende

340

Kaupper, Schriftenreihc, 196.

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

261

erkrankte Wanderarbeitnehmer grundsätzlich dem Recht des Beschäftigungsstaates untersteht, das ihm die gleichen Rechte und Pflichten wie einem Staatsangehörigen dieses Staates gewährt bzw. auferlegt (Art. 13 und 3 VO [EWG] Nr. 1408171). Die zweite Fallgruppe betrifft den Sachverhalt eines Auseinanderfallens des Versicherungs- und des Wohnstaats. Diese Problematik wird von den Art. 19 ff. VO (EWG) Nr. 1408171 geregelt. Nach der Grundregel des Art. 19 VO (EWG) Nr. 1408171 werden die Zuständigkeiten für die Sachleistungen auf den Wohnstaat und für die Geldleistungen auf den Versicherungsstaat verteilt. Für Grenzgänger enthält Art. 20 VO (EWG) Nr. 1408171 eine Sonderregelung. Den Fall, daß der Versicherte oder seine Familienangehörigen die Leistungen nicht in dem an sich verpflichteten Wohnstaat, sondern im Versicherungsstaat in Anspruch nehmen, regelt Art. 21 VO (EWG) Nr. 1408171. Das Auftreten einer Krankheit bei einem vorübergehenden Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Versicherungsstaat betrifft die dritte Fallgruppe, die Art. 22 VO (EWG) Nr. 1408171 erfaßt. Hierbei sind drei Varianten zu unterscheiden, nämlich erstens die Möglichkeit, daß sich der Versicherte und seine Angehörigen vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat als dem Versicherungs- und Wohnstaat aufhalten (beispielsweise zu Besuchs- oder Urlaubszwecken), Abs. 1 Buchst. a; zweitens die Möglichkeit, daß sich der Berechtigte nach Entstehung des Leistungsanspruchs mit Genehmigung des Trägers des Versicherungsstaates in einen anderen Mitgliedstaat begibt, Abs. 1 Buchst. b; und drittens die Möglichkeit, daß sich der Berechtigte aus medizinischen Gründen in einen anderen Mitgliedstaat begibt, Abs. 1 Buchst. c.

Im. folgenden wird allein die erste Variante der dritten Fallgruppe behandelt, d.h. der Sachverhalt, daß sich der Versicherte vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat als dem Versicherungs- und Wohnstaat aufhält. Diese Fragestellung wurde deshalb ausgewählt, weil sie zum einen als besonders typisch erscheint und zum anderen in jüngster Vergangenheit verstärkt in die Diskussion geraten ist.

262

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

2. Die Entscheidungen Rindone und Paletta Für Aufsehen sorgte das Urteil des Gerichtshofs vom 3.6.1992 in der Rs. C45/90 (Paletta),341 in dem die bei Krankheit des Arbeitnehmers vom deutschen Lohnfortzahlungsgesetz vorgesehenen Leistungen in Frage standen. Im Zusammenhang mit den im Urteil Paletta behandelten Rechtsfragen ist zugleich auf einen vom Gerichtshof entschiedenden ähnlich gelagerten Fall, nämlich das Urteil vom 12.3.1987 in der Rs. 22/86 (Rindone),342 zurückzukommen. a) Sachverhalte beider Entscheidungen

aa)

Rindone

Der Sachverhalt im Fall Rindone gestaltete sich wie folgt: Der Kläger Rindone, ein italienischer Staatsangehöriger, war in der Bundesrepublik Deutschland als Bauwerker beschäftigt. Nachdem er sein Arbeitsverhältnis gekündigt hatte und in sein Heimatland zurückgekehrt war, erreichte die beklagte deutsche Krankenkasse eine Bescheinigung des zuständigen italienischen Trägers, in der ausgeführt wurde, daß der Kläger für einen noch innerhalb des Beschäftigungsverhältnisses liegenden Zeitpunkt arbeitsunfähig erkrankt sei. Die Beklagte teilte dem Kläger nach der Einholung von Auskünften bei seinem ehemaligen Arbeitgeber mit, sie könne über seinen Krankengeldanspruch aus verschiedenen, im einzelnen mitgeteilten Gründen noch nicht abschließend entscheiden. Sie stellte dem Kläger anheim, in die Bundesrepublik zurückzukehren, um sich dem vertrauensärztlichen Dienst der Krankenkasse vorzustellen, ·weil nur dann eine abschließende Entscheidung über die Gewährung von Krankengeld möglich ist.· Der Kläger teilte der Beklagten ohne Angabe von Gründen mit, daß er sich nicht in die Bundesrepublik Deutschland begeben könne. Im darauffolgenden Zeitraum erreichten die Beklagte ein von einem italienischen Arzt ausgestellter Befundbericht über die Arbeitsunfähigkeit des Klägers und eine Mitteilung des zuständigen italienischen Trägers über das Ende 341 Slg. 1992, 1-3423. Vgl. dazu auch den Vorlagebeschluß des BAG vom 27.4.1994, abgedruckt in NZA 1994, 683. 342 Slg. 1987, 1339.

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

263

der Arbeitsunfähigkeit. Nachdem die Beklagte die Stellungnahme ihrer Vertrauensärztin eingeholt hatte, lehnte sie den vom Kläger gestellten Antrag auf Krankengeld für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit ab. Daran anschließend kam es zu einem Widerspruchsverfahren und letztlich zur Klage vor den Sozialgerichten. Das BSG setzte das Verfahren aus und ersuchte den Gerichtshof gem. Art. 177 EWGV um Vorabentscheidung über verschiedene Fragen, darunter die Frage, ob der zuständige Träger die Feststellungen des Trägers des Wohnorts über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit seiner Entscheidung über den Anspruch auf Geldleistungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zugrunde legen müsse, wenn er den Arbeitnehmer nicht gem. Art. 18 Abs. 5 VO (EWG) Nr. 574172 durch einen Arzt seiner Wahl untersuchen lasse.

bb)

Paletta

Dem Fall Paletta lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kläger Vittorio Paletta, seine Ehefrau Raffaela und ihre beiden Kinder Carmela und Alberto, die alle italienische Staatsangehörige sind, wandten sich mit ihrer Klage gegen die Weigerung ihres Arbeitgebers, der in der Bundesrepublik Deutschland niedergelassenen Brennet AG, ihnen gemäß dem deutschen Lohnfortzahlungsgesetz (im folgenden: LohnFG)343 Lohnfortzahlung zu gewähren. Nach § 1 LohnFG hatte der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der nach Beginn der Beschäftigung durch Arbeitsunfcihigkeit ohne eigenes Verschulden an seiner Arbeitsleistung gehindert wurde, während der Zeit der Arbeitsunfcihigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen das Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Sämtliche Kläger waren während eines Urlaubs in Italien erkrankt. Ihre Krankheit und Arbeitsunfähigkeit wurde gemäß den einschlägigen gemeinschaftlichen und deutschen Rechtsvorschriften festgestellt und angezeigt. Die Beklagte verweigerte die Lohnfortzahlung unter Berufung darauf, daß sie an die im Ausland getrof-

343 Lohnfortzahlungsgesetz vom 27.7.1969 (BOBI. I, 946) mit späteren Änderungen; vgI. dazu auch den Gesetzcsbeschluß des Deutschen Bundestages zum Entwurf eines Entgeltfortzahlungsgesetzcs vom 1.10.1993, BR-Drs. 701193 vom 1.10.1993, der in § 5 strengere Anzeigeund Nachweispflichten normiert als der derzeit geltende § 3 LohnFG. Allerdings ist im Hinblick auf das geplante Gesetz zwischenzeitlich der Vermitdungsausschuß einberufen worden, vgI. dazu den Beschluß des Bundesrates vom 15.10.1993, BR-Drs. 701193, und den Beschluß vom 17.12.1993, BR-Drs. 911/93, mit dem der Bundesrat Einspruch eingelegt hat.

264

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

fenen ärztlichen Feststellungen, an deren Richtigkeit sie ernstliche Zweifel hegte, nicht gebunden sei. Das mit dem Rechtsstreit befaßte ArbG Lörrach legte daraufhin dem Gerichtshof drei Fragen zur Vorabentscheidung gem. Art. 177 EWGV vor. Mit der ersten Frage erbat das Gericht Klärung darüber, ob die Grundsätze in der Rs. 22/86 (Rindone) auch dann Geltung beanspruchen könnten, wenn Träger der Geldleistungen bei Krankheit - wie nach § 1 ff. LohnFG - der Arbeitgeber und nicht der Sozialversicherungsträger sei. Die zweite Frage bezog sich darauf, ob der zuständige Träger von Entgeltfortzahlungsleistungen im Krankheitsfalle nach § 1 ff. LohnFG seiner Entscheidung über den Anspruch auf Geldleistungen die vom Sozialversicherungsträger des Wohnorts des Arbeitnehmers getroffenen Feststellungen über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zugrunde legen müsse. Schließlich erbat das Gericht Auskunft darüber, ob die erste Frage für den Fall ihrer Bejahung - auch dann zu bejahen sei, wenn der zur Lohnfortzahlung verpflichtete Arbeitgeber keine tatsächliche und rechtliche Möglichkeit einer Überprüfung der Feststellung des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit habe außer derjenigen der Vornahme einer Kontrolluntersuchung nach Art. 18 Abs. 5 VO (EWG) Nr. 574/12. b) Tragende Gründe beider Entscheidungen Für beide Entscheidungen ist die Auslegung des Art. 18 VO (EWG) Nr. 574/72, der verfahrensrechtliche Voraussetzungen für den Bezug von Geldleistungen bei Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat im Falle der Krankheit bzw. Mutterschaft enthält, von zentraler Bedeutung. 00)

Rindone

In der Entscheidung Rindone setzte sich der Gerichtshof zunächst mit der Argumentation der Beklagten auseinander, wonach der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ein Rechtsbegriff sei, der von der zuständigen Stelle nach ihrem innerstaatlichen Recht anzuwenden sei. Die Beklagte hatte ausgeführt, der Begriff der Arbeitsunfähigkeit setze im deutschen Recht voraus, daß der Betrof-

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

265

fene nicht in der Lage sei, seiner bisher ausgeübten Tätigkeit oder einer dieser ähnlichen Tätigkeit nachzugehen. Da der Träger des Wohnorts nicht über entsprechende Informationen verfüge, könne eine diesbezügliche Beurteilung nur vom zuständigen Träger getroffen werden. 344 Der Gerichtshof stellte klar, daß eine Auslegung des Art. 18 VO (EWG) Nr. 574172 dergestalt, daß die vom Träger des Wohnorts getroffenen ärztlichen Feststellungen den zuständigen Träger nicht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht binden könnten, weder durch den Wortlaut der Vorschrift noch durch das mit der Vorschrift verfolgte Ziel gerechtfertigt sei. Das in Art. 18 VO (EWG) Nr. 574172 geschaffene Verfahren zeige, daß es Sache des Trägers des Wohnorts sei, den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit festzustellen. Der zuständige Träger behalte nach Abs. 5 der Bestimmung die Möglichkeit, die betreffende Person durch einen Arzt seiner Wahl untersuchen zu lassen. Allein diese Auslegung entspreche dem mit dieser Bestimmung und Art. 19 VO (EWG) Nr. 1408171 verfolgten Ziel. Würde es dem zuständigen Träger freistehen, die vom Träger des Wohnorts getroffene Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht anzuerkennen, könnten sich daraus Beweisschwierigkeiten für den Arbeitnehmer ergeben, dessen Arbeitsfähigkeit inzwischen wiederhergestellt sei. Mit Blick auf die Herstellung größtmöglicher Freizügigkeit der Wanderarbeitnehmer als eine der Grundlagen der Gemeinschaft sei es aber gerade Sinn der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, derartige Schwierigkeiten zu vermeiden. Aus diesen Erwägungen folgerte er, daß der zuständige Träger in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die vom Träger des Wohnorts getroffenen ärztlichen Feststellungen über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit gebunden sein müsse, sofern er nicht von der in Abs. 5 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch mache, den Betroffenen durch einen Arzt seiner Wahl untersuchen zu lassen.

bb)

Paletta

In der Entscheidung Paletta, in der der leistungspflichtige zuständige Träger ein privater Arbeitgeber war, ging der Gerichtshof zunächst auf den Charakter der vom Arbeitgeber im Rahmen der Lohnfortzahlung gem. § 1 LohnFG gewährten Leistungen ein. Von der deutschen wie auch der nieder344

S. dazu den Sitzungsbericht in der Rs. 22/86, Slg. 1987. 1339 (1344 f.).

266

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

ländischen Regierung, die im Verfahren Erklärungen abgegeben hatten, war vorgebracht worden, daß es sich bei diesen Leistungen nicht um Leistungen der sozialen Sicherheit LS.v. Art. 4 VO (EWG) Nr. 1408171 handele, so daß die VO (EWG) Nr. 574172 keine Anwendung finden könne. Diese Ansicht teilte der Gerichtshof nicht. Unter Verweis auf sein Urteil vom 13.7.198~45 räumte er zwar ein, er habe entschieden, daß die Fortzahlung des Arbeitnehmerlohns im Krankheitsfall nach dem LohnFG unter den Entgeltbegriff i.S.v. Art. 119 EWGV falle. Hieraus könne aber nicht geschlossen werden, daß die vom Arbeitgeber gewährte Lohnfortzahlung nicht gleichzeitig eine Leistung bei Krankheit LS.d. VO (EWG) Nr. 1408/71 darstellen könnte. Ob eine Leistung in den Anwendungsbereich der VO (EWG) Nr. 1408171 falle, hänge im wesentlichen von den grundlegenden Merkmalen dieser Leistung, insbesondere von ihrer Zielsetzung und den Voraussetzungen ihrer Gewährung, ab. Unerheblich sei demgegenüber, ob sie nach den nationalen Vorschriften als Leistung der sozialen Sicherheit verstanden werde.346

Im Hinblick auf die streitigen Leistungen stellte er fest, daß diese dem Arbeitnehmer nur im Krankheitsfall gewährt würden, wobei dann bis zur Dauer von sechs Wochen die Zahlung des im Sozialgesetzbuch vorgesehenen Krankengeldes, das unstreitig eine Leistung bei Krankheit sei, ruhe. Auch die Tatsache, daß diese Leistungen finanziell zu Lasten des Arbeitgebers gingen, ändere nichts an ihrer Einbeziehung in den Anwendungsbereich der VO (EWG) Nr. 1408/71, da nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die QualifIzierung einer Leistung als unter diese Verordnung fallende Leistung unabhängig von der Art ihrer Finanzierung seL 347 Demnach stellten die vom Arbeitgeber gewährten Leistungen im Rahmen der Lohnfortzahlung gem. § 1 LohnFG Leistungen bei Krankheit LS.v. Art. 4 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408171 dar. Anschließend prüfte der Gerichtshof, ob Art. 18 VO (EWG) Nr. 574172 für den Fall anwendbar sei, daß Leistungen bei Krankheit vom Arbeitgeber gewährt würden. Dazu führte er aus, daß der Arbeitgeber nach Art. 1 Buchst. o Ziff. iv der VO (EWG) Nr. 1408171 dann als "zuständiger Träger" im Sin-

Rs. 171/88 (Rbrner-KDhn), Slg. 1989, 2743 (2759). Rs. 249/83 (Hoec!rx), Slg. 1985,973 (986 f.). 347 EuGH, verb. Rs. 379 bis 381185 und 93/86 (Gilttti u.a.), Slg. 1987,955 (975). 345

346 EuGH,

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

267

ne dieser Verordnung anzusehen sei, "wenn es sich um ein System handelt, das die Verpflichtungen des Arbeitgebers hinsichtlich der in Art. 4 Abs. 1 genannten Leistungen betrifft". Aufgrund der Übernahme der DefInitionen des Art. 1 in die VO Nr. 574/72 (Art. 1 Buchst. c) komme dem Begriff "zuständiger Träger" in beiden Rechtsakten die gleiche Bedeutung zu. Daraus schloß der Gerichtshof, daß Art. 18 VO (EWG) Nr. 574/72 auch dann gelten müsse, wenn der zuständige Träger ein Arbeitgeber sei. Daß diese Auslegung des Art. 18 VO (EWG) Nr. 574/72 geboten sei, stützte der Gerichtshof - wie schon im Urteil Rindone - auf die Zielsetzung dieser Vorschrift, die insbesondere in der Vermeidung von Beweisschwierigkeiten für denjenigen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsfähigkeit inzwischen wiederhergestellt ist, liege. Dieser Zielsetzung könne nicht entgegengehalten werden, daß der Arbeitgeber nicht stets in der Lage sein werde, von der in Art. 18 Abs. 5 VO (EWG) Nr. 574/72 vorgesehenen Möglichkeit der Durchführung einer Kontrolluntersuchung Gebrauch zu machen. Die in diesem Zusammenhang von der Beklagten vorgetragenen praktischen Probleme, die vor allem in dem umständlichen Verfahren gesehen wurden, seien durch den Erlaß nationaler oder gemeinschaftlicher Maßnahmen zu lösen und könnten die gebotene Auslegung nicht in Frage stellen. Der Gerichtshof erkannte daher für Recht, daß Art. 18 Abs. 1 bis 4 VO (EWG) Nr. 574/72 dahin auszulegen sei, daß der zuständige Träger, auch wenn es sich dabei um den Arbeitgeber und nicht um einen Träger der sozialen Sicherheit handele, in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht an die vom Träger des Wohn- und Aufenthaltsorts getroffenen ärztlichen Feststellungen über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfcihigkeit gebunden sei, sofern er die betroffene Person nicht durch einen Arzt seiner Wahl untersuchen lasse, wozu ihn Art. 18 Abs. 5 VO (EWG) Nr. 574/72 ermächtige.

3. Die an den Entscheidungen geübte Kritik Gegen das Urteil Rindone sind verschiedene Argumente vorgebracht worden. Zunächst ist eingewendet worden, daß eine kontrollärztliche Untersuchung in einem anderen Mitgliedstaat auf praktische Schwierigkeiten stoße. 348 Bei der Entsendung eines Arztes des Mitgliedstaates, in dem der zu-

268

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

ständige Träger seinen Sitz habe, in einen anderen Mitgliedstaat zwecks Vornahme einer kontrollärztlichen Untersuchung bedürfe es der Bereitstellung entsprechender Räumlichkeiten und medizinischer Einrichtungen. Auch stelle sich die Frage, ob Art. 18 Abs. 5 VO (EWG) Nr. 574/72 eine ausreichende Rechtsgrundlage für die insoweit erfolgende Einschränkung der Souveränität eines Mitgliedstaats sei. 349 Die Inanspruchnahme der Dienste eines Arztes des Wohn- oder Aufenthaltsstaates scheitere daran, daß dem zuständigen Träger im allgemeinen geeignete Ärzte in einem anderen Mitgliedstaat nicht bekannt seien. Selbst wenn sich der zuständige Träger für diesen Fall der Verwaltungshilfe des Wohn- oder Aufenthaltsortes bedienen würde, sei nicht anzunehmen, daß sich der aushelfende Träger mit dem erforderlichen Interesse dafür einsetze, einen Gutachter zu fmden, der gegebenenfalls die frühere Entscheidung dieses Trägers in Frage stelle. 350 Die letzte verbleibende Möglichkeit, nämlich die Inanspruchnahme eines nicht dem System zugehörigen Arztes, etwa durch Vermittlung einer Auslandsvertretung, sei ebenfalls abzulehnen, weil auch dem gewichtige praktische Probleme (etwa Benennung und Zeitablauf) entgegenstünden. Zudem spreche ein solches Vorgehen gegen den Sinn des Gemeinschaftsrechts und der darin festgelegten Verwaltungshilfen, den zuständigen Träger auf einen solchen Arzt zu verweisen. 351 Zu diesen praktischen Schwierigkeiten einer kontrollärztlichen Untersuchung in einem anderen Mitgliedstaat komme hinzu, daß es zweifelhaft sei, ob sich der ausländische Arzt und der Träger des Wohnorts eine zutreffende Vorstellung von der Arbeitsunfcihigkeit machen könnten, da sie ausschließlich auf die Auskünfte des Versicherten angewiesen seien. Auch sei aus der Feme eine Bewertung der im anderen Land ausgeübten Tätigkeit mitsamt ihrem Umfeld (Art des Betriebes, die vom Versicherten zu verrichtenden Tätigkeiten sowie die derzeitigen Arbeitsumstände) nur schwer durchführbar. 352 Sehr kritisch ist auch die Entscheidung Paletta, vor der bereits vor ihrem Erlaß gewarnt worden ist,353 aufgenommen worden. 354 Gegen sie wurde vor-

348 Buchner, ZfA

1993, 304.

Wicke, 74. 350 Ders., ebd.; so auch Neumann-Duesberg, 100. 351 Neumann-Duesberg, ebd. 352 Ders., 98. 353 S. dazu Clever, ZfSH/SGB 1991,568 f. 349

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

269

gebracht - ohne Berücksichtigung der Entscheidung Rindone - daß dem Beweiswert einer durch den Arzt im Heimatstaat ausgestellten Arbeitsunf"ahigkeitsbescheinigung eine eher geringe Bedeutung beigemessen werden müsse, da faktische Kontrollmöglichkeiten über die Richtigkeit des ärztlichen Attestes für den Arbeitgeber sehr begrenzt seien. Auch die Schaffung zusätzlicher Kontrollmöglichkeiten - neben den bereits heute von Art. 18 VO (EWG) Nr. 574/72 vorgesehenen - könnten die praktischen Schwierigkeiten, die aus einer großen Entfernung zwischen Arbeitsort und Urlaubsort resultierten, nicht beseitigen. 355 Gefordert wurde daher, der Arbeitgeber müsse in die Lage versetzt werden, bei ungewöhnlichen Umständen - wie in diesem Fall-356 zusätzliche Beweismittel beizubringen, die geeignet seien, bestehende Zweifel an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auszuräumen bzw. schwer zu erschüttern. 357 Dem Schlußantrag von GA Mischo, in dem dieser ausgeführt hatte, daß es Sache des zuständigen Trägers sei, den praktisch unwiderleglichen Beweis dafür zu erbringen, daß die Feststellungen des Trägers des Wohnorts nicht den Tatsachen entsprächen und durch betrügerische Handlungen bewirkt worden seien,358 wurde eine "Weltferne" vorgeworfen, über die man sich "nur wundem" könne, denn "im Ergebnis (laufe) der Antrag auf eine Einladung zum Mißbrauch hinaus" .359 In die gleiche Richtung zielt die nach Erlaß der Entscheidung vertretene Auffassung, die Entscheidung öffne dem Mißbrauch "Tür und Tor". 360

4. Kritische Würdigung Dieser an beiden Entscheidungen vorgebrachten Kritik ist folgendes entgegenzuhalten: 3504 Vgl. etwa die Kritik des deutschen Bundeskanzlers Kohl, der Gerichtshof überschreite seine Kompetenzen, Europe - Agence internationale d'information pour la presse, No 5835, 14 October 1992, 9. 355 Clever, ZfSH/SGB 1991, 568 f. 3S6 Ausweislich des Sitzungsberichts war die gleichzeitige Erkrankung der Arbeitnehmer während eines Heimaturlaubs bereits wiederholt eingetreten. 357 Clever, ZfSH/SGB 1991, 568 f. 358 Schlußanträge in der Rs. C-45190 vom 4.6.1991, Sig. 1992,1-3437 (1-3446). 359 Clever, ZfSH/SGB 1991, 568. 360

Schiefer, 42.

270

2. Teü: Rechdiche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

Die Zweifel daran, daß Art. 18 Abs. 5 VO (EWG) Nr. 574/72 eine ausreichende Handlungsermächtigung darstelle für die aufgrund der Gestattung einer kontrollärztlichen Untersuchung erfolgende Einschränkung der Souveränität eines Mitgliedstaates, überzeugen nicht. Dadurch, daß diese Bestimmung im Rahmen einer - u.a. auf Art. 51 EWGV gestützten - Verordnung ergangen ist, beansprucht sie in jedem Mitgliedstaat unmittelbare Geltung (Art. 189 Abs. 2 EGY). Soweit die Gemeinschaftsorgane auf bestimmten Sachgebieten Verordnungen erlassen haben, steht den Mitgliedstaaten eine Entscheidungskompetenz grundsätzlich nicht mehr zu. 361 Da der Rat eine für die Gemeinschaft einheitliche Regelung des anwendbaren Verfahrens für den Bezug von Geldleistungen bei Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat im Falle der Krankheit bzw. Mutterschaft durch Art. 18 VO (EWG) Nr. 574/72 geschaffen hat, kann das Argument, hier werde die Souveränität eines Mitgliedstaats unzulässig eingeschränkt, ebensowenig überzeugen wie das Argument, diese Regelung sei nicht abschließend zu verstehen. 362 Zuzugeben ist, daß bei der Vornahme einer Kontrolluntersuchung im Wohn- bzw. Aufenthaltsstaat praktische Schwierigkeiten auftreten können. Solche Schwierigkeiten können unterschiedlicher - etwa sprachlicher oder geographischer - Art sein. Das gemeinschaftliche Rechtssystem versucht, diesen Schwierigkeiten abzuhelfen, indem es vorsieht, daß die Behörden verschiedener Mitgliedstaaten bei der Anwendung der VO (EWG) Nr. 1408/71 zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen (Art. 84 der Verordnung). Rechtlich besteht damit die Verpflichtung des zuständigen Trägers des Aufenthaltstaates, einem von einem anderen Mitgliedstaat entsandten Arzt, der eine Kontrolluntersuchung durchführen will, die erforderliche Unterstützung zukommen zu lassen. Sollten bei Kontrolluntersuchungen tatsächlich wiederholt Schwierigkeiten auftreten, könnte die bei der Kommission eingesetzte Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer tätig werden. zu deren Aufgabe es gehört, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu för-

361 S. dazu EuGH, Rs. 40/69 (BoUmann), Sig. 1970, 69 (80 und Leitsatz I); Z\l den Ausnahmen von diesem Grundsatz s. L.J. ConstlJnlinesco, Nr. 149 und 538. 362 So aber Lepke, 2028.

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

271

dern und ZU verstärken. 363 Für den Fall, daß die Verwaltungskommission diese Schwierigkeiten nicht von sich aus zu beheben vermag, kann sie eine Befassung des Beratenden Ausschusses für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer anregen, der sich dann mit der Problematik befassen müßte und letztlich einen Vorschlag für eine etwaige Änderung der Verordnung unterbreiten könnte. 364 Solange dies nicht geschehen ist, vermag der Einwand des Auftretens praktischer Schwierigkeiten daher im Ergebnis nicht zu überzeugen. Das Argument, es sei kaum anzunehmen, daß sich der aushelfende Träger mit dem erforderlichen Interesse dafür einsetze, einen Gutachter zu finden, der gegebenenfalls die frühere Entscheidung dieses Trägers in Frage stellt, entbehrt einer rechtlichen Grundlage angesichts der in Art. 84 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 normierten Verpflichtung der Träger der Mitgliedstaaten, sich bei der Anwendung der VO (EWG) Nr. 1408/71 zu unterstützen, "als handelte es sich um die Anwendung ihrer eigenen Rechtsvorschriften. " Insbesondere die Kritik an der Enscheidung Paletta mußte überraschen, da nach Erlaß der Entscheidung Rindone keine abweichende Auslegung von Art. 18 VO (EWG) Nr. 574/72 zu erwarten war, es also auf den Einwand, den in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Attesten komme kein Beweiswert zu, nicht ankommen konnte. Hinsichtlich der Forderung, der Arbeitgeber müsse in die Lage versetzt werden, bei ungewöhnlichen Umständen zusätzliche Beweismittel beizubringen, die geeignet seien, bestehende Zweifel an der Richtigkeit einer Arbeitsunf'ähigkeitsbescheinigung auszuräumen bzw. schwer zu erschüttern, ist darauf zu verweisen, daß gerade das Gemeinschaftsrecht den Arbeitgeber in diese Lage versetzt, indem es ihm das Recht einräumt, eine Kontrolluntersuchung vornehmen zu lassen (Art. 18 Abs. 5 VO [EWG] Nr. 574/72). Abschließend sei noch auf das geltende deutsche Recht verwiesen. Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 LohnFG regelt den Fall, daß der Arbeitnehmer im Aushmd arbeitswüahig erkrankt. Aus Inhalt und Aufbau dieser Bestimmung ist geschlossen worden, daß einer im Ausland ausgestellten Bescheinigung eines ausländischen Arztes im allgemeinen der gleiche Beweiswert zukommt ~ M. 81 Buchst. d VO (EWG) Nr. 1408n1. l64 Art. 83 VO (EWG) Nr. 1408n1.

272

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

wie einer im Geltungsbereich des Gesetzes ausgestellten Bescheinigung.365 Dies bedeutet nichts anderes, als daß im Fall einer Auslandserkrankung eines Arbeitnehmers - auf dessen Staatsangehörigkeit es nicht ankommt - die gleichen Anforderungen wie im Falle einer Erkrankung im Inland gestellt werden, bei der die von einem inländischen Arzt ausgestellte Bescheinigung über eine Arbeitswüahigkeit grundsätzlich ausreicht, um die Voraussetzungen für den Anspruch auf Lohnfortzahlung gern. § 1 I LohnFG zu belegen. 366 Daß dann, wenn das Gemeinschaftsrecht betroffen ist, etwas anderes gelten sollte, ist nicht einsichtig. Gerade für den Wanderarbeitnehmer besteht die Gefahr, im Ausland zu erkranken, da er freie Tage und Ferien dazu nutzen wird, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren. Müßte er damit rechnen, daß eine vom zuständigen Träger des Aufenthaltsstaates ausgestellte Bescheingung, in der seine Arbeitsunfähigkeit festgestellt wird, vom Versicherungsstaat nicht anerkannt würde, läge hierin für ihn ein gravierender Nachteil, da sein Recht auf Freizügigkeit beschnitten würde. 367 Unter Berücksichtigung dieser Argumente kann die Kritik an den beiden Entscheidungen nicht überzeugen. Auch wenn es im Fall Paletta nicht zum ersten Mal vorkam, daß sämtliche Familienmitglieder im Anschluß an einen Heimaturlaub erkrankten und Lohnfortzahlung begehrten, d.h. der Fall einen Grenzbereich von Rechtsklarheit und Einzelfallgerechtigkeit betroffen haben könnte, ist die Entscheidung des Gerichtshofs zu begrüßen, da sie sich eindeutig zugunsten der Rechtsklarheit ausgesprochen hat. 368 III. Ergebnis

Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, daß der Gerichtshof bei seiner Rechtsprechung auf dem Gebiet der Familienleistungen und der Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft immer wieder auf tragende Prinzipien des europäischen Sozialrechts eingeht. Dies sind insbesondere das Prinzip der Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Arbeitnehmer (Art. 3 Abs. 1 VO [EWG] Nr. 1408/71) sowie das Art. 51 EGV zugrundeliegende Prin-

36S

BAG, Urt. vom 20.2.1985, DB

366 S. dazu BAG,

67. 483; a.A. indessen Gaul, NZA 1993, 866.

367 Vgl. Bieback, Krankheit, 368 Abele,

1985,2618; a.A. indessen Lepke, 2027.

Urt. vom 15.7.1992, NZA 1993, 23.

B. Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit

273

zip, daß die Inanspruchnahme der Freizügigkeit nicht zu einem Verlust sozialrechtlicher Anspruche führen darf. Gerade das zuletzt genannte Prinzip impliziert die Funktion des koordinierenden Gemeinschaftsrechts, die Freizügigkeit zu fördern, besteht doch die grundlegende Zielsetzung darin, daß die grenzüberschreitende Mobilität keine größeren Schwierigkeiten bereiten sollte als diejenige innerhalb eines Mitgliedstaats. 369 Aus dieser Zielsetzung heraus muß zwangsläufig eine freizügigkeitsfreundliche Interpretation der Normen des Gemeinschaftssozialrechts folgen. 370 Versetzt man sich unter Berücksichtigung dieser Zielsetzung des EG-Vertrages in die Situation eines Wanderarbeitnehmers, erweisen sich Begriffe wie etwa "deutsches Kindergeld" oder "prestations familiales francaises" im Grunde genommen als verzerrend, da sie die Vermutung nahelegen, die Gewährung dieser Leistungen stünde allein den Staatsangehörigen des jeweiligen Staates zu. In gleicher Weise verfälschend ist die Bezeichnung "gemeinschaftliches Kindergeld", 371 da das Gemeinschaftsrecht die innerstaatlichen Sozialrechtsordnungen lediglich koordiniert, nicht aber eine zusätzliche - dritte Ebene neben diese setzt. Angesichts der Tatsache, daß in jedem Mitgliedstaat alle beschäftigten Arbeitnehmer zum Sozialversicherungs- und Steueraufkommen beitragen, müßte beispielsweise anstelle der Verwendung des Begriffs "deutsches Kindergeld" diese Leistung als "von der Bundesrepublik Deutschland gewährtes Kindergeld für in Deutschland beschäftigte Arbeitnehmer" bezeichnet werden. Die gleichen Überlegungen gelten für Leistungen bei Krankheit wie sie insbesondere die Lohnfortzahlung nach dem deutschen LohnFG darstellt. Würde man dies offenlegen, könnte eine Versachlichung der - teilweise sehr emotional geführten - Diskussion erreicht werden. In der Konsequenz dieser Überlegungen steht, daß auch der in diesem Zusammenhang häufig verwendete Begriff "Export" unzutreffend ist. Für den Bereich der EG kann nicht mehr von der im internationalen Sozialrecht sonst üblichen grundsätzlichen Beschränkung der Leistungserbringung auf das Inland gesprochen werden. 372 Staaten, die sich zu einer Gemeinschaft zusamVgl. KOM (93) 668 vom 21.12.1993, 12. m Bieback, Schriftcnrcihe, 53; Klang, 95 ff.; kritisch dagegen Pompe, 261 ff. 371 So aber Rojas, 32. m Vgl. dazu Bokeloh, ZSR 1989, 341. 369

18 Kuhn

274

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinscbaftlicher Maßnahmen

mengeschlossen und ihren Staatsangehörigen das Recht auf Freizügigkeit in einem alle Staatsgebiete umfassenden Arbeitsmarkt eingeräumt haben, schränken durch den Erlaß einer gemeinschaftlichen Verordnung, die die erforderlichen Maßnahmen für die soziale Sicherheit vorsieht; insoweit ihre ihnen andernfalls auf dem Gebiet des Sozialrechts zustehenden Gestaltungsrechte ein. Soweit ihre gemeinschaftlichen Verpflichtungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit reichen, die sie durch die entsprechenden Verordnungen konkretisiert haben, bilden die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft damit eine "Sozialgemeinschaft" , in der es ohne Bedeutung ist, in welchem Mitgliedstaat Tatbestandsvoraussetzungen einzelner Regelungen verwirklicht werden. 373 Daß das Leistungsniveau der einzelnen Mitgliedstaaten dabei unterschiedlich hoch ist und wohl auf absehbare Zeit auch bleiben wird, ist für den Transfer der in einem Mitgliedstaat erworbenen Ansprüche in einen anderen Mitgliedstaat unerheblich. Nicht übersehen werden darf jedoch, daß nationale Behörden - insbesondere Versicherungsträger - in Fällen mit Auslandsberührung größeren Schwierigkeiten gegenüberstehen können als bei der Bewältigung von nationalen Sachverhalten. Diesen Schwierigkeiten ist die Gemeinschaft durch die Einrichtung bestimmter Institutionen begegnet, beispielsweise für den Geltungsbereich der VO (EWG) Nr. 1408171 durch die Einrichtung der Verwaltungskommission und des Beratenden Ausschusses für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehm.er. 374 Soweit ersichtlich, scheint die Arbeitsweise dieser Institutionen keinen Anlaß zur Kritik zu geben, vielmehr werden - so im Fall Paletta - die von ausländischen Behörden bzw. Trägem ausgestellten Bescheinigungen bzw. sogar deren Arbeitsweise pauschal in Zweifel gezogen. Für diese Zweifel am Tätigwerden ausländischer Behörden und Träger gibt es aus rechtlicher Sicht allerdings keinen Anlaß, da diese Institutionen verpflichtet sind, sich bei der Anwendung der VO (EWG) Nr. 1408171 zu unterstützen, "als handelte es sich um die Anwendung ihrer eigenen Rechtsvorschriftenn (Art. 84 Abs. 2 VO [EWG] Nr. 1408171). Selbst die Gefahr eines gelegentlichen Mißbrauchs - der im übrigen auch im nationalen Recht möglich ist - vermag an dieser rechtlichen Beurteilung nichts zu ändern. Es ist daher anVgI. Zuleeg, ArbuR 1994, 81. s. dazu die Art. 80 f. VO (EWG) Nr. 1408nl (Verwaltungskommission) und 82 f. VQ (EWG) Nr. 1408nl (Beratender Ausschuß). 373

374

C. Der Soziale Dialog auf europäischer Ebene

275

zunehmen, daß die dem EuGH im Hinblick auf. das Urteil Paletta mit dem Vorlagebeschluß des BAG vom 27.4.1994375 vorgelegten Fragen zu keiner inhaltlichen Korrektur dieser Entscheidung führen dürften. Die betroffenen Wanderarbeitnehmer, die in einem Mitgliedstaat Anspruche erworben haben und diese in einen anderen Mitgliedstaat - meist den Herkunftsstaat - transferieren möchten, wegen dieses Verhaltens als "Sozialtouristen " zu bezeichnen, heißt, die gemeinschaftlichen Verpflichtungen nicht ernst zu nehmen. Denn die Gemeinschaft ist, wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, im hier untersuchten Bereich der sozialen Sicherheit längst zu einer Sozialgemeinschaft geworden. Von daher ist es unverständlich, daß selbst der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages im Jahre 1989 noch in einer Beschlußempfehlung zur sozialen Dimension des Binnenmarktes den Bundestag zu der Erklärung aufgefordert hat, Bestrebungen zum Transfer von Sozialleistungen abzulehnen, "die nicht auf durch Beitragszahlungen selbst erworbenen Anwartschaften beruhen", da "für die Gewährung von Sozialleistungen ( ... ) auch künftig uneingeschränkt das Territorialitätsprinzip gelten (müsse) und eine Aufgabe dieses Prinzips ( ... ) das Ende jeder nationalen Sozialpolitik (wäre). "376 In dieser Allgemeinheit ist eine derartige Aussage in bezug auf Wanderarbeitnehmer nicht haltbar.

c. Der Soziale Dialog auf europäischer Ebene In Ergänzung zu den vorstehenden Ausführungen, die individuelle Arbeitsverhältnisse (Kapitel A) bzw. die sozialrechtliche Stellung der Wanderarbeitnehmer (Kapitel B) betreffen, wird im folgenden der Dialog zwischen den Sozialpartnern auf europäischer Ebene - seit Einfügung von Art. 118 b EGV überwiegend als Sozialer Dialog bezeichnet - als erster Ansatz eines kollektiven Arbeitsrechts behandelt.

375

Abgedruckt in NZA 1994, 683. 11/5996 vom 7.12.1989,3.

376 BR-Drs.

276

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

I. Die Stärkung des Sozialen Dialogs seit Mitte der achtziger Jahre

In seiner Einführungsrede vor dem Europäischen Parlament und der Präsentation des Arbeitsprogramms der Kommission für 1985 regte der Präsident der Kommission Delors im März 1985 eine Neubelebung des Sozialen Dialogs an, da nur unter Beachtung der gemeinschaftlichen Dimension optimale Bedingungen für einen echten wirtschaftlichen Wiederaufschwung geschaffen werden könnten. 377 Weitergehend führte er aus, daß nach dem Wunsche der Kommission die Entwicklung des Sozialen Dialogs die Sozialpartner dazu ermutigen solle, auf Gemeinschaftsebene Rahmenverträge festzulegen, auf die sie bei Tarifverhandlungen auf der Ebene einzelner Länder, Wirtschaftszweige und Unternehmen Bezug nehmen könnten. 378 Auf Fragen der Parlamentarier erklärte Delors ferner, daß erst nach Abschluß derartiger Verträge auf Gemeinschaftsebene in ambitionierten Bereichen über den Rahmen eines Europäischen Tarifvertrages nachgedacht werden könne. 379 Ähnliche Forderungen nach einer Stärkung und eines Ausbaus des Sozialen Dialogs vertrat die Kommission auch in der Folgezeit. 380 Daß diese von der Kommission gestellten Forderungen nicht unerhört blieben, sondern es seither in stärkerem Maße zu Kontakten zwischen den Sozialpartnern gekommen ist, wurde bereits dargestellt. 381 Aus rechtlicher Sicht ist insbesondere die Frage eines Abschlusses von Kollektivverträgen auf europäischer Ebene und deren möglicher Inhalt von Bedeutung. Diese Fragestellung hat durch den Vertrag über die Europäische Union und die ihm vorausgehenden Entwürfe besondere Aktualität erhalten. So sahen der vom luxemburgischen Vorsitz verfaßte Entwurf9 82 wie auch der

Bull. EG Beilage 4/85,34. Ebd. 379 Ebd., 64. 380 S. etwa Bull. EG Beilage 1186, 28; 21. EG-Gesamtbericht (1987), Ziff. 438; Kommission, Die soziale Dimension des Binnenmarktes, Arbeitsdokument der Kommission, SEK (88) 1148 vom 14.9.1988 (sog. Marin-Papier); Bull. EG Beilage 1190, 28; BuIl. EG Beilage 1/91, 20; BuIl. EG Beilage 1/92,24; BuIl. EG 718-1992, Ziff. 1.3.107. 381 S. dazu oben, 1. Teil, A.m.4. 382 Entwurf eines Vertrags über die Union, vom luxemburgischen Vorsitz erstellte Diskussionsgrundlage, CONF-UP-UEM 2008/91 vom 18.6.1991 = Europe - Agence internationale d'information pour la presse, Europe Documents No 1722/1723,5 July 1991. 371

378

c. Der Soziale Dialog auf europäischer Ebene

277

vom niederländischen Vorsitz verfaßte Entwurf383 vor, daß der auf Gemeinschaftsebene geführte Dialog zwischen den Sozialpartnern, falls diese es wünschen, zur Herstellung tarifvertraglicher Beziehungen einschließlich des Abschlusses von Vereinbarungen, die nach den jeweiligen Verfahren und Praktiken der einzelnen Mitgliedstaaten angewandt werden, führen kann (Art. 118 b Abs. 1 EGV-Entwurf). Diese Neuerung, mit der sIch die Ad-hoc-Gruppe der Sozialpartner des Sozialen .Dialogs im Oktober 1991 einverstanden erklärt hatte,384 wurde jedoch in den später unterzeichneten Vertragstext nicht übernommen. 385 Eine inhaltlich ähnliche Formulierung enthält allerdings Art. 4 des dem Vertrag über die Europäische Union beigefügten Abkommens über die Sozialpolitik. Auch diese Regelung sieht vor, daß der Dialog zwischen den Sozialpartnern auf Gemeinschaftsebene, falls sie es wünschen, zur Herstellung vertraglicher Beziehungen, einschließlich des Abschlusses von Vereinbarungen, führen kann (Abs. 1). Darüber hinaus wird festgelegt, daß die Durchführung der auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen entweder nach den jeweiligen Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten oder - in den durch Art. 2 des Abkommens erfaßten Bereichen auf gemeinsamen Antrag der Unterzeichnerparteien durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der Kommission erfolgt. Vorgesehen ist eine Beschlußfassung des Rates mit qualifizierter Mehrheit, sofern nicht die betreffende Vereinbarung eine oder mehrere Bestimmungen betreffend der in Art. 2 Abs. 3 genannten Bereiche enthält und somit ein einstimmiger Beschluß erforderlich ist (Art. 4 Abs. 2). Ob es in naher Zukunft zum Abschluß derartiger Vereinbarungen kommen wird und auf welcher Ebene diese Vereinbarungen zu schließen sein werden, ist derzeit nicht absehbar. Erkennbar sind aber bereits jetzt die rechtlichen Probleme, die Kollektivverträge auf europäischer Ebene aufwerfen. Diesen Problemen wird im folgenden nachgegangen. 383

Entwurf eines Vertrags zur Europäischen Union, SN/1079/91 (UP 50) vom 24.9.1991

=

Europe - Agence internationale d'information pour la presse, Europe Documents No

1734/1734,3 October 1991. 384 25. EG-Gesamtbericht (1991), Ziff. 411. 3as S. dazu bereits den veränderten Vertragsentwurf des niederländischen Vorsitzes nach dem Maastrichter Gipfel, Europe - Agence internationale d'information pour la presse, Europe Documents No 1750/1751, 13 December 1991, und den Vertrag über die Europäische Union, ABI. C 191 vom 29.7.1992.

278

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinscbaftlicher Maßnahmen

11. Die Diskussion um Kollektivverträge auf europäischer Ebene

Die Herausbildung eines europäischen Kollektivvertragswesens und - damit verbunden - eines Abschlusses von Kollektivverträgen auf europäischer Ebene ist, soweit ersichtlich, seit Ende der fünfziger Jahre in der Diskussion, die seither niemals ganz abgeflaut ist. 386 Besonders in jüngster Zeit wird diese Diskussion wieder intensiv geführt. 387 Dabei sind die Bemühungen, einen rechtlichen Modus für den Abschluß internationaler oder grenzüberschreitender Tarifverträge zu fmden, keineswegs neu, sondern reichen in das vergangene Jahrhundert zurück. 388 Auf dem Gebiet des europäischen Kollektivvertragswesens wird häufig der Begriff des "europäischen Tarifvertrages"389 verwendet, der dahin gehend mißverstanden werden kann, daß er einen von der Gemeinschaft geschlossenen Tarifvertrag erfaßt. Inhaltlich ist dies jedoch nicht gemeint, vielmehr gehen auch diejenigen Autoren, die diesen Begriff verwenden, von einem Abschluß der Kollektivverträge durch die jeweiligen Sozialpartner der Mitgliedstaaten aus. Auf den Begriff "europäische Tarifverträge" soll im folgenden verzichtet werden und allgemein von Kollektivverträgen auf europäischer Ebene gesprochen werden. Dabei werden unter Kollektivverträgen diejenigen Verträge verstanden, die die rechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Hinblick auf die wesentlichen Punkte des Beschäftigungsverhältnisses regeln.

1. Die Bedeutung von Art. 118 b EGV für Kollektiwerträge auf europäischer Ebene Nach dem durch die EEA in den EWG-Vertrag eingefügten Art. 118 b bemüht sich die Kommission darum, den Dialog zwischen den Sozialpartnern auf europäischer Ebene zu entwickeln, der, wenn diese es wünschen, zu ver-

386 Vgl. etwa Zobel; Herschel; Läge; Heynig; Sadtler; Schnorr, Droit Social 1971 (No 11), 157; Steinberg; Biedenkopf, Lyon-Caen; Stiller, Tarifverträge, 158; Blank; eoen, BB 1992,

2068.

Weiss, Dialogue, 62. Vgl. dazu Zabel, 268; Schnorr, Sozialer Fortschritt 1963, 389 Vgl. etwa Heynig, 212; SadJler, 962; Steinberg, 18. 387 So auch 388

155.

C. Der Soziale Dialog auf europäischer Ebene

279

traglichen Beziehungen führen kann. Zu fragen ist, welche Bedeutung dieser Vorschrift zukommt. Geht man zunächst auf den Inhalt der Vorschrift ein, ist zu untersuchen, wie der Begriff ftvertragliche Beziehungen ft zu verstehen ist. Zutreffend dürfte sein, unter diesen Begriff Tarifverträge wie auch schuldrechtliche Abreden zu fassen. 390 Der Folgerung, hierbei handele es sich um einen Vertragstypus des Gemeinschaftsrechts, d.h. um schuldrechtliche Vereinbarungen europäischen Rechts,391 ist allerdings entgegenzuhalten, daß aus der Fassung der Vorschrift nicht erkennbar wird, daß die vertraglichen Beziehungen fteuropäischer Natur" sein müßten. Vielmehr ist ebenso vorstellbar, daß es - ausgelöst durch das Tätigwerden der Kommission - innerstaatlich zu vertraglichen Beziehungen der Sozialpartner kommen kann, beispielsweise dadurch, daß eine genauere Kenntnis von der in anderen Mitgliedstaaten geübten Praxis innerstaatliche Veränderungen herbeiführt. Betrachtet man die Vorschrift des Art. 118 b EGV in ihrem gesamten Gehalt, läßt sich feststellen, daß die ihr vorgeworfenen Mängel, sie sei vage,392 inhaltsleer,393 derzeit noch ohne feste Konturen394 bzw. enthalte lediglich einen Programmsatz, 39S nicht völlig von der Hand zu weisen sind. Einzuräumen ist, daß die gewählte Fassung des Art. 118 b EGV deutlich für die Unverbindlichkeit der Vorschrift spricht, so daß sich aus ihr keine unmittelbaren Rechte und Pflichten ableiten lassen. 396 Diejenigen, die von einer den Sozialen Dialog auf europäischer Ebene regelnden Vorschrift erwarteten, sie werde den Abschluß einheitlicher europäischer Kollektivverträge mit normativer Wirkung erlauben, müssen zwangsläufig von ihr enttäuscht sein, da sie für diese Zwecke nicht ausreicht. 397

Tarifvenragsrecht, Rn. 172S. ebd., Rn. 1728 und 1732. Vogel-Polsky, Droit Social, 189.

390 DiJubler,

391 Ders., 392

393 Vogel-Polsky / Vogel, 140. 394

PiJschas, Institutionenentwicldung, 107.

S. dazu GrabitzlJansen, Art. 118 b Rn. 2; HandkommentarlHailbronner, Art. 118 b Rn. 2; Blanpain / Klein, 184; PiJschas, ebd.; Milder, Sozialrecht, 20, der allerdings von einem "Programmansatz" spricht. 396 VgI. dazu GrabitzlJansen, ebd. 3m Hanau, 60. 395

280

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

Stellt man andererseits auf die politische und appellative Bedeutung des Art. 118 b EGV ab und sieht in der Vorschrift weniger ein rechtliches als vielmehr ein politisches Phänomen,398 bzw. versteht man sie im Sinne einer Förderpflicht der Kommission,399 zeigt sich der Gehalt der Vorschrift. Dieser liegt darin, daß Art. 118 b EGV eine - wenn auch unverbindliche - Einladung an die Sozialpartner enthält, der Ausübung ihrer Autonomie eine europäische Dimension zu geben;400 hierbei kann auf die Unterstützung der Kommission vertraut werden. 2. Vertragsparteien eines Kollektivvertrages auf europäischer Ebene Ein erstes Problem des Abschlusses von Kollektivverträgen auf europäischer Ebene stellt die Frage nach den zum Vertragsabschluß berechtigten Parteien dar. Die vorhandenen starken Unterschiede in Gestalt, Gefüge und Geist der Sozialpartner,401 die Ausdruck der unterschiedlichen Geschichte und Denktraditionen der Arbeitgeber-IArbeitnehmerbeziehungen in den einzelnen Mitgliedstaaten sind,402 wie auch die Unterschiede in den nationalen Rechtssystemen im Hinblick auf die Tariff'ahigkeit403 werfen die Frage auf, wer die Sozialpartner auf europäischer Ebene repräsentieren soll.404 Verschiedene Lösungen dieser Frage sind denkbar und werden im folgenden aufgezeigt. a) Repräsentation der Vertragsparteien durch UNICE, EGB und CEEP Zunächst ist an diejenigen Organisationen zu denken, die bereits gegenwärtig auf europäischer Ebene organisiert sind und bisher den Sozialen Dialog im wesentlichen bestritten haben, nämlich in erster Linie an die Union der europäischen lndustrieverbände (UNICE),405 den Europäischen Gewerkschafts398

]hüsing. 107.

399 Buehner,

RdA 1993. 200.

GTEfPipkom, Art. 118 b Rn. 23. 401 Hersehel, 1257; Heynig, 213. 402 GTE/Pipkom, Art. 118 b Rn. 1. 403 Schnorr. Droit Sociall971 (No 11). 162; 404 Vgl. dazu auch die Entschließung des EP vom 400

16.12.1993. ABI. C 20/185 (1994), in der das EP die Frage aufwirft, "wer nun die Sozialpartner sind" (Ziff. 13). 40S Das Akronym UNICE steht für "Union of Industria1 and Employers' Confederations of Europe".

C. Der Soziale Dialog auf europäischer Ebene

281

bund (EGB)406 und den Europäischen Arbeitgeberverband der öffentlichen Unternehmen (CEEP),407 die auch bereits gemeinsame Treffen veranstalten. 408 Allerdings lassen die Strukturen insbesondere von UNICE und EGB eine Repräsentation der Sozialpartner auf europäischer Ebene fraglich erscheinen. 409 In der UNICE als dem wichtigsten Spitzenverband im europäischen Bereich sind 33 Mitgliederverbände aus 22 europäischen Ländern zusammengeschlossen, d.h. die Spitzenverbände der Arbeitgeber- und Industrieverbände aller westlichen europäischen Länder. 410 Zwischen den EG-Mitgliedern und den nicht der EG angehörigen Mitgliedern wird - insbesondere bei den Abstimmungsrechten - nicht unterschieden; Praxis ist es allerdings, daß die ersteren stets den Präsidenten der UNICE wählen, während letzteren das Recht zur Nominierung des Vizepräsidenten eingeräumt wird. 411 Aufgabe der UNICE ist es, zu sog. "horizontalen" Angelegenheiten Stellung zu nehmen, d.h. zu Angelegenheiten, die im allgemeinen alle oder jedenfalls viele Bereiche des Wirtschaftslebens betreffen. 412 Auf diese Weise vertritt sie die gesamtwirtschaftlichen und gesamtsozialpolitischen Interessen der Unternehmer in Europa gegenüber der Gemeinschaft, gleichzeitig aber auch gegenüber anderen zwischenstaatlichen Organisationen, beispielsweise der EFTA, und gegenüber demEGB.413 Auch der EGB ist eine Organisation der nationalen Dachverbände, dem Mitgliedsorganisationen und Mitgliedsbünde sowohl von EG-Mitgliedern angeschlossen sind als auch solche, die nicht der EG angehören. 414 Allerdings

406 Gebräuchlich ist auch die englische Abkürzung ETUC, die für "European Trade Union Confederation" steht. lH1 Vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1722. 408 Vgl. dazu Europe - Agence internationale d'infonnation pour la presse, No 6022, 15 July 1993. 409 A.A. Buchner, RdA 1993, 202. 410 W. Löw, 208. 411 Tyszkiewiez, 87.

Ders., 89. W. Löw, 208. 414 Vgl. dazu Rath, 273 ff. Zu den Schwierigkeiten bei der Gründung des EGB, bei der insbesondere die Frage seiner regionalen Ausdehnung umstritten war, s. St6c1d, 21 ff. 412 413

282

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

sind nicht alle bedeutenden nationalen Gewerkschaften im EGB vertreten. 415 Neben den genannten Organisationen und Bünden wird Branchengewerkschaftsausschüssen ein gewisser Einfluß auf die Entscheidungsfindung eingeräumt. 416 Der EGB versucht, auf allen Gebieten der Wirtschafts-, Währungs-, Industrie- und Sozialpolitik innerhalb der Gemeinschaft zu einer gemeinsamen Haltung seiner Mitgliedsbünde zu gelangen und diese gegenüber den institutionen der EG, der EFTA und des Europarates zu vertreten. 417 Bei seinem Tätigwerden kommt dem EGB demnach soviel Gewicht bei, wie die nationalen MitgliedsbÜDde bereit sind, ihm zu geben. 418 Dies ist kritischer - dahin gehend ausgelegt worden, daß die eigentlichen Entscheidungszentren die nationalen Bünde blieben. 419 Die nationalen Gewerkschaften wiederum sind, wie teilweise von ihnen selbst bemängelt wird, in erster Linie dem nationalen Rahmen verhaftet und nur am Rande mit internationalen bzw. supranationalen Fragen befaßt. 420 Immerhin wird dieses "internationale Defizit" erkannt421 und neben dem Strukturwandel als wichtigste aktuelle und zukünftige Herausforderung der Gewerkschaften bezeichnet,422 so daß sich in den kommenden Jahren entsprechende Veränderungen anbahnen könnten. 423 b) Repräsentation der Vertragsparteien durch andere Organisationen Sieht man einmal von den bisher auf europäischer Ebene tätig gewordenen Organisationen ab und stellt Überlegungen an, wer außer diesen Kollektivver415 Nicht dem EGB angeschlossen sind etwa die französische "ConfEderation Generale du Travail (CGT)" und die portugiesische "Intersid", vgl. dazu die Antwort von Frau Papandreou vom 7.9.1992 auf die schriftliche Anfrage Nr. 877/92, ABI. C 317/30. Verschiedene Vereinigungen haben bereits eine Teilnahme am Sozialen Dialog gefordert, beispielsweise die Europäische Vereinigung des Handwerks und der Kleinen und Mittleren Unternehmen, s. dazu Europe - Agence internationale d'information pour Ja presse, No 1734,5 May 1993, 15.

249. 24 f. 411 Dies., 27. 419 Rath, 250; Henningsen, Sozialer Fortschritt 1992, 208 f. 420 Vgl. dazu Cotn, BB 1992,2070; Jaegtr, Perspektiven, 219 f. 421 Jacobi, 229. Vgl. dazu auch Altvater I Mahnkopf. 422 ucher I Naunumn, 94; vgl. auch R. Pieptr, 142. Darauf, daß die Europäisierung für die Gewerkschaften aus mehreren Gründen nicht einfach ist, weist Meyer, 19, hin. 416 RaIh,

417 St6cld,

423 Skeptisch dagegen Wuulolf, 140.

C. Der Soziale Dialog auf europiischer Ebene

283

träge abschließen könnte, ergibt sich ein unübersichtliches Bild. Angesichts der in den verschiedenen Mitgliedstaaten stark voneinander abweichenden Verfahren des Abschlusses von Kollektivverträgen424 stellt sich zunächst die Frage, in welchem fachlichen und räumlichen Bereich es zu einer einheitlichen Tarifpolitik kommen soll. Aufgrund der derzeitigen Unterschiede in Autbau und Verfahrensweise der Tarifparteien einzelner Mitgliedstaaten42S kommen hierfür in erster Linie einerseits regionale und fachliche Verbände und andererseits überfachliche und überregionale Spitzenverbände in Betracht. Eine Möglichkeit könnte der vom Schrifttum angebotene Lösungsvorschlag darstellen, nach dem die Frage, welcher Arbeitgeberverband und welche Gewerkschaft als Sozialpartner LS.d. Art. 118 b EGV anzusehen sind, von der Ebene abhängen soll, auf der der Dialog geführt wird. 426 Diese Lösung kommt selbst dann in Betracht, wenn in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Organisationen zu berücksichtigen sind, so daß beispielsweise eine Beteiligung mehrerer Organisationen auf einer Seite bzw. auf beiden Seiten vorstellbar ist. Eine andere Lösungsmöglichkeit könnte die Einrichtung eines Gremiums sein, in das jeder Arbeitgeberverband und jede Gewerkschaft Experten entsendet. Diesen entsandten Experten müßte ein gewisser Verhandlungsrahmen vorgegeben werden, innerhalb dessen sie zum Abschluß von Kollektivverträgen mit Wirkung für die von ihnen vertretene Organisation berechtigt sind.

3. Art des Vertragsabschlusses Problematisch ist ferner, auf welche Weise sich der Abschluß eines Kollektivvertrages auf europäischer Ebene gestalten kann. Angesichts der vorhandenen Unterschiede im Tarifvertragsrecht der einzelnen Mitgliedstaaten und in der Art und Weise des Führens von Tarifverhandlungen, deren Vereinheitlichung in naher Zukunft nicht erwartet werden kann427 - wenn auch vereinzelt 424 Vgl. dazu Kirchner, 160. 425 Vgl. dazu Seidel.

GTElPipkom, Art. 118 b Rn. 18. Vgl. dazu Heynig, 213; Sadtler, 964; Kommission, Zusammenfassung der vergleichenden Studie über die Regelung der Arbeitsbedingungen in den Mitgliedstaaten, KOM (89) 360 vom 6.7.1989, 14. 426

4'J:T

284

2. Teil: Rechdiche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

die Schaffung eines eigenständigen, supranationalen Tarifvertragsrechts angeregt worden ist428 -, sind vom Schrifttum vor allem zwei Lösungsvorschläge angeboten worden, die im folgenden vorgestellt werden. Ferner wird auf die diesbezüglichen Neuerungen durch das Abkommen über die Sozialpolitik eingegangen. a) Bisherige Lösungsvorschläge Als einfache Art des Abschlusses von Kollektivverträgen auf europäischer Ebene nennt der erste Lösungsvorschlag die Möglichkeit, den "europäischen Tarifvertrag" auf eine Vielzahl nationaler Tarifverträge zurückzuführen. Dies könnte einerseits in der Weise geschehen, daß sich die Sozialpartner auf europäischer Ebene über Tarifvertragsmuster einigen und diese den nationalen Verbänden zur Annahme empfehlen. Den nationalen Verbänden obläge es dann, einem dem Entwurf und Muster entsprechenden Kollektivvertrag gemäß ihrem innerstaatlichen Recht abzuschließen. Andererseits sei auch an den Abschluß mehrgliedriger Tarifverträge, die übereinstimmende nationale tarifliche Arbeitsbedingungen schaffen würden, zu denken. 429 Demgegenüber müßte nach dem zweiten Lösungsvorschlag eine von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gebildete Tarifkommission eingesetzt werden, deren Mitglieder von den nationalen Organisationen ermächtigt würden, Tarifverträge auf europäischer Ebene mit Wirkung für und gegen die nationalen Organisationen zu schließen. Auf diese Weise könnte ein einheitlicher Tarifvertrag auf europäischer Ebene geschlossen werden, der für die nationalen Sozialpartner verbindlich wäre. 430 Vergleicht man die Vor- und Nachteile beider Verfahren, läßt sich folgendes feststellen: Der Vorteil des zuerst genannten Verfahrens, das entweder ein Tarifvertragsmuster oder aber verschiedene nationale Tarifverträge mit jeweils gleichem Inhalt vorsieht, liegt in einer gewissen Elastizität, da es die strukturellen Besonderheiten der nationalen Kollektivvertragssysteme voll be-

S. dazu Friedrich, 111; Berger, 135. Vgl. dazu Sadtler, 963; Herschel, 1257; Heynig, 213; Schnorr, Fragen, 57 f.; ders., Sozialer Fortschritt 1963, 160. 430 Heynig, ebd.; Sadtler, ebd.; Schnorr, ebd., 58; StiUer, Tarifverträge, 163. 428

429

C. Der Soziale Dialog auf europäischer Ebene

285

rücksichtigt.431 Als Nachteil wäre jedoch ein Mangel an Verbindlichkeit zu nennen, denn diejenigen Sozialpartner, deren Belange bei der empfohlenen Lösung nicht genügend berücksichtigt wurden oder die dies annehmen, könnten die Übernahme des Verhandlungsergebnisses in nationales Recht verweigem. 432 Ein Vorteil des zweiten Verfahrens, nach dem eine eingesetzte Tarifkommission Verträge schließt, die in den einzelnen Mitgliedstaaten Geltung beanspruchen, kann zunächst in der Vereinfachung des Verfahrens gesehen werden, in dem sich jeweils nur zwei Kollektivvertragsparteien gegenüberstehen, nämlich die Delegiertenkommission der nationalen Gewerkschaften und die Delegiertenkommission der nationalen Arbeitgebervereinigungen. 433 Da diese Delegiertenkommissionen aufgrund des Mandats ihrer nationalen Verbände tätig würden, wäre damit der "psychologische Vorteil" verbunden, daß sie als Repräsentanten der nationalen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen nicht das Gefühl zu haben brauchten, ihre Autonomie aufzugeben. 434 Ein weiterer Vorteil ist die größere Rechtsbeständigkeit des durch eine europäische Tarifkommission abgeschlossenen Kollektivvertrages, da dieser nicht so leicht wie ein nationaler Kollektivvertrag gekündigt oder auf andere Weise aufgehoben werden kann. 435 Nicht uneingeschränkt als Vorteil kann die Einheitlichkeit der Regelungen, die unterschiedslos in allen Mitgliedstaaten gelten würden, angesehen werden. Gerade diese Einheitlichkeit könnte sich nämlich auch nachteilig auswirken, so daß der auf europäischer Ebene geschlossene Tarifvertrag im Einzelfall ein Hemmnis für den sozialen Fortschritt einzelner Mitgliedstaaten bedeuten könnte. 436 b) Neuerungen durch das Abkommen über die Sozialpolitik Eine Neuerung für den Abschluß von Kollektivverträgen bietet das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügte Protokoll über die Sozialpolitik mit dem darin enthaltenen Abkommen über die Sozialpolitik. Das AbkomSadtltr, ebd.; Schnorr, ebd., 58. Sadtltr, ebd.; H~nig, 213. 433 Schnorr, Fragen, 58 f. 434 Dtrs., ebd., 59. 435 Dtrs., ebd. 436 Vgl. Sadtltr, 964. 431

432

286

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

men sieht vor, daß die Durchführung der auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen entweder nach den jeweiligen Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten oder - in den durch Art. 2 erfaßten Bereichen - auf gemeinsamen Antrag der Unterzeichnerparteien durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der Kommission erfolgt (Art. 4 Abs. 2 S. 1). Hierbei entscheidet der Rat im Falle der von Art. 2 Abs. 1 umfaßten Bereiche mit qualifizierter Mehrheit und im Falle der von Art. 2 Abs. 3 umfaßten Bereiche einstimmig (Art. 4 Abs. 2 S. 2). Diese Regelung, die - wie schon Art. 3 des Abkommens - die Züge eines

am 31.10.1991 zwischen UNICE, EGB und CEEP geschlossenen Abkommens

trägt,437 eröffnet den Sozialpartnern auf europäischer Ebene neue Wege. Für die von Art. 2 des Abkommens erfaßten Bereiche können die Sozialpartner verbindliche Regelungen herbeiführen, auf deren inhaltliche Gestaltung die Unterzeichnerstaaten des Abkommens entweder keinen oder aber nur geringen Einfluß ausüben können. Da Art. 2 zahlreiche wichtige Bereiche umfaßt (u.a. den Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, die Arbeitsbedingungen, die Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz sowie die soziale Sicherheit und den sozialen Schutz der Arbeitnehmer), kann angenommen werden, daß falls die Sozialpartner auf europäischer Ebene zueinander finden und Einigungen erzielen können - ein Abschluß von Vereinbarungen auf europäischer Ebene in weitem Umfang - insbesondere auf sektoraler Ebene438 - möglich sein wird. Stellt man sich die Frage nach der Rechtsqualität der "Vereinbarungen", trifft die Feststellung wohl zu, der Begriff "Vereinbarungen" sei nicht präziser gefaßt als der Begriff "vertragliche Beziehungen" .439 Wenn auch der Wortlaut des Art. 4 Abs. 2 des Abkommens nicht dafür spricht, daß den Vereinbarungen eine normative Wirkung beizumessen wäre, ergibt sich doch aus dem systematischen Zusammenhang, daß die auf Antrag der Sozialpartner und nach Vorschlag der Kommission zustandegekommenen Vereinbarungen Gegenstand eines Beschlusses des Rates sein können, womit sie jedenfalls - mit

9.

437 438

Vgl. dazu die Ausführungen der Kommission in KOM (93) 600 vom 14.12.1993. 1 bund Vandanune. RMC 1m. 791. Tarifvemagsrccht. Rn. 1740.

439 Däubler.

C. Der Soziale Dialog auf europäischer Ebene

287

welcher konkreten Rechtsqualität auch immer - Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung werden können. 440 Für die Beschlußfassung des Rates ist nicht anzunehmen, daß der Rat auf eine gemeinschaftliche Kompetenmorm zurückgreifen muß, da andernfalls auf europäischer Ebene eine nicht verständliche Beeinträchtigung der Tarifautonomie der Sozialpartner vorliegen würde. Die Formulierung "der auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen" ist also nicht auf die der Gemeinschaft eingeräumten Befugnisse beschränkt, sondern vielmehr dahin gehend zu verstehen, daß sich die Sozialpartner aller oder einzelner Mitgliedstaaten der EG über einen Sachverhalt einig geworden sind und nunmehr die Kommission und den Rat zur Dokumentation der getroffenen Vereinbarungen in Anspruch nehmen. Damit wird insbesondere der Rat darauf vewiesen, lediglich in beurkundender Funktion - ähnlich einem Notar - tätig zu werden. Auszuschließen ist daher wohl auch das Recht des Rates zur Änderung einer ihm vorgelegten Vereinbarung. 441

4. Möglicher Inhalt von Kollektiwerträgen auf europäischer Ebene Kollektivverträge auf europäischer Ebene können Angleichungen zum einen im monetären Bereich, zum anderen im nicht-monetären Bereich enthalten. Untersucht wird zunächst, welche bisherigen Auffassungen zu einem möglichen Inhalt von Kollektivverträgen auf europäischer Ebene vertreten werden. Daran schließen sich Überlegungen an, ob sich durch das Abkommen über die Sozialpolitik Neuerungen ergeben können. a) Bisher vertretene Auffassungen

In Anbetracht der unterschiedlichen wirtschaftlichen und konjunkturellen Entwicklungen in den einzelnen Mitgliedstaaten, die u.a. bedeutende Differenzen des 1..ohn- und Preisniveaus zur Folge haben, besteht im Schrifttum überwiegend Einigkeit darüber, daß in erster Linie eine Angleichung der Ar440 Ders., ebd.

Diese Auffassung vertritt die Kommission in ihrer an den Rat und das EP gerichteten Mitteilung über die Anwendung des Protokolls über die Sozialpolitik, KOM (93) 600 vom 14.12.1993, 16; so auch Goybet, 770. 441

288

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

beitsbedingungen im nicht-monetären Bereich in Betracht zu ziehen sei. Als Einstieg in ein europäisches Tarifvertragswesen wurden etwa genannt: Arbeitszeitregelungen,442 Fragen der Berufsausbildung und der Qualifikation von Mitarbeitern,443 Schutzvorschriften der Arbeitnehmer, 444 grundlegende zusätzliche Sozialleistungen,445 KÜßdigungsschutz446 und Urlaubsregelungen. 447 Die Angleichung im monetären Bereich wird vom Schrifttum, soweit ersichtlich, nur selten ausführlich erörtert. Insoweit scheint Übereinstimmung darüber zu bestehen, daß bei einem Abschluß von Kollektivverträgen auf europäischer Ebene zunächst eher an allgemeine Arbeitsbedingungen und damit gewissermaßen an "Randbedingungen" zu denken sei, bevor man sich an die "Kernbestimmungen" eines Tarifvertrages heranwagt. Vereinzelt finden sich Stimmen, die diese Frage behandeln,448 allerdings wird die Angleichung im monetären Bereich meist mit einer knappen Begründung abgelehnt. So wurde beispielsweise argumentiert, daß gewisse Materien wie etwa Lohn- und Gehaltstarife, die nicht einmal in einem Staat einheitlich regelbar seien, sich der Natur der Sache nach einer europäischen Regelung entzögen449 oder daß Abmachungen, deren Umsetzung für die Arbeitgeberseite mit Kosten verbunden seien, sich so gut wie nie durchsetzen ließen. 450 Vereinzelt wird allerdings schon über einen europäischen Tarifvertrag mit Lohn- und Gehaltstarifen nachgedacht, der - je nach Land - differenzierte Löhne und Gehälter vorsehen könnte. 451 442 Zobel, 269; Steinberg, 25; Stiller, ZIAS 1991,212. Zu dem im Jahre 1968 geschlossenen Rahmenabkommen zwischen der COPA (COPA steht für "Committee of Agricultural Cooperation in die EC") und den AIbeitsgruppen der Landarbeiter, das eine Harmonisierung der Arbeitszeiten der ständig im Ackerbau Bescbiftigten bezweckte, s. Schnorr, Fragen, 54 und 58; ders., Droit Social 1971 (No 11), 158 und 163, sowie Steinberg, 19 ff. Da sich die vertragsschließenden Parteien lediglich verpflichteten, die Vereinbarungen in nationale Tarifverträge umzusetzen, kann allerdings nicht von einem echten "europäischen Kollektivvertrag" gesprochen werden, s. dazu Schnorr, Fragen, 58. 443 Steinberg, 25; BrelUlenstuhl, 166. 444 BakopouJos, 173. 445 Steinberg, 25. 446 Zobel, 269. 447 Ders., ebd.; Stiller, ZIAS 1991,213; a. A. aber Schnorr, Sozialer Fortschritt 1963, 156. 448 Zobel, 270; Erdmonn, Sozialer Fortschritt 1963, 219; Schnorr, ebd.; Steinberg, 25; Bakopoulos, 173. 449 Steinberg, ebd. 4SO Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1736. 451 BakopouJos, 173.

C. Der Soziale Dialog auf europäischer Ebene

289

Neben der Frage, auf welchen Gebieten eine Angleichung der Arbeitsbedingungen in Betracht kommt, behandelt das Schrifttum die Form der Regelungen. Insoweit wird vertreten, daß europäische Tarifverträge nicht notwendigerweise eine endgültige Regelung enthalten müßten, sondern sich vielmehr auf Rahmenvorschriften beschränken könnten. 452 b) Neuerungen durch das Abkommen über die Sozialpolitik Das Abkommen über die Sozialpolitik bestätigt die vom Schrifttum vorgegebene "Marschroute" insoweit, als es einige der genannten Bereiche, die zuerst für eine Angleichung der Arbeitsbedingungen auf europäischer Ebene in Betracht zu ziehen seien, aufzählt und diese als Gegenstand europäischer Kollektivverträge der Sozialpartner nennt. Dies gilt etwa für den Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, (allgemeine) Arbeitsbedingungen und die berufliche Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen. 453 Zu den vom Schrifttum vorgeschlagenen Bereichen kommen weiter hinzu die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer; die Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz; die soziale Sicherheit und der soziale Schutz der Arbeitnehmer; der Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrages; die Vertretung und die kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, einschließlich der Mitbestimmung, vorbehaltlich des Abs. 6; sowie die Leistung fmanzieller Beiträge zur Förderung der Beschäftigung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen unbeschadet der Bestimmungen über den Sozialfonds (Art. 2 Abs. 1 und 3). Ausdrücklich ausgenommen von möglichen kollektiven Vereinbarungen auf europäischer Ebene bleiben das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht (Art. 2 Abs.6). Diese Aufzählung zeigt, daß mit Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union und den ihm beigefügten Protokollen weite Bereiche sozialer Fragestellungen zur Disposition der Sozialpartner auf europäischer Ebene ste-

452

453

Schnorr, Sozialer Fortschritt 1963, 157; Stiller, ZIAS 1991, 195 und 213. S. dazu Art. 2 Abs. 1 des Abkommens.

19 Kuhn

290

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

hen. Lediglich einige Kembereiche tarifvertraglicher und arbeitsrechtlicher Fragen bleiben nach Art. 2 Abs. 6 des Abkommens von Vereinbarungen auf europäischer Ebene ausgenommen.

5. Wirkung von Kollektivverträgen auf europäischer Ebene und rechtliche Überprüfung der Verträge Weitere Probleme stellen sich bei der Untersuchung der Wirkung von Kollektivverträgen auf europäischer Ebene sowie bei der Frage ihrer Überprüfung. Noch völlig offen ist die Frage nach dem persönlichen Geltungsbereich eines Kollektivvertrages auf europäischer Ebene, d.h. ob er allein für die Mitglieder der vertragsschließenden Organisationen Geltung beanspruchen soll oder ob er - wie es das nationale Recht teilweise vorsieht - für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Überlegungen, Art. 118 b EGV als ausreichende Rechtsgrundlage für die Verbindlicherklärung europäischer Tarifverträge anzusehen, sind zwar angestellt worden, im Hinblick auf die derzeitige Fassung der Vorschrift aber - zutreffenderweise - abgelehnt worden. 454 Gleichermaßen ungeklärt ist die Frage, in welchem Verhältnis ein auf europäischer Ebene geschlossener Kollektivvertrag zu nationalen Tarifverträgen stehen soll.455 Falls unterschiedliche Regelungsmaterien berührt sind, erscheint das Rangverhältnis unproblematisch. Bei gleichen Regelungsmaterien ist an das GÜDStigkeitsprinzip zu denken, das für den sozialen Bereich Eingang in das Gemeinschaftsrecht gefunden hat. 456 Allerdings versagt die Anwendung des GÜDStigkeitsprinzips dann, wenn der auf europäischer Ebene geschlossene Kollektivvertrag und der nationale Tarifvertrag inhaltlich verschiedene oder sogar widersprüchliche Regelungen enthalten. 4.57 HandkommentarlHailbronner, An. 118 b Rn. 2. Vgl. dazu ErdnuJnn, Sozialer Fortschritt 1963, 219, und Walz, 139, der das Kemproblem für internationale Tarifverträge in der Kollisionsgefahr mit dem nationalen Arbeitsrecht sieht. 456 Vgl. dazu Art. 5 der RL 75/129IEWG vom 17.2.1986 (Massenentlassungen), ABI. L 48/29; An. 7 der RL 77/1871EWG vom 14.2.1977 (Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen), ABI. L 61n6; An. 9 der RL 80/987IEWG vom 20.10.1980 (Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers), ABI. L 283n3; An. 7 der RL 911533IEWG vom 14.10.1991 (Nachweis für Arbeitsverhältnisse), ABI. L 288/32. 457 Stiller, ZlAS 1991, 221. 4504

4SS

C. Der Soziale Dialog auf europäischer Ebene

291

Schließlich stellt sich das Problem einer gerichtlichen Überprüfung der Auslegung von Kollektivverträgen auf europäischer Ebene. 458 In Betracht kommt eine gerichtliche Überprüfung durch nationale Gerichte oder durch den Gerichtshof. Um den Kollektivverträgen auf europäischer Ebene eine einheitliche Geltung und Wirkung beizumessen, könnte eine Rechtswahl erwogen werden. Da jedoch die Mehrzahl der Staaten dem eigenen Tarifrecht eine zwingende Wirkung beimißt, wird eine Ablösung durch eine andere Rechtsordnung zumeist nicht in Betracht kommen. 459 Von daher wird einem angerufenen nationalem Gericht allein die Möglichkeit bleiben, den Tarifvertrag anband seines nationalen Tarifrechts zu überprüfen,460 eine Lösung, die angesichts des über den nationalen Rahmen hinausgehenden Sachverhalts nicht zu befriedigen vermag. Sollte der Gerichtshof zur Auslegung eines Kollektivvertrages auf europäischer Ebene angerufen werden, was angesichts der Organleihe nach Ziff. 1 des Protokolls möglich erscheint, steht dieser vor der Schwierigkeit, daß er nicht auf ein supranationales Tarifrecht zurückgreifen kann.

In. Perspektiven des Sozialen Dialogs auf europäücher Ebene Die vorstehenden Ausführungen haben erkennen lassen, daß der Soziale Dialog auf europäischer Ebene, insbesondere im Hinblick auf die Frage eines Abschlusses von Kollektivverträgen auf europäischer Ebene, bisher mehr Fragen aufwirft als er zu beantworten vermag. Jedoch wäre wohl nichts schädlicher als abzuwarten, bis sich alle diese Fragen geklärt haben,461 vielmehr sind - wie die Kommission postuliert - "Geduld und allmähliche Aneignung von Erfahrungen ... das Gebot der Stunde. "462 Gerade und vor allem der zuvor behandelte Abschluß von Kollektivverträgen auf europäischer Ebene zeigt, wie wenig Klarheit über die zukünftige Rolle des Sozialen Dialogs besteht. Wenn völlig offen und unklar ist, welche Materien sich als Gegenstand von Vereinbarungen anbieten und wer als VerWeiss, FS Albert Gnade, 594. Stiller, ZIAS 1991,218. 460 Ders., ebd., 215. 461 Goybet, RMC 1992,770. 462 KOM (93) 551 vom 17.11.1993,77.

458 Vg!. 459

292

2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

tragspartner derartiger Vereinbarungen in Betracht kommt, vermag sich eine Entwicklung nur sehr langsam und zögerlich zu vollziehen. Zutreffend erscheint die Annahme, daß die Eröffnung kollektiver Verhandlungen auf europäischer Ebene von den Vertretern der Arbeitnehmer, d.h. den Gewerkschaften, ausgehen müsse, da es ungewöhnlich wäre, wenn die Arbeitgeber auf eine Ausweitung der Kollektivverträge drängen würden. 463 Insbesondere die Gewerkschaften treffen jedoch in weit größerem Umfang als die Arbeitgebervereinigungen auf Schwierigkeiten, wenn sie sich mit europäischen Problemstellungen beschäftigen wollen. Ihr "europäisches bzw. internationales DefIzit" haben sich die Gewerkschaften in der Vergangenheit allerdings bewußt gemacht, so daß dessen allmählicher Abbau zu erwarten ist. Beschleunigt werden könnte dieser Prozeß durch die Auseinandersetzung mit den von der Kommission auf dem Gebiet der Arbeitnehmerbeteiligung vorgelegten Richtlinienvorschlägen, insbesondere dem im Jahre 1990 vorgelegten Vorschlag zur Einsetzung Europäischer Betriebsräte zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen. 464 Insoweit dürfte die Einschätzung, daß eine in Zukunft stattfmdende europäische Tarifpolitik zunächst in transnationalen Konzernen ausgehandelt werden wird, zutreffen. 465 Ein weiteres Problem insbesondere der Gewerkschaften sind die "nationalen Egoismen " ihrer Mitglieder. Das jeweilige nationale Sozialsystem, das historisch gewachsen und teilweise erkämpft wurde, bietet einen IdentifIkationsfaktor, an dem zunächst festgehalten wird. 466 Die These, nach der eine supranationale Harmonisierung um so schwieriger ist, je umfassender und je komplizierter die soziale Sicherung in den einzelnen Ländern ist,467 dürfte insoweit berechtigt sein. Zudem wird angesichts der derzeitigen konjunkturellen Lage, für die u.a. eine hohe Arbeitslosigkeit kennzeichnend ist, kaum mit be-

463 Stiller, ZIAS 1991, 204. A.A. wohl Zobel, 271, der darauf verweist, daß der Abschluß europäischer Tarifverträge in besonderem Maße ein Problem sei, das von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Regierungen gemeinsam in Angriff genommen werden könne. 464 ABI. C 39/10; geändert am 20.9.1991, ABI. C 336/11.

46S

WuuJolf, 140.

So auch die Einschätzung der Kommission in ihrem Bericht "Die soziale Sicherheit in Europa - 1993", KOM (93) 531 vom 26.04.1994, 13. 466

467 Zobel,

269.

C. Der Soziale Dialog auf europäischer Ebene

293

gründeter Aussicht auf Erfolg der Blickwinkel auf europäische Belange zu richten sein oder an eine "europäische Solidarität" appelliert werden können. Die Warnung vor einer politischen Überfrachtung des Sozialen Dialogs468 erscheint berechtigt. Obwohl in den vergangenen Jahren Fortschritte in der Entwicklung des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene nicht zu leugnen sind,469 sollten angesichts der Mannigfaltigkeit der noch zu lösenden Probleme eher bescheidene Erwartungen an den Sozialen Dialog auf europäischer Ebene gestellt werden. Wenn auch seit Erlaß der EEA eine verstärkte Kooperation der Sozialpartner erkennbar wird, die sich in erster Linie in gemeinsamen Stellungnahmen manifestiert,470 können hierin doch nur erste Schritte auf einem mehr als unsicheren Weg liegen. Nach Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union und dem ihm beigefügten Protokoll über die Sozialpolitik dürfte der Soziale Dialog neue Impulse verspüren, falls die Sozialpartner von den ihnen durch das Abkommen über die Sozialpolitik eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch machen. Allerdings vermittelt das Abkommen ein ambivalentes Bild. Neben der für die Entwicklung des Sozialen Dialogs sicherlich wichtigen Anstoß funktion muß auch bedacht werden, daß sich die vorgesehene stärkere Einbindung der Sozialpartner in die gemeinschaftliche Sozialpolitik als zweischneidig erweisen kann. Die Gemeinschaft könnte nämlich zukünftig argumentieren, daß nunmehr an erster Stelle die Sozialpartner im Rahmen des Sozialen Dialogs gefordert seien, Regelungen zu vereinbaren,471 wodurch diese u. U. überfordert wären. 472 Weiterhin muß berücksichtigt werden, daß sich ein Mitgliedstaat, nämlich das Vereinigte Königreich, bewußt einer weiteren Integration im sozialen Bereich verwehrt. Dieser Sonderstatus vermag auch andere Mitgliedstaaten zu beeinflussen, die ähnliche Vorbehalte hegen und in sozialen Angelegenheiten - leichter als in anderen Bereichen - ihre Mitwirkung versagen könnten.

468 Blonk, 658. 469

470

Weiss, Dialogue, 67. Dazu oben, 1. Teil, A.m.4.

471 Ähnliche Befürchtungen hegen Kuper / Huppenz, 95. 4n Blonk, 659.

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2. Teil: Rechtliche Bewertung gemeinschaftlicher Maßnahmen

Den Bedenken, die in dem Protokoll über die Sozialpolitik enthaltenen Regelungen seien eher dazu angetan, das Problemspektrum zu vergrößeren als zu verringern,473 kann immerhin entgegengehalten werden, daß sich auch die Entwicklung nationaler Tarifverträge zunächst auf rechtlich unsicherem Boden bewegt hat. 474 In allen Mitgliedstaaten vollzog sich die Entwicklung des Tarifvertragswesens extra legem, d.h. der Tarifvertrag war kein "Kind der Rechtsordnung, sondern eine Schöpfung der Sozialpartner". 475 Insoweit besteht begründeter Anlaß zu der Erwartung, mit fortschreitender Integration und mit Entstehen einer Solidarität unter den europäischen Sozialpartnern476 werde auch das "Experiment" des Europäischen Tarifvertrages477 gelingen.

Weiss, FS Albert Gnade, 595. Zur Geschichte der Tarifautonomie in Deutschland vgl. Mengel, 409 ff. 475 Stiller, ZIAS 1991, 214. 476 Vgl. dazu Läge, 1595. 477 Schnorr, Sozialer Fortschritt 1963, 157. 473

474

3. Teil Bilanz und Perspektiven: Von der Errichtung eines Europäischen Sozialraums zur Europäischen SoziaIunion A. Die BegrifTe "Sozialraum" und "Sozialunion" Die nachfolgenden Ausführungen verfolgen den Zweck, die Begriffe "Sozialraum" und "Sozialunion" näher zu konkretisieren. Dabei wird sowohl die Sicht der Gemeinschaft dargestellt als auch auf diejenige eines Mitgliedstaats (Bundesrepublik Deutschland) eingegangen. Weiterhin fmden die im Schrifttum vertretenen Ansichten Berücksichtigung. Im Hinblick auf die sich hierzu äußernden Stimmen im Schrifttum wird darauf hingewiesen, daß sie einerseits von Interessenvertretern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerschaft vorgebracht werden, andererseits aber auch Stimmen vernehmbar sind, die keiner dieser beiden Kategorien zugeordnet werden können. I. Der Begriff "Sozialraum"

In jüngerer Zeit, insbesondere seit Mitte der achtziger Jahre, fmdet der schon im Zusammenhang mit dem Europarat verwendetel - Begriff des "Sozialraums" in immer stärkerem Maße Eingang in die gemeinschaftliche Terminologie. Dabei kommt der Begriff entweder unspeziflZiert2 oder aber spezifiziert mit einem Adjektiv bzw. mehreren Adjektiven vor. Neben diesem Giust, 5 ff.; Oreja, 184. Vgl. hierzu die Beiträge des Abgeordneten Brok in der Aussprache des EP vom 16.11.1988 zum Europäischen Rat von Rhodos, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2-371/126 zum ABI.; des damals amtierenden Ratspräsidenten Pangalos in der Fragestunde des EP vom 13.12.1988, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2-372/66 zum ABI.; des Abgeordneten Games in der Aussprache des EP vom 14.3.1989 zur sozialen Dimension des Binnenmarktes, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2-375/57 zum ABI.; Narjes, 386; Eichenhofer, JZ 1992,27; Thill, 152. I

2

296

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Kompositum ist auch die Rede vom "sozialen Raum", unter dem inhaltlich nichts anderes als dem Begriff "Sozialraum" verstanden werden kann. Ferner wird das oben genannte Kompositum "Sozialraum" mit Attribut verwendet wie "Sozialraum Europa", 3 "Sozialraum EG" bzw. "Sozialraum der EG"4, d.h. als Substantiv mit Attributen. Beispiele für die Verwendung des Begriffs "Sozialraum" spezifiziert mit lediglich einem Adjektiv sind u.a. "Europäischer bzw. europäischer Sozialraum " ,5 "einheitlicher Sozialraum " ,6 und "gemeinsamer Sozialraum " bzw. "gemeinschaftlicher Sozialraum " .7 Als Beispiele für eine Verwendung des mit mehreren Adjektiven spezifizierten Begriffs "Sozialraum" sollen genannt werden: "neuer europäischer Sozialraum" , 8 "Einheitlicher Europäischer Sozialraum " ,9 "einheitlicher Sozialraum der EG", 10 "harmonisierter europäischer Sozialraum "11 und "gemeinsamer einheitlicher Sozialraum " .12 Die Prägung des Begriffs "Europäischer Sozialraum" erfolgte durch den Kommissionspräsidenten Delors im Zusammenhang mit dem Projekt der Errichtung des Binnenmarkts. In seiner das Arbeitsprogramm der Kommission für 1985 enthaltenden Einführungsrede vor dem EP im März des gleichen 3 Mayer, 422; Heim, 1386; Lenz, Rechtsstreitigkeiten, 175; Budo, 77; Kleinhenz, Bedeutung, 27. 4 Vgl. BT-Drs. 1114700 vom 6.6.1989; Biebaek, EuR 1993, 170. S Vgl. hierzu die Entschließung des EP vom 20.2.1986, ABI. C 68/124; die Stellungnahme des WSA vom 19.11.1987, ABI. C 356/31; den Beitrag des Abgeordneten Brok in der Aussprache des EP vom 14.3.1989 zur sozialen Dimension des Binnenmarktes, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2-376159 zum ABI.; Genseher, Bull. BReg. 1989, Nr. 106/917; Bastion / Hinriehs, 89; Beehtold, 347; Me Laughlin, 325; Be"oeal, 79; Vandamme, RMC 1983, 562; Gruber, 252; Narjes, 376; Colina Robledo u.a., 49 und 54; Caire, 21; Fabius, 49; Fosehi, 173; Curtin, 169. 6 Vgl. hierzu die Beiträge des Abgeordneten Boutos in der Fragestunde des EP vom 11.10.1988, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2-369158 zum ABI.; des damals amtierenden Ratspräsidenten Papantoniou in der Aussprache des EP vom 16.11.1988 zum Europäischen Rat von Rhodos, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2-3711131 zum ABI. 1 Vgl. hierzu die Anfrage des Abgeordneten Alvarez de POl (11-338/88), Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2-368/68 (13.9.1988) zum ABI.; Ranuulier / de Lavergne, 217. 8 Kommission, Die soziale Dimension des Binnenmarktes, SEK (88) 1148 vom 14.9.1988 (sog. Marin-Papier), 14. 9 Vgl. hierzu den Beitrag des Abgeordneten Papakyriazis in der Fragestunde des EP vom 13.9.1988, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2-368nl zum ABI.; ders., Fragestunde des EP vom 11.10.1988, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2-369157 zum ABI. 10 Sieveking, Sozialmagazin 1989, 33. 11 EP, Entschließung vom 15.12.1986, ABI. C 322/48, Ziff. 7. 12 Vgl. hierzu die Antwort des damals amtierenden Ratspräsidenten Pangalos in der Fragestunde des EP vom 13.9.1988, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2-368/68 zum ABI.

A. Die Begriffe "Sozialraum" und "Sozialunion"

297

Jahres führte Delors u.a. aus, die Verwirklichung eines großen Marktes müsse mit der Schaffung und Gestaltung eines europäischen Sozialraums 13 einhergehen, denn "die positiven Auswirkungen dieses großen Marktes würden verlorengehen, wenn einige Mitgliedstaaten versuchen sollten, sich gegenüber anderen Wettbewerbsvorteile um den Preis eines sozialen Rückschritts zu verschaffen. "14 In der Folgezeit wurde der Begriff immer häufiger verwendet, wobei über seine Bedeutung keineswegs Einigkeit bestand. So beklagten beispielsweise die Abgeordneten des EP, daß alle vom sozialen Raum sprächen, aber keiner wisse, was genau damit gemeint sei, da ein jeder den sozialen Raum nach seinem Belieben bestimme. Eine Straffung und Klärung sei notwendig,15 um "all dem, was diese Begriffe und zugehörigen Pläne ausmachen, allmählich, aber unwiderruflich Gestalt zu verleihen. -16

1. Sicht der Gemeinschaft Der Begriff des Sozialraums wird von den Gemeinschaftsorganen Rat, Kommission und EP verwendetP Ferner benutzt der WSA diesen Begriff.t 8 Keine Aufnahme fand der Begriff "Sozialraum" hingegen bisher - soweit ersichtlich - in den Sprachgebrauch des Gerichtshofs und des Europäischen Rates. Eine Definition des Begriffs "Sozialraum" wird nur selten versucht. Als Beispiel hierfür soll die Aussage des EP angeführt werden, nach der "der Europäische Sozialraum in einer schrittweise zu erreichenden Kohärenz und ei13 Hervorhebung eingefügt.

14 Bull. EG, Beilage

4/85,34.

15 Vgl. dazu den Beitrag der Abgeordneten Larive in der Aussprache des EP vom

14.3.1989

zur sozialen Dimension des Binnenmarktes, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2-376/69 zum ABI. 16 Vgl. dazu den Beitrag des Abgeordneten Marques Mendes in der Aussprache des EP vom 14.3.1989 zur sozialen Dimension des Binnenmarktes, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2376/62 zum ABI. 17 Vgl. dazu für den Rat die Schlußfolgerungen über ein mittelfristiges Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Sozialbereich vom 22.6.1984, ABI. C 175/1 (dritter Absatz); für die Kommission das Arbeitsprogramm für 1985, BuH. EG, Beilage 4/85, 34, sowie den jährlichen Gesamtbericht, der seit 1991 ein Kapitel mit der Bezeichnung "Binnenmarkt und gemeinschaftlicher Wirtschafts- und Sozialraum enthält"; für das EP die Entschließungen vom 20.2.1986, ABI. C 68/124; vom 11.11.1986, ABI. C 322/48; vom 17.11.1988, ABI. C 326/260; ABI. C 326/261, ABI. C 326/262; ABI. C 326/263. 18 WSA, Stellungnahme vom 19.11.1987, ABI. C 356/31.

298

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

ner Homogenisierung eines gemeinschaftlichen Ganzen besteht, in dessen Verwaltung alle Betroffenen auf sämtlichen Ebenen einbezogen werden. "19 Nähere Konkretisierungen des Begriffs "Sozialraum" fmden sich hingegen häufig. So werden die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Förderung des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz und die Ausgestaltung des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene von den Gemeinschaftsorganen Rat,20 Kommission21 und Ep22 als konstituierende Elemente des Sozialraums genannt. Als weitere wichtige Elemente werden von den verschiedenen Gemeinschaftsorganen und -institutionen ferner die Festlegung verbindlicher Grundrechte,23 die Reform und die Aufstockung der Strukturfonds,24 verstärkte konkrete Maßnahmen zur Gewährleistung der Gleichbehandlung von Männem und Frauen25 sowie die wirtschaftliche und soziale Integration benachteiligter Gruppen26 angeführt.

EP, Entschließung vom 11.11.1986, ABI. C 322/48 (Ziff. 27). Vgl. dazu die Antwort des damals amtierenden Ratsprisidenten Pangalos in der Fragestunde des EP vom 11.10.1988, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2-369156 zum ABI. 21 Vgl. zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zur Förderung der Arbeitsplatzsicherheit und zum Sozialen Dialog die Antwort des damaligen Kommissars Marin vom 14.12.1988 auf die schriftliche Anfrage Nr. 444/88, ABI. C 145/11. 22 Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vgl. die Entschließung vom 20.2.1986, ABI. C 68/124, Ziff. 1; zur Förderung der Arbeitsplatzsicherheit vgl. die Entschließung vom 17.11.1988, ABI. C 326/263, Ziff. 4; zum Sozialen Dialog vgl. die Entschließung vom 20.2.1986, ABI. C 68/124, Ziff. 5. 23 Vgl. dazu für das EP die Entschließung vom 17.11.1988, ABI. C 326/262, Ziff. 3, und die Ausführungen des Abgeordneten Buron in der gemeinsamen Aussprache zur sozialen Dimension des Binnenmarktes vom 14.3.1989, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2-376 zum ABI.; für den WSA die Stellungnahme vom 19.11.1987, ABI. C 356/31, Ziff. 1.6. und 2.1. Ob auch der Rat für verbindliche Grundrechte eintritt, wird nicht deutlich, vgl. insoweit die Äußerung des damals amtierenden Ratsprisidenten Solbes Mira in der Fragestunde des EP vom 15.2.1989, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 2-374/167 zum ABI. 24 Vgl. dazu für den Rat die Äußerung des damals amtierenden Ratsprisidenten Solbes Mira in der Fragestunde des EP vom 15.2.1989, ebd., 168; für die Kommission das Arbeitsprogramm für 1985, Bu11. EG, Beilage 4/85, 35; für das EP die Entschließung vom 20.2.1986, ABI. C 68/124, Ziff. 7 a; für den WSA die Stellungnahme vom 19.11.1987, ABI. C 356/31, Ziff. 2.4.2. 2S Vgl. dazu für den Rat die Antwort des damals amtierenden Ratsprisidenten Solbes Mira in der Fragestunde des EP vom 15.2.1989, ebd., 167; für die Kommission das Arbeitsprogramm für 1985, Bull. EG, Beilage 4/85, 34 f.; fIlr den WSA die Stellungnahme vom 19.11.1987, ABI. C 356/31, Ziff. 2.2. 26 Vgl. dazu für den Rat die Schlußfolgerungen vom 22.6.1984, ABI. C 175/1, Ziff. 7, und die Antwort des damals amtierenden Ratsprisidenten Solbes Mira in der Fragestunde des EP vom 15.2.1989, ebd., 168; fIlr die Kommission das Arbeitsprogramm fIlr 1985, Bull. EG, Beilage 4/85,35; für den WSA die Stellungnahme vom 19.11.1987, ABI. C 175/1, Ziff. 2.2. 19

20

A. Die Begriffe "Sozialraum" und "Sozialunion"

299

Daneben werden - vereinzelt - noch zahlreiche andere Aspekte angesprochen. Dies sind u.a. die Freizügigkeit der Arbeitnehmer;27 die (Berufs-) Bildung;28 die gegenseitige Anerkennung von beruflichen Befähigungsnachweisen und Diplomen;29 Informations- und Anhörungsrechte der Arbeitnehmer bei Unternehmensentscheidungen30 wie auch hinsichtlich der neuen Technologien;31 der Schutz der Familie;32 die RatifIzierung der Europäischen Sozialcharta und ihres Zusatzprotokolls durch die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft33 sowie die Einhaltung und Ratifizierung der im Rahmen der IAO unterzeichneten Übereinkommen auf dem Gebiet des Arbeits- und Sozialrechts. 34 Weitgehende Einigkeit scheint darüber zu bestehen, was die Errichtung des europäischen Sozialraums nicht beinhalten dürfe. Insoweit wird festgestellt, daß die Verwirklichung des Binnenmarkts "nicht dazu dienen darf, die Sozialgesetzgebung zu schwächen, sondern daß eine auf den Fortschritt ausgerichtete gemeinschaftliche Harmonisierung wesentlich ist"35 bzw. daß eine Koordination der verschiedenen Systeme der sozialen Sicherheit nicht Anlaß zu einer Nivellierung der Leistungen "nach unten" sein dürfe,36 Der europäische Sozialraum solle "soziale Dumpingpraktiken verhindern, die sich nachteilig auf die Gesamtbeschäftigung auswirken. "37

2. Sicht eines Mitgliedstaats Beispielhaft für das Verständnis eines Mitgliedstaats soll anhand einer Antwort der deutschen Bundesregierung auf eine Große Anfrage verschiedener Tl Rat, Schlußfolgerungen vom 22.6.1984, ABI. C 175/1 (siebter Absatz); WSA, Stellungnahme vom 19.11.1987, ABI. C 356/31, Ziff. 2.2. 28 Rat, ebd. 29 WSA, Stellungnahme vom 19.11.1987, ABI. C 356/31, Ziff. 2.2. 30 EP, Entschließung vom 17.11.1988, ABI. C 326/262, Ziff. 6. 31 EP, Entschließung vom 20.2.1986, ABI. C 68/124, Ziff. 7 b. 32 WSA, Stellungnahme vom 19.11.1987, ABI. C 356/31, Ziff. 2.2. 33 EP, Entschließung vom 17.11.1988, ABI. C 326n62, Ziff. 4. 34 EP, Entschließung vom 11.11.1986, ABI. C 322/48, Ziff. 12; vgl. auch EP, Entschließung vom 17.11.1988, ABI. C 326/262, Ziff. 4; auch der EGB forden dies, vgl. EGB, Europäisches Sozialprogramm, Die Mitbestimmung 11/1988, 39. 35 EP, Entschließung vom 20.2.1986, ABI. C 68/124, Ziff. 4. 36 WSA, Stellungnahme vom 19.11.1987, ABI. C 356/31, Ziff. 2.3. 37 Kommission, Bull. EG, Beilage 4/85,34.

300

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Abgeordneter des Deutschen Bundestages38 aufgezeigt werden, welche Aspekte in diesem Mitgliedstaat im Rahmen des Begriffs "Sozialraum EG" angesprochen werden. Die Fragen der Abgeordneten bezogen sich zunächst auf Vergleiche sozialund arbeitsrechtlicher Instrumente der einzelnen Mitgliedstaaten (u.a. Arbeitsmarkt- und 1.ohnstrukturen;39 gesetzliche und tarifvertragliche oder betriebliche 1.ohn- und Mitbestimmungsregelungen;40 Gleichbehandlung von Männem und Frauen im Arbeitsleben;41 Organisationsgrad der Arbeitnehmer;42 Arbeitsschutz- und Arbeitszeitbestimmungen;43 berufliche Integration Behinderter;44 Familienförderung;45 Alters- und Invalidititssicherung;46 Krankenversicherung).47 Daneben wurden weitere Aspekte angesprochen wie beispielsweise die von der Bundesregierung gezogenen Schlußfolgerungen hinsichtlich der ermittelten Fakten;48 die Ingangsetzung eines Autholprozesses für die schwächeren EG-Mitgliedstaaten ohne zusätzliche Belastungen der Bundesrepublik Deutschland;49 die Notwendigkeit für eine Harmonisierung der großen sozialen Sicherungssysteme (Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung);50 die Beurteilung der Wettbewerbschancen des deutschen Wirtschafts- und Sozialleistungssystems Binnenmarkt51 sowie der Beitrag der Sozialpartner zur Erhaltung der Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. 52

38 BT-Drs.

1114700 vom 6.6.1989.

39 Ebd., 2. 40 Ebd., 7. 41 Ebd., 8. 42 Ebd., 10. 43 Ebd., 18. 44 Ebd., 28. 45 Ebd., 32. 46 Ebd., 35. 47 Ebd., 40. 48 Ebd., 45. 49Ebd., 46. so Ebd., 47. SI Ebd. 52 Ebd., 48.

A. Die Begriffe "Sozialraum" und "Sozialunion"

301

3. Sicht des Schrifttums Der Begriff "Sozialraum" wird auch vom Schrifttum sowohl in unspezifizierter5 3 als auch in spezifizierter Form gebraucht. Bei der spezifizierten Verwendung werden teilweise die gleichen Adjektive benutzt, die auch die Gemeinschaftsorgane und -institutionen anführen wie beispielsweise "Europäischer Sozialraum "54 und "einheitlicher Sozialraum ".55 Gesprochen wird auch vom "Sozialraum Europa" .56 Versuche, den Begriff des "Europäischen Sozialraums" zu definieren, sind eher rar und erschöpfen sich, soweit ersichtlich, in allgemeinen Aussagen. 57 Häufiger sind auch hier Konkretisierungen des Begriffs, die die von den Gemeinschaftsorganen und -institutionen genannten Aspekte inhaltlich größtenteils wiederholen. So verlangt auch das Schrifttum eine aktive Beschäftigungspolitik:, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen;58 die Förderung des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz;59 den Ausbau des Sozialen Dialogs;60 Verbesserungen des Rechts auf Freizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit;61 die Festlegung sozialer Rechte62 - wofür als Beispiele u.a. die Einräumung eines europäischen Rechts auf Bildungsurlaub und der Schutz bei atypischen und prekären Arbeitsformen wie Teilzeitarbeit, Zeitarbeit, befristete Arbeit und Heimarbeit genannt werden63 -; die Gleichstellung von Mann und Frau im Arbeitsleben;64 die Stärkung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer;65 Erdmann, Perspektiven, 9; Vogel-Polsky / Vogel, 15. BArbBI. 9/1988, 5; Qever, BArbBI. 7-8/1989, 33; Vogel-Polsky, 177; Sieveldng, Bestimmungsfaktoren, 286. ss Sieveldng, ebd., 314; Schmitz, 103; 1hüsing, 107. S6 Schult, BArbBI. 11/1986, 16; Breit, Kriterien, 56; Knigge, 17; Böhme / Peressin; Hertz, 103; Stiller, ZIAS 1991, 194; Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und Gestaltung, 87; Schelter, 325; vgl. auch W. Böhm. S7 Vgl. dazu den Versuch einer Analyse von Caire, 22 f. S8 Vayssade, 102; Knigge, 21; vgl. auch Breit, 57. S9 Schult, BArbBI. 11/1986, 17; Vogt, BArbBI. 3/1988, 7; Beri~, BArbBI. 9/1988, 6; Knigge, ebd. 60 Schult, ebd.; Knigge, ebd., 20; Vogt, ebd., 6; Oever, BArbBI. 7-8/1989, 38; Erdmann, Perspektiven, 12; Vogel-Polsky / Vogel, 18; Caire, 33. 61 Knigge, ebd., 23. 62 Breit, 60; Qever, BArbBI. 7-8/1989, 38. 63 Knigge, 20 und 22. 64 Breit, 61; Knigge, 22. 6S Vayssade, 100 f.; Knigge, 17; Breit, 61 f. S3

54 Beri~,

302

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Maßnahmen zur Verbesserung von Bildung und beruflicher Qualiftkation;66 Maßnahmen zum Schutz schwacher und benachteiligter Gruppen;67 den Abschluß europäischer Tarifverträge, um übernationale Mindestarbeitsbedingungen zu schaffen,68 sowie die Solidarität mit den in der Entwicklung zurückliegenden Regionen. 69 Nicht alle der genannten Aspekte sind dabei unbestritten, vielmehr werden einzelne Aspekte durchaus kontrovers diskutiert. Dies gilt etwa für die Festlegung sozialer Rechte insoweit, als davon soziale Grundrechte umfaßt sind. 70 Außer den genannten Aspekten, die sich weitgehend mit den von den Gemeinschaftsorganen und -institutionen gestellten Anforderungen an einen europäischen Sozialraum decken, werden vom Schrifttum weitere Aspekte angeführt, die, soweit ersichtlich, nicht von der Gemeinschaft in diesem Zusammenhang angesprochen werden. Dies sind u.a. im Rahmen der Maßnahmen zur Verbesserung des Rechts auf Freizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit die Einführung eines kommunalen Wahlrechts71 und die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung.72 Eine konkrete Vorstellung davon, was der europäische Sozialraum nicht werden solle, zeigt Clever auf, der erklärt, daß der am Ende eines langen Prozesses entstehende europäische Sozialraum "keineswegs Einheitsarbeitsrecht, Einheitsrentenversicherung, Einheitskrankenversicherung, Einheitsarbeitslosenversicherung etc. in ganz Europa" bedeuten könne. Die Stärke Europas liege in seiner Vielfalt, die mit ihren verschiedenen Facetten Dezentralisierung, Individualisierung, Flexibilisierung und Subsidiarität auch das Qualitätsmerkmal des Europäischen Sozialraums sein sollte. 73

66 Knigge, 24.

Breit, 61. StiUer, ZIAS 1991, 195. 69 Breit, 61; Clever, BArbBI. 7-8/1989, 34; Vogel-Polsky / Vogel, 16. 70 Befürwoncnd etwa Milder, Sozialrecht, 73 f.; Schwarze, ZfV 1993, 9; Adamy, 244 ff.; Däubler, Grundrechte, 29; Hilf, EuR 1991, 19; Breit, 60; Gommers, 182; ablehnend etwa Erdmonn, Perspektiven, 18; Dlez-Picazo / Ponthoreau, 28 f.; Merten, Entwicldungsperspekti67

68

ven, 76.

Knigge, 24. 22. 73 Clever, BArbBI. 7-8/1989, 33. 71

72 Ders.,

A. Die Begriffe "SozialIaum" und "Sozialunion"

303

n. Der Begriff "SoziaIunion" Bereits geraume Zeit vor der Verwendung des Begriffs "Sozialraum" wurde der Begriff "Sozialunion" geprägt. In der Erklärung des damaligen deutschen Bundeskanzlers Brandt zur Pariser Gipfelkonferenz von 1972 wurde, soweit ersichtlich, dieser Begriff erstmalig im Zusammenhang mit der europäischen Integration verwendet. Im Hinblick auf den inneren Ausbau der Gemeinschaft führte Brandt aus, die Staats- und Regierungschefs der Gemeinschaft hätten beschlossen "gleichrangig neben dem Aufbau der Wirtschaftsund Währungsunion erste Schritte zu dem zu stellen, was man die Sozialunion nennen könnte. Den vielen Millionen europäischer Arbeitnehmer muß endlich bewußt werden, daß es nicht nur um ein Europa der Geschäfte geht, sondern auch um ein Europa der arbeitenden Menschen und ihrer Lebensqualität. "74 AnIäßlich eines offlziellen Besuchs in Brüssel im Februar 1973 vertrat Brandt sodann die Ansicht, die Europäische Union werde sich als Wirtschafts- und Währungsunion, als Sozialunion und als Politische Union beweisen müssen. 75 Die Verwendung des Begriffs "Sozialunion" ähnelt derjenigen des Begriffs "Sozialraum ": Auch der Begriff "Sozialunion " wird unspezifiziert76 bzw. spezifiziert mit dem Adjektiv "europäisch" verwendet. 77 1. Sicht der Gemeinschaft

Soweit ersichtlich, wurde der Begriff "Sozialunion" bzw. "Europäische Sozialunion" lediglich von der Kommission78 zu Anfang der siebziger Jahre verwendet, nicht aber in jüngerer Zeit und insbesondere nicht im Zusammenhang Bull. BReg. 1972, Nr. 148/1761. Hervorhebung eingefügt. Bull. BReg. 1973, Nr. 14/117. Hervorhebung eingefügt. 76 Vgl. etwa 1hiele, 930; Haupt, 218; Wanders, EuR 1985, 138; Wellner / Schmich; von Maydell; Ewert, 233; OppeT71lll1ln, Europarecht, Rn. 1551; Kuhn, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3-4/91, 40; Mäder, Sozialrecht, 73; Berie, ZSR 1992, 421; Schulz, Sozialer Fortschritt 1992, 79; Borchardt, Sozialrecht, 5; Figge, 258; Seideneck, 202; Berthold, 28. Tl Vgl. etwa Kommission, KOM (73) 520 vom 18.4.1973, 2; Andre, 481; Rohde, 194; Ernst, 103; Altvater / Mahnkopf, 248; Lecheier, FS Anton Rauscher, 232 und 234. Von der "sozialen Union Europas" sprechen Kuper / Huppertz, NDV 1993, 95, und Kleinhe1l1., Stellung, 32. 78 KOM (73) 520 vom 18.4.1973, 2; vgl. auch die Äußerung der damaligen EG-Kommissarin Papandreou in der gemeinsamen Aussprache zur Sozialcharta vom 19.11.1991, Verhandlungen des EP, Anhang Nr. 3-411/98 zum ABI. 74 75

304

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

mit dem Vertrag über die Europäische Union. In ihren Leitlinien für ein sozialpolitisches Aktionsprogramm legte die Kommission im Jahre 1973 dar, in ihren Augen sei das sozialpolitische Aktionsprogramm "die Grundlage für eine gemeinschaftliche Sozialpolitik, die Teil einer künftigen Sozialcharta der Gemeinschaft sein könnte. Hierbei geht es praktisch um die Verwirklichung der ersten Phase einer Europäischen Sozialunion. "79 Eine Definition dessen, was die "Europäische Sozialunion" ausmachen solle, wurde nicht angeführt. Jedoch nahm die Kommission Konkretisierungen hinsichtlich der Gestaltung dieser ersten Phase vor. So erklärte die Kommission, es sei nicht ihre Absicht, alle sozialen Probleme der Gemeinschaft zentral zu lösen. Eine Gemeinschaftsaktion im sozialen Bereich sei aus drei Gründen erforderlich: erstens, weil einige, in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen auftretende Probleme besser gemeinsam als einseitig gelöst würden; zweitens, weil weniger begünstigte Mitgliedstaaten ohne Gemeinschaftssolidarität ihre Probleme nicht lösen könnten; und drittens, weil der soziale Fortschritt in Richtung auf die Wirtschafts- und Währungsunion einen möglichst reibungslosen Prozeß der Angleichung zwischen den Volkswirtschaften voraussetze. 80 Als konkrete Maßnahmen wurden u.a. die Sicherung der Vollbeschäftigung durch eine geeignete Wirtschafts- und Finanzpolitik,81 Verbesserungen zugunsten von Wanderarbeitnehmem und Frauen,82 Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz,83 die Förderung unterstützungsbedürftiger Gruppen (Jugendliche beim Eintritt in das Berufsleben, ältere Arbeitnehmer, Behinderte),84 die Zusammenarbeit der nationalen Arbeitsverwaltungen85 sowie die Stärkung des sozialen Dialogs86 vorgeschlagen.

KOM (73) 520, ebd. Hervorhebung eingefügt. 8OEbd., 3. 81 Ebd., 7. 82 Ebd., 9. 83 Ebd., 11. 84 Ebd., 9 f. 8S Ebd., 10. 86 Ebd, 15.

'79

A. Die Begriffe "Sozialraum" und "Sozialunion"

305

2. Sicht des Schrifttums Insbesondere im deutschen Schrifttum trifft man auf den Begriff "Sozialunion" , was sicherlich eine Folge der Prägung des Begriffs durch den damaligen deutschen Bundeskanzler Brandt anläßlich der Pariser Gipfelkonferenz im Jahre 1972 ist. Dabei werden zwei Zeitabschnitte erkennbar, in denen der Begriff verstärkt diskutiert wird. Dies ist zum einen der Zeitabschnitt unmittelbar nach der Pariser Gipfelkonferenz87 und zum anderen die jüngste Zeit, insbesondere der Zeitabschnitt, seitdem der Inhalt des Vertrages über die Europäische Union erörtert wird. 88 Eine genaue Bestimmung dessen, was unter dem Begriff "Sozialunion " zu verstehen sein soll, wird nur selten vorgenommen. Nach einer Ansicht soll der Begriff "Sozialunion" bedeuten, daß "das Sozialrecht der nationalen Versicherungssysteme aufeinander abgestimmt und von einem überstaatlichen europäischen Sozialrecht überlagert wird". 89 Anderer Auffassung zufolge soll die "Europäische Sozialunion" einen Zielbegriff bezeichnen, der im politischen Raum das Ziel von Denken und Handeln angebe und der nach und nach durch politische Schritte ausgefüllt und konkretisiert werden müsse. 90 In ähnlicher Weise wird gefordert, es müsse darum gehen, "gemeinsame Ziele aufzustellen, sich unter den Mitgliedstaaten auf gemeinschaftliche Qrientierungen zu einigen und über Prioritäten abzustimmen. "91 Ferner wird erklärt, der Begriff "Sozialunion" bezeichne den politischen "Endzustand" auf dem Gebiet sozialer Politik. 92 Nähere Konkretisierungen des Begriffs "Europäische Sozialunion " sind wie schon für den Begriff "Europäischer Sozialraum" - häufiger anzutreffen. Danach sollte eine "Europäische Sozialunion" u.a. folgende Aspekte umfassen: gemeinschaftliche Beschäftigungspolitik;93 Gesundheitsschutz am Ar481; Rohde, 193; 7hiele, 930; Haupt, 218. Schachtschneider u.a., 752; Hilfl Willms, 368; Berie, ZSR 1992,421; Schulz, Sozialer Fortschritt 1992, 79; Sieveking, Bestimmungsfaktoren, 315; Wellner / Schmich; Kuhn, Sozialraum; von Maydell; Mäder, Sozialrecht, 73 ff.; Tegrmeier, 313; Wanders, EuR 1985, 87

Vg!. etwa Andre,

88 Vg!. etwa

138.

Wanders, Sozialunion, 81. 481. 91 Rohde, 195; vg!. auch Andre, 483. 92 Mäder, Integrations- und Gesundheitspolitik, 3. 93 Rohde, 197; Weinstock, Sozialunion, 176; Mäder, Sozialrecht, 73. 89

90 Andre,

20 Kulm

306

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

beitsplatz;94 Erleichterungen der Inanspruchnahme des Rechts auf Freizügigkeit beispielsweise durch eine gemeinsame Arbeitsmarktpolitik95 und gegenseitige Anerkennung von Diplomen;96 Gewährung bestimmter sozialer Grundrechte;97 Entwicklung und Verwirklichung gemeinsamer Grundprinzipien der sozialen Sicherheit;98 Stärkung des sozialen Dialogs99 und Schaffung von Rahmenbedingungen für den Abschluß europäischer Tarifverträge; 100 Verbesserung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer;101 Förderung unterstützungsbedürftiger Personengruppen wie ältere Arbeitnehmer, Frauen und Behinderte;l02 gemeinschaftliche Maßnahmen zur Verbesserung der Berufsausbildung; 103 Unterstützung der weniger entwickelten Regionen; 104 Ausdehnung des Systems der sozialen Sicherung der Wanderarbeitnehmer in der Gemeinschaft auf alle sozialversicherungsberechtigten oder sozialversicherungspflichtigen Personen 105 bzw. Teilhabe aller Menschen in Europa an der sozialen Sicherung;l06 Verbesserung der Mittelausstattung und Funktionsweise des ESF; 107 Entwicklung eines europäischen Sozialbudgets 108 sowie die grenzüberschreitende Garantie von sozialen Schutzpositionen für alle - wandernden und nichtwandernden Bürger der Mitgliedstaaten - als Ausdruck eines europäischen Sozialbürgerstatus .109 Auch im Hinblick auf die "Europäische Sozialunion " wird dargelegt, was sie jedenfalls nicht sein solle, nämlich "der Raum einer einheitlichen Sozial-

'Ihiele, 934; Rohde, 196. Rohde, ebd.; Weinstock, Erfahrungen, 30. 96 Thiele, 934; Kuhn, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3-4/91, 46. 'Tl Mäder, Sozialrecht, 74. 98 Thiele, 934. 99 Weinstock, Erfahrungen, 32. 100 Andre, 483; Rohde, 197. 101 Andre, ebd.; Rohde, ebd.; 'Ihiele, 934; Weinstock, Erfahrungen, 31. 102 Rohde, ebd. 103 'Ihiele, 934; Rohde, 196. 104 'Ihiele, ebd.; Rohde, 195. lOS Andre, 482. 106 Rohde, 197. 107 Weinstock, Sozialunion, 166; Kuhn, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3-4/91, 46. 108 Rohde, 197. 109 Sieveking, Bestimmungsfaktoren, 314 f. 94

9S

A. Die Begriffe "Sozialraum" und "Sozialunion"

307

gesetzgebung mit überall gleichen Beiträgen, Leistungen und Ausgestaltungen. "110

m. Ergebnis Aus den vorstehenden Ausführungen ist deutlich geworden, daß nur selten versucht wird, die Begriffe "Sozialraum" und "Sozialunion" exakt zu defmieren. Werden solche Definitionsversuche unternommen, bleiben sie überwiegend allgemein und legen den genauen Begriffsinhalt nicht eindeutig fest. Da beide Begriffe schillernd und vieldeutig sind, vermögen diese Unsicherheiten bei einer Bildung von Defmitionen nicht zu überraschen. Gegen die eher unscharfen positiven Defmitionen beider Begriffe erweisen sich die negativen Abgrenzungen dessen, was unter beiden Begriffen jedenfalls nicht zu verstehen sein soll, als weitaus konkreter, da insoweit eindeutige Festlegungen vorgenommen werden. Die zahlreichen Konkretisierungen der Begriffe "Sozialraum" und "Sozialunion" nur als eine "mehr oder weniger eklektische Sammlung von Politikbereichen "111 zu verstehen, dürfte ihrer Bedeutung nicht gerecht werden, lassen doch diese Konkretisierungen jedenfalls erkennen, welche inhaltlichen Aspekte mit beiden Begriffen verbunden werden. Festzustellen ist dabei zunächst, daß sich die Konkretisierungen beider Begriffe überwiegend entsprechen, mit anderen Worten ein synonymer Gebrauch beider Begriffe zu beobachten ist. Im Hinblick auf die Konkretisierung des Begriffs "Sozialunion " ist zudem hervorzuheben, daß in jüngerer Zeit auf zu Beginn der siebziger Jahre gestellte Forderungen verzichtet wird. Wurde noch unmittelbar nach dem Pariser Gipfel sowohl von der Gemeinschaft als auch vom Schrifttum als Ziel einer Europäischen Sozialunion die Sicherung der Vollbeschäftigung genannt, 112 wird diese Forderung - soweit ersichtlich - in jüngerer Zeit nicht mehr erhoben und lediglich darauf verwiesen, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein wichtiges Ziel der Gemeinschaft sei. Unter Berücksichtigung der zu Beginn der neunziger Jahre in den Mitgliedstaaten anzutreffenden Wirtschaftssi110 Andre,

483.

111 Daß jeder Versuch, den Begriff "Sozialraum Europa" zu bestimmen, darauf hinausliefe,

vertritt Mayer, 422. 112

Kommission, KOM (73) 520 vom 18.4.1973,5; RoMe, 195; Andre, 482.

308

3. Teil: Bilanz und Penpektiven

tuation, die durch hohe Arbeitslosenzahlen gekennzeichnet ist, dürfte eine entsprechende Forderung ohnehin femliegen. Vom Schrifttum wird der Begriff "Sozialunion" weiter als der Begriff "Sozialraum" verstanden. Über die Anforderungen hinaus, die an den Sozialraum gestellt werden, verlangt das Schrifttum für eine Sozialunion beispielsweise die Teilhabe aller Menschen in Europa an sozialen Sicherungssystemen113 und die Schaffung eines europäischen Sozialbürgerstatus als grenzüberschreitende Garantie von sozialen Schutzpositionen für alle Bürger der Mitgliedstaaten. 114 Bei der Verwendung beider Begriffe fällt auf, daß die Gemeinschaftsorgane und -institutionen überwiegend den Begriff "Sozialraum" gebrauchen, nicht aber den Begriff der "Sozialunion ", den - soweit ersichtlich - allein die Kommission im Jahre 1973 verwendet hat. Im Schrifttum läßt sich indessen keine Präferenz für einen der beiden Begriffe erkennen. Zur Beurteilung der Frage, ob und inwieweit die derzeitige Verteilung der Kompetenzen zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten im sozialen Bereich es rechtfertigen, bereits von einem "Europäischen Sozialraum" bzw. der "Europäischen Sozialunion " zu sprechen, werden die der Gemeinschaft im sozialen Bereich zugewiesenen Kompetenzen näher untersucht.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich Seit Gründung der Gemeinschaft hat die Frage, welche Kompetenzen von den Mitgliedstaaten auf sie übertragen worden sind, immer wieder Verfahren vor dem Gerichtshof veranlaßt 115 und kontroverse Diskussionen im Schrifttum116 ausgelöst. Dies vermag nicht zu erstaunen angesichts des Umstandes, daß eine Befassung mit den der Gemeinschaft zugewiesenen Kompetenzen wobei Kompetenzen hier verstanden werden als "rechtliches Können" , 117 d.h. 113 Rohde,

197. Sieveking, Bestimmungsfaktoren, 314 f. 11S Vgl. etwa EuGH, Rs. 22/70 (AETR), Slg. 1971,263; Rs. 141/78 (Frankreich/Vereinigtes Königreich), Slg. 1979, 2923 (2940); Rs. 13/83 (EPIRat), Slg. 1985, 1513; Rs. 242/89 114

(ERASMUS), Slg. 1989, 1425. 116 Vgl. hierzu etwa SteindorJ!. 111 L.-J. Constantinesco, Rn. 144.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

309

als rechtlich zulässiges Tätigwerden - Grundlagen der Integration und der Gemeinschaftsverfassung berühren, wie beispielsweise die Klarheit über die Rechtsnatur der Gemeinschaft, die Abgrenzung von Gemeinschaftsaufgaben und Aufgaben der Mitgliedstaaten sowie die Rechtsstellung des einzelnen. 118 Zweck der folgenden Untersuchung ist es, die Reichweite der Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich aufzuzeigen. Dies ist nicht möglich, ohne zuvor das Verhältnis der Gemeinschaft zu den Mitgliedstaaten zu behandeln, insbesondere die Kompetenzzuweisungen an die Gemeinschaft und das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht. I. Das Verhältnis der Gemeinschaft zu den MitgHedstaaten

1. Kompetenzzuweisungen an die Gemeinschaft im allgemeinen a) Grundsätze

aa)

Keine Allzuständigkeit der Gemeinschaft

Allgemein anerkannt ist, daß der Gemeinschaft - anders als jedem Staat keine Allzuständigkeit zukommt, sondern sie nur über begrenzte, ihr zugewiesene Kompetenzen verfügt.119 Die Gründungsverträge, die zugegebenermaßen in gewissen Aspekten Verfassungen ähneln,120 enthalten daher keine allgemeinen Regelungen über die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten in dem Sinne, daß eine Unterscheidung nach ausschließlichen und konkurrierenden Kompetenzen getroffen WÜfde. 121 Hieraus folgt, daß von der Gemeinschaft vor jedem Tätigwerden zu prüfen ist, ob sie über eine Kompetenznorm verfügt, die das beabsichtigte Tätigwerden deckt.

Ipsen, 413. 1197Jdeeg, JöR N.F. 20 (1971), 3; Ipsen, 413; vgl. insoweit auch Mägele, BayVBI. 1989,

118 Vgl.

577, der von dem "fragmentarischen Charakter" des Gemeinscbaftsrechts spricht. 120 So auch Jacobs, 26. 121 Pechstein, Sachwalter, 47.

310

bb)

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Das sog. "Prinzip der begrenzten Ermächtigung"

Im Rahmen der Erörterung der Kompetenzen der Gemeinschaft wird häufig das Prinzip der begrenzten Ermächtigung 122 angeführt, durch das die Kompetenz zum Tätigwerden der Gemeinschaftsorgane in den einzelnen Vertragsvorschriften genau festgelegt sei. Nach diesem Prinzip, das insbesondere aus den Art. 3, 4, 145, 155, 189 EGV; 2, 3, 115, 161 EAGV und 3, 4, 5, 8, 20 EGKSV abzulesen sei, erfüllen die Gemeinschaften die ihnen übertragenen Aufgaben "nach Maßgabe" der Verträge (Art. 3, 4 EGV; 2, 3 EAGV).1 23 Inhaltlich folge aus dem Prinzip, daß die EG verbindliche Rechtsakte jeweils nur in denjenigen allgemein zugelassenen Rechtsformen (Art. 189 EGV, 161 EAGV, 14 EGKSV) erlassen dürfe, die bei der betreffenden Einzelkompetenz zugelassen seien. 124 Als Ausnahme 125 bzw. als Durchbrechung dieses Prinzips werden die subsidiären Kompetenznormen der Art. 235 EGV, 203 EAGV und 95 Abs. 1 EGKSV angesehen, durch die eine erforderliche Ermächtigung für solche Maßnahmen, die zwar nicht ausdrücklich in den Verträgen vorgesehen, die aber Konsequenz oder Voraussetzung für die Verwirklichung eines der Vertragsziele seien, bereitgestellt werde. 126 Um die Annahme, den Verträgen läge ein Prinzip der begrenzten Ermächtigung zugrunde, zu überprüfen, müssen die Kompetenznormen der Verträge näher untersucht werden. Hierzu ist zunächst festzustellen, daß eine große Zahl der Kompetenznormen in den Gemeinschaftsverträgen die genauen Modalitäten der Kompetenzausübung im einzelnen festlegt. Aufgeführt werden beispielsweise das zur Handlung ermächtigte Organ, die Beteiligung anderer, an der Rechtsetzung beteiligter Organe und Institutionen, die Art des Rechtsaktes (Verordnung, 122 Borchardt, Grundlagen, 56; Schweilzer, Staatsrecbt m, Rn. 255; Kraußer. Das Prinzip wird im Scbrifttum unterschiedlicb bezeichnet, etwa als Prinzip der Einzelermächtigung (L. -J. Constantinesco, Rn. 193); Prinzip der begrenzlen Einzelermächtigung (Dom, 90; Schelter, 332; Voss / Wenner, NVwZ 1994, 332); Prinzip der beschrlinklen Einzelermächtigung (Lenz, DVBI. 1990, 904); Prinzip der enumerativen Einzelermiichtigung (Klein / Beckmann, 186); Prinzip der begrenzten Einzelzuständigkeit (Oppermann, Europarecbt, Rn. 433; Bieback, EuR 1993, 152); Grundsatz der vertraglich zugewiesenen Ziele und Befugnisse (Schwanz, AfP 1993, 410) und Prinzip der competence d'attribution (Schwarze, Entwicldungsperspektiven, 15). 123 Vgl. Oppermann, Europarecbt, Rn. 433.

124 Ders.,

ebd.

Ders., ebd., Rn. 432. 126 Borchardt, Grundlagen, 56. 125

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

311

Richtlinie usw.), die Form der Beschlußfassung des Rates (z.B. einstimmig oder mit qualifizierter Mehrheit) sowie der Zweck der Vorschrift (vgl. etwa die Art. 49, 57, 69, 87, 100, 103, 118 a EGV; 31 EAGV; 59 § 2 EGKSV). Ein Teil der Kompetenznormen einzelner Vertragsbereiche ist allerdings weiter gefaßt. In diesen Normen wird nicht die Art des Rechtsaktes angeführt, sondern allgemein von "Maßnahmen" gesprochen, etwa in den Art. 51, 100 a, 130 g EGV. Damit wird der Gemeinschaft durch diese Normen ein größerer GestaItungsspielraum eingeräumt. Noch weiter sind die subsidiären Kompetenznormen der Art. 235 EGV, 203 EAGV und 95 Abs. 1 EGKSV gefaßt. Der Wortlaut von Art. 235 EGV lautet: "Erscheint ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen, und sind in diesem Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, so erläßt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften. " Mit diesen subsidiären Kompetenznormen wird demnach nicht auf einen bestimmten Vertragsbereich - etwa einen einzelnen Politikbereich - verwiesen, vielmehr ist die Verwirklichung eines Ziels der Gemeinschaft entscheidend. Die Schaffung subsidiärer Kompetenznormen mit den in ihnen enthaltenen Bezugnahmen auf Ziele der Gemeinschaft ist vor dem Hintergrund des Zeitpunkts der Abschlüsse der Gemeinschaftsverträge zu sehen. Mit der Gründung der Gemeinschaft ist nicht lediglich die Schaffung einer - weiteren - internationalen Organisation beabsichtigt worden. Der Wille der Gründerstaaten war vielmehr darauf gerichtet, vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs eine Gemeinschaft zu gründen, die in viel stärkerem Maße in den innerstaatlichen Bereich eindringen können sollte als dies anderen internationalen Organisationen möglich war und ist. 127 Die zwischenstaatliche Zusammenarbeit sollte um etwas Neues, noch nicht Bekanntes, nämlich eine wirkliche Gemeinschaft verschiedener Staaten, die eine weitreichende Integration auf unterschiedlichen Gebieten - und nicht nur dem

127 Vgl.

Zuleeg, JöR N.F. 20 (1971),3; EverUng, DVBI. 1993,937.

312

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

wirtschaftlichem Sektor128 - verfolgen, erweitert werden. Wie ernst den Gründerstaaten das Ziel der Integration war, wird u.a. daran deutlich, daß sowohl der EWG-Vertrag als auch der EAG-Vertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen wurden 129 und sämtliche Gemeinschaftsverträge zunächst zwar Vorschriften über die Aufnahme neuer Mitglieder,130 aber keine Vorschriften über den Austritt von Mitgliedern enthielten. An dieser Rechtslage hat sich auch nach lnkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union nichts geändert. 131 Weiterhin lassen sich für den auf eine weitreichende und voranschreitende Integration gerichteten Willen der Gründerstaaten die der Gemeinschaft übertragenen Aufgaben 132 sowie die Präambeln der Gemeinschaftsverträge, die weit über einen wirtschaftlichen Zusammenschluß hinausweisen, anführen. Durch die der Gemeinschaft übertragenen Aufgaben und die von ihr zu verfolgenden weitreichenden Ziele war bereits bei Abschluß der Verträge erkennbar, daß das in der Zukunft liegende Tätigwerden der Gemeinschaft kaum bzw. nur sehr schwer voraussehbar sein würde. Um den sich im Laufe der Zeit stellenden Anforderungen gerecht zu werden, war es daher unumgänglich, der Gemeinschaft neben speziellen Kompetenzen bestimmte allgemeine Kompetenzen zu übertragen, die sie zur Ergänzung der ihr zugewiesenen Kompetenzen einsetzen können soll. Andernfalls hätte in jedem auftretenden Fall, in dem es für sinnvoll erachtet worden wäre, der Gemeinschaft weitere als die in einzelnen Vertragsvorschriften genau bezeichneten Kompetenzen einzuräumen, eine Vertrags änderung durchgeführt werden müssen. Jede Vertragsänderung bedarf aber der RatifIkation durch sämtliche Mitgliedstaaten,133 so daß ein solches Verfahren als nicht praktikabel erscheinen mußte. Einfacher war es daher, wie geschehen, subsidiäre Kompetenznormen vorzusehen. Hervorzuheben ist dabei, daß subsidiäre Kompetenznormen - als die weitreichendsten, da nicht im Detail genau bestimmten, Kompetenznormen

So aber Schachtschneider u.a., 751. Vgl. nunmehr Art. 240 EGV und 208 EAGV. 130 Vgl. die - nunmehr aufgehobenen - Art. 237 EWGV, 205 EAGV, 98 EGKSV. 131 S. Art. 0 und Q EUV. 132 Vgl. den früheren Art. 2 EWGV und nunmehr Art. 2 EGV, 1 EAGV, 2 EGKSV. 133 Vgl. die - aufgehobenen - Art. 236 EWGV, 204 EAGV, 96 EGKSV und nunmehr Art. NEUV. 128

129

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

313

der Gemeinschaft - allein den Rat zu einem Handeln ermächtigen, den sie zudem auf eine einstimmige Beschlußfassung festlegen. Die vorstehenden Ausführungen zeigen, daß Kompetenzzuweisungen an die Gemeinschaft in allen Fällen auf die gleiche Art und Weise erfolgen, nämlich durch die Bestimmung eines zur Handlung ermächtigten Organs und die Festlegung der Modalitäten der Kompetenzausübung. Der Unterschied zwischen speziellen und subsidiären Kompetenznormen liegt in erster Linie darin, daß letztere für alle Vertragsbereiche Befugnisse verleihen, sie also inhaltlich umfassender sind. Von einem Prinzip der begrenzten Ermächtigung kann daher nur insoweit gesprochen werden, als davon auch subsidiäre Kompetenznormen erfaßt werden, denn auch bei diesen Kompetenzen handelt es sich letztlich um begrenzte, von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft übertragene, d.h. zugewiesene Kompetenzen. Demzufolge können subsidiäre Kompetenznormen nicht als Ausnahme bzw. Durchbrechung des Prinzips der begrenzten Ermächtigung angesehen werden, vielmehr bestätigen sie dieses Prinzip. Der Erkenntniswert der Bedeutung des Prinzips der begrenzten Ermächtigung ist gelegentlich als "gering" bezeichnet und es als ein nur "formales

Prinzip" charakterisiert worden. 134 Dies trifft insoweit zu, als aus dem Prinzip keine rechtlichen Folgerungen abgeleitet werden können. Unzutreffend ist daher die Auffassung, dem Prinzip komme materielle Wirkung zu, da es für die Interpretation der einzelnen Kompetenzen nicht folgenlos bleiben könne, vielmehr zu einer einschränkenden Auslegung derselben verpflichte. 135 Ebensowenig kann aus dem Prinzip geschlossen werden, sämtliche Organe könnten nur begrenzte Handlungsermächtigungen zur Wahrnehmung der ihnen übertragenen Aufgaben inne haben. 136 Die Bedeutung des Prinzips der begrenzten Ermächtigung liegt - trotz dieser berechtigten Kritik - jedenfalls darin, die Kompetenzzuweisungsmethode von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft zu charakterisieren. 137

134 Kritisch etwa zur Bedeunmg des Prinzips für die Organkompetenz

So aber Klein / Beckmonn, 186. 136 Vgl. Ipsen, 413; Bleck:mannlBleckmonn, Rn. 73. 137 So bereits Medobitek, 199. 135

Niedobitek, 199.

314

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

b) Der Gemeinschaft ausdrücklich zugewiesene Kompetenzen 00)

Einleitung

Obwohl der dritte Teil des EG-Vertrages einzelne Materien ausdrücklich den Politiken der Gemeinschaft unterstellt - beispielsweise unter Titel VI die Wirtschafts- und Währungspolitik, unter Titel VII die gemeinsame Handelspolitik unter unter Titel VIII Sozialpolitik, allgemeine und berufliche Bildung und Jugend - bedeutet dies nicht, daß alle der genannten Materien mit Abschluß des Vertrages allein der Gemeinschaft zustünden. Vielmehr muß die Gemeinschaft vor ihrem Tätigwerden jeweils prüfen, ob und inwieweit ihr durch eine Vertragsvorschrift eine Kompetenz für das beabsichtigte Tätigwerden zusteht, da Kompetenzen der Gemeinschaft nur auf der Grundlage einer kasuistischen Analyse der positiven Bestimmungen der Verträge festgestellt werden können. 138 Hieraus folgt, daß der - häufig anzutreffenden - Unterscheidung der Kompetenzen der Gemeinschaft im Lichte des Tätigkeitsbereichs in die drei Gruppen (1.) Integrationsbereich, (2.) Kooperationsbereich und (3.) flankierende Politiken 139 jedenfalls keine rechtliche Verbindlichkeit zukommen kann. Aussagen, die eine bestimmte Politik der Gemeinschaft einer dieser Gruppen zuordnen, lassen daher außer acht, daß jeder Politikbereich bei einer auf fortschreitende Integration angelegten Gemeinschaft notwendigerweise Veränderungen unterliegt. Wie schwierig es im übrigen ist, einen Politikbereich einer dieser Gruppen zu unterstellen, zeigt sich schon daran, daß im Schrifttum etwa für die Sozialpolitik von demselben Autor vertreten wird, diese unterstehe dem Kooperationsbereich,l40 während er sie im Gegensatz dazu später zu den flankierenden Politiken zählt. 141

bb)

Kompetenzen aus speziellen Vertragsvorschriften

Der Gemeinschaft ausdrücklich zugewiesene Kompetenzen folgen zunächst aus speziellen Kompetenznormen, die über sämtliche Gemeinschaftsverträge 138 L.-J.

Constantinesco, Rn. 146. ders., ebd., Rn. 155. 140 Ders., ebd., Rn. 160. 141 Ders., ebd., Rn. 170.

139 Vgl. etwa

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

315

verstreut sind und die die genauen Modalitäten des Tätigwerdens der Gemeinschaft erkennen lassen, beispielsweise für den EG-Vertrag die Art. 9 ff. für den freien Warenverkehr, die Art. 48 ff. für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Art. 52 ff. für das Niederlassungsrecht, die Art. 74 ff. für die gemeinsame Verkehrspolitik; für den EAG-Vertrag die Art. 30 ff. für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen und für den EGKS-Vertrag Art. 67 für die Beeinträchtigung von Weubewerbsbedingungen in der Kohle- und Stahlindustrie.

ce)

Kompetenzen aus Aufgaben- und Zielbestimmungen i. V.m. subsidiären Kompetenznormen

Um allgemeine Aussagen zu den der Gemeinschaft ausdrücklich zugewiesenen Kompetenzen treffen zu können, ist es ferner unumgänglich, die der Gemeinschaft übertragenen Aufgaben näher zu beleuchten. Nach Art. 2 EGV ist es Aufgabe der EG, "durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung der in den Artikeln 3 und 3 a genannten gemeinsamen Politiken oder Maßnahmen eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, ein beständiges, nichtinflationäres und umweltverträgliches Wachstum, einen hohen Grad an Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Beschäftigungsniveau, ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern." Ähnliche Zwecke verfolgen die EAG und die EGKS: Der EAG ist die Aufgabe übertragen worden, "durch die Schaffung der für die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien erforderlichen Voraussetzungen zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten und zur Entwicklung der Beziehungen mit den anderen Ländern beizutragen" (Art. 1 Abs. 2 EAGV); die EGKS ist dazu berufen, "im Einklang mit der Gesamtwirtschaft der Mitgliedstaaten und auf der Grundlage eines gemeinsamen Marktes, wie er in Art. 4 näher bestimmt ist, zur Ausweitung der Wirtschaft, zur Steigerung der Beschäftigung und zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten beizutragen" (Art. 2 Abs. 1 EGKSV).

316

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Das Tätigwerden der Gemeinschaft zur Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben wird in den einzelnen Verträgen jeweils näher konkretisiert (vgl. Art. 3 EGV: "Die Tätigkeit der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 2 umfaßt nach Maßgabe dieses Vertrages ... "; Art. 2 EAGV: "Zur Erfüllung ihrer Aufgabe hat die Gemeinschaft nach Maßgabe des Vertrags .... "; Art. 3 EGKSV: "Die Organe der Gemeinschaft haben im Rahmen der jedem von ihnen zugewiesenen Befugnisse und im gemeinsamen Interesse ... "). Die im Anschluß daran folgenden Aufzählungen des Tätigwerdens der Gemeinschaft sind nicht abschließend, was für den EG-Vertrag zum einen daraus folgt, daß der Art. 3 EGV einleitende Satz auf Art. 2 EGV verweist, er also lediglich der näheren Beschreibung der Aufgabe der Gemeinschaft dient, und zum anderen für alle Gemeinschaftsverträge daraus, daß andernfalls die in den Verträgen enthaltenen subsidiären Kompetenznormen überflüssig wären. 142 Die in den Verträgen enthaltenen Aufgabenvorschriften und die sie näher konkretisierenden Vorschriften sind nicht lediglich als bloße Programmsätze zu verstehen, denen keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt. Hierfür sind vor allem zwei Gründe anzuführen. Zunächst ist auf die Verwendung der Begriffe" Aufgaben der Gemeinschaft" und "Ziele der Gemeinschaft bzw. des Vertrages" (vgl. etwa Art. 5 EGV) zu verweisen. Jedes Tätigwerden der Gemeinschaft bezweckt - idealiter - die Verwirklichung einer bzw. mehrerer der Gemeinschaft übertragenen Aufgaben. Mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben verfolgt die Gemeinschaft bestimmte Ziele. Da andere Ziele der Gemeinschaft als die nach den Aufgaben zu verwirklichenden kaum vorstellbar sind, erscheint eine Unterscheidung zwischen einer "Aufgabe der Gemeinschaft" und einem "Ziel der Gemeinschaft" nicht möglich. 143 Auch der Gerichtshof trifft keine derartige Unterscheidung, wenn er ausführt: "Art. 2 EWGV beschreibt die Aufgabe der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die darin genannten Ziele sind mit dem Bestehen und dem Funktionieren der Gemeinschaft verknüpft ... " .144 Aus dieser Gleichsetzung der Aufgaben- und Zielvorschriften folgt zweitens, daß diejenigen Vorschriften, die Aufgaben der Gemeinschaft bestimmen, zwar nicht selbst Kompetenznormen darstel-

An. 3 Rn. 3; GTFJZuleeg, An. 3 Rn. 1. Ipsen, 556; GTFJZuleeg, An. 2 Rn. 1; GrabitzlGrabitz, An. 2 Rn. 1.

142 Vgl. GrabitzlGrabitz, 143 So auch

144 EuGH, Rs. 126/86 (Zaera), Slg. 1987,3697 (3715).

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

317

len,14.5 angesichts ihres grundlegenden Charakters l46 jedoch in Verbindung mit subsidiären Kompetenznormen, die auf die Ziele der Gemeinschaft Bezug nehmen - wie etwa Art. 235 EGV -, erhebliche Bedeutung erlangen können. 147 c) Stillschweigend begründete Kompetenzen ("implied powers") der Gemeinschaft Neben den der Gemeinschaft ausdrücklich zugewiesenen Kompetenzen stehen ihr auch "stillschweigend begründete"148 Kompetenzen zu (sog. Lehre von den "implied powers").l49 "Implied powers" sind somit, wie von Köck zutreffend beschrieben, Kompetenzen, die bestehen, ohne in der betreffenden Rechtsgrundlage ausdrücklich genannt zu sein. 1.50 Voraussetzung für die Annahme stillschweigend begründeter Gemeinschaftskompetenzen ist die Verknüpfung mit einer geschriebenen Kompetenznorm, welche - ohne Zuerkennung der stillschweigend begründeten Kompetenz - nicht vollständig, wirksam und vernünftig ausgeführt werden könnte. l .51 Nur durch die Anerkennung solcher stillschweigend begründeter Kompetenzen wird dem Prinzip der Sicherung der Funktionsfahigkeit genügt, 1.52 so daß die Anerkennung von "implied powers" im Grunde nur eine Selbstverständlichkeit ausspricht. l .53 Ein der Lehre von den "implied powers" verwandtes Rechtsprinzip ist das auf bundesstaatlicher Ebene anerkannte Prinzip ungeschriebener Zuständigkeiten kraft Sachzusammenhangs. l .54

145 Vgl. GrabitzlGrabitz, Art. 2 Rn. 1; GTE/ZUleeg, Art. 2 Rn . .5; SteindorjJ, 49; Nicolaysen, EuR 1966, 134. 146 GrabitzlGrabitz, ebd.

Dazu unten, B.m.2. Vgl. ZUleeg, JöR N.F. 20 (1971), 314. Nach Borchardl, Grundlagen, .5.5 f., treten stillschweigend begründete Kompetenzen, die er als "inhärente" Kompetenzen bezeichnet, nur punktuell auf. 1490ppermann, Europarecht, Rn. 439. 147 148

ISO Köck,

280.

Vgl. Nicolaysen, EuR 1966, 132; Ipsen, 437; L.-J. Constantinesco, Rn. 200; BleckmannlBleckmann, Rn. 493; Schweitzer / Hummer, 76. 151

1521psen, ebd. So bereits Mcolaysen, EuR 1966, 136. 154 Oppermann, Europarecht, Rn. 439. 153

318

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Der Gerichtshof erkannte stillschweigend begründete Kompetenzen der Gemeinschaft bereits im Jahre 1956 an, als er feststellte, daß die "Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrages oder eines Gesetzes zugleich diejenigen Vorschriften beinhalten, bei deren Fehlen sie sinnlos wären oder nicht in vernünftiger und zweckmäßiger Weise zur Anwendung gelangen könnten".155 Diese Rechtsprechung ist bis in die jüngste Zeit bestätigt worden. 156 Demgegenüber wurde die Anerkennung stillschweigend begründeter Kompetenzen der Gemeinschaft vom Schrifttum zunächst abgelehnt. 157 Der Grund hierfür lag in der Existenz von Art. 235 EWGV, den man als Positivierung dieser Theorie verstand. 158 Im Laufe der Zeit wurden allerdings die grundlegenden Unterschiede zwischen stillschweigend begründeten Kompetenzen und der subsidiären Kompetenznorm des Art. 235 EWGV deutlicher. Sie liegen in erster Linie darin, daß Art. 235 EWGV an ein Ziel der Gemeinschaft, die Anerkennung stillschweigend begründeter Kompetenzen hingegen an eine vorhandene Kompetenznorm anknüpft. 159 Diese rechtliche Klärung führte dazu, daß heute das Bestehen stillschweigend begründeter Kompetenzen neben Art. 235 EGV vom Schrifttum überwiegend anerkannt wird. 160 d) Die Bedeutung subsidiärer Kompetenznormen

am Beispiel von Art. 235 EGV aa)

Einleitung

Bereits bei Abschluß c:ier Verträge war zu ersehen, daß nicht alle von den Gemeinschaftsorganen zur Aufgabenerfüllung in der Zukunft erforderlichen Maßnahmen im voraus festgelegt werden konnten. 161 Insbesondere in den Fällen, in denen die Gemeinschaft bestimmte der ihr gesetzten - weitgefaßten ISS EuGH, Rs. 8/55 (FUlration CIulrbonniere), Sig. 1955156, 297 (312). Kritisch zu dieser Entscheidung Nicolaysen, BuR 1966, 137 f. IS6 EuGH, Rs. 20/59 (ltaiienlHoh, Behörde), Sig. 1960, 681 (708); Rs. 25159 (NiederlandenIohe Behörde), Sig. 1960, 743 (781); Rs. 165/87 (KommissionlRDt), Sig. 1988, 5545 (5560); verb. Rs. 46/87 und 227/88 (Hoechst), Sig. 1989,2859 (2926). IS7 Vgl. etwa Rabe, 147 ff.; Fl4jJ, S84. IS8 L.-J. Constantinesco, 282. Vereinzelt scheint diese Vorschrift noch heute so verstanden zu werden, vgl. dazu Loebenstein, 343. IS9 Nicolaysen, BuR 1966, 133 ff. 160 BleckmannlBleckmalln. 493; GTElSchwartz, Art. 235 Rn. 56; Köck, 296. 161 GTE/Schwartz, Art. 235 Rn. 6.

an.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

319

und allgemein gehaltenen - Aufgaben und Ziele verwirklichen will, kann sie zu der Erkenntnis gelangen, daß die den Organen in speziellen Vertragsvorschriften eingeräumten Kompetenzen nicht ausreichen. Aus dieser mangelnden Kongruenz zwischen Zielen und Kompetenzen der Gemeinschaftsorgane folgt die Notwendigkeit einer Überbrückung dieser Diskrepanz und der Schaffung der für die Erfüllung der Ziele erforderlichen Kompetenzen. 162 Dieser Problematik wird durch die in allen Gemeinschaftsverträgen enthaltenen subsidiären Kompetenznormen (Art. 235 EGV, 203 EAGV, 95 Abs. 1 EGKSV)163 begegnet. Am Beispiel des Art. 235 EGV wird den mit der Schaffung dieser besonderen Art einer Kompetenznorm verbundenen Problemen, die sich angesichts des weiten Geltungsbereichs des EG-Vertrages insoweit am ausgeprägtesten stellen, nachgegangen werden.

bb)

Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 235 EGV

Die Schwierigkeiten bei der exakten Festlegung der sachlichen Grenzen des Art. 235 EGV sollen im folgenden anband einer näheren Untersuchung des Tatbestands der Vorschrift dargelegt werden. Voraussetzung der Anwendung des Art. 235 EGV ist, daß die erforderlichen Befugnisse vertraglich nicht vorgesehen sind (1.), ein Ziel der Gemeinschaft (2.) im Rahmen des Gemeinsamen Marktes zu verwirklichen ist (3.), und ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich erscheint (4.). In diesem Fall erläßt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des EP die geeigneten Vorschriften (5.). (1)

Vertrag sieht erforderliche Befugnisse nicht vor

Die erste (negative) Tatbestandsvoraussetzung, nach der im Vertrag nicht die erforderlichen Befugnisse vorgesehen sind, bereitet bei der Tatbestandsauslegung noch die geringsten Schwierigkeiten. Das Tatbestandsmerkmal des Nichtvorhandenseins von Befugnissen im Vertrag verweist auf die Subsidiari-

162 L.-J.

Constantinesco. Rn. 187.

95 EGKSV weicht allerdings in mehrfacher Hinsicht von Art. EGV und 203 EAGV ab. vgl. dazu GTE/Schwanz. Art. 235 Rn. 1 ff. 163 Die Vorschrift des Art.

235

320

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

tät des Art. 235 EGV.1 64 Findet sich somit eine - ausdrückliche oder stillschweigend begründete - Kompetenz der Gemeinschaft im Vertrag, bestehen im Vertrag vorgesehene Befugnisse LS.d. Art. 235 EGV,165 so daß die Anwendung der Vorschrift schon tatbestandlieh ausgeschlossen ist. Ergibt die Prüfung des Vertrages, daß zwar eine Befugnis eines Organs besteht, diese Befugnis aber zur Verwirklichung eines Ziels der Gemeinschaft nicht ausreicht, bleibt Art. 235 EGV anwendbar. l66 Dies folgt aus seinem Wortlaut, der nicht etwa darauf abstellt, daß im Vertrag keine Befugnisse vorgesehen sind, sondern vielmehr darauf, daß nicht die erforderlichen Befugnisse bestehen. 167 Dabei ist stets genau zu prüfen, welche Befugnisse die in Betracht zu ziehende spezielle Kompetenznorm des Vertrages im einzelnen verleiht, da Art. 235 EGV nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht angewendet werden darf, wenn das beabsichtigte Tätigwerden der Gemeinschaft von der speziellen Kompetenznorm vollständig erfaßt wird. 168 Derartige Abgrenzungsfragen können, insbesondere bei Vertrags änderungen , zu rechtlichen Schwierigkeiten führen. 169 (2)

Ziel der Gemeinschaft

Ihre herausragende Bedeutung erhält die subsidiäre Kompetenznorm des Art. 235 EGV durch die zweite Tatbestandsvoraussetzung, die ein Ziel der Gemeinscho.jt fordert. Zwar verfolgt die Gemeinschaft unbestrittenermaßen zahlreiche Ziele, problematisch und daher streitig ist aber die genaue Festlegung von Art und Inhalt dieser Ziele sowie ihre Relevanz für Art. 235 EGV. Überwiegend wird anerkannt, daß die in den Aufgaben- und Zielbestimmungen des EG-Vertrages genannten Ziele hierunter zu fassen sind. An erster Stelle ist nach h.M. Art. 2 EGV zu nennen, aus dem die Hauptziele der Gemeinschaft abgeleitet werden. 170 Nach der h.M. gehören weiterhin die Art. 2 164 Vgl. dazu EuGH, Rs. 45/86 (KommissionIRat), Slg. 1987, 1493 (1520); Rs. 242/87 (ERASMUS>, Slg. 1989, 1425 (1452). 165 GTE/Schwam., An. 235 Rn. 56; Nicolaysen, EuR 1966, 136. 166 Vgl. insoweit auch L.-J. Constantinesco, Rn. 193. 167 GTE/Schwam., An. 235 Rn. 58. 168 EuGH, Rs. 45/86 (KommissionIRat), Slg. 1987, 1493 (1520); Rs. 242/87 (ERASMUS>, Slg. 1989, 1425 (1452). 169 Vgl. dazu EuGH, Rs. 242/87 (ERASMUS>, ebd., 1458. 170 Vgl. GTE/Schwam., An. 235 Rn. 79.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

321

EGV näher beschreibenden Tätigkeiten des Art. 3 EGV zu den Zielen der Gemeinschaft,171 das Diskriminierungsverbot des Art. 6 EGV, 172 die in einzelnen Kompetenznormen ausdrücklich selbst bestimmten Ziele (vgl. etwa Art. 57, 99, 100, 100 a, 101, 118 a EGV), ferner Ziele, die Kompetenznormen voran- oder nachgestellt sind (vgl. etwa Art. 7 a, 9 Abs. 1, 29, 39, 48, 67, 110, 130 a, 130 f, 130 r EGV) sowie Ziele, die sich aus den Geboten und Verboten des Vertrages im Zusammenhang mit der Vertragssystematik ergeben (vgl. etwa 12, 30, 52, 59, 85, 86, 119 EGV).173 Im Hinblick auf den zuvor geltenden Art. 2 EWGV174 ist allerdings von einer Mindermeinung vertreten worden, daß allein die in der Vorschrift genannten Aufgaben "Errichtung eines Gemeinsamen Marktes" und "schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten" als Ziele der Gemeinschaft LS.v. Art. 235 EWGV anzuerkennen sind, da die übrigen genannten Ziele lediglich allgemeine wirtschaftspolitische Erwartungen entbielten.t 75 In hohem Maße umstritten ist, ob aus der Präambel Ziele des Vertrages abgeleitet werden können. 176

Für eine Anerkennung aller zuvor genannten Vorschriften als Zielbestimmungen des Vertrages, die im Rahmen von Art. 235 EGV relevant werden können, spricht, daß aus der Vertragssystematik ein "Vorrang" einzelner Zielbestimmungen und demzufolge eine mindere Bedeutung anderer Zielbestim171 Vgl. ders., ebd., Rn. 76; GrabitzlGrabitz, Art. Ferguson), Sig. 1973, 897 (907). 172 Vgl. GTElSchwanz, Art. 235 Rn. 75. 173 Vgl. ders., ebd., Rn. 73.

235

Rn.

25;

EuGH, Rs.

8/73 (Massey-

174 Der Wortlaut von Art. 2 EWGV lautete: • Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, eine beständige und ausgewogene Wirtschaftsausweitung, eine größere Stabilität, eine beschleunigte Hebung der Lebenshaltung und engere Beziehungen zwischen den Staaten zu fördern, die in dieser Gemeinschaft zusammengeschlossen sind .• 17S GrabitzlGrabitz, Art. 235 Rn. 12 ff. (25). 176 Für die Ableitung von Zielen aus der Präambel GTE/Schwanz, Art. 235 Rn. 80; Magiera, DÖV 1987, 229; ders., Emergence, 2; WEGS/Wohlfahrt, Art. 235 Anm. 2; Nicolaysen, EuR 1966, 133; BleckmannlBleckmann, Rn. 484. Auch der Gerichtshof scheint Ziele der Gemeinschaft aus der Präambel ableiten zu wollen, s. dazu verb. Rs. 56 und 58/64 (Consten), Sig. 1966,321 (388). Gegen die Ableitung von Zielen aus der Präambel wenden sich GrabitzlGrabitz, Art. 235 Rn. 12 ff. (25); Lauwaars, 102; Tomuschat, EuR 1976, Sonderbeft, 61; Dom, 114. 21 Kuhn

322

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

mungen nicht erkennbar ist, sondern vielmehr sämtliche Ziele nebeneinander stehen. Eingeschlossen sind auch die in der Präambel genannten Ziele, auf die im Vertrag zudem ausdrücklich verwiesen wird (vgl. Art. 131 Abs. 3 EGV). Ob daher eine "unterschiedliche logische Struktur der Ziele" besteht, nach denen sich Ziele einerseits als Erwartungen und andererseits als Aufgaben gegenüberstehen, 177 kann somit dahingestellt bleiben, da es für die Tatbestandsverwirklichung von Art. 235 EGV genügt, daß ein Ziel der Gemeinschaft vorliegt. 178 Dies schließt nicht aus, daß im fortschreitenden Integrationsprozeß, insbesondere bei Vertragsänderungen, einzelne Ziele der Gemeinschaft deutlicher hervortreten können oder der Gemeinschaft neue Ziele gesetzt werden. Einzelne Ziele der Gemeinschaft, die bisher aus den eher allgemeinen Aufgabenund Zielbestimmungen des Vertrages abzulesen waren, können beispielsweise durch ihre ausdrückliche Aufnahme in den Vertragstext deutlicher hervortreten, wie dies etwa im Falle der Art. 130 a, 130 fund 130 r EGV geschehen ist. Werden zudem weitere spezielle Kompetenmormen zur Verwirklichung eben dieser Ziele geschaffen (z.B. durch Art. 130 s EGV), können diese Normen die subsidiäre Kompetenmorm des Art. 235 EGV verdrängen.l79 Weiterhin können durch Vertragsänderungen neue Ziele der Gemeinschaft statuiert werden, wie beispielsweise geschehen durch Titel I der EEA, nach der die EG und die EPZ das Ziel verfolgen, "gemeinsam zu konkreten Fortschritten auf dem Wege zur Europäischen Union beizutragen" (Art. 1 EEA).l80 Angesichts der mit den Gemeinschaftsverträgen beabsichtigten Integration erscheint es nicht möglich, alle Ziele der Gemeinschaft exakt im voraus zu bestimmen. Forderungen, die von der Gemeinschaft zu verfolgenden Ziele müßten genau und abschließend defIniert werden, wie sie vor Gründung der Europäischen Union im Schrifttum zu fInden waren,181 müssen daher als un-

So GrabitzlGrabitz, Art. 235 Rn. 13. GTElSchwanz, Art. 235 Rn. 81. 179Ygl. insoweitders., ebd., Rn. 11. In 178

111' Ygl. dazu allerdings Art. 3 EEA, nach dem für die Ausübung der Befugnisse der Organe der Gemeinschaft allein die nachstehenden Ziele maßgeblich sind. Ygl. auch Art. 31 EEA, nach dem der Gerichtshof nicht für Titel I der EEA zuständig ist. 181 So die European Constitutional Group, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 199 vom

28.8.1993, 11.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

323

realistisch eingeschätzt werden, zumal sie der Gemeinschaft die in den Verträgen angelegte dynamische Entwicklung l82 vorenthielten. (3)

Zielverwirklichung im Rahmen des Gemeinsamen Marktes

Zu der dritten Tatbestandsvoraussetzung des Art. 235 EOV, nach der die Zielverwirklichung im Ro.hmen des Gemeinsamen Marktes erfolgen muß, werden im Schrifttum unterschiedliche Auffassungen vertreten. Nach der weiten Auslegung soll der Begriff "Gemeinsamer Markt" in Art. 235 EOV weiter als der gleiche Begriff in Art. 2 EOV sein. In Art. 235 EOV erfasse der Begriff "Gemeinsamer Markt" den "Inbegriff des gesamten von den Verträgen betroffenen Wirtschaftsgeschehens" .183 Konsequenz dieser Auslegung ist, daß dieser Tatbestandsvoraussetzung jede eigenständige Bedeutung abgesprochen werden muß. IM Gegen diese weite Auslegung spricht, daß keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, den Begriff des "Gemeinsamen Marktes" in Art. 235 EOV anders als in Art. 2 EOV auszulegen. 185 Zutreffender erscheint es daher, den Begriff des "Gemeinsamen Marktes" in beiden Vorschriften gleich zu verstehen, d.h. jeweils die Elemente Marktfreiheit, Marktgleichheit und Wettbewerbsfreiheit sowie die weiteren, im Vertrag genannten Politikbereiche unter ihn zu fassen, da auch diese letztlich der Errichtung und Erhaltung des Gemeinsamen Marktes dienen. 186 Die Tatbestandsvoraussetzung "im Rahmen des Gemeinsamen Marktes" in Art. 235 EOV ist demnach - enger - dahin gehend auszulegen, daß Maßnahmen nach Art. 235 EOV sich harmonisch in das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes und in die nach den im Vertrag festgelegten Orundsätze und Regeln einzufügen haben, der Ordnungsrahmen des Gemeinsamen Marktes also nicht beeinträchtigt werden darf. 187

182

Dazu unten, B.1.2.c.

183 Dom, 120 ff.;

lAuwaars, 103.

So ausdrücklich L.-J. Conslantinesco, Rn. 192. ISS GrabitzlGrabitz, Art. 235 Rn. 57. 186 Ders., ebd., Rn. 58. 187 GTElSchwartz, Art. 235 Rn. 137 und 140. 184

324

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Tätigwerden der Gemeinschaft erscheint erforderlich

(4)

Für die Tatbestandsverwirklichung des Art. 235 EGV muß - viertens - ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich erscheinen. Die Tatbestandsmerkmale "erscheint" und "erforderlich" sind dann verwirklicht, wenn eine Diskrepanz zwischen einem Ziel der Gemeinschaft und seiner Verwirklichung besteht. 188 Untersucht werden muß demnach, welches Ziel der Gemeinschaft in Frage steht und inwieweit dieses Ziel bisher verwirklicht bzw. nicht oder nur unzureichend erreicht worden ist. Dabei kommt den Gemeinschaftsorganen ein weiter Ermessensspielraum zu,189 der auch die Konkurrenz einzelnerZiele umfaßt l90 und der in dem Maße zunimmt, als das Ziel umfassender oder vager ist. 191 Für die Ausübung des Ermessens ist insbesondere der Abstand zwischen dem jeweiligen Ziel und dem Stand seiner Verwirklichung von Bedeutung .192 Aus den Begriffen "erscheint" und "erforderlich" wird deutlich, daß es sich dabei nicht um freies, sondern um gebundenes Ermessen handelt. 193 Im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal "Tätigwerden der Gemeinschaft" ist vom Schrifttum vertreten worden, daß neben der gemeinschaftlichen Kompetenz Raum für eine konkurrierende Zuständigkeit der Gesamtheit der Mitgliedstaaten bestehe.1 94 Dieser - überwiegend abgelehnten 195 - Ansicht kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil Art. 235 EGV keinen Hinweis auf den Abschluß von Übereinkommen enthält, der EG-Vertrag aber an anderen Stellen ausdrücklich auf völkerrechtliches Handeln der Gesamtheit der Mitgliedstaaten verweist, 196 wenn dieses zugelassen werden soll. 197

188

Kritisch dazu Dom,

81.

33, und Behrens, 278.

EuR 1976, Sonderheft, 13; Tomuschat, EuR 1976, Sonderheft, 60. 190 So schon fiir An. 3 EGKSV EuGH, Rs. 9156 und Rs. 10/56 (Merom), Slg. 1958, 43 und

189 Everling,

191

Groux, CDE

1978, 25.

GTElSchwartz, Art. 235 Rn. 160. 193 Ders., ebd., Rn. 161; GrabitzlGrabitz, Art. 235 Rn. 65. 194 Hartley, Foundations, 96. 195 L.-J. Constantinesco, Rn. 188; Lauwaars, 104; Olmi, 293; GTEISchwartz An. 235 Rn. 148 ff.; GrabitzlGrabitz, An. 235 Rn. 69 ff. 196 S. etwa An. 20 Abs. 1 und 220 EGV. 197 GTEISchwartz, An. 235 Rn. 149. 192 Vgl.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

(5)

325

Erlaß der geeigneten Vorschriften durch den Rat

Liegen die eben beschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen vor, tritt die in Art. 235 EGV vorgesehene Rechtsfolge ein, d.h. der Rat erläßt einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des EP die geeigneten Vorschriften. Aus dem Wortlaut des Art. 235 EGV ist zu schließen, daß eine Verpflichtung zum Erlaß der geeigneten Vorschriften besteht. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, daß in Art. 235 EGV der Indikativ ("erläßt") Verwendung fmdet, welcher wie ein Imperativ zu lesen ist,198 die Vorschrift also nicht als "kann "-Bestimmung 199 ausgestaltet wurde.

Geeignete Vorschriften LS.v. Art. 235 EGV können alle Rechtshandlungen

sein, deren Vornahme der Verwirklichung oder besseren Verwirklichung desjenigen Ziels dient, das bisher noch nicht oder nur teilweise verwirklicht werden konnte und deshalb die Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift im konkreten Fall ist. 2OO In Betracht kommen alle verbindlichen und unverbindlichen Rechtshandlungen des Art. 189 EGV sowie alle weiteren Rechtshandlungen wie beispielsweise Beschlüsse des Rates, Organisationsakte und Vertragsabschlüsse der Gemeinschaft mit Drittstaaten. 201

cc)

Ergebnis

Nicht zutreffend erscheint es, die subsidiäre Kompetenmorm des Art. 235 EGV als "Ermächtigung zur Kompetenzausdehnung" oder als "KompetenzKompetenz" zu verstehen. 202 Zwar erschwert die weite Fassung des Art. 235 EGV eine exakte Festlegung der sachlichen Grenzen dieser Kompetenznorm. 203 Festzustellen ist aber, daß die Vorschrift allein zur "Abrundung" ei198 Vgl. dazu die Rechtsprechung des Gerichtshofs, Rs. 167173 (KommissionIFrankreich), Slg. 1974, 359 (370 f.); verb. Rs. 3, 4 und 6/76 (Kramer), Slg. 1976, 1279 (1310); vgl. auch GrabitzlGrabilz, Art. 235 Rn. 73; GTE/Schwanz, Art. 235 Rn. 168; Lagrange, 93. 199 Hierfür lassen sich zahlreiche Beispiele im EG-Vertrag finden, vgl. etwa Art. 6 Abs. 2, 84 Abs. 2, 93 Abs. 2, 100 b Abs. 2. 200 Dom, 142; GrabitzlGrabilz, Art. 235 Rn. 77 und 83. 201 Vgl. hierzu EuGH, Rs. 22170 (AE71l), Slg. 1971, 263 (282); GrabitzlGrabilz, Art. 235 Rn. 80 ff.; GTElSchwanz, Art. 235 Rn. 171. 202 Wie hier GTElSchwanz, Art. 235 Rn. 8; Scheuner, 155; BBPS/Beutler, 83; a.A. aber WEGS/Wohl/anh, Vorb. vor Art. 189 Anm. 5; L.-J. Constantinesco, Rn. 187. 203 Vgl. Magiera, FS RudolfMorsey, 218.

326

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

ner bereits der Gemeinschaft zugewiesenen Kompetenz zur Verfügung steht und damit nicht zur Begründung neuer, vertraglich nicht vorgesehener Kompetenzen in Betracht gezogen werden kann. 204 e) Wahrnehmung der Kompetenzen durch die ermächtigten Gemeinschaftsorgane Die der Gemeinschaft zugewiesenen Kompetenzen werden von ihren Organen wahrgenommen (vgl. Art. 4 EGV, 3 EAGV und 3 EGKSV). Dabei ist zu beachten, daß sämtliche Organe der Gemeinschaft nur insoweit tätig werden können, als eine vertragliche Kompetenz - sei sie ausdrücklich zugewiesen oder stillschweigend begründet - reicht. 00)

Keine allgemeine Rechtsetzungsbefugnis der Organe

Eine allgemeine Rechtsetzungsbefugnis, die die Vornahme sämtlicher Rechtshandlungen umfassen würde, steht den Organen der Gemeinschaft nicht zu. Dies folgt aus mehreren Gründen. Zunächst ist auf den Wortlaut des Art. 4 EGV ("Jedes Organ handelt nach Maßgabe der ihm in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse")205 zu verweisen. Er unterstreicht die Verpflichtung der Organe, sich bei ihrer Tätigkeit im Rahmen der Zuständigkeiten der Gemeinschaft sowie der dem jeweiligen Organ ausdrücklich zugewiesenen oder stillschweigend begründeten Kompetenzen zu halten. 206 Weiterhin zeigen der Wortlaut und der Zweck der Art. 189 EGV, 161 EAGV und 14 EGKSV, die nur bestimmte Handlungsformen zur Rechtsetzung bereitstellen, daß den Organen der Gemeinschaft gerade keine materiell-rechtliche Rechtsetzungsbefugnis zukommt. 207 Zudem wären die vertraglich vorgesehenen subsidiären Kompetenznormen der Art. 235 EGV, 203 EAGV und 95 Abs. 1 EGKSV vertragssystematisch überflüssig und daher entbehrlich, wenn den Organen eine allgemeine Rechtsetzungsbefugnis

204

Vgl. Ipsen, 434; Borchardt, Grundlagen, 56.

205 Hervorhebung eingefügt.

206 Vgl. GTEIBieber, Art. 4 Rn. 38. '2Jr1lpsen, 429.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

327

zukäme. 208 Schließlich läßt sich aus der Vertragssystematik weiter ablesen, daß zwischen den dem Rat und den der Kommission zugewiesenen Kompetenzen ein bestimmtes (Spannungs-)Verhältnis besteht, da der Rat die Interessen der Mitgliedstaaten vertritt, während die Kommission mit der Wahrung der Gemeinschaftsinteressen befaßt ist. Sichtbar wird dieses Verhältnis am Beispiel der Rechtsetzung auf Gemeinschaftsebene: Voraussetzung jeder Rechtsetzung durch den Rat ist das Vorliegen eines Vorschlags der Kommission. Durch ein allgemeines Rechtsetzungsrecht des Rates würde dieses System ausgeschaltet werden. 209

bb)

Übertragung von Kompetenzen eines Organs auf andere Organe oder Gemeinschaftsinstitutionen

Daraus, daß jedes Organ nach Maßgabe der ihm vertraglich zugewiesenen Befugnisse handelt (Art. 4 EGV, 3 EAGV, 3 EGKSV), folgt als Grundsatz, daß die einem Organ ausdrücklich zugewiesenen Kompetenzen nur in den vom Vertrag vorgesehenen Fällen - beispielsweise Art. 145 EGV - auf andere Organe oder Institutionen übertragen werden können. 2lO Aus der Organisationsgewalt jedes Gemeinschaftsorgans ist gleichzeitig abzuleiten, daß es in eigener Verantwortung die Art und Weise der Erfüllung seiner Aufgaben bestimmen und infolgedessen auch neue Institutionen schaffen kann, die das Organ fachlich unterstützen und damit entlasten. 2U Solange neuerschaffene Institutionen sich auf reine Beratungstätigkeiten beschränken und die Zuständigkeiten der Organe nicht berühren, also nicht in das institutionelle System eingreifen, bestehen gegen ihre Einrichtung daher keine rechtlichen Bedenken. Schwierigkeiten können sich allerdings dann ergeben, wenn auf die Institution Entscheidungsbefugnisse übertragen werden. Zu dieser Problematik hat sich der Gerichtshof bereits im Jahre 1958 geäußert. 212 Die im Hinblick auf Art. 53 EGKSV gewonnenen Erkenntnisse sind so grundlegender Natur, daß Ders., ebd. Vgl. ders., ebd. 210 Vgl. GTEIBieber, Art. 4 Rn. 13. 211 Vgl. GrabitzlGrab~, Art. 4 Rn. 10. 212 EuGH, Rs. 9156 und 10/56 (Merom), Slg. 1958,9 und 51. 208

209

328

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

sie bis heute Geltung beanspruchen213 und kurz dargestellt werden. Der Gerichtshof erklärte zunächst, daß keine weitergehende Übertragung von Befugnissen möglich sei, als sie der übertragenden Behörde nach dem Vertrag selbst zustehen. 214 Dabei werde die Übertragung von hoheitlichen Befugnissen nicht vermutet, vielmehr müsse die zur Übertragung der Befugnisse ermächtigte Behörde eine Entscheidung erlassen, aus der die Übertragung ausdrücklich hervorgehe. 215 Weiterhin dürfe sich die Übertragung nur auf genau umgrenzte Ausführungsbefugnisse beziehen, deren Ausübung in vollem Umfang von der übertragenden Behörde beaufsichtigt werde. 216 Hieraus ergibt sich, daß eine Übertragung von Befugnissen mit Ermessensspielraum allein auf Organe und Institutionen erfolgen kann, die im Vertrag zur Ausübung und Kontrolle dieser Befugnisse im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten vorgesehen sind, da andernfalls die Garantie des Gleichgewichts der Gewalten verletzt würde. 217 t) Handlungsformen des gemeinschaftlichen Tätigwerdens 00)

RechtsaktederArt. 189EGVund 161 EAGV

Die wichtigsten Formen für Rechtshandlungen des Rates und der Kommission zählen die Art. 189 EGV und Art. 161 EAGV auf: Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen. 218 Verbindlich sind davon die drei erstgenannten Rechtsakte, unverbindlich hingegen die beiden letztgenannten. (1)

Verordnung

Von den in Art. 189 EGV aufgeführten Rechtsakten ist die Verordnung die Rechtshandlung mit den umfassendsten Rechtswirkungen, 219 da ihre Wirkung Vgl. dazu GrabitzlGrabitz. Art. 4 Rn. 13. EuGH, Rs. 9/56 und 10/56 (M~rorn), 51g. 1958, 9 (40) und 51 (79). 215 EuGH, Rs. 9/56 (M~rorn), ebd., 42. 216 EuGH, Rs. 9/56 und 10/56 (M~rorn), ebd., 44 und 81. 217 EuGH, ebd., 44 und 82. 218 Zur unterschiedlichen Terminologie des Art. 14 EGKSV vgl. GTElDaig/ Schmidt, Art. 189 Rn. 53 ff. 219 GrabitzlGrabitz, Art. 189 Rn. 43. 213

214

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

329

der eines innerstaatlichen Gesetzes gleichsteht. 220 Die Verordnung hat "allgemeine Geltung", worunter zu verstehen ist, daß die in Betracht kommende Maßnahme auf objektiv bestimmte Sachverhalte anwendbar ist und Rechtswirkungen für allgemein und abstrakt umrissene Personengruppen zeitigt. 221 Weiterhin ist die Verordnung "in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat". Das Merkmal der Verbindlichkeit ist prägnant als "rechtliche Gehorsamspflicht und rechtliche Berufungsmöglichkeit"222 umschrieben worden. Verbindlich ist die Verordnung für alle, die tatbestandlich von ihr erfaßt werden; dies können einzelne Bürger, die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaftsorgane selbst sein. 223 Das weitere Tatbestandsmerkmal der unmittelbaren Wirkung in jedem Mitgliedstaat bedeutet, daß die Verordnung mit ihrem Inkrafttreten (Art. 191 EGV) zugunsten oder zu Lasten der Rechtssubjekte Anwendung fmdet, ohne daß es bestimmter Umsetzungsmaßnahmen oder einer Bekanntgabe nach nationalem Recht bedarf. 224 Richtlinie

(2)

Im Gegensatz dazu ist für die Richtlinie kennzeichnend, daß sie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überläßt (Art. 189 Abs. 3 EGV). Im Unterschied zur Verordnung sind Adressaten der Richtlinie allein die Mitgliedstaaten. Damit ist die Richtlinie "ein dem Gemeinschaftsrecht typisches, nationalen Handlungstypen nicht entsprechendes Instrument", denn durch sie werden die Mitgliedstaaten von den Gemeinschaftsorganen zu Maßnahmen ihrer eigenen Hoheitsgewalt stimuliert, um bestimmte Integrationsergebnisse mit ihren staatlichen Mitteln zu verwirklichen. 225 Art. 189 Anm.. 4. St. Rspr. des BuGH, s. dazu Rs. 6/68 (Watenstedt), Sig. 1968, 611 (620); Rs. 101176 (Koninldijke Schotten Honig), Sig. 1977,797 (806); Rs. 64/80 (Giuffrida und Campogrande), Sig. 1981,693 (702); Rs. 147/83 (Binderer), Sig. 1985,257 (270 f.). 222/psen,451. 223 Handkommenw/Magiera, Art. 189 Rn. 8. 224 BuGH, Rs. 20/72 (Cobelex), Sig. 1972, 1055 (1061 f.); Rs. 34173 (Variola), Sig. 1973, 981 (990); Rs. 94177 (Zerbone), Sig. 1978, 99 (115). 220 WEGS/Wohl/ahrt,

221

22S /psen, 455.

330

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Die Richtlinie sieht ein zweistufiges Verfahren vor, nach dem die Gemeinschaftsorgane eine Grund- oder Rahmenregelung erlassen, für die die Mitgliedstaaten die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen treffen. 226 Verbindlich ist die Richtlinie nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels - wobei mit dem Begriff "Ziel" nicht die allgemeinen Vertragsziele gemeint sind, sondern die "Ergebnisse", die sich aus dem Inhalt der Richtlinie ergeben. 227 Da den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlassen ist, sind diese befugt, die innerstaatlichen Kompetenzen so zu verteilen, wie sie es für zweckmäßig erachten, solange sichergestellt ist, daß die Bestimmungen der jeweiligen Richtlinie uneingeschränkt und genau in innerstaatliches Recht umgesetzt werden. 228 Diese Grundsätze sind in zweierlei Hinsicht zu ergänzen. Zum einen ist seit längerer Zeit anerkannt, daß Richtlinien ausnahmsweise eine unmittelbare Wirkung zukommen kann. Zum anderen ist auf die erst seit kurzer Zeit anerkannte Schadensersatzpflicht eines Staates aufgrund der nicht fristgemäßen Umsetzung einer Richtlinie hinzuweisen. Nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann einer Richtlinie in Ausnahmefällen unmittelbare Wirkung zukommen. 229 Voraussetzung hierfür ist, daß ein Mitgliedstaat die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in innerstaatliches Recht umgesetzt hat, einzelne von der Richtlinie begünstigt werden und die Bestimmungen der Richtlinie inhaltlich so unbedingt und hinreichend genau sind, daß sich ein einzelner gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen kann. 230 Die unmittelbare Wirkung der

226 Vg!. HandkommentarlMagiera, Art. 189 Rn. 11; Hilf, EuR 1993, 4; Sehenberg, 225. Allerdings werden in der Praxis auch Richtlinien erlassen, die so detailliert sind, daß sie den nationalen Stellen nur wenig oder keinen Gestaltungsspielraum belassen, vg!. dazu EuGH, Rs. 38/77 (Enka), Sig. 1977, 2203 (2212), und Rs. 278/85 (KommissionlDänemork), Sig. 1987, 4069 (4088 f.); kritisch hierzu Siedentopf, 12 f. m Vg!. hierzu Ipsen, 458, und HandkommentarlMagiera, Art. 189 Rn. 12, unter Verweis auf andere Vertragssprachen. 228 EuGH, Rs. 96/81 (KommissionlNiederlande), Sig. 1982, 1791 (1804); Rs. 97/81 (Kommission/Niederlande), Sig. 1982, 1819 (1833); verb. Rs. 227 bis 230/85 (Kommission/Belgien), Sig. 1988, 1 (11). 229 Zum Begriff der "unmittelbaren Wirkung" vg!. schon EuGH, Rs. 41/74 (Van Duyn), Sig. 1974, 1337 (1348). 230 EuGH, Rs. 8/81 (Beeker), Sig. 1982, 53 (71); Rs. 80/86 (Koipinghuis Nljmegen), Sig. 1987,3969 (3985); Rs. 190/87 (Oberkreisdirektor des Kreises Borken), Sig. 1988,4689 (4722). Zu der in der Bundesrepublik Deutschland geführten kontroversen Diskussion um die Anerken-

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

331

Richtlinie oder einzelner Richtlinienbestimmungen kommt somit nur zugunsten, nicht aber zu Lasten des vom Anwendungsbereich des Rechtsakts betroffenen einzelnen in Betracht. Grund für die Anerkennung der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien in gewissen Ausnahmefällen ist der verbindliche Charakter der Richtlinie. Dieser verwehrt es dem Mitgliedstaat, den begünstigten einzelnen entgegenzuhalten, daß er seine Verpflichtung nicht erfüllt habe, da hierin ein widersprüchliches Verhalten des Mitgliedstaats liegen würde. 231 Zudem soll verhindert werden, daß ein betroffener einzelner aus der Säumnis eines Mitgliedstaats Nachteile erleidet. 232 Als Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs, die den einzelnen so stellen will, wie er bei der fristgemäßen Umsetzung einer ihn begünstigenden Richtlinie stünde, ist die in jüngster Zeit anerkannte Schadens-

ersatzpflicht eines Mitgliedstaats au/grund der nicht fristgemäßen Umsetzung einer Richtlinie anzusehen. Da die Voraussetzungen dieser Schadensersatz-

pflicht bereits ausführlich erörtert wurden,233 kann hier auf eine Darstellung dieser Problematik verzichtet werden.

(3)

Entscheidung

Die Entscheidung stellt einen weiteren und gleichzeitig den letzten verbindlichen Rechtsakt der Art. 189 EGV und 161 EAGV dar. Sie ist in allen ihren Teilen für diejenigen verbindlich, die sie bezeichnet (Art. 189 Abs. 4 EGV, 161 Abs. 4 EAGV). Die Entscheidung ist der typische Rechtsakt zur Regelung von Einzelfällen,234 unterscheidet sie sich doch von der Verordnung dadurch, daß sie nur an eine begrenzte Zahl von Personen gerichtet ist,235 deren Zahl bei ihrem Erlaß feststeht, d.h. nicht mehr erweitert werden kann. 236 Einung der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien nach einem dies ablehnenden Urteil des BFH vom 25.4.1985 s. Magiera, DÖV 1985,937 ff., und Tomuschat, EuR 1985,346 ff. 231 Vgl. EuGH, Rs. 8/81 (Becker), ebd., 70 f.; kritisch hierzu Scherzberg, 226. 232 Problematisch ist die Annahme der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien allerdings in Fällen ambivalenten Richtlinieninhalts, vgl. dazu Classen, EuZW 1993, 84 C.; Haneklaus, 133 C., und Neßler, DVBl. 1993, 1244 C. 233 Dazu oben, 2. Teil, A.ß.2.b. 234 Vgl. GTEIDaig/Schmidt, Art. 189 Rn. 42; HandkommentarlMagiera, Art. 189 Rn. 18. 235 EuGH, Rs. 25/62 (Plaumann), Slg. 1963, 211 (238). 236 EuGH, verb. Rs. 106 und 107163 (TlJpfer), Slg. 1965, 547 (556); verb. Rs. 41 bis 44/70 (Fruit Company), Slg. 1971,411 (422). Vgl. dazu auch HandkommentarlMagiera, Art. 189 Rn. 18.

332

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

ne verbindliche Entscheidung liegt vor, wenn die Entscheidung erkennbar dazu bestimmt ist, ihren Adressaten - dies können Mitgliedstaaten und einzelne sein237 - Rechte zu gewähren oder Pflichten aufzuerlegen. 238 (4)

Empfehlungen und Stellungnahmen

Neben diesen verbindlichen Rechtsakten nennen Art. 189 EGV und Art. 161 EAGV zwei nicht verbindliche Rechtsakte: Empfehlungen und Stellungnahmen. Der Unterschied zwischen beiden Rechtsakten ist darin zu sehen, daß Empfehlungen aus eigener Initiative des sie abgebenden Organs erfolgen und dem Adressaten ein bestimmtes Verhalten nahelegen, 239 Stellungnahmen indessen als Meinungsäußerung zu fremder Initiative ergehen, um eine rechtliche oder tatsächliche Situation zu beurteilen. 24O Aus der rechtlichen Unverbindlichkeit von Empfehlungen und Stellungnahmen darf allerdings nicht auf die rechtliche Irrelevanz dieser Rechtsakte geschlossen werden. 241 Ihre Relevanz, die auf der Kompetenz und Autorität der sie erlassenden Gemeinschaftsorgane beruht,242 kann sich für die Adressaten auf unterschiedliche Weise äußern. So sind der Rat und die Kommission grundsätzlich verpflichtet, die im Vertrag vorgesehenen Empfehlungen und Stellungnahmen abzugeben. 243 Von den Mitgliedstaaten ist aufgrund ihrer Treuepflicht nach Art. 5 EGV zu erwarten, daß sie Empfehlungen und Stellungnahmen ernsthaft prüfen und sich ihnen gegenüber gemeinschaftsfreundlich einlassen. 244 Weiterhin hat der Gerichtshof in bezug auf eine Empfehlung der Kommission entschieden, daß diese von den nationalen Gerichten bei der Auslegung nationaler Rechtsvorschriften zu berücksichtigen sei. 245 Demzu-

1ST

HandkommentarlMagiera, ebd.

23, 24 und 52/63 (Usines Emile Henricot), Slg. 1963, 467 (484). Vgl. Ipsen, 460; GTE/Daig/Schmidl, Art. 189 Rn. 46. 240 Ipsen, ebd. 241 HandkommentarlMagiera, Art. 189 Rn. 24; GTE/Daig/Schmidl, Art. 189 Rn. 49; Ipsen, 238 EuGH, verb. Rs.

239

459f.

HandkommentarlMagiera, ebd. GTE/Daig/SchmUfl, Art. 189 Rn. 49. 2441psen,461.

242 243

245

EuGH, Rs. C-322/88 (Grimoldl), Slg.

1989, 4407 (4421).

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

333

folge sind Empfehlungen und Stellungnahmen lediglich für einzelne "bloße Ratschläge", deren Beachtung den Adressaten freisteht. 246 (5)

Abgrenzung der Rechtsakte

Im Einzelfall kann die Bestimmung des rechtlichen Charakters einer Maßnahme Schwierigkeiten bereiten. Entscheidend sind nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs Gegenstand und Inhalt der Maßnahme, nicht hingegen die amtliche Bezeichnung der Maßnahme. 247 (6)

Auswahl des Rechtsakts

Soweit die Verträge in ihren Kompetenznormen den Erlaß eines bestimmten Rechtsakts des Art. 189 EGV bzw. Art. 161 EAGV durch den Rat oder die Kommission vorsehen, darf nur diese Form des Rechtsakts gewählt werden. Sieht etwa eine Vertragsvorschrift den Erlaß einer Richtlinie durch den Rat vor, kann der Rat nicht stattdessen eine Verordnung erlassen. 248 Eine dem Art. 14 Abs. 5 EGKSV entsprechende Regelung, wonach die Befugnis zum Erlaß eines bestimmten Rechtsakts auch die Befugnis zum Erlaß eines anderen näher gekennzeichneten Rechtsakts umfaßt, enthalten weder der EGnoch der EAG-Vertrag, so daß aus der Befugnis zum Erlaß eines bestimmten Rechtsakts gerade nicht die Befugnis folgt, einen anderen als den bezeichneten Rechtsakt zu erlassen. 249 Sind die einschlägigen Kompetenznormen hingegen offener gefaßt und legen das Organ nicht auf einen bestimmten Rechtsakt fest - dies ergibt sich etwa aus der Verwendung allgemeiner Ausdrücke wie beispielsweise "Maßnahmen" (Art. 100 a EGV) oder "Vorschriften" (Art. 235 EGV) - steht den Organen ein Ermessen bei der Auswahl des Rechtsakts zu. Dieses Ermessen ist keineswegs schrankenlos, sondern an bestimmte Regeln gebunden, beispiels246 EuGH, verb. Rs. 1 und 14/57 (Societe des usiMs a rubes), Sig. 1957, 213 (236); Handkommentar/Magiera, Art. 189 Rn. 24. 247 EuGH, verb. Rs. 16 und 17/62 (Confediration Nationale), Sig. 1962, 961 (978); Rs. 6/68 (Watenstedt), Sig. 1968, 6ll (620); Rs. 147/83 (Binderer), Sig. 1985, 257 (271). 248 Vgl. dazu GTElDaig/Schmidt, Art. 189 Rn. 20. 249 Dies., ebd.; RDbe, 75. A.A. Zuleeg, JöR N.F. 20 (1971), 14, der vertritt, daß die Gemeinschaftsorgane bei Verordnungsbefugnis auch alle anderen Rechtsakte erlassen dürften.

334

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

weise an den Grundsatz, daß der hoheitliche Eingriff nicht intensiver sein darf, als es die Umstände erfordern. 250

bb)

Sonstige Rechtshandlungen

Die in den Art. 189 EGV und 161 EAGV aufgezählten Rechtshandlungen sind nicht abschließend. Dies folgt zunächst daraus, daß beide Vorschriften allein für Handlungen des Rates und der Kommission gelten. Zudem sind selbst diese Organe nach den Verträgen nicht auf die in beiden Vorschriften genannten Handlungsformen beschränkt, beispielsweise kann der Rat Programme aufstellen (Art. 54 und 63 EGV). Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß in den Verträgen noch zahlreiche weitere Rechtshandlungen vorgesehen sind wie etwa die Festlegung der Haushaltsordnung (Art. 209 EGV) und der Abschluß von Abkommen mit Drittstaaten oder internationalen Organisationen (Art. 228 EGV). Schließlich spricht auch der Wortgebrauch im jeweiligen Abschnitt der Verträge über den Gerichtshof dafür, daß neben den Rechtsakten der Art. 189 EGV und 161 EAGV noch weitere Rechtshandlungen von der Rechtsprechung des Gerichtshofs erfaßt werden sollen. Beide Verträge verwenden die Begriffe "Handlung" (Art. 174 EGV, 147 EAGV) und "Handeln" (Art. 176 EGV, 149 EAGV). Es ist daher davon auszugehen, daß auch ein außerhalb der förmlichen Rechtsakte stehendes Handeln mit Rechtswirkung der Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Gerichtshof untersteht. 251 Zutreffend dürfte die Feststellung sein, daß die in den Art. 189 EGV und 161 EAGV genannten Rechtsakte sich in erster Linie an Personen richten, die zwar der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft unterworfen, aber nicht selbst unmittelbare Träger der Gemeinschaftsverfassung sind. 252 Demzufolge sind sonstige Rechtshandlungen in stärkerem Maße in den Fällen anzutreffen, in denen sich die Organe der Gemeinschaft "nach innen" wenden, d.h. bei organisationsrechtlichen und innerdienstlichen Maßnahmen, weiterhin in Fällen, in denen die Gemeinschaft am völkerrechtlichen Verkehr mit Dritten teilnimmt

GTE/DaiglSchmidt, Art. 189 Rn. 20. Vgl. BleckmannlBleckmann, Rn. 187; BBPSIPipkom, 188. 252 Vgl. dazu GTE/DaiglSchmidt, Art. 189 Rn. 16; BleckmannlBleckmann, Rn. 187.

2SO 251

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

335

sowie schließlich in Fällen, in denen eine Rechtshandlung Voraussetzung für einen als Einheit aufzufassenden Gesamtenscheidungsvorgang darstellt. 253 Häufig anzutreffende Rechtshandlungen sind Beschlüsse und Entschließungen. Erstere werden regelmäßig dann gewählt, wenn einer Rechtshandlung Rechtswirkungen zukommen sollen, während programmatische Äußerungen eher in die Form einer Entschließung gekleidet werden. 254

2. Wesentliche Eigenschaften des Gemeinschaftsrechts Neben den Ausführungen dazu, welche Kompetenzen der Gemeinschaft zugewiesen wurden, ist es wichtig, sich über einige wesentliche Eigenschaften des Gemeinschaftsrechts Klarheit zu verschaffen. Hierzu ist insbesondere das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht zu erörtern, da diese Frage aufgrund ihrer grundsätzlichen Natur kaum weniger umstritten sein dürfte als diejenige der Kompetenzzuweisungen an die Gemeinschaft. Im Rahmen der folgenden Darstellung wird auf die in der Vergangenheit zu diesem Problem geführten Auseinandersetzungen dogmatischer Natur, die im Schrifttum eingehend erörtert und dokumentiert worden sind,255 bewußt verzichtet. Zweck der Darstellung ist es, den heutigen Erkenntnisstand zu dieser Problematik kurz aufzuzeigen. a) Das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zu nationalem Recht Bereits aus der Darstellung der Rechtsakte der Art. 189 EGV und 161 EAGV läßt sich erkennen, daß durch das Gemeinschaftsrecht Rechtsinstrumente geschaffen worden sind, die nicht .charakteristisch für eine (traditionelle) internationale Organisation sind, sondern auf eine andere Qualität der Organisation hinweisen. Die Verträge haben nämlich ein System gewählt, das der Gemeinschaft einerseits eine unmittelbare Rechtsetzungsbefugnis verleiht - beispielsweise durch den Erlaß von Verordnungen -, der Gemeinschaft an153 Vgl. dazu GTE/Daig/Schmidt, Art. 189 Rn. 16; Handkommentar/Magiera, Art. 189 Rn. 3. Eine ausfilhrliche Darstellung der sonstigen Rechtshandlungen findet sich bei lpsen, 467 ff. 2S4 Vgl. dazu die Antwort von Henn 1hom im Namen der Kommission vom 20.7.1983 auf die schriftliche Anfrage Nr. 451/83, ABI. C 246/12. 15S Vgl. dazu Oppermann, Europarecht, Rn. 523 ff. m.w.N.

336

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

dererseits aber auch die Möglichkeit gegeben, indirekt auf die Rechtsordnung der Mitgliedstaaten einzuwirken, etwa durch den Erlaß von Richtlinien und Empfehlungen. 256 Hieraus folgt, daß das auf diese Weise gesetzte Recht weder Völkerrecht noch nationales Recht ist, sondern eben "europäisches Recht", das seine Quelle in den Organen der Gemeinschaft hat. 257 Wichtigste Eigenschaften des Gemeinschaftsrechts sind sein Vorrang vor nationalem Recht und seine unmittelbare Anwendbarkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten. 00)

Vorrang des Gemeinschaftsrechts

Um den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht kurz zu erläutern, ist auf das grundlegende Urteil des Gerichtshofs im Fall Costa/ E.N.E.L.258 einzugehen. Darin führte der Gerichtshof aus, daß der EWGVertrag im Unterschied zu gewöhnlichen internationalen Verträgen "eine eigene Rechtsordnung geschaffen [hat], die bei seinem 10krafttreten in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden ist. Denn durch die Gründung einer Gemeinschaft für unbegrenzte Zeit, die mit eigenen Organen, mit der Rechts- und Geschäftsfähigkeit, mit internationaler Handlungsfähigkeit und insbesondere mit echten, aus der Beschränkung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der Übertragung von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft herrührenden Hoheitsrechten ausgestattet ist, haben die Mitgliedstaaten, wenn auch auf einem begrenzten Gebiet, ihre Souveränitätsrechte beschränkt und so einen Rechtskörper geschaffen, der für ihre Angehörigen und sie selbst verbindlich ist. "259 Der Gerichtshof führt weiter aus, daß "Wortlaut und Geist des Vertrages zur Folge [haben], daß es den Staaten unmöglich ist, gegen eine von ihnen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit angenommene Rechtsordnung nachVgl. WEGS/Wohl/ahrt, Vorb. vor Art. 189 Anm. 1; J.-V. Louis, 105. m WEGSlWohlfabrt, ebd. Vgl. auch KLlpteyn / VerLoren van 1hemaot, 36. 258 EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251. 259 Ebd., 1269.

2S6

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

337

träglich einseitige Maßnahmen ins Feld zu führen. Solche Maßnahmen stehen der Anwendbarkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung daher nicht entgegen. "260 Schließlich folgt die Feststellung, "daß dem vom Vertrag geschaffenen, somit aus einer autonomen Rechtsquelle fließenden Recht wegen dieser seiner Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen können, wenn ihm nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll. "261 Die Folgen dieses Urteils, das noch heute als "bahnbrechend "262 bezeichnet wird, sind von immenser Tragweite. Aus dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht folgt zunächst, daß die Gemeinschaftsorgane allein dem Gemeinschaftsrecht verpflichtet sind und daher schon per definitionem nicht gegen nationales Recht verstoßen können. 263

In der Konsequenz dieser Aussage liegt ferner, daß das Gemeinschaftsrecht damit jedem nationalen Recht, also selbst dem Verfassungsrecht eines jeden Mitgliedstaats, vorgeht. 264 Hieraus ist allerdings nicht der Schluß zu ziehen, daß die Gemeinschaftsorgane bei ihrer Rechtsetzung wesentliche Verfassungsprinzipien und insbesondere die für den einzelnen bedeutsamen Grundrechte außer acht lassen könnten. 265 Auch die Gemeinschaft ist an die Beachtung der Grundrechte des einzelnen gebunden. Dies folgt schon daraus, daß der Gerichtshof die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages sichert (Art. 164 EGV), da zur Wahrung des Rechts die Beachtung der allgemeinen Rechtsgrundsätze266 gehört, in deren Rahmen auch die Grundrechte zu beachten sind. 267 260 Ebd., 1269 f.

261 Ebd., 1270; seither st. Rspr., vgl. etwa Rs. 14/68 (Walt Wilhelm), Slg. 1968, 1 (14); Rs. 11/70 (lnt. Handelsgesellschaft), Slg. 1970, 1125 (1135). 262 GTE/Daig/Schmidt, Art. 189 Rn. 1. 263 Dies., ebd., Rn. 2. 264 So ausdrücklich EuGH, Rs. 11/70 (Int. Handelsgesellschaft), Slg. 1970, 1125 (1135). 26S GTElDaig/Schmidt, Art. 189 Rn. 3. 266 Vgl. Art. 215 Abs. 2 EGV. 267 St. Rspr. des EuGH, s. dazu Rs. 11/70 (lnt. Handelsgesellschaft), Slg. 1970, 1125 (1135); Rs. 4/73 (Nold), Slg. 1974, 491 (507); Rs. 44/79 (Hauer), Slg. 1979, 3727 (3744 f.); 22 Kuhn

338

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, daß der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor jedem nationalem Recht, also auch dem Verfassungsrecht, in verschiedenen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft - darunter der Bundesrepublik Deutschland - zu äußerst kontroversen Debatten geführt hat. 268 Während der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor einfachem nationalem Recht weitgehende Anerkennung fand, fiel es einigen Mitgliedstaaten schwer, dem Gemeinschaftsrecht Vorrang auch vor dem nationalen Verfassungsrecht zuzubilligen. Umstritten war hierbei insbesondere die Gewährleistung von Grundrechten durch den Gerichtshof. Für die Bundesrepublik Deutschland läßt sich nach dem Solange II-Beschluß269 und nunmehr auch nach dem Maastricht-Urteil270 des BVerfG feststellen, daß diese Kontroverse weitgehend entschärft ist, da nicht zu erwarten ist, daß die Rechtsprechung des Gerichtshofs in absehbarer Zeit wesentlich hinter dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes zurückbleiben wird. Eine weitere Folge des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts, das allein durch sein Inkrafttreten jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts ohne weiteres unanwendbar werden läßt,271 ist die Nichtanwendbarkeit der im innerstaatlichen Bereich geltenden lex posterior derogat legi priori-Regel auf das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zu nationalem Recht, womit sich das Gemeinschaftsrecht - jedenfalls rechtlich - gegenüber sämtlichen Behinderungen durch nationales Recht durchsetzt. 272

bb)

Unmittelbare Geltung des Gemeinschaftsrechts

Eine andere wichtige und deshalb hier darzustellende Eigenschaft des Gemeinschaftsrechts ist seine unmittelbare Geltung. Hierzu ist ebenfalls ein

Rs. 85/87 (Dow Benelux), Slg. 1989, 3137 (3156); verb. Rs. 97 bis 99/87 (Dow Chemicallberica), Slg. 1989, 3165 (3184); Rs. C-260/89 (Elliniki Rodiophonio), Slg. 1991, 1-2925 (1-2963). Der Verlauf dieser Rechtsprechung wird anschaulich dargestellt von Ballarino, 193 ff.; ausführlich zu Bestand und Entwicklung der Grundrechte im Gemeinschaftsrecht Feger; Weiden/eid;

Mancini/Di Bucci.

BleckmannlBleckmann, Rn. BVerfGE 73,339 (387). Z70 BVerfGE 89, 155 ff. 271 EuGH, Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, 629 (645). 212 Vgl. dazu Grunwald, 21; Wyatt / Dashwood, 57. 268 Vgl. dazu die Übersicht bei 269

759 ff.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

339

grundlegendes Urteil des Gerichtshofs anzuführen, nämlich das Urteil Van Gend & Loos.273 Darin führt der Gerichtshof aus: "daß die Gemeinschaft eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts darstellt, zu deren Gunsten die Staaten, wenn auch in begrenztem Rahmen, ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben, eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Gemeinschaftsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen. Solche Rechte entstehen nicht nur, wenn der Vertrag dies ausdrücklich bestimmt, sondern auch auf Grund von eindeutigen Verpflichtungen, die der Vertrag den Einzelnen wie auch den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft auferlegt. "274 In einem späteren Urteil führte er noch deutlicher aus:

"Unmittelbare Geltung bedeutet ... , daß die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ihre volle Wirkung einheitlich in sämtlichen Mitgliedstaaten vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an und während der gesamten Dauer ihrer Gültigkeit entfalten müssen. Diese Bestimmungen sind somit unmittelbare Quelle von Rechten und Pflichten für alle diejenigen, die sie betreffen, einerlei, ob es sich um die Mitgliedstaaten oder um solche Einzelpersonen handelt, die an Rechtsverhältnissen beteiligt sind, welche dem Gemeinschaftsrecht unterliegen. "275 Wesentliche Folgen der unmittelbaren Geltung des Gemeinschaftsrechts, die gleichermaßen Primär- wie Sekundärrecht erfaßt,276 sind in materieller Hinsicht die Begründung individueller Rechte und Pflichten277 und in formeller Hinsicht die Entbehrlichkeit eines nationalen Transformationsakts. 278

EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1. Ebd., 25. 275 EuGH, Rs. 106/77 (Simmenlhal), Slg. 1978, 629 (643 f.). 276 Vgl. Dutheil de La Roch~re, 241 ff. 277 Vgl. EuGH, Rs. 26/62 (Von Gent! &: Loos), Slg. 1963, 1 (27). 278 GTEIDaiglSchmidt, Art. 189 Rn. 8. .

273

274

340

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

b) Der Grundsatz des "effet utile" Für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist der vom Gerichtshof geprägte Grundsatz des "effet utile"279 von wesentlicher Bedeutung, der in der deutschen Sprache überwiegend umschrieben wird als "nützliche Wirkung" ,280 "nützliche Wirksamkeit"281 oder "praktische Wirksamkeit"282 von Vorschriften. Nach dieser Auslegungsmaxime, die teilweise als Ausprägung der teleologischen Auslegungsmethode bezeichnet wird,283 teilweise aber auch als "der teleogischen Methode verwandt" verstanden wird,284 sind Vorschriften so auszulegen, daß sie ihren vollen Sinn entfalten können. Dies bedeutet, daß Vorschriften die mit ihnen beabsichtigte Wirksamkeit auch tatsächlich entfalten können müssen. 285 Kommen also mehrere Möglichkeiten in Betracht, eine Vorschrift auszulegen, ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, bei der die praktische Wirksamkeit der Vorschrift am größten ist, d.h. sich ihre Wirkung am stärksten entfalten kann. 286 Der Grundsatz des "effet utile" ist nicht mit der Anerkennung von stillschweigend begründeten Kompetenzen ("implied powers")287 zu verwechseln. Die Lehre von den "implied powers" betrim allein die Organe bzw. institutionen der Gemeinschaft und kann sich auch nur an diese wenden, da stillschweigend begründete Kompetenzen eine Form der Kompetenzzuweisung darstellen. Im Gegensatz dazu kann der Grundsatz des "effet utile" für sämtliche dem Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts unterstellten Subjekte relevant werden, d.h. sowohl für die Gemeinschaftsorgane und -institutionen als auch für die Mitgliedstaaten und die dem Gemeinschaftsrecht unterstellten

279 EuGH, Rs. 9170 (Grad), Slg. 1970, 825 (838); Rs. 20170 (Lesage), Slg. 1970, 861 (874); Rs. 23170 (Haselhorst), Slg. 1970, 881 (894); Rs. 41174 (Van Duyn), Slg. 1974, 1337 (1348); Rs. 48175 (Royer), Slg. 1976,497 (517). 280 EuGH, Rs. 9170 (Grad), ebd.; Rs. 23170 (Haselhorst) , ebd.; Rs. 41174 (Van Duyn), ebd.; GrabitzlPernice, Art. 164 Rn. 27. 281 Oppermann, Europarecht, Rn. 441. 282 EuGH, Rs. 14/68 (Walt WilhelmJ, Slg. 1969, 1 (14); verb. Rs. 281, 283 bis 285 und 287/85 (Wanderungspolitik), Slg. 1987,3203 (3253 C.); Niedobitek, 205. 283 BBPS/Streil, 234. 284 GrabitzlPemice, Art. 164 Rn. 27. m Vgl. Oppermann, Europarecht, Rn. 441; BBPS/Streil, 234. 286 So für Grundrechtsnonnen Kutscher, 46; ähnlich auch Bleckmann, NJW 1982, 1180. 287 Dazu oben, B.I.l.c.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

341

einzelnen. Dieser unterschiedliche Adressatenkreis folgt aus dem unterschiedlichen Anwendungsbereich beider Rechtsinstitute: "Implied powers" können sich allein aus Kompetenznormen ergeben, während die Lehre vom "effet utile" sich als Auslegungsmaxime auf alle Arten von Vorschriften bezieht, d.h sowohl auf Kompetenznormen288 als auch auf andere Vorschriften (beispielsweise Vertragsvorschriften, die den Zweck anderer Vertragsvorschriften festlegen,289 oder Bestimmungen in Richtlinien oder Entscheidungen, mit denen Mitgliedstaaten zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet werden sollen).290 Zugegebenermaßen ist die Abgrenzung zwischen "implied powers" und dem "effet utile" einer Kompetenznorm dann besonders schwer zu ziehen, wenn vom Gerichtshof die Feststellung getroffen wurde, daß eine Kompetenznorm auch stillschweigend begründete Kompetenzen enthalte. 291 c) Die Dynamik des Gemeinschaftsrechts Kennzeichnend für das Gemeinschaftsrecht ist eine ihm innewohnende Dynamik, die es sowohl von staatlichen Verfassungen als auch von den Statuten anderer internationaler Organisationen unterscheidet. Im Gegensatz zu staatlichen Verfassungen, die aufgrund ihrer Ausrichtung auf dauerhaft konzipierte Verhältnisse292 den Rahmen eines bestehenden Zustandes gewissermaßen statisch abstecken,293 so daß der Staat in der Regel eine eher passive Rolle einnimmt,294 ist die Gemeinschaft auf Entwicklung angelegt. Aus der Zielbezogenheit der Gemeinschaftsverträge folgt ein "dynamisches Potential", 295 d.h. die Gemeinschaftsverträge legen planend den Rah-

Rs. 70/72 (KommissionlDeUlschland), Slg. 1973,813 (829). 14/68 (Wall Wilhelm), Slg. 1969, 1 (14). 290 Vgl. dazu EuGH, Rs. 9170 (Grad), Sig. 1970, 825 (838); Rs. 23170 (Haselhorst), Sig. 1970, 881 (894); Rs. 41174 (Van Duyn), Sig. 1974, 1337 (1348); Oppermann, Europarecht, Rn. 288 Vgl. dazu EuGH, 289 EuGH, Rs.

442.

291 Vgl. dazu EuGH, Rs. 70172 (KommissionlDeUlschland), Sig. 1973, 813 (829); verb. Rs. 281,283 bis 285 und 287/85 (Wanderungspolitik), Sig. 1987,3203 (3253 C.). 292 So für den Bundestaat Magiera, Bundesstaat, 18. 293 Ophüls, 233; R. Böhm, 90. 294

R. Böhm, 91.

295 Vgl. Niedobitek, 202.

342

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

men für eine von ihnen in Gang gebrachte Dynamik fest, da es "Hauptsinn der Verträge ist ( ... ), den Strom der Entwicklung im Fließen zu halten" .296 Demzufolge haben sich die Mitgliedstaaten durch die Gründung der Gemeinschaft - im Unterschied zu den sich auf bloße Kooperation beschränkenden internationalen Organisationen - auf unbeschränkte Zeit297 vertraglich zur Erreichung bestimmter wirtschaftlich-politischer Ziele verpflichtet298 und damit eine neue Qualität von Recht geschaffen, das weder dem Völkerrecht noch dem nationalen Recht zugeordnet werden kann. 299 Zutreffend dürfte die Annahme sein, daß der inganggesetzte Integrationsprozeß von Anfang an das wesentliche Merkmal dieses Zusammenschlusses war. 300 Die auf ständige Fortentwicklung und zunehmende Integration angelegte Gemeinschaft301 unterliegt infolgedessen immer wieder Veränderungen. Sie verharrt gerade nicht auf einer einmal erreichten Integrationsstufe, sondern verfolgt ihre Integration immer weiter, was auch erklärt, warum ein einmal eingeleiteter Integrationsprozeß nur schwer aufgehalten werden kann. 302 Dabei ist dem Integrationsprozeß die Errichtung einer immer engeren Europäischen Union vorgegeben,303 Form und Charakter dieser Union sind jedoch auch nach Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union - nur in Ansätzen näher bestimmt. 304 Keinesfalls darf die Dynamik des Gemeinschaftsrechts dahin verstanden werden, daß sie gewissermaßen automatisch abliefe, vielmehr bedarf es zur Inganghaltung dieses Prozesses der Handlungsbereitschaft und -fähigkeit der

296 Ophüls, 233; zur Ausfiillungsbedürftigkeit des EWG-Vertrages vgl. Niedobitek, 203. Vgl. auch Ipsen, 11, der von der Notwendigkeit spricht, das Gemeinschaftsrecht in Anpassung an veränderte Lagen fortzuentwickeln und anzupassen. 2'T7 Allein der EGKS-Vertrag sieht eine auf 50 Jahre befristete GellUngsdauer vor, vgl. Art. 97EGKSV. 2911 Vgl. R. Böhm, 89 und 91; Bisdom, KSE 1, 190. 199 Vgl. dazu schon oben, B.I.1.a.bb. Zutreffend dürfte die Einschätzung von Magiera, FS Rudolf Morsey, 214, sein, die Vertragsrechtsordnung der Gemeinschaft bilde ein normatives System, das sich im Laufe der Entwicklung zunehmend von seinem völkerrechtlichen Ursprung entfernt und den Strukturen staatlicher Verfassungen angenähert habe. 300 So ders., ebd., 215. 301 Ders., Bundesstaat, 14.

L.-J. Constantinesco, 140. Vgl. dazu die Priambel und Art. 1 der EEA. 304 Vgl. Magiera, FS Rudolf Morsey, 215. Vgl. dazu

302

303

auch Eberl,

14.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

343

Gemeinschaftsorgane sowie in gewissen Abständen erfolgender politischer Impulse durch die Mitgliedstaaten. 305 Die bisher zu beobachtende dynamische Entwicklung des Gemeinschaftsrechts ist in besonderem Maße auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zurückzuführen. Eine nähere Betrachtung dieser Aussage verdeutlicht, aus welchen Gründen dem Gerichtshof diese Rolle zugekommen ist und auch weiterhin zukommt. Die Zielbezogenheit der Verträge bedingt die Verpflichtung sämtlicher Organe der Gemeinschaft, den - auch von den Mitgliedstaaten zu unterstützenden - Integrationsprozeß306 zu fördern. Prädestiniert für diese Aufgabe ist der mit Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts befaßte Gerichtshof, der aufgrund seiner Stellung als Gemeinschaftsorgan307 nicht als neutrale Instanz über dem Recht der Gemeinschaft und dem Recht der Mitgliedstaaten steht, sondern vielmehr Teil der Gemeinschaft ist. Seine Rechtsprechung muß demzufolge als Bestandteil eines politischen Prozesses verstanden werden. 308 Für den Gerichtshof besteht eine rechtliche Verpflichtung, bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts dessen Integrationsziele zu beachten. 309 Insoweit ist der Gerichtshof in einen sich ständig fortentwickelnden Prozeß eingebunden, den er sich stets vergegenwärtigen muß, hält dieser Prozeß ihn doch dazu an, sich die Vorläufigkeit jeglicher Aussagen bewußt zu machen und dies auch bei seiner Rechtsprechung zu verdeutlichen. Daß der Gerichtshof die Fortentwicklung der Gemeinschaft berücksichtigt, wird an zahlreichen Stellen seiner Entscheidungen erkennbar, in denen er - allgemein - auf den damaligen,310 den gegenwärtigen311 bzw. derzeitigen312 Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts oder - spezieller - auf den gegenwärtigen

Vgl. Niedobitek, 202; Kaiser, 272. Vgl. Art. 5 EGV. 3C1T Art. 4 EGV, 3 EAGV, 7 EGKSV. 308 So ausdrücklich Everling, FS Hans Kutscher, 183. 309 Niedobitek, 205; Nicolaysen, Europarecht 1,49. 310 EuGH, Rs. 41/16 (Donckerwolcke), Slg. 1976, 1921 (1939). 3ll S. dazu etwa EuGH, Rs. 54/81 (Fromme), Slg. 1982, 1449 (1464); Rs. 50/83 (Kommission/Italien), Slg. 1984, 1633 (1642); verb. Rs. 281,283 bis 285 und 287/85 (Wanderungspolitik), Slg. 1987, 3203 (3254); Rs. 39/86 (Lair), Slg. 1988, 3161 (3195); Rs. 197/86 (Brown), Slg. 1988, 3205 (3243). 312 EuGH, Rs. C-204/90 (Bach1lll11l1l), Slg. 1992, 1-249 (1-283). 30S

306

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

344

Entwicklungsstand von Regelungen des Gemeinschaftsrechts313 abstellt wie auch darauf hinweist, daß sich eine Gemeinschaftspolitik schrittweise entwikkele. 314 In der Vergangenheit hat der Gerichtshof in maßgeblicher Weise auf die Dynamik des Gemeinschaftsrechts Einfluß genommen, weshalb er häufig als eigentlicher "Motor der europäischen Integration"315 bezeichnet wird. An dieser Stelle sei nur auf einige wenige Entscheidungen hingewiesen, die zu bedeutenden Integrationsfortschritten führten. Zunächst sind die Urteile Reyners und van Binsbergen316 anzuführen, mit denen der Gerichtshof die Vertragsvorschriften der Art. 52 und 59 EWGV, die ihrem Wortlaut nach allein die Mitgliedstaaten verpflichten, in einem zeitlich vorgegebenen Rahmen das Recht auf freie Niederlassung und auf freien Dienstleistungsverkehr zu gewähren, nach Ablauf der Übergangszeit für unmittelbar anwendbar erklärte. Weiterhin ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 119 EWGV in Erinnerung zu rufen, durch die eine - ebenfalls die Mitgliedstaaten verpflichtende - Vertragsvorschrift zu einem grundrechtsähnlichen Recht ausgestaltet wurde, auf das sich einzelne vor ihren nationalen Gerichten unmittelbar berufen können. 317 Ferner ist die durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs in bestimmten Fällen anerkannte unmittelbare Geltung von Richtlinien318 sowie schließlich die in jüngster Zeit vom Gerichtshof festgelegte Schadensersatzpflicht der Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen der Unterlassung einer Umsetzung von Richtlinien319 anzuführen.

313 314

EuGH, Rs. C-49/88 (AI-Jubail Fertilizer), Sig. 1991,1-3187 (1-3241). EuGH, Rs. 293/83 (Gravier), Sig. 1985, 593 (613); Rs. 242/87 (ERASMUS), Sig. 1989,

1425 (1453).

315 Vgl. dazu Sehweitzer I Hummer, 356; Coen, AiB 1992, 257; Desolre, 464, Mäder, integrations- und Gesundheitspolitik, 11. 316 EuGH, Rs. 2/74 (Reyners), Sig. 1974, 631 (652); Rs. 33/74 (Von Binsbergen), Sig. 1974, 1299 (1311); die Urteile sind als "Meilensteine" auf dem Weg zur schrittweisen Verwirklichung beider Freiheiten bezeichnet worden, vgl. Hailbronner I Naehbaur, 7. 317 EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne I/), Sig. 1976, 455 (476); seither st. Rspr., vgl. dazu etwa Rs. 149/77 (Defrenne 111), Sig. 1978, 1365 (1378); Rs. 157/86 (Murphy), Sig. 1988,673 (689); Rs. C-262/88 (Barber), Sig. 1990, 1-1889 (1-1954); Rs. C-I84/89 (Mmz), Sig. 1991, 1-297 (1-

318).

EuGH, Rs. 8/81 (Beeker), Sig. 1982, 53 (71). EuGH, verb. Rs. C-6 und C-9/90 (Froneovieh), Sig. 1991, 1-5357; dazu oben 2. Teil, A.II.2.b. 318 319

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

345

D. Spezielle Kompetenzzuweisungen im sozialen Bereich

1. Einleitung Nachdem allgemein auf die der Gemeinschaft von den Mitgliedstaaten übertragenen Kompetenzen eingegangen wurde, werden nun die der Gemeinschaft im sozialen Bereich zugewiesenen Kompetenzen näher behandelt. Die folgende Darstellung beschränkt sich dabei auf den EG-Vertrag, da die sich stellenden Rechtsfragen hier am deutlichsten auftreten. Wie schon die obigen allgemeinen Ausführungen zum Verhältnis der Gemeinschaft zu den Mitgliedstaaten und den Kompetenzzuweisungen an die Gemeinschaft320 gezeigt haben, sind dahin gehende Aussagen, daß "Sozialpolitik noch Sache der Staaten sei", 321 "Sozialpolitik in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (bliebe) "322 oder aber, daß die Sozialpolitik "im Rahmen der EWG der Kooperation unterstellt"323 sei, nur wenig aussagekräftig. Um sich ein präzises Urteil über die der Gemeinschaft im sozialen Bereich zugewiesenen Kompetenzen bilden zu können, müssen die einzelnen Kompetenznormen und ihre vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung untersucht werden.

2. Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer Aus der Umschreibung der Freizügigkeit in Art. 48 EGV wird deutlich, daß damit eine der Grundfreiheiten des Vertrages niedergelegt ist, die die Mobilität des Faktors Arbeit im Gemeinsamen Markt gewährleisten soll. Um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer fortschreitend herzustellen, hat der Rat mit qualifizierter Mehrheit Richtlinien oder Verordnungen zu treffen (Art. 49 EGV). Dem ist der Rat durch den Erlaß spezieller Freizügigkeitsverordnungen, beispielsweise der wichtigen va (EWG) Nr. 1612/68,324 und Freizügigkeitsrichtlinien nachgekommen. 325

320

Dazu oben, B.I.

Steindorff, 59; vgI. auch Borchardt, Probleme, 160, der ausführt: "Im wesentlichen bleibt die Sozialpolitik Sache der Mitgliedstaaten. " 322 Lenz, Grenzen, 25; vgI. auch Steinmeyer, Freizügigkeit, 75. 323 L.-J. Constantinesco, Rn. 160. 324 ABI. L 257/2; berichtigt in ABI. L 195/12 vom 7.12.1968 (mit späteren Änderungen). 325 Dazu oben, 1. Teil, C.I.1. 321 So aber

346

3. Teil: Bilanz und Penpektiven

Zur Freizügigkeit und sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer, die als "Kembereich des Gemeinschaftssozialrechts " bezeichnet wird,326 findet sich eine umfangreiche Rechtsprechung des Gerichtshofs. Auch im Schrifttum sind diesbezügliche Fragen umfassend erörtert worden. 327 Die folgenden Ausführungen sollen daher nur einen Überblick über den gegenwärtigen Erkenntnisstand der Ausgestaltung dieser für den sozialen Bereich bedeutenden Grundfreiheit geben. a) Freizügigkeit (Art. 48 f. EGV) Art. 48 EGV und die Bestimmungen der VO (EWG) Nr. 1612/68 gelten in der Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats unmittelbar und können für die einzelnen Rechte erzeugen, die dem nationalen Recht vorgehen. 328 Die Ausstellung der in Art. 4 der RL 68/360/EWQ329 vorgesehenen besonderen Aufenthaltsbescheinigung wirkt daher nur deklaratorisch,330 so daß es einem Mitgliedstaat verwehrt ist, von einer unter dem Schutz des Gemeinschaftsrechts stehenden Person zu verlangen, daß sie eine allgemeine Aufenthaltserlaubnis anstelle der von Art. 4 Abs. 2 der RL 68/360/EWG vorgesehenen Bescheinigung besitzen muß. 331 Hat es eine unter dem Schutz des Gemeinschaftsrechts stehende Person unterlassen, sich eines der in Art. 3 Abs. 1 der RL 68/360/EWG genannten Ausweispapiere zu beschaffen, darf eine verhängte Sanktion nicht außer Verhältnis zu dem begangenen Verstoß stehen. 332 Keinesfalls darf die Sanktion die Ausweisung vorsehen, da diese eine Vemeinung des durch den Vertrag eingeräumten und garantierten Freizügigkeitsrechts darstellen würde. 333 Weiterhin zulässig bleiben Anzeigepflichten, die die zu326 Vgl. Mäder, Integrations- und Gesundheitspolitik,

24.

Vgl. dazu die umfassenden Kommentierungen zu den Art. 48-51 EWGV, etwa GTEI WtJlker und GTElWiUms; HandkommentarlHailbronner; GrabitzlRandekhofer; ferner zur Freizügigkeit Feik; NelJums; Freisl; Lecheler, Interpretation; Hailbronner, EuZW 1991, 171; zur sozialen Sicherheit Ernst; Klang, ~ziale Sicherheit; Ewert; Pompe; Lenz, SGb 1988, 1; Willms; Riuo; Borchardt, Sozialrecht. 328 EuGH, Rs. 167/73 (Kommission/Frankreich), Slg. 1974,359 (371). 329 ABI. L 257/13. 330 EuGH, Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976,497 (512); Rs. 8/77 (Sagulo u.a.), Slg. 1977, 1495 (1503 ff.). 331 EuGH, Rs. 8/77 (Sagulo u.a.), ebd., 1505. 332 EuGH, ebd., 1507. 333 EuGH, Rs. 118/75 (Watson und Belman), Slg. 1976, 1185 (1198 f.); Rs. 157/79 (Pieck), Slg. 1980,2171 (2187). 327

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

347

ständigen Behörden den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten im Hinblick auf ihren Aufenthalt auferlegen, da das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten nicht die Befugnis zum Erlaß von Maßnahmen genommen hat, die ihnen die genaue Kenntnis der Bevölkerungsbewegungen in ihrem Hoheitsgebiet ermöglichen sollen. 334 Derartige Anzeigepflichten dürfen allerdings nicht zu kurz bemessen sein. 335 In verschiedenen Entscheidungen konkretisiert der Gerichtshof den Begriff des Arbeitnehmers. Bereits in seiner ersten im Jahre 1964 ergangenen Entscheidung auf sozialrechtlichem Gebiet, dem Urteil Unger, erklärte der Gerichtshof, daß die Bestimmung des Begriffs "Arbeitnehmer" vom Gemeinschaftsrecht vorzunehmen ist. Überließe man die Begriffsbestimmung nämlich dem innerstaatlichen Recht, hieße dies, jeden Staat in die Lage zu versetzen, den Inhalt des Begriffs Veränderungen zu unterwerfen. 336 Den Begriff des Arbeitnehmers, der in den einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts nicht definiert wird, sondern allein von Art. 1 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1612/68 dahin gehend beschrieben wird, daß eine "Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis" gegeben sein muß, legt der Gerichtshof weit aus. 337 Arbeitnehmer ist, wer eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten mit einem so geringen Umfang, daß sie als völlig untergeordnet und unwesentlich angesehen werden müssen, außer Betracht bleiben. 338 Wesentliches Merkmal des Arbeitsverhältnisses ist, daß jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. 339

Arbeitnehmer ist danach auch derjenige, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausübt, mit der er weniger verdient, als in diesem Staat als Existenzminimum angesehen wird. 340 Dies gilt selbst dann, wenn er zur Ergänzung seiner Einkünfte aus 334

BuGH, Rs. 118/75 (Watson und Belmllll), ebd., 1198.

335 EuGH, Rs. C-265/88 (Messner), Slg. 1989,4209 (4225).

EuGH, Rs. 75/63, Slg. 1964, 381 (396). Vgl. dazu EuGH, Rs. 31/64 (Bertholet), Slg. 1965, 111 (120); Rs. 55/65 (Singer), Slg. 1965, 1267 (1275). 338 EuGH, Rs. C-27/91 (Le Manoir), Slg. 1991,1-5531 (1-5541). 339 EuGH, Rs. 66/85 (lAwrie-Blum), Slg. 1986, 2121 (2144); Rs. 197/86 (Brown) , Slg. 1988, 3205 (3244); Rs. C-27/91 (Le Manoir), ebd.; Rs. C-179 (Siderurgica Gabrielh), Slg. 1991, 1-5889 (1-5927). 340 BuGH, Rs. 53/81 (Levin), Slg. 1982, 1035 (1051). 336 337

348

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

seiner Berufstätigkeit eine fmanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln des Beschäftigungsstaates in Anspruch nimmt. 341 Positiv festgestellt wurde die Arbeitnehmereigenschaft für Studienreferendare. 342 Zahlreiche Entscheidungen des Gerichtshofs betreffen den - nicht formal, sondern umfassend zu verstehenden - Gleichbehandlungsgrundsarz des Art. 48 Abs. 2 EGV. Verboten ist demnach jede Diskriminierung zwischen Inländern und Wanderarbeitnehmern, sei sie offener oder versteckter Natur. 343 Die Gleichbehandlung bezieht sich auch auf die Gewährung sozialer Vergünstigungen (Art. 7 VO [EWG] Nr. 1612/68). Unter den Begriff der sozialen Vergünstigung sind alle diejenigen Vergünstigungen zu fassen, "die - ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht - den inländischen Arbeitnehmern im allgemeinen hauptsächlich wegen deren objektiver Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnsitzes im Inland gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu fördern". 344 Unerheblich ist, wie lange der Arbeitnehmer sich bereits im Beschäftigungsstaat aufhält, da die Mitgliedstaaten die Gewährung der sozialen Vergünstigungen nicht einseitig von einem bestimmten Zeitraum der Berufstätigkeit abhängig machen dürfen. 345 Ferner ist unerheblich, ob die Leistung auf Gesetz, Arbeitsvertrag, Kollektivvereinbarung oder freiwilliger Entscheidung eines privaten Arbeitgebers beruht,346 so daß dem Gleichbehandlungsgrundsatz insoweit eine "Drittwirkung" zukommt. 347 Ausdrücklich als soziale Vergünstigungen anerkannt wurden u.a. eine im Hei-

1986, 1741 (1750 f.). 1986,2121 (2144 f.). Vgl. dazu auch Forch. 343 GTE/Wölker, Art. 48 Rn. 13; vgl. dazu EuGH, Rs. 152173 (Sofgiu), Sig. 1974, 153 (164); Rs. 41/84 (Pinna 1), Sig. 1986, 1 (25); Rs. 33/88 (Allue und Coonan), Sig. 1989, 1591 (1610), Rs. C-272/92 (Spom), Urt. vom 20.10.1993, Rn. 18 (noch nicht in der amtlichen 341

EuGH, Rs. 139/85 (Kemp/), Sig.

342 EuGH, Rs. 66/85 (Lawrie-Blum), Sig.

Sammlung veröffentlicht). 344 St. Rspr. des EuGH, vgl. dazu etwa Rs. 207178 (Even), Sig. 1979, 2019 (2034); Rs. 65/81 (Reina), Sig. 1982, 33 (44); Rs. 261/84 (GastellI), Sig. 1984, 3199 (3213); Rs. 94/84 (Deale), Sig. 1985, 1873 (1886). 34S EuGH, Rs. 349/86 (Lair), Sig. 1988, 3161 (3201); vgl. auch Rs. 157/84 (Frascogna), Sig. 1985, 1739 (1750). 346 HandkommentarlHailbronner, Art. 48 Rn. 44; s. dazu auch Art. 7 Abs. 1 und 4 VO (EWG) Nr. 1612/68, ABI. L 25712 (mit späteren Änderungen), sowie EuGH, Rs. 152/73 (Sofgiu), Sig. 1974, 153 (164). 347 GTE/Wölker, Art. 48 Rn. 16.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

349

matstaat zurückgelegte Wehrdienstzeit;348 Fahrpreisermäßigungen für kinderreiche Familien;349 zinslose Geburtsdarlehen;350 ein Überbrüclrungsgeld für junge Arbeitslose;351 die Wahl der Verfahrenssprache vor Gericht;352 das Recht, für den ledigen Partner eines Wanderarbeitnehmers den Aufenthalt im Beschäftigungsstaat zu verlangen, wenn ein solches Recht auch den eigenen Staatsangehörigen eingeräumt wird,353 sowie eine Förderung, die für den Lebensunterhalt und die Ausbildung zur Durchführung eines Hochschulstudiums gewährt wird, das zu einem berufsqualifIzierenden Abschluß führt. 354 Den von Art. 10 VO (EWG) Nr. 1612/68 erfaßten Familienangehörigen des Wanderarbeitnehmers wird kein eigenständiges Aufenthaltsrecht eingeräumt,355 d.h. sie sind nur mittelbare Nutznießer der Gleichbehandlung. 356 Ausnahmen vom Grundsatz der Freizügigkeit sind eng auszulegen. 357 Dies betrim in erster Linie den in Art. 48 Abs. 3 EGV verwendeten Begriff der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (sog. ordre public-Vorbehalt)358 wie auch den in Abs. 4 der Vorschrift verwendeten Begriff der Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung. Bei einer Berufung auf die öffentliche Ordnung ist zu beachten, daß die Umstände, die eine Berufung auf den Begriff rechtfertigen, "von Land zu Land und im zeitlichen Wechsel verschieden sein (können), so daß insoweit den zuständigen innerstaatlichen Behörden ein Beurteilungsspielraum innerhalb der durch den Vertrag gesetzten Grenzen zuzubilligen ist" .359 Da der Begriff der öffentlichen Ordnung eine Ausnahme vom Grundsatz der Freizügigkeit rechtfertigen kann, kommt eine einseitige Auslegung allein durch den EuGH, Rs. 15/69 (Ugliola), Slg. 1969, 363 (369 f.). EuGH, Rs. 32/75 (Cristim), Slg. 1975, 1085 (1095). 3SO EuGH, Rs. 65/81 (Reina), Slg. 1982, 33 (45). 351 EuGH, Rs. 94/84 (Deale), Slg. 1985, 1873 (1886 f.). 352 EuGH, Rs. 137/84 (Mutseh), Slg. 1985,2681 (2696). 353 EuGH, Rs. 59/85 (Reed), Slg. 1986, 1283 (1304). 354 EuGH, Rs. 349/86 (Lair), Slg. 1988,3161 (3198). 355 EuGH, Rs. 267/83 (Diatta), Slg. 1985,567 (590). 356 EuGH, Rs. 316/85 (Lebon), Slg. 1987,2811 (2836). 3S7 EuGH, Rs. 152/73 (Sotgiu), Slg. 1974, 153 (162); Rs. 77/82 (Peskeloglou), Slg. 1983, 1085 (1094). Vgl. dazu auch BVerwG, Urt. vom 20.10.1993, NVwZ 1994, 379 (380), das dies nunmehr ausdrücklich anerkennt. 358 GTElWölker, Art. 48 Rn. 86. 359 EuGH, Rs. 41/74 (Von Duyn), Slg. 1974, 1337 (1350). 34a 349

350

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Mitgliedstaat ohne Nachprüfung durch die Gemeinschaftsorgane nicht in Betracht. 360 Daraus folgt, daß das Recht der Angehörigen der Mitgliedstaaten, in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einzureisen, sich dort aufzuhalten und frei zu bewegen, nur beschränkt werden darf, wenn ihre Anwesenheit oder ihr Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. 361 Unter Berufung auf die öffentliche Ordnung darf ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats nicht aus dem Hoheitsgebiet entfernt werden; ebensowenig darf ihm die Einreise verweigert werden, wenn der Grund in einem Verhalten liegt, das bei den Staatsangehörigen des eigenen Mitgliedstaats nicht tatsächlich und effektiv bekämpft wird. 362 Eine Ausweisung aus generalpräventiven Zwecken muß unterbleiben. 363 Tragweite und Grenzen des Art. 48 Abs. 4 EGV, der die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung vom Grundsatz der Freizügigkeit ausnimmt, sind allein gemeinschaftsrechtlich zu bestimmen, da aus dem nationalen Recht gewonnene Auslegungen den Begriff der öffentlichen Verwaltung begrenzen und die Anwendung des Gemeinschaftsrechts verhindern könnten. 364 Die Vorschrift wird funktionell 365 verstanden: Auf die Art des Rechtsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber kommt es nicht an, d.h. die Ausgestaltung als privatrechtlicher Vertrag oder die Verleihung eines öffentlichrechtlichen Status ist für ihre Anwendung unerheblich. 366 Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist, daß "die betreffenden Stellen typisch für die spezifischen Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung insoweit sind, als diese mit der Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse und mit der Verantwortung für die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates betraut ist"367 und "deshalb ein Verhältnis besonderer Verbundenheit des Stelleninha-

EuGH, EuGH, 362 EuGH, 363 EuGH, 364 EuGH,

ebd. Rs. 36/75 (Rutili), Slg. 1975, 1219 (1231). verb. Rs. 115 und 116/81 (Adoui und Coumaille), Slg. 1982, 1665 (1708). Rs. 67/74 (Bonsignore), Slg. 1975,297 (307). Rs. 149/79 (KommissionIBelgien), Slg. 1980,3881 (3903). 36S GTE/Wölker, Art. 48 Rn. 112. 366 EuGH, Rs. 152/73 (Sotgiu), Slg. 1974, 153 (162); Rs. 66/85 (Lawrie-Blum), Slg. 360 361

2121 (2145). 367

EuGH, Rs.

149/79 (KommissionIBelgien), Slg. 1980, 3881 (3903).

1986,

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

351

bers zum Staat sowie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten voraussetzen, die dem Staatsangehörigkeitsband zugrunde liegen· .368 Nicht als Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung erachtet der Gerichtshof die Tätigkeiten von Lokomotivführern in der Ausbildung, ungelernten Arbeitern einer staatlichen Eisenbahngesellschaft, Kranken-, Säuglingsund Kinderschwestern, Krankenpflegern, Klempnern, Schreinern, Elektrikern, Gärtnereigehilfen, Forschern eines nationalen Forschungsrats, Fremdsprachenlektoren bei einer Universität, Lehrkräften für das höhere Lehramt sowie bestimmte Arbeitsplätze in der Seeschiffahrt. 369 Bei der Einstellung von Personal für Stellen, die nicht in den Anwendungsbereich von Art. 48 Abs. 4 EGV fallen, darf eine öffentliche Einrichtung für den Fall, daß sie frühere Berufstätigkeiten der Bewerber innerhalb der öffentlichen Verwaltung berücksichtigen will, nicht danach unterscheiden, ob diese Tätigkeiten im öffentlichen Dienst dieses Mitgliedstaats oder in dem eines anderen Mitgliedstaats ausgeübt wurden. 370 b) Soziale Sicherheit (Art. 51 EGY) Zentrale Vorschrift des freizügigkeitsspezifischen Sozialrechts ist Art. 51 EGV, der den Rat ermächtigt, die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit notwendigen Maßnahmen einstimmig zu beschließen. Der Rat ist dem nachgekommen durch den Erlaß spezieller Verordnungen zur sozialen Sicherheit,371 zuletzt der - auf die Art. 2, 7372 und 51 EWGV gestützten - VO (EWG) Nr. 1408/71 373 und der DVO (EWG) Nr.

368 BuGH, Rs. C-4/91 (Bleis), Sig. 1991, 1-5627 (1-5641); vgl. auch HandkommentarlHailbronner, Art. 48 Rn. 94. 369 BuGH, Rs. 149/79 (KommissionIBelgien), Sig. 1980, 3881 (3898 ff.); Rs. 149/79 (KommissionIBelgien), Sig. 1982, 1845 (1850 ff.); Rs. 307/84 (Kommission/ Frankreich), Sig. 1986, 1738 ff.; Rs. 225/85 (Kommission/Italien), Sig. 1987, 2625 (2639 f.); Rs. 33/88 (Allue und Coonan), Sig. 1989, 1591 (1610); Rs. C-4/91 (Bleis), ebd.; Rs. C-37/93 (KommissionlBelgie"), Urt. vom 1.12.1993 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). 370 BuGH, Rs. C-419/92 (Schotz), Urt. vom 23.2.1994, Rn. 12 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). 371 Dazu oben, 1. Teil, C.I.3. 372 Vgl. nunmehr Art. 6 BGV. 373 ABI. L 149/2 (mit späteren Änderungen).

352

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

574/72. 374 Müßte nämlich ein Arbeitnehmer, der in einem anderen Mitgliedstaat arbeiten möchte, befürchten, er oder seine Angehörigen verlören durch die Wanderung in einen anderen Mitgliedstaat bereits erworbene Sozialversicherungsansprüche, wäre die Ausübung des Freizügigkeitsrechts beeinträchtigt.375 Angesichts der Wanderungsbewegungen in der Gemeinschaft376 verwundert es nicht, daß der Gerichtshof immer wieder mit Fragen im Bereich der sozialen Sicherheit der Wanderarbeitnehmer befaßt wird. Zahlreiche der ergangenen Entscheidungen betreffen spezielle sozialversicherungsrechtliche Fragen, mit denen sich die vorliegende Arbeit bereits exemplarisch am Beispiel der Familienleistungen und der Leistungen bei Krankheit (Art. 72 ff. und 18 ff. VO [EWG] Nr. 1408/71) beschäftigt hat. 377 Die folgenden Ausführungen beschränken sich daher auf einige grundlegende Ausführungen zur sozialen Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. Ratio legis der Art. 48 ff. EGV ist das angestrebte Ziel der Herstellung einer möglichst weitgehenden Freizügigkeit der Arbeitnehmer, das die Beseitigung aller gesetzlichen Bestimmungen erfordert, die geeignet sind, die Wanderarbeitnehmer zu benachteiligen und sich somit hemmend auswirken. Aus diesem Grund sind die genannten Vorschriften und die zu ihrer Durchführung getroffenen Maßnahmen im Zweifel in dem Sinne auszulegen, daß sie die Rechtsstellung der Wanderarbeitnehmer vor Benachteiligungen, insbesondere auf dem Gebiet der Sozialversicherung, schützen. Hieraus folgt auch, daß die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen innerstaatlichem Recht, dessen Anwendung zu einem zusätzlichen Sozialschutz der Wanderarbeitnehmer führt, nicht entgegenstehen. 378 Angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 51 EGV darf diese Bestimmung nicht restriktiv ausgelegt werden. 379 Ihr Zweck ist es, die WanderABI. L 74/1

(mit späteren Änderungen). GTE/Willms, Art. 51 Rn. 1; GrabitzlRmuJe/VIofer, Art. 51 Rn. 1; vgl. dazu EuGH, Rs. 100/63 (Van der Veen), Slg. 1964, 1215 (1232 f.); Rs. 4/66 (Hagenbeek), Slg. 1966,637 (645); Rs. 807/79 (Gravina), Slg. 1980,2205 (2218); Rs. 388/87 (Warmerdam-Steggerda), Slg. 1989, 314

315

1203 (1230).

Vgl. dazu GTE/Wölker, Vorb. zu den Art. 48 bis SO, Rn. 4 f. oben, 2. Teil, B. 318 EuGH, Rs. 92/63 (Nonnenmacher), Slg. 1964, 611 (628 f.) 319 EuGH, Rs. 242/83 (Patten), Slg. 1984, 3171 (3191). 316

311 Dazu

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

353

arbeitnehmer in den Genuß der aus den Gemeinschaftsverordnungen folgenden Rechtsvorteile kommen zu lassen, ohne jedoch eine Kürzung der schon außerhalb der Verordnungen bestehenden Anspruche herbeizuführen. Dieser Zweck wird verfehlt, wenn ein Arbeitnehmer mit dem Verlust seiner schon in einem Mitgliedstaat erworbenen Leistungsanspruche "dafür büßen müßte, daß er von der ihm gewährleisteten Freizügigkeit Gebrauch macht"380 (sog. "Meistbegünstigungsgrundsatz").381 In Konsequenz daraus folgerte der Gerichtshof, daß die nach den Gemeinschaftsverordnungen vorzunehmende Zusammenrechnung und anteilige Berechnung der Versicherungszeiten für den Fall zu unterbleiben hat, daß sie zu einer Verringerung der Leistungen führt, die dem Betroffenen nach den Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaats allein aufgrund der in diesem Staat zurückgelegten Versicherungszeiten zustehen. 382 Wird daher das mit Art. 51 EGV verfolgte Ziel schon aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften erreicht, sind Zusammenrechnung und anteilige Berechnung gegenstandslos. 383 Dieser Auffassung, die teilweise vom Schrifttum mit dem Argument kritisiert wird, sie führe zu einer ungerechtfertigten Besserstellung der Wanderarbeitnehmer gegenüber inländischen Arbeitnehmern,384 ist schon deshalb zuzustimmen, weil jede auftretende Besserstellung der Wanderarbeitnehmer Folge des Nebeneinanders mehrerer nationaler Rechtsordnungen ist, das aufgrund der bloßen Koordinierungsfunktion des Gemeinschaftsrechts erhalten bleibt. Zudem verleiht Art. 51 EGV den Gemeinschaftsorganen nicht die Kompetenz, in solche Rechtspositionen einzugreifen, die durch innerstaatliches Recht der Mitgliedstaaten begründet worden sind. 385

380 Vgl. dazu EuGH, Rs. 100/63 (Van der Veen), 51g. 1964, 1215 (1232 f.); später in st. Rspr., vgl. Rs. 22/67 (Goi/art), 51g. 1967, 429 (437); Rs. 24/75 (Petrom), 51g. 1975, 1149 (1160 f.); Rs. 1180 (Salmon), 51g. 1980, 1937 (1946 f.); Rs. C-349/87 (Paraschi), 51g. 1991,14501 (1-4525). 381 Handkommentar/Hailbronner, Art. 51 Rn. 22. 382 EuGH, Rs. 27/71 (Keller), 51g. 1971, 885 (891); Rs. 24/75 (Petrom), 51g. 1975, 1149 (1160 f.); Rs. 296/84 (Sinatra), 51g. 1986, 1047 (1060 f.); Rs. C-302/90 (Faux), 51g. 1991, 14875 (1-4902). 383 EuGH, Rs. 1/67 (Qechelsla), 51g. 1967,239 (251); Rs. 11167 (Couture), 51g. 1967, 505 (518 f.). 384 Kritisch etwa Wanders, EuR 1985, 155 ff.; Klang, 86 ff.; Schuler, 133; W»att, CMLR 1977,427 ff.; Page, CMLR 1980, 227 f. 385 GTE/Willms, Art. 51 Rn. 84. 23 Kuhn

354

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Auch das Gemeinschaftsrecht selbst muß auf die in den Art. 48 ff. EGV genannten Ziele Rücksicht nehmen, so daß das aufgrund von Art. 51 EGVerlassene gemeinschaftliche Sozialrecht zu den nicht harmonisierten nationalen Rechtsvorschriften keine zusätzlichen Unterschiede hinzufügen darf. 386 Problematisch kann die Unterscheidung zwischen den vom Geltungsbereich der VO (EWG) Nr. 1408171 umfaßten Leistungen und den von diesem Bereich ausgenommenen Leistungen sein. Allein aus der Tatsache, daß ein Mitgliedstaat eine Leistung nicht in einer Erklärung gem. Art. 5 der VO (EWG) Nr. 1408/71 als eine nationale Rechtsvorschrift genannt hat, die unter den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung fallen soll, können keine Schlüsse gezogen werden. 387 Andernfalls könnte jeder Staat durch die Nichtabgabe von Erklärungen den Anwendungsbereich der Verordnung beliebig einschränken. 388 Eine Unterscheidung muß hauptsächlich nach den Wesensmerkmalen der einzelnen Leistung, insbesondere ihrer Zweckbestimmung und den Voraussetzungen für ihre Gewährung, erfolgen. 389 Unerheblich ist demgegenüber, ob eine Leistung nach den nationalen Rechtsvorschriften als eine Leistung der sozialen Sicherheit einzustufen ist. 390 Schwierigkeiten hat in der Vergangenheit insbesondere die Abgrenzung von Leistungen, die unter Art. 4 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 und damit in den Geltungsbereich der Verordnung fallen, und der von Abs. 4 derselben Bestimmung ausgeschlossenen Sozialhilfe bereitet. Dies ist darin begründet, daß manche Vorschriften nach ihrem persönlichen Geltungsbereich, ihren Zielen und ihren Einzelbestimmungen beiden Rechtsgebieten gleich nahe stehen und sich einer allgemeingültigen Einordnung entziehen. 391 Nach dem Ge386

EuGH, Rs. 41/84 (Pinna 1), Slg. 1986, 1 (25).

387 EuGH, Rs. 35177 (Beerens), Slg. 1977, 2249 (2254); Rs. 70/80 (Vigier), Slg. 1981, 229

(240). Im umgekehrten Fall, in dem der Staat eine nationale Rechtsvorschrift gern. Art. 5 der VO (EWG) Nr. 1408171 als eine solche bezeichnet, die unter den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung fallen soll, muß er sich allerdings hieran festhalten lassen, s. dazu EuGH, Rs. 35177 (Beerens), Sig. 1977,2249 (2254); Rs. 237178 (Toia), Slg. 1979,2645 (2652). 388 GTE/Willms, Art. 51 Rn. 55. 389 St. Rspr. des EuGH, s. etwa Rs. 9178 (Gillard), Slg. 1978, 1661 (1668); Rs. 207178 (Even), Slg. 1979, 2019 (2032); Rs. 139/82 (Piscuello), Slg. 1983, 1427 (1438); Rs. 249/83 (Hoecla), Slg. 1985,973 (986). 390 EuGH, Rs. 207178 (Even), ebd.; Rs. 249/83 (Hoecla), ebd.; Rs. 122174 (Scrivner), Slg. 1985, 1027 (1034). 391 EuGH, Rs. 187173 (Callemeyn), Slg. 1874, 553 (561); Rs. 24174 (Biaison), Slg. 1974, 999 (1007).

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

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richtshof liegt dann, wenn keinerlei Berufstätigkeits-, Mitgliedschafts- oder Beitragszeiten gefordert werden und ferner auf eine Beurteilung der Bedürftigkeit im Einzelfall verzichtet und dem Empfänger keine gesetzlich umschriebene Rechtsstellung eingeräumt wird, eine Leistung der Sozialhilfe und keine solche der sozialen Sicherheit vor. 392 Fällt eine Leistung nicht unter den Geltungsbereich der VO (EWG) Nr. 1408/71, ist zu prüfen, ob sie nicht als soziale Vergünstigung LS.d. Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 anzusehen ist. 393 Allgemein anerkannt ist, daß Art. 51 EGV nicht als Rechtsgrundlage für den Erlaß eines supranationalen Systems der sozialen Sicherheit auf Gemeinschaftsebene in Betracht kommt. 394 Dies ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut der Vorschrift, die von "verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften" spricht (Buchst. a). Zum anderen ist zu bedenken, daß auf Gemeinschaftsebene - sieht man einmal von der sozialen Sicherung der Bediensteten der Gemeinschaft ab - kein Sozialleistungsträger besteht. 395

3. Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs Weniger bedeutsam für den sozialen Bereich als die Freizügigkeit und soziale Sicherheit der Arbeitnehmer sind das Niederlassungsrecht und der freie Dienstleistungsverkehr, so daß die maßgeblichen Kompetenzzuweisungen lediglich kurz erörtert werden.

392 EuGH, Rs. 24/74 (Biaison), ebd.; Rs. 39/74 (Costa), Slg. 1974, 1251 (1261); vgl. auch Rs. 1/72 (Frilll), Slg. 1972, 457 (466). Kritisch dazu GTE/Willms, Art. 51 Rn. 26, und HandkommentJ.r/Hailbronner, Art. 51 Rn. 16. 393 S. dazu EuGH, Rs. 63/76 (Inzirillo), Slg. 1976,2057 (2068); Rs. 261/83 (Castelli), Slg. 1984, 3199 (3213); Rs. 249/83 (Hoeckx), Slg. 1985, 973 (988 f.); Rs. 122/84 (Scrivner), Slg. 1985, 1027 (1035 f.); Rs. 157/84 (Frascogna), Slg. 1985, 1739 (1749); Rs. 94/84 (Deale), Slg. 1985, 1873 (1885 f.); vgl. auch GTE/Wölker, Art. 48 Rn. 50. Kritisch zu dieser Rspr. Grabitz/Rande/VJofer, Art. 48 Rn. 33. 394 GTE/Willms, Art. 51 Rn. 19; GrabitzlRandel1hofer, Art. 51 Rn. 2. 395 Dies., ebd.

356

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

a) Inhalt der Freiheiten Nach der Systematik: des EG-Vertrages ist die Gewährleistung des Niederlassungsrechts (Art. 52 ff.) und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr (Art. 59 ff.) notwendig, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes die unternehmerische Tätigkeit als Produktionsfaktor mobil zu halten (Niederlassungsfreiheit) bzw. den ungehinderten grenzüberschreitenden Austausch von Dienstleistungen LS.v. Produkten unternehmerischer Tätigkeit zu ermöglichen (Dienstleistungsfreiheit) .396 Inhalt der Niederlassungsfreiheit ist das berufliche Tätigwerden eines Selbständigen im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats, 397 während bei der Dienstleistungsfreiheit "eine gewerbliche Leistung zwischen Wirtschaftssubjekten erbracht wird, die einander als Gebietsfremde gegenüberstehen", 398 d.h. die Produktmobiliät im Vordergrund steht. 399 Kennzeichnend für die Niederlassungsfreiheit ist somit die andauernde Integration in den Aufnahmestaat, während es für die Dienstleistungsfreiheit typisch ist, daß der Dienstleistungserbringer grenzüberschreitend Dienstleistungen erbringt. 400 Diese Abgrenzung kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. 401 Ihrem Wortlaut nach verpflichten die Art. 52 und 59 EGV allein die Mitgliedstaaten, die Beschränkungen dieser Grundfreiheiten während der Übergangszeit nach Maßgabe der jeweiligen folgenden Bestimmungen schrittweise aufzuheben. Die Kompetenzen der Gemeinschaft liegen in der - vom Rat vorzunehmenden - Aufstellung von allgemeinen Programmen zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit (Art. 54 Abs. 1 EGV) und des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 63 Abs. 1 EGV) sowie dem Erlaß von Richtlinien zur Verwirklichung der Programme (Art. 54 Abs. 2, 63 Abs. 2 EGV). Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit stehen unter dem ordre public-Vorbehalt (Art. 56 Abs. 1, 66 EGV), der allerdings durch Richtlinien Handkommentar/Hailbronner, Art. 59-60 Rn. 3. Vgl. GTE/Troberg, Art. 52 Rn. 1; Roth, Rn. 41. 398 GTE/Troberg, ebd., Rn. 3. 399 Handkommentar/Hailbronner, Art. 59-60 Rn. 3. 0400 GrabitzlRllndeldlofer, Art. 52 Rn. 8. ~I Vgl. dazu GTE/Troberg, Art. 52 Rn. 3; Handkommentar/Hailbronner, Art. 59-60 Rn. 3; zur Abgrenzung der Dienstleistungsfreiheit von der Freizügigkeit BuGH, Rs. C-1l3/89 (Rush Portuguesa), Slg. 1990,1-1417 (1-1443 ff.). 396

3'T1

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

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des Rates beeinflußt werden kann. 402 Zur Erleichterung der Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten sieht Art. 57 Abs. 1 EGV schließlich den Erlaß von Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise durch den Rat vor; diese Richtlinien können nach Ablauf der Übergangszeit mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Richtlinien zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten sind vom Rat unter den Voraussetzungen des Art. 57 Abs. 2 EGV zu erlassen. 403 Nachdem die Mitgliedstaaten den vertraglichen Vorgaben - trotz fristgerechter Aufstellung der allgemeinen Programme404 - nicht innerhalb der eingeräumten Frist nachgekommen waren, kam es zu Verfahren vor dem Gerichtshof, in denen sich einzelne unmittelbar auf den Vertrag beriefen. In dem am 21.6.1974 ergangenen Urteil Reyners erklärte der Gerichtshof, daß Art. 52 EWGV seit Ablauf der Übergangsfrist eine unmittelbar geltende Bestimmung ist. Seit jenem Zeitpunkt wird dem Grundsatz der Inländerbehandlung unmittelbare Wirkung durch den Vertrag selbst verliehen; die zur Verwirklichung dieses Grundsatzes vorgesehenen Richtlinien sind rechtlich überflüssig geworden. 405 Noch im gleichen Jahr erging ein inhaltlich entsprechendes Urteil für die Dienstleistungsfreiheit. 406 Die unmittelbare Geltung der genannten Vorschriften bedeutet, daß den Mitgliedstaaten die Einführung neuer Beschränkungen des Rechts auf freie Niederlassung und freien Dienstleistungsverkehr für Angehörige anderer Mit-

402 Vgl. dazu die RL 64/221/EWG, ABI. 1964 S. 850, und die RL 75/35/EWG, ABI. L

14/14.

403 Derartige Richtlinien sind häufig Gegenstand von Verfahren vor dem Gerichtshof, vgl. etwa Rs. C-316/92 (KommissionIDeutschland), Urt. vom 29.6.1993 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). 404 Dazu oben, 1. Teil, C.D.1.; zur Rechtsnatur der allgemeinen Programme, die wohl als Rechtsakte sui generis zu qualifizieren sind, vgl. GTElTroberg, Art. 54 Rn. 3; Grabitzl RIlndelr.hofer, Art. 54 Rn. 4, und Handkommentar/Hailbronner, Art. S4 Rn. 5. In Anbetracht der zeitlichen und inhaltlichen Überholung der Programme kommt es darauf allerdings nicht mehr an, so zutreffend Handkommentar/Hailbronner, Art. 54 Rn. 5, und Nicolaysen, KSE 11, 78. 40S EuGH, Rs. 2/74, Slg. 1974, 631 (651 ff.); bestitigt durch Rs. 107/83 (Klopp), Slg. 1984, 2971 (2987 f.). 406 EuGH, Rs. 33/74 (Von Binsbergen), Slg. 1974, 1299 (1310 f.); bestitigt durch Rs. 36/74 (Walrave und Koch), Slg. 1974, 1405 (1420 f.).

358

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

gliedstaaten verwehrt ist;407 der Zugang zu diesen Tätigkeiten und deren Ausübung mithin unter den Bedingungen zu gestatten ist, die in den Rechtsvorschriften des aufnehmenden Mitgliedstaats für seine eigenen Staatsangehörigen vorgesehen sind. 408 Auch darf der Zugang zu bestimmten Berufen für Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten nicht von einer Bedingung der Gegenseitigkeit abhängig gemacht werden. 409 Unzulässig sind ferner Vorschriften und Praktiken, die den Zugang zu einem Beruf vom Besitz einer bestimmten Staatsangehörigkeit abhängig machen,410 oder die das Recht auf Teilnahme an den Einrichtungen der sozialen Sicherheit, vor allem der Krankenversicherung, verwehren oder einschränken. 411 Neben den Niederlassungsberechtigten selbst stehen deren Familienangehörige unter dem Schutz des Gemeinschaftsrechts .412 b) Die Entscheidung Cowan Auf eine Entscheidung des Gerichtshofs, die die rechtliche Stellung von Dienstleistungsempfängern betrifft, soll abschließend näher eingegangen werden. In dem Fall Cowan413 ging es um einen britischen Touristen, der in der Pariser Metro überfallen worden war. Von der französischen Staatskasse ("Tresor public") war ihm eine Opferentschädigung mit der Begründung verweigert worden, das französische Recht sehe diese Entschädigung allein für Franzosen und Ausländer mit Wohnsitz in Frankreich vor, nicht aber für sonstige Ausländer. Der Gerichtshof, der Touristen als Dienstleistungsempfänger

407 EuGH, Rs. 48175 (RoyeT), Slg. 1976, 497 (517). Vgl. ferner die erläuternde Mitteilung der Kommission über die Freiheit des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs, abgedruckt in ABI. C 334/3 vom 9.12.1993. 408 EuGH, Rs. 2174 (ReyneTs), Slg. 1974, 631 (653); Rs. 33/74 (Van Binsbergen), Slg. 1974, 1299 (1311); Rs. 197/84 (SteinJunuer), Slg. 1985, 1819 (1826); Rs. C-58/90 (Kommission/ftaUen), Slg. 1991, 1-4193 (1-4203); Rs. C-168/91 (Konstantinidis), Urt. vom 30.3.1993 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). 409 EuGH, Rs. 168/85 (KommissionRtaUen), Slg. 1986, 2945 (2959); Rs. C-58/90 (Kommission/ftaUen), Slg. 1991,1-4193 (1-4202). , Slg. Slg. 1989, 1615 (1616, Leitsatz 5); verb. Rs. C-51, 1991,1-2757 (1-2791); GTE/Currall, Art. 128 Rn. 40. 454

4SS

1989, 1425 (1455); Rs. 56/88 (PETRA), C-90 und C-94/89 (COMEIT lI), Slg.

368

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Verordnung soll für ihn die Freizügigkeit eines der Mittel sein, die ihm die Möglichkeit einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen garantieren und damit auch den sozialen Aufstieg erleichtern. Hieraus und aus Art. 7 Abs. 2 va (EWG) Nr. 1612/68, wonach der Wanderarbeitnehmer die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer genießt, ergibt sich, daß er nicht nur das Recht auf Zugang zu den Bildungseinrichtungen seines Aufnahmestaates haben muß, sondern darüber hinaus den gleichen Anspruch wie die inländischen Arbeitnehmer auf alle Vergünstigungen, die die berufliche Qualifikation und den sozialen Aufstieg erleichtern. 457 Zu beachten ist dabei allerdings, daß das Arbeitsverhältnis im Verhältnis zum Studium nicht nur von untergeordneter Bedeutung sein und die Arbeitnehmereigenschaft nicht nur infolge einer Zulassung zur Universität zur Aufnahme des betreffenden Studiums erworben sein darf. 458 Die rechtliche Stellung der Kinder eines Wanderarbeitnehmers im Hinblick auf die Berufsausbildung regelt Art. 12 va (EWG) Nr. 1612/68. Nach dieser Vorschrift können diese Kinder, wenn sie im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehr- und Berufsausbildung teilnehmen. Dabei fördern die Mitgliedstaaten Bemühungen, die darauf abzielen, diesen Kindern zu ermöglichen, unter den besten Voraussetzungen am Unterricht teilzunehmen. Die Bestimmung des Art. 12 va (EWG) Nr. 1612/68 ist dahin auszulegen, daß sie sich nicht nur auf die Zulassungsbedingungen bezieht, sondern auch allgemeine Maßnahmen - etwa finanzielle Förderungen, welche die Teilnahme am Unterricht erleichtern sollen - umfaßt. 459 Eine Gleichstellung mit den Inländern muß auch dann erfolgen, wenn die Ausbildung in einem Staat erfolgt, dessen Staatsangehörigkeit die begünstigten Kinder des Wanderarbeitnehmers besitzen. 460

457 Vgl. dazu EuGH, Rs. 39/86 (Lair), Sig. 1988, 3161 (3197). Diese Verpflichtung wird nunmehr auch vom BVerwG ausdrücklich anerkannt, vgl. dazu BVerwG, Urt. vom 27.l.1993, NVwZ 1994,375, und Urt. vom 8.9.1993, NVwZ 1994,377. 458 EuGH, Rs. 197/86 (Brown), Sig. 1988, 3205 (3244 f.). 459 EuGH, Rs. 9/74 (Casagrande), Sig. 1974, 773 (779); Rs. 68/74 (Alaimo), Sig. 1975, 109 (114). 460 EuGH, Rs. C-308/89 (Di uo), Sig. 1990, 1-4185 (1-4209).

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

bb)

369

Rechte sonstiger Unionsbürger

Unionsbürger, die von einem Mitgliedstaat in einen anderen ausschließlich zum Zwecke der Berufsausbildung wandern,461 können sich darauf berufen, daß der Zugang zur Berufsausbildung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Anwendungsbereich des Vertrages fällt. 462 Führt daher ein Mitgliedstaat Bildungsveranstaltungen durch, die der Berufsausbildung dienen, stellt eine Abgabe, Einschreibe- oder Studiengebühr für den Zugang zu den genannten Veranstaltungen, welche allein von den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, nicht aber von inländischen Studenten erhoben wird, eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und damit einen Verstoß gegen Art. 6 EGV dar. 463 Zu beachten ist dabei, daß der Unterricht an einer Hochschule, die im wesentlichen aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, keine Dienstleistung im Sinne von Art. 60 EGV darstellt. 464

8. Abstimmung der Sozialordnungen und Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen Kern der Aussagen über die gemeinschaftliche Sozialpolitik sind die im Kapitel Sozialvorschriften des EG-Vertrages enthaltenen Art. 117 und 118. Das Ziel der Mitgliedstaaten, auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte hinzuwirken und dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen, legt Art. 117 Abs. 1 EGV fest. Eine solche Entwicklung soll sich nach Abs. 2 der Vorschrift sowohl aus dem eine Abstimmung der Sozialordnungen begünstigenden Wirken des Gemeinsamen Marktes als auch aus den in diesem Vertrag vorgesehenen Verfahren sowie aus der Angleichung ihrer Rechts- undVerwaltungsvorschriften ergeben. Gemäß Art. 118 EGV hat die Kommission unbeschadet der sonstigen Bestimmungen des Vertrages entsprechend seinen allgemeinen Zielen die Aufgabe, 461 Vgl. dazu die RL 9O/366/EWG, ABI. L 180/30, sowie den Vorschlag vom 17.5.1993, ABI. C 166/16, vgl. dazu oben, l.Teil, c.rn.l. 462 EuGH, Rs. 152/82 (Forchen), Sig. 1983,2323 (2336); Rs. 293/83 (Gravier). Sig. 1985. 593 (613). 463 EuGH, Rs. 152/82 (Forchen). ebd.; Rs. 293/83 (Gravier). ebd.; Rs. 24/86 (Blaizot), Sig. 1988.379 (405). 464 EuGH, Rs. C-I09/92 (Winh), Urt. vom 7.12.1993. Rn. 19 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). 24 Kuhn

370

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen von denen einzelne ausdrücklich genannt werden - zu fördern. Zu diesem Zweck hat sie in enger Verbindung mit den Mitgliedstaaten durch Untersuchungen, Stellungnahmen und die Vorbereitung von Beratungen tätig zu werden. Vor der Abgabe von Stellungnahmen muß die Kommission den WSA hören. Festzustellen ist, daß beide Vorschriften inhaltlich in einem engen Zusammenhang stehen, da Art. 117 EGV gewissermaßen das Ziel der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen vorgibt, auf welche von der Kommission, der die Aufgabe übertragen wurde, eine enge Zusammenarbeit in sozialen Fragen zu fördern (Art. 118 EGV), hinzuwirken ist. 465 Daß den Vorschriften der Art. 117 und 118 EGV "im wesentlichen programmatischer Charakter" zukomme, vertreten sowohl der Gerichtshof'66 als auch das Schrifttum. 467 Hieraus ist aber nicht zu schließen, daß die Vorschriften, insbesondere Art. 118 EGV, keine Wirkungen hätten,468 was im folgenden dargelegt wird. a) Abstimmung der Sozialordnungen (Art. 117 EGV) Geht man zunächst auf die durch Art. 117 EGV Verpflichteten ein, ergibt sich, daß der Wortlaut allein die Mitgliedstaaten, nicht aber die Gemeinschaftsorgane anspricht. Hieraus sind gegensätzliche Positionen abgeleitet worden. Nach einer Auffassung soll die Vorschrift lediglich eine Absichtserklärung der vertragschließenden Staaten darstellen,469 während die Gegenauffassung der Vorschrift trotz ihres Wortlauts allgemeine Geltung für die Ge46S Vom Schrifttum wird Art. 118 BGV sogar als "Durchführungsbestimmung" zu Art. 117 EGV angesehen, vgl. GTE/Currall, Art. 118 Rn. 1. 466 EuGH, Rs. 149/77 (Defrenne Ill), Sig. 1978, 1365 (1378); Rs. 126/86 (Zaera) , Sig. 1987,3697 (3716); verb. Rs. C-72/91 und C-73/91 (SlomDII Neptun Schijfahrts AG), Urt. vom 17.3.1993, Rn. 25 f. (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). 467 Vgl. dazu HandkommentarlHailbronner, Art. 117 Rn. 1 und Art. 118 Rn. 2; Grabitz/Jansen, Art. 117 Rn. 3 und Art. 118 Rn. 1; GTE/Cu"all/Pipkom, Art. 117 Rn. 1 und Art. 118 Rn. 3; Narjes, 378; Buchner, ZfA 1993, 290; Scheller, 328; Budo, 79; Däubler, Dimension, 302 f.; Lell, 28; Betten, 122; SmitlHelZog/Koopmans, Art. 117, 11703, Mäder, Integrations- und Gesundheitspolitik, 14. 468 So für Art. 118 EWGV GTE/Currall, Art. 118 Rn. 5. 469 WEGS/Sprung, Art. 118 Anm. 3.

B. Die Kompetenzen der Gemeinscbaft im sozialen Bereich

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meinschaft beimessen will. 470 Folge der letzteren Auffassung ist vor allem, daß die Vorschrift als ein der Gemeinschaft gesetztes Ziel angesehen werden kann. Die überzeugenderen Argumente sprechen für die letztere Auffassung. Zunächst kann aus der Tatsache, daß bestimmte Vertragsvorschriften ausdrücklich an die Mitgliedstaaten gerichtet sind, nicht geschlossen werden, die Gemeinschaft treffe insoweit keine Verpflichtungen. 471 Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß die Mitgliedstaaten nach der Präambel des EG-Vertrages "die stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen ihrer Völker als wesentliches Ziel" anstreben, so daß nicht verständlich wäre, weshalb Art. 117 Abs. 1 EGV eine - enger gefaßte - "Absichtserklärung" enthalten sollte. Schließlich läßt sich aus dem Urteil des Gerichtshofs im Fall Defrenne 1]472 die Schlußfolgerung ziehen, daß Art. 117 EGV - wie auch Art. 119 EGV den sozialen Zielen der Gemeinschaft dient. Zwar hat der Gerichtshof dies lediglich für Art. 119 EWGV ausdrücklich ausgesprochen,473 aus dem Kontext wird aber ersichtlich, daß gleiches auch für die Vorschrift des Art. 117 EGV gelten muß. Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß Art. 117 EGV als einer den sozialen Zielen dienenden Vorschrift allgemeine Geltung für die Gemeinschaft zukommt. Für eine Konkretisierung des InIUlZts der Vorschrift sind einzelne Tatbestandsmerkmale näher zu untersuchen. Art. 117 Abs. 1 EGV zielt auf eine "Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte" ab. Aus dem Gesamtzusammenhang des Vertrages, insbesondere unter Berücksichtigung der Präambel und der weiteren Vorschriften des Kapitels "Sozialvorschriften" , ist zu entnehmen, daß eine restriktive Interpretation dieses Tatbestandsmerkmals nicht in Betracht kommt. 474 Die Verbesserung der Lebensund Arbeitsbedingungen soll "auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung ( ... ) ermöglichen", d.h. die als ein Ziel anzustrebende475 Angleichung GrabitzlJansen, Art. 117 Rn. 3. GTE/Currall/Pipkom, Art. 117 Rn. 5. Vgl. dazu auch die Rspr. des Gerichtshofs zu Art. 119 EWGV, beispielsweise EuGH, Rs. 43/75 (Defrenne 11), Sig 1976,455 (473). 472 EuGH, ebd. 473 Ebd., 473. 474 So im Ergebnis auch GTElCu"aU/Pipkom, Art. 117 Rn. 21 f. Vgl. dazu auch die extensive Interpretation dieses Tatbestandsmerkmals durch die Hohe Behörde der EGKS, 7. Gesamtbericht der EGKS (1959), Ziff. 262. 47S GTE/Currall/Pipkom, ebd., Rn. 24. 470

471

372

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

soll nicht auf dem niedrigsten, sondern möglichst auf hohem sozialen Niveau erfolgen. 476 Bei einer inhaltlichen Betrachtung des Art. 117 EGV fällt weiter auf, daß sich die sozialpolitischen Zielsetzungen allein auf die Arbeitskräfte, d.h. auf aktiv am Wirtschaftsleben teilnehmende Personen, beziehen. 477 Aus der Verwendung des Begriffs" Arbeitskräfte" im Gegensatz zu dem in den Art. 48 ff. EGV verwendeten Begriff "Arbeitnehmer" ist zu schließen, daß alle Personen, die dem Arbeitsmarkt in der Gemeinschaft zur Verfügung stehen, d.h. auch Inländer und Drittstaatsangehörige, umfaßt sind. 478 Gleichzeitig liegt darin, daß sich die Vorschrift allein auf die am Wirtschaftsleben teilnehmenden Personen bezieht, im Vergleich zur nationalen Sozialpolitik eine Beschränkung. 479 Untersucht man schließlich, aufweIche Weise die in Art. 117 Abs. 1 EGV angestrebte Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen erreicht werden soll, ist auf Art. 117 Abs. 2 EGV abzustellen. Darin statuieren die Mitgliedstaaten ihre "Auffassung, daß sich eine solche Entwicklung sowohl aus dem eine Abstimmung der Sozialordnungen begünstigenden Wirken des Gemeinsamen Marktes als auch aus den in diesem Vertrag vorgesehenen Verfahren sowie aus der Angleichung ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften ergeben wird." Von der Errichtung des Gemeinsamen Marktes wird somit erwartet, daß sie von sich aus zu einer allmählichen Angleichung der Sozialordnungen führen wird. Außerdem wird auf die in diesem Vertrag vorgesehenen Verfahren verwiesen, womit sämtliche gemeinschaftsrechtliche Kompetenznormen mit Ausnahme der - ausdrücklich genannten - Kompetenzen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften angesprochen werden. Bereits aus dem - dynamisch zu verstehenden480 - Begriff der "Entwicklung" wird deutlich, daß hier ein zeitlich unbegrenzter Prozeß angesprochen ebd., Rn. 28. GrabitzlJansen, An. 117 Rn. 1. 478 Vgl. GTE/Cu"ali/Pipkom, An. 117 Rn. 18 f.; HandkommentarlHailbronner, An. 117 Rn. 3. Allerdings ist einzuräumen, daß die Terminologie des EG-Venrages insoweit nicht stets einheitlich ist, da beispielsweise in An. 100 a Abs. 2 EGV auch auf" Arbeitnehmer" verwiesen wird und davon erkennbar inländische Arbeitnehmer, Wanderarbeitnehmer und Arbeitnehmer aus Drittstaaten umfaßt sein sollen. 479 GrabitzlJansen, An. 117 Rn. 1. 480 GTE/Currali/Pipkom, An. 117 Rn. 32. 476 Dies., 477

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

373

ist, dessen ständiges Anliegen die Beseitigung von Rechtsgegensätzen ist, welche sich beim jeweilig erreichten Integrationsstand störend auf die Herstellung binnenmarktähnlicher Verhältnisse im Gemeinsamen Markt auswirken. 481 Damit steht der Inhalt des Art. 117 EGV mit den Maßnahmen, die zur Verwirklichung des durch ihn gesetzten Zieles getroffen wurden, in einem dialektischen Verhältnis: Er selbst gibt diesen Maßnahmen ihre inhaltliche Ausrichtung vor, hat also den Charakter einer Leitlinie für das Gemeinschaftshandeln, während gleichzeitig sein eigener Inhalt durch die getroffenen Maßnahmen fortlaufend konkretisiert wird. 482 b) Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen (Art. 118 EGV) Unter Zugrundelegung dieser im Hinblick auf die Auslegung von Art. 117 EGV gewonnenen Erkenntnisse ist Art. 118 EGV zu untersuchen. Welche Kompetenzen diese Vorschrift der Kommission verleiht, war seit Gründung der Gemeinschaft umstritten. 483 Das im Hinblick auf die Kommissionsentscheidung 85/381/EWG vom 8.7.1985 zur Einführung eines Mitteilungs- und Abstimmungsverfahrens über die Wanderungspolitik gegenüber Drittländem484 ergangene Urteil des Gerichtshofs485 bot diesem die Gelegenheit, sich eingehend mit dem Umfang der der Kommission durch Art. 118 EGV zugewiesenen Kompetenzen zu befassen. Zum Verständnis der Entscheidungsgründe des Urteils ist kurz auf den zugrundeliegenden Sachverhalt einzugehen. Die angefochtene, auf Art. 118 EGV gestützte Entscheidung der Kommission regelt ein Mitteilungs- und Abstimmungsverfahren über die Wanderungspolitik gegenüber Drittländern. Durch die Entscheidung sollte sichergestellt werden, daß die Mitgliedstaaten bei der Wanderungspolitik gegenüber Drittländern den gemeinsamen Politiken und den auf Gemeinschaftsebene durchgeführten Maßnahmen, vor allem im Rahmen der gemeinsamen Arbeitsmarktpolitik, Rechnung tragen, um deDies., ebd., Rn. 27. ebd., Rn. 16. 483 Vgl. dazu oben, 1. Teil, A.I.2., sowie ferner den Schlußantrag von GA Mancini in den verb. Rs. 281, 283 bis 285 und 287/85 (Wanderungspolitik), Sig. 1987,3221 ff. 484 ABI. L 217/25. 48S EuGH, verb. Rs. 281, 283 bis 285 und 287/85 (Wanderungspolitik), Sig. 1987,3203. 481

482 Dies.,

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3. Teil: Bilanz und Perspektiven

ren Ergebnisse nicht zu beeinträchtigen. 486 Zur Erreichung dieses Zwecks wurde vorgesehen, daß die Mitgliedstaaten die Kommission und andere Mitgliedstaaten rechtzeitig unterrichten über geplante nationale Maßnahmen gegenüber Arbeitnehmern aus Drittländern und ihren Familienangehörigen hinsichtlich Zuwanderung, Aufenthalt und Beschäftigung, und zwar auch, wenn diese illegal erfolgen, ferner hinsichtlich der Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung auf dem Gebiet der Lebens- und Arbeitsbedingungen, des Arbeitsentgelts und der wirtschaftsrechtlichen Ansprüche, der Förderung der beruflichen, sozialen und kulturellen Eingliederung und der freiwilligen Rückwanderung in das Herkunftsland (Art. 1). Auf Verlangen eines bzw. mehrerer Mitgliedstaaten und/oder der Kommission sollte auf das Mitteilungsverfahren ein Verfahren der Abstimmung folgen können (Art. 2). Ziel des Abstimmungsverfahrens war die Erleichterung der gegenseitigen Unterrichtung, um Fragen von gemeinsamem Interesse ermitteln zu können und dadurch die Annahme einer gemeinsamen Haltung der Mitgliedstaaten zu fördern sowie auch sicherzustellen, daß die nationalen Vorhaben, Abkommen und Vorschriften mit den Politiken und Maßnahmen der Gemeinschaft übereinstimmen. Letztlich sollte die Zweckmäßigkeit von Maßnahmen geprüft werden, um insbesondere Fortschritte in der Harmonisierung des nationalen Ausländerrechts zu erzielen (Art. 3). Die Kläger des vorliegenden Verfahrens - dies waren die Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Niederlande, Dänemark und das Vereinigte Königreich - machten u.a. geltend, die Art. 117 und 118 EWGV enthielten keine Rechtsgrundlagen für verbindliche Entscheidungen der Kommission, womit es der Kommission an der Zuständigkeit für den Erlaß der streitigen Entscheidung gefehlt habe. 487 Die in Art. 118 Abs. 2 EWGV aufgezählten Handlungsinstrumente der Kommission, bei denen es sich ausnahmslos um nicht verbindliche Instrumente handele, seien abschließend. 488 Keinesfalls könne die Kommission unter Berufung darauf, daß Art. 118 EWGV ihr eine bestimmte Aufgabe stelle und ihr dabei die Wahl der Mittel zur Verwirklichung überlasse, die Grenzen ihrer Zuständigkeit in Frage stellen. 489 Außerdem Dritter Erwigungsgrund der Entscheidung 85/381IEWG, ABI. L 217/25. Rs. 281, 283 bis 285 und 287/85 (Wanderungspolitik), Slg. 1987, 3203 (3209). 488 Ebd. 489 Ebd., 3210. 486

487 EuGH, verb.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

375

wurde darauf verwiesen, daß Fragen wie Zuwanderung, Aufenthalts- und Arbeitsbedingungen, die Eingliederung oder die Rückwanderung der aus Drittländern stammenden Arbeitnehmer keine von Art. 118 EWGV erfaßte Materie sei, sondern weit über den Geltungsbereich dieser Bestimmung hinausgehe. 490 Die Kommission bestritt das Vorbringen der Kläger und vertrat im Gegensatz dazu die Ansicht, aus Art. 118 EWGV werde deutlich, daß ihr diese Bestimmung eine echte Organisationsbefugnis verleihe. Auch sei ihr die freie Wahl der geeignetsten Mittel überlassen. 491 Mit ihrem Vorbringen konnten die Kläger nur einen - bescheidenen - Teilerfolg erringen. Die angefochtene Entscheidung wurde vom Gerichtshof nur insoweit für nichtig erklärt, als die Kommission nicht befugt war, den Gegenstand des Mitteilungs- und Abstimmungsverfahrens in Art. 1 auf Fragen der kulturellen Eingliederung der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen aus Drittländern auszudehnen und als Ziel der Abstimmung in Art. 3 festzulegen, die Übereinstimmung der geplanten nationalen Maßnahmen der Gemeinschaft sicherzustellen. Im übrigen wurden die Klagen abgewiesen. Auf die wesentlichen Entscheidungsgrunde wird im folgenden eingegangen. Der Gerichtshof stellte zunächst klar, daß die Wanderungspolitik der Mitgliedstaaten aufgrund ihres Einflusses auf den Arbeitsmarkt und auf die Arbeitsbedingungen in der Gemeinschaft für die gemeinschaftliche Sozialpolitik von Bedeutung sei. Somit weise die Wanderungspolitik gegenüber Drittländern einen Bezug zu sozialen Fragen auf, für die Art. 118 EWGV eine Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten vorsehe. 492 Allerdings ermächtige Art. 118 EWGV die Kommission nicht dazu, die Förderung der kulturellen Eingliederung allgemein in die Gegenstände der Konsultation einzubeziehen. Zum Umfang der auf die Kommission von Art. 118 EWGV übertragenen Kompetenzen führte der Gerichtshof aus, daß dann, wenn eine Bestimmung des EWG-Vertrages wie im vorliegenden Fall Art. 118 der Kommission eine bestimmte Aufgabe zuweise, davon auszugehen sei, daß sie ihr dadurch notwendigerweise auch die zur Erfüllung dieser Aufgabe unerläßlichen BefugnisEbd., 3211 f. Ebd., 3212. 492 Ebd., 3251 f. 490 491

376

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

se verleihe; denn andernfalls würde der Bestimmung jede praktische Wirksamkeit genommen. In diesem Sinn müsse Art. 118 Abs. 2 EWGV dahin gehend verstanden werden, daß er der Kommission alle zur Organisation der Konsultationen erforderlichen Befugnisse verleihe. 493 Im Ergebnis überzeugt diese vom Gerichtshof getroffene Auslegung trotz der an ihr geäußerten Kritik. 494 Die Ansicht, der Kommission werde zwar durch Art. 118 EGV eine Aufgabe zugewiesen, es sei aber weder notwendig noch unabdingbar, daß ihr demzufolge auch die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Befugnisse eingeräumt worden seien,495 ist bereits aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit zurückzuweisen. Ebensowenig ist zu befürchten, daß die Entscheidung die Kommission dazu ermutigen könnte, nunmehr weitreichendste Maßnahmen in all den Fällen vorzusehen, in denen einzelne Vertragsvorschriften ihr Aufgaben zuweisen. 496 Die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung des Art. 118 EGV besagt allein, daß die Kommission die ihr durch diese Vorschrift gestellte Aufgabe auch wirksam wahrnehmen können muß. Damit wird im Grunde genommen nur eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen, da sich ein jedes Organ einer beliebigen Institution dagegen wehren würde, daß ihm zwar Aufgaben übertragen, nicht aber die dazu erforderlichen Befugnisse eingeräumt werden. Festzustellen ist daher, daß Art. 118 EGV der Kommission zwar keine bedeutsamen materiell rechtlichen Befugnisse verleiht, die Vorschrift aber jedenfalls den Erlaß verbindlicher Rechtsakte zuläßt, durch welche die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, einander im sozialen Bereich unter Einschluß von in der Vorschrift nicht ausdrücklich genannten Bereichen zu konsultieren. 497 Ferner ist zu berücksichtigen, daß die Vorschrift mit den Worten "Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrags" beginnt, d.h. sozialpolitische Maßnahmen der Gemeinschaft - insbesondere des Rates - auch auf alle anderen, in Betracht kommenden Kompetenznormen gestützt werden können.

Ebd., 3253. Kritisch etwa Hartley, ELR 1988, 124 f.; Simmonds, 200. 495 So aber Hartley, ebd. 496 Diese Befürchtung äußert Hartley, ebd., 125. 497 GTE/Currall, Art. 118 Rn. 5. 493

494

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

377

c) Ergebnis Als Ergebnis läßt sich somit festhalten, daß die häufig anzutreffende Aussage, die Art. 117 und 118 EGV seien "programmatischer Natur" bzw. aus diesen beiden Vorschriften lasse sich erkennen, daß die Sozialpolitik in erster Linie Sache der Mitgliedstaaten sei, zu relativieren ist. Die Vorschrift des Art. 117 EGV gibt sowohl der Gemeinschaft als auch den Mitgliedstaaten Ziele vor, deren Verwirklichung anzustreben ist. Für die der Kommission durch Art. 118 EGV übertragene Aufgabe, eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen zu fördern, sind der Kommission die für die Aufgabenerfüllung unerläßlichen Befugnisse verliehen. Aus dem Wortlaut beider Vorschriften ist zu erkennen, daß sie den sozialen Bereich nicht abschließend behandeln. Dies ergibt sich für Art. 117 Abs. 2 EGV daraus, daß auf die "in diesem Vertrag vorgesehenen Verfahren" und auf die "Angleichung ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften " verwiesen wird. Für Art. 118 EGV ist dies daraus zu schließen, daß der Wortlaut der Vorschriften mit "Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrags" beginnt. Demnach können sozialpolitische Maßnahmen der Gemeinschaft auf alle anderen Rechtsgrundlagen im Vertrag gestützt werden, falls die Voraussetzungen für deren Heranziehung vorliegen,498 wobei insbesondere an die Art. 6 EGV (Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit), 48 ff. EGV (Freizügigkeit und soziale Sicherheit der Arbeitnehmer), 118 a EGV (Schutz der Sicherheit und der Gesundheit von Arbeitnehmern), Art. 100 ff. EGV (Angleichung der Rechtsvorschriften) sowie die subsidiäre Kompetenznorm des Art. 235 EGV zu denken ist. 111. Die Bedeutung allgemeiner Kompetenznormen für den sozialen Bereich

Den Gegensatz zu speziellen Kompetenznormen, die allein das jeweilige Sachgebiet betreffen, bilden allgemeine Kompetenznormen wie die gemeinschaftlichen Kompetenzen zur Angleichung der Rechtsvorschriften (Art. 100 ff. EGV) und die subsidiäre Kompetenznorm des Art. 235 EGV, auf deren Stellung im Gesamtgefüge des Vertrages bereits eingegangen wurde. 499 Der 498

GTE/Currall, ebd.; vgl. auch Schwanz, FS Walter Hallstein, 484.

499 Dazu oben, B.I.l.d.

378

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Bedeutung von allgemeinen Kompetenznormen für den sozialen Bereich, die im Schrifttum immer wieder hervorgehoben wurde,500 wird im folgenden nachgegangen.

1. Die Bedeutung der Kompetenzen zur Angleichung der Rechtsvorschriften (Art. 100 ff. EGV) Ein wichtiges Instrument, um nationale Rechtsunterschiede, die sich als Hindernis des Gemeinsamen Marktes erweisen, sachbezogen abzubauen und eine der Aufgabenverwirklichung der Gemeinschaft förderliche Lösung zu fmden, ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, im folgenden auch Rechtsangleichung genannt (Art. 100 ff. EGV).501 Inhaltlich bedeutet Rechtsangleichung die Ersetzung verschiedener einzelstaatlicher Politiken durch eine Gemeinschaftspolitik. 502 Für den sozialen Bereich ist eine Untersuchung der Vorschriften zur Rechtsangleichung vor allem aus zwei Gründen von besonderer Bedeutung. Erstens ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 117 Abs. 2 EGV, daß die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften ausdrücklich als eine der möglichen Ursachen für den sozialen Fortschritt angesehen wird. 503 Zweitens sind zahlreiche der im sozialen Bereich erlassenen Richtlinien auf Art. 100 EWGV gestützt. 504 a) Art. 100 EGV Zum Erlaß von Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken, wird der Rat durch Art. 100 EGV ermächtigt. Danach entscheidet er einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des EP und des WSA. Dieses Verfahren wird für Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Vgl. statt aller Buchner, FS Anwn Rauscher, 192. HandkommentarlKlein, Art. 100 Rn. 1. SOl GTEITaschner, Art. 100 Rn. 5. SOl So auch Schwa111., FS Walter Hallstein, 484. S04 Vgl. dazu oben, 1. Teil, C.m.3.a.cc. und C.m.4.

SOG SOl

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

379

Binnenmarktes zum Gegenstand haben, durch Art. 100 a EGV dahin gehend vereinfacht, daß der Rat gemäß dem Verfahren des Art. 189 b EGV und nach Anhörung des WSA Maßnahmen erläßt, d.h. der Rat entscheidet mit qualifizierter Mehrheit. Allerdings sieht Art. 100 a Abs. 2 EGV eine Bereichsausnahme vor für Steuern, Bestimmungen über die Freizügigkeit und Bestimmungen über die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer. Da Art. 100 EGV als Generalklausel der Rechtsangleichung nicht auf ein Sachgebiet begrenzt ist, sondern nur funktional in der Weise beschränkt wird, daß eine beabsichtigte Rechtsangleichung sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken muß,505 ermächtigt diese Kompetenznorm zu Angleichungsmaßnahmen über den unmittelbaren wirtschaftlichen Bereich hinaus, beispielsweise zu Angleichungsmaßnahmen auf sozialpolitischem Gebiet, wenn nur der Bezug zum Gemeinsamen Markt erhalten bleibt. 506 Deutlich hat dies der Gerichtshof ausgesprochen, der im Hinblick auf die Auslegung von Art. 119 EWGV erklärte: "Da Art. 119 EWGV nicht ausdrücklich auf die Rolle hinweist, welche die Gemeinschaft etwa bei der Durchführung der Sozialpolitik zu spielen hat, muß auf das allgemeine System des Vertrages und auf die Mittel abgestellt werden, die er in den Artikeln 100, 155 und unter Umständen 235 bereit hält. "507 Der Rückgriff auf Art. 100 EWGV zur Verfolgung sozialpolitischer Ziele ist vom Gerichtshof in späteren Entscheidungen - implizit - gebilligt worden. 508 b) Art. 100 a EGV Es stellt sich die Frage, ob - und wenn ja inwieweit - Art. 100 a EGV als Rechtsgrundlage für Maßnahmen im sozialen Bereich herangezogen werden kann. Diese Frage erscheint deshalb problematisch, weil die Vorschrift in ihrem Abs. 2 eine Bereichsausnahme u.a. für die Freizügigkeit und die Bestim-

27.

sos Handkommentar/Klein, Art. 100 Rn. 3; GTE/Taschner, Art. 100 Rn. 28. S06 Handkommentar/Klein, ebd., Rn. 10. Zweifelnd noch GrabitzJLangeheine, Art. Sf17

S08

EuGH, Rs. 43/15 (Defrenne 11), Slg. 1976, 455 (479). Vgl. dazu EuGH, Rs. 91/81 (Kommission/Italien), Slg. 1982, 2133 (2140).

100 Rn.

380

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

mungen über die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer enthält. Die - auf den ersten Blick leicht mögliche - Annahme, durch die Bereichsausnahme fielen nahezu alle sozialen Fragestellungen aus dem Anwendungsbereich des Art. 100 a EGV heraus, überzeugt bei näherer Betrachtung nicht. Ihr widerspricht bei genauerer Analyse das Tatbestandsmerkmal "Rechte und Interessen der Arbeitnehmer" . Zwar scheint das Tatbestandsmerkmal "Rechte und Interessen der Arbeitnehmer" nach seinem Wortlaut auf den ersten Blick weit auszulegen zu sein. 509 Hiergegen spricht aber bei genauerer Prüfung die systematische Auslegung. Zunächst ist darauf zu verweisen, daß Art. 100 a Abs. 2 EGV eine Ausnahmevorschrift darstellt und bereits aus diesem Grund eng auszulegen ist. 510 Weiterhin ist den übrigen Absätzen des Art. 100 a EGV bei der Auslegung Rechnung zu tragen. Sie sehen u.a. vor, daß die Kommission in ihren Vorschlägen nach Absatz 1 in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit von einem hohen Schutzniveau ausgeht (Art. 100 a Abs. 3 EGV). Zudem ist eine Mitteilungspflicht für denjenigen Mitgliedstaat vorgesehen, der es nach dem Erlaß einer Harmonisierungsmaßnahme durch den Rat für erforderlich hält, einzelstaatliche Bestimmungen anzuwenden, die u.a. durch wichtige Erfordernisse in bezug auf den Schutz der Arbeitsumwelt gerechtfertigt sein können (Art. 100 a Abs. 4 EGV). Berücksichtigt man daher den Wortlaut von Art. 100 a Abs. 3 und 4 EGV, zeigt sich, daß Maßnahmen nach Art. 100 a Abs. 1 EGV Auswirkungen auf den Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer haben können, da andernfalls insbesondere die Verwendung des Begriffs der" Arbeitsumwelt" in Art. 100 a Abs. 4 EGV unverständlich wäre. 511 Demnach verbietet sich eine weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Rechte und Interessen der Arbeitnehmer" . Aus diesen Erwägungen folgt, daß der politisch kontroverse und daher sensible Bereich der Rechte und Interessen der Arbeitnehmer - soweit er nicht lediglich Fragen des Sicherheits- und Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer betrifft - allein dann Gegenstand gemeinschaftlicher Rechtsetzung werden soll, wenn ein die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes besteS09 So wohl HandkommentarlKlein, Art. 100 a Rn. 5, und GrabitzlLangeheine, Art. 100 a Rn. 31. 510 Vgl. dazu EuGH, Rs. 41/74 (Von Duyn), Slg. 1974, 1337 (1350). 511 Vgl. dazu GTElPipkom, Art. 100 a Rn. 60. Zur Abgrenzung des Art. 100 a EGV von Art. 118 a EGV vgl. oben, 2. Teil, A.1.1.c.aa.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

381

hendes Gefälle des Schutmiveaus festzustellen ist. 512 Aufgrund der Bereichsausnahme in Art. 100 a Abs. 2 EGV können diesbezügliche Regelungen nicht nach dem in dieser Vorschrift vorgesehenen vereinfachten Verfahren, sondern nur aufgrund einstimmiger Ratsentscheidung gem. Art. 100 EGV erlassen werden. 513

2. Die Bedeutung der subsidiären Kompetenznorm des Art. 235 EGV Bereits eingangs der vorliegenden Arbeit wurde darauf hingewiesen, daß die auf der Pariser Gipfelkonferenz 1972 versammelten Staats- und Regierungschefs dazu aufgefordert hatten, im sozialen Bereich stärker als bisher von der subsidiären Kompetenznorm des Art. 235 EWGV Gebrauch zu machen. 514 Gestützt auf diese Vorschrift wurden in der Folgezeit verschiedene im sozialen Bereich tätige Institutionen errichtet. Ferner bezeichnen zahlreiche, für den sozialen Bereich bedeutsame Rechtsakte die Vorschrift des Art. 235 EWGV entweder allein oder aber zusammen mit einer weiteren Vertragsvorschrift als Rechtsgrundlage. a) Gründung von Institutionen Für den sozialen Bereich bedeutsam sind das im Jahre 1975 gegründete Europäische Zentrum für die Förderung der Berufsbildung, 515 die im gleichen Jahre gegründete Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen516 sowie die zur Unterstützung der Reformbestrebungen der mittel- und osteuropäischen Länder im Jahre 1990 errichtete Europäische Stiftung für Berufsbildung. 517 Die genannten Institutionen genießen in allen Mit512 Vgl. GTE/Pipkom, Art. 100 a Rn. 62.

513 Ders., ebd.

514 Vgl. dazu Abschnitt 15 der Schlußerldärung, Bull. EG 10-1972, 24.

515 S. dazu VO (EWG) Nr. 337/75 des Rates vom 10.2.1975, ABI. L 39/1; geändert durch VO (EWG) Nr. 1946/93 vom 30.9.1993, ABI. L 181/11. Zu Organisation und Aufgaben des Zentrums vgl. oben, 1. Teil, C.IV.2. 516 S. dazu VO (EWG) Nr. 1365/75 vom 26.5.1975, ABI. L 139/1; geändert durch VO (EWG) Nr. 1947/93 vom 30.6.1993, ABI. L 181/13. Zu Organisation und Aufgaben der Stifnmg vgl. oben, 1. Teil, C.IV.3. 517 S. dazu VO (EWG) Nr. 1360/90 vom 7.5.1990, ABI. L 131/1. Zu Organisation und Aufgaben der Stiftung vgl. oben, 1. Teil, C.IV.4.

382

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

gliedstaaten die weitestgehende Rechts- und Geschäftsfähigkeit, die juristischen Personen zuerkannt wird. 518 Dies wirft die Frage auf, ob die Schaffung rechtsfähiger Einrichtungen von der gewählten Rechtsgrundlage des Art. 235 EWGV gedeckt ist. Betrachtet man das Gesamtgefüge des EG-Vertrages, ergibt sich, daß der Vertrag sowohl die Schaffung selbständiger Institutionen519 als auch nichtselbständiger Institutionen520 vorsieht. Eine Befugnis des Rates zur Schaffung von (zusätzlichen) Einrichtungen ergibt sich - implizit - aus Art. 177 Abs. 1 Buchst. c EGV, wonach der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Satzungen der durch den Rat geschaffenen Einrichtungen entscheidet, soweit diese Satzungen dies vorsehen. Aus der Tatsache, daß die genannte Vorschrift von Satzungen der Einrichtungen spricht, kann geschlossen werden, daß bei den zu gründenden Einrichtungen von einer gewissen Selbständigkeit ausgegangen wird. 521 Demnach läßt die Fassung des Art. 177 Abs. 1 Buchst. c EGV und das Vertrautsein des EG-Vertrages sowohl mit rechtsfähigen als auch mit nicht-rechtsfähigen Einrichtungen auf eine Befugnis des Rates zur Schaffung rechtsfähiger Einrichtungen nach Art. 235 EGV schließen. b) Erlaß von Rechtsakten Im sozialen Bereich wurde Art. 235 EWGV in der Vergangenheit häufig als Rechtsgrundlage für Maßnahmen unterschiedlichster Art herangezogen. Hervorzuheben sind insbesondere Maßnahmen auf den Gebieten des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung522 und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz,523 der Gleichbehandlung von Männem und Frauen im 518 Vgl. Art. 1 VO (EWO) Nr. 337175, ABI. L 39/1; Art. 4 Abs. 1 VO (EWO) Nr. 1365175, ABI. L 139/1; Art. 4 Abs. 1 VO (EWO) Nr. 1360/90, ABI. L 131/1. 519 So kommen der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Investitionsbank Rechtspersänlichkeit zu, s. Art. 106 und 198 d EOV. 520 Um nicht-rechtsfähige Einrichtungen handelt es sich etwa beim WSA (Art. 193 ff. EOV) und dem Ausschuß der Regionen (Art. 198 a ff. EOV). 521 OTE/Schwanz, Art. 235 Rn. 181. 522 Vgl. dazu die RL 77/31Z/EWO über die biologische Überwachung der Bevölkerung auf Gefährdung durch Blei, ABI. L 105/10. 523 Vgl. dazu die RL 82/501/EWO über die Gefahren schwerer Unfälle bei bestimmten Industrietätigkeiten, ABI. L 230/1, sowie den Beschluß des Rates 91/388/EWO über ein Aktionspro-

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

383

Erwerbsleben,524 der Gewährung eines allgemeinen Aufenthaltsrechts52S und der Förderung benachteiligter Gruppen. 526 Daneben wurden weitere Maßnahmen getroffen, etwa die Gewährung von Beihilfen527 oder außerordentlichen Finanzhilfen,528 der Erlaß von Empfehlungen zum sozialen Schutz der freiwilligen Entwicklungshelfer529 und zur Kinderbetreuung, 530 die Förderung des Austauschs junger Arbeitskräfte innerhalb der Gemeinschaft531 sowie die Durchführung von Aktionsprogrammen, beispielsweise von COMEIP32 und Jugend für Europa. 533 Insoweit bildete Art. 235 EWGV größtenteils die einzige - Rechtsgrundlage der getroffenen Maßnahmen, in bestimmten Fällen wurden allerdings weitere Kompetenmormen herangezogen, insbesondere die Kompetenmormen der Art. 100 und 128 EWGV.534

gramm zum Europäischen Jahr für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, ABI. L 214177. 524 Vgl. dazu die RL 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABI. L 39/40; RL 7917/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Minnern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit, ABI. L 6/24 (1978); RL 86/378/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit, ABI. L 225/40, sowie die Empfehlung 84/635/EWG zur Förderung positiver Maßnahmen für Frauen, ABI. L 331/34. 52S Vgl. dazu die RL 9O/365/EWG über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätigen, ABI. L 180/28, und die RL 9O/364/EWG über das Aufenthaltsrecht, ABI. L 180/26. 526 Vgl. dazu etwa für Behinderte die Empfehlung 861379/EWG zur Beschäftigung von Behinderten in der Gemeinschaft, ABI. L 225/43, und den Beschluß 93/136/EWG über ein drittes Aktionsprogramm der Gemeinschaft zugunsten der Behinderten (HELIOS H 1993-1996), ABI. L 56/30; für verarmte Personen den Beschluß 85/8/EWG über gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut auf Gemeinschaftsebene, ABI. L 2/24; für ältere Menschen den Beschluß 92/440/EWG des Rates über die Veranstaltung des Europäischen Jahres der Alteren Menschen und der Solidargemeinschaft, ABI. L 245/43. 527 Vgl. dazu die Entscheidung 661740/EWG über eine Gemeinschaftsbeihilfe für die Italienische Republik zur Unterstützung entlassener Arbeitnehmer des Schwefelbergbaus und zur Zahlung von Ausbildungsbeihilfen für die Kinder der Arbeitnehmer, ABI. 1966 S. 4168. 52S Vgl. dazu etwa die Beschlüsse 82/164/EWG, ABI. L 74/27; 82/652/EWG, ABI. L 277/13; 84/384/EWG, ABI. L 208/55; 84/541/EGKS, EWG, ABI. L 291/38. 529 Empfehlung 85/308/EWG, ABI. L 163/48. 530 Empfehlung 92/241/EWG, ABI. L 123/16. 531 Vgl. dazu etwa den Beschluß 84/636/EWG, ABI. L 331/36. 532 S. dazu die Beschlüsse 86/365/EWG, ABI. L 222/17, und 89/27/EWG, ABI. L 13/28. 533 Beschluß 91/395/EWG, ABI. L 217/25. 534 P~r früher geltende Art. 128 EWGV ist nunmehr hinfällig. Zu Wortlaut und Inhalt dieser Vorschrift vgl. oben, B.U.7.

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3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Ein großer Teil der getroffenen Maßnahmen wurde durch die von Art. 189 EGV vorgesehenen förmlichen Rechtsakte erlassen, darunter Richtlinien, Entscheidungen und Empfehlungen. Teilweise wurden jedoch auch andere Handlungsformen, insbesondere Ratsbeschlüsse, gewählt. IV. Grenzen einer gemeinschaftlichen Kompetenzausübung im sozialen Bereich

Die vorstehenden Ausführungen zu den speziellen Kompetenzzuweisungen im sozialen Bereich und zur Bedeutung allgemeiner Kompetenzvorschriften für den sozialen Bereich haben gezeigt, daß die der Gemeinschaft auf diesem Gebiet eingeräumten Kompetenzen angesichts umfassender Ziel- und AufgabensteIlungen weitreichend sind. Diese Feststellung wirft die weitergehende Frage nach den Grenzen gemeinschaftlicher Kompetenzausübung im sozialen Bereich auf. Derartige Grenzen einer gemeinschaftlichen Kompetenzausübung im sozialen Bereich könnten sich zunächst aus Vorschriften ergeben, die spezielle Kompetenzzuweisungen im sozialen Bereich enthalten (1.), weiterhin aus sonstigen Vertragsvorschriften, die die gemeinschaftliche Kompetenzausübung begrenzen (2.), ferner aus Grundrechten einzelner (3.) sowie schließlich aus allgemeinen Prinzipien, die für das Gemeinschaftsrecht Geltung beanspruchen (4.).

1. Beschränkung durch Vorschriften, die spezielle Kompetenzzuweisungen im sozialen Bereich enthalten Soweit spezielle Kompetenzzuweisungen im sozialen Bereich bestimmte, klar abgrenzbare Sachverhalte wie etwa die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 48 ff. EGV) oder den Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer (Art. 118 a EGV) regeln, können hieraus keine Folgerungen für ein Vorhandensein von Grenzen der gemeinschaftlichen Kompetenzausübung im sozialen Bereich abgeleitet werden, da insoweit keine allgemeinen Aussagen zur Kompetenzzuweisung im sozialen Bereich getroffen werden.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

385

Etwas anderes könnte für die Vorschriften der Art. 117 und 118 EGV, die sich auf die Abstimmung der Sozialordnungen und die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen beziehen,535 gelten. Wie bereits im Hinblick auf Art. 117 EGV dargelegt wurde, wird aus dem dynamisch zu verstehenden Begriff der "Entwicklung" deutlich, daß die Vorschrift einen zeitlich unbegrenzten Prozeß anspricht, dessen ständiges Anliegen die Beseitigung von Rechtsgegensätzen ist, welche sich beim jeweilig erreichten Integrationsstand störend auf die Herstellung binnenmarktähnlicher Verhältnisse im Gemeinsamen Markt auswirken. 536 Auch auf das dialektische Verhältnis des Inhalts von Art. 117 EGV mit den getroffenen Maßnahmen wurde schon hingewiesen. Danach gibt die Vorschrift diesen Maßnahmen ihre inhaltliche Ausrichtung vor, während ihr eigener Inhalt gleichzeitig durch die getroffenen Maßnahmen fortlaufend konkretisiert wird. 537 Aus dieser Ausgestaltung des Art. 117 EGV, dessen Inhalt ständigem Wandel unterliegt, folgt, daß eine solche Vertragsvorschrift für ihren Anwendungsbereich keine Grenzen enthalten kann, die die Gemeinschaft bei ihrer Kompetenzausübung in einer bestimmten Weise beschränken könnten. Als weiteres Argument dafür, daß Art. 117 EGV die gemeinschaftliche Kompetenzausübung im sozialen Bereich nicht zu begrenzen vermag, ist der Wortlaut der Vorschrift anzuführen, deren Abs. 2 auf die "in diesem Vertrag vorgesehenen Verfahren" und die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten verweist. Auch hieraus läßt sich erkennen, daß Art. 117 EGV keine den sozialen Bereich begrenzende Regelung darstellen soll. Das letztere, auf den Wortlaut abstellende Argument läßt sich gleichermaßen für Art. 118 EGV anführen, dessen Wortlaut mit der Formulierung "Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrages ... " beginnt, so daß auch insoweit nicht angenommen werden kann, daß diese Vorschrift eine abschließende und kompetenzbegrenzende Funktion innehat.

S3S S36 S37

Zur Auslegung beider Vorschriften vgl. oben, B.ll.8.a. und b. Vgl. oben, B.ll.8.a. Ebd.

2SKuhn

386

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

2. Beschränkung durch sonstige Vertragsvorschriften Angesichts der der EG in Art. 2 EGV gestellten - weitgefaßten - Aufgabe und unter Berücksichtigung der weitreichenden Aufgaben- und Zielbestimmungen538 läßt sich bei den sonstigen, nicht speziell den sozialen Bereich betreffenden Vertragsvorschriften keine Grenze einer gemeinschaftlichen Tätigkeit anführen.

3. Beachtung der Grundrechte Als eine Grenze jeder Gemeinschaftstätigkeit - und damit auch für den sozialen Bereich - ist die Beachtung der Grundrechte der Unionsbürger und sonstiger in der Gemeinschaft lebender Personen zu nennen. Darauf, daß die Gemeinschaft an die Grundrechte einzelner gebunden ist, wurde bereits hingewiesen. 539 Für die Tätigkeit der Gemeinschaft im sozialen Bereich ist in erster Linie an die Grundrechte von zwei - gegensätzliche Interessen verfolgende - Personengruppen zu denken: die Grundrechte der Arbeitnehmer und die Grundrechte der Arbeitgeber. Zwar können im Einzelfall die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern - wenn auch aus unterschiedlicher Motivation heraus - parallel liegen. Ein Beispiel hierfür ist der Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, bei dem die Motivation der Arbeitnehmer in erster Linie in der Aufrechterhaltung ihrer Gesundheit liegen wird, während die Motivation der Arbeitgeber wohl eher als ein Motivbündel anzusehen sein wird (u.a. Arbeitskräfteeinsatz und Vermeidung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall). Häufiger werden aber die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern auseinandergehen, etwa auf den Gebieten klassischer arbeitsrechtlicher Fragen wie sie beispielsweise Löhne oder Mitbestimmung darstellen. Insoweit muß die Gemeinschaft - wie auch jeder Mitgliedstaat - zwischen den gegensätzlichen grundrechtsrelevanten Positionen einen akzeptablen Ausgleich fmden, wenn sie nicht Grundrechte einzelner verletzen will.

538 539

Dazu oben, B.I.1.b.cc. Vgl. oben, B.I.2.a.aa.

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

387

Neben Arbeitnehmern und Arbeitgebern kommen ferner alle anderen Personen als Träger von Grundrechten in Betracht, beispielsweise Wanderarbeitnehmer , Niederlassungs- und Dienstleistungsberechtigte, Familienangehörige von Wanderarbeitnehmern und Niederlassungsberechtigten, sich in der Berufsausbildung befmdende Personen sowie auch sonstige Personen, die vom Anwendungsbereich des Vertrages erfaßt werden. Um keine Grundrechtsverletzungen einzelner in Kauf zu nehmen, die vor dem Gerichtshof geltend gemacht werden können, müssen die Gemeinschaftsorgane daher vor jedem Tätigwerden verschiedene Fragen klären. Zunächst ist zu prüfen, in welchem Umfang die in Aussicht genommenen Maßnahmen Grundrechte einzelner betreffen könnten. Schwieriger als die Beantwortung dieser Frage wird regelmäßig die darauffolgende Prüfung sein, ob die betroffenen Grundrechte selbst Schranken unterliegen und - gegebenenfalls - wie weit diese Schranken reichen. 54O Ist zweifelhaft, ob eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift Grundrechte verletzt, weil sie auf unterschiedliche Art und Weise ausgelegt werden kann, ist der grundrechtskonformen Auslegung der Vorzug zu geben. 541

4. Beschränkung durch allgemeine Prinzipien An allgemeinen Prinzipien, die die Gemeinschaftstätigkeit im sozialen Bereich begrenzen könnten, sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (a.), der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten (b.) und das Subsidiaritätsprinzip (c.) zu nennen. a) Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Nach dem - inhaltlich mit dem der deutschen Rechtsordnung vergleichbaren542 - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der einen allgemeinen Rechtsgrundsatz der Gemeinschaft darstellt,543 ist eine Maßnahme nur dann rechtS40

Vgl. dazu EuGH, Rs.

1979, 3727 (3746 ff.).

4/73

(Nold), Sig.

1974, 491 (507

f.); Rs.

44/79

(Hauer), Sig.

Vgl. dazu BuGH, verb. Rs. 46/87 und 227/88 (Hoechst), Sig. 1989,2859 (2923). Vgl. dazu Niedobitek, 226, m.w.N. 543 EuGH, verb. Rs. 41, 121 und 796/79 (Testa), Sig. 1980, 1979 (1997). 541

542

388

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

mäßig, wenn sie zur Erreichung der zulässigerweise mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist. Stehen mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl, um Gemeinschaftsinteressen der EG durchzusetzen, ist die am wenigsten belastende zu wählen, andernfalls überschreitet die EG die ihr zugewiesene Kompetenz und die Maßnahme ist schon aus diesem Grund rechtswidrig. 544 Zudem müssen die auferlegten Belastungen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen. 545 Besondere Bedeutung kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im sozialen Bereich in bezug auf den Grundrechtsschutz einzelner zu. 546 b) Beachtung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten Der Gerichtshof entnimmt dem Gemeinschaftsrecht den Grundsatz, daß "den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen gegenseitige Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit obliegen" .547 Die primärrechtliche Verankerung dieses Grundsatzes sieht der Gerichtshof in Art. 5 EGV. 548 Für den sozialen Bereich muß dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten eine besondere Bedeutung schon deshalb zukommen, weil gemeinschaftliche Maßnahmen im sozialen Bereich auf - derzeit zwölf - komplexe innerstaatliche Rechtssysteme treffen, die historisch gewachsen und den ihnen unterstehenden einzelnen vertraut sind. Eingriffe in diese Systeme, die schon in den einzelnen Mitgliedstaaten kontroverse Diskussionen hervorrufen - erinnert sei an dieser Stelle nur an die in der Bundesrepublik Deutschland geführte Diskussion um die Einführung einer Pflegeversicherung -, können daher nur mit äußerster Vorsicht und unter Abwägung aller sich daraus ergebenden Folgen geschehen.

EuGH, Rs. 265/87 (Schräder), Slg. 1989,2237 (2269); Bleckmann, NVwZ 1993, 826 f. EuGH, Rs. 265/87 (Schräder), ebd. S46 Vgl. dazu Gornig / Trüe, 940. 547 EuGH, Rs. 94/87 (KommilsionlDeUlschlmul), Slg. 1989, 175 (192); Rs. 230/81 (Luxemburg/Parlament), Slg. 1983,255 (287). S48 Ebd. S44

54S

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

389

c) Beachtung des Subsidiaritätsprinzips Die insbesondere seit Ende der achtziger Jahre diskutierte Frage, ob auch das Subsidiaritätsprinzip ein die Gemeinschaftstätigkeit begrenzender allgemeiner Grundsatz sein kann, ist im Schrifttum sehr unterschiedlich gesehen worden. 549 Im Hinblick auf die Aufnahme des Prinzips in Art. 3 b EGV und die in diesem Zusammenhang bereits erfolgten Ausführungen550 wird, da diesbezügliche Kontroversen nunmehr als obsolet zu betrachten sind, an dieser Stelle auf die Problematik der Beachtung des Subsidiaritätsprinzips lediglich hingewiesen. V. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

Zur Beantwortung der Frage, ob der Gemeinschaft Kompetenzen zur Regelung eines Sachverhalts im sozialen Bereich eingeräumt sind, müssen die einzelnen Kompetenznormen des Vertrages genau untersucht werden. Neben speziellen Kompetenzzuweisungen an die Gemeinschaft im sozialen Bereich können allgemeine Kompetenznormen als Rechtsgrundlage für ein Handeln im sozialen Bereich herangezogen werden, insbesondere die Kompetenzen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften (Art. 100 ff. EGV) und - angesichts der weitgefaßten Ziele der Gemeinschaft - die subsidiäre Kompetenznorm des Art. 235 EGV. In bezug auf die Grundfreiheit der Freizügigkeit und sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer (Art. 48 ff. EGV) läßt sich feststellen, daß diese durch Primär- und Sekundärrecht sowie die Rechtsprechung des Gerichtshofs detailliert ausgestaltet worden ist. Auf Gemeinschaftsebene wird damit ein umfassender Schutz der Wanderarbeitnehmer gewährleistet, der vom Gleichbehandlungsgebot und vom MeistbegüDstigungsgrundsatz bestimmt ist. 5049 Für die Geltung des Subsidiaritätsprinzips im Gemeinschaftsrecht haben sich etwa ausgesprochen Kahl, 416; J. B6hm, 546; Buchner, FS Anton Rauscher, 199; Pechstein, DÖV 1991, 537; Mäder, ZFSH/SGB 1991, 409; S.U. Pieper, DVBI. 1993,707 f.; Hailbronner, JZ 1990, 153; VerLoren van Themaat, 316; Jacque / Weiler, RTDE 1990, 453; gegen die Geltung des Subsidiaritätsprinzips indessen Watson, CMLR 1993, 495; Baetge, 712 f.; Niedobitek, 235 f.; Stewing, DVBI. 1992, 1517; Zuleeg, DVBI. 1992, 1333; Blanke, 138; Eiselstein, 22; Faber, 1134; Heintzen, 322; wohl auch Oppermann / Classen, 8, und Bieback, Deutsche Rentenversicherung 1194, 25. sso Dazu oben, 1. Teil, B.V.

390

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Im Hinblick auf den in Art. 119 EGV enthaltenen Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, der vom Gemeinschaftsrecht praktisch durch eine auf Art. 100 EWGV gestützte Richtlinie "umgesetzt" worden ist, und die weiteren Maßnahmen der Gemeinschaft in bezug auf eine umfassende Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsprozeß hat das Gemeinschaftsrecht Maßstäbe gesetzt, die auf die Entwicklung des nationalen Rechts großen Einfluß ausgeübt haben. Seit der durch die EEA erfolgten Einfügung des Art. 118 a in den EWGVertrag wird die Gemeinschaft in immer stärkerem Maße zu einem "Schrittmacher" auf dem Gebiet des Sicherheits- und Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer. Durch den Erlaß von Mindestvorschriften, die von einzelnen Mitgliedstaaten nicht unterschritten werden dürfen, die aber den Mitgliedstaaten Raum für einen darüber hinausgehenden Schutz der Arbeitnehmer lassen, werden auf einem als unpolitisch erachteten Gebiet schrittweise die Lebensund Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte verbessert. Kompetenzen der Gemeinschaft bestehen weiterhin auf dem Gebiet der Berufsausbildung. Von Bedeutung sind einerseits die der Gemeinschaft nunmehr durch die Art. 126 und 127 EGV eingeräumten Kompetenzen auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung und andererseits der durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistete Zugang einzelner Unionsbücger zum Berufsausbildungssystem eines anderen Mitgliedstaats. Die den Kern der Aussagen über die gemeinschaftliche Sozialpolitik im Kapitel Sozialvorschriften des EG-Vertrages bildenden Art. 117 und 118 EGV haben zwar im wesentlichen programmatischen Charakter, können aber im Einzelfall als Handlungsermächtigung in Betracht kommen. Insbesondere sind der Kommission für die ihr durch Art. 118 EGV übertragene Aufgabe, eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen zu fördern, die für die Aufgabenerfüllung unerläßlichen Befugnisse verliehen. Von wesentlicher Bedeutung für den sozialen Bereich haben sich allgemeine Kompetenznormen erwiesen, nämlich einerseits die Kompetenzen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften (Art. 100 ff. EGV) und andererseits die subsidiäre Kompetenznorm des Art. 235 EGV. Auf dem Wege der Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften (Art. 100 ff. EGV) sind verschiedene im Arbeitsleben auftretende bzw. mög-

B. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im sozialen Bereich

391

liehe Fallgestaltungen zum Gegenstand gemeinschaftlicher Regelungen geworden. Erinnert sei hier etwa an die Richtlinien des Rates zum Schutz vor Massenentlassungen,551 beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen, 552 vor Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers553 sowie über die Informationspflichten des Arbeitgebers im Hinblick auf den Arbeitsvertrag. 554 Die herausragende Bedeutung des Art. 235 EGV für den sozialen Bereich folgt aus dem Vorhandensein weitgefaßter Ziele in einzelnen Vorschriften des EG-Vertrages sowie in dessen Präambel. Um im sozialen Bereich tätig zu werden, wurde vielfach auf die subsidiäre Kompetenznorm des Art. 235 EGV zurückgegriffen, etwa zur Schaffung rechtsfähiger Einrichtungen wie auch zum Erlaß einzelner Rechtsakte. Da Art. 235 EGV für Maßnahmen unterschiedlichster Art als Rechtsgrundlage herangezogen werden kann, ist zu erwarten, daß die Vorschrift auch zukünftig für den sozialen Bereich von großer Bedeutung sein wird, vorausgesetzt, die für die Beschlußfassung des Rates erforderliche Einstimmigkeit kann erzielt werden. Grenzen einer gemeinschaftlichen Kompetenzausübung im sozialen Bereich sind aus den Vertragsvorschriften, insbesondere auch aus Art. 117 und 118 EGV, nicht abzuleiten. Sie folgen aus der Beachtung der Grundrechte einzelner Unionsbürger und sonstiger in der Gemeinschaft lebender Personen, ferner aus allgemeinen Prinzipien wie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten und dem - nunmehr in Art. 3 b EGV verankerten - Subsidiaritätsprinzip.

551

RL 75/1291EWG, ABI. L 48129; geänden durch RL 92/561EWG vom 24.6.1992, ABI.

L 245/3.

RL 77/1871EWG, ABI. L 61/26. RL 80/9871EWG, ABI. L 283/23. 5S4 RL 9115331EWG, ABI. L 288/32.

552 55)

392

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

c. Das Protokoll über die Sozialpolitik mit dem darin

enthaltenenen Abkommen der Elf als weiterer. Schritt auf dem Wege zur Errichtung einer Europäischen Sozialunion Die im sozialen Bereich durch die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer eingeleitete Entwicklung, die zeigt, daß sich lediglich elf von zwölf Mitgliedstaaten der EG für eine verstärkte Integration im sozialen Bereich einzusetzen in der Lage sahen, hat sich nach Inkrafttreten des EU-Vertrages durch das diesem beigefügte Protokoll über die Sozialpolitik mit dem darin enthaltenen Abkommen verfestigt. Dabei ist die in diesem Zusammenhang geäußerte Befürchtung, im sozialen Bereich werde ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten" oder ein "Europa a la carte" entstehen,555 nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. I. ProtokoU über die Sozialpolitik

1. Inhalt Durch das Protokoll über die Sozialpolitik ermächtigen die HOHEN VERTRAGSPARTElEN in Anbetracht der Tatsache, daß elf Mitgliedstaaten auf dem durch die Sozialcharta von 1989 vorgezeichneten Weg weitergehen wollen, diese elf Mitgliedstaaten, die Organe, Verfahren und Mechanismen des Vertrags in Anspruch zu nehmen, um die erforderlichen Rechtsakte und Beschlüsse zur Umsetzung des genannten Abkommens untereinander anzunehmen und anzuwenden (Ziff. 1). Insoweit fmdet eine Art "Organleihe"556 statt, die - soweit ersichtlich - einen bisher einmaligen Vorgang in der Geschichte der Gemeinschaft darstellt. 557 An den Beratungen des Rates über Vorschläge, die die Kommission aufgrund des Protokolls und des Abkommens unterbreitet, sowie an deren Annahme wird das Vereinigte Königreich nicht beteiligt; abweichend von Art. 148 Abs. 2 EGV genügt bei Vorschlägen, die mit qualifizierter Mehrheit be-

Vgl. etwa v. Constannnesco, CDE 1993, 260; Holland, 155; Barnard, 30. Schuster, 182. SS7 Vgl. dazu auch KOM (93) 600 vom 14.12.1993, 1 b. SSS

SS6

C. Protokoll über die Sozialpolitik

393

schlossen werden können, eine Mindeststimmenzahl von 44 Stimmen, während einstimmig anzunehmende Rechtsakte des Rates sowie solche Rechtsakte, die eine Änderung des Kommissionsvorschlags bedeuten, der Stimmen aller Mitglieder des Rates mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs bedürfen (Ziff. 2). Lediglich deklaratorischen Charakter dürfte der letzte Satz von Ziff. 2 des Protokolls haben, wonach Rechtsakte des Rates und finanzielle Folgen mit Ausnahme von Verwaltungskosten für die Organe nicht für das Vereinigte Königreich gelten. 558 Ausdrückliche Erwähnung findet, daß durch das Protokoll und das Abkommen dieser Vertrag, insbesondere die Bestimmungen, welche die Sozialpolitik betreffen und Bestandteil des gemeinschaftlichen Besitzstands sind, nicht berührt werden.

2. Rechtsnatur Das Protokoll über die Sozialpolitik, das einen Anhang zum Vertrag über die Europäische Union bildet, nimmt zwar an dessen völkerrechtlicher Herkunft teil,559 aufgrund seiner untrennbaren Verknüpfung mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere dem EG-Vertrag, muß ihm aber eine andere als eine rein völkerrechtliche Qualität zugebilligt werden. 560 Dies folgt zum einen aus - dem unverändert gebliebenen - Art. 239 EGV, nach dem die diesem Vertrag im gegenseitigen Einvernehmen beigefügten Protokolle Bestandteil dieses Vertrages sind. 561 Zum anderen folgt dies auch aus der Entstehungsgeschichte des Protokolls. Obwohl nicht alle Mitgliedstaaten durch das Protokoll verpflichtet werden sollten - andernfalls wäre eine Regelung im EG-Vertrag vorgenommen worden -, steht der Inhalt des Protokolls in einem engen Zusammenhang mit dem

So auch Schuster, 182. ebd. 560 Zu den Folgen einer Qualifizierung als völkerrechtlicher Vertrag, insbesondere bei der Auslegung, s. Schuster, 181. Hierbei ist allerdings zu beachten, daß sich seine Ausführungen auf das Abkommen über die Sozialpolitik beziehen. Zum gleichen Ergebnis - bei unterschiedlicher Argumentation - gelangt auch Watson, CMLR 1993, 491. 561 Curtin, CMLR 1993, 53 f. 558

559 Ders.,

394

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Gemeinschaftsrecht. Durch das Protokoll ermächtigen die HOHEN VERTRAGSPARTElEN, d.h. die zwölf Mitgliedstaaten der EG, elf Mitgliedstaaten, den durch die Gemeinschaftscharta von 1989 vorgezeichneten Weg weiterzugehen. Hierzu dürfen die ermächtigten Mitgliedstaaten die Organe, Verfahren und Mechanismen des Vertrages in Anspruch nehmen, d.h. sie verfügen zwar nicht über eigene Organe, dürfen sich ihre Organe aber von der Gemeinschaft leihen. Hieran zeigt sich, daß ohne das Vorhandensein der Gemeinschaftsverträge, insbesondere des EG-Vertrages, der Inhalt des Protokolls obsolet wäre. Somit verlangt es auch dieser enge und untrennbare Zusammenhang des Inhalts des Protokolls mit dem Gemeinschaftsrecht, das Protokoll als "Quasi-Gemeinschaftsrecht" zu verstehen. ß. Abkommen über die Sozialpolitik

Das Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der EG mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs über die Sozialpolitik (im folgenden: Abkommen) wird von dem Wunsch geleitet, "die Sozialcharta von 1989 ausgehend vom gemeinschaftlichen Besitzstand umzusetzen" (Präambel).

1. Inhalt a) Ziele der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten Als Ziele der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten werden die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, ein angemessener sozialer Schutz, der soziale Dialog, die Entwicklung des Arbeitskräftepotentials im Hinblick auf ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau und die Bekämpfung von Ausgrenzungen genannt (Art. 1 S. 1). Insoweit besteht inhaltlich eine weitgehende Parallelität mit der der Gemeinschaft durch Art. 2 EGV übertragenen Aufgabe, die die Gemeinschaft u.a. zur Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, eines hohen Maßes an sozialem Schutz sowie der Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität verpflichtet. Nach dem Abkommen müssen die zu diesem Zweck von der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten durchzuführenden Maßnahmen "der Vielfalt der einzelstaatlichen Gepflogenheiten, insbesondere in den vertraglichen Beziehun-

C. Protokoll über die Sozialpolitik

395

gen, sowie der Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft zu erhalten, Rechnung tragen" (Art. 1 S. 2). b) Tätigkeitsfelder im Rahmen des Abkommens Ob und wie die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten nach dem Abkommen tätig werden können, regelt Art. 2 des Abkommens für die verschiedenen Gebiete auf unterschiedliche Weise. Am weitesten gehen die Befugnisse der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten auf den Gebieten der Verbesserung der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer, der Arbeitsbedingungen, der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, der Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und der Gleichbehandlung am Arbeitsplatz sowie der beruflichen Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen. Auf diesen Gebieten unterstützt und ergänzt die Gemeinschaft zur Verwirklichung der Ziele des Art. 1 die Tätigkeit der Mitgliedstaaten (Art. 2 Abs. 1). Unter Berücksichtigung der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen und technischen Regelungen kann der Rat durch Richtlinien schrittweise anzuwendende Mindestvorschriften erlassen. Wie schon bei Art. 118 a EGV ist auch hier auf die Belange kleiner und mittlerer Unternehmen Rücksicht zu nehmen (Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 2). Für die Beschlußfassung des Rates wird auf das Verfahren des Art. 189 c EGV verwiesen, ferner ist der WSA anzuhören. Weniger weit reichen die Befugnisse der Gemeinschaft auf den Gebieten der sozialen Sicherheit und des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer, des Schutzes der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrags, der Vertretung und kollektiven Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, einschließlich der Mitbestimmung, der Beschäftigungsbedingungen der Staatsangehörigen dritter Länder, die sich rechtmäßig im Gebiet der Gemeinschaft aufhalten, sowie der finanziellen Beiträge zur Förderung der Beschäftigung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen, da es insoweit bei einer einstimmigen Beschlußfassung des Rates nach Anhörung des EP und des WSA verbleibt (Art. 2 Abs. 3).

396

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

Keine Kompetenzen werden der Gemeinschaft in bezug auf das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht eingeräumt (Art. 2 Abs. 6). Auch nach dem Erlaß von Bestimmungen gemäß Art. 2 bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu treffen, die mit dem Vertrag vereinbar sind. c) Sozialer Dialog Wichtige, den Sozialen Dialog betreffende Neuerungen sind an anderer Stelle bereits eingehend erörtert worden,562 so daß im Rahmen dieser Darstellung allein Art. 3 des Abkommens vorgestellt werden soll. Nach dieser Bestimmung hat die Kommission die Aufgabe, die Anhörung der Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene zu fördern und alle zweckdienlichen Maßnahmen zu erlassen, um den Dialog zwischen den Sozialpartnern zu erleichtern, wobei sie für Ausgewogenheit bei der Unterstützung der Parteien sorgt (Art. 3 Abs. 1); zu diesem Zweck hört die Kommission vor Unterbreitung von Vorschlägen im Bereich der Sozialpolitik die Sozialpartner zu der Frage, wie eine Gemeinschaftsaktion gegebenenfalls ausgerichtet werden sollte (Art. 3 Abs. 2), weitere Modalitäten der Anhörung regelt Art. 3 Abs. 3 und 4. Ebenso wie Art. 4 des Abkommens entspricht Art. 3 fast wortwörtlich einer im Jahre 1991 zwischen UNICE, EGB und CEEP getroffenen Vereinbarung. 563 Wenn sich auch die Kommission bereits bisher bei der Ausarbeitung ihrer Vorschläge in großem Umfang der Anhörung bedient hat,564 wird diese Vorgehensweise nunmehr verbindlich festgeschrieben. 565

562 Vgl. dazu oben, 2. Teil, C.

Vgl. dazu KOM (93) 600 vom 14.12.1993, 1 bund 9. Ebd., 10. 56S Vgl. dazu ausführlich Kommission, ebd., 10 ff.

563

564

C. Protokoll über die Sozialpolitik

397

d) Übertragung der Durchführung von Richtlinien auf die Sozialpartner Eine weitere Neuerung enthält Art. 2 Abs. 4 des Abkommens, wonach ein Mitgliedstaat den Sozialpartnern auf deren gemeinsamen Antrag die Durchführung von Richtlinien, die aufgrund der Abs. 2 und 3 angenommen wurden, übertragen kann (Art. 2 Abs. 4 S. 1). Den Mitgliedstaat trifft eine gewisse Mitwirkungspflicht, denn er hat sich zu vergewissern, daß die Sozialpartner spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem eine Richtlinie nach Art. 189 EGV umgesetzt sein muß, im Wege einer Vereinbarung die erforderlichen Vorkehrungen getroffen haben; ferner hat er alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um jederzeit gewährleisten zu können, daß die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt werden (Art. 2 Abs. 4 S. 2). Völlig neu ist dieses Prinzip, das die Durchführung von Richtlinien im Wege einer tarifvertraglichen Vereinbarung einführt, nicht, da es bereits in der Vergangenheit von der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt worden ist. 566 e) Sicherstellung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen Eine sich weitgehend mit Art. 119 EGV deckende Bestimmung stellt Art. 6 des Abkommens dar, nach der jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit sicherstellt (Abs. 1). Die in Abs. 2 für das Entgelt vorgegebene Deftnition entspricht wörtlich derjenigen des Art. 119 S. 2 EGV. Darüber hinaus wird den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, zur Erleichterung der Berufstätigkeit der Frauen oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in ihrer beruflichen Laufbahn speziftsche Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen (Art. 6 Abs. 3).

S66 Vgl. dazu BuGH, Rs. 143/83 (Konunission/DänemLlrk), Sig. 1985, 427 (434); ferner KOM (93) 600 vom 14.12.1993, 17 f.

398

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

f) Aufgaben und Pflichten der Kommission

Neben der Aufgabe der Kommission, die Anhörung der Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene zu fördern und alle zweckdienlichen Maßnahmen zu erlassen, um den Dialog zwischen den Sozialpartnern zu erleichtern (Art. 3), ist ihr die Aufgabe übertragen worden, im Hinblick auf die Erreichung der Ziele des Art. 1 die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern und diesen die Abstimmung ihres Vorgehens in den durch dieses Abkommen erfaßten Bereichen der Sozialpolitik zu erleichtern (Art. 5). Weiterhin sieht das Abkommen Berichtspflichten der Kommission vor (Art. 7). Die Kommission hat jährlich einen Bericht über den Stand der Verwirklichung der in Art. 1 genannten Ziele sowie über die demographische Lage in der Gemeinschaft zu erstellen, der dem EP, dem Rat und dem WSA zu übermitteln ist. Auf Ersuchen des EP hat die Kommission zudem Berichte zu Einzelproblemen, welche die soziale Lage betreffen, zu fertigen.

2. RechtsnatuT Für die Bestimmung der Rechtsnatur des Abkommens über die Sozialpolitik sind die gleichen Erwägungen anzustellen wie für die Bestimmung der Rechtsnatur des Protokolls. Auch der Inhalt des Abkommens kann nicht losgelöst von den Gemeinschaftsverträgen, insbesondere des EG-Vertrages, gesehen werden. Dabei ist hier als Besonderheit zu beachten, daß das Protokoll eine "formale Verknüpfung" zum EG-Vertrag herstellt, indem es den Staaten des Abkommens einen Rückgriff auf das institutionelle System der Gemeinschaft gestattet. 567 Zudem ist zu bedenken, daß das Protokoll ohne das Abkommen praktisch "inhaltsleer" wäre, da das Abkommen ein dem Protokoll "innewohnender Teil"568 ist. Diese Gründe sprechen dafür, dem Abkommen eine "quasi-gemeinschaftliche" Rechtsnatur beizumessen.

567 Vgl.

568 So

Schuster, 181.

Watson, CMLR 1993, 493.

C. Protokoll über die Sozialpolitik

399

m. Kri&che Würdigung Mit dem Protokoll über die Sozialpolitik und dem in diesem enthaltenen Abkommen über die Sozialpolitik werden dem sozialen Bereich neue Entwicklungsperspektiven eröffnet. Auf den von Art. 2 Abs. 1 des Abkommens genannten Gebieten kann der Rat der Elf mit qualifizierter Mehrheit Richtlinien erlassen, die schrittweise anzuwendende Mindestvorschriften enthalten. Angesichts des bereits durch die Möglichkeit einer Mehrheitsentscheidung verbundenen "Einigungsdrucks" ist damit zu rechnen, daß die Gemeinschaft insoweit verstärkt tätig werden wird. Unter den genannten Gebieten ist das der Arbeitsbedingungen von besonderer Bedeutung, da die Kommission infolgedessen auf der Basis des Abkommens verschiedene bisher - wegen der Nichterzielbarkeit einer Einstimmigkeit im Rat - blockierte Rechtsakte (beispielsweise den Richtlinienvorschlag über die Einsetzung Europäischer Betriebsräte) neu vorschlagen kann und eine größere Wahrscheinlichkeit für ihre Verabschiedung besteht. S69 Auch auf den von Art. 2 Abs. 3 des Abkommens erfaßten Gebieten, bei denen es bei der einstimmigen Beschlußfassung des Rates verbleibt, könnte ein verstärktes Tätigwerden der Gemeinschaft im Hinblick auf jene Vorschläge einsetzen, die bisher allein durch das Vereinigte Königreich blockiert wurden. Bestehen hingegen bereits unter den elf Mitgliedstaaten des Abkommens kontroverse Ansichten über einzelne Vorschläge, bleibt die Konsensfmdung der elf Unterzeichnerstaaten des Abkommens unabdingbar. Als noch völlig offen ist die Frage anzusehen, wie sich die in Ziff. 1 des Protokolls vorgesehene "Organleihe " in der Praxis bewerkstelligen lassen wird und wie diese "doppelte Existenz" von den Organen aufgenommen werden wird. S70 Insoweit enthält lediglich Ziff. 2 des Protokolls verfahrensrechtliche Vorschriften, die sich jedoch allein auf den Rat beziehen. Danach ist das Vereinigte Königreich an der Beschlußfassung über Vorschläge der Kommission aufgrund des Protokolls und des Abkommens nicht beteiligt. Die Beteiligung der Organe EP, Kommission und Gerichtshof ist ebensowenig geregelt wie diejenige des - im sozialen Bereich häutig zu beteiligenden - WSA. HierS69 S70

Vgl. Buda, 92; Vaubel, 109 f. Vgl. die Kritik von Curtin, CMLR 1993, 29, zur "doppelten Existenz" der Kommission.

400

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

aus könnte der Schluß gezogen werden, daß diese Organe bzw. der WSA als unterstützende Institution in gleicher Besetzung wie im gemeinschaftlichen Rechtsetzungsverfahren beteiligt werden sollten. Andererseits sprechen auch Argumente gegen eine derartige Annahme. Keine Einwände sprechen gegen die unveränderte Besetzung von Kommission und WSA. Sowohl die Mitglieder der Kommission als auch die Mitglieder des WSA üben ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaft aus (vgl. Art. 157 Abs. 2 S. 1 und Art. 194 S. 4 und 5 EGV). Anders sieht es indessen für die Abgeordneten des EP aus, die nach Art. 137 EGV "Vertreter der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten" sind. Schlösse man die britischen Abgeordneten völlig von allen das Abkommen betreffenden Sachverhalten aus, würde dem Integrationszweck der Gemeinschaft widersprochen. 571 Eine Lösung dieses Problems durch die Verleihung eines dem Status der Berliner Abgeordneten im Deutschen Bundestag vor der Vereinigung ähnlichen Status der britischen Abgeordneten572 sollte angesichts der damit verbundenen weiteren Ausgrenzung abgelehnt werden; trotz der zuvor genannten Bedenken sollten die britischen Abgeordneten umfassend beteiligt werden. Nur so wird dem Integrationszweck der Gemeinschaft und dem Interesse der Gemeinschaft, die eingeleitete Spaltung der Gemeinschaft nicht weiter zu verfestigen, Rechnung zu tragen sein. 573 Noch größere Probleme wirft die Entleihung des Gerichtshofs auf. Zwar stellen sich bei der personellen Besetzung des Gerichtshofs keine Probleme, da zu Richtern und Generalanwälten nur Personen auszuwählen sind, die "jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten" (Art. 167 EGV). Schwierigkeiten bereitet aber die Frage nach dem vom Gerichtshof als "Gerichtshof der Elf" anzuwendenden Recht. Wenn auch formal zwischen Gemeinschaftsrecht und dem Recht des Abkommens zu trennen sein wird, wird doch bei der Ausle-

S1\

So auch Schuster, 185.

sn Dies wird von Schuster, ebd., vorgeschlagen.

S73 In gleicher Weise hat sich das EP ausgesprochen, vgl. Europe - Agence internationale d'information pour la presse, No 6151, 19 January 1994,4, und No 6153,21 January 1994,4. Zum gleichen Ergebnis - bei unterschiedlicher Argumentation - gelangt auch Watson, CMLR 1993,505.

C. Protokoll über die Sozialpolitik

401

gung des Abkommens, das zahlreiche, bereits im Gemeinschaftsrecht enthaltene Begriffe aufgreift, das Gemeinschaftsrecht auf indirektem Wege in die Rechtsprechung einfließen. 574 Indem das Protokoll in seiner Präambel sogar einen ausdrücklichen Hinweis auf den gemeinschaftlichen Besitzstand enthält, wirkt dieser - und damit die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des EU-Vertrages - ohnehin auf die vom "Gerichtshof der Elf" zugrundezulegenden Maßstäbe ein. Die besondere Brisanz, die sich aus dieser Interdependenz ergibt, liegt nun darin, daß ein "Auseinanderdriften " der Rechtsprechung bei einer unterschiedlichen Fortentwicklung des sozialen Bereichs, die das Protokoll ja gerade ermöglichen soll, zwangsläufig eintreten müßte. Wie es aber der Gerichtshof bewerkstelligen soll, klar zwischen der Rechtsprechung in seiner Funktion als Gemeinschaftsorgan und der Rechtsprechung in seiner Funktion als entliehenes Organ im Rahmen des Protokolls zu trennen, ist noch völlig offen. 575 Neben diesen Fragen zur praktischen Verwirklichung der "Organleihe" stellt sich schließlich die Frage nach dem Sinn eines unterschiedlichen Fortschreitens der Integration im sozialen Bereich, je nachdem, ob die Gemeinschaft oder die elf Mitgliedstaaten des Abkommens betroffen sind. Gegen dieses - schon im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Währungsunion diskutierte - Konzept der "abgestuften Integration"576 bzw. eines "Europas der zwei Geschwindigkeiten" wird vor allem vorgebracht, daß damit die Einheit des Gemeinschaftsrechts aufgegeben wird und eine Spaltung der Gemeinschaft eintritt, die Wettbewerbsverzerrungen und ein "soziales Dumping" nach sich ziehen könnte. 577 Hiergegen läßt sich einwenden, daß dann, wenn - wie im sozialen Bereich geschehen - ein Mitgliedstaat sich vehement gegen die in einem bestimmten Bereich voranschreitende Integration wendet, während die überwiegende Zahl der Mitgliedstaaten eine verstärkte Integration in diesem Bereich herbeiführen will, letztlich nicht nachvollziehbar wäre, daß sich die überwiegende Zahl der Mitgliedstaaten dem Willen dieses einen Mitgliedstaats beugen müßte. Insofern erscheint es verständlich, daß für diesen augenscheinlich nicht anders zu So auch Schuster, 186. Vgl. insoweit auch die Bedenken von Schuster, ebd. 576 Vgl. zum Begriff der abgestuften Integration Grabit1.. S77 Everling, CMLR 1992, 1066; Watson, CMLR 1993, 512; Holland, 156; Bamard, 30. 574 575

26 Kuh"

402

3. Teil: Bilanz und Perspektiven

lösenden Konflikt nach einem Kompromiß gesucht werden mußte, der den Interessen aller Beteiligten entspricht. Mit dem Protokoll über die Sozialpolitik und dem darin enthaltenen Abkommen über die Sozialpolitik wurde den unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten Rechnung getragen, indem sämtliche zwölf Mitgliedstaaten der Gemeinschaft Einigkeit darüber erzielt haben, daß elf von ihnen auf dem durch die Verabschiedung der Gemeinschaftscharta im Jahre 1989 vorgezeichneten Weg weitergehen können. Den Preis dieser angestrebten verstärkten Integration im sozialen Bereich stellt die damit verbundene Aufgabe der Einheit des Gemeinschaftsrechts578 dar, d.h. es wird ein Grundsatz verletzt, der für die Fortentwicklung der Gemeinschaft bisher als wesentlich angesehen wurde und den es - möglichst in jedem Fall - zu beachten galt. Gerade die Aufgabe der Einheit des Gemeinschaftsrechts beweist jedoch die Ernsthaftigkeit des Willens von elf Mitgliedstaaten, auch im sozialen Bereich eine verstärkte Integration zu betreiben. Von daher ist nicht anzunehmen, die Unterzeichnerstaaten des Abkommens werden von den ihnen nunmehr ermöglichten Verfahrensweisen keinen Gebrauch machen. 579 Zwar ist zu erwarten, daß bei vorgesehenen Maßnahmen im sozialen Bereich zunächst versucht werden wird, auf der Basis der Gemeinschaftsverträge vorzugehen, um so eine Beteiligung aller Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zu erreichen. Wenn aber auf Gemeinschaftsebene keine Einigung erzielt werden kann, steht den elf Unterzeichnerstaaten des Abkommens ein Vorgehen nach dem Abkommen offen. Nicht unberücksichtigt gelassen werden soll allerdings die von der Kommission geäußerte Hoffnung, die Gemeinschaftsaktion im sozialen Bereich möge bald wieder auf einer einheitlichen Rechtsgrundlage beruhen; insoweit sieht die Kommission in der für 1996 geplanten Konferenz der Vertreter der

Zu den Auswirkungen des Grundsatzes vgI. ZJdeeg, ArbuR 1994, 81. Watson, CMLR 1993, 511. VgI. insoweit die Entschließung des EP vom 19.1.1994 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie über den Jugendarbeitsschutz, ABI. C 44/112, Ziff. 6, in der die Kommission aufgefordert wird, "künftig für die Durchführung der Sozialpolitik die in Maastricht verabschiedeten Verfahren anzuwenden anstatt die Zennürbungstaktik des Vereinigten Königreichs zu akzeptieren"; ferner die Aussage der Kommission in ihrem Legislativprogramm für 1994, nach der es "durchaus denkbar ist, die Sozialpolitik in der Gemeinschaft anstatt nach den bisher üblichen Legislativverfahren künftig im Wege von Kollektivverhandlungen zu gestalten", ABI. C 60/5 vom 28.2.1994. 578

S79 SO aber

C. Protokoll über die Sozialpolitik

403

Mitgliedstaaten eine günstige Gelegenheit zur Änderung der rechtlichen Grundlagen. 580

580

KOM (93) 600 vom 14.12.1993, 8.

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und Ausblick Im Rahmen der gemeinschaftlichen Integration erweist sich der soziale Bereich als ein Bereich, der in einem besonderem Spannungsfeld zwischen nationalen und gemeinschaftlichen Interessen steht. Aufgrund der Interdependenz von wirtschaftlichen und sozialen Sachverhalten überrascht es nicht, daß die Gemeinschaftsverträge hochgesteckte sozialpolitische Ziele enthalten. Zwischen diesen Zielen und den der Gemeinschaft speziell im sozialen Bereich übertragenen Kompetenzen tut sich jedoch eine "Kluft" auf. l Bei näherer Betrachtung der der Gemeinschaft übertragenen Kompetenzen erweist sich diese "Kluft" jedoch als überwindbar: Wenn auch zutrifft, daß insbesondere die Sozialvorschriften des EG-Vertrages "eine Aneinanderreihung punktueller Regelungen sind, die keinen konsistenten und konsequenten Politikbereich ausmachen,"2 kann die Gemeinschaft mittels der ihr eingeräumten allgemeinen Kompetenznormen - insbesondere Art. 235 EGV - die unterschiedlichsten Maßnahmen im sozialen Bereich treffen. Von dieser Möglichkeit ist in der Vergangenheit in zahlreichen Fällen Gebrauch gemacht worden. 3 Daß die gemeinschaftliche Integration im sozialen Bereich besondere Probleme aufwirft, vermag angesichts der Komplexität des sozialen Bereichs, der in jedem einzelnen Mitgliedstaat auf ganz unterschiedliche Art und Weise ausgestaltet ist, nicht zu verwundern. Im Gegensatz zu anderen Politikbereichen, in denen die Kompetenzen entweder allein bei einem Mitgliedstaat liegen oder aber ein Mitgliedstaat nach seiner innerstaatlichen Ordnung Kompetenzen mit anderen Hoheitsträgern teilen muß - erinnert sei beispielsweise an die Kompetenzverteilung des deutschen Grundgesetzes -, tritt im sozialen Bereich die Besonderheit hinzu, daß die Kompetenzen nicht allein bei staatlichen Hoheitsträgern liegen, sondern - von Staat zu Staat nach dessen jeweiliger Geschichte 1 Vgl.

Hohmann, 94. Vgl. Süßmuth, 389. 3 Vgl. dazu oben, 1. Teil.

2

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und Ausblick

405

unterschiedlich - zudem zwischen dem Gesetzgeber und den Sozialpartnern geteilt sind. 4 Jedes gemeinschaftliche Tätigwerden im sozialen Bereich trifft demnach zusätzlich zu den von den Mitgliedstaaten selbst gesetzten und daher von ihnen veränderbaren Rahmenbedingungen auf komplexe, im Verlauf längerer Zeitabschnitte allmählich gewachsene Sozialsysteme, die den jeweiligen Sozialpartnern eine maßgebliche Stellung einräumen. Hinzu kommt, daß Maßnahmen im sozialen Bereich jede in der Gemeinschaft lebende Person erreichen, d.h. im Gegensatz zu anderen gemeinschaftlichen Politiken - wie beispielsweise dem freien Warenverkehr oder der Landwirtschaft - nicht lediglich eine mittelbare Betroffenheit vorliegt. insoweit ist zu bedenken, daß der Bestand des Sozialsystems in seiner gegebenen Form von den Betroffenen bei ihrer individuellen Lebensplanung maßgeblich berücksichtigt wird. Es vermag daher nicht zu erstaunen, daß gemeinschaftliche Maßnahmen im sozialen Bereich wie auch Entscheidungen des Gerichtshofs von den Mitgliedstaaten häufig als Einbruch in eine als "Innenpolitik" aufgefaßte Domäne verstanden werden. Hierdurch wird die eben dargestellte Problematik zusätzlich verschärft. Trotz dieser Schwierigkeiten schreitet die gemeinschaftliche Integration auch im sozialen Bereich allmählich voran. Während sich gemeinschaftliche Maßnahmen in der Zeit nach der Gründung der Gemeinschaft vor allem auf Wanderarbeitnehmer bezogen, wurden im Verlauf der weiteren Entwicklung nahezu alle erwerbstätigen Personen in immer stärkerem Maße von gemeinschaftlichen Maßnahmen erlaßt, ohne daß es darauf ankommt, daß sie von den ihnen durch die Verträge eingeräumten Freiheiten Gebrauch machen. Dabei lassen sich Schwerpunkte gemeinschaftlicher Maßnahmen auf den Gebieten Arbeitsrecht und Arbeitsschutzrecht ausmachen. In jüngerer Zeit, d.h. seit Beginn der achtziger Jahre, werden zudem bestimmte Personengruppen - darunter u.a. Jugendliche, Frauen, Behinderte und ältere Menschen - von der Gemeinschaft gefördert. Bei diesen Förderungsmaßnahmen läßt sich häufig ein Bezug zum Arbeitsmarkt ausmachen, teilweise liegen die Förderungsmaßnahmen allerdings auch außerhalb des Arbeitsprozesses. 4 Vgl. Weiss, Dialogue, 61; ferner Junker, 286, der davon spricht, daß kaum eine Materie "sich so sehr um ihre eigene nationale Achse (drehe) wie das Arbeits- und Sozialrecht. " Auch der Inhalt des Abkommens über die Sozialpolitik zeigt dieses Nebeneinander unterschiedlicher Zuständigkeiten deutlich.

406

Zusammenfasstmg der wichtigsten Ergebnisse und Ausblick

Charakterisiert man diese eben beschriebenen gemeinschaftlichen Maßnahmen näher, zeigt sich, daß zahlreiche Maßnahmen vor dem Hintergrund der Mobilität des Faktors "Arbeit" zu sehen sind. So ist ein Ziel der Gemeinschaft im sozialen Bereich, den die Freiheiten der Verträge in Anspruch nehmenden Personen eine gesicherte sozialrechtliche Stellung in jedem Mitgliedstaat zu gewähren, indem verhindert wird, daß diese Personen durch ihr Verhalten Nachteile in Kauf nehmen müßten. Ein weiteres Ziel liegt darin, den in der Gemeinschaft beschäftigten Erwerbstätigen auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes eine Rechtsstellung einzuräumen, deren Unterschreiten in keinem Mitgliedstaat als hinnehmbar empfunden wird, d.h. sie auf ein von der Gemeinschaft garantiertes Niveau vertrauen zu lassen. In ähnlicher Weise bezwecken Maßnahmen auf dem Gebiet der Arbeitsbedingungen einen Schutz der Erwerbstätigen, der als unabdingbar erscheint und auf den in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft vertraut werden kann. Neben diesem, vor dem Hintergrund der Mobilität des Faktors" Arbeit" zu sehenden Tätigwerden der Gemeinschaft lassen sich weitere im sozialen Bereich getroffene Maßnahmen dergestalt beschreiben, daß sie gewissermaßen das "soziale Gewissen" der Gemeinschaft widerspiegeln. Zu nennen sind beispielsweise Maßnahmen zur Verwirklichung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bzw. zur Verwirklichung einer umfassenden Gleichbehandlung von Männem und Frauen im Arbeitsprozeß, ferner Maßnahmen zur Eingliederung Behinderter und schließlich Maßnahmen zur Unterstützung von sich in (materieller) Not befindlichen Personen. Im sozialen Bereich hat sich von den durch die Verträge zur Verfügung gestellten Rechtsinstrumenten die Richtlinie - trotz immer wieder festzustellender Umsetzungsdefizite der Mitgliedstaaten - in besonderem Maße bewährt. Die Vorteile des Erlasses von Richtlinien liegen u.a. darin, daß jedem Mitgliedstaat nur ein Rahmen gesetzt werden muß, der im Einklang mit den innerstaatlichen Gegebenheiten individuell ausgefüllt werden kann. Insoweit erweist sich der Erlaß von Richtlinien in einem Bereich, in dem in besonderem Maße auf nationale Besonderheiten Rücksicht genommen werden muß, 5 als besonders geeignet. Gleiches gilt für von der Gemeinschaft vorgegebene Mindestvorschriften, die lediglich in bezug auf ein bestimmtes Mindestniveau

5

Vgl. dazu Gautron, 171.

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und Ausblick

407

verbindliche Regelungen vorschreiben, den Mitgliedstaaten darüber hinaus aber jede Gestaltungsfreiheit belassen. Eine gemeinschaftliche Praxis, die auf die innerstaatlichen Gegebenheiten in dieser Weise Rücksicht nimmt, wird auch in einem so sensiblen Bereich wie dem sozialen Bereich auf Zuspruch der Betroffenen vertrauen können, noch dazu, wenn dem einzelnen durch das Gemeinschaftsrecht Rechtspositionen eingeräumt werden, die sich im Vergleich zu seiner innerstaatlichen Rechtsstellung als günstiger erweisen. Diese von jedem einzelnen erfahrbare Verbesserung seiner rechtlichen Stellung dürfte in stärkerem Maße auf Zustimmung treffen als die von elf Mitgliedstaaten angenommene, rechtlich unverbindliche und lediglich appellativen Charakter zeitigende Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, die zwar weitgehende "Grundrechte" proklamiert, dem einzelnen aber letztlich keine durchsetzbaren Ansprüche einzuräumen vermag. Des weiteren hat die bisherige Entwicklung des sozialen Bereichs gezeigt, daß die Aufgabe des Erfordernisses der Einstimmigkeit zu einer Beschleunigung des Integrationsprozesses führt. Allein durch die potentielle Möglichkeit, bei einer Mehrheitsentscheidung überstimmt werden zu können, wird der Entscheidungsprozeß vereinfacht und beschleunigt, da das Interesse an einer Konsensfmdung bedeutend größer als bei der Innehabung eines Vetorechts ist. Versucht man, die Perspektiven der Entwicklung des sozialen Bereichs nach dem Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union aufzuzeigen, lassen sich verschiedene Aussagen treffen. Wie schon in der Vergangenheit strebt die Gemeinschaft auch zukünftig im sozialen Bereich keine Harmonisierung in dem Sinne an, daß die historisch gewachsenen Sozialsysteme vereinheitlicht werden sollten. Der Gemeinschaft geht es vielmehr - wie schon bisher - insbesondere um die Interessen derjenigen Personen, die die Freiheiten der Verträge in Anspruch nehmen und die durch ihre Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat keine Rechtsnachteile erleiden sollen, sowie um die Gewährung von als unabdingbar erachteten Rechtspositionen der in der Gemeinschaft erwerbstätigen Personen. Darüber hinaus werden einzelne Personengruppen, die die Gemeinschaft für förderungswürdig hält, besonders unterstützt.

408

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und Ausblick

Betrachtet man zunächst allein den EG-Vertrag, lassen sich für den sozialen Bereich einige wichtige Neuerungen verzeichnen. Diese liegen zunächst in der Normierung von Politikbereichen, die bisher nicht ausdrücklich im Vertrag enthalten waren - für den sozialen Bereich z.B. das Gesundheitswesen, Art. 129 EGV - oder aber in der wesentlich umfassenderen Ausgestaltung einzelner Politikbereiche - beispielsweise der nunmehr erfolgten klaren Trennung von allgemeiner und beruflicher Bildung, Art. 126 und 127 EGV. Soweit in der Vergangenheit das auf diese Politikbereiche bezogene Tätigwerden der Gemeinschaft in einzelnen Punkten zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten streitig gewesen ist - wie insbesondere im Bildungsbereich -, dürften die Neuregelungen zu einem Abklingen der Kontroversen führen. Das nunmehr normierte Subsidiaritätsprinzip (Art. 3 b EGV) dürfte in vielerlei Hinsicht mehr Probleme aufwerfen, als es Lösungen aufzuzeigen vermag. Dies gilt insbesondere für den sozialen Bereich, der oft als ein Bereich beschrieben wird, in dem die Gemeinschaft keine ausschließliche Zuständigkeit habe. Bereits die Feststellung, ob die Gemeinschaft in einem Bereich ausschließlich zuständig ist oder ob ein Bereich nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fällt, wird häufig Schwierigkeiten bereiten. Dies folgt daraus, daß der Gemeinschaft Politikbereiche regelmäßig nicht in vollem Umfang dergestalt zugewiesen sind, daß nunmehr allein und ausschließlich die Gemeinschaft regelungsbefugt ist. Der Gemeinschaft werden vielmehr einzelne Aufgaben eines Politikbereichs übertragen und ihr entsprechende Kompetenzen eingeräumt. Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, daß auch im sozialen Bereich, der häufig pauschal als ein Bereich der nicht-ausschließlichen Zuständigkeit der Gemeinschaft bezeichnet wird, ausschließliche Kompetenzen bestehen können. Die Frage, ob eine ausschließliche oder aber eine nicht-ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft vorliegt, muß angesichts der Dynamik des Gemeinschaftsrechts, die einen fortschreitenden Integrationsprozeß bedingt, daher stets von neuem aufgeworfen werden. Bestehen nach Vornahme einer rechtlichen Prüfung weiterhin unterschiedliche Auffassungen darüber, ob eine Zuständigkeit als ausschließliche oder aber als nicht-ausschließliche zu bezeichnen sei, wird dies zur Anrufung des Gerichtshofs führen. Problematisch daran ist, daß der Gerichtshof keine "neutrale" Instanz ist, die außerhalb des Gemeinschaftsrechts steht, sondern als Organ der Gemeinschaft einer fortschreitenden Integration verpflichtet ist. Insoweit steht zu befürch-

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und Ausblick

409

ten, daß die Rechtsprechung des Gerichtshofs - wie schon in der Vergangenheit - bei den Mitgliedstaaten auf Akzeptanzschwierigkeiten stoßen wird. Richtet man den Blick auf das dem EU-Vertrag beigefügte Protokoll über die Sozialpolitik mit dem darin enthaltenen Abkommen, ist festzustellen, daß der soziale Bereich zu einem derjenigen Bereiche geworden ist, in denen vom "Europa der zwei Geschwindigkeiten" gesprochen werden kann. Vor jedem Tätigwerden im sozialen Bereich wird die Kommission sich die Frage stellen müssen, auf welche Weise sie vorgehen wird. Die Kommission spricht insoweit von einer "doppelten Subsidiarität"6 im sozialen Bereich, da einerseits zwischen einer nationalen und einer gemeinschaftlichen Regelung und andererseits zwischen einer gesetzlichen und einer tariflichen Regelung zu entscheiden sei. 7 Zwar hat die Kommission erklärt, sie werde zunächst nach den von den Gemeinschaftsverträgen vorgesehenen Verfahren vorgehen, bevor sie auf die ihr durch das Protokoll über die Sozialpolitik eingeräumten Möglichkeiten zurückgreife. Angesichts der ablehnenden Haltung des Vereinigten Königreichs zu einem Tätigwerden der Gemeinschaft im sozialen Bereich ist jedoch nicht zu erwarten, daß dieser Mitgliedstaat, der sich sogar der Annahme der rechtlich nicht verbindlichen Gemeinschaftscharta - widersetzt hat, 8 sich für Maßnahmen gewinnen lassen wird, die inhaltlich über die bisher getroffenen Maßnahmen hinausreichen. Im Gegenteil könnte vielmehr die Vermutung gehegt werden, daß das Vereinigte Königreich von nun an die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten auf ein Vorgehen nach dem Protokoll über die Sozialpolitik verweisen wird. Insoweit könnte eine Spaltung des sozialen Bereichs eintreten, die nicht nur dieser Materie abträglich ist, sondern auch darüber hinaus Vorbildcharakter für andere Bereiche entfalten kann. Trotz dieser Bedenken in bezug auf die im sozialen Bereich einsetzenden "zwei Geschwindigkeiten" besteht nach den Regelungen des Abkommens über die Sozialpolitik Anlaß zu der Erwartung, daß eine vertiefte Integration im sozialen Bereich - wenn auch zunächst beschränkt auf elf Mitgliedstaaten eintreten wird. Diese Erwartung stützt sich vor allem auf zwei Gründe. Zum Subsidiaritätsprinzip vgl. oben, 1. Teil, B.V. KOM (93) 600 vom 14.12.1993, 7. 8 Die Verabschiedung der Gemeinschaftscharta wurde selbst im britischen Schrifttum als "harmlos" bezeichnet, vgl. wok / Bridge, 542. 6 7

410

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und Ausblick

Der erste Grund ist darin zu sehen, daß der Rat der Elf nach dem Abkommen ermächtigt wird, auf zahlreichen Gebieten mit qualifIzierter Mehrheit Richtlinien zu erlassen, die schrittweise anzuwendende Mindestvorschriften enthalten. Auf die Bedeutung einer Abstimmung mit qualifIzierter Mehrheit für eine Beschleunigung des Integrationsprozesses ist bereits hingewiesen worden. Auch nach dem Beschluß des Rates vom 29.4.1994 über die Beschlußfassung mit qualifizierter Mehrheit9 ist nicht zu erwarten, daß die elf Unterzeichnerstaaten des Abkommens, die um der vertieften Integration des sozialen Bereichs willen die Einheit des Gemeinschaftsrechts insoweit aufgegeben haben, von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen werden. Ob hierbei die Sonderstellung des Vereinigten Königreichs als nur "relativ kurzfristige ... Zwischenphase"lO bezeichnet werden kann, erscheint daher zweifelhaft. Als zweiter Grund ist anzuführen, daß das Abkommen eine bedeutende Stärkung der rechtlichen Stellung der Sozialpartner enthält. Zu nennen sind insbesondere das Recht der Sozialpartner zum Abschluß von Vereinbarungen sowie die Möglichkeit, nach Art. 2 Abs. 2 und 3 angenommene Richtlinien durchzuführen. Trotz noch vorhandener Unsicherheiten über diejenigen Organisationen, die die Sozialpartner auf europäischer Ebene repräsentieren könnten, wird, wenn die nationalen und die bereits auf Gemeinschaftsebene tätigen Interessenvertreter ernsthaftes Interesse an der Wahrnehmung der ihnen durch das Abkommen eingeräumten Rechte zeigen, eine wesentlich stärkere Zusammenarbeit im sozialen Bereich als bisher einsetzen. Abschließend läßt sich feststellen, daß die von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der EG auf den von ihnen abgehaltenen Gipfeln und Zusammenkünften als Europäischer Rat mehrfach erhobene Forderung, die wirtschaftliche Integration dürfe kein Selbstzweck sein, vielmehr müsse dem sozialen Bereich die gleiche Bedeutung wie dem wirtschaftlichen Bereich zu-

9 ABI. C 105/1. Art. 1 des Beschlusses sieht für den Fall, daß Mitglieder des Rates, die über insgesamt 23 bis 26 Stimmen verfügen, erklären, daß sie beabsichtigen, sich einem Beschluß des Rates, für den eine qualifizierte Mehrheit etforderlich ist, zu widersetzen, der Rat alles in seiner Macht Stehende tun wird, um innerhalb einer angemessenen Zeit und unbeschadet der von den Verträgen und dem abgeleiteten Recht vorgeschriebenen zwingenden Fristen eine zufriedensteIlende Lösung zu finden, die mit mindestens 68 Stimmen angenommen werden kann. 10 So Berie, Sozialpolitik, 75.

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und Ausblick

411

kommen,11 sicherlich noch längst nicht als erfüllt anzusehen ist. Die in jüngster Zeit, insbesondere seit Mitte der achtziger Jahre, getroffenen Maßnahmen im sozialen Bereich zeigen aber, wie wichtig der Gemeinschaft auch dieser Politikbereich geworden ist, der für die breite Mehrheit der Bevölkerung einen bedeutenden Integrationsfaktor ausmacht, erfaßt er doch jede in der Gemeinschaft lebende Person unmittelbar. Von der Gemeinschaft ist erkannt worden, daß eine rein wirtschaftliche Integration - die ohnehin kaum vorstellbar erscheint - nicht auf Zustimmung treffen wird. Insoweit ist die Anziehungskraft einer Gemeinschaft, die neben der wirtschaftlichen auch eine soziale Dimension aufweist, für den inneren Zusammenhalt wohl kaum zu unterschätzen,12 vermag sie doch ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen und sozialen Aspekten des Binnenmarktes herbeizuführen, das für die Stabilität und die Kontinuität der Gemeinschaft als unabdingbare Voraussetzung erscheint. 13 Die Offenheit der Gründungsverträge für nicht-wirtschaftliche und insbesondere soziale Aspekte einer gemeinschaftlichen Integration zeigt deutlich, daß die Gemeinschaft von Anfang an neben dem Wirtschaftsraum auch als Sozialraum gedacht worden ist. Zwar erscheint es angesichts der sich der Gemeinschaft gegenwärtig stellenden Herausforderungen - genannt seien nur die Wiederbelebung der Wirtschaft, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Beitritt weiterer europäischer Staaten - nicht angebracht, die Errichtung einer Europäischen Sozialunion als das drängendste Problem der Gemeinschaft zu begreifen. Anzunehmen ist aber, daß schon aufgrund der Interdependenz von wirtschaftlichen und sozialen Fragen der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion längerfristig die Europäische Sozialunion nachfolgen wird. Je enger somit die gemeinschaftliche Integration im wirtschaftlichen Bereich wird, desto enger wird zwangsläufig auch die gemeinschaftliche Integration im sozialen Bereich werden, die infolgedessen auf lange Sicht nicht mehr als "Nebensache",14 "Hemmschuh"15 oder als "Defizit"16 zu bezeichnen sein wird.

Dazu oben, 1. Teil, A.1.2.c. Vgl. dazu Däubler, Prospects, 185. 13 Jaspers, 52. 14 Henningsen, Sozialer Fortschritt 1992, 15 Vgl. Krebsbach. 16 Gomis D{tll., 127.

11

12

203.

412

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und Ausblick

Von Weitsicht zeugt demnach die von dem damaligen Bundeskanzler Brandt bereits im Februar 1973 geäußerte Ansicht, die Europäische Union werde sich als Wirtschafts- und Währungsunion, als Sozialunion und als Politische Union beweisen müssen. 17

17 Bull.

BReg. 1973, Nr. 14/117. HervoIhebung eingefügt.

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Sachregister (Kursive Zahlen verweisen auf Hauptfundstellen.) Abkommen über die Sozialpolitik 56, 285 ff., 293, 392, 3941f. - Art. 1 394 f. - Art. 2 200,277,286 ff., 395 ff., 409 f. - Art. 3 396 ff. - Art. 4 277, 286, 396

- Art. 5 398 - Art. 6 397 - Art. 7 398 - Rechtsnatur 398 Abstimmung der nationalen Sozialpolitiken siehe Sozialpolitik Ältere Menschen 161 ff. - Aktionsprogramm 162 - Begriff 161 f. - TIDE 163 AIDS-Bekämpfung siehe Gesundheitswesen Aktiengesellschaft, Europlische siehe Arbeitsbedingungen Aktionsprogramme - für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz 177 - mittelfristiges A. im Sozialbereich (1984) 45 - sozialpolitisches (1974) 44 f., 85, 115, 155 ff., 173,304 - zugunsten der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen (1976) 85 f. - COMEIT 137 ff., 367, 383 - ERASMUS 138 ff., 367

- ERGO 164

-

EUROTECNEr 138 ff. FORCE 138 ff. HEUOS 155 f. Jugendfür Europa 383 KAROLUS 140

- LEDA 164

- LEONARDODA VlNCI 139 - MA1THA.EUS 139 f. - MA1THA.EUS-TAX 140 - PElRA 94,138,367 - PROGRESS 160 f. - SOCRATES 139 - TEMPUS 175 Anerkennung - beruflicher Befähigungsnachweise 87 ff. - von Diplomen und Studienzeiten, akademische 89 Angleichung der Rechtsvorschriften 377 ff. Arbeitgeberverband siehe Sozialer Dialog Arbeitnehmer 347 f. Arbeitnehmerfreizügigkeit siehe Freizügigkeit Arbeitsbedingungen 123 ff., 205 ff. - Arbeitsvertrag 127,205 ff. - betriebliche Mitbestimmung 128 ff., 211 - Ermittlung 124 f. - Europäische Aktiengesellschaft 128 f.

Sachregister - Europäische Betriebsräte 131 ff., 292,

399 - Harmonisierung von Sozialvorschriften im Straßenverkehr 127 f. - Schutz vor Massenentlassungen 125 f.,

212 - Schutz beim Untemehmensübergang 126,212jJ.

- Schutz bei Zahlungsunf"ahigkeit des Arbeitgebers 126, 212, 221 jJ. - "Vredeling-Richtlinie" 130 f. Arbeitslose 163 ff. - Aktionsprogramme (ERGO und LEDA)

164 - ELlSE 164 - EUROFORM 164 - MISEP 164 Arbeitslosigkeit siehe Beschäftigung (Beschäftigungslage ) Arbeitsmarkt 41 ff., 52 ff., 82, 86jJ.,

159,206,274, 372ff., 395,405 - Arbeitskräfteausgleich 86 f. - EURES (früher SEDOC) 86 f.

- Transparenz 86 ff. Arbeitsrecht siehe Arbeitsbedingungen Arbeitsschutzrecht siehe Gesundheitsschutz (der Arbeitnehmer) Arbeitsumwelt 67, 178 jJ., 204, 380 Arbeitsunflihigkeit siehe Leistungen bei Krankheit Arbeitsvertrag siehe Arbeitsbedingungen Art. 1 EAGV 315 Art. 2 EAGV 310 ff. Art. 3 EAGV 310, 326 f.

443

Art. 3 EGKSV 109,310 ff., 326 f. Art. 4 EGKSV 310 Art. 5 EGKSV 310 Art. 8 EGKSV 310 Art. 14 EGKSV 326, 333 Art. 20 EGKSV 310 Art. 53 EGKSV 327 f. Art. 54 EGKSV 142 Art. 56 EGKSV 107 f. Art. 59 EGKSV 311 Art. 67 EGKSV 315 Art. 85 EGKSV 107 Art. 88 EGKSV 229 f. Art. 95 EGKSV 64, 109,310 ff., 326 Art. 2 EGV 63,315 ff., 386, 394 Art. 3 EGV 61 ff., 310 ff., 321 Art. 3 a EGV 315 Art. 3 b EGV 64jJ., 389 ff., 408 Art. 4 EGV 310, 326 f. Art. 5 EGV 230 ff., 316, 332, 388 Art. 6 EGV 321,359 f., 369, 377 Art. 7 a EGV 196,321 Art. 9 ff. EGV 315,321 Art. 12 EGV 321 Art. 29 EGV 321 Art. 30 EGV 321 Art. 39 EGV 321 Art. 48 ff. EGV 57,79 ff., 311 ff., 321, 345 jJ., 372 ff., 384 ff. Art. 50 EGV 92 ff., 138 Art. 51 EGV 95,243,250,272,311, 351 jJ. Art. 52 ff. EGV 57,99,315,321,334, 356jJ.

Art. 30 ff. EAGV 112, 121, 198,311 ff.

Art. 57 EGV 57,87,311,321,357

Art. 115 EAGV 310

Art. 59 ff. EGV 321,334, 356jJ., 369

Art. 147 EAGV 334

Art. 69 EGV 311

Art. 149 EAGV 334

Art. 74 EGV 315

Art. 161 EAGV 310,326 ff.

Art. 75 ff. EGV 197

Art. 203 EAGV 64,310 ff., 326

Art. 85 ff. EGV 311,321

Art. 2 EGKSV 109, 315

Art. 99 EGV 321

444

Sachregister

Art. 100 ff. EOV 32,58,64, 178 f., 185, 193 ff., 208 f., 311, 321, 333, 377ff., 389f. Art. 103 EOV 311 Art. 110 EOV 321 Art. 117 EOV 36,69, 185 f., 191, 369 ff., 378, 385, 390 f. Art. 118 EOV 179, 184 ff., 204, 369 f., 373 ff., 385, 390 f. Art. 118 a EOV 50, 67 ff., 116 ff., 177ff.,311,321, 363,377,384, 395 Art. 118 b EOV 50, 275 ff., 363 Art. 119 EOV 321, 360ff., 371, 390 ff. Art. 123 ff. EOV 62, 165 Art. 126 EOV 59 f., 70, 139, 153, 390, 408 Art. 127 EOV 59 f., 70, 139, 390, 408 Art. 129 EOV 57 f., 70, 408 Art. 130 a ff. EOV 50, 61 f., 321 f. Art. 130 f EOV 322 Art. 13? g EOV 311 Art. 130 r EOV 321 f. Art. 130 s EOV 197 f., 321 Art. 131 EOV 322 Art. 137 EOV 400 Art. 145 EOV 250, 310, 327 Art. 148 EOV 392 Art. 155 EOV 310 Art. 157 EOV 400 Art. 164 EOV 58, 248 ff., 337 Art. 167 EOV 400 Art. 169 EOV 230 Art. 171 EOV 230 Art. 173 EOV 249 Art. 174 EOV 249,334 Art. 176 EOV 334 Art. 177 EOV 249,382 Art. 189 EOV 179,234,270,310, 325 ff., 384, 397 Art. 189 b EOV 57 ff., 64, 379 Art. 189 c EOV 59 f., 62, 395

Art. 191 EOV 329 Art. 193 ff. EOV 63,400 Art. 209 EOV 334 Art. 228 EOV 334 Art. 235 EOV 32, 58 ff., 64, 310 f., 318ff., 334, 377, 381 ff., 404 Art. 239 EOV 393 Art. 248 EOV 182 Art. 2 EWOV 54, 63, 101 ff., 316, 321, 351 Art. 3 EWOV 54, 63 Art. 5 EWOV 226, 232 Art. 7 EWOV 101 ff., 351, 359 Art. 43 EWOV 142, 161 Art. 48 ff. EWOV 88 ff. Art. 51 EWOV 96 ff., 247, 250 ff., 270 Art. 52 EWOV 344, 357 Art. 54 EWOV 129 Art. 57 EWOV 89, 134, 195 Art. 58 EWOV 129 Art. 59 EWOV 344 Art. 66 EWOV 89, 134, 195 Art. 75 EWOV 127 Art. 100 ff. EWOV 46, 54, 64, 116 f., 125 ff., 139, 144 ff., 193, 207 ff., 231 ff., 361, 379, 383, 390 Art. 117 EWOV 374 Art. 118 EWOV 39 ff., 134, 364, 374 ff. Art. 118 a EWOV 50,54, 118, 157,390 Art. 118 b EWOV 50 Art. 119 EWOV 143 f., 266, 344, 361 f., 371 ff. Art. 122 EWOV 124 Art. 123 ff. EWOV 62, 165 f., 172 Art. 128 EWOV 136 ff., 155, 364 ff., 383 Art. 130 a ff. EWOV 50, 165 ff. Art. 145 EWOV 250 Art. 149 EWOV 57 Art. 155 EWOV 162,201,379 Art. 169 EWOV 233, 361

445

Sachregister Art. 177 EWGV 263 f.

Behinderte 154 ff.

Art. 189 EWGV 227, 234 f.

- Aktionsprogramme (HELlOS) 155 f.

Art. 193 ff. EWGV 63

- Begriff 155 f.

Art. 215 EWGV 229 f.

- HORlZON 158 - TIDE 157 Beihilfen - Anpassungsbeihilfen 107 ff. - Ausbildungshilfen 109 - "EGKS-Beihilfen" 109 - für Opfer von Naturkatastrophen 110 - Sonderbeihilfen 108 Berichtspflichten der Kommission 52,61, 73, 128,398 Berufsausbildung 363 ff. - Begriff 135, 365 - Berufsberatung 136 - COMEIT 137 ff., 367, 383 - ERASMUS 138 ff., 367 - EUROTECNEr 138 ff. - FORCE 138 ff. - KAROLUS 140 - LEONARDO DA VINCI 139 - MA.1TIL4EUS 139 f. - MA1TIL4EUS-TAX 140

Art. 227 EWGV 97 Art. 235 EWGV 43, 93, 101 ff., 116 ff., 128, 137 f., 145 ff., 153 ff., 162, 172 ff., 317 f., 321, 361, 379, 381 ff. Aufenthaltsrcchte - für Gemeinschaftsbürger 102 f. - für aus dem Erwerbsleben ausgeschiedene Arbeitnehmer 102 f. - für Studenten 103 f. Auslegung des Gcmeinschaftsrcchts - bei Ausnahmevorschriften 349 f., 380 - dynamische 372

- effet utile 237, 340 f, 375 f. - grundrcchtskonforme 387 - systematische 184 f., 252 f., 370 ff., 380f. - teleologische 185 ff., 252 f., 366 f. - wörtliche 181 ff. Ausschüsse - Beratender Ausschuß für die Berufsausbildung 137 - Beratender Ausschuß für Chancengleichheit von Frauen und Männem 150 - Beratender Ausschuß für die soziale Sicherheit der Wanderarbcitnehmer 274 - Beratender Ausschuß für Sicherheit,

- PETRA 94, 138,367 - SOCRATES 139 - Zugang zum Berufsausbildungssystem eines anderen Mitgliedstaats 367 ff. Berufsausbildungspolitik, gemeinsame 136 f., 364jJ. Berufskrankheiten 113 ff., 200 ff. Beschäftigung

Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz

- Beschäftigungslage 45 ff., 74 ff.

am Arbeitsplatz 115

- illegale 46 f. - in der öffentlichen Verwaltung 79,90,

- Ständiger Ausschuß für Beschäftigungsfragen 41

350f.

- Wirtschafts- und Sozialausschuß 62 f.

Beschlüsse siehe Rechtshandlungen

Austausch junger Arbeitskräfte 92 ff.

Besitzstand, gemeinschaftlicher 72 Betriebsräte, Europäische siehe Arbcitsbedingungen

446

Sachregister

Bildung - allgemeine 59 f. - berufliche siehe Berufsausbildung Binnenmarkt 49 ff., 75, 106, 135 ff., 186 ff., 202 ff., 231, 275, 296, 373 ff., 411

Entschließungen siehe Rechtshandlungen ERASMUS siehe Berufsausbildung

EURES siehe Arbeitsmarkt Europa der Bürger 30 Europa der zwei Geschwindigkeiten 392,

401 ff. Europäische Kommission, Haltung im

Chancengleichheit von Männem und Frauen 146, 189 ff.

CEDEFOB siehe Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung CEEP 55,280 ff., 396 COMEIT siehe Berufsausbildung Dialog, sozialer siehe Sozialer Dialog Dienstleisnmgsverkehr, Recht auf freien

D. 99 ff., 195 - Erleichterung der Inanspruchnahme 100 ff. - Inhalt 99 ff., 356 ff. - unmittelbare Geltung 357 f. Diskriminierungsverbot 321,359,369 Dreierkonferenzen 47 f. Drogenbekämpfung 122 f. Dumping, soziales 299, 401 Dynamik des Gemeinschaftsrechts 72, 236,248 ff., 314, 322 f., 341 jJ., 385,

408 Effet utile siehe Auslegung des Gemeinschaftsrechts EFrA 138,281 f.

EGB 55,75,280 ff., 396 Einheitliche Europäische Akte (EEA) 50 f., 116, 167 f., 177, 193,278,293, 390 - Präambel zur EEA 49 - Art. 1 EEA 322 Empfehlungen 201 ff., 332f. Entscheidung 331 f.

sozialen Bereich 37 f., 40 ff., 75 ff. Europäisches Parlament, Haltung im sozialen Bereich 37 f., 42 ff., 53 f., 78 f. Europäischer Rat, Haltung im sozialen Bereich 45 f., 50 ff., 71 ff. Europäischer Sozialfonds 62, 165 ff. - besondere Förderung einzelner Mitgliedstaaten 172 f. - Finanzausstattung 171 f.

- Kritik an seiner Funktionsweise 165 f. - Reformen 166 ff. Europäischer Sozialraum 29, 49, 295 jJ., 411 Europäische Sozialunion 29,295, 303jJ., 411 f. Europäische Stiftung für Berufsbildung 175,381 f. Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen 174, 180,381 f. Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (CEDEFOB) 173 f., 381 f.

EUROTECNEI siehe Berufsausbildung Familienangehörige - von Wanderarbeitnehmern, Aufenthaltsrechte 83, 349 - von Wanderarbeitnehmern, Bildungsrechte 83, 91, 367 ff. - von Wanderarbeitnehmem, Zugangsrechte zum Arbeitsmarkt 83

447

Sachregister - von selbständig Erwerbstätigen, Aufenthaltsrechte 100 - von sonstigen Personen, Aufenthaltsrechte 103

Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer 29, 50 jJ., 188, 392 ff., 407 - Aktionsprogramm 52 f., 202

Familienleistungen 238 ff.

- Anwendung 52 f.

- Begriff 238 f., 252 f.

- Inhalt 50 ff.

- Differenzanspruch 254 ff.

Gemeinschaftsinitiativen

- Leistungsexport 235 f., 258 ff.

- EUROFORM 164 - HORIZON 158

- Sonderregelungen für Frankreich 239 f., 244 jJ. - Vermeidung einer Kumulierung von Anspliichen auf F. 240 f., 254 jJ. - Wohnsitzerfordernis im Beschäftigungsstaat 240 ff.

FORCE siehe Berufsausbildung Frauen 148 ff. - Aktionsprogramme zur Förderung der Chancengleichheit von Männem und F. 148 ff. - berufliche Bildung 149 ff. - berufliche Förderungsmaßnahmen 150 f. - Gleichbehandlung von Männem und Frauen im Arbeitsprozeß 143 ff., 360 ff.

Freizügigkeit - Entwicklung 80 f. - Erleichterung der Inanspruchnahme 85 ff.

- RECHAR 108 Gemeinschaftsrecht - Einheit des G. 182,237,339,401 ff. - Nichtbeachtung des G. 143 f. - unmittelbare Geltung des G. 338 - Verhältnis des G. zu nationalem Recht 335 ff. - Vorrang des G. vor nationalem Recht 336 ff. Gerichtshof der EG - Einbindung in den Integrationsprozeß 343 f.

- Kritik an seiner Rechtsprechung 229 ff., 237 f., 240 ff., 256 ff., 267 ff. Gesundheitsschutz - Aktionsprogramme ll5 f., 177 - der Arbeitnehmer 67 ff., 111 ff., 177jJ., 363, 386 - der Bevölkerung ll2 - Empfehlungen ll3 ff.

- GIeichbehandlungsgrundsatz 82 f.,

- Forschungsprogramme 111

272,348f. - Inhalt 79, 82 jJ., 272 f., 346 jJ.

- Aktionsprogramme 122

Gesundheitswesen 120 ff. - allgemeine Maßnahmen für alle

Gemeinsamer Markt 34 ff., 66, 135, 196, 208, 315 ff., 321 jJ., 345, 356, 369, 372 ff., 385 Gemeinschaft - Gliindung der G. 3ll f. - Ziele der G. 3ll ff., 320jJ., 394 Zweck der G. 315, 336, 342

Sektoren 121 ff. - Maßnahmen im EAG-Sektor 120 f. Gewerkschaften siehe Sozialer Dialog GIeichbehandlung von Männem und Frauen im Arbeitsprozeß 143 ff., 360 ff.

- Kinderbetreuung 146 ff.

448

Sachregister

- Schutz der Würde von Frauen und Männem am Arbeitsplatz 147 Gleichbehandlungsgrundsatz siehe Freizügigkeit

- Förderung des Jugendaustauschs 59,

152 f. - Jugendarbeitsschutz 113, 119 f. - weitere Maßnahmen 154

Grünbuch über die europäische Sozialpolitik 75 ff. Grundrechte auf Gemeinschaftsebene - Beachtung der Grundrechte 337, 386 f - soziale 49 f., 54, 302 ff., 361, 386 f.

(siehe auch Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer) Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen 144 f., 397 Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten siehe Rechtsgrundsätze, allgemeine Günstigkeitsprinzip 213,222,290

KAROLUS siehe Berufsausbildung Kinderbetreuung siehe Gleichbehandlung von Männem und Frauen im Arbeitsprozeß Kindergeld siehe Familienleistungen Kohäsionsfonds 61 Kollektivverträge auf europäischer Ebene

276 ff. - Inhalt 278, 287 ff. - Geltungsbereich 290 - gerichtliche Überprüfung 291 - Verhältnis zu nationalen Tarifverträgen

290 - Vertragsabschluß 283 ff. - Vertragsparteien 280 ff.

Harmonisierung der nationalen Sozialpolitiken siehe Sozialpolitik

HELIOS siehe Behinderte (Aktionsprogramme)

HORlZON siehe Behinderte

Kommission siehe Europäische Kommission Kompetenzausübung im sozialen Bereich, Grenzen einer K. 384 ff. Kompetenzen 308 ff. - ausschließliche Kompetenzen 65 ff.,

Implied powers siehe Kompetenzen Integration - abgestufte siehe Europa der zwei Geschwindigkeiten - allgemein 342 - im sozialen Bereich 29,401 ff. Integrationsbereich siehe Kompetenzzuweisungen an die Gemeinschaft (allgemein)

IRIS siehe Frauen (berufliche Bildung) Jugend 151 ff. - Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit

152

408 - Begriff 308 f. - implied powers 317 f., 340 f. - nicht-ausschließliche Kompetenzen

65 ff., 70 f., 408 Kompetenz-Kompetenz 325 f. Kompetenznormen - allgemeine 312,377ff. - spezielle 310 ff., 377 - subsidiäre 310 ff., 377, 381 ff. Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten 309 ff.

449

Sachregister KompeteDZZUweisungen an die Gemeinschaft 309 ff. - allgemein 309, 314, 326 ff. - "Prinzip der begrenzten Ermächtigung"

310 ff. - spezielle K. im sozialen Bereich 345 ff. Kooperationsbereich siehe Kompetenzzuweisungen an die Gemeinschaft (allgemein) Koordinierung der nationalen Sozialpolitiken siehe Sozialpolitik Krankheit siehe Leistungen bei Krankheit Krebsbekämpfung siehe Gesundheitswesen Leistungen bei Krankheit 260 ff. - Kontrolluntersuchung 270 f. - Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit 262 ff. Leistungen der sozialen Sicherheit siehe Leistungen bei Krankheit und Familienleistungen Leistungsexport 258 f., 273 f.

LEONARDO DA VINCI siehe Berufsausbildung Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit siehe Leistungen bei Krankheit

Nahrungsmittelhilfe siehe Verannte Personen Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts

105,361 Nichtigkeitsverfahren 249 Niederlassungsfreiheit - Erleichterung der Inanspruchnahme 100 ff. - Inhalt 99 ff., 356 ff. - soziale Sicherheit der Niederlassungsberechtigten 10 1 - unmittelbare Geltung 357 f. Normenerlaßklage vor nationalen Gerichten 235 f. NOW siehe Frauen (berufliche Förderungsmaßnahmen) Öffentliche Verwaltung, Beschäftigung in der Ö.V. siehe Beschäftigung ordre public-Vorbehalt 79 ff., 349 f., 356 Organleihe siehe Protokoll über die Sozialpolitik Personenverkehr, freier 102 PErRA siehe Berufsausbildung Präambel - zum Abkommen über die Sozialpolitik

394

- zum EAGV 312 Maastricht-Urteil 338 Massenentlassungen, Schutz vor M. siehe Arbeitsbedingungen

MA1THAEUS siehe Berufsausbildung MA1THAEUS-TAX siehe Berufsausbildung Meistbegünstigungsgrundsatz 353,389 Mindestvorschrifien 193, 198 ff., 406 ff. Mitbestimmung siehe Arbeitsbedingungen (betriebliche Mitbestimmung) Mutterschaftsurlaub 188 ff.

- zurEEA 49 - zum EGKSV 312

- zum EGV 312,321 f., 371, 391 - zum Protokoll über die Sozialpolitik 401 "Prinzip der begrenzten Ermächtigung"

siehe KompeteDZZUweisungen an die Gemeinschaft Protokoll über die Sozialpolitik 56,

291 ff., 392ff. - Organleihe 291,392 ff.

450

Sachregister

- Rechtsnatur 393 f. Subsidiarität im sozialen Bereich 409 - Ziff. 1 291,399 Ziff.2 393,399 Querschnittsklausel 57 f. Rat, Haltung im sozialen Bereich 38 ff., 44 ff., 74 Rechtsakte 328 ff. - Abgrenzung 328 ff. - Auswahl 333 f. Rechtsangleichung siehe Angleichung der Rechtsvorschriften Rechtsgrundsätze, allgemeine 387 ff. - Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten 388 - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 71, 387 f. - Subsidiaritätsprinzip 64 ff., 389, 408 f. Rechtshandlungen 334 f. - Beschlüsse 335 - Entschließungen 335 Richtlinien 205 ff., 329 ff., 406 - Schadensersatzpflicht der Mitgliedstaaten für nicht fristgemäße Umsetzung von R. 223 ff., 331, 344 - unmittelbare Wirkung von Richtlinienbestimmungen 224, 330 f., 344 "Rosinenpolitik " im sozialen Bereich 38 Schutz, sozialer - Annäherung der Ziele und der Politik

im Bereich des s. S. 106 - Begriff 104 - für Entwicklungshelfer 105 - Untersuchungen 104 f . SEDOC (jetzt EURES) siehe Arbeitsmarkt Sicherheit, soziale

- Begriff 96 - Geltungsbereich der VO (EWG) Nr. 1408171 106 f., 354 f. - der Wanderarbeitnehmer 95 ff., 351 ff. Sicherheitsschutz siehe Gesundheitsschutz Sicherungssysteme, soziale 105

SOCRATES siehe Berufsausbildung Solange ß-Beschluß 338 Sozialbudget, europäisches 41, 306 Sozialdienste siehe Freizügigkeit (Erleichterung der Inanspruchnahme) Sozialer Dialog 54 f., 275 ff., 363, 396 Sozialfonds siehe Europäischer Sozialfonds Sozialgemeinschaft 274 f. Sozialkosten 36 Sozialordnungen, Abstimmung der S. 369 ff. Sozialpartner 275 ff. Sozialpolitik (-en) Abstimmung I Harmonisierung I Koordinierung der nationalen S. 35 ff., 42,407 - als "Innenpolitik" 30, 405 - Krise der gemeinschaftlichen S. 38 f. Stärkung der gemeinschaftlichen S. 37, 42 ff., 53 f. Sozialraum siehe Europäischer Sozialraum Sozialstatistik 37 ff. Sozialsysteme, nationale 30 ff., 292 Sozialtourismus 237 ff., 275 Sozialunion siehe Europäische Sozialunion Sozialvorschriften 38, 54, 127 f., 184, 360,369ff.,390,404 Stellungnahmen 332 f. Subsidiaritätsprinzip siehe Rechtsgrundsätze, allgemeine

451

Sachregister Tarifpolitik siehe Sozialer Dialog Tarifvertrag siehe Kollektivverträge auf europäischer Ebene

Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer 270 ff.

TEMPUS siehe Aktionsprogramme

Vorabentscheidungsverfahren 249,263 f.

Territorialitätsprinzip 275

"Vredeling-Richtlinie" siehe Arbeitsbedin-

1IDE siehe Behinderte und Ältere

gungen

Menschen Transfer von Leistungen der sozialen Sicherheit 237 ff.

Wanderungspolitik gegenüber Drittländern 46,373 ff. Weißbuch "Wachstum, Wettbewerbsfähig-

Umsetzungsdefizite - beim Aktionsprogramm zur Anwen-

keit, Beschäftigung" 74 ff. Wettbewerb

dung der Gemeinschaftscharta der so-

- Wettbewerbsrahigkeit 46, 142, 171

zialen Grundrechte der Arbeitnehmer

- Wettbewerbsgleichheit 35

53 - bei Richtlinien 146,207,223,237, 406

UNICE 55,280 ff., 396

Union, Europäische - Unionsbürger 102, 367 ff., 386, 390 f. - Vertragsentwurf des EP (1984) 49 Unternehmensübergang siehe Arbeitsbedingungen

- Wettbewerbsverzerrungen 195 f., 401 Wirtschaftlicher und sozialer Zusammen-

halt 50, 61 ff., 134, 167 f., 315,411 Wirtschafts- und Sozialausschuß siehe Ausschüsse Wirtschafts- und Währungsunion 56, 303 f., 401 Wohnsituation der Arbeitnehmer siehe Freizügigkeit (Erleichterung der Inanspruchnahme)

Verarmte Personen 159 ff. - Aktionsprogramme (PROGRESS)

Wohnungsbau, Maßnahmen zur Förderung des W. 142 f.

160 f. - Begriff 159 - Nahrungsmittelhilfe 161 Verbleiberecht siehe Freizügigkeit (Inhalt) Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Sonderstellung im

Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, Schutz bei Z. siehe Arbeitsbedingungen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in sozialen Fragen 373 ff. Zusammenhalt, wirtschaftlicher und sozialer siehe Wirtschaftlicher und sozialer

sozialen Bereich 29,50,293,399 f., 409 f. Vergünstigung, soziale siehe Freizügigkeit (Gleichbehandlungsgrundsatz)

- ausschließliche 65 ff., 408

Verhältnismäßigkeit, Grundsatz der V.

- nicht-ausschließliche (konkurrierende)

siehe Rechtsgrundsätze, allgemeine Verordnung 328 f.

Zusammenhalt Zuständigkeit

65 ff., 70 f., 408