Tabu der Einheit?: Die Ost-West-Gemeinschaft der evangelischen Christen und die deutsche Teilung (1945-1969) 9783666557439, 3525557434, 9783525557433


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German Pages [1028] Year 2005

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Tabu der Einheit?: Die Ost-West-Gemeinschaft der evangelischen Christen und die deutsche Teilung (1945-1969)
 9783666557439, 3525557434, 9783525557433

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Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Carsten Nicolaisen und Harald Schultze

Reihe B: Darstellungen Band 42

Vandenhoeck & Ruprecht

Claudia Lepp

Tabu der Einheit? Die Ost-West-Gemeinschaft der evangelischen Christen und die deutsche Teilung (1945–1969)

Vandenhoeck & Ruprecht

Die Umschlagabbildung zeigt die Versöhnungskirche in Berlin. Der Verlag und die Autorin haben sich bemüht, den Rechteinhaber ausfindig zu machen. Für weiterführende Hinweise sind wir dankbar. Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-55743-4

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Satzspiegel, Nörten-Hardenberg Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Inhalt

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Leben in der Hoffnung auf Wiedervereinigung (1945–1955) . . . . . . . . .

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1.1 Grundzüge des Verhältnisses der Protestanten zu nationalstaatlicher und nationalkirchlicher Einheit im 19. und frühen 20. Jahrhundert . . . . . . .

25

1.2 Zonengrenzen sind keine Kirchengrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Kirchliche Einheit und ostzonale Sonderentwicklung . . . . . . . . . . 1.2.2 Die Kirche als (Für-)Sprecherin des deutschen Volkes: Eigene Schuld, fremde Schuld und die deutsche Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Eine Kirche und zwei deutsche Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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35 35

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49 83

1.3 Deutschlandpolitischer Streit und kirchliche Ost-West-Solidarität . 1.3.1 Nationale Einheit und (west-)deutsche Wiederbewaffnung . . . . 1.3.2 Kirchliche Einheit und „Kirchenkampf“ in der DDR . . . . . . . 1.3.3 Zwischen Wiedervereinigung und Westintegration . . . . . . . . 1.3.4 Kirchliche Ost-West-Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . .

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102 102 151 164 190

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1.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2.

Die kirchliche Einheit – bedroht und diskutiert (1956–1961) . . . . . . . . 219

2.1 Die „Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland“ und die „Einheit des Volkes“ – Vorgeschichte und Verlauf der außerordentlichen Synode 1956 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2.2 Gefahren für die äußere und innere Einheit der Kirche . . . . . . . 2.2.1 Militärseelsorgevertrag und Jugendweihe – zwei Exempel gesamtkirchlicher Beratungs- und Beschlussgemeinschaft? . . . . 2.2.2 Der gesamtkirchliche Streit um „rechte Obrigkeit“ und Atombewaffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Die Deutschlandfrage vor Torschluss . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . 241 . . . . 241 . . . . 256 . . . . 277

2.3 Diskussionen über die Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 2.3.1 Die Suche nach den Grundlagen der Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . 289 2.3.2 Bewährungsproben für die Einheit: Synode und Kirchentag 1961 . . . . 316

6

Inhalt

2.4 Protestantische Begegnungskultur im Jugend- und Studentenbereich 2.4.1 Begegnungen beiderseits der Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Treffpunkt Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Begegnungen im Jahr des Mauerbaus . . . . . . . . . . . . . . . . .

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330 330 343 361

2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 3. Im Bann der Mauer (1961–1964) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 3.1 Kirchliche Gemeinschaft zwischen Einheit und Eigenständigkeit . . 3.1.1 Erste Reaktionen auf den Mauerbau . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Organisatorische Varianten kirchlicher Einheit . . . . . . . . . . 3.1.3 Standortbestimmungen im gesamtkirchlichen Kontext . . . . . .

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379 379 391 413

3.2 Die deutsche Frage im Zeichen der Ernüchterung . . . . . . . . . . 3.2.1 Deutschland- und ostpolitische Initiativen . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Humanitäre Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Die EKD, die Ökumene und die deutsche Frage . . . . . . . . . .

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423 423 448 460

3.3 Mauersprünge – Die Entwicklung im Spiegel der Partnertreffen . . . . . . 488 3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 4. Wandlungen – Die Friedensaufgaben der Deutschen (1965–1968) . . . . . . 520 4.1 Deutschlandpolitik im Zeichen des Wertewandels . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Frieden, Versöhnung und Vaterland: Kirchliche Erklärungen des Jahres 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Die Diskussion um Volk, Nation und Vaterland im bundesdeutschen Protestantismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Deutschlandpolitische An- und Vorstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Entstehung und Wirkung der Studie „Die Friedensaufgaben der Deutschen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die bedrohte kirchliche Einheit – Klärungen zum Selbstverständnis zwischen Ost und West . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Brüchige Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Das Bekenntnis von Fürstenwalde 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Der Präzedenzfall und ein Nachahmungsversuch: Strukturveränderungen im Bereich der evangelischen Studenten- und Jugendarbeit . . . . .

520 520 538 572 600

655 655 682 705

4.3 Begegnungen im Zeichen der Entfremdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748 4.3.1 Erste Versuche einer Politisierung der Begegnungen . . . . . . . . . . . 748 4.3.2 Partnerschaftsarbeit in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762 4.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 781

Inhalt

5.

7

Auf dem Weg zur „besonderen Gemeinschaft“ der evangelischen Christenheit in zwei deutschen Staaten mit Beziehungen „von besonderer Art“ (1967–1969/70) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 790

5.1 Die Formationsphase des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR . 790 5.2 Der Übergang von der rechtlich-organisatorischen Einheit zur „besonderen Gemeinschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851 5.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 921 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 928 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 939 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 976 Personenregister mit biografischen Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 979

Vorwort Vorwort

Vorwort Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die gekürzte Fassung meiner Untersuchung, die im Sommersemester 2004 von der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Universität Karlsruhe als Habilitationsschrift angenommen wurde. Die Arbeit entstand im Rahmen des Forschungsprojektes der EKD „Die Rolle der evangelischen Kirche im geteilten Deutschland“. Das Projekt wurde von einem Wissenschaftlichen Beirat begleitet, dessen verstorbenen Mitgliedern Professor Dr. Joachim Mehlhausen, Professor Dr. Dr. Kurt Nowak und Professor Dr. Leonore SiegeleWenschkewitz ich an dieser Stelle gedenken möchte. Während der Entstehung dieses Buches erhielt ich von vielen Menschen Unterstützung. Dafür möchte ich ihnen allen sehr danken. Ein besonderer Dank gilt zunächst meinen drei Gutachtern Professor Dr. Hans Fenske, Professor Dr. Carsten Nicolaisen und Professor Dr. Peter Steinbach. Peter Steinbach danke ich zudem für seine vorzügliche Begleitung durch das Habilitationsverfahren, Carsten Nicolaisen für seinen stets hilfreichen Rat. Wichtige Anregungen erhielt ich im Anfangsstadium der Arbeit von Prof. Dr. Anselm Doering-Manteuffel. Prof. Dr. Wolf-Dieter Hauschild danke ich für die Ermunterung zur Habilitation. Ein herzlicher Dank geht an meine mehr als kooperativen Mitstreiter und Mitstreiterinnen an der Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte, insbesondere Dr. KarlHeinz Fix und Nora Andrea Schulze sowie Sonja Lange und Tanja Posch-Tepelmann, die den Text mit scharfen Augen und wachem Verstand gelesen haben. Danken möchte ich auch Herrn Pfarrer Martin Kramer, der einen Teil der Arbeit aus der Perspektive des Zeitzeugens durchgesehen hat. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den zahlreichen von mir besuchten staatlichen und kirchlichen Archiven schulde ich Dank für ihre Hilfsbereitschaft. Insbesondere das Evangelische Zentralarchiv in Berlin und seine Leiterin Frau Dr. Christa Stache sind hier hervorzuheben. Der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte und den beiden Herausgebern Professor Dr. Carsten Nicolaisen und Professor Dr. Harald Schultze danke ich für die Aufnahme in die Reihe „Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte“. Der größte Dank aber gilt wie immer meinem Mann und „geneigten Leser“ Professor Dr. Edgar Wolfrum. München, im November 2004

Claudia Lepp

Einleitung Einleitung

Einleitung In den ersten Jahren des wiedervereinigten Deutschlands war innerhalb des deutschen Protestantismus ein gewisser Stolz darauf zu spüren, während der Zeit der Zweistaatlichkeit einen Beitrag zum Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen geleistet zu haben. Zugleich trat mit dem neu gewonnenen Nationalstaat in den Reihen der Protestanten auch eine Unsicherheit zutage, die den Diskurs über die nationale Identität der Deutschen betraf. Kennzeichnend für die Zeit nach 1989/90 war schließlich eine Gleichzeitigkeit von Vertrautheit und Fremdheit unter den auch kirchlich wiedervereinten Protestanten in Ost und West. Diese drei Befunde aus dem Bereich von nationaler und kirchlicher Einheit, die kaum an Aktualität verloren haben, geben Anlass, den Blick in die Phase der doppelten kirchlichen Nachkriegsgeschichte zurückzulenken und sich historisch mit dem Beziehungsgeflecht zwischen deutschem Protestantismus und deutscher Nation auseinanderzusetzen. Doch auch wenn Erkenntnisinteresse und Werturteile der geschichtlichen Betrachtung in der Gegenwart des vereinten, demokratischen Deutschlands und der erneut gesamtdeutschen EKD liegen, darf dies nicht dazu führen, die zunächst offene Geschichte der Teilung von ihrem bekannten Endpunkt aus zu erzählen1. Zeitgeschichtliche Forschung findet im Spannungsfeld von kritischer Analyse und Hermeneutik statt; sie muss den Horizont der historischen Akteure wahrnehmen und darf doch in ihrer wissenschaftlichen Reflexion nicht in ihm ihre Grenze haben. Während des Zeitraums von 1945 bis 1969, den diese Arbeit behandelt, wurde für Kirchenglieder und -vertreter die deutsche Teilung zu einer immer dauerhafter erscheinenden Realität, wohingegen die gesamtdeutsche Kircheneinheit an realem Gehalt verlor und institutionell am Ende aufgegeben wurde. Am Anfang dieses längeren Prozesses kamen im Juli 1948 in Eisenach die Kirchenvertreter zur Gründung der EKD zusammen und bekundeten durch ihr Erscheinen „vor aller Welt“, so der gastgebende Landesbischof Mitzenheim, „daß Zonengrenzen keine Kirchengrenzen sind.“2 Zwanzig Jahre später wurde in den „Evangelischen Kommentaren“ beklagt, dass im offiziellen Protestantismus in der Bundesrepublik die kirchliche Einheitsfrage die Rolle eines Tabus spiele; anders als in immer neuer Bekräftigung dürfe über sie nicht gesprochen werden3. In der DDR war hingegen dieses Tabu kirchlicherseits kurz zuvor gebrochen worden, als wiederum Mitzenheim erklärte: „Die Staatsgrenzen der Deutschen Demokratischen Republik bilden auch die Grenze für die kirchlichen Organisationsmög1 Vgl. T. RENDTORFF, Staaten, S. 31. 2 EISENACH 1948, S. 66. 3 TABU, S. 184.

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Einleitung

lichkeiten“4. Auf die nationalstaatliche Einheit bezogen hatte die EKD im März 1948 verlautbart: „Daß unserem Volk seine natürliche und geschichtliche Gemeinschaft ungeteilt erhalten bleibt, darum bitten wir um des Friedens willen und der sittlichen Gesundung unsres Volkes willen.“5 1965 sah Erich Müller-Gangloff, Leiter der Evangelischen Akademie in Berlin, im Verzicht auf die Wiedervereinigung und in der Existenzsicherung der DDR friedenssichernde Maßnahmen und fragte: „Warum rührt niemand an dieses letzte Tabu?“6 Mit diesen Aussagen aus der je zeitgenössischen Perspektive ist das Thementableau der vorliegenden Untersuchung weitgehend abgesteckt. Forschungsziel ist es, Interpretationsmuster und Praxis kirchlicher sowie nationaler Einheit im deutschen Protestantismus vom Kriegsende bis zur Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR vor dem Hintergrund der sich verändernden nationalen und internationalen Rahmenbedingungen darzustellen und zu analysieren. Durch ihren Gegenstand gehört diese Studie in den Bereich der Kirchlichen Zeitgeschichte. Diese junge Disziplin erfuhr in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren stärkere Aufmerksamkeit und neue Akzentsetzungen. Ein interdisziplinärer Dialog zwischen Kirchen- und Allgemeinhistorikern über Methoden, Fragestellungen und Interpretationsmodelle kam in Gang7. Das Interesse der Kirchenhistoriker an der Vielfalt der geschichtswissenschaftlichen methodischen Ansätze – seien es sozialgeschichtliche, gesellschaftsgeschichtliche, geschlechtergeschichtliche und jüngst auch kulturgeschichtliche Zugänge8 – wächst. Die Forschungsperspektive richtet sich verstärkt auf die fortwährende wechselseitige Durchdringung von Konfession und Gesellschaft9. Auf der anderen Seite besteht ein – wenn auch noch steigerungsfähiges – Interesse von Nichttheologen an den Themen Religion, Konfession und Kirche, was dazu geführt hat, dass eine Reihe der jüngsten Arbeiten hierzu von Allgemeinhistorikern, Politologen und Soziologen stammt. Nachdem sich die Forschung – zum Teil infolge geschichtspolitisch motivierter Impulse seitens der Kirchen10 – über Jahrzehnte stark auf die Geschichte der evange4 5 6 7

Zitiert nach: KJ 95, 1968, S. 177. PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 415. E. MÜLLER-GANGLOFF, Teilung, S. 9. Vgl. hierzu u. a. (in chronologischer Reihenfolge): J. MEHLHAUSEN, Methode; TAGUNGSBERICHT; L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Probleme; A. DOERING-MANTEUFFEL, Zeitgeschichte; H. SCHULTZE, Geschichte; J.-C. KAISER, Forschungsaufgaben. – Um eine bewusste Rückbindung der Kirchlichen Zeitgeschichte an Theologie und Kirche bemüht sich hingegen insbesondere Gerhard Besier. Vgl. die Einführung der Herausgeber der Zeitschrift „Kirchliche Zeitgeschichte“ in: KZG 1, 1988, S. 3–6. Die Beiträge der Zeitschrift spiegeln jedoch ein breiteres Spektrum zeitgeschichtlicher Forschungsansätze. 8 Für eine kulturhistorisch fundierte Religions- und Kirchengeschichte spricht sich Frank-Michael Kuhlemann aus. Vgl. DERS., Kulturgeschichte. 9 „Konfession und Gesellschaft“ lautet auch der Titel einer von W. Damberg, A. Doering-Manteuffel, M. Greschat, A. Holzem, J.-C. Kaiser, F.-M. Kuhlemann, W. Loth und K. Nowak (†) herausgegebenen Schriftenreihe. 10 Zur Kirchlichen Zeitgeschichte im öffentlichen Meinungsstreit vgl. J.-C. KAISER, Forschungsaufgaben, S. 31–37.

Einleitung

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lischen Kirchen während der NS-Zeit konzentrierte, stand in jüngster Zeit die Epoche nach 1945 im Mittelpunkt. Auslöser hierfür war der heftige innerkirchliche und wissenschaftliche Streit um die Deutung der kirchlichen DDR-Vergangenheit, der in der ersten Hälfte der neunziger Jahre tobte. Die Debatte hat sich inzwischen beruhigt und damit löst sich allmählich auch in der DDR-Forschung die thematische Fixierung auf das Staat-Kirche-Verhältnis und die Einwirkungen des Staatssicherheitsdienstes11. Auch der westdeutsche Protestantismus rückt wieder stärker ins Blickfeld, nachdem seine Erforschung – nach vielversprechenden Ansätzen in den achtziger Jahren – angesichts der Konjunktur der DDR-Historiographie ins Hintertreffen geriet und die Forschungslage insgesamt als unbefriedigend bezeichnet werden muss12. Allmählich wird auch der Protestantismus in Ost- und Westdeutschland nach 1945 synchron in den Blick genommen, wie dies Kurt Nowak bereits 1992 gefordert hat13. Dabei verbindet die kirchliche mit der allgemeinen Zeitgeschichtsforschung die Frage, wie sich die Geschichte Deutschlands zwischen 1945 und 1989 untersuchen und beschreiben lässt14. Vornehmlich drei Möglichkeiten werden in der Forschung diskutiert15: Erstens die nationalgeschichtliche Perspektive, die von einer gemeinsamen deutschen Geschichte im Zeitalter der deutschen Zweistaatlichkeit ausgeht und folglich die Gemeinsamkeiten der beiden deutschen Entwicklungspfade betont. Dabei steht sie jedoch in der Gefahr, Unterschiede einzuebnen und teilungsbedingte Sonderentwicklungen aus dem Blick zu verlieren. Zweitens das kontrastierende Denkmodell, das die Gegensätzlichkeiten von deutscher Demokratie und deutscher Diktatur herausarbeitet. Es verfolgt die getrennten und vielfach konträren Entwicklungslinien der beiden deutschen Staaten und stellt beispielsweise die Verwestlichung der bundesdeutschen Gesellschaft der Veröstlichung der DDR-Gesellschaft gegenüber16. Der beziehungsgeschichtliche – als dritter – Ansatz konzentriert sich auf die „Verflechtung

11 Zu den Tendenzen der Forschung über die kirchlichen Verhältnisse in der DDR vgl. D. POLLACK, Soziale Rolle. 12 Einen Überblick über die Kirchengeschichte nach 1945 einschließlich der Forschungsdesiderata geben: C. VOLLNHALS, Zeitgeschichte; N. FRIEDRICH, Erforschung; T. SAUER, Geschichte. 13 K. NOWAK, Die Evangelischen Kirchen, S. 236. Erste Ergebnisse solcher Forschungen liegen bereits vor: I. HÜBNER, Diakonie; J. MEHLHAUSEN, Staaten; C. LEPP, Kirche; DIES., Geschichte. Vor der „Wende“ 1989/90 ist bereits die komparatistische Arbeit von H. ZANDER zur Rolle der Christen in den Friedensbewegungen in beiden deutschen Staaten erschienen. – Für die Geschichte des Katholizismus in den zwei deutschen Staaten erschienen ausschließlich Zeitzeugenberichte. Vgl. U. VON HEHL, Katholizismus. 14 Vgl. allgemein zu den Auseinandersetzungen darüber, wie die deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte zu schreiben sei, von wem, mit welchem methodischen Zugang und auf welcher Quellenbasis J. KOCKA, Geschichte; L. NIETHAMMER, Überlegungen; B. FAULENBACH, Jahre. – Aus theologischer Sicht und mit Blick auf die Kirchen in beiden deutschen Staaten: T. RENDTORFF, Staaten. 15 Vgl. hierzu A. BAUERKÄMPER, Zeitgeschichte, S. 14ff.; J. KOCKA, Geschichte. 16 Diesem Ansatz folgt z. B. der von K. H. JARAUSCH und H. SIEGRIST herausgegebene Band „Amerikanisierung und Sowjetisierung in Deutschland 1945–1970“. Seine Besonderheit ist der Vergleich von Amerikanisierung und Sowjetisierung, „der den Zugang für eine vergleichende deutsch-deutsche Gesellschafts- und Kulturgeschichte im internationalen Kontext bildet“ (S. 27).

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Einleitung

in der Abgrenzung“ zwischen den beiden unterschiedlichen Gesellschaftssystemen auf dem Boden einer Nation. Diese Perspektive rückt die Geschichte der Bundesrepublik sowie der DDR in einen engen Zusammenhang, ohne dass sie als eigene Untersuchungsgegenstände aufgelöst werden. Die Frage nach dem deutsch-deutschen Zusammenhang dient sowohl der Erschließung der DDR-Geschichte als auch der Neubetrachtung der Geschichte der Bundesrepublik. In Rechnung zu stellen ist jedoch der von der Forschung herausgearbeitete, ausgeprägt asymmetrische und hierarchische Charakter dieser Beziehung, da die Bundesrepublik eine größere Rolle für das politische Verhalten und den Alltag der DDR spielte als umgekehrt. Mit dem Begriff einer „asymmetrisch verflochtenen Beziehungsgeschichte“ wird dem Rechnung getragen17. Die beziehungsgeschichtliche Interpretationsdimension lässt sich zudem mit der vergleichsgeschichtlichen verbinden, um Verflechtung und Abgrenzung sowie Gemeinsames und Trennendes in der doppelten deutschen Nachkriegsgeschichte freizulegen18. Dabei gilt es, die wirksamen Traditions- und Problembestände der gesamtdeutschen Geschichte vor 1945 zu berücksichtigen, die sowohl das Wechselverhältnis als auch die inneren Zustände beider deutschen Gesellschaften beeinflusst haben. Desweiteren dürfen internationale Konstellationen wie der Kalte Krieg und die Entspannungspolitik nicht außer Acht gelassen werden. Zu Recht hat Christoph Kleßmann die evangelischen Kirchen im geteilten Deutschland wegen ihres sehr engen Kontakts als ein besonders geeignetes Feld für beziehungsgeschichtliche Untersuchungen hervorgehoben19. Aufgrund der organisatorischen Ost-West-Einheit der evangelischen Kirchen in der EKD, wie sie im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit noch existierte, ist auf ein hohes Maß an Wechselwirkungen bei den Kirchen selbst, aber auch in der Kirchenpolitik der beiden deutschen Staaten zu schließen, so dass sich ein beziehungsgeschichtlicher Ansatz, ergänzt durch eine vergleichsgeschichtliche Perspektive, anbietet, und in dieser Untersuchung auch konsequent umgesetzt werden soll. Für die Phase nach 1969 könnte hingegen ein komparatistischer Ansatz, erweitert durch eine beziehungsgeschichtliche Perspektive, eventuell sinnvoller erscheinen. Und erst, wenn der gesamte Zeitraum von 1945 bis 1989 unter dem Gesichtspunkt von Konvergenzen und Divergenzen, Verflechtung und Abgrenzung intensiv erforscht sein wird, kann die Frage beantwortet werden, wie die Geschichte der evangelischen Kirchen und des deutschen Protestantismus nach 1945 zukünftig erzählt werden sollte: als eine gemeinsame Geschichte oder als zwei getrennte Geschichten.

17 C. KLESSMANN, Vergangenheiten, S. 12. – P. GRAF KIELMANSEGG (Katastrophe, S. 553) spricht hingegen von einem „symbiotischen Antagonismus“. 18 Für eine deutsch-deutsche Vergleichs- und Beziehungsgeschichte plädieren A. BAUERKÄMPER/M. SABROW/B. STÖVER, Zeitgeschichte, S. 16. Zuletzt wies K. H. JARAUSCH Wege zu einer „Integration der beiden deutschen Nachkriegsgeschichten“ und sprach sich für ein „plurale[s] Sequenzenmodell der Geschichte der Deutschen zwischen 1945 und 1990“ aus (DERS., Teile, S. 30). 19 C. KLESSMANN, Verflechtung, S. 37. Auch K. H. JARAUSCH mahnt eine solche beziehungsgeschichtliche Studie über die evangelische Kirche an (DERS., Teile, S. 25).

Einleitung

15

Eines steht indes bereits fest und muss auch in dieser Untersuchung durchgehend berücksichtigt werden: Die evangelischen Kirchen existierten seit 1945 trotz eines Fonds von Gemeinsamkeiten in zwei zunehmend divergierenden Kontexten. Im Westen agierten sie in einem liberal-demokratischen Verfassungs- und Rechtsstaat mit sozialer Marktwirtschaft und verstärkt pluraler Gesellschaft; im Osten wirkten sie unter einer diktatorischen Herrschaft20 in einer zunehmend „durchherrschten Gesellschaft“21. Beide Kontexte führten bei Kirchen und Christen zwangsläufig zu Anpassungsprozessen an die jeweilige politische, soziale und kulturelle Entwicklung. Dass dabei die Gefahren der Selbstpreisgabe ungleich verteilt waren, ist offenkundig. Der Begriff der „Anpassung“ ist in der Diskussion über die Kirchen in der DDR seit den Arbeiten von Gerhard Besier umstritten. Seine Intention war es, den Weg der Kirchen „in die Anpassung“ an die von der SED gesetzten politischen Ziele zu beschreiben. Dieser Weg führte in seinen Augen zu einer zu großen, die Identität der Kirche gefährdenden Staatsnähe. Dabei differenziert Besier aber nicht wirklich zwischen „Anpassung“ und „Identifikation“22, sieht oft über widerständiges Verhalten von kirchlichen Verantwortungsträgern hinweg, missdeutet taktisches Verhalten und fragt nicht nach den Handlungsspielräumen der Kirchen unter den Bedingungen der SED-Herrschaft. Andere Forschungsarbeiten, die stärker die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kirchlichen Handelns in der DDR in den Blick nehmen, haben Besiers Verdikt inzwischen infrage gestellt und sind der berechtigten Frage nach Anpassung und Verweigerung der Kirchen in der DDR differenzierter nachgegangen23. Sie zeigen, dass bei den Prozessen der innerkirchlichen Entscheidungsfindung sowohl die politischen und sozialen Handlungsbedingungen als auch innerkirchliche Strukturen, kirchliche Interessen und Ziele eine Rolle spielten. Auch in der vorliegenden Arbeit wird diese differenziertere Herangehensweise gewählt und dabei insbesondere auf die Auswirkungen der deutsch-deutschen Bezüge geachtet. Noch immer fehlen indes der Forschung Beurteilungskriterien für die Analyse der sozialen und politischen Rolle der evangelischen Kirchen in der DDR sowie für die Bemessung des Grades ihrer Anpassung an politische, soziale und ideologische Realitäten24. Hier werden vergleichende Analysen der Rolle der Kirchen in verschiedenen staatssozialistischen Ländern Ost- und Mitteleuropas zukünftig weiterführen können. Um ein komplexes Bild gedachter und gelebter kirchlicher und nationaler Einheit im Protestantismus des geteilten Deutschlands zu erhalten, basiert die vorliegende Studie auf einer Kombination von drei Forschungszugriffen: Es werden die Interpretationsmuster von kirchlicher und nationaler Einheit analysiert, die Praxis der Kir20 Während über den Diktaturcharakter des SED-Regimes in der Forschung weitgehend Einigkeit besteht, wird der Begriff der Diktatur hingegen unterschiedlich interpretiert. Einen knappen Überblick über die Forschungsdiskussion gibt B. IHME-TUCHEL, DDR, S. 89–95. 21 Vgl. J. KOCKA, Sonderweg, S. 104ff. 22 Darauf weist zu Recht hin: M. GRESCHAT, Bilanz, S. 17. 23 Vgl. vor allem D. POLLACK, Kirche. Einen knappen Überblick über die Entwicklung der Forschung zum Staat-Kirche-Verhältnis in der DDR bietet D. POLLACK, Soziale Rolle. 24 Vgl. D. POLLACK, Soziale Rolle, S. 89 und M. GRESCHAT, Bilanz, S. 17.

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Einleitung

cheneinheit sowie die deutschlandpolitischen Aktivitäten im protestantischen Raum dargestellt und schließlich die protestantische Begegnungskultur beleuchtet. Diskursgeschichtlich wird danach gefragt, welche Vorstellungen im west- und ostdeutschen Protestantismus von der kirchlichen sowie von der nationalen Einheit im Allgemeinen existierten und welche besonderen Vorstellungen mit der EKD im geteilten Deutschland und einem wiederherzustellenden deutschen Nationalstaat verbunden wurden. Welche Interdependenzen gab es zwischen beiden Einheitsvorstellungen? Wo und wie waren die Diskurse über die Einheit der Kirche und die Einheit der Nation verschränkt? Welche alten Leitbilder wirkten weiter und welche neuen Deutungs- und Sinnstiftungsmuster wurden nach 1945 angesichts der zunehmenden deutschen Teilung im Spannungsfeld von Nationserhalt und „Entnationalisierung“25 entwickelt? Kam es dabei innerhalb der gesamtdeutschen kirchlichen Kommunikationsgemeinschaft zu kontextbedingten Ost-West-Gegensätzen? Der Bedeutungsgehalt des Begriffs Einheit der Kirche ist theologisch ein mehrfacher und konfessionell verschieden. Die evangelische Ekklesiologie unterscheidet an der Kirche eine dreifache Gestalt: die ecclesia spiritualis als die Gemeinschaft der wahrhaft Glaubenden, die ecclesia universalis aller Getauften und die ecclesia particularis als die äußere Partikularkirchenorganisation der historisch gewachsenen Kirchentümer26. Entscheidend für das evangelische Kirchendenken ist die Kirche als geistliche Gemeinschaft der Glaubenden. Diese realisiert sich in der universalen Taufgemeinschaft und gewinnt Gestalt in der Vielfalt der partikularen Kirchentümer. Kennzeichen und konstituierendes Element der wahren Kirche sind nach evangelischem Verständnis die reine Verkündigung des Evangeliums und die rechte Verwaltung der Sakramente. Die äußere Organisationseinheit der Partikularkirchentümer ist im evangelischen Kirchen- und Kirchenrechtsverständnis im Unterschied zum römisch-katholischen nicht „iure divino“ vorgeschrieben. Das Wissen um diese theologische Kirchenvorstellung ist für das Verständnis der historischen Akteure und deren Diskurse über die kirchliche Gemeinschaft im geteilten Deutschland von Bedeutung. Analytisch wird im Rahmen dieser Arbeit hingegen zwischen einer geistlichen Einheit, d. h. der Übereinstimmung in grundlegenden Lehraussagen, und einer institutionellen Einheit unterschieden. In der Geschichtswissenschaft ist das Interesse an dem Problemfeld Nation und Nationalismus seit vielen Jahren ungebrochen, jedoch liegt der Fokus auf dem langen 19. Jahrhundert. Neue innovative Fragestellungen wurden formuliert, kulturgeschichtliche Methoden ausprobiert und zunehmend auch historische Vergleiche durchgeführt27. In der vorliegenden Untersuchung soll unter Nation ein System von

25 Zur „Entnationalisierung“ als Umkehrung des Nation-Building-Prozesses im 19. Jahrhundert vgl. K. H. JARAUSCH, Nation, S. 30; W. LOTH, Deutschen, S. 214, spricht in diesem Zusammenhang von einer „Dekomposition der Nation“ infolge eines seit 1945 schnell voranschreitenden Entsolidarisierungsprozesses. Beide Beobachtungen beziehen sich auf die Bundesrepublik und die Westdeutschen. 26 Vgl. M. HECKEL, Vereinigung, S. 7. 27 Ein knapper Überblick über die Tendenzen der Nationalismusforschung seit den 1950er Jahren findet sich bei U. V. HIRSCHHAUSEN/J. LEONHARD, Nationalismen, S. 16–21.

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Wertorientierungen und Ordnungsvorstellungen verstanden werden, die eine Kollektivität von Menschen als eine Einheit bestimmt und nach innen Teilhabe und nach außen Abgrenzung vermittelt28. Mit der analytischen Fassung der Nation als politisches und kulturelles Deutungsmuster tritt die Variabilität und unterschiedliche Handlungsrelevanz von Nationsvorstellungen deutlich zutage29. Historisch sich wandelnde synkretistische Ideen über die Nation und ihre soziale Geltung in konkreten historischen Situationen können analytisch aufgelöst werden30. Auf Deutschland bezogen ist es für die Interpretation hilfreich mit Rainer M. Lepsius je nach dominantem Kriterium für die Bestimmung der nationalen Kollektivität vier „Typen von Nationen“ zu unterscheiden: die Volksnation, die sich über die ethnische Abstammung definiert, die Kulturnation, die sich über sprachlich-kulturelle Gleichheit konstituiert, die Klassennation, in der die Klassenlage als Bestimmungskriterium fungiert, sowie die Staatsnation, die sich „über die individuellen staatsbürgerlichen Gleichheitsrechte und die Verfahren der demokratischen Legitimation der Herrschaft durch die Staatsbürger“ konstituiert31. Die Nation ist keine naturwüchsige und eindeutige Ordnung des sozialen Lebens, sie kann sich vielmehr verändern und an die realen Machtkonstellationen der geschichtlichen Entwicklung anpassen. Der Anspruch der Höherrangigkeit der Nation gegenüber anderen Solidaritätsverbänden setzt sich erst dann durch, wenn sich die politische Herrschaftsordnung über die Idee der Nation konstituiert32. Nationalismus wiederum lässt sich als Bevorzugung des Deutungsmusters Nation und der ihren Mitgliedern zugeordneten Interessen gegenüber denen aller Außenstehenden definieren33. Der Begriff der nationalen Identität, der in jüngster Zeit starke Kritik erfahren hat34, aber nach wie vor für die Nationalismus-Forschung relevant ist, bezeichnet „jene Summe kollektiver Selbstverständnisse und Selbstbilder einer Nation [. . .], die sich in gemeinsamen kulturellen Codes, Wertsystemen, Überzeugungen und Interessen äußert, durch Institutionen und Symbole stabilisiert und aktualisiert wird und durch die sich Nationen deuten und ihre Handlungen nach innen und außen legitimieren.“35 Bei der Untersuchung von nationalen Identitätskonstruktionen sollte in der Forschung insbesondere auch die religiös-konfessionelle Dimension berücksichtigt werden. Neben der Analyse von Vorstellungen und Deutungsmustern, die hinter der evangelischen Kirchen- und Deutschlandpolitik standen, geht es in der vorliegenden Arbeit um die Darstellung von deren eigentlicher Praxis. Untersucht werden die einzelnen kirchlichen Bemühungen, die gesamtdeutsche institutionelle Kircheneinheit trotz äußerer Angriffe und innerer Entfremdung zu praktizieren sowie die Wege, die beschrit28 29 30 31 32 33 34 35

Vgl. Ebd., S. 14 und R. M. LEPSIUS, Nation, S. 13. Vgl. EBD., S. 26. EBD., S. 15. EBD., S. 23. Vgl. EBD., S. 13f. U. V. HIRSCHHAUSEN/J. LEONHARD, Nationalismen, S. 14. Vgl. u. a. L. NIETHAMMER, Identität. U. V. HIRSCHHAUSEN/J. LEONHARD, Nationalismen, S. 15.

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ten wurden, als die institutionelle Verbindung sich nicht mehr halten ließ. Es geht um die Formen und Ebenen, die Erfolge und Rückschläge, die Chancen und Grenzen kirchlicher Gemeinschaft im Kräftefeld zweier deutscher Staaten und Gesellschaften. Folglich müssen auch die – sich wandelnden – äußeren Bestimmungsfaktoren kirchlichen Handelns in Ost und West berücksichtigt werden: die Kirchenpolitik der zwei deutschen Staaten, die innere Entwicklung der beiden Teilstaaten, der jeweilige Zustand der innerdeutschen Beziehungen sowie der Wandel der internationalen Konstellationen. Diese spielen auch eine Rolle bei den verschiedenen deutschlandpolitischen Aktivitäten von protestantischer Seite auf nationaler und ökumenischer Ebene. Sie werden ebenso dargestellt und analysiert wie die deutschlandpolitischen Instrumentalisierungsversuche des gesamtdeutschen Protestantismus durch beide deutsche Staaten. Die Ost-West-Gemeinschaft evangelischer Christen erscheint somit in dieser Arbeit zugleich als Subjekt und Objekt der Deutschlandpolitik in der Zeit von Kriegsende bis zum „Machtwechsel“ in Bonn. Als dritter Zugang erfolgt eine Analyse praktizierter Einheit in Gestalt der personalen Basiskontakte, vornehmlich im evangelischen Jugend- und Studentenbereich. Denn diese Begegnungen in einem geistlich-diakonischen Begründungszusammenhang waren ein Barometer dafür, wie es um das Gemeinschaftsbewusstsein und die Verständigungsfähigkeit der evangelischen Christen aus beiden deutschen Staaten stand. Anhand zeitgenössischer Berichte über Ost-West-Treffen wird die protestantische Begegnungskultur36 vornehmlich im Jugend- und Studentenbereich nach Gestalt, Umfang und Funktion untersucht und in Beziehung zur allgemeinen kirchlichen und politischen Entwicklung gesetzt. Dabei kommen die alltäglichen Folgen der staatlichen Teilung, die Möglichkeiten und Grenzen der gemeinsamen Kommunikation sowie die wechselseitigen Wahrnehmungsmuster deutlich in den Blick. Bindungs- und Abwendungsphänomene können aufgedeckt werden. Als die drei Hauptuntersuchungseinheiten wurden die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Evangelischen Studentengemeinden in Deutschland (ESGiD) und die Evangelische Jugend Deutschlands (EJD) ausgewählt. Alle drei Zusammenschlüsse verfügten über enge deutsch-deutsche Verbindungen und nahmen sehr intensiv am Einheitsdiskurs teil. Dabei zeichneten sich insbesondere die Studentengemeinden durch eine große Reflexionsfreudigkeit aus. Das Einbeziehen des kirchlichen Jugend- und Studentenbereichs ermöglicht zudem, Rückschlüsse auf generationsspezifische Unterschiede in der Haltung zu kirchlicher und nationalstaatlicher Einheit zu ziehen37. Welche Einstellungen zu Einheit und Teilung hatten während der sechziger 36 Der Begriff stammt ursprünglich von TRUTZ RENDTORFF, der ihn jedoch erst für die Phase nach 1969 verwendet und darunter sowohl die Begegnungen auf Kirchenleitungsebene als auch auf Gemeindeebene fasst. Vgl. DERS., Staaten, S. 27. In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff für die personalen Basiskontakte im Protestantismus nach der staatlichen Teilung Deutschlands gebraucht. 37 KARL MANNHEIM (Wissenssoziologie, S. 509–565) hat bereits 1928 das Generationenkonzept als soziologische Beschreibungsgröße etabliert. Danach formt nicht allein der gemeinsame Geburtsjahrgang, sondern die gemeinsame Lage und Erlebnisschichtung Gleichaltrige erst zu einer Generation. In jüngster Zeit wird das Generationenmodell verstärkt zur Untersuchung der Gesellschaftsgeschichte

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Jahre junge Protestanten, die nicht mehr dezidiert nationalprotestantisch sozialisiert worden waren und deren Grunderfahrung die Zweistaatlichkeit war? Im Jugend- und Studentenbereich, so wird gezeigt werden, kündigten sich z. T. theologische und politische Entwicklungen an, die später auch in der Gesamtkirche an Bedeutung gewannen. Für die Untersuchung der kirchlichen Jugend- und Studentenarbeit spricht auch, dass einerseits SED und MfS sie besonders im Visier hatten, und dass andererseits die Bundesregierung nachhaltig die Ost-West-Begegnungen der evangelischen Jugend und Studentengemeinden förderte. Durch ihren Ansatz teilt die Studie das Problem aller Untersuchungen zur doppelten deutschen Zeitgeschichte: eine beide deutschen Staaten und Gesellschaften übergreifende Periodisierung38. Hinzu kommt, dass politische Ereignisse nicht immer auch Einschnitte in der Kirchen- oder gar in der Konfessionsgeschichte darstellen. Der Umstand, dass in dieser Studie sowohl die Geschichte der gesamtdeutschen Kircheneinheit als auch die der kirchlichen Deutschlandpolitik untersucht wird, macht eine chronologische Gliederung zusätzlich schwierig, auch wenn beide Geschichten eng miteinander verwoben sind. Dennoch ist eine chronologische Kapitelabfolge möglich und auch notwendig, um Entwicklungs-, Wandlungs- und Entfremdungsprozesse in der Ost-WestGemeinschaft evangelischer Christen und ihrer Haltung zur deutschen Teilung besser verdeutlichen zu können. Das erste Kapitel beginnt mit einem knappen historischen Überblick über das Verhältnis des deutschen Protestantismus zu nationalstaatlicher und nationalkirchlicher Einheit im 19. und frühen 20. Jahrhundert, das in den Folgejahren noch als Erbe nachwirkte. Der eigentliche Untersuchungszeitraum der Arbeit setzt dann mit dem Jahr 1945 ein: Das übersteigerte Nationalprinzip war gescheitert, Deutschland wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt und die gesamtdeutsche EKD vorläufig konstituiert. Das erste Kapitel umfasst die Jahre bis 1955, die innerhalb des deutschen Protestantismus geprägt waren von der Hoffnung auf Wiedervereinigung und vom Streit darüber, auf welchem Wege man die nationalstaatliche Einheit am ehesten erreichen könne. Nach dem Abschluss der doppelten Blockintegration – so wird im zweiten Kapitel gezeigt – wurde die Überwinterungsstrategie der ostdeutschen Kirchen obsolet; die kirchlichen Standortbestimmungen im ostdeutschen Staat setzten verstärkt ein. Insbesondere Theologen der mittleren und jüngeren Generation begannen, die Situation der Kirche in der DDR auch als positive Herausforderung zu deuten. Die kirchlichen Entscheidungsträger tendierten allmählich zu einem vorsichtigen Konfrontationsabbau gegenüber dem sich als dauerhaft erweisenden DDR-Staat, in dem sie der DDR und der Bundesrepublik herangezogen. Vgl. D. WIERLING, Geboren; S. SATJUKOW, Geschichte; A. SCHILDT, Ankunft, S. 181–189. Auf der Grundlage von biografischen Interviews verwendet H. FINDEIS das Generationenkonzept in seiner Untersuchung über den Einfluss biografischer Prägungen auf den Umgang von Entscheidungsträgern der evangelischen Kirchen in der DDR mit dem Steuerungs- und Kontrollanspruch der SED. Seine Ergebnisse zeigen jedoch, wie schwierig beim generationstheoretischen Ansatz generalisierbare Aussagen sind (DERS., Licht). – Die vorliegende Arbeit verfolgt keinen streng soziologischen Generationenansatz, berücksichtigt aber bei der Analyse die generationelle Komponente. 38 Vgl. W. MÜLLER, Zeitgeschichte.

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zugleich immer weniger Rückhalt in der evangelischen Bevölkerung fanden. Gleichzeitig versuchten sie, ihren gesellschaftlichen Mitverantwortungsanspruch aufrecht zu erhalten. Die SED wiederum richtete fortan ihr deutschlandpolitisches Interesse weniger auf die Klammerfunktion als auf die Spaltung der EKD. So nahmen die Gefahren für die innere und äußere grenzübergreifende Kircheneinheit schon vor 1961 zu. Die Berliner Mauer – mit deren Bau das dritte Kapitel einsetzt – belastete die Funktionsfähigkeit der EKD und die Kommunikationsmöglichkeiten der Ost-West-Gemeinschaft der evangelischen Christen schwer. Trotz verbaler Einheitsbeteuerungen nahm das mentale Auseinanderleben zu. Deutschlandpolitisch gab der Mauerbau den (letzten) Anstoß zum Umdenken. Die Darstellung der Entwicklungen in den sechziger Jahren – den „dynamischen Zeiten“ in beiden deutschen Gesellschaften39 – nimmt in der vorliegenden Arbeit einen breiten Raum ein. Es ist die Phase der mentalen und politischen Umbrüche, die sich zwar schon in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre andeuteten, sich aber erst während der sechziger Jahre vollzogen. Zugleich ist es das Jahrzehnt der Auflösung gesamtdeutscher Kircheneinheit. Eine kirchengeschichtlich bestimmte Kapitelzäsur wird 1965 gesetzt, dem Jahr der Ostdenkschrift und der Handreichung „Zum Friedensdienst der Kirche“. Im vierten Kapitel werden die Wandlungsprozesse in den Vorstellungen von Volk, Nation und Vaterland, vom Friedensdienst der Kirchen, von der Deutschlandpolitik und von der Ost-West-Gemeinschaft der evangelischen Christen aufgezeigt sowie deren kontextbedingte Unterschiede in Ost und West verdeutlicht. Das fünfte und letzte Kapitel widmet sich in bewusst deutsch-deutscher Perspektive dem Gründungsprozess des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und der Überführung der institutionellen Einheit in die „besondere Gemeinschaft“ während der Jahre 1967 bis 1969/70, wozu bislang eine detaillierte Forschungsarbeit fehlte40. Auf Grund des beziehungsgeschichtlichen Ansatzes werden in den Kapiteln stets die kirchlichen und politischen Entwicklungen in der DDR und in der Bundesrepublik gemeinsam behandelt. Einzig im Abschnitt 4.1.2 stehen allein Vorgänge im westdeutschen Protestantismus im Mittelpunkt. Denn im ostdeutschen Protestantismus konnte es aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Bedingungen keinen öffentlichen Diskurs über Volk, Nation und Vaterland, über die politische Verfasstheit der Nation und über nationale Identität geben. Durch ihre Fragestellungen und ihren methodischen Ansatz unterscheidet sich die vorliegende Arbeit von bisherigen monographischen Studien auf diesem Themenfeld. 39 A. SCHILDT, Zeiten. Die zeitgeschichtliche Forschung richtet in jüngster Zeit verstärkt ihr Augenmerk auf dieses Jahrzehnt, was nicht zuletzt darin begründet liegt, dass nach dem Ablauf der 30jährigen Sperrfrist nun auch die bundesdeutschen Akten für diesen Zeitraum frei zugänglich sind. Die Untersuchung der systemübergreifenden Trends in beiden deutschen Gesellschaften in den sechziger Jahren darf jedoch nicht dazu führen, die fundamentalen politischen Unterschiede zu verwischen. Denn während sich die Bundesrepublik in dieser Zeit liberalisierte und demokratisierte, wurde in der DDR ein solcher Prozess von oben abgeblockt, „ohne daß freilich die kulturellen Merkmale einer modernen Gesellschaft gänzlich hätten ausgelöscht werden können.“ (EBD., S. 15.) 40 Eine Spezialuntersuchung zur Gründung des BEK wird von H. DÄHN als Desiderat der Forschung angezeigt. Vgl. Ders., Kirchen, S. 212.

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Zu nennen ist zunächst die bereits 1972 erschienene Arbeit von Diether Koch über die theologisch-politische Position Gustav Heinemanns zur Deutschlandfrage, die sich der Autor weitgehend zu Eigen macht41. Einseitig Partei für den bruderrätlichen Flügel der evangelischen Kirche ergreift Johanna Vogel in ihrer Arbeit über „Kirche und Wiederbewaffnung“, die auch die deutschlandpolitische Auseinandersetzung in Rat und Synode der EKD zwischen 1949 und 1956 in den Blick nimmt, soweit dies auf der Grundlage der 1977 zugänglichen Archivquellen möglich war42. William E. Yoder beschäftigt sich in seiner 1991 abgeschlossenen, ungedruckten politikwissenschaftlichen Dissertation mit der Genese der deutschlandpolitischen Position von Otto Dibelius, dem ersten Vorsitzenden des Rates der EKD43. Der US-Amerikaner präferiert eindeutig das freikirchliche Modell sowie die theologischen und politischen Positionen von Karl Barth und Martin Niemöller. In Dibelius sieht er einen Vertreter der „traditionellen Kirche“, der sich um der staatlich geförderten Rechristianisierung willen an die vorherrschenden deutschlandpolitischen Positionen angepasst habe. Yoders thesenreiche Arbeit hält jedoch nicht immer den Fakten stand, so z. B. wenn er behauptet, Dibelius habe sich erst ab 1950/51, nachdem die westliche Unterstützung der Kirche gesichert gewesen sei, öffentlich gegen das SED-Regime gewandt44. Die vor der „Wende“ 1989/90 entstandene, aber erst 1992 gedruckte theologische Dissertation von Thomas Friebel untersucht die Wahrnehmung des Öffentlichkeitsauftrags durch die evangelische Kirche in der SBZ und DDR und favorisiert dabei theologisch eindeutig die Konzeption der „Königsherrschaft Christi“45. In einem Kapitel seiner systematisch angelegten Arbeit geht er auch auf die kirchlichen Verlautbarungen zur Deutschland- und Friedensfrage zwischen 1945 und 1969 ein und kommt zu dem Ergebnis, die EKD habe sich seit Anfang der fünfziger Jahre in ihren deutschlandpolitischen Stellungnahmen der Argumentationslinie der jeweiligen Bundesregierungen angepasst. Noch härter fällt das Urteil von Martin Lotz über die Haltung der evangelischen Kirche zur Deutschlandfrage zwischen 1945 und 1952 aus46. Ihm geht es vor allem um eine politisch-theologische (Ab-) Wertung; wissenschaftliche Grundanforderungen ignoriert er hingegen und gibt z. B. sämtliches zitiertes Archivmaterial ohne Signatur an. Fixiert auf das Verhältnis von SED-Staat und ostdeutschen Kirchen schildert Gerhard Besier im ersten Band seiner Gesamtdarstellung auch die Etappen der Spaltung gesamtdeutscher Kircheneinheit47. Ulrich Bayer verfolgt einen konfessionsvergleichenden Ansatz und untersucht in seiner 1994 abgeschlossenen, ungedruckten Dissertation 16 repräsentative protestantische und katholische Periodika aus den Jahren 1949 bis 1955 danach, welche deutschlandpolitischen Konzeptionen in ihnen ver-

41 42 43 44 45 46 47

D. KOCH, Heinemann. J. VOGEL, Kirche. W. E. YODER, Jahrhundert. EBD., S. 59 und S. 225. Vgl. zu Dibelius’ frühen Äußerungen gegen das SED-Regime Kap. 1.2.3. T. FRIEBEL, Kirche. M. LOTZ, Kirche. G. BESIER, SED-Staat.

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treten wurden48. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die deutsche Frage in der protestantischen Presse häufiger, kontroverser und theologischer thematisiert wurde als in der katholischen. Auf der Quellenbasis von drei privaten Nachlässen sowie mehrerer Interviews untersucht Thomas E. Heck in seiner politikwissenschaftlichen Dissertation die Bedeutung der EKD für die Neuformulierung der bundesdeutschen Ost- und Deutschlandpolitik während der sechziger Jahre und veranschlagt diese im Ergebnis sehr hoch49. In seiner ebenfalls politikwissenschaftlichen Dissertation nimmt Christian Hanke die Deutschlandpolitik der EKD von 1945 bis 1990 in den Blick50. Da Hanke jedoch keinerlei Archivmaterial gesichtet hat, bleiben ihm die Teile der Deutschlandpolitik der evangelischen Kirche, die hinter verschlossenen Türen stattfanden, ebenso verborgen wie die Versuche staatlicher Einflussnahme auf die kirchliche Haltung gegenüber der deutschen Teilung und ihren Folgen. Ein Verdienst von Hankes Arbeit ist indes, dass sie den Wandel im kirchlichen Demokratie-, Gesellschafts- und Staatsverständnis herausarbeitet. Dirk Palm konzentriert sich in seiner quellengestützten Untersuchung auf den evangelischen Kirchentag und die deutsche Frage. Er zeigt, wie sich während der fünfziger Jahre das politisch-symbolhafte gegenüber dem volksmissionarischen und dem akademisch-problemorientierten Kirchentagskonzept in den Vordergrund drängte51. Die vorliegende Arbeit unterscheidet sich nicht nur durch Fragestellung und methodischen Ansatz, sondern auch durch ihre breite Quellenbasis von den vorgenannten Studien. Sie berücksichtigt kirchliche sowie staatliche Quellen sowohl westdeutscher als auch ostdeutscher Provenienz und gelangt durch die Zusammenschau dieses weiten Quellenspektrums zu neuen Erkenntnissen. Da sie mit dem Jahr 1969 abschließt, ist sie nicht von der Asymmetrie der Quellenlage bei der Erforschung der doppelten Nachkriegsgeschichte betroffen, die sich aus der Aufhebung der 30-JahresSperrfrist für die DDR-Akten und deren Beibehaltung für die westdeutschen Archivalien ergibt52. Für den Untersuchungszeitraum der Arbeit steht auch das westdeutsche Quellenmaterial zur Verfügung. Nichtsdestotrotz gibt es zu den zahllosen Akten des Ministeriums für Staatssicherheit kein westdeutsches Pendant. Bedeutsam für die vorliegende Arbeit ist jedoch eine andere, qualitative Quellenasymmetrie, die sich aus der behandelten Thematik ergibt: die politisch hoch sensiblen Bereiche von gesamtdeutscher Kircheneinheit und Deutschlandpolitik werden in westdeutschen kirchlichen Quellen breiter und offener thematisiert, als dies auf ostdeutscher Seite der Fall ist. Mit dieser Asymmetrie gilt es problembewusst umzugehen. Nachfolgend seien die wichtigsten der benutzten Quellenbestände kurz benannt:

48 U. BAYER, Vorhang. 49 T. HECK, EKD. 50 C. HANKE, Deutschlandpolitik. 51 D. PALM, Brüder. 52 Um diese Asymmetrie zu beseitigen, forderte die erste Enquete-Kommission, der Forschung den Zugang zu den bundesdeutschen Akten für die Zeit bis 1989/90 zu gewähren. Vgl. H. WEBER, Stand, S. 251.

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Zu den verwendeten Quellen aus dem Bereich von Staat und Parteien der DDR zählen die Akten des Staatssekretärs für Kirchenfragen aus dem Bundesarchiv – Abteilung DDR sowie die Bestände bzw. Teilbestände: Freie Deutsche Jugend, Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED, Protokolle der Sitzungen des Politbüros der SED und des Sekretariats des Zentralkomitees der SED aus der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv. Im Archiv für Christlich-Demokratische Politik wurde der Zentralbestand der Ost-CDU ausgewertet, insbesondere Unterlagen über die Rolle der Ost-CDU im gesamtkirchlichen Teilungsprozess. Bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik wurden zahlreiche Personenakten, Sachakten der kirchenpolitischen Abteilung des MfS sowie Berichte der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe gesichtet. Mit den Texten geheimdienstlicher Provenienz gilt es besonders quellenkritisch umzugehen53. Im Bundesarchiv in Koblenz wurden Akten des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen und des Bundeskanzleramtes ausgewertet. Mit Hilfe dieser Akten ist es erstmals möglich, das Zusammenwirken von evangelischer Kirche und Bundesregierung in deutsch-deutschen Fragen näher zu beleuchten. Unter den kirchlichen Archiven, die besucht wurden, ist an erster Stelle das Evangelische Zentralarchiv in Berlin zu nennen. Dort wurde besonders intensiv mit den Beständen Kirchenkanzlei der EKD, Kirchenkanzlei der EKD – Berliner Stelle, Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR, Geschäftsstelle der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR sowie Bevollmächtigter des Rates der EKD am Sitz der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet. Gerade der zuletzt genannte Bestand war, ergänzt um den Nachlass des ersten Bevollmächtigten Hermann Kunst, für die Fragestellungen der Arbeit sehr ergiebig. Reiche Funde ergaben sich auch in den Nachlässen von Franz Reinhold Hildebrandt, Lothar Kreyssig und Erwin Wilkens. Ebenfalls im Evangelischen Zentralarchiv befinden sich die umfangreichen Akten der Evangelischen Studentengemeinde in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) und der Evangelischen Studentengemeinden in der DDR bzw. ihrer gesamtdeutschen Vorgängerin der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland. Dabei interessierten vor allem die Hinterlassenschaften des gesamtdeutsch zusammengesetzten Vertrauensrates und des gemeinsamen Generalsekretärs. Daneben finden sich Berichte über Partnergemeindetreffen, die Aufschluss geben über Verlauf und Inhalt dieser Treffen an der Basis. Aus dem Landeskirchlichen Archiv Nürnberg wurden die stenographischen Mitschriften der Sitzungen des Rates der EKD von Landesbischof Hans Meiser verwendet. Sehr umfangreiches Quellenmaterial wurde im noch ungeordneten Archiv der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugend in der Bundesrepublik Deutschland in Hannover gesichtet. Von besonderem Interesse sind hier die schriftlichen Hinterlassenschaften des Gesamtkirchlichen Ausschusses, der für die Ost-West-

53 Zu Wert und Bedeutung der Unterlagen des MfS für die zeitgeschichtliche Forschung vgl. K.-D. HENKE, Aktenlage.

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Begegnungsarbeit der Evangelischen Jugend zuständig war. Darunter finden sich auch zahllose Einzelberichte über Ost-West-Begegnungen sowie eine repräsentative Umfrage unter Begegnungsleitern zu Fragen der „innerdeutschen Beziehungen“ von 1967. Dieses Quellenmaterial über die deutsch-deutschen Jugend- und Studentenbegegnungen ist insofern einzigartig, als etwa für Treffen im Rahmen der Kirchenpartnerschaften keine vergleichbare Überlieferung vorliegt. Für die Erforschung der OstWest-Gemeinschaft evangelischer Christen ebenfalls äußerst hilfreich waren die von dem Journalisten Reinhard Henkys zur Verfügung gestellten Materialien. Dazu zählt insbesondere eine nichtveröffentlichte Umfrage unter ostdeutschen Kirchengliedern aus dem Jahr 1968 zu Fragen der kirchlichen und staatlichen Einheit. Ergänzt werden die archivalischen Quellen durch die Befragung einer Reihe von Kirchenvertretern, Theologen und Journalisten, die auf der deutsch-deutschen Kirchenbühne agierten. Sie erbrachten Hinweise auf Handlungsträger und Einzelereignisse, denen anschließend anhand der schriftlichen Quellen nachgegangen wurde54.

54 Den Befragungen wird folglich nur eine sehr eng begrenzte Funktion zugewiesen. Vgl. zu den Problemen der Oral History im Bereich der Kirchlichen Zeitgeschichte G. BESIER, Psychophysiologie.

HoffnungaufWiedervereinigung(1945–1955)

1. Leben in der Hoffnung auf Wiedervereinigung (1945–1955) ProtestantenundEinheit

1.1 Grundzüge des Verhältnisses der Protestanten zu nationalstaatlicher und nationalkirchlicher Einheit im 19. und frühen 20. Jahrhundert Besetzt, aufgeteilt und territorial dezimiert lag 1945 das Deutsche Reich danieder. Besiegt war die Nation und zertrümmert der Nationalstaat, mit denen sich der deutsche Mehrheitsprotestantismus seit den Tagen der Reichsgründung in wachsendem Maße identifiziert hatte. Entsprechend schwer fiel es dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, dem 1868 geborenen Theophil Wurm, sieben Monate nach der deutschen Kapitulation zuzugeben, „daß unser Weg, auch der Weg der Kirche, ein Irrweg gewesen ist, sofern wir unsere Hoffnungen für das Reich Gottes allzu eng mit den besonderen Anliegen für Volk und Vaterland verbunden haben. Ich bin zwar kein Preuße, aber ganz in der Überlieferung des Bismarckreiches aufgewachsen“1.

Die vielschichtige protestantisch-nationale Tradition reicht jedoch weit hinter die kleindeutsche Reichsgründung zurück. Sie hatte sich schon Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts in der ersten Phase der Konstituierung eines modernen deutschen Nationalbewusstseins herausgebildet. Vorstufen finden sich bereits im Pietismus des 18. Jahrhunderts und den formalen und inhaltlichen Bezügen seiner „Denkund Gefühlsstrukturen“ zum Patriotismus2. In den pietistischen Konzeptionen mischten sich Volksideologie und Patriotismus indes noch mit kosmopolitischen Orientierungen. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entwickelte Johann Gottfried Herder seine „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“. Er ging vom Nationalgeist der Völker aus, der als Gestaltungsprinzip des völkischen Organismus unmittelbar aus der Schöpferhand Gottes hervorgegangen war3. Ihrer nationalen Eigenart entsprechend sollten die Völker zur „Verwirklichung eines göttlichen Plans“ beitragen. Denn Herder sah die Menschheitsgeschichte als einen organischen Prozess hin zum Ziel der Humanität, folglich war sein Nationsbegriff dem Humanitätsideal untergeordnet. Mit seinem Geschichts- und Volkskonzept etablierte der Theologe und Philosoph sowohl eine theologische als auch eine geschichtsteleologische Volksauffassung. Die universale Bedeutung des Christentums gab aber auch er nicht preis. In den Befreiungskriegen gegen die napoleonische Herrschaft von 1813 bis 1815 verbanden sich dann religiöse Erweckung und entstehendes Nationalbewusstsein in 1 Wurm an Niemöller, 30.12.1945. Zitiert nach: C. VOLLNHALS, Hypothek, S. 52. 2 Vgl. G. KAISER, Pietismus; F.-M. KUHLEMANN, Pastorennationalismus, S. 554f. 3 Zu Herder vgl. W. TILGNER, Volksnomostheologie, S. 18–28; E. A. MENZE, Herder.

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Hoffnung auf Wiedervereinigung (1945–1955)

Deutschland breitenwirksam zu einem national-christlichen Enthusiasmus. Der Krieg für das Vaterland und das Volk der Deutschen wurde geschichtstheologisch als „heiliger Krieg“ und Napoleons Niederlage als „Gottesgericht“ stilisiert4. Die Hauptvertreter dieses christlichen Patriotismus, Johann Gottlieb Fichte, Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn, plädierten unter der Parole „Ein Gott! Ein Vaterland!“ auch für eine gesamtchristliche nationalkirchliche Einigung in Deutschland5. Nach 1815 schwächte sich der „religiöse Patriotismus“, wie er besonders in pietistischen Kreisen vertreten wurde, allmählich wieder ab. Weitergetragen wurde die protestantisch-nationale Tradition von den Burschenschaften. Sie gedachten beim Wartburgfest im Oktober 1817 gleichzeitig Luthers Thesenanschlag und der Völkerschlacht von Leipzig; gemeinsam feierten sie ein überkonfessionelles Abendmahl. Bedeutsam für die weitere Entwicklung eines national gestimmten Protestantismus war auch die Tatsache, dass der große liberale Theologe seiner Zeit, Friedrich Schleiermacher, den idealistischen, geschichtsteleologischen Nationsgedanken und organistischen Volksbegriff in seine Theologie aufgenommen hatte6. Damit prägte er seine Schüler ebenso wie mit seinem entschiedenen Einsatz für den kirchlichen Unionsgedanken und die „vaterländische Kirche“. Im deutschen Vormärz verbanden sich Vaterland und protestantisches Christentum, der nationale und der kirchliche Einheitsgedanke in der Vorstellungswelt liberaler Protestanten eng miteinander. Die neue Orthodoxie hingegen, wie sie in den 1830er und 1840er Jahren aus einem Bündnis von Pietismus und alter Orthodoxie hervorgegangen war, kritisierte die „Vergötterung der Nation“ und betonte die Distanz zwischen Christentum und nationaler Bewegung. Mit letzterer aber verbrüderte sich der kirchlich minoritäre liberale Protestantismus7. Er kämpfte für einen souveränen und zunächst auch innenpolitisch freiheitlich gedachten Nationalstaat. Innerkirchlich zielten die Liberalen darauf, durch eine auf dem Gemeindeprinzip aufbauende, bekenntnisübergreifende Volks- und Nationalkirche den landeskirchlichen Partikularismus sowie das Staatskirchentum zu überwinden. Denn der deutsche Protestantismus war aufgrund der politischen Verhältnisse seit der Reformation in einer Vielzahl von Territorialkirchen unter landesherrlichem Summepiskopat organisiert. Die lockere Verbindung, wie sie seit 1653 als Zusammenschluss der evangelischen Reichsstände im Corpus Evangelicorum bestanden hatte, entfiel mit der Auflösung des Alten Reiches 18068. Im frühen 19. Jahrhundert erfolgten vielfältige Einigungsbemühungen, die entweder auf dem Konzept pragmatischer kirchenpolitischer Kooperation der deutschen Staaten gründeten oder aber auf der nationalkirchlich-unionis4 Vgl. T. NIPPERDEY, Geschichte, S. 438. Zur religiösen Deutung der Auseinandersetzung mit dem ‚Erbfeind‘ Frankreich vgl. M. JEISMANN, Vaterland, S. 27–102. 5 Zum national-politischen Volksbegriff und der nationalen Erziehungslehre bei Fichte vgl. W. TILGNER, Volksnomoslehre, S. 47–51. Zum radikalen Deutschtum bei Arndt und Jahn vgl. EBD., S. 51–54. 6 Zu Volk und Staat bei Schleiermacher vgl. EBD., S. 36–42. 7 Zum Nationalismus der Theologen zwischen 1848 und 1880 vgl. H. GRAMLEY, Propheten. 8 Zur Geschichte nationaler Organisationsversuche des deutschen Protestantismus vgl. den Überblick von W.-D. HAUSCHILD, Kirche, S. 656–677.

Protestanten und Einheit

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tischen Idee basierten, wie sie mit dem religiösen Patriotismus seit den Befreiungskriegen entstanden war. Mit der Konferenz obrigkeitlicher Beauftragter in Berlin 1846 setzte sich das erste Konzept durch. Der nationalkirchliche Vorstoß in Gestalt der Kirchentage in Wittenberg 1848 und 1849, der von den nationalen Ideen der Revolution von 1848 getragen war, konnte die partikularen staatskirchlichen Beharrungskräfte nicht überwinden. Widerstand kam überdies von Seiten der konfessionellen Neubesinnung vor allem im Luthertum, das jeglichen Unionismus und jede Infragestellung der Bekenntnisbindungen durch einen religiös gestimmten Nationalismus bekämpfte. Sachzwänge auf der einen und ein gewisses Zusammengehörigkeitsbewusstsein auf der anderen Seite führten jedoch 1852 zur Institutionalisierung landeskirchlicher Kooperation in der so genannten Eisenacher Konferenz. Fortan wurden auf ihr alle zwei Jahre von Vertretern der obersten Kirchenbehörden wichtige Fragen des kirchlichen Lebens miteinander besprochen und gemeinsame Lösungsansätze erarbeitet – beides allerdings unverbindlich. Mit ihrem pragmatischen Vorgehen trug die Konferenz dennoch zum Zusammenwachsen der Landeskirchen bei. Alle Versuche, die Konferenz durch organisatorische Verbesserungen und eine verbindlichere Rechtsgestalt in ein Organ des engeren Zusammenschlusses der Landeskirchen umzuformen, blieben aber noch jahrzehntelang ohne Erfolg. Vor der gesamtkirchlichen erreichte die nationalstaatliche Einigung ihr Ziel. Im kriegerischen Prozess der Nationalstaatsgründung deuteten die liberalen bzw. frühen Kulturprotestanten bereits die Schlacht von Königgrätz 1866 im deutsch-deutschen Krieg geschichtstheologisch als Sieg protestantischer Kultur und Staatlichkeit und offenbarten damit ihre kulturhegemoniale Überschätzung des deutschen Volkes9. Die konservativen Teile der Kirche standen hingegen dem Nationalgedanken, der mit der französischen Revolution und folglich mit Demokratie und politischem Liberalismus assoziiert wurde, noch reserviert gegenüber. Doch nach der kleindeutschen Reichsgründung „von oben“ 1871 entdeckte auch der vormals partikularistisch-dynastisch oder großdeutsch-föderalistisch eingestellte konservative Protestantismus den neuen, monarchischen Nationalstaat für sich10. Der Staatsprotestantismus wurde allmählich zum Reichsprotestantismus11. Eine religiös-kirchliche Integration der staatlich geeinten „Volks- und Kulturnation“12 in einer – protestantischen – Reichskirche blieb aber aus. 1903 erfolgte jedoch ein Schritt in Richtung gesamtkirchlicher Zusammenarbeit auf Reichsebene, als trotz 9 Zu Konfession und Nationalismus vor der Reichsgründung vgl. N. BUSCHMANN, Auferstehung. 10 Ein knapper, aber vorzüglicher Überblick zum Verhältnis von Protestantismus und Nation im Kaiserreich findet sich bei T. NIPPERDEY, Religion, S. 92–100. Ausführlicher zur Allianz zwischen protestantisch und national W. TILGNER, Volk; G. VAN NORDEN, Protestantismus; J. PERELS, Janusgesicht; K. NOWAK, Stimmen; P. WALKENHORST, Nationalismus. Aus lutherischer Sicht: NATION. 11 T. NIPPERDEY, Religion, S. 95. 12 M. R. LEPSIUS, Nation, S. 25: „Der neue deutsche Nationalstaat verstand sich nicht explizit als ‚Staatsbürgernation‘, sondern als staatlich geeinte ‚Volks- und Kulturnation‘. Schon in der Gründungsphase trat die demokratisch-liberale Vorstellung von der ‚Staatsbürgernation‘ hinter einem verfassungsmäßig unbestimmten synkretistischen Nationalverständnis zurück.“

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Hoffnung auf Wiedervereinigung (1945–1955)

Vorbehalte gegen einen befürchteten Berliner Zentralismus der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss als ständiges handlungsfähiges Organ der Kirchenkonferenz eingerichtet wurde. Durch den Kirchenausschuss konnte sich der deutsche Protestantismus fortan wirksamer als Einheit gegenüber dem Reich, der Öffentlichkeit und dem Katholizismus artikulieren. Alle weiteren Versuche zur Bildung eines Kirchenbundes scheiterten jedoch vorrangig am Staatskirchentum. Die freien Verbände förderten hingegen mit ihrer Arbeit den Einheitsgedanken. Sie überwanden zum Teil schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Grenzen der Landeskirchen. Zu nennen sind etwa der Gustav-Adolf-Verein, der Centralausschuss für die Innere Mission oder der Evangelische Bund. Im Jugend- und Studentenbereich kam es während des Kaiserreichs zu ersten überregionalen Verbindungen. Bei den Jungmännerbünden wurde ein Zusammenschluss seit der ersten Nationalkonferenz 1882 am Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald in die Wege geleitet, bei den Jungmädchen/Jungfrauenvereinen setzte die Zusammenfassung 1893 ein. Die (Deutsche) Christliche Studenten-Vereinigung wurde 1895 gegründet, 1905 folgte ihr die Deutsche Christliche Vereinigung studierender Frauen13. Mit der Zeit machte sich im Kaiserreich ein integraler Nationalismus im Protestantismus breit. Seine Agenturen waren der massenwirksame anti-ultramontane Evangelische Bund14 sowie die Vereine Deutscher Studenten mit ihrem antiliberalen, antisemitischen und christlich-sozialen Nationalismus. Letzteren gehörten auch viele Theologiestudenten an. Kaiser, Reich und Protestantismus wurden in diesen Kreisen als Einheit gedacht, der römische Internationalismus und die Sozialdemokratie zu deren inneren Feinden erklärt. Es kam zu einer Sakralisierung der Nation, die mit einer sukzessiven Nationalisierung der christlichen Religion korrespondierte15. Überspannungen zum Völkischen und Germanischen gab es jedoch nur am Rande. Eine Verabsolutierung des Nationalen als der letzten sinngebenden Instanz war selten16. Eine Symbolfigur für die Verbindung von protestantischem Konservativismus und Nationalismus im Kaiserreich war der Pfarrer Adolf Stoecker, der „Hofprediger aller Deutschen“17. Der agile Sozialreformer und Antisemit setzte in seinem Kampf gegen Liberalismus, Kapitalismus und Sozialismus auf die Integrationsideologie des Nationalismus und beschwor die Einheit von „deutsch“ und „christlich“. Als Gegner seines christlich-nationalen Gesellschaftskonzepts machte er die Juden aus. Mit dem Ersten Weltkrieg erreichte der Nationalprotestantismus, der sich bereits in den 1880er Jahren auch für den Imperialismus und die „deutsche Sendung in der Welt“ geöffnet hatte, einen Höhepunkt. Im Kontext des allgemeinen nationalen Enthusiasmus zu Beginn des Krieges fand der Kampf für die „Ideen von 1914“, für deut-

13 Zu beiden vgl. K. KUPISCH, Studenten, S. 24–71. Zur DCVSF vgl. C. HILPERT-FRÖHLICH , Geschichte. 14 Vgl. A. MÜLLER-DREIER, Konfession. – Zum Nationalbewusstsein als Moment des konfessionellen Konflikts, der weit vor dem Kulturkampf begann, vgl. W. ALTGELD, Katholizismus. 15 Vgl. P. WALKENHORST, Nationalismus, S. 527. 16 Vgl. F.-M. KUHLEMANN, Pastorennationalismus, S. 574. 17 Zu Stoecker vgl. G. BRAKELMANN, Protestantismus; M. GRESCHAT, Nachwirkungen.

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sche Kultur-, Gesellschafts- und Staatsvorstellungen18, theologische Unterstützung in einer protestantischen National- und Kriegstheologie19. Der „Geist von 1914“ wurde als neue religiöse Erweckung gedeutet und der Krieg religiös legitimiert. Auch wenn die Kriegsbegeisterung mit den Jahren abklang, so dachte doch auch noch gegen Kriegsende die Mehrheit der Pfarrer konservativ-national und hoffte auf einen expansiven Siegfrieden. Moderate liberale Stimmen, die es zu diesem Zeitpunkt auch gab, blieben in der Minderheit. Die emotional tiefe Bindung der deutschen Protestanten an den monarchischen Nationalstaat wilhelminischer Prägung überdauerte dessen Zusammenbruch 1918. Der Protestantismus blieb auch in der Weimarer Republik mehrheitlich nationalistisch und zumeist auch rückwärts gewandt monarchisch gestimmt. Zwar gab es andere Positionen: So versuchte etwa Ernst Troeltsch zwischen Tradition und Moderne, Deutschtum und Europäismus zu vermitteln, oder Adolf von Harnack den deutschen Nationalstaat im Horizont der internationalen Völkergemeinschaft zu denken20. Doch waren diese liberalen Theologen ebenso wie die religiösen Sozialisten in der Minderheit. Die Mehrheit konzentrierte ihre politische Aufmerksamkeit auf die mit Kriegsende entstandene „Dolchstoßlegende“ sowie den Kampf gegen die „Kriegsschuldlüge“ der Entente-Staaten und das „Diktat von Versailles“. Die Bedrohungsängste richteten sich auf die Juden, den Kommunismus und den so genannten Kulturbolschewismus. Damit hatten die Protestanten Anteil an der Radikalisierung des deutschen Nationalismus nach dem Ersten Weltkrieg. Der staatsbürgerliche Aspekt des Nationenverständnisses hingegen erhielt von evangelischer Seite nur wenig Unterstützung. Der protestantische Vorbehalt gegen demokratische Volksherrschaft blieb während der Weimarer Republik weitgehend erhalten. Der Verlust des Bündnisses von Thron und Altar und infolgedessen auch die Gefährdung der Position als Leitkultur im Deutschen Reich verstärkte unter den Protestanten trotz manchem temporären „kirchenoffiziellen Vernunftsrepublikanertums“21 eher eine rückwärts gewandte, distanzierte Haltung gegenüber der Republik sowie der demokratisch konstituierten Nation22. Für große Teile des kirchlichen Protestantismus war die politische Heimat während der Weimarer Zeit die Deutschnationale Volkspartei (DNVP)23. 1918 aus den zersplitterten Parteien des rechten Lagers entstanden, agierte sie mit antidemokratischer, monarchischer und antisemitischer Stoßrichtung. Innerkirchlich wurden das Ende des monarchischen Episkopats und die verfassungsrechtliche Trennung von Staat und Kirche nicht wirklich als Chance genutzt, um die kirchliche Struktur gemeindenäher zu reformieren. Stärker als die verfassungspo-

18 Zum „Kulturkrieg“, der den beginnenden Ersten Weltkrieg zum Kampf der deutschen Nation zur Erhaltung ihres geistigen „Wesens“ deklarierte, vgl. B. BESSLICH, Wege. 19 Vgl. W. PRESSEL, Kriegspredigt; K. HAMMER, Kriegstheologie; M. GRESCHAT, Krieg. 20 Vgl. K. NOWAK, Protestantismus und Nationalstaat, S. 449 und DERS., Nation, S. 319–322. 21 K. NOWAK, Bürgerinnen, S. 83. Vgl. auch DERS., Kirche und Weimarer Republik. 22 Vgl. hierzu J. PERELS, Janusgesicht, S. 226. 23 Vgl. K. NOWAK, Kirche und Weimarer Republik.

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litische Idee einer demokratischen Volkskirche setzten sich hingegen praktische Koordinationszwänge durch. Sie führten 1922 zur Gründung des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes als kirchliche Interessensvertretung mit föderalistischer Verfassungskonstruktion und politisch stark konservativer Ausrichtung. Ein Zusammenschluss vollzog sich auch bei den evangelischen Jugendverbänden. 1921 wurden die verschiedenen, regional gegliederten, evangelischen Jungmännerbünde sowie die Christliche Studentenvereinigung und die Schülerbibelkreise zum „Reichsverband der Evangelischen Jungmännerbünde und verwandter Bestrebungen“ zusammengefasst. Im letzten Drittel der Weimarer Republik fand ein völkisch-rassistischer, quasi-religiöser Nationsgedanke, wie er sich seit den 1890er Jahren neben anderer vagierender Religiosität ausgebildet hatte24, Eingang in protestantische Kreise. Organisatorisch verfestigt wurde die deutsch-völkische Bewegung u. a. 1927 mit der Gründung der Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen. Auch wenn es sich bei dieser zunächst um eine randkirchliche Erscheinung handelte, so entwickelten sich doch „Volk und Gott“ sowie „Kirche und Volkstum“ während der letzten Jahre der Republik zu den zentralen Themen im deutschen Protestantismus – gerade auch unter Studenten25. Im Jahr 1930 wurde die Christlich-deutsche Bewegung gegründet, die sich um eine Verbindung konservativ-nationalprotestantischer Kreise mit den jungen nationalistischen Kräften bemühte26. Die Universitätstheologen Paul Althaus, Emanuel Hirsch und Friedrich Gogarten sowie der Publizist Wilhelm Stapel standen in dieser Zeit für unterschiedliche Varianten einer metaphysischen Deutung bzw. Theologisierung des Volkes, mit der man den als bedrohlich empfundenen Säkularisierungserfahrungen und den unbewältigten Modernisierungsproblemen in Deutschland zu entfliehen suchte27. Neben den Vertretern der „Theologie der Ordnungen“ bzw. des „Volksnomos“-Gedankens gab es aber auch die Dialektische Theologie eines Karl Barth, die mit ihrem eschatologischen Radikalismus und christologischen Zentrismus jeder religiösen Verklärung historischer Gegebenheiten und natürlicher Ordnungen eine radikale Absage erteilte. Jenseits aller theologischen Differenzen begrüßte der deutsche Mehrheitsprotestantismus mit Ausnahme der kleinen Gruppe der Religiösen Sozialisten und einiger liberaler Universitätstheologen 1933 emphatisch die „nationale Revolution“ und mit ihr das Ende des „gottlosen“ „Systems Weimar“. Das deutsche Volk sollte aus den Krisen der Industriegesellschaft herausgeführt und ihm seine Macht und seine nach dem Ersten Weltkrieg verloren geglaubte Ehre wiedergegeben werden. Dass dabei staatsbürgerliche Freiheitsrechte verloren gingen, fand wenig Beachtung. In der na24 Vgl. T. NIPPERDEY, Religion, S. 143, 146ff. 25 Vgl. K. KUPISCH, Studenten, S. 163f. 26 Zur ihr vgl. C. WEILING, Bewegung. 27 Vgl. K. NOWAK, Protestantismus und Nationalstaat, S. 452 und M. HONECKER, Kirche, S. 24f. Zur Theologie der Schöpfungsordnungen bei Althaus vgl. W. TILGNER, Volksnomos,S. 179–201, zu Althaus’ Theologie allgemein: W. SPARN, Althaus; zur national-idealistischen Theologie Hirschs vgl. EBD., S. 136–157; zur politischen Ethik von Gogarten vgl. EBD., S. 157–179; zum deutschen Christentum bei Stapel vgl. EBD., S. 89–130.

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tionalen Aufbruchsstimmung während der Jahre 1932/33 reichte das Spektrum der Hoffnungen im deutschen Protestantismus vom Wunsch nach dem starken Staat, wie ihn nationalkonservative Protestanten hegten, über die Sehnsucht des neokonservativen Protestantismus nach der „Volksgemeinschaft“ bis hin zum völkisch-protestantischen Streben nach der Einheit von religiöser und politischer Existenz in der „Deutschen Christusgemeinde“28. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten gab es schon bald erste Anzeichen, dass trotz Hitlers anfänglich noch christlich gefärbter deutschnationaler Phraseologie das Bündnis von „Volk und Kirche“ von den neuen Machthabern nicht bzw. so nicht gewollt war, wie man es sich kirchlicherseits erhofft hatte. Auch wurde deutlich, dass nicht der Protestantismus dem Nationalsozialismus wesentliche Gehalte seiner eigenen Identität aufprägen konnte, sondern vielmehr die Ausstrahlungskraft des Nationalsozialismus den Protestantismus überwältigte – bis hin zu einer existenzbedrohlichen Identitätskrise29. Als Ergebnis einer Mischung von nationaler Eingliederungsbereitschaft im Protestantismus und staatlicher Eingriffe wurde im Sommer 1933 die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche mit ihrer Kombination von Führerprinzip und föderalistischen Elementen verabschiedet. Die seit dem 19. Jahrhundert erfolglos verfochtene Idee der Nationalkirche fand eine durch die chaotischen politischen Verhältnisse des Jahres 1933 bedingte, aber auch von breiten kirchlichen Kreisen getragene Realisierung30. Neben großer Bereitschaft zur Mitarbeit im nationalsozialistischen Staat fand sich unter Kirchenvertretern aber auch die Überzeugung: „Kirche muß Kirche bleiben“. Gegen den kirchlichen „Gleichschaltungshilfstrupp“ der Nationalsozialisten, die 1932 gegründete Kirchenpartei der Glaubensbewegung Deutsche Christen und ihre völkisch-christlichen Irrlehren formierte sich eine innerkirchliche Opposition in Gestalt der Bekennenden Kirche, die am religiös-theologischen Proprium festhielt31. Auf Kritik stießen die rücksichtslose Durchsetzung des deutsch-christlichen Führerprinzips, die den Bekenntnisinhalten widersprechenden völkisch-religiösen Parolen sowie die Übernahme des so genannten Arierparagraphen in das Kirchenrecht. Der Protest gegen Letzteres führte im Herbst 1933 zur Gründung des Pfarrernotbundes unter dem Berliner Pfarrer Martin Niemöller32. Die Bekennende Kirche, die sich als rechtmäßige evangelische Kirche Deutschlands verstand, wurde von zwei Kräften getragen: von den so genannten intakt gebliebenen, d. h. nicht unter der Führung der Deutschen Christen stehenden lutherischen Landeskirchen Bayerns, 28 K. NOWAK, Protestantismus und Nationalstaat, S. 453. Zu Volk, Nation und Vaterland im protestantischen Denken zwischen 1933 und 1945 vgl. E. WOLF, Volk, S. 172–206. 29 Vgl. M. GAILUS, Protestantismus, S. 663f. 30 W.-D. HAUSCHILD, Kirche, S. 665. 31 Vgl. K. SCHOLDER, Kirchen, Bd. 1, S. 701–742, Bd. 2, S. 11–118, S. 159–220, S. 269–356; G. BESIER, Die Kirchen und das Dritte Reich, S. 19–114, S. 337–655. Zum „Bruderkampf im eigenen Haus“ im Berliner Protestantismus vgl. M. GAILUS, Protestantismus. Gailus sieht darin einen internen Richtungsstreit um die Neujustierung der eigenen Identität unter dem überwältigenden Eindruck des nationalsozialistischen Umbruchs 1933. EBD., S. 637. 32 Zu Niemöller vgl. die beiden Biografien von J. BENTLEY und D. SCHMIDT.

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Hannovers und Württembergs, die sich gegen eine rechtlich-institutionelle Vereinnahmung der Kirchen durch das NS-Regime wandten, sowie von Pfarrern und Gemeinden, die – z. T. beeinflusst durch Karl Barths Theologie – von einer Neubesinnung auf das evangelische Bekenntnis geprägt waren. Zu ihrem maßgeblichen Zeugnis gegen den Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Regimes und für die Freiheit kirchlicher Verkündigung und Ordnung wurde die „Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der DEK“33. Die so genannte Barmer Theologische Erklärung mit ihren sechs Thesen und Verwerfungen, in denen „evangelische Wahrheiten“ bezeugt und deutschchristliche Irrlehren verworfen wurden, erhielt am 31. Mai 1934 die einmütige Zustimmung der 1. Bekenntnissynode der DEK. Vertreter lutherischer, reformierter sowie unierter Kirchen und Gemeinden bekannten mit ihr zum ersten Mal ein gemeinsames Glaubenszeugnis. Somit bedeutete die Theologische Erklärung einen wichtigen Schritt auf dem Weg der konfessionsverschiedenen evangelischen Kirchen hin zur Kirchengemeinschaft. Bereits 1936 spaltete sich jedoch die innerkirchliche Opposition über der Frage, ob mit staatlich verfügten Ausschüssen zusammengearbeitet werden sollte. Neben der „gemäßigten“ Gruppe der drei intakten Landeskirchen und der lutherischen Bruderräte34, die sich im Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zusammenschlossen, bestand fortan eine „radikalere“ Gruppe unter Führung des Reichsbruderrates sowie der (zweiten) Vorläufigen Kirchenleitung. Außer den Bekenntnisgruppen und den Deutschen Christen gab es unter den Kirchengliedern aber auch die „gewöhnlich angepaßte Gemeinde im Nationalsozialismus“ mit ihren begrenzten, oft freiwillig zurückgenommenen Öffentlichkeitsansprüchen sowie einen „skeptischen Protestantenteil“, der im Zwischenraum einer ins Private zurückgewiesenen moderaten Religiosität und Kirchlichkeit verharrte35. Die nationalsozialistische bzw. deutsch-christliche Gleichschaltungspolitik traf auch die evangelischen Jugend- und Studentenvereinigungen, die 1933 ebenfalls von der euphorischen Zustimmung zum „nationalen Aufbruch“ erfasst gewesen waren36. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten waren sich die Verantwortlichen in der evangelischen Jugendarbeit hinsichtlich der weiteren Entwicklung in zwei Punkten einig37. Zum einen sollte die Zersplitterung in mehr als 20 Verbände überwunden und die seit langem ersehnte äußere Einheit der Evangelischen Jugend erreicht werden. Hinter diesem Wunsch standen aber zwei differierende Motive: Die einen Jugendvertreter wollten mit den Einigungsbemühungen die „nationale Revolution“ unterstützen, die anderen hofften durch eine straffere Zusammenfassung der evangelischen Jugend besser gegen die bevorstehenden Angriffe von Seiten des NS-

33 Zur Entstehungsgeschichte der Erklärung vgl. C. NICOLAISEN, Weg. 34 „Bruderräte“ hießen in den so genannten zerstörten Landeskirchen die Kraft kirchlichen Notrechts gegen die deutschchristlichen Kirchenleitungen gebildeten Leitungsorgane. 35 Vgl. M. GAILUS, Protestantismus, S. 654ff. 36 Für den DCSB vgl. C. HILPERT-FRÖHLICH , Geschichte, S. 143f. 37 Vgl. zum Nachfolgenden E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 31–39.

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Staates und seiner Organisationen gewappnet zu sein. Einigkeit herrschte zweitens darüber, dass die eigene Verhandlungsposition gegenüber dem Staat und der Hitlerjugend durch eine engere Anlehnung an die Kirche gestärkt werden sollte. Im Juli 1933 gründeten die Jugendverbände daher ein Evangelisches Jugendwerk und gaben ihm eine Verfassung, die einerseits eine institutionelle Verknüpfung mit der Kirche vorsah und andererseits das Jugendwerk für die korporative Eingliederung in die Staatsjugend anpassungsfähig machte. Die Eingliederung in die Hitlerjugend durch ein Abkommen zwischen dem Reichsbischof und dem Reichsjugendführer im Dezember 1933 erfolgte dann aber unter den Bedingungen des totalen Staates und nicht denen des Jugendwerkes und führte zu vielfältigem Protest. Die meisten Verbände ließen aber dennoch ihre Mitglieder „automatisch“ in die Hitlerjugend übertreten, nur wenige entließen sie aus der förmlichen Mitgliedschaft und stellten ihnen frei, sich in den Ortsgemeinden zu freien evangelischen Jugendgruppen zu sammeln. Der Reichsbischof, der zwar eine Ausschaltung der Jugendverbände, nicht aber ein Ende der evangelischen Jugendarbeit anstrebte, versuchte mit Hilfe eines Reichsjugendpfarrers den Neubau des Jugendwerkes der DEK und die Zentralisierung der evangelischen Jugendarbeit, was aber 1937 letztlich scheiterte. Die Verantwortung für die Jugendarbeit übernahmen die einzelnen Landes- und Provinzialkirchen. Zwischenzeitlich hatte sich eine Jugendarbeit auf dem Boden der Bekennenden Kirche formiert. Die 3. Bekenntnissynode der DEK bestätigte 1935 die Zuordnung der im Jugendwerk zusammengeschlossenen Jugendverbände zur Bekennenden Kirche. Es wurde eine Jugendkammer berufen, in der Vertreter der Jugendwerke und der landeskirchlichen Jugendpfarrer paritätisch vertreten waren. Sie war zuständig für eine „einheitliche Planung für die evangelische Jugendführung“38. Damit wurden die Grundlagen für die Neuordnung der evangelischen Jugendarbeit nach Kriegsende gelegt. Im Resultat bewirkte die NS-Zeit eine Verkirchlichung der evangelischen Jugendarbeit: Die rege Vereinstätigkeit kam zum Erliegen und die Jugendarbeit zog, von den politischen Umständen dazu gezwungen, in die Kirche ein. Dabei kam es seit Mitte der dreißiger Jahre aber auch zu einer „bekenntnisgebundenen Verkirchlichung“ im Sinne einer bibel- und bekenntniszentrierten Jugendarbeit, die ihren Ort in der Gemeinde fand. Neben die institutionelle Verkirchlichung trat eine konzeptionelle, welche die Jugendarbeit als „lebensnotwendige“ Funktion der Gemeinde deutete39. Die im deutschen Pietismus und in der angelsächsischen Evangelisationsbewegung verwurzelte Deutsche Christliche Studenten-Vereinigung (DCSV) erlebte 1933 einen deutsch-christlichen Gleichschaltungsversuch von innen. Dessen längerfristiger Erfolg wurde aber durch den Altfreundeverband sowie durch den Christlichen Studentenweltbund, dessen europäischer Vizepräsident der Generalsekretär der DCSV Hanns Lilje war, vereitelt. Beide lehnten die Einführung des Arierparagraphen ab. Der Weltbund erklärte, er würde keine Verfassung einer nationalen Bewegung annehmen,

38 Zitiert nach EBD., S. 37. 39 Vgl. EBD., S. 313.

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„welche grundsätzlich irgendwelche Kategorie von Studenten von der vollen Mitgliedschaft ausschließt.“40 Auch die Deutsche Christliche Studentinnenbewegung (DCSB) lehnte es ab, den Arierparagraphen für ihre Vereinigung zu übernehmen41. Theologiestudenten, die nach der Gleichschaltung ihrer studentischen Korporationen keiner nationalsozialistischen Gruppe zugehören wollten, schlossen sich in der Folgezeit der Studentenvereinigung an oder aber bildeten eigene Studentengruppen der Bekennenden Kirche. Als die DCSV und die DCSB 1938 schließlich durch Erlass des Chefs der Deutschen Polizei aufgelöst wurden, fanden sich deren Mitglieder sowie die Bekenntnisstudenten in der Evangelischen Studentengemeinde zur Bibelarbeit unter Leitung von Studentenpfarrern zusammen und setzten diese Arbeit zum größten Teil auch während des Krieges fort42. Dem Kampf um die institutionelle Eigenständigkeit der Kirche und ihre prinzipielle geistliche Autonomie korrespondierte kein entsprechend breiter evangelischer Protest gegen die wachsende Inhumanität des NS-Regimes. Die überwältigende Mehrheit der Protestanten stand in prinzipieller Loyalität zum Staat, regimekritischere Stellungnahmen kamen fast nur von der bruderrätlichen Minderheit, welche die Unvereinbarkeit großer Teile ihres Wertesystems mit dem der herrschenden Nationalsozialisten erkannte. Von mutigen Einzelpersonen abgesehen, widersetzten sich die evangelische Kirche und das sie tragende protestantische Milieu, in dem antisemitische Denk- und Verhaltensweisen in ihren unterschiedlichen Ausformungen zuhause waren, nicht offen und entschlossen dem rasseideologisch aufgeladenen, pervertierten Nationalismus und seinen Folgen: der Ausgrenzung der Juden aus der Nation, ihrer staatsbürgerlichen Entrechtung und schließlich millionenfachen Ermordung. Innerkirchlich zeigte der Ausschluss der Judenchristen aus evangelischen Landeskirchen, welche fatalen Folgen die Deutung der Volkskirche als Kirche des deutschen Volkes haben konnte. Hier aber widersetzten sich bekenntniskirchliche Kreise und proklamierten einen besonderen Geltungsbereich der Kirchen, in dem ein Jude nach der Taufe unterschiedslos der Christengemeinde angehören konnte. Bei Kriegsausbruch 1939 hielt sich die Kriegsbegeisterung der evangelischen Christen und Kirchen in engen Grenzen. Eine religiöse Aufbruchsstimmung wie 1914 blieb aus. Dennoch sahen sie sich in der nationalen Pflicht und verfolgten loyal die Entgrenzung des deutschen Nationalstaates in ein kontinentales Imperium durch den Eroberungs- und rassistischen Vernichtungskrieg Hitlers. Die Wehrdienstverweigerung weniger evangelischer Christen fand kirchenamtlich keine Billigung. Und nur einzelne Protestanten zogen aus ihrer christlichen Ethik die Konsequenz und leisteten aktiven politischen Widerstand gegen eine verbrecherische Obrigkeit und ihren zerstörerischen Nationalismus43. 40 Vgl. E. MÜLLER, Widerstand, S. 11. 41 Vgl. C. HILPERT-FRÖHLICH , Geschichte, S. 156–159. 42 E. MÜLLER, Widerstand, S. 47. 43 Zum christlich motivierten Widerstand im „Dritten Reich“ vgl. P. STEINBACH, Widerstand, S. 165–201; H. G. HOCKERTS, Widerstand.

HoffnungaufWiedervereinigung(1945–1955) ZonengrenzensindkeineKirchengrenzen

1.2 Zonengrenzen sind keine Kirchengrenzen 1.2.1 Kirchliche Einheit und ostzonale Sonderentwicklung Die Kirchen und Religionsgemeinschaften in Deutschland erfuhren nach Kriegsende von den Militärverwaltungen eine wohlwollende Behandlung1. Das galt prinzipiell auch für die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD), obgleich es neben Belegen entgegenkommender Hilfe auch solche für eine restriktive Praxis gibt2. Zu vereinzelten Spannungen und Konflikten kam es jedoch auch mit den anderen Besatzungsmächten. Die insgesamt privilegierte Stellung der Kirchen in den vier Besatzungszonen schloss den Erhalt des kirchlichen Vermögens ebenso ein wie Reisemöglichkeiten für Kirchenvertreter und die Ausnahme von Versammlungsverboten. Darüber hinaus blieb ihnen die volkskirchliche Neu- bzw. Reorganisation auf institutioneller wie personeller Ebene weitgehend selbst überlassen. Hier verfügte die evangelische Kirche bei Kriegsende über den großen Vorteil, dass sie trotz aller äußeren Zerstörungen und inneren Konflikte neben der katholischen Kirche als einziger großer gesellschaftlicher Verband noch über eine relativ funktionsfähige Organisation verfügte, zunächst vor allem auf landeskirchlicher Ebene, wo die Reorganisation schnell vonstatten ging. In allen Leitungen der insgesamt 27 Landeskirchen waren nun auch Mitglieder der Bekennenden Kirche vertreten. Keine der Kirchenleitungen bestand aber ausschließlich aus bekenntniskirchlichen Kräften. Auch auf nationaler Organisationsebene erlangte man kirchlicherseits trotz der schwierigen Kommunikationsbedingungen in der Nachkriegszeit erstaunlich schnell institutionelle Handlungsfähigkeit. Innerkirchlich standen sich drei Konzeptionen für eine gesamtkirchliche Neuordnung gegenüber3. Der württembergische Landesbischof Theophil Wurm hatte schon 1941 damit begonnen, sich zum Zwecke der Stärkung kirchlichen Handelns gegen die kirchenfeindliche NS-Politik um eine Einigung der zerstrittenen evangelischen Landeskirchen zu bemühen. Aufgrund seines Protestes gegen die Euthanasie war er über die Grenzen seiner Landeskirche hinaus bekannt und angesehen. Noch vor Kriegsende gelang es ihm, dass Vertreter aller kirchenpolitischen Richtungen, ausgenommen die Deutschen Christen, seinem Einigungswerk zustimmten. Der bayerische Landesbischof Hans Meiser verfolgte hingegen sein seit den dreißiger Jahren gesetztes Ziel einer einigen lutherischen Kirche Deutschlands. 1 Zur Kirchenpolitik der Besatzungsmächte vgl. A. BOYENS, Kirchenpolitik; C. VOLLNHALS, Kirche nach dem Zusammenbruch; J. THIERFELDER, Kirchenpolitik; C. BAGINSKI, Politique; M. ONNASCH, Situation; K. NOWAK, Geschichte des Christentums, S. 302ff.; KIRCHE nach der Kapitulation, Bd. 1–3; M. GRESCHAT, Christenheit. 2 Vgl. K. NOWAK, Geschichte des Christentums, S. 306; E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 60. 3 Zur Entstehungsgeschichte der EKD vgl. A. SMITH-VON OSTEN, Treysa; PROTOKOLLE, Bd. 1; W.-D. HAUSCHILD, Kirchenversammlung; J.-C. KAISER, Treysa; M. GRESCHAT, Christentum, S. 96–131.

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Martin Niemöller und der Reichsbruderrat wiederum forderten einen Neuaufbau der Kirche von den Gemeinden her; zudem hielten sie ihren kirchenleitenden Anspruch aufrecht. Während Parteien- und Gewerkschaftsgründungen in den Westzonen noch verboten waren, genehmigte das Washingtoner Außenministerium auf Wurms Bitte hin eine zonenübergreifende „Kirchenführerkonferenz“ im hessischen Treysa. Die Amerikaner förderten somit von Anfang an den Zusammenschluss der evangelischen Landeskirchen, da ihre eigenen kulturellen und politischen Zielsetzungen mit denen Wurms übereinstimmten. Ein Gleiches galt für die Briten, nicht aber für die Franzosen und Russen, die sich wenig für den kirchlichen Zusammenschluss interessierten4. In Treysa einigten sich die versammelten „Kirchenführer“ unterschiedlichster Vertretungskompetenz trotz andauernder tiefer konfessioneller und kirchenpolitischer Divergenzen am 31. August 1945 auf eine vorläufige Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Zu verdanken war dieser fragile Kompromiss nicht zuletzt dem ausgleichenden Wirken Wurms. Aber auch ein „diffuses Gemeinschaftsbewußtsein“5 sowie der kirchliche Wunsch nach einer einheitlichen Vertretung gegenüber den vier Besatzungsmächten und den ausländischen Kirchen der Ökumene zeigte integrative Wirkung. Mit der vorläufigen Ordnung wurde ein zwölfköpfiger Rat eingesetzt, der in seiner Zusammensetzung die Balance zwischen Bruderrats- und Kirchenleitungsvertretern sowie den konfessionellen Proporz berücksichtigte. Vorsitzender wurde Wurm, sein Stellvertreter Niemöller. Neben dem Rat bestand die EKD zunächst institutionell noch aus einer Kirchenkanzlei unter Leitung von Hans Asmussen und dem Kirchlichen Außenamt, dessen Leiter auf Grund seiner ökumenischen Kontakte Niemöller wurde. Die vorläufige Ordnung legte auch bereits den Namen der faktisch neuen Institution fest: Nicht mehr Deutsche Evangelische Kirche, sondern Evangelische Kirche in Deutschland. Die Bezeichnung „in Deutschland“ gab dabei den geografischen Raum dieser Kirche an und sollte deutsch-christliche Interpretationen, als bezeichne „deutsch“ ihr Wesen, ausschließen6. Welches Territorium mit der so selbstverständlich genannten Bezugsgröße „Deutschland“ gemeint sein sollte, wurde jedoch nicht klar artikuliert. So blieb in Treysa auch der Status der Teilnehmer aus den altpreußischen Kirchengebieten ungeklärt, die seit dem Potsdamer Abkommen der Siegermächte vom 2. August 1945 auf nunmehr polnischem Staatsgebiet lagen. Jedoch tauchten die Provinzialkirchen als Rechtssubjekte bei der Neuordnung der Gesamtkirche in der Folgezeit nicht mehr auf_7. Zur kirchengeschichtlichen Bedeutung des 4 Vgl. M. GRESCHAT, Christentum, S. 109. – Die französische Besatzungsmacht verbot aus deutschlandpolitischen Motiven – ihr ging es um eine weitgehende Dezentralisierung – den überzonalen Zusammenschluss von Organisationen und Institutionen. 5 W.-D. HAUSCHILD, Kirchenversammlung, S. 19. 6 Vgl. O. DIBELIUS, Christ, S. 258. 7 PROTOKOLLE, Bd. 1, S. XXI. Auf der Treysaer Konferenz wurde indes die Gründung des „Kirchendienstes Ost“ beschlossen. Der als Sekretariat beim Berliner Bischof Dibelius angebundene Dienst half den aus dem Osten stammenden kirchlichen Amtsträgern und deren Angehörigen und betreute die evangelischen Restgemeinden in den Gebieten des ehemaligen Deutschen Reiches, die nun zu Polen

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Verlusts der vornehmlich protestantischen Ostgebiete hatte hingegen Wurm in seiner grundlegenden Rede zu Beginn der Kirchenversammlung in Treysa erklärt, dass dieser „eine sehr schmerzliche, in ihren Auswirkungen heute nicht zu übersehende Schwächung des deutschen Protestantismus bedeutet“8. Bereits einen Monat nach der Gründung der gesamtdeutschen EKD fanden sich die ostdeutschen Kirchenleitungen in einem eigenen Gremium zusammen: der Kirchlichen Ostkonferenz. Initiiert hatte die Konferenz Otto Dibelius, der nach 1945 zur charismatischen „Leitfigur des Ostprotestantismus“9 aufstieg. Dibelius war von 1918 an Geschäftsführer des Vertrauensrates der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union, ab 1921 Oberkonsistorialrat beim Berliner Evangelischen Oberkirchenrat und ab Dezember 1925 Generalsuperintendent der Kurmark gewesen10. Durch vielfältige Publikationen, allen voran sein „Jahrhundert der Kirche“ von 1926, war er reichsweit bekannt geworden. Dibelius zufolge war die evangelische Kirche mit dem Ende des landesherrlichen Summepiskopats nach 1918 erstmalig in ihrer Geschichte völlig selbstständig. Er hatte es sich daher zu seiner Hauptaufgabe gemacht, diese kirchliche Eigenständigkeit im Gegenüber zum Staat zu gestalten. Während der Weimarer Republik war Dibelius Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei und zeitweise auch preußischer Landtagsabgeordneter gewesen. Den politischen Umbruch von 1933 hatte er begrüßt, wurde aber dennoch im Herbst 1933 als politisch unzuverlässig zwangspensioniert. Mitte 1934 trat er in die Arbeit der Bekennenden Kirche Brandenburgs und Berlins ein. Unmittelbar nach der Eroberung Berlins übernahm Dibelius dann die Leitung der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union sowie der zu ihr gehörenden Kirchenprovinz Berlin-Brandenburg11. Der neue Bischof der Viermächtestadt Berlin war zunächst das einzige Ratsmitglied der EKD, das in der sowjetischen Besatzungszone amtierte. Denn bei der Kirchenversammlung in Treysa waren die in der sowjetischen Zone gelegenen Landes- und Provinzialkirchen kaum vertreten gewesen12: Die Landeskirchen Anhalt und Mecklenburg hatten keine Einladungen empfangen; der neue Leiter der Thüringer Kirche Moritz Mitzenheim hatte sie erst am 6. September erhalten; in Sachsen war die Einladung bereits im Juli eingetroffen, die zwei entsandten Vertreter wurden jedoch ebenso wie der Vertreter der Kirchenprovinz Sachsen am Verlassen der sowjetischen Besatzungszone gehindert. Als Vertreter der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, die zu diesem Zeitpunkt formal noch bestand, konnten die Mitglieder des Berliner Evangelischen Oberkirchenrates Otto Dibelius und Hans Böhm gehörten. Im Sommer 1946 wurde der „Ostkirchenausschuss“ mit landeskirchlichen Unterausschüssen gegründet. Er vertrat die Ostgemeinden und ihre Pfarrer gegenüber den westlichen Landeskirchen. 8 Zitiert nach: KJ 72–75, 1945–1948, S. 9. 9 K. NOWAK, Geschichte des Christentums, S. 307. 10 Zu Dibelius vgl. H. FRITZ, Dibelius. Diese thematische und biografische „Ausschnittsvergrößerung“ aus Dibelius’ Leben konzentriert sich auf die Jahre zwischen 1918 und 1933. Umfassend, aber apologetisch: R. STUPPERICH, Dibelius. Eine knappe biografische Skizze findet sich bei: M. GAILUS, Protestantismus, S. 535–539. 11 Zur „Selbsternennung“ von Dibelius zum Bischof von Berlin vgl. J. SEIDEL, Neubeginn, S. 195–205. 12 Vgl. PROTOKOLLE, Bd. 1, S. XXI.

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sowie die in Treysa anwesenden Mitglieder des altpreußischen Bruderrates gelten. Neben Dibelius war in Treysa aber mit Hugo Hahn noch ein zweiter Vertreter für die Landeskirchen auf ostzonalem Gebiet in den Rat gewählt worden13. Hahn hatte während des „Kirchenkampfes“ die Bekennende Kirche in Sachsen geleitet und war darum 1938 von der Staatspolizei aus Sachsen ausgewiesen worden. Anschließend arbeitete er als Pfarrverweser und schließlich als Pfarrer in Stuttgart. Obwohl er schon kurz nach Kriegsende nach Sachsen zurückkehren wollte und von der Kirchenversammlung in Treysa im Vorgriff auf die Zukunft als künftiger leitender Geistlicher der sächsischen Landeskirche in den Rat der EKD gewählt worden war, konnte Hahn zunächst nicht nach Dresden übersiedeln. Zwar wünschte sich die neue sächsische Kirchenleitung, dass ihr „heimlicher Bischof“ sobald wie möglich die geistliche Leitung der Landeskirche übernehmen würde, doch scheiterten alle Bemühungen zunächst am Widerstand der sächsischen Landesverwaltung. Denunziationen aus der sächsischen Pfarrerschaft aufnehmend, äußerte sie Bedenken wegen Hahns baltischer Vergangenheit und seines Eintretens für die NSDAP vor 1933. Erst 1947 änderte sich die Haltung der Landesverwaltung und Hahn konnte im Juli des Jahres durch die Kirchenleitung zum Landesbischof gewählt werden. Bis dahin war er nicht wirklich in der Lage, die östlichen Landeskirchen im Rat der EKD zu vertreten. Hahn hatte daher auch im Oktober 1946 seinen Rücktritt angeboten, den die Ratsmitglieder jedoch auf Bitten des sächsischen Landesbruderrates ablehnten14. So konnte faktisch nur Dibelius im Rat regelmäßig über die Situation in der sowjetischen Besatzungszone berichten. Der Berliner Bischof war es auch, der bereits im September 1945 als Vertreter des Rates der EKD die Repräsentanten der vier nichtpreußischen Kirchenleitungen im sowjetischen Besatzungsgebiet, d. h. von Anhalt, Mecklenburg, Sachsen und Thüringen, zu einem „persönlichen Meinungsaustausch“ über die Frage einer Zusammenarbeit in den „gemeinsamen Anliegen“ nach Berlin einlud. In seinem Einladungsschreiben wies er auf die Tatsache hin, dass sich Amtsstellen und Leitung der EKD in den westlichen Besatzungszonen befanden, woraus er folgerte: „Damit wird sich für diejenigen Landeskirchen, die in der östlichen Besatzungszone liegen, angesichts der bestehenden Verkehrsschwierigkeiten die Notwendigkeit ergeben, sich in ihren gemeinsamen Anliegen innerhalb ihres Raumes in besonderer Weise zusammenzufinden, um diejenigen Aufgaben, die die Gesamtkirche vom Westen her in unseren Gebieten nicht ohne Weiteres zu erfüllen vermag, hier in Angriff zu nehmen und in der durch die Besonderheit unserer Verhältnisse gebotenen Weise durchzuführen.“15

Auf der Sitzung am 25. September beschlossen die beteiligten Landeskirchen für die Zukunft eine enge Kooperation in Form weiterer Zusammenkünfte sowie von sonstigem Meinungs- und Materialaustausch. Überdies ermächtigten sie Dibelius, die gemeinsamen kirchlichen Anliegen bei den politischen und kirchlichen Stellen zur Gel13 Zu Hahn vgl. C. NICOLAISEN, Hahn; H. HAHN, Kämpfer. 14 Vgl. PROTOKOLLE, Bd. 1, S. XXXIf.; Bd. 2, S. 6; J. SEIDEL, Neubeginn, S. 185. 15 Zitiert nach: M. KÜHNE, Neuordnung, S. 15.

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tung zu bringen. Gegenüber dem Alliierten Kontrollrat in Berlin, dem interalliierten Koordinationsgremium der Militärgouverneure, war Dibelius zugleich der Sprecher aller Landeskirchen der vier Besatzungszonen16. Ebenfalls auf Initiative des Berliner Bischofs war durch Ratsbeschluss vom 19. Oktober 1945 „mit Rücksicht auf die derzeitige allgemeine Lage“ eine Zweitstelle der Kirchenkanzlei der EKD in Berlin eingerichtet worden17. Sie hatte die Aufgabe, „innerhalb des östlichen Besatzungsgebiets die Aufgaben des Rates wahrzunehmen und seine Beschlüsse durchzuführen.“18 Die von Dibelius seit Herbst 1945 aufgebaute und geleitete „Berliner Stelle“ der Kirchenkanzlei der EKD19, die im Gebäude des altpreußischen Evangelischen Oberkirchenrates untergebracht war, entwickelte sich schnell zu einer gut funktionierenden Verwaltungseinrichtung mit großer Bedeutung für die Kirchen in der sowjetischen Zone. Sie übernahm auch die Geschäftsführung der Kirchlichen Ostkonferenz20. Ihre Rolle als zweite Kirchenkanzlei für den Osten führte zwangsläufig zu Überschneidungen mit den Zuständigkeiten der Kirchenkanzlei in Schwäbisch Gmünd und zu Konflikten mit deren Leiter Asmussen. Dibelius sorgte jedoch dafür, dass die Berliner Stelle, die zunächst nur als Provisorium gedacht war21, weitgehend unabhängig blieb. Im Herbst 1946 erhielt sie mit Walter Zimmermann einen von der EKD besoldeten hauptamtlichen theologischen Referenten; das von Dibelius für die Berliner Stelle herangezogene Personal des Berliner Evangelischen Oberkirchenrates arbeitete hingegen nebenamtlich. Stellvertretender Leiter der Berliner Stelle war Oberkonsistorialrat Ernst-Viktor Benn. Damit die auch nach der Kirchenführerkonferenz von Treysa weiterentwickelten Pläne zu einem lutherischen Zusammenschluss auf gesamtdeutscher Ebene die Zusammenarbeit der östlichen Kirchen nicht beeinträchtigten, wurde auf der Sitzung der Kirchlichen Ostkonferenz am 3. Juli 1946 ein Beirat für die Kirchenkanzlei – Berliner Stelle gegründet22. Diese sogenannte Bischofskonferenz, bestehend aus den „geistlichen Leitern“ der lutherischen Kirchen von Mecklenburg, Sachsen und Thüringen sowie den „geistlichen Leitern“ der altpreußischen Provinzialkirchen und Anhalts, übernahm „unbeschadet der Zuständigkeit des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland“ gemeinsam die „allgemeine Verantwortung“ für die Tätigkeit der Kanzlei – Berliner Stelle23. Voraussetzung für die Gründung des Beirates war die Erklärung von Dibelius, „daß die östlichen Provinzialkirchen der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union der fast einhelligen Herkunft ihrer Gemeinden entspre16 Vgl. EBD., S. 36. 17 Vgl. J. SEIDEL, Neubeginn, S. 189–195; PROTOKOLLE, Bd. 1, S. XXXf., S. XXXV, S. 59. 18 Beschluss zur Errichtung einer Berliner Stelle der Kirchenkanzlei der EKD. Abdruck in: EBD., S. 59. 19 Vgl. Präsidialverfügung Dibelius’ über die Berliner Stelle der Kirchenkanzlei der EKD vom 1.12.1945. Abdruck in: EBD., S. 107f. 20 M. KÜHNE, Neuordnung, S. 41ff. 21 Vgl. Verordnung des Rates über die Kirchenkanzlei der EKD vom 2.5.1946. Abdruck in: PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 510. 22 Vgl. M. KÜHNE, Protokolle, 5. Sitzung, TOP 5. 23 EBD.

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chend ihr Handeln an der Grundlage des lutherischen Bekenntnisses ausrichten“24. Der Beirat sollte aus Dibelius’ Sicht die Belange der lutherischen Kirchen in der Kirchenkanzlei zur Geltung bringen, so dass die Kirchenkanzlei auch diese Kirchen gegenüber den politischen Stellen vertreten konnte. Ort des Informations- und Meinungsaustausches über die Entwicklungen in den östlichen Landeskirchen, in der EKD und in der Ökumene war und blieb aber die regelmäßig tagende Kirchliche Ostkonferenz. Ihr gehörten seit Februar 1946 auch die Vertreter der inzwischen verselbstständigten altpreußischen Provinzialkirchen in der sowjetischen Zone – Berlin-Brandenburg, Kirchenprovinz Sachsen, Pommern, Schlesien – an25. An den Sitzungen nahmen zunächst unregelmäßig, später regelmäßig kirchliche Vertreter aus dem Westen als Gäste teil26. Die Kirchliche Ostkonferenz besaß weder eine Ordnung noch eine Geschäftsordnung. Die Mehrzahl ihrer Themen ergab sich aus der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sonderentwicklung in der sowjetischen Zone. Die „antifaschistisch-demokratische Umwälzung“ durch Bodenreform, Enteignung der Banken und Industrieunternehmen, Entnazifizierung und neue Bildungspolitik führte zu tiefen Einschnitten in das wirtschaftliche und soziale Gefüge sowie zu Veränderungen im politischen und geistig-kulturellen Leben in der sowjetischen Besatzungszone27. Auf Grund dieser Besonderheiten und ihrer Auswirkungen auf das kirchliche Alltagsleben war die Kirchliche Ostkonferenz gegründet worden, da diese konkreten ostdeutschen Probleme im Rat der EKD weder diskutiert noch gelöst werden konnten. Wiederkehrende Themen auf der Tagesordnung der Konferenz waren: Schule und Religionsunterricht, die Theologischen Fakultäten, der Mangel an theologischem Nachwuchs, die Abwanderung von Pfarrern nach Westdeutschland, die Fürsorge für die aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten geflüchteten Pfarrer, die Probleme bei der Fortführung der kirchlichen Männer-, Frauen-, Jugendund Wohlfahrtsarbeit, die schwierige Finanzlage, die Stellung der Pfarrer zu politischen Parteien, die Seelsorge an Zivilinternierten und politischen Häftlingen, die Haltung zu den neuen Länderverfassungen, die Entnazifizierung, die Haltung zu Schwangerschaftsunterbrechungen und die Bodenreform. Der Themenkanon zeigt, dass es auf der Konferenz um die Diskussion konkreter Probleme ging und weniger um theologische Grundsatzdebatten. Er macht aber auch deutlich, dass die Lage der Kirchen in der sowjetischen Zone im Vergleich zu der in den anderen Zonen allmählich schwieriger wurde und man gegen eine Einengung des kirchlichen Einflussradius zu kämpfen hatte. Denn die im April 1946 gegründete und von der sowjetischen Besatzungsmacht protegierte Sozialistische Einheitspartei rückte ab 1947 allmählich von ihrer „Politik des Ausgleichs und der Verständigung“ ab28. In Übereinstimmung mit der

24 PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 34f. 25 Vgl. PROTOKOLLE, Bd. 1, S. XXXI. 26 Vgl. M. KÜHNE, Neuordnung, S. 33ff. 27 Vgl. die umfassende Geschichte der SBZ von N. M. NAIMARK, Russen. 28 Zur Kirchenpolitik der SMAD und KPD/SED während der ersten Nachkriegsjahre vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 17–48.

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Politik der Sowjetunion entwickelte sich die SED zu einer Partei „neuen Typs“ und betonte fortan stärker die ideologische Auseinandersetzung. Weder die Kirchliche Ostkonferenz noch die Bischofskonferenz verfolgten in der frühen Nachkriegszeit Trennungsabsichten von der gesamtdeutschen EKD. Vielmehr versuchte man von östlicher Seite bewusst, die zonenübergreifende gesamtkirchliche Einheit zu erhalten. Dahinter stand die Furcht, angesichts der immer undurchlässigeren Zonengrenze von den Kirchen in den drei westlichen Besatzungsgebieten abgeschrieben zu werden29. Dibelius setzte sich daher immer wieder für eine stärkere Präsenz der östlichen Landeskirchen im Rat ein. Auch die russische Militärverwaltung hielt es für untragbar, dass im Rat der EKD das sowjetisch besetzte Gebiet nur durch eine einzige Person vertreten war. Sie empfand dies als eine Missachtung ihrer Zone und damit ihrer selbst30. Als schließlich eine stärkere östliche Vertretung im Rat geplant wurde, schrieb Dibelius auf Beschluss der Kirchlichen Ostkonferenz vom 6. November 1946 an den Rat: „Die Konferenz der östlichen Kirchenleitungen hat mit Dank davon Kenntnis genommen, daß der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland künftig zu seinen Sitzungen weitere Vertreter der östlichen Kirchen hinzuziehen wird. In dem Wunsch, die Verbindung zwischen den östlichen und den westlichen Kirchen so eng wie möglich zu gestalten, bittet die Konferenz den Rat, seine Sitzungen künftig abwechselnd in der östlichen und in den westlichen Besatzungszonen abzuhalten. Aus dem gleichen Grund hat die Konferenz der östlichen Kirchenleitungen beschlossen, daß künftig zu ihren eigenen Tagungen sowie zu Tagungen der hier gebildeten Kammern und zu sonstigen gemeinsamen Veranstaltungen regelmäßig der Kirchenkanzlei in Schwäbisch Gmünd eine Einladung zugeht. Sie bittet, wenn irgend möglich, diesen Einladungen Folge zu leisten und andererseits zu entsprechenden Tagungen im Westen stets sowohl die östlichen Landes- und Provinzialkirchen wie auch die hiesige Kirchenkanzlei einzuladen.“31

Auf seiner Sitzung am 24. und 25. Januar 1947 beschloss der Rat, Dibelius vorzuschlagen, dass an jeder zweiten Ratssitzung ein anderer vom Berliner Bischof ausgewählter Vertreter der Kirchen in der sowjetischen Zone teilnehmen sollte32. Die Kirchliche Ostkonferenz hielt diese Regelung allerdings für nicht ausreichend33. Zunächst aber bat sie den Rat, für seine nächste Sitzung Ende März den sächsischen Landessuperintendenten Franz Lau einzuladen34. Lau war es dann auch, der in einem Schreiben vom 23. Mai an Bischof Wurm deutliche Worte zu der Behandlung der ostdeutschen Kirchen durch die EKD fand35. Anlass hierfür war die erste Ratssitzung im sowjetischen Besatzungsgebiet. An der Sitzung am 12. und 13. Mai in Berlin nahm als Vertreter der Kirchen in der sowjetischen Zone der mecklenburgische Landesbischof Niklot Beste 29 30 31 32 33 34 35

Vgl. J. SEIDEL, Neubeginn, S. 179ff. und S. 195. Vgl. Dibelius an Asmussen, 8.8.1946. Abdruck in: PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 700. Zitiert nach: M. KÜHNE, Protokolle, 6. Sitzung, TOP 2. PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 7. M. KÜHNE, Protokolle, 8. Sitzung, TOP 6. PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 56. EBD., S. 167–171.

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teil36. Die übrigen östlichen Landeskirchen erfuhren von der Ratstagung in Berlin nur durch Zufall oder erst im Nachhinein. Dem juristischen Leiter des sächsischen Landeskirchenamtes Erich Kotte, der sich aus anderen Gründen in Berlin aufhielt, wurde hingegen nicht gestattet, an der Ratssitzung teilzunehmen, wogegen Lau „in aller nur möglichen Schärfe Einspruch“ erhob. Grundsätzlich verlangte er, dass das Verhältnis der EKD zu den östlichen Kirchen neu definiert werden müsse; der „kirchliche Osten“ dürfe vom „kirchlichen Westen“ nicht nur als „kirchliches Notstandsgebiet“ behandelt werden37. Lau sah ihn vielmehr in einer ekklesiologischen Sonderfunktion: Er habe „noch eine besondere Aufgabe und eine besondere Verheißung innerhalb der EKD.“ Es sei der „Auftrag“ der Kirchen im Osten, auch nur den geringsten Anschein zu vermeiden, „als predigten wir, religiös verbrämt, das Ideal der Bürgerlichkeit versunkener Zeiten. Es heißt für uns: Nur Gottes Wort, ohne daß dieses Wort dienstbar gemacht werde menschlichen Parolen von vorgestern, gestern und heute.“38 Wie in der Gesamtkirche, so kam es auch im Bereich der evangelischen Jugendarbeit einerseits zu einem gesamtdeutschen Zusammenschluss und andererseits zur Bildung eines ostdeutschen Separatgremiums39. Nach einer Vorbesprechung im November 1945 wurde im Mai des Folgejahres in Hannover auf einem gesamtdeutschen Treffen von Vertretern der Landeskirchen und Repräsentanten der sich in den Westzonen reorganisierenden evangelischen Jugendverbände die Ordnung der Evangelischen Jugend Deutschlands beschlossen40. Die EJD fasste alle Gliederungen und Formen evangelischer Jugendarbeit im Raum der EKD zusammen. Nach außen wurden ihre gemeinsamen Anliegen von der Jugendkammer der EKD vertreten, die „Vertrauensorgan der EKD für alle Fragen der Jugendarbeit“ war41. Die Jugendkammer hatte 18 Mitglieder, darunter sechs Landesjugendpfarrer, zehn Vertreter der Verbände (Jungmännerwerk, Burckhardthaus, Schülerarbeit, Schülerinnenarbeit, Gemeinschaftsjugend, Christliche Pfadfinderschaft) und ein Vertreter des Rates der EKD. Als Zeichen der Kontinuität wurde der württembergische Landesjugendpfarrer und spätere Oberkirchenrat Manfred Müller, ehemals Vorsitzender der Jugendkammer der Bekennenden Kirche, auch mit der Leitung der neuen Jugendkammer betraut42. Ihr Sitz befand sich fortan an dessen Dienstort Stuttgart. Die „gemeinsame innere Ordnung“ der EJD drückte sich in einem Bibelleseplan, der Jahreslosung, dem Monatsspruch sowie dem Monatslied aus. Nach außen wurde die Einheit durch das gemeinsame Zeichen dokumentiert: das Kreuz auf der Weltkugel. Der Rat der EKD stimmte am 10. Oktober 1946 der Bildung und Zusammensetzung der Jugendkammer sowie der Ordnung der EJD zu43. 36 37 38 39 40 41 42 43

EBD., S. 131. EBD., S. 169. EBD., S. 168. Zur Konstitutionsphase vgl. I. HOLZAPFEL, Bindung, S. 90–108. Die Ordnung ist abgedruckt in: EBD., S. 410f. und PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 689ff. PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 689ff. I. HOLZAPFEL, Bindung, S. 127. PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 657.

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Die Diskussion um die Alternativen „Eigenständigkeit“ der Jugendwerke oder „Integration“ in die landeskirchliche Jugendarbeit ging aber auch nach der Neukonstituierung der Jugendkammer in allen Besatzungszonen weiter. In der sowjetischen Zone wurde sie durch die politischen Rahmenbedingungen mitentschieden. Während von den westlichen Besatzungsmächten die Kirchen hinsichtlich der Wiederzulassung von Jugendgruppen bevorzugt behandelt wurden, blieb im Osten Deutschlands den Kirchen, wie allen anderen gesellschaftlichen Organisationen, die Gründung eigener Jugendorganisationen in Vereinsform untersagt. Am 31. Juli 1945 ordnete die SMAD die Einrichtung von antifaschistischen Jugendausschüssen an, in denen zunächst auch Vertreter der evangelischen Jugendarbeit bereitwillig mitwirkten44. Denn der Wunsch der SMAD, dass die Kirchen im Rahmen der Bündnispolitik in den Parteien, Massenorganisationen und Verbänden mitarbeiteten, und die Bereitschaft der Kirchen, öffentliche Verantwortung wahrzunehmen, kamen einander entgegen. So gehörte das Berliner Jugendkammermitglied Oswald Hanisch im März 1946 zu den Gründungsmitgliedern der Freien Deutschen Jugend, der einzigen in der sowjetischen Besatzungszone zugelassenen Jugendorganisation45. Nach ihrem Gründungsbeschluss verstand sich die FDJ als „überparteiliche, demokratische Jugendorganisation“, die für alle weltanschaulichen und politischen Richtungen offen stand. In ihren Führungsgremien arbeiteten anfangs Mitglieder aller Parteien sowie Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirche mit. Der Zentralrat der FDJ richtete überdies so genannte kirchliche „Verbindungsstellen“ ein, über deren Besetzung die Kirchen selbst entscheiden konnten46. Schon auf dem ersten Parlament der FDJ in Brandenburg an Pfingsten 1946 fielen jedoch Bemerkungen, dass die Vereinbarungen mit den Kirchen nur zum Schein getroffen worden seien. Auf dem zweiten Parlament der FDJ an Pfingsten 1947 in Meissen opponierten Delegierte gegen den Einfluss der kirchlichen Jugend in der FDJ. Im November des gleichen Jahres lehnten Vertreter der evangelischen und katholischen Jugendarbeit die Selbstdarstellung der FDJ als überparteiliche, gesamtdeutsche Jugendorganisation und ihren Vorstoß zur Schaffung eines gesamtdeutschen Jugendringes ab. Sie begründeten dies mit Verhaftungen und der politischen Vereinnahmung der konfessionellen Jugendarbeit in der sowjetischen Zone. Sie verlangten, dass vor einem gesamtdeutschen Zusammenschluss im Jugendbereich allen Jugendgruppen in allen Zonen die Möglichkeit zur freien Entfaltung gegeben werden musste47. Die Entwicklung verlief aber in die entgegengesetzte Richtung. Denn im Zuge der ab 1948 einsetzenden Stalinisierung der FDJ und ihrem Übergang von der Bündnispolitik zu einer offenen anti-kirchlichen Politik wurde die kirchliche Mitarbeit in der FDJ immer stärker begrenzt und die kirchliche Jugendarbeit unter dem

44 I. BECKER, Geschichte, S. 39. Vgl. auch J. PETZOLD, Verhältnis, und R. PAHNKE, Stichproben. Zur Jugendarbeit in der SBZ vgl. U. MÄHLERT, Jugend. 45 Vgl. A. NOACK, Studentengemeinden, S. 256. 46 Zu den „Verbindungsstellen“ vgl. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 82–86. 47 Vgl. F. DORGERLOH, Geschichte, S. 263. Zu den gesamtdeutschen Bestrebungen der FDJ vgl. A. KLÖNNE, Jugendeinheit; DERS., Jugendverbände, S. 14–20.

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Vorwurf, sie geschehe nach wie vor in Vereinsform, in immer engere Schranken verwiesen, bis Mitte 1949 die Kirchen ganz aus der Jugendorganisation gedrängt wurden. Dieser Prozess der Verhinderung und Verdrängung förderte im östlichen Bereich der EKD die Integration der Jugendwerke in die landeskirchliche Struktur. Neben dem politischen Zwang waren aber auch die Integrationserfahrungen aus der Bekennenden Kirche und der Wunsch nach einer bewussten Gemeindeintegration ein Beweggrund für institutionelle Veränderungen; zu den jugendpolitischen Notwendigkeiten kam somit die „ekklesiale Einsicht“48. Auf Grund der besonderen jugendpolitischen Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone formierte sich noch während der Konstituierungsphase der Jugendkammer der EKD eine eigene Jugendkammer Ost. Den Anstoß, die ostdeutschen Vertreter evangelischer Jugendarbeit bereits zu diesem Zeitpunkt in einem Gremium zusammenzufassen, gab vermutlich die bevorstehende Formierung der FDJ und damit die vereinheitlichenden und vereinnahmenden Tendenzen der kommunistischen Jugendarbeit, denen man ein gemeinsames Sprachrohr der kirchlichen Jugendarbeit entgegensetzen wollte49. Nachweislich wurde auf der Kirchlichen Ostkonferenz Anfang Februar 1946 im Anschluss an einen Bericht von Hanisch über die Arbeit des zentralen Jugendausschusses der Wunsch geäußert, die evangelische Jugendarbeit in der Ostzone einheitlich zusammenzufassen50. Von der Kirchlichen Ostkonferenz beauftragt, lud der Berliner Pfarrer Walter Hildebrand, Referent für Jugendarbeit beim Evangelischen Bischof von Berlin, daraufhin Vertreter der ostdeutschen Landeskirchen zu einer Besprechung über Jugendfragen für den 22. März nach Berlin ein. Auf der Versammlung, bei der alle östlichen Landeskirchen vertreten waren, tauschte man jugendpolitische Informationen aus und sprach über die zukünftige Entwicklung der kirchlichen Jugendarbeit. Dabei fiel der Vorschlag, eine „Jugendkammer“ für die sowjetische Besatzungszone zu gründen, die die Verantwortung und Leitung der gesamten Jugendarbeit übernehmen sollte. Noch auf der Sitzung selbst konstituierten die Anwesenden dann eine solche Kammer und forderten die Landeskirchen dazu auf, entsprechende Landesjugendkammern einzurichten. Die Sitzung im März diente auch dazu, das konstitutive Treffen der Jugendkammer der EKD von östlicher Seite her vorzubereiten. Auf ihm sollten zwei Vertreter der östlichen Kirchen Lageberichte über die Situation der Jugendarbeit im Osten geben. Die Wahl fiel auf die beiden jugendpolitisch profilierten Berliner Hildebrand und Hanisch, die an der Sitzung im Mai in Hannover bereits als Delegierte der Jugendkammer Ost teilnahmen. Beide wurden in die Jugendkammer der EKD gewählt und dort unter der Rubrik „Landesjugendpfarrer“ aufgeführt, obgleich sie dies nicht waren51. Aber es gab faktisch zu diesem Zeitpunkt in der sowjetischen Zone keine Landesjugendpfarrer von ausreichender Kompetenz und Integrität, die hätten ent48 49 50 51

Vgl. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 98. EBD., S. 140. Vgl. Hildebrand an Krummacher, 7.6.1946 (EZA BERLIN, 4/134). Vgl. I. HOLZAPFEL, Bindung, S. 106.

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sandt werden können52. In der Ordnung der EJD wurde es jedoch als erstrebenswert bezeichnet, dass bei der Wahl der Vertreter in die Jugendkammer „alle Gebiete der EKD vertreten sind.“53 Während bei den Landesjugendpfarrersitzen die östlichen Landeskirchen auch proportional berücksichtigt worden waren, fand sich unter den acht Werksvertretern kein einziger aus der sowjetischen Besatzungszone. Vermutlich wollte man gegenüber der sowjetischen Besatzungsmacht und den deutschen Kommunisten den Anschein einer allzu großen Nähe der kirchlichen Jugendarbeit in der sowjetischen Zone zu den wieder entstehenden Jugendverbänden in den westlichen Besatzungszonen vermeiden und deshalb auch keine Vertreter der ostdeutschen Jugendwerke entsenden54. Allerdings wurden die ostdeutschen Jugendwerke zumindest bis Frühjahr 1949 durch die Repräsentanten ihrer westdeutschen Zentralen in der Jugendkammer mitvertreten. Das änderte jedoch nichts an dem Tatbestand, dass von insgesamt 18 Jugendkammermitgliedern lediglich zwei aus der sowjetischen Besatzungszone kamen. Noch vor der Bildung der Jugendkammer der EKD im Mai 1946 richtete die Kirchliche Ostkonferenz am 3. April die Jugendkammer für die östlichen Landes- und Provinzialkirchen bei der Kirchenkanzlei der EKD – Berliner Stelle auch offiziell ein55. Die Kammer setzte sich aus Vertretern der Landeskirchen und der Jugendwerke zusammen. In diesem identischen Aufbau von Jugendkammer der EKD und Jugendkammer Ost sahen insbesondere die Jugendwerke ein wichtiges Gestaltungselement des Ost-West-Zusammenhaltes56. Zum Vorsitzenden der Jugendkammer Ost wurde Hildebrand ernannt. Am 7. Januar 1948 regelte die Kirchliche Ostkonferenz dann allgemein die „Einrichtung und Arbeit der Kammern bei der Kanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland – Berliner Stelle“57. Danach waren die Jugendkammer, die Erziehungskammer und die Kammer für Schrifttumswesen „Vertrauensorgane der in der kirchlichen Ostkonferenz vereinigten Kirchenleitungen und der Kirchenkanzlei“58. Sie hatten beide zu beraten und konnten ihnen Vorschläge und Vorlagen unterbreiten. Zu Weisungen waren sie allerdings nicht befugt. Ihre Entschließungen waren für die in ihnen vereinigten Träger kirchlicher Arbeit nur dann bindend, wenn diese ihnen zugestimmt hatten. Für die Entsendung von Vertretern zu Veranstaltungen außerhalb der sowjetischen Zone bedurfte es des Einverständnisses der Berliner Stelle der Kirchenkanzlei. Die Kirchliche Ostkonferenz traf die Bestimmungen über den Vorsitz, die Geschäftsführung und die Zusammensetzung der Kammern. Finanziert wurden sie durch Mittel aus dem „Haushaltsplan der EKD (östlicher Teil)“. Mitte Februar 1949 fasste schließlich auch der Rat der EKD einen Beschluss59 über die Exis52 53 54 55 56 57 58 59

Vgl. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 142. I. HOLZAPFEL, Bindung, S. 410. So die Vermutung von E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 142. M. KÜHNE, Protokolle, 4. Sitzung, TOP 7. Vgl. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 154. M. KÜHNE, Protokolle, 11. Sitzung, TOP 5. EBD., 11. Sitzung, Anlage 1. Vgl. Protokoll der Sitzung (EZA BERLIN, 2/63).

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tenz und Zusammensetzung seiner beratenden Kammern, d. h. der Kammer für Erziehung und Unterweisung, der Jugendkammer, der Kammer für öffentliche Verantwortung der Kirche sowie der Kammer für soziale Ordnung60. Danach waren die Kammern grundsätzlich für den Gesamtbereich der EKD zuständig; sie sollten allerdings so zusammengesetzt sein, dass sie im Falle einer schärferen politischen Trennung von Ost- und Westdeutschland notfalls auch je für den Ost- und Westbereich allein arbeitsfähig waren. Grundsätzlich wollte der Rat aber keine separaten Kammern für den östlichen und den westlichen Bereich. Die Jugendkammer der EKD wurde allerdings in ihrer bisherigen Zusammensetzung bestätigt, auf Wunsch von Dibelius explizit auch die Jugendkammer Ost61. Mit einer hauptamtlichen Pfarrstelle und einer Hilfskraft bei der Kirchenkanzlei – Berliner Stelle sowie der vier bis sechs Mal jährlich tagenden Kammer wurde die Jugendkammer Ost eine funktionsfähige Einrichtung, die nach innen für die Kommunikation und Kooperation der landeskirchlichen Jugendarbeit sorgte und nach außen die Vertretung der evangelischen Jugendarbeit in der sowjetischen Zone gegenüber den Besatzungsbehörden bzw. deutschen Stellen wahrnahm. Zum wichtigsten Kurier zwischen der Jugendarbeit in Ost- und Westdeutschland entwickelte sich Hanisch; personelles Bindeglied zwischen Jugendkammer der EKD und Jugendkammer Ost war Hildebrand. Eine weitere Ost-West-Verbindung im Jugendbereich existierte auf der Ebene der Jugendwerke, d. h. durch die institutionelle, juristische, personelle und namentliche Verbindung der Landesstellen in der sowjetischen Besatzungszone mit den Zentralstellen in den Westzonen. Am 18. Mai 1949 gab die Jugendkammer Ost jedoch eine „Unabhängigkeitserklärung“ der ostdeutschen Jugendarbeit von den „eigenständigen Werken in den Westzonen“ ab. Das Motiv hierfür war nicht etwa der Wunsch, die Ost-West-Beziehungen abzubrechen, sondern die jugendpolitische Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone62. Dort warf die FDJ der Kirche vor, dass ihre Jugendarbeit noch immer in Form einer Organisation erfolge. Um die Kirchlichkeit der Jugendarbeit in der sowjetischen Zone zu bekräftigen, verabschiedete die Jugendkammer Ost fünf „Grundsätze über die kirchliche Jugendarbeit in der Ostzone“. Unter Punkt eins hieß es: „Die kirchliche Jugendarbeit in der Ostzone geschieht in voller Unabhängigkeit von den eigenständigen Werken in den Westzonen. Dadurch wird der gegenseitige Dienst, wie er in der Einheit der EKD begründet ist, nicht berührt.“63 Damit war der Höhepunkt des institutionellen Verkirchlichungsprozesses der evangelischen Jugendarbeit in der sowjetischen Besatzungszone erreicht64. Ebenfalls nicht aus Gründen einer ostdeutschen Separation, sondern aus jugendpolitischen Überlegungen heraus fand der Name Evangelische Jugend Deutschlands 60 61 62 63 64

Vgl. Beschluss der Synode der EKD in Bethel am 12.1.1949. In: BETHEL 1949, S. 188. Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 17.2.1949 (LKA NÜRNBERG, Meiser 140). Vgl. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 165. Zitiert nach: F. DORGERLOH, Geschichte, S. 24. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 313.

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in der Ostzone keine Anwendung. Zur Betonung des kirchlichen Charakters der Jugendarbeit in der sowjetischen Zone etablierte sich stattdessen 1949 der Name Junge Gemeinde65. Mit dem Namen verbreitete sich auch das Konzept Junge Gemeinde, dessen strukturelle Merkmale – Jugendkammer und Jugendpfarrer auf verschiedenen Ebenen – 1949 in allen Landeskirchen vorhanden waren. An der Basis wurde die Bezeichnung Junge Gemeinde vor allem über die gemeinsame, sichtbar getragene Anstecknadel – das bereits erwähnte Kreuz auf der Weltkugel – zum kollektiven Identifikationsmerkmal. Das Zeichen der EJD entwickelte sich somit in der SBZ/DDR zum „Bekenntniszeichen der Jungen Gemeinde“66. Konstitutiv für die „Kommunikationsgemeinschaft“ Junge Gemeinde war die seit Dezember 1947 erscheinende gemeinsame Zeitschrift „Stafette“67. Schon bald nach Kriegsende setzte auch die evangelische Studentenarbeit wieder verstärkt ein. Da die Kontakte und Aktivitäten während des Krieges nie gänzlich unterbrochen worden waren und die Studentengemeinden als unbelastet galten, konnten sie an den Ende 1945 wiedereröffneten Universitäten zumeist als erster Studentenverband in Erscheinung treten. Die Zahl der Studentengemeinden stieg rasch an68. Ende 1947 waren es bereits 48 Gemeinden mit ungefähr 4.000 Studierenden69. Ebenfalls relativ schnell gelang ein zonenübergreifender Zusammenschluss der Gemeinden. Vom 6. bis 9. Oktober 1945 fand in Marburg bereits eine erste Studentenpfarrerkonferenz statt70. Da der Berliner Vertreter keine Reisegenehmigung erhalten hatte, stammten sämtliche Teilnehmer aus den westlichen Besatzungszonen. Neben Bestandsberichten aus den einzelnen Studentengemeinden wurde dort über den Entwurf einer Ordnung der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland diskutiert, den Eberhard Müller und Hans Asmussen verfasst hatten. Nachdem sie den Landeskirchenleitungen vorgelegt worden war, konnte die Ordnung auf der konstituierenden Sitzung des Vertrauensrates am 26. und 27. April 1946 beschlossen werden71. Mit diesem Zusammenschluss auf nationaler Ebene wurde die seit 1938 gewachsene Einheit zwischen der Studentenarbeit der Bekennenden Kirche, den Mitgliedern der überkonfessionellen, laikalen, von der Erweckungsbewegung geprägten DCSV bzw. der DCSB sowie der landeskirchlichen Studentenseelsorge in Gestalt der Studentenpfarrer institutionell bestätigt. Als verantwortliches Organ der Gesamtarbeit fungierte der Vertrauensrat, der die ESGiD nach außen vertrat. Unter seinen 20 bis 22 Mitgliedern befand sich auch ein Vertreter der Kirchenkanzlei der EKD. Nur fünf seiner Mitglieder 65 Zur Geschichte und den programmatischen Implikationen des Begriffes vgl. EBD., S. 236–241. 66 EBD., S. 240. 67 Zur Stafette vgl. EBD., 255–271. 68 A. NOACK, Studentengemeinden, S. 27; G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 58. 69 Vgl. ESGiD an Rat der EKD, 11.9.1947. Abdruck in: PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 311. 70 Vgl. F. W. VOLONTIERI, Hahn, 40f. Zum Konstituierungsprozess der ESGiD vgl. zudem: A. NOACK, Studentengemeinden, S. 17–28; E. MÜLLER, Widerstand, S. 49–61; H. LUDWIG, Auseinandersetzung, S. 161f. 71 Abdruck der Ordnung vom 27.4.1946 in: KJ 72–75, 1945–1948, S. 229ff.

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kamen aus der sowjetischen Besatzungszone einschließlich Berlin72. Die Leitung des Vertrauensrates übernahm Reinold von Thadden-Trieglaff, der von 1928 bis 1938 Leiter der DCSV und zwischen 1936 und 1939 Vizepräsident des Christlichen Studentenweltbundes gewesen war. Die Wahl seiner Stellvertreter fiel auf Eberhard Müller, den ehemaligen Generalsekretär der DCSV, sowie auf Hermann Dietzfelbinger, zu dieser Zeit Vorsitzender der Studentenpfarrerkonferenz und Rektor des Predigerseminars Nürnberg. Generalsekretär der ESGiD wurde der Hamburger Studentenpfarrer Horst Bannach. Die Geschäftsführung erfolgte in der „Reichsgeschäftsstelle“ – später „Geschäftsstelle“ –, die 1946 und 1947 in Hamburg und ab 1948 in Stuttgart angesiedelt war73. Laut Ordnung trafen sich zweimal jährlich aus allen vier Besatzungsgebieten die haupt- und nebenamtlichen Studentenpfarrer auf Konferenzen sowie die Vertrauensstudenten der Einzelgemeinden auf Tagungen. In der sowjetischen Besatzungszone war es vor allem Martin Fischer, der sich um die Sammlung der Studentengemeinden bemühte. Fischer war von 1935 bis 1938 Reisesekretär der DCSV gewesen und hatte von 1937 bis 1945 im Auftrag der zweiten Vorläufigen Leitung der DEK die Studentenarbeit der Bekennenden Kirche geleitet. Im April 1946 beschloss der Vertrauensrat, dass unter Fischers Führung die in der sowjetischen Zone beheimateten Mitglieder des Vertrauensrates sich zu einem „Ostbeirat“ zusammenschließen sollten, „solange die russische Zonengrenze einen Verkehr mit dem westlichen Deutschland unmöglich macht“74. An der Kirchlichen Hochschule Berlin, deren Leitung Fischer übernahm, wurde für die zentrale Zusammenfassung und Betreuung der Einzelgemeinden in der sowjetischen Besatzungszone 1946 eine „Ostzonen-Geschäftsstelle“ eingerichtet75. Für die Verbindung der im sowjetischen Besatzungsgebiet liegenden Studentengemeinden untereinander sorgte die Geschäftsstelle durch einen Reisesekretär, der die Gemeinden vor Ort besuchte. Ab Sommer 1947 gab es auch jährlich eine „Christliche Studentenkonferenz der Ostzone“ in der Kirchlichen Hochschule in West-Berlin, an der allerdings auch viele westdeutsche Studenten teilnahmen76. Die Zusammengehörigkeit der Gemeinden aller vier – nur als vorübergehend gedachten – Besatzungszonen sollte mit diesen Aktivitäten nicht in Frage gestellt werden. Um die gesamtdeutsche Gemeinschaft zu stärken und die soziale Not der Studenten in der sowjetischen Zone zu lindern, ging man seit Anfang 1946 so genannte Patenschaften zwischen Gemeinden der westlichen Zonen und der sowjetischen Zone ein77. Diese standen miteinander in materiellem und persönlichem 72 Die Mitgliederliste ist abgedruckt bei: F. W. VOLONTIERI, Hahn, 41f. 73 EBD., S. 43f. 74 Entwurfsprotokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 27./28.4.1946 (EZA BERLIN, 36/1087). 75 Vgl. G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 59f. 76 Vgl. A. NOACK, Studentengemeinden, S. 173. 77 Vgl. „Arbeitshilfe für Vertrauensstudenten“ aus dem Jahre 1956 (EZA BERLIN, 141/99/90a). Ende 1948 unterhielten die Studentengemeinden folgender Städte zueinander Patenbeziehungen: Berlin (Universität) – Bethel, Erlangen, Karlsruhe; Berlin (Technische Universität) – Braunschweig, Hannover; Berlin (Kirchliche Hochschule) – Hamburg, Marburg; Berlin (Spandau) – Esslingen, Detmold; Potsdam – Aachen, Mainz; Dresden– Darmstadt, Hohenheim, Stuttgart; Freiberg – Clausthal; Greifs-

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Austausch. In den Semesterferien besuchten einzelne Glieder der ostdeutschen Gemeinden ihre Patengemeinden in den Westzonen78. Auch hierfür bot die Geschäftsstelle Ost Unterstützung an. Sie wurde zum Anlaufpunkt von Reisenden und zum Umschlagplatz von Informationen sowie Hilfslieferungen aus Mitteln des Hilfswerks. Dem Informationsaustausch dienten auch die beiden Zeitschriften „Mitteilungen der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland“ und „Der christliche Student“. Beide erschienen in den Westzonen, wurden aber auch in der sowjetischen Zone gelesen, und beide enthielten eine Rubrik mit Nachrichten „Aus der Ostzone“79. Somit standen sie für beides zugleich: für die gesamtdeutsche Einheit und für die ostdeutsche Sonderentwicklung in den Studentengemeinden.

1.2.2 Die Kirche als (Für-)Sprecherin des deutschen Volkes: Eigene Schuld, fremde Schuld und die deutsche Frage Von der deutschen Bevölkerung wurden die ersten Nachkriegsjahre im besetzten Deutschland vor allem als eine Zeit alltäglicher Existenznöte erfahren. Die Menschen waren damit beschäftigt, Nahrungsmittel und Kleidung zu beschaffen sowie Wohnraum wiederherzustellen. In dieser durcheinander gewirbelten Zusammenbruchgesellschaft mit ihrer wirtschaftlichen, sozialen, aber auch psychosozialen Not entwickelten sich die rasch wieder institutionell funktionsfähigen Kirchen zu „Fürsprecherin und Anwalt“80 des deutschen Volkes gegenüber den Besatzungsmächten und der Weltöffentlichkeit. Die Tatsache, dass nahezu alle Deutschen einer der beiden Großkirchen angehörten und sich neben der quantitativen auch die qualitative Kirchenzugehörigkeit in der unmittelbaren Nachkriegszeit vorübergehend erhöhte81, gab den Kirchen Rückhalt in dieser Sprecherrolle. Förderlich hierfür war auch der Umstand, dass die Kirchen sich den Existenzbedingungen im „Dritten Reich“ angepasst hatten und damit für die Deutschen glaubwürdig waren. Ihre oppositionelle Haltung gegenüber Teilen der nationalsozialistischen Weltanschauung im „Kirchenkampf“82 machte sie wiederum für die Alliierten vertrauenswürdig83. Nicht zuletzt aufgrund dieses Widerwald – Bonn, Heidelberg, Köln; Halle – Frankfurt/M., Göttingen; Jena – Tübingen, Würzburg; Leipzig – München, Münster; Rostock – Freiburg, Kiel, Wuppertal; Weimar – Lüdenscheid, Regensburg. Vgl. A. NOACK, Studentengemeinden, Anhang, S. 60. 78 Vgl. EBD., S. 171f. 79 Vgl. EBD., S. 173. 80 Kundgebung der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern in Ansbach (9.–3.7.1946). Abdruck in: KJ 72–75, 1945–48, S. 47–51, hier S. 48f. 81 Vgl. M. GRESCHAT, Christenheit, S. 71. 82 Der Begriff „Kirchenkampf“ wird in dieser Arbeit in Anführungszeichen gesetzt, um ihn als zeitgenössischen Begriff zu kennzeichnen. Als kirchengeschichtliche Epochenbezeichnung für die Zeit zwischen 1933 und 1945 wird er inzwischen in der Forschung weitgehend abgelehnt, da sich mit ihm die Situation und das Verhalten der Kirchen im „Dritten Reich“ nicht zutreffend qualifizieren lassen. Grundlegend hierfür: J. MEHLHAUSEN, Nationalsozialismus, S. 43f. 83 Vgl. E. WOLGAST, Wahrnehmung, S. 183.

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standsnimbus erfuhren die Kirchen von den Militärverwaltungen eine wohlwollende Behandlung und wurden zu ersten Neuordnungsmaßnahmen hinzugezogen. Aus dieser privilegierten Stellung erwuchs wiederum Verantwortung. Die Bereitschaft der evangelischen Kirche, die Anwaltschaft für das deutsche Volk zu übernehmen, hing auch mit einem neuen Verständnis des kirchlichen Öffentlichkeitsauftrages zusammen. Dieses baute auf den aufklärungskritischen Interpretationsmodellen „Säkularisierung“ und „Rechristianisierung“ auf, die nicht nur in der protestantischen Theologie und Kirche Deutschlands, sondern auch Europas und der USA viele Anhänger besaßen84. Ihnen zufolge war die Neuzeit charakterisiert als eine Geschichte der Abkehr der Menschen von Gott. NS-Herrschaft und Zweiter Weltkrieg wurden als Höhepunkt des „großen Abfalls“85 von Gott gedeutet. Der Säkularisierungstheorie korrespondierte ein Rechristianisierungskonzept. Dieses zielte auf eine Neugestaltung Nachkriegsdeutschlands auf christlicher Grundlage und führte bei vielen kirchlichen Amtsträgern schon bald zu einer ausgeprägten Affinität gegenüber der neu gegründeten, interkonfessionellen Christlich-Demokratischen Union (CDU)86. Das bei der staatlichen und gesellschaftlichen Neuordnung von der Kirche einzunehmende Öffentlichkeitsmandat wurde bereits in dem „Wort zur Verantwortung der Kirche für das öffentliche Leben“87 reklamiert, das im August 1945 der Kirchenversammlung in Treysa vorgelegt, von ihr aber nicht offiziell beschlossen worden war. Die darin formulierte und fortan in allen Besatzungszonen auch in Handeln umgesetzte Bereitschaft der Kirche und insbesondere der Laienchristen, sich von einem rein innerlich-individualistischen Heilsverständnis abzukehren und sich aktiv gesellschaftspolitisch zu engagieren, zählte zu den fundamentalsten Wandlungen im protestantischen Selbstverständnis nach 1945. Hinter diesem neuen Willen standen jedoch noch wenig theoretische Vorarbeit, wenig konkrete Vorstellung und noch weniger praktische Erfahrung. Das veränderte kirchliche Bewusstsein vom eigenen Auftrag in der Öffentlichkeit war nicht zuletzt eine Reaktion auf politische und moralische Versäumnisse während der NS-Zeit. Kirchenleitende Persönlichkeiten sahen darin eine Konsequenz vergangener Fehler und Unterlassungen der evangelischen Kirche und ihres Eingeständnisses in der Stuttgarter Schulderklärung. Der Anstoß zu diesem frühen Bekenntnis kirchlicher Mitschuld und Mitverantwortung angesichts des vielfachen Unrechts während des „Dritten Reiches“ kam von außen: Die Ökumene hatte die Ratsmitglieder der EKD um ein solches gebeten. Es sollte die Voraussetzung für die Wiederaufnahme der Gemeinschaft mit den Kirchen in Deutschland sein, die bald auch in Form massiver ideeller und materieller Hilfe von Seiten der Ökumenischen Bewegung erfolgte. Im

84 Vgl. M. GRESCHAT, Rechristianisierung; H. NOORMANN, Protestantismus, Bd. 1, S. 41–50. 85 So der Titel von Walter Künneths einflussreichem Buch: Der große Abfall. Eine geschichtstheologische Untersuchung der Begegnung zwischen Nationalsozialismus und Christentum. Hamburg 1948. 86 Zum Verhältnis von evangelischer Kirche und CDU/CSU in den ersten Nachkriegsjahren vgl. R. SCHMEER, Hoffnungen. 87 TREYSA, S. 102ff. Zu Entstehung und Wirkung des Wortes vgl. R. SCHMEER, Hoffnungen, S. 33–48.

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Unterschied zu den Jahren nach Ende des Ersten Weltkrieges, als Auseinandersetzungen um die Kriegsschuldfrage die ökumenische Bewegung belastet hatten, sollten nun neue Wege gegangen werden. Man hoffte auf einen Neuanfang in den Beziehungen der Völker im Zeichen der Rechristianisierung und der Abkehr von „nationaler Selbstsucht“. In diesem Sinne setzte sich im Februar 1946 der Vorläufige Ausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), an dessen Sitzung bereits deutsche Delegierte teilnehmen konnten, gegenüber den Siegermächten für eine maßvolle Besatzungspolitik in Deutschland ein88. Die am 19. Oktober 1945 vor Vertretern der Ökumene abgegebene Stuttgarter Erklärung89 war als Bitte an die ökumenische Christenheit um Vergebung vor Gott und um Wiederherstellung zerstörter Gemeinschaft abgefasst90. Die evangelische Kirche einschließlich ihres bekenntniskirchlichen Teils bekannte sich in ihr zu einer „Solidarität der Schuld“ mit dem deutschen Volk. Die deutsche und damit auch eigene Schuld wurde explizit eingestanden: „Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden.“91 Hinsichtlich der Form der Schuld und der Umkehr war der Text jedoch wenig konkret. In einer „traditionellen christlichen Frömmigkeitssprache“92 hieß es: „[. . .] wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“93 Hinter diesen Aussagen stand die Vorstellung der Ratsmitglieder, dass die Ursache der Schuld in der Schwäche des Glaubens des einzelnen Christen lag. Auch die Säkularisierungstheorie spielte in der Erklärung eine Rolle. Durch sie wurde der Nationalsozialismus in einen universalen Erosionsprozess der Moderne eingeordnet und damit das deutsche Volk und seine Schuld mit der epochalen Schicksalsgemeinschaft aller verbunden, die den Idealen menschlicher Selbstverwirklichung verfallen waren. „Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregime seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat“, hieß es entsprechend im Text94. Die Erklärung von Stuttgart wurde gegen den Willen des Rates und vermutlich auf Grund einer Indiskretion britischer Militärs in deutschen Tageszeitungen abgedruckt. Damit wechselte sie unwillkürlich ihren Charakter vom Schuldbekenntnis vor Gott und ausländischen Mitchristen zu einer politischen Stellungnahme95. Kaum veröffentlicht, löste die Erklärung Widerspruch, Streit und Diskussion aus. Gestritten wur88 Die Botschaft zur Weltlage und die Resolution über Umsiedlung von Bevölkerung des Vorläufigen Ausschusses sind abgedruckt in: KJ 72–75, 1945–1948, S. 284–287, hier S. 285. Zur Geschichte des ÖRK vgl. W. A. VISSER ’T HOOFT, Ursprung; H. E. FEY, Geschichte. 89 PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 60f. 90 Vgl. M. BEINTKER, Schuldfrage, S. 51. Zur Stuttgarter Schulderklärung vgl. allgemein: M. GRESCHAT, Zeichen; DERS., Christenheit, S. 131–150. 91 PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 60. 92 M. GRESCHAT, Christenheit, S. 145. 93 PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 60. 94 EBD. 95 Vgl. M. GRESCHAT, Christenheit, S. 148.

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de in der allgemeinen und kirchlichen Öffentlichkeit vor allem um zwei Dinge: die in der Erklärung angeblich anerkannte deutsche „Kollektivschuld“ sowie die Anerkennung von Schuld allein durch die Deutschen. Es kam zu heftigen Protesten gegen diese „deutsche Nestbeschmutzung“ bis hin zu chauvinistischen Ausbrüchen96. In nationalprotestantischer Tradition deutsch und protestantisch weiterhin für zusammengehörig haltend, fühlten sich viele von einer Kirche verraten, die seit dem Kaiserreich für Volk und Vaterland eingetreten war. Der Schweizer Karl Barth forderte demgegenüber im November 1945 die Deutschen als „Freund“ dazu auf, noch „einfacher“, „direkter“ und „greifbarer“ von ihrem falschen politischen Weg zu sprechen, der schon vor 1933 angefangen habe. Erst dann sei mit „befreitem Gewissen und fröhlich“ ein Neuanfang möglich97. Schuld, Buße und Neuanfang gehörten in Barths theologisch-politischem Denken zusammen. Dem widersprach der Theologe Helmut Thielicke, der während der NS-Zeit Mitglied der Bekennenden Kirche und in Kontakt mit dem politischen Widerstand gewesen war98. Der Tübinger Systematiker hielt Barth entgegen, dass in der Schuldfrage nur der mitreden könne, der „das Versailler Milieu“, die Massenarbeitslosigkeit und den „Kulturbolschewismus“ selbst erlebt habe99. Weiter argumentierte Thielicke, dass, wenn man die Schuldfrage ernst nehme, Schuld nur vor Gott ausgesprochen werden könne. Jedes „öffentliche pauschale Schuldbekenntnis des ganzen deutschen Volkes“, wie es Barth fordere, werde hingegen politisch im Sinne der Kollektivschuld missbraucht100. Mit dieser Trennung des religiösen und politischen Bereichs und der Zuweisung der Schuldfrage in den ersteren stieß Thielicke mehrheitlich auf positive Resonanz bei Kirchenleitungen, Pfarrern und Gemeindegliedern. Sein Vortrag fand im zerstörten Deutschland weite Verbreitung. Führten Barths und Thielickes Ausführungen vom konkreten Ereignis, der Stuttgarter Schulderklärung, weg, so lag Martin Niemöller daran, den Menschen diesen Text nahe zu bringen. Er sprach über ihn in allen drei westlichen Besatzungszonen und in Berlin101. Niemöller appellierte an seine Zuhörer, über die eigene, persönliche Schuld zu sprechen und so zur Versöhnung mit Gott und den Menschen zu finden. Die evangelische Kirche sei darin in Stuttgart vorangegangen. Auch Niemöller selbst, eine Symbolfigur der Bekennenden Kirche, bekannte sich zu seinen Unterlassungen vor Gott und den Menschen während der NS-Zeit. Gerade damit beeindruckte er viele seiner Zuhörer und ließ die Stuttgarter Erklärung für manche evangelische Pfarrer, 96 Eine Sammlung von Reaktionen auf die Stuttgarter Schulderklärung enthält: M. GRESCHAT, Schuld. Zur Beschäftigung mit der Schuldfrage in den evangelischen Studentengemeinden nach 1945 vgl. H. LUDWIG, Auseinandersetzung; E. MÜLLER, Widerstand, S. 55f. 97 Karl Barth: Ein Wort an die Deutschen. Vortrag in Stuttgart am 2.11.1945. Wiederholt in Tübingen. Abdruck in: M. GRESCHAT, Schuld, S. 160–163, hier S. 162. 98 Zu Biografie und Theologie von Thielicke vgl. L. MOHAUPT, Thielicke. 99 H. Thielicke: Exkurs über Karl Barths Vortrag in Tübingen. 8.11.1945. Abdruck in: M. GRESCHAT, Schuld, S. 163–172, hier S. 167. 100 EBD., S. 167, S. 170f. 101 Vgl. M. GRESCHAT, Christenheit, S. 155. Texte Niemöllers finden sich in: M. GRESCHAT, Schuld, S. 188–209.

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Kirchen- und Studentengemeinden zum Anstoß für eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit sowie der Schuldfrage werden. Insgesamt überwog aber die Ablehnung. In den Diskussionen wurde deutlich, dass die in Stuttgart formulierten Einsichten, soweit sie in der Not der Nachkriegszeit überhaupt wahrgenommen wurden, nicht im Bewusstsein der breiten deutschen und kirchlichen Öffentlichkeit verankert waren, weder bei der älteren noch bei der jüngeren Generation. In der sowjetisch besetzten Zone fand die Erklärung nur ein begrenztes Echo. Das lag zum einen daran, dass der Text dort relativ spät bekannt wurde. Zum anderen war die Aufmerksamkeit der Christen und Kirchen in der sowjetischen Besatzungszone zu diesem Zeitpunkt bereits von neuen, dringlichen Problemen okkupiert102. Niemöller fand in seinem Bemühen, den Menschen die Stuttgarter Erklärung als „Weg ins Freie“103, in die Wahrnehmung der Verantwortung der Kirche und des einzelnen Christen für den Neuanfang zu vermitteln, bei seinen Ratskollegen nur wenig Unterstützung. So wurde ein bereits auf der Ratssitzung am 21. und 22. März 1946 geplantes „Wort an die Gemeinden zur Schuldfrage, zum Umfang der jetzt veröffentlichten Judenmorde und zur Methode der Entnazifizierung“104 erst auf der Maisitzung und dann auch nur kurz besprochen. Niemöller hatte das Wort gemeinsam mit dem Ratsmitglied Wilhelm Niesel, Dozent für Systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, entworfen. Darin wurde schmerzlich bedauert und als „tiefe Demütigung“ empfunden, „dass gerade auch Kreise der evangelischen Christenheit sich jedem Bekenntnis unserer Schuld widersetzen“105. Das Wort benannte das Versagen gegenüber den verfolgten Kommunisten, den zunächst ausgegrenzten, später dann verschleppten und schließlich ermordeten „sechs Millionen Juden und Judenchristen“ sowie dem Leid der überfallenen Völker. Ganz im Sinne Niemöllers hieß es in dem Text: „Darum kann es nur auf dem Weg der Buße zu einem echten Neuanfang im Leben unserer Kirche und unseres Volkes kommen.“106 Die Mehrzahl der Ratsmitglieder wollte diesem Entwurf nicht zustimmen107. Die Bedenken konzentrierten sich auf zwei Aspekte: Erstens befürchteten die Ratsmitglieder Wurm, Meiser und Heinrich Held, dass die Gemeinden das Wort nicht als Bußruf verstehen würden. Zweitens vertrat vor allem der Präsident der Kirchenkanzlei, Hans Asmussen108, die Ansicht, dass in dem Text auch das Leid angesprochen werden müsse, das dem deutschen Volk gegenwärtig zugefügt werde. Die Frage nach der Schuld der Sieger durchzog sowohl die Entstehungs- als auch die Wirkungsgeschichte der Stuttgarter Erklärung. Denn bereits bei der Abfassung des Textes hatten die Ratsmitglieder überlegt, ob darin nicht auch die Verbrechen benannt 102 Vgl. M. GRESCHAT, Christenheit, S. 285. 103 M. Niemöller: Der Weg ins Freie. Vortrag vom 3.7.1946. Abdruck in: M. GRESCHAT, Schuld, S. 199–206. 104 Vgl. PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 393f. 105 EBD., S. 540–543, hier S. 541. 106 EBD., S. 542. 107 Vgl. EBD., S. 492. 108 Zu Asmussen vgl. A. SIEMENS, Asmussen.

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werden müssten, die während Flucht und Vertreibung an den Deutschen verübt wurden. Man hatte sich dann aber dazu entschlossen, zunächst nur von der eigenen Schuld zu sprechen. Der Rat wollte nicht „in eine Aufrechnung von Schuld und Gegenschuld eintreten, die jeden Ansatz zu einer echten Neubesinnung innerhalb und außerhalb Deutschlands zunichte machen würde.“109 Nach der Stuttgarter Schulderklärung sah sich der Rat nun aber dazu berechtigt, auch die Besatzungsmächte auf ihre Schuld hin anzusprechen. Asmussen führte in seinem Kommentar zur Stuttgarter Erklärung aus, dass der Mensch nach der Abkehr von Gott, der wahren Ursache seiner Schuld, der Vergebung bedürfe110. Gott spreche dem reuigen Sünder, d. h. dem Menschen, der gegen sein eigenes Denken und Handeln die Geltung der Zehn Gebote Gottes bezeuge, im Evangelium diese Vergebung zu. Wer so von seiner Schuld spreche, konfrontiere die anderen Christen mit dem Gesetz Gottes, unter dem auch sie stünden. So könne beim Reden über die Schuld der Deutschen auch von der Schuld der Alliierten gesprochen werden, ohne dass dieses als Aufrechnen verstanden werden sollte. Denn aus der bedingungslosen Anerkennung der eigenen Schuld erwachse die Freiheit, auf das Fehlverhalten der Sieger hinzuweisen. Hierin wurde der Rat dann auch recht bald sehr viel konkreter als im Bekenntnis der eigenen Schuld. So etwa in einem Schreiben an den Alliierten Kontrollrat, das er am 3. November 1945 zusammen mit einem Exemplar der Schulderklärung nach Berlin sandte111. Darin hieß es, die „innere Lage der evangelischen Christenheit“ sei von drei Vorgängen bestimmt: der Frage nach der Schuld Deutschlands, der großen Not sowie dem Verhalten der Besatzungsmächte. Im Grunde ging es dann aber vornehmlich um Letzteres. Der Rat warf den Siegern vor, die Herausbildung eines tieferen Schuldbewusstseins unter den Deutschen zu konterkarieren. Durch das Propagieren der Kollektivschuldthese, durch die wachsende materielle Not der deutschen Bevölkerung, durch die Zustände in den Kriegsgefangenenlagern, durch die als ungerecht empfundene Entnazifizierung sowie durch die ungeahndeten Übergriffe von Displaced Persons wachse der Hass unter den Deutschen auf die Alliierten. Der Brief endete mit der Bitte für das deutsche Volk, dass ihm Gerechtigkeit widerfahre. In einem „Wort des Rates an die Christen in England“ vom 14. Dezember 1945 wurde hingegen historisch argumentiert. Der Rat warnte davor, die Fehler des Versailler Vertrages zu wiederholen, denn die „Rechenkünste derer, die die fahrlässige Brandstiftung von 1914, an der alle europäischen Mächte beteiligt waren, allein am deutschen Volke bestrafen zu müssen glaubten, sind gründlich zu schanden geworden.“112 Erst die Auswirkungen dieses Vertrages hätten die Deutschen für den Nationalsozialismus empfänglich gemacht. Damit wiesen die Ratsmitglieder in ihrer deutschnationalen Geschichtsdeutung den Siegermächten eine Mitverantwortung für das Aufkommen des Nationalsozialismus und seinen Folgen zu. Auch schreckten sie in ihrer 109 110 111 112

PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 49f. Der Kommentar ist abgedruckt in: M. GRESCHAT, Zeichen, S. 47–62. Abdruck in: PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 65–70. Abdruck in: EBD., S. 215ff., hier S. 217.

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germanozentrischen Befangenheit nicht davor zurück, die Vertreibung der Deutschen aus den ehemals deutschen Ostgebieten sowie die Demontage in den Besatzungszonen mit der Judenvernichtung zu vergleichen: beides sei „grundsätzlich nicht anders zu bewerten, als die gegen die jüdische Rasse gerichteten Ausrottungspläne Hitlers.“ Den Alliierten die Absicht einer Kollektivbestrafung unterstellend, hieß es in dem Wort: „Millionen Unschuldiger verhungern zu lassen, um Millionen ebenso Unschuldiger zu rächen, kann nur der Unverstand für gerecht halten.“113 In derlei Stellungnahmen mit deutschnationalen Tönen nahm der Rat in nicht unproblematischer Weise seine Rolle eines Fürsprechers des deutschen Volkes wahr. Dabei zeigte sich, dass in der Gemengelage von Tradition und Neuorientierung während der Nachkriegszeit bei den einzelnen Ratsmitgliedern eben beides vorkam: Einerseits die theologische und politische Einsicht in die verheerenden Folgen nationaler Überhebung. Denn ein hypertropher Nationalismus war innerhalb des deutschen Protestantismus nach den nationalistischen Exzessen des Nationalsozialismus ebenso nachhaltig delegitimiert wie in der übrigen Bevölkerung. Andererseits wurzelte das nationalprotestantische Erbe noch tief. Zehn der zwölf Mitglieder des ersten, vorläufigen Rates der EKD gehörten zu der so genannten „Frontgeneration“. Diese war im Kaiserreich und seinem Wertekosmos sozialisiert worden; ihre männlichen Vertreter waren im Ersten Weltkrieg Soldaten gewesen114. Die Ratsmitglieder aus dieser Generation waren geprägt durch den im Kaiserreich entwickelten Anspruch von Protestantismus und evangelischer Kirche, die Leitkultur in Deutschland zu repräsentieren, d. h. vor allen anderen Weltanschauungen und ihren Organisationen das deutsche Volk geistig-kulturell zu integrieren und zu führen115. Die beiden ersten Vorsitzenden des Rates der EKD, Wurm und Dibelius, zeigten sich zeitlebens von Adolf Stoecker und seiner Forderung nach einer gesellschaftlich aktiven Volkskirche beeinflusst116. In der von ihr übernommenen Rolle eines Anwalts des deutschen Volkes kritisierte und unterlief die evangelische Kirche auch die Entnazifizierungsprogramme vornehmlich der Westalliierten117. Im eigenen Bereich erreichten es die Kirchen, versehen mit dem Nimbus des „Kirchenkampfes“, dass ihnen die Entnazifizierung der Pfarrer und kirchlichen Angestellten in allen vier Besatzungszonen weitgehend selbst überlassen wurde118. Besonders eklatante Fälle belasteter Kirchenvertreter wurden dabei ohne viel Lärm durch Rücktritt oder Amtsenthebung bereits nach der Besetzung geregelt. Als entscheidendes Kriterium für die Beurteilung von Pfarrern bei der kirchlichen „Selbstreinigung“ galt die bekenntnistreue Verwaltung des geistlichen Amtes, 113 EBD., S. 217. 114 Zu der so genannten „Frontgeneration“ der zwischen 1880 und 1900 Geborenen vgl. D. J. PEUKERT, Weimarer Republik, S. 26–31. 115 Vgl. M. GRESCHAT, Christenheit, S. 175. 116 Vgl. M. GRESCHAT, Nachwirkungen, S. 90f. und S. 93–96. 117 Zum Gesamtkomplex vgl. C. VOLLNHALS, Entnazifizierung und Selbstreinigung; DERS., Kirche und Entnazifizierung; DERS., Hypothek. 118 Für die sächsische Landeskirche vgl. M. HEIN, Landeskirche, S. 121–247; für Thüringen vgl. T. A. SEIDEL, Übergang, S. 166–283; für Baden: K. MUSTER, Reinigung, S. 95–206.

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nicht die politische Einstellung119. Oft wurde auch die Ansicht vertreten, die Entnazifizierung der evangelischen Kirche sei bereits während des „Kirchenkampfes“ vollzogen worden. Obgleich sich unter den Pfarrern ein hoher Anteil von NSDAP-Mitgliedern befand120, blieb im Ganzen die Zahl der von kirchlichen Gremien disziplinierten Pfarrer weit hinter dem Prozentsatz der unter der deutschen Bevölkerung von den Militärregierungen bzw. Spruchkammern Verurteilten zurück. Diese relativ milde Durchführung der Entnazifizierung führte dazu, dass es unter Pfarrern und anderen kirchlichen Mitarbeitern eine sehr hohe personelle Kontinuität gab, was insbesondere für die weitere Entwicklung der Kirche und die soziale und mentale Prägung des protestantischen Milieus in der DDR von großer Bedeutung war121. Der Rat der EKD lehnte aber nicht nur die Anordnungen der Alliierten zur Entfernung von NSDAP-Mitgliedern aus dem kirchlichen Dienst als „Eingriffe von politischer Seite und aus politischen Gründen in das Recht der Verkündigung und des Amtes“ erfolgreich ab122. Er wollte nicht allein zugunsten der eigenen Institution, die in hohem Maße betroffen war, sprechen, sondern sich allgemein gegen die Entnazifizierungsmaßnahmen wenden. Schon auf der Sitzung am 30. und 31. Januar 1946 fragten mehrere seiner Mitglieder, ob nicht der Rat „als öffentliches Gewissen vom christlichen Standpunkt her gegen die ganze Entnazifizierungsmethode“ seine Stimme erheben müsse123. Die Entnazifizierung galt vor allem der amerikanischen Militärregierung als notwendige Voraussetzung für eine demokratische Neuordnung. In einer politischen Säuberung sollten alle diejenigen ausgeschieden werden, die aufgrund ihrer politischen Vergangenheit nicht für den Aufbau eines demokratischen Deutschlands geeignet erschienen. Dabei wurde mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung in den USA der betroffene Personenkreis stark ausgeweitet und somit der Lebenswirklichkeit unter einer totalitären Herrschaft wenig Rechnung getragen. Während die Amerikaner mit der Entnazifizierung auch auf eine Umerziehung der deutschen Bevölkerung zielten und sie, ähnlich wie die Franzosen, mit geradezu missionarischem Eifer durchführten, agierten die Briten zurückhaltender und setzten mehr auf wirtschaftliche und politische Eingriffe. Für die Sowjetunion hingegen war die Entnazifizierung vor allem ein Instrument, um grundlegende gesellschaftliche Veränderungen in ihrer Zone zu befördern124. Trotz der unterschiedlichen Intentionen und Konzeptionen wurde am

119 Vgl. die „Richtlinien für eine Verordnung zur Wiederherstellung eines bekenntnisgebundenen Pfarrerstandes“, vom Rat der EKD am 19.10.1945 beschlossen. Abdruck in: PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 62–65. 120 Zu den in den einzelnen Landeskirchen unterschiedlichen Zahlen vgl. C. VOLLNHALS, Kirche und Entnazifizierung. 121 Vgl. C. KLESSMANN, Sozialgeschichte, S. 34f. 122 Entschließung des Rates vom 31.1.1946. In: PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 329. Vgl. auch die Ratssitzung am 21./22.3.1946 (EBD., S. 402f.), die Entschließung des Rates der EKD vom 2.5.1946 (EBD., S. 501) sowie die Entschließung des Rates zur Durchführung der Selbstreinigung der Kirche vom 2.5.1946 (EBD., S. 505f.). 123 So Niemöller. Ähnlich auch Niesel, Meiser, Dibelius, Wurm und Hahn (EBD., S. 352f.). 124 Als Überblicke zur Entnazifizierung in den verschiedenen Besatzungszonen vgl.: C. VOLLNHALS,

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12. Januar 1946 das gemeinsame Kontrollratsgesetz Nr. 24 erlassen, in dem die allgemeinen Richtlinien für die Entnazifizierung in allen Besatzungszonen festgehalten wurden. Im Laufe des Jahres 1946 überließen die Besatzungsmächte die Durchführung der Entnazifizierung dann deutschen Stellen. In der amerikanischen Zone galt hierfür das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ vom 5. März 1946. Es führte zu einer bürokratischen Massenentnazifizierung, die von der deutschen Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt wurde. Mit Laien besetzte deutsche Spruchkammern werteten Fragebögen aus, die jeder deutsche Erwachsene auszufüllen hatte. Anhand dieser Angaben wurde eine Einstufung in fünf Kategorien vorgenommen, die vom Entlasteten bis zum Hauptschuldigen reichten. Gegen die Einstufung konnte Einspruch eingelegt werden, jedoch lag die Beweislast beim Beschuldigten. Dieses Verfahren führte zur Ausstellung zahlloser Entlastungszeugnisse, so genannter „Persilscheine“, vor allem auch durch Pfarrer. Auf seiner Sitzung am 21. und 22. März lehnte der Rat der EKD das „Befreiungsgesetz“ rundweg ab125. Er sah in ihm ein „Strafgesetz“ und den Ausdruck von „Rache-Gefühlen“ und beschloss daher, sich an die Ökumene und den Länderrat der amerikanischen Zone zu wenden und darauf hinzuweisen, dass mit dem Gesetz „die christliche Wiedergeburt unsres Volkes erschwert“ werde126. Von einem demokratischen Neubeginn, wie ihn die Amerikaner ja mit ihrer Säuberungspolitik sicherstellen wollten, war nicht die Rede. In seinem Brief an den ÖRK vom 23. März sprach Niemöller davon, dass dieses Gesetz „das eben begonnene Wirken der Kirche im Sinne einer Verständigung und Befriedung im deutschen Volk und einer geistigen Erneuerung so gut wie unmöglich macht.“127 Am 26. April, als noch kein einziges Spruchkammerurteil vorlag, schrieb Wurm an die amerikanische Militärregierung128. Im ersten Teil seines Schreibens argumentierte der Ratsvorsitzende vor allem rechtspositivistisch129. Im zweiten Teil bat er dann, zumindest die „allgemeine[n] Härten des Gesetzes“ zu mildern130. Bei der Auswahl derer, die von den „Härten des Gesetzes“ verschont werden sollten, nämlich leitende und mittlere Angestellte und Beamte in Verwaltung und Wirtschaft, niedrige Amtsträger in Gliederungen, angeschlossenen Verbänden und betreuten Organisationen der NSDAP sowie hohe Offiziere, zeigte sich deutlich, dass es der Kirche vornehmlich um ihr eigenes soziales Milieu ging. Im dritten Teil seines Briefes lehnte Wurm die Anwendung des Gesetzes auf die Kirche ab und verwies auf die kirchliche Selbstreinigung131. General Lucius D. Clay wies die Vorwürfe und Bitten erwartungsgemäß zurück

Entnazifizierung; L. NIETHAMMER, Mitläuferfabrik; R. GROHNERT, Entnazifizierung; R. MÖHLER, Entnazifizierung; W. KRÜGER, Entnazifiert; N. M. NAIMARK, Russen. 125 PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 401ff. 126 EBD., S. 402f. 127 EBD., S. 527f. 128 Abdruck in: EBD., S. 528–535. 129 EBD., S. 528ff. 130 EBD., S. 530–533, hier S. 530. 131 EBD., S. 533ff.

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und zeigte seine Enttäuschung über die mangelnde Unterstützung der Kirchen in der Entnazifizierungsfrage132. Von der Empörung über die Entnazifizierungsmaßnahmen der Amerikaner war auch die Ratssitzung am 1. Mai bestimmt, an der Vertreter der Landeskirchen teilnahmen133. Die Erregung mündete in einen öffentlichen Protest in Gestalt der „Entschließung des Rates zur Durchführung der Entnazifizierung im deutschen Volk“ vom 2. Mai, die an den Kontrollrat, die Militärregierungen der vier Besatzungszonen, die deutschen Länderregierungen sowie die Kirchenleitungen ging134. Darüber hinaus fand sie Verbreitung über die in- und ausländische Presse. In der Ratsentschließung wurde die Notwendigkeit einer „Reinigung des deutschen Volkes von den verderblichen Einflüssen des Nationalsozialismus“ grundsätzlich anerkannt, jedoch erneut „ernste Bedenken“ gegen das eingeschlagene Verfahren erhoben135. Wie schon im Schreiben Wurms wurde jede kollektivistische Bestrafungspolitik abgelehnt und auf dem Nachweis individueller Schuld im strafrechtlichen Sinne beharrt. Dabei verkannte man, dass die Durchführung der Entnazifizierung als politische Säuberung vor allem eine Frage politischer Zweckmäßigkeit und politischer Moral war. Mit düsteren Farben malte der Rat die Folgen des Gesetzes aus: Nihilismus, Denunziantentum und eine „hoffnungs- und ziellose Jugend“136. Geradezu zynisch in den Ohren der betroffenen Juden und Sozialdemokraten musste die falsche Behauptung des Rates klingen: „Die Entfernung vieler Menschen aus Aemtern, die sie an sich untadelig wahrgenommen haben, und ihre Ausstossung in wirtschaftliche Verelendung geht über die Massnahmen hinaus, die in den vergangenen Jahren in der gleichen Frage in Deutschland getroffen wurden.“137 In der Ökumene stieß diese Verteidigung ehemaliger Nationalsozialisten auf Kosten der Nazigegner und -opfer und damit der Tunnelblick des Rates auf das eigene Milieu auf blankes Entsetzen138. Unter der deutschen Bevölkerung registrierte die EKD hingegen Zustimmung zu ihrem Protest gegen die Entnazifizierungsmaßnahmen. Allerdings warnte Asmussen auch davor, „dass sich viele Leute an unsere Rockschösse hängen, an denen wir ein grundsätzliches Interesse nicht haben dürfen. Es muss Sorge dafür getroffen werden, dass wir diese Kreise eindeutig in ihre Schranken zurückweisen.“139 Vereinzelt gab es in Deutschland aber auch kirchliche Stimmen, die sich gegen die Stellungnahme des Rates zur Entnazifizierung wandten. Dies tat z. B. die württembergische Kirchlich-Theologische Sozietät in einer Denkschrift zu „Kirche und Entnazifizierung“ im Juli 1946. Darin kritisierte sie die Haltung 132 Schreiben vom 23.3.1946. Abdruck in: EBD., S. 569ff. 133 EBD., S. 471–478. 134 EBD., S. 502ff. 135 EBD., S. 502. 136 EBD., S. 504. 137 EBD., S. 503. 138 Vgl. Freudenberg an Asmussen, 28.5.1946 und Barth an Niemöller, 7.6.1946. Abdruck in: C. VOLLNHALS, Entnazifizierung und Selbstreinigung, S. 130f. und 133f. 139 Eröffnungsrede Asmussens zur Sitzung des Rates am 21./22. Juni 1946. Abdruck in: PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 595–608, hier S. 602.

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der EKD in der allgemeinen und kirchlichen Entnazifizierungsfrage sowohl politisch als auch theologisch. Sie warf dem Rat vor, „mindestens das Mitläufertum des Nationalsozialismus und Militarismus nach Kräften zu rechtfertigen und zu entlasten“140. Doch solange der Entnazifizierungsprozess andauerte, kamen aus dem kirchlichen Raum Stellungnahmen gegen ihn. Dabei wurde selbst im Endstadium des Säuberungsprozesses von den Kirchen nicht wahrgenommen, dass die Spruchkammern in ihrer großzügigen Rehabilitierungspraxis fast alle Mitglieder der NSDAP und anderer NS-Organisationen mit dem folgenlosen Mitläuferprädikat rehabilitierten. Von der Entnazifizierung ist die strafrechtliche Ahndung der NS- und Kriegsverbrechen zu unterscheiden, da es sich dabei um die Bestrafung individuell nachweisbarer Schuld handelt141. Diese erfolgte im Hauptprozess vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, in den zwölf Nürnberger Nachfolgeprozessen unter amerikanischer Verantwortung und zahlreichen Verfahren vor anderen Militär- und Sondergerichten der Siegermächte, aber auch durch deutsche Spruchgerichtsverfahren in der britischen Zone und später durch bundesdeutsche Justizbehörden. Schon früh äußerten evangelische Kirchenvertreter ihre Vorbehalte gegenüber diesen Prozessen und verwiesen dabei auf die „Schuld der Anderen“. Auf der Ratssitzung im Dezember 1945 kritisierte Dibelius, dass die Sowjetunion in Nürnberg auf der Richter- und nicht auf der Anklagebank saß, und erklärte: „Darum ist Nürnberg kein Weltgewissen.“ Meiser ergänzte: „Die Russen wissen gar nicht, dass sie sich selbst in Nürnberg verurteilen.“142 Einig waren sich die Ratsmitglieder darin, dass Kirchenvertreter nicht als Belastungszeugen auftreten sollten. Etwas differenzierter äußerte sich Hans Asmussen im März 1946. Er bestand auf einem streng rechtsstaatlichen Verfahren, in dem der Einzelne und seine Tat gerichtet werden sollte. Die Aufgabe der Kirche gegenüber den Angeklagten definierte er als eine rein seelsorgerliche und die Haltung der Kirche als unparteiisch gegenüber Richter und Angeklagtem143. Später folgten jedoch wieder Äußerungen von Kirchenvertretern, die eine Tendenz zur Aufrechnung von Schuld enthielten. So erklärte Wurm wenige Wochen vor der Verkündung des Nürnberger Urteils, dass die deutsche Bevölkerung nicht verstehen könne, „warum nur vom deutschen Anteil am Angriffskrieg gegen Polen gesprochen werden darf und sogar hieran Beteiligte heute berufen sind mit darüber zu richten.“144 Er warnte vor einer ungerechten Siegerjustiz und mahnte, dass alle „Verbrechen gegen die Menschlichkeit überall in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ bestraft werden müssten, d. h. auch die „Vertreibungsverbrechen“145. Vor allem Wurm, Meiser und Dibelius machten sich in den Folgejahren auch zu Fürsprechern 140 In Auszügen abgedruckt in: EBD., S. 143–155, hier S. 150. Vgl. auch D. BUCHSTÄDT, Kirche, S. 103–110. 141 Vgl. zur Haltung der evangelischen Kirche zu den Kriegsverbrecherprozessen C. VOLLNHALS, Hypothek, S. 58–66. 142 PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 212. 143 Asmussen an Wüstemann, 4.3.1946. Paraphrasiert nach: C. VOLLNHALS, Hypothek, S. 58f. 144 Zitiert aus Wurm an den Präsidenten des Gerichtshofs, 19.9.1946, nach EBD., S. 59. 145 Vgl. EBD.

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einzelner Angeklagter bzw. Verurteilter, darunter vor allem Vertreter der alten, nationalkonservativen Machteliten aus Diplomatie, Justiz, Wirtschaft und Militär146. Sie wurden oft als Anhänger des „wahren Deutschland[s]“ und des „anständigen, pflichtgemäßen Soldatentum[s]“ charakterisiert147. Daneben ging auch die generelle kirchliche Kritik an der Rechtsgrundlage der Prozesse und an Verfahrensfehlern weiter148. Sehr berechtigte rechtsstaatliche Einwände vermischten sich dabei mit entlastenden Aufrechnungsstrategien in Abwehr vermeintlicher oder tatsächlicher Kollektivschuldvorwürfe und nationaler Demütigung149. Ab 1949 verlagerten die Kirchenvertreter ihre Bemühungen vor allem auf Begnadigungen150. Problematisch war sowohl die kirchliche Kritik an einer „Siegerjustiz“ wie auch an den Entnazifizierungsmaßnahmen vor allem deswegen, weil sie die weit verbreitete Schlussstrichmentalität verstärkte und weil es kein gleichzeitiges, effizientes kirchliches Eintreten für die Opfer des Nationalsozialismus und ihre Ansprüche auf Sühne und Wiedergutmachung erlittenen Unrechts gab. Weniger fragwürdig war die Anwaltschaft der Kirche für die deutschen Kriegsgefangenen. In einem Schreiben vom 31. Januar 1946 setzte sich der Rat der EKD beim Kontrollrat für eine „menschenwürdige Behandlung aller Gefangenen“ ein151. Vom 29. September bis 5. Oktober fand dann im gesamten Gebiet der EKD eine Gebetswoche für die Kriegsgefangenen statt. Auf seiner Sitzung am 10. und 11. Oktober desselben Jahres beschloss der Rat, eine gesamtdeutsche „Bittaktion der Gemeinden für die Freilassung der Kriegsgefangenen“ zu organisieren152. Auch die Kirchliche Ostkonferenz stimmte dem Unternehmen am 6. November zu153. Sie war sich einig, „daß die ‚Weihnachtsbitte‘ nicht nur von den westlichen, sondern auch von den östlichen Landes- und Provinzialkirchen unterstützt werden muß, schon um des inneren Zusammenhanges der EKD willen, ganz zu schweigen davon, daß sich die Kirche auch in der Ostzone stellvertretend zum Sprecher des brennenden Wunsches unseres Volkes hinsichtlich der Freilassung der Kriegsgefangenen machen muß.“154

Aufgrund eines Verbotes durch die französische und die russische Militärregierung fand die öffentliche Aktion dann nur in der britischen und amerikanischen Zone statt155. Dort wurden am 1. und 2. Weihnachtsfeiertag in den Kirchen Listen ausgelegt, in denen jeder Christ seine Zustimmung zur „Weihnachtsbitte der Christen in Deutschland an die Völker der Welt“ um Freilassung der Kriegsgefangenen durch 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155

Beispiele EBD., S. 59ff. So Generalfeldmarschall Wilhelm List durch Wurm und Meiser im April 1948 (EBD., S. 61). Vgl. EBD., S. 61ff. EBD., S. 59. Vgl. EBD., S. 64f. PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 324f., S. 325. EBD., S. 650f. Vgl. zum Nachfolgenden: M. GRESCHAT, Christenheit, S. 185ff. Vgl. M. KÜHNE, 6. Sitzung, TOP 5. EBD. Zu den Einzelheiten vgl. M. GRESCHAT, Kirchenpolitik.

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seine Unterschrift ausdrücken konnte156. Die Beteiligung der Bevölkerung an dieser Aktion war groß. Auch die Millionen volks- und reichsdeutschen Flüchtlinge und Vertriebenen fanden in der evangelischen Kirche eine Fürsprecherin bei der Ökumene und den Besatzungsmächten157. Zwischen 1945 und 1947 strömten in die vier Besatzungszonen mehr als 11,5 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge aus den ehemaligen Reichsgebieten östlich der Oder-Neiße-Linie und den deutschen Siedlungsgebieten in Ost- und Südosteuropa. Der Flucht mit den abrückenden Verbänden der Wehrmacht in den letzten Kriegsmonaten folgte eine Phase der ungeregelten Vertreibung. Im Potsdamer Abkommen wurde dann die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn geregelt. Die Überführung sollte in geordneter und humaner Weise erfolgen. Dennoch kam es in dieser Phase zu massiven Übergriffen. Nach Schätzungen starben mehr als zwei Millionen Menschen bei der Vertreibung158. In den aufnehmenden Gebieten verschärfte sich durch den Zustrom der vertriebenen Menschen die wirtschaftliche und soziale Lage. Wiederholt wies der Rat der EKD die ausländischen Kirchen und die Alliierten auf die Not der Flüchtlinge und Vertriebenen hin. Schon auf den Sitzungen im Oktober und Dezember 1945 berichteten Ratsmitglieder den Vertretern ausländischer Kirchen von der Lage im Osten und dem Flüchtlingselend und baten um Hilfe sowie um Fürsprache bei den politischen Instanzen159. In seinen Äußerungen zu den Existenznöten der von Flucht und Vertreibung betroffenen Menschen kam der Rat zumeist auch auf den territorialen Bestand Deutschlands zu sprechen. In Wurms Ansprache auf der Ratssitzung im Dezember hieß es, man müsse dem deutschen Volk „den Raum zum Leben wieder frei machen.“160 Im „Wort des Rates an die Christen in England“ vom 14. Dezember wurde davor gewarnt, „das deutsche Volk auf einen noch engeren Raum zusammenzupressen“161. In seiner Eingabe an den Alliierten Kontrollrat und die UNO vom 30. Januar 1946 „wegen der fortgesetzten Ausweisung und Umsiedlung von Deutschen aus den abgetrennten deutschen Ostgebieten“ erklärte der Rat apodiktisch: „Deutschland kann sich in seinen gegenwärtigen Grenzen nun einmal nicht selbst ernähren“162. Die von Dibelius formulierte Eingabe nannte die Alternative: Entweder müsse von der weiteren Evakuierung der Deutschen aus den östlichen Ländern abgesehen werden oder aber es müssten „die jetzt von Deutschland abgetrennten landwirtschaftlichen Überschußgebiete ganz oder wenigstens teilweise zurückgegeben werden“163. In einem vom Rat letztlich nicht verabschiedeten Entwurf einer „Botschaft des Rates an die Christenheit der 156 Abdruck der Weihnachtsbitte in: F. MERZYN, Kundgebungen, S. 41. 157 Zum Verhältnis von evangelischer Kirche und Vertriebenen im westlichen Nachkriegsdeutschland vgl. insgesamt H. RUDOLPH, Kirche. 158 Vgl. zum Thema Flucht und Vertreibung den Sammelband R. STREIBEL, Flucht. 159 PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 47ff. und S. 152. 160 EBD., S. 152. 161 EBD., S. 217. 162 Abdruck in: EBD., S. 325–330, hier S. 326. 163 EBD., S. 326.

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Welt“ vom Juni 1946 wurde dem Problem eine europäische Dimension gegeben. Es hieß darin: „Durch die in den deutschen Ostprovinzen getroffene Regelung sind nicht nur unzählige Menschen ohne ihre Schuld in schwerste Bedrängnis geraten, ist nicht nur die Ernährung des deutschen Westens in Frage gestellt, es fallen auch wichtigste Gebiete fruchtbarsten Bodens für die Ernährung Europas aus. Es steht fest, dass die Vertreibung von Millionen Menschen nicht so vor sich ging, dass die Ausnutzung des Bodens, von dem seine bisherigen Bearbeiter vertrieben wurden, vorher sichergestellt war.“164

Die evangelische Kirche beließ es gegenüber den Flüchtlingen nicht nur bei Fürsprache. Vor allem das Hilfswerk der EKD leistete materielle und entsprechend des kirchlichen Rechristianisierungskonzepts auch geistige Hilfe für die Flüchtlinge sowie die gesamte notleidende deutsche Bevölkerung165. Auf Initiative von Eugen Gerstenmaier war es bereits auf der Kirchenversammlung in Treysa im Sommer 1945 gegründet worden. Neben dem Zentralbüro in Stuttgart gab es, der Realität der Zonengrenzen Rechnung tragend, je eine Zweigstelle in der sowjetischen und in der britischen Besatzungszone166. Die Leitung des „Zentralbüros Ost“ in Berlin übernahm Robert Tillmanns167. Daneben gab es Bevollmächtigte und Hauptbüros des Hilfswerks in den Landeskirchen. Bevollmächtigter in Berlin war Propst Heinrich Grüber168. Zentralbüro Ost und Hauptbüro Berlin bildeten bis 1957 eine Bürogemeinschaft169. Mit dem Appell an die Selbsthilfe der „Christenheit in Deutschland“ sammelte das Hilfswerk erfolgreich Gelder und Gegenstände und verteilte sie an Hilfsbedürftige. Dabei ging von Beginn an ein großer Teil in die sowjetisch besetzte Zone. Seit Ende 1945 kamen umfangreiche Hilfslieferungen aus der Ökumene, für die das Hilfswerk zum Umschlagplatz wurde. Die Not der deutschen Bevölkerung, die Folgen von Flucht und Vertreibung, die Entnazifizierung, die Lage der Kriegsgefangenen, alles dies belastete nach Ansicht des Rates, des selbst ernannten Anwaltes des deutschen Volkes, das Schuldkonto der Alliierten. In einem Brief an den Ratsvorsitzenden listete Asmussen im November 1946 die „Schuld der Anderen“, der „Besatzungsmächte“ sowie der „neuen deutschen Regierungen“, auf170. In seinem „amtliche[n] Bericht“ benannte er die Nöte „des deutschen Volkes“ seit dem „Zusammenbruch“: die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten, die Rechtlosigkeit und den Zwang in der sowjetischen Zone, den Hunger im französischen Besatzungsgebiet, die Wohnungsnot in der britischen und amerikanischen Zone, die Situation der Kriegsgefangenen und Zivilinternier164 Abdruck in: EBD., S. 609ff., hier S. 609f. 165 Zu Entstehung und Entwicklung des Hilfswerks vgl. J. M. WISCHNATH, Kirche. 166 Vgl. EBD., S. 86. Das Zentralbüro West in Bielefeld wurde bereits im Januar 1946 wieder aufgelöst. 167 Das Zentralbüro Ost wurde 1953 in „Zentralbüro – Berliner Stelle“ umbenannt und 1957 mit der Dahlemer Geschäftsstelle des Central-Ausschusses zur Berliner Stelle der Hauptgeschäftsstelle des gemeinsamen Werkes „Innere Mission und Hilfswerk“ zusammengelegt. Vgl. EBD. 168 Zur Geschichte des Hilfswerks in der SBZ und Heinrich Grüber als Bevollmächtigtem des Hilfswerks in Berlin-Brandenburg vgl. S. RINK, Grüber. 169 J. M. WISCHNATH, Kirche, S. 382. 170 PROTOKOLLE, Bd. 1, S. 739–754, hier S. 739.

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ten, die Wirtschaftslage und ausführlichst die Entnazifizierung. Asmussen schlug vor, dass der Rat sich mit dem vorgelegten „Report“ befassen und die leitenden Geistlichen der Gliedkirchen der EKD zu einer längeren Diskussion über die angeschnittenen Fragen einladen sollte. Nach einer Überarbeitung des Reports würden dann führende Vertreter der Ökumene eingeladen und ihnen im Sinne eines Pendants zur Stuttgarter Schulderklärung das „Bekenntnis unserer Not“ überreicht werden171. Gleichzeitig sollte auch die deutsche Pfarrerschaft informiert und dem Kontrollrat und den deutschen Landesregierungen eine Denkschrift überreicht werden. Ein solches Vorgehen erschien Asmussen trotz der damit verbundenen Gefahren unausweichlich: „Das Volk muss wissen, wieweit die Kirche in der Lage ist, seine Beschwerden zu unterstützen und wieweit die Kirche die Beschwerden des Volkes zurückweist.“172 Auf der Ratssitzung am 26. und 27. November kam Asmussens Anliegen zur Sprache und es wurde beschlossen, für den 22. und 23. Januar 1947 eine Konferenz der leitenden Geistlichen der Landeskirchen einzuberufen173. Auf derselben Sitzung stellte Asmussen auch einen Entwurf für eine öffentliche Gnadenverkündigung der Kirche vor174. Darin hieß es: „Und so verkündigen wir denn allen denen, die ihre und unseres Volkes Schuld bekannt haben und an das Verdienst Jesu Christi glauben, Gottes Vergebung aller Sünden, durch die sie mitschuldig geworden sind am Nationalsozialismus und seinen Werken.“175 Unter den Ratsmitgliedern gab es Bedenken gegen eine derartige „Gesamt-Absolution“176. Einige hielten den Rat nicht für die zuständige Instanz und kritisierten die Betonung der „Absolvierung“ gegenüber dem „Behalten der Schuld“ sowie das Ausblenden des „Gesichtspunkt[s] der Heimsuchung“ in dem Entwurf. Eine scharfe Ablehnung erfuhr Asmussens Vorschlag von dem Göttinger Theologen Hans Joachim Iwand, der auf der Sitzung des Reichsbruderrates im Januar erklärte: „Das Schuldbekenntnis bedeutet nicht Preisgabe des deutschen Volkes, sondern Wiederherstellung seiner nationalen Würde durch Aufnahme der Verantwortung für das, was wir getan haben. Es ist der Weg in die Freiheit.“177 Kritik übte auch die Kirchlich-Theologische Sozietät in Württemberg. In ihrer Stellungnahme vom 20. Januar 1947 hieß es, es könne „gar keine Rede davon sein“, dass die Stuttgarter Schulderklärung die Verkündigung der Kirche in hohem Maße bestimme, wie dies Asmussen zur Begründung seiner Ergänzung der Stuttgarter Erklärung durch eine Auflistung der „Schuld der Anderen“ und einer Gnadenverkündigung für das deutsche Volk behauptet hatte178. Auch könne der Rat 171 EBD., S. 754. 172 EBD., S. 753. 173 EBD., S. 720f. 174 Enthalten in einem Schreiben Asmussens an die Bischöfe und leitenden Amtsträger, 29.11.1946. Abdruck in: EBD., S. 775ff. 175 EBD., S. 776. 176 Asmussen gibt in seinem Brief diese Bedenken wieder. EBD., S. 777f. 177 Zitiert nach: H. LUDWIG, Entstehung, S. 12. 178 Abdruck in: M. GRESCHAT, Schuld, S. 292–295, hier S. 292. Dort wird die Stellungnahme in der Überschrift fälschlich dem Reichsbruderrat zugerechnet.

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nicht derjenige sein, der die Sünde bekennt und sie vergibt. Infolge dieser Kritik spielten Asmussens Vorschläge im Weiteren keine Rolle mehr. Angesichts der Not der deutschen Bevölkerung im Hunger- und Kältewinter 1946/47 beschloss der Rat jedoch auf seiner Sitzung am 24. Januar ein Wort „An die evangelische Pfarrerschaft Deutschlands“, das wesentlich von Dibelius formuliert worden war179. Darin wurde an die Stuttgarter Schulderklärung erinnert und beklagt, dass diese noch immer nicht das richtige Verständnis gefunden habe. In dem Wort kam aber auch die Not der deutschen Bevölkerung deutlich zur Sprache, einschließlich der Frage, „ob das deutsche Volk jemals aus dem bedrückten Leben einer gebrandmarkten Nation entlassen“ werde, die „Millionen in Bitterkeit und Verzweiflung“ stürze180. Ebenfalls in dramatischem Ton äußerte sich die EKD im Frühjahr 1947 zur Zukunft Gesamtdeutschlands. „Diese Verhandlungen entscheiden über Leben oder Tode unseres Volkes“ lautete die Einschätzung über die seit 10. März laufende Moskauer Außenministerkonferenz der vier Mächte. Wie im Potsdamer Abkommen vereinbart, kamen die Siegermächte mehrmals zu Außenministerkonferenzen zusammen, um die Rahmenbedingungen der Nachkriegsordnung festzulegen181. Schon bei den Tagungen in London 1945 und Paris 1946 waren dabei die wachsenden Gegensätze der Alliierten in der Deutschlandfrage offenkundig geworden. Auf der mit vielen Hoffnungen verbundenen Moskauer Konferenz sollte nun über einen Friedensvertrag mit Deutschland, die deutschen Ost- und Westgrenzen, die Vier-Mächte-Kontrolle über die Ruhr und die Reparationszahlungen verhandelt werden. Bereits im Januar 1947 beauftragte der Rat der EKD seine beiden Essener Mitglieder, Oberkirchenrat Heinrich Held und Oberbürgermeister Gustav Heinemann, für die Ratssitzung Ende März ein Wort zur „Friedenskonferenz“ zu entwerfen182. Darüber hinaus bat die Kirchenkanzlei die Landeskirchen und kirchlichen Werke um Stellungnahmen zur Friedenskonferenz183. Am 5. März informierte Dibelius die Kirchliche Ostkonferenz über das Vorhaben des Rates und fragte, ob sie ihrerseits schon vor Beginn der Konferenz eine Entschließung fassen und den Militärregierungen vorlegen wollte184. Er wies allerdings darauf hin, dass, wie ihm angedeutet worden sei, die sowjetische Militäradministration es nicht verstehen würde, wenn die Kirche zu einem politischen Vorgang eine Erklärung abgäbe. Dennoch legte der Berliner Bischof der Konferenz bereits den Entwurf einer solchen Entschließung vor. Darin hieß es, die Kirche habe dem deutschen Volk immer wieder gesagt, dass es „die Schuld der Vergangenheit“ mit „schweren Opfern“ sühnen und sich zu einer „neuen Gesinnung“ durchringen müsse185. Anschließend wurden vier Bitten an die Außenministerkonferenz formuliert und deren Erfüllung zur Vorausset-

179 180 181 182 183 184 185

Abdruck in: PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 14ff. EBD., S. 15. Vgl. M. KESSEL, Westeuropa. Vgl. PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 11f. EBD., S. 58, Anm. 16. M. KÜHNE, PROTOKOLLE, 8. Sitzung, TOP 2. EBD.

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zung für einen Einstellungswandel der Deutschen gemacht. Um einen „völligen sittlichen Verfall“ des deutschen Volkes zu verhindern, sollte erstens die „äußeren Verhältnisse“ grundlegend verändert werden. Zweitens sollten die Kriegsgefangenen entlassen werden, damit deren Verbitterung und die ihrer Angehörigen überwunden werde, denn eine verbitterte Nation könne keinen Beitrag „für das gemeinsame Leben der Völker“ leisten. Drittens müssten die Zonengrenzen wegfallen, da diese der „sittlichen Gesundung“ des Volkes entgegenstünden. Und viertens sollte den Vertriebenen die Möglichkeit gegeben werden, „wieder als freie Menschen im Lande ihrer Väter zu leben“, damit keine Bitterkeit entstehen könne, die die „Bereitschaft, an einem friedlichen Aufbau der Völkergemeinschaft mitzuhelfen [. . .] vergiftet.“ Die ostdeutschen Kirchenleitungen entschieden, zunächst die Entschließung des Rates der EKD abzuwarten. Über Dibelius ließen sie dem Rat mitzuteilen, dass die östlichen Landes- und Provinzialkirchen das Ziel und die Grundgedanken des vom Berliner Bischof vorgelegten Entwurfs billigten und einen Schritt des Rates bei den Alliierten wünschten. Sollte dieser nicht erfolgen, würden sie einen eigenen Schritt ins Auge fassen. Weiter stellten sie in Aussicht, dass die Kirchenleitungen aus Anlass der Friedenskonferenz ein Wort an die Gemeinden richten würden. Außerdem sollte im Kirchengebet des Ereignisses gedacht und der Gottesdienst in den kommenden Wochen mit dem Vers „Verleih uns Frieden gnädiglich“ beendet werden. Auf seiner Sitzung am 27. März verabschiedete der Rat der EKD sowohl ein Wort an die Gemeinden als auch ein Bußgebet186. Beide waren von Held eingebracht worden, der als Gast auch an der Ostkirchenkonferenz teilgenommen hatte. Ein direkter Appell an die Militärregierungen unterblieb und auch die ostdeutschen Kirchenführer unternahmen, entgegen ihrer Ankündigung, keine Schritte in diese Richtung. Das Wort des Rates an die Gemeinden sollte am 27. April in allen Gottesdiensten verlesen werden. Wie im Entwurf von Dibelius waren auch in ihm mehrere Voraussetzungen für die Zukunft des deutschen Volkes und den Weltfrieden genannt: die Freilassung der Kriegsgefangenen, die Beseitigung der Zonengrenzen sowie die Einsetzung einer deutschen „Obrigkeit“ mit eigenen Kompetenzen. Erneut wurde der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass Deutschland die vormals deutschen Ostgebiete zurückerhalte. Angesichts der hohen Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge und Vertriebenen, der Wohnungsnot und der prekären Versorgungslage der Bevölkerung glaubte der Rat erklären zu müssen, dass ohne die „Zurückerstattung deutschen Landes“, das deutsche Volk „in der Enge seines Landes ersticken und sterben“ müsse187 – eine Äußerung, die noch dem Denken vom „Volk ohne Raum“ verhaftet war, jetzt aber mit der deutschen Pflicht zum Frieden verbunden und damit ihrer aggressiv-expansiven Konnotation beraubt wurde. Wort und Bußgebet sollten den Landeskirchen zur Weitergabe an die Pfarrämter zugeleitet werden. Kurz nach der Ratssitzung stellte sich aber heraus, dass der von Held vorgelegte Entwurf bereits am 14. März von der rheinischen Kirchenleitung ver186 PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 57f. Wort des Rates an die Gemeinden zur Friedenskonferenz. Abdruck in: EBD, S. 73f. 187 EBD., S. 74.

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abschiedet und am 25. März im dortigen „Kirchlichen Amtsblatt“ veröffentlicht worden war. Asmussen suspendierte daraufhin im Einverständnis mit Wurm den Ratsbeschluss zur Moskauer Konferenz. Auch wenn dieses Vorgehen zum Protest einiger Ratsmitglieder und zur förmlichen Abmahnung Asmussens führte, konnte die Stellungnahme zur Außenministerkonferenz dennoch nicht mehr als ein Wort des Rates wirksam werden188. In Moskau gingen die Vorstellungen der Alliierten weit auseinander. Die Sowjetunion forderte einen deutschen Einheitsstaat, die Mitkontrolle über das Ruhrgebiet, zehn Milliarden Dollar Reparationen, die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, die Aufhebung der im Januar 1947 aus amerikanischer und britischer Besatzungszone gebildeten Bizone und die Rückgabe des wirtschaftlich an Frankreich angebundenen und durch Zollschranken abgetrennten Saargebiets an Deutschland. Die Außenminister der USA und Großbritanniens traten für die wirtschaftliche Einheit Deutschlands, seinen föderativen Aufbau und die Einsetzung einer Grenzkommission zur Revision der Oder-Neiße-Linie ein. Frankreich wollte die Abtrennung des Saar- und des Rhein-Ruhr-Gebiets und legte sich auf keine der beiden Parteien fest. So scheiterten die Verhandlungen am Dissens in der Deutschlandfrage und am offen aufbrechenden Ost-West-Konflikt, der die Konferenz bereits überschattet hatte. Denn mit der amerikanischen Politik der Eindämmung des wachsenden weltweiten Einflusses der Sowjetunion (Truman-Doktrin), welche die Sowjetunion mit der offiziellen Verkündigung der so genannten Zwei-Lager-Theorie beantwortete, war die deutsche Frage endgültig zum Bestandteil des Kalten Krieges geworden. Der Kalte Krieg war vornehmlich eine Auseinandersetzung zwischen zwei als unvereinbar angesehenen Weltanschauungen mit jeweils konkurrierenden Gesellschaftsentwürfen189. Im Systemkonflikt standen sich das westliche Modell der liberal-kapitalistischen parlamentarischen Demokratie und das kommunistische Modell der staatssozialistischen „Volksdemokratie“ gegenüber. Die beiden großen Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, die USA und die Sowjetunion, führten die beiden Lager in dieser ideologischen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und bisweilen auch militärischen Auseinandersetzung an. Sie hatten nach dem Sieg über das nationalsozialistische Deutschland ihr verbindendes Ziel verloren und sich in einem Prozess wechselseitigen Misstrauens und gegenseitiger Fehleinschätzungen zunehmend entfremdet. Der Großteil der übrigen Staaten ordnete sich nach und nach den jeweiligen Blöcken zu. Beide Seiten bestanden prinzipiell auf der universalen Anwendung und globalen Gültigkeit ihres Modells. Im Juni 1947 machte das Scheitern der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz – dem letzten Zusammentreffen west- und ostdeutscher Länderchefs – deutlich, dass auch deutsche Politiker die Einheitsfrage hinter andere Fragen zurückzustellen begannen. Zu einer weiteren Verschärfung des Ost-West-Gegensatzes kam es im Sommer 1947, als die USA ihre finanzielle Aufbauhilfe für Europa, den Marshallplan, ankün188 Vgl. EBD., S. VIII und S. 58, Anm. 16. 189 Zur Geschichte des Kalten Krieges vgl. W. LOTH, Teilung; M. SEWELL, Cold War; B. STÖVER, Krieg.

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digten. Nach der Ablehnung bilateraler Kreditgewährung auf einer Konferenz Ende Juni in Paris betrachtete die Sowjetführung den Plan als Bedrohung ihres Einflussbereiches. In dieser Phase der offenen Zuspitzung des Ost-West-Konfliktes im Frühjahr und Sommer 1947 fand in der evangelischen Kirche noch einmal eine intensive Auseinandersetzung über den Umgang mit eigener und fremder Schuld statt. In seiner Karfreitagspredigt konzentrierte sich Helmut Thielicke auf die „Schuld der Anderen“ und zählte das gegen die Deutschen begangene Unrecht auf. Er tat es in dem Selbstverständnis: „Einer soll aufgestanden sein und dies alles hinausgeschrieen haben, damit es nicht noch einmal heiße, die Kirche habe geschwiegen, die Kirche habe sich am Seelenmord mitschuldig gemacht und habe durch ihr Schweigen Christus aufs Neue gekreuzigt.“190

Thielicke erklärte, von der Stuttgarter Schulderklärung in der Öffentlichkeit so lange nichts mehr hören zu wollen, bis nicht auch die „Schuld der Anderen“ öffentlich genannt werden könne. Der Theologe stieß mit seiner bald weit verbreiteten Predigt auf sehr viel positive Resonanz, vereinzelt aber auch auf Kritik. Hermann Diem, Vorsitzender der Kirchlich-Theologischen Sozietät in Württemberg, warf ihm vor, dass „solches Reden dem Zuhörer gar keinen anderen Ausweg offen läßt als den in die nationale Selbstbehauptung.“191 Thielicke habe, wenn auch ungewollt, „zu jener unbußfertigen Selbstrechtfertigung unseres Volkes in stärkster Weise beigetragen.“192 Der so Angegriffene erwiderte, dass das von Diem prophezeite „nationale Ressentiment“ bislang ausgeblieben sei193. Um die eigene Schuld und deren politische Konkretion ging es dem Bruderrat der EKD in seinem Wort „Zum politischen Weg unseres Volkes“ vom 8. August 1947194. Der Anstoß zu dem Text, der nach dem Ort seiner Verabschiedung auch Darmstädter Wort genannt wird, kam von Hans Joachim Iwand. Dieser war während der NS-Zeit einer der führenden Köpfe der Bekennenden Kirche in Ostpreußen gewesen. Wie viele Männer und Frauen aus christlich-konservativen Kreisen hatte auch er sein kirchenpolitisches Wirken in dieser Zeit mit dem Glauben an ein besseres Deutschland verbunden. Der bekenntniskirchliche Kampf gegen die Deutschen Christen wurde von ihm auch als ein Akt wahren Nationalbewusstseins gedeutet195. Jahre später, auf der Bruderratssitzung am 6. Juli 1947, äußerte Iwand nun die Befürchtung, „daß die Kirche als ein Rückzugsgebiet für den verdrängten Nationalismus benutzt wird“196, d. h. 190 Abdruck in: Die SCHULD, S. 5–15, S. 12. 191 Diem an Thielicke, 5.5.1947. Abdruck in: EBD., S. 16–22, hier S. 21. 192 EBD. 193 EBD., S. 23–27, hier S. 25. 194 Zum Darmstädter Wort vgl. allgemein: H. LUDWIG, Freiheit; G. BRAKELMANN, Kirche; M. BEINTKER, Schuldfrage; M. GRESCHAT, Christenheit, S. 322–338. 195 Vgl. F. W. GRAF, Iwand, S. 380. 196 Das Protokoll der Bruderratssitzung ist abgedruckt in: D. BUCHHAAS-BIRKHOLZ, Weg, S. 77–104, hier S. 91f.

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zum Sammelbecken der anwachsenden nationalistischen und antikommunistischen Überzeugungen im besetzten Deutschland werde. Seine Befürchtung gründete er auf die populären Verweise auf die „Schuld der Anderen“, den sich verschärfenden Kalten Krieg sowie die Hinwendung insbesonders lutherischer Kirchenvertreter zur prowestlichen, christlich-konservativen CDU. Die Zunahme antikommunistischer und nationalistischer Einstellungen beobachtete auch der in Berlin geborene amerikanische Historiker Hajo Holborn auf seiner Reise durch die Westzonen im Herbst 1947197. Er war überrascht über das Ausmaß des vorherrschenden Antikommunismus, den Zuwachs an nationalistischer und antidemokratischer Überzeugungen sowie die weite Verbreitung der Vorstellungen unter den Deutschen, dass ein Krieg zwischen Ost und West sehr wahrscheinlich sei. Holborns Beobachtungen deckten sich wiederum mit den Analysen, welche die amerikanische Militärregierung in ihrer Besatzungszone regelmäßig durchführte198. Auf der Bruderratssitzung im Juli fragte Iwand, ob die Kirche wohl fähig und willens sei, „eine Revision ihres Nationalbewußtseins vorzunehmen“199. Er verlangte, dass die Kirche in der Lage sein müsse, „das pervertierte, verbogene deutsche Wesen so darzustellen, daß in der Gemeinde das wahre deutsche Wesen sich zeigt“. Iwand folgte damit Karl Barths Forderung nach der exemplarischen Existenz der Christengemeinde. Barth hatte die Sitzung mit einem Vortrag über „Die Kirche – die lebendige Gemeinde des lebendigen Herrn Jesus Christus“ eingeleitet200. In der sich anschließenden Diskussion erklärte Iwand, erneut unter Verwendung des politisch-religiösen Vokabulars seiner nationalprotestantischen Vergangenheit201: „Es geht um die Wiedergeburt des deutschen Wesens aus dem Evangelium!“202 Der Göttinger Theologe war davon überzeugt, dass das Evangelium die Deutschen zu einem neuen Selbstverständnis und zu einem neuen politischen Handeln befreien könne. In welche Richtung dieses Handeln gehen sollte, dazu hatte er sich in einem Brief an den hannoverschen Volksbildungsminister Adolf Grimme vom 1. April 1946 bereits konkreter geäußert: „Ich kann mich nicht von der Vorstellung frei machen, daß die von der Sozialdemokratie vertretene Sache und die von der Bekennenden Kirche intendierte politische Neubesinnung irgendwie zusammengehören, oder besser gesagt, daß, wenn wir den Punkt fänden, wo sie einander berühren, dies die Wiedergeburt unseres Vaterlandes bedeuten könnte.“203

Der inzwischen linksnationale204 Iwand wollte den Konnex zwischen deutsch, protes197 Vgl. M. GRESCHAT, Christenheit, S. 322f. 198 Vgl. EBD., S. 323. 199 D. BUCHHAAS-BIRKHOLZ, Weg, S. 91f. 200 Abdruck in: EBD., S. 77–82. 201 Vgl. hierzu F. W. GRAF, Iwand, S. 369, S. 372, S. 374f. 202 D. BUCHHAAS-BIRKHOLZ, Weg, S. 92. 203 Zitiert nach: H. J. IWAND, Theologie, S. 131. 204 Für die Nachkriegszeit sollte zwischen „linksnationalen“ und „nationalkonservativen“ Protestanten unterschieden werden. Die Verwendung der Begriffe „Nationalprotestantismus“ und „nationalprotestantisch“ als Oberbegriffe zur Beschreibung der Verbindung von Protestantismus und verschie-

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tantisch und bürgerlich-konservativ aufbrechen, zugunsten eines Zusammenwirkens von deutschem Protestantismus und Sozialdemokratie. Auf der Bruderratssitzung erklärte er: „Die Gefahr besteht für uns heute darin, daß die gescheiterten Stände Deutschlands bei uns ein Rückzugsgebiet suchen. Die Arbeiterschaft hat noch kein rechtes Vertrauen, daß die Kirche ihr Anliegen auch soziologisch aufnimmt. Uns fehlt eine konkrete Tat!“205

Er forderte den Bruderrat auf, das „heiße Eisen des Nationalismus“ anzufassen: „Es geht nicht, daß wir auf zwei Rechnungen wirtschaften: Hier sind wir Christen, und hier sind wir Nationalisten! Wir dürfen uns heute nicht aufteilen lassen, auch nicht politisch in Ost und West. Wenn wir die Einheit Deutschlands halten wollen – und ich sehe dies als eine politische Aufgabe, die wir haben –, so müssen wir an dieser Einheit festhalten. Wir treiben einer ganz großen Gefahr entgegen, wenn wir dies so weiter ziehen lassen, ohne eine Entscheidung zu treffen und als Kirche ein politisches Wort hierzu sagen. Wir müssen konkret ein Gespräch mit Brüdern haben, wie etwa Thielicke, die so sehr den Nationalismus betonten.“206

Barth stimmte Iwand zu und schlug vor, dass dieser einen Entwurf „zur notwendigen politischen Entscheidung des Christen“ vorlegen sollte.207 Als konkreten Ansatzpunkt hierfür nannte Diem die gescheiterte Pariser Konferenz der Siegermächte: „Hier brennt die Frage der Einheit von Deutschland.“208 An diesem Punkt widersprach Joachim Beckmann, Mitglied der rheinischen Kirchenleitung: „Wenn wir heute zur Reichseinheit und vom Deutschsein von uns aus sprechen würden, würde dies heute gerade Wasser auf falsche Mühlen gießen. Erst einmal muß ein Wort der Kirche zum Nationalismus gesagt werden.“209 Iwand schlug eine historische Argumentation vor: „Wir kommen nur von da aus weiter, wenn wir uns an die Geschichte erinnern, die Gott uns geführt hat und daß wir nicht so sehr taktisch zur augenblicklichen Situation Stellung nehmen. Mich bewegt ständig, was heißt es denn, ich bin ein Deutscher? Wir dürfen uns unseres Namens, daß wir Deutsche sind, nicht schämen, aber wir müssen uns schämen. Das Evangelium muß uns wieder die Zuversicht geben, daß wir Deutsche sind. Wir müssen von diesem zu einer Reinigung unseres deutschen Wesens kommen (Bsp. Lazarus). Die Menschen sagen: Er stinkt schon, Christus sagt: komm heraus. Wir haben schon im Graben gelegen, aber von der Auferstehung her ist uns die neue und einzige Freiheit gegeben.“210 denen Formen des Nationalismus erscheint nicht sinnvoll, da die Begriffe pejorativ besetzt sind und vornehmlich zur Kennzeichnung der Verbindung zwischen Protestantismus und einem „rechten“, überwiegend integralen Nationalismus verwendet werden. Es wäre daher besser, ihren Gebrauch auf die Zeit vor 1945 zu beschränken. Die Unterschiede zwischen „linksnationalen“ und „nationalkonservativen“ Protestanten sowie die verschiedenen Ausformungen beider Richtungen werden im Lauf der Arbeit an einzelnen Persönlichkeiten verdeutlicht. 205 D. BUCHHAAS-BIRKHOLZ, Weg, S. 92. 206 EBD. 207 EBD. 208 EBD., S. 93. 209 EBD., S. 94. 210 EBD.

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Bereits am Nachmittag des 7. Juli legte Iwand einen Entwurf vor. Dieser diente dann als Vorlage für die Entwürfe von Martin Niemöller und Karl Barth. Barths Thesen wiederum wurden von der von Barths Anhängern gegründeten Kirchlich-theologischen Arbeitsgemeinschaft für Deutschland überarbeitet und angenommen211. Aus diesen vier Entwürfen stellte eine Kommission des Bruderrates am 7. und 8. August das Darmstädter Wort zusammen. Die Schlussfassung wurde am 8. August von den lediglich neun anwesenden Mitgliedern des Bruderrates verabschiedet. Das Wort rief im Rekurs auf die Barmer Theologische Erklärung zur Umkehr zum Evangelium auf und forderte eine gesellschaftspolitische Neuorientierung der evangelischen Kirche212. Ausgehend von der Predigt der „Versöhnung der Welt mit Gott in Christus“, die nur gehört und ausgerichtet werden könne, wenn man sich freisprechen lasse von der eigenen Schuld und der Schuld der Väter, benannten die Autoren in den folgenden Abschnitten die Ursachen kirchlichen Versagens vor den Herausforderungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Jene sahen sie primär im andauernden Bündnis der Kirche mit konservativen und nationalistischen Kräften. Als ersten der vier historischen Irrwege der evangelischen Kirche und des deutschen Volkes nannte das Wort den „Traum einer besonderen deutschen Sendung“. Dadurch habe man dem „schrankenlosen Gebrauch der politischen Macht“ den Weg bereitet und die Nation sakralisiert. In verhängnisvoller Weise sei an den Machtstaat geglaubt worden, mit einer starken Regierung im Innern und militärischer Machtentfaltung nach Außen – eine These, die Barth in das Wort eingebracht hatte. An die Stelle von Chauvinismus und Imperialismus sollte nun ein neues europäisch eingebettetes Nationalbewusstsein treten, das die „Berufung“ des deutschen Volkes fortan in der Mitarbeit an den „gemeinsamen Aufgaben der Völker“ sah. Der Reichsbruderrat wollte das deutsche Nationalbewusstsein gleichsam pazifizieren. Als zweiter Irrweg wurde das Bündnis der Kirche mit dem Konservativismus gegen gesellschaftliche Neuordnungsversuche bezeichnet. Der dritte Irrweg lag in der Verfälschung des freien Angebots der Gnade Gottes an alle durch „politische, soziale und weltanschauliche Frontbildung“. Als Angriff auf den Antikommunismus der Zeit war schließlich die Nennung des vierten Irrweges zu verstehen: die Missachtung des Marxismus als Mahnung an die Kirche, „die Sache der Armen und Entrechteten gemäß dem Evangelium von Gottes kommendem Reich zur Sache der Christenheit zu machen.“ Durch das Bekenntnis dieser Irrwege, so hieß es im sechsten Abschnitt, „wissen wir uns als Gemeinde Jesu Christi freigesprochen zu einem neuen, besseren Dienst zur Ehre Gottes und zum ewigen und zeitlichen Heil der Menschen.“ Der siebte Abschnitt enthielt einen Appell, der freilich so nur für die westlichen Besatzungszonen gelten konnte: „Gebt aller glaubenslosen Gleichgültigkeit den Abschied, laßt Euch nicht verführen durch Träume von einer besseren Vergangenheit oder durch Spekulationen um einen kommenden Krieg, sondern werdet Euch in dieser Freiheit und in großer Nüchternheit der Verantwortung

211 Alle vier Fassungen in: H. LUDWIG, Entstehung, S. 28–31. 212 Abdruck in: EBD., S. 1.

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bewußt, die alle und jeder einzelne von uns für den Aufbau eines besseren deutschen Staatswesens tragen, das dem Recht, der Wohlfahrt und dem inneren Frieden und der Versöhnung der Völker dient.“213

Die Erklärung des Bruderrates hatte die gesamte Geschichte der Deutschen und des deutschen Protestantismus seit dem 19. Jahrhundert als einen Irrweg gekennzeichnet, und eben nicht nur die Jahre zwischen 1933 und 1945. Diese Einschätzung sowie das Bild eines visionären Sozialismus, das in der Erklärung aufschien, stießen in protestantischen Kreisen überwiegend auf Ablehnung und provozierten Äußerungen mit nationalkonservativen und antisozialistischen Tönen. Insbesondere CDU-nahe Theologen reagierten äußerst scharf. Der Erlanger Theologe Walter Künneth bezeichnete die Erklärung in der „Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung“ abfällig als „Konjunkturtheologie“214. Er kritisierte die einseitige Annäherung an den Sozialismus und beklagte die seiner Ansicht nach falsche und ungerechte Beurteilung der deutschen Geschichte. Künneth bewertete die Erklärung als „theologische Entgleisung, welche die Merkmale einer neuen DC-Theologie mit umgekehrten Vorzeichen“ trage215. Auch Asmussen übte in derselben Zeitschrift scharfe Kritik an der Sozialismusaffinität des Bruderrates sowie an dem Geschichtsbild, das in der Erklärung wiedergegeben wurde216. In einem Brief an den Bruderrat plädierte er für ein geläutertes deutsches Nationalbewusstsein und dessen Vorbildfunktion: „Denn auch das Vaterland ist eine der Gegebenheiten, aus denen uns eine Aufgabe der göttlichen Gebote zuwächst. Wenn wir das heute übersehen, könnten wir leicht in den Verdacht geraten, als wollten wir mit dem Strom schwimmen. War es eine schwere Verirrung, unseren Staat nach innen allein auf eine starke Regierung, nach außen allein auf militärische Machtentfaltung zu begründen – was bekanntlich für die Zeit vor 1914 so nicht zutrifft – und muß diese Verirrung heute bekannt werden, so ist es durchaus nötig, auch das Positive zu sagen. Auch das Vaterländische hatte und hat seine Berechtigung ebenso wie es seine Gefahr hat. Wird das nicht gesehen, dann können wir der heutigen Lage nicht gerecht werden, wo in allen uns umgebenden Staatswesen einschließlich der Schweiz ein Nationalismus im Wachsen ist, der die in ihm geltenden Gesetze weithin übernommen hat aus den Verirrungen des Nationalsozialismus. Wir sollten demgegenüber die uns von Gott am Vaterland gestellte Aufgabe auch bezeugen, um den Christen im In- und Auslande die Grenze dieser Aufgabe zeigen zu können.“217

Viel Kritik am Darmstädter Wort kam aus der sowjetischen Besatzungszone. Auf der Sitzung des Bruderrates am 15. und 16. Oktober fand daher eine Aussprache mit Vertretern aus den ostdeutschen Kirchen statt218. Dort äußerten vor allem Berliner Expo-

213 EBD. 214 W. Künneth: Zum politischen Weg unseres Volkes. Eine theologische Antwort an den Bruderrat der EKiD. In: ELK 1, 1947, S. 13–16, hier S. 13. 215 EBD., S. 16. 216 H. Asmussens: „Zum politischen Weg unseres Volkes“. Wort und Antwort. In: ELK 1, 1947, S. 9–11. 217 Vgl. Asmussen an Bruderrat, 19.8.1947. Abdruck in: D. BUCHHAAS-BIRKHOLZ, Weg, S. 106–111, hier S. 106f. 218 Protokoll in: EBD., S. 116–132.

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nenten der Bekennenden Kirche ihr Missfallen über das Wort. Pfarrer Eitel-Friedrich von Rabenau erklärte, dass die Gefahr im Osten gerade nicht in einer Verbürgerlichung der Kirche liege: „Wir sind in der Gefahr zu proletarisieren. Bei uns ist die Frage, wie die Menschen ihr Bürgertum aufrechterhalten können und geistig nicht in dem Elendsegoismus aufgehen. Uns ist ein anderer Zuspruch not. Auch wenn jetzt gesprochen wird zu der nationalen Frage, dann erscheint es mir notwendig, daß man sich von dem abgrenzt, was uns heute von allen beigebracht werden soll. Das widerspricht der Gewissensüberzeugung und belastet die Menschen; es kommt ihnen vor, als sollten sie sich moralisch preisgeben. Im Elend sich selber preiszugeben, liegt ja dem deutschen Volk. Der Deutsche muß sich fragen, ist das aber wirklich Buße? [. . .] Ich habe das Gefühl, daß man dem deutschen Volk etwas unterschiebt, was nicht stimmt und Wasser auf die Mühlen unserer ehemaligen Feinde gießt.“219

Der Berliner Generalsuperintendent Gerhard Jacobi warf den Autoren des Wortes Unkenntnis der Lage in der Ostzone vor. Die Menschen dort würden Trost benötigen, da sie das „Chaos“ auf sich zukommen sähen und „Todessehnsucht“ hätten220. Der Brandenburger Präses Kurt Scharf ging noch einen Schritt weiter, indem er mit Blick auf die politische Situation in der sowjetischen Zone erklärte: „Dieses Wort gibt den Entrechteten Fußtritte. Uns scheint, als ob wir nach diesem Wort feststellen müßten, die evangelische Kirche im deutschen Westen und im deutschen Osten spricht völlig verschiedene Sprachen. Wir sagten uns, so kann man nur reden, wenn man die Situation, wie sie bei uns herrscht, völlig verkennt, nicht sehen [kann, C. L.] oder nicht sehen will.“221

Die Erfahrungen der ostdeutschen Kirchenvertreter widersprachen zu deutlich den optimistischen und sozialismusfreundlichen Äußerungen des Darmstädter Wortes, deren Bezugsgrößen allerdings auch weder das politische und wirtschaftliche System der Sowjetunion noch die in der sowjetischen Besatzungszone sich anbahnende Gesellschaftsordnung waren. Diese Kritik traf die westlichen Bruderratsmitglieder hart. War es doch Iwand bei der Sitzung im Juli gerade um das Wohl der ganzen Nation einschließlich der Ostdeutschen gegangen: „Um des ganzen deutschen Volkes willen haben wir zu prüfen, wieviel wir von den alten Formen abbauen müssen, weil die Erhaltung unserer deutschen Brüder uns geboten ist. Das erste, woran wir als Christen zu denken haben, ist nicht die materielle Frage, sondern sind unsere Brüder. Die Dringlichkeit dieser Frage muß gehört werden. Es geht darum, daß Lebensformen geschaffen werden, die dem Ganzen des Volkes die Selbständigkeit und Freiheit gewähren.“222

Die meisten der auf der Oktobersitzung anwesenden westlichen Bruderratsmitglieder 219 220 221 222

EBD., S. 125f. EBD., S. 126. EBD., S. 127. EBD., S. 99.

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wollten den Anschein eines innerkirchlichen Ost-West-Gegensatzes vermeiden, zumal sie sich ja im Darmstädter Wort grundsätzlich gegen Frontbildungen ausgesprochen hatten. So wurden am Ende der Aussprache Beckmann, Niemöller und der Göttinger Kirchenhistoriker Ernst Wolf damit beauftragt, einen Kommentar zu dem Wort anzufertigen. Später kam noch Hermann Diem hinzu, der den Kommentar letztlich alleine verfasste. Sein Entwurf wurde nur noch geringfügig redaktionell überarbeitet. In der Auslegung des zweiten Abschnittes des Darmstädter Wortes versuchte man nun, zwischen einem richtigen und einem falschen Nationalbewusstsein zu unterscheiden223. Explizit wurde zugestanden, dass in der augenblicklichen Situation der Not und Schande die Liebe zum Vaterland nicht verleugnet werden dürfe, sondern nationale Solidarität geübt werden müsse. Diese Liebe aber verpflichte dazu, jene nationale Überheblichkeit abzuwehren, welche sich in der deutschen Geschichte so unheilvoll ausgewirkt habe. Schuldhaft sei nicht nationales Selbstbewusstsein und nationale Selbsterhaltung, sondern deren Maßlosigkeit sowie der Glaube an eine gleichsam „messianische“ Sendung des deutschen Volkes224. Versagt hätten die Deutschen auch im Bemühen um Rechtsstaatlichkeit in der Innen- und Außenpolitik. Immer wieder habe man, insbesondere außenpolitisch, auf Gewalt anstelle von Recht gesetzt. Auf diesem Wege seien die Deutschen zum „politischen Unruheherd“ anstatt zur „tragende[n] Mitte“ in Europa geworden225. Der von ostdeutscher Seite besonders kritisierte siebte Abschnitt des Wortes mit seiner Aufforderung zu positiver politischer Mitverantwortung wurde in dem Kommentar für die Ostzone und die Westzonen je unterschiedlich ausgelegt226. Gemeinsamer Leitgedanke war jedoch, dass sich die Kirche von „politischen Evangeli[en]“ und „politische[n] Heilslehre[n]“ westlicher oder östlicher Provenienz gleichermaßen fern zu halten habe und sich trotz der äußerlich schwierigeren Bedingungen im Osten nicht zum „Bundesgenossen des Westens“ machen dürfe227. Der „demokratischen“ und der „bolschewistischen Weltanschauung“ und der hinter beiden stehenden „reale[n] politische[n] und wirtschaftliche[n] Machtansprüche“ wurde die befreiende Macht des Evangeliums entgegengesetzt und die gravierenden Unterschiede der beiden Gesellschaftssysteme dabei relativiert228. Die „Brüder im Osten“ wurden gefragt, ob ihr Widerspruch gegen das Darmstädter Wort nicht darin begründet läge, dass sich bei ihnen bereits wieder eine antikommunistische Front verfestige. Weiter wurden sie darauf hingewiesen, dass die Kirche im Osten doch in „echterer Weise nach ihrem Dasein als Kirche gefragt“ werde als die Kirche im Westen, die unangefochten von außen ihre Rolle „als Hüterin der christlichen Kultur des Abendlandes“ in Konfron223 Zur Konstruktion einer Dichotomie zweier Nationalismen, einem „echten“ und einem „falschen“, in der deutschen Nachkriegsgesellschaft zwischen 1945 und 1960 vgl. auch J. ECHTERNKAMP, Verwirrung, S. 223–228. Dieses Argumentationsmuster konnte durchaus unterschiedlich bemüht werden. 224 WORT, S. 3. 225 EBD., S. 4. 226 Vgl. EBD., S. 11–14. 227 EBD., S. 13. 228 EBD., S. 12f.

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tation mit dem Osten weiter spielen könne229. Auch der Kommentar bot somit für die Christen in der sowjetischen Zone wenig Trost und auch keine konkrete Hilfestellung für den Umgang mit ihrer realen politischen Situation. Ab Ende des Jahres 1947 liefen der Kalte Krieg und die konfrontative Deutschlandpolitik der vier Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges immer deutlicher auf eine Teilung Deutschlands hinaus. Vom 25. November bis 15. Dezember fand in London die fünfte und letzte Konferenz des Rates der Außenminister der Alliierten statt. Von der deutschen Öffentlichkeit mit großer Spannung verfolgt, wurde auf ihr über einen Friedensvertrag mit Deutschland, die deutsche Einheit und die Frage einer deutschen Regierung beraten. Noch während der laufenden Konferenz hatte die Leitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, die von der drohenden deutschen Teilung besonders betroffen war, am 4. Dezember ein besorgtes Schreiben an den Alliierten Kontrollrat gerichtet. Darin gab sie ihrer Erwartung eines „wahrhaften, baldigen und dauerhaften Frieden[s]“ Ausdruck230. In diesem Schreiben, das die Handschrift von Dibelius trug, wurde ein klares Junktim zwischen Einheit und Frieden formuliert. Danach setze ein dauerhafter Frieden in der Welt die territoriale, wirtschaftliche und politische Rehabilitation Deutschlands voraus. Eine „Politik der wirtschaftlichen Verelendung und der politischen Diffamierung“ hingegen bilde den „Nährboden [. . .] für einen neuen Fanatismus“. Hinter dieser Warnung schien deutlich das Bild des „Versailler Schanddiktates“ auf. Ebenfalls noch während der Londoner Konferenz tagte am 6. und 7. Dezember in Berlin der erste „Deutsche Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden“. Initiiert durch einen Aufruf der SED vom 26. November sollte der Volkskongress mit seinen Delegierten aus Parteien und Massenorganisationen gegenüber den Westalliierten den Willen des deutschen Volkes zur staatlichen Einheit demonstrieren und damit die sowjetische Deutschlandpolitik unterstützen. Die Parteien der Westzonen und die CDU-Führung in Berlin231 hatten eine Beteiligung abgelehnt. Die EKD, der am 2. Dezember eine offizielle Einladung zugegangen war, wünschte in einem Antwortschreiben der Kirchenkanzlei – Berliner Stelle diplomatisch allen „aufrichtigen Bestrebungen“ für Einheit und Frieden Erfolg232. Von den ostdeutschen Kirchenleitungen nahmen die beiden lutherischen Bischöfe Niklot Beste und Moritz Mitzenheim persönlich am Volkskongress in Berlin teil, um das kirchliche Engagement in der Deutschlandfrage zu demonstrieren. Mitzenheim erklärte in seiner Rede, dass es sich bei dem Anliegen des Volkskongresses nicht um eine Parteiangelegenheit, sondern um eine „Sache des gesamten deutschen Volkes“ handle233. Die Kirche dürfe „um der Barmherzigkeit willen“ nicht zu den Fragen der Einheit Deutschlands und des „gerechten Friedens“ schweigen. Beste motivierte seine Teilnahme mit der Überzeugung „daß die 229 230 231 232 233

EBD., S. 14. Abdruck in: G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 36f. Zur CDU in der SBZ vgl. R. T. BAUS, Union. Vgl. PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 357, Anm. 16. Mitzenheims Stellungnahme ist abgedruckt in: M. MITZENHEIM, Diakonie, S. 17f., hier S. 17.

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Kirche hier fürbittend für ihr Volk eintreten kann“234. Neben Beste und Mitzenheim nahmen noch Propst Grüber sowie einige Pfarrer an dem Kongress teil235. Auch Glieder der Jungen Gemeinde engagierten sich im Rahmen der Volkskongressbewegung236. Der Volkskongress forderte von den Alliierten den Abschluss eines Friedensvertrages und die Bildung einer Regierung für Gesamtdeutschland. Seiner Delegation, in die auch Bischof Beste gewählt worden war237, wurde jedoch die Einreise nach Großbritannien verweigert. Dort wurde Mitte Dezember in London die Außenministerkonferenz aufgrund unüberbrückbarer Gegensätze der ehemaligen Verbündeten ohne eine Einigung über eine Friedensregelung mit Deutschland abgebrochen und vertagt. Damit endeten zunächst die Bemühungen der vier großen Siegermächte um eine gemeinsame Deutschlandpolitik. Wenige Tage nach dem Scheitern der Londoner Konferenz drängte Otto Dibelius die EKD dazu, deutschlandpolitisch aktiv zu werden. In einem Telegramm an Wurm bat er im Namen der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg den Rat der EKD, dem „dringenden Verlangen“ der „gesamten Christenheit Deutschlands“ nach Wiederaufnahme der Bemühungen „um einen echten Frieden und die Einheit Deutschlands“ durch die verantwortlichen Stellen „unmissverständlich Ausdruck zu geben, womöglich durch schleunige Einberufung eines Kirchentages für ganz Deutschland.“238 Die Kirchliche Ostkonferenz unterstützte Dibelius’ Forderung nach einem gesamtdeutschen Kirchentag, „um damit der Einheit der evangelischen Kirche Ausdruck zu geben und für die Erhaltung der Einheit des deutschen Volkes einzutreten“239. Die Kirchenleitungen in der sowjetischen Zone empfanden angesichts der im Jahr 1947 fortschreitenden Teilung Deutschlands einen dringenden kirchlichen, von der EKD bislang nicht eingelösten Handlungsbedarf. Hinzu kam, dass die ostdeutschen Kirchen verschiedentlich von der SMAD dazu aufgefordert worden waren, sich zu politischen Fragen zu äußern. Und auch die SED, die bemüht war, sich als Verfechterin der deutschen Einheit gegenüber „spalterischen“ Tendenzen im Westen zu behaupten, erwartete für ihre bzw. die sowjetische Deutschlandpolitik Fürsprache aus dem kirchlichen Raum240. Genau hierin lag aber für die westlichen Kirchenführer das Problem: Sie befürchteten in der aufgeladenen politischen Atmosphäre des Jahres 1947 eine Instrumentalisierung der Kirche zugunsten der sowjetzonalen Einheitspolitik. Am 23. Dezember schrieb Wurm zu Dibelius’ Vorschlag an den hannoverschen Landesbischof Hanns Lilje: „Es scheint mir etwas politischer Druck hinter diesem Drängen der kirchlichen Ostzone zu stehen und es wird doch besser sein, wenn wir zunächst im engeren Kreise uns klar werden,

234 Beste an den Lutherrat in München, 12.12.1947. Abdruck in: J. SEIDEL, Neubeginn, S. 126. 235 Der sächsische Landesbischof Hahn war durch Krankheit verhindert gewesen, hatte jedoch ein Grußtelegramm gesandt. Vgl. T. FRIEBEL, Kirche, S. 358. 236 Vgl. W. R. KRABBE, Deutschland, S. 77. 237 H. KOCH, Fortschritt, S. 60. 238 Vgl. Kirchenkanzlei an Ratsmitglieder, 23.12.1947. Abdruck in: PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 350f. 239 M. KÜHNE, 11. Sitzung, TOP 1. 240 Vgl. SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. XII und S. 24ff.

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Hoffnung auf Wiedervereinigung (1945–1955) wie weit die kirchlichen Belange von politischer Seite benutzt werden wollen, um einen Druck nach Westen auszuüben.“241

Im Einvernehmen mit Niemöller rief Wurm anstelle eines Kirchentages für den 14. Januar 1948 eine außerordentliche Ratssitzung ein. Dort sollte ein von Dibelius zu formulierendes Wort des Rates verabschiedet werden. Der Berliner Bischof hielt eine Ratssitzung jedoch für völlig unzureichend. In einem Schreiben an die Ratsmitglieder vom 27. Dezember wies er auf die Gefahr hin, die eine Teilung Deutschlands für den Frieden in Europa bedeute. Die evangelische Kirche dürfe daher „nicht nur stillschweigend ein Band der Einheit [. . .] bilden“, sondern müsse öffentlich vor den Folgen einer Teilung warnen. „Es geht nicht an, dass in einer derartigen Frage nur politische Parteien reden. Es geht vollends nicht an, dass die Kirche hier in der Gefolgschaft politischer Mächte auftritt. Sie muss, wie es ihrem Wesen entspricht, in äusserer und innerer Unabhängigkeit handeln“242,

erklärte Dibelius mit Stoßrichtung gegen eine weitere Beteiligung kirchlicher Amtsträger an der Volkskongressbewegung. Alle evangelischen Kirchen, eventuell einschließlich der Freikirchen, müssten im Rahmen eines Kirchentages oder, sollte ein solcher nicht möglich sein, auf einem Bischofstag ein „klares und eindeutiges Wort“ sprechen. Zum möglichen Ort einer solchen Versammlung schrieb Dibelius: „Die östliche Besatzungsmacht würde es am liebsten sehen, wenn ein solches Wort von Berlin aus gesprochen würde. Ich für mein Teil glaube, dass gerade in dieser Frage der Westen besser wäre. Und wenn Frankfurt, vom Osten her gesehen, nicht besonders erwünscht scheint, so könnte es auch ein anderer Ort sein.“243

Frankfurt am Main erschien als Tagungsort deshalb nicht geeignet, da die Stadt in der Propaganda des Volkskongresses für „Verrat“ stand. Der Volkskongress wurde – in Analogie zur Revolution von 1848 – als die „Barrikade“ von 1948, als eine Sternstunde der nationalen Demokratie von unten stilisiert. Die Frankfurter Paulskirche hingegen stand als Chiffre für „Verrat“ in der Vergangenheit, aber auch in der Gegenwart, denn in Frankfurt, der „präsumtiven Hauptstadt des westdeutschen Staates“, saßen angeblich die „Spalter“ der Nation244. Auf Vorschlag von Asmussen ließ sich der Rat bei seiner öffentlichen Äußerung aus Anlass des Scheiterns der Londoner Außenministerkonferenz von dem Historiker Gerhard Ritter als „Sachverständigen“ beraten245. Der konservative Ritter hatte seit Dezember 1945 für den Rat auf der Basis von Presseberichten schon mehrere längere Situationsanalysen zur Welt-, Europa- und Deutschlandpolitik angefertigt246. Für die 241 Zitiert nach: PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 350. 242 Dibelius an Ratsmitglieder, 27.12.1947. EBD., S. 351ff., hier S. 352. 243 EBD. 244 Vgl. E. WOLFRUM, Geschichtspolitik, S. 43. Dort auch das Zitat aus dem Artikel „Des deutschen Volkes heiliges Recht“ der Berliner Zeitung vom 17.3.1948. 245 Vgl. Kirchenkanzlei an Wurm und Niemöller, 29.12.1947. Abdruck in: PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 354. 246 Dazu und zur Tätigkeit Ritters als politischer Berater des Rates vgl. K. NOWAK, Ritter; C. CORNELISSEN, Ritter, S. 401f.

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Januarsitzung lag sein fünfter Bericht über die politische Lage Deutschlands vor. Darin referierte er zunächst über die wichtigsten politischen Ereignisse des Jahres 1947. Am Ende seines Überblicks kam Ritter zu dem ernüchternden Ergebnis, dass es zwischen den Weltmächten zu keiner weiteren Zusammenarbeit mehr kommen werde und in Deutschland bereits die wirtschaftliche und politische Spaltung „in einer tiefgehenden Form“ vollzogen sei. Nicht das deutsche Volk könne diese Spaltung noch aufheben, sondern allein die Besatzungsmächte, die sie hervorgerufen hätten. Da der politische Weg zur Erhaltung nationaler Einheit für die Deutschen versperrt sei, könne die Einheit nur noch „auf dem elementaren Willen ruhen, eine Nation sein zu wollen.“ Ritter führte weiter aus: „In der kirchlichen und kulturellen Sphäre, die zum großen Teil in ganz Deutschland gleich geblieben ist, ist allein noch das Band zu suchen, das im Augenblick ganz Deutschland verbindet. Das elementare Gefühl, daß jenseits und diesseits der Grenze, hüben und drüben Deutsche wohnen, muß gepflegt werden. Daraus kann die Stimme des Protestes im deutschen Volk gegen eine Zerreissung erwachsen.“247

Damit wies er der evangelischen Kirche die Rolle einer geistig-kulturellen Klammer der wirtschaftlich und politisch getrennten Deutschen zu. Sie hatte den Willen der Deutschen zur Einheit zu stärken. Ritter nahm auch an der außerordentlichen Sitzung des Rates im Januar teil. Auf ihr legte Dibelius den Entwurf für ein Wort der EKD zur politischen Lage Deutschlands vor und versuchte den Ratsmitgliedern seinen Vorschlag, eine „Kirchenversammlungssynode“ oder außerordentliche „Bischofskonferenz“ einzuberufen, mit dramatischen Worten nahezubringen248. Falls es in Folge der Londoner Konferenz zu einer endgültigen Teilung komme, habe dies „katastrophale Folgen für die Welt“249, so der Bischof. Deutschland werde ein Herd ständiger politischer Unruhen und eine permanente Bedrohung für den Frieden werden. Eine Teilung wirke sich sowohl auf den moralischen Zustand des deutschen Volkes als auch auf den Weltfrieden negativ aus. Aufgrund der Gefährdung von Moral und Frieden habe die Kirche eine politische Aufgabe, konstatierte Dibelius. In der sowjetischen Besatzungszone übe die Volkskongressbewegung Druck auf die Pfarrer aus. Er habe daher sein Telegramm an Wurm veröffentlicht, um zu demonstrieren, dass die Kirche etwas unternehme. Den Kirchenvertretern, die am Volkskongress teilgenommen hatten, habe man auf der Kirchlichen Ostkonferenz „sehr ernstlich ins Gewissen geredet“250. Die evangelische Kirche müsse jetzt aber selbst sprechen, denn sie sei eine der wenigen Organisationen, die „quer über Ost und West“ reden könne251. Dibelius malte den Ratsmitgliedern auch die 247 Text in Auszügen abgedruckt bei H. NOORMANN, Protestantismus, Bd. 2, S. 207–213, hier S. 211f. und S. 213. 248 Vgl. Heinemanns Mitschrift von der Ratssitzung am 14.1.1948 (AdsD BONN, II/0489). Vgl. auch Mitschrift Meisers (LKA NÜRNBERG, Meiser 139). 249 Mitschrift Meisers. Vgl. Anm. 248. 250 Mitschrift Heinemanns. Vgl. Anm. 248. 251 Mitschrift Meisers. Vgl. Anm. 248.

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kirchliche Situation in düsteren Farben aus und offenbarte dabei das konfessionsgeografische Motiv seines Eintretens für die deutsche Einheit einschließlich eines Teils der ehemaligen deutschen Ostgebiete. Mit Schlesien, Ostpreußen und Ostpommern seien alle „guten Kirchengebiete“ verloren gegangen, geblieben seien lediglich die „toten Gebiete“, klagte der Berliner Bischof. Der Osten brauche den Westen mehr als umgekehrt. Die evangelische Kirche in der sowjetischen Besatzungszone dürfe aber nicht nur als „Westanhängsel“252 erscheinen, daher habe die Kirchliche Ostkonferenz den Wunsch geäußert, dass der Sitz der EKD nach Berlin verlegt werde253. Dibelius plädierte auch dafür, die endgültige Verfassung der EKD „als Ausdruck evangelischer Einheit einschließlich Schlesien und Saar“ möglichst schnell zu verabschieden254. Unterstützt wurde er in seinen Anliegen durch den sächsischen Bischof Hahn. Dieser wies darauf hin, dass in der sowjetischen Besatzungszone das Bewusstsein vorherrsche, von den „westlichen Brüdern bereits abgeschrieben zu sein.“255 Er hielt daher ein Einheitszeugnis der gesamten deutschen Kirche für notwendig. Die evangelische Kirche müsse öffentlich dokumentieren, dass sie sich auch im Falle einer politischen Teilung Deutschlands nicht trennen lasse. Hahn bezeichnete es als tragisch, dass die Befürworter der Einheit sogleich als „russische Parteigänger“ eingestuft wurden256. Der Ratsvorsitzende Wurm verglich die aktuelle Situation mit der Lage im „Dritten Reich“, als die Kirche ebenfalls für nationale Ziele in Anspruch genommen worden sei. Dies sollte sich nicht wiederholen. Um zu verhindern, dass ein politisches Wort der Kirche als Parteinahme für die „östliche Macht“ gedeutet werde, müsse die EKD auch offen über die Zustände in der sowjetischen Zone sprechen257. Dagegen wandte sich Niemöller, der die rechtliche Situation in der französischen Zone als ähnlich schlecht einstufte. Er hegte auch Zweifel, ob zur Frage der Einheit Deutschlands „eindeutig vom Evangelium her“ gesprochen werden konnte258. Es sei den Christen nicht möglich, „das Maß des Gerichtes“ zu „beschränken“, d. h. den Versuch zu unternehmen, vom Evangelium her gegen die als Teil des „Gerichts Gottes“ gedeutete Teilung Deutschlands zu sprechen259. Laut Niemöller brauchte die Verkündigung nicht „auf nationaler Basis“ zu erfolgen260. Denn, so erklärte er in Abgrenzung zur Schöpfungstheologie der Vorkriegszeit, die „Existenz der Nationen ist nicht Schöpfung, sondern Strafe.“261 Niemöller wandte sich auch gegen Dibelius’ kausale Verknüpfung von Einheits- und Friedensfrage; nicht nur die Teilung Deutschlands, auch seine Einheit könne Krieg bedeuten. In der Einheitsfrage, so argumentierte er, dürfe die „Brücke, die Ost und West zusammenhält“, 252 253 254 255 256 257 258 259 260 261

Mitschrift Heinemanns. Vgl. Anm. 248. M. KÜHNE, PROTOKOLLE, 11. Sitzung, TOP 4. Mitschrift Heinemanns. Vgl. Anm. 248. EBD. EBD. Mitschrift Meisers. Vgl. Anm. 248. EBD. Mitschrift Heinemanns.Vgl. Anm. 248. EBD. EBD.

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nicht „eine Brücke sein, welche wir als Kirche mit politischen Bausteinen errichten.“262 Die Brücke müsse in einer geistig-geistlichen und nicht einer politisch-nationalen Verbundenheit bestehen. Wilhelm Niesel plädierte für Zeichen anstelle von Worten: Die evangelische Kirche müsse auf einer Synode als geschlossene Einheit dem deutschen Volk gegenüber in Erscheinung treten. Landesbischof Meiser widerstrebte es jedoch, dass die kirchliche Einheit durch einen politischen Anstoß zustande kommen sollte. Aus einer Mischung von kirchlich-theologischen und politischen Motiven heraus lehnte er einen „kirchlichen ‚Volkskongreß‘“ ebenso ab wie eine „SED-Einheit“263. Heinrich Held sprach davon, dass die evangelischen Repräsentanten im Volkskongress „ihre Freiheit an ein Scheinmanöver verkauft“ und „zum nationalen Mundstück vor der kommunistischen Trompete gemacht“ worden seien264. Damit ihr politisches Wort nicht „in falscher Fortsetzung einer falschen nationalen Tradition“ stehe, sollte die Kirche drei Dinge tun: Erstens sollte sie sich nur dazu äußern, inwiefern die politische Situation eine christliche Existenz gefährde; zweitens müsse sie selbst zu einer „gestalteten Form der Einheit kommen“ und drittens sollte sie ein Verbot des Kriegsdienstes von Pfarrern fordern265. Der Kirchenrechtler Rudolf Smend befürchtete, dass ein Schweigen der evangelischen Kirche zur Frage der deutschen Einheit als Aufforderung an die Bevölkerung verstanden werde, sich „dem Gericht schweigend zu unterwerfen“. Die katholische Kirche spreche hingegen von der „Wiederherstellung des alten Heiligen Römischen Reiches“. Die evangelische Kirche durfte nach Smends Auffassung auch aus seelsorgerlichen Gründen nicht schweigen, da die „Drohung mit dem russischen Vorhang [. . .] die Rolle der Renazifizierung übernommen“ habe266. Ritter plädierte für ein kirchlich motiviertes Wort, das vor der Gefährdung christlicher Existenz und Gemeinschaft warne. Gleichzeitig müsse sich die EKD endgültig konstituieren. Im Wunsch, die Einheit Deutschlands zu erhalten, waren sich die Ratsmitglieder einig. Kein Konsens herrschte hingegen über die Frage, ob und wie man die politische Verantwortung der Kirche in dieser Frage wahrzunehmen hatte. Wie sollte man vom Evangelium her argumentieren, wie eine politische Indienstnahme verhindern und wie aus der nationalprotestantischen Tradition heraustreten? Uneins war man sich auch darin, wann und wo ein Wort gesprochen werden sollte. Vor der Verabschiedung der Grundordnung der EKD oder zeitgleich mit ihr? Auf einer Bischofskonferenz oder auf der verfassungsgebenden Kirchenversammlung? Trotz der grundsätzlichen theologischen und politischen Bedenken einigten sich die Ratsmitglieder schließlich darauf, auf ihrer nächsten Sitzung zusammen mit Vertretern der Freikirchen ein Wort zu beschließen. Dibelius’ Entwurf sollte hierfür auf der Grundlage der Diskussion im Rat umformuliert werden267. Die Ratssitzung wurde auf den 9. März angesetzt, ihr Ort

262 263 264 265 266 267

Mitschrift Meisers. Vgl. Anm. 248. Mitschrift Heinemanns. Vgl. Anm. 248. EBD. Mitschrift Meisers. Vgl. Anm. 248. EBD. PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 356f.

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sollte „weder in Frankfurt/Main noch in der Ostzone sein.“268 Die Kirchenversammlung zur Verabschiedung der Grundordnung der EKD wollte man hingegen für Ende Mai nach Eisenach einberufen269. Für ihre Sitzung im März erhielten die Ratsmitglieder je einen überarbeiteten Entwurf von Dibelius’ und von Ritter zugesandt270. Am 10. März verabschiedete dann die „Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen“ eine dritte Fassung unter dem Titel „Wort christlicher Kirchen in Deutschland für einen rechten Frieden und gegen die Zerreißung des deutschen Volkes“271. Die Arbeitsgemeinschaft war am gleichen Tag gegründet worden und setzte sich aus den Gliedkirchen der EKD, den Baptisten, den Methodisten, der Evangelischen Gemeinschaft, den Mennoniten sowie den Altkatholiken zusammen272. Zu ihren Aufgaben gehörte nach § 4,5 ihrer Richtlinien die „Vertretung gemeinsamer Anliegen nach außen und in der Öffentlichkeit“273. Beides nahm sie bereits am Tag ihrer Gründung wahr, indem sie das gemeinsame Wort zur Friedensund Deutschlandfrage verabschiedete. Der Text argumentierte mit den beiden von Dibelius hergestellten Verknüpfungen von Weltfrieden und deutscher Einheit einerseits und moralischem Niveau der deutschen Bevölkerung und deutscher Einheit andererseits. Die nationale Einheit wurde dabei als natürliche Ordnung gedeutet. So hieß es in dem Wort: „Echter Frieden kann nur werden, wenn im Mittelpunkt Europas die natürlichen Lebensverhältnisse wiederhergestellt werden. Der Osten kann den Westen und der Westen den Osten auch wirtschaftlich nicht entbehren. Daß unserem Volk seine natürliche und geschichtliche Gemeinschaft ungeteilt erhalten bleibt, darum bitten wir um des Friedens willen und der sittlichen Gesundung unsres Volkes willen.“274

Dem Frieden wurde nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges aber Priorität eingeräumt. Ihn sollten die Deutschen halten, indem sie „falschen Machtidealen“ absagten und sich in „echte[r] Friedensgesinnung“ bewährten. Seine Sicherung wurde aber auch von der Wiederherstellung „natürlicher Lebensverhältnisse“ durch die Siegermächte abhängig gemacht. Die „natürliche und geschichtliche Gemeinschaft“ Deutschlands wurde in dem Wort über familiäre Bindungen, historisch-kulturell über gemeinsame Sprache, Geschichte und Kultur sowie über die „jahrhundertealte gesegnete Gemeinschaft geistlichen Lebens“ definiert. Die kulturnationale Tendenz bedeutete dabei eine neue Akzentsetzung in den deutschlandpolitischen Äußerungen der Kirche. In seinen territorialen Vorstellungen von Deutschland blieb das Wort unbestimmt. Während in Dibelius’ Erstfassung noch die „landwirtschaftlichen Gebiete öst268 EBD., S. 362. 269 EBD., S. 360. 270 Vgl. EBD., S. 400. Entwurf von Ritter S. 433ff., Entwurf von Dibelius S. 435ff. 271 Abdruck in: EBD., S. 414ff. 272 Zur Entstehungsgeschichte, Organisation und Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft vgl. O. HARLING, Arbeitsgemeinschaft. 273 EBD., S. 367. 274 PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 415.

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lich der Oder“ und die „von deutschem Fleiss entwickelten Gebiete an der Saar“ genannt wurden, in den Zweitfassungen von Dibelius und Ritter die „Heimat“ des deutschen Volkes dann als von „jenseits der Oder und Weichsel bis zur Saar“ reichend beschrieben wurde275, enthielt sich die Schlussfassung jeglicher territorialer Konkretionen. Näher ausgeführt wurde in dem Wort jedoch das moralische Argument für den Erhalt respektive die Wiederherstellung deutscher Einheit. Von der „gewaltsame[n] Aufspaltung, verbunden mit verschiedenen Wirtschaftsformen, mit verschiedener politischer Orientierung, vielleicht auch mit verschiedener Währung“ gehe eine demoralisierende, das Rechtsempfinden zerstörende Wirkung aus276. An die deutsche Bevölkerung wurde appelliert, sich „nicht in Verbitterung und Hoffnungslosigkeit zu verlieren, sondern sich auch durch Unfreiheit und unerträgliche Verhältnisse in dem Willen zu redlicher Arbeit, zu sittlicher Zucht und zu ehrlicher Friedensgesinnung nicht irremachen zu lassen.“ Damit enthielt das Wort zwar nicht explizit, aber implizit Kritik an den Zuständen in der Ostzone. In der sowjetischen Zone liefen derweil die Vorbereitungen für den zweiten Volkskongress am 17. und 18. März 1948. Die SED verfolgte mit ihm erneut ein doppeltes Ziel. Zum einen sollte er die sowjetische Deutschlandpolitik unterstützen. Seit Ende Februar 1948 tagten die Westalliierten zusammen mit den Benelux-Ländern in London und bereiteten die Bildung eines westdeutschen Staates vor, woraufhin die Sowjets gegen die angeblich eklatanten Verstöße gegen das Viermächte-Kontrollabkommen in Deutschland protestierten. Zum anderen wollte die SED auf das Parteiensystem in der Ostzone einwirken; der Führungsanspruch der SED sollte bekräftigt werden. Intendiert war eine von ihr und den Sowjets kontrollierte Massenbewegung mit basisdemokratischem Anstrich. Die Delegierten des zweiten Volkskongresses beschlossen die Einberufung eines „Deutschen Volksrates“ zur Ausarbeitung einer gesamtdeutschen Verfassung und ein „Volksbegehren für die Einheit Deutschlands“. Im Juni 1948, nachdem in den Londoner Empfehlungen die Umrisse der zukünftigen Bundesrepublik skizziert worden waren, erklärte sich der Volksrat zum „Repräsentanten für ganz Deutschland“. Ein von ihm eingesetzter Arbeitsausschuss legte im Oktober 1948 einen Verfassungsentwurf vor. In den kirchlichen Kreisen der Ostzone wuchs seit Anfang des Jahres 1948 immer mehr der Zweifel an einer Bewegung, die propagandistisch auf die Einheit Deutschlands zielte und doch gleichzeitig die Grundlagen für das Repräsentationssystem der DDR legte. Bereits im Januar und Februar gingen mehrere ostdeutsche Kirchenleitungen mit dem Verweis auf das eigenständige Zeugnis der Kirche in der Friedens- und Einheitsfrage auf Distanz zur Volkskongressbewegung, in welcher der nationale Gedanke mit einem konkreten gesellschaftspolitischen Konzept verknüpft war277. Im April lehnte die Kirchliche Ostkonferenz es ab, sich gemeinsam öffentlich zum bevorstehenden Volks275 EBD., S. 435 und S. 437. 276 EBD., S. 415. 277 So die Kirchenprovinz Sachsen sowie die sächsische und die mecklenburgische Landeskirche. Vgl. J. SEIDEL, Neubeginn, S. 302ff.; M. KÜHNE, Protokolle, 11. Sitzung, TOP 1 und 12. Sitzung, TOP 1; H. NOORMANN, Protestantismus, Bd. 1, S. 219, Anm. 67.

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begehren zu äußern278. Vertreter der SMAD hatten die Kirchen zu einer Stellungnahme aufgefordert. In einem Schreiben vom 11. Mai teilten die evangelischen Bischöfe der Ostzone Marshall Wassilij D. Sokolowski, dem Oberbefehlshaber der sowjetischen Besatzungskräfte und Obersten Chef der SMAD, ihre Entscheidung mit279. Da an die Kirche schon wiederholt die Aufforderung herangetragen worden war, sich positiv zu der politischen Entwicklung in der sowjetischen Zone zu äußern, versuchten die Bischöfe in diesem Schreiben den grundsätzlichen Rahmen für öffentliche Äußerungen der evangelische Kirche zu politischen Fragen abzustecken280. Sie erklärten erstens, dass die Kirche und der einzelne Christ zum Gehorsam gegenüber den Anordnungen der Obrigkeit verpflichtet seien, sofern sie nicht den Geboten Gottes widersprächen. Im Inhalt ihrer Verkündigung könne die Kirche aber von keiner menschlichen Autorität Weisungen entgegennehmen, auch nicht vom Staat oder von einer politischen Partei. Zweitens könne ein kirchliches Wort zu politischen Fragen nur „aus der inneren Nötigung vom Evangelium her erwachsen.“281 Drittens sei die Freiheit der Kirche, zu staatlichen Maßnahmen positiv oder negativ Stellung zu nehmen, ein unablösbarer Teil der Religionsfreiheit, die der Kirche in den Länderverfassungen der Ostzone zugesichert wurde. Am Ende des Schreibens baten die Bischöfe darum, es zukünftig der Kirche zu überlassen, ob und wann sie sich zu politischen Fragen „zu sprechen gerufen weiß.“ Die Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg sah sich bereits am 20. Mai dazu genötigt, in einem Wort an ihre Pfarrer und Gemeinden zu der Gewissensnot Stellung zu nehmen, in welche das vom 23. Mai bis 13. Juni laufende Volksbegehren „für eine unteilbare deutsche demokratische Republik“ viele Christen in der sowjetischen Zone brachte282. Als „Mund der Stummen“ wies sie darauf hin, dass es zur Freiheit eines Christen gehöre, die Frage des Volksbegehrens entweder zu bejahen oder zu verneinen. Ja-Antworten dürften nicht nachträglich dazu missbraucht werden, um bestimmte innen- oder außenpolitische Ziele durchzusetzen, die nicht Inhalt des Volksbegehrens waren. Wer nicht an dem Volksbegehren teilnehme, dürfe nicht als Vaterlandsverräter gebrandmarkt werden. Am Anfang ihres Wortes hatte die Kirchenleitung versichert, dass es nicht ihre Aufgabe sei, „die politische Frage nach der Gestalt eines zukünftigen deutschen Staates mit Gründen des Wortes Gottes zu entscheiden.“ Sie schloss ihr Wort allerdings mit der Hoffnung: „Gott schenke in seiner Gnade unserm Volk rechte [sic!] Einheit und wahren Frieden! Er helfe uns und aller Welt zu einem Leben, das seine Gerechtigkeit preist!“283 278 M. KÜHNE, Protokolle, 12. Sitzung, TOP 1. 279 Abdruck in: G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 41–45. 280 Vgl. dazu auch T. FRIEBEL, Kirche, S. 195f. 281 G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 43. 282 Abdruck in: EBD., S. 46f. Bei M. GRESCHAT, Christenheit, S. 392 und S. 441 fälschlich auf den 20.5.1949 datiert. – Das Volksbegehren fand in der SBZ mit ca. 13 Millionen Stimmen Zustimmung. In der britischen Zone unterschrieben eine Million Menschen. In der amerikanischen und französischen Zone war die Abstimmung von den Besatzungsmächten verboten worden. Vgl. K. SCHROEDER, SED-Staat, S. 28. 283 G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 47.

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1.2.3 Eine Kirche und zwei deutsche Staaten Am 13. Juli 1948 nahm die in Eisenach zusammengekommene Kirchenversammlung die Grundordnung der EKD an. Mit ihr hatte der deutsche Protestantismus eine neue Stufe in seiner bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts zurückreichenden Einigungsbewegung erreicht. Zwischen der Verabschiedung der vorläufigen und der endgültigen Ordnung der EKD waren drei Jahre vergangen284. In dieser Zeit hatte man hart um einen Konsens gerungen, selbst noch in Eisenach. Denn auch nach der Treysaer Übereinkunft vom August 1945 standen sich noch immer die von Niemöller und Meiser verkörperten alternativen kirchlichen Konzeptionen gegenüber. Drei Jahre lang wurde heftig über die Bildung einer lutherischen Gesamtkirche und das Selbstverständnis der EKD gestritten. Letztlich siegte jedoch der Wille – insbesondere auch der Laien – zur Einheit der EKD über die kirchenpolitischen und theologischen Spannungen. Als Ergebnis eines langen Ringens mit zeitweise offenem Ausgang konnte die Grundordnung nur Kompromisscharakter tragen. Viele, vor allem Vertreter des Bruderrates, hatten das Erbe der Bekennenden Kirche in eine kirchlich-dogmatische Einheit auf der Grundlage der Barmer Theologischen Erklärung überführen wollen. Dies scheiterte jedoch am Widerstand der Lutheraner, die nur einen Bund bekenntnisverschiedener Kirchen akzeptierten. Die lutherischen Landeskirchen schlossen sich am 8. Juli 1948 auf gesamtdeutscher Ebene zu einer Bundeskirche mit gemeinsamer Bekenntnisgrundlage zusammen, der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Diese verstand sich aber ausdrücklich als Zusammenschluss innerhalb der EKD. Später, im August 1951, verbanden sich dann die Provinzialkirchen, die nach der Abtrennung der kirchlichen Ostgebiete von der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union übrig geblieben waren, in der gesamtdeutschen Altpreußischen Union (APU)285. Aus der EKD aber wurde theologisch und kirchenrechtlich keine Kirche, sondern ein „Bund lutherischer, reformierter und unierter Kirchen“ (Art. 1,1)286. Auch über die Zulassung zum Abendmahl bestand in ihr, wie in Art. 4 eingestanden wurde, „keine volle Übereinstimmung“287. Da neben dem kirchentrennenden Verständnis der Konfessionsunterschiede auch der landeskirchliche Föderalismus bestehen blieb, besaß die EKD als Zusammenschluss selbstständiger und selbstbewusster Landeskirchen innerkirchlich nur wenig Rechte. Die Hauptaufgaben ihrer drei Organe – Synode, Kirchenkonferenz und Rat – waren die Vertretung der evan284 Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Grundordnung der EKD die Darstellung von H. BRUNOTTE, Grundordnung, S. 3–88 und A. SMITH-VON OSTEN, Treysa, S. 173–381 sowie die beiden knappen, aber vorzüglichen Zusammenfassungen des schwierigen Entstehungsprozesses bei W.-D. HAUSCHILD, Kirche, S. 667–670, und M. GRESCHAT, Christenheit, S. 164–174, S. 360–368. 285 Der zunächst wieder Altpreußische Union genannte Zusammenschluss änderte 1953 seinen Namen in Evangelische Kirche der Union. Diese war Gliedkirche der EKD. 286 Die Grundordnung der EKD ist abgedruckt in: PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 524–535, hier S. 524. Zur Auslegung vgl. H. BRUNOTTE, Grundordnung, S. 120. – Von den 27 Landeskirchen waren 13 lutherische, zwei reformierte und 12 unierte Landeskirchen. 287 PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 525.

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gelischen Kirche gegenüber Staat und Öffentlichkeit sowie in der ökumenischen Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene. Für die großen kirchlichen Werke und Verbände wurde die EKD zum Ansprechpartner. Hinzu kamen die Beratung ihrer 27 Gliedkirchen und die Förderung der Kommunikation unter diesen. Die EKD wurde zu einem Zeitpunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte konstituiert, als angesichts der Einbeziehung der Westzonen in das European Recovery Program, dem sowjetischen Ausscheiden aus dem Alliierten Kontrollrat, der Londoner Empfehlung der Westmächte zur Bildung eines westdeutschen Staates, der Währungsreform in den drei Westzonen sowie der darauf folgenden Berlin-Blockade durch die UdSSR der Kalte Krieg auf einem ersten Höhepunkt und die Spaltung Deutschlands offenkundig war. Als Organisation auf gesamtdeutscher Ebene, die von allen vier Besatzungsmächten genehmigt wurde, war die EKD faktisch ein Symbol Gesamtdeutschlands und damit ein Politikum. So sah es auch die sowjetische Besatzungsmacht, die gerade dabei war, mit einer Sperrung der Zufahrtswege nach West-Berlin die Westmächte von einer deutschen Teilstaatsgründung abzubringen, um die deutsche Frage aus geopolitischem Interesse weiter offen zu halten. Entsprechend nahm der Chef der sowjetischen Militäradministration in Thüringen für Zivilangelegenheiten, Generalmajor Kolesnitschenko, den Empfang der Kirchenvertreter auf der Wartburg zum Anlass, die Bedeutung der Kirchen „im Kampf des deutschen Volkes für ein freies, einiges und unabhängiges Deutschland“ zu betonen288. Von den EKD-Vertretern selbst wurde die nationalpolitische Symbolfunktion nicht herausgestellt, sie verlegten sich mehr auf den kulturnationalen Symbolcharakter der EKD. So erklärte Wurm auf der Vorberatung über die Verabschiedung der Grundordnung am 9. Juli in Eisenach: „Unser Entschluß ist ein rein kirchlicher, er hat keinen politischen Nebengedanken, weder einen innerpolitischen, noch einen außenpolitischen. Aber es freut uns, wenn wir als Kirche dazu beitragen können, daß in einem Volk, durch dessen Land mitten hindurch ein Schnitt geht, eine so große Verbundenheit des Glaubens und der geistigen Güter herrscht, daß man darüber auch die gegenwärtigen Verhältnisse vergessen kann, daß unser Volk sieht, wie wir, die wir eines Glauben sind, die wir das Erbe der Reformation, dessen wir an diesem Ort besonders bewußt sind, bewahren und heiligen. Wir gehören zusammen, und wir wollen trotz all dieser heutigen Nöte und Schwierigkeiten und äußeren Verhältnisse zusammenhalten. Wir wollen von dieser Verbundenheit unserem gesamten Volke und dem Ausland Zeugnis ablegen.“289

Die Besiegelung kirchlicher Einheit erfolgte doppelt symbolträchtig in Eisenach, einem Geschichtsort des Protestantismus und seiner Einigungsbestrebungen290, der zudem in der sowjetischen Besatzungszone lag. Im „Evangelischen Nachrichtendienst“ vom 12. Juni hatte Wurm erläutert, dass die Kirchenversammlung mit Absicht auf 288 Thüringer Volk, 16.7.1948. Zitiert nach: K. NOWAK, Geschichte des Christentums, S. 317. 289 EISENACH 1948, S. 10. 290 1852 wurde die Eisenacher Konferenz gegründet. Als 1903 aus dieser Konferenz ein Kirchenausschuss wurde, blieb Eisenach der Versammlungsort. S. o. Kap. 1.1.

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dem Gebiet der Ostzone zusammengerufen worden sei, um damit die „bleibende Verbundenheit aller Teile der evangelischen Christenheit in Deutschland, ganz abgesehen von irgendwelchen politischen Grenzlinien“ zu bezeugen291. Beim Festakt auf der Wartburg erklärte er dann in Anwesenheit von Vertretern aller vier Besatzungsmächte noch einmal die Motivlage, nicht nur für die Wahl des Ortes, sondern auch des Zeitpunkts der Versammlung: „Wir wußten, wie groß bei den Brüdern im Osten das Bedürfnis nach einem deutlichen symbolkräftigen Zeichen der Verbundenheit aller evangelischen Landeskirchen im deutschen Raum ist, und wir glaubten deshalb trotz aller Bedenken, die sich gegen die Abhaltung einer großen Kirchenversammlung im jetzigen Zeitpunkt erheben konnten, an dem ursprünglichen Beschluß des Rates festhalten zu sollen.“292

Der Ratsvorsitzende spielte damit auf die innerkirchlichen Kritiker einer EKD-Gründung im Juli in Eisenach an. Einige westliche Kirchenführer hatten die Auffassung vertreten, der akute kirchenpolitische Regelungsbedarf im Zusammenhang mit der Währungsreform binde sie zwingend an ihren Heimatort. Auch gab es weiterhin starke Vorbehalte gegen die Grundordnung. Noch Ende Juni bat Hans Meinzolt, der Präsident der bayerischen Landessynode, Bischof Wurm, die Grundordnung in Eisenach nicht zu behandeln: „Dieses jämmerliche Bild der Zerrissenheit dürfen wir der Öffentlichkeit nicht bieten.“293 Auch Asmussen lehnte eine Verabschiedung der Grundordnung zu diesem Zeitpunkt ab. Er war der Auffassung, dass „Bekenntnis und Kultus“ für den Erhalt der kirchlichen Einheit genügten und es „ein fundamentaler Irrtum“ sei, dass die Kirche zu einem Zeitpunkt, wo im Osten und Westen Deutschlands entgegenstehende Regierungen gebildet würden, versuche, ihre „Einheit auf dem Wege der Rechtsangleichung zu bauen.“294 Auch „aus theologischen Erwägungen“ heraus, so erklärte er vornehmlich in Richtung der ostdeutschen Kirchenführer, müsse „jetzt damit ernst gemacht werden, daß wir endgültig aufhören, uns in der Kirche national zu orientieren. Die Einheit Deutschlands ist kein kirchlich unaufgebbarer Gesichtspunkt.“ Ebenso gab es bei anderen Kirchenvertretern Überlegungen, die EKD auf die Kirchen in den Westzonen zu begrenzen, vor allem falls die Sowjets die Durchführung der Kirchenversammlung in Eisenach nicht genehmigen würden295. Die Genehmigung erfolgte jedoch und Wurm war trotz Währungsreform und Berlin-Blockade zu keiner weiteren Verschiebung des Termins bereit296. So kamen in

291 Nr. 44, S. 17. 292 EISENACH 1948, S. 68. 293 Zitiert nach: M. GRESCHAT, Christenheit, S. 363. 294 Gutachten von Asmussen, vermutlich vom Juli 1948. Zitiert nach: EBD., S. 364. 295 Vgl. EBD., S. 364f. 296 Wurm hatte die Kirchenversammlung zunächst in einem Schreiben vom 17.1.1948 auf den 19.–23.5.1948 einberufen. Da Lilje im Mai verhindert war, wurde dieser Beschluss aufgehoben. Auf seiner Sitzung am 9./10.3.1948 setzte der Rat den Termin für die Kirchenversammlung auf den 25.– 28.7. fest. Aufgrund der Währungsreform verschob Wurm die Kirchenversammlung erneut, nunmehr auf den 9.–13.7. Vgl. PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 360f., Anm. 29.

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Eisenach die Kirchenvertreter zusammen und bekundeten durch ihr Erscheinen „vor aller Welt“, so der gastgebende Landesbischof Mitzenheim, „daß Zonengrenzen keine Kirchengrenzen sind.“297 Am 13. Juli erfolgte dann zum „symbolkräftigen Zeichen der Verbundenheit“ die Verabschiedung der Grundordnung. Laut Grundordnung war der EKD eine „bestehende Gemeinschaft der deutschen evangelischen Christenheit“ vorgegeben, die sie nun sichtbar machte. Diese Gemeinschaft basierte theologisch auf dem gemeinsamen glaubensmäßigen Ansatzpunkt des vierfachen Solus (Christus, Heilige Schrift, Gnade, Glauben), historisch auf der 400jährigen besonderen Kirchengeschichte von lutherischen und reformierten Gemeinden in Deutschland im Allgemeinen und den gemeinsamen Erkenntnissen im „Kirchenkampf“ während der NS-Zeit im Besonderen. Art. 1,2 lautete daher: „In der Evangelischen Kirche in Deutschland wird die bestehende Gemeinschaft der deutschen evangelischen Christenheit sichtbar. Mit ihren Gliedkirchen bejaht die Evangelische Kirche in Deutschland die von der ersten Bekenntnissynode in Barmen getroffenen Entscheidungen. Sie weiss sich verpflichtet, als bekennende Kirche die Erkenntnisse des Kirchenkampfes über Wesen, Auftrag und Ordnung der Kirche zur Auswirkung zu bringen. Sie ruft die Gliedkirchen zum Hören auf das Zeugnis der Brüder. Sie hilft ihnen, wo es gefordert wird, zur gemeinsamen Abwehr kirchenzerstörender Irrlehre.“298

Die Aussagen im zweiten Absatz wiesen über einen reinen Kirchenbund hinaus, und so offenbarten erst Art. 1,1 und 1,2 in ihrem Spannungsverhältnis das spezifische Selbstverständnis der EKD. Was den territorialen Umfang dieser Gemeinschaft anbelangte, so beschränkte sich der Zuständigkeitsbereich der EKD auf das Gebiet der „bestehenden Landes- und Provinzialkirchen“ und damit auf den geografischen Raum der vier Besatzungszonen einschließlich des Saarlandes. Der Absicht der französischen Besatzungsmacht, eine autonome protestantische Kirche im Saargebiet aufzubauen und damit die Etablierung eines selbstständigen Saargebietes zu fördern, hatte man sich kirchlicherseits erfolgreich widersetzt299. Die saarländischen Gemeinden blieben bei der Evangelischen Kirche des Rheinlandes und der pfälzischen Landeskirche. Die von den Alliierten als neue deutsche Ostgrenze festgelegte Oder-Neiße-Linie wurde hingegen als Grenze kirchlicher Organisation stillschweigend akzeptiert. Die Kirchenleitung von Restschlesien etablierte sich in Görlitz. Angesichts der bereits erfolgten Flucht und Vertreibung der evangelischen Christen aus den Ostgebieten und der Ansiedlung polnischer Bevölkerung in ihnen mag dies eine pragmatische Entscheidung gewesen sein, unbewusst aber leistete sie doch einen Beitrag zur geografischen Definition des Deutschlandbegriffs300. In diese Richtung wirkte auch die Tatsache, dass man im Westen keine ostdeutschen Exilkirchen gründete, vielmehr die Flüchtlinge und Vertriebe297 EISENACH 1948, S. 66. 298 PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 524. Zur Auslegung dieses Absatzes vgl. H. BRUNOTTE, Grundordnung, S. 125–132. 299 Vgl. M. GRESCHAT, Christenheit, S. 249f.; J. THIERFELDER, Kirchenpolitik, S. 234ff. 300 Vgl. R. HENKYS, Kirche und Deutschland, S. 40.

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nen zu Gliedern der Landeskirchen ihres neuen Wohnortes wurden. Für die Sorgen und Nöte der Flüchtlinge setzte sich die evangelische Kirche jedoch in den Folgejahren ebenso mit Wort und Tat ein wie für die Deutschen, die in den Ostgebieten geblieben waren301. Beides geschah unter Ablehnung eines militanten Revanchismus. „Auf der Gewalt liegt kein Segen, Kriege führen nur tiefer in Bitterkeit, Haß, Elend und Verwahrlosung hinein“, so hieß es auch in einem Wort der Kirchenversammlung der EKD in Eisenach vom 13. Juli302. Bei grundsätzlicher Bejahung des Nationalstaats als normativer Größe forderte die Kirchenversammlung die deutschen „Volksgenossen“ auf, für das gespaltene Deutschland keine Hoffnungen auf einen neuen Krieg zu setzen, und erklärte jeglichem hypertrophen und militanten Wiedervereinigungsnationalismus eine deutliche Absage. Entschieden bekannte sie sich nach den verheerenden Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges zum Frieden. Dieses Bekenntnis markierte einen ersten deutlichen Einschnitt in einer langen Tradition protestantischer Kriegsund Friedensethik und stand im Einklang mit neuen friedensethischen Ansätzen auf ökumenischer Ebene. Mit ihrem Wort zum Frieden und der darin enthaltenen Versicherung in Richtung Ökumene, dass die deutschen Christen in den Angehörigen anderer Nationen nicht mehr Feinde, sondern „Brüder und Schwestern“ sähen, befreite die Kirchenversammlung auch die gerade befestigte kirchliche Einheit von jeglichem Verdacht, einem gewaltsamen politischen Einheitswillen zu dienen. In einem weiteren Wort äußerte sich die Kirchenversammlung erneut zur „deutschen Not“303. Sie bat die alliierten und deutschen Verantwortlichen um die Entlassung der Kriegsgefangenen, die Lösung der sozialen Probleme infolge der Währungsreform sowie die Verhinderung einer „endgültigen Aufspaltung Deutschlands“. In der Einheitsfrage wurde wiederum mit den wirtschaftlich-sozialen und moralischen Folgekosten einer Teilung argumentiert. Unterstützung erhielt die EKD bei ihrer Fürsprache für das deutsche Volk von Seiten der Ökumene. Auf der Amsterdamer Vollversammlung des ÖRK im August 1948 wurden die Regierungen der Siegermächte dazu aufgerufen, „daß sie mit den besiegten Nationen so schnell wie möglich einen gerechten Frieden schließen, und ihnen gestatten, ihr politisches und wirtschaftliches Leben für friedliche Zwecke wieder aufzubauen, die Kriegsgefangenen alsbald in die Heimat entlassen, und alle Maßnahmen zur politischen Bereinigung sowie die Prozesse gegen Kriegsverbrecher unverzüglich zum Ende zu bringen.“304

Vom Sommer 1948 an schritt die Bildung eines westdeutschen Staates zügig voran305. Am 1. Juli übergaben die drei westalliierten Militärgouverneure den westdeutschen Ministerpräsidenten in Frankfurt am Main die auf der Grundlage der so genannten 301 Vgl. u. a. das „Wort zur Flüchtlingsfrage“ der ersten EKD-Synode und den Aufruf des Rates an die Gemeinden vom 26.10.1949 „Für die Gemeindeglieder im abgetrennten Osten“. Abdruck in: G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 56–60 und S. 72ff. 302 EBD., S. 52f., hier S. 53. 303 Abdruck in: EBD., S. 54f. 304 Zitiert nach: KJ 72–75, 1945–1948, S. 314. 305 Zur Entstehung des Grundgesetzes vgl. M. GÖRTEMAKER, Geschichte, S. 44–83.

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Londoner Empfehlungen ausgearbeiteten drei Frankfurter Dokumente zur Gründung eines westdeutschen Teilstaates. Sie enthielten die Aufforderung, eine verfassungsgebende Versammlung zu bilden, die eine demokratische Verfassung für ein föderales Regierungssystem ausarbeiten sollte. Weiter wurde die Neuordnung der Länder angeregt und die Grundzüge eines Besatzungsstatuts erläutert. In ihren Koblenzer Beschlüssen vom Juli 1948 drangen die Ministerpräsidenten der Westzonen, die nur ungern die Verantwortung für die Gründung eines separaten Weststaates auf sich nehmen wollten, darauf, dass der zu schaffende Staat nur ein „Provisorium“ sein dürfe. Anstelle einer Verfassung sollte es ein Grundgesetz geben und anstelle einer verfassungsgebenden Versammlung ein Parlamentarischer Rat eingesetzt werden. Am 1. August wurde durch den Anschluss der französischen Besatzungszone aus der Bi- eine Trizone. Auf Herrenchiemsee arbeiteten im August Verfassungsexperten der Länder einen Entwurf des Grundgesetzes aus. Am 1. September nahm dann der Parlamentarische Rat in Bonn seine Arbeit am Grundgesetz auf. Zu seinem Vorsitzenden wurde der Christdemokrat Konrad Adenauer gewählt. Während die katholische Presse den Entstehungsprozess des Bonner Grundgesetzes und die Schaffung eines westdeutschen Staates aufmerksam und überwiegend zustimmend verfolgte, reagierten die protestantischen Blätter zurückhaltend bis ablehnend306. Die Protestanten taten sich mit der Weststaatsgründung schwer. In einem Geleitwort zu Neujahr 1949 im „Sonntagsblatt“ erklärte dessen Herausgeber, Bischof Lilje, dass die Kirche als einzige Körperschaft den Osten und Westen Deutschlands umfasse und sich in politischen Fragen unabhängig und uneigennützig einsetzen könne: „Es liegt an uns, den Willen zur politischen Einheit Deutschlands nicht preiszugeben.“307 Im Januar 1949 trat in Bethel erstmals die Synode der EKD zusammen und wählte einen neuen Rat sowie Ratsvorsitzenden308. Mit Reimer Mager, dem Vorsitzenden der sächsischen Landessynode, und dem Präses der provinzialsächsischen Synode Lothar Kreyssig wurden neben Dibelius und Hahn zwei weitere Vertreter der ostdeutschen Gliedkirchen in den Rat gewählt. Im Gespräch für den Posten des Vorsitzenden waren Niemöller, Lilje und Dibelius. Auf Drängen ostdeutscher Kirchenvertreter wählte die Synode nach längerer Diskussion den Bischof der Viermächtestadt Berlin zum Ratsvorsitzenden. Sein Stellvertreter wurde der Lutheraner Lilje. Niemöller ging infolge des schrittweisen Zurückdrängens seines Einflusses und des seines Kreises leer aus309. Mit der Wahl von Dibelius setzte die EKD ein weiteres Zeichen für ihre eigene transzonale Gemeinschaft wie auch für den gesamtdeutschen Einheitswillen. Unter dem Titel „Klammer zwischen Ost und West“ wertete das „Sonntagsblatt“ die Wahl des Berliner Bischofs als Beweis „der unauflösbaren Verbundenheit des deutschen Volkes über alle Zonengrenzen hinweg“310. Dibelius selbst verwies in seiner Osterbot306 307 308 309 310

Vgl. zu den Reaktionen der Presse U. BAYER, Vorhang, S. 41–49. Zitiert nach: EBD., S. 44. Vgl. BETHEL 1949. Vgl. M. GRESCHAT, Christenheit, S. 370. Sonntagsblatt, 23.1.1949. Zitiert nach: U. BAYER, Vorhang, S. 44.

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schaft im April 1949 auf die verbindende Funktion der Kirche als der letzten „Klammer“ zwischen Ost- und Westdeutschland und seiner sich täglich mehr entfremdenden Menschen311. Im Mai 1949 wiederholte er in einem Artikel noch einmal die Haltung der evangelischen Kirche in der Deutschlandfrage. Unter dem Titel „Die Kirche und die Einheit Deutschlands“ versicherte Dibelius, dass die evangelische Kirche keinesfalls den „Geist des Nationalismus“ wiederbeleben wolle: „Das Zeitalter des Nationalismus hat in einem Meer von Blut und Tränen geendet.“312 Nicht aus nationalistischen Motiven, sondern um der Moral des deutschen Volkes und des Friedens in der Welt willen müsse Deutschland wieder eine Einheit werden. Die deutsche Nation könne die Trennung niemals als etwas Endgültiges hinnehmen313. Der Artikel erschien kurz vor der Wahl zum dritten Deutschen Volkskongress in der „Täglichen Rundschau“, dem Organ der SMAD, die auf diesem Wege Dibelius’ Einheitsplädoyer für ihre deutschlandpolitischen Ziele instrumentalisierte. Knapp drei Wochen später machte jedoch der Bischof in einem Hirtenbrief zu Pfingsten deutlich, was er von dem entstehenden ostdeutschen Staat hielt: „Gegenwärtig bedrückt uns mehr als alles andere die Sorge, daß das Staatsgebilde, das um uns her entsteht, so viel von den Zügen zeigt, denen in der nationalsozialistischen Zeit unser Widerstand um Gottes willen gegolten hat: Gewalt, die über alles Recht hinweggeht, innere Unwahrhaftigkeit und Feindschaft gegen das christliche Evangelium.“314

Insbesondere der Vergleich mit der NS-Zeit traf die SED im Innersten ihres Selbstverständnisses als entschieden antifaschistische Kraft und Erbauerin eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands. Entsprechend empfindlich reagierte sie darauf. Das Kleine Sekretariat unter Leitung des stellvertretenden SED-Vorsitzenden Walter Ulbricht befasste sich am 9. Juni 1949 mit dem Hirtenbrief und beschloss, eine breit angelegte „Kampagne“ gegen Dibelius zu entfalten. Unter anderem sollten „Angehörige der unteren Geistlichkeit“ dazu gebracht werden, sich „im Sinne des Kampfes um die Einheit Deutschlands und den Friedensvertrag und gegen das Auftreten der Kirchenführung im Sinne der antinationalen und spalterischen Kräfte in Westdeutschland, den Vereinigten Staaten und England“ zu äußern315. Die SMAD drohte gar mit einer Verschlechterung ihres Verhältnisses zu den Kirchen, da sie, so der für kirchliche Angelegenheiten zuständige Offizier W. A. Jermolajew, durch den Hirtenbrief die demokratische Ordnung in der Ostzone in Frage gestellt sah316. Dibelius’ Kritik bezog sich vor allem auf die Tätigkeit der geheimpolizeilichen Abteilung K 5 der Volkspolizei sowie auf die Umstände der Wahlen zum dritten Volkskongress. Aus Furcht vor einem ähnlich schlechten Ergebnis wie bei den Landtagswahlen 1946 hatte die SED bei den 311 Vgl. EBD., S. 45. 312 Wiederabdruck in: O. DIBELIUS, So hab ich’s erlebt, S. 261–264, hier S. 261. 313 EBD., S. 263. 314 EBD., S. 265–270, hier S. 266. W.-D. Zimmermann datiert den Brief auf den 1.6.1949, d. h. Mittwoch vor Pfingsten. O. DIBELIUS, So hab ich’s erlebt, S. 366. 315 Auszug aus dem Protokoll in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 53. 316 Vgl. EBD., S. 25.

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Wahlen zum dritten Deutschen Volkskongress am 15. und 16. Mai 1949 erstmals das Prinzip der Einheitsliste angewendet, wobei sie die Sitzverteilung unabhängig vom Wahlergebnis festlegte. Doch selbst unter diesen Voraussetzungen hatte sie nur mit Hilfe von Wahlmanipulationen ein halbwegs befriedigendes Wahlergebnis erreichen können. Obgleich nicht alle ostdeutschen Kirchenleitungen mit Dibelius’ Hirtenbrief einverstanden waren, einigte sich die Kirchliche Ostkonferenz auf die Erklärung: „Sie bezeugt dankbar, daß der Bischof mit diesem Wort in kirchlicher Verantwortung gehandelt hat.“317 Die provinzialsächsische Kirchenleitung richtete überdies am 25. Juni an ihre Landesregierung einen Einspruch gegen die Wahlfälschung und warnte im Einverständnis mit allen ostdeutschen Kirchenleitungen vor einer weiteren Rechtssetzung durch den Volkskongress, da auf der Grundlage dieser Wahl kein rechtskräftiges Gesetz zustande kommen könne318. Während der Gründungsphase der beiden deutschen Staaten äußerte sich die EKD nicht mehr zur Frage der politischen Einheit Deutschlands. Sie nahm jedoch Stellung zu dem friedensgefährdenden Konflikt der beiden Weltmächte, durch den die deutsche Frage überlagert und die territoriale Neugliederung Deutschlands hochgradig ideologisiert wurde. Am 18. April 1949, dem zweiten Osterfeiertag, fand in der Frankfurter Paulskirche eine Veranstaltung des Rates statt, die auch vom Rundfunk übertragen wurde. Dibelius, Niemöller und Lilje sprachen dort mit unterschiedlichen Akzentsetzungen über den Frieden319. Auf die sich vollziehende doppelte Staatsgründung gingen sie nicht ein. Elf Tage danach verabschiedete die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland ein Wort „zum Kampf der politischen Systeme und Mächte“320. Dieser Text ließ jegliche differenzierte, sozialethische Auseinandersetzung mit dem sozialistischen und dem freiheitlich-kapitalistischen Gesellschaftsmodell vermissen. Der Ost-West-Konflikt wurde als ein Weltanschauungskonflikt zwischen zwei „religiösen Heilslehren“ mit jeweils totalitärem Anspruch gedeutet: der Ideologie der „Freiheit“ und der Ideologie der „Gesellschaft“. Eine Antwort auf die Frage nach dem rechten Gleichgewicht zwischen „Freiheit“ und „Gesellschaft“, so hieß es, könne nur durch das Evangelium gegeben und erst im Reich Gottes wirklich gefunden werden. In der Welt hingegen gälte es, „eine recht erträgliche Mitte zwischen Willkür und Tyrannei“ zu finden. In dem Wort verdeutlichte sich das Bemühen, zu der östlichen und westlichen Position eine kritische Distanz einzunehmen, sich auf keine der beiden Ideologien festzulegen und sich nicht von ihnen in Dienst nehmen zu lassen. Dies geschah unter 317 M. KÜHNE, Protokolle, 17. Sitzung, TOP 2. 318 Abdruck in: J. SEIDEL, Neubeginn, S. 329ff. Die Kirchenprovinz hatte am 30.5.1949 bereits drei Eingaben an die Landesregierung bzw. den Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt gesandt. Diese betrafen die Abteilung K 5 bei der Volkspolizei (vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 56f.), die Vorgänge bei den Volkskongresswahlen (Abdruck in: J. SEIDEL, Neubeginn, S. 325–329) und die Eingriffe in das kirchliche Leben wegen des kirchlichen Verbots von Glockengeläut zum Weltfriedenskongress (vgl. M. KÜHNE, Protokolle, 17. Sitzung, TOP 2). 319 Abdruck in: KJ 76, 1949, S. 34–40. 320 Abdruck in: KJ 76, 1949, S. 54 und KJ 82, 1955, S. 376.

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dem Eindruck der ersten Vollversammlung des ÖRK im August 1948 in Amsterdam, wo eine Parteinahme im Kalten Krieg abgelehnt und die Christen aufgefordert wurden, „neue schöpferische Lösungen zu suchen, die es nicht zulassen, daß Gerechtigkeit und Freiheit sich gegenseitig zerstören.“321 Unter den deutschsprachigen Theologen war es vor allem Karl Barth, der für die Entwicklung einer solchen Alternative plädierte. Seit Kriegsende hatte er sich dafür ausgesprochen, die europäische Christenheit aus dem ideologischen Kampf der Weltmächte herauszuhalten und sie einen „eigenen, dritten Weg“ zwischen den Machtblöcken und zwischen Kommunismus und Kapitalismus gehen zu lassen322. Seinen Gedanken folgten in Deutschland vor allem die Bruderräte. Wiederholt warnten sie vor dem friedensgefährdenden Ost-West-Gegensatz und seiner spaltenden Wirkungen auf die Deutschen. Sie übten Kritik an beiden Systemen und ihren (innen-)politischen Lagern. Sie verwarfen dabei vor allem eine christliche Abendlandkonzeption, welche den Christen eine ausschließliche Option für den Westen abverlangte323 und in Deutschland vornehmlich in katholischen Kreisen vertreten wurde, da hier Anknüpfungspunkte bis zum Karolingischen Reich bestanden. Ähnlich wie Barth stellten sie nicht die demokratische Konstitution der westlichen Gesellschaft per se in Frage, sondern kritisierten vor allem die westliche Politik gegenüber dem Osten und ihre ideologisierende Überhöhung324. Ein alternativer Neuordnungsentwurf, in dem Freiheit und Gerechtigkeit neu miteinander verbunden waren, wurde dabei jedoch nur sehr verschwommen erkennbar. Die internationale und mit ihr die deutsche Entwicklung folgte jedoch keinem „dritten Weg“. Der Prozess der deutschen Teilung, der in ein komplexes außen- und innenpolitisches Beziehungsgeflecht eingebunden war, führte im Mai und Oktober 1949 zur Gründung zweier nichtsouveräner deutscher Staaten mit unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Systemen. Das am 23. Mai 1949 verkündete Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gewährleistete den Kirchen eine starke Stellung in der Gesellschaft, machte aber aus der jungen Bundesrepublik keinen klerikalen Staat. Protestanten und Katholiken hatten im Dezember 1948 den Politikern aller Parteien im Parlamentarischen Rat, mit Ausnahme der KPD, ihre Vorstellungen erläutert. Insgesamt hatten sich jedoch die Katholiken bei den Verhandlungen über das Grundgesetz sehr viel stärker für die Durchsetzung ihrer kulturpolitischen Ziele engagiert325. Die Kirchen konnten zwar den besonderen Schutz von Ehe und Familie durch das Grundgesetz erreichen, nicht aber die christliche Verankerung der Grundwerte und -rechte sowie die Sicherung des Elternrechtes auf christliche Erziehung. Das Grundgesetz enthielt jedoch Garantien für den Religionsunterricht in sämtlichen Schulformen326 sowie für das 321 Zitiert nach: M. GRESCHAT, Christenheit, S. 354. 322 Vgl. u. a. K. BARTH, Kirche. 323 Vgl. das Darmstädter Wort vom August 1947 und das Bruderratswort „Gebt Gott Recht“ vom 2.11.1949. Abdruck in: G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 33ff. und S. 75–80. 324 Vgl. W. KRÖTKE, Karl Barth, S. 280ff. 325 Zum Verhalten von Katholiken und Protestanten im Verfassungsgebungsprozess vgl. P. MIKAT, Verfassungsziele; R. ANSELM, Verchristlichung. 326 Eingeschränkt wurde der bundesweite Religionsunterricht durch die so genannte Bremer Klausel,

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Recht, Privatschulen einzurichten. Durch die Übernahme der Kirchenartikel der Weimarer Verfassung blieben die „Religionsgemeinschaften“ Körperschaften des öffentlichen Rechts und konnten auf der Grundlage der „bürgerlichen Steuerlisten“ Kirchensteuern erheben. Die Staatsleistungen, Rechte und Besitzverhältnisse der Kirchen galten ebenso weiter wie der Schutz der Sonn- und Feiertage. Auch die seelsorgerliche Betätigung in Krankenhäusern und Strafanstalten war weiterhin zugelassen. Die protestantische Presse betonte nach der Verabschiedung des Grundgesetzes und der Gründung der Bundesrepublik deren Provisoriumscharakter. Das „Sonntagsblatt“ sprach von „Notwohnung“, „Notbrücke“ und „Notbehelf“327. Bereits am 3. Mai hatte Bischof Lilje in seinem Referat vor der Kirchenkonferenz über die aktuelle politische Situation ebenfalls die Vorläufigkeit des Geschehens betont: „Wir sollten uns klar machen, daß es sich in Bonn nur um eine Notlösung handelt. Der Charakter der Vorläufigkeit muß in den Vordergrund geschoben werden.“328 Der Rat selbst äußerte sich nicht zur Gründung des Weststaates. Und auch im Wahlkampf zum ersten Bundestag war von ihm nichts zu hören. Ein „Wort der EKD zu den politischen Wahlen“, das ihm vorgelegt wurde, machte er sich nicht zu Eigen329. Dibelius hatte dagegen Bedenken geäußert, weil die Wahlen nur im Westen stattfanden330. Die Ratsmitglieder stellten es daher den westdeutschen Landeskirchen anheim, ihrerseits Stellungnahmen zu den Wahlen zu veröffentlichen, und reichten ihnen zu diesem Zweck durch die Kirchenkanzlei den Entwurf des Wortes als Grundlage für ihre Äußerungen weiter. Einige Landeskirchen veröffentlichten daraufhin Aufforderungen, der Wahlpflicht nachzukommen und einen christlichen Kandidaten zu wählen331. Bischof Lilje publizierte im „Sonntagsblatt“ am 31. Juli einen Wahlaufruf, in dem es hieß: „Auch wenn die bevorstehenden Wahlen einem Parlament gelten, das gewiß nur vorläufige Bedeutung haben kann, muß es doch allen, die ernst und im Glauben die 4. Bitte beten, ernstlich daran gelegen sein, daß wir eine deutsche Obrigkeit bekommen, die in Verantwortungsbewußtsein und Gerechtigkeitssinn handelt und damit den Geboten Gottes gehorcht.“

Ein Aufruf zur Wahl erfolgte auch von Seiten des Deutschen Evangelischen Kirchentages (DEKT), der – noch unter dem Namen Evangelische Woche – vom 27. Juli bis 1. August in Hannover stattfand332. Nach dem Willen seines Gründers, Reinold von Thadden-Trieglaff, war der Kirchentag als eine von der Amtskirche unabhängige daudie besagte, dass da, wo vor dem 1.1.1949 kein bekenntnisgebundener Religionsunterricht existiert hatte, wie in Bremen, dieser auch jetzt nicht eingeführt werden musste. Vgl. hierzu und zum Folgenden M. GRESCHAT, Christenheit, S. 384f. 327 Belege bei U. BAYER, Vorhang, S. 46. 328 Mitschrift Meisers (LKA NÜRNBERG, Meiser 140). 329 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 1.7.1949 (EZA BERLIN, 2/63). Abdruck des Wortes in: KJ 76, 1949, S. 45f. 330 Vgl. Tillmanns an Ranke, 2.6.1949 (EZA BERLIN, 2/1345). 331 Vgl. Protokoll der Sitzung des Rates am 1.7.1949 (EZA BERLIN, 2/63). Worte zu den Wahlen veröffentlichten die Landeskirchen Hessen und Nassau (EZA BERLIN, 2/278), Württemberg (EBD.), Rheinland (EBD.) und Westfalen (KJ 76, 1949, S. 46). 332 Zur Vorgeschichte des DEKT vgl. D. PALM, Brüder, S. 25–45.

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erhafte Institution gedacht, die protestantische Laien zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung aktivierte. Darüber hinaus sollte der Kirchentag die evangelischen Christen in ihrem Glauben stärken und in volksmissionarischer Absicht die eher kirchenfernen Protestanten erreichen333. Am 1. August wurde in Hannover das „Wort zur Bundestagswahl“ verlesen. Darin wurden die Christen aufgefordert, an der Wahl teilzunehmen, auch wenn „nur ein Teil unseres zerrissenen Volkes sich eine Vertretung geben kann.“ Sie sollten christliche Persönlichkeiten wählen, „die sich unserem ganzen Volk verpflichtet fühlen“ und die „für Gerechtigkeit und Frieden eintreten im Gehorsam gegen Gottes Gebot.“ 334 In einem zweiten Wort bat der Kirchentag die „christlichen Brüder in aller Welt“, auf einen „gerechten Frieden“ hinzuwirken, „der auch unserem Volke die Möglichkeit gibt, sich wieder zusammenzufinden“. Denn das deutsche Volk sehne sich „in seiner Zerrissenheit nach einer gemeinsamen Ordnung des Rechts und der Freiheit“335. Mit Ausnahme dieses Wunsches spielte die Situation in der sowjetischen Besatzungszone auf dem Kirchentag keine Rolle, was von Seiten der protestantischen Presse in Ostdeutschland kritisch angemerkt wurde336. Auch befanden sich unter den bis zu 8.000 Kirchentagsbesuchern lediglich zwischen 30 und 40 Protestanten aus der sowjetischen Zone337. Nach Ort, Teilnehmern und Themen war der erste Kirchentag somit eindeutig westdeutsch dominiert. Durch den Vortrag von Willem A. Visser ’t Hooft mit dem Titel „Der Christ zwischen den Nationen“erhielt der Kirchentag aber auch eine ökumenische Dimension und der auf ihm geäußerte Wunsch nach nationaler Einheit einen internationalen Kontext. Der Generalsekretär des ÖRK erinnerte daran, dass die Kirche die „Aufgabe und die Verheißung“ habe, für sich die nationalen Begrenzungen zu durchbrechen338. Die weltweite Ökumene müsse aber auch eine „exemplarische Bedeutung für die Völkerwelt“ haben und versuchen, die „internationale Atmosphäre zu entgiften“339. Und auch der einzelne Christ sei dazu aufgerufen, am „Werk der Versöhnung der Nationen“ mitzuwirken und dafür zu sorgen, dass es zwischen den Nationen zu einer Rechtsordnung kommt340. In seinen Überlegungen über den Bau eines neuen Europa341 griff Visser ’t Hooft auf die frühchristliche Fremdbezeichnung der Christen als „drittes Geschlecht“ zurück342, in dem alle herkömmlichen nationalen, sozialen, kulturellen und politischen Distinktionsmerkmale relativiert sind. Der Generalsekretär sah die Christen als „drittes Ge-

333 Vgl. EBD. S. 12. Zur Geschichte des DEKT vgl. ferner: R. RUNGE, Kirche. 334 Abdruck in: KJ 76, 1949, S. 69. 335 EBD., S. 69f. 336 Gerhard Brennecke: Deutscher Evangelischer Kirchentag. In: ZdZ 3, 1949, S. 339ff., hier S. 341. Vgl. D. PALM, Brüder, S. 58. 337 Vgl. EBD. 338 KIRCHE IN BEWEGUNG, S. 111. 339 EBD., S. 112. 340 EBD., S. 113. 341 Zur Haltung des Protestantismus bei der Entstehung der Europäischen Gemeinschaft vgl. M. GRESCHAT, Protestantismus und die Entstehung. 342 KIRCHE IN BEWEGUNG, S. 118f.

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schlecht“ in einer „zweidimensionalen Welt“ der antagonistischen Ideologien. Im deutschen Protestantismus wurde der Begriff vom „dritten Geschlecht“ später immer wieder zur Charakterisierung der Rolle der Christen im Ost-West-Konflikt im Allgemeinen und in der deutsch-deutschen Auseinandersetzung im Besonderen verwandt. Nach einem kurzen und heftigen Wahlkampf ging aus der ersten Bundestagswahl am 14. August die CDU/CSU mit 31 % knapp als stärkste Partei hervor und stellte mit Adenauer in einer bürgerlichen Koalition zwischen CDU/CSU, FDP und Deutscher Partei den ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Martin Niemöller war der Wahl bewusst ferngeblieben. Allein die Entscheidung überhaupt zu wählen, bedeutete für ihn schon ein deutschlandpolitisches Votum343. Am Wahlabend erklärte er, mit dieser Bundestagswahl sei die Teilung Deutschlands gewählt worden344. Der Rat der EKD diskutierte auf seiner September-Sitzung über den Wahlausgang, wobei die Mitglieder zu unterschiedlichen Einschätzungen kamen. Hanns Lilje wertete das Wahlergebnis als Ausdruck einer „erstaunliche[n] Mäßigung des deutschen Volkes“, vor allem auch angesichts eines „wiedererwachenden Nationalismus“345. Das Urteil des Auslandes über Deutschland war jedoch auf Grund des aggressiven Wahlkampfes und der „nationalistischen Auslassungen“ nach Liljes Beobachtung eindeutig negativ. Auch im ökumenischen Bereich sei die Belastung durch den Verlauf des Wahlkampfes zu spüren. Aus dem angelsächsischen Raum werde es den lutherischen Kirchen angelastet, dass die nationalistischen Tendenzen in Deutschland zunahmen. Während laut Mager in Ostdeutschland Liljes Einschätzung vom gemäßigten Verhalten der westdeutschen Wahlbevölkerung geteilt wurde, lehnte Oberkirchenrat Volkmar Herntrich sie entschieden ab. Er war der Auffassung, dass die national-konservative Deutsche Partei, die im Wahlkampf für die „Anerkennung der Ehre des reinen Soldatentums“ eingetreten war und die „Vertretung des unabdingbaren Anspruchs der Vertriebenen und Flüchtlinge auf ihre alte Heimat“ verlangt hatte346, fast ausschließlich aus Nationalsozialisten bestand und beklagte, dass sie in Hamburg – wo sie 13,1 % der Stimmen erhalten hatte347 – eine „bürgerliche Mehrheit“ verhinderte. Die Frage nach einem wachsenden Nationalismus wurde auch auf der ersten Sitzung der neu gegründeten Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD thematisiert. In der Kammer versammelten sich vom Rat berufene protestantische Vertreter des öffentlichen Lebens sowie Theologen mit dem Ziel, den Rat bei der Wahrnehmung des kirchlichen Öffentlichkeitsauftrages zu beraten. Auf Vorschlag ihres Mitgliedes Gerhard Ritter beschloss die Kammer, sich „vordringlich“ mit der Ausarbeitung eines Wortes über den Nationalismus zu befassen348. Ritter wurde gebeten, einen Entwurf 343 Vgl. Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 17./18.1.1950 (LKA NÜRNBERG, Meiser 140). 344 Vgl. K. HERBERT, Kirche, S. 155. 345 Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 6.9.1949 (LKA NÜRNBERG, Meiser 140). 346 Die DP schaffte auf Bundesebene einen Stimmenanteil von 4 % und zog mit 17 Abgeordneten in den Deutschen Bundestag ein. Vgl. H. MEYN, Partei, S. 22. 347 EBD. 348 Niederschrift über die Tagung der KföV am 26./27.9.1949 von Hansjürg Ranke (EZA BERLIN,

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vorzulegen, der dann Walter Künneth zur Stellungnahme und Überarbeitung zugeleitet werden sollte. Ritters Kundgebungsentwurf begann mit einer geschichtstheologischen Deutung der jüngsten Vergangenheit: Gott habe das deutsche Volk durch eine „geschichtliche Katastrophe“ geführt, damit es lerne, wohin eine Nation gerate, „die falschen Götzen nachläuft, statt Ihm die Ehre zu geben und seine Gebote zu achten, die einer Predigt des Hasses und [der] Anmaßung mit Begeisterung folgt, ohne nach Recht und Unrecht zu fragen.“349 Gegen diese „Lehren der Geschichte“ dürften sich die Deutschen nicht verschließen. Anschließend ging Ritter auf die Entlastungsstrategien der Deutschen ein und billigte ihnen eine gewisse Berechtigung zu. Sie geschähen in „Abwehr weit übertriebener und ungerechter Anklagen, welche die Deutschen schlechthin zu einer verworfenen Menschenklasse stempeln und unserer Nation den sittlichen Anspruch auf Gleichberechtigung unter den grossen Kulturvölkern Europas absprechen möchten.“ Der Rat wisse sehr wohl um die Schuld der „Siegervölker“, doch Gott allein wisse, wen die schwerste Verantwortung treffe. Die Menschen hingegen müssten ihre eigene Verantwortung vor Gott erkennen und bekennen. Der Rat ermahne die Kirchenglieder, sich der „bußfertigen Selbsterkenntnis“ und damit auch der „inneren Erneuerung“ nicht zu entziehen. Er sehe mit Sorge, dass große Teile des deutschen Volkes, „darunter auch viele Glieder der evangelischen Kirchen“, im Begriff seien, „sich innerlich gegen das Gericht Gottes zu verhärten und in die alten Sünden nationalistischer Selbstüberhebung und Selbstsucht zurückzufallen, die Gott an unserem Volk so hart bestraft hat.“ Ungeduld und Empörung über das viele Unrecht, das dem deutschen Volk angetan wurde und werde, verdunkle den Blick für alle Verbesserungen der politischen und wirtschaftlichen Lage und mache blind für das „schwere Maß an Verantwortung, das wir selbst für unser Schicksal zu tragen haben.“ An die Christen ging der Appell, sich von einer solchen „unbußfertigen Gesinnung“ fernzuhalten und sich vor Gruppen und Parteien zu hüten, die anstelle der deutschen Verantwortung allein die Schuld der anderen betonten. Selbstreflexiv wurde gemahnt, dass die Christen schon einmal versäumt hätten, „rechtzeitig und mit der nötigen Kraft und Deutlichkeit Warnrufe zu erheben vor dem Geist des Hasses, der hemmungslosen Lüge und der Anmaßlichkeit, der in der Predigt einer ‚nationalen Revolution‘ verkündet wurde, bis zu unheilvoller Verwirrung und Vergiftung alles politischen Denkens.“ „Wir dürfen heute nicht wieder versagen!“, schrieb Ritter in den Entwurf. Gott rufe die Christen in die Verantwortung, zu warnen und zu helfen, damit das deutsche Volk nicht noch einmal auf den Weg ins Verderben komme: „Predigt jedermann Geduld statt Hass, nüchternen Fleiss, besonnene Ruhe und Festigkeit statt trotziger Anmaßung im Wettkampf der Völker um die Güter dieser Erde.“ Durch ihren eigenen Lebenswandel hatten die Christen das christliche Liebesgebot zu verkündigen. In ihm sah Ritter die Grundlage „echter Gemeinschaftsbildung“350. So en2/1345). Zu Ritters Initiative zu einer Kundgebung gegen den Nationalismus vgl. auch K. NOWAK, Ritter, S. 246–250. 349 Entwurf vom 1.10.1949 (EZA BERLIN, 2/1345). Hieraus auch die Zitate im Folgenden. 350 Zu Ritters Gemeinschaftsbegriff vgl. C. CORNELISSEN, Ritter, S. 408ff.

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dete denn auch sein Entwurf mit dem Satz: „Liebe, die allein imstande ist, Bitterkeit und Haß zu überwinden, auf dass endlich Friede möglich werde auf Erden und eine rechtlich gesicherte Gemeinschaft aller, die guten Willens sind.“ Ritter bat die Kirchenkanzlei, seinen Entwurf auch John Collins, dem Kanzler der Londoner St. Pauls Kathedrale und Chairman der sozial und politisch engagierten „Christian Action“, zu senden, den er kurz zuvor besucht hatte351. Ihm lag wohl daran, dem Ausland zu vermitteln, dass die evangelische Kirche aus ihrer nationalistischen Vergangenheit gelernt hatte und dass sie mit ihrem Eintreten für die deutsche Einheit, gegen alliierte „Schuldpropaganda“352 und für faire Kriegsverbrecherprozesse keine nationalistischen Tendenzen fördern wollte. Collins bat mit Schreiben vom 14. November die Kirchenkanzlei darum, ihm die Kundgebung, nachdem sie angenommen worden sei, zuzusenden, damit er sie im „Christian Action News Letter“ erwähnen und kommentieren könne. Aus seinem Schreiben ging hervor, dass er den Text für sehr bedeutsam hielt353. Künneth zeigte sich in seiner Stellungnahme zu Ritters Entwurf mit dessen Inhalt „im großen und ganzen“ einverstanden354. Gleichzeitig nannte er aber auch „unerlässlich[e]“ Korrekturen und Ergänzungen. Dazu zählte die Frage, woher der Rat eigentlich wisse, dass „viele Glieder der evangelischen Kirchen im Begriff sind, [. . .] in die alten Sünden nationalistischer Selbstüberhebung und Selbstsucht zurückzufallen.“ Er selbst hatte einen solchen Einstellungswandel nicht beobachten können und kannte dieses Urteil nur aus der ausländischen Presse und aus Äußerungen in der Ökumene. Künneth vertrat daher die Auffassung, dass derlei allgemeine, „schwer zu begründenden Urteile rein politischer Art“ nicht vom Rat der EKD „offiziell und autoritativ ausgesprochen werden“ sollten. Die Aussage: „Wir Christen haben schon einmal versäumt [. . .] wir dürfen heute nicht wieder versagen“ hielt der Erlanger Theologe für „ganz unmöglich“. Für ihn gab es keinen aktuellen Anlass, das „Stuttgarter Schuldbekenntnis [. . .] zu wiederholen“. Ritter zeigte sich „erschüttert“, dass Künneth keine neue Welle nationalistischer Ressentiments erkennen mochte355. Im Gegensatz zu Künneth hatte Vizepräsident Benn formale Bedenken gegen den Entwurf: Die Kammer sollte dem Rat nicht nur formulierte Worte, sondern vor allem auch Material für eine Stellungnahme vorlegen356. Auf ihrer Sitzung am 3. und 4. Dezember diskutierten die Kammermitglieder über die Notwendigkeit, dass der Rat zum „neuen Nationalismus“ Stellung nehme357. Es wurde argumentiert, dass die Gefahr des Nationalismus vor allem im Ausland hochgespielt werde, die Kirchenglieder aber in Wahrheit dem Nationalismus „niemals so fern gestanden [hätten] wie heute“. Anstelle des Rates, so 351 Vgl. Ritter an Ranke, 16.10.1949 und Ranke an Collins, 21.10.1949 (EZA BERLIN, 2/1345). 352 So Ritter in seinem Bericht für den Rat vom Dezember 1949. Vgl. C. CORNELISSEN, Ritter, S. 412. 353 Vgl. Entwurf eines Schreibens der Kirchenkanzlei an die Mitglieder des Rates der EKD, 14.12.1949 (EZA BERLIN, 2/1345). 354 Künneth an Ranke, 3.11.1949 (EBD.). 355 Ritter an Ranke, 27.11.1949 (EBD.). 356 Benn an Brunotte, 22.11.1949 (EBD.). 357 Niederschrift über die Tagung der KföV am 3./4.12.1949 (EBD.). Hieraus auch die folgenden Zitate.

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lautete ein Vorschlag, sollten sich mehrere Einzelpersönlichkeiten zu dem Thema äußern, dabei aber das Wort „Nationalismus“ wegen „seiner Mehrdeutigkeit“ vermeiden. Dagegen wurde, vermutlich von dem anwesenden ostdeutschen Ratsmitglied Reimer Mager, eingewandt, dass die Menschen in der DDR Worte der Kirche sehr stark wahrnehmen würden. Für den Osten sei daher ein Wort des Rates Stellungnahmen Einzelner vorzuziehen. Prinzipiell sah Mager den „Anlass eines Wortes zum Nationalismus [. . .] im Blick auf gewisse Entwicklungen in Ostund Westdeutschland und im Interesse eines wirksamen Protestes der Kirche gegen die Ungerechtigkeiten von Kriegsverbrecherprozessen der Siegerstaaten und im Blick auf das Ausland (Oekumene) gegeben.“

Movens für das Wort war demnach nicht allein der Nationalismus, sondern auch dessen vermeintlichen Ursachen, die „Ungerechtigkeiten von Krieggsverbrecherprozessen“. Letztlich entschied sich die Kammer dafür, das Wort über den Nationalismus dem Rat „als ein ratsames Gutachten zu beliebiger Verwendung als Material zur Unterrichtung der Öffentlichkeit (Presse, Pressekonferenz, Gemeinden, Oekumene, Hohe Kommissare usw.), u. U. in getrennten Einzelerklärungen einzelnen Persönlichkeiten zu übergeben.“ Neben den Bedenken, ob die Gefahr eines neuen Nationalismus unter evangelischen Christen überhaupt existierte, hatten die Kammermitglieder noch ein weiteres gewichtiges Hindernis für eine Herausgabe des Textes als offizielle Stellungnahme des Rates angeführt. Bereits am 14. Oktober hatte der Reichsbruderrat ein Wort mit dem Titel „Gebt Gott recht“ herausgegeben, das der Rat zur Verlesung in den Gottesdiensten empfahl. Im Zentrum des Bruderratswortes stand die Aufforderung an die Verantwortungsträger in Ost und West, den Menschen nicht politisch zu instrumentalisieren358. Die Kirche sollte eine ideologische Äquidistanz zu beiden Systemen halten und Brücken schlagen. Kurz ging das Wort auch auf den Nationalismus als ein aktuelles Problem ein: „Wir bitten Euch, Brüder des eigenen Volkes: Erkennt in der Selbstrechtfertigung, die in uns und unter uns unheimlich Raum und Macht gewonnen hat, den Götzen, der unser Volk in den Untergang reißen will und der ihm einredet, ein dritter Weltkrieg oder eine Weltrevolution könnte seine Rettung sein! Sagt Euch endgültig von einem Nationalismus los, der aus der verweigerten Buße stammt und auf die Stunde der Vergeltung wartet! Laßt uns unser Vaterland lieben und sein Bestes suchen, indem wir Gott recht geben und unserem Volk im Gehorsam gegen Gottes Gebote dienen, auch angesichts des Unrechts, zu dem die Siegermächte ihre Gewalt über uns mannigfach mißbrauchen!“359

Ritter selbst hielt das Bruderratswort zwar für „sehr wenig glücklich, nämlich überpathetisch, überladen mit allen möglichen Mahnungen und Einfällen und eher verwirrend als klärend für den Hörer“, jedoch zweifelte er, dass der Rat nun auch noch sein Wort herausgeben könne360. Er beschwerte sich bei der Kirchenkanzlei über das 358 Das Wort ist abgedruckt in KJ 76, 1949, S. 100–103. 359 EBD., S. 77. 360 Ritter an Ranke, 27.11.1949 (EZA BERLIN, 2/1345).

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Nebeneinander von Bruderrat und Kammer für öffentliche Verantwortung, das bei der Veröffentlichung des Bruderratswortes zum Ausdruck gekommen war, und stellte seine weitere Mitarbeit in der Kammer infrage361. Dennoch legte er eine überarbeitete Fassung seines Wortes vor, die am 20. Dezember von der Kirchenkanzlei an die Ratsmitglieder gesandt wurde362. Der Entwurf wurde aber auf der Ratssitzung am 17. und 18. Januar in Halle nicht mehr behandelt363. Eine ausschließlich auf die Nationalismusfrage fokussierte Stellungnahme des Rates erschien zu diesem Zeitpunkt aus zwei Gründen nicht angebracht: Zum einen sollte das Thema Nationalismus auf Wunsch von Kreyssig auf der EKD-Synode vom 23. bis 27. April im Rahmen des Generalthemas „Was kann die Kirche für den Frieden tun?“ behandelt werden364. Zum anderen hielt man die innenpolitische Lage infolge zweier Interviews von Martin Niemöller und Heinrich Grüber für zu angespannt. Damit war Ritters Kundgebungsentwurf faktisch ad acta gelegt. Am 7. Oktober 1949 war mit der Annahme der Verfassung durch die Provisorische Volkskammer auch die Konstituierung der DDR abgeschlossen. Die DDR-Verfassung hatte sich in ihren staatskirchenrechtlichen Bestimmungen gleichfalls eng an die Reichsverfassung von 1919 angelehnt und den Kirchen ähnlich wie das Grundgesetz ein hohes Maß an Privilegien und institutioneller Autonomie garantiert365. Sie enthielt aber auch den Art. 41,2, der besagte: „Einrichtungen von Religionsgemeinschaften, religiöse Handlungen und der Religionsunterricht dürfen nicht für verfassungswidrige Zwecke mißbraucht werden.“ Auf Initiative der Ost-CDU erhielt dieser Absatz allerdings den Zusatz: „Jedoch bleibt das Recht der Religionsgemeinschaften, zu den Lebensfragen des Volkes von ihrem Standpunkt aus Stellung zu nehmen, unbestritten.“366 Auf Grund des „dynamischen Verfassungsverständnisses“ der SED sah die Verfassungswirklichkeit für die Kirchen jedoch schon bald ganz anders aus. Die Gründung des zweiten deutschen Staates, mit seiner zu 82 % evangelischen Bevölkerung367, fand in der protestantischen Presse in der Bundesrepublik deutlich mehr Aufmerksamkeit als in der katholischen368. Im Oktober druckte die „Stimme der Gemeinde“ anlässlich der doppelten Staatsgründung ihren ersten deutschlandpolitischen Artikel. Er stammte aus der Feder von Niemöller und lag in seiner Argumen-

361 Ranke an Tillmanns, 12.12.1949 (EBD.). 362 EZA BERLIN, 2/1345. 363 Vgl. hierzu und zum Folgenden: Vermerk Brunotte, 25.1.1950 (EZA BERLIN, 2/1345); Kirchenkanzlei der EKD an die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland, 22.3.1950 (EBD., 2/1346). 364 Vgl. Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 17./18.1.1950 (LKA NÜRNBERG, Meiser 140). 365 Vgl. H. KREMSER, Rechtsstatus, S. 29–42. 366 Zitiert nach: T. FRIEBEL, Kirche, S. 54. 367 Die katholische Bevölkerung zählte im Oktober 1949 nur 12 %. Vgl. M. HÖLLEN, Distanz, Bd. 1, S. 194. 368 Vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 54.

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tation ganz auf der Linie des Darmstädter Wortes369. Die Christen dürften sich weder mit dem Westen noch mit dem Osten identifizieren; die Kirchen im Westen müssten die ostdeutschen Christen an ihr Zeugnis von der „Freiheit der Kinder Gottes“ erinnern, die Kirchen im Osten die westdeutschen Kirchen an ihre historische Verpflichtung zum Einsatz für „soziale Gerechtigkeit“. In den deutschlandpolitischen Artikeln des „Sonntagsblattes“ wurde die doppelte Staatsgründung durchweg kritisch beurteilt und auf die Brückenfunktion Deutschlands zwischen Ost und West verwiesen370, die der CDU-Politiker Jacob Kaiser schon drei Jahre zuvor ins Zentrum seiner deutschlandpolitischen Überlegungen gestellt hatte371. Gleichzeitig wurde die Klammerfunktion der evangelischen Kirche zwischen Ost- und Westdeutschland betont. Nachdem die Konstituierung der beiden nichtsouveränen deutschen Republiken abgeschlossen war, konnte nun auch die EKD zur doppelten Staatsgründung Stellung nehmen. Auf einer Ratssitzung, die um die ostdeutschen Bischöfe erweitert war, wurde am 12. Oktober das von Gustav Heinemann entworfene „Wort des Rates zur gegenwärtigen politischen Lage“ beschlossen372. Die EKD versuchte darin, sich in eine Äquidistanz zu den zwei Teilstaaten zu bringen, ein Schritt, der angesichts ihrer eigenen gesamtdeutschen Organisationsform geboten schien. So wurden „beide deutsche Regierungen“ als Obrigkeit anerkannt. Zugleich unterstrich der Rat den Provisoriumscharakter der zwei Teilstaaten. Diese verstanden sich allerdings auch selbst als Provisorien. Ihre Regierungen erhoben die Wiedervereinigung zur aktuellen Aufgabe und sahen in ihrem jeweiligen Teilstaat den „Kernstaat“ eines zukünftigen Gesamtdeutschlands, objektiv gesehen allerdings mit unterschiedlicher Legitimation373. Der Rat wies in seinem Wort beiden Regierungen die Aufgabe zu, sich für eine staatliche Wiedervereinigung einzusetzen. Damit votierte er erneut für die politische Einheit der Deutschen als ein für ihn selbstverständliches Ziel. Und auch weiterhin ließ er die Teilung auf kulturnationaler Ebene für sich selbst und für das deutsche Volk nicht gelten. Er wisse sich „für die evangelische Christenheit im Osten und Westen Deutschlands“ verantwortlich, erklärte der Rat, der neben der EKD-Synode das einzige legitimierte, gesamtnationale Organ darstellte. Als Vertreter der größten gesamtdeutschen Organisation übernahm er die Rolle des nationalen Mahners und erklärte: „Trotz aller Entscheidungen der weltlichen Mächte, die über uns herrschen, bleiben wir ein Volk“. Er mahnte zu „brüderlicher Gemeinschaft miteinander und zu brüderlicher Achtung voreinander“. Die Teilung Deutschlands wurde politisch als Folge der Uneinigkeit unter den Besatzungsmächten gewertet. Theologisch gesehen enthüllte sich für den Rat aber in der „Not der Zerrissenheit [. . .] auch das Gericht Gottes über das, was wir versäumt haben.“374 Diese Not könne nur

369 370 371 372 373 374

Stimme der Gemeinde 1, 1949, S. 1ff. Vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 56f. Zu Kaiser vgl. W. CONZE, Kaiser. Abdruck in: G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 68f. Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 504. G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 68.

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durch eine Rückkehr zu Gottes Geboten überwunden werden: „Gottes heilige Gebote sind und bleiben das Fundament für eine gerechte Ordnung im Leben der Völker. Sie verpflichten uns zur Gerechtigkeit und Wahrheit. Sie schließen aus, daß staatliche Ordnungen die freie Gewissensentscheidung mißachten“. Mit letzterer Äußerung drohte der Rat, seine neutrale Haltung aufzugeben. Denn auch wenn Heinemann, inzwischen Bundesminister des Innern, während der Ratssitzung am 12. Oktober darauf hinwies, dass „bei dem Zustandekommen der Regierung im Westen [. . .] ebenfalls viele Unregelmäßigkeiten vorgekommen“ seien375, so zielte die Kritik doch auf die Entstehungsumstände der DDR. Aufgrund der Erfahrung mit der Wahl zum dritten Volkskongress hatte die SED die für 1949 geplanten Wahlen verschoben und die Gründung der DDR ohne Legitimation durch die Wähler vorbereitet. Gegen diese Vorgehensweise protestierte Dibelius in einem persönlichen Brief vom 13. Oktober an Wilhelm Pieck, der zwei Tage zuvor zum Präsidenten der DDR gewählt worden war. Das Schreiben war als Ergänzung zu dem allgemeinen Wort des Rates und seiner verhaltenen und unspezifizierten Kritik gedacht. Denn die Mehrzahl der Ratsmitglieder wollte die Stellungnahme zur doppelten Staatsgründung und die Kritik an den Entstehungsumständen der DDR voneinander trennen376. Es war daran gedacht worden, dass die ostdeutschen Bischöfe an Pieck einen Brief zu den „Gravamina der Ostzone“ schreiben sollten. Dibelius hatte aber den Eindruck, dies würde zu lange dauern und ohne befriedigendes Ergebnis bleiben377. Daher entschloss er sich zu einem Alleingang bei der Ausübung des kirchlichen Wächteramtes gegenüber dem ostdeutschen Teilstaat. Der Berliner Bischof verwies in seinem Brief auf die fragwürdige Legitimität der DDR-Regierung und mahnte freie Wahlen an378. Gleichzeitig erklärte er, dass er der Einladung zum Staatsbankett zur Gründung der DDR am 12. Oktober aufgrund dienstlicher Verpflichtungen nicht gefolgt sei. Am 7. September hatte er dagegen als Ratsvorsitzender der EKD bei der Eröffnung des Bundestages in Bonn gepredigt379. In seinem Antwortschreiben vom 20. Oktober wies Pieck alle Kritik von Dibelius als unbegründet zurück und formulierte seine Erwartungen an den Berliner Bischof: „Es würde dem deutschen Volk und der Kirche sehr dienlich sein, wenn Sie sich gegen die Vorgänge im Westen wenden und sich an der Seite der Provisorischen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik in die nationale Kampffront für die Einheit Deutschlands, einen gerechten Friedensvertrag und für die nationale Unabhängigkeit des deutschen Volkes einreihen würden.“380

375 Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 11./12.10.1949 (LKA NÜRNBERG, Meiser 140). 376 Vgl. EBD. 377 Dibelius an die ostdeutschen Bischöfe, 14.10.1949 (EZA BERLIN, 4/448). 378 Abdruck in: G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 70f. 379 Vgl. O. DIBELIUS, So habe ich’s erlebt, S. 259. 380 Abdruck in: KJ 77, 1950, S. 111ff., hier S. 113.

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Trotz der Kritik an ihrem Zustandekommen wurde auch die DDR von der EKD als staatliche Obrigkeit anerkannt. Für Dibelius war dies kein Widerspruch. Auf der Ratssitzung am 12. Oktober hatte er erklärt: „Eine de facto-Obrigkeit kann von uns immer anerkannt werden, ganz gleich, auf welchem Weg sie zustandegekommen ist; aber sie [die Kirche, C. L.] kann nicht schweigen, wenn die Regierung Dinge tut, die verlogen sind. Man kann eine Regierung annehmen und trotzdem sagen: Eine sittliche Autorität hat diese Regierung nicht.“381

Gleichzeitig und gleichrangig ernannte der Rat mit Beschluss vom 29. November 1949 je einen Bevollmächtigten der EKD an den beiden Regierungssitzen382. Den Kontakt und Informationsfluss zwischen Kirche, Regierung, Bundestag, evangelischen Abgeordneten und Parteien pflegte von Januar 1950 an in Bonn der konservativ-lutherisch geprägte Hermann Kunst aus der westfälischen Kirchenleitung. Heinrich Grüber wurde zum Unterhändler mit der Regierung der DDR berufen383. Er sollte den Kontakt zur Regierung und zur Volkskammer halten und sich über die politische Entwicklung unterrichten. Grüber hatte 1938 im Auftrag der Bekennenden Kirche die Evangelische Hilfsstelle für nicht-arische Christen gegründet und war von 1940 bis 1943 zusammen mit Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaften in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau inhaftiert. Er war bei den Sowjets anerkannt und hatte gute Beziehungen zu Wilhelm Pieck384. Politische Partisanenarbeit für eine der beiden Seiten im Ost-West-Konflikt lehnte er ab; Grüber verstand sich in seinem neuen Amt als „Pontifex“, als Brückenbauer zwischen den beiden politisch-ideologischen Sphären. Sein staatliches Gegenüber wurde die am 1. November 1949 offiziell eingerichtete Hauptabteilung „Verbindung zu den Kirchen“ unter dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR und Vorsitzenden der Ost-CDU Otto Nuschke385. Auch strukturell reagierte die EKD Ende des Jahres 1949 auf die als vorübergehend gedachte Zweistaatlichkeit. Sie tat es allerdings nur informell. Am 30. November sprach sich die Kirchenkonferenz der EKD für die Einberufung einer eigenen Westkonferenz aus. Die inzwischen in Hannover angesiedelte Kirchenkanzlei lud daraufhin mit Schreiben vom 5. Dezember die „Leitungen der deutschen evangelischen Landeskirchen in den Westzonen“ zu einer Kirchlichen Westkonferenz ein und verwies dabei auf die Zusammenarbeit der östlichen Kirchen in der Kirchlichen Ostkonferenz386. Ab Januar 1950 tagte die Kirchliche Westkonferenz regelmäßig und diente dem Gedanken- und Erfahrungsaustausch auf allen Gebieten des kirchlichen Lebens in der Bundesrepublik. Daneben bestand aber weiterhin die gemeinsame Kirchenkonferenz der EKD. 381 Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 11./12.10.1949 (LKA NÜRNBERG, Meiser 140). 382 Protokoll der Ratssitzung vom 29.11.1949 (EZA BERLIN, 2/63). 383 Zu Grübers Tätigkeit vgl. S. RINK, Bevollmächtigte, S. 94–240. 384 Kurt Scharf nannte daher Grübers Wahl zum Bevollmächtigten eine Entscheidung „aus Zweckmäßigkeitsgründen“. Vgl. W.-D. ZIMMERMANN, Scharf, S. 65. 385 Zu deren Gründung und Arbeit vgl. A. SCHALÜCK, Agentur. 386 Vgl. M. KÜHNE, Neuordnung, S. 35f.

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1.3 Deutschlandpolitischer Streit und kirchliche Ost-West-Solidarität 1.3.1 Nationale Einheit und (west-)deutsche Wiederbewaffnung Um die Jahreswende 1949/50 okkupierte vor allem ein Ereignis die Aufmerksamkeit nicht nur der kirchlichen Öffentlichkeit: das Gespräch Niemöllers mit der amerikanischen Journalistin Marguerite Higgins, das am 14. Dezember 1949 als Interview in der „New York Herald Tribune“ erschienen war. Einige darin enthaltene Äußerungen des international renommierten Kirchenvertreters lösten auf Grund ihrer antikatholischen und antiwestlichen Stoßrichtung in der jungen Bundesrepublik einen wahren Pressesturm aus1. Anstoß für „konfessionelle Irritationen“2 war Niemöllers Behauptung, „die derzeitige westdeutsche Regierung [. . .] ward empfangen im Vatikan und geboren in Washington. Die Fortdauer des westdeutschen Staates bedeutet den Tod des kontinentalen Protestantismus.“3 Für noch mehr Empörung sorgte seine angebliche Äußerung, die Deutschen würden um ihrer nationalen Einheit willen auch eine kommunistische Herrschaft in Kauf nehmen. Die katholische Zeitung „Michael“ warf Niemöller daraufhin „theologischen Nationalismus“ vor und forderte, dass endlich eine „christliche Einordnung auch des Wertbegriffs ‚Nation‘“ vollzogen werden müsse4. Die evangelische Wochenzeitung „Christ und Welt“ verlangte eine Stellungnahme des Rates der EKD zum „Fall Niemöller“5. Indirekte Schützenhilfe erhielt der Kirchenpräsident für seine konfessionspolitischen Aussagen von Dibelius. Der Berliner Bischof bat in der Neujahrsausgabe des „Sonntagsblattes“ den „Westen“ darum, sich als „Deutschland“ nicht selbst genug zu sein, das kirchliche Leben in der DDR als „bekennende Kirche“ zur Kenntnis zu nehmen und nicht zu vergessen, „daß wir hier im Osten das einzige große evangelische Gebiet Mitteleuropas sind. Bei euch im Westen ist, wie man sagt, Katholisch Trumpf. Bei uns kommt auf sechs Evangelische allerhöchstens ein Katholik.“6 Für weitere Aufregung sorgte im Januar 1950 ein Artikel von Heinrich Grüber. Der neue Bevollmächtigte der EKD in Ost-Berlin hatte darin die Situation im sowjetischen Internierungslager Sachsenhausen nach Ansicht der westdeutschen Presse zu positiv beschrieben7. Außerdem hatte er es explizit abgelehnt, den aktuellen Zustand vor Ort mit dem des Jahres 1940 gleichzusetzen8. 1 Zu den einzelnen Pressestimmen vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 61–66. 2 Vgl. U. v. HEHL, Irritationen, S. 184. 3 KJ 76, 1949, S. 241. 4 Theologischer Nationalismus. In: Michael, 8.1.1950, S. 2. 5 Ein Fall Niemöller. In: ChrWelt, 29.11.1949, S. 1f. 6 O. Dibelius: Der Osten an den Westen. In: SBl, 1.1.1950, S. 1. 7 Vgl. Kommentar des Berliner Chefredakteurs des Nordwestdeutschen Rundfunks Lothar Mischke vom 29.12.1949. Abdruck in: KJ 76, 1949, S. 238f. sowie allgemein zu den Pressereaktionen U. BAYER, Vorhang, S. 66ff. 8 Abdruck des Artikels in: KJ 76, 1949, S. 235–238. Zu dem Vorfall vgl. auch H. GRÜBER, Erinnerungen, S. 295–303; S. RINK, Bevollmächtigte, S. 121ff.

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Beide Vorfälle beschäftigten den Rat auf seiner Sitzung am 17. und 18. Januar9. Im gesamtdeutschen Gespräch wurde deutlich, dass der „Fall Niemöller“ auch in ostdeutschen Kirchenkreisen hohe Wellen schlug. Moritz Mitzenheim berichtete über die große Empörung in den thüringischen Kirchenkreisen über Niemöllers Behauptung, das deutsche Volk sei bereit, auch eine östliche Diktatur um seiner Einheit willen hinzunehmen. Lothar Kreyssig hielt es für „unfaßlich, daß ein Mann wie Niemöller unseren Peinigern das Stichwort gibt.“ Denn bislang verfolgten die ostdeutschen Kirchenvertreter die Strategie, sich russischen Aufforderungen zu politischen Stellungnahmen mit dem Hinweis zu entziehen, die Kirche müsse sich auf die Verkündigung beschränken. Niemöller selbst nahm auf der Ratssitzung ausführlich zu dem Geschehen Stellung und ließ dabei seine Motivlage in der deutschen Frage erkennen. Das Gespräch mit Higgins hatte seinen Angaben zufolge das Problem der Friedenssicherung zum Thema. Hierzu hatte er eine eindeutige Position, die er auch den Ratsmitgliedern darlegte: „[. . .] das Faktum der zwei Staaten erschwert alle Friedensaussichten. [. . .] Für mich war es nie eine Frage, ob ich eine Einheit des deutschen Volkes auf Kosten des russischen Regimes haben will. Ich sehe den Wert der Einheit nicht in sich selbst, sondern darin, daß wir die Kriegsgefahr loswerden.“ Nach eigenem Verständnis setzte sich Niemöller demnach primär aus friedenspolitischen Motiven für die deutsche Einheit ein. Gegenüber Higgins und in der sich anschließenden Auseinandersetzung in der bundesdeutschen Öffentlichkeit hatte er stets einen kausalen Zusammenhang zwischen deutscher Wiedervereinigung und europäischer Friedenssicherung hergestellt – eine Einschätzung, über die sich linksnationale und nationalkonservative Protestanten prinzipiell einig waren, allerdings nicht über deren politischen Konsequenzen. Niemöllers Auffassung nach konnte es keinen Frieden mit und in Deutschland geben, solange das deutsche Volk auf zwei deutsche „Pseudostaaten“10 aufgeteilt war, die antagonistischen Machtblöcken zugehörten. Er schlug daher vor, dass anstelle der Alliierten die UNO die Besetzung Deutschlands übernehmen und dem Land die Zentralregierung geben sollte, die im Potsdamer Abkommen gefordert war. Dann wäre „der Weg zu einer demokratischen und eigenen deutschen Entwicklung“ – d. h. dem von Niemöller gewollten deutschen Eigenweg – frei und der Frieden gesichert. Higgins, so erklärte der Kirchenpräsident den Ratsmitgliedern, habe aber von ihm hören wollen, dass Westdeutschland ganz auf Seiten der USA stehe. Auf ihre Frage, was im Falle eines Krieges zwischen den USA und der UdSSR geschehen würde, hatte er jedoch geantwortet: „Das deutsche Volk wird das einfach hinnehmen als ein Naturgesetz und die Woge über sich hinweggehen lassen.“ Auf ihre Rückfrage: „Dann würden Sie also eine Besetzung durch die diktatorische Macht Rußlands als Kaufpreis zahlen für die Einheit des deutschen Volkes?“ hatte er erwidert: „Wenn Sie es durchaus so haben wollen, dann mögen Sie es so nehmen.“ 9 Vgl. zum Folgenden die Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 17./18.1.1950 (LKA NÜRNBERG, Meiser 140). 10 So Niemöller in einem Brief an Heinemann. Zitiert nach: KJ 76, 1949, S. 250–253, hier S. 252.

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Niemöller nahm auf der Ratssitzung auch seine konfessionalistischen Aussagen nicht zurück. Den noch stark vom Wilhelminischen Kaiserreich und dessen protestantischer Leitkultur geprägten Kirchenpräsidenten schreckte die Aussicht auf ein katholisch majorisiertes Europa und einen katholisch-kapitalistischen Weststaat. Denn in der jungen Bundesrepublik kam es erstmals in Deutschland zu einem annähernden konfessionellen Gleichgewicht zwischen Protestanten und Katholiken: Hatten die Katholiken im Deutschen Reich von 1871 bis 1945 nur ein Drittel der Bevölkerung ausgemacht, so waren in der jungen Bundesrepublik 44,3 % der Bevölkerung katholisch, 51,5 % evangelisch11. Hinzu kam, dass der erste Bundeskanzler ein dezidierter Katholik war und dem ersten Bundeskabinett neben neun Katholiken nur fünf Protestanten angehörten. Außerdem war die stärkste Regierungspartei, die CDU, von ihren Wählern her gesehen noch eine eindeutig katholische Partei12. Angesichts dieser Sachlage bewegten Niemöller bei seinem Eintreten für die deutsche Einheit auch konfessionspolitische Überlegungen. Er forderte, dass der Verlust der überwiegend protestantischen Ostgebiete und die Gründung der DDR mit ihrer mehrheitlich protestantischen Bevölkerung politisch dahingehend in Rechnung gestellt werden müsse, dass die westdeutschen Protestanten ihre „evangelische Aufgabe im öffentlichen Leben unseres Volkes doppelt ernst nehmen und daß wir weder vergessen noch verschweigen, daß wir uns durch keinerlei Vorteile, die man uns hier im Westen bietet, zur Anerkennung des Status quo verführen lassen dürfen.“13 In seinen Aussagen zum Verhältnis Bonn – Washington – Rom sah sich Niemöller durch einen Artikel in der amerikanischen Wochenzeitschrift „The Christian Century“ bestätigt. In dem Redaktionsartikel wurde unter der Überschrift „Is the Cold War a Holy War?“ die Befürchtung geteilt, dass Deutschland als Hauptfestung des europäischen Protestantismus fallen könnte: „After a few more years of struggle, if power continues in the hands of the dominantly Catholic church party, West Germany may well become what Niemöller’s warning asserted it now is – another Catholic government. Should this happen the consequences for Protestantism throughout Europe, as well as in Germany itself, would be very grave. With East Germany under a regime officially Communist, and hence eager to sap the strength of Protestantism there, an West Germany in Catholic hands, the day would be brought much closer when the papal church could hope to take ascendancy over all the Continent outside the Russian orbit. Niemöller, in pointing to such a prospect, has spoken openly what many thoughtful German leaders have come to fear.“14

Die US-amerikanische Regierung intendiere zwar eine solche Entwicklung nicht, mache sich aber die konfessionspolitischen Folgen des von ihr geführten Kalten Krieges nicht klar: „Germany ist not the only country where the moves we have made, in our determination to 11 12 13 14

Zahlen nach U. v. HEHL, Irritationen, S. 167. Vgl. EBD., S. 169. So Niemöller in einem Brief an Heinemann. Abgedruckt in KJ 76, 1949, S. 250–253, hier S. 251. The Christian Century, 11.1.1950, S. 39ff., S. 40.

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hold back any communist advance and to whittle down the strength of Russia, have altered the religious picture by increasing the power of Roman Catholicism.“

Die europäischen Protestanten würden sich fragen, ob Amerika „while it says it is fighting a cold war for its own political and social ends, [is] also fighting a holy war for the achievement of Vatican ambitions?“15 In den Augen von „Christian Century“ und Niemöller war der Katholizismus der Profiteur des Kalten Krieges, der europäische Protestantismus der Verlierer. Gegenüber den Ratsmitgliedern unterstrich Niemöller, dass er in dem Interview lediglich seine persönliche Meinung geäußert und nie den Eindruck erweckt habe, als spreche er im Namen der EKD. Im Rat widersprach ihm vor allem Lilje, sowohl in der Sache als auch hinsichtlich der Einschätzung der öffentlichen Wirkung der Niemöllerschen Äußerungen. Nach Ansicht des hannoverschen Bischofs wurde das Interview als Aussage der evangelischen Kirche verstanden, dass die Deutschen die Einheit auch um den Preis einer kommunistischen Diktatur wollten. Im Gegensatz zum „Fall Niemöller“ wurden die Äußerungen Grübers vom Rat nur kurz thematisiert. Kreyssig teilte das „stärkste Befremden“ der „Altpreußischen Kirchenleitung“ über Grübers Artikel mit. Seit 1945 habe nichts die Gemeinden stärker erregt. Am Ende seiner Aussprache entschloss sich der Rat „einmütig“ zu einer Erklärung, in der zu Niemöllers und Grübers Aussagen Stellung genommen wurde16. Der Rat unterstrich darin zunächst, dass es sich in beiden Fällen um eigenverantwortliche Aussagen Einzelner gehandelt habe. Anschließend äußerte er sich zu den aufgeworfenen Fragen. Unter Punkt eins erklärte er: „Würde und Freiheit des Menschen sind nach christlicher Lehre unantastbar. Auch die Einheit des deutschen Volkes, unter deren Verlust wir heute mit unserem ganzen Volke schwer leiden, darf nicht mit der Preisgabe dieser Würde und dieser Freiheit erkauft werden.“17 Damit stellte die EKD ihren traditional, konfessionell und weltanschaulich motivierten Wunsch nach nationalstaatlicher Einheit unter den Vorbehalt der Freiheit und Menschenwürde und ordnete damit den „Wertbegriff ‚Nation‘“ diesen beiden nach oder allenfalls gleich. Diese – zumindest leichte – Präferenz der Freiheit gegenüber der Einheit konnte als Votum für den Westen gelesen werden. Denn „Freiheit“ wurde in der jungen Bundesrepublik zum Kriterium nationaler Ordnungsvorstellungen18 und zur wichtigsten Legitimationsressource gegenüber dem kommunistischen Osten. War mit dieser Aussage vor allem Lilje befriedigt, so schien der nächste Abschnitt Niemöller entgegen zu kommen: „Die Evangelische Kirche in Deutschland kann den infolge der Politik der Besatzungsmächte entstandenen eisernen Vorhang nicht anerkennen. Er stellt eine ständige Bedrohung des Friedens und damit der Freiheit der Menschen und der Völker dar.“19 Diese Aussage enthielt die Kausalkette: Die durch Deutschland verlaufende Systemgrenze gefährdet den 15 16 17 18 19

EBD., S. 41. Abdruck in KJ 76, 1949, S. 253f. EBD., S. 253. Vgl. M. R. LEPSIUS, Teilung, S. 223. KJ 76, 1949, S. 254.

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Frieden und infolgedessen die Freiheit. Im dritten Absatz sprach sich der Rat grundsätzlich gegen Konzentrationslager und das Festhalten von Menschen ohne geordnetes Gerichtsverfahren aus. Im letzten Absatz berief er sich auf die gemeinschaftsstiftende Erfahrung der beiden Konfessionen im Kampf gegen „antichristliche Mächte“. Er erklärte aber auch, dass die „konfessionellen Gewichtsverschiebungen“ nicht ignoriert werden dürften20. Aus einer solchen Äußerung wurde erkennbar, dass der innere Abschied kirchlicher Funktionsträger von der protestantischen Majoritätsstellung in der deutschen Gesellschaft noch seine Zeit brauchte. Nach der gemeinsamen Stellungnahme des Rates verdeutlichte Niemöller seine eigene Position noch einmal in einem öffentlichen Brief an Gustav Heinemann, dem er sich seit der Zeit des „Kirchenkampfes“ verbunden fühlte. Erneut schlug er vor, Deutschland durch die UNO besetzen zu lassen, was Heinemann zu diesem Zeitpunkt für irreal hielt21. Mit seiner UNO-Lösung für Deutschland reagierte Niemöller als erster kirchlicher Repräsentant auf die Frage nach einer militärischen Westintegration der Bundesrepublik. Eine solche verfolgte Adenauer sehr bald nach der Regierungsbildung als Etappenziel auf dem Weg zu einer engen Bindung der Bundesrepublik an den Westen. Bereits am 4. Dezember 1949 hatte der Bundeskanzler in einem Interview mit dem „Cleveland-Plain-Dealer“ den Amerikanern indirekt eine westdeutsche Wiederbewaffnung angeboten. Mit seinem darauf reagierenden Vorschlag eröffnete Niemöller eine vehemente innerkirchliche Debatte über die Wiederbewaffnung und ihre Auswirkungen auf die Wiederherstellung deutscher Einheit, welche die nächsten Jahre bestimmen sollte. Die Auseinandersetzung um die Wiederbewaffnung brachte dabei aber nicht nur die EKD an den Rand ihrer Existenz, sondern wühlte die Westdeutschen insgesamt auf, wie kein anderes Thema seit dem Zweiten Weltkrieg. Einige Jahre lang drohte der Streit den inneren Frieden des jungen Weststaates zu zerstören22. Zu einem ersten, eher indirekten Votum der EKD in dieser Debatte kam es auf ihrer Synode im April 195023. Diese stand angesichts der allgemein verbreiteten Angst vor einem Dritten Weltkrieg, nunmehr zwischen den ehemaligen Alliierten der Anti-Hitler-Koalition, unter der Leitfrage: „Was kann die Kirche für den Frieden tun?“ Eine symbolische Antwort darauf war bereits die Einladung an die vier Stadtkommandanten der geteilten Stadt, die Stadtverwaltungen von West- und Ost-Berlin sowie die Regierungen von Bundesrepublik und DDR, an einem Empfang anlässlich der Synode in Ost-Berlin teilzunehmen. Der einladende Präses der Synode, Gustav Heinemann, widersetzte sich dem „ideologischen Entweder-Oder“ seiner Zeit und warb für eine innerdeutsche Kommunikation, um die Gegensätze abzumildern24. Adenauer jedoch forderte seinen Innenminister auf, von den ausgesprochenen Einladungen Abstand

20 EBD. 21 Vgl. D. KOCH, Kritik, S. 210 und S. 212f. 22 Vgl. H.-P. SCHWARZ, Ära Adenauer. Gründerjahre, S. 119. 23 BERLIN-WEISSENSEE 1950. Vgl. zur Synode auch T. FRIEBEL, Kirche, S. 366–372; D. KOCH, Heinemann, S. 118–129; J. VOGEL, Kirche, S. 90–116; K. NOWAK, Evangelische Kirche in Deutschland, S. 271. 24 Vgl. A. DOERING-MANTEUFFEL, Adenauer, S. 44.

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zu nehmen, was Heinemann mit einem Rücktrittsangebot beantwortete. Der Kanzler ging nicht darauf ein, distanzierte sich aber von der Einladung25. Zwischen Januar und April wurde das Thema der Synode in kirchlichen und politischen Kreisen vorberaten. Auf Initiative Niemöllers trafen sich am 13. März in Darmstadt Vertreter der evangelischen Kirche mit hessischen Politikern von CDU, SPD und KPD zu einem Gedankenaustausch über die Möglichkeiten der gesamtdeutschen evangelischen Kirche zu friedensfördernden Schritten26. Die Teilnehmer konnten sich aber nicht darauf einigen, ob die Kirche in der Friedensfrage konkret Stellung nehmen sollte oder nicht. Iwand und Dibelius, die beide der Ansicht waren, dass die evangelische Kirche in einer von Kriegsangst geprägten Weltlage entschieden für den Frieden eintreten müsse, entwarfen unterdessen parallel zueinander Vorlagen für ein Friedenswort der Synode, die im Reichsbruderrat und in der Kammer für öffentliche Verantwortung besprochen wurden27. In beiden Texten lag der Fokus auf der Situation im geteilten Deutschland und auf deren Verbesserung. Iwand verlangte im ersten Teil seines Entwurfes, Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg zu ziehen und daher „den Frieden [zu] suchen und der Gerechtigkeit [zu] dienen.“28 Dazu gehörte für ihn die Absage an einen inhumanen Nationalismus, eine allgemeine Aufrüstung und an den Krieg als solchen. In einem zweiten Teil benannte Iwand die negativen Erscheinungsformen des Kalten Krieges in beiden deutschen Staaten als Friedenshindernisse und bat „die beiden deutschen Notregierungen“ sowie die Besatzungsmächte, „einheitliche freie Wahlen“ in ganz Deutschland zu ermöglichen. Wenige Wochen zuvor hatte der US-amerikanische Hochkommissar John McCloy freie gesamtdeutsche Wahlen als Weg zu einer deutschen Wiedervereinigung vorgeschlagen29. Die Bundesregierung hatte am 22. März das Thema aufgegriffen und in einer „Erklärung zur Wiederherstellung der deutschen Einheit“ freie, international überwachte Wahlen zu einer Nationalversammlung gefordert, die eine gesamtdeutsche Verfassung ausarbeiten sollte30. Als Voraussetzung für die Verwirklichung dieses Plans nannte sie die „persönliche und politische Bewegungs- und Betätigungsfreiheit“ in ganz Deutschland31. Iwand sah in freien gesamtdeutschen Wahlen den „erste[n] solide[n] Schritt zur Aufhebung des kalten Krieges.“32 Diesem sollten dann weitere folgen: „Wir sehen nur einen Weg, das deutsche Problem zu lösen, die Räumung Deutschlands und seine Eingliederung in die europäische Völkerfamilie, die nicht mehr durch einen eisernen Vorhang um ihre natürliche Zusammengehörigkeit gebracht ist.“33 Im letzten Teil seines Friedenswortes wollte Iwand die EKD auf einen gesellschaftspolitischen „dritten Weg“ einschwören: 25 26 27 28 29 30 31 32 33

J. MÜLLER, Volkspartei, S. 35. Aufzeichnung abgedruckt in: J. VOGEL, Kirche, S. 230–248. Vgl. EBD., S. 90. Abdruck in: EBD., S. 248–256, hier S. 249. Abdruck der Presseerklärung vom 28.2.1950 in: DOKUMENTE, II/ Bd. 3, S. 55f. Abdruck in: EBD., S. 127f. EBD., S. 127. Vgl. J. VOGEL, Kirche, S. 254. EBD.

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„Wir glauben, daß der Gegensatz von Kapitalismus und Kommunismus – auch unter reinen Nützlichkeitsgesichtspunkten gesehen – einen neuen Krieg nicht wert ist. Wir glauben, daß es ein gemeinsames Drittes gibt, und daß die Völker auf der ganzen Welt heute dieses Dritte suchen – und auch finden werden.“34 Ohne längere Reflexionen über Vergangenheit, Schuld und Kalten Krieg, wie bei Iwand, wandte sich Dibelius in seinem wesentlich kürzeren Entwurf mit fünf konkreten Bitten an die „verantwortlichen Staatsmänner in aller Welt“. Er forderte sie auf, 1. Friedensverträge abzuschließen, 2. das Recht der Menschen zu sichern, in ihrer „angestammten Heimat ein Leben in Freiheit zu führen“, 3. allen „zivilisierten Nationen“ zu ermöglichen, durch demokratische Wahlen über die Form ihres staatlichen Lebens zu entscheiden, 4. die Systemgrenzen durch wirtschaftliche und kulturelle Zusammenschlüsse zu entschärfen, und 5. ein Ende der „unnatürlichen Aufspaltung Deutschlands“ durch einheitliche Wahlen zu ermöglichen35. An die europäischen Kirchenleitungen appellierte Dibelius, durch gemeinsame ökumenische Tagungen die feindselige Atmosphäre zwischen den Völkern überwinden zu helfen. Zudem warb er um gemeinsame Fürbitten der Kirchen für den Frieden. Die Kammer für öffentliche Verantwortung diskutierte den Entwurf von Dibelius und kam zu dem Schluss, dass die Erklärung der Synode drei Punkte enthalten sollte: die Schilderung der aktuellen Friedlosigkeit, den Appell an die Christen unter „Vermeidung jeglichen Defaitismus“ sowie ein Wort an die Staatsmänner36. Der im Auftrag des Rates erarbeitete Entwurf, wie er der Synode zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegt wurde, war dann bereits ein Kompromiss zwischen den beiden Vorentwürfen37. Die Synode konnte vom 23. bis 27. April ungehindert in Ost-Berlin tagen. Im Rechenschaftsbericht des Rates ging Dibelius ausführlich auf das Selbstverständnis der gesamtdeutschen EKD ein: „In einem zerrissenen deutschen Vaterlande, in dem zwischen Ost und West nur noch eine sehr lockere Lebensgemeinschaft besteht, steht die Evangelische Kirche als eine Einheit, die sich für die Gesamtheit ihrer Glieder und für unser gesamtes Volk verantwortlich weiß und dieser Verantwortung in gemeinsamen Beratungen und Entschlüssen gerecht zu werden sich bemüht. [. . .] Wir bekennen uns nicht nur zur Einheit Deutschlands, wie wir das mehr als einmal, und zwar aus sorgfältig erwogenen kirchlichen Gründen getan haben, sondern wir verwirklichen sie an unserem bescheidenen Teil und sind uns dankbar dessen bewußt, daß wir damit unserem ganzen deutschen Volk, über die Grenzen der Konfessionen hinaus einen wichtigen seelsorgerlichen Dienst tun.“38

Angesichts dieses nationalen Verantwortungsbewusstseins verwundert es nicht, dass das allgemein gehaltene Synodenthema von den Synodalen vornehmlich unter der Frage diskutiert wurde: Was kann die EKD zur Vermeidung eines bewaffneten Ost34 35 36 37 38

EBD., S. 255. EBD., S. 257. Abdruck in: EBD., S. 256ff. Vgl. EBD., S. 102. BERLIN-WEISSENSEE 1950, S. 27. Hervorhebungen im Original.

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West-Konfliktes unter Einschluss der Deutschen tun? Die Antworten differierten. Nach Auffassung von Walter Künneth durfte die Kirche keine direkte Einflussnahme auf die Politik ausüben, auch nicht in Friedensfragen. Niemöller erklärte dagegen, im Wissen um den Frieden Christi müsse die Kirche mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zur Vermeidung eines weiteren Krieges beitragen. Auch in der Beurteilung des Krieges selbst war die Synode gespalten. In der Minderheit befanden sich die Vertreter eines entschiedenen Pazifismus sowie die Befürworter des Krieges als Mittel der Politik angesichts verteidigungswürdiger westlicher Werte. Die Mehrheit lehnte den Krieg aus eher „pragmatischen Überlegungen“39 ab, vornehmlich aufgrund der Existenz der modernen Massenvernichtungswaffen. Zu den pragmatischen Überlegungen zählte auch das nationale Argument, dass in einem weiteren Weltkrieg Deutsche gegeneinander kämpfen müssten. Die Einheit der Nation wurde somit zu einer Bezugsgröße kirchlichen Friedensdienstes. Die Warnung vor einem möglichen „Bruderkrieg“ fand auch Eingang in das verabschiedete Friedenswort der Synode, auch wenn der Begriff selbst gestrichen wurde: „Wir rufen allen Gliedern unseres Volkes im Westen und im Osten zu: Werdet eindringlich und unermüdlich vorstellig bei allen, die in politischer Verantwortung stehen, daß sie nicht in einen Krieg willigen, in dem Deutsche gegen Deutsche kämpfen. Wir legen es jedem auf das Gewissen, zu prüfen, ob er im Falle eines solchen Krieges eine Waffe in die Hand nehmen darf.“40

Diese Sätze konnten als national motivierte Ablehnung allein schon einer deutschen Wiederbewaffnung gelesen werden. Die Wehrfrage stand aber noch nicht im Mittelpunkt der Synode. Dort, wo sie bereits thematisiert wurde, geschah dies unter Hinweis auf die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und auf einen möglichen „Bruderkrieg“ in ablehnender Form41. Die nationale Verengung der Frage der Kriegsdienstverweigerung, wie sie in der zitierten Textpassage erfolgte, wurde an einer anderen Stelle des Wortes jedoch wieder aufgehoben. Dort bat die EKD-Synode die Regierungen weltweit, die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen zu ermöglichen. Die daran angeschlossene Absichtserklärung der evangelischen Kirche, künftig für Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen einzutreten, bedeutete geradezu einen Traditionsbruch in der protestantischen Kriegsethik. Die Aussagen zur Deutschlandfrage bewegten sich hingegen in bereits bekannten Bahnen: einerseits die Bitte an die deutsche Bevölkerung, sich nicht zu Instrumenten des Kalten Krieges machen zu lassen, andererseits der Appell an die Siegermächte, die Kriegsgefangenen freizulassen, Friedensverträge abzuschließen, die Zonengrenze zu beseitigen und den Deutschen die Möglichkeit zu geben, sich in Freiheit eine neue Rechtsordnung für Gesamtdeutschland zu schaffen. Die beiden deutschen Regierungen wurden aufgefordert, sich für soziale Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit einzusetzen. Die christlich motivierte und deut39 K. NOWAK, Evangelische Kirche in Deutschland, S. 271. 40 G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 87–93, hier S. 90f. 41 Vgl. J. VOGEL, Kirche, S. 99.

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lich länger ausgeführte Anmahnung von Rechtsstaatlichkeit zielte unausgesprochen auf die DDR. Die gleiche Stoßrichtung verfolgte die Warnung an die Christen, sich „nicht zum Werkzeug irgendeiner Friedenspropaganda, die in Wirklichkeit Haß sät und den Krieg betreibt“, machen zu lassen42. Beides führte dazu, dass das öffentlich plakatierte Wort im Osten als Hetze gegen die „Friedensfront“ und gegen die Verfassung der DDR bezeichnet und an vielen Orten durch die Polizei entfernt wurde43. In einzelnen Passagen verwies das Friedenswort auch über die deutsche Frage hinaus. So in dem Appell an die Regierungen in aller Welt, „sich zusammenzuschließen in einer neuen Gemeinschaft des Rechtes, in welcher der Friede mit allen erdenklichen Mitteln gesucht und gewahrt wird.“44 Auf die kirchliche Unterstützung einer „internationalen Rechtsbildung und der allmählichen Integration der Staaten in einer wirklichen Staatengemeinschaft“ hatte vor allem Visser ’t Hooft insistiert45. Er und Hanns Lilje hatten auf der Synode die beiden theologischen Grundsatzreferate zum Friedensthema gehalten. Im Juni 1950 schlug im Fernen Osten der Kalte Krieg in einen bewaffneten Konflikt um: Nord-Korea marschierte in Süd-Korea ein46. Hatten schon vorher die Westalliierten den Gedanken eines westdeutschen Wehrbeitrages erwogen, so schien der Koreakrieg die Wiederbewaffnung Westdeutschlands dringlich zu machen. Der Westen glaubte, ohne westdeutsche Divisionen den Status quo nicht mehr aufrechterhalten zu können. In der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit gab der Ausbruch des Koreakriegs und die von der Bundesregierung genährte Furcht in der deutschen Bevölkerung, Deutschland könne jederzeit ebenso wie das geteilte Korea Opfer eines östlichen Angriffs werden, der Diskussion um eine Wiederbewaffnung verstärkt Auftrieb. Die Bundesdeutschen glaubten sich gegen einen kurz bevorstehenden Angriff der Volkspolizei wappnen zu müssen. Die „Kasernierten Bereitschaften“ der Volkspolizei waren in Ostdeutschland bereits seit 1948 unter der Anleitung der SMAD aufgestellt worden und kamen einer getarnten Wiederaufrüstung gleich47. Auch innerkirchlich wurde seit Ausbruch des Korea-Krieges offen und kontrovers über die Frage einer westdeutschen Wiederbewaffnung debattiert. Zu den prominenten protestantischen Gegnern einer militärischen Westintegration zählten Niemöller, Heinemann, Iwand, der westfälische Präses Ernst Wilm sowie der Bonner Systematiker Helmut Gollwitzer. Sie gingen nicht in allen Motiven und Zielsetzungen konform und differierten vor allem in ihrer Haltung zum Westen als gesellschaftliches, kulturelles und wirtschaftliches Leitbild. So waren Niemöller und Iwand im Unterschied zu Heinemann und Gollwitzer eindeutige Befürworter eines gesellschaftspolitischen „dritten Weges“. Gemeinsam war ihnen jedoch die Furcht vor einer Rückkehr der Deutschen

42 43 44 45 46 47

G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 90f. Vgl. T. FRIEBEL, Kirche, S. 372. G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 92f. BERLIN-WEISSENSEE 1950, S. 83. Vgl. zum Folgenden W. LOTH, Korea-Krieg. Zur Geschichte der Kasernierten Volkspolizei vgl. T. DIEDRICH, Armee.

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zu einer „militaristischen Mentalität“ sowie die Sorge, eine Wiederbewaffnung könne die friedliche Lösung der deutschen Frage erschweren und die Spaltung Deutschlands vertiefen. Friedensethische Überlegungen verbanden sich mit nationalen Wünschen, der Gedanke der Entspannung mit der Hoffnung auf ein geeintes Deutschland zwischen den Blöcken. Als entschiedener Gegner der evangelischen Nationalneutralisten48 tat sich neben anderen evangelischen CDU-Politikern Eugen Gerstenmaier hervor. Seit 1949 Mitglied des Bundestages, war er ein klarer Befürworter der politischen und militärischen Westbindung der Bundesrepublik. Gerstenmaier hielt die Wiederbewaffnung zum Schutz von Frieden, Freiheit und Recht auch für „christlich geboten“49. Er folgte Adenauer in seiner Argumentation, dass eine Politik der wirtschaftlichen und militärischen Stärke der Bundesrepublik im Bündnis mit den Westmächten zu einer friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit führen werde. Die deutsche Einheit wurde damit allerdings zum Fernziel. Erstmals leidenschaftlich geführt wurde die Diskussion auf dem zweiten Deutschen Evangelischen Kirchentag, der im August 1950 in Essen stattfand50. Gerstenmaiers Kontrahent war hier der Pfarrer und niedersächsische Flüchtlingsminister Heinrich Albertz (SPD). Er plädierte dafür, die knappen Ressourcen des jungen Weststaates anstatt in Rüstung in den Wiederaufbau und die Integration der Flüchtlinge zu investieren. Der Abbau sozialer Ungerechtigkeiten biete den besten Schutz vor dem Bolschewismus und einem drohenden Krieg – ein Argument, das auch linkskatholische Wiederbewaffnungsgegner teilten51. Die Diskussion setzte sich auf der Kirchenkonferenz der EKD fort, die am Rande des Kirchentages stattfand. Innenminister Heinemann konfrontierte die Konferenzteilnehmer mit der Frage, wie er sich im Bundeskabinett zur Sicherheitsfrage stellen sollte52. Während der Diskussion darüber reifte bei der Mehrzahl der Teilnehmer die Überzeugung, dass die EKD offiziell zur aktuellen Lage Stellung nehmen musste. Nicht einig war man sich, welchen Inhalt eine solche Stellungnahme haben sollte. Der Greifswalder Bischof Karl von Scheven mahnte zur Zurückhaltung, damit die Erklärung die Situation der ostdeutschen Landeskirchen und den Erhalt der gesamtdeutschen EKD nicht gefährde. Die EKD sollte sich daher nicht gegen die Aufrüstung der kasernierten Volkspolizei äußern. Nach Mitzenheim konnte ein kirchliches Wort, das die Erklärung von Weißensee konkretisieren wollte, 48 Der in der Zeitgeschichtsforschung gängige Terminus „Nationalneutralismus“ bezeichnet hier wertneutral jene politischen Strömungen, die ein geeintes Deutschland außerhalb von östlichen und westlichen Militärbündnissen anstrebten (vgl. A. GALLUS, Neutralisten, S. 16f.). A. Gallus zeigt in seiner Arbeit, dass der Nationalneutralismus während der deutschen Teilung ein äußerst heterogenes und widersprüchliches Phänomen war. Die Gemeinsamkeiten bestanden weder in einer organisatorischen Einheit, noch in motivationaler Eindeutigkeit, noch in gleichlautenden gesellschaftlich-politischen Dritten-Wegs-Vorstellungen. Die Neutralisten griffen lediglich in jeweils individueller Mischung auf ein gemeinsames Sortiment von deutschland- und sicherheitspolitischen Denkfiguren und Argumentationsmustern zurück (vgl. EBD., S. 469). 49 So Gerstenmaier auf dem DEKT im August 1950. Zitiert nach: D. KOCH, Heinemann, S. 156. 50 Vgl. D. PALM, Brüder, S. 69–76. 51 Vgl. A. DOERING-MANTEUFFEL, Kirchen, S. 321. 52 Vgl. T. FRIEBEL, Kirche, S. 378.

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nur gegen die Spaltung Deutschlands und für einen Friedensschluss plädieren. Während der Thüringer Bischof in seinem Diskussionsbeitrag implizit eine westdeutsche Aufrüstung akzeptierte, befürwortete der sächsische Synodalpräsident Mager sie explizit mit dem Hinweis: „Der kleine Mann versteht dort [in der DDR, C. L.] nicht, daß der Westen völlig ungeschützt gelassen wird“53. Auch Dibelius, Haug und Meiser hielten eine Wiederbewaffnung Westdeutschlands für notwendig. Wilm, Niemöller sowie der Vorsitzende der anhaltischen Kirchenleitung Waldemar Schröter sprachen sich hingegen für einen kirchlichen Protest gegen eine deutsche Rüstung aus. Die Diskussion setzte sich auf der Ratssitzung am Folgetag mit ähnlichen Frontstellungen fort54. Lilje warnte vor „semipolitischen“ Ratschlägen. Kreyssig hielt es angesichts der Kriegsgefahr für „schmerzlicher [. . .], wenn wir die Chance der Wehrlosigkeit und der noncooperation verlören.“55 Gegen die Stimmen von Lilje, Herntrich und Meiser verabschiedete der Rat mit knapper Mehrheit eine Erklärung, in welcher viele friedensethische und deutschlandpolitische Aussagen von Weißensee einschließlich der nationalen Argumentation wiederholt wurden. Neu war die Aussage, dass „jedes geordnete Staatswesen“ die Berechtigung zu einem „ausreichende[n] Polizeischutz“ habe – eine positive Bezugnahme auf entsprechende Pläne zur Verstärkung der Bundespolizei. Anschließend hieß es aber: „Einer Remilitarisierung Deutschlands können wir das Wort nicht reden, weder was den Westen noch was den Osten anbelangt.“56 Dieser für die weitere Diskussion zentrale Satz war zwar kein ganz deutliches Nein zu den Wiederbewaffnungsplänen – zumal für Dibelius ein Freiwilligenheer gar nicht unter den Tatbestand einer „Remilitarisierung“ fiel57 –, aber doch eine Distanzierung von ihnen aus primär nationalen Motiven. Das Wort des Rates setzte allerdings keinen Schlusspunkt unter die innerkirchliche Auseinandersetzung. Der Streit sollte nun erst richtig beginnen. Am 31. August bat Heinemann aus Protest gegen einen einsamen Vorstoß Adenauers in der Wiederbewaffnungsfrage um seine Entlassung als Innenminister58. Der Bundeskanzler hatte ohne Konsultation der Kabinettsmitglieder am 29. August McCloy ein Sicherheitsmemorandum vorgelegt, in dem er die Bereitschaft für ein deutsches Militärkontingent innerhalb einer zukünftigen Europa-Armee signalisierte59. Heinemann stieß sich nicht nur an der Vorgehensweise des Kanzlers, sondern vor allem auch an dessen Zielsetzung60. Er verlangte aus innen- und außenpolitischen Gründen, dass die Bundesrepublik zu diesem Zeitpunkt auf eine Initiative in Richtung einer 53 Zitiert nach: EBD., S. 380. 54 Vgl. EBD., S. 381. 55 Zitiert nach: EBD. 56 Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Wiederaufrüstung vom 27.8.1950. Abdruck in: G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 98ff., hier S. 99. 57 Vgl. T. FRIEBEL, Kirche, S. 381. 58 Zu den geteilten Reaktionen der katholischen und evangelischen Presse auf Heinemanns Rücktritt vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 82–91. 59 Abdruck in: DOKUMENTE, II/Bd. 3, S. 933–936. Vgl. M. GÖRTEMAKER, Geschichte, S. 298. 60 Vgl. D. KOCH, Heinemann, S. 211.

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militärischen Westintegration verzichten sollte. Nach außen tangiere die westdeutsche Wiederaufrüstung das russische Sicherheitsinteresse und bedrohe damit den Frieden, nach innen gefährde sie das noch instabile demokratische Bewusstsein der Westdeutschen, vor allem aber verfestige sie die Teilung Deutschlands, argumentierte der Politiker Heinemann61. Der Christ Heinemann fügte ein geschichtstheologisches Argument hinzu: Gott habe den Deutschen zweimal die Waffen aus der Hand geschlagen, nun dürften sie nicht erneut nach ihnen greifen, sondern müssten das von Gott auferlegte Strafgericht annehmen. Politik aus christlicher Verantwortung hieß für Heinemann, in schwierigen Situationen aus dem in der Geschichte zu erkennenden Willen Gottes die Konsequenzen für das eigene politische Handeln zu ziehen. Aber weder Adenauer noch die meisten Katholiken und Protestanten teilten diese theologische Überzeugung62. Am 9. Oktober gab Adenauer dem Rücktrittsgesuch seines Innenministers statt. Im deutschen Protestantismus fand Heinemanns Position vornehmlich in bruderrätlichen Kreisen Unterstützung, die jedoch von seinen politischen Gegnern auch gegen ihn verwandt werden konnte. In eher moderatem Ton lehnte am 29. September der Bruderrat der EKD in seinem Wort zur Wiederaufrüstung eine solche im Hinblick auf die gesamtdeutsche Problematik für West- und Ostdeutschland ab. Er plädierte dafür, die östliche Ideologie auf „geistigem Wege“ und durch die Herstellung von sozialer Gerechtigkeit zu überwinden, anstatt auf militärische Stärke zu setzen63. Fünf Tage später wurden Niemöller und Vertreter junger Bruderschaften aktiv. Letztere waren auf Initiative von Niemöller und Herbert Mochalski, Geschäftsführer des Bruderrates der EKD, im März 1950 erstmals zusammengerufen worden und bildeten nun die Speerspitze der linken kirchlich-politischen Opposition gegen die Wiederbewaffnung64. Niemöller und die Bruderschaften griffen in zwei offenen Briefen Adenauer harsch an und warfen ihm vor, dass er im Geheimen bereits die Aufrüstung der Bundesrepublik betreibe65. In beiden Briefen wurden Bundestagsneuwahlen gefordert, die zum Plebiszit über die Wiederbewaffnung werden sollten. Den Vorschlag zu Neuwahlen hatte als erster der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher ins Gespräch gebracht66. Gleichfalls am 4. Oktober veröffentlichten die Jungen Bruderschaften das Flugblatt „An die Gewehre? Nein!“ Neben den beiden offenen Briefen an Adenauer und dem Wort des Reichsbruderrates enthielt es eine „Handreichung an die Gemeinden zur Wiederaufrüstung“67. In dieser wurde mit antiwestlicher Stoßrichtung von den Deutschen politische Neutralität im Ost-West-Konflikt gefordert, aus nationalen 61 Vgl. hierzu G. HEINEMANN, Sicherheit und U. SCHÜTZ, Heinemann, S. 283. Zur „theologisch-politischen Grundhaltung“ Heinemanns vgl. J. MÜLLER, Volkspartei, S. 47–80. 62 Vgl. A. HILLGRUBER, Heinemann, S. 505. 63 KJ 77, 1950, S. 167f., hier S. 168. 64 Vgl. zu den Treffen der Jungen Bruderschaften D. BUCHSTÄDT, Kirche, S. 145–164. 65 J. VOGEL, Kirche, S. 174ff. 66 Vgl. Rede Schumachers auf der gemeinsamen Tagung der SPD-Körperschaften in Stuttgart am 17.9.1950. Abdruck in: DOKUMENTE, II/Bd. 3, S. 320–325. 67 Abdruck in: KJ 77, 1950, S. 169–174.

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Motiven eine Remilitarisierung strikt abgelehnt, zur Kriegsdienstverweigerung aufgefordert und selbst eine Verstärkung der Polizei abgelehnt. In ihren Aussagen tendierte die Handreichung deutlich zu einer Theologisierung der Politik. Ihre Verfasser traten mit geradezu prophetischem Anspruch auf und stellten damit die Christlichkeit ihrer politischen Gegner infrage. In ihrer polemischen Tonlage war die Handreichung als Kampfansage an die Regierung Adenauer zu verstehen und löste daher einen Sturm der Entrüstung aus. Adenauer selbst konzentrierte seinen Vorwurf des religiös-politischen Schwärmertums maßgeblich auf Niemöller und traf mit ihm auch Heinemann. In einer Rundfunkansprache am 11. Oktober wies Adenauer den Vorwurf Niemöllers, die Aufrüstung sei bereits angelaufen, als „frei erfunden“ zurück und bezeichnete den Kirchenpräsidenten als Opfer von „Mystifikationen“68. Der Polemik des Bundeskanzlers folgte die Polemik Niemöllers, in der dieser sowohl die Rolle der EKD überschätzte als auch in problematischer Weise die Legitimität des Bundeskanzlers mit der des Ministerpräsidenten der DDR gleichsetzte. Am Tag der Volkswahlen in der DDR erklärte Niemöller auf einer öffentlichen Kundgebung in Frankfurt am Main anlässlich des „Männersonntags“ der evangelischen Kirche: „Ja, sie [die EKD, C. L.] ist heute nach Gottes Fügung die letzte und einzige Größe, die noch für die Freiheit des ganzen Volkes ihre Stimme erheben kann und dann auch das Risiko ihres Eintretens selber trägt und weiter zu tragen bereit ist! Weder Herr Dr. Adenauer noch Herr Grotewohl können das tun, sie haben die Vollmacht nicht, und sie wissen, daß sie sie nicht haben. Und wenn heute das ganze deutsche Volk in Freiheit wählen könnte, dann stünde keiner von diesen beiden Männern an seiner Spitze.“69

Adenauer nutzte daraufhin seine Rede auf dem 1. Bundesparteitag der CDU dazu, dem Präsidenten des Kirchlichen Außenamtes der EKD vorzuwerfen, er habe „dem deutschen Volke im Inlande und im Auslande schwersten Schaden zugefügt“70. Im Sinne der christlichen Abendlandkonzeption hielt er Niemöller entgegen: „Niemals kann ich anerkennen, daß es Gottes Wille sein soll, daß wir je unser Vaterland und Westeuropa der Herrschaft des christentumfeindlichen Bolschewismus tatenlos überlassen sollen.“71 Adenauers heftige Reaktion auf Niemöllers Brief erklärt sich aus der Befürchtung des Bundeskanzlers, dass der Kirchenpräsident in dem aufgeheizten Klima große Teile der evangelischen Christen für einen Frontalangriff gegen die CDU und, wie er meinte, auch gegen die junge Bundesrepublik mobilisieren könnte72. Auf dem Parteitag stellten sich die evangelischen Delegierten in einer Entschließung demonstrativ hinter die Politik Adenauers und gegen Niemöllers Vorgehen73. Implizit machten sie in ihrer und durch ihre Entschließung deutlich, dass es sich bei dieser Auseinandersetzung nicht um einen konfessionellen Gegensatz handelte. Dennoch 68 69 70 71 72 73

DOKUMENTE, II/Bd. 3, S. 362ff., hier S. 362. KJ 77, 1950, S. 186–190, hier S. 190. Auszugsweiser Abdruck der Rede in: DOKUMENTE, II/Bd. 3, S. 375–381, hier S. 380. EBD., S. 381. Vgl. H.-P. SCHWARZ, Ära Adenauer. Gründerjahre, S. 123. Vgl. KJ 77, 1950, S. 191.

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war von Herbst 1950 an nicht zu übersehen, dass im Unterschied zum Protestantismus die katholische Kirche und der Laienkatholizismus relativ geschlossen hinter Adenauers Politik der politischen und militärischen Westintegration standen74. Innerprotestantisch spitzte sich der politische und kirchenpolitische Streit so sehr zu, dass er die Kirche zu spalten drohte und beide Seiten das Interpretament „Kirchenkampf“ benutzten. Mitte Oktober meldete sich Karl Barth mit einem Brief zu Wort, der am 1. November als Flugblatt in ganz Deutschland verbreitet wurde75. Der Basler Theologe nannte darin sieben innen- und außenpolitische Gründe gegen eine westdeutsche Wiederbewaffnung, in denen auch seine Vorbehalte gegenüber dem Westen zum Ausdruck kamen. Er argumentierte, dass 1. kein drittes Mal eine deutsche Jugend in einem Krieg geopfert werden dürfe; 2. eine Aufrüstung für einen „Bürgerkrieg“ unzumutbar sei; 3. eine Remilitarisierung der gerade erst entmilitarisierten Deutschen moralisch nicht vertreten werden könne; 4. eine westdeutsche Remilitarisierung die Sowjetunion provoziere und damit den Frieden gefährde; 5. es fraglich sei, ob eine westdeutsche Aufrüstung wirklich der Verteidigung Deutschlands und nicht nur der von Westeuropa diene; 6. anstelle einer Wiederaufrüstung Sozialpolitik finanziert werden solle; 7. in Europa nicht schon wieder der deutsche „totale Soldat“ auftauchen dürfe. Neben diesen moralischen und politischen Argumenten gegen eine westdeutsche Bewaffnung enthielt Barths Brief auch eine Antwort auf die an ihn gerichtete Frage, ob man es in der Wiederbewaffnungsfrage innerhalb der EKD auf einen neuen „Kirchenkampf“ ankommen lassen dürfe. Der Theologe riet den Wiederbewaffnungsgegnern, in ihrer Position auf jeden Fall fest zu bleiben: „Der Fall des guten und darum notwendigen Bekenntnisses im Verhältnis von Christengemeinde und Bürgergemeinde dürfte gegeben sein.“76 Nach Ansicht der beiden lutherischen Landeskirchen von Bayern und Hannover waren „Kirchenkampf“-ähnliche Zustände bereits erreicht. Sie distanzierten sich am 24. Oktober von Niemöller und seiner theologisch begründeten politischen Argumentation77. Innerhalb des Reichsbruderrates kam es zu schweren Auseinandersetzungen über das Flugblatt „An die Gewehre? Nein!“78. Neues Öl ins Feuer schüttete ein Kommuniqué über das Treffen von „Vertretern der Bekennenden Kirche“ mit Vertretern der SPD am 30. Oktober in Darmstadt79. Darin wurde der Konsens der Beteiligten in der Frage der Wiederbewaffnung und in der Forderung nach Neuwahlen festgestellt. Dahinter stand die Überlegung, dass sich in einem vorgezogenen Urnengang Protestanten, die Adenauers Wiederbewaffnungspolitik nicht folgen wollten, zur SPD umorientieren würden. In der Aussprache hatten die SPD- und die Bruderschaftsvertreter vor74 Vgl. A. DOERING-MANTEUFFEL, Katholizismus; DERS., Kirchen, S. 319–322. 75 Abdruck in: KJ 77, 1950, S. 214–220. 76 EBD., S. 220. 77 Erklärung des Landeskirchenrates der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern; Entschließung der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche Hannovers (beide EBD., S. 193f.). 78 Vgl. J. VOGEL, Kirche, S. 134f. 79 Abdruck in: KJ 77, 1950, S. 220. Das Treffen war eines der „Gespräche mit der SPD“, die zwischen 1947 und 1950 infolge kirchlicher Initiative in Detmold und Darmstadt zustande kamen und den Dialog zwischen evangelischer Kirche und SPD fördern sollten. Vgl. M. MÖLLER, Kirche, S. 141.

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rangig aus der nationalen Perspektive argumentiert: Das nicht souveräne deutsche Volk und Deutschland würden zum Hauptopfer und Schlachtfeld einer bewaffneten OstWest-Auseinandersetzung werden und schon eine „Remilitarisierung“ mache die Trennung des deutschen Volkes zu einer „absoluten“80. Dass es trotz der gemeinsamen Einschätzung der Folgen einer westdeutschen Wiederbewaffnung zu keiner politischen Zusammenarbeit zwischen Bruderrat und SPD kam, lag an der Ablehnung von Seiten der SPD und an den ansonsten differierenden politischen Vorstellungen der Protagonisten etwa in Bezug auf die repräsentative Demokratie, die Brückenfunktion Deutschlands und den Kommunismus81. Angesichts der öffentlichen und innerkirchlichen Erregung berief Dibelius für den 17. November die Kirchenkonferenz und den Rat der EKD nach Berlin-Spandau ein. Die Aussprache kreiste vor allem um die Frage nach Form und Grenzen politischen Redens kirchlicher Amtsträger82. Als Diskussionsergebnis verabschiedete der Rat eine Erklärung, in der er die Einheit der evangelischen Kirche bekräftigte und seine Aussagen zur „Remilitarisierung“ vom August 1950 relativierte. Die deutsche Wiedervereinigung blieb ebenso unerwähnt wie die Gefahr eines „Bruderkrieges“. Dafür wurde in der Erklärung der innerkirchliche Pluralismus in wichtigen politischen Fragen wie der Wiederbewaffnungsdebatte anerkannt: „Der Rat weiß, daß die Gemeinschaft im Glauben nicht die Einheitlichkeit der politischen Urteile einschließt. Auch die Frage, ob eine wie immer geartete Wiederaufrüstung unvermeidlich ist, kann im Glauben verschieden beantwortet werden.“83 Die Haltungen von Niemöller und Heinemann wurden gewürdigt und fanden Niederschlag in der Aufforderung: „Wir ermahnen alle, die im Osten oder Westen Verantwortung tragen, in dieser Frage mit letztem Gewissensernst zu handeln und sie nicht gegen den Willen des Volkes zu entscheiden.“84 Zugleich bat der Rat aber die kirchlichen Amtsträger um Zurückhaltung in ihren politischen Äußerungen. Über allen Einzelaussagen stand der Wille, die ohnehin fragile kirchliche Gemeinschaft nicht weiter durch die politischen Kontroversen zu gefährden. In ihrem Festhalten an der Gemeinschaft war die EKD auch durch einen Brief des ÖRK bestärkt worden85. Die Kritik an Niemöllers Vorgehen kam in der Kirchenkonferenz verstärkt von ostdeutscher Seite86. Die ostdeutschen Kirchenvertreter standen vor dem Problem, dass jede westdeutsche Äußerung aus dem kirchlichen Raum zu den Wiederaufrüs-

80 Bericht eines Teilnehmers des Treffens. Abdruck ohne Namensnennung in: KJ 77, 1950, S. 221f., hier S. 221. 81 Vgl. zum Darmstädter Treffen auch F. HARTWEG, Schumacher, S. 197. 82 Vgl. Mitschrift Meisers (LKA NÜRNBERG, Meiser Mappe I, 11) und Smends (NL SMEND) über die Kirchenkonferenz der EKD am 17.11.1950. Eine ausführliche Darstellung der Kirchenkonferenz findet sich in: T. FRIEBEL, Kirche, S. 386–391. 83 Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zu Fragen des öffentlichen Lebens. Abdruck in: G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 101f., hier S. 101. 84 EBD. 85 Bell und Visser ’t Hooft an Dibelius, 8.11.1950 (NL SMEND). 86 Vgl. Mitschrift Meisers (LKA NÜRNBERG, Meiser Mappe I, 11) und Smends (NL SMEND) über die Kirchenkonferenz der EKD am 17.11.1950.

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tungsplänen der Bundesrepublik für die Friedenspropaganda der DDR instrumentalisiert und gegen sie ausgespielt wurde. Denn die DDR war in der westdeutschen Wiederbewaffnungsdebatte als eine der Streitparteien präsent und stellte sich dabei als Vertreterin des Friedens dar. Begriff und Vorstellung von „Frieden“ aber wurden zu Beginn der fünfziger Jahre im Zuge der kommunistischen Weltfriedensbewegung mit der sozialistisch-marxistischen Ideologie für identisch erklärt und damit zur „Waffe im kalten Krieg“87. In der DDR hatte im September 1950 Otto Nuschke den Slogan ausgegeben: „ex oriente pax – aus dem Osten kommt der Friede!“ Der evangelische Christ Nuschke war Vorsitzender der Ost-CDU, deren Parteiführung gerade dabei war, sich der Hegemonie der SED zu unterwerfen88. Im Zuge ihrer Friedenspropaganda schlachteten die DDR-Medien auch Niemöllers Votum gegen „Adenauers volksfeindliche Kriegspolitik“ aus. Die Nationale Front, im Oktober 1949 von der SED als Block der ostdeutschen Parteien sowie Massenorganisationen ins Leben gerufen und als propagandistisches Instrument der SED-Deutschlandpolitik eingesetzt89, verteilte den Brief Niemöllers an Adenauer in millionenfacher Auflage. Dies geschah genau einen Tag vor der ersten ordentlichen Volkskammerwahl in der DDR, die über Einheitslisten erfolgte und von der Propaganda als Votum für den Frieden stilisiert wurde. Im Vorfeld der Wahlen hatte die SED eine eigene Kommission für Kirchenfragen eingesetzt. Diese setzte die so genannten „Friedenskomitees“, welche es sich zur Aufgabe machten, „Friedensfreunde aus allen politischen und weltanschaulichen Lagern“ zu vereinen, auf die Pfarrer an90. Auf der Kirchenkonferenz am 17. November charakterisierte Dibelius die unbeabsichtigte Wirkung des Niemöllerbriefes auf die Pfarrhäuser in Ostdeutschland als „Dolchstoß“91. Die drei ostdeutschen Bischöfe Beste, Hahn und Mitzenheim berichteten, dass die DDR-Regierung den Brief für den Versuch benutzt hatte, die Pfarrerschaft zu spalten. Sie selbst waren gefragt worden, warum sie sich nicht gleichfalls gegen die westdeutsche „Remilitarisierung“ aussprechen würden. Der Versuch der ostdeutschen Regierung, Pfarrer und Kirchenleitungen mit Hilfe von Niemöllers Äußerungen auseinander zu dividieren, schlug jedoch fehl. Die wenigen so genannten „Friedenspfarrer“, welche die Einheits- und Friedenspolitik der SED bzw. der Nationalen Front unterstützten, blieben in ihren Kirchen weitgehend isoliert. Dennoch war durch die Instrumentalisierung des Niemöller-Votums deutlich geworden, dass die in der EKD zusammengeschlossenen ost- und westdeutschen Kirchen im geteilten Deutschland eine Haftungsgemeinschaft bildeten, die zu Vor- und Rücksicht zwang. Entgegen der Hoffnung der SED ließ sich Niemöller jedoch nicht vor den Karren der ostdeutschen Politik spannen. Als er im November Pieck öffentlich als

87 So der Titel eines Aufsatzes von M. BEINTKER. 88 Vgl. M. RICHTER, Ost-CDU, S. 289–333. 89 Zur Nationalen Front als Instrument der SED-Deutschland- und Kirchenpolitik vgl. die Fallstudie für den Norden der ehemaligen DDR G. DIEDERICH, Front. 90 Vgl. SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 29 und S. 31f. 91 Mitschrift Meisers (LKA NÜRNBERG, Meiser Mappe I, 11) und Smends (NL SMEND) über die Kirchenkonferenz der EKD am 17.11.1950.

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Hindernis auf dem Weg zur deutschen Einheit bezeichnete, ging die SED zeitweise auf Distanz zu ihm92. Eine weitere – nun militärische – Westintegration der Bundesrepublik hätte für die UdSSR das Ende jedes Versuchs bedeutet, in Anlehnung an die Potsdamer Übereinkünfte Einfluss auf die Gestaltung Gesamtdeutschlands zu nehmen. Daher wurden seit Herbst 1950 die Sowjetunion und mit ihr die osteuropäischen Staaten einschließlich der DDR deutschlandpolitisch aktiv. Am 20. und 21. Oktober trafen sich in Prag die östlichen Außenminister und formulierten neben einer scharfen Ablehnung der westdeutschen Wiederaufrüstung den Vorschlag, einen gesamtdeutschen, paritätisch aus Vertretern West- und Ostdeutschlands gebildeten Rat als Vorstufe einer gesamtdeutschen Regierung zu schaffen93. Anfang November schlug dann die Sowjetunion eine Viermächtekonferenz zur Regelung der deutschen Frage im Sinne eines neutralen Gesamtstaates vor94. Auch der Ton der SED gegenüber der Bundesrepublik wurde zu diesem Zeitpunkt etwas versöhnlicher95. Ganz auf der „Prager Linie“ der UdSSR schrieb der DDR-Ministerpräsident am 30. November an Adenauer einen Brief, der am 5. Dezember im „Neuen Deutschland“ veröffentlicht wurde96. Grotewohl bot darin dem Bundeskanzler Verhandlungen über die Bildung eines „Gesamtdeutschen Konstituierenden Rat[es]“ an97. Dieser sollte eine provisorische gesamtdeutsche Regierung vorbereiten, die Vier Mächte bei der Ausarbeitung eines Friedensvertrages mit Deutschland konsultieren und gesamtdeutsche Wahlen organisieren. Wohl noch in Unkenntnis dieses Grotewohlbriefes brachte der stellvertretende württembergische Landesbischof Hartenstein auf der Sitzung des Rates der EKD am 6. Dezember den Entwurf eines Wortes an die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen ein98. Darin wurde auf die „äußerst gefährliche und kritische Entwicklung“ der Situation in Deutschland verwiesen. Ursache hierfür sei die politische Teilung und die Aufrüstung, wie sie in der DDR bereits in Gang sei und in der Bundesrepublik als Reaktion darauf in Gang gesetzt werde. „Wir befürchten“, hieß es in dem Text, „daß wenn hier nicht neue konstruktive politische Linien gefunden werden, diese Entwicklung zu einer Katastrophe führen wird.“99 Als „Vertretung der evangelischen Christenheit von Gesamtdeutschland“ schlug der Rat in Hartensteins Entwurf konkrete Maßnahmen vor, um „zur Rettung des Friedens in Europa und in der Welt“ die deutsche Teilung „schrittweise“ zu überwinden: 1. Die UNO sollte die vier Besatzungsmächte auffordern, ihre Truppen abzuziehen und Gesamtdeutschland eine einheitliche, aus freien Wahlen hervorgegangene deutsche Regierung zu gewähren. 2. Anstelle 92 Vgl. DOKUMENTE, II/Bd. 3, S. XLIII. 93 Auszüge aus der Prager Erklärung abgedruckt in: DOKUMENTE, II/Bd. 3, S. 382ff. 94 Vgl. Note der Regierung der UdSSR an die Regierung Frankreichs vom 3.11.1950. Abdruck in: EBD., S. 411f. 95 Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 132f. 96 Zum Grotewohlbrief vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 134–142; DERS., Chance. 97 DOKUMENTE, II/Bd. 3, S. 452f. 98 Entwurf im NL SMEND. 99 EBD.

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der abziehenden Besatzungstruppen müsste die UNO Sicherheitstruppen mit Soldaten aus neutralen Staaten in Deutschland stationieren. 3. Die Sicherheitstruppen dürften erst wieder abziehen, wenn in Deutschland eine „klare demokratische Entwicklung“ gewährleistet, Deutschland in die Gemeinschaft der Vereinten Nationen eingegliedert und in Europa und der Welt eine politische Entspannung eingetreten wäre. Der auf ein neutrales Gesamtdeutschland zielende Entwurf war innerhalb des Rates umstritten. Während sich Hartenstein, Kreyssig, Niesel, Heinemann, Mager und Niemöller für ihn aussprachen, waren Lilje, Dibelius, Meiser und tendenziell auch Hahn gegen eine derartige Eingabe bei der UNO100. Vor allem Lilje votierte gegen einen so konkreten deutschlandpolitischen Vorschlag von Seiten des Rates: Er sei nicht christlich zu begründen und werde auch nicht von allen Christen geteilt. Der hannoversche Bischof setzte sich im Rat mit dieser Position durch. Auf Vorschlag von Dibelius verabschiedeten die Ratsmitglieder anstelle des Wortes an die Vereinten Nationen ein Wort an die christlichen Kirchen der Welt. Damit war die Initiative politisch entschärft. In dem von Hartenstein und Lilje entworfenen Text bat der Rat die christlichen Kirchen, durch ihre Regierungen bei den Vereinten Nationen dahin zu wirken, dass unverzüglich „konkrete Maßnahmen“ zur friedlichen Lösung der Deutschlandfrage ergriffen würden101. Er selbst sei nicht in der Lage, „unmittelbar politische Vorschläge zu vertreten“, sondern müsse es den Regierungen und den Vereinten Nationen überlassen, ob sie eine Viermächtekonferenz, eine Aktion der UNO oder eine andere Maßnahme für das geeignete Mittel hielten. Der Rat bat jedoch darum, dass die Regierungen „ohne Rücksicht auf nationale Sonderinteressen und Prestigefragen neue Wege zur Befriedung der Welt“ beschritten. Das Wort des Rates trat angesichts der öffentlichen Diskussion über den Grotewohlbrief schnell in den Hintergrund. Die DDR-Regierung inszenierte in Ostdeutschland eine großangelegte „Zustimmungskampagne“ und in Westdeutschland eine im Wesentlichen von der KPD geleitete „Massenaktion“, die darauf zielte, die Bundesregierung zur Annahme des Vorschlags zu bewegen102. Die westdeutsche Bevölkerung reagierte auf den Vorschlag mit einer Mischung aus Hoffnung und Skepsis. Eine deutliche Mehrheit wollte Ende Dezember, dass Adenauer auf die Initiative eingehe, obgleich man keine großen Erwartungen an Gespräche knüpfte103. Bonn reagierte auf Grotewohls Vorschläge nach außen hin zunächst zurückhaltend. Der Bundeskanzler selbst nahm eine abwägende Haltung ein104. Er wusste um die Stimmung in der Bevölkerung, und dass auch eine Reihe zwar antikommunistisch, aber national denkender Persönlichkeiten in der Bundesrepublik zugunsten der Wiedervereinigung für ein

100 Vgl. Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 6.10.1950 (LKA NÜRNBERG, Meiser 140). 101 Abdruck in: G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 107f. 102 Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 134. 103 HICOG Report Nr. 55, 28.12.1950. Vgl. F. SCHUMACHER, Krieg, S. 190. 104 Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 137.

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Gespräch mit der SED zu gewinnen waren. Dazu zählten auch Kirchenvertreter, die bereit waren, auf innerdeutscher Ebene vermittelnd tätig zu werden. Auf DDR-Seite wiederum war man an einer solchen Vermittlung durch die Kirchen und ihren leitenden Persönlichkeiten interessiert. So fand am 30. Dezember in Halle eine Unterredung zwischen dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, seinem Innenminister sowie Vertretern der Magdeburger Kirchenleitung statt105. Darin erbaten die Regierungsvertreter, laut eines Berichts des teilnehmenden Lothar Kreyssig, „die Vermittlung der Kirche zu Verhandlungen in der Richtung des Grotewohlbriefes“106. Auf die Frage der Kirchenvertreter, ob sie „allgemeine[n], freie[n], gleiche[n] und geheime[n] Wahlen als unerläßliche Grundlage einer Einigung“ zustimmen würden, wurde dies mit „Ja“ beantwortet. Man wisse, so die beiden SED-Politiker, dass dies einige „entscheidende Errungenschaften“ in der DDR kosten würde, sei aber angesichts der Kriegsgefahr zu dem „Opfer“ bereit. Obgleich er sich der Problematik dieses Angebots bewusst war, notierte Kreyssig: „Die Möglichkeit überhaupt nicht wahrzunehmen, erscheint nicht verantwortbar.“107 Am 30. Dezember schrieb Johannes Dieckmann, Präsident der Volkskammer und stellvertretender LDPD-Vorsitzender, an Bundestagspräsident Hermann Ehlers von der CDU, seinem ehemaligen Bundesbruder aus dem Verein Deutscher Studenten108. In seinem Brief appellierte er an Ehlers’ christlich fundiertes Nationalgefühl: „Die unselige Trennung unseres nach göttlichem Willen und nach allem menschlichen Recht eine natürliche Einheit bildenden und darum zusammengehörigen Volkes hat uns in die das Leben unserer Nation bedrohende Gefahr einer tiefen Entfremdung geführt. [. . .] Wir müssen uns deshalb, wenn diese künstliche Entfremdung nicht zur endgültigen Zerreißung Deutschlands und damit zum Untergang der deutschen Nation führen soll, über alle in diesen Jahren aufgerichteten künstlichen Schranken hinweg wieder als deutsche Nation zusammenfinden.“109

Um „Deutschland willen“ dürfe der Grotewohlbrief daher nicht länger unbeantwortet bleiben, setzte Dieckmann den Bundestagspräsidenten moralisch unter Druck. Einen Tag später erschien im Berliner Sonntagsblatts „Die Kirche“ unter der Überschrift „Quosque tandem. Gedanken zur Jahreswende“ ein anonymer Leitartikel, der von Heinrich Grüber stammte. Darin wurde vorgeschlagen, die Regierungschefs der beiden deutschen Teilstaaten sollten sich als Zeichen des guten Willens im Haus des Ratsvorsitzenden der EKD treffen. Das Angebot stieß in der Presse und vor allem in

105 Vgl. zu dem Treffen PONTIFEX, S. 54–80; T. FRIEBEL, Kirche, S. 396ff.; G. BESIER, SED-Staat, S. 85– 106. 106 Kreyssig fertigte über die Besprechung zwei Berichte an. Der Bericht vom 2.1.1951 ist abdruckt bei: M LOTZ, Kirche, S. 80f., hier S. 80. Der Bericht vom 31.12.1951 ist ebd. auszugsweise abgedruckt (S. 81). 107 EBD., S. 81. 108 Vgl. A. MEIER, Ehlers, S. 372. 109 Der Briefwechsel zwischen Dieckmann und Ehlers ist abgedruckt in: JK 12, 1951, S. 88ff., hier S. 88.

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den protestantischen Blättern auf positive Resonanz110. Die Bundesregierung reagierte dagegen zurückhaltend111. Am 5. Januar 1951 berichtete der von Kreyssig ins Vertrauen gezogene Dibelius in einem Brief an Ehlers über das Gespräch in Halle112. Der Bischof überließ es ihm, Adenauer über die Vorgänge zu unterrichten und erklärte sich zögerlich zu Vermittlungsdiensten zugunsten des „rein Menschliche[n]“ bereit. Da der Bundestagspräsident, im Unterschied zu Adenauer, keine sich bietende Chance zu einem gesamtdeutschen Dialog ungenutzt verstreichen lassen wollte, um die Wiedervereinigung voranzubringen, arrangierte er für Anfang Januar eine Begegnung zwischen Kreyssig und Adenauer. Der ehemalige Kirchenjurist Ehlers113 hoffte, wie wohl die Mehrheit der protestantischen Kirchenführung, in der deutschen Frage auf beides: auf Westintegration und Wiedervereinigung114. Am 10. Januar trafen sich in Grübers Amtssitz der Bevollmächtigte und Heinemann mit den SED-Politikern Franz Dahlem und Hermann Axen zu einem Gespräch über den Grotewohlbrief_115. Heinemann fragte, ob sich die DDR-Regierung mit dem Abzug der Besatzungstruppen und ihrem Ersatz durch neutrale schwedische Kontingente einverstanden erklären würde. Er bekam zur Antwort, dass das deutsche Volk gar keine Besatzung wolle. Im weiteren Gespräch konnte man sich weder über die Stärke der ostdeutschen Kasernierten Volkspolizei noch über die Modalitäten der gesamtdeutschen Wahlen einigen. Die beiden SED-Funktionäre versuchten jedoch zu erfahren, ob sich der Rat der EKD auf seiner Sitzung am Folgetag für eine Ost-WestVerständigung auf der Grundlage des Grotewohlbriefes aussprechen würde116. Heinemann und Grüber antworteten ausweichend. Auf der Ratssitzung in Potsdam berichtete Kreyssig über die Unterredung in Halle und sein Gespräch mit Adenauer117. Anschließend diskutierte der Rat darüber, inwieweit er selbst oder sein Vorsitzender vermittelnd tätig werden sollte. Das Ergebnis war eine offizielle Zustimmung des Rates zu dem Angebot von Dibelius, für Vermittlungsdienste bereitzustehen, falls solche notwendig wären, um eine „persönliche Begegnung“ von ost- und westdeutschen „Staatsmännern“ zustande zu bringen118. Am 11. Januar sagte Adenauer ein für den Folgetag geplantes zweites Treffen mit Kreyssig ab119. Auch auf Dibelius’ erneutes Angebot zu einer Ost-West-Begegnung in 110 Vgl. den Überblick über das Presseecho in: Die Kirche, 14.1.1951, S. 1f. und U. BAYER, Vorhang, S. 93ff. 111 Vgl. Mitteilung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 29.12.1950. In: DOKUMENTE, II/Bd. 3, S. 482. 112 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 85. 113 Zu Ehlers vgl. A. MEIER, Ehlers. 114 Zu Ehlers’ Haltung in der deutschen Frage vgl. G. BESIER, Ehlers. 115 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 87 und M. LEMKE, Einheit, S. 162. 116 Aktennotiz über die Unterredung zitiert nach: EBD., S. 162. 117 Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 11./12.1.1951 (LKA NÜRNBERG, Meiser 140). 118 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 11./12.1.1951 (EZA BERLIN, 2/1793). 119 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 87.

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seinem Hause120 ging er nicht ein. Der Bundeskanzler wollte keine Wiedervereinigung um den Preis einer Neutralisierung Deutschlands und trieb daher trotz zwischenzeitlicher eigener Zweifel121 und gegen heftige innenpolitische Widerstände die politische, wirtschaftliche und militärische Integration der Bundesrepublik in die westliche Staatengemeinschaft weiter voran. Auf seiner Prioritätenliste standen Freiheit, Sicherheit, Souveränität und dann erst Wiedervereinigung – in dieser Reihenfolge122. Am 15. Januar beantwortete er den Grotewohlbrief in Form einer Regierungserklärung, ohne auf den Vorschlag zur Bildung des Gesamtdeutschen Rates und auf allgemeine Verhandlungsangebote einzugehen. Stattdessen forderte er erneut freie Wahlen sowie als deren Voraussetzung die Gewährleistung von persönlicher Freiheit und Sicherheit in der DDR. Auch der SPD-Vorsitzende Schumacher lehnte Verhandlungen so lange ab, bis man mit demokratisch legitimierten Vertretern aus der „Ostzone“ sprechen könne. Nach Meinung Grübers aber wurde mit der Ablehnung des Grotewohl-Vorschlages eine „günstige Gelegenheit“ verpasst, auf deutsch-deutscher Ebene überhaupt miteinander ins Gespräch zu kommen123. Auch die protestantische Presse bemängelte mehrheitlich die Antwort der Bundesregierung, während die Mehrzahl der katholischen Blätter sie begrüßte124. Ebenso zeigte sich Ehlers über Adenauers Antwort unbefriedigt und äußerte dies auch öffentlich125. In seinem Antwortbrief an Dieckmann machte er jedoch klar, welche Voraussetzungen von Seiten der DDR erfüllt werden müssten, bevor es zu einer sinnvollen deutsch-deutschen Begegnung kommen konnte: Die DDR-Bürger müssten in Freiheit, Gerechtigkeit und ohne Angst leben können126. Die SED setzte auch nach Adenauers Erklärung ihre deutschlandpolitischen Aktionen fort. Denn in der von Herbst 1949 bis Mitte 1951 währenden „Illusionsphase“ kommunistischer Deutschlandpolitik glaubte sie noch, die Systemauseinandersetzung auf deutschem Boden für sich entscheiden zu können127. Sowohl die UdSSR als auch die DDR gingen in dieser Phase davon aus, dass die „antiimperialistischen“ Kräfte in beiden Teilstaaten stark genug sein würden, eine Wiedervereinigung Deutschlands nach „antifaschistisch-demokratischem“ Modell durchzusetzen. Entsprechend „missionarisch“ und infiltrativ war die Westarbeit der SED angelegt, die sowohl auf offiziell-propagandistischer Ebene als auch inoffiziell-verdeckt verlief. Auf Beschluss des Politbüros wandte sich am 30. Januar die Volkskammer – erfolglos – an den Bundes-

120 Dibelius hatte am 12.1.1951 sein Angebot in einem Brief an Ehlers erneuert. Vgl. EBD., S. 745, Anm. 317. 121 Vgl. H.-P. SCHWARZ, Adenauer. Der Aufstieg, S. 845. 122 In der Forschung hält die Kontroverse über Adenauers Deutschlandpolitik bis heute an. Zum Gang der Diskussion bis 1994 vgl. R. MORSEY, Deutschlandpolitik. Vgl. auch C. KLESSMANN, B. STÖVER, Deutschlandpolitik. 123 So Grüber rückblickend in einem Schreiben an Helmut R. Külz, 11.9.1951 (EZA BERLIN, 87/96/70,1). 124 Vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 95–99. 125 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 88. 126 Brief vom 24.1.1951 abgedruckt in: JK 12, 1951, S. 89f. 127 Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 505f.

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tag, um das Projekt eines Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates auf der parlamentarischen Ebene voranzutreiben128. Im Zuge der Propaganda für diese Vorschläge wurde auch bei der evangelischen Kirche nach Unterstützung gesucht. So forderte der brandenburgische Ministerpräsident Rudi Jahn am 7. Februar die Provinzialsynode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg dazu auf, an die westdeutschen Christen ein Wort zugunsten des Volkskammerappells zu richten. Bischof Dibelius wertete dies als Eingriff in rein kirchliche Angelegenheiten und lehnte ab129. Stattdessen verabschiedete die Synode eine Entschließung „zur Beendigung der Teilung Deutschlands“130. Darin unterstützte sie ihren Bischof in seiner Bereitschaft, eine Vermittlerrolle zwischen Ost und West zu übernehmen. Dibelius selbst notierte allerdings Anfang Februar in sein Tagebuch, „unter keinen Umständen“ in Bonn „als kirchliche Opposition öffentlich in Erscheinung [zu] treten.“131 In der DDR hatte er damit geringere Probleme. Ende Mai äußerte sich die Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg auch zu der geplanten Volksbefragung gegen „Remilitarisierung“ und für den Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland. Die Befragung stand im Mittelpunkt einer neuen propagandistischen Phase der SED-Deutschlandpolitik, die unter der Losung „Deutsche an einen Tisch“ Ende Januar 1951 eingeleitet worden war132. Die Kirchenleitung führte am 25. und 26. Mai Besprechungen mit Vertretern der DDR-Regierung und des Landes Brandenburg. Sie beschwerte sich darin über den Gewissensdruck und die Hasspropaganda im Zuge der Volksbefragung und kritisierte, dass die Friedenspropaganda in der DDR mit dem Anspruch einer Ersatzreligion auftrat133. Der DDR-Innenminister sicherte ihr zu, dass Nichtwähler nicht mit Zwangsmaßnahmen rechnen müssten und das bei der Abstimmung erbetene „Ja“ nicht über den engen Sinn der Frage hinaus politisch instrumentalisiert würde. Die Kirchenleitung ordnete daraufhin für zwei Sonntage eine Kanzelabkündigung an, in der sie auf die staatlichen Zusicherungen hinwies. Die Gemeindeglieder, die dennoch an der Wahl teilnehmen würden, bat sie, die Wahlkabinen zu benutzen und damit für das Recht auf geheime Wahl einzutreten. Als Argumentationshilfe für ihre Kirchenglieder in den Diskussionen vor Ort verwies sie darauf, dass die EKD sich zu den in der Volksbefragung thematisierten Fragen bereits seit 1945 geäußert habe. In ihren Worten habe sie vor einer militärischen Lösung der deutschen Frage gewarnt und „auch einer Remilitarisierung für den Osten und den Westen Deutschlands ausdrücklich widersprochen.“134 Die Kirchenleitung bot in der Kanzelerklärung den Christen aber auch eine Interpretation für eine Ja-Stimme bei der Volksbefragung an:

128 Vgl. hierzu EBD., S. 138ff. 129 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 89. 130 Abdruck in: G. HEIDTMANN, Kirche, S. 67. 131 Notiz zum 4.–8.2.1951 (BArch KOBLENZ, N 1439/3). 132 Vgl. hierzu M. LEMKE, Einheit, S. 142–145. Zu den Versuchen der SED, die evangelischen Kirchen für die Volksbefragungskampagne zu instrumentalisieren, vgl. auch M. G. GOERNER, Kirche, S. 74. 133 Vgl. KJ 78, 1951, S. 125f. 134 EBD., S. 126.

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„Der Christ, der an der Befragung teilnimmt und mit Ja antwortet, wendet sich damit an die für ihn zuständige Obrigkeit in seinem Staatsgebiet und warnt sie vor jeder Herstellung menschenmordender Waffen und der Ausbildung an ihnen.“135

Andere ostdeutsche Landeskirchen wählten bezüglich der Volksbefragung die Form eines Schreibens an ihre „Obrigkeit“, das sie in Abschrift ihren Pfarrern zusandten, damit diese sich in den Auseinandersetzungen vor Ort darauf berufen konnten. Die Evangelische Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen schrieb am 23. Mai an die Landesregierung Sachsen-Anhalt und die Regierung des Landes Thüringen136; der Evangelische Landeskirchenrat für Anhalt sandte am 25. Mai ein Schreiben an die Regierung der DDR und an die Landesregierung Sachsen-Anhalt137. In ihrem Tenor stimmten sie mit der berlin-brandenburgischen Kanzelerklärung überein, wandten sich allerdings noch entschiedener gegen die antiwestliche Propaganda für die Volksabstimmung. Die Kanzelerklärung der Evangelischen Kirchenleitung von Schlesien vom 27. Mai unterschied sich hingegen in zwei nicht unwesentlichen Punkten von den anderen Stellungnahmen: Sie verwies auf die Erklärung des Rates der EKD, dass die Frage der Remilitarisierung von den einzelnen Christen im Glauben verschieden beantwortet werden konnte, und sie bot auch eine Interpretation für eine Nein-Stimme bei der Volksbefragung an: „Wer als ‚Christ‘ ‚nein‘ sagt, ist damit kein Feind des Friedens, sondern will nach der Lehre Luthers sagen, daß jeder Staat zu seiner Sicherheit, zum Schutze des Rechtes und zur Verteidigung des Friedens in dieser Welt der Sünde der bewaffneten Macht nicht entbehren kann.“138

Von Seiten der lutherischen Landeskirchen in der DDR gab es keine Stellungnahmen zur Volksbefragung, die Anfang Juni bei einer Beteiligung von 99,53 % der Wahlberechtigten 95,93 % Ja-Stimmen erbrachte139. Ursprünglich sollte die Volksbefragung auch in der Bundesrepublik durchgeführt werden, um an der Bundesregierung vorbei die Wiederbewaffnung zu verhindern. In der bundesdeutschen Bevölkerung bestanden zu diesem Zeitpunkt noch tiefe Vorbehalte gegen eine Wiederbewaffnung. Der verheerende Zweite Weltkrieg und die Entmilitarisierungspolitik der Alliierten hatten eine bewusstseinsverändernde Wirkung gezeigt. Von dieser „Ohne mich“-Stimmung bei vielen Bundesbürgern hoffte das SEDRegime zu profitieren. Der im April in Essen gegründete Hauptausschuss für Volksbefragung, der die Kampagne leitete und ein Plebiszit veranstalten sollte, wurde jedoch von der Bundesregierung wegen Verfassungswidrigkeit verboten. Das gleiche galt für die in Sachen Volksbefragung ebenfalls aktive West-FDJ140. Deren Gesprächsangebote 135 EBD. In Reaktion auf den Brief der Kirchenleitung versandte der Innenminister von Sachsen-Anhalt am 30.5.1951 an alle Pfarrer des Landes eine Entgegnung (vgl. EBD., S. 134–138). 136 EBD., S. 128–134. 137 G. HEIDTMANN, Kirche, S. 154ff. 138 KJ 78, 1951, S. 127. 139 M. LEMKE, Einheit, S. 145. 140 Vgl. W. R. KRABBE, Deutschland, S. 50 und S. 90.

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über die „Remilitarisierung“ hatte die Evangelische Jugend bereits im Februar und März ausgeschlagen. Zu Recht vermutete sie dahinter eine ostdeutsche Initiative und fürchtete, propagandistisch missbraucht zu werden. Unterstützung fand der Vorschlag eines Plebiszits hingegen bei Vertretern der Bruderschaften, knüpfte er doch an Überlegungen von Niemöller und Heinemann vom Herbst 1950 an. Der Kirchenpräsident trat im Mai auch selbst in Briefen an den Minister für gesamtdeutsche Fragen Jacob Kaiser und Bundespräsident Theodor Heuss für die Möglichkeit einer Volksbefragung ein141. Im Unterschied zur Bundesregierung behauptete er, dass die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung eine solche Befragung wolle. Auch wehrte er sich dagegen, dass von Seiten der Bundesregierung eine Unterstützung der Volksabstimmung mit einer Unterstützung des Kommunismus gleichgesetzt wurde. In die Zeit der DDR-Aktion „Deutsche an einen Tisch“, während der sich die SED in der Öffentlichkeit kirchenpolitisch betont zurückhielt, fiel auch der dritte evangelische Kirchentag in Berlin. Es war das erste Mal, dass der im westlichen Nachkriegsdeutschland entstandene Kirchentag zumindest teilweise auf DDR-Territorium tagte und somit auch verstärkt ostdeutsche Protestanten die Möglichkeit zu einer Teilnahme erhielten. Am Kirchentag in Essen 1950 hatten offiziell nur 290 Ostdeutsche teilnehmen können. Durch ihre Anwesenheit war es zwar möglich gewesen, den gesamtdeutschen Anspruch des Kirchentages verbal aufrechtzuerhalten, die Einheit konnte aber auf Grund der geringen Zahl von Ostteilnehmern für die Gesamtheit der Kirchentagsbesucher nicht zur praktischen Erfahrung werden142. Insbesondere Berliner und ostdeutsche Kirchenvertreter und Laien hatten dann für das Jahr 1951 auf Berlin als Tagungsort bestanden und dies mit „der allgemeinen kirchlichen, kirchenpolitischen und politischen Gesamtlage“ begründet143. In erster Linie sollte den bedrängten Christen in der DDR der Rücken gestärkt werden. Die Verantwortlichen für den DEKT mussten allerdings der DDR-Regierung im Vorfeld zusichern, dass es von Seiten der Veranstalter auf dem Kirchentag keine Kritik an den ostdeutschen Verhältnissen, z. B. an der Schulpolitik, geben würde. Ebenso mussten sie zugestehen, dass auf dem Kirchentag offiziell kein positives Wort zum westdeutschen Wehrbeitrag fallen würde und negative Äußerungen über die Bundesrepublik nicht unterdrückt würden144. Unter diesen Voraussetzungen konnte der Kirchentag mit staatlichem Entgegenkommen bei der Organisation rechnen. So wurden ihm z. B. öffentliche Gebäude kostenfrei zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig aber war der Kirchentag durch den Tagungsort Berlin der ideologischen Einflussnahme durch Staat, Parteien und Massenorganisationen der DDR ausgesetzt, in deren gesamtdeutsche Propaganda er ungewollt passte145. Mit hohem Aufwand wurde von ostdeutscher Seite versucht, die kirchliche Großveranstal-

141 Abdruck in: KJ 78, 1951, S. 153f. Dort (S. 154ff.) auch die Antwort von Heuss. 142 Vgl. D. PALM, Brüder, S. 82. 143 Aussage von Präses Scharf auf der Sitzung des Präsidialausschusses des DEKT am 7.11.1950. Zitiert nach: D. PALM, Brüder, S. 85. Zur Vorgeschichte des Kirchentages 1951 vgl. allgemein EBD., S. 82–110. 144 Vgl. EBD., S. 92. 145 Vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 76f.; D. PALM, Brüder, S. 90–96.

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tung für die eigene Deutschlandpolitik zu instrumentalisieren. Das „Neue Deutschland“ und die Zeitung der Ost-CDU, die „Neue Zeit“, waren voll mit Artikeln zum Kirchentag. Am 11. Juli nahmen Staatspräsident Pieck und andere ranghohe DDRPolitiker am Eröffnungsgottesdienst in der Ost-Berliner Marienkirche teil. Geschulte Diskussionsredner traten in den Arbeitsgemeinschaften des Kirchentages auf, „Aufklärer“ der Nationalen Front führten Gespräche mit Kirchentagsteilnehmern und verteilten Flugschriften. Doch auch die Bundesregierung versuchte, auf den gesamtdeutschen Kirchentag Einfluss zu nehmen146. Regierungsvertreter und Ministerialbeamte übten gegenüber DEKT-Vertretern Kritik an den geplanten Auftritten Niemöllers und äußerten den Wunsch, dass die gesamte Bundesregierung zum Kirchentag eingeladen werde. Mit finanziellen Zuschüssen über 311.000,– DM wollte man sich ein gewisses Wohlwollen des Kirchentages gegenüber den eigenen Anliegen sichern147. Da die Unabhängigkeit des Kirchentages in der Öffentlichkeit aber nicht infrage gestellt werden sollte, blieb die staatliche Bezuschussung aufgrund einer Vereinbarung zwischen Kirchentagspräsidium und Bundesfinanzministerium geheim. Die Vertreter des DEKT waren auch nur begrenzt zu Zugeständnissen bereit. So nahm an der offiziellen Eröffnung des Kirchentages schließlich kein Vertreter der Bundesregierung teil, da man sich mit der Kirchentagsorganisation nicht über die Modalitäten in der Behandlung der west- und der ostdeutschen Staatsvertreter einigen konnte. Bundeskanzler Adenauer sandte jedoch ein Grußtelegramm. Interesse an dem gesamtdeutschen Kirchentag in Berlin zeigte man auch auf amerikanischer Seite148. Die High Commission for Germany unterstützte ihn logistisch. Darüber hinaus bezuschusste sie eine Broschüre des Congress for Cultural Freedom. Der Kongress für kulturelle Freiheit war während des Kalten Krieges eine Agentur für die Verbreitung amerikanischer Wirtschafts-, Staats- und Gesellschaftsvorstellungen und trug wesentlich zur ideellen Westorientierung der Bundesrepublik bei149. Die Broschüre „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ wurde in einer Auflage von 200.000 Stück gedruckt und während des Kirchentages als Gegenstück zu östlichem Propagandamaterial verteilt150. Kirchentagspräsident Thadden versuchte, den von politischer Seite an den Kirchentag herangetragenen Erwartungen mit viel Diplomatie zu begegnen. Dies brachte ihm wiederum Kritik von Vertretern der verschiedenen innerkirchlichen Richtungen ein151. Man monierte zu Recht, dass der Kirchentag durch seinen Tagungsort Berlin zu vielen Kompromissen gezwungen war und dadurch an inhaltlichen Konturen verlor152.

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Vgl. D. PALM, Brüder, S. 99–102. EBD., S. 100. Vgl. EBD., S. 102ff. Vgl. M. HOCHGESCHWENDER, Freiheit. Vgl. D. PALM, Brüder, S. 103. Vgl. EBD., S. 107–110. EBD., S. 109.

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Die Losung des Kirchentages 1951 lautete: „Wir sind doch Brüder“. Sie bot ein breites theologisches, kirchliches und politisches Interpretationsspektrum, das in den zentralen Veranstaltungen und in den Arbeitsgruppen auch genutzt wurde153. Heinemann sprach in der Arbeitsgruppe I „Wir sind doch Brüder – in der Kirche“ und forderte, dass die Kirche sich nicht in die Auseinandersetzung der Staaten hineinziehen lasse. In der Arbeitsgruppe II „Wir sind doch Brüder – zu Hause“ wurde Kritik am Erziehungs- und Bildungssystem der DDR laut. Die Arbeitsgruppe III unter dem Titel „Wir sind doch Brüder – im Volk“ zog rund 40.000 Zuhörer an154. Die hohe Teilnehmerzahl verwies darauf, dass die Kirchentagslosung von den Besuchern vornehmlich in ihrer politischen Dimension verstanden wurde. Die beiden Berliner Heinrich Vogel und Otto Heinrich von der Gablentz referierten aus theologischer und aus politischer Sicht zu dem Thema „Macht Macht böse?“. Der Theologe Vogel appellierte an die Inhaber staatlicher Gewalt, sich von ideologischen „Menschenbildern“ zu lösen und „den Menschen in seiner gottgeschenkten Menschlichkeit [zu] bejahen“155. Seine Zuhörer erinnerte er hingegen an die „Macht der Sanftmütigen“156. Letzteres konnte sowohl auf die Situation in der DDR als auch auf die westdeutsche Wehrfrage hin ausgelegt werden. Auch Gablentz, Politikwissenschaftler und Mitbegründer der Berliner CDU, sprach in der Weise von den Gefahren der „Macht“ und der „Ohnmacht“, dass die Zuhörer das Gesagte je auf ihren politisch-gesellschaftlichen Kontext beziehen konnten. Präses Scharf sorgte als Versammlungsleiter dafür, dass auch in den Diskussionen das Meinungsbild weitgehend ausgewogen war. Am Ende der Diskussionsveranstaltung wurde ein Aufruf des Unterwegskreises vorgelesen157. Diesem seit Kriegsende bestehenden Kreis gehörten bruderrätliche Theologen, vor allem aus Berlin, an. In seinem Aufruf bat er die Besatzungsmächte, den beiden deutschen Teilstaaten nicht ihr eigenes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem aufzuoktroyieren, sondern ihre „Macht lediglich zur Sicherung einer friedlichen und eigenständigen Entwicklung im deutschen Raum einzusetzen.“158 Mitten im Kalten Krieg hoffte der Unterwegskreis, dass es im Sinne eines gesellschaftspolitischen „dritten Weges“ in Deutschland „zu einer offenen Begegnung der verschiedenen politischen Lebensformen kommen“ könnte159. Dementsprechend appellierte er an die beiden deutschen Regierungen, anstelle in Rüstung in soziale Gerechtigkeit zu investieren und ihren Bürgern demokratische Rechte sowie Rechtsstaatlichkeit zu gewähren. Die deutsche Bevölkerung wurde aufgefordert, der Kalten-Krieg-Propaganda den Willen zur Verständigung und zur Versöhnung entgegenzusetzen. Zuletzt erging an alle der Aufruf, 153 Zum Verlauf des Kirchentages vgl. den vom Kirchentagspräsidium hg. Gesamtbericht unter dem Titel „WIR sind doch Brüder“ und D. PALM, Brüder, S. 120–131. 154 Abdruck der Vorträge und des zusammenfassenden Berichts der Arbeitsgruppe III in: WIR sind doch Brüder, S. 449–337. 155 EBD., S. 457. 156 EBD., S. 456. 157 EBD., S. 482ff. 158 EBD., S. 483. 159 EBD.

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„zur Erhaltung und Förderung der Gemeinschaft der Menschen untereinander Opfer zu bringen.“160 Die Kirchentagsleitung hatte von dem Appell schon vorher Kenntnis und ließ ihn als Gegengewicht zu DDR-kritischen Redebeiträgen zu. Am zweiten Tag der Arbeitsgruppe III referierten der Magdeburger Oberkonsistorialrat Johannes Anz und der westfälische Schriftsteller Willy Kramp über das Thema „Zweier Herren Knecht“. Beide übten verhaltene Systemkritik an der DDR. In den anschließenden Diskussionen wurde die notvolle Situation von Christen im Bildungsbereich der DDR dann z. T. deutlicher beim Namen genannt. Ein ostdeutscher Schüler erklärte: „Ich bin Schüler, das heisst, ich muss lügen. In unserer Schule fordert man von uns, dass wir unsere Seelen verkaufen.“161 Der anwesende Bundestagspräsident Ehlers reagierte auf solche Äußerungen mit dem Wunsch, dass mehr westdeutsche Politiker vor Ort wären, um diese zu hören – ein kritischer Seitenhieb gegen die abwesende Regierung. Er appellierte an die Christen, politische Verantwortung zu übernehmen, und an die Kirche, das Instrument der Fürbitte zu reaktivieren: „Wir haben in der Zeit des Kirchenkampfes weithin erkannt, dass die Fürbitte eine der stärksten politischen Mächte in der Welt ist, und das wollen wir auch immer erneut bewähren! Das ist unser Weg, meine Brüder, in der Kirche, in der Verantwortung für das Volk. Wir wollen seine Freiheit, sein Recht und einen Frieden, den wir mit Recht Frieden nennen können.“162

Auch in der Arbeitsgruppe IV „Wir sind doch Brüder – bei der Arbeit“ äußerten Diskussionsteilnehmer Kritik an der Situation in der DDR. Somit wurde der Kirchentag gegen die Intention der Kirchentagsleitung und zur Zufriedenheit der westdeutschen Politiker und Presse durch die vielen östlichen Teilnehmer und ihre Äußerungen indirekt und direkt zu einer Demonstration gegen die politischen Verhältnisse in der DDR163. Das Großereignis Kirchentag lockte auch unerwartet viele jugendliche Besucher an: 80.000 kamen bei der „Stunde der Jugend und Studenten“ am 14. Juli im WalterUlbricht-Stadion zusammen und setzten unter der Losung „Wir suchen den Bruder“ ein Zeichen für die Einheit der evangelischen Jugend in Deutschland164. Insbesondere Manfred Müller, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend Deutschlands (AGEJD)165, appellierte in seinen Begrüßungsworten an gesamtdeutsche Emotionen und warnte vor einem Auseinanderleben der Christen in beiden deut160 EBD., S. 484. 161 EBD., S. 515. 162 EBD., S. 521. 163 Zu den Reaktionen auf den Kirchentag in der Bundesrepublik vgl. D. PALM, Brüder, S. 131ff. 164 WIR sind doch Brüder, S. 173. 165 Am 2.12.1949 hatten sich die Jugendkammer der EKD und die Jugendabteilung der Vereinigung der evangelischen Freikirchen zur Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend Deutschlands zusammengeschlossen. Vgl. I. HOLZAPFEL, Bindung, S. 165f. Ein separater Parallelzusammenschluss in der DDR zwischen der Jugendkammer Ost und der Jugendarbeit der Freikirchen in der DDR scheiterte am Veto der lutherischen Landeskirchen in der DDR. Vgl. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 99.

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schen Staaten166. Der Cottbuser Generalsuperintendent Günter Jacob erinnerte in seiner Ansprache die jungen Zuhörer an das „Bekenntnis der Christenheit zu Jesus Christus als dem König aller Könige und Herrn aller Herren“ und dessen „weltrevolutionäre Sprengkraft“167. Der bruderrätliche Theologe bezog allerdings dieses antitotalitäre Potenzial auf Entwicklungen im Osten und im Westen: „Wir können nicht dem König Jesus Christus dienen und zugleich mit letzter Leidenschaft uns einsetzen und aufrufen im Dienst für unser Volk[,] für eine Klasse, für eine Partei, für eine politische Bewegung, für ein weltanschauliches System, für Ideologien und Ideale des Westens oder des Ostens, die wirklich wahren Herren auf Erden, die wir vergöttern sollen und für die wir uns vielleicht zu verbluten hätten.“168

Die „Stunde der Jugend und Studenten“ war Teil des „Deutschen Evangelischen Jugendtages“, der vom 10. bis 15. Juli im Rahmen des Kirchentages abgehalten wurde. Er stand unter dem Begriff „Miteinander“ und erfreute sich mit über 10.000 Teilnehmern großer Resonanz. Ebenso wie der Kirchentag als Ganzes erfuhr auch der Jugendtag Beachtung und Unterstützung von Seiten des Staates, der Parteien und Massenorganisationen der DDR. So öffnete z. B. die FDJ, die in ihrer Funktion als „Transmissionsriemen“ des SED-Regimes dessen deutschlandpolitische Linie zu unterstützen hatte, für jugendliche Kirchentagsteilnehmer ihr Zeltlager in Schmetterlingshorst. Als weitere Sonderveranstaltung des Kirchentages fand vom 15. bis 17. Juli der „Deutsche Evangelische Studententag“ statt169. Mehrere tausende Studenten aus Ostund Westdeutschland trafen unter dem Leitthema „Die Begegnung mit der Wahrheit“ zu Gottesdiensten, Bibelarbeiten, Vorträgen und Diskussionen zusammen. Insbesondere die ostdeutschen Studenten sollten, so der implizite Tenor aller Veranstaltungen, in ihrem Glauben gestärkt und für ihre schwierige Situation an den DDR-Hochschulen zugerüstet werden. Iwand forderte die Studenten in seiner Bibelarbeit über den Paulusbrief Römer 13 dazu auf, sich nicht in die politische Abstinenz zu begeben und appellierte an sie: „Seht doch auch im pervertierten Staat, dass er Gottes Diener ist, und dass ihr eine Macht habt, mit der ihr ihn wandeln könnt!“170 Neben den zentralen thematischen Veranstaltungen fanden während des Studententages auch zahlreiche Patengemeindetreffen statt171. Der Kirchentag in Berlin einschließlich seiner Sonderveranstaltungen war ein Massenereignis: etwa 100.000 Menschen nahmen als Dauergäste teil und mehr als 200.000 besuchten den Abschlussgottesdienst im Berliner Olympiastadion172. Mit seinem erfolgreichen Verlauf stellte er in der geteilten Stadt eindrucksvoll die Ost-West-Gemein166 167 168 169 170 171 172

WIR sind doch Brüder, S. 177ff. EBD., S. 182. EBD., S. 182f. Zum Verlauf des Studententages vgl. EBD., S. 220–283. EBD., S. 249. Vgl. das Programmheft des Kirchentages: WIR sind doch Brüder!, S. 25. Zu den Zahlen vgl. D. PALM, Brüder, S. 120 und S. 130.

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schaft evangelischer Christen unter Beweis. Durch das Gemeinschaftsereignis wurde der deutschen und internationalen Öffentlichkeit aber auch der allgemeine Zusammengehörigkeitswille der Deutschen demonstriert. Der Tagungsort Berlin hatte zwangsläufig zu einer Politisierung des Kirchentags geführt, auch wenn seine Veranstalter stets seinen unpolitischen Charakter und seinen geistlichen Ertrag betonten173. Hanns Lilje dagegen stellte in einem Artikel des „Sonntagsblattes“ den deutschlandpolitischen Aspekt des Kirchentages offen heraus. Der Berliner Kirchentag habe deutlich gemacht, „ohne es besonders zu betonen, daß das selbstverständliche Bewußtsein des deutschen Gesamtschicksals nicht auszulöschen ist. Vermutlich wird diejenige Politik das Rennen machen, der es gelingt, diese Kraft zur Grundlage ihrer Konzepte zu machen. [. . .] Geradezu weltpolitisch werden diese Dinge dadurch, daß beide Elemente ineinander greifen, der kraftvolle Beweis des lebendigen Protestantismus und des lebendigen Einheitsbewußtseins.“174

Im Wettlauf um die deutschlandpolitische Instrumentalisierung des Gemeinschaftsereignisses Kirchentag war die Bilanz der DDR-Regierung wenig erfreulich175. Die Kirchentagsteilnehmer hatten sich nicht für die ostdeutsche Propaganda gegen die westdeutsche Wiederaufrüstung mobilisieren lassen. Eine der Ursachen hierfür lag in der noch sehr unprofessionellen Vorbereitung der Propagandamaßnahmen. Trotz des Misserfolgs dominierten jedoch in den Folgemonaten in der SED-Kirchenpolitik weiterhin die Instrumentalisierungs- und Unterwanderungsbemühungen über die repressiven Elemente. Denn noch dauerte die Phase der deutschlandpolitischen Initiativen der Sowjetunion und der DDR an. Mit diesen sollten inzwischen nicht nur die Verhandlungen über die Verträge über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) mit westdeutscher Beteiligung durchkreuzt werden, sondern auch die parallel laufenden, schwierigen Verhandlungen über den Generalvertrag, später Deutschlandvertrag genannt, der die Beziehungen der Bundesrepublik zu den Westmächten neu regelte. Damit drohte es in den Augen der UdSSR zu einer Art von separatem Ersatzfriedensvertrag zu kommen, der ihrer Hauptforderung nach einem Friedensvertrag für Gesamtdeutschland widersprach176. Zudem konnte ein solcher Vertrag die bundesdeutsche Bevölkerung für die Westmächte einnehmen. Im Herbst 1951 stimmte die UdSSR daher der Durchführung freier Wahlen in Gesamtdeutschland formal zu. Am 15. September entwickelte Grotewohl vor der Volkskammer neue Vorschläge zur Wiedervereinigung177. Die paritätische Zusammensetzung des gesamtdeutschen Beratungsgremiums sei nicht von „grundlegender Bedeutung“, erklärte der Ministerpräsident und auch bei den Rahmenbedingungen für freie Wahlen machte er Konzessio173 Zu den Reaktionen der Kirchentagsleitung auf den Kirchentag 1951 vgl. EBD., S. 138–141. 174 Zitiert nach: D. PALM, Brüder, S. 139. Zur Resonanz des Kirchentages in der katholischen und evangelischen Presse vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 100–106. 175 Zur Auswertung des Kirchentages in der DDR vgl. D. PALM, Brüder, S. 135–138. 176 Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 508. 177 Vgl. zu den gesamtdeutschen Aktivitäten der SED im Herbst 1951 M. LEMKE, Einheit, S. 181–188, hier S. 182.

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nen. In seiner Regierungserklärung nahm er positiv auf die Erklärungen des Rates der EKD zum Frieden sowie auf Äußerungen von Niemöller Bezug178 und versuchte damit, die Kirchen für sein neues Angebot zu gewinnen. Auf derselben Sitzung verabschiedete die Volkskammer, wie vom Politbüro drei Tage zuvor beschlossen, einen Appell an den Bundestag „zur Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung der Vertreter Ost- und Westdeutschlands“ über freie, gesamtdeutsche Wahlen und die Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages179. Bislang hatte die SED freie Wahlen strikt abgelehnt, da diese ihre Machtposition gefährdeten. In einem zweiten „Appell an alle Deutschen“ spornte die Volkskammer die Parteien und Organisationen an, von ihrer Regierung die Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung zu verlangen. In der Bundesrepublik forderten viele protestantische Blätter die Regierung dazu auf, die Vorschläge Grotewohls zu gesamtdeutschen Wahlen zumindest zu prüfen180. In seiner Regierungserklärung nannte Adenauer dann am 27. September 14 Wahlrechtsgrundsätze für gesamtdeutsche Wahlen. Dazu gehörte, dass die Vorbereitung und Durchführung der Wahl unter internationalem Schutz und Kontrolle stehen müsse. Der Kanzler schlug vor, zunächst eine internationale Kommission unter Kontrolle der UNO zu bilden, die die Voraussetzungen von freien Wahlen in Gesamtdeutschland überprüfen sollte. Auf Wunsch des Bundestages legte die Regierung am 4. Oktober den Alliierten ihre Vorschläge für die Abhaltung von gesamtdeutschen Wahlen vor und wiederholte den Wunsch, dass alle vier Besatzungsmächte so schnell wie möglich die Voraussetzungen für freie Wahlen in Gesamtdeutschland schufen. Die drei Westmächte stimmten Mitte Oktober dem Vorschlag zur Einsetzung einer UNO-Kommission zu. Ende des Monats verabschiedete der Bundestag einen Gesetzentwurf über die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen für die Verfassungsgebende Nationalversammlung. In allen ehemaligen vier Besatzungszonen und in Groß-Berlin sollten freie, geheime, allgemeine, gleiche und unmittelbare Wahlen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl stattfinden. Daraufhin kündigte Grotewohl in einer Volkskammerrede am 2. November die Bildung einer Kommission zur Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs „über die freie Wahl einer verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung“ an181. Gleichzeitig lehnte er die Einsetzung einer „amerikahörigen“ UNO-Kommission zur Prüfung der Wahlvoraussetzungen definitiv ab. Am selben Tag wandte sich Pieck schriftlich an Heuss. Der mit den sowjetischen Kontrollorganen abgestimmte Brief182 enthielt eine Anklage gegen den „aggressiven Atlantikpakt“ und den Vorschlag, die Voraussetzungen für die Abhaltung der Wahlen durch Vertreter aus Ost- und Westdeutschland unter Viermächtekontrolle überprüfen zu lassen. Pieck schlug ein Vorgespräch vor, das Heuss aber ablehnte. Am 26. November gab die DDR-Regierung 178 179 180 181 182

Teilabdruck der Rede in: ARCHIV, Bd. 1, S. 556f., hier S. 556. Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 181. Vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 112ff. M. LEMKE, Einheit, S. 184. EBD., S. 188.

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bekannt, dass sie als Grundlage für ein gesamtdeutsches Wahlgesetz das demokratische Wahlgesetz der Weimarer Republik vom 6. März 1924 akzeptiere. Im Januar 1952 billigte die Volkskammer schließlich ein Wahlgesetz, das aber deutlich vom Reichswahlgesetz abwich und helfen sollte, der SED die Macht zu sichern. Adenauer hatte sich im Herbst 1951 zwar angesichts des wachsenden öffentlichen Drucks zur Prüfung der ostdeutschen Angebote für gesamtdeutsche Wahlen veranlasst gesehen, hielt aber gleichzeitig an seinem Kurs, über einen europäischen Wehrbeitrag die Souveränität der Bundesrepublik Schritt für Schritt zurückzugewinnen, fest. Davon konnten sich Dibelius und andere evangelische Kirchenvertreter im Oktober und November 1951 in informellen Gesprächen mit dem Bundeskanzler überzeugen. Schon im Juli hatte der Rat seinen Vorsitzenden darum gebeten, sich in einem Gespräch mit dem Bundeskanzler über den aktuellen Stand in der Wehrfrage zu unterrichten183. Kunst hatte jedoch Bedenken gegen ein Gespräch zu diesem Zeitpunkt, und so unterblieb der Besuch zunächst184. Stattdessen führte Dibelius im August eine Unterredung mit Hochkommissar McCloy. Er wollte erfahren, was die USA von der Bundesrepublik in der Wiederbewaffnungsfrage erwarteten185. Der Amerikaner erklärte ihm, dass Europa ohne einen deutschen Militärbeitrag nicht zu verteidigen sei. Es gehe aber nicht um eine eigene deutsche Wehrmacht, sondern um deutsche Verbände innerhalb einer europäischen Armee. Die USA überlasse es der Bundesrepublik, ob sie eine allgemeine Wehrpflicht einführen wolle; ebenso sei die Frage der Kriegsdienstverweigerung eine deutsche Angelegenheit. Dibelius folgerte aus dem Gespräch, dass die Wiederbewaffnungsfrage der deutschen Selbstbestimmung im Grunde entzogen war186. Er plädierte dafür, dass nunmehr zumindest auf die allgemeine Wehrpflicht verzichtet und eine Freiwilligenarmee aufgebaut würde. Am 6. September berichteten Dibelius und Kunst dem Rat über die politische Lage. Auf derselben Sitzung überreichte Niemöller dem Ratsvorsitzenden zwei Briefe des Bruderrates187. Der Reichsbruderrat hatte sich am 4. und 5. September zu einer Sondersitzung getroffen, da damit zu rechnen war, dass der Bundestag in der Wiederbewaffnungsfrage bald eine Entscheidung treffen würde. Um die EKD in dieser Frage zu reaktivieren, stellte der Bruderrat in seinem ersten Brief vier Forderungen an den Rat: 1. für eine neue Verbreitung des „Wort[es] zum Frieden“ der Weißenseer Synode, der entschiedensten Äußerung der EKD in der Wehrfrage, zu sorgen; 2. eine Kommission zur Frage der Kriegsdienstverweigerung und ihrer gesetzlichen Regelung einzusetzen; 3. im Falle, dass dem Bundestag ein Gesetzentwurf über die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht oder die Bildung von Freiwilligenverbänden vorgelegt werde, eine außerordentliche Synode einzuberufen; 4. sich mit dem Wiederaufleben der Krieger- und

183 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 16./17.7.1951 (EZA BERLIN, 2/1793). 184 Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 6./7.9.1951 (LKA NÜRNBERG, Meiser 140). 185 Vgl. EBD. und R. STUPPERICH, Dibelius, S. 487f. 186 Vgl. EBD., S. 488. 187 Abdruck des ersten Briefes vom 5.9.1951 in: KJ 78, 1951, S. 156–159.

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Soldatenverbände in der Bundesrepublik zu beschäftigen. Der Rat machte sich die Anliegen eins, zwei und vier zu Eigen. Bei Punkt drei beschloss er, dass anstelle einer außerordentlichen Synode eine außerordentliche Ratssitzung einberufen werden sollte. Im zweiten Brief war um die Einberufung einer Kirchenkonferenz gebeten worden, die über die Frage des Kriegsdienstes kirchlicher Amtsträger beraten sollte. Diesem Wunsch wurde entsprochen188. Die Presseveröffentlichung über die Ratsbeschlüsse konnte den Eindruck erwecken, als habe sich die EKD bereits mit der Wiederbewaffnung abgefunden und sei nun um Schadensbegrenzung bemüht, was im Grunde ja auch zutraf. Dieser Eindruck veranlasste Präses Wilm auf dem Männertag am 23. September eine Rede über die Frage zu halten „Stehen wir noch zu den Erklärungen der Kirche zum Frieden, und was können wir tun?“189. Er appellierte darin, die kirchliche Diskussion über die Wiederbewaffnung fortzusetzen. Drei Tage nach dem Volkskammerappell vom 15. September schrieb Dibelius an Ehlers190. Er äußerte seine Skepsis gegenüber einem gesamtdeutschen Gespräch, warnte aber zugleich davor, die DDR-Offerte in der Öffentlichkeit als „Propagandatrick“ abzutun. Die Bundesregierung sollte das „psychologische Verständnis“ haben, den Ostdeutschen den Eindruck zu verschaffen, dass der Westen jede Möglichkeit nutzte, die sich ihm bot. „Die große Masse der ostdeutschen Bevölkerung“ klammere sich „an jeden Strohhalm“, der ihr „eine Befreiung von der Kommunistenherrschaft verspricht.“ Dibelius empfahl, jemanden aus Bonn nach Ost-Berlin zu schicken, um zu hören, „worauf sich die Regierung der DDR einlassen zu können glaubt.“ Wenn diese Gespräche dann scheiterten, habe die Bundesregierung wenigstens getan, was sie konnte. Am 17. Oktober fand in Köln ein zweistündiges Gespräch zwischen Dibelius und Adenauer statt191. Der Bundeskanzler machte darin klar, dass er eine waffenlose Neutralisierung Deutschlands für völlig unrealistisch hielt. Der Weg zur Wiedervereinigung führe über den EVG-Eintritt und die Wiederherstellung der Souveränität der Bundesrepublik, erklärte er dem Bischof. Das Gespräch hinterließ bei Dibelius den Eindruck, dass Adenauer mit der Realisierung gesamtdeutscher Wahlen „für längere Zeit überhaupt nicht“ rechnete192. Am 25. Oktober berichtete Dibelius dem Rat von seinem Gespräch. Grüber unterrichtete die Ratsmitglieder seinerseits über eine Unterhaltung mit Grotewohl und versicherte, dass der DDR-Ministerpräsident sich über den für die SED ungünstigen Ausgang allgemeiner Wahlen völlig im Klaren sei193. Nach einer Aussprache bat der Rat seinen Vorsitzenden, den Regierungschefs der Bundesrepublik und der DDR die „Wünsche“ der EKD „zur Frage der Wiedervereinigung“ vorzutragen194. 188 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 6./7.9.1951 (EZA BERLIN, 2/1793). 189 Die Rede ist abgedruckt in: KJ 78, 1951, S. 159–170. 190 Brief in Auszügen abgedruckt bei: G. BESIER, SED-Staat, S. 92. 191 Vgl. den Tagebucheintrag von Dibelius zum 17.10.1951. Teilabdruck in: H. P. MENSING, Adenauer, S. 56f. 192 EBD., S. 57. 193 Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 25.10.1951 (LKA NÜRNBERG, Meiser 140). 194 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 25.10.1951 (EZA BERLIN, 2/1794).

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Indirekt erfolgte dies bereits am selben Tag in einem Artikel von Dibelius in „Christ und Welt“195. Unter der Überschrift „Evangelische Kirche zwischen Ost und West“ erklärte der Ratsvorsitzende, dass sich die EKD trotz der Auseinandersetzungen in drei Punkten einig sei: „1. Die Kirche Jesu Christi ist eine Macht des Friedens und steht für den Frieden ein!“ Die evangelische Kirche lasse sich daher nicht für einen „Kreuzzug“ für das christliche Abendland in Dienst nehmen. Ein „gerechter“ Krieg sei angesichts der Massenvernichtungsmittel nicht mehr möglich. Die Kirche verschließe aber dennoch nicht die Augen vor den Menschenrechtsverletzungen und vor der Religionsfeindlichkeit im Osten. „2. Die evangelische Kirche steht für die Einheit Deutschlands ein.“ Sie vertrete daher die Ansicht, dass die Verhandlungsangebote der einen Seite durch die andere Seite nicht „mit Verachtung zurückgewiesen werden sollen, sondern daß man miteinander reden soll.“ 3. „Die evangelische Kirche kann der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht nicht das Wort reden.“ Sie werde allerdings auch nicht gegen sie agieren. Stattdessen werde sie für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung eintreten und sich für den europäischen Gedanken einsetzen. Alle anderen politischen Fragen aber, und das bedeutete auch die Wiederaufrüstung und ihre möglichen Folgen für die Chance auf eine Wiedervereinigung, waren nach Dibelius’ Auffassung eine Sache des politischen Urteils und nicht der Glaubensüberzeugung. Es sei keineswegs „christlich“ zu meinen, so erklärte der Bischof in Richtung Nationalneutralisten, „daß ein unverteidigtes deutsches Niemandsland dem Frieden mehr dient als ein Deutschland, das in einen großen Verteidigungsplan eingebaut ist.“ Direkt konnte Dibelius seinen Ratsauftrag am 5. November erfüllen. An diesem Tag fand in Königswinter ein Gespräch zwischen Vertretern der Bundesregierung und der EKD statt, allerdings ohne die Adenauer-Gegner Niemöller, Heinemann und Wilm, die nicht eingeladen waren196. Initiiert hatte das Treffen Eberhard Müller, der die bundesweit einflussreiche Evangelische Akademie Bad Boll leitete. Müller fürchtete, dass Heinemann und Niemöller den Rat der EKD für eine Stellungnahme gegen die Pläne Adenauers und damit gegen eine Teilnahme der Bundesrepublik an einer westlichen Verteidigungsgemeinschaft zu gewinnen versuchten197. Das Kirchengespräch mit dem Bundeskanzler sollte genau dies verhindern. Adenauer erläuterte den Kirchenvertretern in einer einstündigen Ansprache seine Einschätzung des Ost-WestKonfliktes und der deutschen Situation. Nicht ohne Dramatik erklärte er ihnen, dass falls die Bundesregierung auf Grotewohls Vorschläge eingehe, sie 48 Millionen Deutsche und ganz Europa „der russischen Sklaverei ausliefern“ würde198. „Der einzige und 195 ChrWelt, 25.10.1951, S. 3. 196 Über das Treffen gibt es Berichte von E. Müller und Held, die im KJ 78, 1951, S. 175–181, abgedruckt sind und inhaltlich weit auseinandergehen. Meiser fertigte über das Gespräch eine Mitschrift an (LKA NÜRNBERG, Meiser Mappe A). Des Weiteren gibt es den Tagebucheintrag von Staatssekretär Lenz (O. LENZ, Zentrum, S. 163–166). Meisers und Lenz’ Aufzeichnungen decken sich weitgehend. Die Autorin folgt daher der Mitschrift Meisers. Dort, wo diese abbricht, wird die Aufzeichnung von Lenz herangezogen. 197 Vgl. D. HEIMERL, Kirche, S. 191. 198 Mitschrift Meisers (LKA NÜRNBERG, Meiser Mappe A).

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sichere Weg zur Wiedervereinigung ist der Weg über Europa. Wir müssen diesen Weg gehen. Verteidigungsgemeinschaft, Atlantische Gemeinschaft, Generalvertrag“, warb der Bundeskanzler für sein politisches Programm und versicherte zur Beruhigung seiner Zuhörer, dass im Generalvertrag ausdrücklich erklärt werden solle, dass das Ziel der gesamten Politik die Wiedervereinigung Deutschlands sei. Dieses Ziel könne aber nur erreicht werden, wenn die westdeutsche Politik konsequent und fest bleibe, schloss der Bundeskanzler seine Ausführung. Dibelius sicherte ihm anschließend zu, dass gegen ihn von Seiten der evangelischen Kirche keine „Fronde“ entstehe. Die politische Verantwortung liege bei den Politikern, nicht bei den Kirchenvertretern. Die evangelische Kirche werde sich daher hinsichtlich politischer Stellungnahmen zurückhalten, sowohl in Fragen, in denen sie mit der Bundesregierung übereinstimme, als auch in Punkten, wo sie anderer Ansicht sei. Nach so vielen Zusicherungen machte der Ratsvorsitzende dann aber auch einige kritische Anmerkungen. Die EKD sei eine gesamtdeutsche Institution und könne die Hoffnungen, welche die Grotewohl-Vorschläge in der DDR-Bevölkerung erweckt hätten, nicht ignorieren. Es entstehe daher in der evangelischen Kirche immer mehr die Frage, ob nicht schon jetzt das Konzept der europäischen Integration mit dem Gedanken der deutschen Wiedervereinigung verbunden werden könne. Dibelius mahnte Adenauer: „Jetzt sind Angebote gemacht worden von Deutschen an Deutsche. Könnte nicht der Gedanke der Wiedervereinigung stärker zur Geltung gebracht werden? Es hat sich in den letzten Monaten allerlei gebessert. Es ist noch nicht genug bekannt geworden. Das politische Bekenntnis zur Einheit Deutschlands sollte nicht nur mit Worten, sondern mit sichtbaren Vorgängen gekennzeichnet werden. Es müßte sichtbar gezeigt werden, der Westen will wirklich die Wiedervereinigung. Uns scheint das Problem so zu sein, wer gibt den 17 Millionen des Ostens das Vertrauen. Der Wille zur Einheit besteht nicht nur in programmatischen Erklärungen, sondern es steht ein wirklicher Wille, ein wirkliches Pathos dahinter. In diesem Pathos sind wir in der Ev. Kirche alle einig.“199

Allerdings hielt auch Dibelius die Zeit für gesamtdeutsche Wahlen noch nicht für reif. Adenauer versicherte ihm, dass er es als seine Pflicht ansehe, zu dem „erstmöglichen Zeitpunkt, der Erfolg verspricht“, die Wiedervereinigung herbeizuführen. Diesen Zeitpunkt hielt er aber eben noch nicht für gekommen. Gegenüber den Kirchenvertretern erklärte er, man helfe den Ostdeutschen am „sichersten und schnellsten“, indem die Bundesregierung ihre jetzige Europapolitik fortführte200. Kreyssig warnte jedoch, dass der „echte historische Moment [. . .] nicht aus Angst um Sicherheit verpaßt werden“ dürfe201. Adenauer dürfe sich die Initiative nicht aus der Hand nehmen lassen. Auch andere anwesende Kirchenvertreter äußerten Bedenken. So befürchtete Hartenstein, dass die Westintegration mit der Ostintegration beantwortet werden würde. Der AGEJD-Vorsitzende Müller wies darauf hin, dass die Jugend gegen eine Wehrpflicht eingestellt sei. Allerdings wolle sie auch keine Freiwilligenarmee, „die die alten Nazis wie199 EBD. 200 EBD. 201 O. LENZ, Zentrum, S. 165.

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der zusammenführen würde und den alten deutschen Militarismus wieder zum Leben erwecken würden.“202 Der lutherische Bischof Meiser verwies darauf, dass die Kirche in diesen schwierigen politischen Fragen keine Stellung nehmen könne. Doch auch er warnte, vor allem im Hinblick auf die Haltung der Jugend, vor zu langem Zögern. Von derlei Bedenken und Warnungen war in dem anschließenden Pressegespräch, an dem Adenauer nicht teilnahm, nichts mehr zu hören203. Eberhard Müller vermittelte in seinem Bericht über das Treffen in „Christ und Welt“ den Eindruck, als habe der Kanzler in dem Gespräch die evangelischen Kirchenvertreter für seinen Kurs in der Wehr- und Wiedervereinigungsfrage gewonnen und sie davon überzeugt, „daß der katholische Glaube des Kanzlers ihn nicht hindert, im wahren Sinn des Wortes deutsche Politik zu treiben“204. Diese einseitige Berichterstattung wurde in der Kirchenkonferenz und im Rat der EKD von Niesel, Stempel, Hartenstein und Hahn aus unterschiedlichen Gründen scharf kritisiert. „Was Müller angerichtet hat, ist für den Osten ganz schlimm“, erklärte der sächsische Bischof205. Dibelius musste Müller die Kritik des Rates in einem Brief übermitteln. Zehn Tage nach dem Treffen mit Adenauer kam der Ratsvorsitzende in Karlshorst mit dem Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland, Armeegeneral Wassili I. Tschuikow, und dessen Politberater Wladimir S. Semjonow zusammen206. Beide hatten den Bischof um das vertrauliche Gespräch gebeten. Den Anlass dazu gab ein Brief von Dibelius an den Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR Stalin vom 18. September. Darin hatte der Bischof auf eine Änderung der Justizpraxis in der DDR gedrängt und argumentiert, dass diese das „deutsche Rechtsempfinden“ verletze und die Sehnsucht der DDR-Bürger nach dem Westen fördere207. Tschujkow bestätigte den Empfang durch den Adressaten und versicherte, dass die Sowjetische Kontrollkommission zu den im Brief angesprochenen Fragen „die notwendigen Maßnahmen“ ergreifen werde208. Das Gespräch drehte sich dann zunächst um drei Punkte: die noch in der UdSSR festgehaltenen deutschen Kriegsgefangenen, die Verhaftungen von Deutschen durch die sowjetische Besatzungsmacht und die innerdeutsche Spionage209. Anschließend versuchten die beiden Russen, von Dibelius den Inhalt seines Gesprächs mit Adenauer zu erfahren210. In seiner Darstellung der Position des Bun-

202 EBD. 203 Vgl. E. SCHERSTJANOI/C. STAPPENBECK, Dibelius, S. 1037. 204 ChrWelt, 15.11.1951, S. 1f., hier S. 2. 205 Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 7.12.1951 (LKA NÜRNBERG, Meiser 140). 206 Dibelius berichtete über dieses Gespräch auf der Kirchenkonferenz der EKD am 6./7.12.1951. Vgl. Meisers Mitschrift hierüber (LKA NÜRNBERG, Meiser Mappe I/11). Vgl. auch E. SCHERSTJANOI/C. STAPPENBECK, Dibelius. 207 Abdruck in: G. HEIDTMANN, Kirche, S. 159f. 208 Abdruck einer Übersetzung des russischen Protokolls in: E. SCHERSTJANOI/C. STAPPENBECK, Dibelius, S. 1043–1047, hier S. 1043. 209 Vgl. EBD., S. 1043ff. 210 Mitschrift Meisers über die Kirchenkonferenz der EKD am 6./7.12.1951 (LKA NÜRNBERG, Meiser Mappe I/11).

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deskanzlers machte der Bischof aus Adenauers Aussage: „Es ist Pflicht, zu dem erstmöglichen Zeitpunkt, der Erfolg verspricht, die Wiedervereinigung herbeizuführen“211 laut sowjetischem Protokoll den Satz, Adenauer sei „zu Gesprächen zwischen Ost und West zu jeder Stunde, die einen erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen in Aussicht stellen würde, bereit.“212 Semjonow erwiderte, eine solche Formulierung über den Zeitpunkt werde nur dann gebraucht, wenn man keine Verhandlungen wolle. Dibelius verwies darauf, dass viele Bundestagsabgeordnete ihre Bereitschaft zu Verhandlungen zwischen Ost und West erklärt hätten. Auf Tschuikows Rückfrage, wie stark im Bundestag das Streben nach Wiedervereinigung sei, erklärte Dibelius: „wenn diesbezüglich morgen irgendein Angebot gemacht würde, so würde die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten dafür eintreten, daß Verhandlungen über die Vereinigung Deutschlands volle Fahrt gegeben würde.“213 Damit musste er seinen Gesprächspartnern den Eindruck vermitteln, dass weitere östliche Deutschlandinitiativen Aussicht auf Erfolg haben konnten. Über Adenauers Haltung zu gesamtdeutschen Wahlen, die Semjonow als „nicht ganz aufrichtig“ bezeichnete, äußerte sich der Bischof mit den Worten: „Aber im Ergebnis zahlreicher Gespräche mit Herrn Adenauer habe ich den Eindruck gewonnen, daß Adenauer für gesamtdeutsche Wahlen ist. Ich weiß nicht, ob er sie wirklich will, aber die politische Situation zwingt ihn, gerade so zu handeln. Ich bin überzeugt, wenn die Sache zur unausweichlichen Inangriffnahme konkreter Schritte heranreifte, so würde Adenauer von Leuten in seinem Umkreis gezwungen werden, sich ernsthaft mit dieser Frage zu befassen. [. . .] Adenauer will keine Gespräche, sondern die Durchführung von Wahlen, und hierbei ist er ehrlich.“214

Die sowjetische Position umschrieb Tschujkow dahingehend, dass das „letztendliche Ziel“ der UdSSR „in der Erlangung des Friedens auf dem Weg des Abbruchs der Remilitarisierung, der Vereinigung Deutschlands, des Abschlusses eines Friedensvertrages sowie im Abzug der Truppen“ liege215. Es sei an der Zeit, den Deutschen das Selbstbestimmungsrecht zuzubilligen. Am 19. November setzte Dibelius seine deutschlandpolitischen Vermittlungsbemühungen fort und traf Grotewohl. Der Ratsvorsitzende äußerte auch ihm gegenüber den Wunsch der EKD, es möge in der Wiedervereinigungsfrage bald eine Verständigung erreicht werden216. Der Ministerpräsident erklärte, dass er es begrüße, wenn die Evangelische Kirche in der „ihr gemäßen Form“ den Boden für die Wiedervereinigung des deutschen Volkes bereiten helfe. Er gab in dem Gespräch offen zu, dass er auf 211 Mitschrift Meisers (LKA NÜRNBERG, Meiser Mappe A). Lenz hatte notiert: „Die Einheit Deutschlands muß zum erstmöglichen Zeitpunkt, der Erfolg verspricht, entschieden werden.“ O. LENZ, Zentrum, S. 164. 212 E. SCHERSTJANOI/C. STAPPENBECK, Dibelius, S. 1045. 213 EBD., S. 1046. 214 EBD. 215 EBD., S. 1046f. 216 Vgl. die Meldung über das Treffen im ND vom 21.11.1951 und ARCHIV, Bd. 1, S. 595.

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Weisung der UdSSR handelte und dass durch die gesamtdeutschen Gespräche und die daran anschließenden gesamtdeutschen Wahlen die Remilitarisierung der Bundesrepublik verhindert werden sollte217. Während Dibelius als stiller Diplomat unterwegs war, wandte sich Heinemann an die Öffentlichkeit. Im November gründete er unter dem Eindruck der bundesdeutschen Ablehnung der Grotewohl-Vorschläge zusammen mit der Vorsitzenden des Zentrums, Helene Wessel218, die außerparlamentarische Sammlungsbewegung „Notgemeinschaft für den Frieden Europas“219. Die in ihr versammelten Pazifisten und ehemaligen Soldaten, Protestanten in der Tradition der Bekennenden Kirche und Vertreter des Linkskatholizismus verband die Kritik an der Adenauerschen Deutschland- und Westintegrationspolitik. Die Notgemeinschaft wandte sich mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit220 und mit einer Petition an den Bundestag. In beiden sprach sie sich aus national- und friedenspolitischen Gründen gegen einen deutschen Wehrbeitrag aus, ohne allerdings selbst ein festes Programm in Sicherheitsfragen vorzulegen. Ost-Berlin war über die bevorstehende Gründung der Sammlungsbewegung bereits seit Mitte September durch Herbert Mochalski informiert. Dieser nahm dann auch über einen längeren Zeitraum eine Schlüsselposition bei der Aufrechterhaltung des Kontaktes mit Ost-Berlin ein221. Mehr Aufmerksamkeit als die Gründung der „Notgemeinschaft“ erregte Anfang 1952 die eigenverantwortliche Reise von Martin Niemöller nach Moskau. Der Vorschlag zu dieser Reise stammte von Heinz Willmann, dem Generalsekretär des Deutschen Friedensrates,222 die Einladung erfolgte von Seiten des Patriarchen der RussischOrthodoxen Kirche223. Kurz vor seiner Abreise beriet sich der Kirchenpräsident mit Held, Beckmann, Wilm, Iwand sowie dem Vizepräsidenten des Kirchlichen Außenamtes Gerhard Stratenwerth. Den Ratsvorsitzenden unterrichtete er erst auf dem Weg nach Moskau über die Reise. In Moskau selbst führte Niemöller vornehmlich Gespräche über kirchliche Fragen. Ihm ging es darum, wie er im Nachhinein erklärte, über die ideologische Grenze hinweg Kontakte zu den osteuropäischen Christen und Kirchen zu knüpfen. Hinzu kamen zwei humanitäre Themen: die Frage der deutschen Kriegsgefangenen und die Situation der deutschen Vertragsarbeiter in Russland. Die Kriegsgefangenenfrage behandelte Niemöller allerdings gegenüber seinen sowjetischen Gesprächspartnern bewusst als friedenspolitische Frage224. Die sowjetische Seite ging davon aus, dass der Kirchenpräsident in Deutschland über großen Einfluss verfügte und versuchte daher, den Besuch politisch für sich auszunutzen225. In der Bun217 So schrieb Dibelius zum 19.11.1951 in sein Tagebuch (BArch KOBLENZ, N 1439/3). 218 Zum politischen Weg Wessels vgl. E. FRIESE, Wessel. 219 Zur „Notgemeinschaft“ vgl. J. MÜLLER, Volkspartei, S. 116–205; D. KOCH, Heinemann, S. 267–291. 220 Abdruck in: KJ 79, 1952, S. 22f. 221 Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 200. 222 Vgl. M. GRESCHAT, Feind, S. 348f. 223 Vgl. J. NIEMÖLLER, Erkundung; M. ROHKRÄMER, Ost-West-Begegnungen, S. 930–936; KJ 79, 1952, S. 6–14. 224 Vgl. KGMOBIL, Kirchen, S. 17. 225 Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 190.

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desrepublik wurde Niemöller vor und nach seiner Reise in der kirchlichen Presse verhalten, in der politischen Presse hingegen heftigst kritisiert226. Seine Reise wurde als Parteinahme für die Sowjetunion gedeutet. Adenauer höchstpersönlich erklärte: „Ich finde es tief bedauerlich, daß ein Deutscher in der Position D. Niemöllers seiner Regierung auf diese Weise und zu diesem Zeitpunkt in den Rücken fällt.“227 Von kirchlicher Seite wurde mit Recht kritisiert, dass Niemöller die Situation der orthodoxen Kirche in der UdSSR zu positiv dargestellt habe; in der Kirchlichen Ostkonferenz gab es zu dem Besuch ausschließlich ablehnende Stimmen228. Die Gründung der „Notgemeinschaft“ durch Heinemann, die Moskau-Reise Niemöllers sowie die Tatsache, dass der Kirchenpräsident um die Jahreswende 1951/52 versucht hatte, über eine private Unterschriftensammlung bei gleichgesinnten Synodalen doch noch die Forderung nach einer Sondersynode zum kommenden Wehrgesetz durchzusetzen229, dies alles zusammen drohte Ende Januar die EKD zu sprengen230. Dibelius’ Kompromissbereitschaft war am Ende. Er kündigte an, sich aus der ökumenischen Arbeit der EKD zurückzuziehen. Der Ratsvorsitzende verlangte, dass auf einer Synode die Entscheidung fallen sollte, wo die EKD in der Frage eines westdeutschen Wehrbeitrages mehrheitlich stand. Er schlug vor, die ordentliche Tagung der Synode vorzuverlegen. Mager war gegen die Einberufung einer Synode zur Wehrfrage, da sie die ostdeutschen Synodalen in eine schwierige Lage bringen und im Grunde zum Schweigen verurteilen würde. Kreyssig beklagte, Niemöller habe sich vor seiner Reise nicht mit den ostdeutschen Kirchenvertretern in Verbindung gesetzt. Unter ihnen bestand die Auffassung: „Niemöller hört uns nicht mehr.“231 Lilje kritisierte, dass in der Bevölkerung der Eindruck entstanden sei, man könne aus christlichem Gewissen nur gegen die Wiederaufrüstung Stellung nehmen. Die Lutheraner würden von dem Kreis um Niemöller und Heinemann fortwährend bezichtigt werden, nicht zu wissen, „was die Sache des Evangeliums ist.“232 Smend sah die EKD in der Frage der öffentlichen Verantwortung der Kirche vor einer konfessionellen Spaltung. Die beiden Lutheraner Herntrich und Mager warfen Niemöller und seinem Kreis vor, die bundesdeutsche Regierung nicht als Obrigkeit anzuerkennen. Hahn bat Niemöller, sich aus der Politik zurückzuziehen, was dieser ablehnte, da es um eine „Lebensfrage“ des deutschen Volkes gehe233. Dibelius wiederum forderte Heinemann auf, seine politischen Aktivitäten zu reduzieren. Am Ende dieser brisanten Ratssitzung stimmten fünf 226 Vgl. KJ 79, 1952, S. 6–14; M. ROHKRÄMER, Ost-West-Begegnungen, S. 934f.; U. BAYER, Vorhang, S. 116–122. 227 Zitiert nach M. ROHKRÄMER, Ost-West-Begegnungen, S. 934. 228 Dies berichtete Dibelius auf der Sitzung des Rates der EKD am 24./25.1.1952. Vgl. Mitschrift Meisers. Abgedruckt in: D. BUCHHAAS-BIRKHOLZ, Weg, S. 135–155, hier S. 144. 229 Vgl. hierzu J. VOGEL, Kirche, S. 163. 230 Vgl. Mitschrift Meisers über die vertrauliche Aussprache des Rates über „die allgemeine Lage“ am 24./25.1.1952. Abgedruckt in: D. BUCHHAAS-BIRKHOLZ, Weg, S. 135–155. 231 EBD., S. 149. 232 EBD., S. 138. 233 EBD., S. 154.

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Ratsmitglieder für und sechs gegen eine vorzeitige Einberufung der Synode. Auch als Anfang bzw. Mitte Februar der Reichsbruderrat234 und die rheinische Kirchenleitung235 um die baldmöglichste Einberufung der Synode baten, blieb der Rat bei seiner Entscheidung. Sie fiel im März mit sechs zu drei Stimmen gegen den Antrag der rheinischen Kirchenleitung sogar noch deutlicher aus als im Januar236. Denn in der Zwischenzeit hatten sich die Spannungen noch weiter verschärft. Bereits im November 1951 hatten sich protestantische Wiederbewaffnungsbefürworter auf Initiative von Müller, Thadden und Lilje im elitären „Kronberger Kreis“ gesammelt237. Dieser verfolgte das Ziel, Adenauers Kurs der Westbindung zu unterstützen, den innerkirchlichen Einfluss der Gruppe um Niemöller und Heinemann zurückzudrängen sowie protestantischen Positionen im öffentlichen Leben mehr Gewicht zu verschaffen. Im Februar 1952 publizierte er ohne seine Urheberschaft zu benennen238 in mehreren Zeitungen eine Denkschrift über „Wehrbeitrag und christliches Gewissen“, die u. a. von zehn amtierenden und zwei früheren Landesbischöfen unterzeichnet war. In der viel beachteten Schrift wurde bestritten, „daß ein prophetisches Amt der Kirche den Auftrag hat, das deutsche Volk vor der Mitwirkung an einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu warnen“. In der Wiedervereinigungsfrage legten die Autoren den Primat auf die Freiheit. Als Reaktion auf eine national-humanitäre Argumentation gegen die Wiederbewaffnung hieß es, es sei „nicht Aufgabe der Kirche, die Frage zu beantworten, ob die Liebe zu den Brüdern im Osten eine Bejahung oder eine Verneinung des Wehrbeitrages nahelegt. Denn sicher ist nur, daß eine deutsche Einheit ohne Freiheit unseren Brüdern im Osten keine Erfüllung, sondern eine endgültige Zerstörung ihrer Hoffnungen bringen würde.“239

Aufgrund der geschickten Pressearbeit von Müller und der Unterschrift vieler prominenter kirchlicher Amtsträger unter Angabe ihrer Amts- und Funktionsbezeichnung wurde mit dieser Denkschrift der Öffentlichkeit der Eindruck vermittelt, die evangelische Kirche bejahe eine Wiederaufrüstung. Dies führte wiederum zum Protest anderer kirchlicher Wortführer240. Zu den Unterzeichnern der Denkschrift gehörten auch der Vorsitzende der AGEJD Manfred Müller und der Generalsekretär der ESGiD Horst Bannach. Dieser Umstand bedeutete aber nicht, dass innerhalb der evangelischen Jugend und Studentenschaft 234 Niemöller an Dibelius, 2.2.1952 (NL SMEND). 235 Abdruck des Antrages in: KJ 79, 1952, S. 23f. 236 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 13.3.1952 (EZA BERLIN, 2/1794). Dibelius hatte dem Rat über den Antrag des Bruderrates nur berichtet, ihn aber nicht vorgelegt. In seinem Schreiben an Niemöller vom 7.2.1952 begründete er dies: „Ich kann nicht zulassen, daß Ratsmitglieder, die bei einer Beschlussfassung in der Minderheit geblieben sind, gestützt auf eine Organisation ihrer Freunde ihren Willen doch noch durchzusetzen versuchen“ (NL SMEND). 237 Zu dessen Geschichte vgl. T. SAUER, Westorientierung. 238 Vgl. EBD., S. 102. 239 Vgl. KJ 79, 1952, S. 14–21, hier S. 15f. 240 U. a. von Wilm, Stempel und Held unterzeichnetes Schreiben an die an der Denkschrift beteiligten Bischöfe vom März 1952. Abdruck in: EBD., S. 17f.

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in der Frage der Deutschland- und Sicherheitspolitik Einigkeit herrschte. Als nicht eben repräsentativ konnte die Position von Mochalski gelten, inzwischen Studentenpfarrer in Darmstadt. Er trat am 2. März 1952 als Mitinitiator auf dem „Treffen der jungen Generation“ in Darmstadt auf. Die von rund tausend Remilitarisierungsgegnern besuchte Versammlung beschloss neben zahlreichen Telegrammen an führende Politiker und Kirchenmänner eine Erklärung und einen Aufruf an die junge Generation. Darin wurde die Jugend aufgefordert, sich der Wiederbewaffnung zu widersetzen, da sie die deutsche Einheit verhindere241. Schon damals gab es den Verdacht, die Veranstaltung sei kommunistisch unterwandert gewesen, was sich später bestätigte242. Offiziell waren an der auch im Reichsbruderrat heftig umstrittenen Veranstaltung in Darmstadt weder die ESGiD noch die AGEJD beteiligt. Letztere äußerte sich im Wissen um die in ihrer Mitte vorhandenen Meinungsgegensätze im April zum Waffendienst243. Im Unterschied zu manchen nichtkirchlichen Jugendvereinigungen gab die Leitung der AGEJD darin weder eine Empfehlung für noch gegen den Wehrdienst ab. Sie positionierte sich auch nicht in der Frage Westbindung oder Neutralität. All dies überließ sie der Gewissensentscheidung des Einzelnen. Von den Regierungen verlangte sie jedoch, am Ziel der Wiedervereinigung festzuhalten und das Recht auf Wehrdienstverweigerung zu sichern. Diese Erklärung entstand bereits vor dem Hintergrund neuer, sehr weit reichender deutschlandpolitischer Initiativen der Sowjetunion, welche auch die innerkirchliche Diskussion noch einmal neu anheizten. Um das neue System militärischer Westintegration unter Einschluss der Bundesrepublik zu verhindern244, schlug Stalin am 10. März den Westmächten Verhandlungen über einen Friedensvertrag mit der Regierung eines neutralisierten Deutschlands in den Grenzen von 1945 vor245. Nach Abzug der Besatzungstruppen sollte dem neutralen Deutschland der Unterhalt eigener Streitkräfte erlaubt werden. Der damit ausgelöste „Noten-Krieg“ zwischen der Sowjetunion, die sich in einer zweiten Note vom 9. April selbst auf die Forderung nach freien Wahlen zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung einließ, und den Westmächten zog sich bis in den Spätsommer. In der Bundesrepublik wurde Adenauer, der ebenso wie die Westmächte die Vorschläge der Sowjetunion als deren letzten Versuch wertete, die westeuropäische Einigung sowie die militärische Westintegration der Bundesrepublik zu verhindern und die USA aus Europa zu verdrängen, heftig angegriffen. SPD, FDP 241 Vgl. EBD., S. 24ff. 242 Vgl. M. HERMS, Linien, S. 262–273. 243 Votum der EJD zum Waffendienst. Entscheidung aus dem Gehorsam des Glaubens. Abdruck in: E. WEISSER, Freiheit, S. 194f. 244 Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 508. 245 Der Streit über die Ernsthaftigkeit dieses Angebots und die Möglichkeiten damaliger Deutschlandpolitik hält in der Forschung bis heute an. Dazu zuletzt: J. ZARUSKY, Stalin-Note. Lemke sieht in den Stalin-Noten den Übergang von einem „nationalen ‚Kurzzeit‘-Programm“ zu einem längerfristigeren Programm. Das Neutralitätskonzept habe für die UdSSR eine Zwischenlösung der Deutschen Frage bedeutet. Ihr Endziel sei nach wie vor die Schaffung eines sozialistischen Deutschlands als Teil einer sowjetisch geführten Weltordnung gewesen. Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 508f.

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und auch einige CDU-Vertreter forderten ein stärkeres Ausloten der sowjetischen Angebote, um nicht eine etwaige Chance zur Wiedervereinigung zu verpassen. In der politischen und kirchlichen Presse schlugen die Wogen über das Für und Wider der sowjetischen Vorschläge hoch246. Das Gros der protestantischen Presse reagierte positiv auf die Stalin-Noten und verlangte, dass die Bundesregierung sich in die Verhandlungen der vier Siegermächte einschalten sollte. Während der Rat der EKD zum „Noten-Krieg“ schwieg247, boten erneut einzelne Kirchenvertreter ihre Vermittlerdienste an. Bereits am 11. März fragte Dibelius bei Bundestagspräsident Ehlers an, ob dieser bereit sei, sich im Haus des Berliner Bischofs mit Volkskammerpräsident Dieckmann oder einem anderen DDR-Repräsentanten zu treffen248. Der Bischof gab seinem Vorschlag – eine modifizierte Variante seiner Initiative vom Winter 1950/51 – gegenüber Ehlers einen taktischen Anstrich: Adenauer sollte später einmal sagen können, es habe sich bei einer ersten deutsch-deutschen Fühlungnahme herausgestellt, dass die östlichen Vorschläge unannehmbar seien. Ehlers lehnte ein deutsch-deutsches Treffen nach Rücksprache mit Adenauer aber ab249. Am 18. März wandte sich Propst Grüber schriftlich an eine Reihe von Politikern und Kirchenvertretern. Er berichtete ihnen von seinen Gesprächen mit politisch Verantwortlichen in der DDR über die sowjetischen Vorschläge und drängte auf einen aktiven kirchlichen Beitrag für das Zustandekommen deutsch-deutscher Verhandlungen250. Politiker der zweiten Garde sollten Vorklärungen ermöglichen, die EKD die Verbindung zu den vier Siegermächten herstellen, die ihrerseits eine „adhoc-Kommission“ bilden und für Garantien bei den Wahlen sorgen sollten. Er selbst erklärte sich bereit, alle westdeutschen Bedenken und Fragen den Sowjets oder der DDR-Regierung vorzutragen. Mitte April wurde dann noch einmal Dibelius initiativ. In einem Vortrag auf der Westfälischen Pfarrertagung am 16. April plädierte er dafür, dass das gesamtdeutsche Gespräch möglichst kräftig vorangetrieben werde. Er schlug vor, die Kirche könne bei der korrekten Durchführung freier, gesamtdeutscher Wahlen Hilfestellung leisten251. Dibelius dachte daran, dass die Kirchen ihren moralischen Kredit in die Waagschale werfen und auf der untersten Ebene die Wahlen überwachen könnten. Praktisch sollte die Durchführung der Wahl so aussehen, dass entweder von der UNO oder von den vier Siegermächten unter Einbeziehung der beiden deutschen Regierun-

246 Vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 124–128. 247 Nach einer längeren Aussprache sah der Rat auf seiner Sitzung am 8./9.5.1952 davon ab, sich über die Durchführung von gesamtdeutschen Wahlen und die damit zusammenhängenden Fragen zu äußern. Vgl. Niederschrift über die Ratstagung (EZA BERLIN, 2/1794). Auf die Tagesordnung der Märzsitzung war das Thema erst gar nicht gesetzt worden. Dibelius hielt die Erörterung der Frage eines aktiven kirchlichen Vermittlungsbemühens aufgrund der „zufälligen Zusammensetzung“ des Rates bei dieser Sitzung für nicht sinnvoll. Vgl. T. FRIEBEL, Kirche, S. 416. 248 G. BESIER, SED-Staat, S. 96f. 249 Ehlers an Dibelius, 21.4.1952. Teilabdruck in: EBD., S. 97. 250 Vgl. T. FRIEBEL, Kirche, S. 416f. 251 Vermerk Kunsts über eine fernmündliche Unterredung mit Dibelius am 19.4.1952 (EZA BERLIN, 87/96/70,1).

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gen die Grundsätze der Wahl geregelt würden. Die UNO hätte dann in jeder Kreisstadt einen kleinen Stab einzusetzen, an den sich der jeweilige Kirchenvorstand beim Auftreten von Schwierigkeiten wenden könnte. Die Kirchenvertreter sollten lediglich die Aufgabe haben, dafür zu sorgen, dass eine Stelle vorhanden sei, welche die geheime Wahl und die korrekte Stimmenauszählung sichere. Ohne auf seinen konkreten Vorschlag einzugehen, äußerte Ulbricht seine Genugtuung darüber, dass Dibelius die Frage der Bildung einer gesamtdeutschen Regierung so nachdrücklich aufgenommen habe. Auf westdeutscher Seite war man weniger erfreut über die Initiative des Bischofs. Über einen Dritten ließ Dibelius jedoch Adenauer mitteilen, er stehe völlig hinter der Politik des Bundeskanzlers252. Ein Gleiches taten führende evangelische Mitglieder der CDU, die Mitte März zur Gründungsversammlung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU in Siegen zusammen kamen. Hauptziel der Tagung war es, ein Gegengewicht zu den Kreisen um Niemöller und Heinemann zu schaffen. Man wollte zeigen, dass es im Protestantismus neben den ablehnenden Stimmen zu Adenauers Sicherheits- und Deutschlandpolitik auch eine mindestens ebenso große Zahl von Befürwortern gab253. Es galt zu demonstrieren, dass die CDU keine rein katholische Partei und für evangelische Wähler wählbar war254. Die Passagen zum Problemkreis Wiederbewaffnung und Wiedervereinigung der in Siegen verabschiedeten Resolution waren aus dem von Hermann Ehlers geleiteten Arbeitskreis zum Thema „Unsere politische Verantwortung in einem geteilten Deutschland“ hervorgegangen. Der von Adenauer eingeschlagene Kurs in der Außen-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik wurde darin als der einzig erfolgversprechende dargestellt. Die Versammelten sprachen sich gegen eine außenpolitische Neutralisierung Deutschlands und für eine Westintegration der Bundesrepublik aus. Weiter bejahten sie einen deutschen Verteidigungsbeitrag, die allgemeine Wehrpflicht und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung255. Dieses uneingeschränkte Einverständnis der führenden evangelischen CDU-Politiker mit den Zielvorstellungen Adenauers führte im Protestantismus zu einer weiteren Verhärtung der Fronten. Im Mai und Juni drehte sich der Streit in der protestantischen Presse vor allem um den Deutschlandvertrag256. Altbischof Wurm war der Auffassung, der Vertrag diene dem Ziel, die Ausdehnung der sowjetischen Gewaltherrschaft zu bekämpfen. Niemöller konterte, die ostdeutsche Bevölkerung werde durch den Vertrag preisgegeben, um die westdeutsche zu retten. Wurms Antikommunismus stellte Niemöller seinen Antiamerikanismus entgegen, indem er erklärte, nicht nur die UdSSR, sondern auch die USA bedrohe „Leben und Freiheit und Recht“ der Deutschen257. Diese Äußerung rief Gerstenmaier auf den Plan. Er hielt dem Kirchenpräsidenten vor, eine „Neutralisie-

252 253 254 255 256 257

Vgl. O. LENZ, Zentrum, S. 305. Vgl. P. EGEN, Entstehung, S. 182. Vgl. T. OPPELLAND, Arbeitskreis, S. 111. Vgl. P. EGEN, Entstehung, S. 103. Vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 135–140. Niemöller antwortet Landesbischof D. Wurm. In: JK 13, 1952, S. 620ff., hier S. 621.

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rungsideologie“ zu vertreten258. Damit stigmatisierte er Niemöller, denn „Neutralisierung“ war in der bundesdeutschen Öffentlichkeit der fünfziger Jahre ein Synonym für Osthörigkeit259. Gerstenmaier warf Niemöller vor, er unterschätze die russische Gefahr und betreibe damit faktisch die Politik Piecks und Stalins. Zudem ignoriere er die europäischen Einigungsbestrebungen und verharre in seiner deutschnationalen Grundhaltung. Unmittelbar vor der Unterzeichnung des Deutschland- und des EVGVertrages durch die Außenminister der beteiligten Länder erklärte Dibelius im Berliner Sonntagsblatt „Die Kirche“: „Wir lassen es uns nicht zum Politicum machen! Die Wiedervereinigung Deutschlands nämlich.“260 Der Bischof erklärte die Wiedervereinigung zu einer humanitären Frage, für die folglich auch die Kirche zuständig war. Dann aber argumentierte der Bischof theologisch äußerst problematisch in nationalprotestantischer Tonlage weiter: „Wir haben es hundertmal gesagt und sagen es immer wieder: die Aufteilung Deutschlands ist wider alle Natur. [. . .] Der Schnitt geht mitten durch ein einheitliches Vaterland, willkürlich und unnatürlich. Wo aber Gott etwas zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht dazwischenschneiden! Deutschland kommt nie zur Ruhe und Europa auch nicht, solange diese unnatürliche Spaltung besteht! [. . .] Der Gedanke, daß auf beiden Seiten gar noch eine doppelte Wehrmacht gegeneinander aufgezogen wird, ist uns Deutschen, zumal uns Christen in Deutschland, unerträglich. Man komme uns nicht mit dem törichten Einwand, daß es für den Christen dasselbe sei, ob er auf die Söhne des eigenen Volkes oder auf Fremde zu schießen genötigt werde. Diebstahl ist immer Sünde, aber wenn der Sohn seine Mutter bestiehlt, dann ist das ein Zeichen besonders gemeiner Gesinnung. Krieg soll nach Gottes Willen überhaupt nicht sein. Aber wenn Deutsche auf Deutsche schießen, dann ist das ein Verbrechen ohnegleichen.“261

Dibelius kündigte an, die Kirche werde die Politiker immer wieder daran erinnern, dass diese dem deutschen Volk die Wiedervereinigung schuldig seien. „Tut, was ihr tun zu müssen glaubt, aber tut es immer mit dem Gedanken und mit dem Ziel: Deutschland muß wieder einig werden!“ appellierte Dibelius und zielte damit auf die regierende CDU. Er plädierte für Gespräche, Vereinbarungen und Verständigungen über die Wiedervereinigung, die auf der untersten Ebene anfangen könnten. Der Bischof verlangte von Adenauer keinen politischen Kurswechsel, aber deutschlandpolitische Gesten zur Beruhigung des gesamtdeutschen Bewusstseins. Am 26. und 27. Mai 1952 unterzeichneten die Außenminister der beteiligten Länder den Deutschland- sowie den EVG-Vertrag. Die DDR nahm diese Entwicklung zum Anlass, sich nach außen abzuriegeln und nach innen den Klassenkampf verstärkt voranzutreiben. Entlang der Zonengrenze wurde ein 5 km breites Sperrgebiet eingerichtet, der Reiseverkehr gedrosselt, das Telefon- und Straßennetz innerhalb Berlins unterbrochen und West-Berlinern die Einreise in die DDR verwehrt. Mitte Juli be258 259 260 261

E. Gerstenmaier: „Rezept Niemöller“. In: JK 13, 1952, S. 569ff., hier S. 570. Vgl. A. GALLUS, Neutralisten, S. 459. Berliner Sonntagsblatt. Die Kirche, 25.5.1952, S. 1. EBD.

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schloss die SED auf ihrer 2. Parteikonferenz, den bereits eingeleiteten politischen, ökonomischen und sozialen Transformationsprozess in der DDR zu beschleunigen. So traten an die Stelle der fünf Länder 14 Bezirke, die Justiz wurde neu geordnet, die Landwirtschaft zwangskollektiviert, die Schwerindustrie zu Lasten der Konsum- und Nahrungsmittelindustrie gefördert sowie der Aufbau eines militärischen Apparats in der DDR beschleunigt; Steuern und Arbeitsnormen wurden erhöht. Die Kirche bemühte sich, für die Menschen einzutreten, die unter der Teilung und den Systemveränderungen litten. So protestierten etwa die Bischöfe der betroffenen Landeskirchen gegen die gewaltsame Aussiedlung der Einwohner aus dem Grenzgebiet262. In der politischen und kirchlichen Öffentlichkeit der Bundesrepublik ging auch nach Unterzeichnung der Verträge, die noch durch die Parlamente ratifiziert werden mussten, der Kampf um deren Für und Wider weiter263. Innerkirchlich war man im Mai und Juni aber auch mit der Frage beschäftigt, ob Niemöller angesichts seiner politischen Stellungnahmen weiterhin das Amt des Präsidenten des Kirchlichen Außenamtes der EKD ausüben konnte264. Die Lutheraner erwogen, ein eigenes Außenamt einzurichten. Die Synode der lutherischen Kirche Schleswig-Holsteins beauftragte ihre Kirchenleitung, den Rat der EKD um eine Überprüfung zu bitten, ob Niemöller als Leiter des Außenamtes noch tragbar sei265. Die Fraktion der hessischen FDP verlangte offen seinen Rücktritt. Obgleich es ihm von mehreren Ratsmitgliedern nahe gelegt wurde, lehnte Niemöller einen Amtsverzicht zu diesem Zeitpunkt ab. Er erklärte jedoch, so wurde im Ratsprotokoll vom Juni festgehalten, „dass er bereit sei, von der Leitung des Kirchlichen Außenamtes zurückzutreten, sobald sich ein Augenblick ergibt, in dem dies ohne Mißdeutungen nach der politischen und nach der konfessionspolitischen Seite hin möglich ist. Der Rat nahm diese Erklärung von D. Niemöller zur Kenntnis.“266

Am 5. Juli sagte Niemöller seine Teilnahme am Kirchentag in Stuttgart ab. Als Begründung nannte er: „Das Programm ist offensichtlich für den Eindruck gearbeitet, daß hier eine gute ‚lutherische‘, gut württembergische und gut CDU-mäßige Linie gesteuert wird.“267 So fand der Kirchentag Ende August ohne ihn statt. Aus ganz anderen Gründen blieben ihm auch fast alle ostdeutschen Teilnehmer fern. Kaum ein DDRBürger hatte eine Ausreisegenehmigung erhalten268. So waren die Westdeutschen auch in der Arbeitsgruppe III (Politik) mit der Frage „Was geht den Christen die Politik 262 Die Briefe sind abgedruckt in: KJ 79, 1952, S. 184–196. 263 Vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 139ff. 264 Vgl. hierzu die Niederschriften Meisers über eine Besprechung zwischen Dibelius, Hartenstein, Niemöller, Niesel und ihm in Frankfurt/M. am 19.5.1952 und die Ratssitzung am 19.6.1952. Abdruck in: D. BUCHHAAS-BIRKHOLZ, Weg, S. 155–166. 265 Abdruck des Antrags in: KJ 79, 1952, S. 39f. 266 Niederschrift der Sitzung des Rates der EKD am 19./20.6.1952 (EZA BERLIN, 2/1795). 267 Niemöller an Giesen, 18.7.1952. Zitiert nach D. PALM, Brüder, S. 151. 268 Von den ursprünglich vorgesehenen 20.000 Teilnehmern aus der DDR konnten offiziell 35, inoffiziell ungefähr 100 kommen. Vgl. D. PALM, Brüder, S. 147.

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an?“ unter sich. Thematisch vorbereitet hatte die Arbeitsgruppe der Kronberger Kreis269. Und obwohl der Ostausschuss des Kirchentages die Wiedervereinigung für „das wichtigste Thema auf politischem Gebiet für den evangelischen Christen“ hielt, wurde sie in der Arbeitsgruppe offiziell nicht behandelt270. In den Diskussionen der Arbeitsgruppe war die Wiederbewaffnungsfrage das beherrschende Thema, wobei Befürworter und Gegner gleichermaßen zu Worte kamen271. Und auch Hermann Ehlers thematisierte die Aufrüstung in seinem Referat über die Frage „Wie sehen wir in die Zukunft?“. In seinen Ausführungen setzte er sich vor allem mit den Positionen von Niemöller und Heinemann auseinander, ohne die beiden zu nennen272. Ehlers versuchte in seiner Rede, politische und ideelle Westorientierung mit protestantischem gesamtdeutschem Bewusstsein zu versöhnen. Er stellte sich hinter den Kurs der militärischen Westintegration, der der Bundesrepublik und ganz Deutschland Sicherheit und Freiheit bringen werde, ordnete diese politische Entscheidung jedoch in den Bereich der „vorläufigen Lösungen“ für „Jahre oder Jahrzehnte“, nicht für „Jahrhunderte“ ein273. Er lehnte jeden politischen Rigorismus ab und verlangte bei politischen Entscheidungen, im Gegensatz zu Glaubensfragen, die Bereitschaft zum Kompromiss. Wo ein Kompromiss nicht möglich sei, müsse die Mehrheitsentscheidung geachtet werden. Politische Tagesentscheidungen dürften nicht mit grundsätzlichen Fragen der christlichen Verantwortung vermischt werden. Die Entmilitarisierung der Deutschen 1945 müsse als „zeitbedingter politischer Vorgang“ verstanden und dürfe nicht geschichtstheologisch gedeutet werden. Zur Wiedervereinigungsfrage erklärte er, dass die deutschen Protestanten aus der „Problematik des Volkes als Schöpfungsordnung“ und der politischen Instrumentalisierung dieser „falschen Theologie“ im Nationalsozialismus Lehren ziehen müssten. Sie dürften daher die „politische Forderung nach der Herstellung der staatlichen Einheit unseres Volkes“ nicht „zum Inhalt der christlichen Verkündigung“ machen. Christen hätten nicht die Aufgabe, „politische Ziele durch christliche Vokabeln überzeugungskräftiger zu machen.“274 Es sei ihnen allerdings geboten, „um des Nächsten willen diese Einheit zu wollen.“275 Da er selbst inzwischen davon ausging, dass der Weg, über die Westintegration zur Wiedervereinigung zu gelangen, ein weiter war, appellierte er an seine Zuhörer, die Kulturnation zu erhalten. Als Christen und Deutsche seien sie verpflichtet, die „kirchliche und volkliche Gemeinschaft“ täglich zu praktizieren und nicht „auf politische Aktionen und Entscheidungen“ zu warten, „in denen unser Wille zur Einheit sich irgendwann einmal realisieren kann.“276 Ehlers wandte sich auch gegen einen gesellschaftspolitischen Neutralismus. Man müsse anerkennen, dass der Westen den Menschen insgesamt und 269 270 271 272 273 274 275 276

Vgl. EBD., S. 149. EBD., S. 151. Abdruck der Diskussion in: LEBEN, S. 289–305. Abdruck des Referats in: EBD., S. 315–325. EBD., S. 318. EBD., S. 321f. EBD., S. 321. EBD., S. 322.

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auch den Christen Freiheiten gewähre, die der Osten ihnen verweigere. Er plädierte dafür, die repräsentative Demokratie und den Mut der Repräsentanten auch zu unpopulären Entscheidungen anzuerkennen. In der Diskussion über Ehlers’ Ausführungen stand erneut die Wiederbewaffnungsfrage im Mittelpunkt, wobei die Mehrheit der Beiträger gegen eine solche Stellung nahm277. Ernst Wilm verlas einen Aufruf, in dem sich die Unterzeichner, u. a. Grüber und Heinemann, in „ihrer politischen Verantwortung als Christen“ gegen eine deutsche Wiederbewaffnung wandten, weil sie zum Krieg führe278. Sie vertraten die Auffassung, dass eine deutsche Wiedervereinigung, wenn überhaupt, nur vor dem Abschluss des Deutschland- und des EVG-Vertrages zu erreichen war. Darum beschworen sie die Bundesregierung und den Bundestag, „in letzter Stunde“ in „ernsthafte Verhandlungen über die Wiedervereinigung einzutreten.“279 Am 23. August 1952 schlug die Sowjetunion in einer dritten Note eine Viermächte-Konferenz über Deutschland vor280. Die Tagesordnung sah u. a. die Bildung einer deutsch-deutschen Kommission aus Abgeordneten der Volkskammer und des Bundestages vor, welche die Bedingungen für gesamtdeutsche Wahlen prüfen sollte. Das Politbüro der SED und die DDR-Regierung stimmten der neuen Note zu. Sie beauftragten die Volkskammer und den Nationalrat der Nationalen Front, sich mit Aufrufen an das deutsche Volk zu wenden. Die Volkskammer erhielt überdies die Aufgabe, eine Delegation nach Bonn zu senden, um dem Bundestagspräsidium Vorschläge über die Teilnahme von Vertretern beider deutscher Staaten an der Viermächtekonferenz sowie die Modalitäten zur Bildung der Prüfungskommission zu unterbreiten. Der Vorschlag, eine deutsch-deutsche Kommission zu bilden, war lediglich eine modifizierte Fassung vorangegangener östlicher Vorstellungen. Er bot aber den Anlass zu einem Gespräch mit wichtigen Bonner Politikern, vor allem mit dem Bundestagspräsidenten. Am 9. September sandte Dieckmann ein entsprechendes Telegramm an Ehlers281. Aus der evangelischen Kirche kamen zwei Voten zugunsten des Besuches. Der Thüringer Landesbischof Mitzenheim schrieb am 10. September an seinen Amtskollegen Lilje. Ein Durchschlag des Briefes ging an Ehlers. Mitzenheim appellierte darin: „Helfen Sie, daß das Verlangen nach Beginn einer Aussprache von Deutschen mit Deutschen auch im Westen unseres Vaterlandes recht gehört und aufgenommen werde! Helfen Sie, daß ein gemeinsamer Appell der beiden Deutschland die verantwortlichen Weltmächte erreicht, sie möchten endlich unserem leidgeprüften Volk das einige Vaterland zurückgeben und davon Abstand nehmen, Söhne der gleichen Heimat gegeneinander zu bewaffnen!“282

In seinem Brief hieß es auch, dass die Bundesrepublik sich anschicken würde, wirtschaftliche und militärische Bindungen einzugehen, „deren Spitze sich auch gegen die 277 278 279 280 281 282

Abdruck der Diskussion in: EBD., S. 325–348. Abdruck in: EBD., S. 330ff. Zu dem Aufruf vgl. auch D. PALM, Brüder, S. 157. LEBEN, S. 331. Vgl. zum Folgenden: M. LEMKE, Einheit, S. 231ff. Abdruck in: ARCHIV, Bd. 1, S. 808. Zitiert nach: G. BESIER, SED-Staat, S. 101.

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Brüder im Osten richten muß.“ In diesem Punkt widersprach ihm Ehlers in seinem Antwortschreiben vehement283. Am 11. September wandte sich der Berliner Generalsuperintendent Jacobi an den Bundespräsidenten. Auch er bat ihn, die Abgeordneten der Volkskammer zu empfangen, verband damit aber eine andere Intention. Ehlers sollte ihnen aus christlicher Perspektive klarmachen, wie sehr die DDR-Bevölkerung unter dem Spitzelwesen, der Rechtlosigkeit und dem Arbeitsdruck leide284. Trotz heftiger Anfeindungen und Verdächtigungen und gegen den Willen Adenauers285 sorgte Ehlers dafür, dass die Volkskammerdelegation am 19. September empfangen wurde. Er beharrte auf dem Empfang mit der Begründung, in der Öffentlichkeit müsse der Anschein vermieden werden, dass der Bundestag sein Bekenntnis zur Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit nicht ernst meine286. Während er in der katholischen Presse hierfür fast durchgehend kritisiert wurde, erhielt er in den protestantischen Blättern Unterstützung287. Liljes „Sonntagsblatt“ lobte ihn als „Staatsmann“288. In der „Jungen Kirche“ wurde ein Brief von Gerhard Gloege an Ehlers abgedruckt. Darin teilte der Jenenser Theologe mit, dass er und „ungezählte Christen“ in der DDR den Entschluss des Bundestagspräsidenten begrüßt hätten289. Die Bundesregierung und die bundesdeutschen Parteien, mit Ausnahme der KPD, sahen hingegen in dem Besuch der Volkskammer-Delegation zu Recht den Versuch, auf die im Bundestag debattierte Ratifizierung des Deutschland- und des EVG-Vertrages Einfluss zu nehmen290. Das Politbüro schätzte das Unternehmen als einen „Erfolg zur Stärkung der Massenbewegung für die Einheit Deutschlands und gegen den Generalkriegsvertrag“ ein und beschloss eine Auswertungskampagne, in deren Mittelpunkt die „Herbeiführung des gesamtdeutschen Gesprächs“ stehen sollte291. Im Vorfeld der Ratifizierung des EVG-Vertrages durch den Bundestag konnte im Oktober wider Erwarten die Synode der EKD auf dem Gebiet der DDR tagen292. Es sollte jedoch das letzte Mal sein. In gesamtdeutscher Zusammensetzung tauschten in Elbingerode die Synodalen noch einmal alle Argumente der Wiederbewaffnungsdebatte aus und führten die Diskussion der Jahre 1950 bis 1952 zu einem gewissen versöhnlichen Abschluss, wodurch eine eindeutige Positionierung der EKD zur Wiederbewaffnungsfrage ausgeschlossen war. Trotz dieses Versöhnungszeichens blieben die theologischen und politischen Gegensätze bestehen, die sich während der zweijährigen Diskussion innerhalb der evangelischen Kirche verschärft hatten. Sie markierten jedoch, wie sich auf der Synode erneut herausstellte, keine innerkirchliche Ost-West283 284 285 286 287 288 289 290 291 292

EBD., S. 100. Vgl. EBD., S. 102. Vgl. EBD., S. 102f. Vgl. ARCHIV, Bd. 1, S. 812. Vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 146. Der Besuch aus Pankow. In: SBl, 28.9.1952, S. 17. JK 13, 1952, S. 618. Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 232. Beschluss des Politbüros vom 23.9.1952. Zitiert nach EBD., S. 233. ELBINGERODE 1952.

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Grenze, sondern verliefen quer zu ihr. Dabei standen sich nicht nur zwei friedensethische Auffassungen, sondern auch zwei Grundmuster politischer Ethik gegenüber. Das eine theologische Interpretationsmodell für einen kirchlichen Öffentlichkeitsauftrag war die so genannte Zwei-Reiche-Lehre. Mit dieser Kurzformel wird die mit ihren Wurzeln bis in die Antike zurückreichende situativ stets neu definierte politische Ethik des Luthertums und ihrer Trennung des „Reichs zur Rechten“ und des „Reichs zur Linken“ bezeichnet. Dieser Tradition war die V. These der Barmer Theologischen Erklärung verpflichtet, in der es hieß, dass der Staat nicht Kirche und die Kirche nicht Staat sei. Vor allem Lutheraner orientierten sich während der Wiederbewaffnungsdebatte an dieser Lehre. Sie betonten die Eigengesetzlichkeit der Politik und neigten dazu, die kritische Funktion der Kirche auf ein „Wächteramt“ zu beschränken. Die Frage nach den Wegen der Friedenssicherung werteten sie als ein Problem der politischen Vernunft, von dem das christliche Bekenntnis und der Glaubensgehorsam nicht unmittelbar betroffen seien. Die Ablehnung der Wiederbewaffnung konnte ihrer Ansicht nach nicht mit der Autorität der Bibel begründet und von der gesamten Kirche vertreten werden. In der konkreten politischen Entscheidungsfrage schlossen sie sich zumeist denen an, die aus politischen Erwägungen eine deutsche Wiederbewaffnung für notwendig hielten. Von ihren Kritikern wurde die Zwei-Reiche-Lehre hingegen als unbrauchbares Instrument betrachtet, um die Aufgaben des Christen in der Welt des 20. Jahrhunderts zu erfassen. Demgegenüber bezog sich die, durch Karl Barths Theologie erneuerte, reformierte Tradition auf das Modell der „Königsherrschaft Christi“. Diese Lehre beinhaltete, dass das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Herrn der Welt die Anerkenntnis einschließe, dass die Herrschaft Christi universal sei und sich über alle Lebensbereiche erstrecke, so dass es keinen Bereich gäbe, der davon ausgenommen sei. Diese Auffassung findet sich in der II. These der Barmer Erklärung ausgedrückt293. Für die Christen bedeutete dies, dass sie im Gehorsam gegen Gottes Willen dazu aufgerufen waren, ein Stück der verheißenen Zukunft zeichenhaft vorwegzunehmen, indem sie an der Veränderung der Zustände mitwirkten. Die Anhänger dieser politischen Ethik der Königsherrschaft Christi über alle Lebensbereiche waren in der Wiederbewaffnungsfrage dazu bereit, im Bewusstsein der deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg, die zu einer politisch konkret praktizierten Umkehr zwinge, sowie um der Hoffnung auf eine deutsche Wiedervereinigung willen auf eine militärische Westintegration zu verzichten. Beide Grundpositionen zum politischen Mandat der Kirche wurden auf der Elbingeroder Synode in den zwei Hauptvorträgen noch einmal ausgeführt. Walter Künneth trug sein Konzept der Zwei-Reiche-Lehre vor, das einem sehr traditionellen Verständnis von „Obrigkeit“ und der Gehorsamspflicht ihr gegenüber verhaftet war. Auf aktuelle Fragen nahm er im Einzelnen keinen Bezug294. Martin Fischer vertrat hingegen 293 Vgl. C. WALTHER, Christentum, S. 79f. 294 Zu den beiden Referaten vgl. T. FRIEBEL, Kirche, S. 198–201 und S. 419f. Die VELKD hatte ihre Position bereits ausführlich am 12.3.1952 in der Erklärung „Die politische Verantwortung der Kirche“

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eine religiös-moralische Deutung von Politik. Er appellierte in seinem Vortrag an die Kirchen, Anwalt der Menschen in der DDR zu sein, die bei einer militärischen Westintegration der Bundesrepublik, die Fischer ablehnte, mit einer Verschlechterung ihrer Lage zu rechnen hätten. Diese Position kann als national-humanitäre Haltung oder „moralisch begründete[r] Nationalismus“295 bezeichnet werden. Im Gegensatz zu Künneth sprach Fischer alle aktuellen, friedens- und deutschlandpolitischen Fragen an, auf die er von der Synode konkrete Antworten verlangte. Die Frage nach einer westdeutschen Wiederbewaffnung und ihren Auswirkungen auf Ostdeutschland und die Wiedervereinigung wurde im Plenum und im Hauptausschuss ausführlich diskutiert. Umstritten war vor allem Fischers These, dass die Verschärfung der politischen Situation in der DDR eine unmittelbare Reaktion auf die politischen Entscheidungen des Westens war296. Zwar wurden Rückwirkungen der bundesdeutschen Politik auf das Vorgehen der DDR-Regierung von niemandem grundsätzlich bestritten, jedoch wiesen insbesondere ostdeutsche Synodale zu Recht darauf hin, dass die weitere Entwicklung in der DDR vor allem ideologisch determiniert war. Einige Synodalen aus der DDR versprachen sich von einer Stärkung des Westens eine Verbesserung ihrer eigenen Lage. In der Aussprache kamen auch Politiker zu Wort. Ehlers verteidigte noch einmal die von ihm letztlich doch mitgetragene Westintegrationspolitik Adenauers. Die Probleme dieser Politik erläuterte der FDP-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Pfleiderer. Er hatte mit seinem alternativen deutschlandpolitischen Konzept eines Disengagements seit Juni des Jahres für Aufregung in der politischen Diskussion gesorgt297. Pfleiderer unterstrich die faktische Unvereinbarkeit der „Bindungsklausel“ des Deutschlandvertrages, welche die militärische Westbindung eines künftigen Gesamtdeutschlands festschrieb, mit der Forderung nach Wiedervereinigung angesichts des Sicherheitsbedürfnisses der Sowjetunion. Er hielt es für die vordringlichste Aufgabe Bonns, den Notenwechsel zwischen den Siegermächten wieder in Gang zu bringen. Ohne dass auf Pfleiderers Aussagen direkt Bezug genommen wurde, hieß es ähnlich in der gemeinsam verabschiedeten Kundgebung der Synode: „Aber wir bitten alle, die es angeht, keinen Weg, der zur Verständigung führen könnte, unbeschritten zu lassen und keine weiteren Tatsachen zu schaffen, durch die die Zerreißung unseres Volkes mit ihren unheilvollen Folgen für die ganze Welt auf unabsehbare Zeit zu erstarren droht.“298

Ein gewisser Vorbehalt gegenüber der Haltung Adenauers und seiner Anhänger konnte daraus ebenso gelesen werden wie aus dem Satz: „Ein falsches Trauen auf Verträge und Bündnisse hat viele von uns ergriffen“, der im Wort der Synode an die Gemeinden in Ost und West enthalten war. Dort hieß es weiter: entwickelt. Darin warnte sie vor einer „Vermischung von Kirche und Staat“ und vor „politischer Prophetie“. In: KJ 79, 1952, S. 27–33. 295 Vgl. M. GRESCHAT, Christentumsgeschichte 2, S. 273. 296 Vgl. J. VOGEL, Kirche, S. 177. 297 Vgl. zu Pfleiderers deutschlandpolitischem Konzept: A. GALLUS, Neutralisten, S. 85–93. 298 KJ 79, 1952, S. 83ff., hier S. 83.

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„Wir haben keine gemeinsame Weisung für das, was die Verantwortlichen, denen Gott in der Welt die Macht gegeben hat, heute und morgen, hüben und drüben tun müssen. Aber wir bitten sie noch einmal vor Gottes Angesicht: Kommt zur Besinnung, macht die Abgründe nicht noch tiefer, brecht nicht die Brücken ab, wo noch Wege sind.“299

Diese Position entsprach im Grunde den Vermittlungsbemühungen der einzelnen Kirchenvertreter in den Jahren 1950 bis 1952 und musste keine Ablehnung von Adenauers Westintegrationspolitik bedeuten. Kritisiert wurde aber seine mangelnde deutsch-deutsche Verhandlungsbereitschaft. In den Augen auch ihm nahe stehender evangelischer Kirchenvertreter lieferte diese Haltung Adenauers Westintegrationspolitik unter Ost- und Westdeutschen dem Verdacht aus, der Bundeskanzler habe mit ihr einen Teil der Nation im Stich gelassen300. Der Impetus der Vermittlung mit dem Ziel einer Wiedervereinigung stand auch hinter den konkreten Aktionen der Synode. In einem Telegramm bat sie die Regierungen der vier Besatzungsmächte, „durch baldige Besprechungen den Weg zu einer Wiedervereinigung frei[zu]geben“301. Angesichts der bevorstehenden Ratifizierung des EVG-Vertrages wandte sich die Synode auch an die Bundestagsabgeordneten und forderte sie auf, „ihre Entscheidung, die sie im Blick auf das ganze Volk zu bedenken haben, nur nach reiflicher Prüfung ihres Gewissens“ zu treffen302. Darüber hinaus wurde eine Delegation beauftragt, den beiden deutschen Regierungen die „bei den Beratungen der Synode aufgetretene, schwere Sorge um die politische, wirtschaftliche und seelische Situation der deutschen Menschen in den gegenwärtigen Spannungen zwischen Ost und West“ vorzutragen303. Zum Entsetzen der Delegierten soll Adenauer bei diesem Gespräch erklärt haben, eine Wiedervereinigung sei frühestens in 15 Jahren erreichbar. Die Kirchenvertreter hielten diesen Zeitpunkt für viel zu spät; so lange könne sich keine gesamtdeutsche Identität unter der DDR-Bevölkerung erhalten304.

1.3.2 Kirchliche Einheit und „Kirchenkampf“ in der DDR Die DDR-Verfassung von 1949 hatte den Kirchen ein hohes Maß an Privilegien und institutioneller Autonomie garantiert. Auf Grund des „dynamischen Verfassungsverständnisses“ der SED sah die Verfassungswirklichkeit für die Kirchen jedoch schon bald sehr anders aus. Hoffnungen auf Rechtssicherheit sowie auf Mitverantwortung 299 EBD., S. 85f. 300 So schrieb Dibelius in einem Brief an Ranke vom 15.9.1951: „Man macht sich in Bonn keine Vorstellung davon, wie begierig jeder Grotewohlbrief von der Ostbevölkerung aufgenommen wird und wie groß die Enttäuschung ist, wenn es wieder heißt: der Westen will den nicht! Verzweiflung klammert sich an jeden Grashalm, und man muß umsichtig verfahren, wenn man ihr zeigen will, daß es wirklich nur ein Grashalm war, der da vorbeifloß!“ (EZA BERLIN, 87/96/70,1). 301 KJ 79, 1952, S. 88. 302 EBD., S. 87. 303 EBD. 304 Vgl. J. HAMEL, Geschichte, S. 1f.

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der Kirche in den öffentlichen Angelegenheiten wurden zunehmend enttäuscht. Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche gestaltete sich in dem Maße konfrontativ, in dem die SED das Monopol der marxistisch-leninistischen Weltanschauung durchzusetzen versuchte. Während sich die Lage zwischen 1947/48 und 1952 schrittweise verschärfte, erfolgte ab Sommer 1952 im Zuge der „Verschärfung des Klassenkampfes“ ein massiver Angriff. Dazwischen gab es, deutschlandpolitisch bedingt, immer wieder Phasen der Entspannung. Je nach deutschlandpolitischer Lage wurden von Seiten der SED auch die gesamtdeutschen Beziehungen der Kirchen begrüßt oder als Quelle westlicher Einflussnahme bekämpft. 1950 sah sich die SED mit Rücksicht auf die Volkskammerwahlen im Oktober zum Taktieren gezwungen. So wurden im Januar die Rektoren und Dozenten an den Hochschulen angewiesen, nach außen hin den „unbedingten Eindruck einer weitgehenden Toleranz in religiösen Dingen“ zu vermitteln. An den „Arbeiter- und Bauernfakultäten“ sollte hingegen der „bekannte Standpunkt der Partei in Hinsicht auf das Verhältnis zur Kirche“ durchgesetzt werden305. Die Kirchen erfuhren von dieser Weisung und verschärften aus Empörung über die unaufrichtige Kirchenpolitik der SED ihre Opposition306. Konfliktpunkte waren die Zustände in den Internierungslagern, die offensive Werbung für die Nationale Front unter Pfarrern und kirchlichen Angestellten sowie die weltanschauliche Ausrichtung der Ausbildung an den Hochschulen der DDR. Am 28. April kam es deswegen zu einem ersten großen „Spitzengespräch“ zwischen Vertretern der DDR-Regierung sowie der evangelischen und der katholischen Kirche in der DDR. Es führte jedoch zu keiner längerfristigen Entspannung307. Immer wieder wurden die Kirchen bzw. ihre leitenden Repräsentanten und allen voran Dibelius als Auftragnehmer Westdeutschlands diffamiert. Der Berliner Bischof hatte nach einer Tagung des Zentralausschusses des ÖRK in Toronto Präsident Truman besucht und nach seiner Rückkehr mitgeteilt, dass das Vorgehen der USA in Korea von der gesamten westlichen Christenheit gebilligt werde308. Grotewohl erklärte daraufhin auf dem 3. Parteitag der SED, dass der Bischof in den USA „Richtlinien für die Verschärfung der Auseinandersetzungen mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik [. . .] und genaue Termine für die Steigerung dieser Auseinandersetzungen im Hinblick auf die Wahlen zum 15. Oktober“ erhalten habe309. In der Folgezeit kam es in der DDR zu erheblichen Behinderungen der kirchlichen Arbeit: Papier für kirchliches Schrifttum wurde konfisziert und die Einfuhr von Lebensmitteln verzögert, Lizenzen für Drucksachen wurden nicht erteilt und von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmte kirchliche Gebäude nicht zurückgegeben. Am 28. September schrieb Grüber deswegen an den stellvertretenden Minis-

305 Abschrift eines Schreibens des ZK der SED, Abteilung Volksbildung, an die Landesleitungen der SED, Abteilung Volksbildung, vom 7.1.1950. Abdruck in: EBD., S. 56f. 306 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 68. 307 Vgl. ausführlich zu dem Gespräch EBD., S. 74–77. 308 Vgl. DOKUMENTE, II/Bd. 3, S. 268, Anm. 7. 309 Auszüge aus dem Referat Grotewohls EBD., S. 267–271, hier S. 268.

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terpräsidenten Nuschke. In dem Schreiben listete er die Beschwerden der Kirchen auf und kündigte seinen Rücktritt als Bevollmächtigter der EKD bei der Regierung der DDR an310. Als Motiv hierfür nannte er: „Der größte Teil der Verhandlungen, die ich in der letzten Zeit geführt habe, ist negativ verlaufen, und teilweise bin ich in einer Form hingehalten worden, die ich nicht länger hinzunehmen gewillt bin.“311 In der Beschwerdeliste tauchten auch Behinderungen in der Praxis gesamtdeutscher Kircheneinheit auf. In den zurückliegenden Monaten hatte es in zunehmendem Maße Schwierigkeiten bei der Erteilung von Interzonenpässen für leitende Geistliche gegeben, die an Tagungen in der Bundesrepublik teilnehmen wollten. Ferner hatte sich die Volkspolizei immer häufiger geweigert, Pfarrern und Kirchenbeamten den Zuzug aus Westdeutschland zu genehmigen. Für das Gustav-Adolf-Fest in Heiligenstadt wurden in letzter Stunde die Einreisegenehmigungen für die westdeutschen Tagungsteilnehmer nicht erteilt, so dass die ganze Tagung abgesagt werden musste. Hauptbeschwerdepunkt in dieser Reihe war die Tatsache, dass der Rat der EKD Anfang Oktober erstmals nicht wie geplant in der DDR tagen konnte. Die Sitzung musste von Elbingerode im Harz nach Berlin-Spandau verlegt werden, da der Minister des Innern in Halle den westdeutschen Ratsmitgliedern die Einreisegenehmigung verweigerte. Als Begründung hieß es, dass nicht genug Zeit zur Verfügung gestanden habe, um die erforderlichen Überprüfungen durchzuführen312. Ein Versuch Grübers, über Nuschke eine Revision dieser Entscheidung herbeizuführen, war fehlgeschlagen. Ein weiterer Punkt in Grübers Beschwerdebrief betraf den braunschweigischen Bischof Martin Erdmann. Ihm war die Einreise zum Besuch seiner im Gebiet der DDR liegenden Gemeinden verweigert worden. Die größten Teile der Propstei Blankenburg sowie der Gemeinden Calvörde und Uthmöden der Braunschweigischen Landeskirche lagen auf dem Gebiet der DDR313. Im Juni 1950 meldete das Rentamt in Blankenburg nach Wolfenbüttel, „daß man versucht, Material gegen uns zu sammeln“, und dass die staatlichen Stellen über die Korrespondenz mit dem Landeskirchenamt informiert seien. Die „Gegenseite“ könne angeblich Devisenvergehen bezüglich des Geldverkehrs mit Wolfenbüttel nachweisen. „Wann der Zugriff erfolgt, wissen wir nicht“, hieß es in dem Schreiben314. Im September 1950 floh dann der Leiter des Rentamts in Blankenburg, Georg Baersch, vor einer drohenden Verhaftung nach Wolfenbüttel315. Hintergrund der Auseinandersetzungen war vermutlich das Drängen der Staatsseite, die Kirchenan die Staatsgrenzen anzugleichen. Denn Grüber wies in seinem Schreiben an Nuschke darauf hin, „daß die Landeskirchen in Deutschland ihren besonderen Konfessionsstand haben und zum Teil eigenes liturgisches Gepräge tragen, die durch Änderungen

310 NL SMEND. 311 EBD. 312 Kirchenkanzlei – Berliner Stelle an Ratsmitglieder, 26.9.1950 (NL SMEND). 313 Zur Lage der Braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche im geteilten Deutschland vgl. K. POLLMANN, Kirche. 314 Baersch an Streck, 15.6.1950. Zitiert nach: EBD., S. 46. 315 Vgl. EBD.

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von Landes- und Demarkationsgrenzen nicht einfach beseitigt werden können.“316 Und der Rat der EKD beschloss auf seiner Oktober-Sitzung, „der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik mitzuteilen, daß eine Anpassung der Kirchengrenzen an die Zonengrenze aus kirchenrechtlichen und bekenntnismäßigen Gründen nicht möglich ist.“317 Heinemann hatte auf der Sitzung noch ein anderes Motiv für die Weigerung genannt: die EKD sollte eine Angleichung der Kirchen- an die Staatsgrenzen auch „in der Hoffnung auf die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ablehnen.“318 Der Rat beschloss weiter, sich bei der Regierung der DDR darüber zu beschweren, dass ihm die Zusammenkunft in Ostdeutschland unmöglich gemacht wurde319. Er nahm Grübers Schreiben an Nuschke zur Kenntnis und drückte dem Propst sein Vertrauen aus. Dibelius berichtete auf derselben Ratssitzung ausführlich über die kirchliche Lage in der DDR. Für ihn waren die Vorstöße, die östlichen Kirchen von „allen westlichen Beziehungen zu trennen“, Teil des von der SED geführten „Kirchenkampfes“. Dieser verfolge das Ziel, in der DDR kirchliche Verhältnisse wie in den übrigen östlichen „Satellitenstaaten“, d. h. eine Staatskirche zu schaffen320. Nach der Volkskammerwahl verschärften sich staatlicherseits Ton und Gangart noch mehr. In seiner Regierungserklärung vom 15. November drohte Grotewohl, die Regierung werde nicht zulassen, „daß bestimmte streitsüchtige Kirchenführer den friedlichen Aufbau in der Deutschen Demokratischen Republik stören.“321 Der Kirchenleitung für Berlin-Brandenburg warf er vor, von West-Berlin aus Störaktionen gegen die DDR zu organisieren. Im Dezember forderte dann die brandenburgische Regierung, dass die Leitung der berlin-brandenburgischen Kirche von West-Berlin nach Brandenburg verlegt werde322. Staatliche Zuschüsse sollten zukünftig nur noch an eine im Land Brandenburg ansässige Kirchenleitung gezahlt werden. Der Anstoß zu diesem Plan kam aus dem Innenministerium der DDR. Das Politbüro des Zentralkomitees (ZK) der SED, die Macht- und Entscheidungszentrale der DDR, griff ihn mit dem Ziel auf, „eine bessere Möglichkeit des Eingreifens des Staates in Maßnahmen der Kirchenleitung zu schaffen.“ Auslöser war ein angebliches disziplinarisches Vorgehen der Kirchenleitung unter ihrem Bischof Dibelius gegen „fortschrittliche“ Pfarrer, die sich in der Nationalen Front engagierten. Es sei mit der Würde des Staates unvereinbar, so hieß es in der Vorlage für das Politbüro vom 4. Dezember weiter, „daß eine antideutsche exterritoriale Kirchenleitung gegen Bürger der Deutschen Demokratischen Republik mit terroristischen Maßnahmen“ vorging323. Der Vorstoß der brandenburgischen Regierung schlug jedoch weitgehend fehl. Zwar wurden einige kirchliche Verwaltungsstellen nach Ost-Berlin verlegt, das eigentliche Ziel, eine neue, 316 317 318 319 320 321 322 323

Grüber an Nuschke, 28.9.1950 (NL SMEND). Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 5./6.10.1950 (EZA BERLIN, 2/1792). Mitschrift Smends über die Ratssitzung am 5./6.10.1950 (NL SMEND). Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 5./6.10.1950 (EZA BERLIN, 2/1792). EBD. Zitiert nach: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 32. Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 82f.; SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 32f.; DIE GRÜNDUNG, S. 7 und S. 24ff. Dokument abgedruckt in: DIE GRÜNDUNG, S. 24.

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DDR-freundlichere Kirchenleitung zu installieren, wurde aber nicht erreicht. Leitung, Synode, Pfarrerschaft und Gemeinden der berlin-brandenburgischen Kirche wiesen das Ansinnen des Staates zurück. Die Synode bekannte sich im Februar 1951 im Bewusstsein der „von Gott geschenkten Lebensgemeinschaft“ zu ihrer Klammerfunktion und erklärte, „das kirchliche Band, das sich hier um politisch getrennte Gebiete schlingt, fester zu halten als je zuvor und den Dienst am Evangelium in der Einheit des Glaubens, aber auch in der Einheit ihrer gesamten kirchlichen Arbeit zu tun.“324 Angesichts der Vorstöße gegen die Ost-West-Einheit der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg machte man sich in der Kirchenkanzlei der EKD – Berliner Stelle Sorgen um die Zukunft der eigenen grenzübergreifenden Arbeitsfähigkeit. Die Kanzlei traf daher im Dezember 1950 Vorsorge für den Fall, dass die DDR-Regierung die Zuständigkeit einer in West-Berlin arbeitenden Dienststelle der EKD für die Kirchen auf dem ostdeutschen Staatsgebiet nicht mehr anerkennen sollte325. Sie erteilte Generalsuperintendent Friedrich-Wilhelm Krummacher für den Ernstfall die Vollmacht, als Ständiger Vertreter des Leiters der Berliner Stelle die Aufgaben der Kirchenkanzlei im Bereich der DDR und in Ost-Berlin wahrzunehmen und über die in diesem Bereich vorhandenen Vermögenswerte der EKD zu verfügen. Ferner wurde erwogen, in OstBerlin ein kleines Büro einzurichten. Um die Jahreswende 1950/51 stellte der Staat seine Angriffe auf die grenzübergreifende Kircheneinheit ein. Die Regierung wollte die Kirche und insbesondere Dibelius für deutsch-deutsche Vermittlerdienste im Kontext des Grotewohlbriefes in Anspruch nehmen. Die Kirchenpolitik wurde den Zielen der Deutschlandpolitik untergeordnet, die repressive Konfrontationspolitik vorübergehend von einer Differenzierungspolitik und der Suche nach „fortschrittlichen Kräften“ innerhalb des Protestantismus abgelöst. Das Jahr 1951 wurde zur „Atempause“326. Nach dem Scheitern der Stalin-Noten vom März und April 1952 verschlechterte sich die Situation für die Kirchen aber erneut. Im Juli verweigerten die Behörden Interzonenpässe für die Tagung des Lutherischen Weltbundes in Hannover sowie für den Kirchentag und den Deutschen Evangelischen Jugendtag in Stuttgart327. Wenige Tage nach der 2. Parteikonferenz der SED, auf der die Richtlinien über die Schaffung der Grundlagen des Sozialismus und die Verschärfung des Klassenkampfes beschlossen worden waren, riet Grotewohl in einem Gespräch mit evangelischen Kirchenvertretern auch dringend von einer gesamtdeutschen Synode in der DDR ab328.

324 Abgedruckt in: G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 129ff., hier S. 129f. 325 Vgl. M. KÜHNE, Neuordnung, S. 55. 326 Auf die Auseinandersetzung zwischen SED/FDJ und Junger Gemeinde bezogen: H. WENTKER, „Kirchenkampf“, S. 101. 327 Vgl. hierzu D. PALM, Brüder, S. 142–147. Anstelle der vorgesehenen 20.000 Teilnehmer aus der DDR konnten offiziell 35, inoffiziell ca. 100 an dem Kirchentag teilnehmen. Unter diesen dürften auch einige Mitglieder und Sympathisanten der Nationalen Front gewesen sein. Vgl. EBD., S. 147. 328 Der Bericht von Staatssekretär Geyer über das Gespräch am 25.7.1952 ist abgedruckt in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 64f.

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Bereits Mitte Juli reagierte die Kirchenkanzlei – Berliner Stelle auf die Abriegelung der Grenzen der DDR zur Bundesrepublik. Das Büro in der Ost-Berliner Bischofstraße wurde zur Außenstelle der West-Berliner Kirchenkanzlei ausgebaut und fungierte zukünftig als zuständige Dienststelle für die östlichen Kirchen329. Am stärksten und unmittelbarsten war allerdings die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg von den Absperrungsmaßnahmen betroffen. Denn den in West-Berlin wohnenden Mitgliedern der kirchlichen Leitung und Verwaltung wurde der Zugang in die Provinz Brandenburg verwehrt. Am 26. Juli nahm Dibelius in einem langen Hirtenbrief an die Pfarrer Berlin-Brandenburgs zu den Beschränkungen praktizierter kirchlicher Einheit Stellung. Er argumentierte theologisch gegen die äußeren Angriffe auf die Einheit der Kirche, wandte sich aber auch gegen innerkirchliche Zentrifugalkräfte in Form einer „EKD-Müdigkeit“, die in den harten Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung und das politische Engagement kirchlicher Amtsträger entstanden war. Die biblische Verheißung der Einheit der Kirche, so der Bischof, müsse auch Zielsetzung für das irdische Handeln der Kirche sein. Dem entspreche die EKD, indem sie auf die Einheit der deutschen Reformationskirchen ziele. Diese Einheit müsse im Innern weiter gepflegt und eine Infragestellung von Außen im Namen des Auftrags der Kirche abgewehrt werden: „Was wir aber um des Testamentes Jesu Christi willen in der Selbstzucht christlichen Gehorsams zu erreichen streben, dürfen wir uns auch von außen her nicht zerschlagen lassen. Kein Staat hat das Recht, die Einheit der Kirche Jesu Christi anzutasten. Wir können uns mit mancherlei Gestaltungen des politischen Lebens abfinden. Aber wir können niemals dem Satz zustimmen, daß Staatsgrenzen zugleich Kirchengrenzen seien und daß, wenn der Staat seine Grenzen abschließt, die Kirche sich in diesen Grenzen mit einschließen lassen müsse.“330

Für den Fall eines ernsten staatlichen Angriffs auf die kirchliche Einheit gab der Berliner Bischof seinen Pfarrern nach dem Muster des „Kirchenkampfes“ der NS-Zeit folgende Empfehlungen: Sie sollten in den einzelnen Gemeinden das Bewusstsein von der Einheit der Kirche intensiv wachhalten, dieser Einheit mit Fürbitte gedenken und sich geschlossen um die „Vertreter der echten und für alle gemeinsamen Kirchenleitungen“ sammeln331. Am selben Tag, als Dibelius den Hirtenbrief formulierte, nahm das Politbüro eine von ihm angeforderte Analyse über die „Politik der Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik“ zur Kenntnis332. Darin wurde den „reaktionären Kirchenleitungen“ unterstellt, sie verfolgten als „Agenturen des USA-Imperialismus“ das Ziel, „die Masse des Volkes von revolutionären Bewegungen abzuhalten, die Vaterlandsliebe, ein echtes nationales Empfinden in den Menschen zu ersticken, sie in eine passive Haltung

329 330 331 332

Vgl. M. KÜHNE, Neuordnung, S. 57. Abgedruckt in: KJ 79, 1952, S. 211–216, hier S. 215. EBD., S. 216. Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 65–72.

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zu versetzen und sie den imperialistischen Plänen gefügig zu machen.“333 Besonders heftig wurde auch gegen die Junge Gemeinde polemisiert und ihr Westbeeinflussung vorgeworfen: „Die von der Jugendkammer Ost in Westberlin geleitete Jugendarbeit zeigt deutlich die auf den USA- und westdeutschen Imperialismus ausgerichtete Politik, die in der ‚Jungen Gemeinde‘ ihren Niederschlag findet.“334 Das Politbüro beschloss zunächst, die Tätigkeit der Studentenpfarrer an den Hochschulen und Universitäten der DDR und in Ost-Berlin mit sofortiger Wirkung zu verbieten, da diese „zu eindeutigen Werkzeugen der kirchlichen staatsfeindlichen Kräfte“ geworden seien335. Die Analyse wurde aber auch zum Ausgangspunkt zahlreicher weiterer restriktiver Maßnahmen gegen die Kirche in den Folgemonaten. Bereits im August versammelte sich die berlin-brandenburgische Synode zu einer außerordentlichen Tagung, um auf nachfolgende kirchliche Behinderungen zu reagieren: Verweigerung von Interzonenpässen, Auflösung von Bibelrüstzeiten und Verhinderung von Großveranstaltungen der evangelischen Jugend, Zuzugsverbote für ostdeutsche Theologiestudenten, die in der Bundesrepublik studierten. In seinem Bericht zur Lage postulierte Dibelius erneut: „Wir sind eine Kirche in Deutschland, und wir sind eine Kirche in Berlin und Brandenburg. Politische Gestaltungen mögen in unserem Vaterland kommen und gehen, wie sie wollen – an dieser Einheit der Kirche können sie nichts ändern.“336 Der Bischof war davon überzeugt, dass die Christen in der DDR sich weigern würden, einen Teil ihres „eigenen Vaterlandes, in dem deutsche Brüder und Schwestern wohnen, jemals als feindliches Ausland zu betrachten.“337 Die Synode bekannte sich in einer Entschließung nachdrücklich zu der ihr „von Gott geschenkten Einheit“ der Kirche Berlin-Brandenburg338. Sie bat die DDR-Regierung, die Kirche in ihrem „Brückendienst“ im geteilten Deutschland nicht zu behindern339. Im Laufe des Jahres nahmen die Angriffe auf die Kirchen in der DDR weiter zu. Im Zuge der „Verschärfung des Klassenkampfes“ versuchte die SED mit administrativen und repressiven Maßnahmen, die Kirche als gesellschaftspolitische Kraft auszuschalten und sie auf den kultischen Bereich zurückzudrängen. Angriffspunkte waren die Kirchenfinanzen und die diakonische Arbeit340. Hauptziel der offen repressiven Kirchenpolitik der DDR aber war die kirchliche Jugendarbeit, die nach Einschätzung der SED 50 bis 70 % der Oberschüler erreichte. Hier wollte sie den Hebel ansetzen, um den Einfluss der Kirchen auf die Bevölkerung zu beseitigen. Zwar scheiterte die SED letztlich mit ihrem Versuch, die Junge Gemeinde zu „liqui333 EBD., S. 66. 334 EBD., S. 67. 335 EBD., S. 66. 336 EBD., S. 222. 337 EBD., S. 223. 338 EBD., S. 227. 339 EBD., S. 229. 340 Vgl. zu den Angriffen auf diese beiden Bereiche: S. RINK, Bevollmächtigte, S. 157–168, S. 182–187. Zu den Angriffen auf die Anstalten der Inneren Mission vgl. J. C. KAISER, Zugriff; zu den Angriffen auf die materielle Basis der Kirchen und deren Auswirkungen s. u. Kap. 1.3.4.

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dieren“, doch gelang es ihr, die kirchliche Jugendarbeit deutlich zurückzudrängen341. Bis Juni 1953 erlebten die Junge Gemeinde und auch die Evangelische Studentengemeinde eine aggressive Verleumdungskampagne gegen sich, in der sie als westdeutsch-amerikanische Tarnorganisationen für „Kriegshetze, Sabotage und Spionage“ dargestellt wurden. Im Verlauf der Repressionsmaßnahmen wurden Rüstzeiten, Großveranstaltungen sowie die evangelische Jugendzeitschrift „Stafette“ verboten, Jugendheime enteignet, hunderte junger Christen von Oberschulen und Universitäten relegiert342, Jugendliche und Pfarrer verhaftet und abgeurteilt343. In dieser Phase wurden die gesamtdeutschen Beziehungen für die kirchliche Jugend zur Belastung, boten sie doch Angriffsfläche für die FDJ-Polemik. Die Jugendkammer Ost, die sich vornehmlich in West-Berlin traf, galt als westlich gesteuerte „Agentenzentrale“. Der FDJ-Vorsitzende Erich Honecker hielt der Jungen Gemeinde auch das oben bereits erwähnte Wort der AGEJD zum Waffendienst vor. Es sei gewissensspaltend, so lautete der Vorwurf der FDJ, die seit Mai bzw. Juni des Jahres mit der Militarisierung der DDR-Jugend beauftragt war344. Um den Vorwürfen westdeutscher Einflussnahme auf die kirchliche Jugendarbeit in der DDR jeden Ansatzpunkt zu nehmen, tagte die Jugendkammer Ost fortan abwechselnd in Ost- und West-Berlin345. Überdies bemühte man sich nach 1953, die Dienststellen für die DDR-Arbeit in den Ostteil Berlins zu verlegen346. Auch die ESGiD reagierte auf die Anfeindungen mit einer organisatorischen Veränderung. Anstelle der einen West-Berliner „Ostzonen-Geschäftsstelle“ gab es von 1952 an je eine Geschäftsstelle in West- und in Ost-Berlin (Bischofstraße), die sich den Arbeitsbereich teilten347. Als positive Folge ihrer gesamtdeutschen Verbindungen erfuhren die Jugendlichen während der Krisenjahre viel westdeutsche Solidarität. Die evangelische Presse in der Bundesrepublik lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Situation der Christen 341 Vgl. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 13. 342 Grotewohl nannte im Gespräch mit den Kirchenvertretern am 10.6.1953 die Zahl von 712 relegierten Oberschülern. Vgl. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 198. Ueberschär schätzt die Zahl auf ca. 900. EBD. 343 Zu den Angriffen, Behinderungen und ihren Ursachen vgl. H. WENTKER, „Kirchenkampf“; M. G. GOERNER, Kirche, S. 92–105; P. SKYBA, Hoffnungsträger, S. 222–233; F. DORGERLOH, Geschichte, S. 57– 70; C. KAUFMANN, Agenten, S. 49–78; A. NOACK, Studentengemeinden, S. 221–282; E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 186–199. – H. WENTKER (S. 96) unterscheidet vier Phasen der Auseinandersetzung: 1. die Zeit zwischen 1950 und Frühjahr 1952, die von Rivalität zwischen FDJ und Junger Gemeinde sowie ersten administrativen Maßnahmen gegen die kirchliche Jugendarbeit gekennzeichnet war; 2. eine Verschärfung der Auseinandersetzungen in der 2. Jahreshälfte 1952, geprägt durch eine härtere polizeiliche Vorgehensweise; 3. die detaillierte Planung der Bekämpfung der Jungen Gemeinde zwischen November 1952 und März 1953; 4. der Versuch der „Liquidierung“ der Jungen Gemeinde von April bis Juni 1953. 344 Im Juni 1952 wurde die FDJ für die Rekrutierung von Soldaten für die sich im Aufbau befindenden DDR-Streitkräfte verantwortlich gemacht. Mit ihren aggressiven Rekrutierungsversuchen stieß sie bei den Jugendlichen jedoch fast durchgehend auf Ablehnung. Vgl. P. SKYBA, Hoffnungsträger, S. 181–195. 345 Vgl. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 272. 346 F. DORGERLOH, Geschichte, S. 263. 347 G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 90.

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in der DDR348. Die gesamtdeutsche EKD, ihre Jugendkammer sowie die AGEJD unterstrichen in Erklärungen demonstrativ ihre Verbundenheit. Sie belebten auch das Instrument der Fürbitten neu, das bereits in der Zeit des Nationalsozialismus das Bewusstsein der Einheit unter dem Evangelium gestärkt hatte.349 Während einige der kirchlichen Stellungnahmen die politische Dimension bewusst aussparten, stellten andere die Ereignisse in deutschlandpolitische Zusammenhänge. So erklärte im April 1953 die Bischofskonferenz der VELKD: „Wer die Einheit Deutschlands will, darf mit Deutschen so nicht umgehen.“350 Diejenigen Mitglieder der Jungen Gemeinde, die in den Westen flohen, erhielten dort praktische Hilfeleistungen durch die westdeutschen Kirchen351. Die berlin-brandenburgische Kirchenleitung beauftragte Pfarrer Hans-Ulrich Scheffler, für die jungen Flüchtlinge in West-Berlin zu sorgen. In der Kirchenkanzlei der EKD in Hannover wurde unter Oberkirchenrat Friedrich Wilhelm von Staa eine Leitstelle für Oberschüler eingerichtet, die nach Westdeutschland ausgeflogen worden waren352. Hier wurden die Betreuungsmaßnahmen koordiniert und Schul- und Wohnplätze in der Bundesrepublik vermittelt. Auch die AGEJD engagierte sich in der Flüchtlingsarbeit. In ihrem Auftrag legte der Jugendkammer-Vorsitzende Müller 1953 dem Bundeskanzler eine Denkschrift vor, die sich besonders mit dem Problem der geflüchteten Schüler befasste und deren Unterbringung in Heimen empfahl. Die AGEJD beteiligte sich zudem an einem Förderungswerk, das von mehreren kirchlichen Stellen eingerichtet wurde und als Arbeitskreis für „Jugendgilden“ im Rahmen des Evangelischen Jugendaufbaudienstes arbeitete. Auch wenn es erklärtes Ziel der zuständigen Kirchenvertreter war, die geflohenen relegierten Oberschüler in West-Berlin zu halten, „damit sie nicht dem Osten [. . .] verloren gehen“353, gingen doch viele nach Westdeutschland und kehrten nicht mehr zurück354. Dies war nicht nur ein schmerzhafter Aderlass für die Junge Gemeinde, sondern auch ein Verlust an junger „Intelligenz“ für die DDR. Zwischen Juli 1952 und Juli 1953 verließen insgesamt 320.000 Menschen die DDR, etwa die Hälfte von ihnen war unter 25 Jahren355. Ursachen für diese Massenflucht waren vor allem die SED-Beschlüsse zur Verstaatlichung und Kollektivierung. Aber 348 U. BAYER, Vorhang, S. 159f. 349 Aufruf zur Fürbitte der Jugendkammer vom 25.6.1952. Abdruck in: E. WEISSER, Freiheit, S. 199. Aufruf des Rates an alle evangelischen Gemeinden vom 11.5.1953. Abdruck in: KJ 80, 1953, S. 172ff.; „Wort an die Junge Gemeinde in der DDR“ der AGEJD vom 21.5.1953. Abdruck in: E. WEISSER, Freiheit, S. 203f. Zeitgleich hatte die AGEJD auch einen Aufruf zum Flüchtlingssonntag „Wir suchen den Bruder“ erlassen, der am 20.9.1953 zum ersten Mal begangen werden sollte. EBD., S. 204. 350 KJ 80, 1953, S. 172. 351 Vgl. I. HOLZAPFEL, Bindung, S. 391. 352 Vgl. Vorläufiger Bericht von Scheffler über die Situation der geflohenen Oberschüler aus der DDR. Anlage zum Brief von Dehmel an Kunst, 4.6.1953 (EZA BERLIN, 87/96/438). 353 Dehmel an Kunst, 4.6.1953 (EBD.). 354 K. HUTTEN spricht von 2.000 geflohenen Oberschülern, die im Westen blieben. DERS., Christen, S. 116. 355 Vgl. D. STARITZ, Geschichte, S. 132. Zur Flucht Jugendlicher aus der DDR vgl. P. SKYBA, Hoffnungsträger, S. 304–314.

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auch die Benachteiligung und Bedrängung von Gliedern der Jungen Gemeinde an den Schulen erhöhte die Bereitschaft von Familien, die DDR zu verlassen356. Denn im Frühjahr 1953 war offenkundig geworden, dass im Arbeiter- und Bauern-Staat eine christlich-bürgerliche Lebensführung nur noch unter erschwerten Bedingungen möglich sein würde. Die Flüchtlingsarbeit der Kirche, die nicht nur auf die jugendlichen Flüchtlinge beschränkt war, wurde von Seiten der Bundesregierung finanziell unterstützt357. Dies geschah nicht uneigennützig, wie im Zusammenhang mit der Kundgebung des Kirchentages zur Massenflucht der Jahre 1952/53 deutlich wurde358. Von Seiten des Vertriebenenministeriums wurde den Verantwortlichen des DEKT klar gemacht, was die Bundesregierung von einer Kundgebung zur Flüchtlingsproblematik erwartete: „A) Entschiedenes Eintreten der Kirche für die Flüchtlinge aus der SBZ. B) Andererseits Mahnung zum Verbleiben in der SBZ. Dies muß sowohl bei Tagungen wie bei Verlautbarungen besonders betont werden. C) Aus dem Gesichtspunkt der Bundesregierung: a) Gewinnen der Flüchtlinge aus der SBZ für die Politik der Bundesregierung b) Gewinnung der Jugend für den christlichen Westen.“359

Im Gegenzug wollte man dem Kirchentag finanziell entgegenkommen. Trotz der Bedenken, die von Seiten der Inneren Mission, des Hilfswerks, des Kirchlichen Außenamtes, Niemöllers und Grübers hinsichtlich eines offenen Schulterschlusses zwischen Bundesregierung und Kirchentag geäußert wurden, veranstaltete der DEKT am 24. März seine Kundgebung zur Flüchtlingsproblematik. In Anwesenheit von Bundestagspräsident Ehlers, Bundespräsident Heuss und Innenminister Robert Lehr forderte Thadden in seiner Ansprache weitere Bemühungen um die Integration der Flüchtlinge in der Bundesrepublik. Anschließend wurden verschiedene Lagebeschreibungen und Hilfeaufrufe verlesen. Die Kundgebung kostete den Kirchentag viel Ansehen, insbesondere in der DDR. Östliche Kirchentagsvertreter kritisierten die enge Anlehnung an die Bundesregierung und die Tatsache, dass sie selbst von der Vorbereitung der Veranstaltung ausgeschlossen worden waren. Für die SED-Regierung war die Kundgebung Wasser auf ihre propagandistischen Mühlen360. In der DDR stellten sich die Kirchenleitungen während der Angriffe der Jahre 1952/53 entschlossen vor die Junge Gemeinde sowie die Studentengemeinde. In be356 Vgl. P. SKYBA, Hoffnungsträger, S. 311 und S. 315; E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 274. Sie spricht sogar von einem „der wesentlichen Auslöser der Übersiedlerwelle 1953“. 357 Z. B. hatte Dibelius am 3.6.1953 für die Betreuung von geflohenen Schülern in Berlin 10.000,– DM vom BMG erhalten. Aufstellung über an die Evangelischen Kirchen und Evangelischen Verbände gezahlte Zuschüsse vom 1.4.1953–31.3.1954 (EZA BERLIN, 87/96/438). 358 Vgl. zu der Kundgebung D. PALM, Brüder, S. 164–170. 359 Kutzner an Giesen, 26.2.1953. Zitiert nach: EBD., S. 165. 360 Das Staatssekretariat für innere Angelegenheiten versandte an alle ostdeutschen Pfarrer einen Brief, in dem vom Missbrauch des Kirchentages durch die westdeutschen „Kriegstreiber“ die Rede war. Abdruck in: KJ 80, 1953, S. 154ff.

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wusster Analogie zu den Auseinandersetzungen mit dem NS-Staat und seiner Ideologie sprachen sie provokativ von einem „Kirchenkampf“361 und schlossen die Reihen. Mit verschiedenen Mitteln versuchten sie, den Angriffen zu begegnen: mit Eingaben an die DDR-Regierung, einem Strafantrag beim Generalstaatsanwalt der DDR gegen die Schriftleitung der FDJ-Zeitung „Junge Welt“, einem Besuch bei Grotewohl und einem Schreiben an die sowjetische Kontroll-Kommission. Vor allem aber bemühten sie sich, mit Worten und Erklärungen die Gemeinden zum Durchhalten zu ermutigen362. Den Vorwurf der monopolistischen Jugendorganisation FDJ, es würde sich bei der Jungen Gemeinde und der Studentengemeinde um „illegale“ Organisationen handeln, entkräftigte die Kirchliche Ostkonferenz mit der offiziellen Feststellung, es handle sich bei beiden um „ein[en] lebendige[n] Zweig kirchlicher Arbeit“363. Dies hatte zur Folge, dass die evangelische Jugend- und Studentenarbeit in der DDR fortan stärker an die Kirche gebunden waren, als es in der Bundesrepublik der Fall war. Die Phase des Liquidierungsversuchs bewirkte für die Junge Gemeinde einen „regelrechten Verkirchlichungsschub“364. Bei den Studentengemeinden mit ihren ca. 3.300 Gliedern365 wurde die engere Bindung an die Kirche auch formal in den „Grundsätze[n] für die Ordnung der Studentengemeinden für den Bereich der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik und Berlins“ vom 16. Mai 1953 fixiert366. Die neue Ordnung, die von der Kirchlichen Ostkonferenz verabschiedet wurde, setzte die administrativen Regeln der Arbeit im Bereich der DDR und Ost-Berlins fest; inhaltlich richtete man sich jedoch weiterhin nach der Ordnung der ESGiD von 1949367. In der ersten Jahreshälfte 1953 traf die restriktive Kirchenpolitik der DDR auch verstärkt die gesamtdeutschen kirchlichen Verbindungen. Eine Missionskonferenz in Halle wurde verboten und die ostdeutschen Ratsmitglieder erhielten im Februar keine Ausreisegenehmigung für die Ratssitzung in München368. Auf der nach Berlin verlegten Sitzung erklärte Dibelius: „Auch der kirchliche Zusammenhang zwischen West und Ost wird nunmehr verneint. Der Zusammenhang soll mit allen Mitteln zerschnitten werden.“369 Auf Grund dieser Vorfälle sowie der insgesamt brisanten kirchlichen Lage in der DDR wurde Niemöller gebeten, mit Grotewohl zu sprechen. In dem Ge-

361 Zum generationsspezifischen Deutungsmuster „Kirchenkampf“ vgl. nun auch: E. UEBERSCHÄR, „Kirchenkampf“. 362 Abdruck der Worte in: G. HEIDTMANN, Kirche, S. 322–353. 363 „Beschluss der Kirchlichen Ostkonferenz über den Kirchlichen Dienst der Evangelischen Studentenpfarrer und Studentengemeinden“ vom 25.2.53. Abdruck in: G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 146. 364 Vgl. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 272. 365 Angaben für das Studienjahr 1952/53 bei W. KRÖNIG , Anpassung, S. 361. 366 Abdruck in G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 147. Zur Entstehung der Ordnung vgl. A. NOACK, Studentengemeinden, S. 31–38. 367 Vgl. G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 75. 368 Karnatz an Ratsmitglieder, 3.2.1953 (EZA BERLIN, 2/1795). 369 Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 12.2.1953 (LKA NÜRNBERG, Meiser 142).

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spräch am 13. Februar erklärte der Ministerpräsident auf mehrmalige Aufforderung hin, dass die Verweigerung der Interzonenpässe nicht bedeute, dass die EKD als gesamtdeutsche Institution von der DDR-Regierung unerwünscht sei370. Ressentiments beständen lediglich gegen Bischof Dibelius. Gleichzeitig kündigte Grotewohl aber an, dass auch für eine Ratssitzung im März in Hannover keine Interzonenpässe ausgestellt werden würden. Im Frühjahr 1953 bemühte sich die staatliche Kirchenpolitik dann verstärkt darum, einen Keil zwischen die Kirchenleitungen und ihre Pfarrer zu treiben. Ihr Ziel war ein Revirement in den kirchlichen Leitungspositionen. Zu diesem Zweck kündigte Grotewohl am 27. Mai an, einen „Kultus-Beirat“ beim Ministerpräsidenten mit „fortschrittlichen“ Pfarrern einzurichten sowie die Pfarrer der DDR zu einer Massenversammlung zusammenzurufen. Diese Ankündigung nahm die Kirchliche Ostkonferenz am 4. Juni zum Anlass, den Ministerpräsidenten um ein klärendes Gespräch zu bitten371, das überraschenderweise bereits am zehnten des Monats zustande kam. Grotewohl versprach darin die Zurücknahme bzw. Überprüfung der in den letzten Monaten gegen die Kirche und besonders ihre Jugendarbeit verhängten Maßnahmen. Er begründete sein unerwartetes Entgegenkommen mit der angeblichen Gemeinsamkeit von Marxisten und Christen im Kampf für den Frieden und die Einheit Deutschlands, die im Hinblick auf die Pariser Verträge zu einer „wirklichen Lebensfrage“ geworden sei, und warb bei den Kirchen für eine Zusammenarbeit auf diesem Gebiet372. Im Anschluss an das Gespräch veröffentlichte das „Neue Deutschland“ ein Kommuniqué, in dem von der „einmütigen Auffassung“ der Staats- und der Kirchenvertreter gesprochen wurde, „dass die Herbeiführung der Einheit unseres Vaterlandes, die Schaffung eines Friedensvertrages heute ein dringendes Anliegen aller Deutschen“ sei373. Damit war es der DDR-Führung gelungen, in der Öffentlichkeit deutschlandpolitischen Konsens zwischen ihr und den ostdeutschen Kirchen zu demonstrieren. Darüber hinaus hieß es in dem Kommuniqué: „Die Vertreter der Kirche erklärten ihrerseits, auf verfassungswidrige Eingriffe und Einwirkungen in das wirtschaftliche und politische Leben des Volkes zu verzichten.“374 Dieser Satz konnte als Eingeständnis kirchlichen Fehlverhaltens in der Vergangenheit und als Zusage von loyalem Verhalten in der Zukunft gelesen werden. Über derlei Zugeständnisse war laut Dibelius „so in den Verhandlungen nicht gesprochen“ worden375. Als Mager tags darauf eine Interpretation dieser Sätze verlangte,376 verwies Dibelius auf den unverändert geltenden Artikel 41

370 Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 13.2.1953 (EBD.). 371 Der Beschluss ist abgedruckt in: KJ 80, 1953, S. 157. 372 Protokoll der Besprechung Grotewohls mit den Kirchenführern am 10.6.1953. Zitiert nach: M. G. GOERNER, Kirche, S. 122. 373 Abdruck in: KJ 80, 1953, S. 178f., hier S. 178. 374 EBD., S. 179. 375 Bericht Dibelius’ auf der Sitzung des Rates der EKD am 11.6.1953. Mitschrift Meisers (LKA NÜRNBERG, Meiser 142). 376 Kritik an diesem Passus übte auch Ludolf Müller. Vgl. U. BARON, Kolonne, S. 326.

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der DDR-Verfassung, nach dem die Religionsgemeinschaften zu den Lebensfragen des Volkes von ihrem Standpunkt aus Stellung nehmen durften. Der in dem Kommuniqué demonstrierte Schulterschluss zwischen Staat und Kirche in der Friedens- und Deutschlandpolitik fand einen Niederschlag in Martin Niemöllers Rede auf der Weltfriedenskonferenz am 16. Juni 1953377. Niemöller hatte sich erst nach der angekündigten kirchenpolitischen Kurswende in der DDR zur Teilnahme bereit gefunden. In Budapest sprach er dann von einer „neue[n] Welle der Hoffnung“, die durch das deutsche Volk gehe, „dass es nun doch zu erfolgversprechenden Verhandlungen und am Ende zu einer friedlichen Lösung der deutschen Frage kommen“ werde378. Die Deutschlandpolitik spielte auch eine wichtige Rolle bei der Unterredung zwischen Mitgliedern des Zentralrates der FDJ und Vertretern der kirchlichen Jugendund Studentenarbeit am 11. Juli. Die Zentralratsmitglieder bestätigten darin, dass es sich bei der evangelischen Studentengemeinde und der Jungen Gemeinde um eine „Lebensäußerung im Raum der Kirche und ihrer Gemeinden“ handelte379 – eine Äußerung, die hinsichtlich überregionaler Veranstaltungen der Jugendarbeit restriktiv ausgelegt werden konnte380. Weiter wurde erklärt, es gebe keine Einwände gegen gesamtdeutsche Beziehungen auf kirchlicher Ebene. Denn, so hieß es in der staatlichen Pressemitteilung über das Gespräch, „das wichtigste Anliegen aller jungen Deutschen“ sei „die Herbeiführung der Einheit des Vaterlandes und die Schaffung eines Friedensvertrages“. Angesichts „dieser großen Aufgabe“ müssten „alle Mißverständnisse“ überwunden werden. Auch hier wurde folglich das eigene kirchenpolitische Zurückweichen in eine Demonstration deutschlandpolitischer Eintracht zwischen Staat und Kirche umgewandelt. Der Rat der EKD reagierte auf den abrupten Kurswechsel in der Kirchenpolitik der DDR-Führung mit einem öffentlichen Dank an Gott381 und einem Dankschreiben des Ratsvorsitzenden an Grotewohl. Die Ratsmitglieder machten sich allerdings keine Illusionen, dass sich die Situation der Kirche und Christen in der DDR grundlegend und dauerhaft verbessern würde382. Mit dieser Einschätzung sollten sie Recht behalten. Denn der Kurswechsel erwies sich im Nachhinein lediglich als eine erneute „Atempause“ und als Übergang zu einer „systematischen Kirchenpolitik“ der verdeckten Repression383.

377 Die Rede ist abgedruckt in: M. GRESCHAT/J.-C. KAISER (Hg.): Kirchen, S. 106–108. 378 EBD., S. 108. Vgl. auch M. GRESCHAT, Reaktionen, S. 96f. 379 Abgedruckt in: E. WEISSER, Freiheit, S. 205. Nachschrift über das Gespräch von Oberkonsistorialrat Andler. Vgl. G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 72. Das eigentlich für den 19.6. angesetzte Treffen konnte wegen der Ereignisse des 17.6. erst am 11.7.1953 stattfinden. 380 Vgl. H. WENTKER, „Kirchenkampf“, S. 123f. 381 Vgl. die Botschaft des Rates an die evangelischen Gemeinden in Deutschland. In: KJ 80, 1953, S. 181f. 382 Vgl. Mitschrift Meisers über die Ratssitzung am 11.6.1953 (LKA NÜRNBERG, Meiser 142). 383 Vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 107 und S. 111.

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1.3.3 Zwischen Wiedervereinigung und Westintegration Das Politbüro hatte den kirchenpolitischen Kurswechsel bereits auf Sitzungen am 6. und 9. Juni beschlossen, d. h. vor dem Staat-Kirche-Gespräch. Angeordnet hatte ihn – was in den öffentlichen Erklärungen sorgfältig verschwiegen wurde – die neue, nach Stalins Tod im März 1953 eingesetzte KPdSU-Spitze. Von deren starkem Mann Lawrentij Berija erhofften sich große Teile der deutschen und europäischen Öffentlichkeit sowie Regierungsvertreter der Westmächte eine allgemeine Liberalisierung in Osteuropa sowie einen Wandel der sowjetischen Deutschlandpolitik. Als Winston Churchill am 11. Mai in einer Unterhausrede vorschlug, auf einer baldigst einzuberufenden Viermächte-Konferenz einen Garantievertrag für ein geeintes, freies Deutschland zu beraten, stieß er damit in Moskau auf Beachtung. In diesem Kontext konnte dann auch die Anweisung der Sowjetführung an die DDR von Anfang Juni 1953, den forcierten „Aufbau des Sozialismus“ zu stoppen und einen „Neuen Kurs“ einzuschlagen, als ein Zeichen sowjetischer Konzessionsbereitschaft gedeutet werden384. Das sowjetische Dokument „Über die Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der Deutschen Demokratischen Republik“ motivierte den für die DDR angeordneten Kurswechsel vornehmlich deutschlandpolitisch. „Neue Hauptaufgabe“ sei nun der „Kampf für die Vereinigung Deutschlands auf demokratischer und friedlicher Grundlage“ sowie die „Stärkung unserer Positionen sowohl in Deutschland selbst als auch in der Deutschlandfrage auf der internationalen Ebene.“ Dazu sollte die „Basis einer Massenbewegung für die Schaffung eines einheitlichen, demokratischen, friedliebenden unabhängigen Deutschlands“ ausgebaut werden385. Die Sowjetunion versuchte demnach noch immer, die Westintegration der Bundesrepublik zu verhindern, und wollte hierfür die deutschlandpolitische Ausstrahlungskraft der SED nach Westdeutschland erhöhen386. Denn der EVG-Vertrag war in den meisten europäischen Ländern noch nicht ratifiziert worden und folglich war auch der daran gekoppelte Deutschlandvertrag noch nicht in Kraft getreten. Auf Weisung der Sowjetunion sollten in der DDR nicht nur in der Kirchenpolitik Änderungen eintreten. Das SED-Politbüro hatte auf seiner Sitzung am 9. Juni auch in anderen Bereichen Fehler eingestanden, Verbesserungen u. a. in Fragen der Rechtssicherheit und der Konsumgüterproduktion in Aussicht gestellt und insgesamt die Einleitung eines „Neuen Kurses“ angekündigt. Doch war der Bogen durch den forcierten „Aufbau des Sozialismus“ bereits überspannt worden. Der abrupte und inkonsequente Kurswechsel des Regimes brachte das Fass dann zum Überlaufen. Ausgelöst durch 384 An der Einschätzung von Berijas Politik bis zu seiner Absetzung, Verhaftung und Hinrichtung im Herbst 1953 und ihren möglichen Chancen für eine deutsche Wiedervereinigung scheiden sich bis heute die Geister. Zu den unterschiedlichen Positionen in der Forschung vgl. G. WETTIG, Berijas. Vgl. auch zuletzt W. LOTH (Der 17. Juni 1953 im internationalen Kontext), der die These vertritt, dass einflussreiche Kräfte in der sowjetischen Führung nach Stalins Tod gewillt waren, eine gesamtdeutsche „bürgerlich-demokratische Republik“ zuzulassen. 385 Zitiert nach: M. G. GOERNER, Kirche, S. 116. 386 Vgl. EBD., S. 116f. und S. 123.

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den Umstand, dass das Politbüro bei der Proklamierung des „Neuen Kurses“ die im Mai erhöhten Arbeitsnormen nicht zurückgenommen hatte, kam es zu einem Streik der Bauarbeiter in der Berliner Stalinallee, der sich zu einer DDR-weiten Volkserhebung gegen das SED-Regime entwickelte, jedoch mit Unterstützung des sowjetischen Militärs blutig niedergeschlagen wurde387. Nach ersten Irritationen reagierte Ulbricht mit Härte und einigen sozialpolitischen Zugeständnissen auf die tiefe Krise, die offenbart hatte, dass der SED für ihren gewaltsamen Transformationsprozess jede demokratische Basis fehlte. Im Ergebnis brachte der 17. Juni dennoch eine Stabilisierung des SED-Regimes und der Herrschaft Ulbrichts, der sich der Reformkräfte innerhalb des Politbüros entledigen und der „Bündnistreue“ der Sowjetunion gewiss sein konnte. Der DDR-Bevölkerung war hingegen durch das militärische Eingreifen der Sowjetunion und die Passivität der Westmächte während des Aufstandes langfristig ein Stück Hoffnung verloren gegangen. Das Verhalten von evangelischer Bevölkerung und Kirchenleitungen im und zum Aufstand des 17. Juni war nicht einheitlich388. Im Norden der DDR blieb es insgesamt relativ ruhig. Im Bereich der thüringischen und sächsischen Landeskirchen gab es hingegen starke Differenzen zwischen Kirchengliedern und Kirchenleitungen389. Während sich in der Jungen Gemeinde engagierte Christen und einzelne Pfarrer am Aufstand beteiligten, mahnten die beiden Kirchenleitungen die Gemeinden zur Ruhe und Besonnenheit. Bei den Bischöfen Mitzenheim und Noth zeigte das Gespräch vom 10. Juni ebenso Wirkung wie die lutherische obrigkeitsstaatliche Tradition, die einer aktiven Unterstützung revolutionärer gesellschaftlicher Umbrüche entgegenstand. Beide Faktoren spielten auch insgesamt bei den kirchlichen Reaktionen auf den Aufstand eine entscheidende Rolle390. Mehrere evangelische Kirchenvertreter bemühten sich bei der sowjetischen Besatzungsmacht, die schon am Nachmittag des 17. Junis den Ausnahmezustand erklärte hatte, um eine Befriedung der Situation. Bereits am 18. Juni wandte sich Dibelius schriftlich an Semjonow und bat um ein milderes Vorgehen gegen die Aufständigen391. Einen ähnlichen Appell richtete die schlesische Kirchenleitung am 19. Juni bei einem Treffen an den sowjetischen Stadtkommandanten Klepikow392. Bei den meisten der nachfolgenden kirchlichen Reaktionen fielen dann vor allem zwei Tendenzen auf: 1. Die Deutung des Volksaufstandes als Arbeiteraufstand und das Verständnis für die 387 Vgl. zur Geschichte des Volksaufstandes I.-S. KOWALCZUK, Tag. Zu den Forschungskontroversen über den 17. Juni 1953 vgl. B. IHME-TUCHEL, DDR, S. 22–62. 388 Vgl. hierzu W. TISCHNER, Kirchen; U. BARON, Kolonne, S. 326. Zum Umgang des deutschen Protestantismus mit dem Aufstand vom 17. Juni 1953 im Sinne einer Herausforderung für seine politische Orientierung vgl. die Reflexionen von P. STEINBACH, Himmel, S. 52–56. 389 Vgl. W. TISCHNER, Kirchen, S. 176. 390 Das Verhalten der Kirchen während der Ereignisse um den 17. Juni 1953 lässt sich nicht monokausal damit erklären, dass die Kirchen nicht das mit dem Gespräch am 10. Juni 1953 Erreichte gefährden wollten, wie dies U. BARON tut (DERS., Kolonne, S. 327). 391 Vgl. W. TISCHNER, Kirchen, S. 178. 392 Vgl. U. BARON, Kolonne, S. 329.

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Anliegen der Arbeiter. Dahinter stand bei einigen Kirchenvertretern die Hoffnung, dass sich die Arbeiter nun vom Marxismus abgewandt hätten; 2. das Drängen auf schnelle Schritte zur deutschen Wiedervereinigung. Das eine wurde bald mit dem anderen verknüpft. Am 22. Juni schrieb Kreyssig an den sowjetischen Hohen Kommissar und schlug ihm vor, eine baldige deutsche Wiedervereinigung durch die Absetzung der SED-Regierung vorzubereiten393. Am selben Tag ersuchte der Berliner Generalsuperintendent Krummacher den sowjetischen Militärkommandanten für den sowjetischen Sektor Berlins um ein Gespräch über die Anliegen der Arbeiterschaft394. Krummacher ließ überdies am 27. Juni dem sowjetischen Geheimdienst eine ausführliche Stellungnahme zur „gegenwärtigen Krise“ zukommen, in der er versicherte, dass die evangelische Kirche „an Ordnung und Ruhe im Staatswesen auf das Stärkste interessiert“ sei395. Er appellierte an die Sowjetunion die „Chance“ der Stunde zu nutzen, um mit einer deutschlandpolitischen Initiative gegenüber den Westmächten unter den Ost- und den Westdeutschen politisches Ansehen zu gewinnen. Am 24. Juni bat die Kirchliche Ostkonferenz Semjonow, der Verhaftungswelle Einhalt zu bieten, und erklärte: „Wir wollen nicht verhehlen, daß wir als evangelische Christen für die Anliegen der Arbeiterschaft, wie sie am 17. Juni d. J. in der Deutschen Demokratischen Republik zutage getreten sind, ein tiefes menschliches Verstehen haben und deshalb nicht daran glauben können, daß mit beschwichtigenden Erklärungen und halben Maßnahmen echte Befriedung zu erreichen sein wird.“396

Ein Verhaftungsstopp war ihrer Ansicht nach „ein erster guter Beitrag zur Entspannung der allgemeinen Lage [. . .] und zur Erreichung des großen Zieles, in dem unser ganzes Volk einig ist, daß die Wiedervereinigung Deutschlands endlich zum Ereignis werde.“ Der Appell, die Wiedervereinigung angesichts des Volksaufstandes voranzutreiben, bestimmte sodann das Schreiben, das Dibelius am 26. Juni im Namen sämtlicher ostdeutscher Kirchenleitungen an die vier alliierten Hohen Kommissare in Deutschland sandte. Er betonte darin, dass sich die EKD selbst immer wieder und allein aus moralischen Gründen für die deutsche Einheit eingesetzt habe397. In gesamtdeutscher Besetzung sprachen am 29. und 30. Juni die Kammer und der Synodalausschuss der EKD für öffentliche Verantwortung über die Lage der Christen in der DDR nach „den Ereignissen vom 10. und 17. Juni“398. Beide Ereignisse wurden demnach zusammen gesehen und zusammen beurteilt. Franz Reinhold Hildebrandt, 393 Vgl. W. TISCHNER, Kirchen, S. 178. 394 Abdruck in: G. HEIDTMANN, Kirche, S. 293. 395 Abdruck des Dokuments „Ursachen der gegenwärtigen Krise“ in: M. Greschat/J.-C. Kaiser (Hg.), Kirchen, S. 236–242, hier S. 240. 396 Abdruck in: G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 179f., hier S. 179. 397 EBD., S. 181f. 398 Protokoll der Sitzung der KföV am 29./30.6.1953 (EZA BERLIN, 2/1349). An der Sitzung nahmen teil: Tillmanns, Thadden, Krummacher, Braun, Jacob, Fricke, Putz, M. Müller, Berg, Gablentz, B. Hofmann, H. Böhm, Bauer, Hildebrandt, Klemm, Kreyssig, Behm.

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Präsident der Kirchenkanzlei der EKU, kennzeichnete in seinem Referat den Aufstand als „ein echtes Zeugnis der unterdrückten Arbeiterschaft“. Er forderte von der Kirche, die Öffentlichkeit über den 17. Juni und seine Ursachen aufzuklären. Denn bislang war jede öffentliche kirchliche Stellungnahme unterblieben. Hildebrandt plädierte auch dafür, dass sich die Kirche um ein neues Verhältnis zur Arbeiterschaft bemühen sollte, in deren Reihen der Marxismus seinen Rückhalt verloren habe. In der kontroversen Diskussion wurde moniert, dass der Westen einschließlich der kirchlichen Kreise die Bedeutung des 17. Junis als „welthistorische[s] Ereignis“ nicht erkannt habe. Andere Gesprächsteilnehmer hielten dagegen, dass die Kirche in dieser Situation „bei aller Offenheit für das Geschehen und seiner Hintergründe doch in großer Nüchternheit und innerer Zucht ihren Weg“ gehen sollte. Abschließend einigten sich die Sitzungsteilnehmer darauf, an den Rat der EKD vier Empfehlungen zu richten399: Er sollte die Landeskirchen und die Ökumene zur Fürbitte sowohl für die inhaftierten Kirchenmitarbeiter als auch für die Opfer des 17. Junis auffordern. Die Ökumene sollte zudem gebeten werden, sich für die Gefangenen einzusetzen. Der Ratsvorsitzende wurde aufgefordert, zu einem geeigneten Zeitpunkt mit den zuständigen DDR-Stellen wegen der Genehmigung einer vom Hilfswerk und den Wohlfahrtsverbänden getragenen außerordentlichen Lebensmittelspende für die ostdeutschen Gemeinden zu verhandeln. Hintergrund waren die seit 1952 in der DDR wieder auftretenden Versorgungsengpässe, verursacht durch geringere Ernteerträge, Republikflucht von Bauern sowie die Konzentration der durch Reparationszahlungen eingeschränkten Investitionsmittel auf Bereiche außerhalb der Konsumgüterindustrie. Als letzten Punkt schlugen Kammer und Ausschuss dem Rat vor, auf der nächsten Synode die „Frage einer verantwortlichen Neuordnung unserer Gesellschaft“ zu erörtern. Diese Frage sah man im Hinblick auf die erhoffte Wiedervereinigung und „durch den Zusammenbruch von sozialen Ersatzreligionen, wie dem Marxismus“ dringend gestellt. Zum Zeitpunkt der nächsten Ratssitzung, dem 11. September 1953, waren die meisten dieser Vorschläge jedoch bereits von der politischen Entwicklung überholt worden. Lediglich die Lebensmittelaktion wurde im Rat noch thematisiert. Bei ihr handelte es sich aber nicht mehr um eine kirchliche Initiative. Denn zum Zeitpunkt der Kammertagung war bereits eine großangelegte amerikanische Hilfsaktion für die DDR in Planung gewesen. Sie war Teil des politisch-humanitären „Aid-Konzepts“ der USA400. Durch die zwischen Ende Juli und Mitte Oktober in West-Berlin durchgeführte Paketaktion entstand unter der DDR-Bevölkerung neuer Unmut über ihre Lebensbedingungen. Da dies vorauszusehen war, hielt Heinrich Grüber bereits am 26. Juli eine warnende Predigt, in der er den USA nicht völlig zu Unrecht „psychologische Kriegsführung“ vorwarf. Grüber, der die Ereignisse um den 17. Juni 1953 für einen Putsch hielt401, welcher die einsetzende Entspannung der politischen Lage in der DDR ge399 Anlage zum Protokoll (EBD.). 400 Zur amerikanischen Hilfsaktion vgl. B. STÖVER, Befreiung, S. 484–493. 401 Vgl. Mitschrift Meisers über die Kirchenkonferenz am 10.9.1953 (LKA NÜRNBERG, Meiser Mappe A).

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fährdete, bezichtigte die Amerikaner allerdings auch, unter der „heuchlerischen Maske“ der „Freiheit“ einen „Bürgerkrieg zu entfachen.“402 Grübers SED-konforme Äußerungen403 stießen wiederum im Westen auf Empörung und führten dazu, dass der Ratsvorsitzende der EKD sich bei Adenauer für Grübers Aussagen rechtfertigen musste404. Auf der Ratssitzung am 11. September 1953 erklärte allerdings auch Wilhelm Niesel, dass die amerikanische Paketaktion gestoppt werden sollte. Stattdessen könne sich die Diakonie der Not angesichts der unzureichenden Versorgungslage in der DDR annehmen. Der Rat beauftragte daraufhin die beiden Bevollmächtigten, die im Rat geäußerten Meinungen mündlich den zuständigen Stellen mitzuteilen405. Grübers Predigt war jedoch nicht die erste öffentliche Stellungnahme eines prominenten Kirchenvertreters zum Volksaufstand in der DDR. Bereits am 28. Juni hatte sich Dibelius in einer Predigt dazu geäußert406. Am 5. Juli erklärte er dann in einem Rundfunkkommentar, der am 19. Juli auch im Berliner Sonntagsblatt „Die Kirche“ abgedruckt wurde, erstmals öffentlich die Solidarität der evangelischen Kirche mit „dem deutschen Arbeiter [. . .], der in diesen Tagen gegen eine diktatorische Gewalt aufgestanden ist, die ihm alles zumuten zu können meinte.“ Die Kirche werde die Verhafteten und ihre Angehörigen unterstützen, doch sei sie überzeugt, „daß es auf diese ganzen Vorkommnisse eigentlich nur eine Antwort geben kann, und das ist die schleunige Wiedervereinigung Deutschlands.“407 Von einer gesellschaftlichen Neuordnung eines wieder vereinten Deutschlands war bei ihm nicht die Rede. Die Forderung nach einer raschen Lösung der deutschen Frage als Reaktion auf den niedergeschlagenen Volksaufstand wurde auch von der protestantischen Presse in der Bundesrepublik uni sono erhoben408. Wie es zu einer solchen Lösung kommen könne, darüber war man erwartungsgemäß uneins. Heinemann veröffentlichte im Juli in der „Stimme der Gemeinde“ einen programmatischen Artikel unter der Überschrift „Schluß mit der Bonner Politik“, in dem er ein außenpolitisch neutrales, wieder vereinigtes Deutschland forderte409. Auch in der bundesdeutschen Öffentlichkeit hatte die deutsche Frage unter dem Eindruck der Ereignisse des 17. Junis neue Brisanz gewonnen. Die Ereignisse hatten den Bundesbürgern vor Augen geführt, wie ungleich die Lasten der Teilung verteilt waren. Laut Umfragen betrachteten die Westdeutschen vom Sommer 1953 an nicht mehr materielle Belange – die größten ökonomischen Schwierigkeiten waren inzwi402 Abgedruckt in: J. J. SEIDEL, Neubeginn, S. 399–403, hier S. 402. 403 Grüber hatte seine Predigt im Vorfeld den DDR-Behörden übermittelt und zudem mehrere staatliche Kontaktpersonen aufgesucht, um sicher zu stellen, dass seine Initiative auch wahrgenommen würde. Vgl. W. TISCHNER, Kirchen, S. 179. 404 Vgl. EBD. 405 Vgl. Mitschrift Meisers über die Kirchenkonferenz am 10.9.1953 (LKA NÜRNBERG, Meiser Mappe A) und über die Ratssitzung am 11.9.1953 (EBD., Meiser 142). 406 Vgl. W. TISCHNER, Kirchen, S. 178. 407 O. Dibelius: Erfülltes und Unerfülltes. In: Die Kirche, 19.7.1953, S. 5. 408 Vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 239. 409 G. HEINEMANN, Schluß, S. 196.

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schen überwunden –, sondern das Ziel der Wiedervereinigung als die wichtigste anstehende Frage410. Jedoch knüpften die Bundesbürger die Wiedervereinigung von Jahr zu Jahr immer stärker an politische Bedingungen: die Garantie der äußeren Sicherheit sowie der freiheitlichen Ordnung der Bundesrepublik411. Die westdeutschen Politiker wiederum passten die Ereignisse des 17. Junis 1953 in ihr jeweiliges politisches Koordinatensystem ein, wobei die Sozialdemokraten den nationalen Part übernahmen. Adenauer hingegen sah sich in seinem Kurs bestätigt und trieb seine supranationale Integrationspolitik voran. Intern riet er von Gesprächen zwischen den vier Siegermächten über die deutsche Frage ab, während er aus wahltaktischen Gründen öffentlich solche forderte. Im Wahlkampfsommer 1953 erlebten die deutschlandpolitischen Auseinandersetzungen in der jungen Bundesrepublik einen vorläufigen Höhepunkt. Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU gründete im Vorfeld der Wahlen die Zeitschrift „Evangelische Verantwortung“. In ihr versuchte er, der protestantischen Wählerschaft die deutschlandpolitische Kompetenz des evangelischen Flügels der CDU näher zu bringen412. Im Laufe des Wahlkampfes dienten die Artikel dann immer mehr dazu, Heinemann und seine Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP) zu diskreditieren. In dieser vornehmlich (links-)protestantisch geprägten bürgerlichen Partei sammelte sich seit Ende November 1952 die neutralistische Opposition, um auf legislativem Wege eine außen- und deutschlandpolitische Alternative zum Kurs Adenauers durchzusetzen413. Die Ablehnung der Westverträge, durch deren Abschluss sie den europäischen Frieden und die Restituierung Gesamtdeutschlands gefährdet sah, bildete das Zentrum ihrer politischen Programmatik und Tätigkeit. Die GVP wollte über die „Ausklammerung“ Deutschlands aus den Militärblöcken zur Wiedervereinigung gelangen. „Gesamtdeutsche Haltung fordert Unabhängigkeit von Ost und West“, hieß es in ihrem Gründungsmanifest414. Die GVP beabsichtigte auch, allen Protestanten, die mit der „katholischen CDU“ haderten, eine neue politische Heimat zu bieten. Dies ließ sie in den Augen des protestantischen Flügels der CDU zur Gefahr werden. Die „Evangelische Verantwortung“ warf ihr vor, sie betreibe mit ihrem deutschlandpolitischen Konzept eine Auslieferung Deutschlands an die Sowjetunion415. Zwischen Juli und September lieferte sich Ehlers mit Heinemann, Niemöller und Wilm eine deutschlandpolitische Grundsatzdebatte416. Ehlers bilanzierte den bisherigen Kurs der Westintegration positiv. Der Bundestagspräsident war zwischen Herbst 1952 und Anfang 1953 angesichts der totalitären Züge des SED-Regimes und seines Eindrucks, dass Teile der evangelischen Kirche die gesamtpolitische Lage verkannten, endgültig auf Adenauers Deutschland-

410 411 412 413 414 415 416

M. GLAAB, Deutschlandpolitik, S. 380. Vgl. W. WEIDENFELD, Frage, S. 2955. Vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 168. Zur GVP vgl. insgesamt: J. MÜLLER, Volkspartei, S. 209–400. Zitiert nach EBD., S. 401. Vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 170. Vgl. EBD., S. 170ff.

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politik eingeschwenkt417. Wilm und Niemöller hielten hingegen Adenauers Deutschlandpolitik für gescheitert. Auslöser des Disputs war ein Aufruf Niemöllers zur Bundestagswahl vom 15. Juli. Darin behauptete er, dass die Regierung in der Wiedervereinigungsfrage bisher die Meinung der Bevölkerung völlig ignoriert habe. Er forderte ein Bündnis aller politischer Gruppen, „die ohne einseitige – wirtschaftliche oder militärische – Bindung nach West oder Ost eine deutsche Politik der Wiedervereinigung und des Friedens zu treiben entschlossen sind.“418 Vier Tage später schloss die GVP auf Betreiben von Mochalski ein Wahlbündnis mit dem linksneutralistischen Bund der Deutschen, von dem man früher vermutete und heute weiß, dass er von der SED infiltriert und finanziert war419. „Christ und Welt“ warf im Zusammenhang mit dem Wahlaufruf und dem Wahlbündnis Heinemann und Niemöller „Weltfremdheit und Reaktion“ vor420. Beide würden in den Kategorien des Nationalstaats des 19. Jahrhunderts denken: „Das unangefochtene reaktionäre Weiterdenken in den politischen Kategorien des 19. Jahrhunderts mit dem auf sich selbst stehenden bewaffneten Nationalstaat als Leitbild der Politik ist erschreckend wirklichkeitsfern und unnüchtern. Es ist ein Rückfall in das nationalistische Denken alter Schule.“ Dass er damit Niemöllers und auch Heinemanns gesamtdeutsches Denken falsch charakterisierte, wird an einem Vortrag Niemöllers auf dem Kirchentag 1953 deutlich. Mitten in den bundesdeutschen Wahlkampf fiel der fünfte Kirchentag in Hamburg, dem fast 13.000 Dauerteilnehmer und noch mehr Tagesteilnehmer aus der DDR beiwohnen konnten421. Die Kirchentagsleitung bemühte sich nach Kräften darum, jeden Störfaktor für die bevorstehende Wahl zu vermeiden422. Thadden veröffentlichte daher einen Appell an alle Parteien, während des Kirchentages „Burgfrieden“ zu halten423. Insbesondere war die Kirchentagsleitung darauf bedacht, dass Niemöller den Kirchentag nicht zu seinem Forum machen würde424. Der Kirchenpräsident konnte dazu bewegt werden, seine Rede auf dem Treffen der „Internationalen KriegsdienstgegnerGesellschaft“, das gleichzeitig mit dem Kirchentag in Hamburg stattfand, abzusagen. Am 14. August sprach Niemöller dann vor mehr als 20.000 Kirchentagsteilnehmern über das Thema „Unser Volk unter den Völkern“425. In seinem Vortrag unterzog er das deutsche Nationalbewusstsein einer kritischen Reflexion. Er begann mit grundsätzlichen Ausführungen zum Begriff „Volk“, wobei er offen ließ, was nun letztlich ein Volk bzw. eine Nation konstituierte. Er beschrieb das „Volk“ als historisch wandelbare Größe, die je nach Einzelfall eine Abstammungs-, Sprach-, Kultur- oder Siedlungsgemeinschaft umfasste. Darüber hinaus betrachtete er die Völker auch als Willensge417 418 419 420 421 422 423 424 425

Vgl. G. BESIER, Ehlers, S.108. Abdruck in: KJ 80, 1953, S. 41f., hier S. 41. Vgl. auch J. MÜLLER, Volkspartei, S. 293. Vgl. J. MÜLLER, Volkspartei, S. 286–297 und M. LEMKE, Einheit, S. 289–295. So der Titel des Artikels in: ChrWelt, 23.7.1953, S. 1. Vgl. D. PALM, Brüder, S. 178. Vgl. EBD., S. 173f. EBD., S. 177. Vgl. EBD., S. 176. Abdruck in: VERTRAUEN, S. 219–227.

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meinschaften und hob den Willen als Vergemeinschaftungsfaktor, vor allem im Hinblick auf die Situation der Deutschen, hervor: „Irgendwie gehört zum Volk-Sein ja wohl auch der Wille, beieinander zu bleiben und eine gemeinsame Zukunft zu haben. Und das mag für unser Volk wichtig genug werden, falls infolge unserer tatsächlichen Zertrennung dieser Wille ersterben sollte.“426 Mit der Betonung des Willens schien Niemöller aber nicht auf den Nationsbegriff im westlichen Sinne zu zielen, jedenfalls geht dies nicht aus seinem Vortrag hervor. Theologisch sah Niemöller in der Existenz der Völker „eine ausdrückliche Anordnung Gottes für die in Sünde gefallene Menschheit“427. Die Menschheit als das „eine Volk auf Erden wiederherzustellen“, sei den Menschen nicht möglich. Gleichzeitig aber sei den Menschen „der Kultus des eigenen Volkes als des einzigen verwehrt!“428 Niemöller wandte sich explizit gegen den religiös überhöhten „nationalistischen Nationalismus“ der Deutschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dem er nach eigener Aussage früher selbst einmal anhing429. Der Unterschied zwischen dem Nationalismus des nationalsozialistischen Deutschlands und dem anderer Völker lag nach Niemöller darin, dass die Nationalsozialisten nicht bewusst Unrecht getan hätten, um dem eigenen Volk zu nutzen, sondern das Unrecht zum Recht erklärt hätten und damit gegenüber Gott und den Menschen schuldig geworden seien. Die Volksideologie sei nach 1945 von einer „Menschheitsideologie“ abgelöst worden, mit zwei konkurrierenden Wegen zu ihrer Verwirklichung: den Weg der „Freien Welt“ und den Weg der „Kommunistischen Welt“430. Die Deutschen lebten an der Nahtstelle dieser „beiden Welten“, wodurch ihnen ein „Kosmopolitismus“ unmöglich werde. Die Deutschen könnten nicht zum Nationalismus zurück, aber auch nicht nach vorne „zu einer geeinten Menschheit“. Was also sollten sie tun? Laut Niemöller waren alle Völker gleichberechtigt, hatten aber unterschiedliche „Aufgaben und Verantwortungen, [. . .] je nach der besonderen Führung und nach den besonderen Gaben, die einem Volk zuteil werden“431. Ohne den Begriff „Sendung“ zu benutzen, erklärte Niemöller, dass das deutsche Volk aufgrund seiner besonderen geopolitischen Lage, in die es Gottes Führung gebracht habe, die „elementare Aufgabe“ besitze, „Brücke“ zwischen Ost und West zu sein und zur Verständigung, als Voraussetzung für ein „friedliche[s] Neben- und Miteinander der Völker“, beizutragen432. Als Motive für diesen Brückendienst nannte er: 1. Die Deutschen könnten selbst nur in Frieden leben, wenn sie nach beiden Seiten hin Frieden hätten; 2. Auch wenn die Deutschen eindeutig zum „Abendland“ und zur „westlichen Welt“ gehörten, würden sie doch in unmittelbarer Nachbarschaft zum „Osten“ leben und hätten damit als erste die Pflicht, sich um eine friedliche Nachbarschaft zu bemühen; 3. Die Deutschen hät-

426 427 428 429 430 431 432

EBD., S. 220. EBD., S. 220f. EBD., S. 221. EBD. EBD., S. 222. EBD., S. 223. EBD., S. 224.

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ten eine gemeinsame Verantwortung; sie seien noch immer ein Volk. Die Teilung sei gegen ihren Willen, aber nicht ohne ihre Schuld erfolgt. Man könne nicht wissen, ob es Gottes Wille sei, die Deutschen wieder zusammenzuführen oder sie auf Dauer voneinander zu trennen. Doch dürften die Deutschen nicht selbst „ein Band zerreissen, das durch die gemeinsame Schuld nur noch stärker geworden ist: Wir tragen als Volk an einer gemeinsamen Verantwortung, nicht nur miteinander, sondern auch füreinander!“433 Seinen eigenen, geschichtstheologisch fundierten, historisch-moralischen Nationsentwurf grenzte Niemöller deutlich von einem integralen Nationalismus ab: „Das sollte nichts mit jenem Nationalismus zu tun haben, von dem wir sprachen und der das eigene Volk zum höchsten Wert und letzten Zweck erhebt. Wohl aber dürfen wir, soviel an uns ist, nicht zulassen, daß ein Teil der Menschen unseres Volkes allein die Lasten unserer Verschuldung trägt. Und diese Menschen sind es, für die wir einzustehen haben. Wir streben also mit gutem Gewissen nach der Wiedervereinigung unseres Volkes; aber wir werden uns zu hüten haben, daß wir dabei nicht neues Unrecht zum alten hinzufügen.“434

Auch mit ihrem Bemühen um eine Wiedervereinigung stünden die Deutschen als „Volk unter Völkern“, mahnte der Kirchenpräsident. Sie seien gegenüber den westlichen und den östlichen Völkern schuldig geworden und müssten sich folglich auch mit beiden aussöhnen. Eine Verständigung mit den westlichen Nachbarn dürfe deshalb nicht um den Preis erfolgen, dass dadurch das Verhältnis zu den östlichen Nachbarn, das noch nicht wieder geordnet war, belastet werde. Die Deutschen hätten die Pflicht, alles zu tun, um Konflikte, die sich an Deutschland entzünden könnten, zu verhindern. Niemöller reagierte in seinem Vortrag auch auf die provozierende Frage, die im Sommer 1952 von einer ökumenischen Kommission gestellt worden war. Dort wurde gefragt, ob das deutsche Volk vielleicht seine endgültige Teilung in Kauf nehmen müsse, falls sich dies als der einzige Weg zur Schaffung eines dauerhaften Friedens unter den Völkern erweisen sollte. Eine solche Frage konnte nach Niemöller erst dann beantwortet werden, wenn sie sich wirklich stellte. Sie mache jedoch deutlich, dass ein selbstbezogenes nationales Handeln fragwürdig geworden sei. Zwar beziehe sich „normalerweise“ die Verantwortung zunächst auf die Menschen der eigenen Umgebung und des eigenen Volkes. Christen könnten jedoch nicht darüber bestimmen, wer ihr Nächster sei435. „Auf keinen Fall aber dürfen wir so handeln, als hätten wir als Volk nur unsere eigenen Ziele und Interessen wahrzunehmen und [nur, C. L.] für uns selber einzustehen.“436 Die Christen in Deutschland sollten sich international für Dialog und Verständigung, für Recht und Gerechtigkeit sowie für Gewaltlosigkeit einsetzen. In der Diskussion wurde aus Niemöllers Referat vor allem der Aspekt des Willens als Kriterium für die Bestimmung der nationalen Kollektivität herausgegriffen. Ein 433 434 435 436

EBD. EBD. EBD. EBD., S. 225.

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Pfarrer aus Ost-Berlin berichtete von der Unsicherheit in seiner Jungen Gemeinde hinsichtlich der Frage, ob die Deutschen in beiden Teilstaaten noch ein gemeinsames Volk darstellten. Er forderte die westdeutschen Christen dazu auf, sich in der Bundesrepublik für ein gesamtdeutsches Bewusstsein einzusetzen. Nur als ein gemeinsames Volk könnten die Deutschen ihre Brückenfunktion wahrnehmen. Ein anderer ostdeutscher Pfarrer forderte von den Westdeutschen „kraftvolle Fürbitte“ als Ausdruck ihres Einheitswillens437. Solange der Wille zur nationalen Gemeinschaft vorhanden sei, so argumentierte Helmut Gollwitzer gegen die Verzichtsaufforderung aus der Ökumene, hätten Christen nicht das Recht, diesen Willen zu bestreiten. Der Bonner Theologe betonte auch erneut den humanitären Aspekt dieses Gemeinschaftswillens: dem Volksteil, der „in einem System der Unterdrückung und der Rechtlosigkeit“ lebe, müsse geholfen werden. Gollwitzer ermahnte allerdings auch, dass der Konsens darüber, dass das Volk keinen letzten Wert darstelle und dass das Evangelium nicht als Werkzeug zum Erreichen nationaler Ziele missbraucht werden dürfe, in Handeln umgesetzt werden müsse. Es bedürfe in Zukunft der Wachsamkeit und des Widerspruchs gegenüber „einem wiedererwachenden Nationalismus in Deutschland, besonders im deutschen Bürgertum, denen die Kirche und das Christentum nur recht ist, soweit sie es in den Dienst der Nation und der nationalen Sache stellen“438. Ansonsten spielte das von Niemöller Vorgetragene in der Diskussion keine zentrale Rolle. Stattdessen wurden dem Kirchenpräsidenten einerseits Dinge vorgeworfen, die er nicht gesagt hatte, und andererseits der Vorwurf gemacht, sich zu bestimmten Punkten nicht geäußert zu haben. Zu Unrecht wurde ihm vorgehalten, er habe die politischen Thesen des Neutralismus als Konsequenzen aus den göttlichen Geboten dargestellt. Dieser Angriff auf Niemöller gipfelte in einem Vergleich mit Goebbels als dem „Meister der Halbwahrheiten“439. In sachlichen Diskussionsbeiträgen wurde hingegen kritisiert, dass Niemöller keine Auskunft darüber gegeben habe, wie der Christ sich gegenüber den Russen verhalten sollte, die er als Unterdrücker von Glaubensfreiheit und anderen Menschenrechten erlebe. Ebenso habe er offen gelassen, wie ein echter Dialog mit Vertretern eines politischen Systems, dem eine politische Heilslehre zugrunde liege, möglich sein könne. Nach einem harten Wahlkampf, der infolge der blutigen Niederschlagung des Volksaufstandes in der DDR auf CDU-Seite von einem vehementen Antikommunismus geprägt war, brachten die Wahlen am 6. September der CDU 45,2 % der Stimmen und über die Hälfte der Bundestagsmandate ein. Für die GVP und ihr deutschlandpolitisches Konzept entschieden sich nur 1,16 % der Wähler, d. h. auch nur ein Bruchteil der westdeutschen Protestanten440. Die Bürger der Bundesrepublik waren für das Wagnis, die deutsche Frage auf dem Wege der Neutralisierung zu lösen, nicht zu gewinnen. Durch den Wahlerfolg gestärkt, konnte Adenauer seinen Weg der Westinte437 438 439 440

EBD., S. 239. EBD., S. 255. EBD., S. 241. Zum Wahlergebnis vgl. J. MÜLLER, Volkspartei, S. 320ff.

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gration der Bundesrepublik weitergehen. Die GVP sollte sich hingegen von ihrem Wahldebakel nicht mehr erholen. Mit einem Ausdruck der Genugtuung und hinsichtlich der Zukunft Heinemanns geradezu prophetisch, schrieb Dibelius zum Ausgang der Wahlen am 6. September in sein Tagebuch: „Glänzender Sieg Adenauers. [. . .] Für Heinemann ist der Ausgang der Wahl eine Katastrophe. Wenn er die Politik nicht aufgibt, verliert er auch seine Stellung in der Kirche u[nd] landet bei der SPD. Vor allem ist es auch eine Niederlage des Niemöller-Kreises, der sich über seinen politischen Einfluß 100 %ig getäuscht hat.“441

Vier Tage später versuchte der Bischof auf der Kirchenkonferenz in Berlin, mögliche negative Auswirkungen der Wahlen auf die Chancen einer Wiedervereinigung herunterzuspielen und die evangelische Kirche weiterhin auf die Wiedervereinigung zu verpflichten: „Wir haben alle Ursache, nun nicht als Kirche es als selbstverständlich hinzunehmen, daß die Wiedervereinigung unmöglich gemacht oder hinausgeschoben wird, sondern haben mit der gleichen Bestimmtheit wie vorher für die Wiedervereinigung einzutreten.“442

Allerdings sollte die Kirche nach Ansicht von Dibelius die politischen Gegensätze in der Öffentlichkeit nicht verschärfen und stattdessen dafür sorgen, dass in der neuen Regierung evangelische Christen vertreten waren. Wilhelm Niesel war dies aber nicht genug. Auf seinen Antrag hin beauftragte der Rat die Kammer für öffentliche Verantwortung, über die Wiedervereinigungsfrage zu beraten und ihm gegebenenfalls Vorschläge für die weitere Vorgehensweise zu machen443. Kirchenkanzleipräsident Brunotte gab diesen Wunsch an den Kammervorsitzenden Tillmanns mit der Bemerkung weiter: „Der Rat war sich natürlich darüber klar, daß es nicht seine Aufgabe sei, jetzt irgendetwas Konkretes zu unternehmen, was Sache der Staatsführung und der Politiker sein könnte.“444 Nach mehreren Notenwechseln zur Deutschlandproblematik im Laufe des Jahres 1953 einigten sich die Vier Mächte im Dezember auf eine gemeinsame Außenministerkonferenz in Berlin. Die Westmächte arbeiteten noch im Dezember eine gemeinsame Position, den so genannten Eden-Plan, aus. Er sah einen 5-Punkte-Stufenplan zur Wiedervereinigung Deutschlands vor: 1. Gesamtdeutsche freie Wahlen unter alliierter Kontrolle; 2. Einberufung einer Nationalversammlung; 3. Vorbereitung eines Friedensvertrages und einer Verfassung; 4. Annahme der Verfassung und Bildung einer gesamtdeutschen Regierung; 5. Friedensvertrag ohne vorherige Bindung an ein Bündnis445. Obgleich der Plan Kompromissangebote enthielt, machten sich weder die 441 Zitiert nach: H. P. MENSING, Adenauer, S. 57. 442 Mitschrift Meisers über die Kirchenkonferenz der EKD am 10.9.1953 (LKA NÜRNBERG, Meiser Mappe A). 443 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 11.9.1953 (EZA BERLIN, 2/1796). 444 Brunotte an Tillmanns, 24.9.1953 (EZA BERLIN, 2/1349). 445 Vgl. FISCHER-Chronik Deutschland, S. 148.

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Westmächte noch die Bundesregierung Illusionen über den Konferenzverlauf446. Dem Eden-Plan standen auf der vom 25. Januar bis 18. Februar dauernden Konferenz die Vorschläge des sowjetischen Außenministers Molotow unvereinbar gegenüber. Sie lauteten: 1. Ausarbeitung eines Friedensvertrags mit Vertretern beider deutscher Staaten; darin müsse sich Deutschland zur Neutralität verpflichten und in ein kollektives europäisches Sicherheitssystem einbinden lassen; 2. Einsetzung einer provisorischen gesamtdeutschen Regierung durch Bundestag und Volkskammer; 3. weitgehender Abzug der Besatzungstruppen und gesamtdeutsche Wahlen; 4. Bildung einer gesamtdeutschen Regierung447. Infolge der Unvereinbarkeit der Vorschläge und der Kompromisslosigkeit der sowjetischen Seite enthielt das gemeinsame Schlusskommuniqué kaum etwas Konkretes zur Deutschlandfrage. Der Verlauf der Konferenz hatte allerdings mehreres deutlich gemacht: die Ideologisierung und Internationalisierung der deutschen Frage sowie das Desinteresse der Sowjetunion und der DDR an freien Wahlen. Der Sowjetunion gab das Scheitern der Konferenz einen wichtigen Impuls für ihren Entschluss, den eigenstaatlichen Weg der DDR fortzusetzen448. Vor, während und nach der Berliner Konferenz meldeten sich protestantische Stimmen zwischen Hoffnung, Skepsis und Enttäuschung zu Wort. Der Bruderrat der Bekennenden Kirche schrieb am 7. Januar an die christlichen Kirchen in den USA, Großbritannien, Frankreich und der UdSSR und bat sie, ihre Regierungen zur Kompromissbereitschaft aufzufordern449. Als einzige Kirchenleitung äußerte sich am 14. Januar der Thüringer Landeskirchenrat. In seiner Erklärung räumte er der politischen Forderung nach einem Friedensvertrag Priorität ein und zeigte damit eine Nähe zum sowjetischen Vorschlag. Von der Konferenz erhoffte er sich einen Fortschritt in der deutschen Frage, hin „zu einer echten Einheit“450. Die Teilung Deutschlands, so argumentierte er, habe „keinerlei geschichtliche, nationale und wirtschaftliche Berechtigung“451. Am 18. und 19. Januar tagten die Kammer und der Synodalausschuss für öffentliche Verantwortung in Königswinter452. Robert Tillmanns, den Adenauer inzwischen zum Bundesminister ohne Portefeuille, aber mit der Aufgabe, sich um Berlin und um den evangelischen Bereich zu kümmern, ernannt hatte453, gab einleitend einen Überblick über die weltpolitische Lage am Vorabend der Berliner Außenministerkonferenz. In der Diskussion schlug Franz Reinhold Hildebrandt vor, die Kirche solle in einem Wort an die Außenministerkonferenz konkrete Wünsche sowie kirchliche Hilfsangebote formulieren. Im Einzelnen dachte er an Hilfeleistung bei der Aufstellung eines gesamtdeutschen Gremiums, an die Thematisierung der Frage der politischen Gefangenen und an die Bitte um Vereinfachung des Grenzverkehrs. Dagegen 446 447 448 449 450 451 452 453

Vgl. zu den Einzelheiten M. LEMKE, Einheit, S. 302f. Vgl. FISCHER-Chronik Deutschland, S. 148. Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 512. Abdruck in: KJ 81, 1954, S. 56f. EBD., S. 57. EBD., S. 57f. Niederschrift über die Sitzung der KföV am 18./19.1.1954 (EZA BERLIN, 2/1349). Vgl. T. OPPELLAND, Arbeitskreis, S. 113.

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legte vor allem Iwand Widerspruch ein. Letztlich wurde beschlossen, „ganz auf der inneren Linie zu bleiben.“454 Die Kammer- und Ausschussmitglieder empfahlen dem Rat der EKD drei Maßnahmen: 1. für den 31. Januar in allen deutschen Kirchen einen Fürbittegottesdienst mit derselben Textgrundlage (Matth. 8, 23–27) zu veranlassen; 2. eine Kommission zu bilden, die den Ratsvorsitzenden über die Konferenz auf dem Laufenden hielt, damit er gegebenenfalls reagieren konnte; 3. zur Vorbereitung auf die Wiedervereinigung Gutachten über Fragen der Angleichung auf den Gebieten Erziehungswesen, Rechtswesen und Wirtschaft erstellen zu lassen. Der Rat setzte zunächst den ersten Vorschlag um, so dass nach Eröffnung der Konferenz in allen Gemeinden Fürbittegottesdienste abgehalten wurden. Am 10. Februar wurde Dibelius dann von der deutschen Beobachterdelegation darum gebeten, dass die EKD aktiv werde. Es sollte verdeutlicht werden, dass Deutschland selbst ein lebendiges Interesse an der Wiedervereinigung hatte455. Tags darauf beschloss der Rat, ein Telegramm an die in Berlin tagenden Außenminister zu senden. In „Wahrnehmung seiner Verantwortung für Ost und West des deutschen Vaterlandes“ appellierte er darin an die vier Außenminister, die Konferenz nicht ohne ein positives Ergebnis für die deutsche Wiedervereinigung abzuschließen. Einen Tag später verabschiedeten Kirchenkonferenz und Rat noch eine ausführliche Eingabe an die vier Außenminister. Darin wurde erneut das nach Ansicht der EKD bestehende Junktim zwischen deutscher Einheit und europäischem Frieden betont: „Wir sind überzeugt, daß der Friede Europas und der Welt gefährdet ist, solange die deutsche Frage ungelöst bleibt.“456 Die Kirchenvertreter appellierten an die Konferenzteilnehmer, ihre Meinungsverschiedenheiten über die Durchführung freier Wahlen in Ost- und Westdeutschland zu überwinden und dafür zu sorgen, „daß eine solche Willensäußerung ohne Gewissensbedrängung und Furcht geschehen kann.“ Diesem kritischen Signal in Richtung Osten folgte aber auch ein positives. So wurde in der Erklärung betont, dass die deutsche Wiedervereinigung mit den Sicherheitsbedürfnissen der Nachbarvölker „untrennbar verbunden“ sei. In einem weiteren Schreiben baten Rat und Kirchenkonferenz die Außenminister um die sofortige Entlassung der politischen Gefangenen – eine Bitte, die sich vornehmlich an die Sowjetunion richtete457. Das Scheitern der Berliner Konferenz und der dabei vermittelte Eindruck, dass die Siegermächte sich mit dem Status quo der deutschen Teilung arrangierten, löste insbesondere unter der DDR-Bevölkerung große Enttäuschung aus. Bereits am 21. Februar versuchten Dibelius und Grüber in der Berliner Marienkirche, mit einer Predigt und Erklärung der Resignation entgegenzutreten458. Zwei Tage später schrieb Grüber an Grotewohl. Wenn die DDR-Regierung eine neue Fluchtwelle vermeiden wolle, so

454 EBD. 455 Bericht von Dibelius auf der Sitzung des Rates der EKD am 11.2.1954. Mitschrift Meisers (LKA NÜRNBERG, Meiser 162). 456 KJ 81, 1954, S. 58. 457 EBD., S. 59. 458 Dibelius und Grüber zum Ende der Berliner Konferenz. In: JK 15, 1954, S. 149f.

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hieß es in dem Brief, müsse sie signalisieren, dass nicht mit einer weiteren Verschärfung des politischen Kurses zu rechnen sei und sie alles unternehme, um die Hindernisse für eine deutsche Wiedervereinigung zu beseitigen459. Die im März in BerlinSpandau tagende EKD-Synode setzte eigens einen „Ost-West-Ausschuß“ ein, der sich mit der Situation nach neun Jahren deutscher Teilung befasste und der Synode ein „Berichtswort“ vorlegte460. In der Aussprache über den Bericht war es, wie schon 1949, Martin Niemöller, der anmahnte, neben der humanitären und nationalen Seite der deutschen Frage müsse auch die konfessionelle berücksichtigt werden. Die evangelischen Christen und Kirchen in Ost- und Westdeutschland trugen, seiner Ansicht nach, „den großen Teil der Verantwortung für das, was aus dem Protestantismus auf dem Kontinent in Europa in Zukunft werden wird.“461 Niemöller war davon überzeugt, dass im Falle einer dauerhaften deutschen Teilung „ein Todesurteil gesprochen wird über den Protestantismus auf dem Kontinent.“462 Dieser konfessionelle Aspekt der deutschen Frage wurde aber nicht mehr in das Synodalwort aufgenommen. Der OstWest-Ausschuss bat jedoch den Rat und den Öffentlichkeitsausschuss, dieser Frage „ihre besondere Aufmerksamkeit zu widmen.“463 In dem von der Synode beschlossenen „Berichtswort“ wurden Rat und Kirchenkonferenz dazu aufgefordert, sich weiterhin für Frieden und Wiedervereinigung einzusetzen, „um so mitzuhelfen, daß die verantwortlichen Mächte sich in ihrem Verzicht auf die Behandlung der deutschen Frage nicht versteifen und sich weiteren Erleichterungen im innerdeutschen Verkehr nicht verschließen möchten.“464 Es wurde Verständnis für die Enttäuschung der Bevölkerung gezeigt und dieser mit einer theologischen und politischen Relativierung der deutschen Frage begegnet. Entsprechend hieß es in der Synodalentschließung, Gottes Prüfung infolge des Zweiten Weltkrieges dauere noch an; die Christen sollten ihre Hoffnung auf Gott und nicht allein auf die Überwindung ihrer Nöte richten und über den eigenen Problemen nicht die anderen Nöte in der Welt vergessen. Auf die evangelische Bevölkerung in der DDR zielten die Sätze: „Christen dürfen auch dann, wenn ihre Hoffnungen und Gebete nicht so erfüllt werden, wie sie es erwarten, dennoch getrost den Weg gehen, den Gott uns gehen heißt, selbst wenn es ein Weg des Kreuzes ist.“465 Die Synode appellierte an jeden Fluchtwilligen, zu überlegen, „ob er ohne wirkliche Not und in leichtfertiger Übereilung seine Verantwortung preisgeben darf, die Gott ihm unvertretbar an seinem Platz zugewiesen hat.“466 Von den Gemeinden in beiden Teilen Deutschlands wurde erwartet, dass sie die Botschaft des Evangeliums nicht mit „politischer Tagespropaganda“ vermengten. Ebenso wie in anderen kirchlichen Äußerungen nach der Viermächtekonferenz wurde auch in dem Sy459 460 461 462 463 464 465 466

Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 164. Vgl. BERLIN-SPANDAU 1954, S. 286–292. EBD., S. 291. EBD. EBD., S. 348. EBD., S. 288. EBD. EBD., S. 289.

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nodalwort dazu aufgefordert, im Praktizieren der kirchlichen Ost-West-Gemeinschaft nicht nachzulassen. Vor dem Hintergrund der gesunkenen deutschlandpolitischen Hoffnungen beschränkte sich die EKD in ihren Äußerungen immer mehr auf den Appell, den Zusammenhalt der Nation auf religiös-kultureller Ebene zu erhalten. Die SED-Führung setzte auch nach dem Scheitern der Berliner Konferenz ihre Einheitsrhetorik fort. Denn die DDR-Bevölkerung, einschließlich eines großen Teils der SED-Basis, hätte eine Absage an die Wiedervereinigung nicht akzeptiert. Die Parteiführung musste daher ein politisches Ziel glaubhaft vertreten, an das sie selbst nicht mehr ernsthaft dachte, und gleichzeitig die Bevölkerung von diesem wegführen467. Nach der Außenministerkonferenz und im Vorfeld der Verhandlungen über Westbindung und Wiederbewaffnung der Bundesrepublik entfaltete die Partei zahlreiche deutschlandpolitische Aktivitäten. Dazu zählte der II. Nationalkongress in der DDR im Mai 1954. Dort hielt auch Propst Grüber eine Rede, in der er sich für die Ächtung von Massenvernichtungswaffen aussprach468. Wie nicht anders zu erwarten, instrumentalisierte die SED den Auftritt des Bevollmächtigten im „Neuen Deutschland“ für ihre Politik. Die westdeutschen Blätter empörten sich dagegen über die Aussage in Grübers Rede, dass im Westen alle diffamiert würden, die sich für Einheit und Freiheit einsetzten. Von der Presse, aber auch aus den eigenen Reihen angefeindet beantragte Grüber daraufhin auf der brandenburgischen Provinzialsynode seinen Rücktritt aus der Kirchenleitung und stellte sein Propst-Amt zur Verfügung. Beides wurde abgewiesen; der Mittler zur DDR-Regierung wurde noch gebraucht. Zu den deutschlandpolitischen Aktivitäten der DDR gehörte auch eine ursprünglich für Gesamtdeutschland geplante Volksbefragung über die Alternative: EVG-Vertrag, Generalvertrag und Belassung der Besatzungstruppen auf 50 Jahre oder Friedensvertrag und Abzug der Besatzungstruppen. In der Kirchlichen Ostkonferenz kam es anlässlich dieser Volksbefragung zu einem existenziellen Konflikt469. Auf ihrer außerordentlichen Sitzung am 9. Juni, die auf dringenden Wunsch der Magdeburger Kirchenleitung einberufen worden war, bestand zwar Einigkeit darüber, dass die Befragung eine Farce sei, nicht aber darüber, ob dazu kirchlicherseits Stellung genommen werden sollte. Dibelius und die Kirchenkanzlei – Berliner Stelle, d. h. das offizielle EKD-Organ in der DDR, waren gegen eine Äußerung der Kirche. Ludolf Müller, Bischof der Kirchenprovinz Sachsen und entschiedener Verfechter eines kirchlichen Wächteramtes in der DDR, war anderer Ansicht und wurde von Waldemar Schröter, Vorsitzender des anhaltischen Landeskirchenrates, unterstützt. Die übrigen Kirchenleitungen waren teils unentschieden, teils standen sie auf Seiten der Kirchenkanzlei. Nachdem Dibelius die Sitzung verlassen hatte, wurde die überarbeitete Fassung eines Magdeburger Briefentwurfs verabschiedet und von den Vertretern von Sachsen, Kirchenprovinz Sachsen, Mecklenburg, Anhalt, Görlitz und der EKU unterzeichnet. Mül467 Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 310. 468 Vgl. zur Rede und der Auseinandersetzung über sie S. RINK, Bevollmächtigte, S. 218f. 469 Vgl. zum Folgenden: Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 24.6.1954 (LKA NÜRNBERG, Meiser 162); M. KÜHNE, Neuordnung, S. 73–78.

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ler und Schröter sollten das Schreiben Nuschke überreichen. Dibelius reagierte auf den in seiner Abwesenheit gefällten Beschluss mit der Feststellung, dass die Ostkonferenz an ihr Ende gekommen sei. Gegenüber der DDR-Regierung dürfe man kirchlicherseits nur geschlossen handeln. Da Nuschke es ablehnte, das Schreiben entgegen zu nehmen, sandte es die Magdeburger Kirchenleitung an alle Bezirksvorsitzenden mit der Bitte, es auch der DDR-Regierung zugänglich zu machen. Die anderen Kirchenleitungen wurden in der Sache nicht mehr tätig. Die Magdeburger Kirchenleitung machte hingegen am 14. Juni die Eingabe an die Regierung der DDR, in der Inhalt und Verfahrensweise der Befragung kritisiert wurden, durch ein Rundschreiben in ihrem Aufsichtsbereich bekannt470. Vier Tage darauf kamen die Kirchenleitungen zusammen und unterstrichen die Notwendigkeit, die Einheitlichkeit zu wahren und die Kirchliche Ostkonferenz unter Leitung des Ratsvorsitzenden zu erhalten. Lediglich Müller betonte, dass bei fehlender Einheitlichkeit die Gliedkirchen das Recht zu selbstständigem Handeln haben sollten. Am 21. Juni ging Grüber auf Wunsch der Kirchlichen Ostkonferenz zu Grotewohl, um ihm mündlich die Bedenken der Kirchen hinsichtlich der Volksbefragung mitzuteilen. Ziel dieses Gesprächs war es, auf der staatlichen Seite den Eindruck der Uneinigkeit der Kirchen zu korrigieren. Kurz darauf „votierten“ die DDR-Bürger, wie im Herrschaftssystem der DDR nicht anders zu erwarten, mit 93,6 % der Stimmen für einen Friedensvertrag. Die SED bemühte sich zu dieser Zeit auch demonstrativ darum, gesamtdeutsche Gremien einzuberufen und Treffen auf verschiedensten Ebenen zu organisieren. Nach anfänglichem Zögern war der Parteiführung daher auch der für Leipzig geplante Deutsche Evangelische Kirchentag im Juli willkommen. Sie hoffte, ein Forum zu erhalten, um unter westdeutschen Christen für die sowjetischen deutschlandpolitischen Vorschläge zu werben471. Der Kirchentagsleitung nahm sie das Versprechen ab, dass auf den Veranstaltungen weder zugunsten der EVG-Politik noch gegen die Friedenspolitik der DDR Stellung genommen werde472. Zugleich wollte die SED-Führung den Kirchentag als Probefeld für ihre neu entwickelte kirchenpolitische Strategie nutzen. Diese mittelfristige Differenzierungs- und Unterwanderungspolitik kombinierte selektive Integrationsangebote gegenüber „fortschrittlichen“ Christen mit gezielten Repressionen gegen „reaktionäre“ Kirchenglieder. Auf diese Weise wollte man Bündnispartner gewinnen, welche die kirchliche Organisation unterwandern und dadurch für die SED von innen heraus beherrschbar und politisch instrumentalisierbar machen sollten. Langfristiges und übergeordnetes Ziel der SED blieb dabei aber stets die Zurückdrängung des gesellschaftlichen Einflusses der Kirchen und die Entkirchlichung der Bevölkerung473. Das Ergebnis der ersten praktischen Umsetzung des theoretischen 470 Abdruck in: KJ 81, 1954, S. 123f. 471 Zur SED-Politik gegenüber dem Kirchentag in Leipzig vgl. D. PALM, Brüder, S. 191–202 und S. 210f.; M. G. GOERNER, Kirche, S. 152–159; G. BESIER, SED-Staat, S. 171–176; C. KLESSMANN, Kirchentag. 472 Vgl. D. PALM, Brüder, S. 195ff. 473 Zur Ausbildung einer neuen, systematischen Kirchenpolitik innerhalb der SED vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 107–159 und S. 394.

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Konzepts war aber angesichts der chaotisch organisierten Großkampagne zur „Betreuung“ des Leipziger Kirchentages eher ernüchternd und machte der SED die Notwendigkeit klar, einen umfangreichen Apparat für die Kirchenpolitik aufbauen zu müssen474. Als Zeichen der Verbundenheit mit den ostdeutschen Christen war mit Leipzig erstmals ein Austragungsort auf dem Gebiet der DDR gewählt worden. 1952 und 1953 hatten die Kirchentage in der Bundesrepublik stattgefunden. Auch thematisch waren sie mehr westlich orientiert gewesen, obgleich es an Bekenntnissen zur Ost-West-Gemeinschaft nicht gefehlt hatte475. Die Entscheidung für einen ostdeutschen Kirchentagsort war zunächst gegen die Bedenken einiger östlicher Kirchentagsvertreter gefallen. Sie hatten Nachteile für die ostdeutschen Teilnehmer und notwendige Zugeständnisse an die DDR-Regierung befürchtet476. Unter dem Motto „Seid fröhlich in Hoffnung!“ drehte sich der Kirchentag in Leipzig um Fragen der Eschatologie. Ziel war es, den Marxismus als innerweltliche Heilslehre von der Bibel her infrage zu stellen. Mit seinen circa 600.000 Teilnehmern übertraf der Schlussgottesdienst an Zahlen alles bisher dagewesene477. In seinem Schlusswort unterstrich Thadden den gesamtdeutschen Charakter dieses Kirchentages, indem er ihn als „unübersehbare Klammer“ bezeichnete478. „Wir halten einander fest“, appellierte das „Wort des Kirchentages“, und verwarf „Gleichgültigkeit und Verzweiflung, selbst, wenn unsere Erwartungen heute an weltpolitischen Tatsachen scheitern.“479 Folgerichtig nannte Generalsekretär Heinrich Giesen den Leipziger Kirchentag im Nachhinein „Gottes große Trostaktion im Jahr der Berliner Viererkonferenz“480. Das gesamtdeutsche Protestantentreffen auf DDR-Territorium besaß allein schon durch das massenhafte Zusammentreffen von Christen aus beiden deutschen Staaten deutschlandpolitische Implikationen. Darüber hinaus kam es in seinem Rahmen zu einem gesamtdeutschen Politikertreffen. Während bei den offiziellen Veranstaltungen keine Begegnung zwischen Vertretern der Bundesregierung und der DDR-Regierung zustande kam, trafen sich bei einem informellen Mittagessen am 8. Juli Thadden, Lilje, Ehlers, Metzger, Grüber, Kunst und Staatssekretär Walter Strauß vom Bundesjustizministerium mit Nuschke und Dieckmann zu einem unverbindlichen Gespräch481. Bundeskanzler Adenauer zeigte sich darüber verärgert, da er den Kirchentag in Leipzig zwar als politische Demonstration gegen die DDR gut hieß, deutsch-deutsche Begegnungen zwischen Politikern aber ablehnte482. In der kirchlichen und allgemeinen Öffentlichkeit in beiden Teilen Deutschlands vermittelte der Kirchentag in Leipzig den Eindruck eines Brücken474 475 476 477 478 479 480 481 482

Vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 154–159 und S. 395. Zu den beiden Kirchentagen vgl. D. PALM, Brüder, S. 142–189. Vgl. EBD., S. 191. Vgl. EBD., S. 211. HOFFNUNG, S. 197. EBD., S. 204. Zitiert nach: C. WOLF, Jahre, S. 85. Vgl. D. PALM, Brüder, S. 203f. Vgl. EBD., S. 204.

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schlags zwischen Ost und West483. Laut einer Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie unter der bundesdeutschen und West-Berliner Bevölkerung vom Juli 1954 wollten auch mehr als die Hälfte der Protestanten ihre Kirche in einer solchen ausgleichenden Rolle zwischen Ost und West sehen484. Auf welcher ethischen Grundlage ein derartiger Brückendienst erfolgte und welches Nationsverständnis hinter dem kirchlichen Einsatz für eine Wiedervereinigung stand, wurde auf dem 3. Deutschen Evangelischen Studententag thematisiert. Das Anfang August 1954 in Heidelberg mit 1.200 Studenten aus West- und Ostdeutschland veranstaltete Treffen stand unter dem Thema: „Das Reich Gottes und das Reich der Deutschen“. In Bibelarbeiten, Referaten und Diskussionen wurden während vier Tagen nationalprotestantische Traditionen kritisch hinterfragt. Der Göttinger Professor Reinhard Wittram, deutschbaltischer Historiker und Nationalismusforscher485, gab einen Überblick über das „Reich“ als Realität und als politische Idee in der deutschen Geschichte. Am Ende seines Referats äußerte er sich skeptisch über die Zukunft der Reichsidee: der missbrauchte Begriff „Reich“ sei in der Gegenwart international pejorativ besetzt; säkularisierte Sendungsideen müssten abgelehnt werden; die europäische Kultur stelle ein Gemeinschaftswerk aller europäischen Nationen dar, und der Staat sei nicht mehr „vorgegebene Obrigkeit“, sondern „die uns anvertraute Verantwortung“486. Sein Freiburger Kollege Gerhard Ritter sprach über das Thema „Was heißt Bekenntnis zur geschichtlichen Vergangenheit?“487 Der Historiker ging dabei von der geschichtstheologischen Überlegung aus, nach der die militärische Niederlage der Deutschen als göttliche Fügung gewertet und ihre Lage nach 1945 als „Herausforderung Gottes“ zu verstehen war. „Vielleicht führt er uns in schwerere Nöte als irgendein anderes Volk, weil er von uns größere und bessere Lösungen erwartet“488, formulierte Ritter und wies damit den Deutschen abermals eine besondere „Sendung“ zu. Er nannte drei künftige „nationale“ Aufgaben der Deutschen: 1. Autorität und Freiheit in ein richtiges Verhältnis zu setzen; 2. die sozialen Aufgaben in einer „Demokratie der Liebe“ zu lösen sowie 3. Deutschland zum Vorkämpfer einer europäischen Gemeinschaft zu machen489. Der Direktor des Sozialpädagogischen Seminars in Dortmund Erwin Krämer beschäftigte sich in seinem Vortrag mit dem Problem „Welchen Zusammenhang haben Nationalbewusstsein und Antisemitismus?“490 Er reflektierte darin auch über das christliche Volksverständnis und lehnte die Vorstellung vom Volk als Schöpfungsordnung ab; Volk war für ihn Teil der göttlichen Vorse483 Zur Resonanz des Leipziger Kirchentags in der westdeutschen Presse vgl. U. BAYER, Vorhang, S. 193–199. 484 Abdruck des Umfrageergebnisses bei G. SCHMIDTCHEN, Protestanten, S. 244. 485 Vgl. u. a. R. WITTRAM, Nationale. – In der Forschung ist umstritten, inwieweit Wittrams Denken vor 1945 der NS-Ideologie nahe stand. Vgl. H.-E. VOLKMANN, Haller; K. NEITMANN, Wittram. 486 REICH, S. 21–28, bes. S. 27f. 487 EBD., S. 41–50. 488 EBD., S. 50. 489 EBD. 490 EBD., S. 63–70.

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hung und als solcher veränderlich. Volk, so argumentierte Krämer weiter, das seien „nicht grundsätzlich, aber praktisch“ die Nächsten491. Volk bedeute „Aufgabe und nicht Norm in der Erfüllung der Aufgabe.“492 Nationalbewusstsein definierte er als „das gemeinsame Wissen um gemeinsame Aufgaben.“493 Die Forderung nach der Wiedervereinigung Deutschlands war Krämer suspekt, da er dahinter nationalistische Motive vermutete. Er wollte die deutsche Einheit daher zunächst als ein Zusammenkommen der getrennten Familien vollzogen sehen. Das letzte Referat hielt der theologische Chefredakteur des „Sonntagsblattes“ Heinz Zahrnt. Er versuchte, die Frage zu beantworten: „Welchen Einfluß hat der Glaube an Jesus Christus auf die nationale Hoffnung?“494 Zahrnt verwarf jegliche nationalreligiöse Ausdeutung des Christentums. Er sah in den Völkern einen Teil der „göttlichen Ordnung für diese Welt“ und zugleich eine veränderliche geschichtliche Größe495. Der Journalist hielt ein Ende des Nationalstaates in nächster Zukunft für wahrscheinlich und die Suche nach „umfassenderen politischen Ordnungen“ für wünschenswert496. Noch auf keiner anderen protestantischen Großversammlung der Nachkriegszeit waren die Komplexe Volk – Nation – nationale Identität vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit theologisch so ausführlich reflektiert und diskutiert worden. Das Thema war von den westdeutschen Studentengemeinden vorgeschlagen worden. Den Anlass dafür gab die teilweise nationalistische Haltung von Studentenkorporationen in der Bundesrepublik. Die ostdeutschen Mitglieder des Vertrauensrates der ESGiD hatten im Februar die Themenstellung zunächst mit Skepsis aufgenommen497. Nach der Veranstaltung war man sich jedoch über die Bedeutung der Thematik für West- und Ostdeutschland und den Erfolg des in der westdeutschen Presse teils wohlwollend, teils kritisch beachteten Studententages einig498. Mit einem Pressespiegel sowie 16.000 Berichtsheften über den Studententag wurde der Erfolg noch multipliziert und die einzelnen Studentengemeinden zu einer Weiterarbeit an dem Thema angeregt499. Im Vorwort zu dem Berichtsheft beschrieb Generalsekretär Bannach den Studententag als einen Versuch und einen Anfang, Werte zu hinterfragen 491 EBD., S. 68. 492 EBD., S. 69. 493 EBD. 494 EBD., S. 81–91. 495 EBD., S. 90. 496 EBD., S. 91. 497 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 13./14.2.1954 (EZA BERLIN, 36/330). 498 In der Bundesrepublik berichteten sieben überregionale Zeitschriften und Wochenzeitungen, sechs Studentenzeitungen sowie der Süddeutsche Rundfunk über das Heidelberger Treffen. Auch in einigen ostdeutschen Zeitungen und Zeitschriften fand der Studententag Niederschlag. Vgl. Referat von Jochen Margull „Das Presse-Echo auf den 3. Deutschen Evangelischen Studententag Heidelberg 1954“ auf der DK der ESGiD am 5.–7.10.1954 (EZA BERLIN, 36/384). 499 Schreiben vom 7.3.1955 von Bannach an Littell von der Franz-Lieber-Stiftung in Bonn-Bad Godesberg, welche das Berichtsheft finanziert hatte. Laut Bannach hat es keinen einzigen Hochschulort in der Bundesrepublik gegeben, an dem nicht „mehrere Veranstaltungen unter diesem oder unter ähnlichen Themen stattgefunden hätten“ (EZA BERLIN, 36/163).

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und das deutsche Nationalbewusstsein neu zu definieren. Als die in Heidelberg eingeschlagene und weiter zu verfolgende Richtung gab er an: „Es geht zuerst um die Menschen und ihre Beziehungen zueinander. Es geht nicht zuerst um Ideen.“500 Dass bei den Gliedern der Studentengemeinden in der Nachkriegszeit noch kein neues Nationalbewusstsein vorhanden war, sondern nur der Eindruck einer „Entmythologisierung“ des „Vaterlandes“ und einer Desillusionierung, lag nach Bannach daran, dass es noch „kein richtiges Deutschland“ gab. Erst wenn der Weg zur Lösung der deutschen Frage offen sei, werde „sich zeigen, wieviel Nationalgefühl und nationale Begeisterung auch von uns aufgebracht werden kann.“501 Als eine der 350 quotierten Teilnehmer aus der DDR formulierte Elisabeth Adler, seit 1951 Reisesekretärin der ESGiD in der Geschäftsstelle Ost, im Berichtsheft ihre Eindrücke. Dabei erwähnte sie zunächst auch die skeptischen Fragen, die unter ostdeutschen Teilnehmern im Vorfeld bestanden: „Werden wir da mitreden können? Werden wir nicht nur Zuhörer sein? Wie wird die ostdeutsche Stimme laut werden können, da alle Redner aus Westdeutschland sind? Werden wir nicht nur als Störenfriede auftreten, wenn wir das Wort nehmen? Ist es nicht viel zu früh, die Frage nach dem deutschen Reich zu stellen? Ist das auch unsere Problematik oder nicht vielmehr eine typisch westliche? Und die größten Skeptiker meinten: Was kann anderes beabsichtigt sein, als die Akklamation der christlichen Studenten zur westdeutschen Regierungspolitik! Da ein restaurativer Vaterlandsbegriff nicht wünschenswert ist, sollen nun wohl die Christen das Nationalbewusstsein neu aufpumpen.“502

Der Studententag hatte Adler aber dann die Erfahrung vermittelt, dass Ost- und Westdeutsche gemeinsam über Deutschland und deutsche Identität sprechen mussten und der „Verständigung zwischen zwei Erfahrungsbereichen“ nicht ausweichen durften. Am Ende habe Konsens darüber bestanden, dass die tradierte deutsche Nationsidee kein Zukunftsziel beschreiben könne. Gemeinsam habe man sich auch von der Vorstellung von Volk und Nation als Schöpfungsordnungen verabschiedet. In der Diskussion um die deutsche Wiedervereinigung sei deren nationale Notwendigkeit in Heidelberg negiert und eine theologische Begründung für ihre Zwangsläufigkeit nicht gefunden worden. Als Ergebnis des Studententages formulierte Adler dann eine historisch-moralisch fundierte, negative gesamtdeutsche Identität: „Beim Betrachten der gemeinsamen Vergangenheit bis 1945 entdeckten wir neu, daß wir nicht nur ein Volk als Schicksalsgemeinschaft gewesen sind, sondern auch eine Schuldgemeinschaft. Das gemeinsame Schuldkonto ist noch nicht beglichen. Daher gibt es noch gemeinsame Aufgaben, mögen auch seit 1945 zwei neue Traditionen im Entstehen begriffen sein.“503

Als gemeinsame Aufgabe nach außen nannte sie die Aussöhnung nicht nur mit Frankreich und Holland, sondern auch mit Polen und der Sowjetunion. Innerdeutsch gelte 500 501 502 503

REICH, S. 10. Referat Bannachs auf der DK der ESGiD am 5.–7.10.1954 (EZA BERLIN, 36/384). REICH, S. 93. Das Manuskript des Beitrages befindet sich im EZA BERLIN, 36/82. EBD., S. 94.

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es sowohl Kommunismus als auch Antikommunismus als Ideologien zu entlarven und sowohl die Erfahrungen aus der Bundesrepublik als auch die aus der DDR in ein künftiges, gemeinsames Deutschland einzubringen. Ein kritischer Blick auf die westdeutsche Entwicklung und ein gewisses ostdeutsches Eigenbewusstsein war diesen Zielvorgaben ebenso zu entnehmen wie der Wunsch nach einem gemeinsamen, gerade auch von Christen zu findenden, gesellschaftspolitischen „dritten Weg“. Diese Gesamthaltung war, Adlers eigener Einschätzung zufolge, durch erste ökumenische Begegnungen in der DDR im Jahre 1954 geprägt worden. Die Treffen wurden, was Adler nicht erwähnen konnte, vielleicht aber auch nicht wusste, über die Stuttgarter Geschäftsstelle der ESGiD vom BMG mitfinanziert504. Die vermutlich von Adler beschriebene Wirkung dieser Treffen dürfte indes nicht im Interesse des Ministeriums gelegen haben. Die Neugier der französischen und finnischen Gäste habe die ESGVertreter in der DDR – so hieß es in dem Text „Ökumenische Begegnung in der DDR“ – zur Reflexion ihrer eigenen Situation gezwungen. Das Ergebnis dieser ostdeutschen Selbstbesinnung sei hier etwas ausführlicher zitiert: „Wir entdeckten uns auf der Flucht vor den Gegebenheiten in einer Art geistigen Emigration und im Protest gegen unser Deutschtum (ohne eigentlich zu wissen, was Deutschsein heißt). Und dann fand man im Gegenüber zu dem anderen so etwas wie ein eigenes Nationalbewußtsein wieder, das man früher einmal beschämt zuerst, dann selbstverständlich in sich begraben hatte. Die Liebe zum eigenen Land stellte sich zaghaft ein. Gerade weil wieder ins Bewußtsein kam, daß Deutschland vielen anderen Ländern Böses zugefügt hat, sah man die Aufgabe neu, in diesem deutschen Volk in seiner verdienten Erniedrigung und Zerrissenheit zu arbeiten zum Segen und Heil auch der anderen (d. h. ohne Selbstverherrlichung, die zum Nationalismus führt). Hatten wir bisher nicht nur danach gefragt: Wann endlich wieder Vereinigung? Ohne zu sehen, daß das Desinteresse der anderen Völker daran nicht nur durch deren Egoismus, sondern auch durch berechtigte Skepsis bedingt ist. Wir sahen uns als Deutsche ein wenig aus dem Mittelpunkt der Weltgeschichte herausgerückt und verstanden auch, daß eine Wiedervereinigung unsere ureigenste deutsche Bemühung braucht. Je enger man zusammen gehört, desto mehr Gelegenheiten, anderer Meinung zu sein, gibt es offenbar. Wir müssen noch viel mehr mit den Westdeutschen reden, sagten wir uns, als wir schmerzlich entdeckten, daß eine ziemlich mühelose Einigung mit den Franzosen, sozusagen über den Kopf der Westdeutschen hinweg, in vielen politischen Fragen möglich war.“505

Kritische Anfragen an die westdeutschen „Kommilitonen“ stellte in seinem Rückblick auf den Studententag auch der Theologiestudent Konrad Hüttel von Heidenfeld. „Wir neiden Euch kein Glück“, so endete der spätere Leipziger Studentenpfarrer seinen Brief, „setzen aber auch nicht mit allen Karten auf den Westen. Ein geeintes Vaterland ist in unseren Augen auch nicht das höchste aller Güter. Wir haben darin unsere und Eure Grenzen gesehen. Wir wollen vielmehr Sanitäter sein auf dem Schlachtfeld der Ideologien. In allem, was Ihr tut 504 „Abrechnung des Zuschusses des BMG im Gesamtbetrage von DM-W 20.000.- für die Arbeit der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland in der sowjetischen Besatzungszone im Jahr 1954“ (EZA BERLIN, 36/211). 505 „Ökumenische Begegnung in der DDR“ (EZA BERLIN, 36/1115).

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und wir tun, wollen wir das Beste vom Andern denken. Ihr würdet auch als EVG-Soldaten nicht aufhören, unsere Brüder zu sein, aber wir würden fragen, ob das wirklich der letzte Ausweg war. Dann versteht auch, daß wir unsere Heimat nicht würdelos vertreten und unter dem Wert verkaufen. Ihr sollt nicht für uns beten als für Beklagenswerte, sondern als für Kinder des Vaters, denen er nichts vorenthält.“506

Inwiefern diese Stimme als repräsentativ gelten kann, ist fraglich, deutlich wird an dieser Äußerung jedoch, dass die gesamtdeutsche ESGiD sowie die EKD 1954 noch zutiefst in die Wiederbewaffnungsdebatte in ihrer deutsch-deutschen Dimension verstrickt waren. Im Winter 1954/55 brach der Streit um die militärische Westintegration und ihre Auswirkungen auf die deutsche Frage noch einmal aus. Am 30. August hatte die französische Nationalversammlung den EVG-Vertrag abgelehnt und damit den außenpolitischen Schwebezustand der Bundesrepublik verlängert. Eine Londoner NeunMächte-Konferenz und vier weitere Konferenzen im Oktober in Paris führten jedoch bereits am 23. Oktober zur Unterzeichnung der „Pariser Verträge“. Sie bildeten die Grundlage für die Aufhebung des Besatzungsstatuts in der Bundesrepublik, die Erlangung ihrer Souveränität und ihre Einbindung in das nordatlantische Bündnissystem mit einem eigenen Verteidigungsbeitrag. Im Vorfeld der Ratifizierung dieser Verträge in der Bundesrepublik kam es noch einmal zu äußerst heftigen Auseinandersetzungen, an denen sich auch verschiedene Kreise aus der evangelischen Kirche beteiligten507. Unter den Flugblättern, offenen Briefen, Erklärungen und Eingaben befanden sich zwei aus dem Gebiet der östlichen Landeskirchen. Am 8. Dezember richtete der Pfarrkonvent der Stadt Erfurt an den Rat der EKD sowie die zuständige Kirchenleitung die dringende Bitte, ihre deutschlandpolitische Brückenfunktion aktiv wahrzunehmen und zur Frage der militärischen Westintegration der Bundesrepublik nicht zu schweigen508. Vom selben Tag stammte eine Erklärung der ESG der Bergakademie Freiberg in Sachsen an den Rat der EKD und das Landeskirchenamt Dresden509. Die Studentengemeinde sprach sich gegen eine Aufrüstung in West- und Ostdeutschland aus und verlangte von ihrer Kirche ein deutlicheres Bekenntnis zum Frieden. Unter den Erklärungen aus westdeutschen kirchlichen Kreisen ragten zwei Eingaben an die Bundestagsabgeordneten heraus, in denen zahlreiche evangelische Pfarrer, Theologen und höhere Kirchenvertreter diese baten, die Ratifizierung der Pariser Verträge jetzt nicht zu vollziehen510. In der u. a. von Ernst Wilm unterzeichneten ersten Eingabe wurde gewarnt, dass die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik die Spaltung Deutschlands verewige. Die Unterzeichner kennzeichneten die Wiedervereinigung nicht nur als die 506 EZA BERLIN, 36/82. 507 Eine Auswahl der Diskussionsbeiträge aus dem kirchlichen Raum ist dokumentiert in: KJ 81, 1954, S. 75–93. 508 EBD., S. 82ff. 509 EBD., S. 84. 510 EBD., S. 85–88.

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„erste und oberste Aufgabe der deutschen Politik“, sondern auch als eine „unverzichtbare Forderung menschlichen und göttlichen Rechts“511. Die Hoffnung, die Wiedervereinigung „durch einen Bruderkrieg oder durch seine Androhung erzwingen zu können“, wurde als „trügerisch“, „unsinnig“ und „unsittlich“ bezeichnet512. Anstatt die Jugend zu einem neuen Militarismus zu verführen, forderten sie: „1. die sofortige Kooperation zwischen den beiden deutschen Teilstaaten auf allen Gebieten des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens ohne allzu kleinliche Abschätzung und Gegenüberstellung des Maßes der beiderseitig bestrittenen Scheinsouveränität, 2. die sofortige Aufnahme von Verhandlungen der Besatzungsmächte über die Wiedererrichtung eines unabhängigen und durch multilaterale Verträge gesicherten demokratischen deutschen Rechtsstaates“.513

In der Eingabe vom 8. Dezember hieß es, dass für die Wiederbewaffnung und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht die „politischen, rechtlichen und sittlichen Voraussetzungen [. . .] angesichts der gegenwärtigen Lage“ noch nicht so weit geklärt seien, „daß der Staat von Gott her das Recht in Anspruch nehmen dürfte, solche Gesetze zu beschließen.“514 Auf diese Aussage verwies der SPD-Abgeordnete Fritz Erler in der Bundestagsdebatte am 15. Dezember und stieß damit auf scharfen Widerspruch durch CDU/CSU-Abgeordnete515. Laut Hermann Kunst verfestigte sich zu diesem Zeitpunkt unter den Evangelischen in der Koalition „Bitterkeit und Empörung“ über die protestantischen Nationalneutralisten516. Widerspruch kam aber auch von leitenden Kirchenvertretern. Auf der Sitzung des Rates der EKD Mitte November und der eigens einberufenen Westkirchenkonferenz Ende Januar schlugen die Wogen hoch. Lilje sprach von einer „fahrlässigen Inanspruchnahme des Amtes der Kirche“517. Wilm war davon überzeugt, „daß die Kirche fahrlässiger durch Schweigen gehandelt hat als durch Reden.“518 Mitte Januar bot die sowjetische Regierung in einer „Erklärung zur Deutschlandfrage“ dem Deutschen Bundestag an, auf einer Konferenz der vier Siegermächte über die Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage gesamtdeutscher freier Wahlen zu verhandeln, falls er auf eine Ratifizierung der Pariser Abkommen verzichte. Gleichzeitig gab sie zu erkennen, dass sie im Falle einer parlamentarischen Bestätigung der Verträge die Wiedervereinigung Deutschlands auf internationalen Konferenzen nicht mehr thematisieren würde519. Die DDR schloss sich dem Angebot an, Adenauer lehnte es am 22. Januar kategorisch ab. Am 25. Januar erklärte das Präsidium des 511 EBD., S. 86. 512 EBD. 513 EBD., S. 87. 514 EBD., S. 87f. 515 Auszugsweiser Abdruck der Debatte in: EBD., S. 88–92, hier S. 88f. 516 Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates der EKD am 12./13.1.1955 (LKA NÜRNBERG, Meiser 142). 517 Mitschrift Meisers über die Westkirchenkonferenz am 28.1.1955 (LKA NÜRNBERG, Meiser 162). 518 EBD. 519 Vgl. M. LEMKE, Einheit, S. 331.

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Obersten Sowjets der Sowjetunion den Kriegszustand mit Deutschland für beendet. Zugleich zeigte es sich bereit, die Beziehungen zur Bundesrepublik zu normalisieren, und erklärte die Lösung der deutschen Frage zu einer rein deutschen Angelegenheit. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung sammelten sich in der Bundesrepublik die Gegner von Adenauers Deutschland- und Verteidigungspolitik in einem breiten, außerparlamentarischen Aktionsbündnis. Am 29. Januar, d. h. knapp einen Monat vor der Verabschiedung des Pariser Vertragswerkes durch den Bundestag, veranstalteten sie in der Frankfurter Paulskirche eine große Kundgebung. Auf ihr traten prominente Gegner der Pariser Verträge aus den Gewerkschaften, der SPD, der GVP sowie der evangelischen und katholischen Kirche gemeinsam auf. Unter ihnen war auch Helmut Gollwitzer, der in seiner Rede betonte: „Nicht Nationalismus, nicht nationalstaatliches Denken macht uns die deutsche Zweiteilung unerträglich, sondern unmittelbare menschliche Pflicht gegenüber 18 Millionen Deutschen“520 – eine Haltung, die sich, wie schon Martin Fischers Position in Elbingerode, als moralisch begründetes Nationalbewusstsein kennzeichnen lässt. Außenpolitisch sah Gollwitzer in einem wieder vereinten, blockfreien Deutschland die Voraussetzung für eine europäische Einigung und die Befriedigung des Sicherheitsbedürfnisses der Sowjetunion. Am Ende der Kundgebung wurde das „Deutsche Manifest“ verlesen. Darin wurde Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung deutlich die Priorität gegenüber einer militärischen Westbindung eingeräumt. Nach der Paulskirchenkundgebung steigerte sich die innerkirchliche Polarisierung noch einmal deutlich521. Anfang Februar kamen Rat und Kirchenkonferenz überein, dass sich die EKD zu den Grenzen politischer Parteinahme durch die Kirche und ihre Amtsträger in diesem konkreten Fall äußern müsse. Es herrschte Konsens darüber, dass der Haltung zu dem Vertragswerk nicht die Bedeutung des status confessionis beizumessen war. Dazu unterschied man zwischen „Glaubensgewißheit“ und „Gehorsamsgewißheit“522. In der verabschiedeten Entschließung hieß es nach einem allgemeinen Bekenntnis zum Frieden und zum Ziel der Wiedervereinigung: „Durch Stimmen aus der evangelischen Kirche ist auf den Ernst der gegenwärtigen Weltlage nachdrücklich hingewiesen worden. Es ist dadurch der unrichtige Eindruck entstanden, als müsse die evangelische Kirche als solche in Erfüllung ihres eigentlichen Auftrages eine ganz bestimmte Entscheidung zu den Pariser Verträgen vollziehen. Wir sind aber der Überzeugung, daß allein vom Evangelium her zu dieser Entscheidung bindende Weisungen nicht gegeben werden können. Aus diesen Gründen empfehlen wir aufs neue allen Pfarrern größte Zurückhaltung in allen öffentlichen Äußerungen. Es handelt sich hier um Fragen der politischen Einsicht und der politischen Verantwortung, die nach unserer gemeinsamen Überzeugung von dem an Gott gebundenen Gewissen entschieden werden müssen.“523

520 KJ 82, 1955, S. 12. 521 Zu den Reaktionen der evangelischen Presse auf die Paulskirchenbewegung vgl. U. BAYER,Vorhang, S. 211–221. 522 Niederschrift über die Kirchenkonferenz der EKD am 3.2.1955 (EZA BERLIN, 2/1797). 523 KJ 82, 1955, S. 15. Die Entschließung war von der Kirchenkonferenz mit einer Stimmenthaltung

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Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch die Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD. Auf Vorschlag der Öffentlichkeitskammer Berlin-Brandenburgs524 und auf Beschluss des Rates der EKD hin beschäftigte sich die Kammer im Februar mit den Themen Wiedervereinigung, Wiederbewaffnung und Kriegsdienstverweigerung. Das Kammermitglied Gerhard Ritter konnte an der Sitzung nicht teilnehmen und machte daher seinem Ärger über die kirchlichen Westbindungsgegner schriftlich Luft. „Ich finde es in höchstem Grade verhängnisvoll, nicht nur für die deutsche Politik, sondern vor allem für die Stellung der evangelischen Kirche im öffentlichen Leben Deutschlands“, so schrieb er dem zuständigen Referenten in der Kirchenkanzlei, „daß immer neue Eingaben evangelischer Pfarrer an den Bundestag ergehen, verstärkt durch Appelle an die Öffentlichkeit, welche die Botschaft des Wortes Gottes dazu mißbrauchen (anders kann ich es nicht ausdrücken), ihre höchst privaten politischen Meinungen in Fragen der Wiederaufrüstung Deutschlands mit dem nötigen Schwergewicht zu versehen und ihnen ein geistliches Gewicht zu geben, das ihnen in Wahrheit in keiner Weise zukommt.“525

Die Kammersitzung in Berlin diente vor allem der Vorbereitung einer Kundgebung zur Wiedervereinigung Deutschlands, die von der EKD-Synode im März verabschiedet werden sollte. Hierzu hatte der Rat bereits im Januar auch einen eigenen Ausschuss berufen526. Als Ergebnis ihrer Beratungen formulierte die Kammer einen Vorschlag, der das Ziel hatte, die kirchliche Diskussion zur Wiederbewaffnungsfrage zu versachlichen. Dazu sollte auf der Synode ein Ausschuss eingesetzt werden, der sich durch Referenten über das politische Konzept der Regierungskoalition sowie der Opposition, über die Lage und die Meinungsbildung in der DDR sowie die Verlautbarungen aus dem kirchlichen Raum zu politischen Fragen informierte. Diesen Ausschuss bat die Kammer, bei seinen Beratungen folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Die Kirche dürfe nicht den Eindruck vermitteln, als könne sie vom Evangelium her die Verantwortung für die weltpolitische Entwicklung übernehmen; Bibelworte dürften nicht für die politische Argumentation missbraucht werden; es dürfe kein Diktat des „subjektiven Gewissens“ geben; es müsse eine innerkirchliche Streitkultur ausgebildet werden. Als Fragen wurden an den Synodalausschuss formuliert: Was kann von Seiten der Kirche für die „Schicksalsfrage des deutschen Volkes“, die Wiedervereinigung, geschehen? Was ist von der Heiligen Schrift zum evangelischen Verständnis des Volkes zu sagen?527 Noch vor der Synode in Espelkamp ratifizierte der Bundestag gegen die Stimmen der Opposition am 27. Februar die Pariser Verträge. Auch in der Kirche mussten die Wiederbewaffnungsgegner eine Niederlage hinnehmen: die Synode wählte den „Pargebilligt worden und wurde allen Gliedkirchen mit der Bitte zugeleitet, sie sämtlichen Pfarrern bekannt zu geben. Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 3.2.1955 (EZA BERLIN, 2/1797). 524 Tillmanns an Brunotte, 27.1.1955 (EZA BERLIN, 2/1350). 525 Ritter an Niemeier, 11.2.1955 (EBD.). 526 Ihm gehörten an: Brunotte, Noth, Hamel und Putz. Niederschriften über die Sitzungen des Rates der EKD am 12./13.1.1955 und am 2.2.1955 (EZA BERLIN, 2/1797). 527 Niemeier an den Präses der Synode, die Ratsmitglieder sowie die Mitglieder der Kammer und des Synodalausschusses für öffentliche Verantwortung, 26.2.1955 (EZA BERLIN, 2/1350).

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teipolitiker“ Heinemann nicht mehr zu ihrem Präses528. In der Kundgebung der Synode setzte sich, wie schon im Ratswort und in der Empfehlung der Kammer für öffentliche Verantwortung vom Februar, die von der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre her argumentierende Linie durch, dass die EKD nicht eine politische Erkenntnis in der Autorität des Wortes Gottes geltend machen könne529. Entsprechend wurde in der Kundgebung die von der Kammer gestellte Frage, was die Kirche für die Wiedervereinigung tun könne, nicht mit einer deutschlandpolitischen Wegweisung, sondern mit einem Appell zur Wahrung der inneren Einheit der Nation beantwortet. Darin spiegelte sich auch die Erkenntnis, dass mit der Blockintegration der Weg zu einer Wiedervereinigung zumindest verlängert worden war. Dies kam auch in der Schlusspassage der insgesamt seelsorgerlich gehaltenen Kundgebung zum Ausdruck. Dort hieß es: „Will er [Gott, C. L.] in seiner Weisheit unsere sehnlichen Wünsche nicht erfüllen und uns einen Weg führen, der uns nicht gefällt, so bleibt er mit seiner Gnade doch bei uns in seinem Wort und Sakrament.“530 In der Endphase der Blockintegration der beiden deutschen Staaten schwieg die EKD. Die Synode der EKU votierte hingegen am 6. Mai 1955 noch einmal nachdrücklich für die Überwindung der deutschen Teilung. Doch auch innerhalb der Gemeinschaft der ost- und westdeutschen unierten Landeskirchen waren unterschiedliche theologische und politische Positionen zu Hause, wenngleich das Gewicht der Wiederbewaffnungsgegner hier schwerer wog als in der EKD. So trug auch das „Wort zur Wiedervereinigung unseres Volkes“ zwangsläufig den Charakter der Ausgewogenheit531. Erarbeitet wurde es vom Öffentlichkeitsausschuss der Synode unter Vorsitz von Martin Fischer532. Er unterstrich auf der Synodaltagung, dass in dem Wort die Forderung nach Wiedervereinigung ethisch-moralisch begründet wurde. Mit diesem Hinweis begegnete er ausländischen Vorwürfen, wonach die evangelische Kirche in Deutschland anstatt den Friedensbeitrag der Deutschen zu unterstützen – der darin bestehe, sich mit der Koexistenz abzufinden –, eine „mystische deutsche Nationalität“ fördere533. Entsprechend legte das Wort seinen argumentativen Schwerpunkt auf die demoralisierende Wirkung der durch Deutschland verlaufenden Grenze zwischen zwei gegensätzlichen Weltanschauungssystemen und bezeichnete die Wiedervereinigung als eine „sittliche Notwendigkeit“. Dabei berief man sich auch auf die Charta der

528 Einen Monat später erfolgte auf der VELKD-Synode ein massiver Angriff auf den zweiten prominenten Wortführer der kirchlichen Opposition gegen Adenauers Bündnispolitik, Martin Niemöller. Konsequent arbeitete die VELKD auf die Ablösung Niemöllers als Außenamtspräsident hin und erreichte dies 1956. Vgl. T. FRIEBEL, Kirche, S. 437f. 529 Abdruck der Kundgebung in: KJ 82, 1955, S. 47f. 530 EBD., S. 48. 531 Vgl. T. FRIEBEL, Kirche, S. 455f. 532 Der „Ausschuss für öffentliche Verantwortung“ der Synode wurde auf der Tagung im Mai 1955 in einen dauerhaften Ausschuss der EKU umgewandelt. Vgl. VERHANDLUNGEN Synode EKU 1955, S. 349ff. Das Wort ist EBD. auf S. 345ff. sowie im KJ 82, 1955, S. 185f. abgedruckt. 533 Fischer verwies dabei auf eine Artikelreihe des Schweizer Journalisten Dürrenmatt in der Zeitschrift „Reformatio“. Vgl. VERHANDLUNGEN Synode EKU 1955, S. 311.

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Vereinten Nationen über die Menschenrechte. An die Regierungen der zwei deutschen Staaten gewandt, forderte die Synode von beiden den Schutz für Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen. Auf die DDR bezogen, verlangte sie die Gewährung der materiellen Hilfeleistungen von West nach Ost, Meinungsfreiheit, konfessionelle Schulen sowie eine Amnestie für politische Gefangene. Diese Forderungen führten dazu, dass in der DDR-Presse das Wort als „Hetze“ angegriffen und die kirchliche Presse, die es abdrucken wollte, verboten wurde534. Der Bundesrepublik, die drei Tage später in die NATO aufgenommen werden sollte, galt die Mahnung: „Wenn es ernst gemeint ist mit der Wiedervereinigung, so ist keine deutsche Regierung berechtigt, Maßnahmen zu treffen, ohne die Rückwirkung auf den anderen Volksteil verantwortlich zu bedenken.“535 Negative Rückwirkungen der politischen Entwicklung wurden auch für die Kirchen in der DDR befürchtet. Auf der Synode warnte Heinrich Grüber die DDR-Regierung davor, die evangelische Kirche, „diese Klammer, die noch in Deutschland besteht, auch in die Zerreißprobe hineinzunehmen“536. Um das kirchliche Einheitsbewusstsein zu stärken, rief das Synodalwort die westlichen Gemeinden dazu auf, in der Kontaktpflege und den Hilfsmaßnahmen gegenüber den ostdeutschen „Brüdern“ nicht nachzulassen.

1.3.4 Kirchliche Ost-West-Gemeinschaft Auch die Kundgebung der EKD-Synode in Espelkamp im März 1955 hatte bereits den deutlichen Appell enthalten: „Beweist mit euren Opfern, daß ihr einer den anderen nicht im Stich lasst und abschreibt. Betet füreinander, sucht die Begegnung und die Gemeinschaft miteinander, wo ihr nur könnt.“537 Opfer, Gebete, Begegnung – mit diesen drei Instrumenten sollte das kirchliche Beziehungsnetz im geteilten Deutschland aufrecht erhalten werden. Unter dem Begriff „Opfer“ war vor allem die materielle Hilfe zu verstehen. Im Gegensatz zu den beiden anderen Formen der Einheitssicherung handelte es sich dabei um einseitige westliche Solidarleistung. Denn die wirtschaftliche und finanzielle Lage der ostdeutschen Landeskirchen war bereits seit Kriegsende schlechter als die der westlichen538. Folglich setzte die Hilfe der westdeutschen Kirchen schon Ende 1945 mit dem Transfer von Geld- und Sachspenden ein539. Zunächst wurden vor allem 534 Vgl. F. WINTER, Weg, S. 707. 535 KJ 82, 1955, S. 186. 536 VERHANDLUNGEN Synode EKU 1955, S. 41f. 537 KJ 82, 1955, S. 47. 538 Vgl. die von der Kirchenkanzlei – Berliner Stelle erstellte „Übersicht über die finanziellen Nöte der östlichen Gliedkirchen“ (EZA BERLIN, 2/1852). 539 Für die materielle West-Ost-Hilfe kirchlicher Provenienz trifft die Aussage des früheren Präsidenten der Kirchenkanzlei der EKD, Walter Hammer, zu, dass die Geschichte dieser Hilfe „niemals vollständig geschrieben werden“ könne, „da sie ein für niemand überschaubares Geflecht auf den verschiedensten Ebenen darstellt, gespeist aus den unterschiedlichsten Quellen. Das mag bedauerlich sein.

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Spenden aus dem westlichen Ausland in die SBZ/DDR weitergeleitet540. Mit der fortschreitenden wirtschaftlichen Erholung wuchs der Anteil der westdeutschen Leistungen und dominierte schließlich. Über das Evangelische Hilfswerk flossen zwischen September 1945 und Ende 1960 Geld- und Sachspenden von mehr als 520 Millionen RM/DM aus dem Aus- und Inland in die SBZ/DDR541. Die Formen des Geldtransfers waren ungeregelt und bewegten sich in einer Grauzone zwischen Legalität und Illegalität. Geldzuwendungen wurden nach der Währungsreform von 1948 auf dem Weg über West-Berliner Wechselstuben zu einem aktuellen Kurs in die DDR gebracht. Aus der Sicht der DDR war dieses Einführen von Ostmark illegal542. Die materielle und finanzielle Hilfe von West nach Ost war zunächst als eine vorübergehende gedacht, verstetigten sich dann jedoch. Für ihre Beschaffung und Verteilung entwickelten die Kirchen im Laufe der Zeit verschiedene Methoden: So richtete im August 1949 die Konferenz der Hauptgeschäftsführer der Hilfswerke der Landeskirchen für eine regelmäßige innerdeutsche Unterstützung auf dem Paketwege Patenschaften zwischen den einzelnen Hauptbüros in West- und Ostdeutschland ein543. Bei der Zuordnung wurde die Größe und Konfessionsbindung der jeweiligen Landeskirchen berücksichtigt544. Das Stuttgarter Zentralbüro wies im September die Hauptbüros an, Gebergemeinden im Westen sowie Empfangsstellen für die Pakethilfe im Osten zu erfassen und weiterzuleiten. Eine deutliche Veränderung erlebte die Patenschaftshilfe zwischen den Landeskirchen durch die „Verordnung über den Geschenkpaket- und -päckchenverkehr auf dem Postwege mit Westdeutschland, Westberlin und dem Ausland“ vom 5. August 1954545. Fortan galten nur noch solche Pakete als Geschenksendungen, die von einem privaten Absender an einen privaten Empfänger gingen. Dadurch sollte insbesondere auch die kirchliche Hilfstätigkeit eingedämmt werden546. Die Verordnung führte dazu, dass zukünftig ein Sammelversand von Hauptbüro zu Hauptbüro, von Einrichtung zu Einrichtung sowie von Pfarrhaus zu Pfarrhaus nicht mehr möglich war. Die gesamte Pakethilfe wurde somit von der Bereitschaft Einzelner abhängig, Geschenksendungen an Privatpersonen in den Paten-

Für die Praxis lag aber gerade darin ihre Stärke, denn das machte sie – insgesamt betrachtet – weniger störanfällig durch Außenwirkungen.“ W. HAMMER, Gemeinschaft, S. 221. Einigen Aufschluss über diese Geschichte werden jedoch die Handakten von Ludwig Geißel geben, die hoffentlich in naher Zukunft zugänglich sein werden. 540 Vgl. A. VOLZE, Transferleistungen, S. 59. 541 Vgl. EBD., S. 60. 542 Vgl. H.-G. BINDER, Bedeutung, S. 562. 543 Vgl. L. GEISSEL, Unterhändler, S. 115 sowie K. KLAS, Kirchenpartnerschaften, S. 33–36. 544 Zugeordnet wurden: Anhalt – Pfalz; Berlin – Westfalen, Brandenburg – Rheinland; Mecklenburg – Bayern; Pommern – Baden; Landeskirche Sachsen – Braunschweig, Hannover, Schaumburg-Lippe; Kirchenprovinz Sachsen – Hessen-Nassau, Kurhessen-Waldeck; Schlesien – Oldenburg; Thüringen – Württemberg; Reformierte Gemeinden des Ostens – Reformierte Gemeinden des Westens. Vgl. Übersicht EBD., S. 35. 545 Zu den ostdeutschen Bestimmungen für den Paketverkehr vgl. C. HÄRTEL, Bestimmungen. 546 Vgl. auch zum Folgenden: K. KLAS, Kirchenpartnerschaften, S. 36.

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kirchen zu verschicken. Die Organisations- und Koordinationsarbeit lag allerdings weiterhin bei den Hauptbüros547. Obgleich der Paketverkehr im Laufe der Jahre insbesondere von östlicher Seite unterschiedlichen Einschränkungen unterlag, wurde er im kirchlichen, aber auch im gesamtgesellschaftlichen Bereich zu einem zentralen Verbindungsglied zwischen den Deutschen in beiden Teilstaaten548. In staatlichen Werbekampagnen wurden die Bundesbürger zu diesem sozialen und politischen Dienst an der deutschen Einheit aufgefordert549. Denn das „Päckchen nach drüben“ war eben nicht nur materielle Hilfeleistung, sondern auch politisch-symbolische Handlung. Von 1954 an beteiligten sich alle Wohlfahrtsverbände an hunderten örtlichen Paket-Packkreisen, die mit finanzieller Unterstützung des BMG so genannte „Fremdpakete“ packten und damit zehntausende Familien in der DDR mit Waren versorgten. Im Unterschied zu den allgemeinen Paketaktionen und ihren humanitären und politischen Motiven, stand die patengemeindliche Pakethilfe jedoch primär in einem geistlich-diakonischen Begründungszusammenhang. Ebenfalls im Herbst 1949 startete die Kirche eine weitere Hilfsmaßnahme. Da sich die wirtschaftliche Lage der Kirchen in der DDR so ungünstig entwickelt hatte, dass die Fortführung der kirchlichen Arbeit gefährdet schien550, beschloss der Rat der EKD auf seiner September-Sitzung, die westdeutschen Gliedkirchen zunächst um ein „Sonderopfer“ in Höhe von bis zu 500.000 DM für die Innere Mission in der DDR zu bitten551. Mitte Oktober schlugen dann die Finanzreferenten der Landeskirchen auf ihrer gemeinsamen Sitzung in Berlin vor, einen einheitlichen „Notplan für den Osten“ aufzustellen, der alle Zweige „des allgemeinen kirchlichen Dienstes, des Unterrichts und der Liebestätigkeit“ umfasste552. Anhand dieses Planes sollten die finanziellen Bedürfnisse der ostdeutschen Landeskirchen richtig beurteilt und die Notmaßnahmen des Westens zweckmäßig gestaltet werden. Die Kirchenkanzlei – Berliner Stelle fragte daher bei den leitenden Verwaltungsstellen der östlichen Gliedkirchen nach der Höhe ihrer Fehlbeträge an. Daraufhin gingen bei ihr Anträge über mehr als 1 Million DM und 3 Millionen Ost-Mark ein553. Sie bezogen sich vornehmlich auf die Finanzierung folgender Aufgaben und Bereiche: Christenlehre, Ausbildung der Pfarrerkinder, Förderung des theologischen Nachwuchses, Erhaltung des kirchlichen Grundbesitzes, dringende Bauvorhaben. Der Rat der EKD bat daraufhin die Kirchenleitungen der westlichen Gliedkirchen, zusätzlich zum Sonderopfer für die Innere Mission in der DDR einen Betrag von mindestens 1,2 Mil547 Vgl. EBD., S. 56. 548 Zur deutsch-deutschen Paketkommunikation vgl. den Sammelband C. HÄRTEL, Westpaket. 549 Vgl. B. LINDNER, Päckchen, S. 32. 550 Kirchenkanzlei – Berliner Stelle an die Kirchenleitungen der westlichen Gliedkirchen, 25.1.1950 (EBD.). 551 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 6./7.9.1949 (EZA BERLIN, 2/1791). 552 Kirchenkanzlei – Berliner Stelle an die leitenden Verwaltungsstellen der östlichen Gliedkirchen, 21.10.1949 (EZA BERLIN, 2/1852). 553 EBD. und Kirchenkanzlei – Berliner Stelle an die Kirchenleitungen der westlichen Gliedkirchen, 25.1.1950 (EBD.).

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lionen DM als Osthilfe im Laufe des Jahres 1950 aufzubringen554. Zur Durchführung der Osthilfemaßnahmen setzte der Rat bei der Berliner Stelle der Kirchenkanzlei einen „Sonderausschuss“ ein, dem Vertreter der westlichen und östlichen Gliedkirchen sowie des Hilfswerks und der Inneren Mission angehörten555. Der Ausschuss beriet alle beteiligten Stellen hinsichtlich geeigneter Maßnahmen zur Behebung der Notstände und zur Aufbringung der erforderlichen Mittel. Vor allem hatte er gemeinsam mit der Kirchenkanzlei dafür zu sorgen, dass die verschiedenen Hilfsaktionen der Gliedkirchen, des Hilfswerks und der Inneren Mission so koordiniert wurden, dass es nicht zu Doppelbewilligungen auf der Geber- und auf der Nehmerseite kam. Die westlichen Kirchenleitungen waren gebeten, die Berliner Stelle der Kirchenkanzlei darüber zu unterrichten, in welcher Weise sie an der Osthilfe teilzunehmen gedachten. Zudem sollten sie der Berliner Stelle die zur Verfügung gestellten Geldmittel überweisen oder, falls diese ausnahmsweise einer östlichen Gliedkirche unmittelbar zuflossen, sie über Empfänger, Höhe und Zweckbestimmung der Zuwendung unterrichten. Die zuständigen Abteilungen des Hilfswerks und der Inneren Mission hatten die Kirchenkanzlei – Berliner Stelle über die Bewilligungen, die sie aus den ihnen zustehenden Mitteln aussprachen, zu informieren. Die Kirchenkanzlei wiederum wurde angewiesen, Beihilfen und Darlehen aus den ihr als Osthilfe zufließenden Mitteln nur im Einvernehmen mit dem Sonderausschuss oder im Rahmen eines von diesem aufgestellten Planes zu bewilligen. In der Öffentlichkeit durfte über die Hilfsaktionen für die östlichen Gliedkirchen nicht gesprochen werden. Bis zur Mitte der fünfziger Jahre verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage der ostdeutschen Kirchen weiter. In der Phase der „Liquidierungspolitik“ gegen die Kirchen kürzte der Staat am 18. November 1952 die Staatsleistungen an die Kirchen zentral um 30 % auf 11,5 Millionen. Am 1. Januar 1953 übertrug er die Einziehung der Kirchensteuern auf die Kirche, die dafür aber nicht über die nötige Infrastruktur verfügte. Seit Anfang 1953 wurden die Staatsleistungen gar nicht mehr gezahlt. Der „Neue Kurs“ führte dann zwar ab Juni zu einer Wiederaufnahme der Zahlungen, die Kürzung blieb jedoch auch im folgenden Jahr bestehen. Am 15. März 1953 wurden zudem die kirchlichen Haus- und Straßensammlungen beschränkt. Vom 29. März 1955 an war den Kirchen schließlich auch die Einsichtnahme in die staatlichen Steuerlisten und die Befragung der Bevölkerung nicht mehr möglich556. Hinzu kam stets die angespannte wirtschaftliche Lage in der DDR. Folglich mussten auch die Leistungen der westlichen Gliedkirchen für den vom Sonderausschuss der EKD aufgestellten zentralen „Kirchlichen Hilfsplan“ während dieser Zeit stetig erhöht werden557. 554 Vgl. EBD. sowie die Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 17./18.1.1950 (EZA BERLIN, 2/1792) und den auf dieser Sitzung beschlossenen „Entwurf einer Entschließung des Rates betr. die Osthilfe“ (EBD.). 555 Vgl. EBD. Der Sonderausschuss stand unter der Leitung des westfälischen Superintendenten Fritz Heuner und tagte erstmals am 9.2.1950. 556 Vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 268ff. 557 1954 brachten die westdeutschen Gliedkirchen 3.595.000 DM auf, 1956 waren es bereits 4 Millionen DM.

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Bereits von Juni 1953 an lief eine Hilfsaktion mit dem Titel „Stadt des kirchlichen Wiederaufbaus“558. Sie war ursprünglich für die Wiederherstellung kriegszerstörter Kirchen und Gemeindehäuser in Ost- und Westdeutschland vorgesehen, beschränkte sich dann aber auf das Gebiet der DDR. Im zweijährigen Turnus benannte der Hilfswerkausschuss der EKD jeweils eine Stadt, für deren kirchlichen Wiederaufbau eine Spendenaktion durchgeführt wurde. 1955 trat ein neues Instrument der finanziellen Hilfe für die ostdeutschen Kirchen hinzu: der so genannte Bruderdienst für die kirchlichen Bediensteten, die unter der schlechten Versorgungssituation in der DDR im Allgemeinen und der schwierigen Finanzlage der Kirchen im Besonderen litten. Angeregt durch die Synode der EKD im März 1954 und von der Kirchlichen Westkonferenz am 11. November beschlossen, entwickelte der Finanzbeirat der EKD zusammen mit dem Vorsitzenden des Verbandes der Evangelischen Pfarrvereine in Deutschland und Vertretern des Hilfswerks der EKD ein Konzept für eine Hilfsaktion zugunsten der Pfarrer und kirchlichen Mitarbeiter in der DDR. Die Kirchenkanzlei machte sich dieses zu Eigen und rief mit Schreiben vom 15. Dezember zur „amtsbrüderlichen Hilfe“ auf559. Von da an sammelte jede westdeutsche Landeskirche für ihr Hilfswerkpatengebiet. Auf freiwilliger Grundlage gab jeder hauptamtliche kirchliche Mitarbeiter (einschließlich der Mitarbeiter der Inneren Mission und des Hilfswerks) sowie alle Ruheständler und versorgungsberechtigte Hinterbliebene monatlich einen bestimmten Prozentsatz seines Gehaltes bzw. seiner Pension/Rente für die ostdeutschen Kollegen. Die Gelder560 gingen an die Berliner Stelle des Zentralbüros des Hilfswerks, wo ein „Ausschuss für amtsbrüderliche Hilfe“ – später „Ausschuss für den kirchlichen Bruderdienst der EKD“ genannt – für deren Weiterleitung, den erforderlichen Ausgleich zwischen den einzelnen Patengebieten durch einen Ausgleichsfond sowie für eine von allen westdeutschen Landeskirchen getragene amtsbrüderliche Hilfe zugunsten der Evangelischen Kirche in Österreich sorgte. Über die Verteilung der Gelder innerhalb der Patengebiete befand die dortige Kirchenleitung. Ziel war es, die Hilfe „besonders notleidende[n] Pfarrer[n] und Kirchenbeamte[n]“ sowie „besonders niedrig besoldete[n] kirchliche[n] Amtsträger[n]“ zukommen zu lassen561. Zur Finanzierung ihrer Hilfsmaßnahmen für die ostdeutschen Gliedkirchen erhielt die EKD auch staatliche Gelder. Dies erfolgte vornehmlich über das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, das während der fünfziger Jahre auch „Ministerium Kaiser“ genannt wurde, nach seinem Initiator und ersten Minister Jakob Kaiser562. Nach seiner Vorstellung sollte das Ministerium „zur Vorbereitung der deutschen Einheit“ dienen.

558 Vgl. zum Folgenden: K. KLAS, Kirchenpartnerschaften, S. 39f. 559 Brunotte an die Leitungen der westdeutschen Landeskirchen (EZA BERLIN, 87/96/70,2). 560 Zwischen 1955 und 1960 gingen 12.122.782 DM ein. Vgl. Hildebrandt an Wilm, 3.2.1961 (EZA BERLIN, 609/96/55). Insgesamt flossen über den Bruderdienst zwischen 1955 und 1992 243 Millionen DM in die DDR. Vgl. H.-G. BINDER, Transfers, S. 571. 561 Schreiben Brunottes vom 15.12.1954 (EZA BERLIN, 87/96/70,2). 562 Zur Geschichte des Ministeriums vgl. G. RÜSS, Anatomie; A. ADAM, Bundesministerium.

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Doch gingen nur wenige Impulse von ihm aus, was einerseits an der Haltung Adenauers lag, andererseits an dem Aufgabenschwerpunkt der Subventionsverteilung. Aufschluss über die Motivlage der staatlichen Förderung kirchlicher Hilfsmaßnahmen gibt ein Briefwechsel aus den Jahren 1952 bis 1954. In einem Schreiben vom 27. November 1952 schilderte Bundespräsident Heuss dem Bundesfinanzminister Fritz Schäffer die schwierige Finanzlage der ostdeutschen Kirchen und fragte an, ob „aus einigen der Fonds, die wohl im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen oder im Bundesministerium des Innern vorhanden sind, im Einverständnis mit dem Bundesministerium für Finanzen eine Ordnung getroffen werden könnte, die taktvoll, aber frühzeitig einer fundamentalen Gefährdung der Existenz der kirchlichen Organisationen in der Sowjetzone entgegenwirkt.“563

Heuss, der in der politischen Kultur der fünfziger Jahre die Traditionen eines kirchendistanzierten Kultur- und Bildungsprotestantismus repräsentierte564, motivierte dieses Hilfegesuch mit der kulturnationalen Funktion der Kirchen in der DDR. „Nun ist vor allem deutlich genug“, schrieb er an Schäffer, „dass die beiden Kirchen einfach durch ihr Vorhandensein heute [. . .] in eine höchst eigentümliche volkspolitische (nicht staatliche!) Funktion und Verantwortung eingerückt sind. Die Erhaltung der seelischen und geistigen Substanz steht weithin schier ausschliesslich in ihrer Verantwortung. Sie haben gewiss keine Politik zu betreiben, aber sie sind ein Faktor des politischen Schicksals geworden.“

Infolge dieses Briefes schrieb der Staatssekretär im BMG Franz Thedieck am 22. Dezember an das Bundespräsidialamt und teilte mit, dass das Ministerium bereits kirchlichen Stellen in Berlin weitgehende Förderung sowie auch kirchlichen Einrichtungen in der DDR direkt Hilfe zuteil werden lasse. Thedieck gab Heuss’ Definition von der Rolle der Kirchen in der DDR noch einen deutlicheren antikommunistischen Zug: „Es kann kein Zweifel daran bestehen“, so der Staatssekretär, „daß die christlichen Kirchen zu den wesentlichsten Kräften gehören, die den Menschen in der sowjetischen Besatzungszone seelischen Zuspruch in ihrer Auseinandersetzung mit den kommunistischen Einflüssen aller Erscheinungsformen geben und ihnen wenigstens einen engen Raum geistiger Freiheit zu sichern vermögen.“565

Einen weiteren finanziellen Spielraum zur Aufstockung der Fördermittel zugunsten der ostdeutschen Kirchen sah der Staatssekretär zunächst nicht. Da es im Laufe des Jahres 1954 aber zu einer Verbesserung der Haushaltslage kam, flossen den beiden Kirchen doch noch weitere Mittel zu566. Für den Zeitraum zwischen dem 1. April 1953 und dem 563 Durchschläge des Schreibens gingen an den Bundeskanzler, das Bundesinnenministerium und den Minister für gesamtdeutsche Fragen (BArch KOBLENZ, B 136/6633). 564 Vgl. F. W. GRAF, Protestantismus, S. 105. 565 BArch KOBLENZ, B 136/6633. 566 Thedieck an den Staatssekretär im Bundespräsidialamt Klaiber, 11.2.1954 (BArch KOBLENZ, B 136/6633).

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31. März 1954 hatten die evangelischen Kirchen und Verbände bereits 1.677.547, 45 DM an Zuschüssen erhalten567. 1955 bekam die evangelische Kirche für „Sonderaufgaben“ vom BMG 4 Millionen DM, 1956 waren es bereits 6,4 Millionen DM568. In den Folgejahren stieg die Summe deutlich an. Den Antrag für diese Zuwendungen stellte der Bevollmächtigte des Rates der EKD am Sitz der Bundesregierung Hermann Kunst. Neben den „Opfern“ hatte die Kundgebung der Synode von 1955 auch die „Begegnung“ als Möglichkeit genannt, um die kirchliche und kulturnationale Einheit zu erhalten. Eine Aufgabe der Kirche sei es, so formulierte es der Vorsitzende des Synodalausschusses für öffentliche Verantwortung, der Tübinger Rechtswissenschaftler Ludwig Raiser, „sich um der Menschen willen mit allen Kräften für die Erhaltung einer lebendigen Verbindung zwischen der Bevölkerung im Westen und im Osten Deutschlands einzusetzen und der immer wieder drohenden Verwandlung des gegenwärtigen Schwebezustandes in eine endgültige Spaltung und Abspaltung entgegenzuwirken.“569

Die direkte Kontaktaufnahme im geteilten Deutschland war jedoch nicht so einfach. Der Fernmeldeverkehr wurde im Zuge der östlichen Sperrmaßnahmen im Mai 1952 rigoros eingeschränkt. Auch der Personenverkehr wurde erschwert; eine drastische Reduzierung erfuhr er jedoch erst 1957570. Neben den privaten, verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Verbindungen, die während der fünfziger Jahre noch weitgehend konstant aufrechterhalten wurden571, gab es auch offiziellere Formen der Kontaktaufnahme. Die von der DDR geforderten Gespräche auf oberster Ebene lehnte die Bundesregierung jedoch ab. Die kommunalen, regionalen und dann auch überregionalen Verwaltungsorgane setzten aber ihre Tätigkeit über die innerdeutsche Grenze hinweg fort, wenn auch eingeschränkt. Der Rechts- und Amtshilfeverkehr zwischen Verwaltungen wurde zunächst beibehalten. Hinzu kam, als ein wichtiges Bindeglied, der Interzonenhandel bzw. innerdeutsche Handel572. Verbindungen existierten auch noch im Bereich von Wissenschaft, Kultur und Sport. Sie profitierten von der SEDPolitik „Deutsche an einen Tisch“, mit der die Bündnispolitik der Regierung Adenauer gebremst werden sollte. Trotz dieser weiterhin vorhandenen deutsch-deutschen Kontakte in den verschiedenen Bereichen, waren es die Kirchen, die noch über die umfangreichsten innerdeut567 Aufstellung im EZA BERLIN, 87/96/438. 568 Schreiben des Referats I 6 – 4104 des BMG vom 12.11.1964 (BArch KOBLENZ, B 137/16262). Hinzu kamen Zuwendungen an evangelische Verbände. Einen Überblick über alle, vom BMG aus verschiedenen Haushaltstiteln an die EKD, die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg, kirchliche Stellen, evangelische Verbände sowie protestantische Einzelpersonen geflossenen Mittel ist anhand der im BArch KOBLENZ vorhandenen Akten des BMG nicht möglich, zumal die Akten der Berliner Abteilung des BMG, die sich noch in Berlin befinden, momentan nicht einsehbar sind. 569 ESPELKAMP, S. 346f. 570 Zwischen 1953 und 1956 konnten noch 8,7 Millionen DDR-Bürger in die Bundesrepublik reisen. Vgl. K. PLÜCK, Verbindungen, S. 294. 571 Vgl. W. WEIDENFELD, Frage, S. 2955. 572 Vgl. hierzu F. V. HEYL, Handel.

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schen Beziehungen verfügten. Die Kontakte fußten dabei sowohl auf Verbindungen formeller als auch informeller Art. Im Rahmen von EKD, VELKD, EKU, Evangelischer Kirche Berlin-Brandenburg, Evangelischem Hilfswerk sowie anderer kirchlicher Werke und Einrichtungen kam es zu innerdeutschen Begegnungen in Arbeitszusammenhängen, sofern sie nicht durch das SED-Regime be- oder verhindert wurden. Im Bereich der ESGiD waren es der Vertrauensrat, das Geschäftsstellenkonzil und die Studentenpfarrerkonferenz, in denen in gesamtdeutscher Besetzung getagt, beraten und beschlossen wurde573. Bei den gesamtdeutschen Konferenzen erreichte man jedoch nur noch selten einen dem Verhältnis von Ost- zu Westgemeinden entsprechenden Besuch. Eine der Ausnahmen bildete die gesamtdeutsche Studentenpfarrerkonferenz in Herrenalb im April 1955. An ihr konnten im Zuge der „Deutsche an einen Tisch“-Politik der SED bis auf zwei sämtliche Studentenpfarrer der DDR teilnehmen. Bei dieser institutionellen Zusammenarbeit vergegenwärtigte man sich aber nicht nur die Gemeinsamkeiten, sondern auch die Unterschiede. Auf der Studentenpfarrerkonferenz in Herrenalb wurde beispielsweise deutlich, „daß von beiden Seiten erhebliche Anstrengungen nötig waren, über das ungestörte menschliche Miteinander hinaus zu echter Verständigung auch in den geistigen, vor allem aber den soziologischen und politischen Gegenwartsfragen zu kommen.“574

Nichtsdestotrotz war die ESGiD neben der Katholischen Studentengemeinde die einzige Studentenvereinigung, die im Hochschulraum Ost- mit Westdeutschland organisatorisch verklammerte575. Dies war ein Grund, warum das BMG die gesamtdeutschen Sitzungen und Konferenzen sowie die Arbeit der Geschäftsstelle Ost in West-Berlin von 1951 an bezuschusste und damit die finanziellen Einbußen der ESGiD durch die Rückläufigkeit der ökumenischen Spenden zumindest teilweise ausglich576. Institutionelle Verbindungen existierten auch im Bereich der Jugendarbeit etwa durch die Kontakte zwischen Jugendkammer und Jugendkammer Ost, durch den Gesamtkirchlichen Ausschuss der AGEJD, durch gemeinsame Landesjugendpfarrerkonferenzen sowie Jugendleiterrüsten der Werke577. 573 Im Januar 1952 beschloss die Studentenpfarrerkonferenz allerdings, zukünftig jährlich einmal gemeinsam und einmal nach Ost und West getrennt zu tagen. Vgl. A. NOACK, Studentengemeinden, S. 174. 574 Bericht über die Arbeit der ESG der „SBZ“ im Jahre 1955 an das BMG (EZA BERLIN, 36/211). 575 Bannach an Oberregierungsrat von Zahn (BMG), 29.3.1951 (EZA BERLIN, 87/96/70,1). 576 Am 3.4.1951 hatte die ESGiD für ihre Geschäftsstelle Ost einen ersten Zuschuss von 20.000,– DM erhalten. Vgl. Bannach an BMG, 5.10.1951 (EZA BERLIN, 87/96/70,1). Beihilfen für die Geschäftsstelle Ost kamen bis 1954 auch von den Gliedkirchen in der DDR, ab 1955 aus Mitteln der EKD. Vgl. Schatzmeister Füssel an Kirchenkanzlei – Berliner Stelle, 19.6.1956 (EBD., 36/162). Das Verhältnis von kirchlichen und staatlichen Zuschüssen für die Geschäftsstelle betrug ungefähr 50:50. Für ihre gesamtdeutschen Veranstaltungen erhielt die ESGiD zudem Gelder von der Franz-Lieber-Stiftung in Bad Godesberg. 1956 belief sich dieser Betrag auf 41.785,89 DM. Vgl. Zusammenstellung der Anträge und Abrechnungen von gesamtdeutschen Veranstaltungen der ESGiD vom 1.1.–20.12.56 für das FranzLieber-Haus, Bad Godesberg (EBD., 36/162). 577 Vgl. den Bericht über Evangelische Jugendarbeit in Deutschland von M. Müller im KJ 85, 1958,

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Neben diesen Treffen von kirchlichen Funktionsträgern in dienstlichen Zusammenhängen gab es im Protestantismus gesamtdeutsche Laientreffen wie den Deutschen Evangelischen Kirchentag einschließlich des Jugendtages und des Studententages. Seit Mitte der fünfziger Jahre kamen die Berliner Bibelwochen hinzu578. Auf Initiative von Präses Wilm organisierte die Kirchenkanzlei der EKU seit 1954 mehrmals jährlich diese gesamtkirchlichen Begegnungstagungen. Dabei trafen sich etwa 40 kirchliche Mitarbeiter und Gemeindeglieder aus der DDR und der Bundesrepublik, die von den östlichen und westlichen Gliedkirchen der EKU ausgewählt wurden, sowie einige ausländische Teilnehmer. Sie verbrachten gemeinsam zehn Tage mit Bibelstudium, Vorträgen und Gesprächen zu einem bestimmten Thema sowie mit Besichtigungen und Teilnahme an kirchlichen und kulturellen Veranstaltungen. Zwischen 1954 und 1959 trafen sich auf diesem Weg während 90 Bibelwochen ungefähr 3.500 Menschen und knüpften persönliche Kontakte. Die Berliner Evangelische Akademie mit ihren Stellen in Ost- und West-Berlin führte bis zum Mauerbau nahezu 100 Ost-West-Freizeiten mit Berufs- und Interessengruppen aus beiden Teilen Deutschlands durch579. Die Teilnehmer konnten sich dabei über die gegensätzliche Entwicklung in beiden Staaten informieren und weitgehend offen miteinander diskutieren. Zu den Beiträgen zur „stillen Wiedervereinigung“580 gehörten auch die persönlichen Begegnungen im Rahmen der Kirchenpatenschaften581. Ursprünglich war die Zuordnung sozial motiviert gewesen und hatte damit asymmetrische Verbindungen geschaffen. Die Besuchsreisen in Ost-West- und West-Ost-Richtung trugen jedoch dazu bei, persönliche, nicht nur auf materielle Hilfeleistungen aufbauende Beziehungen zu schaffen. Trotz ihres eigentlich unpolitischen Charakters hatten die Treffen eine politische Dimension. Denn jede Verklammerung im geteilten Deutschland brach die politische Regel der Teilung. Sehr intensive Patenkontakte wurden in der Studenten- und Jugendarbeit gepflegt. Im Jahr 1951 unterhielten von den 62 west- und 23 ostdeutschen Studentengemeinden mit insgesamt rund 10.000 Studenten 74 Gemeinden mehr oder weniger intensive Patenbeziehungen. Mit der wachsenden Zahl der Hochschulen und ebenso der Studentengemeinden stieg auch die Anzahl der Patengemeinden: 1955 waren es bereits 87582. Eine ostdeutsche Studentengemeinde war zumeist mit mehreren Patengemein-

der zumindest kurz auf die innerdeutschen Kontakte in der Jugendarbeit eingeht (S. 266). Vgl. auch F. DORGERLOH, Geschichte, S. 57 und S. 264. 578 Ungedruckter Artikel Hildebrandts über die Berliner Bibelwochen für das KJ 1959 (EZA BERLIN, 609/96/45). 579 Vgl. I. SCHMIDT, Bewusstseinsbildung, S. 146. 580 Der Begriff „stille Wiedervereinigung“ wurde von Wilm 1957 geprägt. Vgl. F. WINTER, Wege, S. 126. 581 Die landeskirchlichen Partnerschaften gerade auch während der frühen Jahre sind bislang wenig erforscht. Für die pommersche und die nordelbische Kirche vgl. aus dem Blickwinkel eines Zeitzeugen: S. HILDEBRAND, Partnerschaft; für die württembergische und die thüringische Kirche vgl. K. KLAS, Kirchenpartnerschaften. 582 Da die sechs Berliner Gemeinden 1951 getrennt aufgeführt wurden, 1955 aber nicht, muss man

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den aus der – größeren – Bundesrepublik verbunden583. Diese Patenbeziehungen hatten ebenfalls soziale Ursprünge. Die materiellen Hilfslieferungen – hauptsächlich Lebensmittel und Literatur – wurden während der gesamten fünfziger Jahre fortgesetzt. Doch beschränkten sich auch unter den Studenten die Beziehungen nicht auf diese rein materielle Ebene. Vor allem nach den Begegnungen auf dem Studententag in Berlin 1951 kam es zu Briefwechseln. Infolge des „Neuen Kurses“ in der DDR waren von Sommer 1953 an auch jedes Semester Besuche und Gegenbesuche möglich. Diese hohe Begegnungsfolge hielt während der „Deutsche an einen Tisch“-Phase bis 1957 an584. Für die gesamtdeutschen Treffen in der Bundesrepublik erhielt die ESGiD Zuschüsse von Seiten des BMG585, worüber zumindest die Westteilnehmer informiert waren586. Waren die Patentreffen anfänglich unorganisiert und dienten dem persönlichen Austausch, so drängten die Verantwortlichen der ESGiD ab Mitte der fünfziger Jahre auf eine Profilveränderung. Die gesamtdeutsche Studentenpfarrerkonferenz wünschte sich im April 1955 eine Akzentverlagerung in der Patengemeindearbeit von dem rein „mitmenschlichen Beieinander“ zur „gemeinsame[n] Arbeit über dringende Sachfragen unserer Zeit“587. Im Jahresbericht 1955 verkündete die Geschäftsstelle bereits erste Erfolge: An die Stelle von Begegnungsfreizeiten waren Arbeitstreffen zu „allgemein geistige[n] und soziologische[n] Themen“ getreten588. Konjunktur hatten dabei vor allem deutschlandpolitische Fragestellungen. Auf ihrem Patentreffen in der zu der Gesamtzahl von 1955 im Grunde noch fünf hinzuzählen (EZA BERLIN, 36/47). Zur Zahl der Studentengemeinden und Studenten im Jahr 1951 vgl. Bannach an BMG, 5.10.1951 (EBD., 87/96/70,1). 583 Patengemeinden Stand Januar 1955 (EZA BERLIN, 36/47): Berlin – Bethel, Karlsruhe, Köln; Cottbus – Gießen, Bielefeld; Dresden – Stuttgart, Darmstadt, Hannover; Eberswalde – Hann. Münden, Kiel PH; Erfurt – Neuendettelsau, Weingarten, Bayreuth; Freiberg – Clausthal-Zellerfeld, Lüneburg; Glauchau – Alfeld, Buxtehude, Oldenburg; Görlitz – Detmold, Jugendheim, Reutlingen; Greifswald – Bonn, Heidelberg, Hamburg, Godesberg; Halle – Göttingen, Frankfurt/M., Germersheim; Heiligendamm – Weilburg, Geisenheim; Ilmenau – Freising, Worms; Jena – Würzburg, Tübingen; Karl-Marx-Stadt – Mannheim, Esslingen; Klosterlausnitz – westdeutsche Methodisten; Köthen – Nürnberg I/II; Leipzig – München, Münster, Erlangen; Magdeburg – Wolfenbüttel; Mittweida – Dortmund (Sarstedt); Naumburg – Osnabrück, Marburg, Kaiserslautern; Neustrelitz – Bremen, Braunschweig; Potsdam – Mainz, Aachen; Rostock – Freiburg, Kiel, Wuppertal; Tharandt – Wilhelmshaven, Hohenheim; Weimar – Düsseldorf, Flensburg, Lübeck; Zwickau – Kettwig, Regensburg, Schwäbisch Gmünd. 584 Vgl. E. Adler: Ein besonderes Kapitel: die Patenbesuche. In: Aus unser Arbeit. Mitteilungen für die Evangelische Studentengemeinde in der DDR 1955 (nur für den innerkirchlichen Gebrauch). Exemplar im EZA BERLIN, 36/330. Die DDR-Geschäftsstelle versandte diese Mitteilungen aus ihrer Arbeit einschließlich eines Fürbittekalendars in unregelmäßigen Abständen. 585 Z. B. wurden 1955/56 17 Patengemeindebegegnungen mit 39.778,50 DM gefördert. Übersicht über die gesamtdeutschen Veranstaltungen der ESGiD in der Bundesrepublik vom 1.4.1955–31.3.1956 und die hierfür beim BMG beantragten Zuschüsse (EZA BERLIN, 36/210). 586 In einem Brief an Generalsekretär P. Kreyssig kritisierte der ESGiD-Hochschulreferent Werner Terpitz es als „höchst gefährlich“, dass den Gemeinden bei Ost-West-Treffen offen die Zuschüsse des BMG mitgeteilt würden (EZA BERLIN, 36/211). 587 Bericht über die Arbeit der ESGen in der „SBZ“ im Jahre 1956 (EBD.). 588 Bericht über die Arbeit der ESGen in der „SBZ“ im Jahre 1955 (EBD.).

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DDR berieten z. B. Glieder der Patengemeinden Dresden, Hannover, Stuttgart und Darmstadt über die Staatsform für ein wieder vereinigtes Deutschland, das als Ziel für sie noch selbstverständlich war. „Der ‚Heim ins Reich‘ Gedanke vom Westen ist für unsere Brüder in der Zone unannehmbar“, berichtete jedoch ein westdeutscher Teilnehmer. Stattdessen wollten sie „etwas ganz Neues“. Die Überlegungen tendierten zu einer Basisdemokratie, waren aber insgesamt recht unausgegoren. Dies erkannten auch die Studenten und beschlossen, auf ihrem nächsten Treffen über die Frage zu diskutieren: „Was ist nach der Wiedervereinigung?“589 Trotz dieser ersten Ansätze zu einer Entemotionalisierung und Politisierung der Patenbeziehungen innerhalb der ESGiD unterschieden sich diese Beziehungen durch ihren geistlichen Anteil immer noch deutlich von dem allgemeinen innerdeutschen Studentenaustausch. Dieser war trotz seines informellen Charakters – die westdeutschen Verbände hatten ein offizielles Kontaktverbot zur FDJ angeordnet – bereits Mitte der fünfziger Jahre rein politisch geprägt590. Im Bereich der evangelischen Jugend gab es schon seit der Besatzungszeit gemeinsame Freizeiten von ost- und westdeutschen Jugendlichen591. Mitte der fünfziger Jahre kam es dann auch hier zu Veränderungen. Die neue „Begegnungsarbeit“ zielte darauf, die gesamtdeutsche Kommunikationsfähigkeit angesichts der andauernden Teilung zu sichern. Die Folge war eine zunehmende Lenkung der protestantischen Begegnungskultur im Jugendbereich. Auf der Mitgliederversammlung der AGEJD im Juni 1954 setzte sich die Ansicht durch, dass die Jugendkammer der EKD „ernsthafter als bisher über die Fragen des gemeinsamen Ringens in der geistigen und geistlichen Auseinandersetzung zwischen Ost und West“ reflektieren müsse592. Daher wurde beschlossen, „zur Behandlung der gemeinsamen Aufgaben und Probleme der Jungen Gemeinde und der Arbeitsgemeinschaft der EJD“ einen nach dem Delegationsprinzip zusammengesetzten „Gesamtkirchliche[n] Jugendausschuss“ einzurichten. Den Vorsitz übernahm der bayerische Landesjugendpfarrer Hans-Martin Helbich. Damit schuf sich die AGEJD zum Teil später, zum Teil früher als andere bundesdeutsche Jugendorganisationen einen Sonderausschuss, der sich mit gesamtdeutschen Fragen auseinandersetzte593. Im Unterschied zu den anderen hatte der Gesamtkirchliche Jugendausschuss der AGEJD aber Mitglieder aus beiden deutschen Staaten. Folglich war er kein „Phänomen der Einheitspolitik ohne Berührung“ wie die Ausschüsse der anderen Jugendverbände. Diese waren auf Grund des Kontaktverbots zur FDJ und dem Fehlen anderer Ansprechgruppen in der DDR weitgehend auf die Begegnungstheorie angewiesen594. Das Kontaktverbot hatte der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) aus589 Bericht H. von Flotows über das Treffen vom 28.10.–2.11.1955 in Rathen/Elbsandsteingebirge und Dresden (EZA BERLIN, 36/53). 590 Vgl. W. R. KRABBE, Deutschland, S. 54. 591 Vgl. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 290. 592 Auszug aus dem Protokoll der Sitzung der AGEJD am 24.6.1954 (Aaej HANNOVER, GKA 15). 593 Bereits Anfang der fünfziger Jahre richteten die „Falken“ und der RCDS ein solches Referat bzw. einen solchen Arbeitskreis ein, 1958 die Jungdemokraten, 1959 die Jungsozialisten. Vgl. W. R. KRABBE, Deutschland, S. 78f.

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gesprochen, dem auch die AGEJD angehörte. Im November 1954 verabschiedete er auf seiner 11. Vollversammlung die so genannten „Wiesbadener Beschlüsse“. Sie enthielten vier Forderungen, die für zwei Jahrzehnte die Aufnahme offizieller Kontakte zwischen den beiden Jugend-Großverbänden in West- und Ostdeutschland verhinderten. Gefordert waren: die Freilassung der aus politischen Gründen in der DDR gefangen gehaltenen Jugendlichen, der Verzicht der FDJ auf das Monopol einer Staatsjugend, die Zulassung demokratischer Jugendverbände in der DDR sowie der freie Vertrieb westdeutscher Jugendzeitschriften in der DDR595. Der Gesamtkirchliche Jugendausschuss der AGEJD hatte zunächst zwei Aufgaben: Er sollte eine Bestandsaufnahme der Begegnungs- sowie der Flüchtlingsarbeit im evangelischen Jugendbereich erstellen; und er hatte sich selbst und die westdeutschen Begegnungsteilnehmer mit dem Menschenbild des Marxismus vertraut zu machen596. Um den Ist-Zustand der Ost-West-Treffen zu ermitteln, führte Helbich eine Umfrage unter den westdeutschen Landesjugendpfarrern durch. Deren Ergebnis wurde auf der ersten Sitzung des Gesamtkirchlichen Ausschusses, wie er fortan hieß, am 27. und 28. Oktober 1954 in Stuttgart mitgeteilt597. Danach waren im Sommer 1954 mehrere tausend evangelische Jugendliche aus der DDR zu landeskirchlichen Freizeiten in die Bundesrepublik gekommen, wofür ein Betrag von ca. 30.000,– DM aufgebracht wurde. Auf der Grundlage der eingesandten landeskirchlichen Erfahrungsberichte formulierte der Ausschuss einige Anregungen für die zukünftige gesamtdeutsche Arbeit im evangelischen Jugendbereich. Dazu zählten: die Einrichtung von Marxismusseminaren, die Teilnahme Ostdeutscher an den Rüstwochen für Jugendleiter, die Verstärkung des Literaturaustauschs, die Fortsetzung der materiellen Hilfe, Erholungsaufenthalte für ostdeutsche Jugendliche sowie die sorgfältige Planung der Jugendbegegnungen im Jahr 1955. An der Vorbereitung des Treffens zwischen Vertretern des DBJR und des Zentralrates der FDJ am 17. März 1955 in Bad Godesberg wurde der Gesamtkirchliche Ausschuss jedoch nicht beteiligt, obgleich die AGEJD die Begegnung befürwortete und führend daran teilnahm. Das Gespräch mit der FDJ endete ergebnislos, woraufhin der DBJR sein Kontaktverbot bestätigte598. Die Jugendkammer Ost zeigte sich anschließend entsetzt darüber, mit „welcher verantwortungslosen Leichtfertigkeit“ das Gespräch seitens des Bundesjugendringes vorbereitet und durchgeführt worden war599. Lediglich die Evangelische Jugend habe noch etwas „Format“ in das Gespräch gebracht. Da die Delegation des DBJR aber unter der Leitung des AGEJD-Vertreters Günter Feuser gestanden hatte, musste die Kritik zumindest indirekt auch die westdeutsche Evangelische Jugend treffen, da sie die Junge Gemeinde nicht in die Vorbe-

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Vgl. EBD., S. 79. Vgl. EBD., S. 72. Helbich an die Landesjugendpfarrer, 20.9.1954 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). Aktennotiz von Helbich, 2.11.1954 (Aaej HANNOVER, Protokolle GKA). Vgl. W. SAUERHÖFER, Jugendverbandskontakte, S. 154. Vermerk von Behm über die Sitzung der Jugendkammer am 20.4.1955 (EZA BERLIN, 4/134).

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reitung miteinbezogen hatte600. Die Jugendkammer Ost war übereinstimmend der Ansicht, dass auf diese Weise keine Ost-West-Gespräche geführt werden durften. Andererseits wollten ihre Mitglieder, dass die Gespräche in irgendeiner Form weitergingen. Ob und wie eine Kontaktaufnahme zwischen Evangelischer Jugend und FDJ stattfinden sollte, wurde in den späteren Jahren dann zu einem Dauerthema auch im Gesamtkirchlichen Ausschuss. Mitte der fünfziger Jahre war der Ausschuss jedoch vornehmlich mit der konzeptionellen Betreuung, Koordination und Reflexion der Begegnungsarbeit unter evangelischen Jugendlichen beschäftigt. Diese Aufgabe stellte sich verstärkt, da im zweiten Drittel der fünfziger Jahre die DDR die Ausreisegenehmigungen für Jugendliche großzügig handhabte und gleichzeitig die EJD und einige andere konfessionelle bundesdeutsche Jugendverbände vermehrt staatliche Zuschüsse für innerdeutsche Begegnungen erhielten. Denn die offiziellen Institutionen der Bundesrepublik wünschten und förderten den Jugendaustausch unter Ausschluss der FDJ, um in der jungen Generation das Bewusstsein nationaler Zusammengehörigkeit wachzuhalten601. Innerhalb der AGEJD war es jedoch umstritten, die staatlichen Gelder anzunehmen und sich damit indirekt für nationalpolitische Ziele instrumentalisieren zu lassen. Daher verzichteten die Jugendkammern der Rheinischen und der Westfälischen Landeskirche auf Bundes- und Landesmittel, um die Junge Gemeinde in der DDR vor Angriffen von Seiten der FDJ zu schützen und die evangelische Jugend nicht zum „Objekt im kalten Krieg“ werden zu lassen602. Auf seiner Sitzung im Mai 1955 diskutierte der Gesamtkirchliche Ausschuss das Problem mit einer Vertreterin des BMG, die eine staatliche Einflussnahme auf die Begegnungsarbeit ausschloss. Als Gesprächsergebnis äußerte der Ausschuss den „Wunsch“, dass die Gelder für die Begegnungen „durch das Opfer der Jugend in Ost und West aufgebracht werden möchten“603. Der Bericht über die „Ost-West-Begegnungen der Evangelischen Jugend Sommer 1955“, den der Geschäftsführer des Ausschusses, Friedrich-Wilhelm Esche604, im Oktober formulierte, bezifferte jedoch die Höhe der staatlichen Beihilfen für dieses Jahr auf 453.818,25 DM605. Der „Sommer der Begegnung“ 1955, ein Programm des BMG zur Förderung innerdeutscher Treffen606, wurde für den Gesamtkirchlichen Ausschuss zur ersten Be600 Von E. UEBERSCHÄR (Gemeinde, S. 331) wird dies anhand des Protokolls eines Mitglieds der Jugendkammer Ost über die Sitzung gleichfalls in diese Richtung gedeutet. 601 Vgl. W. R. KRABBE, Deutschland, S. 51. 602 Busch an Helbich. Zitiert in: Protokoll der Beratung des GKA der AGEJD am 11.5.1955 (Aaej HANNOVER, GKA 15). 603 Protokoll der Beratung des GKA der AGEJD am 11.5.1955 (EBD.). Aus der Bundesrepublik und West-Berlin nahmen an der Sitzung in Berlin teil: Helbich, A. Schröder, Hanisch, Esche. Die Teilnehmer aus der DDR waren: I. Becker, Oehlmann, Waldmann, H. Schulz, Giersch. 604 Der Landesjugendpfarrer der Ev. Kirche Kurhessen-Waldeck Esche war 1955 für ein halbes Jahr zum Dienst für den Austausch zwischen Ost und West in die Jugendkammer berufen worden. Protokoll der Beratung des GKA der AGEJD am 11.5.1955 (EBD.). 605 Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung. Die AGEJD sowie ihr angeschlossene Werke hatten schon vor 1955 vom BMG Gelder für ihre gesamtkirchliche Tätigkeit erhalten, jedoch nicht in dieser Höhe. 606 I. HOLZAPFEL, Bindung, S. 381.

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währungsprobe seiner Arbeitsfähigkeit. Zunächst galt es, den Wissensstand der westdeutschen evangelischen Jugendleiter über die DDR und den Marxismus zu erhöhen. Beides konnte nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden, war jedoch Mitte der fünfziger Jahre bereits Voraussetzung für eine funktionierende innerdeutsche Kommunikation. Hierzu wurden Tagungen und Lehrgänge in den Landeskirchen, Jugendwerken und in der Sozialakademie Friedewald607 veranstaltet sowie Aufsätze in der EJD-nahen Jugendzeitschrift „Junge Stimme“608 und den Jugendleiter-Zeitschriften publiziert609. Die Stuttgarter Zentrale veröffentlichte überdies eine Einführung in die Quellen des Dialektischen Materialismus. Die Begegnungsleiter erhielten auch einen „Rüstbrief“, in dem das Wunschprofil eines innerdeutschen Treffens unter christlichen Jugendlichen vermittelt wurde610. Der Rüstbrief begann mit einem „Wort zum Nachdenken vor der Begegnung“. Darin wurde beklagt, dass bei innerdeutschen Zusammenkünften im Bereich der Wirtschaft, Kultur, im Sport oder bei anderen Jugendorganisationen jeder nur noch Vertreter seiner jeweiligen Gesellschaftsordnung sei. Dem setzten die Rüstbrief-Autoren die frühchristliche Vorstellung von den Christen als „drittem Geschlecht“ entgegen. Begegnungen im Raum der Evangelischen Jugend sollten eine „Übung im Hören“ sein, ermöglicht durch den Vorgang, dass „das Wort Gottes uns alle aus dem alten Leben heraus[ruft, C. L.]“. Die jungen Christen aus der DDR und der Bundesrepublik sollten zu einer „Gemeinschaft der Freude“ werden, in der man aufeinander hört, voneinander lernt und einander hilft. Die Rollen in dieser Gemeinschaft waren jedoch klar verteilt. Die westdeutschen Jugendlichen sollten das Leben ihrer ostdeutschen Altersgenossen kennen lernen und gemeinsam mit ihnen nach Wegen suchen, wie diese in der DDR als Christen leben konnten. Die Programmatik des ersten Teils wurde im zweiten Teil des Rüstbriefes in praktische Hinweise umgesetzt. In dem „Knigge“ für die westdeutschen Gastgeber wurde gemahnt, den ostdeutschen Besucher nicht der Presse und den Behörden wie eine „Sehenswürdigkeit“ vorzuführen oder ihn von diesen zu Propagandazwecken missbrauchen zu lassen. Die Begegnungen in der Evangelischen Jugend sollten ausschließlich als „christlicher und menschlicher Auftrag“ verstanden werden. Den Gastgebern wurde geraten, möglichst keine öffentlichen Beihilfen zur Finanzierung des Besuches anzunehmen. Falls doch, würden sie sich dadurch lediglich zu deren sparsamem Gebrauch und genauer Abrechnung verpflichten und zu nichts weiter. Im Gespräch mit ihren Gästen sollten die westdeutschen Jugendlichen sachlich und sachkundig über 607 Die Sozialakademie Friedewald war eine Gemeinschaftsgründung des Hilfswerks der EKD, der Inneren Mission und des Männerwerkes aus den Jahren 1948/49. Ihr Hauptaugenmerk lag auf der sozialen Frage in der industriellen Gesellschaft. Schon früh führte sie auch Seminare über den historischen und dialektischen Materialismus durch. Vgl. R. J. TREIDEL, Akademien, S. 141–144. 608 Die „Junge Stimme“ war von Eberhard Stammler gegründet worden und erschien 14tägig. Auf acht Seiten berichtete sie über Politik, Jugendpolitik, Sport, Belletristik und Film. Sie hatte auch stets die Situation in der DDR im Blick. Vgl. I. HOLZAPFEL, Bindung, S. 379ff. 609 Ost-West-Begegnungen der EJD Sommer 1955 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 610 Exemplar im Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung.

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die DDR sprechen, aber auch „abschätzige Redewendungen“ über die Bundesrepublik unterlassen – eine Mahnung, die dem Gesamtkirchlichen Ausschuss im Jahr der Paulskirchenbewegung notwendig erschien. Zur Vorbereitung des Besuchs legte er den Gastgebern nahe, sich über die „Heimat“ ihrer Gäste kundig zu machen und an Rüstzeiten über den historischen und dialektischen Materialismus teilzunehmen. Die bereits fortgeschrittene Entfremdung zwischen Ost und West verlange von den westdeutschen Jugendlichen bei der Begegnung, so wurde ermahnt, ein hohes Maß an „Einfühlungsvermögen“. Um eine innere Verbindung zwischen den Treffen in ganz Deutschland zu schaffen, bat der Ausschuss, die missionarische „Sendung“, die aus den Begegnungen erwachsen sollte, in den Mittelpunkt eines Gottesdienstes, eines Gesprächs oder einer Abendmahlsfeier zu stellen. Der Rüstbrief schloss mit einem Brief der Jungen Gemeinde in der DDR. Darin war eine Reihe von Bitten an die westdeutschen Gastgeber formuliert, „damit unser gemeinsames Anliegen, Brücken zu bauen zwischen Ost und West, recht gelingt“. Es wurde u. a. gebeten: nur solche Jugendliche einzuladen, die an zwei größeren Rüstzeiten oder Mitarbeiterwochen in der DDR teilgenommen hatten und über 16 Jahre alt waren; die Einladungen nur über die Landesjugendpfarrer, die Werke oder Kirchengemeinden auszusprechen; Jugendliche, die ohne Einladungen kamen, nicht aufzunehmen; die ostdeutschen Christen nicht auf Grund ihrer schwierigen Situation zu verklären; den ostdeutschen Gästen die Vor- und Nachteile des bundesrepublikanischen Alltags zu zeigen. Der Brief endete mit einer Einladung an die westdeutschen Jugendlichen, auch einmal an einer Rüstzeit in der DDR teilzunehmen. Dahinter stand der Wunsch nach einer reziproken Begegnungskultur. Neben dieser inhaltlich-programmatischen Betreuung der Begegnungen musste der Geschäftsführer des Gesamtkirchlichen Ausschusses auch Verwaltungsarbeit leisten. 1955 hatte er 498 Begegnungen zu betreuen, an denen 5826 ostdeutsche Jugendliche und Jugendleiter teilnahmen611. Er sichtete Anträge, prüfte Abrechnungen und verhandelte mit den Jugendwerken, Landesjugendkammern und den staatlichen Stellen über finanzielle sowie organisatorische Fragen. Im Herbst folgte dann die Auswertung der Erfahrungsberichte der westdeutschen Veranstalter oder Leiter der Begegnungen nach zwei Leitfragen: „1.) Wie fanden die Jugendlichen aus Ost und West sich zusammen? 2.) Welche Widerstände wurden festgestellt?“612 Was den letzten Punkt anbelangte, gab es den Berichten zufolge 1955 nur sehr wenig Anlass zur Sorge. Die Treffen wurden überwiegend als unproblematisch geschildert. Der „geistliche Ertrag“ der Begegnungen wurde jedoch von den Mitgliedern des Gesamtkirchlichen Aus611 Darin sind nicht eingerechnet die Begegnungen, die ohne Hilfe der Stuttgarter Zentrale zustande kamen oder aus Landesmitteln gefördert wurden. Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 21./22.10.1955 (Aaej HANNOVER, GKA 15). Hinzu kommen noch die Ost-West-Begegnungen in Berlin, wo 1955 1.025 DDR-Jugendliche in evangelische Lager und Heime aufgenommen wurden. Die Höhe der staatlichen Zuschüsse hierfür betrug 76.000 DM. Vgl. Bericht von Gerd Buwitt auf der Sitzung des GKA der AGEJD am 21./22.10.1955 (EBD.). 612 Von Esche zusammengestellte Auswertung der Berichte (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung).

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schusses „sehr nüchtern“ beurteilt613. Dennoch wollte man die Besuche in Ost-Westund fortan ebenso in West-Ost-Richtung auch 1956 „mit grossem Eifer“ fördern. Für die Jugendkammern und Werke sollten Anweisungen ausgearbeitet werden über den Umfang der Begegnungen, die Auswahl der Beteiligten, die geistige Vorbereitung sowie die verwaltungstechnische Bearbeitung. Die Patenpfarrämter, die Innere Mission sowie die Hilfswerkorganisationen wollte man darüber informieren, dass die Verbindung zwischen den Landesjugendkammern der DDR und den Jugendkammern und Werken in der Bundesrepublik der einzige Weg bleiben sollte, „auf dem die Junge Gemeinde ‚in den Westen‘ fährt“. Daher sollte jedes Werk und jede Jugendkammer im Bundesgebiet einen „Ost-West-Bearbeiter“ und die Stuttgarter Zentrale der AGEJD einen hauptamtlichen Mitarbeiter mit der Begegnungsarbeit betrauen. Die Evangelische Jugend zeigte sich Ende des Jahres 1955 – als die Blockintegration der beiden deutschen Staaten vollzogen war – dazu entschlossen, den west-östlichen Jugendaustausch fest zu etablieren und damit die kirchliche Ost-West-Gemeinschaft zu stärken.

613 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 21./22.10.1955 (Aaej HANNOVER, GKA 15).

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1.4 Zusammenfassung „Zonengrenzen sind keine Kirchengrenzen“ – mit diesem Grundsatz setzten sich 1945/48 die evangelischen Landeskirchen in den vier Besatzungszonen über die politischen Realitäten hinweg und institutionalisierten die ihrer Auffassung nach bereits „bestehende Gemeinschaft der deutschen evangelischen Christenheit“ in der „Evangelischen Kirche in Deutschland“. Ebenso formierte sich die evangelische Jugend- und Studentenarbeit im Raum „Deutschland“. Im Gegensatz zum zuvor verwendeten Adjektiv „deutsch“ war das Substantiv „Deutschland“ jedoch als geografische Angabe gedacht und sollte deutsch-christliche Interpretationen ausschließen. Der Zuständigkeitsbereich der EKD beschränkte sich auf das Territorium der vier Besatzungszonen einschließlich des Saarlandes. Die Oder-Neiße-Linie wurde als Grenze kirchlicher Organisation stillschweigend akzeptiert und damit indirekt ein Beitrag zur geografischen Definition des Deutschlandbegriffs geleistet. Eine ähnliche Wirkung hatte der Verzicht auf die Gründung von ostdeutschen Exilkirchen. Innerkirchlich handelte es sich bei der Gründung der EKD als Bund bekenntnisverschiedener Kirchen um einen hart errungenen, fragilen Kompromiss. Sein Zustandekommen verdankt sich dem Zusammenwirken mehrerer Faktoren: dem ausgleichenden Wirken Theophil Wurms, einem Gemeinschaftsgefühl insbesondere unter den Laien sowie dem kirchlichen Wunsch nach einer einheitlichen Vertretung gegenüber den vier Besatzungsmächten und der Ökumene. Die tiefen konfessionellen und kirchenpolitischen Differenzen innerhalb des deutschen Protestantismus bestanden jedoch auch danach weiter. Der Konstituierungsprozess der EKD fand zu einem Zeitpunkt seinen Abschluss, als der Kalte Krieg auf einem ersten Höhepunkt und die Spaltung Deutschlands offenkundig waren. Als Organisation auf gesamtdeutscher Ebene, die mit Genehmigung aller Besatzungsmächte zustande gekommen war, wurde die EKD faktisch zu einem Symbol Gesamtdeutschlands und damit zum Politikum. Viele Deutsche sahen in ihr die Vorwegnahme nationalstaatlicher Wiedervereinigung; die sowjetische Besatzungsmacht deutete sie öffentlich im Sinne ihrer Deutschlandpolitik. Nicht zuletzt deshalb wurde von den EKD-Vertretern die nationalpolitische Symbolfunktion nicht herausgestellt. Sie verlegten sich mehr auf den kulturnationalen Symbolcharakter der EKD. Vor allem ihr politischer Berater Gerhard Ritter wies der evangelischen Kirche die Rolle einer geistig-kulturellen Klammer der wirtschaftlich und politisch getrennten Deutschen zu. Sie hatte den nationalen Einheitswillen der Deutschen wachzuhalten. Die Besiegelung kirchlicher Einheit auf nationaler Ebene, gegen die es auch einzelne innerkirchliche Kritik gab, erfolgte doppelt symbolträchtig in Eisenach, einem Geschichtsort des Protestantismus und seiner Einigungsbestrebungen. Zugleich lag er in der sowjetischen Besatzungszone, wodurch die Verbundenheit der Protestanten in Gesamtdeutschland demonstriert werden konnte. Mit der Wahl von Otto Dibelius zum

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Ratsvorsitzenden setzte die EKD dann ein weiteres Zeichen für ihre eigene transzonale Gemeinschaft. Auf Grund der schlechten Kommunikationsbedingungen sowie der bald einsetzenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sonderentwicklung in der sowjetischen Zone bildeten sich trotz gesamtdeutscher Kircheneinheit schon früh informelle ostdeutsche Separatgremien, sowohl auf gesamtkirchlicher Ebene als auch im Jugend- und Studentenbereich. Diese Gremien verfolgten in der frühen Nachkriegszeit noch keinerlei Trennungsabsichten. Vielmehr wurde von ostdeutscher Seite versucht, die zonenübergreifende Kircheneinheit zu erhalten und eine stärkere ostdeutsche Präsenz in den gesamtkirchlichen Gremien zu erreichen. Dahinter stand die Furcht, angesichts der immer undurchlässigeren Zonengrenze von den Kirchen in den westlichen Besatzungsgebieten „abgeschrieben“ zu werden. Zur gleichen Zeit tauchten bereits Klagen über die Widersprüche in der westlichen Fremd- und ostdeutschen Eigenwahrnehmung auf: Die Kirchen in der sowjetischen Zone wollten nicht nur als kirchliches Notstandsgebiet, sondern in ihrer ekklesiologischen Sonderrolle wahrgenommen werden. In der deutschen Zusammenbruchgesellschaft übernahmen die rasch wieder institutionell funktionsfähigen Kirchen die Rolle einer Sprecherin des deutschen Volkes, das von ihnen weiterhin als eine Einheit begriffen wurde. Gegenüber den Besatzungsmächten und der Weltöffentlichkeit machten sie sich vornehmlich zu dessen Fürsprecherin. Die evangelische Kirche tat dies in einem neuen Bewusstsein vom kirchlichen Öffentlichkeitsauftrag. Kirchenleitende Persönlichkeiten sahen darin eine Konsequenz früherer Unterlassungen und ihres Eingeständnisses in der Stuttgarter Schulderklärung. Diese Erklärung war als Bitte an die ökumenische Christenheit um Vergebung vor Gott und um Wiederherstellung zerstörter Gemeinschaft abgefasst. Anders als nach dem Ersten Weltkrieg wollte man in der Ökumene zu einer Abkehr von nationalen Egoismen und zu einem Neuanfang in den Beziehungen der Völker im Zeichen der Rechristianisierung finden. Die evangelische Kirche bekannte sich in der Erklärung zu einer „Solidarität der Schuld“ mit dem deutschen Volk, blieb aber hinsichtlich der Form der Schuld und der Umkehr vage. Und dennoch löste die Erklärung innerhalb der protestantischen Öffentlichkeit vornehmlich der Westzonen heftigen Widerspruch aus, der sich mitunter zu chauvinistischen Ausbrüchen steigerte. Viele fühlten sich von ihrer Kirche verraten, die seit dem Kaiserreich für Volk und Vaterland eingetreten war. Nur wenige folgten Martin Niemöllers Interpretation der Erklärung als „Weg ins Freie“, in die Wahrnehmung der Verantwortung der Kirche und des einzelnen Christen für den Neuanfang. Auf kirchenleitender Ebene hielt man sich nach der Anerkennung der eigenen Schuld dazu berechtigt, auch auf das Fehlverhalten der Sieger aufmerksam zu machen. In seinen Hinweisen auf die „Schuld der anderen“ wurde der Rat der EKD bald sehr viel konkreter als im Bekenntnis der eigenen Schuld. Als Fürsprecher des deutschen Volkes kritisierte er Entnazifizierung und „Siegerjustiz“, wobei sich berechtigte rechtsstaatliche Einwände mit Aufrechnungsstrategien vermischten und zumindest indirekt eine Schlussstrichmentalität förderten. Ohne dass es gleichzeitig zu einem entschiedenen kirchlichen Eintreten für die überlebenden Opfer des NS-Terrors kam, setzte

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sich der Rat nachhaltig für die deutschen Kriegsgefangenen sowie die Flüchtlinge und Vertriebenen ein. In diesen Stellungnahmen zur „Schuld der anderen“ tauchten auch ältere nationalistische Argumentationsfiguren auf. Darin zeigte sich, dass in der Gemengelage von Traditionsüberhang und Neuorientierung während der Nachkriegszeit bei ein und denselben Ratsmitgliedern beides zugleich zu finden war: Einerseits die theologische und politische Einsicht in die verheerenden Folgen nationaler Überhebung und die Bereitschaft zum Schuldbekenntnis, andererseits das noch tief verwurzelte nationalprotestantische Erbe, war doch die Mehrheit der kirchlichen Nachkriegselite noch im Kaiserreich und seinem Wertekosmos sozialisiert worden und hatte später die nationalistischen Visionen der zwanziger und frühen dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts geteilt. Der Versuch einer national- und gesellschaftspolitischen Neuorientierung der evangelischen Kirche wurde im „Darmstädter Wort“ des Reichsbruderrates unternommen. Nach Auffassung seines Hauptautors Hans-Joachim Iwand galt es zu verhindern, dass die Kirche zum Sammelbecken der anwachsenden nationalistischen und antikommunistischen Überzeugungen im besetzten Deutschland wurde. Der linksnationale Iwand war davon überzeugt, dass das Evangelium die Deutschen zur Revision ihres Nationalbewusstseins und zu neuem politischen Handeln befreien konnte. Ihm ging es nicht um eine Lösung der Allianz von protestantisch und national, sondern um eine Umdeutung ihres Beziehungsgeflechts. Der historische Konnex zwischen deutsch, protestantisch und bürgerlich-konservativ sollte zugunsten eines Zusammenwirkens von deutschem Protestantismus und deutscher Sozialdemokratie aufgebrochen werden. Folglich bezeichnete das „Darmstädter Wort“ das andauernde Bündnis der Kirche mit konservativen und rechtsnationalistischen Kräften als die primäre Ursache für das kirchliche Versagen vor den Herausforderungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Durch den „Traum einer besonderen deutschen Sendung“ sei die Nation sakralisiert und dem unbeschränkten Gebrauch politischer Macht nach innen und außen der Weg bereitet worden. An die Stelle von Chauvinismus und Imperialismus sollte nach dem Willen der Autoren ein neues europäisch eingebettetes Nationalbewusstsein treten, das die „Berufung“ des deutschen Volkes fortan in der Mitarbeit an den gemeinsamen Aufgaben der Völker sah. Das deutsche Nationalbewusstsein sollte gleichsam pazifiziert werden. Die Deutung der deutschen Geschichte seit dem 19. Jahrhundert als Irrweg sowie das Bild eines visionären Sozialismus, das in der Erklärung aufschien, stießen in protestantischen Kreisen aber überwiegend auf Ablehnung und provozierten Äußerungen mit nationalkonservativen und antisozialistischen Tönen. Viel Kritik kam aus der sowjetischen Besatzungszone; denn die dortigen Erfahrungen widersprachen der optimistischen Aufforderung des „Darmstädter Wortes“ zu positiver politischer Mitverantwortung. Der kleindeutsche Nationalstaat, mit dem sich der Mehrheitsprotestantismus seit den Tagen der Reichsgründung in wachsendem Maße identifiziert hatte, blieb für die deutschen Protestanten, gleich welcher theologischer oder politischer Ausrichtung, auch nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches ordnungspolitische Leitgröße. Angesichts der fortschreitenden Teilung Deutschlands drängten insbesondere die

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Kirchenleitungen in der sowjetischen Zone die EKD zu eigenständigen kirchlichen Stellungnahmen in der Deutschlandfrage. Sie selbst standen unter dem Druck von SMAD und SED, deren Deutschlandpolitik zu unterstützen. Vornehmlich den westlichen Kirchenführern lag aber daran, jegliche Instrumentalisierung der Kirche zugunsten der sowjetzonalen Einheitspolitik zu verhindern; auch deshalb enthielten die gesamtkirchlichen Äußerungen zumeist eine implizite Kritik an den Zuständen in der Ostzone. In ihren deutschlandpolitischen Worten votierte die evangelische Kirche gegenüber den Siegermächten mit friedenspolitischen, wirtschaftlich-sozialen und moralischen Argumenten für die politische Einheit Deutschlands. Dabei argumentierte vor allem der nationalkonservative Dibelius mit dem Junktim zwischen Einheit und Frieden. Somit wurde erreicht, dass die Einsicht der Nachkriegszeit, der Frieden sei höher zu bewerten als die Nation, Bestand haben konnte, ohne dass die nationale Einheit dem Frieden geopfert werden musste, denn sie wurde zu dessen Voraussetzung erklärt. In seiner frühen Version beinhaltete das Junktim die Aufforderung, aus den Erfahrungen mit dem „Versailler Vertrag“ die Schlussfolgerung zu ziehen, dass ein dauerhafter Frieden in der Welt die territoriale, wirtschaftliche und politische Rehabilitation Deutschlands voraussetzte. Hinsichtlich der territorialen Vorstellungen blieben die Worte der EKD aber weitgehend unbestimmt; nur indirekt wurde um eine Rückgabe von Ostgebieten gebeten. Jedem hypertrophen und militanten Wiedervereinigungsnationalismus erteilte die EKD aber eine deutliche Absage. Entschieden bekannte sie sich nach den verheerenden Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges zum Frieden. Dieses Bekenntnis markierte einen ersten deutlichen Einschnitt in einer langen Tradition protestantischer Kriegs- und Friedensethik und stand im Einklang mit neuen friedensethischen Ansätzen auf ökumenischer Ebene. Ebenfalls unter ökumenischem Einfluss versuchte die evangelische Kirche in Deutschland, sich aus dem ideologischen Kampf der Weltmächte, durch den die deutsche Frage überlagert und die territoriale Neugliederung Deutschlands hochgradig ideologisiert wurde, herauszuhalten. Unter den deutschsprachigen Theologen war es vor allem Karl Barth, der sich seit Kriegsende dafür aussprach, die europäische Christenheit einen „eigenen, dritten Weg“ zwischen den Machtblöcken und zwischen Kommunismus und Kapitalismus gehen zu lassen. Seinen Gedanken folgten in Deutschland vor allem die Bruderräte, wobei ein alternativer Gesellschaftsentwurf, in dem Freiheit und Gerechtigkeit neu miteinander verbunden waren, nur sehr verschwommen erkennbar wurde. Ihre Kritik galt vor allem einer christlichen Abendlandkonzeption, welche den Christen eine ausschließliche Option für den Westen abverlangte. Nach der Konstituierung der beiden nichtsouveränen deutschen Staaten bemühte sich die EKD um eine formale Äquidistanz zu ihnen. Trotz der Kritik an ihrem Zustandekommen wurde auch die DDR von der EKD als staatliche Obrigkeit anerkannt. Die DDR-Regierung als Obrigkeit anzuerkennen und ihr dennoch die sittliche Autorität abzusprechen, war auch für Dibelius 1949 noch kein Widerspruch. Gleichzeitig und gleichrangig ernannte der Rat je einen Bevollmächtigten an den beiden Regierungssitzen. Die EKD betonte aber den Provisoriumscharakter der zwei Teilstaaten und rief beide Regierungen dazu auf, die Wiedervereinigung herbeizuführen. Die

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deutsche Teilung wurde politisch als Folge der Uneinigkeit unter den Besatzungsmächten gewertet. Geschichtstheologisch gesehen enthüllte sich für den Rat aber in der teilungsbedingten Not das Gericht Gottes über die Deutschen. Diese Not könne nur durch eine Rechristianisierung überwunden werden. Damit wurde der Teilung und ihrer Überwindung religiöser Sinn verliehen, die Situation erträglich gemacht und doch auf ihre Veränderung gedrängt. Eine zunehmend kirchenfeindliche Politik in der DDR mit ihrer mehrheitlich protestantischen Bevölkerung und der Verlust ihrer Position als Leitkonfession in der Bundesrepublik ließen die evangelische Kirche allein schon aus kirchen- und konfessionspolitischen Gründen am Ziel eines geeinten und rechristianisierten Deutschlands festhalten. Insbesondere Niemöller und Dibelius betonten die nachteiligen Auswirkungen des Verlusts von Schlesien, Ostpreußen und Ostpommern sowie der deutschen Teilung für den Protestantismus. Niemöller schreckte die Aussicht auf ein katholisch majorisiertes Europa und einen katholisch-kapitalistischen Weststaat. Ebenso wie die amerikanische Wochenzeitschrift „The Christian Century“ betrachtete er den Katholizismus als den Profiteur des Kalten Krieges, den europäischen Protestantismus als dessen Verlierer. Trotz antikatholischer und auch antiwestlicher Ressentiments war aber das vordringlichste Motiv von Niemöllers deutschlandpolitischem Engagement ein friedensethisches. Dieses stand auch hinter seiner vermeintlichen Aussage, das deutsche Volk sei bereit, um seiner Einheit willen eine östliche Diktatur hinzunehmen, die im gesamtdeutschen Protestantismus hohe Wellen schlug. Niemöller sah infolge des Ost-West-Gegensatzes einen kausalen Zusammenhang zwischen der Wiederherstellung deutscher Einheit und der europäischen Friedenssicherung: Solange das deutsche Volk auf zwei Teilstaaten aufgeteilt war, die antagonistischen Machtblöcken angehörten, konnte es keinen Frieden mit und in Deutschland geben. In dieser Einschätzung waren sich linksnationale und nationalkonservative Protestanten prinzipiell einig, jedoch nicht über deren politische Konsequenzen. Niemöller plädierte für eine Besetzung Deutschlands durch UNO-Truppen, um den Frieden zu sichern und einen deutschen Eigenweg zu ermöglichen. Der Rat der EKD stellte indes im Streit um Niemöllers „New York Herald Tribune“-Interview im Januar 1950 seinen traditional, konfessionell und weltanschaulich motivierten Wunsch nach nationalstaatlicher Einheit unter den Vorbehalt der Freiheit und Menschenwürde und ordnete damit den Wertbegriff Nation diesen beiden nach oder allenfalls gleich. Vor allem dem nationalkonservativen Gerhard Ritter lag zu diesem Zeitpunkt daran, insbesondere dem Ausland zu vermitteln, dass die evangelische Kirche aus ihrer Vergangenheit gelernt hatte und dass sie mit ihrem Eintreten für die deutsche Einheit, gegen alliierte „Schuldpropaganda“ und für faire Kriegsverbrecherprozesse keine aggressiven nationalistischen Tendenzen fördern wollte. Trotz ihrer Wiedervereinigungshoffnungen konnten evangelische Kirche und Christen nicht umhin, sich mit den zwei neuen Verfassungs-, Parteien- und Staatswirklichkeiten auseinanderzusetzen. Im westdeutschen, demokratischen Verfassungsstaat fanden Staat und Kirchen zu einem kooperativen Verhältnis zueinander; dem veränderten Bewusstsein über die eigene Rolle in der Öffentlichkeit trug die evange-

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lische Kirche in einem konstruktiven Dialog mit Staat und Gesellschaft Rechnung. Die innere Verankerung des politischen Systems und die Entwicklung eines tieferen Demokratieverständnisses im Protestantismus brauchten aber ihre Zeit. Basiskonsens war zunächst die Rechtsstaatlichkeit. Im Vergleich zu den westdeutschen verfügten die ostdeutschen Kirchen und Christen nicht annähernd über die gleichen gesellschaftlichen Mitgestaltungsmöglichkeiten. Frühe Hoffnungen hierauf sowie auf Rechtssicherheit wurden zunehmend enttäuscht. Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche gestaltete sich in dem Maße konfrontativ, in dem die SED das Monopol der marxistisch-leninistischen Weltanschauung durchzusetzen versuchte. Während sich die Lage zwischen 1947/48 und 1952 schrittweise verschärfte, erfolgte ab Sommer 1952 im Zuge der „Verschärfung des Klassenkampfes“ ein massiver Angriff. Die Kirche sollte als gesellschaftspolitische Kraft ausgeschaltet und auf den kultischen Bereich zurückgedrängt werden. Insbesondere die kirchliche Jugendarbeit wurde Ziel administrativer und repressiver Maßnahmen. Zwar wurde der Liquidierungsversuch auf sowjetische Weisung hin gestoppt, doch gelang es der SED, die kirchliche Jugendarbeit deutlich zurückzudrängen. Der Hauptvorwurf richtete sich auf deren vermeintliche Westbeeinflussung, was dazu führte, dass Sitzungen und Büros von West- nach Ost-Berlin verlegt wurden. Als positive Folge ihrer gesamtdeutschen Verbindungen erfuhren die ostdeutschen Jugendlichen während der Repressionsphase verbale und praktische Solidarität von Seiten der westlichen Kirchen. Den ostdeutschen Landeskirchen ging es in der Auseinandersetzung um ihre institutionelle Autonomie, ihre prinzipielle geistliche Selbstständigkeit und ihren Öffentlichkeitsauftrag. Entschlossen stellten sie sich vor die Junge Gemeinde sowie die Studentengemeinde. Im Ergebnis führte dies dazu, dass die evangelische Jugend- und Studentenarbeit in der DDR fortan stärker an die Kirche gebunden war als in der Bundesrepublik. In den repressiven Phasen staatlicher Kirchenpolitik erfolgten auch Angriffe auf die grenzübergreifende Kircheneinheit. Um die Kirchen in der DDR unter Kontrolle zu bekommen, sollten ihre westlichen Beziehungen gelöst werden. Schon im Herbst 1950 kam es zu ersten Behinderungen in der Praxis gesamtdeutscher Kircheneinheit: Interzonenpässe, Einreise- und Zuzugsgenehmigungen wurden verweigert, der Rat der EKD konnte erstmals nicht in der DDR tagen, leitende Kirchenvertreter wurden als Auftragnehmer der Bundesregierung diffamiert. Auf die braunschweigische Kirche wurde Druck ausgeübt, ihre Kirchen- an die Staatsgrenzen anzugleichen, die berlinbrandenburgische Kirche dazu gedrängt, ihre Kirchenleitung von West-Berlin nach Brandenburg zu verlegen – beides ohne durchschlagenden Erfolg. Auf die Abriegelung der Grenzen der DDR zur Bundesrepublik im Frühsommer 1952 mussten die Kirchen jedoch reagieren: Die Kirchenkanzlei – Berliner Stelle begann mit dem Aufbau einer Außenstelle der West-Berliner Kirchenkanzlei in Ost-Berlin. Die SED-Kirchenpolitik stand unter dem Primat der sowjetischen sowie der eigenen Deutschlandpolitik. Folglich wurden je nach deutschlandpolitischer Lage die gesamtdeutschen Beziehungen der Kirchen begrüßt oder als Quelle westlicher Einflussnahme bekämpft. Konnte die gesamtdeutsche Kircheneinheit den deutschlandpolitischen Zielen der SED hilfreich sein, wurde die repressive Konfrontationspolitik vorübergehend

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unterbrochen. Zwischen 1950 und 1955 versuchte die SED mehrmals, den gesamtdeutschen Protestantismus in ihrem Kampf gegen die militärische und politische Westbindung des westdeutschen Teilstaats zu instrumentalisieren. Entsprechend der Etappen der Blockintegration der beiden deutschen Staaten verlor sich aber das positive Interesse der DDR an einer kirchlichen Klammerfunktion allmählich. In der großen, die erste Hälfte der fünfziger Jahre prägenden Debatte um Wiederbewaffnung und Westintegration der jungen Bundesrepublik und damit letztlich um den schnellsten und sichersten Weg zur deutschen Wiedervereinigung war die evangelische Kirche zutiefst zerstritten. Obgleich diese noch überwiegend gesamtdeutsch geführten Diskussionen vor den Kulissen des Kalten Krieges stattfanden, markierten die in ihnen deutlich zu Tage tretenden tiefen theologischen und politischen Gegensätze keine innerkirchliche Ost-West-Grenze. Die Trennlinie verlief vielmehr quer zu ihr: zwischen – vereinfacht gesprochen – einem lutherisch geprägten Mehrheitsprotestantismus und einem von Barths Theologie beeinflussten Minderheitsprotestantismus. Grundfragen der politischen Ethik verwoben sich dabei mit friedensethischen Überlegungen und diese wiederum mit nationalen Motiven. Der bruderrätliche Flügel der EKD bezog sich auf die Lehre von der „Königsherrschaft Christi“, nach der kein Bereich von der Herrschaft Christi ausgenommen war und die Christen im Gehorsam gegen Gottes Willen dazu aufgerufen waren, ein Stück der verheißenen Zukunft zeichenhaft vorwegzunehmen, indem sie an der Veränderung der Zustände mitwirkten. In der Wiederbewaffnungsfrage waren die Anhänger dieser politischen Ethik dazu bereit, im Bewusstsein der deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg, die zu einer politisch konkret praktizierten Umkehr zwinge, sowie um der Hoffnung auf eine deutsche Wiedervereinigung willen auf eine militärische Westintegration zu verzichten. Aus einer national-humanitären Haltung heraus appellierten sie an die Kirche, Anwalt der Menschen in der DDR zu sein, die bei einer militärischen Westintegration der Bundesrepublik mit einer Verschlechterung ihrer Lage zu rechnen hätten. Zu den prominenten protestantischen Wiederbewaffnungsgegnern zählten Niemöller, Iwand, Heinemann, Wilm, Gollwitzer und Martin Fischer. Sie gingen jedoch nicht in allen Motiven und Zielsetzungen konform und differierten vor allem in ihrer Haltung zum Westen als gesellschaftliches, kulturelles und wirtschaftliches Leitbild. Die andere Streitpartei lehnte es auf der Grundlage der so genannten lutherischen Zwei-ReicheLehre ab, eine politische Frage wie die Wiederbewaffnung mit der Autorität der Bibel zu beantworten und als Kirche zu vertreten. In ihrer persönlichen politischen Entscheidung schlossen sie sich zumeist der Position der Adenauer-Regierung an, hielten die militärische Westintegration für die Sicherheit und Freiheit der Bundesrepublik für notwendig und Westbindung und Wiedervereinigung im Konzept einer Politik der Stärke für vereinbar. Als entschiedene Gegner der evangelischen Nationalneutralisten taten sich insbesondere Gerstenmaier und Eberhard Müller hervor. Im Laufe der Auseinandersetzungen geriet die EKD mehrmals an den Rand ihrer Existenz; beide Streitparteien griffen sogar auf das Interpretament „Kirchenkampf“ zurück. Aufgrund der inneren Differenzen war es der EKD immer weniger möglich, sich in der Wiederbewaffnungsfrage eindeutig zu positionieren. Die Stellungnahme

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der EKD-Synode im April 1950 konnte noch als national motivierte Ablehnung einer deutschen Wiederbewaffnung gelesen werden. Und auch im August 1950 glaubte der Rat in einer knappen Mehrheitsentscheidung, einer „Remilitarisierung Deutschlands“ nicht das Wort reden zu können. Danach folgten Monate und Jahre der harten Auseinandersetzung im kirchlichen und politischen Raum. Heinemann trat als Innenminister zurück, Stellungnahmen bruderrätlicher Kreise erregten die Öffentlichkeit, Niemöller und Adenauer polemisierten gegeneinander, lutherische Landeskirchen sprachen von „Kirchenkampf“-ähnlichen Zuständen, Bruderschaftsvertreter und SPD-Führung fanden Gemeinsamkeiten in der Wiederbewaffnungsfrage und in der Forderung nach Neuwahlen. Die SED benutzte Äußerungen von Niemöller für den Versuch, die ostdeutsche Pfarrerschaft zu spalten. Im November 1950 relativierte der Rat der EKD seine Aussagen zur „Remilitarisierung“, erkannte den innerkirchlichen Pluralismus in politischen Urteilsfragen an und bat kirchliche Amtsträger um politische Zurückhaltung. Dahinter stand der Wille, die ohnehin fragile kirchliche Gemeinschaft nicht weiter durch politische Kontroversen zu gefährden. Die Kontrahenten formierten sich nun außerhalb der Kirche. Heinemann gründete die „Notgemeinschaft für den Frieden Europas“. Die protestantischen Wiederbewaffnungsbefürworter sammelten sich im „Kronberger Kreis“, um Adenauers Sicherheits- und Deutschlandpolitik zu unterstützen und den Einfluss der Gruppe um Niemöller und Heinemann zurückzudrängen. Diese Ziele verfolgte auch der im März 1952 gegründete Evangelische Arbeitskreis der CDU. Innerkirchlich wurden auf der Synode in Elbingerode noch einmal alle Argumente der Wiederbewaffnungsdebatte ausgetauscht und die Diskussion der Jahre 1950 bis 1952 zu einem gewissen versöhnlichen Abschluss gebracht. Während des Prozesses der politischen Westintegration der Bundesrepublik gingen die Auseinandersetzungen dann zwar weiter, wurden jedoch zumeist im außerkirchlichen Raum ausgetragen – so im Wahlkampfsommer 1953 zwischen Evangelischem Arbeitskreis der CDU/CSU und Heinemanns Gesamtdeutscher Volkspartei. Das Wahldebakel der GVP machte aber deutlich, dass nur ein Bruchteil der westdeutschen Protestanten für das Wagnis, die deutsche Frage auf dem Wege der Neutralisierung zu lösen, zu gewinnen war, und dies obwohl innerhalb der deutschdeutschen Organisations- und Kommunikationsgemeinschaft EKD Modelle eines neutralen, wieder vereinigten Deutschlands mit einer Brückenfunktion zwischen Ost und West eine größere Rolle spielten als anderenorts. Im Winter 1954/55 brach der Streit um die militärische Westintegration und ihre Auswirkungen auf die deutsche Frage jedoch auch innerhalb der evangelischen Kirche noch einmal aus. In dieser Phase verfestigte sich unter den Protestanten in der Regierungskoalition Bitterkeit und Empörung über die protestantischen Nationalneutralisten. Dazu trug auch die Beteiligung prominenter Protestanten an der außerparlamentarischen Paulskirchenbewegung bei, die dort aus ethisch-moralischen Gründen der Wiedervereinigung deutlich die Priorität gegenüber einer militärischen Westbindung einräumten. Innerkirchlich wurde man sich einig, der Haltung gegenüber dem EVG- und dem Deutschlandvertrag nicht die Bedeutung des status confessionis beizumessen. Bleibendes Erbe der Debatten war eine dauerhafte Beschäftigung mit der Friedensfrage sowie das Eintreten

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für den Schutz der Kriegsdienstverweigerung – beides Ausdruck eines gewandelten protestantischen Selbstverständnisses. Ohne inhaltlich Position zu beziehen, forderte die EKD in dieser Zeit wiederholt die politisch Verantwortlichen in beiden Teilstaaten dazu auf, sich zu verständigen. Parallel zu diesen Appellen unternahmen Kirchenvertreter deutschlandpolitische Vermittlungsversuche; in der „Illusionsphase“ kommunistischer Deutschlandpolitik erfolgte dies z. T. auch auf Wunsch der DDR-Führung hin. Sie blieben jedoch alle ohne Erfolg. Im Kontext des Grotewohlbriefes vom Dezember 1950 sprach Kreyssig mit Adenauer und bot Dibelius den Regierungschefs der beiden deutschen Teilstaaten ein Treffen in seinem Haus an. Unterstützung erfuhren sie von Bundestagspräsident Ehlers, der politische und ideelle Westorientierung mit protestantischem gesamtdeutschem Bewusstsein zu versöhnen versuchte und, im Unterschied zu Adenauer, keine sich bietende Chance zu einem gesamtdeutschen Dialog ungenutzt verstreichen lassen wollte, um die Wiedervereinigung voranzubringen. In der zweiten Jahreshälfte 1951 führte Dibelius Gespräche mit McCloy, Adenauer, Tschuikow und Grotewohl. Im November sprachen gleich mehrere EKD-Vertreter mit Adenauer. Der Bundeskanzler erhielt die Zusicherung, dass er von Seiten der evangelischen Kirche keine „Fronde“ zu erwarten hatte. Er wurde aber auch nachdrücklich dazu aufgefordert, Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. Im Zusammenhang mit den Stalin-Noten boten einzelne Kirchenvertreter erneut ihre Vermittlerdienste an. Im April 1952 schlug Dibelius vor, die Kirche könne bei der korrekten Durchführung freier, gesamtdeutscher Wahlen Hilfestellung leisten. Im September unterstützten Kirchenvertreter den Besuch der Volkskammerdelegation in Bonn, den Ehlers gegen den Willen Adenauers durchsetzte. Diese kirchlichen Vermittlungsversuche zugunsten von deutsch-deutschen Gesprächen, Vereinbarungen und Verständigungen über die Wiedervereinigung bedeuteten, vor allem bei Dibelius, keine Ablehnung von Adenauers Kurs. Kritisiert wurden aber seine mangelnde deutsch-deutsche Verhandlungsbereitschaft und seine Ablehnung von deutschlandpolitischen Gesten zur Beruhigung des gesamtdeutschen Bewusstseins. In den Augen auch ihm nahe stehender evangelischer Kirchenvertreter lieferte diese Haltung Adenauers dessen Westintegrationspolitik unter Ost- und Westdeutschen dem Verdacht aus, der Bundeskanzler lasse einen Teil der Nation im Stich. Für diesen Teil aber hatte die EKD im Westen die Anwaltschaft übernommen. Und sie fürchtete, dass der Adenauersche Weg zur Wiedervereinigung für den Erhalt einer gesamtdeutschen Identität unter der DDR-Bevölkerung zu weit sein könnte. Die kirchlichen deutschlandpolitischen Stellungnahmen zielten während des Prozesses der Blockintegration der beiden deutschen Staaten darauf, mit einem Minimum an deutschlandpolitischen Konkretisierungen die Hoffnung auf Wiedervereinigung wach zu halten und gesamtdeutscher Resignation entgegenzuwirken. Dazu zählten auch die kirchlichen Initiativen während und nach der Berliner Außenministerkonferenz Anfang 1954. Auf der EKD-Synode in Berlin Spandau im März wurde der Enttäuschung der Bevölkerung mit einer theologischen und politischen Relativierung der deutschen Frage begegnet. Zugleich forderte die Synode dazu auf, im Praktizieren der kirchlichen Ost-West-Gemeinschaft nicht nachzulassen. Vor dem Hintergrund der

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gesunkenen deutschlandpolitischen Hoffnungen beschränkte sich die EKD in ihren Äußerungen immer mehr auf den Appell, die innere Einheit der Nation zu wahren. Dem Erhalt von gesamtdeutschem und gesamtkirchlichem Bewusstsein dienten auch die beiden großen Deutschen Evangelischen Kirchentage 1951 in Berlin und 1954 in Leipzig einschließlich der Deutschen Evangelischen Jugendtage und der Deutschen Evangelischen Studententage. Während man kirchlicherseits durch die großen Protestantentreffen die grenzübergreifende kirchliche Einheit erlebbar machen und den bedrängten Christen in der DDR den Rücken stärken wollte, verbanden beide deutsche Regierungen ihre je eigenen deutschlandpolitischen Interessen mit dem Großereignis Kirchentag und versuchten sie mittels Vergünstigungen oder Druck durchzusetzen. Die Veranstalter bemühten sich, diese unterschiedlichen Interessen miteinander zu vereinbaren, was zu Kompromissen zwang. Die Tagungsorte führten zwangsläufig zu einer Politisierung des Kirchentags, auch wenn seine Veranstalter stets seinen unpolitischen Charakter und seinen geistlichen Ertrag betonten. Die Erfolgsbilanz hinsichtlich der deutschlandpolitischen Instrumentalisierung des Gemeinschaftsereignisses Kirchentag durch die DDR-Regierung war indes wenig erfreulich; allerdings war auch Adenauer mit den Vorgängen auf den Kirchentagen nicht immer einverstanden, so z. B. 1954 mit einem informellen, gesamtdeutschen Politikertreffen im Rahmen des Kirchentages. Die Kirchen- und Studententage waren in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre zugleich Orte der Reflexion über die deutsche Nation, die auch in der Nachkriegszeit als politisches und kulturelles Deutungsmuster weiterhin präsent blieb. Das Nachdenken über deutsche Nation und deutsche Identität erfolgte allerdings zumeist im Kontext der hoch emotionalisierten Auseinandersetzungen über Wiederbewaffnung und Westintegration. Hinzu kam, dass der Protestantismus in seiner Mehrheit wenig Neigung dazu zeigte, kritisch-konstruktiv über Nation und nationale Identität zu reflektieren und nach einem „geläuterten“ Nationalbewusstsein zu suchen. Dafür gab es – wie auch in der Gesamtbevölkerung – drei Gründe: die nationale Desillusionierung am Ende des Zweiten Weltkrieges, die Verdrängung schuldhafter nationalistischer Vergangenheit und die als selbstverständlich empfundene Forderung nach Wiederherstellung verlorener nationalstaatlicher Einheit. Dennoch gab es auch nach der Stuttgarter Schulderklärung und dem Darmstädter Wort und als deren Wirkungsgeschichte im Protestantismus der fünfziger Jahre Ansätze einer deutschen Identitätssuche. Drei Beispiele seien hier genannt. Auf dem Kirchentag 1952 forderte Ehlers, aus der problematischen Schöpfungstheologie und ihrer politischen Instrumentalisierung während der NS-Zeit die Lehre zu ziehen und die politische Forderung nach Wiederherstellung nationalstaatlicher Einheit nicht religiös zu fundieren. Die Christen sollten hingegen das kulturnationale Bewusstsein wachhalten. Martin Niemöller unterzog auf dem Kirchentag in Hamburg 1953 das deutsche Nationalbewusstsein einer kritischen Reflexion. Explizit wandte er sich gegen den religiös überhöhten, hypertrophen deutschen Nationalismus der ersten Jahrhunderthälfte, dem er nach eigenen Angaben selbst einmal anhing. Gleichzeitig verdeutlichte er in seinem Vortrag seinen nunmehr geschichtstheologisch fundierten, historisch-moralischen Nations-

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entwurf. Ohne den Begriff „Sendung“ zu verwenden, erklärte er, das deutsche Volk habe aufgrund seiner besonderen geopolitischen Lage, in die es Gottes Führung gebracht habe, die „elementare Aufgabe“, „Brücke“ zwischen Ost und West zu sein und zur Völkerverständigung nach West- und Osteuropa hin beizutragen. Nach Niemöller trugen die Deutschen eine historisch-moralische Verantwortung mit- und füreinander, die sie nicht von sich aus aufgeben durften. Die intensivsten Reflexionen über das nationale Erbe und eine neue nationale Identität auf einer protestantischen Großveranstaltung fanden auf dem gesamtdeutschen Studententag im August 1954 statt, wo u. a. Gerhard Ritter referierte. Der Freiburger Historiker wertete in seinen geschichtstheologischen Überlegungen die militärische Niederlage der Deutschen als göttliche Fügung und ihre schwierige Lage nach 1945 als „Herausforderung Gottes“. In seiner Sinngebung von Niederlage und Neubeginn wies auch er den Deutschen besondere Aufgaben zu: Sie sollten zu einer richtigen Verhältnisbestimmung von Autorität und Freiheit finden, die sozialen Aufgaben in einer „Demokratie der Liebe“ lösen und Deutschland zum Vorkämpfer einer europäischen Gemeinschaft machen. Ähnlich wie Niemöller, aber mit anderem Inhalt, deutete somit auch Ritter ältere Muster von deutschem Sonderbewusstsein um. Dieses Phänomen ließ sich demnach sowohl bei linksnationalen als auch bei nationalkonservativen Protestanten finden. Bei den Verantwortlichen der ESGiD endete der Studententag mit der Feststellung, dass die tradierte deutsche Nationsidee kein Zukunftsziel mehr beschreiben konnte. Die Vorstellung vom Volk als Schöpfungsordnung wurde abgelehnt und keine theologische Begründung für die Zwangsläufigkeit der deutschen Wiedervereinigung gefunden. Hingegen fanden sie ex negativo zu einer historisch-moralisch fundierten gesamtdeutschen Identität: Als „Schuldgemeinschaft“ in der Haftung für die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges galt es, noch „gemeinsame Aufgaben“ zu erfüllen. Jahre später wurde für dieses neu geformte protestantische Nationalbewusstsein der Begriff „Verantwortungsgemeinschaft“ gefunden. Ähnlich wie Niemöller und der bruderrätliche Flügel der EKD sahen die Studentenvertreter diese gemeinsamen Aufgaben nach außen in der Versöhnung mit den ehemaligen westlichen und östlichen Kriegsgegnern, nach innen in einer – vermeintlichen – Entideologisierung und in der Suche nach einem gesellschaftspolitischen „dritten Weg“. Bei den ostdeutschen Gemeindevertretern war diese Haltung durch erste ökumenische Begegnungen in der DDR im Jahre 1954 geprägt worden. Die gesamtdeutsche Kircheneinheit wurde in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre innerprotestantisch nicht infrage gestellt. Noch vermittelte sie den ostdeutschen Gliedkirchen Rückhalt, um die kirchliche Unabhängigkeit gegenüber dem Staat aufrechtzuerhalten und als Volkskirche in den Gemeinden bestehen zu können. Obgleich sich die Arbeits- und Wirkungsbedingungen der Kirchen in Ost- und Westdeutschland immer deutlicher voneinander unterschieden, hielten die Protestanten über Kontakte formeller und informeller Art das kirchliche gesamtdeutsche Beziehungsnetz aufrecht. So traten ost- und westdeutsche Kirchenvertreter auch weiterhin gemeinsam in der Ökumene auf. Innerhalb der kirchlichen Rechts- und Organisationsgemeinschaften wurde die Einheit durch amtliche Zusammenarbeit auf allen Ebenen prak-

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tiziert, sofern sie nicht durch das SED-Regime be- oder verhindert wurden. Daneben begegnete man sich auf den gesamtdeutschen Laientreffen wie dem Deutschen Evangelischen Kirchentag einschließlich des Jugendtages und des Studententages. Seit 1954 kamen die Berliner Bibelwochen als gesamtkirchliche Begegnungstagungen hinzu. Weitere Beiträge zur „stillen Wiedervereinigung“ waren die Begegnungen im Rahmen der Patenschaften auf landeskirchlicher, Kirchenkreis- und Gemeindeebene, zwischen kirchlichen Verbänden und Berufsgruppen. Ursprünglich war die Zuordnung von Patenkirchen und Patengemeinden sozial motiviert gewesen und hatte damit asymmetrische Verbindungen geschaffen. Die Besuchsreisen in Ost-West- und West-Ost-Richtung trugen jedoch dazu bei, persönliche, nicht nur auf materielle Hilfeleistungen aufbauende Beziehungen zu schaffen. Im direkten Kontakt wurden aber auch die Unterschiede der politischen, gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse erfahrbar, unter denen man lebte und arbeitete. Sehr viele unmittelbare Kontakte wurden in der evangelischen Studenten- und Jugendarbeit gepflegt. Hier trafen sich jährlich mehrere tausend Jugendliche und Studenten. Waren die Patentreffen anfänglich unorganisiert und dienten dem persönlichen Austausch, so drängten die Verantwortlichen der ESGiD ab Mitte der fünfziger Jahre auf eine Profilveränderung. Sie wünschten eine Akzentverlagerung weg von der zwischenmenschlichen Begegnungsfreizeit und hin zum themenorientierten Begegnungsseminar. Bei der Evangelischen Jugend wurde Mitte der fünfziger Jahre zur konzeptionellen Betreuung, Koordination und Reflexion der Begegnungsarbeit ein Gesamtkirchlicher Ausschuss eingesetzt. Er wurde notwendig, da zu dieser Zeit die DDR die Ausreisegenehmigungen für Jugendliche großzügig handhabte und gleichzeitig die EJD und einige andere konfessionelle bundesdeutsche Jugendverbände für innerdeutsche Begegnungen vermehrt Zuschüsse von Seiten der Bundesregierung erhielten. Innerhalb der AGEJD war es jedoch umstritten, die staatlichen Gelder anzunehmen und sich damit indirekt für nationalpolitische Ziele instrumentalisieren zu lassen. Die Arbeit des Gesamtkirchlichen Ausschusses zielte darauf, die gesamtdeutsche Kommunikationsfähigkeit angesichts der andauernden Teilung zu sichern, u. a. durch eine intensivere Vorbereitung der Begegnungspartner. Die Folge war eine zunehmende Lenkung der protestantischen Begegnungskultur im Jugendbereich. Nach dem Willen der Leitungsebene sollten die Begegnungen in dem Selbstverständnis von den Christen als dem „dritten Geschlecht“ im Systemkonflikt durchgeführt werden. Während der Ideentransfer, wie er auf den großen Kirchentagstreffen und den vielen kleinen Patentreffen stattfand, noch in beide Richtungen erfolgen konnte, verlief hingegen der breite Strom des materiellen und finanziellen Transfers zur Unterstützung von einzelnen Christen, Gemeinden, Landeskirchen sowie kirchlichen Werken und Einrichtungen in der DDR ausschließlich von West nach Ost. Auf westlicher Seite waren die materiellen Hilfeleistungen Ausdruck praktizierter Nächstenliebe zu den wirtschaftlich schlechter gestellten und staatlichen Repressionen ausgesetzten Mitchristen. Man wollte helfen und war – in gewissem Umfange – bereit, zu teilen. Ein großer Teil dieser Hilfe erfolgte aufgrund der ostdeutschen Bestimmungen für den Paketverkehr unmittelbar von Einzelperson zu Einzelperson. Auf kirchenleitender

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Ebene wurde mit den Hilfeleistungen auch das Ziel verfolgt, die volkskirchlichen Strukturen und damit die Präsenz und Prägekraft der Kirche in der DDR-Gesellschaft über die „Durststrecke“ der Teilung hinweg aufrechtzuerhalten. Die Hilfe der westdeutschen Kirchen setzte bereits Ende 1945 ein. Zunächst wurden vor allem Geldund Sachspenden aus dem westlichen Ausland in die SBZ/DDR weitergeleitet. Mit der fortschreitenden wirtschaftlichen Erholung wuchs der Anteil der westdeutschen Leistungen und dominierte schließlich. Instrumente der materiellen und finanziellen Hilfe für die ostdeutschen Kirchen waren seit 1949 die Patenhilfe, seit 1950 der „Kirchliche Hilfsplan“, seit 1953 die Hilfsaktion „Stadt des kirchlichen Wiederaufbaus“ sowie ab 1955 der „Bruderdienst“. Die Formen des Finanztransfers waren zunächst ungeregelt und bewegten sich in einer rechtlichen Grauzone. Zur Finanzierung ihrer Hilfsmaßnahmen für die ostdeutschen Gliedkirchen erhielt die EKD auch staatliche Gelder, vornehmlich über das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen. Während sich die Regierung Adenauer von ihren protestantischen Gegnern nicht von ihrer Politik der konsequenten Westintegration abbringen ließ und diese teilweise als Handlanger des Ostens diffamierte, förderte sie zeitgleich finanziell die kirchliche Einheit im Sinne einer gesamtdeutschen Klammer, welche die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung der deutschen Teilstaaten nach westlichen Vorstellungen wachhalten sollte. Die Kirchen in der DDR galten dabei als antikommunistische Bollwerke des christlichen Abendlandes und Hüterinnen des kulturnationalen Erbes. Folglich war sowohl für die ostdeutsche wie auch für die westdeutsche Regierung die gesamtdeutsche EKD ein Instrument ihrer Deutschlandpolitik und des Kampfes rivalisierender Nationsvorstellungen.

DiekirchlicheEinheit(1956–1961)

2. Die kirchliche Einheit – bedroht und diskutiert (1956–1961) DieaußerordentlicheSynode1956

2.1 Die „Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland“ und die „Einheit des Volkes“ – Vorgeschichte und Verlauf der außerordentlichen Synode 1956 Im Sommer 1955 war für die zwei deutschen Staaten außenpolitisch eine neue Situation entstanden. Die Bundesrepublik wurde im Juni als gleichberechtigtes Mitglied in die NATO und die Westeuropäische Union aufgenommen, die DDR in den Warschauer Pakt. Beide erhielten eine allerdings unterschiedlich weitgehende staatliche Souveränität. Damit verschlechterten sich die Aussichten auf eine Wiedervereinigung gravierend. Mit veränderten Akzenten in einer veränderten Konstellation erklärten die beiden deutschen Regierungen aber weiterhin die Wiederherstellung deutscher Einheit zum Hauptziel ihrer Politik. Nach wie vor überspielten sie die Spaltung Deutschlands durch Vorschläge und Aufrufe zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit1. Und noch immer verstanden sich beide Staaten, jedoch mit unterschiedlicher Legitimität, jeweils als die bessere Hälfte eines zukünftigen Ganzen. Nachdem infolge der Blockintegration im Frühjahr 1955 nur noch 27 % der Bundesbürger die Chancen zur Wiedervereinigung als gut bezeichneten2, wurden Mitte des Jahres in der deutschen Bevölkerung noch einmal für kurze Zeit Einheitshoffnungen wachgerufen. Erstmals seit der Potsdamer Konferenz 1945 berieten auf einem Gipfeltreffen in Genf im Juli die Regierungschefs der vier Siegermächte miteinander. Auf der Tagesordnung stand auch die Deutschlandfrage. In der evangelischen Kirche wurde diese Konferenz mit Fürbittegottesdiensten, Gemeindeversammlungen und vor allem mit viel Hoffnung begleitet. An die verantwortlichen Staatsmänner ergingen Erklärungen, Telegramme und Briefe3. Repräsentanten der GVP reisten zur Genfer Gipfelkonferenz und warben dort erfolglos für den GVP-Vorschlag, die Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR eine gesamtdeutsche provisorische Nationalversammlung wählen zu lassen. Unter der Delegation war auch Niemöller4. Das Genfer Treffen brachte jedoch die Deutschen der staatlichen Einheit nicht näher, seine Ergebnisse belegten vielmehr den Willen der Siegermächte, eine Politik der Entspannung durch die vorläufige Konsolidierung des europäischen Status quo zu verfolgen. Nachdem es unwahrscheinlich geworden war, die Bundesrepublik aus dem westli1 2 3 4

C. KLESSMANN, Staaten, S. 11. HICOG Report Nr. 211, 9.5.1955. Vgl. F. SCHUMACHER, Krieg, S. 186. Zu den kirchlichen Aktionen anlässlich der Genfer Gipfelkonferenz vgl. KJ 82, 1955, S. 63–70. Zu dem gesamten Unternehmen vgl. J. MÜLLER, Volkspartei, S. 370–374.

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Die kirchliche Einheit (1956–1961)

chen Bündnis herauszulösen, konzentrierte sich die Sowjetunion fortan unter Umgehung der deutschen Frage auf die Stabilisierung ihres Machtbereiches. Ihr neues Nahziel lautete: „Friedliche Koexistenz“ mit den Westmächten auf der Grundlage des Status quo. Damit gab sie aber ihre revolutionäre Zielsetzung keineswegs auf, sondern wollte sich vielmehr bessere Voraussetzungen für die „Weltrevolution“ verschaffen. Im Anschluss an die Genfer Konferenz besuchte der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow die DDR und formulierte dort seine „Zwei-Staaten-Theorie“. Danach sollte die Wiedervereinigung künftig Sache der beiden deutschen Staaten sein. Eine „mechanische Wiedervereinigung beider Teile Deutschlands“ und eine Beseitigung der „sozialen Errungenschaften“ der DDR kamen jedoch nicht mehr in Frage. Die DDR-Führung richtete sich auf diesen außen- und deutschlandpolitischen Kurswechsel ein. Sie erklärte fortan, dass ein Einheitsbemühen nur dann Erfolg haben könnte, wenn die „Errungenschaften“ der DDR erhalten und in ganz Deutschland eingeführt würden. Daneben warb die SED für ein kollektives Sicherheitssystem in Europa. Trotz dieser Tendenzen zu einer Verstetigung der Teilung wollten jedoch gerade die ostdeutschen Christen die Wiederherstellung deutscher Einheit noch nicht völlig verloren geben. Nach dem Kenntnisstand der SED wünschte dabei die Mehrheit der Protestanten die westliche Variante der Wiedervereinigung. Karl Kleinschmidt, Schweriner Domprediger und SED-Mitglied, schrieb in einem „Aide-Mémoire“, das er dem für Kirchenpolitik zuständigen ZK-Sekretär Paul Wandel als Grundlage eines Gesprächs „über die gegenwärtige kirchliche Situation“ am 19. September 1955 zusandte: „Die kirchliche Bevölkerung stellt sich in ihrer überwältigenden Mehrheit die Wiedervereinigung Deutschlands in der Form der Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik vor, und eine solche Eingliederung erscheint ihr umso wünschenswerter, je weniger dabei von den Einrichtungen der DDR übrigbleibt. Sie sieht eine wesentliche Aufgabe der Kirche darin, so viele Menschen wie nur irgend möglich dem Einfluss des Marxismus-Leninismus zu entziehen bzw. sie so weitgehend wie möglich dagegen zu immunisieren, um sie ideologisch möglichst ‚unbeschädigt‘ in das à la Adenauer ‚wiedervereinigte‘ Deutschland einbringen zu können.“5

In seiner durchgehend negativen „Analyse über die Tätigkeit der Kirchen beider Konfessionen“ vom 10. Oktober kam Willi Barth, der Leiter der neu eingerichteten Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED6, in Bezug auf die Kirchenführer in der DDR zum gleichen Ergebnis7. 5 SAPMO-BArch BERLIN, DY 30/IV 2/14/2. 6 Für ihre systematische, längerfristig angelegte Kirchenpolitik der „Differenzierung“ und „Unterwanderung“ schuf sich die Partei- und Staatsspitze der DDR zwischen 1954 und 1957 ein breites Instrumentarium. Im neuen kirchenpolitischen Apparat hatte die 1954/55 eingerichtete AG Kirchenfragen im ZK der SED die Aufgabe der übergeordneten parteilichen „Anleitung und Kontrolle“, das im März 1957 gegründete Amt für Kirchenfragen – später Dienststelle des StfK genannt – übernahm die Aufgaben der zentralen staatlichen Administration und die Kirchenabteilung der Staatssicherheit die Überwachung und Information. Zum kirchenpolitischen Apparat der DDR vgl. M. G. GOERNER, Arbeitsgruppe; A. BOYENS, Staatssekretariat; C. VOLLNHALS, Abteilung. 7 „Auch der christlichen Bevölkerung gegenüber propagiert die Kirchenhierarchie den westdeutschen Staat als das erstrebenswerte Ziel [. . .]. Neben einer Reihe von offenen Vertretern der Adenau-

Die außerordentliche Synode 1956

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Die Entschließung, die zwei Tage später von der Kirchlichen Ostkonferenz verabschiedet wurde, bestätigte diese Einschätzung jedoch nicht. In ihr waren die Kirchenvertreter, wie bei deutschlandpolitischen Stellungnahmen üblich, um Ausgewogenheit bemüht. Die Außenminister der vier Siegermächte wurden aufgefordert, den Deutschen das Selbstbestimmungsrecht in einem wieder vereinten Deutschland zu geben, was nicht der Fall wäre, „wenn die von je einem Teile Deutschlands eingegangenen Bindungen von vornherein als unabdingbar für das ganze Deutschland gemacht werden; wenn bestimmte politische und gesellschaftliche Zustände in je einem Teil unseres Vaterlandes der freien Rechtsentscheidung des gesamten Volkes entzogen werden sollen“8.

Der Appell zeigte jedoch keine Wirkung. Die vom 27. Oktober bis 16. November gleichfalls in Genf abgehaltene Außenministerkonferenz endete in der Wiedervereinigungsfrage ergebnislos. Der Status quo verfestigte sich. Die Rechnung der Anhänger von Adenauers Deutschlandpolitik, die Westbindung führe unausweichlich zum staatlichen Zusammenschluss, schien nicht aufzugehen. Dennoch beharrte die Bundesregierung auf ihrer „Politik der Stärke“ gegenüber der DDR. Um die DDR diplomatisch zu isolieren, drohte sie Staaten, die offizielle Verbindungen zum SED-Regime aufnehmen wollten, mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Diese so genannte „Hallstein-Doktrin“ verkündigte Außenminister von Brentano im Dezember 1955. Angesichts der internationalen und innerdeutschen Entwicklung der deutschen Frage machte sich unter der Bevölkerung der DDR Hoffnungslosigkeit breit. Bei den praktizierenden Christen wuchs zudem die Furcht, dass die Zeit der deutschlandpolitisch bedingten Rücksichtnahmen in der Kirchenpolitik nun endgültig vorbei sei. Resignation und Angst drohten zu einer neuen Fluchtwelle zu führen. Um dem entgegenzuwirken, drängten ostdeutsche Kirchenvertreter, allen voran Lothar Kreyssig, die EKD zu einem deutschlandpolitischen Zeichen9. Am 9. Dezember beriet die Kammer für öffentliche Verantwortung über die Wiedervereinigung sowie die Lage der Kirchen in der DDR10. An der Sitzung in Hannover nahm jedoch nur die Hälfte der Mitglieder teil; vor allem viele Westdeutsche fehlten11. Die Anwesenden empfahlen dem Rat der EKD einmütig, möglichst kurzfristig eine Sondertagung der Synode zum Thema „Wiedervereinigung‘“ einzuberufen. Sie nannten sieben Gründe für ein baldiges Wort der Kirche: erpolitik [. . .] hofft der überwiegende Teil der gesamten Geistlichkeit der DDR auf eine Form der Wiedervereinigung auf dem Wege internationaler Verhandlungen, die den politischen Einfluss der Kirche im Gebiet der DDR weitgehend wiederherstellt“ (SAPMO-BArch BERLIN, DY 30/IV 2/14/2). Vgl. zur „Analyse“, dem „Gesellenstück“ der neuen ZK-Abteilung, auch M. G. GOERNER, Kirche, S. 305f. 8 KJ 82, 1955, S. 70f., hier S. 71. 9 Kreyssig an Kunst, 23.11.1955 und Kunst an Kreyssig, 6.12.1955 (EZA BERLIN, 87/96/666). 10 Niemeier an Kammermitglieder, 29.11.1955 (EZA BERLIN, 2/1350). 11 Darunter Raiser, Halfmann, Kunst, Stempel, Osterloh, Iwand und Künneth. Vgl. Niemeier an Wilm, 24.1.1956 (EZA BERLIN, 2/1351). Aus der DDR waren anwesend: Krummacher, Klemm, Grüber, Mitzenheim und Kreyssig.

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Die kirchliche Einheit (1956–1961)

„1.) die Tatsache, dass nach der Genfer Konferenz und auf Grund der allgemeinen weltpolitischen Lage und der besonderen Situation in den einzelnen Staaten des Westens das Thema ‚Wiedervereinigung‘ von der Tagesordnung zu verschwinden droht; 2.) die Tatsache, dass eine starke Depression sich der Bevölkerung in der DDR zu bemächtigen droht; 3.) die Tatsache, dass in der DDR auf Grund der ausbleibenden Wiedervereinigung ein spürbarer Menschen- und Intelligenzverlust einzusetzen droht; 4.) die Tatsache, dass in der DDR mit der Möglichkeit einer Spaltung auch des evangelischen Kirchenvolkes gerechnet werden muß; 5.) die Tatsache, dass sich in der Politik und öffentlichen Meinung in der Bundesrepublik innenpolitische Fragen in den Vordergrund zu schieben drohen; 6.) die Tatsache, dass das Gewicht des Faktischen einer gefährlichen Gewöhnung Vorschub leistet; 7.) die Tatsache, dass namentlich in der DDR ein hilfreiches Wort der Kirche erwartet wird und Schweigen Schuld werden könnte. Selbst wenn es nicht zu einem einmütigen Wort der Synode in der Frage der Wiedervereinigung kommen sollte, würde allein die Tatsache, dass eine Synode unter diesem alleinigen Thema einberufen wird, eine Hilfe bedeuten.“12

Die Sitzungsteilnehmer plädierten dafür, dass in dem kirchlichen Wort freie Wahlen gefordert werden sollten. Für die unbestimmte „Zwischenzeit“ bis zur Wiedervereinigung sollte die Kirche für Rechtssicherheit, Wegfall des politischen Drucks und Entfaltungsmöglichkeiten für Christen eintreten. Denn, so brachte es Grüber auf den Punkt, „zu Hause bleibt nur, wer sich zu Hause fühlt“13. In der Bundesrepublik war der Plan zu einer außerordentlichen Synode über das Thema Wiedervereinigung evangelischen CDU-Politikern wenig willkommen. Elisabeth Schwarzhaupt, Kammermitglied und CDU-Bundestagsabgeordnete, informierte am 13. Dezember Eugen Gerstenmaier über das Vorhaben und bat ihn um eine Stellungnahme. Gerstenmaier, der seit 1954 das Amt des Bundestagspräsidenten innehatte, äußerte sich kritisch bis ablehnend14. In einem anschließenden Telefonat mit Dibelius wurde er deutlicher und riet von der Synode ab. Für den Fall, dass der Rat sich dennoch für sie entscheide, drängte er auf ihre Entpolitisierung. Das Thema sollte dann „Not der Trennung“ lauten. Zudem müsste sichergestellt werden, „dass sich die Debatte nicht in einem politischen Methodenstreit über die Wiedervereinigung totläuft.“ Für eine solche Debatte sprach Gerstenmaier der Synode jede Zuständigkeit ab. Aussagekräftig für sein Staat-Kirche-Verständnis war die Ablehnung Gerstenmaiers, „an etwas mitzuwirken, was die Gefahr mit sich bringe, dass die seitherigen Bemühungen der Bundesregierung und des Bundestages kritisiert und nicht gewürdigt würden.“ Vermutlich aus demselben Grund erhob er Einspruch gegen den von der Kammer vorgeschlagenen Redner Helmut Gollwitzer. Mit dem Cottbuser Generalsuperintendenten Jacob als Vortragendem zeigte er sich hingegen einverstanden. Im Falle einer Synode schlug er vor, ein Wort an die Gemeinden zu richten und Bittgottesdienste für die Kirchen der EKD auszuschreiben. Noch am selben Tag telefonierte Gerstenmaier mit Adenauer über die Angelegenheit, um dessen „Meinung über die

12 Niederschrift Niemeiers über die Verhandlungen (EZA BERLIN, 2/1350). 13 EBD. 14 Aufzeichnung Gerstenmaiers vom 13.12.1955 (BArch KOBLENZ, B 136/2130).

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politische Zweckmäßigkeit“ zu erfahren15. Die Quellen geben keine Auskunft darüber, ob Adenauer über Gerstenmaier Einfluss auf den weiteren Entscheidungsprozess in der EKD nahm. Am 16. Dezember lehnte der Rat der EKD den Kammervorschlag ab. In der Begründung für die Ablehnung reduzierte er die Bedeutung des nationalstaatlichen Ziels, indem er erklärte, „dass die eigentliche Not nicht die Trennung der beiden Teile Deutschlands sei, sondern die Tatsache, dass ein Teil Deutschlands unter einem politischen Druck leide“16. Anstelle der „politische[n] Demonstration“ einer Synode wurde im Rat das „rein kirchliche Mittel eines Bittgottesdienstes“ vorgeschlagen. Eine knappe Mehrheit entschloss sich für einen solchen Gottesdienst in Verbindung mit einer Kirchenkonferenz und anschließenden Bittgottesdiensten in den Gemeinden. Die Kammer für öffentliche Verantwortung sollte diese Möglichkeit beraten und einen Vorschlag für deren Umsetzung erarbeiten. Der Ratsbeschluss löste unter den Kammermitgliedern geteilte Reaktionen aus. Günter Jacob etwa teilte die Meinung, dass es zu keiner außerordentlichen Synode kommen sollte, entwickelte gleichzeitig aber einen viel weiter gehenden Plan zur Frage „Was kann die EKiD heute zur Wiedervereinigung tun?“17 Der Rat sollte einen „Ausschuss der EKiD für gesamtdeutsche Fragen“ berufen, bestehend aus Kreyssig, Hildebrandt, Raiser, Thadden und Ernst Friedlaender. Dieser Ausschuss hätte gemeinsam mit der Kammer für öffentliche Verantwortung zu beraten, ob die EKD den so genannten Friedlaender-Plan aufgreifen könnte. Der Journalist und „protestantisch-intellektuelle Europa-Idealist“ Friedlaender hatte zwischen 1950 und 1954 Adenauers Europa- und Deutschlandpolitik unterstützt. Nach der Unterzeichnung der Pariser Verträge rückte er aber immer deutlicher von der Position des Bundeskanzlers ab18. Als Präsident der Europa-Union Deutschland entwickelte er auf dem Kongress der Europa-Union Ende November 1955 in einem Referat über „Deutsche Wiedervereinigung – ein europäisches Anliegen“ seinen DeutschlandPlan19. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war, von der „Zwangsvorstellung der Wiedervereinigung in einem Zuge“ abzulassen und sich dem Einheitsziel in Etappen zu nähern. Eine erste Etappe auf dem Weg zu einem „ganze[n] und freie[n] Deutschland im ganzen und freien Europa“ sah Friedlaender und mit ihm die Europa-Union Deutschland in der Bildung einer gesamtdeutschen Verhandlungskommission20. Aus freien Wahlen sollte eine Nationalversammlung hervorgehen, deren langfristige Aufgabe es war, eine Verfassung auszuarbeiten. Zunächst aber würde sie aus ihrer Mitte eine gesamtdeutsche Vertretung bestellen. Diese sollte mit den vier Mächten über einen Frie15 Gerstenmaier an Adenauer mit dem handschriftlichen Vermerk: „Telefonisch erledigt. 13.12.“ (EBD.). 16 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates am 15./16.12.1955 (EZA BERLIN, 2/1351). 17 EZA BERLIN, 2/1351. 18 Im Sommer 1956 machte er dann auch offen gegen Adenauer Front. Vgl. N. FREI, Friedlaender, S. 30f. 19 Das Referat ist abgedruckt in der Dezember-Ausgabe der „Europa-Union“ von 1955, S. 4. 20 Entschließung des Kongresses vom 27.11.1955. EBD.

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densvertrag verhandeln, in dem auch der internationale Status Deutschlands festgelegt wurde. Im Falle, dass die Verhandlungen Erfolg hätten, könnte es zu einer Wiedervereinigung kommen. Bis es soweit war, würden die Bundesrepublik und die DDR weiter existieren. Bliebe der Erfolg aus, wäre auch die Wiedervereinigung gescheitert. Die Westmächte und die Bundesregierung sollten diesen Vorschlag zum Mindestprogramm der deutschen Wiedervereinigung erklären und der Sowjetunion unterbreiten. Der Plan enthielt die geringst mögliche Forderung an die Sowjetunion, da mit den freien Wahlen der sowjetische Zugriff auf die DDR noch nicht preisgegeben wurde. Lehnte die Sowjetunion den Vorschlag ab, so Friedlaender, würde sie damit unabhängig von den Pariser Verträgen „der Demokratie die erste Chance verweiger[n]“21. Jacob stufte diesen Plan als risikoarm ein, da bei seinem Scheitern alles beim Alten blieb. Hinsichtlich seines „Initialaktes“ hielt er ihn allerdings für veränderungsbedürftig. Hier wollte er den ostdeutschen Forderungen sehr viel weiter entgegenkommen als Friedlaender und die Europa-Union. Das Stichwort „freie Wahlen“ sollte aus Rücksicht auf die „östliche Mentalität“ vermieden und der Zusammenschluss mehrerer Parteien zu einer Einheitsliste ermöglicht werden. Kammer und Ausschuss sollten sich überlegen, welche konkreten Schritte sie bei den beiden Regierungen unternehmen könnten, um „im stellvertretenden Dienst der Kirche“ die Herstellung von Kontakten zu ermöglichen. Falls die Beratungen, so Jacobs Überlegung, zu einem positiven und von Rat und Kirchenkonferenz gebilligten Ergebnis kämen, könnten im Mai 1956 in der Ost-Berliner Marienkirche ein Bittgottesdienst veranstaltet und der gesamtdeutsche Ausschuss offiziell eingesetzt werden. Im Anschluss würde der Ausschussvorsitzende ein Memorandum verlesen und damit den Friedlaender- oder einen ähnlichen Plan in der Verantwortung der Kirche an die Öffentlichkeit tragen sowie die weiteren Schritte des Ausschusses ankündigen. In der Folgezeit sollten dann die Verhandlungen des eigenverantwortlich handelnden Ausschusses mit den Regierungen in Bonn und Ost-Berlin beginnen. Im Hinblick auf eine Synode, die dem Bittgottesdienst vorausgehen und das Memorandum auf ihre Verantwortung nehmen sollte, sah Jacob unüberwindliche Schwierigkeiten, „da ein großer Teil der Synodalen aus theologischen Überzeugungen nicht bereit sein wird, einen stellvertretenden Dienst der Kirche im aktuellen politischen Handeln gut zu heißen.“ Obwohl er selbst nicht glaubte, dass angesichts der weltpolitischen Lage eine Chance für eine Wiedervereinigung bestand, war Jacob doch der Ansicht, die Kirche müsse ihre Bedenken zurückstellen und „politische Diakonie“ üben, um „17 Millionen Menschen zu einem Leben in Freiheit zu verhelfen und sie vor der Verzweiflung zu bewahren“. Aus ähnlichen Motiven planten zur gleichen Zeit auch andere ostdeutsche Kirchenvertreter gemeinsam mit westdeutschen Protestanten eine deutschlandpolitische Ini21 EBD. Der Entschließung der Europa-Union folgte ein öffentlicher Briefwechsel zwischen Friedlaender und dem Präsidenten der Paneuropa-Union und Ehrenpräsidenten der Europa-Bewegung Richard Coudenhove-Kalergi. Letzterer warf der Europa-Union eine Neutralismuspolitik vor, was Friedlaender energisch von sich wies. Exemplare des gedruckten Briefwechsels befinden sich im EZA BERLIN, 614/2.

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tiative. Nach ihrem Plan sollten mindestens 5.000 stimmberechtigte DDR-Bürger eine Erklärung an ihre Regierung unterzeichnen und die Durchführung eines Volksbegehrens gemäß Art. 87,2 der DDR-Verfassung beantragen. In diesem Volksbegehren hätte die ostdeutsche Bevölkerung über den Erlass eines Gesetzes zu entscheiden, das den Präsidenten sowie den Vorsitzenden des Ministerrates der DDR beauftragte, die vier Siegermächte dazu aufzufordern, allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahlen zu einer Nationalversammlung in ganz Deutschland unter der Kontrolle von Vertretern neutraler, europäischer Staaten zuzustimmen. Für die Durchführung der Wahlen sollten die vier Mächte einen gesamtdeutschen Rat einsetzen und ihn beauftragen, eine Wahlordnung zu erlassen. Würden die Siegermächte einem solchen Vorgehen nicht zustimmen, sollte der Präsident der DDR die Aufmerksamkeit der Vereinten Nationen auf diese Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen lenken. Ausgearbeitet hatten diesen Plan der Dortmunder Rechtsanwalt Walther Knaut und der Magdeburger Konsistorialrat Herbert Hemprich22, im Mittelpunkt des „Verschwörerkreises“ stand jedoch Präses Lothar Kreyssig. Im Januar drängte Kreyssig in der Kammersitzung nachdrücklich auf einen kirchlichen Beitrag zur Wiedervereinigung und daher auf die Einberufung einer außerordentlichen Synode zu diesem Thema. Ein Gleiches taten die übrigen ostdeutschen Sitzungsteilnehmer Hermann Klemm, Johannes Hamel, Heinrich Grüber sowie die Berliner Superintendenten Siegfried Ringhandt und Max Rahmel23. Die beiden Letzteren vertraten als Gäste ein Votum des Öffentlichkeitsausschusses der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, der sich entschieden für eine Sondertagung der Synode zum Thema Wiedervereinigung aussprach. Nach einer heftigen Diskussion über Nutzen und Schaden einer solchen Tagung zu diesem Zeitpunkt votierten in der Schlussabstimmung sechs der Anwesenden dafür und fünf dagegen, den Rat um die Einberufung einer Synode zu bitten24. Bei den schriftlichen Voten der verhinderten Kammermitglieder war das Stimmenverhältnis 1:6; die einzige positive Stimme kam von Krummacher, der inzwischen Bischof der Pommerschen Evangelischen Kirche geworden war25. Der Rat lehnte daraufhin die Bitte der Kammer ab und stellte stattdessen für Mai eine Kirchenkonferenz mit Bittgottesdienst in Aussicht26. In der Zwischenzeit verschlechterte sich das Verhältnis von Staat und Kirche in der DDR deutlich. Seit dem Scheitern der Genfer Außenministerkonferenz hatten die ostdeutschen Kirchen nicht allein gegen eine „Woge tiefer Depression“ unter ihren Gliedern anzukämpfen27, sie waren auch wachsendem ideologischem Druck und zuneh22 Knaut und Hemprich legten am 7.12.1955 erste Gesetzesentwürfe vor. Die endgültigen Entwürfe wurden auf einer Sitzung am 16.–18.1.1956 besprochen (EZA BERLIN, 614/2). 23 Die Namen der anwesenden ostdeutschen kirchlichen Amtsträger sind in einem Schreiben Niemeiers an Wilm vom 24.1.1956 enthalten (EZA BERLIN, 2/1351). 24 Niederschrift Niemeiers über die Verhandlungen der KföV am 11.1.1956 in Bonn (EBD.). 25 Krummacher an Kirchenkanzlei, 6.1.1956 (EBD.). 26 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 16./17.1.1956 (EZA BERLIN, 4/138). 27 Dibelius in einer Predigt in der Marienkirche am 2. Advent 1955. Zitiert nach: KJ 82, 1955, S. 166.

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menden Repressalien von Seiten des Staates ausgesetzt. Die Phase einer Mäßigung der repressiven Kirchenpolitik der SED aus deutschlandpolitischen Rücksichten war vorüber. Die seit Frühjahr 1955 laufende Propaganda für die Jugendweihe wurde verstärkt, kirchliche Zeitschriften beschlagnahmt, die Arbeit der Studentengemeinden erschwert28. Im Januar 1956 verschärfte sich der aggressive kirchenpolitische Kurs der SED weiter. Mehrere Mitglieder der Bahnhofsmission wurden unter dem Vorwurf der Spionage verhaftet, die Polemik in der Presse verstärkte sich und die politischen Angriffe gegen die Kirche nahmen immer bedrohlichere Formen an29. Angesichts dieser Lage und der berechtigten Sorge, die Maßnahmen des Staates zielten auf eine Abspaltung der ostdeutschen Gliedkirchen, beantragte die Kirchliche Ostkonferenz bei Rat und Kirchenkonferenz der EKD die Einberufung einer außerordentlichen Synode30. Ein Gespräch mit Innenminister Karl Maron am 10. Februar, das auf Bitten der Kirchen hin zustande gekommen war, bestätigte die Befürchtungen der ostdeutschen Kirchenvertreter. Maron verlas ihnen eine umfangreiche, vorformulierte „Erklärung“ der SED-Führung mit einer Vielzahl von schweren Anschuldigungen. Deren Tenor lautete: Die Kirchen fördern den Kalten Krieg gegen die DDR, sie unterstützen die aggressive westdeutsche NATO-Politik und sie verhindern ein loyales Verhalten christlicher Bürger gegenüber ihrem Staat. Die Konflikte zwischen Staat und Kirche könnten erst ausgeräumt werden, wenn die Kirchenleitungen durch eine öffentliche Loyalitätsbekundung eine positivere Haltung gegenüber der DDR und ihrer Friedenspolitik demonstrierten31. Derartige Aufforderungen an die Kirchen, ihre „Überwinterungshaltung“ aufzugeben und die DDR offen anzuerkennen, äußerten Partei- und Staatsfunktionäre seit die DDR ihre formelle staatliche Souveränität erhalten hatte. Sie erhofften sich, durch eine solche Loyalitätserklärung den „reaktionären“ Kirchenleitungen eine Niederlage zuzufügen und die Laien für eine Mitarbeit am „großen Werk des Aufbaus des Sozialismus auf deutschem Boden“ zu gewinnen32. Zugleich sollte sie zu einer Entfremdung zwischen den Kirchenleitungen in der DDR und denen in der Bundesrepublik führen33. Beides würde dem übergeordneten Ziel der Herrschaftssicherung der SED dienen34. Da die von Maron präsentierte und anschließend publizierte Anklageschrift auch einige Andeutungen über eine mögliche Unterbindung der gemeinsamen EKD-Arbeit enthielt, titelte der Berliner „Tagesspiegel“ am 15. Februar: „Pankow bedroht die Einheit der Evangelischen Kirche“. Einen Tag später beschloss die Synode der Pommerschen Evangelischen Kirche einstimmig eine Erklärung, in der es hieß: 28 Vgl. den Bericht EBD., S. 166ff. Zur Auseinandersetzung um die Jugendweihe s. u. Kap. 2.2. 29 Vgl. KJ 83, 1956, S. 144–149. 30 Vgl. Niederschrift über die Kirchliche Ostkonferenz am 18.1.1956 und am 9.2.1956 (EZA BERLIN, 104/99). 31 Vgl. KJ 83, 1956, S. 149–154. 32 Vgl. SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 106. 33 Diese Differenzierungsstrategie auf zwei Ebenen kam auch in der Rede Grotewohls auf der 3. Parteikonferenz der SED am 28.3.1956 in Berlin zum Ausdruck. Vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 311. 34 EBD., S. 397.

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„Angesichts der gegenwärtigen ernsten Lage erscheint die Einberufung einer außerordentlichen Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland notwendig, die sich zur untrennbaren Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland bekennt und die Frage der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes und der Erhaltung des Friedens fördert.“35

Auch Kreyssig hoffte nunmehr, im Rat eine außerordentliche Synode durchsetzen zu können, „deren Thema die Situation im Osten in ihrer unmittelbaren Beziehung zur Wiedervereinigungsfrage sein sollte“. „Es wird sehr wichtig sein“, schrieb er am 6. März an den CDU-Bundestagsabgeordneten und späteren Minister für gesamtdeutsche Fragen Ernst Lemmer, „wenn in zwei Linien die evangelische Christenheit hinter uns aufmarschiert, Ende Juni in Gestalt der Synode, Anfang August in Gestalt des Deutschen Evangelischen Kirchentages.“36 „Uns“, das war der Kreis um Kreyssig und seine Pläne zu einer gesamtdeutschen Initiative. In diese waren inzwischen neben Lemmer37 auch Hermann Kunst38, Klaus von Bismarck39 sowie der ehemalige Reichstagspräsident und Präsident des 1954 gegründeten Kuratoriums Unteilbares Deutschland40 Paul Löbe (SPD)41 eingeweiht. Ernst Friedlaender war durch Knaut ohne Nennung der weiteren Beteiligten um seine Meinung zu dem Plan befragt worden42. Um schneller voran zu kommen, hatte ein kleiner Arbeitskreis, bestehend aus Kreyssig, Knaut, Hildebrandt, Jacob und Kurt Scharf den ursprünglichen Plan des „legalen Staatsstreichs“43 inzwischen um die Bildung einer „gesamtdeutschen Vertretung“ erweitert. Deren Aufgabe sollte es sein, „die für die Verwirklichung des Mitbestimmungsrechts notwendigen Schritte durch Verhandlungen mit den Regierungen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik einzuleiten“44. Die Notwendigkeit, ihr Vorhaben zu beschleunigen, ergab sich durch die schnelle Aufrüstung der beiden deutschen Staaten45. Vorstöße zu einer Militarisierung der DDR-Gesellschaft hatte es schon 1955 gegeben. So waren bei der offiziellen Mai-De35 Zitiert nach: KJ 83, 1956, S. 176. Krummacher sandte diese Aufforderung am 18.2.1956 an den Ratsvorsitzenden Dibelius (EZA BERLIN, 104/57). 36 EZA BERLIN, 614/2. 37 Lemmer erklärte sich in einem Schreiben vom 10.2.1956 zu einer Mitarbeit bereit (EZA BERLIN, 614/2). 38 Knaut an Kreyssig, 19.1.1956 (EBD.). 39 Bismarck war jedoch gegenüber den Plänen noch etwas skeptisch. Vgl. Knaut an Kreyssig, 1.3.1956 (EBD.). Nach einem Gespräch mit Kreyssig am 17.5.1956 zeigte er sich „geneigter, mitzutun“. Vgl. Kreyssig an Knaut, 18.5.1956 (EBD.). 40 Das Kuratorium Unteilbares Deutschland sollte eine Volksbewegung für die Wiedervereinigung schaffen. Tatsächlich nahmen in den 50er und 60er Jahren jährlich Millionen Menschen an den Veranstaltungen des Kuratoriums zum Tag der deutschen Einheit teil. Vgl. zur Geschichte des Kuratoriums C. MEYER, Doppelstrategie. 41 Lemmers an Kreyssig, 8.3.1956 (EZA BERLIN, 614/2). 42 Knaut an Friedlaender, 31.1.1956 (EBD.). Ein Antwortschreiben Friedlaenders konnte nicht ermittelt werden. 43 Knaut an Kreyssig, 1.3.1956 (EBD.). 44 EZA BERLIN, 614/2. Dort auch weitere Fassungen der „Proklamation“. 45 In einer der Fassungen der „Proklamation“ hieß es: „Jetzt sind beide [deutsche Staaten, C. L.] im Begriff, sich neu zu bewaffnen. Gefahr ist in Verzug“ (EZA BERLIN, 614/2).

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monstration erstmalig Angehörige der „Kampfgruppen“ aufmarschiert, und sowohl das Parlament der FDJ wie auch der Bundeskongress des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes hatten im Mai und Juni zum „bewaffneten Schutz der Jugend“ aufgerufen. Am 18. Januar 1956 verabschiedete die Volkskammer das Gesetz über die Nationale Volksarmee (NVA). Sechs Wochen darauf wurden bereits die ersten Einheiten gebildet, die unmittelbar dem Oberkommando der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Paktes unterstellt waren. Bis 1962 blieb die NVA eine Armee von Freiwilligen, die aber unter hohem gesellschaftlichem Druck geworben wurden. In der Bundesrepublik ging man bereits 1956 daran, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen. Die Entscheidung hierüber dominierte die deutschland- und innenpolitischen Auseinandersetzungen des Jahres und ließ auch noch einmal den innerkirchlichen Konflikt über die politische Verantwortung der Kirche aufbrechen46. Die Sorge um die gesamtdeutsche Entwicklung und die Einheit der EKD im Zusammenhang mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik veranlasste die hessischen EKD-Synodalen47 sowie 240 west- und ostdeutsche Teilnehmer der Tagung der Gesellschaft für evangelische Theologie in Wuppertal-Elberfeld, den Rat der EKD ebenfalls um die Einberufung einer Synode zu bitten48. Von ostdeutschen und westdeutschen Kirchenvertretern und Theologen dazu gedrängt, beraumte der Rat für Ende Juni eine außerordentliche Tagung der Synode in Berlin an49. Ihr offizielles Thema war aber nicht – wie ursprünglich intendiert – die „Wiedervereinigung“, sondern lautete: „Raum (bzw. Freiheit) für das Evangelium in Ost und West!“50 In der Zeit bis zur Synode kam in der bundesrepublikanischen Parteienlandschaft etwas Bewegung in die Deutschlandpolitik, vornehmlich bei den Freien Demokraten. Am 25. Februar 1956 verließ die FDP vorwiegend auf Grund deutschlandpolitischer Differenzen mit der CDU/CSU die Regierungskoalition und präsentierte der Öffentlichkeit in den Folgemonaten alternative deutschlandpolitische Konzepte51. Auch der Kreis um Kreyssig blieb in diesen Monaten nicht untätig. Hildebrandt trug im April den Vorschlag zur Bildung einer gesamtdeutschen Vertretung im Öffentlichkeitsausschuss der EKU vor52. Vom 9. bis 13. Mai fand in West-Berlin eine gemeinsame Tagung 46 Vgl. KJ 83, 1956, S. 34–43. 47 Wilhelmi an Dietze, 16.2.1956 [Abschrift] (EZA BERLIN, 87/958). 48 Der Aufruf der Theologen zur „Sofortige[n] Einberufung der Synode der EKD“ ist abgedruckt in: SGKL 8, 1956, S. 172. 49 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 16.3.1956 (EZA BERLIN, 2/1084). 50 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 7./8.5.1956 (EBD.). 51 Im März regte der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Erich Mende als Voraussetzung für gesamtdeutsche freie Wahlen den Austritt der beiden deutschen Staaten aus ihren Bündnissystemen an. Der Bundesvorsitzende der FDP Thomas Dehler schlug im Mai vor, eine gesamtdeutsche Volksbefragung über die Zugehörigkeit Deutschlands zu einem kollektiven Sicherheitssystem durchzuführen, und stieß damit lediglich in der DDR auf positive Resonanz. In der Hoffnung, auf diesem Wege in der Deutschlandfrage voranzukommen, nahmen kurz darauf FDP-Vertreter Kontakt zur ostdeutschen LDPD auf und vereinbarten ein Treffen für Juli. Vgl. C. BRAUERS, Deutschlandpolitik, S. 87–97 sowie R. ENGELMANN, Verbindungen, S. 13–21. 52 Kreyssig an Knaut, 28.4.1956 (EZA BERLIN, 614/2).

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der Evangelischen Akademien Berlin und Arnoldshain über das Thema „Wiedervereinigung und Koexistenz“ statt. Dort referierten vor Teilnehmern aus Ost- und Westdeutschland u. a. Ernst Lemmer, Heinrich Albertz und Wilhelm Wolfgang Schütz, der Geschäftsführer des Kuratoriums Unteilbares Deutschland53. In den Referaten wie in der Diskussion wurde mehrfach die Sorge über eine internationale und innerdeutsche Stagnation in der deutschen Frage ausgesprochen. Parteiübergreifend war man sich einig, dass die Bundesrepublik eine aktivere Wiedervereinigungspolitik betreiben müsse und der bevorstehende Bundestagswahlkampf keinesfalls zu einer erneuten Verhärtung der deutschlandpolitischen Fronten führen dürfe. Aufgabe der Christen sei es, sich für Verständigung, Achtung und Annäherung der Standpunkte einzusetzen. Im Anschluss an die Tagung schrieb der Akademiedirektor Hans Kallenbach in Absprache mit Kreyssig an Eberhard Müller und Rudolf von Thadden. Ziel des Briefes war es, sowohl den Leiterkreis der evangelischen Akademien wie auch das Kirchentagspräsidium für eine deutschlandpolitische Initiative zu gewinnen54. Die bundesdeutschen Parteien sollten dazu gebracht werden, in der Deutschlandpolitik möglichst gemeinsam zu agieren. Zu diesem Zweck wollte man Anfang Juli eine Tagung mit führenden Vertretern von CDU, SPD und FDP veranstalten. Auf dem Kirchentag im August sollte dann ein Wort an die evangelischen Christen gerichtet werden. Die Antwort von Müller fiel skeptisch aus. Ihm ging es vornehmlich darum, zu verhindern, dass von Seiten der Kirche etwas geschah, was „letzten Endes zugunsten der russischen Koexistenz-Propaganda wirken könnte.“55 Am Montag nach der Berliner Tagung kamen Kreyssig, Lemmer, Schütz und der Leiter der Evangelischen Akademie Berlin Erich Müller-Gangloff noch einmal zusammen. Die drei letzteren hielten den ursprünglichen Plan von Kreyssig, den sie als „Thomas Münzer“ bezeichneten56, für zu weit greifend57. Sie wollten nichts unternehmen, was die Siegermächte und Bonn sofort zum Widerspruch reizen würde. Daher sollte das Vorhaben zunächst auf den ersten Schritt, d. h. die Bildung einer gesamtdeutschen Vertretung, reduziert werden. Man einigte sich dabei auf folgendes Verfahren: Ungefähr eine Woche vor der Synode sollte die gesamtdeutsche Vertretung durch ihre ostdeutschen Mitglieder proklamiert werden. In Reaktion auf den zu erwartenden Protest in der Bundesrepublik würden sich die westdeutschen Mitglieder mit der Proklamation solidarisch erklären und so die gesamtdeutsche Vertretung in Berlin konstituieren. Lemmer und Schütz, der zu diesem Zeitpunkt auch politischer Berater des Ministers für gesamtdeutsche Fragen Jakob Kaiser war, wollten sich die Aufgabe teilen, westdeutsche Politiker über das Vorhaben zu informieren. Kreyssig und die

53 Wiedervereinigung und Koexistenz. In: Der Tag, 15.5.1956 (Zeitungsausschnitt im EZA BERLIN, 614/40). 54 Kallenbach an E. Müller und Thadden, 17.5.1956 (AEAA 335). Vgl. auch R. J. TREIDEL, Akademien, S. 216. 55 Müller an Kallenbach und Kreyssig, 23.5.1956 (EZA BERLIN, 614/40). 56 Kreyssig an Knaut, 26.5.1956 (EZA BERLIN, 614/2). 57 Kreyssig an Knaut, 18.5.1956 (EBD.).

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übrigen ostdeutschen Beteiligten sollten in der DDR die geeigneten Mitglieder für die gesamtdeutsche Vertretung finden. Nachdem auch gegenüber dieser Vorgehensweise Bedenken aufkamen58, einigte man sich auf einer Sitzung am 18. Mai, die beim Minister für gesamtdeutsche Fragen Jakob Kaiser stattfand59, die Sache allein auf kirchlicher Ebene weiter zu verfolgen. Knaut entwarf daraufhin einen Synodalbeschluss60. In diesem berief die Synode „um der Not der Menschen willen“ je drei ihrer Mitglieder aus den ost- und den westdeutschen Gliedkirchen und beauftragte sie, in Zusammenarbeit mit Institutionen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens alle geeigneten Schritte zur Bildung einer provisorischen gesamtdeutschen Vertretung zu unternehmen. Diese provisorische Vertretung sollte „ein Organ der Mitsprache aller Deutschen in der Frage der Wiedervereinigung“ sein, „selbst aber weder Regierungsgewalt ausüben noch in internationale Verpflichtungen, welche Deutschland als Ganzes oder Teile davon betreffen, eingreifen.“ Ihre Aufgaben bestanden darin, Richtlinien und Vorschläge für die rechtliche, wirtschaftliche und politische Gestaltung Gesamtdeutschlands auszuarbeiten und mit den beteiligten Regierungen zu erörtern, eine Wahlordnung für gesamtdeutsche Wahlen zu einer Nationalversammlung zu erarbeiten sowie mit den Siegermächten vorbereitende Verhandlungen über Übergangsregelungen, den künftigen Status Gesamtdeutschlands und den Abschluss eines Friedensvertrages zu führen. All dies hatte ohne Kontrolle und Weisungen der deutschen Regierungen zu erfolgen. Fünf Tage vor Beginn der Synode trug Kreyssig den aktuellen Plan Dibelius vor61. In seinem Tagebuch bezeichnete der Ratsvorsitzende das Vorhaben als „romantische[n] Unsinn!“62 Kreyssig dagegen glaubte, in dem Gespräch die zunächst ablehnende Haltung von Dibelius ins Schwanken gebracht zu haben. Er schloss dies aus dem Umstand, dass Dibelius erwog, in einer Unterredung mit dem Volkskammerpräsidenten Dieckmann herauszufinden, inwieweit die DDR-Führung einen Ansatzpunkt für einen solchen Plan bot63. Tatsächlich kam es einen Tag vor Beginn der Synode zu einem Gespräch zwischen Dibelius und Dieckmann über die möglichen Wege zu einer Wiedervereinigung. Dem Treffen war ein öffentlicher Briefwechsel zwischen den beiden vorausgegangen, in dem es ursprünglich um eine gesetzliche Regelung des Schutzes von Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen ging, dann aber auch

58 Am 26.5. schrieb Kreyssig an Knaut, dass Schütz „merklich weiter zurücksteckt“ (EZA BERLIN, 614/2). Knaut stellte daraufhin in seiner Antwort vom 5.6.1956 die Frage, ob nicht die Ostdeutschen alleine tätig werden sollten (EBD.). 59 Am 14.6. informierte Kreyssig schriftlich Hildebrandt über den Treffpunkt (EZA BERLIN, 614/40). Ob Kaiser bei dem Treffen anwesend war, ist nicht bekannt. Der CDU-Politiker Kaiser vertrat sowohl gegenüber Adenauer als auch der SPD eine eigenständige deutschlandpolitische Position, die auf eine Neutralität Gesamtdeutschlands zielte. Vgl. hierzu: C. MEYER, Doppelstrategie, S. 19–22. 60 Knaut sandte am 20.6.1956 Kreyssig den Entwurf zu (EZA BERLIN, 614/2). 61 Am 14.5. hatte Kreyssig Dibelius seine damaligen Pläne vorgetragen und anschließend auch in schriftlicher Form zukommen lassen. Kreyssig an Dibelius, 18.5.1956 (EZA BERLIN, 614/40). 62 Tagebucheintrag vom 22.6.1956 (BArch KOBLENZ, N 1439/4). 63 Kreyssig an Hildebrandt, 23.6.1956 (EZA BERLIN, 614/40).

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die Wiedervereinigungsproblematik angesprochen wurde64. Bei der Begegnung am 26. Juni schlug Dibelius einer Aktennotiz Dieckmanns zufolge65 vor, dass die DDR bis zu einer endgültigen Wiedervereinigung für ungefähr noch zehn Jahre mit allen ihren Einrichtungen als eine Art „Reichsland“ weiterbestehen sollte. Der Volkskammerpräsident lehnte dies entschieden ab. Stattdessen forderte er von der EKD, dass sie sich für Verhandlungen zwischen den zwei deutschen Staaten als gleichberechtigten Partnern einsetze, sich gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ausspreche und die Existenz der beiden deutschen Staaten anerkenne. Zum Schluss, so vermerkte der Volkskammerpräsident in seiner Gesprächsnotiz, habe er darauf hingewiesen, dass bei einem entsprechenden Verlauf der Synode „sehr viele heute trennende Dinge ihre gute Lösung finden könnten.“66 Ebenfalls einen Tag vor Synodenbeginn waren Scharf, Hildebrandt, Grüber sowie Kreyssig bei Otto Nuschke, um ihn über ihre Pläne zu informieren. Der Leiter der Hauptabteilung „Verbindung zu den Kirchen“ hatte sich in den zurückliegenden Jahren vehement und anhaltend für die deutsche Wiedervereinigung engagiert und sich noch Ende Mai 1956 – erfolglos – dafür eingesetzt, die Politik gegenüber den Kirchen für eine weitere deutschlandpolitische Instrumentalisierung offen zu halten67. Doch war sein kirchenpolitischer Einfluss in der DDR zu diesem Zeitpunkt bereits stark im Schwinden. So konnte es nichts nutzen, dass Nuschke im Gespräch am 26. Juni für die ihm vorgetragenen Pläne „eindeutig grünes Licht“ gab68. Da Nuschkes Einflussverlust jedoch noch nicht bekannt war und auch der Präses der EKD-Synode Constantin von Dietze dem Vorhaben den Weg in die Synode freigab, konnte sich Kreyssig optimistisch zeigen. Die deutschlandpolitische Initiative sollte am zweiten Tag der Synode im Ausschuss „Wiedervereinigung“ behandelt werden. Zu Beginn der ersten außerordentlichen Tagung der EKD-Synode referierten zunächst Günter Jacob und der bayerische Landesbischof Dietzfelbinger über das offizielle Synodenthema „Der Raum für das Evangelium in Ost und West“. Dietzfelbinger sprach über die schleichende Entfremdung der bundesdeutschen Gesellschaft von Kirche und Religion. Jacob widmete sich in seinem in beiden deutschen Staaten viel beachteten Vortrag der Säkularisierung als einem Bezugspunkt protestantischer Theologie in Ost- und Westdeutschland. In seinen theologischen Ausführungen nivellierte er die gesellschaftliche Situation der Kirche in den beiden deutschen Staaten. Seiner Ansicht nach war in ganz Europa, d. h. im östlichen wie im westlichen, das „konstantinische Zeitalter“ vorbei. Abwertend und mit groben Strichen skizzierte er eine vergangene Epoche des Bündnisses zwischen Staat und Kirche, der Monopolstellung der christlichen Kirche und ihrer Identifizierung mit der Gesamtbevölkerung. Mit seiner These vom Ende des „konstantinischen Zeitalter“ relativierte Jacob aber nicht nur die 64 65 66 67 68

Abdruck der Briefe in: KJ 83, 1956, S. 43–49. Vgl. SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 117f. EBD., S. 118. Vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 316–319 und S. 397; SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 114ff. Kreyssig an Schütz, 2.7.1956 (EZA BERLIN, 614/40).

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schwierige Lage der Kirche in der DDR. Er gab ihr auch eine positive theologische Deutung, die nicht mehr der Wiedervereinigung als Zukunftserwartung bedurfte. Ohne Bindung an eine bestimmte Gesellschaftsordnung oder Gesellschaftsschicht sollte sich die Kirche auf das Evangelium und seinen Auftrag besinnen und auf Privilegien verzichten – ganz nach dem Vorbild der „alten Christenheit“. Dem Staat DDR, der faktisch die Bewegungsfreiheit der Kirche einschränkte, was Jacob auch – sich selbst widersprechend – kritisierte, sprach er den Obrigkeitscharakter nicht ab. Er müsse vielmehr, unabhängig von seiner Entstehung und seiner Gestalt, von den Christen in der von der Bibel gebotenen Loyalität respektiert werden. Diese Loyalität bestand nach Jacob aber auch in der Aufgabe, „dass dem Staat im Konfliktfall von der das Evangelium verkündigenden Kirche und auch vom einzelnen Christenmenschen bezeugt werden muß: ‚Man muß Gott mehr gehorchen denn den Menschen‘ (Apostelg. 5,29).“69 Auch die Synode nahm in ihrer „Theologischen Erklärung“ – der Bezug zu Barmen 1934 war sicherlich nicht zufällig – in dieser doppelten Weise zum Verhältnis von Kirche und Staat Stellung. Unter der Überschrift „Gottes Wort ist nicht gebunden“ gab sie allerdings dem widerständigen Moment mehr Gewicht als Jacob. So erklärte sie ihre Neutralität gegenüber dem Zustandekommen und der Verfassungsform eines Staates, verweigerte sich jedoch gleichzeitig jedem staatlichen Totalitätsanspruch und sagte den Entrechteten und Verführten ihre Solidarität zu70. Die von Heinrich Vogel konzipierte Erklärung enthielt damit gegenüber der DDR weder eine klare Loyalitätserklärung noch -verweigerung. Dies wurde von staatlichen Stellen in Ost-Berlin zwar erkannt, dennoch zählten sie diese Passagen der Erklärung eher zu den „positiven Ansätzen“ der Synode71. Zu den unerfreulicheren Erscheinungen der intensiv verfolgten Synodaltagung wurde hingegen die Erklärung „Zur gegenwärtigen Lage der evangelischen Kirchen in der DDR“ gerechnet. In der unter Leitung des Magdeburger Konsistorialpräsidenten Kurt Grünbaum im Ausschuss IV formulierten Erklärung wurden die Behinderungen kirchlichen Lebens in der DDR aufgezählt. Die Erklärung war jedoch auf der Synode auf Antrag von Jacob, der eine Entspannung des Staat-Kirche-Verhältnisses nicht gefährden wollte, nur zur Kenntnis genommen und nicht gebilligt worden72. Dies wiederum nahm die SED-Führung wohlwollend zur Kenntnis. Dennoch wurde Grünbaum in der DDR wegen seiner Berichterstattung auf der Synode angegriffen, woraufhin sich die Kirchenleitungen der Kirchenprovinz Sachsen, Schlesiens und Sachsens hinter ihn stellten73. Auf staatliches Missfallen stieß auch die Entschließung der Synode zur „Einheit der 69 BERLIN 1956, S. 17–29, hier S. 27. 70 EBD., S. 224. 71 Eine eher positive Beurteilung erfolgte im Informationsdienst des Ministeriums des Innern, Abteilung Kultfragen „Einschätzung der außerordentlichen Synode der EKD 27.–29.6.1956“ (BArch BERLIN, DO 4/2524). Nuschke sprach hingegen in der NZ vom 1.7.1956, S. 1 unter der Überschrift „Kompromiß“ von einem „untapferen Ausweichen vor einer klaren Entscheidung“. 72 BERLIN 1956, S. 140 und S. 176. 73 Erklärungen vom 16.7., 4.8. und 22.8.1956 (EZA BERLIN, 104/57).

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Evangelischen Kirche in Deutschland“. In ihr reflektierte die EKD unter dem Eindruck ihrer äußeren Gefährdung erstmals ausdrücklich über ihre Einheit. In der Vorbereitungsphase der Synode waren Kreyssig, Joachim Beckmann und der Erlanger Dekan Eduard Putz gebeten worden, für die Synode einen Entwurf zur Teilfrage „Institutionelle Einheit der EKiD gegenüber politischen Bedrängungen“ zu formulieren74. Obgleich ihm „diese innerkirchliche Seite der Gesamtfrage am fernsten“ lag, wurde der Jurist Kreyssig als einziger von den dreien aktiv. Er beriet die Frage im Öffentlichkeitsausschuss der EKU vor und verfasste zwei Entwürfe. Für Kreyssig war klar, dass man bei diesem Thema auch „nach der wirklichen Einheit der Kirche im Sinne von Einmütigkeit“ fragen musste und diese „Wunde“ nicht „verdecken, [. . .] verleugnen oder selbstgefällig bloss[. . .]stellen“ durfte75. Sein „Entwurf zu einer Entschließung der Synode über ‚Die eine Kirche im zertrennten Volk‘“76 begann jedoch zunächst mit einer Klage über die deutsche Spaltung. Als Hauptbelastung wurde der ideologische Gegensatz gesehen. Es folgte eine Interpretation der Teilung als Gericht Gottes, von dem auch die deutsche Christenheit betroffen sei. Angesichts der Spaltung Deutschlands werde sie sich wieder ihres eigenen Defizits an Einheit und Einigkeit bewusst. Dazu zählte Kreyssig den Argwohn, dass die Katholiken aus konfessionspolitischen Gründen die Wiedervereinigung weniger wünschten als die Protestanten. Dazu rechnete er auch, dass die verbindende Kraft des gemeinsamen Glaubens angesichts politischer Meinungsverschiedenheiten innerhalb der evangelischen Kirche zu versagen schien. Auf diese Weise erfahre die deutsche Christenheit die Teilung Deutschlands als „Anfechtung“, aber auch „als Gottes Frage an unseren Glauben und damit als den Ort, an dem sie Gottes Erbarmen erwarten und aufsuchen darf“. Angesichts des Gerichtscharakters der Teilung könne die Wiedervereinigung nicht mit nationalistischem Pathos gefordert, sondern nur als „Gottes Begnadigung“ erhofft werden. Nach Kreyssigs Überzeugung war jedoch ein Verzicht auf die Wiedervereinigung im „Interesse anderer Völker“ nicht Gottes Urteil. Im Sinne einer historisch-moralischen Motivierung deutschen Einheitsstrebens, d. h. einer durch gemeinsame Schuld konstituierten nationalen Einheit, hieß es in dem Entwurf: „Wir wollen uns nicht hinausstehlen aus einer Schuld- und Schicksalsgemeinschaft, in der wir eine besondere Verantwortung haben.“ Diese Verantwortung wurde im Entwurf darin gesehen, dass die Christen im geteilten Deutschland dem Gebot „Einer trage des anderen Last“ zu folgen versuchten, dessen wirkliche Erfüllung jedoch nur durch die Gnade Gottes erreicht werden könne: „Aus der Bereitwilligkeit, vor Gott beharrlich aneinander zu denken, sich trotz Mühseligkeit und Anfeindungen fleißig zu besuchen, geduldig Opfer für einander zu bringen, wird Gott zu seiner Stunde die volle Befreiung aus Selbstgenügsamkeit hier, ideologischer Verkrampfung dort wachsen lassen, dass wir vereint weiter leben können, ihm zu lieb und niemand zu leid.“

74 Kreyssig an Putz und Beckmann, 1.6.1956 (EZA BERLIN, 614/40). 75 EBD. 76 EZA BERLIN, 614/40.

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„Um ihres unverzichtbaren Auftrages für alle Deutschen willen“ müsse die Kirche daher den Einschränkungen und Behinderungen ihrer gesamtkirchlichen Arbeit widersprechen und „um der Aussöhnung unter den Deutschen willen“ für die Beseitigung dieser Repressionen eintreten. Die endgültige Fassung der Erklärung, die im Ausschuss II der Synode formuliert wurde, hatte mit diesem Entwurf und insbesondere seinen geschichtstheologischen Deutungen im Sinne von Urteil und Gnade kaum noch etwas gemein77. Letztere konnte Kreyssig zwar in einem Redebeitrag auf der Synode zu Gehör bringen78, in der Erklärung über die „Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland“ spielten sie aber keine Rolle. Diese konzentrierte sich auf die Ost-West-Gemeinschaft der EKD und begründete sie ohne Rückgriff auf geschichtstheologische oder auch ordnungstheologische Argumente auf zweifache Weise: Zum einen sei sie faktisch im Bewusstsein der Gemeinden existent und zum anderen entspreche sie dem Grundanliegen der ökumenischen Bewegung, die Einheit der Christenheit zu erhalten und zu fördern79. Der Hauptton der Erklärung lag auf dem Appell, die kirchliche Gemeinschaft auf allen Ebenen festzuhalten und weiter zu stärken. Hierzu zählte auch der Wille, alle Fragen, auch wenn sie nur einen Teil der Gliedkirchen unmittelbar betrafen, gemeinsam zu behandeln und zu entscheiden. Als Beispiele wurden die Jugendweihe und die „Wehrmachtsseelsorge“ aufgeführt und damit explizit je ein Beispiel für die ostdeutsche Staat-Kirche-Konfrontation und die bundesdeutsche Staat-Kirche-Kooperation genannt. Das grundsätzliche Festhalten der Synode an der kirchlichen Beschlussgemeinschaft bedeutete für die Kirchenpolitik der SED einen Rückschlag. Denn, so hieß es in einer Information Barths an das Politbüro und das Sekretariat des ZK der SED, die „Konsequenz dieses Beschlusses bedeutet, die Bischöfe und Kirchenleitungen in der DDR können keine bindenden Gespräche mit der Regierung der DDR durchführen, ohne dass der Rat der EKD sie sanktioniert. Die sogenannte Ostkonferenz, die besonders nach der Erklärung von Genosse Maron an einige Kirchenführer den Versuch machte, als selbständige Kirchenleitung in der DDR durch Vorschläge eine Verhandlungsgrundlage zu entwickeln, ist illusorisch geworden.“80

Seine Schlussfolgerung lautete, dass fortan kirchliche Fragen ausschließlich mit Kirchenvertretern verhandelt werden sollten, die ihren Amtssitz auf dem Boden der DDR hatten. 77 Die Erklärung ist abgedruckt in: BERLIN 1956, S. 229f. 78 EBD., S. 55–59. 79 Dieser doppelten Begründung korrespondierte in der Erklärung zur „Einheit des Volkes“ die einmütige „Ablehnung nationaler christlicher Verengung“ und die Willensbekundung zu ökumenischen Kontakten nach West- und Osteuropa. Vgl. EBD., S. 233. 80 Information der Abteilung Kirchenfragen vom 12.7.1956 „Über das Ergebnis der außerordentlichen Synode der EKD vom 27.–29.6.1956 in Berlin und einige Schlussfolgerungen“ (SAPMO-BArch BERLIN, DY 30/IV 2/14/2). Zur Auswertung der Synode durch die DDR-Führung vgl. auch DY 30/IV 2/14/134 und 135.

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Ebenfalls auf wenig positive Resonanz stieß bei der Partei- und Staatsspitze der DDR das Gegenstück zur Synodalerklärung über die „Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland“: die Verlautbarung zur „Einheit des Volkes“. Zu deren Kernthema, der Wiedervereinigungsfrage, hatte die Synode bereits in der Theologischen Erklärung vom Evangelium her Stellung bezogen und deutliche Akzente gesetzt. Dort hieß es, das Evangelium sei nicht dazu da, „um uns Deutschen die politische Wiedervereinigung zu schaffen“. Es mache jedoch offen für die Not der Trennungsopfer und gebe den Christen die Freiheit, die Überwindung der Trennung von Gottes Gnade zu erbitten, für sie zu arbeiten und alles zu unterlassen, was sie verhindere. Damit rückte man von der Theologie der Schöpfungsordnungen und jeder religiösen Überhöhung nationaler Einheit ab und betrachtete die Wiedervereinigungsfrage stärker unter christlich-humanitären Gesichtspunkten. Die Überwindung der Trennung erschien als eine Forderung der Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Ob diese „Nächstenliebe“ aber vielleicht nicht doch in Wahrheit nationale Solidarität von Christen gegenüber den Angehörigen ihres Volkes war und beides unterschieden werden musste, wurde nicht thematisiert. Auch in der Verlautbarung zur „Einheit des Volkes“ kamen die national-humanitären Tendenzen zum Tragen, und zwar vornehmlich in ihrem letzten Abschnitt, der eine Art Sofortprogramm zur Minderung der Folgen der Teilung enthielt. In ihm wurden ein Ende der hasserfüllten Propaganda, ein Verbot der Anwerbung zu Spitzeldiensten, eine Amnestie von politischen Gefangenen sowie die Aufhebung von Beschränkungen des Reiseverkehrs, des Literaturaustausches und kirchlicher Hilfslieferungen gefordert. Im Unterschied zur Theologischen Erklärung enthielt die Verlautbarung zur „Einheit des Volkes“ aber auch eine Rechtsargumentation. Zum einen erinnerte sie beide deutsche Staaten an ihren Provisoriumscharakter. Zum anderen berief sie sich auf das Völkerrecht und forderte die Selbstbestimmung der Deutschen über ihre gemeinsame staatliche Form in freien Wahlen und machte sich damit die Grundforderung des Westens zu Eigen. Bei der Gestaltung der politischen und sozialen Verhältnisse des auf diesem Wege wieder vereinigten Deutschlands sollten nach Wunsch der Synode die Erfahrungen aus beiden Bereichen eingebracht werden. Damit schloss man die inzwischen von der DDR geforderte, vollständige Übernahme ihres sozialistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems aus, redete aber auch nicht einer Bundesrepublikanisierung Gesamtdeutschlands das Wort. An die verantwortlichen Politiker und evangelischen Christen appellierte die Verlautbarung, deutschlandpolitische Flexibilität zu zeigen und offen für „neue Wege“ zu sein. Einen ersten konkreten Schritt auf „neuen Wegen“ wollte die Synode selbst jedoch nicht tun: die Verlautbarung enthielt keine Proklamation eines gesamtdeutschen Rates. „Kreyssigs Vorschlag fiel schnell unter den Tisch“, kommentierte Dibelius den Verlauf der Verhandlungen im Ausschuss „Einheit des Volkes“81. Nach Ansicht des Betroffenen selbst geschah dies nicht ganz so schnell. In einem Brief an Schütz vom 2. Juli

81 Tagebucheintrag vom 27.–29.6.1956 (BArch KOBLENZ, N 1439/4).

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berichtete Kreyssig die Genese der Niederlage82. Danach waren alle Vorbesprechungen mit den Beteiligten positiv verlaufen. Auch der Fuldaer Fabrikant Walter Bauer sowie Eberhard Müller, beides Anhänger von Adenauers Deutschland- und Sicherheitspolitik, seien in ihnen „fast völlig gewonnen“ worden. Während der Ausschusssitzung hätten zunächst auch die „retardierenden Kräfte in der Richtung tragfähiger Kompromissformulierungen einbezogen“ werden können. Gegen 21 Uhr sei dann der „Einbruch“ erfolgt. Hildebrandt „bemerkte in seiner offenen Weise, dass ihm die im Kompromissvorschlag gegebene Begrenzung eines kirchlichen Auftrages in Hinsicht auf die endliche Aufgabe unzureichend sei, dass die Sache aber entwicklungsfähig sei. Hier entzündete sich, begründet vor allem von Künneth, Erlangen, der seit langem verhaltene und angestaute Protest der konservativen Lutheraner. Als Hildebrandt abzufangen suchte mit dem Hinweis darauf, dass die in Aussicht genommenen Personen – Hildebrandt, Krummacher, Scharf, Jacob, Dr. Bauer, von Bismarck, Albert[z] – doch wohl Vertrauen verdienten, dass sie nicht ins Schwärmerische abglitten, beförderte Jacob die Sache mit einem Fußtritt in den Eimer. Dann beteilige er sich nicht, weil auf Vertrauen die Sache nicht stehen könne.“

Alle danach noch entwickelten Kompromissvorschläge scheiterten, der Plan ging in den theologischen Auseinandersetzungen über die Grenzen des politischen Handelns der Kirche unter. Kreyssig und seine „Mitverschworenen“ zeigten sich nach der Synode enttäuscht, aber nicht völlig entmutigt. Scharf wollte den Plan bereits auf dem im August stattfindenden Kirchentag erneut vorlegen83. Der Verlauf des Kirchentags machte aber deutlich, wie wenig Aussicht auf Erfolg der Plan eines gesamtdeutschen Rates in der innerdeutschen Situation des Jahres 1956 haben konnte. Am Kirchentag in Frankfurt am Main nahmen insgesamt 23.800 Christen aus der DDR teil. Auf Initiative Grübers hin kamen auch Nuschke und Dieckmann84. Die Bundesregierung wünschte gegenüber der Kirchentagsleitung, „die Herren der DDR auf dem Kirchentag als nicht existent anzusehen.“85 Auf Grund einer Bitte Adenauers erhielten die beiden DDR-Politiker keine Einladung für den Staatsempfang im Anschluss an den Eröffnungsgottesdienst86. Zwei Tage später nahm Nuschke an der Arbeitsgruppe III teil. Dort wurde ein Vortrag des erkrankten Karl-Georg Pfleiderer, inzwischen deutscher Botschafter in Jugoslawien, vorgelesen87. Pfleiderer plädierte dafür, dass der Westen auch ohne Aussicht auf baldigen Erfolg an seiner Forderung nach freien Wahlen für Gesamtdeutschland festhalten solle. Gesamtdeutsche Verhandlungen lehnte er ab, da sie eine Anerkennung der DDR-Regierung bedeuten und aufgrund der unterschiedlichen politischen Positionen ohnehin zu keinem Ergebnis führen würden. Pfleiderer empfahl stattdessen, der Sowjetunion im Hinblick auf eine deutsche Wieder82 83 84 85 86 87

EZA BERLIN, 614/40. Kreyssig an Schütz, 17.7.1956 (EBD.). Vgl. D. PALM, Brüder, S. 220 und S. 225. Zitiert nach EBD., S. 224. Vgl. EBD., S. 227. KIRCHENTAG 1956, S. 159–163.

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vereinigung in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen entgegenzukommen. In der nachfolgenden Diskussion forderte ein ostdeutscher Pfarrer Nuschke auf, sich für wirklich freie Wahlen mit Einzellisten einzusetzen88. Der stellvertretende DDR-Ministerpräsident ging in seinem Redebeitrag nicht darauf ein. Er überschritt jedoch die maximale Redezeit von drei Minuten, woraufhin die Diskussionsleitung ihm das Wort entzog. Als ihm anschließend noch ein West-Berliner Kirchentagsteilnehmer vorhielt, er tue nichts gegen die in der DDR propagierte Jugendweihe, erklärte Nuschke dies für unwahr und verließ den Saal. Am selben Tag reiste Dieckmann ab. Das Ost-Berliner Konzept für den Kirchentag, durch Begegnungen mit bundesdeutschen Politikern und Stellungnahmen zu möglichen gesamtdeutschen Wahlen die politische Stimmung in der Bundesrepublik zu ihren Gunsten zu beeinflussen, war gescheitert. Nun wollte man wenigstens die Vorkommnisse in der Arbeitsgruppe Politik propagandistisch nutzen, was nach Abschluss des Kirchentages auch geschah89. Am Nachmittag des 10. August sprach Nuschke noch auf einer Versammlung von 700 Lesern der bruderrätlichen Zeitschrift „Stimme der Gemeinde“90. Dort erklärte er, dass die Bundesrepublik den Weg für gesamtdeutsche Wahlen frei machen würde, wenn sie aus der NATO ausscheide. Er blieb dabei, dass die Wahlen nach getrennten Listen stattfinden müssten. Einen Tag später legte anstelle von Nuschke, der einen weiteren offiziellen Auftritt auf dem Kirchentag ablehnte,91 der CDU-Volkskammerabgeordnete und „Geheime Informator“ des MfS Hermann Kalb auf dem Podiumsgespräch der Arbeitsgruppe III die Position der DDR-Regierung zum Thema freie Wahlen dar. Hemprich forderte ihn zu einer klaren Stellungnahme heraus: „Würden Sie, Herr Kalb, jetzt in dieser Stunde als Abgeordneter der Volkskammer dafür einzutreten in der Lage sein, daß gesamtdeutsche Wahlen, wie sie vor Jahren unter ‚kirchlicher Kontrolle‘ vorgeschlagen waren, in absehbarer Zeit durchgeführt werden? Oder ist es nicht so, daß für Sie die Frage dieses Selbstbestimmungsrechtes durch Wahlen augenblicklich in einer Koppelung gesehen wird mit einer anderen außenpolitischen Frage, nämlich der Zugehörigkeit eines Teiles von Deutschland zur atlantischen Organisation?“92

Kalb bejahte Letzteres indirekt. Ob Scharf erst angesichts der Entwicklung in Arbeitsgruppe III davon abgekommen war, den Vorschlag zur Bildung eines gesamtdeutschen Rates einzubringen, oder ob er schon im Vorfeld von der Kirchentagsleitung davon abgebracht worden war, ist unklar. Jedenfalls äußerte er sich auf dem Kirchentag nicht mehr zu diesem Thema. Die Idee, mit der Bildung eines gesamtdeutschen Rates einen Brückendienst zu leisten, existierte im kirchlichen Raum aber noch einige Jahre weiter93.

88 Vgl. auch zum Folgenden: D. PALM, Brüder S. 233f. 89 Vgl. EBD., S. 237–241. 90 „700 beim Stimme-Treffen“. In: SGKL 8, 1956, S. 514. 91 Vermutlich auf Vermittlung Heinemanns hin, nahm Nuschke jedoch an der Hauptversammlung wieder teil. Vgl. D. PALM, Brüder S. 236. 92 KIRCHENTAG 1956, S. 166. Zu Kalb vgl. A. BOYENS, Staatssekretariat, S. 127. 93 Siehe Kap. 2.2.

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Auch Schütz hatte nach der Synode diesen Plan noch nicht verloren gegeben und davon gesprochen, dass in dem Vorhaben „der Atem des geschichtlich Notwendigen“ liege94. In kirchlichen Kreisen warb er weiterhin für Bewegung in der Deutschlandpolitik. So referierte er im Dezember 1956 auf der außerordentlichen Gesamtdeutschen Studentenpfarrerkonferenz in Berlin-Spandau über die Deutschlandfrage und die Entwicklung der internationalen Politik95. Das zweite Referat hielt der Betheler Systematiker Wolfgang Schweitzer über das Thema „Theologische Grundkonzeptionen als Ausgangspunkt politischer Entscheidungen“. Im Anschluss diskutierten die Studentenpfarrer ausführlich über die deutsche Frage und die theologischen Deutungsmuster öffentlicher Verantwortung – ein Spannungsfeld, in dem auch die EKD-Synode gestanden hatte und in dem Kreyssigs Plan gescheitert war. Die Studentenpfarrerkonferenz war eigens dazu einberufen worden, um intern über die „grundsätzlichen politischen Fragen“ zu sprechen, „die oft den Kontakt innerhalb des geteilten Deutschlands belasten“. Im Zentrum standen dabei die intensiven Diskussionen der letzten Jahre „über die Möglichkeiten und Grundkonzeptionen der Wiedervereinigung [. . .], wie sie auch die politischen Gegensätze innerhalb der Bundesrepublik allein auszeichnen.“ Auch die Studentenpfarrer konnten unter sich diese Gegensätze nicht auflösen, doch wurden sie „vieler Mißverständnisse und vor allem aller unbewussten Sentiments und Ressentiments entkleidet“, die den Austausch bisher gestört hatten. Den Beteiligten wurde erneut deutlich, was in Gefahr war, aus dem Bewusstsein zu geraten: nämlich dass in diesen Fragen die „Fronten“ nicht zwischen Ost und West, sondern „der Sache nach ganz anders verlaufen“. Auch noch 1956 markierten die theologischen und politischen Gegensätze keine innerkirchliche Ost-West-Grenze, sondern verliefen quer zu ihr. Das galt auch für die außerordentliche Synode der EKD und den Streit über die Wehrdienstfrage, der sich an sie anschloss. Mit Wohlwollen nahm die SED-Spitze die Nachricht entgegen, dass sich die Mehrheit der Synodalen in der Wehrpflichtfrage ablehnend geäußert hatte. Hier witterte man einen Ansatzpunkt für einen neuen deutschlandpolitischen Instrumentalisierungsversuch protestantischer Christen96. Auf der Synode war jedoch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik nicht – wie von der DDR-Führung ursprünglich erhofft – explizit abgelehnt worden. Nach längeren und harten Auseinandersetzungen hatte sich die Synode dazu entschlossen, eine Kommission zu beiden deutschen Regierungen zu entsenden, welche die Sorgen „von Synodalen“ hinsichtlich von Wehrpflicht in der Bundesrepublik und Rekrutierungsdruck in der DDR übermitteln sollte97. Um dieser Aktion mehr 94 Zitiert in einem Brief von Kreyssig an Schütz, 17.7.1956 (EZA BERLIN, 614/40). 95 Bericht über die a. o. gesamtdeutsche Studentenpfarrerkonferenz Berlin (EZA BERLIN, 36/165). 96 Das Ergebnis der Synode – „Mehrzahl der Synodalen gegen die Wehrpflicht, aber keiner offen dafür“ – sollte auch „für den weiteren Kampf gegen die Wehrpflicht in Westdeutschland“ ausgenutzt werden. Vgl. Information der Abteilung Kirchenfragen vom 12.7.1956 (SAPMO-BArch BERLIN, DY 30/IV 2/14/2). 97 BERLIN 1956, S. 231. Zu den Auseinandersetzungen in der Synode vgl. auch J. VOGEL, Kirche, S. 212–216.

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Nachdruck zu verleihen, hatte jedoch Heinemann in Absprache mit Gollwitzer und Vogel eine Unterschriftensammlung initiiert. Die Mehrheit der Synodalen schloss sich darin den „Bedenken gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht bzw. gegen Zwangsmethoden bei der Werbung für Wehrdienst, die durch die von der Synode beauftragte Delegation in Bonn und Ost-Berlin vorgetragen werden“, an98. Dibelius kommentierte diesen Vorgang und seine Folgen in seinem Tagebuch: „Während der Verhandlungen sammelt Heinemann Unterschriften gegen die allgemeine Wehrpflicht. Ich unterschreibe, nachdem er mir versichert hat, es sei nicht für die Öffentlichkeit und beziehe sich nur auf den gegenwärtigen Zeitpunkt. Am nächsten Tag steht in der Neuen Zeit, ich hätte unterschrieben. Die Frankfurter Allgemeine macht eine dicke Schlagzeile daraus. Darauf den ganzen Tag Anrufe aus Bonn. Auf Kunsts Drängen gebe ich ein Dementi [. . .]. Darauf greift mich die Ostpresse an. Es ist sehr unersprießlich. Die Kommission hat in Bonn Eindruck gemacht. Trotzdem geht natürlich alles so über die Bühne, wie es vorbereitet ist.“99

Am 3. Juli empfing Vizekanzler Franz Blücher zusammen mit drei weiteren Bundesministern die EKD-Delegation, bestehend aus Krummacher, Noth, Jacob, Bauer und Bismarck, in Bonn100. Krummacher verlas den Synodalbeschluss und erläuterte ihn. Er übermittelte die Bedenken, dass der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik mit einem gewissen Automatismus eine solche in der DDR folgen würde. Dies hätte zur Konsequenz, dass die gesamte männliche Jugend in der DDR 18 Monate lang einer ideologischen Schulung ausgesetzt wäre. Damit rücke der Tag näher, so ergänzte Noth, „an dem nichts mehr zu vereinigen sei.“ Die „Gefahr der Ausblutung der Kirche des Ostens“ sei sehr viel größer, als dies in Westdeutschland wahrgenommen werde. Walter Bauer, erklärtermaßen CDU-nahe, äußerte Bedenken hinsichtlich des Zeitpunktes der Einführung der Wehrpflicht: „In der Zone seien die Dinge im Fluss“. Die Minister verwiesen demgegenüber auf die internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik und auf die Sicherheitslage. Im Anschluss wurden die Delegierten durch Gerstenmaier empfangen. Am Nachmittag sprachen sie mit den Fraktionsvorsitzenden aller Parteien mit Ausnahme der FDP. Danach beantworteten sie Fragen der Vertreter der einzelnen Fraktionen. Am Abend wurden sie vom Bundespräsidenten zu einem zweistündigen Gespräch empfangen. Heuss sagte zu, Adenauer die Bedenken der Synode persönlich zu übermitteln, was er auch tat. Nach Heuss’ Ansicht hatte die Synode mit der Entsendung der Delegation die Grenze, die ihr als kirchliche Körperschaft gesetzt war, nicht überschritten. Nicht der Besuch der Delegation, sondern die Unterschriftensammlung erregte dann in der bundesrepublikanischen Presse und Politik großes Aufsehen. Abgeordnete der SPD wiesen in der Bundestagsdebatte zum Wehrpflichtgesetz auf die Bedenken der Synodalen hin, die sich auf die potenziell negativen Auswirkungen einer Wehr98 Vgl. KJ 83, 1956, S. 74. 99 Eintrag zur a. o. Synode der EKD vom 27.–29.6.1956 (BArch KOBLENZ, N 1439/4). 100 Vgl. Aktennotiz von Kunst, 4.7.1956 (EZA BERLIN, 87/958).

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pflicht auf die deutsche Teilung und das Leben der ostdeutschen Bevölkerung konzentrierten101. Der Bundestag stimmte dennoch am 7. Juli gegen die Stimmen der Abgeordneten von SPD und FDP der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht sowie eines zivilen Ersatzdienstes für Kriegsdienstverweigerer zu. Der Besuch der Delegation in Ost-Berlin fand am 6. August, d. h. nach dem Bundestagsbeschluss, bei Nuschke statt, der den verreisten Grotewohl vertrat102. Krummacher übermittelte den Wunsch der Synode, dass kein Zwang zum Eintritt in die NVA und zur Teilnahme an einer vormilitärischen Ausbildung ausgeübt werde. Jacob verwies auf den seelsorgerlichen Auftrag der Kirche an ihren Gliedern in der NVA. Er klagte über die gesteigerte Kirchenaustrittspropaganda unter NVA-Angehörigen und über die Schwierigkeiten, die ihnen beim Besuch von Gottesdiensten und hinsichtlich des Besitzes von Bibeln und Gesangbüchern gemacht würden. Nuschke verwies in seiner Antwort darauf, die DDR-Regierung habe die NVA um 30.000 Mann reduziert und festgelegt, dass die Werbung für die Volksarmee sich ausschließlich auf der Grundlage der Freiwilligkeit vollziehen dürfe. Er sagte zu, die vorgebrachten Anliegen zu prüfen und den Ministerpräsidenten und den Ministerrat über die Unterredung mit der Delegation zu informieren. Ein gemeinsames Presse-Kommuniqué über das Gespräch kam indes nicht zustande. Es scheiterte daran, dass Nuschke darin politische Akzente enthalten wissen wollte, die für die Kirchenvertreter unannehmbar waren. Die Mission der gesamtkirchlichen Delegation bei den Regierungen beider deutscher Staaten blieb somit hier wie da wenig ertragreich. Ihr Erfolg lag eher in der Tatsache, dass sie überhaupt stattfand. Der innerkirchliche Streit über die Unterschriftenaktion und die „Verfälschung der Synode“ zog sich hingegen noch über Monate hin103. Schließlich ging er beinahe nahtlos in die Auseinandersetzung über das nächste friedensethisch und deutschlandpolitisch relevante Thema über: die Regelung der Militärseelsorge.

101 Vgl. KJ 83, 1956, S. 50–57. 102 Die Delegation war auf Krummacher, Jacob und Bismarck zusammengeschrumpft, da Noth und Bauer durch Auslandsreisen verhindert waren. Anstelle von Grüber begleitete OKR Erich Grauheding die Delegation. Vgl. Aktenvermerk von Grauheding, 7.8.1956 (EZA BERLIN, 87/958). 103 Vgl. KJ 83, 1956, S. 74–117 und J. VOGEL, Kirche, S. 218–221.

GefahrenfürdieEinheitderKirche DiekirchlicheEinheit(1956–1961)

2.2 Gefahren für die äußere und innere Einheit der Kirche 2.2.1 Militärseelsorgevertrag und Jugendweihe – zwei Exempel gesamtkirchlicher Beratungs- und Beschlussgemeinschaft? Mit den Auseinandersetzungen um den Militärseelsorgevertrag traten die innerprotestantischen Diskussionen um Wiederbewaffnung, Westintegration sowie nationalstaatliche und kirchliche Einheit in eine weitere Runde ein. Seit Herbst 1951 hatte die Bundesregierung mit der katholischen und evangelischen Kirche inoffizielle Vorgespräche geführt, um deren Haltung zur Wiederbewaffnung und einer Regelung der Seelsorge in der neuen „Armee in der Demokratie“ zu erkunden und sich ihrer Unterstützung für den Regierungskurs zu versichern1. Die Positionen von katholischer Kirche und Katholizismus hierzu waren eindeutig: Sie standen geschlossen hinter Adenauers Politik der Wiederaufrüstung und Westbindung2. Aus der evangelischen Kirche kamen hingegen u. a. die Bedenken, der Abschluss eines Militärseelsorgevertrages mit der Bundesrepublik könne sich ungünstig auf die Situation der ostdeutschen Gliedkirchen auswirken3. Trotz dieser Befürchtungen trat die EKD mit der Bundesregierung in Verhandlungen über Fragen der künftigen Militärseelsorge ein. Im Oktober 1953 entschloss sich der Rat, die grundsätzlichen Fragen in einem Staatsvertrag zu regeln4. Die Beteiligung der Ratsmitglieder aus der DDR wurde als unbedenklich eingestuft. Eine „rechtliche Möglichkeit“, dass der Vertrag nur von den westlichen Mitgliedern des Rates beschlossen würde, hielt man für nicht gegeben, da die Organe der EKD nach der Grundordnung in ihrer Gesamtheit dazu berufen seien, die EKD zu vertreten. Es war allerdings auch nicht gewollt. Kreyssig erklärte dazu auf der Sitzung: „Das Auseinanderfallen in zwei Teile wäre das größere Übel. Wir sollten uns von vornherein zur Beteiligung anschicken, auch für die westlichen Dinge. Wir aus dem Osten sollten uns der Stimme nur dann enthalten, wenn im Westen eine Kontroverse entsteht, in der wir mit unserer Stimme den Ausschlag geben würden.“5

Die ostdeutschen Mitglieder von Rat und Kirchenkonferenz waren gleichfalls dagegen, dass nur die 19 beteiligten westdeutschen Gliedkirchen einen Vertrag mit der Bundesregierung abschlossen6. Die EKD-Synode wurde über die laufenden Verhandlungen 1 Vgl. A. DOERING-MANTEUFFEL, Religionspolitik, S. 266f. Zu Vorgeschichte und Folgen des Militärseelsorgevertrages vgl. auch K. STEUBER, Militärseelsorge; A. CREMERS, Staat; J. MÜLLER-KENT, Militärseelsorge; W. HUBER, Kirche, S. 247–286. 2 Die katholische Militärseelsorge wurde durch ein vatikanisches Dekret vom 4.2.1956 auf der Grundlage des Reichskonkordats vom 20.7.1933 geregelt. 3 A. CREMER, Staat, S. 24. 4 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 22.10.1953 (EZA BERLIN, 2/1796). 5 Mitschrift Meisers über die Sitzung des Rates am 22.10.1953 (LKA NÜRNBERG, Meiser 142). 6 Schreiben Kunsts an Beckmann, 1.1.1963, in dem der Bevollmächtigte im Zusammenhang mit

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über einen Militärseelsorgevertrag mit der Bundesregierung auf ihren Tagungen 1954 und 1956 informiert. Im Juni 1956 entschied sie sich, auch bei der vertraglichen Regelung der Militärseelsorge die gesamtdeutsche Beschlussgemeinschaft nicht aufzuheben. Allerdings hielt Dibelius noch im Oktober die Wahrscheinlichkeit, die Synode für den Abschluss eines Staatsvertrages zu gewinnen, für gering7. Die Unterzeichnung des Militärseelsorgevertrages am 22. Februar 1957 durch Bundeskanzler Adenauer, Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, den EKD-Ratsvorsitzenden Dibelius sowie den Leiter der EKD-Kirchenkanzlei Brunotte erfolgte dann auch ohne vorherige synodale Debatte des Vertragsentwurfes8. Der im März in Berlin-Spandau tagenden Synode blieb daraufhin nur die Alternative zwischen Ablehnung oder Zustimmung. Einzelne Passagen des Militärseelsorgevertrages konnten nicht geändert werden. Dem Vertrag zufolge wurde dieser Seelsorgebereich zukünftig vom Staat finanziert und unterstand dem Kirchenamt für die Bundeswehr, das wiederum dem Verteidigungsministerium nachgeordnet war. Bereits im Vorfeld der Synode warnte Gollwitzer, der Vertrag gefährde in verhängnisvoller Weise die „Einheit der EKiD über die Zonengrenzen hinweg“9. Auch auf der Synode selbst argumentierten die Vertragsgegner mit der drohenden Gefahr für die kirchliche und für die nationale Einheit. Iwand fragte, ob es nicht eine „reservierte Form“ gebe, „in der wir zwar zum Ausdruck bringen, wir nehmen die Aufgabe der Seelsorge am Soldaten wahr, aber wir verflechten uns nicht institutionell mit diesem neuen Militär, denn wir halten noch daran fest, dass Deutsche nicht auf Deutsche schießen, und wir halten die Tatsache, dass zwei deutsche Staaten gegeneinander [. . .] Militär aufstellen, für eine Sache, die wir weder national noch ethisch noch vom evangelischen Christentum aus verantworten können.“10

Zugleich mahnte er die EKD, sich ihrer historischen Aufgabe zu erinnern, „dass die Evangelische Kirche heute die Heimat der noch nicht miteinander völlig zerfallenen Deutschen ist [. . .]. Es hat doch einmal einer das Wort gesagt: Damals lebte Deutschland in der Evangelischen Kirche. Das war eine furchtbare Zeit. Sollten wir nicht daran denken und aus diesem Gesichtspunkt dann auch die notwendige Frage der Militärseelsorge erledigen.“11

Trotz der geäußerten Bedenken stimmte eine deutliche Zweidrittelmehrheit der Synodalen dem Vertrag zu. Mit der Ratifizierung des Militärseelsorgevertrags, der eine enge Kooperation von Staat und Kirche dokumentierte und damit die Stellung der einer Anfrage der Kreissynode des Kirchenkreises Bonn Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Militärseelsorgevertrags skizziert (EZA BERLIN, 87/96/997). 7 Tagebucheintrag zur Ratssitzung am 18.10.1956 (BArch KOBLENZ, N 1439/4). 8 Vertrag der EKD mit der Bundesrepublik Deutschland zur Regelung der evangelischen Militärseelsorge (mit Schlussprotokoll). Abdruck in: KJ 84, 1957, S. 40–47. 9 Gollwitzer an Dietze, 2.3.1957. Abdruck in: EBD., S. 21. 10 BERLIN-SPANDAU 1957, S. 256. 11 EBD., S. 257.

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evangelischen Kirche im politischen System der Bundesrepublik stabilisierte, hatten sich die CDU-nahen Gruppen im Protestantismus durchgesetzt12. Auch nahezu alle Synodalen aus der DDR hatten dem Vertrag zugestimmt13. Sie deuteten ihr Votum jedoch nicht als Zeichen der politischen Ablehnung des SED-Regimes14. Vielmehr wurde die Entscheidung geistlich motiviert: Die EKD sei keine Arbeitsgemeinschaft, sondern eine Kirche. Sie müsse als Gesamtkirche tätig werden, gleichgültig ob es sich um Aufgaben und Schwierigkeiten in der Bundesrepublik oder in der DDR handele. Die Kirchengemeinschaft in der EKD gehe verloren, falls man sie nur administrativ durchhalte. Vor allem Reimer Mager bekannte sich bis 1959 in zahlreichen öffentlichen Vorträgen unzweideutig zum Militärseelsorgevertrag. Er betonte, dass die Pflege der Familie, die Erziehung der Kinder, die Studentenseelsorge sowie der geistliche Dienst am Soldaten in der geistlichen Verantwortung der Gesamtkirche stünden. Die westlichen Gliedkirchen dürften die östlichen in der Frage des Religionsunterrichts nicht alleine lassen, dafür müssten die östlichen Gliedkirchen auch klar zu den Aufgaben und der Verantwortung der Kirche in der Bundesrepublik stehen. Dass die DDR-Regierung der Synode einen ostdeutschen Tagungsort verweigert hatte und den für Juli in Thüringen geplanten DEKT auf Grund unannehmbarer politischer Forderungen unmöglich zu machen schien15, spielte bei der Zustimmung der ostdeutschen Synodalen zum Militärseelsorgevertrag aber wohl ebenso eine Rolle wie die Tatsache, dass der DDR-Verteidigungsminister Willi Stoph, noch während die Synode tagte, es am 4. März ablehnte, mit der EKD ebenfalls in Verhandlungen über einen Militärseelsorgevertrag zu treten16. Die Bemühungen der EKD, eine Seelsorge bei der Volksarmee zu ermöglichen17, waren damit gescheitert. Sie konnten aber angesichts der weltanschaulichen Grundlagen und Ziele des SED-Staates auch nicht zum Erfolg führen. Die SED hatte schon im Vorfeld gegen den Abschluss des Militärseelsorgevertrags polemisiert, ihn aber nicht zu verhindern versucht. Bewusst war Halle als Tagungsort der EKD-Synode abgelehnt worden, obgleich u. a. Nuschke darauf hingewiesen hatte, dass eine Tagung auf dem Gebiet der DDR die geplante Abstimmung der Synode 12 Vgl. A. DOERING-MANTEUFFEL, Religionspolitik, S. 272. 13 Tagebucheintrag von Dibelius zum 3.–8.3.1957 (BArch KOBLENZ, N 1439/4). 14 Vgl. hierzu und zum Folgenden: Kunst an Beckmann, 1.1.1963 (EZA BERLIN, 87/86/997). 15 Innenminister Maron hatte in einem Schreiben an Nuschke vom 27.2.1957 die Abhaltung des Kirchentages in Erfurt an eine Reihe politischer Forderungen geknüpft (SAPMO-BArch BERLIN, NY 4090/458). Der Kirchentagspräsident Thadden erklärte diese jedoch bereits am 6.3. auf der Synode für unannehmbar (BERLIN-SPANDAU 1957, S. 215). Trotz Nuschkes Vermittlungsversuchen ging Maron nicht von seinen Forderungen zurück, so dass das Kirchentagspräsidium am 16.4. öffentlich mitteilte, dass der DEKT wegen unerfüllbarer politischer Forderungen der DDR-Regierung nicht stattfinden könne (KJ 84, 1957, S. 111). 16 Hamel berichtete im Interview am 14.4.1999, laut des Synodalen Klaus von Bismarck habe die Absage der DDR, einen Militärseelsorgevertrag mit der EKD zu schließen, auch noch den letzten Synodalen für den Vertrag mit der Bundesregierung stimmen lassen. 17 Vgl. hierzu den Briefwechsel zwischen Heinemann und Kunst am 15. und 18.2.1956 (EZA BERLIN, 742/399).

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im Sinne einer Ablehnung des Vertrages beeinflussen würde18. Bereits am 24. Januar ließ die SED-Führung in einer ADN-Meldung mitteilen, dass die EKD-Synode nicht in Halle stattfinden könne, da es niemandem auf dem Gebiet der DDR gestattet werde, die „friedensfeindliche NATO-Politik und den westdeutschen Militarismus“ zu unterstützen19. Mit dem Militärseelsorgevertrag hatte die Parteiführung einen willkommenen propagandistischen Vorwand gefunden, ihre auf die Spaltung der EKD zulaufende Kirchenpolitik voranzutreiben und als „Defensive“ zu tarnen. Parteichef Ulbricht schien entschlossen, mit der Spaltung der EKD als letzter gesamtdeutscher Großorganisation seinen Teilungs- und Abgrenzungskurs zu demonstrieren20. Bereits am 5. Februar 1957 befand das Politbüro über ein Grundsatzpapier „Zur Tätigkeit der Religionsgemeinschaften auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik“, in dem das politische Maximalprogramm gegenüber den Kirchen enthalten war21. Als Voraussetzung für „loyale Beziehungen“ hatten die Kirchen die Zweistaatlichkeit und die DDR als souveränen Staat anzuerkennen, die Politik des „Aufbaus des Sozialismus“ und die „Friedenspolitik“ der DDR zu unterstützen sowie die „Mitarbeit“ von Christen in der „Nationalen Front“ und anderen Massenorganisationen zu akzeptieren. „Loyalität“ gegenüber der DDR, wie sie Innenminister Maron schon im Februar 1956 in Konsequenz auf die kurz zuvor erlangte formelle Souveränität der DDR eingefordert hatte, bedeutete demnach nicht allein die Anerkennung des SED-Staates als Ordnungsmacht, sondern auch das Einverständnis mit seinen staatspolitischen Zielen. Und sie sollte kirchenorganisatorische Folgen zeigen. Denn, so wurde gefordert, die Kirchenleitungen und kirchlichen Organisationen müssten aus der „Existenz zweier deutscher Staaten mit grundlegend verschiedener gesellschaftlicher Struktur und grundsätzlichen Unterschieden in ihrer Politik“ „alle daraus für sie entstehenden Konsequenzen ziehen.“ Kaum war der Militärseelsorgevertrag verabschiedet, zog das Politbüro am 26. März „Schlussfolgerungen aus dem Beschluss der Synode über die NATO-Seelsorge“. Unter anderem sollten Synodale und „Kirchenfunktionäre“, welche die „NATOPolitik“ unterstützten, keine Einreiseerlaubnis mehr erhalten, die atheistische Aufklärung und Propaganda auf allen Ebenen verstärkt und die „sich offen gegen den von der Kirchenhierarchie eingeschlagenen Weg“ stellenden kirchlichen Amtsträger bevorzugt behandelt werden. Überdies hatte der neu berufene Staatssekretär für Kirchenfragen Werner Eggerath (SED), „die in der DDR tätigen und wohnhaften Bischöfe zu einer Unterredung“ einzuladen, „damit sichtbar wird, dass eine loyale Zusammenarbeit erwünscht ist.“22 Eggerath nahm seine Tätigkeit offiziell am 1. April 1957 auf. Mit der Einrichtung

18 Vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 338. 19 Zitiert nach: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 125. 20 Vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 398. 21 Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 229–232. 22 Zitiert nach: EBD., S. 250f. Hier ist die Sitzung auf den 19.3.1957 datiert, bei Besier und Goerner auf den 26.3. Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 220 und M. G. GOERNER, Kirche, S. 340.

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des schon länger geplanten staatlichen „Amtes für Kirchenfragen“23, in dem alle administrativen Belange der Kirchenpolitik zusammengefasst waren, komplettierte die SED ihr seit 1954 aufgebautes kirchenpolitisches Instrumentarium24. Sie verfügte nunmehr auch über eine Stelle, die von ihr nach politischen Gesichtspunkten gesteuert, offiziell gegenüber den Kirchen agieren konnte25. Eggerath schrieb am 12. April die gewünschte Einladung an die Bischöfe. Grüber, der Bevollmächtigte der EKD bei der DDR-Regierung, und Dibelius, der zwar in der DDR „tätig“, aber nicht „wohnhaft“ war, wurden nicht eingeladen und damit die EKD faktisch ausgegrenzt. Auch Proteste und taktische Manöver der Kirchenvertreter konnten daran nichts ändern. Sie führten jedoch dazu, dass das Treffen nicht zustande kam26. Um die Voraussetzungen für ein zukünftiges Gespräch mit den Bischöfen zu verbessern, konzentrierte sich Eggerath in der Folgezeit auf die Taktik, durch gezielte Gesprächspolitik die Landeskirchen untereinander auszuspielen und mit Hilfe von „fortschrittlichen Christen“ einen Keil zwischen die Gemeinden und die Kirchenleitungen zu treiben27. Auf Grund alter Verbindungen zum Thüringer Bischof Mitzenheim sowie zu weiteren hochrangigen Mitgliedern der Landeskirchenleitung suchte er sich u. a. Thüringen für seine Differenzierungstaktik zwischen den Kirchenleitungen aus28. Bei einem Gespräch mit Mitzenheim am 10. Oktober wurde Eggerath aber zunächst in seinen Erwartungen enttäuscht: „Wiederherstellung der Einheit in Frieden und Freiheit, freie Wahlen in beiden Teilen Deutschlands, Unabhängigkeit vom Westen und Osten waren die Hauptanliegen seiner politischen Vorstellungen“, hieß es über Mitzenheim in dem staatlichen Gesprächsbericht. Weiter soll er geäußert haben, dass der Rat der EKD

23 Das Amt wurde ab Dezember 1957 „Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen“ genannt. 24 Siehe Kap. 1.3.2. Lange Zeit galt der Militärseelsorgevertrag als Ursache für die Einsetzung des Staatssekretärs für Kirchenfragen sowie die auf Spaltung der EKD gerichtete Kirchenpolitik der SED. Anhand der inzwischen zugänglichen staatlichen Quellen wird jedoch ersichtlich, dass die Konzeptionen dafür bereits lange vorher entwickelt worden waren und der Vertrag allenfalls einen Anlass für ihre beschleunigte Umsetzung bildete. Vgl. A. BOYENS, Staatssekretariat für Kirchenfragen und Militärseelsorgevertrag, und M. G. GOERNER, Kirche, S. 324–333. 25 Vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 398. Der StfK war eine staatliche Stelle, die gegenüber den Kirchen direkt in Erscheinung trat, während die ZK-Abteilung Kirchenfragen für die Kirchen nicht sichtbar agierte. Der StfK arbeitete in Unterordnung unter die Abteilung Kirchenfragen beim ZK, die seine Dienststelle über die dortige SED-Parteiorganisation „anleitete“. Dennoch war die Arbeitsgruppe gegenüber seiner Dienststelle nicht formal weisungsberechtigt, denn diese erhielt ihre Anweisungen direkt vom ZK-Sekretär. Die Gesprächspolitik mit dem dazugehörenden Berichtswesen – insbesondere auf unterer Ebene – ging nun zunehmend an den StfK über. Die ZK-Abteilung wurde folgerichtig verkleinert und von einer „Abteilung“ innerhalb des ZK-Apparates herabgestuft zu einer permanenten „Arbeitsgruppe Kirchenfragen“. Vgl. EBD., S. 330. 26 Eggerath sagte das Treffen ab, nachdem die Kirchenvertreter die eingeladenen Bischöfe als „gesamtdeutsche Delegation“ bezeichnet und den Vertreter des EKD-Bevollmächtigten, OKR Grauheding, zu der Einladung hinzugebeten hatten. Vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 340f. 27 Vgl. EBD. S. 341. 28 Vgl. EBD. S. 344. Eggerath bemühte sich, auch Krummacher aus der Front der ostdeutschen Bischöfe herauszulösen und zum kirchlichen Vermittler der SED-Politik zu machen. Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 46–49.

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keine NATO-Politik betreibe und daher die gegen Dibelius und den Rat der EKD getroffenen Maßnahmen „unverständlich und ungerecht“ seien. Der so genannte „Thüringer Weg“ von Landesbischof Mitzenheim als einem untauglichen Versuch, kirchlichen Handlungsspielraum und volkskirchliche Strukturen durch eine entgegenkommende Haltung gegenüber dem SED-Staat zu sichern29, sollte erst allmählich Kontur annehmen. Der Einfluss des Thüringer Oberkirchenrates und Informellen Mitarbeiters der Staatssicherheit, Gerhard Lotz30, auf seinen Bischof wirkte erst nach und nach; durchschlagenden Erfolg hatte der „real-sozialistische ‚Überzeugungstäter‘“ 31 Lotz dann vor allem bei dem alternden Mitzenheim während der sechziger Jahre. Im Gespräch mit Eggerath im Jahr 1957 war Mitzenheim jedoch noch nicht auf seinem Sonderweg und versuchte dem Staatssekretär für Kirchenfragen nachzuweisen, „dass unser Staat kein Rechtsstaat sei.“32 Angesichts der seit 1956 anhaltenden repressiven Maßnahmen gegen die Kirche und einzelne ihrer Mitarbeiter hatte Mitzenheim zu dieser Feststellung allen Grund. Unter anderem erlebten die Studentengemeinden nach 1953 die zweite Phase äußerer Bedrückung. Die SED sah in den Studentengemeinden und den Theologischen Fakultäten die „reaktionären“ Zentren der Universitäten schlechthin33. Ihr Ziel war es, die Studentenschaft und damit die zukünftigen „Leitungskader“ „bürgerlichen“ und christlichen Einflüssen zu entziehen. Hierzu bediente sie sich repressiver, teilweise aber auch subtilerer Maßnahmen. Bereits am 7. Dezember 1955 hatte das Staatssekretariat für Hochschulwesen den Studentengemeinden das Recht entzogen, die Hörsäle für ihre Veranstaltungen zu nutzen. In den Jahren 1957/58 wurden die Gemeinden dann durch einzelne spektakuläre Strafprozesse gegen Gemeindeglieder und Pfarrer verunsichert. Studentenpfarrer wie Georg-Siegfried Schmutzler und Martin Giersch wurden im April bzw. Juni 1957 verhaftet und in Prozessen, die von Propagandaaktionen begleitet wurden, wegen „Boykotthetze“ und „Staatsverleumdung“ zu Gefängnisstrafen verurteilt34. Am 18. Dezember beschloss das Politbüro im Vorfeld der 3. Hochschulkonferenz der SED, auf der offiziell die „sozialistische Universität“ propagiert werden sollte, Maßnahmen zur „Unterbindung der Tätigkeit sogenannter Studentenpfarrer und Studentengemeinden an Universitäten, Hoch- und Fachschulen“35. 29 Diesen Motiven Mitzenheims trägt G. BESIER zu wenig Rechnung. Vgl. DERS., SED-Staat, S. 13. 30 Lotz wurde seit 1955 vom MfS als IM „Karl“ geführt. Zu Lotz vgl. C. VOLLNHALS, Oberkirchenrat; E.-H. AMBERG, Staat, S. 45ff. 31 T. A. SEIDEL, Weg, S. 91. 32 Zitiert nach: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 135. 33 Vgl. F. STENGEL, Fakultäten, S. 238. 34 Die Beschuldigungen gegen Schmutzler bezogen sich insbesondere auf seine Tätigkeit als Studentenpfarrer, auf seine Verbindungen zu Evangelischen Akademien in der Bundesrepublik und auf Predigtäußerungen anlässlich einer Evangelisation im Leipziger Arbeitervorort Böhlen. Vgl. KJ 84, 1957, S. 169. Zu den Hintergründen des Falles Schmutzler s. F. STENGEL, Fakultäten, S. 238–259; G.S. SCHMUTZLER, Strom, S. 95–202; Ders., Opposition; S. LIPSKI, Der „Fall Dr. Schmutzler“; K. W. FRICKE, Opposition, S. 193–196. 35 Abdruck der Anlage Nr. 7 zum Protokoll Nr. 52 der Sitzung des Politbüros des ZK der SED am 18.12.1957 in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 259f.

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In dem Beschluss, der dann aber nicht in seiner geplanten Schärfe umgesetzt wurde, hieß es: „Auf Grund des verschärften ideologischen Kampfes und der Verschreibung der EKiD an die NATO-Politik Westdeutschlands kann die zersetzende Tätigkeit solcher Einrichtungen wie der sogenannten Studentenpfarrer und Studentengemeinden an den Universitäten, Hochund Fachschulen nicht mehr geduldet werden.“36

Von antikirchlichen Flugblättern und Schmähschriften begleitet war auch der Prozess gegen den Konsistorialpräsidenten der Kirchenprovinz Sachsen Kurt Grünbaum und seinen Finanzdezernenten Oberkonsistorialrat Siegfried Klewitz. Sie waren im Oktober 1957 verhaftet worden, nachdem in Grünbaums Privatwohnung 290.000 Mark der DDR entdeckt worden waren. Diese waren ein Teil der insgesamt 400.000 Mark, die Kurt Scharf illegal von West-Berlin nach Magdeburg gebracht hatte, um sie angesichts des von der DDR-Regierung nicht angekündigten Geldumtauschs am 13. Oktober noch vor dem Verfall zu retten37. Der Fall wurde von der SED zu einem Schauprozess ausgebaut. Grünbaum wurde wegen Anstiftung zum Betrug und Verstoßes gegen das Devisengesetz zu zweieinhalb Jahren Haft und 10.000 Mark Strafe verurteilt. Nach drei Monaten wurde die Haftstrafe aufgrund von Grünbaums hohem Alter auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. „Was auf dem Spiel steht, ist nicht mehr oder weniger als die gesamte Finanzierung unserer kirchlichen Arbeit im Osten“, so schätzte Dibelius am 20. Oktober die durch die Verhaftungen entstandene Lage ein38. Ob die DDR-Führung genau diesen Eindruck bei den Kirchenvertretern erwecken wollte, ist unklar. Sicher ist jedoch, dass der Staat die Kirchen seit Anfang 1956 verstärkt in finanzielle Schwierigkeiten brachte. Am 10. Februar wurde der so genannte „Benjamin-Erlass“ – benannt nach der Justizministerin Hilde Benjamin – veröffentlicht, der den Kirchen die zwangsweise Eintreibung der Kirchensteuer unmöglich machte39. Der Erlass wurde begleitet von einer Propaganda-Kampagne, in der indirekt zum Kirchensteuer-Boykott aufgerufen wurde40. Zugleich kürzte man den Kirchen die Staatsleistungen um 50 %. Damit waren die ostdeutschen Kirchen existenziell auf westdeutsche Hilfe angewiesen. Der Geldtransfer von West nach Ost aber verlief zum Teil illegal, jedenfalls soweit er den Weg über westliche Wechselstuben nahm41. Dadurch war er stets gefährdet, wie die Kon-

36 Vgl. F. STENGEL, Fakultäten, S. 257. Der Beschluss sah vor, dass der Staatssekretär für Hochschulwesen in einer Anweisung an die Universitäts- und Hochschulangehörigen erklärte, dass eine Betätigung in den Studentengemeinden gegen die Statuten der Universitäten, Hoch- und Fachschulen verstoße. Somit war künftig ein hochschulinternes Vorgehen gegen sie möglich, ohne dass strafrechtlich vorgegangen werden musste. 37 Tagebuchnotiz von Dibelius zum 13.10.1957 (BArch KOBLENZ, N 1439/4). 38 EBD. 39 Merzyn an die Leitungen der Gliedkirchen der EKD in der Bundesrepublik, 12.11.1956 (EZA BERLIN, 87/96/70,2). 40 M. G. GOERNER, Kirche, S. 271. 41 Siehe Kap. 1.3.2.

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fiszierung von 293.000 DM Hilfswerkgeldern im November 1956 deutlich machte. Als die Kirchenvertreter im Staat-Kirche-Gespräch am 3. Dezember 1956 eine korrekte Zahlung der Staatsleistungen an die Kirchen einforderten, wies Grotewohl jeden Rechtsanspruch der Kirchen auf diese Leistungen zurück42. Zugleich stellte er eine gesetzliche Regelung über die Einfuhr von Geldern aus Westdeutschland in Aussicht, allerdings zu einer Verrechnungsquote von 1:1. Aber, so Grotewohl, „vielleicht bestehen Möglichkeiten in anderer Art, diese Transaktionen durchzuführen.“43 Über diese „andere Art“ fanden im Februar 1957 Gespräche zwischen Kirchenvertretern und dem DDR-Außenhandelsminister Heinrich Rau statt44. Dies geschah vor dem Hintergrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation der DDR Ende des Jahres 1956. Polnische Steinkohlelieferungen waren ausgeblieben, nachdem der neue polnische Staatschef Wladyslaw Gomulka Zahlungen in US-Dollar und zu Weltmarktpreisen dafür verlangte. Auch die Sowjetunion konnte nicht aushelfen. So mussten Stromsperren wie in der ersten Nachkriegszeit eingeführt werden. In dieser Situation einigte sich die DDR-Führung im Februar, d. h. zeitgleich mit dem Abschluss des Militärseelsorgevertrags, mit der EKD über die Lieferung von 60.000 Tonnen amerikanischer Steinkohle, deren Gegenwert den ostdeutschen Kirchen in Mark der DDR gutgeschrieben werden sollte45. Hermann Kunst, in der DDR als „NATO-Bischof“ diffamiert, erreichte hierfür die Genehmigung bei der Bundesregierung unter der Voraussetzung, es handele sich um ein einmaliges Unternehmen. Zugleich gab das BMG zu der nötigen Summe von 5,5 Millionen DM einen Zuschuss von 2,4 Millionen DM. Dibelius urteilte im Juni über das vollzogene Transfergeschäft: „[. . .] im Grunde ist es unwürdig“, fügte aber auch zugleich die Erklärung hinzu, warum die EKD sich dennoch darauf einließ: „Aber wenn es zusammenbricht, ist die Volkskirche zu Ende, und wir müssen wie die Russen mit 1 Geistlichen für 80.000 Seelen auskommen.“46 Im Oktober versuchte Kunst das BMG zur Bewilligung weiterer Gelder für den Transfer zu bewegen. Dabei argumentierte er ebenfalls mit dem Erhalt der Volkskirche in der DDR, nunmehr aber in ihrer Funktion als nationale Kulturträgerin. Angesichts der desolaten Haushaltslage der ostdeutschen Kirchen stehe man vor der Entscheidung, schrieb er an Staatssekretär Thedieck, „dass entweder die westlichen Kirchen in einem ausserordentlichen Beitrag die ausgefallenen Leistungen ersetzen, oder wir uns

42 Die Mitschrift über das Staat-Kirche-Gespräch am 3.12.1956 ist abgedruckt in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 207–228, hier S. 215f. 43 EBD., S. 219. Dibelius notierte zu diesem Teil des Gespräches in sein Tagebuch: „Endlich gab er [Grotewohl] zu verstehen, dass man vielleicht auf anderen Wegen eine finanzielle Erleichterung für die Kirche schaffen könne. D. h. also: Warenlieferungen aus dem Westen. Umtausch 1:4 bleibe für alle Zukunft ausgeschlossen“ (BArch KOBLENZ, N 1439/4). 44 Vgl. hierzu und zum Folgenden: H.-G. BINDER, Bedeutung; A. BOYENS, Gegner; A. VOLZE, Transferleistungen; G. BESIER, SED-Staat, S. 240–248 sowie die Erinnerungen des Beauftragten der westdeutschen Landeskirchen für den Warentransfer, den Direktor des Diakonischen Werkes Ludwig Geißel (DERS., Unterhändler). 45 Zu den Verhandlungen im einzelnen vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 241ff. 46 Tagebuchnotiz zum 13.6.1957 (BArch KOBLENZ, N 1439/4).

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zu einer vollständigen Strukturveränderung des kirchlichen Lebens in der Ostzone entschliessen müssen.“47 „Die Kirchen in Deutschland“, führte Kunst aus, „sind immer Volkskirchen gewesen. In der Gegenwart kann es Volkskirchen nur geben, wenn es Kirchensteuerpflicht gibt. Erlischt sie und kommt die umfassende Zwangserziehung in einer antichristlichen Gestalt in einem totalen Staat hinzu, ist der Weg in die Freikirche oder in die Ordnung der orthodoxen Kirche in Russland unausweichlich. Durch die Ihnen bekannten und von der Bundesregierung genehmigten Kohletransaktionen ist es zur Zeit noch möglich, den volkskirchlichen Charakter in der Zone aufrechtzuerhalten. Alle Bischöfe der Zone sind sich längst darüber klar, dass die gegenwärtige Art der Finanzierung ihrer Landeskirchen wahrscheinlich nur eine begrenzte Zeit möglich, vor allem aber von den Gesichtspunkten der Frömmigkeit aus schwer verantwortbar ist. Wir wissen, dass eine Kirche nicht nur aus den Opfern ihrer Glieder leben, sondern darüber hinaus noch karitativ dienen und missionieren muss. Wenn wir trotzdem in einer ausserordentlichen Weise die Hilfe der Bundesregierung erbitten, geschieht es aus der Gewissheit, dass der Bundesregierung bewusst ist, was es heisst, wenn in einem grossen Gebiet unseres deutschen Vaterlandes, für das der Bund sich nach seinem Grundgesetz verantwortlich weiss, in dem für den inneren Weg eines Volkes belangvollsten Bereich die Lebensfäden zerschnitten werden. Es kann keinem Bürger, gleich wie er persönlich in Glaubensdingen steht, gleichgültig sein, ob eine Jugend heranwächst, die nichts mehr weiss vom christlichen Glauben, und damit weder die deutsche Geschichte noch deutsche Kultur und Kunst in allen ihren Ausprägungen aus mehr als einem Jahrtausend versteht. Ich wäre Ihnen dankbar, sehr verehrter Staatssekretär, wenn Sie bei der Beratung der Bundesregierung über unseren Antrag aussprechen würden, dass wir unsererseits ohne irgendeinen Einspruch bereit sind, den oben gekennzeichneten Weg in die Freikirche zu gehen, wenn wir nicht die Mittel aufbringen können, die wir brauchen. Wir meinen aber nach der Art, in der uns die Bundesregierung in all diesen Jahren zur Seite gewesen ist und unsere Sorgen als ihre eigenen Sorgen auf ihre Verantwortung genommen hat, noch einmal bei Ihnen vorstellig werden zu dürfen.“

Das Ministerium kam der Bitte nach und bewilligte 1957 insgesamt 11.872.000 DM für „Sonderaufgaben der evangelischen Kirche“48. Aus der einmaligen Aktion wurde in den Folgejahren ein regelmäßiger, geheimer Rohstoff-Transfer von West nach Ost49, für den die Mittel ungefähr zur Hälfte aus dem BMG kamen50, und durch den die ostdeutschen Kirchen51, aber ungewollt auch die DDR-Wirtschaft bis ins Jahr 1990 47 BArch KOBLENZ, B 137/16708. 48 1958 waren es 18.000.000 DM, 1959 17.760.000 DM, 1960 13.320.000 DM, 1961 17.760.000 DM, 1962 17.760.000 DM, 1963 17.760.000 DM und 1964 16.872.000 DM. Vgl. die unter dem Datum vom 12.11.1964 von der Abteilung I 6 des BMG zusammengestellte Übersicht (BArch KOBLENZ, B 137/16262). 49 Zur Unterscheidung zu dem ab 1964 beginnenden Häftlingsfreikauf, bei dem die EKD lediglich vermittelnd auftrat, wird dieser Warentransfer heute als so genanntes „Kirchengeschäft A“ bezeichnet. Eine genauere Darstellung der Entstehung und der Geschichte dieses Transfergeschäftes wird erst möglich sein, wenn die Unterlagen von Geißel zugänglich sind. 50 Vgl. H.-G. BINDER, Bedeutung, S. 581. 51 Empfänger des Geldes waren neben den Landeskirchen der Stadtsynodalverband, die EKU, die VELKD, das Diakonische Werk, der Bruderdienst, zuweilen auch die kirchliche Land- und Forstwirtschaft, kirchliche Kindergärten und Tagesstätten, die kirchliche Jugendarbeit usw. Vgl. EBD., S. 566.

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finanziell unterstützt wurden52. Die Bundesregierung förderte auf diesem Wege die kirchliche Einheit in ihrer Funktion als gesamtdeutsche Klammer, durch die die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung der deutschen Teilstaaten nach westlichen Vorstellungen wach gehalten werden sollte. Die DDR hingegen ließ die finanzielle Verklammerung der gesamtdeutschen Kirche zu und betrieb das „Kirchengeschäft A“ zugunsten ihrer Volkswirtschaft. Auf die Kirchenpolitik der SED, die von 1956 an – wenn auch nicht linear – auf die Spaltung der EKD zulief, hatten diese Geschäfte indes keine richtungsändernde Auswirkung. Trotz der staatlichen Trennungspolitik konnten neben dem Finanztransfer auch die Direktlieferungen von Westwaren zur Unterstützung von Gemeinden, Kirchen und kirchlichen Einrichtungen weitergehen. Diese Hilfslieferungen setzten sich zusammen aus der so genannten Patenschaftshilfe der Kirchengemeinden und der gliedkirchlichen Diakonischen Werke sowie aus zentralen Lieferungen des Diakonischen Werkes der EKD53. Während bei der Patenschaftshilfe Zuschüsse der Bundesregierung nur eine geringe Rolle spielten, beteiligte sich das BMG an den zentralen Hilfslieferungen des Diakonischen Werkes zu etwa 50 %54. Seit 1959 konnten Kirche und Diakonie ihre ostdeutschen Mitarbeiter dann gegen Devisen über die Firma GENEX GmbH mit knappen Gütern aus der DDR-Produktion, insbesondere mit PKWs versorgen. Ebenso wurden auf diesem Wege für kirchliche Einrichtungen Industriewaren, Benzin, Düngemittel und Saatgut besorgt55. Ab Mai 1961 kam noch eine weitere Form der Hilfeleistung hinzu: die so genannte „Patenspende“56. Durch sie erhielten kirchliche Mitarbeiter und Versorgungsempfänger eine jährliche Zuwendung und damit neben dem Kirchlichen Bruderdienst einen weiteren Ausgleich für ihre auch im Vergleich zum allgemeinen Lohn- und Rentenniveau in der DDR sehr niedrigen Gehälter bzw. Renten. Die Abwicklung der „Patenspende“ erfolgte über die „Hilfsstelle westdeutscher Kirchen“. Da eine unmittelbare Auszahlung in DM an DDR-Bürger nicht möglich war, wurde die Summe an Vertrauenspersonen der Empfänger in der Bundesrepublik überwiesen. Diese ließen den Empfängern den Betrag entweder in Form von Geschenksendungen und GENEX-Bestellungen zukommen oder hielten ihn für Einkäufe bei seit 1964 für Rentner mögliche Westbesuche bereit. Diese Sonderzuwendungen für kirchliche Mitarbeiter, die ihnen ihren Alltag etwas erleichtern sollten, stießen innerhalb und außerhalb der Kirche zum Teil auf Ressentiments. 52 Bereits 1957 wurden Rohstoffe im Wert von über 23,5 Millionen DM in die DDR geliefert und den Kirchen dort gutgeschrieben. 1958 waren es 31,4 Millionen DM, 1959 36,2 Millionen DM, 1960 33,2 Millionen DM und 1961 34,6 Millionen. Insgesamt wurden von 1957 bis 1990 Rohstoffe im Wert von 1,4 Milliarden DM geliefert und den Kirchen und der Diakonie in Mark der DDR gutgeschrieben. Vgl. L. GEISSEL, Unterhändler, S. 471. Zur Bedeutung des Kirchentransfers für die Volkswirtschaft der DDR s. A. VOLZE, Transfer, S. 65f. 53 Zwischen 1957 und 1990 wurden Waren im Wert von fast 1,8 Milliarden DM in die DDR gebracht. Vgl. A. VOLZE, Transfer, S. 60. 54 EBD. 55 EBD. 56 Vgl. zum Folgenden K. KLAS, Kirchenpartnerschaften, S. 49–53.

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Dank der finanziellen und materiellen Hilfen aus der Bundesrepublik konnten in der DDR tatsächlich, wie von den kirchlichen Geldgebern intendiert, volkskirchliche Organisationsstrukturen und Tätigkeitsfelder – insbesondere der diakonische Bereich – aufrecht erhalten werden. So blieb es auch bei der flächendeckenden Parochialgliederung, der Präsenz des kirchlichen Personals und der Regelmäßigkeit und Stetigkeit der geistlichen Versorgung. Jedoch erreichte die SED in der zweiten Hälfte der 50er Jahre einen massiven Einbruch der Volkskirche als gesellschaftliche Kultur- und Bildungsmacht. Mit der Durchsetzung der Jugendweihe zwischen 1954 und 1959 kam die Staatspartei ihrem Fernziel ein gutes Stück näher: der systematischen Verdrängung der Kirche – als Pflanz- und Pflegestätte „reaktionärer Bürgerlichkeit“57 – aus der Mitte der Gesellschaft an deren Rand. Die volkskirchliche Konfirmationspraxis in ihrer im Verlauf einer langen geschichtlichen Entwicklung geformten Mischung aus reformatorischen Ansätzen, pietistischen und aufklärerischen Auffassungen, gesellschaftlich-bürgerlichen Anschauungen und deutscher Schultradition58 brach zusammen. Schon von Beginn an hatte die SED ihr besonderes Augenmerk auf die Jugend gerichtet, die sie mittels eines von konkurrierenden weltanschaulichen Einflüssen freien Sozialisationsprozesses fest an den SED-Staat und seine Ideologie zu binden beabsichtigte. Hierfür mussten die Kirchen aus den Schulen und der Jugendarbeit verdrängt werden. In repressiver Form erfolgte dies 1952/53 mit den massiven Angriffen auf die Junge Gemeinde als „illegale Organisation“. Mit der Entwicklung einer systematischen Kirchenpolitik seit 1954 kombinierte die SED zukünftig Unterwanderungsversuche mit repressiven Maßnahmen. Insgesamt ging sie geschickter vor, zielte weniger auf die Institution und mehr auf den einzelnen Christen59. So plante die SED-Führung seit Mitte März 1954 sorgfältig die Einführung der Jugendweihe als atheistischen Initiationsritus und Ersatz für die Konfirmation, ohne dass sie als Initiatorin in Erscheinung trat60. Statt ihrer ging am 12. November 1954 ein „Zentraler Ausschuss zur Vorbereitung der Jugendweihe“ mit einem „Aufruf“ an die Öffentlichkeit, in dem die angebliche weltanschauliche Neutralität und Freiwilligkeit der Jugendweihe herausgestellt wurde. Die Kirchen reagierten schnell und erklärten die Unvereinbarkeit von Jugendweihe und Konfirmation61. Ihr Selbstbewusstsein in dieser weltanschaulichen Auseinandersetzung bezogen sie aus den positiven Erfahrungen, die sie 1952/53 mit der Standhaftigkeit der Jugendlichen gemacht hatten, und aus der noch immer wachen Hoffnung auf ein absehbares Ende der DDR62. „Schützenhilfe“ 57 A. Doering-Manteuffel interpretiert die Jugendweihe als ein „sozialmoralisches Kampfinstrument“ gegen das bürgerlich-protestantische Milieu. Vgl. A. DOERING-MANTEUFFEL, Religionspolitik, S. 270. 58 G. Niemeier im KJ 86, 1959, S. 7. 59 Vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 303. 60 Vgl. hierzu H. WENTKER, Einführung; M. G. GOERNER, Kirche, S. 280–289; G. DIEDERICH, SED. Zum Forschungsstand vgl. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 173–176. 61 Vgl. D. POLLACK, Kirche, S. 132. 62 Im Sommer 1959 antwortete Krummacher auf die Frage von Hamel: „Wie konnten die Bischöfe

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kam aus der Bundesrepublik. So ließ z. B. das BMG durch seine Publikationsstelle Ausschnitte aus der Literatur und Tagespresse der DDR über die Jugendweihe zusammenstellen und 1955 bereits in zweiter, erweiterter Auflage in Erzieher- und Pfarrerkreisen verbreiten63. Die Synode der EKD erklärte im Juni 1956 die JugendweiheProblematik, die im Grunde nur die Gliedkirchen in der DDR betraf, explizit zum Gegenstand ihrer Beratungs- und Beschlussgemeinschaft. Die SED begegnete dem kirchlichen Widerstand mit einer auf allen Ebenen einsetzenden Propaganda. Doch stieg der Anteil der Jugendlichen, die an der Jugendweihe teilnahmen, nur sehr allmählich. 1955 waren es ca. 18 %, 1956 ca. 24 % und 1957 ca. 27 %64. Seit Ende 1957 wurde dann aber auf Geheiß Ulbrichts der weltanschaulich-atheistische Charakter der Auseinandersetzung deutlich verstärkt und der Druck auf Lehrer, Eltern und Jugendliche zur Durchsetzung der Jugendweihe erhöht. Die ostdeutschen Kirchenleitungen blieben jedoch widerständig. Sie erklärten, „Drohungen sollen uns nicht schrecken“ und mahnten die Eltern: „Es geht bei der Entscheidung zwischen Konfirmation und Jugendweihe um die Seele eurer Kinder und um euer eigenen Seelen Seligkeit.“65 Parallel zum Kampf um die Jugendweihe holte die Staats- und Parteiführung Anfang 1958 zum definitiven Schlag gegen den Religionsunterricht in den Schulen aus. Dieser wurde durch die „Anordnung zur Sicherung von Ordnung und Stetigkeit im Erziehungs- und Bildungsprozess der Schulen“, dem so genannten Lange-Erlass vom 12. Februar 1958, faktisch aus der Schule verdrängt. Zugleich wurde die gesamte Schulbildung atheistisch überformt. Am 4. März befasste sich das Politbüro mit den „Aufgaben der Parteipropaganda bei der sozialistischen Erziehung der Volksmassen“ und hielt dabei fest: die „atheistische Erziehung ist die Grundlage einer wahrhaft humanistischen Bildung“66. Angesichts dieser Entwicklung war das schon länger geplante Thema „Kirche und Erziehung“ der im April 1958 in Ost- und West-Berlin tagenden EKD-Synode höchst brisant. Das Politbüro wertete die geplante Synode und die auf ihr zu erwartenden Proteste gegen die Behinderungen des Religionsunterrichts, die neue JugendweiheOffensive und die Atheismus-Propaganda als „Provokation“ und inszenierte eine große Kampagne gegen sie67. Mittels Delegationen, Post, Presse und Rundfunk wurde auf die ostdeutschen Synodalen Druck ausgeübt, damit das Erziehungsthema, das für die Staat-Kirche-Konfrontation in der DDR stand, abgesetzt und stattdessen eine Annullierung des Militärseelsorgevertrags, der die Bindung der evangelischen Kirche an die Bundesrepublik dokumentierte, durchgesetzt werde. Letzteres war angesichts der Zu1954 einen solchen Beschluss fassen? Sie mussten doch wissen, dass die ‚Konfirmation‘ der schwächste Punkt im kirchlichen Brauchtum ist, so dass die Niederlage abzusehen war.“ „Vergessen Sie nicht, dass wir 1954 alle noch an eine baldige Wiedervereinigung geglaubt haben.“ Vgl. J. HAMEL, Geschichte, S. 2. 63 BArch KOBLENZ, B 136/6633. 64 Zahlenangaben der SED zitiert nach: M. G. GOERNER, Kirche, S. 285. 65 Kanzelabkündigung der evangelischen Bischöfe in der DDR vom 20.10.1957. Abdruck in: KJ 84, 1957, S. 154. 66 Zitiert nach: M. G. GOERNER, Kirche, S. 351. 67 Vgl. EBD., Kirche, S. 354.

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sammensetzung der Synode nicht zu erwarten. Stattdessen verlas Bischof Lilje eine Erklärung der Kirchenkonferenz, in der es hieß, dass der Militärseelsorgevertrag keine Bindung „an eine politische Zielsetzung“ bedeutete und nur für die Gliedkirchen in der Bundesrepublik Gültigkeit besaß68. Der Rat erhielt von der Synode den Auftrag, einen Ausschuss einzusetzen, der die Möglichkeit einer Überleitung der Militärseelsorge in die Zuständigkeit der beteiligten westdeutschen Landeskirchen überprüfen sollte. Durch diesen Schritt hofften die Synodalen, den Druck auf die Kirchen innerhalb der DDR zu vermindern und die EKD aus der Schusslinie der propagandistischen Angriffe zu nehmen. De facto gab man damit ein Stück weit die Rechts- und Organisationsgemeinschaft in der EKD zugunsten pragmatischen, kontextgebundenen Handelns auf_69. Trotz der Proteste vor und während der Synode wurde das vorgesehene Thema „Kirche und Erziehung“ verhandelt. Gemeinsam verabschiedeten die ost- und westdeutschen Synodalen mehrere Worte zu Fragen der Erziehung, Bildung und Jugendarbeit, in denen aber auch die gravierenden Unterschiede zwischen der Situation in der Bundesrepublik und in der DDR in diesem Bereich anerkannt und berücksichtigt wurden. Im Hinblick auf die Jugendweihe-Problematik beschloss die Synode, Grotewohl um ein Gespräch mit drei Synodalen und einer Vertretung des Rates zu bitten. Um die Situation in der DDR nicht weiter eskalieren zu lassen, sollte der Staat-Kirche-Konflikt nicht auf der Synodaltagung, sondern in Gesprächen unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Die Propagandaaktion der SED hatte hier augenscheinlich Wirkung gezeigt. Zudem bat die Synode den Rat, einen Ausschuss einzusetzen, der eine Neuordnung der Konfirmation durch die Leitungen der Landeskirchen koordinieren sollte, damit „hierbei möglichst nach übereinstimmenden Grundsätzen verfahren und die einheitliche Auffassung und Gestaltung der Konfirmation gefördert werde“70. Die Konfirmationsfrage wurde damit zumindest temporär sowohl zu einer Frage der kirchlichen Einheit zwischen Ost und West als auch zu einer Frage der Einheit der ostdeutschen Kirchen untereinander. Schon vor der Synode hatte man im Kreis der AGEJD die Konflikte um Jugendweihe und Konfirmation unter dem Gesichtspunkt kirchlicher Einheit diskutiert71. Auf 68 BERLIN 1958, S. 202. 69 KJ 85, 1958, S. 101. Auf Vorschlag dieses Ausschusses delegierten der Rat und die Kirchenkonferenz im März und Dezember 1959 ihre durch den Militärseelsorgevertrag und das zugehörige Ergänzungsgesetz gegebenen Zuständigkeiten an einen rein westdeutsch besetzten Ausschuss respektive die westdeutschen Mitglieder der Kirchenkonferenz. Im Februar 1960 stimmte die Synode dieser Regelung zu und erklärte: „Der Militärseelsorgevertrag gilt nur für die Gliedkirchen in der Bundesrepublik, die ihm zugestimmt haben. Er hat für die Gliedkirchen in der Deutschen Demokratischen Republik keine Wirksamkeit.“ KJ 87, 1960, S. 55. Ähnlich hatte sich bereits im April 1958 die Kirchenkonferenz der EKD geäußert. Vgl. BERLIN 1958, S. 456. 70 Zitiert nach: KJ 85, 1958, S. 92. Zur Arbeit dieses gesamtdeutschen Ausschusses und zur Neuordnung der Konfirmation vgl. KJ 86, 1959, S. 7–13 und KJ 87, 1960, S. 27–39. 71 Notizen des Geschäftsführers des GKA der AGEJD Helmut Lauk, der an der Sitzung am 5./6.2.1958 in Berlin-Wannsee teilgenommen hatte, für ein Referat vor der gesamtkirchlichen Mitarbeitertagung am 20.2.1958 in Frankfurt/M. (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). Das knappe offizielle Pro-

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einer Sitzung mit Vertretern aus der Bundesrepublik und der DDR Anfang Februar wurde die Frage gestellt, wie die Einheit der evangelischen Jugend angesichts der verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen gerade auch bei der Konfirmation, dem „schwächsten Punkt in unserem kirchl[ichen] Leben“72, noch aufrecht erhalten werden konnte. Die ostdeutschen Vertreter konstatierten eine gewisse Ratlosigkeit angesichts der durch den Unvereinbarkeitsgrundsatz der Kirchen entstandenen Lage. In der Diskussion darüber, wie man sich nunmehr verhalten sollte, standen sich zwei Positionen gegenüber. Die einen wollten an der bisherigen Regelung festhalten und den Widerstand in der DDR fortsetzen. Die anderen wollten die Situation, die durch die Konfrontation von Jugendweihe und Konfirmation entstanden war, zum Anlass nehmen, um die Konfirmationspraxis auf Grund theologischer und kirchlicher Erwägungen zu reformieren. Die Ost-Berliner Vikarin Ingeborg Becker, eine Vertreterin der Reformbestrebungen, beklagte jedoch, das Konfirmationsalter herab oder hinauf setzen zu wollen, „heißt gleichzeitig die Frage der EKID stellen“73. Die Mehrheit der Teilnehmer kam zu dem Ergebnis, dass sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik die evangelischen Kirchen die Konfirmationspraxis neu durchdenken und „in gemeinsamen Schritten“ Reformen einleiten sollten74. Mit dieser Entscheidung lagen sie, was das Prozedere anbelangte, auf einer Linie mit dem späteren Beschluss der EKD-Synode zu einem einheitlichen Vorgehen in der Konfirmationsfrage. Der im Juni 1958 vom Rat bestellte, gesamtdeutsch zusammengesetzte Ausschuss konnte jedoch nicht verhindern, dass bereits im Sommer 1958 der Konsens der ostdeutschen Kirchenleitungen in der Konfirmationsfrage zu bröckeln begann75. Die Landeskirchen überprüften ihre Entscheidung über die Inkompatibilität von Konfirmation und Jugendweihe und kamen dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen76. Sie missachteten damit den Appell der Kirchlichen Ostkonferenz vom tokoll der Sitzung befindet sich im EZA BERLIN, 2/1550. 72 So das Urteil M. Müllers, des Vorsitzenden der Jugendkammer. Zitiert nach den Notizen von Lauk. 73 EBD. Zu Becker vgl. U. RADKE, Becker. 74 EZA BERLIN, 2/1550. 75 Noch in seinem Bericht an den Rat und die Kirchenkonferenz vom Dezember 1959 gab der Ausschuss seiner Hoffnung Ausdruck, die ostdeutschen Kirchen mögen eine Übereinkunft über die Durchführung der vorgeschlagenen Ordnung der Konfirmation zustande bringen. Allerdings überließ er es ganz den Kirchen in der DDR, für sich einen Konsens zu finden, und weichte damit im Grunde auch in der Konfirmationsfrage, ähnlich wie hinsichtlich des Militärseelsorgevertrages, die Verhandlungs- und Beschlussgemeinschaft der EKD auf. Indes hielt der Ausschuss in seinem Bericht auch fest, dass die Einheit der EKD nicht gefährdet sei, wenn in den einzelnen Gliedkirchen die Konfirmationsordnung in verschiedener Weise gehandhabt würde. „Jedoch sollte die Neuordnung der Konfirmation nach übereinstimmenden Grundsätzen in der Richtung der vorgelegten Leitlinien erfolgen, damit eine einheitliche Auffassung und Gestaltung der Konfirmation in allen Landeskirchen ermöglicht wird.“ KJ 86, 1959, S. 13. 76 Erhebliche Abweichungen gab es zwischen den Regelungen der Kirchen des Landes Sachsen und Berlin-Brandenburgs einerseits und der Kirchen von Thüringen und Anhalt andererseits. Vgl. KJ 85, 1958, S. 193–198. Besier sieht in dem Abrücken der Kirchenleitungen von der Haltung des EntwederOder ein „Paradebeispiel für die ‚innere Differenzierung‘ zwischen den Landeskirchen, einen Schlüsselfall für den Weg der Kirchen in die Anpassung“ (G. BESIER, SED-Staat, S. 290). Diese Beurteilung

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27. August, „an einer gesamtkirchlichen Regelung festzuhalten“77. Die Konferenz hatte den Landeskirchen empfohlen, bei dem Unvereinbarkeitsgrundsatz zu bleiben, aber diejenigen Jugendlichen, die an der Jugendweihe teilnahmen, aus seelsorgerlichen Überlegungen heraus unter bestimmten Voraussetzungen nach einer Frist von etwa einem Jahr zur Konfirmation wieder zuzulassen78. Auch diese Empfehlung bedeutete bereits ein Abweichen von dem bislang verfolgten Konfrontationskurs und hatte nach Ansicht des Vorsitzenden der Jugendkammer Ost, Erich Andler, „schwerste Erschütterungen in den Pfarrhäusern zur Folge gehabt, die jahrelang in dieser Frage gekämpft haben und nun zurückweichen sollen.“79 Allerdings hatten die Kirchenleitungen und Pfarrer mit ihrem widerständigen Verhalten im Laufe der Zeit in den Gemeinden immer weniger Unterstützung gefunden; sie waren, wie es Johannes Hamel ausdrückte, zu einem Offizierskorps ohne Mannschaft geworden80. Eltern betroffener Jugendlicher drohten teilweise mit Kirchenaustritt, falls ihre Kinder wegen der Jugendweihe nicht sofort zur Konfirmation zugelassen wurden. Die staatlichen Sanktionen bei einer Verweigerung der Jugendweihe, wie die Nichtzulassung zur Abiturstufe und die Einschränkung in der Berufswahl, aber auch das Schwinden von Wiedervereinigungshoffnungen81 zeigten unter der christlichen Bevölkerung Wirkung: die Teilnehmerzahlen der Jugendweihe stiegen sprunghaft an. 1958 nahmen 44,1 % des Jahrgangs an der Jugendweihe teil, 1959 waren es bereits 80,4 %82. Die SED hatte sich bei der Einführung der pseudoreligiösen Jugendweihe durchgesetzt und dadurch die Reproduktion der kirchlichen Mitgliederbasis mittels Konfirmation und anschließender Überführung in die Junge Gemeinde ebenso erschwert wie durch die Verdrängung des Religionsunterrichts aus den Schulen. Die Jungen Gemeinden erfuhren sowohl einen numerischen Verlust als auch ein Absinken ihres sozialen Niveaus, da fortan Konfirmation und Oberschule inkompatibel waren83. Das harte Vorgehen der SED in Jugend- und Erziehungsfragen war Teil einer ideologischen Großoffensive, welche durch den V. Parteitag der SED vom 10. bis 16. Juli 1958 an Dynamik gewann. Walter Ulbricht hatte gerade seinen letzten Widersacher im Politbüro ausgeschaltet und ging nunmehr daran, seinen Herrschaftsanspruch in kann jedoch nur zustande kommen, wenn alle gesellschaftlichen und kulturellen Kontextbedingungen ausgeblendet werden. Vgl. D. POLLACK, Rolle, S. 86f. 77 KJ 85, 1958, S. 192. 78 EBD., S. 191f. 79 Niederschrift Lauks vom 24.9.1958 über den Bericht Andlers auf der Arbeitstagung der AGEJD (Aaej HANNOVER, OW Referate). 80 J. HAMEL, Christ, S. 10. 81 Nach Hamel ließ „die Aussicht auf die Möglichkeit einer Wiedervereinigung“ die Eltern 1955 noch zögern, ihre Kinder zur Jugendweihe zu schicken. Vgl. J. HAMEL, Christ, S. 14. 82 Zahlen nach H. WENTKER, Einführung, S. 163f. In Rostock-Stadt nahmen 1955 23 % der Schüler an der Jugendweihe teil, 1958 60,1 %, 1960 dann 95,5 %. Die Anzahl der Konfirmanden an den Stadtkirchen St. Nicolai und Heilig Geist ging von 314 im Jahr 1955 auf 41 im Jahr 1960 zurück. A. DOERING-MANTEUFFEL, Religionspolitik, S. 270. 83 Vgl. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 221.

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allen gesellschaftlichen Bereichen kompromisslos durchzusetzen und dauerhaft abzusichern. Auf dem Parteitag verkündete er in Parallele zu den christlichen Zehn Geboten die „Zehn Gebote der sozialistischen Moral“84 und machte damit den Führungsanspruch der Partei über alle Lebensbereiche deutlich. In der Kirchenpolitik führte dies zu Kampagnen zur Ausbreitung des Atheismus und zur Einführung atheistischer Ersatzrituale auch für Taufe, Hochzeit und Beerdigung. Die Kirchen verloren diese weltanschauliche Auseinandersetzung, die Kirchlichkeit ging in der zweiten Hälfte der 50er Jahre drastisch zurück. Die Zahlen der Taufen und Gottesdienstbesucher sanken rapide, während sich die Kirchenaustrittswelle, die bereits Anfang der 50er Jahre eingesetzt hatte, infolge der massiven Propaganda der SED verstärkte. Die Mehrheit der Christen zeigte sich dem staatlichen Druck nicht gewachsen und wollte den Schikanen und Benachteiligungen, denen sie als Christen ausgesetzt waren, entgehen. Resignation und Zermürbung waren nach zehn Jahren SED-Herrschaft in der DDR und schwindender Aussicht auf deren Ende bereits weit verbreitet. Nach dem V. Parteitag der SED und seinem Beschluss zur „Vollendung“ des sozialistischen Aufbaus wurde auch die Kollektivierung der Landwirtschaft mit allen Druckmitteln und Repressionsmaßnahmen forciert. Ebenso wurde eine Kollektivierungsbewegung im Handwerk vorangetrieben. Dies führte am Ausgang der 50er Jahre zum Ansteigen der Fluchtbewegung und zu einer allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Krise. Der ostdeutsche Protestantismus verlor in diesen Jahren durch die Kollektivierung von Landwirtschaft und Handwerk sowie die Abwanderung großer Teile des Bildungs- und Besitzbürgertums in die Bundesrepublik einen bedeutenden Teil seines sozialstrukturellen Rückhalts85.

2.2.2 Der gesamtkirchliche Streit um „rechte Obrigkeit“ und Atombewaffnung Der drastische Schrumpfungs- und Marginalisierungsprozess sowie das Schwinden der Hoffnung auf eine deutsche Wiedervereinigung, die den kirchlichen Widerstandswillen in der DDR bis dahin mitgetragen hatte, bildeten den Hintergrund, vor dem die ostdeutschen Kirchen in der zweiten Hälfte der 50er Jahre ihr Verhältnis zu ihrem Staat und der sie umgebenden, sich sukzessive wandelnden Gesellschaft neu bestimmen mussten. Einen Anschub erhielt dieser Selbstverständigungsprozess durch das Drängen der SED, die Landeskirchen auf dem Gebiet der DDR sollten ihre Loyalität gegenüber ihrem Staat und ihrer Regierung erklären. Zusätzliche Schubkraft bekam er durch die repressiven Maßnahmen der Partei- und Staatsführung, die den Christen das Leben in der DDR zusehends erschwerten. Die Frage, wie mit dieser Situation theologisch und kirchenpolitisch umzugehen sei, wurde zunächst noch innerhalb der gesamtdeutschen kirchlichen und theologischen Kommunikationsnetze diskutiert. 84 Abdruck in: KJ 85, 1958, S. 175f. 85 Vgl. D. POLLACK, Rolle, S. 104.

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Auch waren der westdeutsche Staat und das dortige Staat-Kirche-Verhältnis weiterhin positive wie negative Bezugsgrößen in dieser Diskussion. Erste Antworten waren bereits auf der EKD-Synode im Juni 1956 gegeben worden86. Daneben suchten einzelne Theologen bzw. theologische Arbeitskreise nach neuen Wegen und Möglichkeiten kirchlicher Arbeit und christlicher Existenz in einer zunehmend atheistischen Gesellschaft87. Auf diese Weise bildete sich in der zweiten Hälfte der 50er Jahre unter den Bedingungen einer vertieften deutschen Teilung und Verhärtung der (kirchen-)politischen Situation in der DDR ein weites Spektrum kirchenpolitischer Positionen aus. Es reichte von staatsloyalen Opportunisten – versammelt in dem im Juli 1958 unter direkter Schirmherrschaft der SED gegründeten und kirchlich einflusslosen „Bund evangelischer Pfarrer“ – über sich um eine konstruktiv-kritische Haltung bemühende theologische Theoretiker, westlich orientierte, kritische Pragmatiker bis hin zu wirklichen Staatsgegnern88. Viel diskutiert wurde in diesen Jahren der Selbstverständigungsversuche die Schrift von Johannes Hamel: „Christ in der DDR“. Sie erschien 1957 und erlebte mehrere Auflagen. Ähnlich wie Jacob in seinem Synodalvortrag von 1956 tendierte auch Hamel dazu, die kirchliche Situation in der DDR theologisch positiv zu deuten. Auch ihm ging es um eine Stärkung des Glaubensengagements des einzelnen Christen in der DDR, das an die Stelle des Vertrauens in volkskirchliche Traditionsbestände und die Orientierung an dem bundesrepublikanischen Staat-Kirche-Modell treten sollte89. Damit unterschied er sich diametral vom kirchenpolitischen Kurs Dibelius’, der das ekklesiologische Modell der Volkskirche in der DDR erhalten wollte, die Kirche in der Verantwortung für das Gesamtleben des Volkes sah und ihre Aufgabe auch darin erblickte, dem Staat seine Grenzen zu zeigen. Bei Hamel war hingegen zu lesen, Gott gebe den Christen den langen Atem, aus dem sie Kraft schöpften, um sich „im Ansatz [zu] trennen von der menschlich-natürlichen Empörung und Erbitterung über Unrecht, Gewalttat, Lüge und Verletzung der Menschenwürde.“90 Hamel wollte eine Haltung der Christen gegenüber ihrer atheistischen Umwelt fördern, die nicht in Abgrenzung, Ressentiments oder Resignation bestand. Die Tatsache, dass er während der Auseinandersetzungen um die Studentengemeinden 1953 einige Monate inhaftiert gewesen war91, ließ ihn in diesem Anliegen besonders glaubwürdig erscheinen. Die Gefängniserfahrung war für ihn und andere prägend gewesen. Er selbst beschreibt seinen Erfahrungsprozess mit folgenden Worten: „Auf der einen Seite entdeckten nicht wenige, dass unter den Erfahrungen von Bedrückung und Gewalt [. . .] die Wahrheit des Evangeliums sich mit bis dahin ungeahnter Kraft durchsetzte. Im Gefängnis erkannten wir, dass Jesus Christus aus Gebundenen freie Boten seiner 86 87 88 89 90 91

Siehe Kap. 2.1. Ausführlich hierzu: T. FRIEBEL, Kirche, S. 227–251. Vgl. D. POLLACK, Kirche, S. 166. Vgl. hierzu EBD., S. 163ff. J. HAMEL, Christ, S. 24. Vgl. A. GURSKY, Vorgang.

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freien Gnade an alle macht. Auch erlebten wir mit Beschämung, wie Gottes erhaltende Gnade bei denen viel Menschlichkeit erweckt und erhält, die wir bis dahin für ideologiegebundene Fanatiker gehalten und abqualifiziert hatten, von denen nichts Gutes zu erwarten sei. Vor allem aber wurde uns in diesen Jahren, besonders in den Monaten Dezember 1952 bis August 1953 während des ‚Kirchenkampfes‘, der untrennbare Zusammenhang der beiden Hälften des Liebesgebotes eingebrannt: Wer nicht seine ‚Feinde‘ liebt, kann nicht beten. Und: Wer Gott über alle Dinge liebt, vertraut und fürchtet, wird frei und offen für die, die noch nicht oder nicht mehr glauben. Entsprechende Erfahrungen machten hunderte junger Christen in den ‚Jungen Gemeinden‘ und Studentengemeinden unter schwierigsten Umständen.“92

Anstatt innere Emigration und äußere Anpassung miteinander zu verbinden, sollten die Christen nach Ansicht des Naumburger Theologen vor dem Hintergrund des „Ja“, das Gott zur Welt gesprochen habe, von Fall zu Fall deutlich „Ja“ und „Nein“ sagen93. Die Christen in der DDR dürften keine „Parteigänger des Westens“, sondern müssten Brückenbauer im Kampf zwischen Ost und West sein94. Auch Hamel bediente sich der frühchristlichen Kennzeichnung der Christen als „drittes Geschlecht“95, indem er forderte: Befreit durch das lebendige Wort Gottes, sollten die Christen in der DDR „zwischen sämtlichen Fronten als das ‚dritte Geschlecht‘“ stehen und ihre Handlungen nicht von der Hoffnung auf eine Wiedervereinigung unter westlichen Vorzeichen bestimmen lassen96. Hamels theologischer Entwurf für das Leben der Christen in der DDR stieß insbesondere in den Studentengemeinden und Jungen Gemeinden auf viel Resonanz, wenn auch nicht durchgehend auf positive. Der „Gärungsprozess“97 war dort in vollem Gange. Getragen von der Hoffnung auf Wiedervereinigung waren die Jungen Gemeinden bis Mitte der 50er Jahre in widerständiger Distanz zum ostdeutschen Staat verharrt. Doch mit dem allmählichen Abschied von der Wiedervereinigung als Naherwartung nahm auch unter ihnen die Überzeugung zu, dass man sich zukünftig mit der DDR und ihrer Regierung arrangieren musste. Im November 1957 erklärte der Vorsitzende der Jugendkammer Ost Andler in gesamtdeutscher Runde, die Kirche müsse zur Kenntnis nehmen, „dass die DDR nunmehr kein Übergangsstadium kurz vor der Wiedervereinigung sei“. Sie sollte daher die Regierung der DDR anerkennen98. Ein evangelischer Christ müsse seine staatsbürgerliche Verantwortung wahrnehmen; dies könne auch „durch Schweigen“ geschehen. Regierung bleibe eben Regierung und Obrigkeit bleibe Obrigkeit, so erklärte Andler sein resignatives Plädoyer für politische Passivität. Das

92 J. HAMEL, Geschichte, S. 3. 93 Dieser Gedanke kommt auch in Hamels Aufsatz von 1958 „Verkündigung des Evangeliums in der marxistischen Welt“ zum Tragen. 94 J. HAMEL, Geschichte, S. 27. 95 Siehe Kap. 1.2.3. 96 J. HAMEL, Geschichte, S. 29. 97 Vgl. Referat Lauks auf der gesamtkirchlichen Mitarbeitertagung am 20.2.1958 in Frankfurt/M. (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 98 Protokoll Lauks über die Sitzung des GKA der AGEJD am 26./27.11.1957 (Aaej HANNOVER, Protokolle GKA).

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Wort, das die Synode der EKD am 26. April 1958 an die „evangelische Jugend“ richtete, setzte hier andere Akzente. Darin erklärten die Synodalen, dass sie bis zur Wiedervereinigung, „die wir von Gott erbitten und für die wir uns einzusetzen haben“, die gegenwärtigen staatlichen Ordnungen in „jedem Teil unseres Vaterlandes“ ernst nehmen würden. Allerdings wollten sie „nicht schweigen, wo wir Gottes Gebote verletzt sehen, und wollen uns hüten, menschliche Gesellschaftsordnungen zu vergötzen.“99 In den Studentengemeinden war es vor allem der „Fall Schmutzler“, der einen Reflexionsprozess darüber in Gang brachte, ob und wie man zu einem neuen Verhältnis zur DDR-Regierung kommen könne. Dies geschah zumindest teilweise noch in einem gesamtdeutschen Kommunikationsfeld, allerdings entstanden dabei Verstimmungen zwischen ost- und westdeutschen Gemeindevertretern. Die Verhaftung und Verurteilung des Leipziger Studentenpfarrers hatte auch in der Bundesrepublik für Aufsehen gesorgt. In den westdeutschen Studentengemeinden und der Evangelischen Jugend kam es wie schon anlässlich der Verhaftungen in den Jahren 1952/53 zu solidarisierenden Stellungnahmen und Aktivitäten100. Einige dieser Solidaritätskundgebungen trafen aber unter ostdeutschen Studentengemeindevertretern nicht mehr auf ein ungeteilt positives Echo. Um einem Protestaufruf von Wilhelm Wolfgang Schütz an die deutschen Studenten zuvorzukommen, hatte eine Gruppe westdeutscher Studentenpfarrer, unter ihnen auch der Generalsekretär der ESGiD Peter Kreyssig, ein „Wort an die Gemeinden“ sowie ein an die Öffentlichkeit gerichtetes „Memorandum“ herausgegeben101. Über beide Texte kam es zwischen west- und ostdeutschen Studentengemeindevertretern zu Auseinandersetzungen, die eine kontextbedingte Entfremdung offenbarten. Vertreter aus der DDR kritisierten die „rein westlichen Formulierungen“ des Wortes an die Gemeinden, von dem sich die ostdeutschen Studentengemeinden jedoch nicht distanzieren könnten, da dies „in den Augen des Ostens Trennung bedeuten würde.“102 Auch die Terminologie des Memorandums sei „unglücklich mit von der Westpresse gebrauchten Redewendungen (z. B. Pankower Regierung, Willkürakt, wider Recht und Wahrheit).“103 Der Text gebe eine „westliche“ Rechtsauffassung wieder, und „es sei nicht die Aufgabe des Ostens“, so soll sich der Berliner Studentenpfarrer Gottfried Forck geäußert haben, „das Recht- und Wahrheitsverständnis des westlichen Raumes zu übernehmen. Das Evangelium könne nicht mit westlicher Rückendeckung ausgerichtet werden.“104 Da es den ostdeutschen Vertretern darauf 99 BERLIN 1958, S. 453. 100 In ihrer Erklärung „Zur Lage der Jungen Gemeinden in der DDR“ rief die AGEJD am 28.11.1957 zur Fürbitte für Schmutzler und seine Angehörigen, aber auch für die durch die Jugendweihekampagne bedrängten Konfirmanden und ihre Eltern auf. Abdruck in: E. WEISSER, Freiheit, S. 215f. 101 So Kreyssig Anfang Januar auf dem Großen Konzil, der regelmäßigen Zusammenkunft der Mitarbeiter der ost- und westdeutschen Geschäftsstellen der ESGiD. 1.000 Exemplare des übersetzten Memorandums wurden an den Weltbund versandt, der gleichfalls in der Angelegenheit aktiv werden sollte. Vgl. Protokoll des Großen Konzils am 2./3.1.1958 (EZA BERLIN, 36/337). 102 So der Leiter der Geschäftsstelle für die Gemeinden in der DDR Pfarrer Helmut Orphal. EBD. 103 EBD. 104 EBD.

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ankam, „zur Entschärfung der Situation zwischen Staat und Kirche beizutragen“, einigte man sich darauf, das Memorandum nicht weiter auszugeben. Auch unter den ostdeutschen Vertrauensstudenten der ESGiD wurde das Vorgehen der westdeutschen Studentenpfarrer und -gemeinden im „Fall Schmutzler“ diskutiert und kritisiert. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass aus den Stellungnahmen der Studentengemeinde für die „Atheisten das Evangelium vernehmbar sein“ müsse. Dies sei, wie im Falle des Memorandums, nicht möglich, „wenn der Wortlaut von einer politischen Terminologie mit bestimmt“ wäre. Auch dürfe eine Fürbitte keine politische Demonstration darstellen105. Einzelne westdeutsche Gemeinden schlossen sich dieser Kritik an. So monierte die Darmstädter Studentengemeinde, in der Mochalski als Studentenpfarrer tätig war, in einem Brief an das Generalsekretariat und die Vertrauensstudenten, das Memorandum könne wegen seiner „Unsachlichkeit“ ernste Folgen für die Gemeinden in der DDR haben; es sei für Schmutzler nicht von Nutzen und würde in der Presse nach Kalter-Krieg-Manier kommentiert werden106. Mochalski war es auch, der einen Tag nach einer außerordentlichen gesamtdeutschen Studentenpfarrerkonferenz am 31. Januar 1958 mit Staatssekretär Eggerath sprach und ihm mitteilte, die Konferenz habe sich von dem Memorandum distanziert und sich selbstkritisch gefragt, ob man sich „nicht häufig mißverständlich ausgedrückt und denen Vorschub geleistet [habe], die mit der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR nicht einverstanden waren“107. Im Hinblick auf ein Gnadengesuch, das die Studentenpfarrerkonferenz für Schmutzler an den Staatspräsidenten der DDR stellen wollte, empfahl Eggerath dies nicht „gesamtdeutsch“ zu untermauern, und zu betonen, dass Schmutzlers Verurteilung zu Recht erfolgt sei108. Die westdeutschen Studentengemeinden nahmen die Auseinandersetzung um das Schmutzler-Memorandum zum Anlass, über das Verhältnis der Christen zum Staat im Nachkriegsdeutschland zu reflektieren109. Dabei wurden zutreffende Beobachtungen gemacht, gleichzeitig aber die Unterschiede der beiden Gesellschaftssysteme und der Mitgestaltungsmöglichkeiten der einzelnen Bürger in ihnen nicht ausreichend berücksichtigt. Nach Ansicht der Delegiertenkonferenz, dem studentischen Gremium 105 Die Ergebnisse der ostdeutschen Vertrauensstudentenkonferenz vom 7.–13.1.1958 wurden der westdeutschen Delegiertenkonferenz schriftlich mitgeteilt. Vgl. Protokoll der DK am 26.–28.2.1958 (EZA BERLIN, 36/384). 106 Vgl. die Ausführungen der Darmstädter Studentin Hildburg Bethke hierzu in ihrem Referat über „Die Einheit der Ev[angelischen] Studentengemeinde in Deutschland“ auf der DK. Anlage 5 zum Protokoll der DK am 26.–28.2.1958 (EBD.). 107 Aktennotiz Eggeraths, 1.2.1958. Zitiert nach: G. BESIER, SED-Staat, S. 250. – Die distanzierende Erklärung der Studentenpfarrerkonferenz war nach Angabe Bethkes in keiner westdeutschen Zeitung abgedruckt worden und auch der „epd“ habe sie nur „um die entscheidenden Sätze gekürzt“ gebracht. Vgl. Vortrag Bethkes auf der DK der ESGiD vom 26.–28.2.1958 (EZA BERLIN, 36/477). 108 Sämtliche Gnadengesuche blieben ohne Erfolg. Schmutzler wurde erst am 18.2.1961 nach dreieinhalb Jahren aus dem Zuchthaus entlassen. Am 9.7.1991 rehabilitierte ihn das Leipziger Bezirksgericht. 109 Protokoll der DK am 26.–28.2.1958 (EZA BERLIN, 36/384). Die DK war das studentische Gremium der Gesamtarbeit in der Bundesrepublik.

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der Gesamtarbeit in der Bundesrepublik, war die Haltung der Christen gegenüber dem Staat in der unmittelbaren Nachkriegszeit in West wie Ost reserviert bis ablehnend gewesen. Infolge der Erfahrungen mit dem totalitären NS-Staat habe man sich darauf konzentriert, die Grenzen staatlicher Macht gegenüber dem Individuum und der Gesellschaft zu fixieren. In der Bundesrepublik sei dann allmählich die öffentliche Verantwortung des einzelnen Christen und der Kirche neu verstanden, interpretiert und praktiziert worden. Auf Grund des teilweise militanten Atheismus der Staatsorgane habe in der DDR eine ähnliche Entwicklung erst viel später eingesetzt. Die Resignation, die aus der immer wieder enttäuschten Hoffnung auf Wiedervereinigung gewachsen sei, habe zu diesem Umschwung merklich beigetragen. Hieraus sei für sehr viele Christen die Aufgabe entstanden, „um der Verkündigung des Evangeliums willen ein Verhältnis zum Staat zu gewinnen, das nicht von vornherein auf grundsätzlicher Ablehnung beruht.“ Diese Aufgabe werde unterschiedlich gelöst: Zum einen durch eine Loyalität, die sich in konstruktiver Kritik darstelle. Zum anderen in einer Loyalität, die sich in einer Beteiligung „an vielen Aktivitäten und Entscheidungen“ äußere, um auf diesem Wege „Einfluss für das Evangelium zu gewinnen“. Insgesamt sahen die Studenten die Schwierigkeit für ihre ostdeutschen Kommilitonen darin, die Grenze zwischen einem echten Bemühen um loyale Mitarbeit und dem Gehorsam gegenüber den Weisungen des Evangeliums in den alltäglich geforderten politischen Entscheidungen zu ziehen. Während im kirchlichen Raum reflektiert wurde, schuf die DDR-Führung Tatsachen, um die ostdeutschen Kirchen von der EKD zu entfremden und dem SED-Staat anzunähern. Am 17. Mai schrieb Grotewohl an Grüber, dass „angesichts des Ablaufes der Synode der EKD im April 1958 und der Behandlung des Militärseelsorgevertrages“ eine Vertretung des Rates bei der Regierung der DDR nicht mehr anerkannt werde. Damit wurde nun auch offiziell die Tätigkeit Grübers als Bevollmächtigter des Rates der EKD beendet, nachdem man ihn staatlicherseits schon seit längerer Zeit aufs Abstellgleis gestellt hatte110. Diese offizielle Zurücknahme seiner Akkreditierung hatte Grüber durch eine Rede auf der EKD Synode provoziert, in der er solidarisch seinen Bischof Dibelius gegen die Angriffe der DDR-Regierung verteidigt hatte. Der Brief Grotewohls an Grüber enthielt zudem ein gefährliches Angebot. Der Ministerpräsident erklärte sich bereit, eine reine DDR-Delegation zu empfangen und auf diese Weise die von den Kirchen seit Dezember 1956 wiederholte Bitte um Verhandlungen über die kirchlichen Gravamina vornehmlich im Erziehungsbereich zu erfüllen111. Mit der Annahme dieses Angebotes sollten die Kirchen in der DDR selbst den ersten Schritt zur organisatorischen Spaltung der EKD machen. Auf ihrer Sitzung am 28. Mai sprachen die ostdeutschen Kirchenleitungen offen darüber, welche Folgen die vom Staat anvisierte Trennung für ihre Kirchen haben würde. Sie nannten finanzielle Not, geistige Isolierung und eine staatliche Instrumen110 Zum Ende des Bevollmächtigten vgl. S. RINK, Bevollmächtigte, S. 237–240. 111 Das Schreiben ist abgedruckt in: KJ 85, 1958, S. 138.

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talisierung der Kirche in der DDR112. Diese Einheitsmotive und unter ihnen vornehmlich die Sicherung kirchlicher Unabhängigkeit gegenüber dem SED-Staat konnten aber nicht in dem Schreiben des Rates der EKD aufgeführt werden, das nach Ansicht der ostdeutschen Kirchenvertreter auf den Grotewohlbrief erfolgen sollte. Hier sollte stattdessen auf die gesamtdeutsche Klammerfunktion der EKD hingewiesen werden. Auf derselben Sitzung entschlossen sich die ostdeutschen Kirchenvertreter allerdings auch dazu, das staatliche Gesprächsangebot anzunehmen. Sie stellten eine Verhandlungsdelegation zusammen, die ausschließlich aus Vertretern der Kirchen in der DDR bestand. Dibelius gehörte ihr folglich nicht an. Da auch er die Verhandlungen nicht schon im Vorfeld belasten wollte, bat er Bischof Lilje, den Fürbittegottesdienst der westdeutschen Kirchen am 17. Juni als „Fürbittegottesdienst um Frieden und um die Wiedervereinigung“ zu deklarieren. Bei der DDR-Regierung sollte der Eindruck vermieden werden, „als erklärte sich die Evangelische Kirche im Bundesgebiet mit der staatlichen Feier des 17. Juni solidarisch.“113 Am 5. Juni bat Gustav Heinemann aus Sorge um den Fortbestand der EKD Grotewohl um eine Unterredung114. Er handelte dabei in eigener Verantwortung. In dem halbstündigen Gespräch bezeichnete der DDR-Ministerpräsident seine geplante Aussprache mit ostdeutschen Kirchenvertretern als einen guten Ansatz zur Lösung der anstehenden Fragen. Er bestritt entschieden, dass die Einheit der EKD zerstört werden sollte. Ziel der DDR-Regierung sei es vielmehr, „dass der mehrheitliche und an der Adenauer-Politik orientierte Einfluss in den Organen der EKD in Angelegenheiten der DDR ausgeschaltet werden müsse. Dieser Einfluss sei nicht mehr erträglich.“115 Heinemann, der diese Aussage erwartet hatte, konterte mit einem Vorschlag, den er schon im Vorfeld geplant hatte: „Eine ‚Kommission für gesamtkirchliche Aufgaben‘ wird mit den einschlägigen Aufgaben beauftragt; darunter z. B. dem Geld-Transfer, aber auch mit den gegenüber der DDR-Regierung zu erörternden grundsätzlichen kirchlichen Angelegenheiten. Diese Kommission könnte aus Vertretern der Gliedkirchen in Ost und West gebildet werden, etwa 6 oder 8 insgesamt, und wäre so zu bevollmächtigen, dass sie aus eigener Entscheidung zu handeln vermöchte. Die EKD bliebe mit ihren Organen, insbesondere dem Rat, bestehen, würde aber im Umkreis der für die Kommission vorzusehenden Aufgaben nicht auftreten.“116

Grotewohl nahm die Idee positiv auf, wollte sich aber nicht abschließend festlegen. Der Vorschlag wurde dann weder von kirchlicher noch von staatlicher Seite jemals wieder aufgegriffen. Nach mehreren Gesprächsrunden zwischen der staatlichen und kirchlichen Verhandlungsdelegation117, in denen es zu keiner wirklichen Einigung über die Beschwer112 113 114 115 116 117

Das Protokoll der Sitzung ist abgedruckt in: Pontifex, S. 173f. Zitiert nach: G. BESIER, SED-Staat, S. 261. Heinemann an Dibelius, 6.6.1958 (EZA BERLIN, 603/B 27). EZA BERLIN, 603/B 27. EBD. Vgl. hierzu A. MÄKINEN, Mann, S. 53–56.

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den der Kirchen kam, veröffentlichte das Presseamt beim Ministerpräsidenten am 21. Juli als Ergebnis der Gespräche das später so genannte „Kommuniqué“118. Der diesem zugrunde liegende staatliche Textentwurf war von den Kirchenvertretern bis auf Einschübe und Abschwächungen akzeptiert worden119. Die staatliche Seite sagte darin eine Überprüfung der kirchlichen Beschwerden zu und sicherte die Einhaltung der eigentlich schon durch die Verfassung garantierten Grundrechte auf Glaubensund Gewissensfreiheit und auf ungestörte Religionsausübung zu. Um sich die weitere Verhandlungsbereitschaft des Staates, von dessen Wohlwollen sie abhängig war, zu sichern, kam die kirchliche Seite, darunter die beiden Bischöfe Mitzenheim und Krummacher, in dem Kommuniqué den staatlichen Forderungen weit entgegen120. Sie nahm öffentlich den Vorwurf des Verfassungsbruchs zurück und bekräftigte, dass der Militärseelsorgevertrag für die ostdeutschen Kirchen keine Gültigkeit besitze. Zudem äußerte sie sich, wie von der SED verlangt, zu deren staatspolitischen Zielen. In der Erklärung hieß es, dass die Kirche „grundsätzlich mit den Friedensbestrebungen der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Regierung übereinstimmt“121. Im Hinblick auf „die Christen“ in der DDR war weiter zu lesen: „Ihrem Glauben entsprechend erfüllen die Christen ihre staatsbürgerlichen Pflichten auf der Grundlage der Gesetzlichkeit. Sie respektieren die Entwicklung zum Sozialismus und tragen zum friedlichen Aufbau des Volkslebens bei.“122 Die SED-Führung errang mit diesem Kommuniqué einen wichtigen Teilerfolg123: Die EKD verlor mit ihm faktisch ihren gesamtkirchlichen Vertretungsanspruch gegenüber der DDR-Regierung. Und zumindest indirekt über „die Christen“ hatten die ostdeutschen Kirchen ihre Loyalität gegenüber der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR erklärt und sich damit deklaratorisch von der Orientierung der EKD an der Bundesrepublik und der westlichen Wertewelt gelöst. Die SED behandelte das Kommuniqué im Folgejahrzehnt als Dokument einer Neudefinition des Staat-Kirche-Verhältnisses und berief sich in Kirchenfragen fortan auf diesen Text und nicht mehr auf die Verfassung. Innerkirchlich reichten die Reaktionen auf das Kommuniqué von scharfer Kritik bis zu verständnisvoller Zustimmung. Insgesamt überwog aber die Ablehnung124. So erklärte etwa Lothar Kreyssig in einem achtseitigen Memorandum vor dem Rat der EKD, dem Rat der EKU und der Kirchlichen Ostkonferenz, dass er die Folgen der „Gemeinsamen Erklärung“ nicht mitverantworten könne125. Deren Befürworter aber 118 Abdruck in: KJ 85, 1958, S. 105f. 119 Vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 357. 120 D. POLLACK macht deutlich, dass es der Kirche bei ihrer Loyalitätserklärung darum ging, die Verhandlungsbereitschaft derjenigen Instanz zu gewinnen, die alle Macht in Händen hielt. Vgl. DERS., Kirche, S. 151. 121 KJ 85, 1958, S. 106. 122 EBD. 123 Vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 393. 124 Vgl. D. POLLACK, Kirche, S. 151f. 125 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 282f.

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mussten schon bald erkennen, dass selbst dieses weite Entgegenkommen staatlicherseits in der Praxis so gut wie nicht honoriert wurde126. Auch und gerade nach dem Kommuniqué ging innerkirchlich die Positionsfindung von Kirche und Christen gegenüber einem demokratisch nicht legitimierten, mehrfach rechtsbrüchigen SED-Staat und einer atheistischen Umwelt weiter. Räumlich und gedanklich aus der Ferne versuchte Karl Barth in einem „Brief an einen Pfarrer in der DDR“ den Christen in der DDR Mut zu machen, ihre Situation anzunehmen. Dabei sparte er nicht an Kritik am Antikommunismus des Westens127. Die gesamtdeutsche EKU übergab im Februar 1959 ihren Pfarrern und Mitarbeitern eine Handreichung zur christlichen Existenz in der DDR, an der Johannes Hamel maßgeblich mitgearbeitet hatte128. In ihr wurde das Nein zum Totalanspruch einer Ideologie und das jeweils zu begründende partielle Nein gegen etwa zugemuteten Ungehorsam gegen göttliche Gebote in ausgewogener Weise mit dem jeweils partiellen Ja zur politischgesellschaftlichen Mitarbeit, wo sie nötig und möglich erschien, verbunden129. Die Handreichung wurde in den Folgemonaten in allen ost- und westdeutschen Gliedkirchen der EKU in vielen Pfarrkonventen und sonstigen Zusammenkünften diskutiert130. Da sie der Handreichung der EKU kritisch gegenüber stand, begann die VELKD im Frühjahr 1959 an einer eigenen Handreichung zu arbeiten. Das Ergebnis erschien jedoch erst Ende 1960 unter dem Titel „Der Christ in der DDR“. Darin wurde die DDR-Regierung als die gottgegebene Obrigkeit im Sinne von Römer 13 anerkannt und die Christen wurden dazu aufgefordert, ihre staatsbürgerlichen Pflichten zu erfüllen. Zugleich hieß es in dem Text aber auch, dass der Christ „die Tatsache, in einem atheistischen Weltanschauungsstaat zu leben, nur hinnehmen und erleiden, aber nicht billigen und fördern“ könne131. Noch im Jahre 1959 veröffentlichte Martin Fischer seine Schrift „Obrigkeit“, die er Heinemann widmete. Fischer übernahm darin Überlegungen der EKU-Handreichung und verknüpfte sie mit einer kritischen Beurteilung der bisherigen Haltung der Kirche gegenüber den beiden deutschen Staaten. Dabei beklagte er insbesondere die einseitige kirchliche Parteinahme für den „Westen“, ging allerdings nicht ausreichend darauf ein, worin die Gründe dafür lagen. Die Anstrengungen der EKD, Hilfestellung für eine christliche Existenz im atheistischen SED-Staat zu geben, blieben hingegen ohne ein publiziertes Ergebnis. Auf Wunsch des Rates hatte Krummacher ihm bereits im Februar 1958 anhand von zwölf Thesen grundsätzliche Ausführungen „über das Verhalten des Christen und der Kirchenleitungen zum Staat“ vorgetragen132. Der Greifswalder Bischof empfahl, dass die 126 Vgl. EBD., S. 285. 127 Vgl. hierzu T. FRIEBEL, Kirche, S. 248–251 und G. BESIER, SED-Staat, S. 301–311. 128 Vgl. ausführlich T. FRIEBEL, Kirche, S. 258f. und 265–271. 129 Vgl. J. HAMEL, Geschichte, S. 8. 130 EBD., S. 9. 131 Zitiert nach: KJ 87, 1960, S. 248. Zu beiden Handreichungen vgl. auch T. FRIEBEL, Kirche, S. 265–271. 132 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 3./4.2.1958 (EZA BERLIN, 4/456).

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Kirchenleitungen dem Staat nicht mit einem totalen Nein begegnen sollten, sondern mit Fürbitte und dem „Ruf zur Sache, zur Sache der Obrigkeit lt. Römer 13“133. Den atheistischen Charakter des SED-Staates behandelte er nur am Rande. Der Rat sah auch nach Krummachers Ausführungen sowohl in der grundsätzlichen Frage als auch in ihrer praktischen Anwendung auf die konkrete Lage noch weiteren Klärungsbedarf. Er berief daher einen Ausschuss, bestehend aus Krummacher (Greifswald), Gollwitzer (Berlin), Thielicke (Hamburg), Jacob (Cottbus), Hamel (Naumburg), Gloege (Jena) und Klemm (Meissen)134. Nach zweimaliger Beratung legte dieser dem Rat im Januar 1959 einen Textentwurf vor, der den Titel trug: „Zur Frage der Mitarbeit am sozialistischen Aufbau in der DDR, unter Berücksichtigung des atheistischen Vorzeichens dieses Aufbaus“135. In dem Text wurde offenkundig, dass sich innerhalb des Ausschusses Vertreter zweier Positionen gegenüberstanden: Die einen hielten den Atheismus innerhalb der marxistischen Doktrin für einen konstitutiven Bestandteil des Systems, die anderen stuften ihn als geschichtlich entstanden und geschichtlich überwindbar, d. h. als akzidentiell, ein. Die beiden verschiedenen Interpretationen des MarxismusLeninismus führten zu unterschiedlichen Entscheidungen in der thematischen Frage des Entwurfs. War den einen eine Scheidung „zwischen ideologischem Vorzeichen und Sachbereich“ und damit ein „bedingte[s] Mitmachen“ möglich, sahen sich die anderen auch „innerhalb des Sachbereiches selbst“ vor „die Entscheidung für oder wider Christus“ gestellt. Dennoch wurde im Text eine Annäherung zwischen beiden Positionen gefunden und in sieben Thesen die Grundlagen für einen möglichen „modus convivendi“ entwickelt136. Nach einer intensiven Aussprache gab der Rat das Papier an die Mitglieder der Kirchlichen Ostkonferenz weiter. Sie sollten es in den Kirchenleitungen vertraulich diskutieren. Auf der Ratssitzung im März wurde der Text dann erneut ausführlich besprochen137. Am Ende beauftragte der Rat einen neuen Ausschuss unter Vorsitz von Dibelius, der den Entwurf überprüfen und nach Möglichkeit mit den laufenden Arbeiten der EKU und anderer kirchlicher Stellen koordinieren sollte138. Das ganze Spektrum der divergierenden Positionen gegenüber dem SED-Staat offenbarte sich schließlich noch einmal bei dem durch Dibelius ausgelösten „Obrigkeitsstreit“ in den Jahren 1959 und 1960. Der Berliner Bischof hatte für Lilje als Gruß zu dessen 60. Geburtstag am 20. August 1959 eine Schrift verfasst, in der er die west133 Zitiert nach: T. FRIEBEL, Kirche, S. 261. 134 EBD. 135 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 15./16.1.1959 (EZA BERLIN, 4/456). Dort auch ein Exemplar des lediglich in 36 nummerierten Exemplaren vervielfältigten Entwurfes. 136 Vgl. ausführlich zu dem Text T. FRIEBEL, Kirche, S. 262–265. 137 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 4.–6.3.1959 (EZA BERLIN, 4/456). 138 Vgl. Krummacher an Hildebrandt, 17.3.1959 (EBD.). Dem Ausschuss gehörten an: Dibelius, Krummacher, Scharf, Brunotte, Hildebrandt, Zimmermann und Führ. Vgl. Einladungsschreiben der Kirchenkanzlei – Berliner Stelle vom 23.3.1959 zur Sitzung am 10.4.1959 (EBD.).

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liche Demokratie und den östlichen totalitären Staat in Bezug zur Obrigkeit im biblischen Sinne setzte. In der Demokratie sah Dibelius zwar nicht mehr die Obrigkeit nach dem Verständnis von Paulus in Römer 13, jedoch sei ihre Ordnung legitim und als Entsprechung zum Willen Gottes anzuerkennen. Der „atheistische Totalstaat“ könne hingegen nicht als legitim anerkannt werden. In ihm herrsche kein Recht und er sollte „um Gottes und um des Herrn Jesu Christus willen überwunden“ werden139. Der Christ sei ihm gegenüber von der Gehorsamspflicht entbunden. Dibelius’ theologisch begründetes Eintreten für die, von ihm keineswegs geliebte, parlamentarische Demokratie und gegen das östliche Staatssystem blieb nicht unwidersprochen. In West- und Ostdeutschland kam es darüber zu einer heftigen Auseinandersetzung140. An der Debatte in der Bundesrepublik beteiligten sich Theologen beider Konfessionen, Kirchenführer, Politiker und Publizisten141. Mitte Oktober erreichte Hermann Kunst aus dem BMG die besorgte Anfrage, ob im kirchlichen Bereich eine Anerkennung „der sog. ‚DDR‘“ stattgefunden habe142. Der Bevollmächtigte versicherte dem Ministerium, dass die EKD nicht die deutschlandpolitische Linie der Bundesregierung unterlaufe. Die EKD habe es trotz wiederholter Aufforderung durch die DDR-Regierung „auf das bestimmteste abgelehnt“, eine „offizielle Anerkennung der Gesamtkirche für die sogenannte DDR“ auszusprechen143. Im Dezember 1959 wurde das „Obrigkeits“-Thema auch zum Gegenstand einer Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie unter der westdeutschen Bevölkerung. Eine Frage lautete: „Wie sehen Sie die Lage für den Christen in der Ostzone, in der die Regierung gegen die Religion kämpft: soll er gehorsam gegenüber der Obrigkeit sein und persönlich ganz als Christ leben, oder soll er sich auch, wo immer es geht, gegen die Regierung wenden?“ 48 % der befragten Protestanten antworteten in tradiertem Obrigkeitsverständnis, der Christ in der DDR solle gehorsam sein, und nur 15 % plädierten dafür, er solle sich gegen die Regierung wenden144. Damit empfahl annähernd die Hälfte der Befragten ihren ostdeutschen „Brüdern und Schwestern“ den Rückzug in ein christlich gestaltetes Privatleben. Mit 37 % waren aber auch viele hinsichtlich dieser Problemstellung unentschieden. Trotz weit verbreitetem Antikommunismus in der Bundesrepublik antwortete die Mehrheit der Protestanten (56 %) auf die zweite Frage: „Wie denken Sie darüber, wie sich die Kirche in der Ostzone verhalten solle: soll die Kirche die kommunistische Regierung machen lassen, was sie will, und alle Kraft nehmen, um der

139 O. DIBELIUS, Obrigkeit, S. 18. 140 Laut Knabe sorgte das MfS für die systematische Verbreitung der ursprünglich nur in wenigen Exemplaren gedruckten Broschüre. Vgl. H. KNABE, Republik, S. 264. 141 Vgl. KJ 86, 1959, S. 135. 142 Zahn an Kunst, 15.10.1959 (EZA BERLIN, 87/96/445). 143 Schreiben vom 12.11.1959 (EBD.). 144 Die Ergebnisse der Umfrage sind abgedruckt in: G. SCHMIDTCHEN, Protestanten, S. 238. Die Antworten der katholischen differierten nur unwesentlich von denen der protestantischen Befragten: 45 % gehorsam sein, 17 % sich gegen die Regierung wenden, 38 % unentschieden.

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Bevölkerung seelischen Beistand zu leisten, oder soll sie sich gegen das Unrecht, gegen die Unterdrückung der Bevölkerung wenden und, wo es geht, gegen die Regierung arbeiten?“

mit der Aussage, die Kirche solle alle Kraft auf den seelischen Beistand verwenden. Immerhin 19 % forderten die Kirche hingegen dazu auf, gegen die DDR-Regierung zu opponieren145. Insgesamt geht aus der Umfrage jedoch deutlich hervor, dass der von Dibelius geforderte kirchliche Konfrontationskurs gegen den atheistischen Staat unter den bundesdeutschen Protestanten wenig Widerhall fand. Innerhalb der kirchlichen Gremien und Zusammenschlüsse ging die Kritik an Dibelius’ Auslegung von Römer 13 durch alle theologischen und kirchenpolitischen Lager. Besonders harsche Beurteilungen kamen aus den kirchlichen Bruderschaften. Sie kritisierten Dibelius’ „Frontdenken“, das sie nicht für theologisch gedeckt hielten und auch kirchenpolitisch ablehnten146. Eine drohende Spaltung der berlin-brandenburgischen Kirche über den Streit um die Positionen ihres Bischofs konnte auf deren Provinzialsynode jedoch abgewendet werden147. Auf der kurz darauf stattfindenden Synode der EKD, die wegen eines staatlichen Verbots nur im Westteil von Berlin tagen konnte, wurde ebenfalls ausführlich über die umstrittene Obrigkeitsschrift debattiert. In einer Entschließung „Zu den Angriffen auf Bischof D. Dr. Dibelius“ nahmen die Synodalen jedoch den Ratsvorsitzenden vor den Anfeindungen aus der DDR in Schutz. Das Bekanntwerden der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Dibelius durch den Ost-Berliner Generalstaatsanwalt sorgte dafür, dass diese Erklärung mit 97 Ja zu 2 Nein-Stimmen bei 11 Enthaltungen angenommen wurde148. Daneben verabschiedete die Synode eine Entschließung „Zur Frage der Obrigkeit“. Sie folgte darin dem Antrag Gollwitzers, die Aussagen der Theologischen Erklärung von 1956 zur Obrigkeitsfrage zu bestätigen149. In der Begründung des Antrages durch Gollwitzer wurde deutlich, welche Problematik hinter dem Obrigkeitsstreit stand, nämlich die Beurteilung des ostdeutschen Regierungs- und Gesellschaftssystems und seines totalitären Charakters durch den Protestantismus und die darin enthaltene innere Sprengkraft für die gesamtdeutsche Kirche. Gollwitzer forderte die Synodalen auf, sich Folgendes klar zu machen:

145 25 % waren in dieser Frage unentschieden. Auch hier differierten die Antworten der Katholiken nicht wesentlich von denen der Protestanten. EBD., S. 238. 146 Die kritischen Stimmen zu Dibelius’ Schrift aus dem kirchlichen Raum sind in einer Auswahl zusammengestellt in: „Violett-Buch“. 147 Die Kirchenleitung der EKiBB distanzierte sich in einer ersten Erklärung von der Schrift und sprach in einer zweiten von fortdauernden „sachlichen Differenzen“. Vgl. KJ 86, 1959, S. 230ff. Zur Diskussion auf der Provinzialsynode vgl. KJ 87, 1960, S. 65–73. 148 KJ 87, 1960, S. 57 und G. BESIER, SED-Staat, S. 326. 149 Dort hatte es geheißen: „Das Evangelium rückt uns den Staat unter die gnädige Anordnung Gottes, die wir in Geltung wissen, unabhängig von dem Zustandekommen der staatlichen Gewalt oder ihrer politischen Gestalt. Das Evangelium befreit uns dazu, im Glauben nein zu sagen zu jedem Totalitätsanspruch menschlicher Macht, für die von ihr Entrechteten und Versuchten einzutreten und lieber zu leiden als gottwidrigen Gesetzen und Anordnungen zu gehorchen.“ In: G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 224.

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„[. . .] es wächst drüben im ganzen Ostbereich, auch schon in der DDR, eine Generation von jungen Christen heran, von denen viele in klarer Opposition zum dialektischen Materialismus und seiner Dogmatik stehen, aber zugleich in bewußter Bejahung der bei ihnen nun neu gebildeten Gesellschaftsordnung und die diese für richtiger halten. Die Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland zu wahren, solange wir auf dem Boden der westlichen Demokratie stehen und im Bereich der DDR nur verhinderte Westbürger zu uns gehören, ist eine leichte Sache, nämlich nur eine politische Kunst. Es geht aber in Zukunft immer stärker um die viel schwierigere Aufgabe, die Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland zu wahren, obwohl die Bejahung auch der politischen Systeme unter uns selbst, hüben und drüben, immer verschiedener wird.“

Und er fuhr fort: „Wir sind bisher zusammengekommen aus Ost und West in dieser Synode, und dass wir es taten in einer sehr bestimmten Loyalität unseren beiden verschiedenen Staatswesen gegenüber, war ein wichtiger Beitrag zum deutschen Volksleben in der Gespaltenheit. Und eben um dies zu erhalten, und um die innere Einheit der Kirche zu erhalten, scheint uns unausweichlich zu sein, dass die Synode ungefähr in dieser Form eine Klarstellung vollzieht, die jetzt nötig geworden ist.“150

Neben der Bestätigung der Theologischen Erklärung von 1956 enthielt der Beschluss die Aufforderung an den Rat, einen Ausschuss mit der Fortführung der begonnenen Arbeiten über das Verhältnis von Christen zur Staatsgewalt, „besonders in der verschiedenartigen Lage der beiden Teile Deutschlands, zu betrauen“151. Damit wurde als Defizit markiert, dass es der EKD im Gegensatz zu EKU und VELKD bislang nicht gelungen war, eine Handreichung zu dieser Frage zu veröffentlichen. Die Ergebnisse des Ausschusses unter Bischof Krummacher aus dem Jahre 1959 waren, wie bereits dargelegt, vom Rat der EKD nicht übernommen worden. Am 13. Oktober 1960 trat dann ein neuer vom Rat berufener Ausschuss „zur Erarbeitung einer Handreichung ‚Der Christ im Staat‘“ zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen152. Mit Ausnahme von Erwin Wilkens und Robert Frick, Direktor der Orientarbeit der Diakonissenanstalt Kaiserswerth, setzte sich dieser „Theologische Sonderausschuss“, wie er genannt wurde, aus ostdeutschen Theologen und Kirchenvertretern zusammen153. Amtierender Vorsitzender wurde Oberkirchenrat Fritz Heidler vom Lutherischen Kirchenamt Berlin-Ost, die Geschäftsführung lag bei der Kirchenkanzlei – Berliner Stelle. Als seine Aufgaben definierte der Ausschuss: 150 BERLIN 1960, S. 141. 151 EBD., S. 426. 152 Aktenvermerk von Behm, 14.10.1960 (EZA BERLIN, 4/456). 153 Dem Ausschuss gehörten an: F. R. Hildebrandt, Heidler, Fränkel, Wilkens, Richter, Voigt, Woelke, Knospe, Frick, Schanze. Vgl. EZA BERLIN, 4/456. Auf Wunsch der Ausschussmitglieder berief der Rat am 3.11.1960 auch M. Fischer in den Ausschuss, der jedoch die Berufung ablehnte. Vgl. Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 3.11.1961 und Brief Fischers an den Ausschuss, 15.11.1960 (beides EBD.). Schanze gehörte dem Ausschuss zwar an, nahm jedoch an dessen Sitzungen nicht teil. Vgl. T. FRIEBEL, Kirche, S. 277.

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„1) Notwendig ist eine Beratung der leitenden Geistlichen der Gliedkirchen in der DDR mit dem Ziel, zu einer gemeinsamen Verlautbarung der Kirchen zu den aktuellen Fragen der Kirchen in der DDR zu erlangen. 2) In Durchführung des Beschlusses der Synode der EKD 1960 muss der Versuch unternommen werden, eine grundsätzliche Stellungnahme des Ausschusses zur Obrigkeitsfrage zu erarbeiten.“154

In den Jahren 1960 und 1961 konnte der Ausschuss keine der beiden Aufgaben zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. Denn zum einen wurde die Obrigkeitsfrage zugunsten der Friedensfrage zurückgestellt155. Zum anderen wurde ein von dem Ausschuss erarbeitetes Hirtenwort von der Konferenz der Evangelischen Bischöfe in der DDR nicht übernommen156. Obgleich der Ausschuss der Bischofskonferenz die Dringlichkeit eines solchen Hirtenwortes angesichts des „bewußt auf alle Bürger der DDR angesetzte[n] Umerziehungsproze[sses] zum neuen sozialistischen Menschen, der atheistisch sein soll,“ mehrfach nahe zu bringen versuchte, hielt diese den Zeitpunkt für ein solches öffentliches Wort noch nicht für gekommen157. Im Mai 1961 fand in der Kirchenkanzlei in Ost-Berlin noch einmal eine Aussprache zwischen den leitenden Geistlichen der östlichen Gliedkirchen und Vertretern des Ausschusses über den Entwurf des Hirtenwortes statt158. In einer gründlichen theologischen Diskussion wurden alle Probleme, die das Hirtenwort für die Verkündigung der Kirche aufwarf, erörtert. Es konnte jedoch kein Konsens erreicht werden. Neben der Auseinandersetzung um die kirchliche Haltung zu Staat und Gesellschaft der DDR beschäftigte und spaltete die evangelische Kirche in der zweiten Hälfte der 50er Jahre eine zweite Streitfrage: die atomare Ausrüstung der Bundeswehr. Diese Frage betraf zwar nun stärker die protestantischen Kreise in der Bundesrepublik, doch waren die Diskussionszusammenhänge wie auch in der Obrigkeitsfrage noch immer gesamtkirchliche und gesamtdeutsche. Seit Ende 1956 beabsichtigten die USA, in Europa taktische Atomwaffen zu stationieren, um ihr Truppenkontingent verkleinern zu können. Erst am 15. März 1957 aber bestätigte die Bundesregierung gegenüber der Öffentlichkeit, dass sie über die Statio-

154 Aktenvermerk von Behm, 14.10.1960 (EZA BERLIN, 4/456). 155 Siehe Kap. 3.2. 156 Der erste Entwurf stammte von Heidler und Fränkel, vgl. Aktenvermerk von Behm über die Sitzung des Theologischen Sonderausschusses am 13.10.1960 (EZA BERLIN, 4/456). Dieser wurde dann von Fränkel, Richter, Voigt und Heidler noch einmal überarbeitet, vgl. Aktenvermerk Heidlers über die Sitzung des Theologischen Sonderausschusses am 27.1.1961 (EBD.). Eine dritte, gekürzte Fassung wurde im Landeskirchenamt Dresden erarbeitet, vgl. Aktenvermerk Heidlers über die Sitzung des Theologischen Sonderausschusses am 17.5.1961 (EBD.). 157 Vgl. Aktenvermerk Behms über die Sitzung des Theologischen Sonderausschusses am 27.1.1961 und über die Sitzung am 6.4.1961; Heidler an die Bischöfe der evangelischen Kirchen in der DDR, 10.4.1961 (Zitat); Aktenvermerk Behms über die Sitzung des Theologischen Sonderausschusses am 17.5.1961 (alle: EZA BERLIN, 4/456). 158 Aktenvermerk Behms über die Sitzung am 25.5.1961 (EBD.).

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nierung von Nuklearwaffen durch die US-amerikanischen Streitkräfte in der Bundesrepublik informiert war. Drei Wochen später bezeichnete Adenauer die neu entwikkelten taktischen Atomwaffen verharmlosend als „die Weiterentwicklung der Artillerie“, an der auch die Bundeswehr teilhaben müsse. Durch diese Äußerung des Bundeskanzlers provoziert, warnten am 12. April führende bundesdeutsche Atomwissenschaftler vor einer Verharmlosung der taktischen Atomwaffen und lehnten die Mitwirkung an deren Herstellung, Erprobung oder Einsatz ab159. Diese Erklärung der „Göttinger Achtzehn“ sowie der „Appell zur Einstellung der Kernwaffenversuche“, den der Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer am 23. April an die Weltöffentlichkeit richtete, wurden zu Auslösern einer kontroversen Atomdiskussion in der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Auch innerhalb des gesamtdeutschen Protestantismus setzte eine intensive Auseinandersetzung mit der atomaren Frage ein, in der immer wieder auf die spezifische deutsche Situation Bezug genommen wurde. Bereits Karfreitag und Ostern 1957 nahmen Karl Barth und der Konvent der Kirchlichen Bruderschaft im Rheinland Stellung160. Am 27. April folgte eine von Heinrich Vogel initiierte Erklärung der Dekane der Theologischen Fakultäten der DDR, der sich alle acht ostdeutschen Bischöfe anschlossen161. Gemeinsam war diesen Veröffentlichungen die Überzeugung, dass das christliche Bekenntnis die Kirchen angesichts der beispiellosen Bedrohung der Menschheit durch Atomwaffen zwingend zu einem grundsätzlichen Nein gegenüber der Rüstung mit Massenvernichtungsmitteln und zum praktischen Widerstand dagegen nötige162. Von lutherischen Theologen und Kirchenleitungen in der Bundesrepublik wurde dieses Bemühen hingegen als eine unzulässige kirchliche Grenzüberschreitung abgelehnt. Auf der Synode 1956, als diese Frage noch keine aktuelle politische Brisanz in der Bundesrepublik besaß, hatten allerdings auch sie noch der Theologischen Erklärung zugestimmt, in der es hieß: „Das Evangelium [. . .] verwehrt uns, mit der Wissenschaft Götzendienst zu treiben, ihrem Fortschritt den Menschen zu opfern und sie zur Herstellung von Massenvernichtungsmitteln zu mißbrauchen, die durch keinen Zweck geheiligt werden können.“163 Die Sowjetunion nutzte die innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik zu einer intensiven Propagandakampagne gegen einen vermeintlichen Atomkrieg. Ziel dabei war, durch eine Denuklearisierung der Bundesrepublik einen Keil zwischen die USA und ihre europäischen Verbündeten zu treiben. Die SED war in diese sowjetischen Bestrebungen eingebunden. Da der westdeutsche Protestantismus in der Protestbewegung gegen die Atombewaffnung eine wichtige Rolle spielte, war auch die Kirchenpolitik ein wichtiger Bereich für eine propagandistische Einflussnahme. Insbesondere die Tatsache, dass der Abschluss des Militärseelsorgevertrages 159 160 161 162 163

Abdruck in: Dokumente, III. Bd. 3/1, S. 594–596. Die Erklärung des Konventes ist abgedruckt in: KJ 84, 1957, S. 86f. Abdruck in: EBD., S. 88. Vgl. U. MÖLLER, Prozess, S. 336. KJ 83, 1956, S. 18.

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die protestantische Öffentlichkeit gespalten hatte, bot einen günstigen Ansatzpunkt für die Beeinflussung der öffentlichen Meinung164. Welche Erwartungen die SED in diesem Zusammenhang an die ostdeutschen Kirchen hatte, erläuterte bereits eine Vorlage für die Politbürositzung am 5. Februar 1957. Darin hieß es: „Es wird von den Kirchenleitungen in der Deutschen Demokratischen Republik erwartet, dass sie die auf die Milderung der Spannungen und auf die Sicherung des Friedens gerichtete Politik der Volkskammer und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik unterstützen. Dies gilt im besonderen auch für ihre Bemühungen zur Einbeziehung beider deutscher Staaten in eine Zone der beschränkten Rüstung und das Verbot der Atomwaffen auf deutschem Boden und in der ganzen Welt sowie zur Wiedervereinigung Deutschlands als eine[s] friedliebenden, demokratischen Staat[es], in dem die Grundlagen des Imperialismus beseitigt sind.“165

In der Bundesrepublik zog sich die leidenschaftliche Debatte in Parlament und Öffentlichkeit über die Atombewaffnung durch die Jahre 1957 und 1958. Am 10. Mai 1957 beschloss der Bundestag gegen die Stimmen der SPD, nach deren Auffassung eine Nuklearbewaffnung die Chancen auf Wiedervereinigung endgültig vernichtete, die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Trägerwaffen vom Erfolg von Abrüstungsverhandlungen abhängig zu machen. Im September des gleichen Jahres feierte die CDU/CSU, die bei den Atombewaffnungsplänen federführend war, bei der Bundestagswahl einen triumphalen Wahlsieg. Nichtsdestotrotz forderte Gustav Heinemann, inzwischen Abgeordneter der SPD166, in der dramatischen außen- und wehrpolitischen Bundestagsdebatte am 23. und 24. Januar 1958 den Kanzler zum Rücktritt auf. Adenauer habe die Wiedervereinigung nie gewollt und sich mit dem Projekt der Atomrüstung in die politische Bewegungsunfähigkeit manövriert167. Dabei sprach Heinemann seinen berühmt gewordenen Satz, Christus sei nicht gegen Karl Marx, sondern für uns alle gestorben. Heinemanns Äußerungen lösten in christlich-konservativen Kreisen einen Sturm der Entrüstung aus, der sich u. a. in einer ganzen Ausgabe der „Evangelischen Verantwortung“ entlud168. Am 25. März schließlich stimmte der Bundestag mit der Mehrheit der Regierungsparteien und der Deutschen Partei einer Entschließung zu, in der die Ausstattung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen gefordert wurde, solange kein allgemeines Abrüstungsabkommen zustande komme. Derweil hatte sich der Protest in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit gegen die atomaren Rüstungspläne der Bundesregierung bereits in der außerparlamentarischen

164 Vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 297. 165 Zitiert nach: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 231. 166 Die überwiegende Mehrheit der GVP wechselte nach der Auflösung der Partei 1957 zur SPD. Vgl. hierzu J. MÜLLER, Volkspartei, S. 378–400. Zur Wirkung dieses Wechsels auf die SPD vgl. die Thesen von F. W. GRAF zur „Protestantisierung der deutschen Sozialdemokratie“, DERS., Protestantismus, S. 104f. 167 Zur Debatte vgl. H.-P. SCHWARZ, Adenauer. Der Staatsmann, S. 405ff. 168 Evangelische Verantwortung 6, 1958, Nr. 2/3.

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„Kampf dem Atomtod“-Bewegung formiert. In ihr trafen u. a. Sozialdemokraten mit Teilen der evangelischen Kirche zusammen169. Auch innerkirchlich artikulierte sich der Protest gegen die Atomrüstung. Bereits am 6. Dezember hatte die mehrheitlich aus Ostdeutschen zusammengesetzte Synode der EKU alle Massenvernichtungsmittel und Rechtfertigungsversuche verworfen. Dabei nahm sie explizit auf das ideologische Gegensatzpaar im Kalten Krieg „Freiheit“ und „Frieden“ Bezug, indem sie erklärte: „Durch die Massenvernichtungsmittel wird in jedem Falle verraten, was man retten will, und seien es Freiheit und Frieden.“170 Mit Blick auf die deutsche Situation hieß es: „In ihrer Mitverantwortung für den Frieden in der Welt und für die Heilung des Risses, der durch unser Volk geht, warnt die Synode nicht nur vor einer Fortsetzung des selbstmörderischen atomaren Wettrüstens der Weltmächte, sondern insbesondere auch vor einer atomaren Bewaffnung deutscher Armeen.“

Die Entschließung wurde sowohl Adenauer als auch der Regierung der DDR zugesandt171. Ende Februar 1958 fand in Wittenberg eine Konferenz des Nationalrates der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands mit immerhin 130 Geistlichen und Theologen statt. In dem von ihnen mit überwältigender Mehrheit verabschiedeten „Ruf aus Wittenberg“ wurde die „Friedenspolitik“ der DDR begrüßt, der Plan des polnischen Außenministers Rapacki zur Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone begrenzter und kontrollierter Rüstung in Mitteleuropa unterstützt, der von der SED seit 1957 in unterschiedlicher Ausgestaltung proklamierte Plan einer Konföderation beider deutscher Staaten befürwortet und die Bonner Politik scharf verurteilt172. Anfang März versuchten die Bruderschaften die im April tagende Synode der EKD durch eine Anfrage zu einer eindeutigen Stellungnahme zu bewegen. In dieser Anfrage erklärten sie das Verhalten der Christen gegenüber der Erprobung, Herstellung, Lagerung und Anwendung atomarer Waffen sowie ihrer politischen Einplanung zum Gegenstand des status confessionis. Vom christlichen Bekenntnis her sei hierzu ein vorbehaltloses Nein geboten. Neutralität oder gar ein gegenteiliger Standpunkt dieser Frage gegenüber sei christlich nicht vertretbar und bedeute die Verleugnung aller drei Glaubensartikel173. Als praktisch-politische Konsequenz der Anfrage beantragten die Bruderschaften zudem die sofortige Kündigung des Militärseelsorgevertrags im Falle einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr – eine Forderung, die auch von der ESG Güstrow in einem Brief an den Präses der Synode gestellt wurde174. Ihre innerkirchlichen Gegner warfen daraufhin den Bruderschaften angesichts ihrer provozierenden 169 170 171 172 173 174

Vgl. hierzu H. RUPP, Opposition. KJ 84, 1957, S. 95. Scharf an Adenauer, 17.2.1958 (EZA BERLIN, 87/96/447). Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 255. Vgl. U. MÖLLER, Prozess, S. 339. Der Brief ist abgedruckt in: A. NOACK, Studentengemeinden, S. 295.

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ekklesiologischen Zuspitzung des Verleugnungsvorwurfes und der Feststellung des status confessionis vor, sie verfolgten kirchenspaltende Absichten und politisierten die Kirche in unzulässiger Weise. Die sich im Vorfeld der Synode immer mehr zuspitzende Atomdebatte im deutschen Protestantismus erfasste auch die evangelische Jugend- und Studentenarbeit. So veröffentlichten die im „Orbishöher Kreis“ zusammengeschlossenen Jugendarbeiter eine „Erklärung zur atomaren Bewaffnung der Bundeswehr“, in der sie die verantwortlichen Politiker in der Bundesrepublik baten, „auf die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen Verzicht zu leisten“. Die Kirchenleitung forderten sie auf, „mehr zu tun, um in dieser Frage zu einem einhelligen und klaren Ratschlag an die Gemeinden zu kommen und den Staat zu einem Verzicht auf die atomare Bewaffnung zu ermutigen.“175 Am 22. April stellte die ostdeutsche Studentenpfarrerkonferenz an die Synode den Antrag, „ein eindeutiges Nein zur Atomkriegsführung und ihrer Vorbereitung zu sagen, welches der gegenwärtigen Lage der beiden Teile Deutschlands Rechnung trägt.“ Außerdem forderten sie die Synode auf, zu prüfen, „ob der Militärseelsorgevertrag noch aufrecht erhalten werden kann, wenn nicht nach dem Beschluss des Bundestages zur atomaren Aufrüstung der Bundeswehr eine eindeutige Klärung darüber gefunden werden kann, was in der Militärseelsorge vom Evangelium her zu sagen ist.“176

Unter Druck von innen und außen fand vom 26. bis 30. April im Ostsektor von Berlin die Synode der EKD statt. Bereits am ersten Tag wurde dem Vertreter einer Protestdelegation aus der DDR ein Votum erlaubt. Er forderte darin ein Nein der Synode zur Atombewaffnung der Bundeswehr und einen Beschluss, den Militärseelsorgevertrag rückgängig zu machen. „Wenn Sie diesen Beschluss fassen“, argumentierte der Delegierte, „dann hat die Synode auch einen sehr wichtigen Beitrag auf dem Wege zur Wiedervereinigung der beiden Teile unseres Vaterlandes geleistet.“177 Im weiteren Verlauf der Synode prallten die Meinungen der Synodalen zur Atomfrage sowohl im zuständigen Ausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit als auch im Schlussplenum hart aufeinander. Heinrich Vogel führte noch einmal das nationale Argument an: „Man kann insbesondere, wenn man Bürger dieses gespaltenen Vaterlandes ist, die Landkarte zur Hilfe nehmen und noch einmal sagen: atomare Bewaffnung deutscher Streitkräfte – ich rede offen -: Verbrechen, Wahnsinn.“178

In der Diskussion gingen vor allem ostdeutsche Synodale auf den von der DDR-Regierung unterstützten Rapacki-Plan ein. Oberkirchenrat Gerhard Säuberlich aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, in der die SED-Kirchenpolitiker inzwischen erste Erfolge ihrer Differenzierungspolitik verzeichneten, befürwortete den Vorschlag 175 176 177 178

KJ 85, 1958, S. 44. Zitiert nach: G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 79. BERLIN 1958, S. 51. EBD., S. 227.

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einer atomwaffenfreien Zone als Anfang zu einer Neutralisierung Deutschlands.179 Die Synode als Ganze sowie auch der Rat der EKD schwiegen hingegen zum Thema Rapacki-Plan. Die Bundesregierung hatte diesen bereits bei seiner ersten Vorstellung durch den polnischen Außenminister am 2. Oktober 1957 vor der UNO180 mit der Begründung abgelehnt, er ziele auf eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR und lenke darüber hinaus von der Frage einer allgemeinen Kontrolle atomarer Waffen ab. Trotz harter Auseinandersetzungen blieb die befürchtete Spaltung der Synode über der Atomfrage aus. Die Vertreter der Bruderschaften verzichteten auf eine Abstimmung über ihre Anfrage. Dieser Verzicht wurde nachträglich mit dem Eindruck begründet, die Synodalen aus dem Bereich der DDR hätten angesichts des auf sie von staatlicher Seite ausgeübten Druckes „nicht innerlich frei“ abstimmen können – eine auch innerhalb der Bruderschaften nicht unumstrittene Argumentation181. So endete die Atomdebatte der Synode nicht mit einem Eklat, sondern mit der so genannten „Ohnmachtformel“. In ihr wurde die augenblickliche Unüberbrückbarkeit der theologischen und kirchenpolitischen Gegensätze eingestanden, die „von der Überzeugung, dass schon die Herstellung und Bereithaltung von Massenvernichtungsmitteln aller Art Sünde vor Gott ist, bis zu der Überzeugung, dass Situationen denkbar sind, in denen in der Pflicht zur Verteidigung der Widerstand mit gleichwertigen Waffen verantwortet werden kann“, reichten182. Die gegnerischen Seiten verpflichteten sich, unter dem Evangelium zusammenzubleiben und sich gemeinsam in einem Ausschuss um die Überwindung der Gegensätze zu bemühen. Damit war zwar ein Auseinanderbrechen der EKD verhindert, nicht aber die Atomdebatte zu einem Abschluss geführt worden. In den evangelischen Studentengemeinden, die sich seit der zweiten Hälfte der 50er Jahre zunehmend politisierten183, fand die Atomdebatte ab Sommer 1958 eine Fortsetzung über die deutsch-deutsche Grenze hinweg. Auslöser war ein Brief, den die Teilnehmer der Sommerkonferenz der ostdeutschen Studentengemeinden in Wittenberg184 Anfang August an die Gemeinden in der Bundesrepublik geschrieben hatten185. Auf der Konferenz selbst war ein gesamtdeutsches Gespräch, „um der erschreckend zunehmenden Entfremdung zwischen uns in Ost und West entgegenzutreten und in den uns gemeinsam bewegenden Problemen Klarheit zu suchen“186, nicht möglich

179 EBD., S. 264. 180 Abdruck in: DOKUMENTE, III/Bd. 3/3, S. 1681–1686. 181 Simon an Diem, 24.5.1958. Zitiert nach: U. MÖLLER, Prozess, S. 80, Anm. 171. Vgl. auch dort S. 88. 182 KJ 85, 1958, S. 66. 183 Vgl. hierzu A. NOACK, Studentengemeinden, S. 90–104. 184 Bis 1952 hatte die Sommerkonferenz in West-Berlin getagt, ab 1953 fand sie in Wittenberg statt. Die Konferenz der Studentengemeinden in der DDR war aus der „Christlichen Studentenkonferenz der Ostzone“ hervorgegangen. Vgl. EBD., Anhang S. 62. 185 Der Brief wurde von der Stuttgarter Geschäftsstelle der ESG an alle westdeutschen Studentenpfarrer geschickt. Vgl. Schreiben des Studentischen Obmannes Christoph Bartels an die Delegierten und Studentenpfarrer in den Gemeinden ohne Delegierten vom 16.12.1958 (EZA BERLIN, 36/89). 186 Ausschnitt aus dem Brief zitiert nach: „Ausgedrückte Impressionen“ von Gebhard von Biela vom 21.11.1958 (EZA BERLIN, 141/99/128b).

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gewesen, da aus der Bundesrepublik lediglich der erklärte Gegner einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr, Herbert Mochalski, eine Einreiseerlaubnis erhalten hatte. In dem Brief wurde die atomare Aufrüstung der Bundeswehr für beide Teile Deutschlands als verhängnisvoll bezeichnet und zu bedenken gegeben, „ob unter diesen Umständen im Gehorsam gegen unseren Herrn Jesu Christus noch Wehrdienst geleistet werden“ könne187. Während in vielen westdeutschen Gemeinden die Anfrage übergangen wurde, beschäftigten sich an einigen Hochschulorten Studiengruppen oder Mitarbeiterkreise intensiv mit ihr. Im Februar 1959 formulierte die Studentengemeinde an der Freien Universität Berlin einen Antwortbrief. Darin teilte sie mit, dass in der Gemeinde anders als innerhalb der EKD über die „Verbindung des Glaubens mit den politischen Tagesfragen“ Konsens herrsche188. Auch darin waren sie sich einig, dass es nicht möglich sei, „das von dem auferstandenen Herrn zur Erneuerung bestimmte Christentum mit der Bombe zu verteidigen“. Sie lehnten daher eine „pseudotheologische Argumentation“ zugunsten des Westens ab. Uneins war sich die Berliner Studentengemeinde darüber, „ob der Verzicht auf eine militärische Verteidigung des Christentums uns auch zu einem Verzicht auf die Verteidigung der westlichen Gesellschaftsordnung zwingen kann.“ Diejenigen, die glaubten, unter den gegebenen Umständen auf die Atomwaffen um der Abschreckung und des Rüstungsgleichgewichts willen nicht verzichten zu können, lehnten den Gebrauch dieser Waffen im Kriegsfall als verbrecherisch ab. Sie hofften, „dass das Friedenszeugnis der Kirche zur Erneuerung der Menschen und die Herrschaft Christi in Zukunft zur Verhinderung des Ernstfalles führt.“ Über diejenigen aber, die auf Atomwaffen verzichten wollten, hieß es in dem Brief, sie „proklamieren damit die Präsenz der Königsherrschaft Christi über die ganze Welt und lassen ihre für diese Welt verantwortliche Vernunft gefangennehmen von dem Evangelium Christi.“ Auch die Heidelberger Studentengemeinde, deren Mitarbeiterkreis ein Semester lang den Brief aus Wittenberg besprochen hatte, gab in ihrem Antwortschreiben an, dass sie keinen friedensethischen Konsens gefunden hätten. Drei Positionen hatten sich bei ihnen herausgeschält: die der Bruderschaften, die Position derer, die atomare Bewaffnung bejahten, und die Haltung jener, die meinten, vom Neuen Testament her nichts zu dieser Frage sagen zu können. Auch die Darmstädter und die Tübinger ESG teilten den Studentengemeinden in der DDR mit, dass sie in dieser Frage uneinig seien189. In den Bruderschaften ging nach der Synode die Atomdebatte ebenfalls weiter. Auf einer gesamtdeutschen Tagung im Oktober 1958 klärten sie ihre Position hinsichtlich der Verwerfung der Massenvernichtungsmittel. Die daraus resultierende Frankfurter Erklärung war eine selbstverpflichtende Bekenntniserklärung, die einen verbindlichen Prozess gesamtkirchlichen Bekennens initiieren sollte190. Im Gegensatz zu dem Ver187 Zitiert nach: G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 80. 188 EZA BERLIN, 141/99/89a. Der Brief ist auch abgedruckt in: G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 222ff. 189 Briefe vom 16. und 18.2.1959 (EZA BERLIN, 104/978). 190 Vgl. U. MÖLLER, Prozess, S. 341. Die Erklärung ist abgedruckt in: KJ 85, 1958, S. 72f.

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such der Bruderschaften, ihre Position in den Rang gesamtkirchlicher Verbindlichkeit zu versetzen, wollte die Kommission der Evangelischen Studiengemeinschaft „Krieg im Atomzeitalter“ zur Entschärfung des innerkirchlichen Konfliktes um die Atomwaffen beitragen. Die seit Januar 1958 arbeitende, interdisziplinär zusammengesetzte Kommission prüfte, unter welchen Kriterien politischer Ethik die gegensätzlichen Positionen miteinander koexistieren könnten191. Als Ergebnis intensiven Ringens legten die Kommissionsmitglieder am 28. April 1959 ihren Berichtsband „Atomzeitalter, Krieg und Frieden“ mit der als Heidelberger Thesen bekannt gewordenen Thesenreihe vor. In den Konsensthesen versuchte die Kommission, gegensätzliche und einander ausschließende Gewissensentscheidungen als „komplementäres Handeln“ in eine konstruktive Spannung zu bringen. Die Kommissionsmitglieder stimmten darin überein, dass in einer gefährdeten Übergangszeit die atomare Abschreckung ausschließlich in ihrer kriegsverhütenden Funktion vorläufig toleriert werden könne und dass eine Anwendung dieser Waffen ethisch unter keinen Umständen zu rechtfertigen sei192. Die Strategie der atomaren Abschreckung müsse so schnell wie möglich durch den Aufbau weniger gefährlicher Kriegsverhütungsstrategien und die Entwicklung nichtkriegerischer Formen des Konfliktsaustrages im Rahmen einer Weltfriedensordnung überwunden werden. Da die physikalisch-philosophischen und die theologischen Implikationen der These vom „komplementären Handeln“ nicht eindeutig genug geklärt waren, wurden die Heidelberger Thesen in der weiteren kirchlichen Diskussion sehr unterschiedlich interpretiert. Der vom Rat der EKD berufene „Ausschuss für Atomfragen“193 lehnte im November 1958 die Komplementaritätsthese der Heidelberger Thesen auf Grund ihrer theologischen Schwäche als Ergebnis einer übereilten Problemlösung ab. Dennoch erfüllten die Thesen kirchenpolitisch zunehmend die Funktion eines friedensethischen Minimalkonsenses innerhalb des westdeutschen Protestantismus194. Das kritische Moment des „heute noch“ wurde dabei zunehmend überlagert von der Vorstellung einer grundsätzlichen Gleichrangigkeit und Unaufhebbarkeit der Gegensätze, wie sie später in der statischen Formulierung vom „Friedensdienst mit und ohne Waffen“ ihren Ausdruck fand. 191 Zur Arbeit und den Ergebnissen der von Kunst angeregten Kommission vgl. U. MÖLLER, Prozess, S. 186–282. Die Evangelische Studiengemeinschaft mit ihrer Forschungsstelle in Heidelberg ging im Frühjahr 1957 aus dem Zusammenschluss des „Christophorus-Stift“ und der „Studiengemeinschaft“ der Evangelischen Akademien in Bad Boll hervor. Die Aufgabe der FESt bestand darin, „wissenschaftliche Arbeiten anzuregen und zu fördern, die dazu bestimmt sind, die Grundlagen der Wissenschaft in der Begegnung mit dem Evangelium zu klären, der Kirche bei ihrer Auseinandersetzung mit der Welt zu helfen und den in den Evangelischen Akademien auftauchenden Fragen in ihrem wissenschaftlichen Zusammenhang nachzugehen.“ Satzung der FESt § 2, zitiert nach: U. MÖLLER, Prozess, S. 187. 192 Vgl. EBD., S. 343. 193 Eine ursprünglich geplante Beteiligung von Vertretern aus den ostdeutschen Gliedkirchen kam nicht zustande. Vgl. EBD., S. 284. Zur Arbeit und den Kontroversen in der Kommission vgl. EBD., S. 283–333. 194 Vgl. EBD., S. 344.

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2.2.3 Die Deutschlandfrage vor Torschluss Während der gesamten innerkirchlichen Atomdebatte spielte die spezifische deutsche Situation eine wichtige Rolle. Eine öffentliche kirchliche Erklärung explizit zur deutschen Frage und ihrer auf deutscher und internationaler Ebene geäußerten Lösungsvorschläge hatte es aber seit der Synodaltagung 1956 nicht mehr gegeben. Erst als die deutsche Teilung mit der zweiten Berlin-Krise seit Ende 1958 noch einmal für einige Jahre in den Blickpunkt der Weltpolitik rückte, ergingen auch wieder offizielle Stellungnahmen aus dem kirchlichen Raum. Auslöser für die Berlin-Krise, die sich bis zum Mauerbau hinzog, war das „BerlinUltimatum“ der Sowjetunion. Chruschtschow, der im März 1958 seine Ein-MannFührung etablieren konnte, verfolgte fortan eine „Politik der Stärke“ und ging dabei auch deutschlandpolitisch in die Offensive. Gestärkt durch den „Sputnik-Schock“, den der am 4. Oktober 1957 gestartete Satellit bei den Westmächten ausgelöst hatte, zielte er nunmehr auf eine endgültige Regelung der deutschen Frage, die eine Stabilisierung des ostdeutschen Teilstaates bewirken sollte. Ultimativ forderte er am 27. November 1958 in einer Note den Abzug der Westmächte innerhalb eines halben Jahres aus WestBerlin und den Status einer „freien entmilitarisierten Stadt“ für West-Berlin. Andernfalls beabsichtigte die Sowjetunion, mit der DDR einen separaten Friedensvertrag zu schließen, durch den der ostdeutsche Staat für alle sein Gebiet betreffenden Fragen, einschließlich der „Berlin-Rechte“, zuständig würde. Die Westmächte lehnten das „Berlin-Ultimatum“ am 31. Dezember ab, erklärten sich jedoch zu Gesprächen über die europäische Sicherheit, die auch die Berlin-Frage einschlossen, bereit. Ähnliches erklärte am 5. Januar die Bundesregierung in einer Note an die Sowjetunion. Fünf Tage später wurde erneut die Sowjetunion deutschlandpolitisch aktiv und schlug der Bundesrepublik, der DDR sowie 28 Staaten, die im Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland gestanden hatten, eine Gipfelkonferenz zur Ausarbeitung eines Friedensvertrags mit Deutschland vor. Im sowjetischen Friedensvertragsentwurf erschien Deutschland faktisch als eine Konföderation der beiden deutschen Staaten, die keinen Militärbündnissen angehörten und denen das Recht auf Wiedervereinigung in den Grenzen vom Januar 1959 zugestanden wurde. In der Übergangsphase sollte West-Berlin den Status einer freien entmilitarisierten Stadt erhalten195. Die Reaktionen im kirchlichen Raum auf diese neue politische Situation waren uneinheitlich. Die EKD blieb zunächst weiterhin stumm. Auf der Ratssitzung am 15. und 16. Januar 1959 legte ein Ausschuss der EKD zwar einen Entwurf zur Frage der Berlin-Situation und der Bedrohung des ungehinderten Zusammenkommens zwischen Ost und West vor, doch wurde dieser nicht veröffentlicht. Stattdessen erhielten der Ratsvorsitzende und sein Stellvertreter den Auftrag, in Gesprächen mit Regierungsmitgliedern in Bonn Ende Januar darauf zu drängen, „dass alles geschehen möge, um durch Verhandlungen zu erreichen, dass die Einwohner der DDR die Möglichkeit des ungehinderten Kontaktes mit Westdeutschland und West-Berlin 195 Vgl. H. HAFTENDORN, Sicherheit, S. 148ff.

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behalten.“196 Das gleiche Anliegen sollte Mitzenheim beim Ministerpräsidenten der DDR vorbringen. Ohne ihre westdeutschen Amtskollegen wurden am 29. Januar 1959 die evangelischen Bischöfe in der DDR aktiv. Sie richteten an die Regierungen der vier Großmächte sowie der Bundesregierung und der DDR einen humanitären Appell zugunsten der von der Teilung betroffenen Menschen im Allgemeinen und der Christen im Besonderen197. Auch das von der EKU-Synode am 13. Februar 1959 verabschiedete „Notwort an das deutsche Volk und an die großen Mächte“ war von einem humanitären Impuls getragen. Es enthielt jedoch im Unterschied zu dem Appell der Bischöfe auch sehr konkrete friedens- und deutschlandpolitische Forderungen. Die Provinzialsynode Berlin-Brandenburg hatte das Wort initiiert, indem sie die EKU zu prüfen bat, „ob sie als Kirche, die Ost und West unseres Vaterlandes verbindet, ein Wort an die verantwortlichen Mächte richten sollte.“198 „In unserer Mitte ist die schwere Sorge geworden, dass eine letzte Chance zu weiterführenden Verhandlungen versäumt und damit irreparable Konsequenzen für die Menschen unseres Volkes und für unsere Kirche herbeigeführt werden könnten“,

begründeten die Berlin-Brandenburger ihre Initiative. Diese deckte sich mit Überlegungen innerhalb der EKU, ob die Synode sich noch einmal zur Frage der Wiedervereinigung äußern sollte199. Die Synode tat es, und zwar in dem Selbstverständnis, angesichts der gespannten politischen Lage „für die Menschen unseres Volkes und den Frieden in der Welt einen politischen Notdienst zu wagen“200. Dieser „Notdienst“ erfolgte – in stärkerem Maße als die Verlautbarungen der EKD und der VELKD – in der Grundhaltung der „Buße“ sowie mit dem Willen zur „Versöhnung“, die dem dabei geäußerten Wunsch nach Wiedervereinigung jede chauvinistische Konnotation nahmen. So stand am Anfang des Wortes der Appell an das deutsche Volk, sich zu vergegenwärtigen, dass die momentane Situation „die bittere Frucht aus der Wurzel seiner eigenen Schuld ist“. In diesem Bewusstsein sollten die Deutschen sich dem Wiederaufkommen eines aggressiven Nationalismus widersetzen und einen „Beitrag zur Versöhnung der Völker leisten“. Dazu gehöre der Verzicht auf Machtpolitik und auf jede atomare Bewaffnung. Der Kalte Krieg zwischen den Deutschen müsse beendet werden und in beiden deutschen Staaten Meinungs- und Glaubensfreiheit gewährleistet sein. Und nicht zuletzt gehöre dazu die Bereitschaft zu – nicht näher benannten – Opfern, „die auch einem neuen Zusammenleben der Völker dienen“. Die Siegermächte hingegen wurden gebeten, die beiden deutschen Staaten „nicht länger als das Vorfeld ihrer militärischen und weltanschaulichen Machtpolitik zu behandeln“, verhandlungsbereit 196 EZA BERLIN, 2/2531. 197 Abdruck in: KJ 86, 1959, S. 77. 198 Bericht über die Arbeit des Ausschusses 2 (Berichtsausschuss) auf der Synode der EKU vom 8.–13.2.1959. Erstattet von Präses D. Wilm (EZA BERLIN, 87/96/447). 199 Aktenvermerk über die gemeinsame Sitzung des Theologischen Ausschusses und des Ausschusses für öffentliche Verantwortung der EKU am 12./13.12.1958 (EZA BERLIN, 2/2107). 200 KJ 86, 1959, S. 281.

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zu sein, den Deutschen zur Wiedervereinigung zu verhelfen, ihnen ihr Selbstbestimmungsrecht nicht vorzuenthalten sowie „zur Voraussetzung eines Friedensvertrages die Wiederherstellung der uneingeschränkten und rechtlich gesicherten Kommunikation aller deutschen Menschen innerhalb der gegenwärtigen Grenzen unseres Vaterlandes zu machen“. Der staatlichen Wiedervereinigung, deren Wege aufzuzeigen nicht Aufgabe der Synode sei, müsse die „menschliche Wiedervereinigung“ vorangehen. Das Ziel der kirchlichen Stellungnahmen zur Deutschlandfrage war in dieser Zeit demnach nicht mehr primär die staatliche, sondern die Kommunikationsgemeinschaft der Deutschen. Das in manchen seiner Forderungen angesichts der innerdeutschen und weltpolitischen Situation etwas realitätsferne „Notwort“ ging sowohl der Bundesregierung, den Botschaften der USA, Großbritanniens und Frankreichs als auch der Regierung der DDR und der sowjetischen Botschaft zu. Wie angesichts der enthaltenen friedenspolitischen Forderungen nicht anders zu erwarten, waren die innerkirchlichen Reaktionen auf das Wort gespalten. Kritisch und sich distanzierend nahm das von Lilje herausgegebene „Sonntagsblatt“ Stellung. Das Wort, so lautete einer der Vorwürfe, eigne sich zum propagandistischen Missbrauch. Es stelle die Forderung nach einer einseitigen atomaren Abrüstung Deutschlands als einzig mögliche Entscheidung des christlichen Glaubens dar. Mit seiner unrealistischen Forderung trage es zur Diskreditierung der christlichen Verkündigung in Deutschland bei und demonstriere der Öffentlichkeit wieder einmal die Uneinigkeit des deutschen Protestantismus – wobei zu letzterem auch der Artikel seinen Beitrag leistete201. Unterstützung fand die Synodalentschließung hingegen bei den ostdeutschen Landeskirchen von Anhalt, Pommern und Berlin-Brandenburg202. Dem „Notwort“ hatte nach dem Willen der EKU-Synode auch ein „Notdienst“ zu folgen. Die evangelische Kirche sollte eine Brückenfunktion für einen innerdeutschen Dialog wahrnehmen203. Hierzu wurden die Pläne für ein gesamtdeutsches Gremium, die auf der Synode von 1956 gescheitert waren, wieder aufgenommen. Ganz waren diese Pläne in EKU-Kreisen nie aufgegeben worden. Bereits am 9. und 10. Februar 1957 hatte der Öffentlichkeitsausschuss der EKU in Bielefeld den Bonner Rechtswissenschaftler Ulrich Scheuner, Präses Scharf und Präsident Hildebrandt beauftragt, ein Memorandum auszuarbeiten, „das Notwendigkeit, Aufgabenbereich und Gestaltung einer ständigen kirchlichen Kommission für Fragen der deutschen Wiedervereinigung darstellen“ sollte204. Hildebrandt verfasste daraufhin umgehend einen ersten Entwurf205, in dem er das Unternehmen damit rechtfertigte, dass jeder Versuch, in die

201 „Politischer Notdienst“. Ein Wort der Synode der Evangelischen Kirche der Union. In: Sonntagsblatt, 22.2.1959, S. 31. 202 KJ 86, 1959, S. 79. 203 So der Präsident der Kirchenkanzlei Hildebrandt im KJ 86, 1959, S. 283. 204 Niederschrift der Sitzung des Öffentlichkeitsausschusses der EKU am 9./10.2.1957 (EZA BERLIN, 7/2107). 205 Hildebrandt an Frick, 27.3.1957 (EBD.).

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verhärteten deutschlandpolitischen Fronten „ein neues aufweichendes Element“ hineinzubringen, unternommen werden sollte, „sofern er verantwortbar ist“206. Aus humanitärer, moralischer und friedensethischer Verantwortung müsse sich die Kirche für die Wiederherstellung der staatlichen Einheit der Deutschen einsetzen. Eine „besondere Verpflichtung“ habe sie überdies durch ihre besondere Stellung als „vielleicht letztes und stärkstes Band zwischen den beiden Teilen des getrennten Volkes“. Daher solle sie sich nunmehr auch um eine konkrete Wirkung ihrer bisherigen Beschlüsse zur deutschen Frage bemühen. Die politisch-ethischen Bedenken, welche die Bildung eines gesamtdeutschen Gremiums auf der Synode 1956 zum Scheitern gebracht hatten, versuchte Hildebrandt zu widerlegen und die Vermittler- und Stellvertreterrolle der Kirche in dieser Frage zu rechtfertigen. Geistliche und politische Führung würden nicht miteinander vermischt werden, die Kirche trete lediglich in eine vorhandene Lücke ein, die sie sofort wieder verlasse, sobald eine gesamtdeutsche Regierung vorhanden sei. Man wolle nicht politische Gewalt ausüben, „sondern in der kritischen Situation unseres Volkes den ernsthaften Versuch [. . .] machen, ihr in rechter Weise den Weg zu bereiten.“ Hierzu sollte die Synode oder der Rat der EKD einen „gesamtdeutschen Rat der Kirchen“ berufen, „der sich der Fragen, die durch das geteilte deutsche Volk auch der Kirche unausweichlich gestellt sind, beständig annehmen soll.“ Als seine konkreten Aufgaben wurden genannt: „1.) Bei allen Stellen im Namen der Kirchen unermüdlich darauf zu dringen, dass auf beiden Seiten nicht neue Tatbestände geschaffen werden, die die Trennung Deutschlands in zwei Teile zu vertiefen geeignet sind. 2.) Den staatlichen Organen in beiden Teilen Vorschläge zu machen, wie die menschliche Not, die für viele aus der Teilung unseres Volkes entsteht, gemildert werden kann, insbesondere um die Aufhebung von Maßnahmen zu bitten, die die Menschlichkeit verletzen. 3.) Sich über alle Möglichkeiten, die Wiedervereinigung unseres Volks herbeizuführen, ständig zu informieren, dabei von irgendeiner Seite gemachte Vorschläge, möglichst in direktem Gespräch mit den Vorschlagenden, zu prüfen und die Synode und den Rat über die jeweilige Lage sachgemäß zu beraten. 4.) Den Abbau von Tatbeständen zu versuchen, die den Kalten Krieg ermöglichten und verschärften, und auf allen Seiten die Grundsätze der Achtung des anderen, der Wahrhaftigkeit, des Rechtes und der Liebe zur Geltung zu bringen. 5.) Geduldig sich zu Besprechungen und Verhandlungen anzubieten, die die Standpunkte beider Seiten klären, Mißverständnisse ausräumen und Übereinstimmungen in echten Kompromissen herbeiführen können.“

Dem gesamtdeutschen Rat sollten nach Hildebrandts Vorstellungen je zwei Mitglieder aus der Bundesrepublik und der DDR sowie je ein Mitglied aus West- und Ost-Berlin angehören207. Zudem sollte er weitere Mitglieder kooptieren, Sachverständige hinzu206 1. Entwurf zu einem „Memorandum“ an die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (bzw. den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland) über einen konkreten Schritt der Kirche in der Frage der Wiederherstellung der staatlichen Einheit des deutschen Volkes (EZA BERLIN, 609/96/92). Hieraus auch die Zitate im Folgenden. 207 Als „Eventualvorschläge“ für die Berufung der Mitglieder nannte Hildebrandt: „1.) Für die Bundesrepublik a) theologisches Mitglied: Präses D. Wilm oder Dekan Dipper – Nürtingen oder Bischof D. Jacobi – Oldenburg; b) nicht-theologisches Mitglied: Professor Dr. Raiser – Godesberg oder ein

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ziehen, einen erweiterten gesamtdeutschen Rat von 60 Mitgliedern sich zuordnen und ein ständiges Sekretariat einrichten können. Die Finanzierung hätte die EKD zu übernehmen. Auf seiner Sitzung am 1. April 1958 stimmte der Ausschuss für öffentliche Verantwortung der EKU dem Memorandum zu und empfahl dem Rat der EKU, das Vorhaben dem Rat der EKD und der bevorstehenden Synode vorzuschlagen. Falls dies nicht zum Erfolg führe, sollte der Rat der EKU nach Ansicht der Ausschussmitglieder selbstständig tätig werden208. Auf der „Atomsynode“ 1958 kam der Plan nicht zur Sprache und auch in der EKU brachte ihn Scharf erst wieder im Vorfeld der Synode Anfang 1959 ins Spiel. Der Koordinierungsausschuss zur Vorbereitung der Synode bat daraufhin Scharf, Kreyssig und Hildebrandt, den Plan noch einmal zu überdenken und einen Vorschlag zu erarbeiten209. Auf Wunsch von Scharf und Hildebrandt kam es dann am 26. März im Gästehaus der DDR-Regierung zu einem Gespräch mit Willi Barth und Rudi Bellmann von der Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED. Nach der Gesprächsnotiz von Barth bot Scharf darin an, dass die EKU ein Gremium aus prominenten west- und ostdeutschen Persönlichkeiten zusammenstelle210. Diese sollten in der Rolle des „ehrliche[n] Makler[s]“ die Vermittlung zwischen den Regierungen der DDR und der Bundesrepublik zum Meinungsaustausch in wichtigen Fragen übernehmen. Die Kirche würde dabei nicht offiziell in Erscheinung treten. In Bonn habe man, so Scharf, in dieser Richtung bereits vorgefühlt, ohne bislang auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen zu sein. Das gleiche Schicksal widerfuhr dieser Offerte in Ost-Berlin211. Als fest stand, dass in Genf vom 11. Mai 1959 an eine Außenministerkonferenz der Siegermächte unter beratender Beteiligung von Delegationen der beiden deutschen Staaten über die Deutschlandfrage stattfinden sollte, wurden auch andere kirchliche Gremien und Persönlichkeiten aktiv. Die sächsische Synode beschloss für den 19. April eine in allen Gemeinden zu verlesende Kanzelabkündigung, die ähnlich wie die Erklärung der ostdeutschen Bischöfe im Stil eines humanitären Appells gehalten war, aber auch die Forderung nach einem Ende der atomaren Aufrüstung enthielt212. Eine solche war im Kommuniqué des Rates der EKD vom 24. April nicht zu finden. Jedoch wurde in ihm ebenfalls das kirchliche Selbstverständnis unterstrichen, „Anwalt“ der evangelisches Glied des Bundesvorstandes des GBB oder Ministerialrat Dr. Autenrieth – Stuttgart. 2.) Für die Deutsche Demokratische Republik a) theologisches Mitglied: Bischof D. Krummacher oder Generalsuperintendent D. Jacob oder Superintendent Ringhandt oder Oberlandeskirchenrat KnospeDresden, b) nicht-theologisches Mitglied: Professor Dr. Georg Hoffmann – Halle oder Präses Mager – Dresden oder gar Präsident Dieckmann – Berlin oder Dr. med. Meimel – Dresden. 3.) Für den demokratischen Sektor von Berlin Generalsuperintendent Führ 4.) Für West-Berlin: Professor Dr. Friedensburg oder Professor Dr. Meder.“ EBD. 208 EZA BERLIN, 7/2107. 209 Aktenvermerk über die Sitzung vom 30.1.1959 (EZA BERLIN, 7/2107). 210 Die Niederschrift Barths ist abgedruckt in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 333ff. 211 Hildebrandt kommentierte dies im KJ 1959 mit der Hoffnung: „Ein Erfolg ist bisher nicht spürbar geworden. Aber wichtig ist, dass das Angebot der Kirche auch weiterhin besteht, und vielleicht ein Zeitpunkt kommen wird, an dem es angenommen wird“ (S. 283). 212 Abdruck in: KJ 86, 1959, S. 82.

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unter der Teilung leidenden Menschen zu sein. Der Rat warnte Politiker und Gemeinden vor Resignation in der Wiedervereinigungsfrage und forderte sie auf, „einen Beitrag zur Entspannung und zur Wiederherstellung der Einheit unseres Volkes in Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit zu leisten“ – eine die östlichen und westlichen Werte aufnehmende Trias. Wie dieser Beitrag konkret aussehen sollte, darüber schwieg sich der Rat aus. Als erhofftes Ergebnis der Konferenz nannte er ebenso wie das „Notwort“ der EKU „die ungehinderte Kommunikation der Deutschen in Ost und West“. Am Ende des Kommuniqués rief der Rat die Gemeinden in Ost und West zu Gebetsgottesdiensten am 3. Mai auf. Ähnlich in ihrer Grundaussage, wenn auch analytischer und an manchen Stellen auch konkreter, war der deutschlandpolitische Abschnitt einer Denkschrift, welche die Berliner Scharf, Hildebrandt und Christian Berg im Vorfeld der Genfer Konferenz für das Auswärtige Amt ausgearbeitet hatten. Am 28. März schrieb Kunst an Scharf, das Auswärtige Amt habe ihn gebeten, für seine Botschafter eine größere Denkschrift über die kirchlichen Verhältnisse in der DDR zu verfassen. Kunst vertrat die Auffassung, dass man sich dieser Bitte nicht verschließen solle, und begründete dies politisch: „Die Amerikaner sind bereit, besonders das Humanum in den kommenden grossen Verhandlungen nachdrücklich anzumelden. Das geht nicht ohne Konkretion. Wir sollten auch das Votum der sogenannten unterentwickelten Länder in dieser Sache nicht gering achten. Die Methoden eines totalen Staates sind schlimmer als die eines Kolonialherren.“213

Scharf, Hildebrandt und Berg übernahmen die ihnen angetragene Aufgabe. Als evangelische Kirchenvertreter erachteten sie sich dazu berechtigt und qualifiziert, eine „Diagnose“ über die Lage in dem „Quellgebiet der lutherischen Reformation, von ihr seit über 400 Jahren geistig geformt und noch heute zu etwa 80 % protestantisch“, zu geben. In der Denkschrift „Zur Situation jenseits der deutschen Zonengrenze. Bemerkungen vom Standort Evangelischer Kirchenmänner Frühjahr 1959“214 informierten sie in drei Abschnitten über „Die menschliche Lage“, „Das Ringen der Kirche“ und die „Politischen Hoffnungen und Realitäten“. Die DDR-Bürger wurden als müde, erschöpft und vielfach resigniert beschrieben. Sie hätten seit über einem Jahrzehnt vergeblich auf die Wiedervereinigung gehofft und seien in dieser Hoffnung stetig enttäuscht worden. Ihre materielle Lage habe sich zwar inzwischen verbessert, der ideologische Druck aber halte an. Um nicht mehr länger ein „gedrängtes, überwachtes und beobachtetes Objekt“ zu sein, würden viele in die Bundesrepublik fliehen. Die Folgen der Flucht gerade von jungen Menschen und Führungskräften sei für die DDR aber „katastrophal“. Viele von denen, die blieben, passten sich „opportunistisch“ an und griffen dabei auf Erfahrungen aus der Zeit des „Dritten Reiches“ zurück. Dennoch habe „Ulbrichts Staat das Herz weder der Alten noch der Jungen gewonnen“. Die Kirche, so führten die Berliner Kirchenvertreter in ihrem zweiten Abschnitt aus, sei in der DDR „der noch geschlossenste innerlich und geistig selbständige Block 213 EZA BERLIN, 87/96/447. 214 EZA BERLIN, 87/96/447. Hieraus auch die Zitate im Folgenden.

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inmitten des sozialistischen Meeres“. Der Kampf um die Freiheit der Kirche in der DDR sei „auch eine Frucht aus dem in der Hitlerzeit im Kampf der Bekennenden Kirche Gelernten!“ Zwar gebe es ca. 2,8 % „fortschrittliche“ Pfarrer sowie Bemühungen auf lokaler und zentraler Ebene, einen modus vivendi in den täglichen Konflikten zu finden, doch entspreche der Eindruck, den westliche Presseberichte über die Zahlen und Vorgänge in den ostdeutschen Kirchen vermittelten, „sehr oft tatsächlich nicht der Grundsituation der tiefen Antagonie zwischen der Evangelischen Kirche und dem Staat Walter Ulbrichts“. Allerdings reflektiere man inzwischen verstärkt über die Existenz von Christen und Kirche in einer atheistischen Umwelt. Denn es gelte mit dramatischen finanziellen Problemen und mit der staatlichen Atheismus-Propaganda umzugehen. Deren „Erfolge“ interpretierten Berg, Hildebrandt und Scharf als eine „letzte Welle der Entkirchlichung, die z. T. seit 100 Jahren in unserem Gebiet die evangelischen Gemeinden als steigende Flut umspült“. Im deutschlandpolitischen Abschnitt beschrieben die drei Kirchenvertreter, wie die Ostdeutschen durch das passive Verhalten des Westens angesichts der militärischen Niederschlagung des Volksaufstands in der DDR im Juni 1953 und des Volksaufstandes in Ungarn im Oktober 1956 gelernt hätten, sich von dem jahrelangen „Wunschtraum“ einer militärischen „Befreiung vom Westen her“ zu verabschieden. Doch wenn auch weniger „illusionär [. . .] als noch vor einigen Jahren“, so würden sich die Menschen immer noch an die Wiedervereinigung klammern: „Die Bindungen an Menschen im anderen Teil Deutschlands und die – nicht eigentlich neidvolle, aber schmerzdurchzogene – Sehnsucht nach Teilhaben an deren freier Lebensform sind zu tief.“ „Gefühlsmässig“ würde noch immer die „übergroße Mehrheit“ Bundeskanzler Adenauer und den Westmächten applaudieren. Doch täten die Menschen dies inzwischen nicht mehr so unkritisch, da ihnen die „Grenzen der kompromisslosen ‚Politik der Stärke‘ bewusst geworden“ sei. Sie fürchteten, „preisgegeben und einem weltpolitischen Arrangement geopfert zu werden“. Die westdeutsche Politik erscheine ihnen zu starr. Sie argwöhnten, dass sich der Westen durch „karitative Bemühungen“ und „durch dutzendweise gegebene Beteuerungen des Willens zur Wiedervereinigung – von einem wirklichen Opfer dispensieren und sich in seiner Sicherheit im Grunde nicht erschüttern lassen will.“ Nach Auskunft der drei Vertreter der EKU, in deren „Notwort“ von den Deutschen „Opfer“ verlangt worden waren, fragten sich die „Nachdenklichen und Urteilsfähigen“ in der DDR: „Welche Opfer sind zu leisten und auch zumutbar, um die Kommunikation der deutschen Menschen in Ost und West garantiert zu erhalten, wenn denn die ‚Befreiung‘ nicht denkbar und die ‚freien Wahlen‘ zunächst nicht durchsetzbar sind.“ Die „verantwortlichen Menschen der Zone“, so Berg, Hildebrandt und Scharf, „trauen dem Westen noch zu, dass er in elastischer Kühnheit wohl nicht sogleich die staatliche Einheit Deutschlands, aber die Herstellung der Gemeinschaft seiner wenn auch noch unter verschiedenen Staatssystemen lebenden Menschen erreichen wolle und könne“.

Diese appellative Denkschrift wurde in einer Phase formuliert, als auf nationaler und internationaler Ebene im Vorfeld der Außenministerkonferenz intensiv über eine Lö-

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sung der deutschen Frage nachgedacht wurde. Innerhalb der CDU war es Bundestagspräsident Gerstenmaier, der eine Lockerung der starren deutschlandpolitischen Positionen seiner Partei forderte und ein Ausscheiden der Bundesrepublik aus der NATO für vertretbar hielt, wenn damit ein entscheidender Schritt zur Wiedervereinigung Deutschlands verbunden wäre. Die SPD stellte im März ihren neuen und letzten Deutschlandplan vor, in dem eine weitgehende Entmilitarisierung Mitteleuropas vorgeschlagen wurde, auf deren Grundlage die Wiedervereinigung Deutschlands sich in drei Phasen vollziehen sollte. Dabei wurde auf die bisherige westliche Forderung nach freien Wahlen zu Beginn des Wiedervereinigungsprozesses verzichtet, um dem Prestige- und Sicherheitsinteresse der östlichen Seite entgegen zu kommen – ein Vorschlag, den Günter Jacob bereits 1956 gemacht hatte und der auch in der Denkschrift von Scharf, Berg und Hildebrandt anklang. Die FDP entwarf gleichfalls einen Deutschlandplan und ging darin von Verhandlungen beider deutscher Staaten über einen Friedensvertrag aus. Deren Ziel sollte ein wieder vereinigtes Deutschland sein, das in ein von den Viermächten gemeinsam getragenes Sicherheitssystem eingebunden war. In den USA wurde derweil laut über ein Konzept des Disengagement nachgedacht, das ein Ausscheiden der Bundesrepublik aus der NATO und eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa beinhaltete. In der Vorbereitungsphase der Konferenz ließen sodann die USA und Großbritannien ihre Bereitschaft erkennen, eine Konföderation beider deutscher Staaten zu akzeptieren und stießen damit auf den Widerstand der Bundesregierung215. Am Vorabend der Fürbittgottesdienste für das Gelingen der Genfer Verhandlungen wurde noch einmal die Synode der berlin-brandenburgischen Kirche aktiv. Sie bat in einer Entschließung die beiden deutschen Regierungen, auf jede atomare Rüstung zu verzichten und nannte damit eines der zu erbringenden „Opfer“. In Richtung DDR und Sowjetunion verwies sie noch einmal darauf, dass ein Friedensvertrag, der nicht die uneingeschränkte Kommunikation aller Deutschen „innerhalb der gegenwärtigen Grenzen unseres Landes“ – die ehemaligen deutschen Ostgebiete waren damit ausgespart und somit vermutlich ein weiteres „Opfer“ der Westdeutschen zumindest indirekt benannt – „keinen Frieden bringen kann“.216 Unmittelbar auf die gefährdeten Zugänge nach Berlin bezogen, konkretisierte die Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg diesen Appell während der laufenden Genfer Verhandlungen. In ihrem Beschluss hieß es: „Unter gar keinen Umständen sollten die bei dem derzeitigen Status von Groß-Berlin noch verbliebenen Wege zur menschlichen Begegnung und Verständigung abgeschnitten werden.“217 Zur gleichen Zeit schrieb Hildebrandt in einem Brief an Professor B. M. Stanfield in den USA: „Immer deutlicher wird es, dass eine Wiedervereinigung unseres Volkes von den Sowjets nur unter der Bedingung eines kommunistischen Vorzeichens für ganz Deutschland zugelassen werden soll. Wir hoffen sehr, dass das offene Tor in Berlin erhalten bleibt. Wenn auch dieses 215 Vgl. H.-P. SCHWARZ, Ära Adenauer. Epochenwechsel, S. 57–63, S. 94ff., S. 201ff. 216 KJ 86, 1959, S. 82f. 217 EBD., S. 83.

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letzte Verbindungsstück zwischen Ost- und Westdeutschland noch geschlossen werden sollte, dann würde das für die 17 Millionen Deutschen im Osten eine unsäglich verstärkte Leidenszeit im Gefolge haben. Hoffentlich sind unsere westlichen Freunde klarsichtig und nüchtern genug, um zu erkennen, dass es in diesen Fragen nicht nur um das Schicksal des deutschen Volkes, sondern zugleich um die weitere Entwicklung der ganzen freien Welt geht.“218

Während der bis Anfang August andauernden Genfer Verhandlungen kamen noch sehr unterschiedliche Stellungnahmen aus dem kirchlichen Raum, in denen sich die „Zerrissenheit des deutschen Protestantismus“ dokumentierte219. Ein gemeinsames Signum der Erklärungen war indes, dass die spezifisch deutschen Hoffnungen nicht isoliert geäußert wurden, sondern man sie mit dem Wunsch nach Versöhnung der Völker oder nach weltweitem Frieden verband. So bat im Mai die rheinische Landessynode die in Genf versammelten Außenminister, Mittel und Wege zu finden, um den Weltfrieden zu sichern und die deutsche Wiedervereinigung zu ermöglichen220. Am 17. Mai richteten einige ostdeutsche Pfarrer und Theologieprofessoren an die Christen in Deutschland und die in Genf verhandelnden deutschen Regierungsvertreter einen Aufruf, in dem sie sich gänzlich die deutschland- und sicherheitspolitische Position der DDR-Regierung zu Eigen machten221. Im Juni appellierte der Rat der EKD an die Gemeinden, in ihrem Gebet für die unter der Teilung leidenden Menschen und die „Versöhnung der Völker“ nicht nachzulassen222. Auf einer Konferenz in Weimar, an der Theologen und Laien aus der DDR und der Bundesrepublik teilnahmen, wurde am 24. Juni eine Entschließung verabschiedet, die sich für „Verhandlungen zwischen den Regierungen der beiden deutschen Staaten mit dem Ziel einer schrittweisen Wiedervereinigung“ aussprach und eine Stationierung von Kernwaffen auf deutschem Boden ablehnte223. Die Pfarrer Karl Kleinschmidt (Schwerin) und Hans Ohly (Frankfurt/M.) überreichten diese „Weimarer Erklärung“ in Genf sämtlichen Delegationen der Außenministerkonferenz224. Am 5. August endete die Genfer Konferenz ohne ein Ergebnis in der Deutschlandfrage. Einige Wochen später einigten sich Chruschtschow und Eisenhower darauf, das Berlin-Problem entkoppelt von der Deutschlandfrage ohne Fristsetzung weiter zu verhandeln und im folgenden Jahr eine Gipfelkonferenz einzuberufen. Der Rat der EKD nahm am 18. Dezember noch einmal zur deutschlandpolitischen Lage Stellung und warnte vor einer Einschränkung des freien Zugangs für alle Deutschen nach Ost- und West-Berlin225. Im Februar 1960 sprach sich die EKD-Synode für Entspannung und Abrüstung aus und appellierte an die beiden deutschen Regierungen, Mittel und Wege

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Brief vom 24.7.1959 (EZA BERLIN, 609/96/46). Gottfried Niemeier im KJ 86, 1959, S. 86. EBD., S. 83. EBD., S. 83f. EBD., S. 86. EBD., S. 84f. Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 335. Kommuniqué nach der Ratssitzung am 17./18.12.1959 (EZA BERLIN, 104/38).

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zu finden, um der „Zertrennung unseres Volkes in zwei gegeneinander gerüstete Teile ein Ende [zu] machen.“226 Mit dem Scheitern der Pariser Gipfelkonferenz der Vier Mächte im Mai 1960 zerschlugen sich dann die Hoffnungen auf einen weltweiten Entspannungs- und Abrüstungsprozess. Vor dem Hintergrund dieser welt- und deutschlandpolitischen Entwicklung resümierten Ende 1960 zwei Protagonisten der innerprotestantischen Auseinandersetzungen um den deutschlandpolitischen Weg während der fünfziger Jahre über die Adenauersche Deutschlandpolitik227. Eugen Gerstenmaier, profilierter Repräsentant des CDU-nahen und westorientierten Flügels innerhalb des Protestantismus, veröffentlichte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am 17. November einen Artikel mit dem Titel „Verschleuderung des christlichen Namens? Eine Disputation mit Professor Helmut Gollwitzer“. Darin nahm der Bundestagspräsident, der selbst auch nicht immer mit der Deutschlandpolitik des Bundeskanzlers konform ging, Bezug auf Gollwitzers Adenauerkritik in dem Sammelband „Ich lebe in der Bundesrepublik“228. Der Berliner Theologe hatte dort der CDU eine „Verschleuderung des christlichen Namens“ vorgeworfen, die einseitige Westorientierung der Adenauerschen Politik verurteilt und den Abschluss der Pariser Verträge 1955 als den größten Sündenfall der deutschen Nachkriegspolitik bezeichnet. Für Gerstenmaier hingegen hatten diese Verträge der Bundesrepublik erst die sicherheitspolitischen Voraussetzungen für mögliche Verhandlungen verschafft. Gollwitzer warf er vor, in seiner Forderung nach einer Neutralisierung Deutschlands fanatisch zu sein. Gollwitzer, dem die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ keine Replik zugestand, antwortete auf die Vorwürfe am 14. Dezember in einem Artikel in der „Frankfurter Rundschau“ unter dem Titel „Was denkt sich eigentlich diese unsere Führung?“. Sein Urteil über Adenauers Deutschlandpolitik lautete darin: „Die Politik, von der man sich im deutschen Selbstbetrug die Wiedervereinigung versprach, ist die Ursache dafür, dass sie nicht erreicht wurde.“229 Unterstützung in seinem deutschlandpolitischen Disput mit Gerstenmaier erhielt Gollwitzer von dem FDP-Politiker Thomas Dehler, der ihm schrieb: „Es ist Ihre geschichtliche Aufgabe, die Auseinandersetzung mit Gerstenmaier unerbittlich fortzusetzen.“230 Und Günter Jacob dankte Gollwitzer persönlich für „dieses klare und mutige Wort“231. Während sich Gerstenmaier und Gollwitzer darüber stritten, welche Folgen die Adenauersche Politik für die Chancen auf eine Wiedervereinigung hatte, drohte derweil die „Wiedervereinigung“ auf westdeutschem Gebiet stattzufinden. Die BerlinDrohungen Chruschtschows, wirtschaftliche Schwierigkeiten, die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft und ein härterer politischer Kurs der SED ließen 1960 den 226 KJ 87, 1960, S. 99f. Ähnliche Erklärungen gaben auch die Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und die Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens ab. Vgl. EBD., S. 106. 227 Vgl. hierzu auch U. BAYER, Frage, S. 344–347. 228 W. WEYRAUCH, Bundesrepublik. 229 Zitiert nach: U. BAYER, Frage, S. 346. 230 Dehler an Gollwitzer, 21.11.1960. Zitiert nach: EBD., S. 347. 231 Brief vom 25.1.1961. Zitiert nach: EBD., S. 347.

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Flüchtlingsstrom Richtung Westdeutschland auf nahezu 200.000 Menschen anwachsen, obgleich die Auswanderung seit 1957 als „Republikflucht“ kriminalisiert war232. Unter den Übersiedlern waren nicht wenige kirchliche Amtsträger und bewusste Gemeindeglieder233. In West-Berlin nahm sich die Evangelische Flüchtlingsseelsorge dieser Menschen an. Neben der diakonischen Hilfe an den bereits Geflüchteten sah sich die EKU-Synode im November 1960 dazu veranlasst, grundsätzlich zum Problem der Massenflucht Stellung zu nehmen. Sie tat dies in drei Richtungen und immer mit dem Grundanliegen, weitere Fluchtbewegungen zu verhindern. In einem Wort an die Gemeinden ihrer ostdeutschen Gliedkirchen deutete sie die Situation von dem Glauben an die allumfassende Herrschaft Gottes her und rief auf dieser theologischen Grundlage zum Bleiben in der DDR auf_234: „Auch in der Deutschen Demokratischen Republik will Gott alle die überreich segnen, die sein Urteil auf Golgatha als ihr alleiniges Heil annehmen und darum, wenn es sein muß, in Verzicht und Leiden dem Gekreuzigten willig nachfolgen. Wer meint, Gott müsse ihm ein gutes Leben garantieren, und wer die Last seines Lebens nur mit Murren trägt oder eigenmächtig abschüttelt, geht von seinem Erretter weg.“235

Die Gemeinden ihrer westdeutschen Gliedkirchen bat die Synode, die ostdeutschen Christen in ihren andersartigen Lebensumständen wahrzunehmen, sie nicht zur Flucht in die Bundesrepublik zu überreden, mit ihnen in Kontakt zu bleiben und für ein Ende der „Zertrennung“ der Deutschen zu beten236. In einem von Fränkel, Kreyssig und Hamel entworfenen Schreiben237 an den DDR-Ministerpräsidenten Grotewohl erklärte die Synode, dass ihr theologisch fundierter Appell zum Bleiben und zur Annahme der Situation in der DDR sie zugleich dazu verpflichte, „in dieser Lebensfrage unseres Volkes für viele Menschen einzutreten, die in Angst und Sorge geflohen sind oder sich mit bitteren Fluchtgedanken tragen.“238 Als eigentliche Gründe für die Fluchtbewegung nannte das Schreiben u. a. die Belastungen durch den Staatssicherheitsdienst, die Methoden bei der Kollektivierung der Landwirtschaft und des Handwerks, den ideologischen Druck auf Lehrer und andere akademische Berufsgruppen, die sozialistische Umgestaltung der Schulen und die berufliche Benachteiligung von Christen. Die Synode kam der Regierung entgegen, indem sie erklärte, dass diese nicht für alle Fluchtursachen die Verantwortung trage. Viele seien auch in der schuldhaften deutschen Vergangenheit und „in größeren politischen Zusammenhängen“ zu suchen. Nach dieser Relativierung formulierte die Synode jedoch einen sehr schweren Vorwurf gegenüber ihrer ‚Obrigkeit‘: Mit der Durchsetzung des Marxismus-Leninismus als Grundlage allen gesellschaftlichen Lebens in der DDR habe der Staat die ihm 232 233 234 235 236 237 238

Vgl. H. WEBER, DDR, S. 55. Vgl. J. HAMEL, Geschichte, S. 11. KJ 87, 1960, S. 271ff. Vgl. auch D. POLLACK, Kirche, S. 173. KJ 87, 1960, S. 272. EBD., S. 273f. J. HAMEL, Geschichte, S. 11. KJ 87, 1960, S. 274.

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von Gott gesetzte Aufgabe, ein geordnetes Zusammenleben der Staatsbürger und die Würde und das Recht des Einzelnen zu sichern, überschritten. Damit habe er „die allgemeine und hauptsächliche Ursache“ der Flucht geschaffen239. Am Schluss appellierte die Synode an Grotewohl: „Tun Sie um Gottes und der Ihnen anbefohlenen Menschen willen diesem Mißbrauch staatlicher Gewalt Einhalt. Dann werden sich nach unserer Zuversicht Wege öffnen, dass viele Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik, die in der Versuchung zum Weggehen stehen, bleiben und ihre Arbeit mit neuer Freude tun.“240

Die Staats- und Parteispitze gedachte aber das Problem, das ihr in Form eines ständigen Verlustes von qualifizierten Arbeitskräften infolge der Massenflucht entstand, wenige Monate später in ganz anderer Weise zu lösen. In dem Brief der EKU aber sah das Politbüro des ZK der SED „eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR“ und ließ ihn ohne Stellungnahme zurückschicken241. Am 25. Januar hatte der Staatssekretär für Kirchenfragen Bischof Krummacher in einem persönlichen Gespräch zu erklären, dass der Brief nicht angenommen worden sei, da die Leitung der EKU für die Regierung der DDR seit dem Abschluss des Militärseelsorgevertrages nicht mehr existiere. Auch die gesamtdeutsche EKU war demnach Objekt der Abgrenzungspolitik der DDR und ihres kirchenpolitischen Ziels: der Spaltung gesamtdeutscher Kircheneinheit.

239 EBD., S. 275. 240 EBD. 241 Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Politbüros am 13.12.1960. Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 345ff.

DiekirchlicheEinheit(1956–1961) DiskussionenüberdieEinheit

2.3 Diskussionen über die Einheit 2.3.1 Die Suche nach den Grundlagen der Einheit Seit Mitte der 50er Jahre schwanden die Wiedervereinigungshoffnungen zunehmend; die Teilung vertiefte sich von Jahr zu Jahr mehr. In den ostdeutschen Kirchen verabschiedete man sich allmählich von einer Überwinterungsstrategie und suchte nach einem neuen Selbstverständnis von Christen und Kirche in der DDR. Vor diesem Hintergrund vollzog sich in den gesamtdeutschen Gremien der evangelischen Kirche ein Reflexionsprozess über die Grundlagen einer kirchlichen Einheit, die von außen zunehmend bedroht, aber auch von innen mehr und mehr brüchig zu werden schien. Geschichtstheologische Deutungen kirchlicher Einheit in Deutschland bekamen Konjunktur. Im „Kirchlichen Jahrbuch“ der EKD wurde 1957 erstmals ein Kapitel unter die Überschrift gestellt: „Die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre Einheit“. In ihm berichtete Oberkirchenrat Gottfried Niemeier, Geschäftsführer der Kammer für öffentliche Verantwortung, dass in diesem Jahr der „lauernden Gefahren der äußeren und der inneren Spaltung der EKD“ auch manches geschehen sei, „um die Stellung der Evangelischen Kirche in Deutschland als der verfassten Gestalt der gesamten deutschen evangelischen Christenheit zu dokumentieren und zu festigen und ihr die Wahrnehmung ihrer einenden und verbindenden Funktion als übergreifender Bruderschaft zu ermöglichen und zu erleichtern.“1

Dazu zählte er die finanzielle Unterstützung der westlichen für die östlichen Gliedkirchen, die Zusammenarbeit der gesamtkirchlichen Gremien, die Arbeitstagungen der landeskirchlichen Referenten für die verschiedenen Sachaufgaben der kirchlichen Verwaltungsorgane, die gegenseitige Teilnahme an landeskirchlichen Synodaltagungen, den Deutschen Pfarrertag in Marburg sowie die 50. Generalversammlung des Evangelischen Bundes in Worms. Jedoch waren die meisten der hier genannten Zusammenkünfte bereits von Aus- und Einreisebeschränkungen betroffen. So konnten Ratssitzungen nicht mehr in der DDR stattfinden, da neben anderen auch Otto Dibelius keine Passierscheine mehr erhielt2. Gar nicht erst zustande kam der für Juli in Thüringen geplante Kirchentag3. Die DDR-Regierung hatte seine Genehmigung bewusst hinausgezögert und dann unannehmbare politische Bedingungen gestellt4. Um den 1 So Niemeier im KJ 84, 1957, S. 107f. 2 Vgl. die Korrespondenz zu den Ratssitzungen im Jahre 1957 (EZA BERLIN, 104/38). 3 Vgl. D. PALM, Brüder, S. 247–257. 4 Im Einzelnen wurde gefordert: 1. jede Unterstützung der „friedensfeindlichen NATO-Politik“ musste unterbunden werden; 2. es durften keine Personen auftreten, die „die NATO-Politik befürworten oder in irgendeiner Form unterstützen“; 3. die Kirchentagsleitung hatte öffentlich die Vorgänge auf dem Frankfurter Kirchentag, „die sich gegen unseren Staat und das Ansehen seiner namhaften

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gesamtdeutschen Charakter des DEKT nicht preiszugeben, schlugen die Verantwortlichen eine nachfolgende Einladung nach Westdeutschland aus5. Stattdessen fanden an vielen Stellen in der Bundesrepublik und der DDR örtliche und regionale Kirchentagsveranstaltungen statt6. Auf einem Herbsttreffen des Kirchentages in Berlin kamen Delegierte aus den östlichen und westlichen Landeskirchen zusammen, doch tat die DDR-Regierung alles, um die Veranstaltung zu behindern7. Da half es auch nichts, dass die Veranstalter bereits im Vorfeld den unpolitischen Charakter des Kirchentagstreffens hervorhoben. Auf dem Treffen selbst betonten dann verschiedene Redner die Gemeinschaft und Einheit der evangelischen Christen in ganz Deutschland und deren Grundlagen. „Darum erhebt die Evangelische Kirche in Deutschland [. . .] nicht eigentlich Ansprüche, wenn sie ihre Unteilbarkeit konstatiert. Sie macht damit nur ihr Wesen und ihren Auftrag in der Welt sichtbar“, argumentierte Kirchentagspräsident Thadden8. Traf letztere Aussage auch auf die transnationalen ökumenischen Beziehungen der Kirchen zu, so motivierte Dibelius die spezifische, nationale Einheit der „unteilbaren Kirche“ in Deutschland – die begriffliche Parallele zum Kuratorium „Unteilbares Deutschland“ war sicher nicht zufällig – durch die bereits bestehende Gemeinsamkeit im Gebrauch der Lutherbibel, des einheitlichen Gesangbuches und von Luthers Kleinem Katechismus9. Nach Ansicht Niemeiers erfüllte das Berliner Kirchentagstreffen durch seine gesamtdeutsche Zusammensetzung sowie die auf ihm gehaltenen Plädoyers für die kirchliche Ost-West-Einheit „doch einen beträchtlichen Teil der Kirchentagsaufgaben, die evangelische Christenheit ganz Deutschlands in übergreifender Brüderlichkeit zu verbinden, verbunden zu halten und diese unlösliche Verbundenheit vor und in der Welt sichtbar werden zu lassen.“10

Niemeiers Aussagen konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gesamtdeutsche Klammerfunktion des Kirchentages im Schwinden begriffen war. Im November 1957 bekräftigte auch der Rat die „unteilbare Einheit“ der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sie sei gegeben durch die „unauflösbare Gemeinschaft des Glaubens, der Verantwortung und der Fürbitte“, hieß es in seinem Grußwort an die Gemeinden in Ost und West11. Als eine Herausforderung für die „gemeinsame Verantwortung unseres Glaubens, Liebens und Hoffens“ nannte Niemeier im „Kirchlichen Jahrbuch“ die Säkularisierung, die der Kirche in der DDR als „seelengefährdende[r] Totalitarismus“ und „militante[r] Atheismus“ und in der Bundesrepublik Vertreter richteten“, zu missbilligen; 4. die Kirchentagsleitung sollte gewährleisten, dass evangelische Vertreter der DDR-Regierung im Rahmen der Veranstaltungen des Kirchentages die „Friedenspolitik“ der DDR erläutern konnten. Vgl. EBD., S. 251. 5 Vgl. P. BEIER, Gemeinde, S. 8. 6 Einen Überblick über die Veranstaltungen in Ost- und Westdeutschland gibt: KIRCHENTAGE. 7 Vgl. zu dem Treffen EBD., S. 143–190; D. PALM, Brüder, S. 259–264. 8 KJ 84, 1957, S. 112. 9 Vgl. EBD. 10 EBD. 11 EZA BERLIN, 104/38. Abdruck in: KJ 84, 1957, S. 108.

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als „praktische[r] Materialismus“ und „skeptische[r] Nihilismus“ begegne. Er griff damit Überlegungen Günter Jacobs auf, der bei seinem Synodalvortrag 1956 gleichfalls die Säkularisierung als gemeinsamen Bezugspunkt protestantischer Theologie und kirchlicher Praxis in Ost- und Westdeutschland gekennzeichnet hatte. Es ist jedoch anzunehmen, dass Niemeier in dem für die ostdeutschen Gliedkirchen besonders leidvollen Jahr 1957 diese „gemeinsame Verantwortung“ vornehmlich in Richtung DDR wahrgenommen sehen wollte. Ganz eindeutig war dies bei dem ehemaligen Präsidenten der Kirchenkanzlei der EKD, Hans Asmussen, der Fall. Am 29. November 1957 schrieb er an den Rat: „Das Leiden der mitteldeutschen Kirchen wird den Westdeutschen nicht auf dem Wege kirchlicher Verkündigung, sondern säkularer ehrlicher Pressearbeit bekannt. In den westdeutschen Kirchen wird am Sonntag nur zu einem unbeachtlichen Bruchteil der Leidenden in Mitteldeutschland gedacht. Die Gründe dafür sind aus dem ersten Kirchenkampf bekannt und waren damals ebenso bequem wie heute [. . .] Warum haben bisher nicht 25 westdeutsche Bischöfe und Ratsmitglieder den Weg nach Mitteldeutschland gefunden, um ganz schlicht, wie wir das im ersten Kirchenkampf getan haben, jenseits aller Neutralität den Kampf dort mitzukämpfen, wo er gekämpft wird? Doch einfach deshalb nicht, weil die Einheitskonzeption ein Wunschtraum ist.“12

In Dibelius’ Antwortschreiben hieß es: „Aber wir glauben uns doch verpflichtet, nicht unsererseits zu einer weiteren Verschärfung beizutragen, sondern nichts unversucht zu lassen, um für die Verkündigung des Evangeliums Raum zu schaffen“13 – letzteres eine Bezugnahme auf die Theologische Erklärung der Synode von 195614. Der Rat sei nicht bereit, „die Brücke, die die EKD immer noch darstellt, aufzugeben.“ Im „Kirchlichen Jahrbuch“ merkte Niemeier jedoch selbstkritisch an, „dass aus der Brücke, die die EKD noch vor Jahr und Tag darstellte, im Laufe des letzten Jahres aus äußeren wie aus inneren Gründen ein schmaler Steg geworden“ sei15. Auch innerhalb der AGEJD, die mehr als eine Million evangelische Jugendliche in Ostund Westdeutschland repräsentierte16, wurde zu dieser Zeit intensiv über die eigene Ost-West-Einheit, ihre Grundlagen und ihren Erhalt nachgedacht. Ein Anstoß hierfür war die in den Jahren 1957 und 1958 in der DDR erneut bedrohliche Situation der Jungen Gemeinde und Studentengemeinden, in der Westkontakte erhöhte Gefährdung bedeuteten. Auf der Sitzung des Gesamtkirchlichen Ausschusses Ende November 1957 argumentierte der Vorsitzende, der Bremer Landesjugendpfarrer Werner 12 Zitiert nach: G. BESIER, SED-Staat, S. 239. 13 EBD., S. 240. 14 Dort hatte es zum einen geheißen, dass das Evangelium „selbst Raum schafft und schenkt“, zum anderen wurden die Inhaber staatlicher Macht gebeten, „der Kirche den Raum nicht zu verwehren, den sie braucht, um das Evangelium in aller Öffentlichkeit zu verkündigen“. G. HEIDTMANN, Hat die Kirche geschwiegen?, S. 222 und S. 224. 15 KJ 84, 1957, S. 108. 16 Angabe in einem von Lauk formulierten Antrag vom 25.9.1958 zur Schaffung einer zentralen Tagungs- und Begegnungsstätte der AGEJD in Berlin (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung).

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Brölsch, es müsse ein gesamtkirchliches Jugendgremium geben, da „es eine Junge Gemeinde sowohl in der Bundesrepublik wie in der DDR gebe, die ein Ziel, einen Herrn und gemeinsame Denkmöglichkeiten habe“17. Allerdings sei die kirchliche Jugend in Ost- und Westdeutschland in der „Glaubensauseinandersetzung“ mit unterschiedlichen „Fakten“ konfrontiert. Für Brölsch ergab sich daraus eine doppelte Aufgabe für den Gesamtkirchlichen Ausschuss: Er sollte zum einen der Jungen Gemeinde in der DDR Hilfestellung leisten, worauf der Schwerpunkt zu legen war, zum anderen sollte er Möglichkeiten der Begegnung zu schaffen. Auf der theologisch-reflexiven Ebene müsse man sich, so Brölsch, damit auseinander setzen, wie die Junge Gemeinde ihrem „gemeinsamen Auftrag“ gerecht werden und sich gleichzeitig loyal gegenüber ihrem jeweiligen Staat verhalten könne. Geschichtstheologisch formulierte Brölsch die Frage, inwieweit das Zusammenkommen der Jungen Gemeinde aus beiden deutschen Staaten „nicht auch ein Handeln Gottes“ sei; die Zweiteilung Deutschlands und die gegenwärtige Situation charakterisierte er als „Gottes Weg“ und nicht als „dumpfes Schicksal“. Auf derselben Sitzung betonte der Vorsitzende der Jugendkammer Ost Andler, die evangelische Kirche und ihre Junge Gemeinde gehörten „nicht aus Trotz zusammen, sondern weil wir als Kinder Gottes zusammengehören.“ Theologisch äußerst fragwürdig war sodann seine Behauptung, in der Bibel gehe es immer um Einheit und daher dürfe man auch die „von Gott geschenkte Einheit“ in Deutschland nicht von sich aus zerstören. Die „deutsch-nationalen Restbestände“ sollten jedoch nach Ansicht Andlers aus der Kirche beseitigt werden. Anfang Februar 1958 bekräftigten die west- und ostdeutschen Teilnehmer einer Sitzung der AGEJD in Berlin-Wannsee die Absicht, die Einheit der Evangelischen Kirche auch auf dem Boden der Jugendarbeit aufrechtzuerhalten und „trotz vielfacher Verschiedenheit die gemeinsame Geschichte als verpflichtendes Band zu betrachten.“18 Diese geschichtstheologische Deutung teilten auch die Teilnehmer einer Gesamtkirchlichen Mitarbeitertagung, die vom 22. Februar bis 1. März in der Evangelischen Sozialakademie Friedewald stattfand. Dort hatte sich eine Arbeitsgruppe auf die Suche nach den „geistlichen Grundlagen gesamtkirchlicher Arbeit“ gemacht und sie im Gebot der Nächstenliebe sowie in der Verantwortung für die gemeinsame, schuldhafte Vergangenheit, von der sich kein Teil dispensieren könne, gefunden19. Die geistige und praktische Solidarität angesichts neuer Aufgaben trotz gravierender kontextueller Unterschiede deutete sie als „eine von Gott besonders gestellte Aufgabe“. Allerdings gestanden sich die ausschließlich westdeutschen Teilnehmer auch ihre Unsicherheit in der Frage ein, ob zu dem allem eine organisatorische Einheit notwendig sei. Es herrschte dennoch Konsens darüber, dass man sich nicht eher trennen dürfe, „als bis Gott uns eindeutig diesen Weg auferlegt“. Die Studentengemeinden entschieden sich 1958 gleichfalls dazu, an ihrer gesamt17 Protokoll Lauks über die Sitzung am 26./27.11.1957 (Aaej HANNOVER, Protokolle GKA). 18 Protokoll der Sitzung der AGEJD am 5./6.2.1958 (EZA BERLIN, 2/1550). 19 Ergebnis der Arbeitsgruppe II (Aaej HANNOVER, GKA-Aktionen).

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deutschen Gemeinschaft festzuhalten und sie nicht von sich aus zu lockern oder aufzugeben. Auslöser für eine intensive Auseinandersetzung mit dieser Frage waren hier die Prozesse gegen Studentenpfarrer und aktive Mitglieder der Studentengemeinden im Jahr 1957 sowie das Memorandum westdeutscher Studentenpfarrer zum „Fall Schmutzler“20. Fünf Wochen nach der Verurteilung Schmutzlers fand vom 7. bis 13. Januar 1958 in Bad Saarow eine Konferenz der Vertrauensstudenten der evangelischen Studentengemeinden in der DDR statt, über deren Verlauf die Abteilung „Evangelische Kirche“ in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen bestens informiert war21. In seinem Bericht vor der Konferenz bemühte sich Pfarrer Helmut Orphal, der seit 1. September 1957 die Geschäftsstelle in Ost-Berlin leitete, die Selbstständigkeit der Studentengemeinden in der DDR zu betonen, ohne die Einheit der ESGiD preiszugeben. Zwei Wochen später tagte in Berlin-Spandau eine außerordentliche gesamtdeutsche Studentenpfarrerkonferenz22. Sie war auf Wunsch der ostdeutschen Studentenpfarrer zusammengekommen, um angesichts der bedrohlichen Situation für die Gemeinden in der DDR darüber zu beraten, wie zukünftig die gemeinsamen Aufgaben der Studentengemeinden wahrgenommen werden sollten. In „langen Tages- und Nachtdiskussionen“ versuchten die ost- und westdeutschen Studentenpfarrer zu klären, wie die ostdeutschen Studentengemeinden in dieser Spannungssituation an der Einheit der ESGiD festhalten könnten. In der Bundesrepublik wurde diese Frage auf studentischer Seite ausführlichst auf der Delegiertenkonferenz der ESGiD diskutiert, die Ende Februar in Rummelsberg bei Nürnberg stattfand23. Unsicherheiten in der Argumentation tauchten dabei vornehmlich in der Diskussion um die Grundlagen der Einheit der ESGiD auf. Insbesondere fiel es den Delegierten schwer, theologische Argumente für ihre Einheit zu finden, die über die Begründung einer transnationalen ökumenischen Einheit der Kirche hinausgingen. Dieses Problem begleitete die Studentengemeinden sowie die Gesamtkirche in den Folgejahren. Wie anderenorts wurde auch auf der Delegiertenkonferenz 1958 ex negativo argumentiert, d. h. politischen Mächten das Recht abgesprochen, eine vorgegebene und „organisch bestehende“ Einheit der Kirche „willkürlich“ zu trennen. Die eigentliche Aufgabe sah man daher auch nicht darin, sich selbst gegenüber die Einheit der ESGiD zu begründen. Sie sei gegenwärtig „eine der vorgegebenen Formen kirchlicher Einheit“. Wichtiger war es nach Ansicht des Generalsekretärs Kreyssig, zu fragen, „welche Argumente der Gemeinde zur Verfügung stünden angesichts der Tatsache, dass ihre Einheit von aussen angefochten und in Frage gestellt“ werde. Allerdings konnte nicht übersehen werden, dass im Streit über 20 Siehe Kap. 2.2.2. 21 Der sehr sachliche „Bericht über die Vertrauensstudentenkonferenz der Evangelischen Studentengemeinde in der DDR“ vom 30.1.1958 findet sich im BArch BERLIN, DO 4/769. Dem Inhalt dieser und der Folgeakte nach zu schließen, besaß die Dienststelle des StfK nur Berichte über Vertrauensstudentenkonferenzen und nicht über andere Gremiumssitzungen der ESGiD. 22 Bericht über die a.o. Konferenz West- und Ostdeutscher Studentenpfarrer am 28.–30.1.1958 (EZA BERLIN, 36/167). 23 Protokoll der DK der ESGiD am 26./27.2.1958 (EZA BERLIN, 36/477).

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das Schmutzler-Memorandum und mit ihm über das richtige Verhalten von Christen und Kirche gegenüber dem DDR-Staat die Einheit auch von innen her infrage gestellt worden war. Die Delegiertenkonferenz bekräftigte jedoch, dass „dadurch die Einheit der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland nicht gefährdet werden darf“. Für die Zukunft wurde angemahnt, dass bei öffentlichen Stellungnahmen, „nicht nur die Situation des einen der beiden Teile Deutschlands zum Maßstab genommen wird, sondern die gemeinsame Verantwortung für die Aufgaben der Verkündigung in beiden Teilen zum Ausdruck kommt.“ Das oberste Gremium der ESGiD, der Vertrauensrat, in dem die großen Linien der Arbeit besprochen, beschlossen und nach außen vertreten wurden24, musste im Zuge des Streits um das Schmutzler-Memorandum ebenfalls zur Einheit der ESGiD und der Gestaltung ihrer Gesamtarbeit Stellung nehmen. Er tat es auf seiner Sitzung Ende April, die in Berlin stattfinden musste, da einige ostdeutsche Mitglieder erstmals keine Reisegenehmigungen bekommen hatten25. Der in der Geschäftsstelle Stuttgart amtierende Generalsekretär Peter Kreyssig, Sohn von Lothar Kreyssig und von der sächsischen Landeskirche für seine Tätigkeit bei der ESGiD beurlaubt, stellte dort die Vertrauensfrage. Er begründete dies mit den Abgrenzungstendenzen, die er bei ostdeutschen Studentengemeindevertretern festgestellt hatte26. Während die Studentengemeinden in der DDR früher gefragt hätten, ob die Westdeutschen sie abgeschrieben hätten, laute nunmehr die Frage: „[K]önnt ihr uns nicht in Ruhe lassen und nicht durch eure Einmischung unsere Lage erschweren?“ Hingegen fragten sich jetzt die Westdeutschen: „[H]abt ihr uns abgeschrieben? Seid ihr schon ganz auf der ‚linken Seite‘?“ Kreyssig fühlte sich unter diesen Bedingungen als Generalsekretär nicht mehr in der Lage, zukünftig im Falle der Verhaftung eines Studentenpfarrers etwas Gemeinsames zu sagen, und forderte die Rückendeckung eines repräsentativen Gremiums. Die sich daran anschließende kontroverse Diskussion der Vertrauensratsmitglieder über die „Einheit der Gesamtarbeit“ stand jedoch nicht allein unter dem Eindruck der Auseinandersetzung um das Schmutzler-Memorandum. Auch die Befürchtung, die EKD könne nach der „Atomsynode“, die einen Tag nach der Vertrauensratssitzung begann, auseinanderfallen, spielte eine Rolle27. Am Ende fiel die Entscheidung, an der „vorgegebenen Einheit“ der ESGiD sowie an dem Amt des Generalsekretärs als Klammer zwischen Ost und West festzuhalten. In der Gestaltung der Gesamtarbeit wurden jedoch einige Veränderungen vorgenommen, die sowohl die Einheit als auch die Selbstständigkeit der beiden Bereiche stärkten28. So sollte der Vertrauensrat zukünftig für anliegende Entscheidungen auch außerplanmäßig einberufen und dessen Vorsit-

24 Der VR der ESGiD bestand aus zehn Studenten, fünf Studentenpfarrern, vier Vertretern der EAiD und bis zu acht kooptierten Mitgliedern aus anderen Bereichen von Kirche und Hochschule. 25 Vgl. F. W. VOLONTIERI, Hahn, S. 51. 26 Notizen von der Sitzung des VR der ESGiD am 24./25.4.1958 (EZA BERLIN, 36/393). 27 Siehe Kap. 2.2.2. 28 Beschluss des VR über die Gestaltung der Gesamtarbeit. Anlage 2 zum Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 26./27.4.1958 (EZA BERLIN, 36/330).

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zender über wichtige Sachverhalte in der aktuellen Arbeit laufend unterrichtet werden. Beschlüsse von grundsätzlichem Gewicht blieben auch weiterhin Aufgabe des gesamtdeutschen Vertrauensrates. Der Beirat für die Gemeinden in der DDR29 erhielt das Recht, nach Bedarf häufiger zusammenzutreten. In Fragen, die ausschließlich die Verhältnisse in der Bundesrepublik betrafen, sollten die westdeutschen Mitglieder des Vertrauensrates gesondert zusammenkommen können. Dies betraf insbesondere die Finanzangelegenheiten, die auf Grund der Annahme von Geldern aus dem Bundesjugendplan durch die ESGiD die ostdeutschen Gemeinden der Gefahr staatlicher Maßregelungen aussetzten. Auch im Falle, dass eine Gesamttagung des Vertrauensrates nicht (mehr) möglich sein würde, durften die westlichen Mitglieder – wie auch der Beirat Ost – getrennt tagen. Die zwei Geschäftsstellen in Stuttgart und Berlin sollten in erster Linie ihrem besonderen Arbeitsbereich dienen, der gegenseitige Zusammenhalt aber „im Dienst des Evangeliums“ gepflegt werden. Wichtige öffentliche Verlautbarungen durften nicht ohne vorherige Einvernahme erfolgen. Für die Gesamtarbeit und ihren Zusammenhalt war weiterhin der Generalsekretär verantwortlich, der dem Vertrauensrat darüber Rechenschaft abzulegen hatte. Insbesondere bei öffentlichen Erklärungen sollte der Generalsekretär „besonders sorgfältig den brüderlichen Kontakt und die Beratung mit den Sekretären und den verantwortlichen Gremien bzw. deren Vertretern wahrnehmen.“ Damit war der Generalsekretär weiterhin das übergeordnete Amt; „Stuttgart“ und „Berlin“ waren nicht, wie vor allem von Orphal vorgeschlagen, nebengeordnet. Kreyssig blieb auf Bitten des Vertrauensrates im Amt. Auch in der EKD gab es 1958 Bestrebungen, die Organisationsstruktur an die veränderte Situation anzupassen und gleichzeitig die kirchliche Einheit zu erhalten. Da durch die Nichtanerkennung von Propst Grüber als Bevollmächtigtem der EKD keine offizielle Verbindung zur DDR-Regierung mehr bestand, überlegten Dibelius und die Mitarbeiter der Kirchenkanzlei – Berliner Stelle seit Juni, den Schwerpunkt der Kanzlei nach Ost-Berlin zu verlagern30. Damit sollte den staatlichen Stellen der Eindruck vermittelt werden, dass allein die ostdeutschen Gliedkirchen für die Kanzlei verantwortlich seien. Schon 1952 war auf Grund des erschwerten Grenzverkehrs neben der Kirchenkanzlei – Berliner Stelle im Ostsektor der Stadt ein Büro eingerichtet worden31. Dieses war zunächst vor allem für die Abwicklung finanzieller Angelegenheiten im 29 Der frühere Beirat Ost hatte erst im Mai 1956 – als die Studentengemeinden in der DDR erneut unter staatlichem Beschuss standen – eine eigene Ordnung erhalten. Darin wurde der „Beirat der Evangelischen Studentengemeinden in der DDR und Großberlin“ als Exekutivorgan der Studentengemeinden in der DDR bestätigt: „Der Beirat ist das leitende Organ der Evangelischen Studentengemeinde in der DDR und Großberlin. Er trägt die Verantwortung für ihre Arbeit. [. . .] Die Beschlüsse des Beirates werden bei der nächsten turnusmäßigen Sitzung dem VR vorgelegt und gelten als angenommen, wenn während der Zeit der Sitzung des VR kein Einspruch angemeldet ist.“ Exemplar der Ordnung im EZA BERLIN, 36/254. 30 Vgl. M. KÜHNE, Neuordnung, S. 61. 31 C. STACHE, Zentralarchiv, S. 46.

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östlichen Währungsgebiet zuständig gewesen, doch hatten sich die Aufgaben des Büros schnell ausgeweitet. Nun sollte es zur eigenständigen Kanzlei werden. Einigen Kirchenvertretern in Ost- und Westdeutschland erschien ein solcher Schritt jedoch nicht ausreichend. In einer Erklärung vom 29. August, die den Ratsmitgliedern und den Kirchenleitungen zugesandt wurde, unterstützten prominente westdeutsche Kirchenvertreter jegliche Schritte zu einer eigenständigen Vertretung der DDR-Kirchen32. Sie hofften, dass das Kommuniqué vom 21. Juli – auf dessen Inhalt nicht näher eingegangen wurde – langfristig dazu führe, dass „an Stelle eines ungeregelten und darum immer aufs neue in Konflikte treibenden Zustandes ein geordnetes Zusammenleben“ trete, „bei welchem die Organe des Staates und der Kirche sich gegenseitig respektierten.“ Der bisherige Zustand habe die Einheit der EKD zunehmend gefährdet, weshalb zu hoffen sei, „dass mit der nunmehr getroffenen Regelung einige Hindernisse und Fehlentwicklungen abgebaut werden und das echte Wesen kirchlicher Einheit stärker heraustreten könnte“33. Echte Einheit der Kirche müsse nach evangelischer Auffassung auch Raum lassen für die kontextbedingte Verschiedenheit der Fragen und ihrer Beantwortung in Ost- und Westdeutschland. Nur so könnten die Kirchen ihrem Verkündigungsauftrag treu bleiben. Die westlichen Gliedkirchen müssten, um die Einheit der EKD zu bewahren, die östlichen Gliedkirchen freigeben „für ihren Weg und ihre Entscheidungen“34 und sie nicht zu Uniformität verleiten. „Wenn der neugewonnene Ausgangspunkt für die Neuordnung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in der DDR nicht wieder verloren gehen soll, müssen wir den Kirchen in der DDR die Freiheit geben, unter Wahrung der mit der Grundordnung gegebenen Einheit der EKiD, baldigst eine eigene Vertretung herauszustellen, die stark genug ist, den Auftrag der evangelischen Christenheit im Raume ihres Staatswesens wahrzunehmen, in Treue gegenüber dem Herrn der Kirche und ohne den Zusammenhang mit den evangelischen Brüdern und Schwestern im Westen preiszugeben“,

forderten die fünf Kirchenvertreter. Was damit konkret gemeint war, blieb offen, wie Kunst gegenüber Wilm in einem Brief kritisch anmerkte: „Ich weiss nur nicht, ob aus Eurer Erklärung und aus Deinem Begleitbrief hinlänglich klar wird, wie Eure Vorstellung von dem neuen Weg im einzelnen ist. Schliesslich haben wir ja in Ostberlin eine Verwaltung und Kanzlei. Mit der Beauftragung von Bruder Führ ist auch ein Schritt auf die Neubesetzung des Amtes des Bevollmächtigten in einer neuen Form getan. Es gibt längst einen eigenen Etat für die Landeskirchen des Ostens innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland. Denkt Ihr daran, dass die Ostkirchenkonferenz ein etwas eigenständigeres, möglicherweise rechtlich verfasstes Gebilde wird? Soll der Vorsitz in diesem Kreis ausgetauscht werden?“35 32 Es handelte sich dabei um Beckmann, Stempel, Smidt, Sucker und Wilm. Eine Abschrift der Erklärung vom 29.8. nebst Begleitbrief an den Rat vom 3.9.1958 findet sich im NL Hildebrandt (EZA BERLIN, 609/96/91). 33 So hieß es in der Erklärung (EBD.). 34 Zitat aus dem Begleitbrief (EBD.). 35 Kunst an Wilm, 13.9.1958 (EZA BERLIN, 87/96/993).

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Am 25. September beriet die Kirchliche Ostkonferenz über ihre mögliche Neuordnung36. Sie beauftragte Scharf und Hildebrandt, einen Vorschlag zu entwerfen, wie dem Berliner Generalsuperintendenten Fritz Führ und dem zukünftigen Leiter der Ost-Berliner Kanzlei, Egon Pettelkau, als Gesprächsführern gegenüber der DDR-Regierung ein beratendes Gremium an die Seite gestellt werden könne. Hildebrandt fertigte daraufhin einen „Entwurf für die Ordnung der Ost- und Westkonferenz“ an. Die beiden Teilkonferenzen sollten ermächtigt werden, Beschlüsse zu fassen. Der Rat der EKD konnte gegen diese Beschlüsse, die ihm vorzulegen waren, Einspruch mit aufschiebender Wirkung einlegen, falls durch sie die Einheit der EKD in Frage gestellt wurde. Die Geschäfte der Ostkonferenz würde ein „Kirchenamt der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik in Berlin“ führen, das der Rat einrichten sollte. Die Bischofskonferenz entschied aber am 7. Oktober, den Entwurf nicht der Kirchlichen Ostkonferenz vorzulegen, und beauftragte Hildebrandt, einen zweiten Vorschlag zu formulieren37. Tags darauf beschloss die Kirchliche Ostkonferenz und wenig später der Rat der EKD, lediglich eine Aufwertung und Umbenennung des Büros in der Bischofstraße vorzunehmen38. Die selbstständige Verwaltungsstelle trug fortan den Namen „Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR“. Um formal den Forderungen der SED zu genügen, wurde sie ausschließlich mit DDR-Bürgern besetzt. Die Leitung der Kanzlei übernahm Pettelkau mit der Dienstbezeichnung „Vizepräsident“. Gemeinsam mit Führ sollte er der Verhandlungspartner für den Staatssekretär für Kirchenfragen sein. Nach Auffassung der SED-Führung handelte es sich bei dieser Kirchenkanzlei aber „lediglich um eine Umgruppierung der Kräfte, um ein Täuschungsmanöver“. Der Staatssekretär sollte daher nur mit Mitzenheim korrespondieren39. In den evangelischen Studenten- und Jugendorganisationen ging derweil der Diskurs über die Grundlagen und Grenzen gesamtkirchlicher Einheit weiter. Aussagekräftig waren allein schon die Umstände, unter denen dies etwa in der Heidelberger Studentengemeinde erfolgte. Martin Schröter, der Heidelberger Studentenpfarrer, hatte seinen Greifswalder Kollegen Friedrich Winter zu einem Referat über das Thema „Die eine Kirche im geteilten Deutschland“ eingeladen. Dieser durfte aber nicht in die Bundesrepublik ausreisen, so dass sein Text verlesen werden musste40. Winter plädierte 36 Vgl. auch zum Folgenden: M. KÜHNE, Neuordnung, S. 64f. 37 Dieser „Vorschlag für den Arbeitsgang und die künftige Neuordnung der Ostkirchenkonferenz“ wurde am 21.11.1958 in der Kirchlichen Ostkonferenz noch diskutiert, später aber nicht mehr aufgenommen. EBD., S. 65. 38 Vgl. EBD., S. 62ff. 39 Information der Arbeitsgruppe Kirchenfragen an Politbüro und Sekretariat, 22.9.1958. Zitiert nach: M. G. GOERNER, Kirche, S. 359. 40 Das Referat ist ohne Verfasserangabe abgedruckt in: G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 226–232 (Zitiervorlage). Der Erstabdruck erfolgte in leicht veränderter Fassung in: Stimme der Gemeinde 11, 1959, S. 41–46. Da eine Veröffentlichung außerhalb der DDR genehmigungspflichtig war und Winter mit einer Genehmigung nicht unbedingt rechnen konnte, weil „der Beitrag auch

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darin, trotz der kaum noch zu überwindenden innerdeutschen Grenze, nicht in Resignation zu verfallen. „Es liegt an uns“, so der Studentenpfarrer und spätere Präsident der Kirchenkanzlei der EKU (Bereich Ost), „ob wir als Glieder der einen Kirche Jesu Christi im geteilten Deutschland Geschichte mitgestalten wollen oder nicht, um Deutschland mitzubestimmen. Wir sind von Christus dazu befreit, die Geschichte mit seinem Geist zu befeuern, und dazu müssen wir uns über alle Zäune hinweg gegenseitig ermuntern.“41

Im ersten Teil seines zukunftsweisenden Referates definierte Winter die „Evangelische Kirche in Deutschland“ als eine relative Erscheinungsform der einen Kirche Jesu Christi. Auch „Deutschland“ verstand er als eine relative, d. h. historisch wandelbare Größe. In der Gegenwart sei es geteilt und auch die Kirchenleitungen hätten seit 1958 realisiert, dass mit der Wiedervereinigung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sei. In Ostdeutschland baue man daher „nicht mehr auf einen Tag X hin Bastionen zur Überwinterung“ und in Westdeutschland würde „nicht mehr ganz so häufig“ von den „Brüdern und Schwestern in der Ostzone“ gesprochen42. „Es läßt sich halt im Augenblick wenig tun. Es ist alles selbstverständlicher geworden“, so beschrieb Winter den Prozess der Entfremdung zwischen den Deutschen in Ost und West, die bereits „eine dreizehnjährige Geschichte – westeuropäisch-amerikanischer bzw. osteuropäisch-sowjetischer Prägung erlebt“ hatten43. Angesichts dieser Entwicklung stellte der Studentenpfarrer die Frage: „Was verbindet uns mehr? Dass wir zur einen Kirche Jesu Christi gehören, oder dass wir auf ein geeintes Deutschland hoffen? Unser Unglaube wünscht das Letztere zuerst, unser Glaube stellt das Erstere voran.“44 Aufgabe der Kirche sei es, so Winter, das Evangelium in kontextadäquater Weise weiterzugeben. Das Evangelium bleibe zwar immer dasselbe und behalte sich daher eine kritische Distanz zu seiner Umwelt vor. Nichtsdestotrotz müsse es, „wenn es nicht steril werden will, in die Denkund Lebensformen seiner Umwelt total eingehen und sich einschmelzen lassen [. . .]. In der Spannung von kritischer Distanz und totaler Anpassung liegt die Lebendigkeit des Evangeliums.“45 Christliches Handeln dürfe nicht im Namen irgendeiner Ideologie für oder gegen die Einheit Deutschlands eintreten, sondern müsse dem Menschen helfen, „wie er ist und wo er steht“46. Das bedeutete für Winter, die Kirche habe „die Tendenz der immer stärkeren Spaltung Deutschlands zu bejahen und mitzumachen, sofern sie die wirklichen Menschen in unserer jeweiligen Umgebung bejahen und mitmachen.“47 Sie müsse sich in „der jeweiligen Sprach- und das heißt auch Denkgesellschaftskritisch gegenüber der DDR und ihrer Ideologie war“, erschien er auch hier anonym (Auskunft Winters, 20.3.2000). 41 G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 226. 42 EBD., S. 229. 43 EBD. 44 EBD. 45 EBD., S. 229f. 46 EBD., S. 230. 47 EBD.

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und Erlebenswelt des DDR-Bürgers oder Bundesbürgers des Jahres 1958“ ausdrücken48. Nach Ansicht des Studentenpfarrers sollte die Kirche den Entfremdungsprozess demnach nicht aufhalten, sondern mit vollziehen, um in ihrer Verkündigung des Evangeliums konkret bleiben zu können. Es erschien ihm fraglich, ob eine gesamtdeutsche Synode noch in der Lage war, konkret zu reden, wobei er nicht erwähnte, dass sie auf Grund der politischen Verhältnisse in der DDR auch nicht offen reden konnte. Ein gemeinsames konkretes Handeln war nach Winter gleichfalls nicht mehr möglich, da die Situation der Kirche in den beiden deutschen Staaten zu verschieden sei. Die Verteidigung „alte[r] volkskirchlicher[r] Privilegien“ führe in der DDR, in der ein sozialistischer Staat aufgebaut werde, zu nichts49. Im Anschluss an diese apodiktische Absage an den Dibelianischen Kurs formulierte der Einunddreißigjährige seine ekklesiologischen Vorstellungen von einer deprivilegierten Kirche, die auch andere Vertreter seiner Pfarrergeneration mit ihm teilten. Meines Erachtens, so forderte er, „hat sich die Kirche bei uns darauf total umzustellen und dem Ballast früherer Verpflichtungen und Rechte nicht nachzutrauern, sondern neue Wege der Existenz zu suchen, die den gesellschaftlichen Verhältnissen angemessen sind. Sie werden gangbar sein in dem Maße, wie das Evangelium Kräfte entbindet, die neue und angepaßte Formen hervorbringen. Sie hat jedoch wenig Zweck, alte und tote Traditionen künstlich am Leben zu erhalten und über ihren Verlust zu jammern. Dazu gehören etwa die Bereitschaft, den Landbesitz der Kirche, das Recht öffentlicher Kirchensteuereinziehung aufzugeben, das Privileg zur Geburt, Maturität, Eheschließung und Tod zu reden; die Gewohnheit, bei öffentlichen Anlässen ‚dabei zu sein‘. Nicht alte, verbriefte Rechte, sondern die Verkündigung und Bezeugung des Evangeliums selber im Gespräch, in der Tat oder im Leiden müssen den Raum schaffen und erhalten, den die eine Kirche zum Leben braucht.“50

„Es wäre verkehrt“, so schloss Winter diesen Abschnitt, „um eines falschen Pathos der Einheit der EKD willen, in für uns überholten Formen zu beharren“51, und charakterisierte damit die kirchliche Einheit als Blockade für eine kontextadäquate Kirchenreform in der DDR. Bei aller kirchlichen Hinwendung zum jeweiligen Kontext blieb es für Winter dennoch Aufgabe der „einen Kirche“ im geteilten Deutschland, „die Spaltung Deutschlands zu überwinden, sofern die wirklichen Menschen darunter leiden“52. Als Auslöser von Leid nannte er die Trennung von Familien und die ungewollte geistige Isolierung. Wirtschaftliche Gründe für die Überwindung der Spaltung hielt Winter nicht für zwingend, den Mangel an politischen Freiheitsrechten und Rechtssicherheit ließ er unerwähnt. Als Appendix seines Referates formulierte er die Frage: „Welchen Preis geben wir für die Wiedervereinigung?“ 48 EBD. 49 EBD., S. 231. 50 EBD. 51 EBD. 52 Nach Auskunft von Winter (20.2.2000) biss sich die Diskussion in Heidelberg, wie er gehört hatte, vor allem an der Frage nach dem leidenden und wirklichen Menschen zwischen Ost und West fest. Winter hatte damals versucht, im Sinne von Bonhoeffer vom „wirklichen Menschen“ zu sprechen.

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Den Gemeinden in Ost und West riet er zu wechselseitiger konkreter Fürbitte, die jedoch den Informationsaustausch und Kontakt voraussetze. Vor allem aber sollten sie sich gegenseitig die Freiheit lassen, auf Grund der unterschiedlichen Situation verschieden zu sprechen und zu agieren. „Das braucht uns nicht zu trennen“, beschwichtigte er. Das brüderliche Gespräch sollte erhalten bleiben und Korrektivfunktion erfüllen. Winters Plädoyer für eine praktische Lockerung der Einheit zugunsten kontextadäquaten Handelns steht für den einen Strang der innerkirchlichen Einheitsdiskussion seit 1957. Der andere kreiste nach wie vor um die Frage, wie man diese Einheit begründen und festigen konnte. Denn die besondere Infragestellung der kirchlichen Einheit in Deutschland durch die staatliche Teilung forderte die Kirche auch zu einer besonderen Begründung ihrer Einheit heraus. Auf einer Tagung im Herbst 1958 versuchten gesamtkirchliche Mitarbeiter der AGEJD ein weiteres Mal, den Auftrag zur gesamtkirchlichen Einheit in Deutschland und damit ihre eigene, immer weniger selbstverständliche Tätigkeit theologisch zu fundieren53. Vor dem Hintergrund der Einheit der Ökumene begründeten sie die spezifische Einheit der EKD mit der Einheit des deutschen Volkes „als geschichtlich gewachsene Lebensordnung“, als eine Abstammungs-, Kultur- und Schuldgemeinschaft. Der Kirche in diesem nunmehr räumlich und politisch getrennten Volk komme im Unterschied zu anderen Kirchen die „besondere Pflicht“ zu, „vom Evangelium her“ nach einer „echten Lösung“ des ideologischen Ost-West-Gegensatzes zu suchen, „die für die ganze Welt beispielhaft sein kann.“ Angesichts dieser der Kirche zugewiesenen „geschichtlichen“ Aufgabe, die sie theoretisch und praktisch vollkommen überforderte, wirkten die von einem anderen Arbeitskreis der Tagung formulierten Vorschläge für „Wege und Möglichkeiten gesamtkirchlicher Jugendarbeit heute und nach einer evtl. vollkommenen Abschnürung“ recht pragmatisch54. Als „heutige Möglichkeiten“ wurden genannt: regelmäßige Fürbitte anhand von Fürbittelisten, laufende Information über die Lage der Kirche in der DDR, Kenntnisse über die Entwicklung der DDR, Briefwechsel, Päckchensendungen, persönliche Besuche in der DDR, Begegnungen in West-Berlin, finanzielle Hilfeleistungen sowie einheitliche und gleichzeitige Feierstunden. „Im Falle der Abschnürung“, mit der man angesichts der Berlinkrise rechnete, könne nur die „Glaubensverbundenheit“ bleiben, die sich in Fürbitte und Information äußere. Doch auch Friedrich Winters Überlegungen zu einer Lockerung der Einheit fanden innerhalb der AGEJD positiven Widerhall. Teilweise wörtlich gingen sie in ein Referat ein, das Helmut Lauk, seit 1. Dezember 1956 Geschäftsführer des Gesamtkirchlichen Ausschusses, Ende Januar 1959 in Berlin auf der Zentralen Arbeitstagung für Mitar-

53 Arbeitsgemeinschaften einer gesamtkirchlichen Mitarbeitertagung der AGEJD in Herbst 1958. Arbeitsergebnisse der Arbeitsgruppe I „Gibt es einen besonderen Auftrag zur gesamtkirchlichen Einheit auf dem Hintergrund der Einheit der Kirche Jesu Christi in der Oekumene?“ (Aaej HANNOVER, GKAAktionen). Vermutlich handelt es sich um die Gesamtkirchliche Mitarbeitertagung vom 24.11.– 4.12.1958 in der Evangelischen Sozialakademie Friedewald. 54 Arbeitsergebnisse der Arbeitsgruppe IV (Aaej HANNOVER, GKA-Aktionen).

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beiter der AGEJD hielt55. Vor Teilnehmern aus beiden deutschen Staaten sprach der promovierte Jurist über das Thema „Evangelische Jugendarbeit im geteilten Deutschland – Einheit trotz getrennter Wege?“. Auf seinem Manuskript vermerkte er handschriftlich die Parole: „Feuer Frei!“ Sechs Jahre vor Erich Müller-Gangloffs Aufsehen erregendem Buch „Mit der Teilung leben“ fragte er provokativ: „Wird unser Marschweg, den wir miteinander für verschiedene Richtungen beraten, anders aussehen, als wenn wir von der Teilung Deutschlands vielleicht für immer ausgehen, vielleicht weil Gott sie unserem Volk auferlegen will?“ Unter der Prämisse „Wenn es aber darum geht, Neuland zu beschreiten, so ist die Junge Gemeinde des geteilten Deutschlands dazu als Erste berufen“, forderte er, dass zukünftig die Einheit im Glauben bewahrt, aber die Verschiedenheit „im Weg und Auftrag“ anerkannt werde. Man sollte nicht mehr um der Einheit willen eine Gleichheit der Arbeit und ihrer Bedingungen vortäuschen. Der „Mythos der heldenhaften Kirche in der DDR“ könne wegfallen, ebenso die „ideologische“ Sicht auf die Kirchen, das schlechte Gewissen der westdeutschen gegenüber den ostdeutschen Christen und die „falsche Sehnsucht“ der Christen in der DDR nach den Möglichkeiten der Kirche in der Bundesrepublik. Kurzum, so Lauk, die „Sentimentalität“ sollte ein Ende haben. Als dauerhaft Verbindendes nannte er die „Glaubens-Substanz“, die Geschichte, die gemeinsamen innerkirchlichen Aufgaben wie etwa eine jugendgerechte Verkündigung sowie die „wechselseitige Mitverantwortung“. Daher hielt er das Wissen von- und übereinander für unabdingbar und die gegenseitige Beratung für „dringlicher denn je“. Doch nicht nur in den Jugendorganisationen wurde darüber nachgedacht, wie man zukünftig „Einheit“ und „Verschiedenheit“ miteinander verknüpfen könne. Anfang 1959 referierte der EKD-Synodale Ludwig Raiser auf dem Kirchenbezirkstag in Tübingen über „Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland zwischen Ost und West“56. Er sprach von den zunehmenden Behinderungen der Synode durch die Maßnahmen der DDR-Behörden, der zwangsläufigen Verlagerung der politischen Themen in die nicht öffentlichen Ausschüsse, von der Notwendigkeit taktischer Rücksichtnahmen, der wachsenden Verschiedenheit der Probleme von Christen in Ost- und Westdeutschland, der Lähmung des Klärungsprozesses in der DDR durch den kirchlichen Zusammenhang mit dem Westen sowie den Schwierigkeiten, noch eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Bedeutet dies, fragte er seine Zuhörer, „das Ende der Gemeinsamkeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland, auch dann, wenn etwa ein politischer Auflösungsbefehl gar nicht kommen sollte?“. Raiser empfahl, an der bestehenden organisatorischen Einheit der EKD so lange es geht festzuhalten. Statt „Panikstimmung“ sei

55 Die Tagung fand vom 21.–31.1.1959 statt. Ähnlich in ihrer Grundaussage sind auch die beiden Referate „Auftrag und Problematik gesamtkirchlicher Jugendarbeit“ und „Von der Einheit Evangelischer Christen im zweigeteilten Deutschland“, die Lauk am 2.10.1959 vor dem Landes-Jugend-Konvent Hannover und am 9.10.1959 an einem nicht bekannten Ort hielt (alle Referate: Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 56 BArch KOBLENZ, N 1287/41.

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„Elastizität“ gefordert. Man sollte sich nicht an feste Formen klammern, sondern „Phantasie entwickeln.“ Gegebenenfalls müsse die Synode zukünftig gewisse Fragen aus ihrer Aufgabenstellung herausnehmen, von denen sie wusste, dass sie von einer gesamtdeutschen Synode nicht mehr bewältigt werden konnten. Diese Selbstbeschränkung sei dem völligen Verlust der organisatorischen Einheit vorzuziehen. Priorität aber habe die Erhaltung der geistigen Einheit. Sie könne nur erhalten werden, wenn man die Verschiedenheit der Aufgaben in Ost- und Westdeutschland anerkenne und zur „Grundlage einer offenen Auseinandersetzung im eigenen Kreise“ mache. Dann könne die „Verschiedenheit in der Einheit“ auch für den Westen fruchtbar werden. Denn, so nahm Raiser auf Jacobs Überlegungen über die Säkularisierung in Ost und West auf der Synode 1956 Bezug, die ostdeutschen Christen lösten die Aufgaben in einer ihnen „feindlich gewordenen modernen Welt [. . .] stellvertretend auch für uns“. Um so wichtiger sei es, „die geistige Einheit in der Verschiedenheit lebendig zu erhalten.“ Der Rekurs auf die Säkularisierung als gemeinsamer Bezugspunkt protestantischer Theologie in der DDR und der Bundesrepublik fand sich auch in dem „Wort der Brüder und Schwestern aus der Bundesrepublik an die Brüder und Schwestern in der DDR“, das Präses Wilm auf der Synode der EKU am 13. Februar 1959 sprach. Darin hieß es: „Wir haben erneut gelernt, dass Eure Fragen und Bedrängnisse auch uns betreffen. [. . .] Es geht bei Euch um den am meisten vorgeschobenen Posten in der säkularisierten Welt – aber die säkularisierte Welt ist auch bei uns“57.

Das Wort enthielt darüber hinaus einen Dank an Gott für die brüderliche Gemeinschaft, die Willensbekundung zu weiterer Fürbitte und Opferbereitschaft, den Wunsch nach mehr Kommunikationsmöglichkeiten sowie die Absichtserklärung: „Auch das, was jetzt auf die Menschen in Berlin gelegt ist, wollen wir mittragen und bei Euch stehen.“ Die hier angesprochene Berlinkrise58 veranlasste Mitte 1959 die berlin-brandenburgische Kirche nicht bei theoretischen Überlegungen über Einheit und Verschiedenheit stehen zu bleiben, sondern konkret für den Fall einer totalen Abschnürung zu planen. Am 18. Juni erließ die Kirchenleitung aufgrund eines vorherigen Synodalbeschlusses eine „Notverordnung über einstweilige regionale Synoden“59. Nach deren Paragraf 1 sollten die Rechte und Pflichten der Provinzialsynode auf regionale Synoden übergehen, falls das Zusammenkommen der Synode an einem Ort – aufgrund von Ausreise- oder Einreiseverboten – unmöglich sei. In Paragraf 5 hieß es, dass jede regionale Synode eine Kirchenleitung bilden könne, die die Aufgaben der Kirchenleitung laut Grundordnung wahrnehme. Diejenige regionale Kirchenleitung, in deren Bereich der Bischof an der Amtsausübung behindert sei, könne für ihren Bereich einen 57 KJ 86, 1959, S. 284. 58 Vgl. M. LEMKE, Berlinkrise, insb. S. 93–172. 59 Zu dem Vorgang der Regionalisierung der EKiBB vgl. u. a. R. MAU, Probleme; A. SCHÖNHERR, Regionalisierung. Die Notverordnung ist abgedruckt in: BUND, S. 44ff.

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Verweser bestellen (Paragraf 6). Paragraf 7 band für den Fall, dass eine der Regionen Änderungen der Grundordnung oder Notverordnungen beschließen würde, deren Wirksamwerden an die Zustimmung der anderen Regionalsynode bzw. der regionalen Kirchenleitung. Ähnlich konkrete Planungen für den Tag X gab es für die EKD nicht. Ende des Jahres 1959 ließen sich zwar Kirchenkonferenz und Rat der EKD auf Anregung der Bischofskonferenz in der DDR einen Entwurf über die ordnungsgemäße Verankerung der Ostund Westkonferenz als „Sonderberatungen“ der Kirchenkonferenz der EKD vorlegen, verabschiedete ihn aber nicht60. Im Juni 1960 erfolgte dann eine entscheidende personelle Änderung an der Spitze der Kirchlichen Ostkonferenz. Dibelius, der seit 1957 keine Einreiseerlaubnis in die DDR mehr bekommen hatte und seit Oktober 1959 auch in Ost-Berlin nicht mehr erwünscht war61, legte den Vorsitz nieder und tat damit den ersten Schritt zum Abschluss seiner Ära. Als Nachfolger schlug er seinen Schüler und langjährigen Mitarbeiter, den Greifswalder Bischof Krummacher vor, der auch einstimmig gewählt wurde62. Damit hatte nun ein DDR-Bürger den Vorsitz inne. Am 7. Juli teilte Krummacher den Vorsitzwechsel Staatssekretär Eggerath mit, der jedoch erklärte, dass sein Gegenüber auch weiterhin die einzelnen ostdeutschen Landeskirchen seien und er in grundsätzlichen Fragen wie bisher „mit dem rangältesten Bischof“ – gemeint war Mitzenheim – sprechen werde63. Eggerath setzte damit die Differenzierungspolitik fort und funktionalisierte hierfür weiterhin den Thüringer Landesbischof. Dieser neigte seit 1958 zu Alleingängen gegenüber dem Staat und sorgte damit bei den anderen Landeskirchen in der DDR für Irritationen64. Der Staatssekretär teilte weiter mit, dass die staatlichen Stellen nicht mehr bereit waren, mit Organen der EKD zu verhandeln. Dies betraf auch die Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR. Eggerath und Krummacher waren sich allerdings einig, dass es eine kirchliche Dienststelle geben müsse, die „Routine-Angelegenheiten“ mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen regelte. Krummachers Hinweis, dass der Berliner Generalsuperintendent Führ, der als Beauftragter der ostdeutschen Landeskirchen bisher die Verhandlungen mit Eggerath geführt hatte, diese Aufgabe übernehmen solle, stieß auf keine positive Resonanz65. Tags darauf legten die ostdeutschen Bischöfe ihre weitere Vorgehensweise fest. „Um ein möglichst einheitliches kirchliches Handeln der Landeskirchen untereinander und nach außen zu gewährleisten“, sollte der Vorsitzende der „Konferenz der Kirchenleitungen in der Deutschen Demokratischen Republik“ und der „Konferenz der Evangelischen Bischöfe in der Deutschen Demokratischen Republik“ über alle die Landes60 Vgl. M. KÜHNE, Neuordnung, S. 65f. 61 Vgl. M. LEMKE, Berlinkrise, S. 251. 62 Zu dessen Wahl vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 69f. 63 Bericht Krummachers darüber auf der Konferenz der Evangelischen Bischöfe der Gliedkirchen in der DDR am 8.7.1960. Niederschrift von Pettelkau (EZA BERLIN, 104/108). 64 Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 64f. 65 Vgl. EBD., S. 71.

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kirchen übergreifenden, wichtigen Vorkommnisse sowie über Verhandlungen und Schriftwechsel mit zentralen staatlichen Stellen unterrichtet werden66. Dieser Beschluss richtete sich eindeutig gegen die staatliche Gesprächspolitik. Das wurde auch durch den Satz unterstrichen: „Der Vorsitzende ist für eine einheitliche kirchliche Verhandlungsführung auch nach außen verantwortlich.“ Zwar wurde Mitzenheim als stellvertretendem Vorsitzenden zugebilligt, weiterhin mit staatlichen Stellen zu verhandeln, aber nur in Absprache mit Krummacher. Vorsitzender und Stellvertreter sollten sich gegenseitig fortlaufend über beabsichtigte Verhandlungen und über den Schriftwechsel mit zentralen staatlichen Stellen informieren und sich untereinander verständigen, wer die jeweiligen mündlichen Verhandlungen über einzelne Aufgabengebiete führte. Um die Koordination zu erleichtern, war geplant, zusätzlich zu der seit 1958 existierenden „Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR“ im Herbst 1960 eine „verhandlungsfähige“, d. h. mit einem ostdeutschen und bislang nicht in der EKD tätigen Leiter besetzte, „kleine Dienststelle (Sekretariat)“67 unter der Geschäftsführung von Pfarrer Friedrich-Günther Reymann einzurichten68. Mitzenheim widersprach zwar der Verabschiedung dieser Richtlinien nicht, er hielt sich aber auch nicht daran69. Dennoch änderte sich mit Krummachers Wahl zum Vorsitzenden der Kirchlichen Ostkonferenz die Form des Kontaktes zwischen Staat und Kirche. Trotz anfänglich anderer Aussagen des Staates führte von nun an der Vorsitzende der Ostkonferenz die Gespräche mit den zentralen staatlichen Stellen und korrespondierte mit ihnen70. In der ESGiD kam es vor dem Mauerbau zu keinen weiteren strukturellen Veränderungen. Es blieb bei der im April 1958 gefundenen Mischung von gesamtdeutscher organisatorischer Einheit und regionaler Selbstständigkeit. Und dies obgleich im Frühjahr und Sommer 1959 die Einheit erneut auf eine Belastungsprobe gestellt worden war. Gegenstand der Auseinandersetzung war in diesem Fall die Teilnahme an den kommunistisch gesteuerten Weltjugendfestspielen in Wien. Bereits 1958 hatten ostdeutsche ESGiD-Vertreter eine Delegation zu den damals in Moskau stattfindenden Spielen befürwortet. Da aber einige westdeutsche Vertreter sich entschieden dagegen aussprachen, unterblieb eine Entsendung71. Im März 1959 bevollmächtigte dann aber der Beirat Ost die Geschäftsstelle, sie solle dem Vertrauensrat mitteilen, dass er die Entsendung einer Beobachtergruppe nach Wien begrüßen würde72. Generalsekretär Kreyssig wandte sich jedoch in mehreren Gesprächen entschieden gegen eine 66 Anlage 1 (EZA BERLIN, 104/108). 67 EBD. 68 Krummacher teilte die Einrichtung des „kleinen Sekretariats“ am 5.11.1960 dem StfK Eggerath mit (EZA BERLIN, 102/18). Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses Büro jemals seine Arbeit wirklich aufgenommen hat. 69 A. MÄKINEN, Mann, S. 71f. 70 EBD., S. 85. 71 Referat von Orphal auf der Vertrauensstudentenkonferenz am 9.1.1958 (BArch BERLIN, DO 4/769). 72 Protokoll der Beiratssitzung am 31.3.1959 (EZA BERLIN, 36/545).

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Delegation. Am Ende gab er nach, weil ihm „der Anlass nicht wichtig genug schien, die Studentengemeinde über dieser Frage zerbrechen zu lassen.“73 Auf der Sitzung des Vertrauensrats vom 25. bis 26. April in Berlin motivierte Helmut Orphal den Antrag auf eine Delegation primär theologisch und berief sich dabei indirekt auf Dietrich Bonhoeffer74. Der Auftrag, der Welt das Evangelium zu verkünden, verlange es, dorthin zu gehen, wo „die anderen“ sind, so Orphal. Überdies hielt er die Weltjugendfestspiele für eine günstige Gelegenheit, außerhalb der DDR als ESGiD aufzutreten. Daher sollte eine gesamtdeutsche Delegation reisen. Falls die DDR-Behörden dies ablehnten, würde niemand fahren. Nach einer „hart[en]“ Diskussion stimmte der Vertrauensrat der Entsendung einer Beobachterdelegation unter dieser Bedingung zu75. Der frühere Generalsekretär der ESGiD Horst Bannach beschrieb später die Umstände der Entschlussbildung folgendermaßen: „Man muss, wenn man diese Entscheidung verstehen will, wissen, dass die Studentengemeinde in Ost und West bis zum heutigen Tage auch organisatorisch eine Einheit ist. Diese Einheit wird ganz offiziell auch in der DDR den Behörden gegenüber festgehalten. Es gibt in der Kirche keinen vergleichbaren Vorgang. Denn die EKiD ist ein schwaches Gebilde. Man muss an solchen Gesprächen, an denen Ost und West beteiligt sind, teilgenommen haben, man muss unter der Mühsal, gemeinsame Urteile und gemeinsame Taten zu finden, gelitten haben, um verstehen zu können, wie die Studentengemeinde zu diesem Entschluss gekommen ist.“76

Auf der Sitzung war Eberhard Müller der Hauptgegner des Beschlusses gewesen. Er befürchtete einen propagandistischen Missbrauch der Teilnahme77 und hatte insgesamt Vorbehalte gegenüber der aktuellen theologischen und politischen Entwicklung der Studentengemeinden78. Kritik kam später auch von dem badischen Landesbischof Julius Bender. Gegenüber dem Vorsitzenden des Vertrauensrates Thadden unterstellte er in diesem Fall fälschlich, dass kommunistisch unterwanderte, westdeutsche Studentenpfarrer oder Studentengemeinden den Beschluss forciert hätten, um auf den Welt73 Bannach an Thadden, 28.7.1959 (EZA BERLIN, 36/33). 74 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 25./26.4.1959 (EZA BERLIN, 36/393). 75 Bannach an Thadden, 28.7.1959 (EZA BERLIN, 36/33). 76 EBD. 77 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 25./26.4.1959 (EZA BERLIN, 36/393). 78 Am 13.5.1959 trafen sich auf Einladung Müllers Kreyssig, Jobst Conrad, Hans Stroh, Wolfgang Böhme und Müller selbst zu einer Besprechung. „Gegenstand des Gespräches waren die gemeinsamen Sorgen, die sich aus der geistlichen Entwicklung ergeben, die sich in den Evangelischen Studentengemeinden, dem Kirchentag und den Akademien vollziehen. Insbesondere wurde die Frage besprochen, wieweit das geistige Erbe der christlichen Studentenbewegung, von dem diese drei kirchlichen Bewegungen der Gegenwart herkommen, in ihnen erhalten wurde und inwiefern es durch die sozialethischen Aufgaben und die politischen Spannungsfelder weiter entwickelt werden muss oder gefährdet ist. Damit im Zusammenhang steht auch die Frage, ob durch die Zweiteilung Deutschlands einseitige Politisierungen Platz gegriffen haben oder Platz zu greifen drohen und wie dies abgewehrt werden kann“ (EZA BERLIN, 36/33). Am 29./30.9.1959 trafen sich Müller, Lilje, Dietzfelbinger, Bannach und Vertreter der Studentengemeinden, der Akademien sowie des Kirchentages, um die weitere Entwicklung ihrer Arbeit zu besprechen (EBD., 36/35).

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jugendspielen „missionarisch aufzutreten“79. Nicht auf Grund solcher westdeutscher Einsprüche, sondern wegen der Haltung der DDR-Behörden scheiterte das Unternehmen letztlich. Zwei Tage vor der Abreise wurde die Auslieferung der DDR-Reisepässe von der Bedingung abhängig gemacht, dass statt der geplanten sechs nur vier Ostteilnehmer fuhren und diese Mitglieder einer DDR-Massenorganisation sein mußten80. Da dies der Forderung des Vertrauensrates nach völliger Freiheit bei der Zusammenstellung der Beobachtergruppe widersprach, wurde das Unternehmen abgesagt. Auch wenn damit die ESGiD eine weitere Belastungsprobe ihrer Einheit bestanden hatte, so war diese doch keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Frage nach der Lebenswirklichkeit und dem Vorstellungshorizont hinter dieser Einheit stand im Raum. Auf der Sitzung des Vertrauensrates vom 7. bis 8. Mai 1960 fragte Kreyssig in seinem Gesamtbericht: „Wo stehen wir jetzt in der Zusammenarbeit?“81 In Ost- und Westdeutschland habe sich die Eigenstaatlichkeit verfestigt, in der Kirche nehme das Wissen voneinander ab. Für die ESGiD stelle sich daher die Frage, inwieweit sie sich in diesen staatlichen Abgrenzungs- und Verselbstständigungsprozess hineinziehen lasse. Eine direkte Antwort darauf blieb aus. Hingegen diskutierte der Vertrauensrat auf Vorschlag von Orphal und dem Berliner Soziologieprofessor Dietrich Goldschmidt82 über die theologischen und politischen Motive, die den Kontakten in der Gesamtarbeit und der Patengemeindearbeit zugrunde lagen. Der Klärungsbedarf erwies sich als so groß, dass eine Sondersitzung des Vertrauensrates anberaumt wurde. Zunächst aber wurden die „Grundlagen der Gesamtarbeit in Ost und West“ Anfang Oktober auf der gesamtdeutschen Studentenpfarrerkonferenz im Anschluss an ein Referat von Martin Schröter intensiv thematisiert83. Der Heidelberger Studentenpfarrer war auch einer der vier Vortragenden auf der außerordentlichen Vertrauensratssitzung, die am 8. und 9. Oktober in Berlin stattfand. Dort kennzeichnete Schröter die Einheit im kirchlichen Bereich als ein Faktum, dessen Grundlagen jedoch geklärt werden müssten, und sah dabei die ESGiD in einer Vorreiterrolle84. Eine rein ökumenische Begründung der Gesamtarbeit erachtete er als zu abstrakt, da sie theologische, kirchliche, politische und „emotionale“ Gemeinsamkeiten ignoriere. Eine primär nationalpolitische Motivierung kirchlicher Einheit, wie sie im Bild der „Klammer“ zum Ausdruck gebracht wurde, lehnte Schröter gleichfalls ab: Durch sie werde die „Einheit der Gemeinde ideologisiert.“ Für ihn basierte die Gesamtarbeit auf den „gemeinsamen Aufgaben“ in einem „gemeinsamen Verantwortungsbereich“ Deutschland. Die Deutschen, so lautete Schröters historisch-moralischer Grundsatz, hätten ihre eigene Teilung sowie den Ost-West-Gegensatz mit verschuldet und trügen daher gemeinsam die Verantwortung, „an der Änderung dieses

79 EBD. 80 Kreyssig an die Mitglieder des VR, die Studentenpfarrer und die Delegierten in der Bundesrepublik und Berlin-West, 23.7.1959 (EZA BERLIN, 36/393). 81 Protokoll der Sitzung im EZA BERLIN, 36/409. 82 Orphal an Kreyssig, 4.2.1960 (EZA BERLIN, 36/300). 83 Protokoll der Studentenpfarrerkonferenz am 3.–8.10.1960 (EZA BERLIN, 36/87). 84 Tonbandnachschrift des Referates (EZA BERLIN, 36/409). Daraus auch die Zitate im Folgenden.

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bedrohlichen Status-quo zu arbeiten“. Für die Studentengemeinde bedeute dies, sowohl der gegenwärtigen Teilung Deutschlands wie auch seiner historischen Verklammerung gerecht zu werden. Dies verlange von den Studentengemeinden einerseits ein kontextadäquates Handeln in ihrem vierfachen Bezugsfeld Hochschule, Teilstaat, Gesamtarbeit und Ökumene und andererseits, in keinem dieser Bereiche „von dem Vorhandensein und der bindenden Verpflichtung des anderen ab[zu]sehen.“ Als gemeinsame Aufgaben in der Gegenwart nannte Schröter im Bereich von Kirche und Theologie Fragen der Homiletik und Ethik. Für den Bereich der Hochschule verwies er auf die Kontakte zu Hochschulgruppen in sozialistischen Ländern. Als politische Aufgabe führte er die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und die wechselseitige Verantwortung füreinander an. Die Möglichkeit, an diesen Aufgaben gemeinsam zu arbeiten, erschien dem Studentenpfarrer ausreichend, „um die Notwendigkeit einer Gesamtarbeit der ESGiD theologisch zu begründen.“ Ausdrücklich bejahte er am Ende seiner Ausführungen die bisherige Einheit der ESGiD und plädierte für ihre Fortsetzung, „solange uns Gott noch gemeinsame Aufgaben gibt.“ Sprach mit dem 1918 geborenen Schröter ein Vertreter der mittleren Generation, die stark von der NS-Zeit und den ersten Nachkriegsjahren geprägt war, so vertrat der zweite Referent aus der Bundesrepublik die junge Generation, für die der deutsche Nationalstaat keine eigene bewusste Lebenserfahrung mehr war. Ihre Lebenswirklichkeit war der jeweilige deutsche Teilstaat und die Wiedervereinigung schien ihnen keine selbstverständliche Forderung mehr zu sein, sie standen ihr vielmehr kritisch bis skeptisch gegenüber. Von daher stellten sie auch die Einheit der ESGiD infrage, die ihnen der Realität der Gemeinden zu widersprechen schien. Jürgen Bickhardt, ursprünglich aus Sachsen stammender Medizinstudent und studentischer Obmann in der Stuttgarter Geschäftsstelle, legte seinen Ausführungen die Antworten mehrerer zu dem Thema angefragter studentischer Patenreferenten zugrunde85. Auch er sah in der Einheit der ESGiD ein Faktum, doch hielt er dieses nicht mehr für selbstverständlich. Aus der gemeinsamen Geschichte der Studentengemeinden allein konnte man seiner Ansicht nach nicht das „Recht“ auf eine gegenwärtige und zukünftige Einheit ableiten86. Lediglich zwei „kirchliche Motive“, die sich bietende „Möglichkeit“ der Einheit der Studentengemeinden anzunehmen, ließ Bickhardt gelten: Zum einen ermögliche die gemeinsame kirchliche und kulturelle Tradition einen „haushälterischen“ Einsatz der Kräfte bei der Lösung gemeinsamer Probleme. Zum anderen biete sie die Gelegenheit, einen Dialog mit Christen in einem sozialistischen Staat zu führen. Ausführlich und äußerst kritisch setzte sich der Medizinstudent, der eine sich zunehmend politisierende bundesdeutsche Studentengeneration repräsentierte, mit den möglichen politischen Motiven für den Erhalt der Einheit der ESGiD auseinander. Positiv, aber sehr selektiv bezog er sich dabei auf die Überlegungen von Karl Jaspers zu „Freiheit und Wiedervereinigung“, die im Sommer 1960 in der Bundesrepublik zu einem Skandal geführt hatten. Der

85 Bickhardt an Schlimp, 13.7.1960 (EZA BERLIN, 36/280). 86 Tonbandnachschrift des Referates (EZA BERLIN, 36/409).

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bekannte 77-jährige Baseler Philosoph hatte in einem Interview und einigen Zeitungsartikeln87 mit mehreren Tabus gebrochen: Er postulierte den Primat der Freiheit der Ostdeutschen vor der Wiedervereinigung, erklärte die Forderung nach der Wiedervereinigung Deutschlands als politisch und philosophisch irreal, hielt das Recht auf nationalstaatliche Einheit als durch Hitler verwirkt und forderte die Anerkennung der OderNeiße-Grenze. Bickhardt erteilte in seinem Referat der Wiedervereinigungsforderung ebenfalls eine Absage, doch spielte dabei der westliche Freiheitsbegriff nicht die bedeutende Rolle wie bei Jaspers. Der Student erklärte die „Forderung“ nach nationaler Einheit für „illegitim“ und daher für kein zulässiges Motiv für die Aufrechterhaltung der ESGiD. Es gebe weder ein göttliches noch ein historisches noch ein moralisches Recht auf politische Einheit. Mit Jaspers hielt er eine Rückgewinnung der Gebiete jenseits von Oder und Neiße für unmöglich, ohne dass neues „Unrecht“ gegenüber den inzwischen dort angesiedelten Polen geschaffen werde. Den „Wunsch“ nach nationaler Wiedervereinigung verwarf Bickhardt, sofern er absolut gesetzt wurde, gleichfalls als Motiv für die Einheit der ESGiD. In Anlehnung an Jaspers unterschied er zwischen einem politischen Nationalstaatsgefühl, das im Hinblick auf die europäische Integration abzulehnen sei, und einem unpolitischen, kulturellen Nationalgefühl, dem nicht zwingend der Ruf nach politischer Einheit folge. Dieses unpolitische Nationalgefühl sah er auf Grund der Begegnung mit außereuropäischen Völkern zunehmend von einem unpolitischen europäischen Bewusstsein überlagert. Bickhardt selbst schrieb sich eine Mehrfachidentität zu: seine „Heimat“ sah er in Sachsen, sein politisches „Vaterland“ in der Bundesrepublik und sein kulturell-geistiges „Vaterland“ in einem unpolitisch definierten Deutschland und in zunehmendem Maße auch in Europa. Im Unterschied zur offiziellen Argumentation auf dem Heidelberger Studententag 1954 ließ Bickhardt im Jahre 1960 auch die Trennung von Familien nicht mehr als Motiv für die Wiederherstellung nationalstaatlicher Einheit gelten. Diese Trennungen konnten seiner Ansicht nach auch auf andere Weise überwunden werden. Als fraglich bezeichnete er es, ob die Wiederherstellung politischer Einheit, wie noch in Heidelberg behauptet, dazu beitrage, das gemeinsame „Schuldkonto“ auszugleichen, oder ob sie hierfür nicht gerade kontraproduktiv sei. Die nationalstaatliche Einheit bildete für ihn keineswegs die Voraussetzung dafür, das Verhältnis zu den europäischen Völkern zu verbessern. Hinter Bickhardts weitgehender Absage an eine Wiedervereinigung und damit auch an die Nation als staatliches Ordnungsprinzip stand der Wechsel von einer nationalen zu einer globalen Perspektive, der als Fortschritt gedeutet wurde. Zu Beginn des von der UNO ausgerufenen „Entwicklungsjahrzehnts“ und ein Jahr nach Gründung der gesamtdeutschen EKD-Aktion „Brot für die Welt“88 vertrat Bickhardt die Ansicht, dass die Aufgabe der reichen Industrienationen, zu denen er zumindest die Bundesrepublik zählte, heute nicht mehr in ihrer nationalen Selbstentfaltung lag, sondern in der Ent87 Auslöser des Jaspers-Skandals war ein Interview im Deutschen Fernsehen am 10.8.1960. Danach folgte zwischen dem 26.8. und 23.9. ein fünfteiliges Dossier in „Die Zeit“ mit dem Titel „Freiheit und Wiedervereinigung“. Vgl. auch K. JASPERS, Freiheit. 88 Vgl. KJ 86, 1959, S. 138–141.

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wicklungshilfe für andere Länder, gegebenenfalls auch unter Aufopferung eigenen Wohlstandes. Nachdem er das nationalstaatliche Motiv abgelehnt hatte, nannte der Student den seiner Meinung nach einzig zulässigen politischen Grund für den Erhalt und die Förderung der Einheit der Studentengemeinde: die geistige „Aufweichung der Fronten“ im Ost-West-Konflikt. Das schloss für ihn eine weitere kirchliche Beteiligung an einem „antikommunistischen Kreuzzug“ aus. „Die Zeiten der Aushalte- und westl. Vorpostenideologie“ seien vorbei, stattdessen müsse man zukünftig nicht nur mit Christen, sondern auch mit Marxisten in der DDR sprechen. Auch hier wechselte Bickhardt von der nationalen zur globalen Perspektive und sah in einer deutschen Mithilfe bei der Lösung des Ost-West-Konfliktes nicht so sehr einen Dienst an der deutschen Nation als an der „Welt“, zu der die Deutschen auf Grund ihrer Mitverantwortung an der Teilung Europas verpflichtet seien. Eine deutsche Wiedervereinigung erschien Bickhardt in diesem Zusammenhang als sekundär. Ohne eine Beseitigung des „Eisernen Vorhangs“ könne und solle es sie nicht geben, lautete seine Rangordnung. Weit weniger radikal in ihren Positionen war die Vertreterin der jungen Generation aus der DDR. Elke Blumenthal, Studentin an der Philosophischen Fakultät in Halle, bescheinigte ihrer Generation ein schwaches und weiter abnehmendes National- und Geschichtsbewusstsein. Für sie selbst war nicht ersichtlich, ob Gott die Deutschen „zur Einheit führen oder aus uns zwei Völker machen wird“. „Gegenwärtig erkennen wir den Weg nicht, den wir geführt werden sollen“, umschrieb Blumenthal die in diesen Jahren verbreitete Unsicherheit in der geschichtstheologischen Deutung der deutschen und kirchlichen Einheitsfrage. Noch aber, so stellte sie fest, hätten die deutschen Studenten mehr Gemeinsamkeiten untereinander als mit ökumenischen Kommilitonen. Daher sollte man im gemeinsamen Handeln fortfahren und in fruchtbarem Gedankenaustausch gemeinsam eine Antwort auf die Frage finden, wie das Evangelium in einer bewusst oder de facto entchristlichten Umwelt vorzuleben und zu verkünden sei. Als zweiter ostdeutscher Referent vertrat Erich Hoffmann die mittlere Generation. Der Hallenser Argarwissenschaftler war 1958 im Zuge der SED-Kampagne „sozialistische Universität“, die sich gegen „bürgerliche“, zum großen Teil kirchlich gebundene Hochschullehrer richtete, aus seinen Universitätsfunktionen abberufen worden89. Die Frage, welche Gründe für die Beibehaltung der gegenwärtigen gesamtdeutschen Organisation der Studentengemeinden sprachen, hatte er vor der Referatsübernahme „nie erwogen“, d. h. die Einheit war ihm selbstverständlich gewesen90. Zur Vorbereitung seines Vortrages diskutierte er mit dem Hallenser Studentenpfarrer Christoph Hinz, dessen Argumentation dann auch in Hoffmanns Ausführungen einfloss. Zudem hatte sich Hoffmann 14 Tage vor der Sitzung mit Orphal und Blumenthal über die Fragestellung unterhalten91. Auch die Ergebnisse dieses Gespräches gingen in seinen 89 Er fand danach eine Anstellung ohne Lehrauftrag in der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR. Vgl. F. STENGEL, Fakultäten, S. 260–279. 90 Hoffmann an Orphal, 21.8.1960 (EZA BERLIN, 141/99/89a). 91 Orphal an Kreyssig, 12.9.1960 (EZA BERLIN, 36/280).

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Vortrag ein, der somit nicht allein die Position eines Einzelnen wiedergab. Hoffmann begann sein Referat mit einer Auflistung der Gründe, warum die Einheit der ESGiD infrage gestellt wurde92. Er nannte die Zweistaatlichkeit, den Anspruch der beiden Staaten auf Vertretung Gesamtdeutschlands, der dazu führe, dass die Opposition im jeweils anderen Staat instrumentalisiert werde, die Verdrängung nationalen Denkens durch „sozialökonomische Gedankengänge“ sowie das Heranwachsen einer Generation ohne die Erfahrung von nationalstaatlicher Einheit. Diese Generation junger Christen, und vor allem die in der DDR, empfinde, so Hoffmann, eine „allmählich unerträglich werdende Spannung“ zwischen ihrer Verpflichtung gegenüber ihrem einzelstaatlichen Kontext und der „Verpflichtung und Verantwortung zur Bruderschaft in einem Volk“. Als letzten Faktor, der die Einheit infrage stellte, nannte Hoffmann die unterschiedlichen Probleme, die sich seiner Ansicht nach den Gemeinden in Ost- und Westdeutschland stellten. In der Bundesrepublik habe man sich mit der Gleichsetzung von „Christengemeinde“ und „Bürgergemeinde“ – einer Unterscheidung von Karl Barth –, mit restaurativen Vorstellungen sowie mit einem Überflussbewusstsein auseinanderzusetzen. In der DDR hingegen müssten Christen ihren Weg in einer atheistischen Umwelt finden und sich der Gefahr des Rückzugs in ein christliches Getto erwehren. Im zweiten Teil seines Referates sprach Hoffmann von den Belastungen, die mit der organisatorischen Einheit verbunden seien. Der Westen habe sowohl in der EKD als auch in der ESGiD ein quantitatives, ein materielles und ein geistiges Übergewicht. Vor allem letzteres erschien Hoffmann problematisch. Da die Studentengemeinden in der Bundesrepublik frei sprechen könnten, täten sie dies mitunter auch stellvertretend und nicht immer zutreffend für die ostdeutschen Gemeinden. Probleme sah Hoffmann auch durch die Identität der offiziellen politischen Ziele der Bundesrepublik und der oppositionellen Kräfte in der DDR gegeben. Sie ermögliche einen Missbrauch der Kirche und ihrer Ost-West-Einheit für politische Zwecke. Ein „ideelles Übergewicht“ des Westens in den Gesprächen machte er auch hinsichtlich des Geschichtsbildes aus. In der DDR sei die „revolutionäre Umdeutung des Geschichtsbildes“ offenkundig und dadurch diskreditiert, während in der Bundesrepublik die „einseitige Darstellung des Geschichtsbildes“ nicht bemerkt werde. Besonders problematisch erschien es Hoffmann, dass die theologische Deutung vom Leben in einem atheistischen Staat als „Gericht Gottes“ in den gemeinsamen Gesprächen keinen Raum gewinnen könne, da eine solche Betrachtung für den Westen nicht möglich sei.Kritisch merkte der Hallenser an, dass die Übereinstimmung der kirchlichen Positionen mit der herrschenden Meinung in Westdeutschland zu einer „außerordentlich große[n] Selbstgerechtigkeit der westl. Brüder“ führen würde. Dies äußere sich etwa bei der immer wiederkehrenden Frage, warum die Christen in der DDR keinen Widerstand leisteten. Dem Übergewicht des Westens lastete Hoffmann auch an, dass in der Kirche die bestandsbewahrenden gegenüber den reformorientierten Kräften dominierten. Als Beispiel verwies er auf die Entwicklung in der Konfirmationsfrage.

92 Tonbandnachschrift (EZA BERLIN, 36/409).

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Reformwillige Kirchenvertreter in der DDR, die sich mit der innerkirchlichen Opposition in der Bundesrepublik verbündeten, stünden überdies unter dem Verdikt, für die SED-Regierung einzutreten. Nach diesen kritischen Äußerungen zählte Hoffmann die Gründe auf, die für eine ideelle und organisatorische Einheit sprachen. Er nannte das historische Erbe, die Sprache sowie die familiären und emotionalen Bindungen. Als nicht tragfähiges Argument stufte er die Klammerfunktion der Kirche ein. Die nationalstaatliche Einheit dürfe nicht theologisch und die kirchliche Einheit nicht nationalpolitisch begründet werden. Für „ganz schwach“ hielt er das Argument, die Kirche respektive die ESGiD könne sich nicht trennen, da sie sonst der Abgrenzungspolitik der DDR nachgebe. Die Einheit der Kirche dürfe sich nicht auf die Hoffnung auf Wiedervereinigung unter westlichen oder östlichen Prämissen gründen. Sie könne sich ausschließlich auf den Auftrag von Christus stützen, „in“ der Welt seine Liebe und Barmherzigkeit zu bezeugen. Für die Gegenwart bedeutete dies nach der Auffassung Hoffmanns, den Prozess zu unterstützen, durch Verzicht auf Souveränitätsrechte zugunsten internationaler Institutionen unter Anerkennung der Unterschiede in Religion, Kultur, Gesellschafts- und Staatsform schrittweise der technisch möglichen globalen Kommunikation Rechnung zu tragen und die Welt vor der technisch möglichen Vernichtung zu retten. Auch hinter Hoffmanns Argumentation stand – ähnlich wie bei Bickhardt – ein Wechsel von der nationalen zur globalen Perspektive93. Diese wurde ergänzt durch eine geschichtstheologische Deutung der Teilung Deutschlands. Danach war die Situation des geteilten Deutschlands als Herausforderung Gottes an die Christen zu verstehen. Hier sollten zugunsten einer wachsenden Integration „Brücken der Begegnung“ erhalten bleiben. In dieser Aufgabe sah Hoffmann den eigentlichen Grund für die Aufrechterhaltung der organisatorischen Einheit der ESGiD. Ebenso wie der Student Bickhardt sah auch der 56-jährige Professor die gesamtdeutsche Studentengemeinde im „Dienst an der ganzen gespaltenen Welt“. Mit der christlichen Botschaft sollte sie Menschen auf dem Weg zur notwendigen globalen Integration unterstützen. Die Einheit der ESGiD konnte daher Hoffmann zufolge nur „vor Gott verantwortet“ werden, wenn sie nicht für eine politische Wiedervereinigung instrumentalisiert, sondern als ein besonders wichtiges „ökumenisches Feld“ betrachtet wurde. Sie konnte auch nur aufrecht erhalten werden, wenn sie dazu diente, miteinander in extrem verschiedenen Situationen zu leben. Für Hoffmann hieß dies, dass jeder dem anderen half, die Möglichkeiten und Gefährdungen für Christen in ihrer jeweiligen Umwelt zu sehen. Was den Wunsch nach der Einheit Deutschlands anbelangte, den Hoffmann nicht aufgeben wollte, so konnte er seinen geschichtstheologischen Überlegungen zufolge von Christus erst erfüllt werden, wenn „wir um anderer Menschen willen das Zeugnis der Liebe geben und miteinander die ganze Schwere des Getrenntseins tragen.“ Eine Annahme der Situation der Teilung und die Preisgabe des 93 Ebenfalls unter globaler Perspektive hatte Hoffmann 1959 in der „unterwegs-Reihe“ den Band „Die Teilung des Brotes in der Welt“ veröffentlicht. – „unterwegs“ hieß die von 1957 bis 1964 herausgegebene Zeitbuchreihe des „Unterwegskreises“. 1947 bis 1954 gab dieser auch eine Zeitschrift mit dem Titel „Unterwegs“ heraus.

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Provisoriumscharakters der beiden deutschen Staaten waren seiner Ansicht nach die Voraussetzungen für eine spätere Einheit. Entscheidend für das Zusammenbleiben der ESGiD war nicht das Ziel, sondern die Aufgabe. Die vier Referate boten dem Vertrauensrat verschiedene Deutungsmuster für die Einheit der ESGiD an. In der nachfolgenden Diskussion konzentrierte man sich auf die Fragen: Stellung zur Einheit als Generationenfrage, Vorhandensein oder Fehlen von historischem Bewusstsein, Akzeptanz der Unterschiede in Ost- und Westdeutschland, gemeinsame Aufgaben, Erhalt der organisatorischen Einheit der ESGiD94. Für einen Abbau der gemeinsamen Organisation sprach sich am deutlichsten Gerhard Bassarak aus. Der staatsnahe frühere Leiter der Berliner Geschäftsstelle der ESGiD argumentierte, die Lockerung der institutionellen Form der Einheit könnte befreiend wirken und die geistige Einheit fördern. Der Vertrauensrat entschied sich aber letztlich einstimmig für die Gemeinschaft auf der Grundlage eines funktionalen und dynamischen Einheitsverständnisses95. Nach mehreren Diskussionsrunden verabschiedete er am 9. Oktober ein Memorandum zur „Einheit der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland“. Auf dem Vortrag von Hoffmann basierend, war es von Schröter entworfen und von ihm, Blumenthal, Orphal sowie dem Theologen Horst Bürkle und dem Studenten Stefan Feyerabend aus Hamburg überarbeitet worden96. Kreyssig, Orphal und Schröter ergänzten die vier Grundsätze nach der Sitzung auftragsgemäß, aber in eigener Verantwortung, um einen Kommentar, der zweite Vorsitzende des Vertrauensrates Martin Fischer um eine Einführung, in der er den Entstehungsprozess des Memorandums skizzierte. Der Text selbst begann mit einer Feststellung: Die ESGiD wurde als ein „Faktum“ gekennzeichnet, das nicht infrage gestellt werden sollte97. Man habe die Einheit aus einer 70jährigen Geschichte her übernommen und praktiziere heute die gemeinsame Arbeit trotz Spannungen und Belastungen. Im zweiten Grundsatz und seinem Kommentar wurde über die Grundlagen der Einheit der ESGiD reflektiert. Ein ausschließlich ökumenisches Einheitsverständnis hielt man für abstrakt und ahistorisch, da es spezifische Gemeinsamkeiten der deutschen christlichen Studenten ignorierte. Andererseits aber dürften die Nationalstaatsidee, die gemeinsame Sprache, Geschichte etc. nicht primär ihre Zusammengehörigkeit konstituieren. Daher sprach sich der Kommentar entschieden dagegen aus, dass der ESGiD die Rolle einer „letzten Klammer deutscher Einheit“, als Hoffnung oder Garant einer nationalstaatlichen Wiedervereinigung zugewiesen werde, und entzog damit die eigene Einheit einer nationalpolitischen Interpretation. Die Einheit der Gemeinde gründe sich „in dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus und seinem Auftrag zum Zeugendienst in der Welt“. Die spezifische Gemeinschaft der ESGiD bestehe, so hieß es dann im dritten Grundsatz wie auch schon in Schröters Referat, in den 94 Langprotokoll der Sondersitzung des VR der ESGiD am 8./9.10.1960 (EZA BERLIN, 36/409). 95 Vgl. G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 83. 96 Protokoll der Sondersitzung des VR der ESGiD am 8./9.10.1960 (EZA BERLIN, 36/409). 97 „Die Einheit der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland“. Sonderdruck der „ansätze“ Nr. 23. Auch abgedruckt in: G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 233–236.

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gemeinsamen Aufgaben in einem gemeinsamen Verantwortungsbereich Deutschland. In Anlehnung an Hoffmanns geschichtstheologische Ausführungen charakterisierte das Memorandum „die Spaltung unseres Volkes als Herausforderung und Angebot Gottes, die wir gehorsam in gemeinsamem Tun annehmen.“ Im Kommentar hieß es indes, die Zukunft sei offen und die Christen müssten sich mit der Spaltung Deutschlands nicht abfinden – eine Aussage, die insbesondere Fischer wichtig war. Die Deutschen hätten die Teilung zwar mit verschuldet, doch bestehe auch das „Angebot der Vergebung in Christus“. Dazu müssten die Christen die gegenwärtige Situation aber annehmen, gestalten und an der Überwindung aktueller Not arbeiten. In den Studentengemeinden sollten „eigensüchtige Wünsche und Illusionen“, d. h. die Hoffnung auf eine schnelle Wiedervereinigung, aufgegeben und im Denken, Reden und Handeln der „Partner“ und seine spezifische Situation stets einbezogen werden. Was daraus für Deutschland und die Welt folge, wollte man Gott überlassen. Damit wurde die deutsche Frage zwar offen gelassen, aber sie war nicht mehr Ziel und Aufgabe des gegenwärtigen Denkens und Handelns. Das Spannungsverhältnis von Einheit und Verschiedenheit kam im letzten Abschnitt des dritten Grundsatzes zum Ausdruck. Dort erklärte der Vertrauensrat, dass die Einheit nur bewahrt werden könne, wenn die Grenzen des gemeinsamen Redens und Handelns erkannt und die unterschiedlichen Situationen und damit auch Aufgaben in Ost- und Westdeutschland anerkannt würden. Jeder müsse dem anderen die Freiheit lassen, die eigenen Aufgaben in seiner eigenen Weise wahrzunehmen. Damit gab man sich frei, auch zu bewusster Loyalität gegenüber dem eigenen Teilstaat, ohne sich aus der gegenseitigen Verantwortung zu entlassen. Im letzten Grundsatz wurden die Aufgaben angedeutet, die sich der Studentengemeinde gegenwärtig in der Ökumene, in Kirche und Theologie, in der Hochschule sowie im Bereich der gesellschaftlichen und politischen Verantwortung stellten. Die ESGiD sah sich als Teil der Kirche und als deren „Lebensfunktion“ am Hochschulort, wodurch sie sich von den anderen christlichen Studentenbewegungen in der Welt unterschied und als „Modellfall“ verstand. Innerhalb ihrer Kirche wollte sie Bewegung sein, die auf eine überkonfessionelle Offenheit zielte. Als wichtige theologische Aufgabe wurde die Auseinandersetzung mit dem „methodisch-pragmatischen Atheismus“ in der Bundesrepublik und dem „ideologischen Atheismus“ in der DDR genannt. Hier sah die ESGiD für sich eine besondere Möglichkeit und Verpflichtung, die sie in ständiger gegenseitiger Kritik und Korrektur wahrnehmen wollte. Ebenso wollte sie einen Beitrag leisten zu der Verpflichtung der Europäer, die von Europa nach Afrika und Asien exportierten Probleme, die durch die Konfrontation von traditioneller Religion mit dem „methodischen Atheismus des wissenschaftlichen Denkens“ entstanden waren, zu lösen. Trotz der Unterschiede, die im Bereich von Hochschule und Gesellschaft in den beiden deutschen Teilstaaten bestanden und die man nicht leugnete, aber auch nicht qualifizierte, nannte der Kommentar auch hier gemeinsame Aufgaben. So sollten die Glieder der Studentengemeinden in den Hochschulen über ihren Glauben Auskunft geben und Studium, Mitverantwortung für die Hochschulgemeinschaft und das Verhalten gegenüber Mitstudenten und Dozenten als Gottes Auftrag ernst nehmen. Apathie in politischen Tagesfragen sei ihnen verwehrt. Bei je-

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dem politischen Engagement müsse aber der historische und politische Kontext berücksichtigt werden. Hoffmann folgend, stellte die ESGiD ihre Mitarbeit im Hochschulbereich und in der Gesellschaft unter das Zeichen der „Versöhnung“ als einer transnationalen Aufgabe. Die Studentengemeinde sollte einen Beitrag zum Abbau der Gegensätze in der „zerrissenen Welt“ leisten, indem sie im „geteilten Volk“ dazu verhalf, Brücken zu bauen, Spannungen zu entschärfen und das Denken im „FreundFeind-Schema“ zu überwinden. Johannes Hamels Vorstellungen von den Christen als „drittem Geschlecht“ zwischen sämtlichen Fronten, als Brückenbauer im Kampf zwischen Ost und West hatten hier deutlich ihren Niederschlag gefunden. Im Unterschied zu den Einzelreferaten trug das vom Vertrauensrat herausgegebene Memorandum deutlich Kompromisscharakter. Es brach mit keinem Tabu, weder hinsichtlich der nationalen noch der kirchlichen Einheit. Die Einheit der ESGiD wurde zwar kritisch hinterfragt und eine nationale Klammerfunktion dezidiert abgelehnt, im Ergebnis aber hielt man an der Einheit fest, und vornehmlich dieses Resultat wurde von der Öffentlichkeit wahrgenommen. In den einzelnen Studentengemeinden wurde das Memorandum trotz seiner weiten Verbreitung98 auffallend wenig diskutiert. In seinem Gesamtbericht auf der Delegiertenkonferenz Ende Februar 1961 versuchte Generalsekretär Kreyssig, diese unerwartete Entwicklung zu erklären99. Er beschrieb das zurückliegende Jahr als frei von früheren politischen Spannungen zwischen den Gemeinden in Ost- und Westdeutschland. Auch insgesamt war seiner Beobachtung nach das politische Interesse in den Studentengemeinden zurückgegangen. Die Ursache hierfür sah er bei den ostdeutschen Gemeinden darin, dass diese momentan frei von staatlichen Restriktionen arbeiten konnten und „die politische Druckentlassung“ ihnen „Raum für andere dringende Interessen“ lasse. Als einen Grund, der für die Gemeinden in beiden Teilen Deutschlands zutraf, nannte Kreyssig die Überlagerung nationaler durch globale Probleme. Im Zuge der weltpolitischen Entwicklung wende sich die Aufmerksamkeit von Europa ab und zu den Entwicklungsländern hin. Dies führte nach Ansicht des Generalsekretärs zu einer „gewissen Lockerung im gesamtdeutschen Zusammenhang der Gemeinden“, die ihm Sorge bereitete. Die „Intensität des Betriebs“ halte zwar unvermindert an, aber die „Atmosphäre“ habe sich verändert. Bis 1956 sei die Sorge in Ostdeutschland groß gewesen, von den Westdeutschen abgeschrieben zu werden. Zwischen 1957 und 1959 habe dieselbe Sorge auf westdeutscher Seite geherrscht, als in der DDR die Gemeinden, auf die eigene Situation konzentriert, sich stark gegen den Westen abzuschirmen schienen. Jetzt schlage „das Pendel wieder zurück“. Deshalb habe die Einheitserklärung des Vertrauensrates in den westdeutschen Gemeinden kaum ein Echo gefunden. Die Wiedervereinigungshoffnung als eine treibende Kraft scheine unter den Studenten in beiden Teilen Deutsch98 Das Memorandum ging an den VR, die Studentenpfarrer, die Vertrauensstudenten, die Delegierten, die Mitglieder der Kleinen Arbeitskonferenz, den Rat der EKD sowie den WSCF und wurde zudem in den „ansätzen“ veröffentlicht. Protokoll der Sondersitzung des VR der ESGiD am 8./9.10.1960 (EZA BERLIN, 36/409). 99 Anlage 3 zum Protokoll (EZA BERLIN, 36/89).

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lands „fast tot zu sein“. Es sei bitter, so Kreyssig, dies bereits nach 15 Jahren konstatieren zu müssen, und wer es laut tue, verletze ein öffentliches Tabu. Auf der Beiratssitzung im März klagte der Leiter der Ost-Berliner Geschäftsstelle Orphal über die geringe Resonanz des Memorandums in den ostdeutschen Gemeinden100. Er vermutete, dass die Studenten die schwierige Situation der grenzübergreifenden Arbeit in den letzten Jahren gar nicht wahrgenommen hätten. Auch der Vertrauensrat setzte sich mit dem geringen Widerhall seiner Erklärung in den ost- und westdeutschen Gemeinden auseinander101. Die Reaktionen schwankten zwischen Enttäuschung über das Verhalten der Studenten und der Einsicht, dass das Memorandum diese offensichtlich nicht angesprochen und mehr der Selbstverständigung des Vertrauensrates gedient habe. Die studentischen Mitglieder des Vertrauensrates waren hingegen der Auffassung, dass die geringe Beachtung des Einheitsmemorandums weder ein Defizit an politischem Interesse noch „ein Mangel an nationalem Denken in der Studentengemeinde bedeute“. Das Dokument und seine Intention seien nicht konkret genug gewesen und teilweise nicht verstanden worden. Nicht zu Unrecht bemängelte auch die ESG Naumburg eine gewisse Unschärfe der Gedanken und Formulierungen des Memorandums102. Bei ihren eigenen Reflexionen kamen die Naumburger Studenten zu dem Ergebnis, dass die Existenz der ESGiD als Notwendigkeit nicht begründet werden könne und als Möglichkeit nicht begründet werden müsse. Sollte sie aber als Faktum problematisch sein, bedürfe sie der Rechtfertigung. Eine solche sahen sie in der Gemeinsamkeit des Ortes, an dem die Einheit in Christus praktiziert wurde. Und noch hielt die deutliche Mehrheit von ihnen das geteilte Deutschland für einen gemeinsamen Ort. In Bezug auf das Memorandum warnten sie aber vor einer geschichtstheologischen Rechtfertigung der ESGiD. Denn die Deutung der Teilung als „Herausforderung Gottes“ könne auch dahingehend interpretiert werden, dass die deutschen Christen künftig auf nationale kirchliche Bindungen verzichten müssten. Langfristig behielten sie mit dieser Warnung Recht. Auf positive Resonanz stieß das Einheitsmemorandum bei den Verantwortlichen der AGEJD. Teilweise wörtlich gingen einige seiner Grundsätze in die „Thesen“ des Gesamtkirchlichen Ausschusses ein, mit denen dieser auf seiner Sitzung am 24. und 25. April 1961, „verbindlich zur theologischen Grundlegung der Einheit der Evangelischen Jugend in Deutschland Stellung“ nehmen wollte103. Ebenso wie die ESGiD sahen auch die Vertreter der AGEJD in den von ihnen verabschiedeten Thesen ihre Einheit „in Jesus Christus, dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn“ gegründet. Wie die Studentengemeinden vor ihnen sprachen sie von dem „Auftrag in einem ge-

100 Protokoll der Sitzung des Beirates am 13.3.1961 (EZA BERLIN, 36/545). 101 Protokoll der Sitzung am 22./23.4.1961 (EZA BERLIN, 36/378). 102 Erwägungen zu den Thesen über die Einheit der ESGiD (EZA BERLIN, 36/409). 103 Bericht Lauks vom 24.1.1962 über die Tätigkeit des Gesamtkirchlichen Referats der AGEJD im Jahr 1961. Vgl. auch Aussprache über den Entwurf und das Referat „Thesen zum Weg und zu gemeinsamen Aufgaben der Evangelischen Jugend in der DDR und Bundesrepublik“ (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung).

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meinsamen Verantwortungsbereich, nämlich Deutschland, inmitten vielfältiger Spannungen“, von der Teilung Deutschlands „als Herausforderung und Angebot Gottes, die wir gehorsam im gemeinsamen Tun annehmen“, und davon, dass sie dem gemeinsamen Auftrag nur gerecht würden, wenn sie die gemeinsamen Aufgaben: die Integration in die Gemeinde, die Mitgestaltung von Gottesdienst und Bibelstudium, die Rezeption der Ergebnisse der modernen Sozialwissenschaften, das planvolle und koordinierte Arbeiten, aber auch die verschiedenen Situationen und Bedingungen und damit „die Grenzen gemeinsamen Redens und Handelns in Ost und West erkennen und bejahen lernen.“104 Nach Ansicht des Geschäftsführers des Gesamtkirchlichen Ausschusses Lauk waren die gemeinsame Kirchengeschichte, die gemeinsame Schuld während der NS-Zeit, die gebliebene Verantwortung füreinander nach 1945 zwar „Sondermerkmale“, die über eine ökumenische Verbundenheit hinauswiesen, doch sei dies „– in streng theologischem Sinne – nicht belegbar.“105 Er sah den „Lösungsversuch“ des Einheitsproblems mittels der Thesen als gescheitert an.

2.3.2 Bewährungsproben für die Einheit: Synode und Kirchentag 1961 Die EKD musste sich im Jahre 1961 in erster Linie mit äußeren Angriffen auf ihre Einheit auseinander setzen. In einer „programmatischen Erklärung“ vor der Volkskammer hatte das neue Staatsoberhaupt der DDR, Walter Ulbricht, bereits am 4. Oktober 1960 auch seine kirchenpolitischen Vorstellungen und Ziele für die nächsten Jahre skizziert. Er stellte dabei fest, dass infolge der „vertraglich festgelegten Verfilzung kirchlicher Stellen mit Militarismus und NATO-Politik und infolge der Propaganda führender westdeutscher Kirchenleute für die Atomkriegspolitik des Bonner Staates“ die früher noch mögliche Zusammenarbeit der Regierung der DDR mit einer „westdeutschen sogenannten deutschen Kirchenleitung“ nicht mehr möglich sei106. Moderatere Töne stimmte Ulbricht gegenüber den Kirchen in der DDR an. Er glaubte, in ihnen ein „wachsendes Verständnis für die Ziele und Aufgaben unserer sozialistischen Gesellschaft“ zu entdecken. Aufsehen erregte vor allem seine Erklärung, dass das „Christentum und die humanistischen Ziele des Sozialismus [. . .] keine Gegensätze“ seien, sowie sein Wort von der „gemeinsame[n] humanistische[n] Verantwortung von Marxisten und Christen“107. Diese Äußerungen waren Bestandteil der gleichzeitig verkündigten Thesen von der politisch-moralischen Einheit des Volkes und der sozialistischen Menschengemeinschaft. Dahinter stand ein Gesellschaftskonzept, das davon ausging, dass nach dem „Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse“ der Klassenkampf im Inneren eines Landes aufhöre, Motor der gesellschaftlichen Entwicklung zu sein. Nach außen aber sollte der Klassenkampf in unverminderter Härte weiterge104 105 106 107

Thesen zu gemeinsamen Aufgaben der EJD in der DDR und der BRD (Aaej HANNOVER, GKA 15). Bericht Lauks, 24.1.1962 (EBD.). Zitiert nach: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 287. EBD.

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führt werden108. Auf die Kirchenpolitik übertragen lautete das Credo der Folgejahre, die ostdeutschen Kirchen aus der EKD herauszulösen und in die DDR-Gesellschaft zu integrieren. In der Jahresanalyse der Kirchenpolitischen Abteilung im MfS für 1960 hieß es entsprechend: „Der frühere Kampf gegen die reaktionären Kirchenführer musste auf die Entlarvung des politischen Klerikalismus und seiner Exponenten in Deutschland umgestellt werden. Dabei wurde der Versuch unternommen, die Ev. Kirchen in der DDR als loyale Bündnispartner gegen die von politisch-klerikalen Kräften beherrschten gesamtdeutschen Institutionen der Ev. Kirche zu gewinnen.“

Mit Bedauern musste man sich jedoch eingestehen, dass die „notwendige Trennung der Kirchen der DDR von den gesamtdeutschen politisch-klerikalen Gremien und damit verbunden der Zusammenschluss aller kirchlichen Kräfte der DDR im Kampf gegen die westdeutschen Militärkirchenleitungen [. . .] noch nicht zum Hauptinhalt der Tätigkeit der oppositionellen Gruppierungen und Personen geworden“

war109. Im Jahresperspektivplan für 1961 nahm man sich daher vor, die gesamte „politisch-operative“ Arbeit so zu organisieren, „dass eine Trennung der Kirchen und kirchlichen Organisationen der DDR von den sich in Westdeutschland und West-Berlin befindlichen reaktionären gesamtdeutschen Gremien der Kirche erreicht“ werde. Alle „inoffiziellen sowie [. . .] offiziellen staatlichen und gesellschaftlichen“ Maßnahmen „zur Schaffung einer loyalen, bonnfreien Kirche der DDR“ sollten fortan koordiniert werden110. Opfer solcher „Maßnahmen“ wurde zunächst die gesamtdeutsche EKD-Synode im Februar 1961. Auf Beschluss des Politbüros111 teilte der neue Staatssekretär für Kirchenfragen Hans Seigewasser am 31. Januar dem Berliner Generalsuperintendenten Führ mit, dass die Synode nicht in Ost-Berlin tagen könne. Die Regierung der DDR sei nicht dazu bereit, „Vertretern der NATO-Politik die Freiheit zu gewähren, vom Boden der Hauptstadt der DDR Berlin Hetze gegen die Arbeiter- und Bauernmacht und ihre Friedenspolitik zu betreiben“112. Darüber hinaus beschloss das Politbüro, eine „umfassende Aufklärungskampagne“ unter der christlichen Bevölkerung zu starten, damit die „friedliebenden religiös gebundenen Menschen bei uns wie in Westdeutschland in den Militär-Kirchen-Politikern die Spalter der Kirche erkennen.“113 Wenige Tage vor Beginn der Synode holte Ulbricht selbst zum verbalen Angriff aus 108 EBD., S. 6. 109 Jahresanalyse der Hauptabteilung V/4 für das Jahr 1960 und die sich daraus ergebende politischoperative Aufgabenstellung für 1961, Berlin, den 30.12.1960 (BStU BERLIN, MfS HA XX/4–332). 110 Jahresperspektivplan bzw. Hauptaufgaben der HA V/4 für das Jahr 1961, Berlin, den 30.12.1960 (EBD.). 111 Sitzung am 24.1.1960. Vgl. SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 292. 112 Zitiert nach: KJ 88, 1961, S. 16. 113 Anlage 4 zum Protokoll 6/61 der Sitzung des Politbüros des ZK der SED am 7.2.1961. Zitiert nach: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 350.

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und sprach von Dibelius, Lilje, Kunst und Gerstenmaier als „NATO-Politiker[n] in geistlichem Gewand“ und von kirchlichen Beschlüssen, welche „in peinlicher Unverfrorenheit den Stempel des Kalten Krieges gegen die DDR“ trugen114. Angesichts dieses Vorspiels stand die am 12. Februar beginnende Synode, deren Hauptaufgabe die Neuwahl von Rat und Vorsitzendem der EKD war, ganz im Zeichen der zu verteidigenden Einheit. Wie bedroht die Einheit war, zeigte sich bereits anlässlich des Eröffnungsgottesdienstes in Ost-Berlin. Die ostdeutsche Polizei verweigerte einigen prominenten westdeutschen Kirchenvertretern, die auf dem Weg zum Gottesdienst in die Marienkirche waren, widerrechtlich115 das Betreten Ost-Berlins. Während das Sitzungsverbot von Seiten der EKD als Störung ihres institutionellen und organisatorischen Zusammenhaltes verstanden wurde, sah man in der Behinderung des Gottesdienstbesuchs einen „Angriff auf die innere Einheit der evangelischen Christenheit in Deutschland“116 und schloss über alle theologischen und kirchenpolitischen Gegensätze hinweg die Reihen. Heinemann trug eine Entschließung der Synode vor, die mittelbar auf den Art. 1 der Grundordnung der EKD Bezug nahm: „Die sichtbare Einheit der evangelischen Christenheit in ganz Deutschland ist für uns als Geschenk und Auftrag Gottes unaufgebbar. Wir rufen daher erneut die Gemeinden unserer Gliedkirchen auf, für die lebendige Einheit der evangelischen Kirche in ganz Deutschland zu beten und zu wirken.“117

Entscheidender noch war das Bekenntnis zur kirchlichen Ost-West-Einheit, das Krummacher im Namen aller Bischöfe der DDR abgab. Darin wurde erklärt, dass die Gemeinschaft des Glaubens an Jesus Christus stärker sei als alle politischen, gesellschaftlichen und staatlichen Unterschiede. Ähnlich wie im Einheitsmemorandum der ESGiD hieß es weiter: „Wir haben einen gemeinsamen Auftrag Gottes an unserem zerrissenen Volk und sind zu gemeinsamem Dienst aneinander gebunden.“118 Was zu diesem gemeinsamen Auftrag am geteilten Volk gehörte, machte Lothar Kreyssig deutlich, bezog sich dabei aber nicht explizit auf die institutionelle Einheit der Kirche. Kreyssig, für den Nations- und Geschichtsverständnis eng zusammenhingen, hatte bereits auf der Synode 1956 die Teilung Deutschlands mit den theologischen Begriffen von „Schuld“ und „Gnade“ gedeutet und von der „Schuld- und Schicksalsgemeinschaft, in der wir eine besondere Verantwortung haben“, gesprochen, aus der

114 Zitiert nach: KJ 88, 1961, S. 15. 115 Am 13.2.1961 beschwerten sich die westlichen Stadtkommandanten von Berlin beim sowjetischen Stadtkommandanten über den Verstoß gegen das Recht auf Freizügigkeit innerhalb Berlins. Vgl. DOKUMENTE, IV/6, S. 377. 116 KJ 88, 1961, S. 17. 117 Zitiert nach: EBD. 118 Zitiert nach: EBD., S. 18. Diese Erklärung machte sich u. a. auch die Synode der Kirchenprovinz Sachsen auf ihrer Tagung am 15.3.1961 zu Eigen. Vgl. Schreiben der Evangelischen Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen vom 6.5.1961 an die Pröpste, Superintendenten und Kreiskatecheten ihres Aufsichtsbereiches mit der Bitte, die Synodalentschließung auch in den einzelnen Konventen bekannt zu geben (EZA BERLIN, 36/252).

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sich die Deutschen und auch die Kirche nicht hinaus stehlen dürften119. Im Jahr 1958 zog er aus dieser Einstellung praktische Konsequenzen und rief zur Gründung des gesamtdeutschen Unternehmens „Aktion Sühnezeichen“ auf. Junge Deutsche sollten für je ein Jahr Aufbauarbeit in Polen, Russland oder Israel leisten und damit ein „Friedenszeichen“ errichten. In diesem Versöhnungsdienst wollte man „Deutsche aus der Bundesrepublik und aus der Deutschen Demokratischen Republik vereinen“120. Die Grundlage hierfür sahen Kreyssig und seine Mitinitiatoren in einer historisch-moralisch motivierten nationalen Verantwortung, welche alle Deutschen gegenüber den Völkern trugen, die unter deutscher Gewaltherrschaft gelitten hatten. Staatliche Wiedervereinigungshoffnungen spielten bei dieser Aktion keine Rolle. Im Jahre 1961 brachte Kreyssig vor dem Hintergrund des zu erwartenden Eichmannprozesses in Israel wiederum einen Antrag in die Synode ein. „In der bevorstehenden neuerlichen Aufdeckung unserer Schande sind wir dem eigenen Volk in der Solidarität der Verantwortung einen priesterlichen Dienst schuldig“, so argumentierte der Präses. Er hielt es für wünschenswert, dass beide Regierungen die Auslieferung von Eichmann verlangten und ein gemeinsames Sondergericht bildeten. „Das wäre ein erster Akt, in dem wir uns gemeinsam der Vergangenheit stellen und dann vielleicht gemeinsam Zukunft gewinnen würden.“ In dem von der gesamtdeutschen Synode entgegengenommenen Wort wurden die Gemeinden dazu aufgerufen, sich dafür einzusetzen, „dass unser Volk in der erneuten Begegnung mit diesen furchtbaren Geschehnissen den Anruf Gottes vernehme“ und jeder seinen Anteil an der Schuld annehme121. Andere Akzente setzte der Generalsekretär des Weltrates der Kirchen, Willem Adolf Visser ’t Hooft, als er die EKD gleichfalls als eine besondere Gemeinschaft innerhalb der Ökumene kennzeichnete. In seinem Grußwort an die Synode sprach er von der EKD als „Mikrokosmos der Ökumene“ und „Laboratorium der ganzen Ökumene“122. Sie zeige, wie Kirchen, die unter verschiedenen politischen Systemen lebten, eine „echte Koinonia“ miteinander haben könnten. Dies setze voraus, dass man sich gegenseitig respektiere und auch akzeptiere, „dass Nachfolge Christi in der Situation des Ostens andere Formen annehmen muß als Nachfolge Christi in der Situation des Westens und umgekehrt“123. Ganz unter dem Bekenntnis zur kirchlichen Einheit stand der Rechenschaftsbericht des scheidenden Ratsvorsitzenden Dibelius. Als wichtigste Entwicklung in seiner zwölfjährigen Amtszeit bezeichnete er den Erhalt und die Festigung der EKD über konfessionelle Verschiedenheiten, theologische Auseinandersetzungen und äußere Angriffe hinweg124. Als eine ernste innere Bedrohung für die gesamte EKD, die

119 Siehe Kap. 2.1. 120 BERLIN 1958, S. 279f. Vgl. zu Kreyssigs Engagement in der „Aktion Sühnezeichen“ M. ONNASCH, Frieden und K. WEISS, Kreyssig, S. 329–363. 121 BERLIN 1961, S. 240f. 122 Zitiert nach: KJ 88, 1961, S. 2. 123 EBD. 124 Auszug aus dem Rechenschaftsbericht. Abgedruckt in: EBD., S. 22.

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sie zwangsläufig auch gegenüber Angriffen von Außen schwäche, betrachtete er jedoch den drohenden Verlust an der „Freudigkeit zur verfassten Kirche“ angesichts einer „Selbstüberschätzung theologischer Meinungsbildung“, die er vor allem in der jüngeren Generation und explizit in den Studentengemeinden für verbreitet hielt. Bereits in einem Brief vom 30. Juli 1960 an den Generalsekretär der ESGiD Kreyssig hatte er sehr scharf die „individualistische Verengung der heutigen jungen Theologie“ kritisiert, die ihm insbesondere in dem von Elisabeth Adler herausgegebenen Buch „PRO-EXISTENZ“ vorzuliegen schien125. Adler, inzwischen hauptamtliche Vizepräsidentin des WSCF in Genf, hatte in dem Vorwort des Buches vorgeschlagen, das gesamte Handeln der Kirche von ideologischer Motivation zu reinigen, zu welcher sie nicht nur die kirchliche Parteinahme für oder gegen ein bestimmtes politisch-wirtschaftliches System verstand, sondern auch die Orientierung kirchlichen Handelns an kirchlichen Interessen und an einer eigenen inhaltlichen Identität zählte126. Sie untermauerte diese Position durch Sätze wie „dass man keine Angst haben muß vor dem Kommunisten [. . .] sondern Angst vor der Sterilität der Kirche, vor dem Sterben der Kirche durch sie selbst. Man sucht nicht länger die Kirche zu bewahren, sondern das Evangelium.“127 Gegenüber dieser, seinen eigenen Überzeugungen diametral entgegengesetzten Geringschätzung der verfassten Kirche legte der abtretende Dibelius auf der Synode noch einmal ein „Bekenntnis zur Kirche von Fleisch und Blut, zu meiner Kirche in Berlin-Brandenburg und zu der Evangelischen Kirche in Deutschland“ ab128. In den angedeuteten theologischen Gegensätzen wie auch in anderen Meinungsverschiedenheiten konnte Dibelius jedoch keinen OstWest-Gegensatz feststellen. So fiel seine Einheitsbilanz insgesamt positiv aus: „Trotz aller Gefährdungen, die von innen oder von außen kamen, ist die EKD eine Einheit geblieben. Diese Einheit ist, aufs Ganze gesehen, heute nicht schwächer, sondern fester, als sie vor sechs und vor zwölf Jahren war.“129 Vor dem Hintergrund dieser Einheitsbekundungen fand die Neuwahl des Rates und seines Vorsitzenden statt. Fast zwangsläufig wurde auch sie zu einem Akt zur Wahrung kirchlicher Ost-West-Einheit. Bei der Wahl der Ratsmitglieder fiel der Thüringer Bischof Mitzenheim als einziger der nominierten Kandidaten durch und wurde damit vermutlich für seine Alleingänge gegenüber der DDR-Regierung bestraft. In den Rat gewählt wurden hingegen die beiden ostdeutschen Bischöfe Friedrich-Wilhelm Krummacher und Niklot Beste. Als Kandidaten für den Vorsitz des Rates waren im Vorfeld der Synode Lilje, Krummacher und Scharf gehandelt worden. Dabei spiel125 In dem Schreiben hieß es zu Adlers Buch: „Zu dem Inhalt dieses Büchleins kann ich nur nein sagen – und zwar eigentlich Satz für Satz! [. . .] Es handelt sich eben um eine theologische Welt, die ich mein Leben lang bekämpft habe und die ich jetzt am Abend meines Lebens mit neuer Energie werde bekämpfen müssen. Es ist dies alles eine Seelsorge, von der ich sagen muß: lieber überhaupt keine evangelische Studentenarbeit als diese!“ (EZA BERLIN, 36/88/387). 126 Vgl. W. THUMSER, Kirche, S. 242. 127 E. ADLER, Pro-Existenz, S. 9. 128 KJ 88, 1961, S. 27. 129 EBD., S. 28.

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ten sowohl politische als auch konfessionelle Überlegungen eine Rolle. Gegen eine Wahl Krummachers gab es in der Bundesrepublik Vorbehalte130. Begründet wurden sie mit dessen NSDAP-Mitgliedschaft während des „Dritten Reiches“, seiner Mitarbeit im Nationalkomitee „Freies Deutschland“ während der russischen Gefangenschaft sowie seinem von manchen als opportunistisch eingestuften Verhalten gegenüber den SED-Machthabern. Hinzu kam die Überlegung, dass die DDR ihm vermutlich als EKD-Ratsvorsitzenden keine Reisefreiheit gewähren würde. In einem Gespräch zwischen Lilje und dem Ratsvorsitzenden der EKU Joachim Beckmann zeichnete sich Anfang des Jahres 1961 folgende personelle Lösung ab: Der leitende Bischof der VELKD Lilje sollte Ratsvorsitzender und der ehemalige Ratsvorsitzende der EKU Scharf stellvertretender EKD-Ratsvorsitzender werden131. Der rheinische Präses Wilm, Mitglied des Rates und der Synode der EKD sowie Ratsmitglied der EKU, vertrat hingegen die Ansicht, dass die VELKD auf diese Weise zu viele leitende Stellen in der EKD innehaben würde. Auch vermutete er, dass es für die Kirchen in der DDR nicht tragbar wäre, wenn Lilje Ratsvorsitzender und der WDR-Intendant Klaus von Bismarck Synodalpräses würde132. Für ihn stellte sich die Frage, ob „die EKiD dann nicht von den politischen Mächten in der DDR erst recht und endgültig als ‚westlich‘ usw. abgestempelt wird?“. Wilm plädierte dafür, noch einmal ernsthaft zu überlegen, ob nicht Scharf Ratsvorsitzender und Lilje sein Stellvertreter werden sollte. Genau diese Personenkonstellation war das Ergebnis nach den drei Wahlgängen der Synode. Lilje, der der DDR-Regierung als persona non grata galt und seit Jahren keine Einreiseerlaubnis mehr erhalten hatte, wurde stellvertretender Ratsvorsitzender. Die Wahl des in Ost-Berlin ansässigen Scharf, der auch in der berlin-brandenburgischen Kirche Nachfolger des „DDR-Antipoden Otto Dibelius“ werden sollte, zum Vorsitzenden der EKD war „von vielen programmatisch gemeint.“133 Mit ihr sollte der Vorwurf der einseitigen Westorientierung der EKD entkräftet und ihre Einheit gesichert werden. Sie war ein „Wagnis, da sie den schmalen Handlungsspielraum der EKD zwischen schwächlicher Opportunität und trotzigem Bekennermut deutlich machte.“134 In diesem Sinne kommentierte auch Scharf selbst seine Wahl: „Ich bin von der Synode gewählt worden, um nach Möglichkeit infolge meines Wohnsitzes und Amtssitzes die Einheit der evangelischen Kirche zu wahren. Ich bin aber nicht mit der Auflage gewählt worden, Rechte und Forderungen gegenüber den staatlichen Obrigkeiten und vor allem Aufgaben der Kirche gegenüber der Öffentlichkeit um jeden Preis zu opfern. Wir wollen an der Einheit festhalten, solange das vom Bekenntnis und vom Wesen der Kirche her irgend vertretbar ist.“135

130 131 132 133 134 135

Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 78f. So die Auskunft Wilms an Hildebrandt in seinem Brief vom 2.1.1961 (EZA BERLIN, 609/96/55). EBD. E. WILKENS, Einheit, S. 294. EBD., S. 295. Spiegel-Gespräch mit dem Ratsvorsitzenden der EKD Scharf am 26.4.1961. Abdruck in: DOKUMENTE, IV/6, S. 685–696, hier S. 689.

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Wie dies in der Praxis auszusehen hatte, darüber war man sich 1961 aber nicht mehr einig. Somit wurde der letzte gesamtdeutsche Kirchentag in Berlin gleichzeitig zu einer Probe äußerer und innerer Einheit. Schon seit 1957 stand der gesamtdeutsche Charakter des DEKT infrage, wofür zunächst vornehmlich äußere Umstände verantwortlich waren. Während der für 1957 in Erfurt geplante Kirchentag wegen unannehmbarer Bedingungen von Seiten der DDR-Regierung ganz ausfallen musste, konnten 1958 zum Kirchentagskongress in Hamburg nur 19136 und zum Kirchentag in München nur etwas mehr als 1.000 DDRBürger ausreisen137. Beim Münchner Kirchentag kam es auch zu ersten inneren Verstimmungen. Die Landeskirchen in der DDR beklagten, ihre Vertreter seien nicht ausreichend in die Vorbereitungen einbezogen worden138. Die Sachdiskussionen waren folglich stark an den westlichen Verhältnissen orientiert gewesen139. Angesichts dieser Entwicklung drängten die ostdeutschen Landesausschüsse darauf, den nächsten Kirchentag in Gesamt-Berlin stattfinden zu lassen140, und erhielten dafür auch die Unterstützung der Berliner Helmut Gollwitzer, Kurt Scharf und Franz Reinhold Hildebrandt141. In der geteilten Stadt hoffte man, nicht nur dem gesamtdeutschen Anliegen des Kirchentages wieder Ausdruck verleihen, sondern auch eine gleichberechtigte Beteiligung aus Ost und West sicherstellen zu können142. Das Kirchentagspräsidium benötigte zwei Sitzungen, um sich auf Berlin festzulegen143. Die Befürworter der gesamtkirchlichen und gesamtdeutschen Klammerfunktion des Kirchentages setzten sich ein letztes Mal gegenüber den Vertretern eines „akademisch-problemorientierten“ Kirchentagskonzeptes, das eine Hinwendung zur bundesdeutschen Wirklichkeit verlangte, durch144. Ein Bruch innerhalb der Kirchentagsorganisation wurde vermieden. Noch vor jeder öffentlichen Bekanntmachung informierte im Februar 1960 Reimer Mager, der Vorsitzende der Konferenz der Landesausschüsse des DEKT in den Gliedkirchen der DDR, Grotewohl schriftlich über die Absicht, den Kirchentag im August 1961 in Berlin abzuhalten145. Mager, der bei der Sitzung des Kirchentagspräsidiums am 17. und 18. Januar gegen den Tagungsort Berlin votiert hatte146, versicherte dem Vorsitzenden des Ministerrates, man sei sich darüber im Klaren, „daß es von dem völkerrechtlichen Status der Stadt Berlin im Jahre 1961 abhängen wird, wie diese Entscheidung

136 D. PALM, Brüder, S. 265f. 137 Vgl. EBD., S. 270–275; P. BEIER, Gemeinden, S. 10. 138 Vgl. EBD. 139 Zum Verlauf des Kirchentages vgl. KIRCHENTAG 1959; D. PALM, Brüder, S. 275–278. 140 Vgl. P. BEIER, Gemeinde, S. 11f. 141 So Scharf in einem Rundbrief der Kirchenleitung der EKiBB an die Gliedkirchen vom 23.1.1961 [Kopie] (BStU BERLIN, MfS AP 12889/92 Bd. 4). 142 Vgl. P. BEIER, Gemeinden, S. 11. 143 Vgl. D. PALM, Brüder, S. 279f. 144 Vgl. EBD., S. 280. 145 Brief vom 22.2.1960. Anlage 1 zum Rundschreiben der Kirchenleitung der EKiBB an die Gliedkirchen, 23.1.1961 [Kopie] (BStU BERLIN, MfS AP 12889/92 Bd. 4). 146 Vgl. D. PALM, Brüder, S. 279.

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wird verwirklicht werden können.“ Drei Tage später schrieben auch die ostdeutschen Bischöfe Krummacher, Mitzenheim und Noth an Grotewohl und unterrichteten ihn über das Vorhaben147. Ein weiteres Schreiben ging an den Staatssekretär für Kirchenfragen Eggerath148. Es war von Scharf und Hildebrandt unterzeichnet, die mit der Verantwortung der örtlichen Organisation des Kirchentages betraut worden waren. Die DDR-Regierung ließ sich mit einer Stellungnahme zehn Monate Zeit. Ende des Jahres, als die deutsch-deutschen Beziehungen auf Grund des Streits um den Reiseverkehr von und nach Berlin einen Tiefpunkt erreicht hatten, war dann klar, dass sie keinen gesamtdeutschen Kirchentag in Berlin zulassen würde. Am 30. Dezember führte Eggeraths Nachfolger Seigewasser eine Unterredung mit den genannten ostdeutschen Bischöfen. Auf Geheiß des Politbüros149 teilte er mit, die Regierung der DDR könne „nach sorgfältiger Prüfung auf Grund ihrer Verantwortung für die innere Ordnung ihrer Hauptstadt und in Sorge um die Erhaltung des Friedens und die Liquidierung des Kalten Krieges“ die Abhaltung eines Kirchentages in Berlin nicht genehmigen150. Der Tagungsort Berlin sei von westdeutschen Kirchentagsvertretern, „die sich der Militärkirche verschrieben“ hätten, „in provokatorischer Absicht“ durchgesetzt worden, um „die Spannungen in und um Berlin zu verschärfen, kirchliche Veranstaltungen und religiöse Anliegen christlicher Bürger zu Provokationen gegen die DDR und zu revanchistischer Hetze gegen die Volksrepublik Polen und die CSR zu mißbrauchen.“ Hintergrund dieser Unterstellungen waren die Ereignisse des Sommers 1960. Anschläge und Brandstiftungen in der DDR hatten damals der Staats- und Parteiführung den Anlass gegeben, von „imperialistischer Kriegsvorbereitung“ zu sprechen sowie Treffen von Vertriebenenverbänden als „revanchistische Umtriebe“ zu diffamieren und durch Einreisesperren zu behindern151. Nach dieser Absage teilte Seigewasser den Bischöfen mit, dass ein Antrag von Vertretern der Kirchen in der DDR, den „Kirchentag der evangelischen Kirche in der DDR“ in einer anderen Stadt in der DDR durchzuführen und dazu „Delegationen der Kirchen Westdeutschlands und des Auslandes“ einzuladen, von staatlicher Seite wohlwollend geprüft würde. Dieser Vorschlag lag ganz auf der kirchenpolitischen Linie im Zeichen der programmatischen Erklärung Ulbrichts von 1960. Die Bischöfe erklärten, dass sie über eine Verlegung des Kirchentages nicht entscheiden könnten. Auf Wunsch Krummachers empfing der Staatssekretär am 9. Januar dann die DEKT-Vertreter Scharf, Hildebrandt und Mager152. Diese zeigten sich bereit, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um den 147 Brief vom 25.2.1960. Anlage 2 zum Rundschreiben der Kirchenleitung der EKiBB an die Gliedkirchen, 23.1.1961 [Kopie] (BStU BERLIN, MfS AP 12889/92 Bd. 4). 148 Brief vom 20.2.1960. Anlage 3 zum Rundschreiben der Kirchenleitung der EKiBB an die Gliedkirchen, 23.1.1961 [Kopie] (EBD.). 149 Auszug aus dem Protokoll Nr. 56/60 der Sitzung des Politbüros des ZK der SED am 13.12.1960. Abgedruckt in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 346f. 150 Auszüge aus dem kirchlichen Protokoll über das Gespräch sind abgedruckt in: KJ 88, 1961, S. 44. Hiernach auch die folgenden Zitate. 151 Vgl. FISCHER-CHRONIK, Sp. 268f. 152 Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 85f.

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Kirchentag in beiden Teilen Berlins abhalten zu können. Der DDR-Regierung sollte sogar ein gewisser Einfluss auf das Programm eingeräumt werden. Eine Verlegung des Kirchentages nach Leipzig lehnten sie jedoch ab. Seigewasser machte aber klar, dass die DDR-Regierung an zwei getrennte Kirchentage in Ost und West dachte und gab damit die staatliche Spaltungsabsicht gegenüber dem Kirchentag indirekt zu. Am 11. Januar ließ das Presseamt des Ministerpräsidenten Seigewassers Ausführungen früher als mit den Kirchenvertretern vereinbart als ADN-Meldung publizieren153. Damit war der geplante gesamtdeutsche Kirchentag nun auch öffentlich zum Objekt der Abgrenzungspolitik der DDR geworden. Folgerichtig stellte das Präsidium des DEKT am nächsten Tag fest, dass die Äußerungen des Staatssekretärs nicht nur den Kirchentag beträfen, „sondern die Einheit der evangelischen Christenheit in Deutschland“ überhaupt154. Man wollte sich daher mit den Leitungen der Gliedkirchen der EKD beraten, welche praktischen Schritte sich aus der neuen Situation für die Durchführung des Kirchentages in Berlin ergaben. Noch am selben Tag formulierte die einladende berlin-brandenburgische Kirchenleitung ihren Standpunkt. Kämpferisch erklärte sie, es gebe keinen „kirchlichen“ Anlass, die Einladung zum Kirchentag zurückzuziehen155. Scharf unternahm am 21. Januar bei Seigewasser einen letzten Versuch, den Kirchentag in Berlin zu retten156. Er schlug ihm vor, dass Volkskammerpräsident Dieckmann bei der Abschlussveranstaltung in einem Grußwort an die Teilnehmer über die Friedenspolitik der DDR sprechen könne. Der Staatssekretär ging auf das Angebot nicht ein, die staatliche Entscheidung über den Kirchentag war gefallen. In einem von Scharf unterzeichneten Rundschreiben an die Gliedkirchen der EKD vom 23. Januar hieß es, man habe sich „um der Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland willen und um der Freiheit der kirchlichen Verkündigung willen“ für das Festhalten an der Einladung entschlossen157. „Solange noch eine Möglichkeit bestehe, die Einheit der Kirche auch äußerlich im Zusammenkommen der Gemeindeglieder aus Ost und West zu verwirklichen, müsse der Versuch dazu ernstlich unternommen werden“, motivierte die Kirchenleitung ihre Entscheidung. Der Beschluss, nach Berlin zu gehen, sei aus „geistlichen Gründen“ erfolgt. Die Gemeinde wolle „sich nicht voneinander lösen“ lassen. Sie wolle „den dritten Artikel glauben und – praktizieren.“158 Mit diesem theologisch motivierten Einheitsappell lud die Kirchenleitung die Gemeinden „mit Nachdruck“ zur Teilnahme am Kirchentag in Berlin ein und verwies darauf, dass ein Verbot kirchlicher Veranstaltungen in kirchlichen Räumen nach der geltenden Anmeldepflichtverordnung rechtlich nicht möglich sei. In einem Brief an 153 Anlage 4 zum Rundschreiben der Kirchenleitung der EKiBB an die Gliedkirchen, 23.1.1961 [Kopie] (BStU BERLIN, MfS AP 12889/92 Bd. 4). 154 Kommuniqué des Präsidiums, 12.1.1961. Anlage 5 zum Rundschreiben der Kirchenleitung der EKiBB an die Gliedkirchen [Kopie] (EBD.). 155 Beschluss der Kirchenleitung der EKiBB, 12.1.1961. Anlage 5 zum Rundschreiben der Kirchenleitung der EKiBB an die Gliedkirchen [Kopie] (EBD.). 156 A. MÄKINEN, Mann, S. 86. 157 Kopie im BStU BERLIN, MfS AP 12889/92 Bd. 4. 158 EBD.

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das Präsidiumsmitglied Klaus von Bismarck hatte Hildebrandt, dem die Angelegenheit „sehr am Herzen“ lag, zuvor noch drei weitere Motive für das Festhalten an Berlin aufgeführt159. Als entscheidenden Grund nannte er „die Verantwortung für die Gemeinden in Mitteldeutschland“. „Die angefochtene Kirche zu stärken, ihr das Gefühl der Verlassenheit zu nehmen und auf ihr Zeugnis zu hören, scheint mir der in einem Kirchentag zu Berlin noch erfüllbare Auftrag der gesamten Christenheit in Deutschland zu sein“, erläuterte Hildebrandt auch seinen eigenen Impetus. Für den Kirchentag selbst hielt er es für „sehr gesund, wenn er in die scharfe Luft Berlins und in die unmittelbare Nähe der bedrängten Kirche käme.“ Neben diesen kirchlichen Überlegungen führte der Präsident der Kirchenkanzlei der EKU aber auch ein nationalpolitisches Motiv an: „Endlich aber würde ich es auch um der schrecklichen Spaltung unseres Volkes willen für gut halten, wenn der Kirchentag nach Berlin käme. In der vorauszusehenden politischen Entwicklung würde es vielleicht gerade im Jahre 1961 ein notwendiges und deutliches Zeichen sein für die Einheit unseres lieben deutschen Volkes, wenn der Kirchentag nach Berlin ginge.“

Der DEKT sollte Hildebrandt zufolge noch einmal die – auch innerkirchlich umstrittene – nationale Klammerfunktion übernehmen. Und dies, obgleich der Ost-Berliner Kirchenmann sehr wohl um die „äußeren Risiko-Faktoren und inneren GefahrenMomente“ eines Kirchentags in der gespaltenen Stadt wusste. Fraglich war etwa, wie viele westdeutsche Gemeindeglieder nach Berlin kommen würden und wie viele ostdeutsche kommen dürften; unklar war, ob Teilveranstaltungen in Ost-Berlin stattfinden könnten; offen war, welche Sachthemen man gerade in Berlin behandeln müsste und welche ostdeutsche Propaganda dies zur Folge haben würde. Und unsicher war nicht zuletzt, wie das Ganze finanziert werden sollte, da die Annahme bereits bewilligter westdeutscher staatlicher Gelder inopportun erschien160. Hildebrandt blieb jedoch bei seiner Position, auch in dem Wissen, dass andere ostdeutsche Kirchenrepräsentanten inzwischen dringend von einem Kirchentag in Berlin abrieten, da sie fürchteten, „dass es im Grunde doch ein West-Berliner Kirchentag werden wird und das sei für die Kirche des Ostens noch schlimmer als ein westdeutscher.“ Selbst die Sorge mancher Kirchenvertreter aus der DDR, es könne ein „Dibelius-Kirchentag“ werden, hielt ihn nicht von seinem Votum für Berlin ab161. Der Vorbereitende Ausschuss und das Kirchentagspräsidium erwogen hingegen im Laufe des Februars doch, angesichts der für den Kirchentag in Berlin zu erwartenden Behinderungen auf das Angebot der DDR-Regierung, den Kirchentag in Leipzig durchzuführen, einzugehen162. Sie stellten jedoch Bedingungen, darunter die nach 159 Schreiben vom 15.1.1961 (EZA BERLIN, 609/96/47). 160 Das Bundesinnenministerium hatte im Sommer 1960 auf Antrag der Kirchentagsleitung einen Zuschuss von einer Million DM zugesagt. Dieses Geld wurde vom Finanzausschuss des DEKT erst im Mai 1962 wieder nach Bonn zurücküberwiesen. Man hatte es nicht benötigt, da der Kirchentag billiger geworden war als geplant. Vgl. D. PALM, Brüder, S. 281 und S. 294. 161 Schreiben vom 15.1.1961 (EZA BERLIN, 609/96/47). 162 Vgl. P. BEIER, Gemeinden, S. 17; D. PALM, Brüder, S. 286–292.

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grundsätzlich uneingeschränkter Teilnahme aus dem Westen. Als staatlicherseits signalisiert wurde, dass man zwar zu erheblichen Zugeständnissen bereit war, Kunst, Dibelius, Lilje und Thielicke jedoch keine Einreiseerlaubnis erhalten sollten, gab das Präsidium des DEKT sowie die gastgebende Kirche von Berlin-Brandenburg am 10. März offiziell bekannt, dass der Kirchentag in Berlin und nicht in einer „Stadt der DDR“ stattfinden werde. In der Begründung hieß es, dass mit dem Verzicht auf die Einreise der leitenden Kirchenvertreter, „die Einheit und Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland von uns selber aufgegeben“ worden wäre163. Das „Neue Deutschland“ kommentierte tags darauf: „Die Entscheidung zeigt, daß in der Führung der evangelischen Kirche allein die Fraktion des Bonner Militärkirchenamtes herrscht.“164 Nach der erneuten Entscheidung für Berlin traten auch die innerkirchlichen Befürworter Leipzigs mit ihrer Kritik an die Öffentlichkeit165. Am 15. März bezeichneten die Berliner Professoren Heinrich Vogel, Martin Fischer und Karl Kupisch in einem offenen Brief an das Kirchentagspräsidium dessen Entscheidung für Berlin als einen „Fehlschluß“166. „Die entscheidende Frage war die nach dem Evangeliumsauftrag der Kirche, und zwar nicht nur gegenüber den versuchten und angefochtenen Christen, sondern auch gegenüber Atheisten und Kommunisten“, erklärten die vier Theologen. Die „große Evangeliumschance, die ein Leipziger Kirchentag bedeutet hätte“ sei verpasst worden, warfen sie dem Präsidium vor und machten damit auch die theologischen Gegensätze, die hinter dem Streit um den Berliner Kirchentag standen, deutlich. „Wir meinen, die Liebe zu den Menschen der DDR, Christen und auch Atheisten, hätte schwerer wiegen müssen als die Wahrung von Recht und Freiheit der Kirche“, lautete ihre Prioritätensetzung. Dennoch wollten die vier um des „Dienst[es] an den Brüdern“ willen am Kirchentag teilnehmen und gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass es nicht zu „einer verhängnisvollen Politisierung und Dramatisierung“ des Kirchentages kommen würde. Niemöller lehnte hingegen eine Teilnahme an einem Kirchentag ab, „der in der Christenheit wie in der Welt nicht anders verstanden werden kann als eine Glorifizierung der freien und christlichen Welt gegenüber einer totalitären und tyrannischen östlichen Welt.“167 Ihm gegenüber rechtfertigte Fischer seine Teilnahme mit dem Wunsch, die erhoffte kirchenpolitische Wende mit dem neuen Ratsvorsitzenden Scharf nicht zunichte zu machen: „Würde man jede Mitarbeit absagen, so wäre die Politisierung bestätigt, aber nicht überwunden. Man gäbe alle Teilnehmer des Kirchentages preis, insbesondere würden die Teilnehmer aus der DDR mit unserm Namen moralisch und politisch vernichtet. Kurt Scharf würde man aber als Ratsvorsitzenden für jede Weiterarbeit in der DDR und für den Zusammenhalt der 163 Kommuniqué des DEKT vom 10.3.1961. Zitiert nach: P. BEIER, Gemeinden, S. 19. 164 Zitiert nach: SBZ-Archiv 12, 1961, S. 112. 165 Vgl. EBD. 166 Der Brief ist abgedruckt: KJ 88, 1961, S. 45f. 167 Niemöller an Vogel, Fischer und Kupisch, 22.3.1961 [Abschrift] (BStU BERLIN, MfS AS 170/61, Bd. I/1).

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EKD als disqualifiziert bezeichnen. Gegner Scharfs im Osten würden dies dankbar hinnehmen, Gegner Scharfs im Westen würden erklären, dass sie dies ja immer gemeint hätten, einen so sinnlosen Versuch hätte man gar nicht erst machen sollen. Man würde also Scharf opfern. [. . .] Ich sehe noch eine geringe Chance, auf dem Kirchentag die neue Sprache zu lernen und zu üben, die ich nach dem Wechsel des Ratsvorsitzenden erhoffe.“168

Noch wesentlich schärfer als Vogel, Fischer und Kupisch kritisierte Gollwitzer die Entscheidung gegen einen „gesamtdeutschen Kirchentag“ in Leipzig. Er beklagte eine Klerikalisierung des Kirchentages und der evangelischen Kirche und sprach von einem Missverständnis der Freiheit der Kirche „als institutionelle Exterritorialität bestimmter kirchlicher Amtsträger“169. Hildebrandt zeigte sich von diesen Äußerungen „persönlich [. . .] schwer getroffen“. Er schrieb am 21. April an Friedebert Lorenz: „Außer einigen offensichtlichen Unrichtigkeiten enthält der Brief von Gollwitzer eine solche Reihe von Fehlurteilen und Unterstellungen, dass ich mich wirklich frage, wie es möglich ist, dass ein Bruder zu so einem Schreiben sich bedrängt fühlt. Es ist wirklich viel Grund zur Betrübnis.“170 Der in der Öffentlichkeit geführte kirchliche Streit um den Berliner Kirchentag wurde insbesondere von den ostdeutschen Kirchenleitungen als „besonders beschwerlich“ empfunden171. Trotz teilweise unterschiedlicher Beurteilung der Entscheidung für Berlin waren sie dazu bereit, den Kirchentag „als eine gemeinsame Sache der Evangelischen Kirche zu betrachten und ihrerseits dafür zu sorgen, dass auf diesem Kirchentag das Zeugnis des Evangeliums unverfälscht verkündet und gehört werden kann.“172 Auch auf westdeutscher Seite war die Bereitschaft da, einiges dafür zu tun, um den geistlichen Charakter des Kirchentags zu wahren und dem Vorwurf seiner Politisierung zu begegnen. So forderte Militärbischof Kunst im Mai seine Militärpfarrer und Standortpfarrer im Nebenamt auf, nicht am Kirchentag teilzunehmen und wollte auch selbst auf die Teilnahme verzichten173. Im Mai und Juni fand in der DDR eine offizielle Pressekampagne gegen den „Kirchentag des Kalten Krieges“ statt. Die ostdeutschen Landeskirchen sollten dazu gebracht werden, ihre Teilnahme am Kirchentag von sich aus abzusagen. Doch nur der thüringische Landesausschuss des Kirchentages stellte auf Drängen von Mitzenheim hin seine Arbeit ein174. Fünf Wochen vor dem Bau der Berliner Mauer verbot dann am 8. Juli der Ost-Berliner Polizeipräsident gemäß einem Politbürobeschluss vom Vortag die im Rahmen des „westberliner“ Kirchentages für Ost-Berlin vorgesehenen Veranstaltungen mit Ausnahme der Gottesdienste175. Zudem hatte das Politbüro ver168 Fischer an Niemöller, 29.3.1961 [Abschrift] (EBD.). 169 H. Gollwitzer: Zu Heinrich Giesens Leserbrief im „Sonntagsblatt“ 1961/18. In: JK 22, 1961, S. 294–297, hier S. 297. 170 EZA BERLIN, 609/96/54. 171 Niederschrift über die Sitzung der Kirchlichen Ostkonferenz am 24.5.1961 (EZA BERLIN, 104/100). 172 EBD. 173 Kunst an Scharf im Mai 1961 (EZA BERLIN, 87/96/447). 174 Vgl. D. PALM, Brüder, S. 295. 175 Vgl. SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 298.

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schiedene Maßnahmen festgelegt, um die Teilnahme von DDR-Bürgern am Kirchentag in West-Berlin zu verhindern. Erstes prominentes Opfer dieser Maßnahmen wurde Krummacher, der bereits am 11. Juli an seiner Reise nach Berlin zur Bischofskonferenz gehindert wurde. Auf der dennoch stattfindenden Sitzung wurde deutlich, dass die überwiegende Anzahl der Landeskirchen sich das Votum ihrer Landesausschüsse zu Eigen machte und eine aktive Beteiligung von Gemeindegliedern aus der DDR an den Kirchentagsveranstaltungen in West-Berlin angesichts der staatlicherseits angedrohten Maßnahmen kaum noch für möglich hielt. Die Mehrheit der Kirchenvertreter sah aber auch keinen status confessionis vorliegen. Unter den gegebenen Umständen hielten sie jedoch das eigentliche Ziel des Berliner Kirchentages, evangelische Christen über die politische Grenze des geteilten Deutschlands hinweg unter dem Evangelium zusammenzuführen, für nicht mehr erreichbar und stimmten mehrheitlich für eine Verschiebung des Kirchentages176. Das gleichzeitig tagende Präsidium des DEKT machte sich diesen Vorschlag aber nach Mehrheitsentscheid nicht zu Eigen. Mager kündigte daraufhin seinen Rücktritt als Vizepräsident des Kirchentages an177, Krummacher zeigte sich enttäuscht178. In einer Erklärung vom 11. Juli sagte das Präsidium bis auf die „gottesdienstlichen Veranstaltungen“ alle Kirchentagsveranstaltungen für den Bereich Ost-Berlin ab; die in West-Berlin geplanten Veranstaltungen sollten „so weit wie möglich“ durchgeführt werden179. Der Kirchentag fand vom 19. bis 23. Juli statt180. Mit Ausnahme des schlesischen Bischofs Ernst Hornig verzichteten die ostdeutschen Bischöfe auf eine Teilnahme und veranstalteten zeitgleich Gottesdienste in der DDR. Sie taten es nach eigenem Selbstverständnis aus Solidarität mit ihren Gemeindegliedern, die sie nicht zu der riskanten Fahrt nach Berlin hatten auffordern wollen181. Faktisch respektierten sie allerdings damit das Verbot ihrer Staatsführung. Niemöller blieb dem Kirchentag ebenfalls fern und unternahm stattdessen eine Vortragsreise durch die DDR. Dieser demonstrative Akt stieß bei den ostdeutschen Kirchenleitungen auf wenig Verständnis182. Die während des Kirchentags in Ost-Berlin abgehaltenen Gottesdienste verzeichneten einen regen Zulauf und nicht wenigen DDR-Bürgern gelang auch eine Teilnahme an Veranstaltungen in West-Berlin. Hildebrandt gab die Zahl der Besucher aus der DDR mit 19.000 an, zuzüglich derer, die aus Ost-Berlin kamen. Der wohl entschiedenste Ver176 Die Bischofskonferenz beschloss in ihrer Abendsitzung noch, gemeinsam in einem Telegramm an den Vorsitzenden des Ministerrates gegen die Behinderung Krummachers zu protestieren. Daneben sollte jede Landeskirche für sich gegen das Verbot des Kirchentages durch den Berliner Polizeipräsidenten Einspruch einlegen. Vgl. Aktenvermerk Behms über die Besprechung der Bischöfe am 11.7.1961 (EZA BERLIN, 104/108). Grüber hatte bereits in einem offenen Brief an den Polizeipräsidenten gegen das Verbot und seine Begründung Protest erhoben. Vgl. KJ 88, 1961, S. 47f. 177 Vgl. D. PALM, Brüder, S. 298. 178 Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 90. 179 Das Kommuniqué ist abgedruckt in: KJ 88, 1961, S. 46f. 180 Zum Verlauf vgl. das offizielle Berichtsheft KIRCHENTAG 1961. 181 Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 89. 182 Von Fränkel unterzeichnetes Schreiben des Konsistoriums der Evangelischen Kirche von Schlesien an den Rat der EKD, 4.8.1961 (EZA BERLIN, 104/38).

Diskussionen über die Einheit

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fechter des Berliner Kirchentages bilanzierte zufrieden: „Es war also doch ein gesamtdeutsches Treffen von erheblichem und einzigartigem Ausmaß in diesem Jahr.“183 Bewusst hatte man versucht, die West-Berliner Veranstaltungen des Kirchentages von einer Politisierung frei zu halten, um der DDR-Regierung keine Bestätigungen für ihre Vorwürfe zu liefern. So wurden keine bundesdeutschen Politiker eingeladen und in den Arbeitsgruppen fanden keine freien Aussprachen statt184. Lediglich Thielicke sprach in seinem Referat das totalitäre System der DDR an, was im „Neuen Deutschland“ sogleich als neuerlicher Beweis der „NATO-Hörigkeit“ des Kirchentages aufgeführt wurde185. „Ich bin froh“, schrieb Hildebrandt zwölf Tage vor dem Mauerbau, „dass wir den Kirchentag vor einer Politisierung bewahren konnten, obwohl er natürlich einfach durch sein Geschehen ein wichtiges Politikum gewesen ist.“186 In seinen Augen hatte der Kirchentag ein weiteres Mal seine kirchliche und nationale Klammerfunktion erfüllt. Angesichts der vorausgegangenen inneren Querelen und der äußeren Behinderungen traf dies im Vergleich zu den Jahren 1951 und 1954 jedoch nur noch in einem eingeschränkten Maße zu187. Und es sollte das letzte Mal gewesen sein. Die gesamtdeutsche Geschichte des Kirchentages war an ihr Ende gekommen.

183 Vermutlich waren diese Aussagen auch etwas zweckorientiert. Denn Hildebrandt machte sie in einem Schreiben vom 7.8.1961 an seinen früheren Mitarbeiter Heinz Gefaeller. Darin bat er Gefaeller, der seit 1956 Leiter der Berliner Außenstelle des BMG war, die Finanzierung von 5.000 Berichtsbänden über den Kirchentag zu übernehmen (EZA BERLIN, 609/96/56). In dem 1961 erschienenen Berichtsband wurde die Zahl der Dauerteilnehmer aus der DDR dann mit 19.700 angegeben. Vgl. ERLEBTER KIRCHENTAG 1961, S. 40. Besier verweist auf die Erkenntnisse des MfS, nach denen 4.500 DDR-Bürger als Dauerteilnehmer nach West-Berlin gekommen waren. Über die Anzahl der nicht registrierten Tagesbesucher lagen dem MfS aber keine Angaben vor. Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 380. 184 Vgl. D. PALM, Brüder, S. 298f. 185 Vgl. EBD., S. 300, Anm. 158. 186 Hildebrandt an Bismarck, 4.8.1961 (EZA BERLIN, 609/96/56). 187 So weit wie D. PALM, der schon den Berliner Kirchentag nicht mehr zu den gesamtdeutschen Kirchentagen zählt (Brüder, S. 301), sollte man jedoch nicht gehen. Denn de facto kam es zu einem großen Treffen evangelischer Christen aus Ost- und Westdeutschland und die Ost-West-Gemeinschaft wurde auch explizit beschworen.

ProtestantischeBegegnungskultur DiekirchlicheEinheit(1956–1961)

2.4 Protestantische Begegnungskultur im Jugend- und Studentenbereich 2.4.1 Begegnungen beiderseits der Grenze Nach dem „Sommer der Begegnung“ 1955 drohte der protestantischen Begegnungskultur im Jugendbereich Anfang 1956 ein quantitativer Einbruch. Bei der Planung und Vorbereitung für die Sommerarbeit rechneten die Mitglieder des Gesamtkirchlichen Ausschusses der AGEJD auf ihrer Sitzung im März damit, dass nur sehr wenige ostdeutsche Jugendliche im Sommer zu einer Begegnung in die Bundesrepublik kommen könnten1. Denn die DDR-Behörden erteilten kaum Ausreisegenehmigungen und wenn, dann ausschließlich für private Besuche. Von dieser restriktiven Ausreisepolitik waren im Gründungsjahr der Nationalen Volksarmee vor allem junge Männer im wehrfähigen Alter betroffen. Dort, wo Westfahrten noch möglich waren, wurden sie verstärkt kontrolliert. Hinzu kam die Angst der ostdeutschen Christen, angesichts der Vorgänge um die Bahnhofsmission überhaupt noch Westkontakte zu pflegen. In dieser Situation schienen Gruppenfahrten zu Freizeiten in der Bundesrepublik nicht mehr möglich zu sein. Für Einzelreisen aber mussten private Anlässe vorliegen bzw. vorgetäuscht werden. Damit stellte sich die Frage, inwieweit eine „Passlüge“ als Voraussetzung für Begegnungen innerhalb der AGEJD zulässig war. Auch nach längerer Diskussion sah sich der Gesamtkirchliche Ausschuss nicht in der Lage, für dieses moralische Dilemma, angesichts dessen sich auch die Frage nach der „geistig-christlichen Begründung für die Begegnungen“ stellte, einen „allgemein gültigen Rat“ zu geben2. Verstärkt widmete sich der Ausschuss der Förderung von „West-Ost-Begegnungen“3. 1956 konnten hierfür Aufenthaltsgenehmigungen für Gruppenbesuche zu „Kulturstätten“ sowie für Einzelbesuche infolge privater Einladungen erlangt werden. Vor allem die ostdeutschen Ausschussmitglieder drängten auf Begegnungsreisen in West-Ost-Richtung. Denn die Christen in der DDR hatten das Bedürfnis, auch selbst einmal die Rolle des Gastgebers zu übernehmen und damit den Beziehungen einen symmetrischeren Charakter zu geben. Wider Erwarten kamen im Sommer 1956 – dem kurzen Sommer der Entstalinisierung mit Auswirkungen auch in der Jugendpolitik der SED4 – dann doch zahlreiche 1 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 22./23.3.1956 (Aaej HANNOVER, GKA 15). 2 EBD. 3 EBD. 4 Auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 hatte sich Chrutschow offen von Stalin distanziert und seine terroristischen Herrschaftsmethoden verurteilt. Die damit eingeleitete „Entstalinisierung“ erfasste den gesamten Ostblock und führte zu dessen Destabilisierung. Die blutige Niederschlagung der Aufstände in Polen und Ungarn im Herbst 1956 bedeutete ein jähes Ende des „Tauwetters“. Auch in der DDR war der kurze Sommer der „Entstalinisierung“ vorbei und Ulbricht nutzte die Situation, um innerparteiliche Kontrahenten auszuschalten. Im Februar 1958 war dieser „Säuberungs-

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Begegnungen in beide Richtungen zustande, wenn auch mit deutlichem Ost-WestGefälle. War die Zeit bis Ende Juni noch von Ausreiseschwierigkeiten bestimmt, so „öffneten“ sich Anfang Juli „völlig unerwartet und fast schlagartig“ die innerdeutschen Grenzen und führten zu einer „Ost-West-Konjunktur“ unter der evangelischen Jugend5. So besuchten im August 3.000 offiziell eingeladene Jugendliche und 5.600 „Schwarzfahrer“ den Kirchentag in Frankfurt am Main6. Darüber hinaus konnten zwischen April und Oktober von den 520 Treffen, die dem Gesamtkirchlichen Ausschuss mitgeteilt und vom BMG gefördert wurden7, 450 mit insgesamt 4.900 Gästen aus der DDR stattfinden8, d. h. lediglich 50 Treffen weniger als im Vorjahr. 400 davon waren als Freizeiten und nur 50 als Kurse organisiert, der Freizeitcharakter dominierte damit deutlich. Das Zahlenverhältnis von ost- zu westdeutschen Teilnehmern bei den durchschnittlich vierzehntägigen Treffen lag bei 1:4. Dadurch entstand für die sechzehn- bis neunzehnjährigen DDR-Jugendlichen eine psychologisch nicht einfache Minderheitensituation9. Über den Verlauf der Begegnungen und die Eindrücke der Teilnehmer war der Gesamtkirchliche Ausschuss durch die obligatorischen schriftlichen Erfahrungsberichte der Begegnungsleiter sowie durch Gespräche mit Jugendlichen und Mitarbeitern der Jungen Gemeinde sowie westdeutschen Jugendleitern informiert10. Aus diesen Informationen versuchte sein Geschäftsführer Hans Peter Mehl „ebenso vorsichtig wie aufrichtig“ ein „Gesamtbild vom gemeindlichen Denken und Tun sowie vom gesellschaftlich-politischen Erleben und Urteilen“ zu zeichnen11. Seinem Bericht zufolge stand bei den Begegnungen im Frühjahr 1956 die Bibelarbeit im Vordergrund, die indes unter keinem „besonderen Ost-West-Aspekt“ erfolgte. Im Blick auf die westdeutschen Jugendlichen hob Mehl hervor, dass sie ihren Altersgenossen aus der DDR zu vermitteln versuchten, wie vielfältige Möglichkeiten es im kirchlichen und öffentlichen Leben der Bundesrepublik für eine verantwortliche Mitarbeit gab. Bei den ostdeutschen Jugendlichen war ein „schon besonders geprägtes entwicklungsgeschichtliches Denken“ aufgefallen. Mehl sah darin einen Erfolg des weit verbreiteten prozess“ abgeschlossen. Vgl. H. WEBER, DDR, S. 45ff.; U. MÄHLER, Geschichte, S. 83–86. Zur Tauwetterperiode im jugendpolitischen Bereich in der DDR vgl. P. SKYBA, Hoffnungsträger, S. 323–382. 5 Rechenschaftsbericht (Entwurf) über die Ost-West-Arbeit im Sommerhalbjahr 1956. Beilage zum Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 11./12.10.1956 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 6 Bericht des Leiters des „Empfangsbüro-Ost“ des DEKT auf der Sitzung des GKA der AGEJD am 11./12.10.1956 (EBD.). 7 Für den Zeitraum vom 1.4.–30.9.1956 wurden 462.838,73 DM für Ost-West-Begegnungen bewilligt. Vgl. Bericht des GKA der AGEJD für die Zeit 1.4.1956–3.4.1957 (EBD.). 8 Im Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 11./12.10.1956 heißt es, es seien 4.800 Gäste gewesen (Aaej HANNOVER, GKA 15). Den Zeitraum vom 1.4.–12.12.1956 betrachtet, erhöhten sich die Zahlen auf 462 Begegnungen mit 4.995 Gästen. Vgl. Bericht über die Geschäftsführung des Vorstandes der AGEJG am 13.12.1956 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 9 Rechenschaftsbericht (Entwurf) über die Ost-West-Arbeit im Sommerhalbjahr 1956 (EBD.). 10 EBD. 11 EBD.

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Geschenkbuchs zur Jugendweihe „Weltall, Erde, Mensch“, das mit antichristlichem Impetus ein „wissenschaftliches Weltbild“ vermittelte. Bei den Begegnungen während des Sommers stand ebenfalls die Bibelarbeit im Mittelpunkt. Mehl entnahm den Berichten, dass die ostdeutschen Jugendlichen dabei „unsicherer und geistlich müder“ erschienen als früher, ihr „helfendes Geben im biblischen Gespräch“ rückläufig war und sie im Prozess standen, „langsam zermürbt zu werden“. 1956 war demnach auch im Bereich der Jungen Gemeinde ein Jahr, in dem sich unter den Christen in der DDR angesichts der internationalen, innerdeutschen und innenpolitischen Entwicklung Hoffnungslosigkeit breit machte. Der Eindruck aus den Begegnungsberichten wurde von ostdeutschen Mitgliedern des Gesamtkirchlichen Ausschusses bestätigt12. Bei den Mitarbeitern beobachteten sie zudem Anzeichen einer „Verausgabung“, insbesondere in Jungen Gemeinden, in denen ein Teil der Mitarbeiter in die Bundesrepublik abgewandert war. Die Massenflucht traf demnach auch die kirchliche Jugendarbeit und belastete physisch wie psychisch die Zurückgebliebenen. Bei ihrem Aufenthalt in der Bundesrepublik wurden die ostdeutschen Gäste zu kulturellen Stätten, aber auch in Betriebe und Kaufhäuser geführt, um ihnen einen Einblick in die wirtschaftliche und soziale Situation der Bundesrepublik zu vermitteln13. Aus den Berichten über diese Besuche entnahm Mehl, dass die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik für die Jugendlichen aus der DDR, „bei aller Erkenntnis des nicht ‚Goldenen Westens‘“, „zur echten Anfechtung“ geworden waren. Sie hätten darauf entweder mit Fluchtgedanken oder mit einer bereits internalisierten ostdeutschen Propagandasprache reagiert. Insbesondere bei den jüngeren Teilnehmern aus der DDR wurde ein sich schrittweise ausbildendes „politisch-nationales Selbstbewusstsein, eine Identifikation ihrer geistigen mit der sie umgebenden staatlich-gesellschaftlichen Welt“ beobachtet. Die ostdeutschen Ausschussmitglieder bestätigten auch diese Eindrücke und kritisierten, dass ein überhebliches Auftreten der Westdeutschen die Jugendlichen zu einer Verteidigung der „Errungenschaften“ der DDR provoziere14. Laut den Berichten war es bei den Begegnungen häufig zu kontroversen „Vergleichsgesprächen über die jeweiligen Vor- und Nachteile in West und Ost“ gekommen, bei denen die westdeutschen Teilnehmer oftmals ein sehr geringes Wissen über die DDR, aber auch über das politische System der Bundesrepublik offenbart hätten15. Auf Seiten der Westdeutschen wurden auch eine gewisse Hilflosigkeit „im brüderlichen Raten“ und ein Ausweichen in die „Gemeinschaft und Einigkeit im Gebet“ beobachtet. Ein erfahrener westdeutscher Jugendleiter formulierte seinen Gesamteindruck dahingehend, dass „das 12 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 11./12.10.1956 (Aaej HANNOVER, GKA 15). Der Name des ostdeutschen Ausschussmitglieds, das von „gewissen Ermattungserscheinungen“ und „Verzagtheit“ in der Jungen Gemeinde sprach, wurde aus Sicherheitsgründen im Protokoll nicht genannt. 13 Rechenschaftsbericht (Entwurf) über die Ost-West-Arbeit im Sommerhalbjahr 1956 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 14 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 11./12.10.1956 (Aaej HANNOVER, GKA 15). 15 Rechenschaftsbericht (Entwurf) über die Ost-West-Arbeit im Sommerhalbjahr 1956 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung).

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Verständnis zwischen den Brüdern hüben und drüben von Jahr zu Jahr schwieriger“ geworden war. Neben der Betreuung von Gruppenbegegnungen versuchten Vertreter der AGEJD 1956 erstmals auch die zahlenmäßig stark zunehmenden so genannten „freie[n] Wanderer“, d. h. Jugendliche, die ohne eine Einladung und ohne konkretes Reiseziel in die Bundesrepublik kamen, für evangelische Jugendfreizeiten zu gewinnen. In Zusammenarbeit mit dem Reichsverband der Evangelischen Jungmännerbünde Deutschlands und den Landesjugendkammern von Baden und Bayern richtete der Gesamtkirchliche Ausschuss für die Monate Juli und August fünf so genannte „Begegnungsstätten“ ein, in denen Jugendliche aus Ost- und Westdeutschland aufeinandertreffen sollten. Dieses Angebot – etwa 100 Freiplätze – wurde jedoch von den „Freien Wanderern“ so gut wie nicht wahrgenommen16. Im Vergleich zu den Ost-West-Begegnungen war der Reisestrom in umgekehrter Richtung deutlich geringer. Lediglich rund 300 junge Christen aus der Bundesrepublik fuhren zwischen April und Oktober auf insgesamt 23 Treffen in die DDR17, vornehmlich nach Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Der Gesamtkirchliche Ausschuss bzw. dessen Geschäftsführer unterstützten die Begegnungen mit der Weitergabe von finanziellen Beihilfen des Bundesinnenministeriums, durch organisatorische Hilfestellungen, aber auch mit programmatischen Appellen. So hielt man es für notwendig, darauf hinzuweisen, „dass es sich bei den Ost-West-Begegnungen nicht um blosse Spazierfahrten, sondern um ein Stück echter Bewältigung von Lebensfragen im Raum unserer hüben wie vor allem drüben geforderten Gemeinde handeln müsse.“18 In der Regel fuhren die westdeutschen Jugendlichen durch Lehrgänge, Gruppenabende und Lektüre gut vorbereitet in die DDR. Den Berichten zufolge hinterließ bei ihnen die unmittelbare Verantwortung und Mitarbeit des einzelnen Christen in den DDR-Gemeinden, deren politische Nüchternheit, aber auch „die seelische Einsamkeit des Menschen im Osten, die immer grösser würde“, die nachhaltigsten Eindrücke. Die jungen Christen aus der Bundesrepublik begriffen ihren Aufenthalt in der DDR als ein Nehmen und Geben: Sie nahmen am Alltagsleben ihrer ostdeutschen Glaubensgenossen teil und erlebten deren Gastfreundschaft. Umgekehrt glaubten sie den jungen Christen in der DDR ihre Angst zu nehmen, „allein und schon zum Teil von uns preisgegeben zu sein.“ Die Heimgekehrten waren der Überzeugung, „auch im Kleinen Grosses getan haben zu dürfen“. Aus diesem Gefühl der Bedeutsamkeit wuchs der Wunsch zu neuen Begegnungen in der DDR. Zum 1. Dezember 1956 übernahm Helmut Lauk die Geschäftsführung des Gesamtkirchlichen Ausschusses. So oblag es ihm, das Rechnungsjahr 1956/57 zu bilanzieren und Schlussfolgerungen für die weitere Arbeit zu ziehen. Aus den zahlreichen 16 Bericht über die Geschäftsführung des GKA auf der Vorstandssitzung der AGEJD am 13.12.1956 (EBD.). 17 Im Zeitraum vom 1.4. bis 12.12.1956 stiegen die Zahlen auf 542 Teilnehmer bei 31 Begegnungen. Vgl. EBD. 18 Rechenschaftsbericht (Entwurf) über die Ost-West-Arbeit im Sommerhalbjahr 1956 (EBD.).

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Begegnungsberichten entnahm er, dass auch die evangelische Jugend im geteilten Deutschland von dem „Auseinanderwachsen“ der beiden Teilstaaten betroffen war19. Angesichts dieser „wachsenden Problematik“ stellten sich nach Lauk für die äußere und inhaltliche Gestaltung der kommenden Begegnungen mehrere Fragen. Unklar war, wie die Auseinandersetzung mit dem „Staatsgefühl und Selbstgefühl“ der jungen Christen in der DDR geführt werden sollte. Es musste entschieden werden, ob die Begegnungen auf die geistlichen Grundlagen beschränkt werden oder auch Diskussionen über politische, geistige, wirtschaftliche und kulturelle Fragen auf der Grundlage des gemeinsamen Glaubens einschließen sollten. Um die Kommunikation zu erleichtern, hielt Lauk eine personelle Kontinuität der Teilnehmer der OstWest-Begegnungen für erwägenswert. Auch in den evangelischen Studentengemeinden wurde nach den sehr beschränkten Ausreisemöglichkeiten zu Beginn des Jahres im Sommer 1956 von Ost nach West und umgekehrt gereist. Die Zahl der Begegnungen, die ausschließlich auf Kontakten zwischen den Patengemeinden beruhten, lässt sich nicht genau ermitteln, lag aber allein auf Grund der engeren Zielgruppe sicher deutlich unter der in der Evangelischen Jugend. In der ESGiD existierte auch kein besonderes Gremium für die Begegnungsarbeit. Jedoch bemühten sich die Geschäftsstellen darum, öffentliche Beihilfen zu beschaffen und weiterzugeben20 sowie die unmittelbaren Ost-West-Kontakte, die angesichts von Entfremdungserscheinungen als immer dringlicher empfunden wurden, programmatisch anzuleiten. In einer von der „Geschäftsstelle für die DDR und GroßBerlin“ vervielfältigten „Arbeitshilfe für Vertrauensstudenten“ von 1956 wurde darauf insistiert, dass das „Patenverhältnis“ als Geben und Nehmen gestaltet werden müsse21. Der geistige und geistliche, nicht der materielle Austausch sollte zukünftig im Vordergrund stehen. Es gelte, den westdeutschen Besuchern einen Einblick ins Gemeindeleben sowie in das kulturelle und universitäre Leben der DDR zu vermitteln. Daneben sollte Zeit zum Gespräch sein. Eindeutige Vorstellungen hatten die Geschäftsstellenmitarbeiter von dem Charakter der Ost-West-Begegnungen. „Eine Einladung zur Patengemeinde ist keine Privatsache“, stand in der Arbeitshilfe zu lesen. Die Auswahl der Reisenden sollte durch den Vertrauenskreis erfolgen und dabei alle Kreise der Gemeinde berücksichtigt werden. Auf jeden Fall wollte die Geschäftsstelle bei jeder Begegnung einige Gemeindeglieder dabei haben, „die unsere Situation überschauen und imstande sind, gut darüber zu diskutieren.“ In den Diskussionen mit ihren westdeutschen Gastgebern sollten sich die jungen Christen aus der DDR bemühen, gegenseitiges Misstrauen abzubauen, die Meinung des anderen ernst zu nehmen und auch ihre eigene Meinung infrage stellen lassen. Von den Rückkehrenden wünschte man sich einen Bericht in ihren Gemeinden, damit diese an den Westerfahrungen der Reisenden 19 Bericht des GKA der AGEJD für die Zeit vom 1.4.1956–3.3.1957 (EBD.). 20 Die ESGiD erhielt von der Franz-Lieber-Stiftung und vom BMG Zuschüsse für gesamtdeutsche Begegnungen. Vgl. EZA BERLIN, 36/162 und 211. 21 EZA BERLIN, 141/99/90a.

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partizipieren konnten. Vor und nach dem Aufenthalt in der Bundesrepublik sollten sich die Studenten sowohl bei dem ostdeutschen als auch bei dem westdeutschen Studentenpfarrer melden. Auf diese Weise wollte sich die Leitungsebene einen Überblick, aber auch eine gewisse Kontrollmöglichkeit über die innerdeutschen Begegnungen im Raum der ESGiD sichern. In der Beurteilung der Patengemeindetreffen herrschte zwischen den ost- und westdeutschen ESG-Mitarbeitern zu diesem Zeitpunkt Konsens. Der gleichberechtigte Charakter der Patenbeziehungen wurde als wünschenswert bezeichnet, der geistige Kontakt und Austausch in den persönlichen Begegnungen betont und materielle Hilfe hintangestellt. Auch wenn es mit jedem weiteren Jahr der Trennung nicht leichter geworden sei, sich zu verstehen und die unterschiedliche Lebenssituation zu begreifen, so hieß es 1956 in einer Selbstdarstellung der ESG für Studienanfänger in der Bundesrepublik, sollten beide Seiten aufeinander hören und voneinander lernen22. Optimistisch wurde erklärt, dass auch immer wieder neue Gemeinsamkeit und Verbundenheit wachse „in der einen Gemeinde, der alle zugehören“. Um die von beiden Seiten gewünschte Gleichwertigkeit in den Patenbeziehungen auch nach außen zu dokumentieren, machte die ESG Hamburg in der Zeitschrift „ansätze“ im Frühjahr 1956 den Vorschlag, „das Wort Patengemeinde mit der neuen Bezeichnung Partnergemeinde auszutauschen“23. Der Begriff setzte sich aber erst in den 60er Jahren durch, damit allerdings noch immer zehn Jahre früher als in den Kirchenpartnerschaften24. Bereits 1956 gab es hingegen einige erste Erfolge beim dem von den Studentenpfarrern forcierten Gestaltwechsel der Patengemeindetreffen von der zwischenmenschlichen Begegnungsfreizeit zum informations- und wissensorientierten Begegnungsseminar25. So diskutierten beispielsweise Studenten der Gemeinden Leipzig, Greifswald und Bonn, die sich im Januar 1956 in der Bundesrepublik trafen, auf der Grundlage von Vorträgen und Bibelarbeiten über das christliche und das westlich-liberale Menschenbild26. Im Juni desselben Jahres entstand bei einem Berlin-Treffen von Gliedern der Patengemeinden Greifswald, Hamburg und Heidelberg eine äußerst kontroverse Diskussion. Auslöser war ein Referat von Gerhard Bassarak über die Frage „Was darf der Frieden kosten?“, die Heinrich Giesen an die politische Arbeitsgruppe des Kirchentages gestellt hatte. In dem Bericht an die Geschäftsstelle wurde die Diskussion als „sehr fruchtbar“ bewertet, „weil die Verschiedenartigkeit der Auffassungen von Ost und West in der Frage der Wiedervereinigung gut herausgearbeitet wurde.“27

22 Abdruck in: H. RINGELING, Studenten, S. 210. 23 Zitiert nach: A. NOACK, Studentengemeinden, S. 169. 24 Vgl. Klas, Kirchenpartnerschaften, S. 151f. 25 Bericht über die Arbeit der ESG in der „SBZ“ im Jahre 1956 (EZA BERLIN, 36/211). 26 Bericht über das Treffen am 4.–12.1.1956 in Hasensprungmühle/Leichlingen und in Bonn (EZA BERLIN, 36/53). Die acht ostdeutschen Teilnehmer konnten zu dem Treffen nur mittels Privateinladungen kommen. 27 Bericht über das Treffen am 13.–17.6.1956 (EZA BERLIN, 36/162).

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Das Begegnungsjahr 1957 begann in der AGEJD mit einer „West-Ost-Besuchsfahrtenaktion“28. Der Gesamtkirchliche Ausschuss hatte bereits im Oktober des Vorjahres das zahlenmäßige Ungleichgewicht zwischen West-Ost- und Ost-West-Begegnungen problematisiert. Er forderte daher über die Landesjugendkammern, das Jugendwerk und den freikirchlichen Jugendverband eine größere Zahl von erfahrenen Begegnungsleitern auf, Anfang 1957 eine Junge Gemeinde in der DDR zu besuchen und deren Alltag kennen zu lernen29. Dies sollte auf der Grundlage persönlicher Einladungen und in Form von Einzelreisen erfolgen. Nach Meldung der Namen an die Jugendkammer-Ost wollte diese über die ostdeutschen Landesjugendpfarrämter die Einladungen aus der DDR vermitteln. Die Fahrtkosten sollten durch das BMI bezuschusst werden. Bis zum 1. März gingen insgesamt 208 Anmeldungen ein; die meisten kamen aus den Bereichen der Landesjugendpfarrämter Rheinland und Westfalen30. Etwa zwei Drittel der Reisenden waren Pfarrer, Vikare, Diakone und Gemeindehelferinnen. Je ein Drittel war zwischen 18 und 25 Jahre, zwischen 25 und 30 Jahre und über 30 Jahre alt. Sie hielten sich zwischen Januar und April für je zwei bis vier Wochen bei Jungen Gemeinden in der DDR auf. Dort stieß die Besuchsaktion auf positive Resonanz31. Um die Zahl der West-Ost-Begegnungen weiter zu erhöhen, erließ die AGEJD am 23. Mai 1957 einen Aufruf zu Besuchsfahrten evangelischer Jugendlicher in die DDR32. Darin wurde der Wunsch der Jungen Gemeinde in der DDR weitergegeben, sie zu besuchen und eine Zeit lang mit ihnen unter ihren Bedingungen zu leben. Dies sei, so hieß es, für die Christen in der DDR der stärkste Beweis, „dass wir zusammengehören“. Der Aufruf beweist, dass die evangelischen Jugendlichen in der Bundesrepublik, die sich nicht anders als ihre Altersgenossen allmählich auf dem Weg zu einem neuen Freizeit- und Konsumverhalten befanden,33 bereits ausdrücklich zum „Opfer“ einer Besuchsfahrt ermahnt werden mussten. Andererseits wollten die Verantwortlichen auch nicht jeden an den West-Ost-Begegnungen, die durch Mittel des Bundesjugendplans gefördert wurden, teilnehmen lassen. In einem „Rüstbrief für die Leiter von West-Ost-Begegnungen“ wurden konkrete Anforderungen an die Teilnehmer genannt. Der Brief war das Ergebnis eines Erfahrungsaustausches von evangelischen Jugendbegegnungsleitern aus der Bundesrepublik und der DDR. Dieser fand während eines Kurses statt, den der Gesamtkirchliche Ausschuss vom 27. April bis 4. Mai 1956 in der Evangelischen Sozialakademie Friedewald speziell für 22 westdeutsche und acht ostdeutsche Leiter von Ost-West- und West-Ost-Begegnungen veranstaltete. In dem Rüstbrief wurden die westdeutschen Gäste um Of28 Bericht über die Geschäftsführung des GKA auf der Sitzung des Vorstandes der AGEJD am 13.12.1956 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 29 Vgl. Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 11./12.10.1956 (Aaej HANNOVER, GKA 15); Bericht über die Geschäftsführung des GKA auf der Vorstandssitzung der AGEJD am 13.12.1956 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 30 Bericht des GKA der AGEJD für den Zeitraum 1.4.1956–31.3.1957 (EBD.). 31 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 26./27.11.1957 (Aaej HANNOVER, GKA 15). 32 Abdruck in: E. WEISSER, Freiheit, S. 212. 33 Zu dieser Entwicklung innerhalb der westdeutschen Jugend vgl. A. SCHILDT, Modernisierung, S. 30.

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fenheit und Unvoreingenommenheit gegenüber ihren Gastgebern und deren Umwelt gebeten34. Sie sollten falsche Vorstellungen von der DDR korrigieren, nur sachlich und taktvoll Kritik üben, nicht mit ihren eigenen Lebensverhältnissen prahlen und ihre Gastgeber zu keinen für sie gefährlichen Stellungnahmen bei öffentlichen Gesprächen herausfordern. Als geistige und geistliche Vorbereitung für den Besuch rieten die Begegnungsleiter zu Bibelarbeit, zur Bildung einer Gemeinschaft, die sie im Gebet auf ihrer Reise begleitete, zur Aneignung von Wissen über die kirchlichen und politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik sowie zur Beschäftigung mit dem dialektischen Materialismus. Im Hinblick auf die Teilnehmer wurde empfohlen, diese gut auszuwählen und das Alter der Reisenden nicht zu tief anzusetzen, da jeder, der in die DDR fahre, „immer ein Repräsentant der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik“ und Abgesandter seiner Gemeinde sei. Die Begegnung durfte keinen zweckfreien oder reinen Freizeitcharakter haben, sondern jeder Teilnehmer sollte die Gemeinde stärken, die er besuchte, er sollte selbst gestärkt werden und nicht zuletzt die Gemeinde stärken, in die er zurückkehrte. So gerüstet fuhren im Sommerhalbjahr 1957 ungefähr 35 evangelische Jugendgruppen in die DDR. 25 geplante Besuchsfahrten konnten nicht stattfinden, da die Aufenthaltsgenehmigungen verweigert wurden. In Ost-West-Richtung reisten hingegen zwischen April und September rund 4.500 evangelische Jugendliche aus der DDR zu beinahe 550 Begegnungen in die Bundesrepublik, wo sie mit 22.000 westdeutschen Jugendlichen zusammenkamen35. Die Zahl der DDR-Besucher war im Vergleich zum Vorjahr um ungefähr 10 % zurückgegangen. Die Ursache hierfür lag in dem für Oberschüler ausgesprochenen Ausreiseverbot sowie entsprechenden Einwirkungen auf Lehrlinge in volkseigenen Betrieben. Wie schon in den Jahren zuvor unterstützte das BMG auch 1957 die Ost-West-Begegnungen mit großzügigen Beihilfen36. Nach Abschluss der Begegnungssaison fand Anfang November in Friedewald ein zweiter Kurs für Begegnungsleiter statt, an dem aber nur noch zwei Ostdeutsche teilnehmen konnten37. Denn in der Zwischenzeit war Studentenpfarrer Schmutzler verhaftet und ihm u. a. auch seine Kontakte zur Sozialakademie Friedewald zum Vorwurf gemacht worden. Damit war die Teilnahme von ostdeutschen Jugendleitern an einem Kurs in der Bundesrepublik, der noch dazu vom BMG gefördert wurde38, zur akuten Gefahr geworden. Das Programm der Novembertagung hatte einen Schwerpunkt im Bereich der politischen Bildung. Insgesamt fünf Vorträge führten die Teilnehmer in Theorie und Geschichte des Marxismus ein, zwei weitere Vorträge informierten über „Grundzüge der Sowjet-Pädagogik“ und „Die gesellschaftliche Situation im Westen 34 Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung. 35 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 26./27.11.1957 (Aaej HANNOVER, GKA 15). 36 Mit Schreiben vom 1.7.1957 genehmigte das Ministerium für die Förderung von Jugendbegegnungen der Organisationen, die der AGEJD angeschlossen waren, für den Zeitraum 1.4.–30.9.1957 einen Ermächtigungsbetrag von 600.000 DM (EZA BERLIN, 87/96/441). 37 Bericht der Geschäftsführung bei der Sitzung des GKA der AGEJD am 24./25.4.1958 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 38 EZA BERLIN, 87/96/441.

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und Osten Deutschlands“39. Daneben wurden in einer „Gesamtkirchlichen Arbeitsgemeinschaft“ Eindrücke von den durchgeführten Ost-West- und West-Ost-Begegnungen im Sommerhalbjahr 1957 ausgetauscht40. Man teilte miteinander die Erfahrung, dass die unterschiedlichen Problemlagen des Christseins in Ost- und Westdeutschland bei den Begegnungen zu Spannungen führten. Dabei problematisierten die Begegnungsleiter auch die Stereotypen vom „reichen Westen“ und „frommen Osten“. Auf Protest stieß die Beobachtung, die Junge Gemeinde „sei müde geworden“. Unwidersprochen blieb hingegen die Feststellung, dass die ostdeutschen Jugendlichen unter der „Lüge“, die ihr Leben im DDR-Alltag prägte, und unter der „Einsamkeit“, die aus der Furcht vor Bespitzelung resultierte, leiden würden. Um Enttäuschungen angesichts falscher Erwartungshaltungen bei den ostdeutschen Teilnehmern zu vermeiden, hielten es die Begegnungsleiter für ratsam, dass die Jugendlichen vor ihrer Reise darüber unterrichtet würden, was sie in der Bundesrepublik erwartete. Auf der Grundlage dieser Beobachtungen und Vorschläge formulierte Lauk Mitte November den Entwurf eines „Rüstbrief[s] für Leiter von Ost-West-Begegnungen und West-Ost-Begegnungen“, eine Art Programm protestantischer Begegnungskultur im Jugendbereich41. Wie schon im Rüstbrief aus dem Jahr 1955 wurde eingangs versucht, die geistlichen und geistigen Grundlagen der Begegnungen zu benennen. Es hieß, die Evangelische Jugend in Ost- und Westdeutschland gehöre zusammen, weil sie in Jesus Christus einen Herrn habe. Sie höre aufeinander, weil sie einander brauche. In dieser Art der Begegnung bleibe sie in der Liebe Gottes verbunden. Daran schloss sich erneut ein Begegnungs-„Knigge“ für die westdeutschen Gastgeber an. Diese wurden u. a. darum gebeten, ihre ostdeutschen Gäste in politischen Gesprächen nicht in eine Verteidigungsrolle gegenüber der DDR zu zwingen. Sie selbst sollten aber auch nicht die Teilung Deutschlands der Bundesrepublik anlasten und „aus falsch verstandener Rücksicht“ abfällig über ihren Staat sprechen. Der Rüstbrief schloss mit organisatorischen Hinweisen, die einen Eindruck vermitteln, wie die ideale innerdeutsche Begegnung nach Ansicht des Gesamtkirchlichen Ausschusses zu verlaufen hatte. Zur Vorbereitung und Durchführung von Begegnungen wurde empfohlen: – aus Sicherheitsgründen nur mündliche Absprachen zu treffen, – bei den westdeutschen Leitern für Kenntnisse über die wirtschaftlichen, sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse in der DDR zu sorgen,

– über die Jugendpfarrämter Fühlung mit den Jugendgruppen der Patengemeinde oder Patenkirche aufzunehmen,

– Form, Thema und Ort der Begegnung festzulegen, – rechtzeitig die Einladungen auszusprechen und darin Alter und Anzahl der Gäste zu benennen, wobei man entsprechend der vorangegangenen Erfahrungen ein Zahlenverhältnis von 1:1 empfahl, 39 Programm der Tagung für Leiter von Ost-West-Begegnungen am 2.–9.11.1957 (Aaej HANNOVER, GKA-Aktionen). 40 Vgl. auch zum Folgenden: Protokoll der Friedewald-Tagung am 4.11.1957 (EBD.). 41 Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung 1950–1964.

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– die westdeutschen Gastgeber über den dialektischen Materialismus zu informieren und

– – – – – – – – – – –

sie sich auch mit den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Bundesrepublik beschäftigen zu lassen, selbst zu materiellen Opfern bereit zu sein und zudem Beihilfen aus öffentlichen Mitteln beim Landesjugendpfarramt zu beantragen, sich über Versicherungen zu erkundigen, die ostdeutschen Gäste im Vorfeld über Form und Thema sowie über den „im allgemeinen bescheidenen Lebensstandard“ der Freizeiten zu informieren, die Jugendlichen aus der DDR zunächst drei Tage in die Familien der Gastgeber aufzunehmen und dann gemeinsam zum Begegnungsort zu reisen, keine getrennten Schlafräume für Ost und West einzurichten, viel Freizeit zur persönlichen Begegnung und unter Umständen auch für nach Ost und West getrennte Aussprachen einzuplanen, aktuellen Lesestoff bereitzustellen, gemeinsame Tagesfahrten in die Umgebung zu unternehmen, sämtliche Veröffentlichungen über die Begegnung zu unterlassen, nach Abschluss der Begegnung die Beihilfen sofort abzurechnen, persönlich über Briefe, Pakete und Einzelbesuche mit den Teilnehmern Kontakt zu halten und für das folgende Jahr möglichst eine erneute Begegnung mit denselben Teilnehmern zu planen.

Ende November beschloss jedoch der Gesamtkirchliche Ausschuss, aus Sicherheitsgründen alle Formulierungen in dem Rüstbrief zu streichen, die auf eine gelenkte Begegnungsarbeit hinwiesen42. Die technischen und organisatorischen Informationen wurden zukünftig nur noch mündlich weitergegeben. Mit diesem betont vorsichtigen Verhalten reagierte der Ausschuss auf die Verfahren gegen Schmutzler und Giersch. In deren Zusammenhang waren in der DDR auch die „Ost-West-Begegnungen“, von denen die Staatssicherheit Kenntnis hatte, negativ in die Schlagzeilen geraten, was bei den Vertretern der Jungen Gemeinde eine tiefe Verunsicherung auslöste. Der Vorsitzende der Jugendkammer Ost Andler ging davon aus, dass mit größeren Jugendbegegnungen in der Bundesrepublik oder der DDR in Zukunft nicht mehr gerechnet werden konnte43. Er hielt allenfalls Einzelbegegnungen noch für möglich. In seiner Analyse der Begegnungsarbeit des Jahres 1957 machte der Geschäftsführer Lauk aber auch auf wachsende innere Schwierigkeiten aufmerksam. Angesichts der bereits seit neun Jahren andauernden Zweistaatlichkeit hielt er die evangelischen Jugendlichen in der Bundesrepublik für überfordert, ihre gleichaltrigen Glaubensgenossen in der DDR zu verste42 Protokoll der Sitzung am 26./27.11.1957 in: Aaej HANNOVER, GKA 15. Der Rüstbrief wurde am Nachmittag des 27.11. von zwei Teilnehmern aus der DDR, Wilhelm Hertenstein sowie Lauk überarbeitet und anschließend als Handreichung „zur Einheit der Evangelischen Jugend Deutschlands“ an die westdeutschen Landesjugendpfarrämter versandt. Vgl. Lauk an Hanisch, 9.1.1958 (Aaej HANNOVER, Jugendkammer Ost). 43 Protokoll der Sitzung am 26./27.11.1957 in: Aaej HANNOVER, GKA 15. Am 19.9.1957 entschied der Vorsitzende Brölsch, dass die Sitzungsprotokolle aus Sicherheitsgründen nicht mehr an die Ausschussmitglieder versandt werden durften. Die Geschäftsstelle sollte die Protokolle drei Jahre aufbewahren und danach vernichten. Dass dies nicht durchgehend erfolgte, beweisen die Funde im Archiv der aej.

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hen, deren Lebensumstände zu kennen und ein sinnvolles Gespräch mit ihnen zu führen. Die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Umwelt nähme ihre Kräfte völlig in Anspruch. Dies habe bei den Begegnungen zur Folge, dass die ostdeutschen Gäste unreflektiert in den bundesdeutschen Freizeit- und Tagungsbetrieb mit hineingenommen würden. Lauk stellte daher die Frage, ob angesichts dieser Situation die Begegnungsarbeit überhaupt weitergeführt werden konnte. Falls ja, so plädierte er, müsse zukünftig bei den Begegnungen mehr auf Qualität als auf Quantität Wert gelegt werden. Der Gesamtkirchliche Ausschuss diskutierte daraufhin lange und kontrovers über die Zukunft der Begegnungsarbeit. Dabei wurden neben den äußeren Hindernissen auch die inneren Probleme der kirchlichen Ost-West-Gemeinschaft im Jugendbereich angesprochen. Dazu zählte das Konkurrenzverhältnis, in das die Treffen in der Bundesrepublik mit den Veranstaltungen der Jungen Gemeinde in der DDR geraten waren. Ein ostdeutsches Mitglied44 beklagte, dass das große Angebot an Gastplätzen auf Freizeiten in der Bundesrepublik im Sommer 1957 in der Jungen Gemeinde zu einem „West-Drall“ geführt habe, infolgedessen viele Freizeiten in der DDR ausfallen mussten. Der Verwirklichung des daher geäußerten Wunsches, es sollten mehr Treffen in der DDR stattfinden, standen jedoch drei Missstände entgegen: die restriktive Vergabe von Einreisegenehmigungen durch die DDR-Behörden, die schlechte überregionale Kommunikation in der Jungen Gemeinde bei der Vermittlung von Einladungen sowie das mangelnde Interesse unter westdeutschen Jugendlichen. In der Bundesrepublik stellten die Ost-West-Begegnungen auf andere Weise eine Konkurrenz zur Arbeit in den Gemeinden dar. Hier, so wurde im Gesamtkirchlichen Ausschuss beklagt, führte die Begegnungsarbeit bei den Jugendpfarrern und Jugendleitern zu einer Vernachlässigung der „eigentliche[n] Arbeit an der eigenen Jugend“. Sprach dies gegen hohe Begegnungszahlen, so plädierte der badische Landesjugendpfarrer Wilhelm Hertenstein dennoch für Qualität und Quantität bei den Begegnungen. Die reinen Erholungsfreizeiten sollten fortgeführt werden und daneben so genannte „Elitenfreizeiten“ mit einer gleichen Anzahl von ost- und westdeutschen Teilnehmern veranstaltet werden, von denen man in Baden für das Jahr 1958 vier plante. Ein Ausschussmitglied aus der DDR warnte in der Diskussion davor, dass aus dem bisherigen „unbeschwerten Optimismus in der gesamtkirchlichen Lenkungsarbeit [. . .] unter dem Eindruck der jetzigen Lage ein übertriebener Pessimismus“ werde, wobei er selbst jedoch mehr das erstere denn das letztere kritisierte. Für die Jugendkammer Ost sah er den Zeitpunkt zur Selbstreflexion gekommen. Zukünftig sollte gegenüber den westdeutschen Begegnungsangeboten starke Zurückhaltung geübt werden. Denn die „‚Verwestlichung‘ der leitenden Kontaktleute“, so argumentierte er, beeinträchtigte deren

44 Die Namen wurden im Protokoll aus Vorsichtsgründen nicht festgehalten. Aus der DDR gehörten dem Ausschuss zu diesem Zeitpunkt an: LJP Heinz Waldmann (Kirchenprovinz Sachsen), LJP Erhard Wonneberger (Sachsen), LJP Walter Schulz (Mecklenburg), Vikarin Ingeborg Becker und Landesjugendwart Hans Schulz (beide Berlin) und für die Freikirchen Superintendent Johannes Thomas (Zwickau). Vgl. Aktennotiz Lauks über ein Gespräch mit Brölsch am 19.9.1957 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung).

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Glaubwürdigkeit in der Jungen Gemeinde, da sie entweder an der „Schizophrenie zwischen der Sehnsucht nach dem Leben im Westen und dem tatsächlichen Existieren in den Verhältnissen der DDR“ litten oder aber sich mit Fluchtgedanken beschäftigten. Als „Quittung auf die Begegnungsarbeit“ sei „in den nächsten Monaten eine Welle von Abwanderungen von Mitarbeitern der Jungen Gemeinde in den Westen zu befürchten“. Der „Westen“, so argumentierte er nunmehr theologisch, sei womöglich „die größte Versuchung Gottes, die er den Mitarbeitern der Jungen Gemeinde in der DDR auflege.“ Um diese zu bestehen, verlangte er eine Konzentration auf „das Geistliche und Geistige, wie es für die Junge Gemeinde in der DDR gelte“. Ein weiteres DDR-Mitglied brachte die Obrigkeitsfrage in die Diskussion ein und hielt es für problematisch, dass die Begegnungsarbeit mit der evangelischen Jugend in der Bundesrepublik unter den Mitgliedern der Jungen Gemeinde die Abneigung gegen die DDR verstärkte. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass diese „unechte Aversion gegen die DDR“ noch weiter genährt werde. Noch immer, so kritisierte er, werde die DDR zu sehr als Provisorium betrachtet, anstatt zu einer „echten Loyalität“ ihr gegenüber zu finden. Ein bundesdeutsches Ausschussmitglied konterte, dass die ostdeutschen Begegnungsteilnehmer bei ihrem Aufenthalt in der Bundesrepublik sehr unterschiedliche Einstellungen zur DDR und ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung äußerten. Zudem habe auch die evangelische Jugend in der Bundesrepublik eine Verpflichtung gegenüber ihrem Staat. Der Ausschussvorsitzende Brölsch begegnete dieser Kontroverse mit der versöhnlichen Erklärung, dass jeder in seinem Staat das tun solle, was er für richtig halte. Gleichzeitig bat er aber auch die ostdeutschen Ausschussmitglieder: „Schreiben Sie nun aber bitte auch Ihrerseits den Westen nicht ab“. Er reagierte damit auf die Abgrenzungstendenzen, die in den Redebeiträgen einiger ostdeutscher Ausschussmitglieder enthalten waren. Der Vorstellung von den Christen als „Dritter Kraft“ zwischen Ost und West folgend, rief ein westdeutsches Ausschussmitglied dazu auf, die Ost-West-Gemeinschaft der evangelischen Jugend weder durch Bonn noch durch „Pankow“ politisieren zu lassen. Die Jugend der Bundesrepublik dürfe sich bei den Begegnungen nicht als „objektiv gültige Norm“ fühlen. Auch die evangelische Jugendarbeit in der Bundesrepublik erschien ihm schon als zu sehr „verwestlicht“. Der Berliner Oswald Hanisch warf der gesamtdeutschen EJD ein „Kreisen um Bonn“ vor. Für ihn entschied sich am 28. November, dem Tag der Urteilsverkündigung gegen Schmutzler, ob es in Zukunft eine „EJD-Ost“ und eine „EJD-West“ geben würde. In der Frage, ob und wie zukünftig noch westdeutsche Mitarbeiter der AGEJD in die DDR fahren sollten, einigte man sich darauf, nur noch „legal“ zu verfahren, d. h. aufgrund von Aufenthaltsgenehmigungen mit wahrheitsgemäßer Begründung als Verwandtenbesuch. Besonders problematisch erschien die Teilnahme ostdeutscher Mitarbeiter an Seminaren in der Bundesrepublik. Angesichts des Pressefeldzuges in der DDR gegen die Evangelische Sozialakademie Friedewald hielt der Ausschuss es nicht mehr für verantwortbar, ostdeutsche Mitarbeiter offiziell dorthin einzuladen. Die Mehrheit der Ausschussmitglieder wollte jedoch diejenigen, die auf eigene Verantwortung fuhren, an den für Januar und Februar bereits geplanten Kursen teilnehmen lassen. Als Ersatz für die Treffen in Westdeutschland sollten zukünftig Mitarbei-

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ter-, aber auch Jugendbegegnungen in Berlin durchgeführt werden. Denn Ost-WestBegegnungen in der Bundesrepublik sollte es nach Ansicht des Gesamtkirchlichen Ausschusses zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr geben. Der Vorsitzende Brölsch schrieb daher am 18. Dezember an alle Landesjugendpfarrer, Werke und Freikirchen und empfahl ihnen, „bis auf weiteres von der Einladung zu Begegnungen abzusehen“45. Dieser Rat schlug nach Kenntnis Lauks unter den bundesdeutschen Jugendleitern „teilweise wie eine Bombe ein“. Einen tief gehenden Einschnitt bedeutete das Jahr 1957 für die Patenbegegnungen der evangelischen Studentengemeinden. Denn am 24. Mai erließ der Staatssekretär für Hochschulwesen eine Anweisung „über die Befürwortung von Reisen von Studierenden der Universitäten, Hochschulen und Fachschulen in Mitgliedsstaaten der NATO“46. Darin wurde festgeschrieben, dass derartige Reisen einer schriftlichen Befürwortung des Prorektors für Studienangelegenheiten bzw. des Direktors der Fachschulen bedurften. Diese konnte erteilt werden für notwendige Studienreisen, für Reisen von gesellschaftlichen Organisationen oder staatlichen Organen sowie in dringenden familiären Angelegenheiten. Verstöße gegen die Verordnung wurden mit Stipendienentzug oder mit dem Entzug der Studienerlaubnis für begrenzte oder unbegrenzte Zeit geahndet. Der Staatssekretär begründete die Beschränkung privater Reisen der Studenten in die Bundesrepublik mit dem „faschistischen, militaristischaggressiven Charakter der Bundesrepublik“ sowie mit der angeblichen Gefahr einer Anwerbung für Geheimdienste und Spionageorganisationen, denen die studentischen Reisenden aus der der DDR in der Bundesrepublik ausgesetzt seien. Vermutlich als Verwandtenbesuche getarnt, konnten Anfang August noch ungefähr 300 Ostdeutsche am 4. Evangelischen Studententag in Stuttgart teilnehmen47, zum Teil aber mit gravierenden persönlichen Konsequenzen. So wurde beispielsweise in Magdeburg eine Vertrauensstudentin der ESG auf Grund ihrer Teilnahme in Stuttgart exmatrikuliert48. Die Patengemeindetreffen in der Bundesrepublik kamen hingegen auf Grund des Ausreiseverbots für ostdeutsche Studenten fast völlig zum Erliegen49. Stattdessen fuhren verstärkt westdeutsche Glieder der Studentengemeinden, so sie eine Aufenthaltsgenehmigung bekamen, zu ihren Patengemeinden in die DDR50. Von Ersatzbegegnungen in West-Berlin riet die Berliner Geschäftsstelle ab, da sie für die ostdeutschen Studenten zu gefährlich waren51. Die Geschäftsstellenmitarbeiter sowie die wenigen 45 Zitiert im Schreiben Lauks an Hanisch, 9.1.1958 (Aaej HANNOVER, Jugendkammer Ost). 46 Abdruck in: DOKUMENTE, III. Reihe, Bd. 3/2, S. 1072f. 47 Bericht über den 4. Deutschen Evangelischen Studententag Stuttgart 1957 (EZA BERLIN, 36/168). Für dessen Durchführung gab die Franz-Lieber-Stiftung am 26.7.1957 einen Zuschuss von 12.500 DM (EBD.). 48 Protokoll des Kleinen Konzils am 28.10.1957 (EZA BERLIN, 36/337). 49 Vgl. Bericht über die Arbeit der ESG in der „SBZ“ im Jahre 1957 (EZA BERLIN, 36/211). 50 So kam es zu Treffen in Leipzig, Jena, Glauchau, Rostock, Möser bei Magdeburg, Neudietendorf/Weimar, Halle, Dresden, Moritzburg bei Dresden und Greifswald (EZA BERLIN, 36/166 und 167). 51 Bericht über die Arbeit der ESG in der „SBZ“ im Jahre 1957 (EZA BERLIN, 36/211). Auf der Kleinen

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Studentenpfarrer, die hin und wieder eine Ausreiseerlaubnis erhielten, bemühten sich, die fehlenden Ost-West-Kontakte durch informative Berichte und Referate zu kompensieren, den mangelnden Zugang zu Westliteratur durch Leseabende und Literaturbesprechungen auszugleichen und die bisherigen Erholungsurlaube in der Bundesrepublik durch Gemeinde-Ferienmöglichkeiten in der DDR zu ersetzen52. Angesichts des reduzierten unmittelbaren Kontaktes erhöhte sich auch die Bedeutung von Briefverkehr, Bücherspenden, materiellen Zuwendungen für die laufende Arbeit der einzelnen Gemeinden in Form von Einrichtungsgegenständen, Heimbaubeihilfen usw.53. Allerdings war auch hier der Erfolg der Bemühungen von der jeweiligen Kirchen- und Deutschlandpolitik der DDR abhängig und blieb daher auch zeitweilig ganz aus.

2.4.2 Treffpunkt Berlin Am 11. Dezember 1957 änderte die DDR ihr Passgesetz54. Von da an standen das Verlassen und Betreten des Gebietes der DDR „ohne erforderliche Genehmigung“ sowie das Abweichen von vorgeschriebenen Reisezielen, -wegen und -fristen unter Strafe. Daraufhin ging der gesamte innerdeutsche Besuchsverkehr in Ost-West-Richtung in der Folgezeit rapide zurück. Waren im Januar 1957 noch 115.900 Besucher aus der DDR in die Bundesrepublik gekommen, so zählte man im gleichen Monat des Jahres 1958 nur noch 48.100 und im Januar 1960 nur noch 33.90055. Die Landesjugendringe stellten seit 1958 den nahezu völligen Rückgang der Zahl jugendlicher DDR-Gäste fest56. Aber auch die Einreise Westdeutscher wurde von der DDR seit 1958 im Umfang drastisch reduziert, ein Umstand, der die politische Zielsetzung der Abschottung belegt57. Zur Abschottungspolitik der DDR mittels Passgesetz kam im Jugendbereich noch hinzu, dass die SED 1958 in der Jugendpolitik erneut einen repressiven Kurs einschlug. Beides zusammen ließ bei der AGEJD die Zahl der innerdeutschen Begegnungen dramatisch sinken. In den Folgejahren konnten nur noch circa ein Sechstel der BegegKonferenz am 10.12.1957 war man sich einig, dass Gemeinden im Augenblick nicht zu Treffen in West-Berlin ermuntert werden sollten, zumal in Erfurt an der Ingenieurs-Schule für technische Biologie Reisen nach West-Berlin ausdrücklich verboten wurden (EZA BERLIN, 36/337). 52 EBD. 53 EBD. Diese Leistungen wurden auch weiterhin vom BMG sowie der Franz-Lieber-Stiftung bezuschusst. Vgl. die Nachweise in: EZA BERLIN, 36/211 und 212. Für das Rechnungsjahr 1957 erhielt die ESGiD von Seiten des BMG 15.000 DM für die Arbeit der Berliner Geschäftsstelle, 33.600 DM für die Förderung der Arbeit in der DDR, 5.000 DM als Beihilfe für die Beschaffung von Einrichtungsgegenständen für Evangelische Studentenwohnheime in der DDR und 30.000 DM für Bücherspenden in die DDR. Vgl. Abrechnung der Zuschüsse vom 19.6.1958 (EZA BERLIN, 36/211). 54 Abdruck in: DOKUMENTE, III. Reihe, Bd. 3/3, S. 2108f. 55 G. VETTER, Kontakte, S. 880. 56 W. KRABBE, Deutschland, S. 59. 57 Vgl. K. PLÜCK, Verbindungen, S. 295, Anm. 1. Während 1957 noch 2,6 Millionen Westdeutsche in die DDR und zu mehrtägigen Aufenthalten nach Ost-Berlin reisen konnten, waren es 1958 nur noch 670.000 (EBD.).

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nungen im Vergleich zu 1957 stattfinden58. Dennoch betonte man von Seiten des Gesamtkirchlichen Ausschusses erneut, dass die „Krise“ der Begegnungsarbeit auch eine „innere“ sei. Auf der gesamtkirchlichen Mitarbeitertagung am 20. Februar 1958 in Frankfurt am Main verdeutlichte Lauk die seit Ende 1957 durch den Ausschuss vertretenen Positionen zu den Grundlagen und der Zukunft der Begegnungsarbeit59. Ziel seines Referates war es, die „Schockwirkung“ an die westdeutschen Begegnungsleiter weiterzugeben und bei ihnen eine „Besinnung“ über das „Ob“ und „Wie“ der Begegnungen zu erreichen60. Dazu verwies er auf die schwierige Lage der evangelischen Jugend und die Gefahren einer Fortführung gesamtkirchlicher Arbeit speziell im Jugendbereich. Als „mindestens“ ebenso bedrohlich für die gesamtkirchliche Jugendarbeit wie die „Lebensbedingungen eines totalitären und atheistischen Regimes“ kennzeichnete Lauk das Auseinanderleben der evangelischen Jugend in beiden Teilen Deutschlands. Die Lösung der „Krise“ sah er in einer Begegnungsarbeit der kleinen Zahl sowie einer Transformation des Gesamtkirchlichen Ausschusses von einer Organisationszentrale zu einer geistlichen Beratungsstelle. Auch auf dem wenige Tage später stattfindenden Kurs in Friedewald plädierte Lauk für eine „Selbstbesinnung“61. Sein eigener Beitrag hierzu offenbarte aber, dass die „innere Krise“ der Begegnungsarbeit auch und gerade eine theologisch und politisch motivierte Unzufriedenheit der Leitungsebene mit deren Gestalt war. Lauk kritisierte in Friedewald sehr grundsätzlich das bisherige „Gesicht der Begegnungen“. An die Stelle des selbstverständlichen Zusammengehörens sei im Zuge der andauernden Teilung ein „So-Tun-als-ob“ getreten. Die Begegnungen der letzten Jahre seien bewusst oder unbewusst, so sein Vorwurf, von der Hoffnung auf eine politische Wiedervereinigung nach westlichen Vorstellungen und einer Ignoranz gegenüber der Realität der DDR bestimmt gewesen. Die bisherigen Begegnungsfreizeiten hielt er für einseitig westlich geprägt. Man habe die Gäste aus der DDR nicht an ihrer Gestaltung und Leitung beteiligt, sie seien zahlenmäßig stets in der Minderheit gewesen, man habe sie wie selbstverständlich als Regimegegner betrachtet und es selbst nicht für nötig erachtet, sich auf die Begegnung mit den Jugendlichen aus der DDR vorzubereiten. Dadurch aber, so Lauk, seien die ostdeutschen Teilnehmer durch die Begegnungen für ihre christliche Existenz in der DDR nicht gestärkt, sondern geschwächt worden. Sie erlebten nach ihrer Rückkehr einen Schock bzw. „Kater“. Für Lauk war mit dem Jahr 1957 eine „Periode zu Ende“ gegangen und eine Krise offenbar geworden, „die auch ohne Einwirkung der DDR-Regierung, ohne Reiseverbot, ohne neue Verfolgungswelle nicht aufzuhalten war“. Hierfür nannte er vier Ursachen: Zum einen seien die heutigen Jugendlichen bereits als DDR- und Bundesbürger sozialisiert worden und vollauf damit beschäftigt, sich mit ihrer eigenen

58 Antrag von Lauk „Zur Neuregelung der Betreuung von Besuchs-Fahrten und Ost-West-Ersatz-Begegnungen in Berlin“, 11.11.1959 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 59 Referat Lauks: „Die Grundlagen gesamtkirchlicher Jugendbegegnungen“ (EBD.). 60 So eine handschriftliche Notiz auf dem mit Schreibmaschine geschriebenen Manuskript (EBD). 61 „Gesamtkirchliche Jugendarbeit. Aufgaben und Probleme“. Referat von Lauk auf dem FriedewaldKurs am 22.2.–1.3.1958 (Aaej HANNOVER, GKA-Aktionen).

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Umwelt auseinanderzusetzen. Das gleichzeitige Hineindenken in eine ihnen völlig fremde Umwelt überfordere sie. So wachse inzwischen Indifferenz und Desinteresse nicht allein in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR. Zum zweiten stelle sich den evangelischen Jugendlichen als Bürger zweier verschiedener Staaten die Frage, wie die gelebte geistliche Einheit mit der Loyalität gegenüber dem eigenen Staat vereinbar sei. Als dritten Grund nannte Lauk den „politischen Trend“, der in der Bundesrepublik dahin gehe, sich mit der Tatsache der Trennung abzufinden und glücklich darüber zu sein, „im richtigen Boot“ zu sitzen. In der DDR hingegen vollziehe sich der wachsende Ausbau des Sozialismus. In der Kirche wiederum, so kritisierte er, habe man bislang die gesamtkirchliche Einheit zu vordergründig, zu einseitig westlich und als zu selbstverständlich betrachtet. Angesichts dieser Entwicklungen zwischen 1945 und 1957, so lautete seine Schlussfolgerung, sei heute nicht nur die Einheit von EKD und AGEJD fraglich geworden, sondern auch die „Darstellbarkeit echter Begegnungen“. Auf der Friedewald-Tagung suchte daher eine Arbeitsgruppe nach „neue[n] Wege[n] für Begegnungen“62. Sie fand drei: Als Formen von „geistliche[r] Hilfe“ nannte sie die gleichzeitige Fürbitte nach einem gemeinsamen Gebetsplan, die Verwendung gleicher Erklärungen zur Bibellese oder gleicher Andachtshilfen in miteinander korrespondierenden Kreisen, den Briefwechsel unter seelsorgerlichem Aspekt mit kirchlichen Mitarbeitern oder unter Jugendlichen sowie die Weiterleitung von ökumenischen Informationen an die Mitarbeiter in der DDR. Auch unter dem Stichwort „Praktische Hilfen“ wurden ausschließlich mittelbare Kontaktaufnahmen aufgelistet. Dazu zählten der Austausch von Schrifttum sowie die einseitige Lieferung von materiellen Gütern in die DDR. Zuletzt kam man unter dem Oberbegriff „Besuchsdienst“ auch auf die Formen unmittelbarer Kontaktaufnahme. Hierfür sollte eine Liste jener Gemeindeglieder erstellt werden, die Verwandte in der DDR hatten. Man wollte erproben, ob von diesen Jugendlichen mehrere gleichzeitig in die DDR fahren konnten, um auf diesem Wege kleine Gruppenbegegnungen zu ermöglichen. Die Arbeitsgruppe hielt es ferner für erwägenswert, Einreisemöglichkeiten zu Messen und anderen Veranstaltungen für Begegnungen zu nutzen sowie gemeinsame Freizeiten in Berlin zu veranstalten. Vor allem letztere Form der Kontaktpflege, die Ost-West-Begegnung in Berlin, wurde ab 1958 zum Standard in der Begegnungsarbeit der evangelischen Jugend. Da die Ost-West-Begegnungen in der Bundesrepublik unmöglich und West-Ost-Begegnungen in der DDR schwierig waren, wurde verstärkt auf Berlin als Treffpunkt zurückgegriffen. 1958 fanden in Berlin bereits 38 solcher Ost-West-Ersatzbegegnungen zwischen Patengebieten auf bezirklicher oder örtlicher Ebene statt. Von den ca. 1.000 Teilnehmern kam je die Hälfte aus West- und Ostdeutschland, d. h. es wurde bei den Treffen in Berlin ein ausgewogenes Zahlenverhältnis zwischen Ost und West erreicht63. Zusätzlich zu diesen Begegnungstreffen fanden 1958 noch 134 Besuchsfahrten evan62 Arbeitsgruppe III: Hinweise für die praktische gesamtkirchliche Arbeit (EBD.). 63 Zur Neuregelung der Betreuung von Besuchsfahrten und Ost-West-Ersatz-Begegnungen in Berlin. Verfasst von Lauk am 11.11.1959 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung).

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gelischer Jugendgruppen mit 3.700 westdeutschen Teilnehmern nach Berlin statt. Derlei Fahrten wurden seit April 1957 durch den Bundesjugendplan gefördert und sollten nach Vorstellung des staatlichen Geldgebers der staatsbürgerlichen und politischen Bildung dienen64. Diese Besuchsfahrten sowie die Begegnungstreffen in Berlin zwangen den Gesamtkirchlichen Ausschuss, sich erneut mit organisatorischen Fragen zu beschäftigen. Die Schwerpunktverlagerung von der praktisch-organisatorischen Arbeit hin zu einer beratenden und konzipierenden Tätigkeit des Gesamtkirchlichen Ausschusses, wie sie insbesondere Lauk anstrebte65, konnte daher nur teilweise vollzogen werden. Zwar wurde auf der Frühjahrssitzung 1958 über „Konfirmation und Jugendweihe“ und auf der Herbstsitzung über die Aufgaben und Probleme evangelischer Jugendarbeit in Ost und West referiert, daneben stand aber noch gleichberechtigt die Lösung technischer Fragen der Begegnungsarbeit66. Angesichts der Zunahme von Gruppenbesuchsfahrten, Ost-West-Ersatz-Begegnungen und auch Arbeitstagungen der AGEJD67 in Berlin wurde sogar die Einrichtung einer eigenen zentralen Tagungs- und Begegnungsstätte in Berlin erwogen68. Nach Änderung des Passgesetzes durch die DDR waren auch in den Studentengemeinden die ohnehin schon stark eingeschränkten Möglichkeiten, dass ostdeutsche Gemeindeglieder ihre westdeutschen Patengemeinden an deren Hochschulort besuchen konnten, völlig beseitigt. Lediglich einzelne ostdeutsche Studentenpfarrer erhielten die Erlaubnis, in die Bundesrepublik zu reisen69. Da sich die Lage der Studentengemeinden in der DDR im Laufe des Jahres etwas beruhigte, konnten jedoch trotz der Reisebeschränkungen die Kontakte unter den Patengemeinden 1958 neu belebt und teilweise auch ausgebaut werden70. Als Treffpunkt blieb jedoch zumeist nur Berlin. Dort trafen sich in der Regel zwischen 20 und 40 Studenten tagsüber in kirchlichen Räumen in Ost-Berlin, am Abend aber mussten die westdeutschen Teilnehmer nach West-Berlin zurückkehren, um dort zu übernachten71. Bezuschusst wurden diese Pa64 1957 waren bereits 70 evangelische Jugendgruppen mit 1.500 Teilnehmern nach Berlin gefahren. Vgl. EBD. 65 Bericht der Geschäftsführung auf der Sitzung des GKA der AGEJD am 24./25.4.1958 (EBD.). 66 Vgl. eine Aktennotiz Lauks vom 2.9.1960 über die Entwicklung der Arbeit des GKA der AGEJD zwischen 1956 und 1960 (Aaej HANNOVER, GKA-Vorsitzende). 67 Zwischen Januar und September 1958 fanden 70 Vollversammlungen, Fachtagungen, Arbeitsausschüsse und Ost-West-Begegnungen für Mitarbeiter auf Länder- bzw. Werksebene in Berlin statt. Vgl. Antrag auf Einrichtung „einer zentralen Tagungs- und Begegnungsstätte der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend Deutschlands in Berlin“ vom 25.9.1958 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 68 EBD. 69 Bericht über die Arbeit der ESG in der „SBZ“ im Jahre 1958 (EZA BERLIN, 36/211). 70 EBD. 71 Berichte über Patengemeindetreffen 1958 in Berlin finden sich im EZA BERLIN, 36/167. Genaue Angaben über die Gesamtzahl der Treffen sind nicht möglich, da die Geschäftsstelle nicht über alle Treffen informiert wurde. Auf Grund der Unterlagen im EZA lassen sich für das Jahr 1958 zwölf Treffen nachweisen.

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tengemeindetreffen auch weiterhin durch das BMG und die Franz-Lieber-Stiftung, doch bemühte man sich verstärkt um die Geheimhaltung dieser Finanzierung72. Wie bei der Evangelischen Jugend fuhren auch Glieder aus den westdeutschen Studentengemeinden zu Exkursionen nach Berlin und wurden dort durch Vorträge mit der Situation in der geteilten Stadt und der Lage in der DDR vertraut gemacht73. Zudem fanden gesamtdeutsch besetzte Tagungen der ESGiD – wie die Arbeitstagung der studentischen Referenten für Weltmission, die Studentenpfarrerkonferenz sowie die Fachschulkonferenz – in Berlin statt. War somit Berlin der zentrale Begegnungsort für die Studentengemeinden aus der DDR und der Bundesrepublik, so fanden im Herbst 1958 doch vereinzelt auch Treffen von Patengemeinden in der DDR statt74. In einem „Merkblatt für Patenbeziehungen zwischen den Studentengemeinden in Ost- und Westdeutschland“ vom Juni des Jahres hatte die Hauptgeschäftsstelle noch dringend von solchen „privaten“ Gemeindebesuchen in der DDR auf der Basis von teilweise „eigens dazu erfundenen ‚Verwandtschaftsgraden‘“ abgeraten75. Dieser wie die anderen in dem Merkblatt enthaltenen Ratschläge beruhten auf einem Erfahrungsaustausch zwischen der Stuttgarter und der Berliner Geschäftsstelle sowie auf der gesamtdeutschen Studentenpfarrerkonferenz in Treysa. Angesichts der schwierigen Situation wurde empfohlen, vornehmlich auf mittelbaren Wegen die „geistliche Verbindung“ aufrechtzuerhalten. Die Studentengemeinden sollten den Informationsstand übereinander erhöhen, sich wechselseitig Vorträge, Predigten oder Bibelstundentexte zusenden, im Rahmen eines Briefwechsels Bücher von West nach Ost schicken sowie Fürbitte für die inhaftierten oder bedrängten Studentenpfarrer und Studenten in der DDR halten. Um aber auch den unmittelbaren Kontakt nicht gänzlich abreißen zu lassen, wurde geraten, noch stärker Berlin als Begegnungsort zu nutzen. Sehr konkrete Vorstellungen von Grundlagen und Gestalt der Patentreffen in Berlin hatte der Student Lothar Scheib. Als West-Berliner Obmann war er in erster Linie verantwortlich für die Patenbeziehungen in der ESGiD. Er korrespondierte mit den Gemeinden, koordinierte deren Treffen in Berlin, beriet die Teilnehmer vor Ort, hielt ständig Verbindung mit der Geschäftsstelle in Ost-Berlin, erarbeitete mit den Stuttgarter Mitarbeitern die jeweils gültigen Richtlinien für die Patenarbeit und brachte 72 Regierungsrätin Hampel (BMG) stellte Generalsekretär Kreyssig am 3.1.1958 einen Ermächtigungsbetrag von 125.000 DM für Ost-West-Treffen zur Verfügung, um die Teilnehmer über die wahre Herkunft des Geldes im Unklaren zu lassen (EZA BERLIN, 36/210). Abrechnungen mit der Franz-Lieber-Stiftung über Zuschüsse zu Patengemeindetreffen finden sich im EZA BERLIN 36/168. 73 So plante beispielsweise Friedrich Uloth vom Ost-West-Arbeitskreis der ESG Bonn einen Aufenthalt von 25 Bonner Studentengemeindegliedern vom 29.12.1958 bis 5.1.1959 in Berlin, wo sie über folgende Themen Referate hören sollten: Die politische und wirtschaftliche Stellung Berlins, Rechtsauffassung und Rechtspraxis in der DDR, Staat und Kirche in der DDR, Hochschule und Student in der DDR. Vgl. Uloth an Marquardt, 10.11.1958 (EZA BERLIN, 36/300). 74 Vom 25.9. bis 3.10.1958 waren z. B. zehn Mitglieder der ESG Stuttgart zu Gast bei ihrer Patengemeinde in Dresden. Vgl. hierzu und zu anderen Treffen in der DDR die Abrechnungen im EZA BERLIN, 36/170. 75 Unterzeichnet war das Merkblatt vom studentischen Obmann Bartels (EZA BERLIN, 36/300).

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seine Vorstellungen in die Planung der langfristigen Konzeption für die ESGiD ein. Ende des Jahres hatte das ESG-Mitglied Günter Bosse Scheib schriftlich um Hilfe bei der Vorbereitung eines Berlinbesuchs von hannoverschen Studenten gebeten. In seinem sehr harschen Antwortbrief vertrat Scheib Positionen, wie sie zur gleichen Zeit ähnlich im Gesamtkirchlichen Ausschuss der AGEJD zu finden waren. Auch nach Scheibs Ansicht konnte es die alten „Patenfreizeiten“, die auf der Ablehnung des „verhaßte[n] Provisorium[s]“ DDR und der Hoffnung auf eine staatliche Wiedervereinigung nach westlichem Muster beruhten, am Ende der 50er Jahre nicht mehr geben76. Denn diese „teilweise unbewußten Voraussetzungen“ seien bei den jungen Christen in der DDR nicht mehr vorhanden. Bei den Westdeutschen sei hingegen „inkonsequenterweise nur die Hoffnung auf baldige Wiedervereinigung“ geschwunden. Das Passgesetz der DDR war nach Meinung Scheibs nicht der „Beginn vom Ende des tradierten Patenverkehrs, sondern legte ihm nur die letzten, äußerlich sichtbaren Knüppel in den Weg.“ Die heutigen Glieder der Studentengemeinden in der DDR, die größtenteils noch nie in West-Berlin oder der Bundesrepublik gewesen waren, hätten, spitzte Scheib zu, vermutlich gar keine Interesse mit hannoverschen Kommilitonen zusammenzukommen, die als Motivation für ihre Kontaktsuche anführten, die „armen Brüder im Osten“ nicht vergessen zu wollen. Die ostdeutschen Studentengemeinden bräuchten vielmehr gut informierte „Brüder“, um mit ihnen gemeinsam über das Christsein in einer atheistischen Umwelt nachzudenken. Scheib forderte ein reziprokes Patenverhältnis. Bei den Patengemeinden müsse ausprobiert werden, „was es mit der Einheit der Kirche auf sich hat, ob wir mit den Christen von drüben sprechen können, ohne aneinander vorbeizureden, ob wir uns noch gegenseitig helfen, beeinflussen, korrigieren lassen, in dem was jeder in seiner Gemeinde und in seiner Situation tut.“

Auf kurzen Arbeitstagungen sollten sechs bis acht gut vorbereitete Glieder aus jeder Gemeinde sowie die jeweiligen Studentenpfarrer offene Gespräche führen. Nur in dieser Gestalt hatten in Scheibs Augen Patenbeziehungen angesichts der starken äußerlichen Behinderungen, Gefährdungen und Begrenzungen gegen Ende der 50er Jahre noch einen Sinn. Bosse reagierte auf diesen belehrenden Brief mit dem Kommentar: „Ich denke, ganz so dramatisch sollten wir die ‚Sache‘ nicht auffassen!“ Allerdings wollte er sich bemühen, Scheibs Ansichten von einem Patentreffen „in etwa zu entsprechen“.77 Die inhaltliche Ausgestaltung sowie die organisatorische Betreuung der Begegnungen in Berlin beschäftigten ESGiD und AGEJD auch noch 1959. Beide Sitzungen des Gesamtkirchlichen Ausschusses in diesem Jahr sowie eine Arbeitstagung der gesamtkirchlichen Beauftragten aus der Bundesrepublik und der DDR im Juni waren von diesen Fragen bestimmt78. Denn auch 1959 fuhren mehrere tausend Glieder der Evan76 Brief vom 6.12.1958 (EZA BERLIN, 36/300). 77 Bosse an Scheib, 17.12.1958 (EBD.). 78 Vgl. Aktennotiz Lauks über die Entwicklung der Arbeit des GKA der AGEJD zwischen 1956 und 1960, 2.9.1960 (Aaej HANNOVER, GKA-Vorsitzende).

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gelischen Jugend nach Berlin. So trafen sich 1.200 westdeutsche mit 600 ostdeutschen Jugendlichen. Zudem nahmen 3.500 evangelische Jugendliche an 169 Gruppenfahrten nach Berlin teil. Damit stellte die evangelische Jugend der Bundesrepublik etwa ein Viertel aller Jugend-Besuchs-Gruppen, die nach Berlin fuhren79. Auf der Novembersitzung des Ausschusses wurde in langwierigen Verhandlungen die Zusammenarbeit der Stuttgarter Geschäftsstelle mit dem Landesjugendpfarramt Berlin bei der Betreuung von Berlin-Besuchsfahrten und „Ost-West-Ersatzbegegnungen“ evangelischer Jugendgruppen in Berlin geregelt80. Der Gesamtkirchliche Ausschuss beschloss, sowohl die zentrale Betreuung der Ersatzbegegnungen als auch der Besuchs-Fahrten als notwendige Aufgaben der AGEJD zu betrachten. Er bat daher die Leitung der AGEJD, Personal- und Sachkosten für die organisatorische und geistliche Betreuungsarbeit in Berlin zu finanzieren81. Dies erfolgte ab 1. April 1960. Bei den Studentengemeinden fiel durch die Verlagerung der Patenbegegnungen in die geteilte Stadt vor allem für die Berliner Geschäftsstelle erhebliche Mehrarbeit an82. Diese Betreuungsleistung wurde von Seiten des BMG ebenso bezuschusst83 wie die Treffen selbst, deren Zahl sich 1959 stark erhöhte84. Vereinzelt gab es in diesem Jahr auch noch Begegnungen in der DDR85. Zum Teil kamen sie durch Einladungen zustande, die von staatlichen Stellen in der DDR ausgesprochen wurden. So ließen sich z. B. Mitglieder der evangelischen Jugend und der Studentengemeinde Dortmunds offiziell vom Rat der Stadt Leipzig einladen und nahmen während ihres Aufenthalts in Leipzig im Oktober Kontakt zu ihrer Patengemeinde auf86. Sowohl in der DDR als auch in Berlin trafen sich gleich mehrmals in diesem Jahr Mitglieder der Patengemeinden von Frankfurt am Main, Göttingen und Halle87. Auf ihrer Begegnung in 79 Antrag Lauks „Zur Neuregelung der Betreuung von Besuchs-Fahrten und Ost-West-Ersatz-Begegnungen in Berlin“, 11.11.1959 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 80 Vgl. Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 2.11.1959; Gedächtnisprotokoll des Unterausschusses des GKA der AGEJD am 3.11.1959 (EBD.). 81 Vgl. Beschluss vom 3.11.1959 und den Antrag Lauks „Zur Neuregelung der Betreuung von Besuchs-Fahrten und Ost-West-Ersatz-Begegnungen in Berlin“, 11.11.1959 (EBD.). 82 Bericht über die Arbeit der ESG in der „SBZ“ im Jahre 1959 (EZA BERLIN, 36/211). Für 1959 lassen sich insgesamt 30 Ersatz-Patentreffen in Berlin sowie Berlinfahrten, die zumeist mit einer Begegnung mit Gliedern der ESG der Humboldt-Universität verbunden waren, nachweisen (EZA BERLIN, 36/169–174, 300). 83 1959 erhielt die ESGiD für ihre „Arbeit in der SBZ“: 15.000 DM für die Berliner Geschäftsstelle, 30.000 DM für die Förderung der Arbeit in der „SBZ“ und 17.000 DM für Bücher- und Schallplattenspenden für die „SBZ“. Abrechnung P. Kreyssigs vom 23.6.1960 über die Zuschüsse des BMG für das Jahr 1959 (EZA BERLIN, 36/211). 84 Zuschüsse für die Begegnungen kamen zudem auch weiterhin von Seiten der Franz-Lieber-Stiftung. 85 Für 1959 lassen sich sieben solcher Treffen auf dem Gebiet der DDR nachweisen. (EZA BERLIN, 36/169–174, 300). 86 Bericht von Pfarrer G. v. Schlippe über den Besuch von Leipzig (inoffiziell: Treffen der Jungen und Studentengemeinde) vom 17.–22.10.1959 (EZA BERLIN, 36/172). 87 Patengemeindetreffen der ESG Frankfurt/M. in Halle 10.–20.3.1959, Patengemeindetreffen der ESG Frankfurt/M. in Halle 18.–23.4.1959, Patengemeindetreffen der ESGn Göttingen und Halle

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Berlin Ende November diskutierten zwölf Studenten aus Halle, neun aus Göttingen und vier aus Frankfurt zusammen mit dem Hallenser und dem Göttinger Studentenpfarrer über das Thema: „Der politische Aspekt der christlichen Hoffnung“88. Das Gespräch im Anschluss an Bibelarbeit und Vortrag drehte sich dabei vor allem um die außen- und innenpolitischen Bedingungen für eine Lösung der deutschen Frage, die 1959 im Zeichen des Berlin-Ultimatums noch einmal im Zentrum der internationalen Diplomatie stand. Über die Staats- und Gesellschaftsordnung eines wieder vereinigten Deutschlands waren die Meinungen der Studenten geteilt. Es gab keinen Konsens darüber, ob die individuellen oder die sozialen Rechte Priorität haben sollten. Die einen hielten den „sozialistische[n] rechtsstaatliche[n] Wohlfahrtsstaat“ für erstrebenswert, die anderen den „soziale[n] Rechtsstaat“89. Auch bei den Treffen anderer Patengemeinden wurde 1959 die Frage der Wiedervereinigung und damit verbunden die Obrigkeitsfrage respektive die Frage nach dem Verhältnis des Christen zum Staat diskutiert. Eine Aachener Studentin gewann z. B. auf ihrem Patentreffen in Potsdam im April den Eindruck, dass die Ostdeutschen die Hoffnung auf „Hilfe vom Westen“ endgültig aufgegeben hätten und versuchten, die politische und menschliche Situation in der DDR „als Dauerzustand anzunehmen“, um von dieser Position aus ihr Leben innerhalb der gegebenen Möglichkeiten so gut und sinnvoll wie möglich zu gestalten90. Die sechs Karlsruher Studentengemeindeglieder, die sich im Frühjahr mit Vertretern der ESG der Humboldt-Universität trafen, nahmen in den Gesprächen bei ihren ostdeutschen Kommilitonen einen „Gesinnungswandel“ wahr91. Man sei zwar über die großen Mängel und teilweise unhaltbaren Zustände in der DDR mit den HumboldtStudenten einig gewesen, aber dennoch seien bei diesen die politische und die theologische Auseinandersetzung mit dem Staat „in ein völlig neues Stadium“ getreten. Theologisch werde jeder aktive Widerstand abgelehnt, politisch herrsche in der Wiedervereinigungsfrage eine große Resignation. Die ostdeutschen Studenten, so die Erfahrung der Karlsruher, verfolgten sowohl die westliche wie auch die östliche Außenpolitik mit „unverhohlener Skepsis“. Auf ihrem Berlin-Treffen diskutierten vier Mitglieder der Heidelberger Theologischen Fachschaft mit ihren vier Greifswalder Kommilitonen über den von Dibelius ausgelösten Obrigkeitsstreit. Schnell waren sie sich darin einig, dass auf der Grundlage von Römer 13 keine Staatsform legitimiert bzw. delegitimiert werden konnte92. Eine Ordnungsfunktion, wie sie in Römer 13 dem Staat zugeschrieben wurde, nahm auch der ostdeutsche Weltanschauungsstaat wahr. In der sich anschließenden Diskussion über die Existenzmöglichkeiten von Christen 22.–24.5.1959, Patengemeindetreffen der ESGn Halle, Göttingen, Frankfurt/M. in Berlin 28./29.11. 1959 (EZA BERLIN, 36/169, 170, 172, 300). 88 Bericht des Frankfurter Studenten Horst Herrschaft über das Treffen am 28./29.11.1959 in Berlin (EZA BERLIN, 36/172). 89 EBD. 90 Bericht von Magdalene Schauf vom 12.5.1959 (EZA BERLIN, 36/171). 91 Anonymer Bericht über die Berlinfahrt einer Gruppe der Studentengemeinde Karlsruhe vom 27.4.–4.5.1959 (EZA BERLIN, 36/171). 92 Anonymer Bericht über das Treffen vom 26.–30.11.1959 (EZA BERLIN, 36/173).

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in einem atheistischen Staat setzten sich die ost- und westdeutschen Theologiestudenten mit der Position von Martin Fischer auseinander, wonach Gott auch in der DDR präsent war und der einzelne vor Ort das Beste aus seiner Situation machen sollte. Die Greifswalder Studenten hielten Fischers Überlegungen „als zu sehr vom Westen aus gesprochen“93. Neben den Treffen einzelner Patengemeinden fanden 1959 in Berlin auch eine große gesamtdeutsche Studentenpfarrerkonferenz sowie zwei größere Begegnungskonferenzen zwischen Delegierten sämtlicher Studentengemeinden aus beiden deutschen Staaten statt. Die im Oktober abgehaltene Studentenpfarrerkonferenz war mit über 90 Pfarrern, davon 34 aus der DDR, die bisher größte ihrer Art94. Da 1958 sowohl in den Studentenpfarrämtern als auch in den beiden Geschäftsstellen ein starker personeller Wechsel stattgefunden hatte, diente die Konferenz auch dem wechselseitigen Kennenlernen. Daneben wurde aus den Studentengemeinden in der DDR und der Bundesrepublik informiert, was fast nur noch auf solchen Treffen erfolgen konnte. Trotz der dabei ausgemachten deutlichen Unterschiede in der Arbeit in Ost- und Westdeutschland stellte sich hingegen bei der Beschäftigung mit dem zentralen Thema der Konferenz, der Frage der Verkündigung in der Gegenwart, eine „beachtliche Einheit“ heraus. In beiden deutschen Staaten wurden folgende theologischen Fragen als besonders „brennend“ empfunden: die „Verkündigung durch das Leben einer Gruppe“, die „Neuformulierung christlicher Botschaft angesichts neuer gesellschaftlicher Phänomene“ sowie die seelsorgerlichen Fragen, die aus dem Wehrdienst von Studenten in Ost und West erwuchsen. Neben den theologischen Diskussionen gab es auf der Konferenz auch Gespräche über die technische Vorbereitung und inhaltliche Ausgestaltung von Patentreffen. Zudem wurden Bücherwünsche weitergegeben, Bibelarbeiten ausgetauscht sowie Fürbittgottesdienste zu bestimmten Terminen und mit besonderen Anliegen miteinander abgesprochen95. Hinter den so genannten Begegnungskonferenzen, die im März und November in Berlin stattfanden, stand der Wunsch, sich geistig (wieder-)anzunähern, zu einem neuen gemeinsamen Verständnis der Arbeit zu gelangen und damit auch die Patenarbeit positiv zu beeinflussen96. Hierzu sollte eine Bestandsaufnahme aller jener Fragen gemacht werden, welche die Studentengemeinden in der DDR oder in der Bundesrepublik oder in beiden Teilen Deutschlands beschäftigten. Diese wollte man dann in Gruppen- und Einzelgesprächen thematisieren97. Bei der Konferenz im November trafen sich die westdeutschen und West-Berliner Teilnehmer einige Stunden vor Beginn, um sich gegenseitig über ihre eigene Situation zu informieren und sich von einem kompetenten Studenten aus Ost-Berlin über die dortige Entwicklung der letz-

93 EBD. 94 Bericht über die Gesamtdeutsche Studentenpfarrerkonferenz am 12.–16.10.1959 (EZA BERLIN, 36/172). 95 EBD. 96 Bericht über die Arbeit der ESG in der „SBZ“ im Jahre 1959 (EZA BERLIN, 36/211). 97 Bericht von der Begegnungskonferenz in Ost-Berlin am 27.–29.11.1959 (EZA BERLIN, 36/337).

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ten Zeit berichten zu lassen. Auf diese Weise sollte vermieden werden, dass während der Tagung die wenigen gemeinsamen Stunden durch reine Informationsfragen belastet wurden. Im Zentrum der Konferenz selbst stand die Frage nach den Aufgaben der Gemeinde in der modernen Hochschule. Hierzu wurden zwei Referate sowie zwei Bibelarbeiten gehalten. Am zweiten Tag arbeiteten dann circa 40 ostdeutsche und circa 30 westdeutsche Studenten98 in kleinen, gemischten Gruppen zu verschiedenen Fragen zum Thema „Gemeinde“ und „was es heißt, evangelischer Student zu sein“. Der dritte Tag war von Gottesdienst, zusammenfassender Plenumssitzung und der Verhandlung praktischer Fragen ausgefüllt99. Solchermaßen planvolles Sich-Begegnen und Miteinander-Arbeiten von Ost und West stellte sich der Gesamtkirchliche Ausschuss auch für die Patengemeindetreffen in Berlin vor. Vor allem aber bestand er in seinem „Rüstbrief für gesamtkirchliche Begegnungen der Evangelischen Jugend Deutschlands in Berlin“ vom März 1960 darauf, dass die wenigen noch möglichen Begegnungen, die „nach wie vor legitimes Recht und unaufgebbare Verantwortung“ seien, „unbedingt ein geistliches Schwergewicht“ haben müssten100. Das hieß zum einen, dass das Kulturprogramm in der Großstadt Berlin nicht überwiegen durfte, zum anderen, dass das „Zusammensein als Junge Gemeinde [. . .] außerhalb der ideologischen und politischen Auseinandersetzung“ stattfinden musste. In sieben weiteren „Grundsätzen“ wurde beschrieben, wie eine solche „gesamtkirchliche Bibelrüstzeit“ vorbereitet und gestaltet werden sollte. Ziel jeder Bibelrüstzeit war es demnach, dass junge Christen aus beiden Teilen Deutschlands miteinander dem Evangelium begegneten und so untereinander Gemeinschaft hatten. Dies setzte voraus, dass die Rüstzeit, die nicht weniger als sieben Tage dauern sollte, von Verantwortlichen aus beiden Teilen gemeinsam geplant und auch geleitet wurde. Die Teilnehmer sollten über 18 Jahre alt sein, sich auf die Begegnung vorbereiten und das Patenamt nicht nur als „Freundschaft und innere Verbundenheit“ auffassen, sondern als das Wahrnehmen geistlicher Aufgaben. Statt „Mitleid oder Pathos“ sollte „Sachlichkeit und Nüchternheit“ das Gespräch prägen. Als Themen für Bibelarbeiten und Referate wurden vorgeschlagen: „Gemeinde und Welt“, „Volk und Kirche“, „Christliche Lebensbewältigung des jungen Menschen“, „Von der Freiheit des Christenmenschen“. Darüber hinaus empfahl der Ausschuss gegenseitige Arbeitsberichte, wechselseitige Information über die allgemeine Situation und besondere Probleme sowie gemeinsame Mitarbeiterschulungen auch auf Sondergebieten der Jugendarbeit. Damit sich aus der Begegnung auch eine bleibende Gemeinschaft entwickeln konnte, empfahl man eine gemeinsame Fürbitten-Ordnung, Einzelbesuche, Briefwechsel, den

98 Die ostdeutschen Studenten waren Vertreter der „Kleinen Arbeitskonferenz“ der Studentengemeinden der DDR, die bundesdeutschen Studenten Vertreter der DK der Studentengemeinden in der Bundesrepublik. 99 Vgl. EBD. und Kurzprotokoll der letzten Plenarsitzung bei der KLAK-Begegnungskonferenz am 29.11.1959 nachmittags (EZA BERLIN, 36/337). 100 Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung.

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Austausch von Arbeitsmaterial und die Verabredung einer weiteren Begegnung in Berlin. Neben dem Rüstbrief sollten noch zwei weitere Mittel dafür sorgen, die Qualität der Begegnungen zu erhöhen. So nahm der Geschäftsführer des Ausschusses während sieben längeren dienstlichen Aufenthalten in Berlin selbst gestaltend und referierend an gesamtdeutschen Begegnungen teil101. Zudem verweigerte die Geschäftsführung in drei Fällen wegen mangelhafter Vorbereitung oder ungeeigneter Begegnungsleitung eine Bezuschussung aus dem Vorlagefonds des Bundesministeriums für Familien- und Jugendfragen. 87 Berlintreffen konnten hingegen stattfinden und führten 2.200 Jugendliche und Jugendleiter aus der Bundesrepublik mit etwa 1.500 Teilnehmern aus der DDR zusammen. Daneben fanden zwei Gruppen- und 28 Einzelreisen in die DDR statt. Die eine Gruppenfahrt wurde von der Jungen Gemeinde Darmstadt aus Anlass des 400. Todestages von Melanchthon in die Patengemeinde Wittenberg unternommen, eine zweite Gruppe benutzte die Einreisemöglichkeit zur Leipziger Herbstmesse. Die Einzelreisen führten überwiegend nach Thüringen, aber auch nach Sachsen, Brandenburg, in die Kirchenprovinz Sachsen und nach Anhalt. Etwa 80 % der Anträge auf Aufenthaltsgenehmigungen wurden jedoch abgelehnt, weil keine verwandtschaftlichen Beziehungen vorlagen. Dabei erwies sich die Verhaltensweise der Dienststellen in der DDR als ausgesprochen uneinheitlich. Trotz der rigorosen Absperrmaßnahmen konnten 1960 auch Jugendliche aus DDR auf dem „illegalen“ Flugweg über Berlin an zehn Frei- und Rüstzeiten in der Bundesrepublik teilnehmen. In seinem Bericht über die Ost-West-Begegnungen des Jahres 1960 zeigte sich Lauk mit deren Qualität zufrieden. Im Hinblick auf die Teilnehmer und deren „geistliche[n], charakterliche[n] und menschliche[n] Rang“ sprach er sogar von einer „Elite“. Bei den Zusammenkünften habe sich gezeigt, dass „trotz 15jähriger Trennung eine fundierte, echte Glaubensgemeinschaft zwischen jungen Christen gelegt werden“ konnte. Die Sammlung unter dem Wort Gottes und die Bereitschaft zu geistlicher Begleitung und Beratung, so berichtete er, hätten im Zentrum der gemeinsamen Arbeit gestanden. Der geistliche Spannungsbogen der Zusammenkünfte habe sich durch die verschiedenen Akzente ergeben, die auch in der evangelischen Jugend sichtbar seien. Bei den ostdeutschen Jugendlichen sei angesichts des gespannten Staat-KircheVerhältnisses und der Benachteiligung von Christen in allen Lebensbereichen das Gespräch vom „eschatologische[n] Aspekt“ bestimmt gewesen. Die westdeutschen Teilnehmer hätten sich hingegen auf die „christliche Verpflichtung im Hier und Jetzt dieser Welt“ konzentriert. Die in den Begegnungen „praktizierte, unsentimentale und mit fruchtbarer Spannung geladene geistliche Einheit“ hatte sich nach Ansicht Lauks als tragfähig erwiesen, um auch die partiellen Spannungen auszuhalten, die sich daraus ergaben, dass die Jugend beider Teilstaaten zunehmend ein „staatliches und gesellschaftliches Selbstgefühl“ entwickelten. Nach der Einschätzung von Lauk war dieses Selbstgefühl bei den jungen Christen in der DDR im Hinblick auf ihren 101 Sachlicher Bericht über die Arbeit des GKA der AGEJD im Rechnungsjahr 1960 (1.4.–31.12.1960) von Lauk, 16.11.1961 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung).

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„atheistischen und kommunistischen Staat“ zwar „eingeschränkter und bedingter“ als bei den Jugendlichen in der Bundesrepublik, doch war es vorhanden. Aus seiner Beobachtung zog der Geschäftsführer den Schluss, dass nach Wegen gesucht werden musste, wie junge evangelische Christen in beiden Teilen Deutschlands eine „echte Einheit als Junge Gemeinde“ bilden und zugleich „zwei in ihrer staatlichen Struktur, ihrer ideologischen Grundlegung und ihrer gesellschaftlichen Ordnung so verschiedenen Bereichen gerecht“ werden konnten. Diese Suche fiel nach Ansicht Lauks in den Aufgabenbereich des Gesamtkirchlichen Ausschusses. Denn noch immer bemühte sich der Geschäftsführer um eine Schwerpunktverlagerung in der Ausschussarbeit; nicht zuletzt deshalb, weil die praktisch-organisatorische Arbeit aufgrund der Reisebeschränkungen zurückging. 1960 hatte er mit seinem Bemühen Erfolg, denn von da an wurde stets einer der beiden Sitzungstage für „Grundsatzberatungen“ reserviert. Auf der Frühjahrssitzung 1960 referierte Johannes Hamel über das Thema „Vom rechten Weg der Christenheit in der DDR“102, auf der Herbstsitzung sprach Pfarrer Rießbeck über das Thema „Vom rechten Weg der Christenheit in der Bundesrepublik“103. In den langen und offenen Diskussionen nach den Referaten bot sich in dem kleinen Kreis des Gesamtkirchlichen Ausschusses die Möglichkeit, dass Ost- wie Westvertreter ihre Konzepte für die Jugendarbeit gegenseitig in Frage stellen ließen und bereit waren, bisherige Standpunkte zu revidieren. Bei den Studentengemeinden erfolgten derartige „Grundsatzberatungen“ im Vertrauensrat. Dieser musste sich 1960 aber auch mit der Regelung von organisatorischen Fragen der Patenarbeit auseinander setzen. Martin Fischer machte darauf aufmerksam, dass in Berlin so viele Ost-West-Konferenzen und -Treffen stattfanden, dass der Berliner Obmann der ESGiD sie organisatorisch kaum noch bewältigen konnte104. Um ihren Einfluss auf die Begegnungsarbeit nicht zu verlieren – da, was die ESGiD nicht täte, „andere tun würden“ –, forderte Fischer für Berlin einen hauptamtlichen Sekretär. Der Ost-Berliner Geschäftsstellenleiter Orphal befürchtete jedoch, dass die Patenarbeit durch eine Institutionalisierung für die DDR-Regierung in eine „falsche Optik“ gerückt würde. Dennoch entschloss sich der Vertrauensrat, für zwei Jahre einen Sekretär jüngeren Alters für die Geschäftsstelle in Berlin-Lichterfelde einzustellen. Dieser müsse aber, so die Vorgabe, „‚zwei Herren dienen‘ könne[n] – finanziell nach Westen und sonst mehr nach Osten.“105 Über die stets heikle Angelegenheit der „Finanzierung der Patenarbeit“ hatte im Februar bereits die Delegiertenkonferenz diskutiert106. Sie war überein gekommen,

102 Vgl. die stichwortartige, vom Referenten nicht durchgesehene und nicht autorisierte Mitschrift in: Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung. 103 Aktennotiz Lauks über die Entwicklung der Arbeit in den Sitzungen des GKA der AGEJD in den Jahren 1956 bis 1960 (Aaej HANNOVER, GKA-Vorsitzende). 104 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 7./8.5.1960 (EZA BERLIN, 36/378). 105 EBD. 106 Protokoll der DK der ESGiD am 23.–26.2.1960 (EZA BERLIN, 36/385).

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dass die ESGiD „sämtliche Geldquellen“, d. h. Gemeindekollekten, Mittel aus der Gesamtarbeit einschließlich der Spenden amerikanischer Gruppen, Firmenspenden, Mittel aus dem ASTA und den Hochschulbehörden sowie Gelder aus dem BMG, „gleichmäßig“ in Anspruch nehmen sollte. Damit wollte man eine überwiegende Finanzierung durch die Bundesregierung vermeiden, da die staatlichen Zuschüsse von den DDR-Gemeinden als „gezieltes Geld“ angesehen wurden, während sie nach der Auffassung der westdeutschen Studentengemeinden „reinen Tauschwert“ „ohne politisches Vorzeichen“ besaßen. So wie es die Studentengemeinden ablehnten, sich durch die Annahme staatlicher Gelder auf ein bestimmtes deutschlandpolitisches Programm zu verpflichten, so konnten auch kirchliche Gelder sie nicht auf eine bestimmte theologische oder kirchenpolitische Linie bringen. Im Sommer 1960 plante die ESGiD, in Berlin-Wannsee ein Haus der Begegnung für ca. 100 Gäste zu bauen, und beantragte hierfür bei der EKD 800.000 DM als Zuschuss107. Dibelius schrieb daraufhin an Generalsekretär Kreyssig einen Brief, in dem sich noch einmal der ganze Gegensatz zwischen dem Theologie- und Kirchenverständnis des Bischofs und dem einer neuen Generation von Studentenpfarrern in der DDR offenbarte. Dibelius, dem „die Gleichschaltung der gesamten Berliner Studentenarbeit und der Evang. Akademie des Ostens [. . .] seit langem die schwersten Kopfschmerzen“ bereitete, wies Kreyssig darauf hin, dass es „reichlich viel verlangt“ sei, „einer Kirche zuzumuten, ein System der Studentenseelsorge aufrechtzuerhalten, wenn diese Seelsorge in Verachtung der Kirche“ erfolge108. Seine Ablehnung der „modernen Theologie“, ihrer „Irrlehre“ von der „Solidarität mit dem Gottlosen“ und ihrer Distanz zur „Institution“ Kirche veranlassten den Bischof darüber hinaus zu der Aussage: „lieber überhaupt keine evangelische Studentenarbeit als diese!“ In seiner Antwort äußerte Kreyssig die Hoffnung, dass Dibelius die Mehrheit der Studentenpfarrer und Studenten in der DDR „nicht bei dieser Art von ‚Fortschrittlichen‘ einordne“, die aus Angst vor dem Kommunismus die eigene Kirche als „Prügelknaben“ vorzögen109. Es treffe diejenigen, die „manchen Wortführern dieser Richtung eine bornierte, emotionale Einseitigkeit“ vorwarfen, hart, so Kreyssig, wenn Dibelius jegliche theologischen Neuansätze unter dem Urteil „einer verkrampften Irrlehre“ zusammenfasse und im Namen der Kirche den Studentengemeinden die Vertrauensfrage stelle. Eine gewisse „emotionale Einseitigkeit“ kam aber zweifelsohne in den Vorstellungen zum Ausdruck, die der scheidende West-Berliner Obmann Gottfried Fliegenschnee von der Fortsetzung der Patenarbeit hatte110. Nachdem er das Begegnungsjahr 1959/60 organisiert hatte, war der Student der Ansicht, dass die Patentreffen zukünftig „innerökumenische Treffen“ genannt werden und keine „Propagandareise[n] in die 107 Vortrag Kreyssigs in der Sitzung des Rates am 8.7.1960. Vgl. Dibelius an Kreyssig, 30.7.1960 (EZA BERLIN, 36/88/387). 108 EBD. 109 Brief vom 2.10.1960 (EZA BERLIN, 36/88/387). 110 Vgl. den Brief an seine Nachfolgerin Barbara Ehlert, 27.9.1960 (EZA BERLIN, 36/704).

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Frontstadt“ sein sollten. Als Negativvorstellung hatte er dabei vermutlich eine Berlinfahrt vor Augen, wie sie die Bonner ESG vom 26. Februar bis 2. März unternommen hatte. Deren Teilnehmer hörten einen Vortrag über die „Politische und wirtschaftliche Stellung Berlins“, dessen Referent durch das Gesamtdeutsche Referat des Verbands Deutscher Studentenschaften vermittelt wurde, einen Vortrag über die „Geschichte und Bedeutung Berliner Museen“ von einem Referenten, der vom Senator für Volksbildung vorgeschlagen wurde, einen Vortrag über die „Rechtsauffassung und Rechtspraxis in der SBZ“ von einem Referenten vom Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen sowie einen Vortrag über „Hochschule und Student in der SBZ“, den ein Vertreter des Verbands Deutscher Studentenschaften hielt. Daneben besuchten sie Museen in Ost-Berlin, einen Gottesdienst in Ost-Berlin, das Kabarett „Die Distel“ sowie das Notaufnahmelager Marienfelde111. Fliegenschnees Appell an die Teilnehmer von Berlinbegegnungen lautete dagegen: „Die Angst, die man vom Westen mitbringt, soll man am eisernen Vorhang auf die Stacheln stecken, auch die Simplifizierung, die Verallgemeinerung und den Konformismus“. In den Gesprächen während der Begegnung müsse man auf seine Sprache achten und „keinen kalten Krieg auf ungefährlichem Feld spielen“. Denn daraus resultiere der Eindruck, dass sich Ost und West auch in den Studentengemeinden nicht mehr verstehen würden. Nach Fliegenschnees Ansicht sandte die „westliche Prop.[aganda]mühle“ die Menschen bereits mit der Vorstellung nach Berlin: „ihr versteht euch nicht mehr“. Die Kommission, die während der Studentenpfarrerkonferenz im Oktober in Berlin über die „Patenarbeit“ beriet, verzichtete jedoch auf eine „Grundsatzaussprache über die Neugestaltung der Patenarbeit“. Sie berichtete lediglich über die Veränderungen bei den Begegnungsmöglichkeiten112. So waren nunmehr Treffen anlässlich der Leipziger Messe möglich, jedoch musste die Anreise auf privatem Wege erfolgen. Die Kommission empfahl auch, immer wieder den Versuch privater Einladungen zu unternehmen. Für Medizinstudenten waren Famulaturen in der DDR möglich. Die Gelegenheit, auf Grund von Einladungen offizieller DDR-Stellen nach Ostdeutschland zu reisen, wurde wegen der Rücksichtnahme auf mögliche Auswirkungen auf die DDR-Gemeinden nur eingeschränkt empfohlen. Der Besuch von FDJ-Lagern wurde als wenig „sinnvoll“ eingestuft. Einladungen durch den Friedensrat113, die Stadtverwaltung, den Bürgermeister oder Hochschulbehörden sollten nur nach eindeutiger Zustimmung der Studentengemeinden vor Ort angenommen werden. Vor der Reise müsse das Programm und die Quartierfrage fest abgesprochen und ausreichend Zeit für Gemeindebegegnungen zugesichert werden. Die Chancen für ein „akzeptables Verfahren“ wurden jedoch als sehr gering eingeschätzt. 1960 erwogen auch nur zwei

111 Programm der Fahrt in: EZA BERLIN, 36/704. 112 EZA BERLIN, 36/87. 113 Der Deutsche Friedensrat war eine der kleineren Massenorganisationen unter dem Dach der Nationalen Front und der Funktion nach eine typische SED-„Frontorganisation“, die nicht nur in der DDR agierte, sondern auch in die Bundesrepublik hineinwirken sollte, um oppositionelle Strömungen im Sinne der sowjetischen Sicherheitspolitik zu beeinflussen.

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westdeutsche Studentengemeinden, eine offizielle Einladung in die DDR anzunehmen. Die Darmstädter Studentengemeinde, die vom Friedensrat in Erfurt eingeladen worden war, erhielt von Seiten der ostdeutschen Mitglieder des Vertrauensrates grünes Licht für ihre Reise. Die Ratsmitglieder hatten keine grundsätzlichen Bedenken, dass sich die Darmstädter „über sozialistische Einrichtungen der DDR“ informieren wollten114. Orphal empfahl den Reisenden, weder zu verheimlichen, dass sie aus der Studentengemeinde kämen, noch es besonders zu betonen. Der Hamburger ESG widerriet er hingegen, eine Einladung der FDJ anzunehmen115. Denn kurz zuvor hatte man bei einem Besuch von Philippe Maury, dem Generalsekretär der WSCF, in Berlin erleben müssen, wie sich die FDJ in verstärktem Maße gegenüber dem Christlichen Studentenweltbund und den Studentengemeinden in der Bundesrepublik als zuständiger Gesprächspartner und Vertreter auch der christlichen studentischen Jugend in der DDR nach vorn spielte. Folglich fanden mit Ausnahme zweier Treffen anlässlich der Messe in Leipzig116 1960 alle Patenbegegnungen in Berlin statt. Wie in den Jahren zuvor wurden bei den Treffen grundsätzliche und aktuelle Fragen behandelt, die sich vor allem für die Christen in der DDR stellten. Die Begegnungen waren somit thematisch nicht ausgeglichen, auch wenn die Situation in der Bundesrepublik nicht gänzlich ausgeblendet wurde. Dieser thematischen „Ostlastigkeit“ war man sich bewusst. „Es liegt in der Natur der Sache, dass die Probleme Mitteldeutschlands dabei den größten Raum einnehmen würden“, kommentierte ein Kieler Vertrauensstudent das Programm für ein Patentreffen zwischen den Studentengemeinden Hann. Münden, PH Kiel und Eberswalde um die Jahreswende 1959/60. Auf ihm sollte über die Probleme „Mittel- und Westdeutschlands“ auf der Grundlage des gemeinsamen christlichen Glaubens gesprochen werden117. Im Januar 1960 trafen sich die Studentengemeinden von Heidelberg und Greifswald für vier Tage in Berlin und diskutierten über das Thema „Die Kirche als Institution und ihr Verhältnis zu den beiden Gesellschaftssystemen“118. Auch hier lag der Schwerpunkt der Gespräche auf der Situation in der DDR. Ausgangspunkt der Diskussion war ein thesenhaftes Referat eines Heidelbergers, in dem die Situation der östlichen Gliedkirchen bewusst pointiert und einseitig von einem westlichen Standpunkt aus dargestellt wurde. Die DDR als totalitären Weltanschauungsstaat qualifizierend, wies er den Kirchen in ihrer Verantwortung für den Nächsten und die Schöpfung Gottes eine Oppositionsrolle zu und erhielt hierfür die Zustimmung der westdeutschen Teilnehmer. Uneins waren sich diese jedoch bei den Fragen, wo der Widerstand einsetzen, welche Form er annehmen durfte und inwieweit nicht auch

114 Orphal an Mochalski, 16.5.1960 (EZA BERLIN, 36/315). Ob die Reise tatsächlich zustande kam, ist anhand der Akten nicht nachzuvollziehen. 115 Orphal an Elfers, 31.5.1960 (EZA BERLIN, 36/316). 116 EZA BERLIN, 36/53 und 173. 117 Bericht von Klaus-Peter Leberecht über das Patentreffen vom 28.12.1959–3.1.1960 (EZA BERLIN, 36/174). 118 Bericht über das Treffen vom 8.–10.1.1960 (EZA BERLIN, 36/173).

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dem ostdeutschen Staat Loyalität entgegengebracht werden musste. Die Greifswalder Studenten hielten das Referat für eine „situationsfremde, theoretische Erörterung“. Die einzelnen Landeskirchen, ihre Bischöfe und Pfarrer hätten noch keine grundsätzliche und einheitliche Antwort auf die Herausforderung der Kirche durch die sozialistisch-atheistische Weltanschauung gefunden. Es werde situativ entschieden. Dieser „Zick-zack-Kurs“ spiegele sich auch im Leben der einzelnen Christen in der DDR wider. Deren Entscheidungen würden sich zwischen zwei extremen Positionen bewegen. Auf der einen Seite stehe das kompromisslose „Zwei-Fronten-Denken“, das von der Unvereinbarkeit der marxistischen Ideologie und dem Evangelium ausgehe und in der Praxis die Distanz zur marxistischen Lehre und der sozialistischen Praxis fordere. Die Gefahr einer solchen Einstellung sahen die Greifswalder darin, dass deren Vertreter den Sozialismus als Übergangsstadium betrachteten und daher vom Staat leicht „in die gewünschte Stellung als Hort der Reaktion“ abzudrängen waren. Die Kirche grenze sich auf diese Weise selbst aus der sozialistischen Gesellschaft aus, in der aber die Menschen, die sie erreichen wolle, lebten. In den ostdeutschen Kirchen sammelten sich nach Ansicht der Greifswalder Studentengemeindeglieder die verschiedensten und nicht nur christliche Oppositionskräfte und ließen sie in den Augen des Staates zu Recht als „letzter Rest der ueberwundenen buergerlichen Gesellschaft“ erscheinen. Demgegenüber würden weite Kreise, insbesondere in der jungen Pfarrerschaft, betonen, dass die Kirche den Sozialismus als „neue Lebensform“ zumindest als Versuch zur Kenntnis nehmen müsse. Sie könne dies auch vom Evangelium her verantworten, da dieses grundsätzlich nicht an ein bestimmtes gesellschaftliches System gebunden sei. Auch die Greifswalder erhoben die Forderung, dass die Kirche sich von den nicht biblischen, sondern „in der ueberholten Gesellschaftsform verwurzelten Resten in ihr“ lösen solle, um dann „dem sozialistischen Mensch Kirche Jesu Christi sein zu können.“ Kirche und Christen müssten so weit als irgend möglich am Aufbau des Sozialismus mitarbeiten. Erst wenn die Kirche den ostdeutschen Staat grundsätzlich als eine „gnädige Anordnung Gottes“ und den Sozialismus als neue Lebensform anerkenne, habe sie das Recht, gegen einzelne Maßnahmen ihren Widerspruch anzumelden, und die Chance, in ihrer Argumentation ernst genommen zu werden. Auf diese Weise sollte die Kirche vor dem Getto bewahrt werden. Neben den westlichen Teilnehmern des Patentreffens war sich aber auch ein Teil der Greifswalder der latenten Gefahr bewusst, die bei einer konsequenten Verfolgung dieses Weges drohte. Bei einem solchen Loyalitätskurs, wie ihn Bischof Mitzenheim verkörperte, musste zwangsläufig ein wesentlicher Teil der sozialistischen Wirklichkeit in der DDR, etwa der Erziehungsbereich, die Rechtsprechung, die fehlende Gewaltenteilung etc. übersehen werden. Das freie und vom Evangelium um des Nächsten willen geforderte „Nein“, so argumentierten diese Teilnehmer, sei so in vielen Fällen in Frage gestellt. Auch hielten sie die Unterscheidung zwischen Sozialismus und Atheismus in der Praxis oft nicht für möglich. Nach Ansicht der westdeutschen Teilnehmer waren die Greifswalder Studenten, obgleich sie zu einem Loyalitätskurs tendierten, der mit ihm verbundenen Gefahren „(noch) nicht erlegen“, da sie ihren Staat in „erstaunlicher Offenheit“ kritisierten. Jedoch übten die Greifswalder auch scharfe Kritik an der engen

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Bindung von Staat und Kirche in der Bundesrepublik etwa in der Schulfrage, wo sie einhellig die Abschaffung des schulischen Religionsunterrichts forderten. Die westdeutschen Studenten nahmen von der Begegnung den Eindruck mit, dass die in der Bundesrepublik „so leidenschaftlich proklamierte These des ‚Widerstehe‘ in ihrer Radikalität und Absolutheit in der Praxis nicht durchführbar“ war. Aber nicht nur in der DDR, sondern in beiden deutschen Staaten blieb nach ihrer Ansicht nur der „Weg des Gehorsams auf einem schmalen Grat, der immer das ‚Ja‘ und das ‚Nein‘ umfassen“ musste. Den Ost-West-Begegnungen schrieben sie die Funktion zu, diese „Dialektik des Glaubens“ wach zu halten. Das Treffen zwischen den Studentengemeinden von Erlangen, München, Münster, Saarbrücken und ihrer Leipziger Patengemeinde anlässlich der Frühjahrsmesse hatte seinen thematischen Schwerpunkt ebenfalls beim Staat-Kirche-Verhältnis in der DDR119. Der Leipziger Studentenpfarrer Dietrich Mendt sprach über „Christi in der DDR“ und wählte als aktuellen Anknüpfungspunkt den Streit um Dibelius’ Obrigkeitsschrift. Mendt betonte, dass sowohl das Christentum als auch der Marxismus den ganzen Menschen in Anspruch nehme. Der „totalitäre Staat“ greife die christlichen Sakramente durch Drohungen und Einschüchterungen einerseits sowie Erleichterungen bei der Teilnahme an den sozialistischen Ersatzriten andererseits an. Mendt hielt jedoch die kirchlichen Riten für „unwirklich“ und „tot“. Die Gefahr für die Christen in der DDR sah er darin, dass sie kirchliche Traditionen, die nicht durch die Bibel gedeckt waren, gegenüber dem Staat verteidigten, als greife dieser mit jenen das Christentum selbst an. Mendt selbst empfand es als schwierig, die Trennlinie zwischen „wahrem Christentum und sanktionierter Tradition“ zu ziehen. Die Kirche sollte seiner Ansicht nach etwas Neues aufbauen, ohne Altes zu zerschlagen. Den Staat hingegen müsse sie immer wieder zu seinem eigentlichen Auftrag, „Gott zu dienen“, zurückrufen. Wie beides in der Praxis umzusetzen sei, könne nur „hic et nunc“ entschieden werden. Ebenso wie bei den Greifswalder Studenten hatte auch bei dem Leipziger Studentenpfarrer die situative Entscheidung Vorrang vor einer prinzipiellen Vorgehensweise. In einer Arbeitsgruppe diskutierten die Teilnehmer des Patentreffens anschließend das Thema „Bekenntniskirche – Volkskirche“. Die ekklesiologischen Alternativen, wie man sie insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit intensiv debattiert hatte, waren durch die Lage der Kirche in der DDR und insbesondere durch den Einbruch des volkskirchlichen Ritus der Konfirmation wieder zum Gegenstand der aktuellen Diskussion geworden, nunmehr jedoch auch als Alternativmodelle für den kirchlichen Osten und den kirchlichen Westen Deutschlands. Auf dem Patentreffen in Leipzig waren sich die Studenten darin einig, dass mit der Volkskirche und ihren „Taufscheinchristen“ kein Weiterkommen sei. Allein wegen des Pfarrermangels und „des Bekennermutes der Christen“ in der DDR müsse die ostdeutsche Kirche „die Bekenntniskirche einführen“ – eine Einschätzung, zu der auch andere Patengemein-

119 Bericht von Gerhard de Vries von der ESG des Saarlandes über das Patentreffen vom 27.2.– 1.3.1960 (EBD.).

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den bei ihren Treffen gelangten120. Über die Struktur einer Bekenntniskirche wollte man sich getrennt in den Patengemeinden sowie gemeinsam auf dem nächsten Patentreffen in Leipzig Gedanken machen. Wie auch schon den Heidelbergern bei ihrer Patenbegegnung mit Greifswald fiel auch den Studenten aus Saarbrücken auf, dass ihre ostdeutschen Paten die Bundesrepublik ebenso kritisch betrachteten wie die DDR. Eine einfache Angliederung an die Bundesrepublik erschien dieser Studentengemeindegeneration nicht mehr wünschenswert. Ihre Anforderungen an die bundesrepublikanische Politik maßen sie an deren christlichem Anspruch und hatten daher hohe Erwartungen. „Dass unsere Politik“, so der Saarbrücker Verfasser des Berichts über das Patentreffen, „die im hier und jetzt politisch richtig sein mag, christlich genannt wird, bringt das Christentum in großen Mißkredit in der DDR.“ Neben dem kritischen Blick auf die Bundesrepublik beobachteten die westdeutschen Teilnehmer von Patentreffen bei ihren ostdeutschen Kommilitonen auch eine wachsende DDRIdentität. Ein Heidelberger Student beschrieb es als „eine Art Heimatgefühl“ und ein „Verantwortungsbewußtsein“ der DDR-Bürger für ihr Land, das man nicht kränken und übersehen sollte121. Im Unterschied zu den gesamtdeutschen Gremien der ESGiD wurde in den Patengemeinden im Jahr des „Einheitsmemorandums“ nur relativ selten über die Grundlage und Funktion gesamtkirchlicher Einheit und somit auch der Patentreffen debattiert. Ein Treffen von zehn Mitgliedern der Studentengemeinde Halle mit 16 Vertretern ihrer Göttinger und Frankfurter Patengemeinden, das Ende August 1960 in Berlin stattfand, wäre allerdings „beinahe aufgeflogen“, da kein Konsens darüber gefunden werden konnte, ob man als Deutsche zusammen sei, wie der Hallenser Studentenpfarrer Hinz meinte, oder als Ökumene, wie es der Göttinger Studentenpfarrer Wilhelm Schmidt sah122. Schmidt hatte in einem Referat über „Die Kirche und die Völker“ den Begriff der Einheit als Zuspruch und Aufgabe der Christen beschrieben und zugleich betont, dass die Einheit der Kirche sich nicht an einer historisch gewachsenen politischen Einheit orientieren und umgekehrt eine politische Einheit nicht theologisch begründet werden durfte123. Nachdem das Einheitsmemorandum publiziert war, diskutierten es die Studentengemeinden aus Marburg und Naumburg auf ihrem Patentreffen vom 28. Oktober bis 2. November124. Der Berichterstatter über das Treffen fasste das Diskussionsergebnis dahingehend zusammen, dass die Einheit der ESGiD eine „Notwendigkeit“ sei, die nicht nur auf Erklärungen, Briefeschreiben und Paketeschicken basieren dürfe, sondern gelebt 120 Vgl. den Bericht des Ostreferenten der Studentengemeinde Bethel über ein Patentreffen zwischen den ESGn Bethel, Karlsruhe und Ost-Berlin vom 25.4.–22.5.1960 (EZA BERLIN, 36/174). 121 Bericht über die Studienfahrt der ESG Heidelberg nach Berlin vom 6.–13.3.1960 (EBD.). 122 Vgl. Orphal an Kreyssig, 12.9.1960 (EZA BERLIN, 36/280) und anonymer Kurzbericht über das Treffen (EZA BERLIN 36/53). Auf einem Treffen im Mai hatte man schon einmal darüber ergebnislos debattiert. Vgl. den anonymen Bericht über das Patentreffen vom 20.–23.5.1960 in Berlin (EZA BERLIN, 36/53). 123 Zweiter Kurzbericht über das Patentreffen (EZA BERLIN, 36/53). 124 Bericht von Kurt Simon über das Treffen (EZA BERLIN, 36/301).

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werden müsse. Daher sollten auf allen möglichen Wegen persönliche Kontakte gesucht werden. Gelebte Einheit hieße aber auch, Verständnis für die Situation des anderen zu haben und aus diesem heraus die eigene Situation zu sehen, zu erklären und zu korrigieren. Ebenso wie in den Diskussionen und Papieren der gesamtkirchlichen Gremien wurde folglich auch in den Patengemeinden die Korrektivfunktion der Ost-West-Begegnungen hervorgehoben. Dass diese zum Teil auch politisch verstanden wurde, kommt in einer Ausarbeitung der Studentengemeinde der Freien Universität Berlin „Über den Auftrag der Studentengemeinde“ aus dem Wintersemester 1960/61 zum Ausdruck125. Im Verständnis der West-Berliner Studentengemeinde hatte die Arbeit für Gesamt-Berlin und die Patenarbeit, die als „die uns zunächst liegende Ökumene“ gekennzeichnet wurde, eindeutig eine politische Dimension. Sie bestand in der Rücksichtnahme auf die ostdeutschen Christen bei der Gestaltung der Veranstaltungen, in der Abwehr von Angriffen, die „heute zwangsläufig gegen die gerichtet sind, die Ostkontakte haben und fördern“126, in der praktischen Relativierung der Grenzen, die die beiden deutschen Staaten zwischen sich zogen, im Einstehen in der Bundesrepublik für politische Urteile aus der DDR, soweit sie christlich begründet waren, sowie in der Auslegung der deutschen Einheit „in einem anderen Sinne als er vom Westen gefordert wird, aufgrund der realen Verbindungen und Beziehungen, in denen wir stehen“127. Mit einer nationalen Klammerfunktion im Sinne der Bundesregierung hatte dieses Verständnis gesamtdeutscher Einheit auf der Ebene der Studentengemeinden nicht mehr viel gemein.

2.4.3 Begegnungen im Jahr des Mauerbaus In seinem Gesamtbericht auf der Delegiertenkonferenz der ESGiD Ende Februar 1961 ging Generalsekretär Kreyssig auch auf die Patenarbeit ein128. Er beklagte, dass die westdeutschen Gemeinden die Patenarbeit nurmehr „pragmatisch“ vollzogen, d. h. im Sinne einer unreflektierten Tradition. Zu viele Gemeinden in der Bundesrepublik würden sie „mit einer reinen Begegnungsideologie und im Betreuungsdenken“ betreiben. Dabei lieferten seiner Ansicht nach die Begegnungskonferenzen, die seit 1960 nur noch einmal jährlich unter dem Namen Berliner Arbeitskonferenzen stattfanden, genug Ansätze für eine gemeinsame inhaltliche Arbeit. Die auf ihnen angesprochenen Themen, wie „theologische Unterweisung“, „Zeugnis an der Hochschule“, „soziologische Entwicklungstendenzen“, „volkskirchliche Problematik“ und „seelsorgerliche Aufgaben“, sollten in der Patenarbeit weiter diskutiert werden. Auf diese Weise, so Kreyssigs Intention, würden beide Seiten sich wechselseitig vor einem Rückzug in ein „private[s] Studentendasein“ bewahren. Als Träger dieser auf die gesellschaftliche 125 126 127 128

Abdruck in: H. RINGELING/ H. C. ROHRBACH, Studenten, S. 225–232. EBD., S. 231. EBD., S. 232. Anlage 3 zum Protokoll: Gesamtbericht des Generalsekretärs (EZA BERLIN, 36/89).

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Umwelt hin orientierten Gesamtarbeit dachte er sich eine „informierte und tatkräftige Elite“. Wie schon in früheren Jahren versuchte somit ein Funktionsträger der ESGiD erneut, die Patenarbeit zu „versachlichen“ und an die Gesamtarbeit rückzubinden. Jedoch konnte der Generalsekretär nur an die Gemeinden appellieren, denn diese waren in ihrer jeweiligen Arbeit autonom. Als geradezu mustergültig musste der Geschäftsleitung Programm und Selbstverständnis des Patentreffens erscheinen, das zwischen je drei Studenten aus Hamburg, Bonn und Heidelberg sowie ihrer Greifswalder „Schwestergemeinde“ unter der Leitung des Heidelberger Studentenpfarrers Martin Schröter und seines Greifswalder Kollegen Hansjürgen Schulz im April 1961 in Greifswald stattfand129. Das Programm umfasste neben anderem: – Gespräche mit Bischof Krummacher, dem Greifswalder Neutestamentler Werner Schmauch und dem Sozialethiker Willi Völger über die „Kontroverse Fuchs/Krummacher und Fragen der Kirche und des Staates in der DDR, die Rolle der Kirche vor, während und nach der Sozialisierung der Landwirtschaft, Information über die Arbeit der Pommerschen Landeskirche und der Theologischen Fakultät Greifswald, und Grundfragen des Marxismus-Leninismus aus christlicher Sicht“; – den Besuch von Vorlesungen an der Universität sowie des Unterrichts an einer erweiterten Oberschule, wo sich den Teilnehmern ein „deprimierendes Bild des Ausgeliefertseins der Kinder an die einseitige Lehrweise gut geschulter Lehrer“ bot; – ein Gespräch mit Funktionären der FDJ-Hochschulgruppe; – die Besichtigung einer LPG.

In Referaten und Diskussionen wurde das Thema „Christ und Gesellschaft“ behandelt. Drei Greifswalder und drei Heidelberger Studenten referierten über „Christsein in unserer Gesellschaft“, „Moderne Technik als Problem der Menschheit“ und „Studentengemeinde als Teil der Gesamtkirche in der geistigen Situation“. Nach Aussage des Heidelberger Chemiestudenten Thomas Höpner verliefen die anschließenden Diskussionen auf hohem Niveau und ergaben keine Ost-West-Verteilung der unterschiedlichen Standpunkte. Seiner Ansicht nach bestanden in den Ost- und Westgemeinden grundsätzlich die gleichen Probleme. Deren Lösungsversuche führten jedoch, so Höpners Beobachtung, in der DDR zu „existentiellen und verbindlichen Gedanken und Arbeitsweisen“, während in der Bundesrepublik die Dinge „offener, weittragender und allgemeingültiger“ betrachtet würden. Beides sei nötig und richtig, bedürfe aber jeweils der Ergänzung durch die andere Seite. Dazu sei insbesondere bei den westdeutschen Studentengemeinden eine intensive Vorbereitung auf die „Delegationsbesuche“ nötig. Sie sollten „peinlich genau informiert sein“ über: „a) Grundfragen und Grundbegriffe des Marxismus-Leninismus. b) Westdeutsche Innenpolitik, insbesondere die Frage der Nationalsozialisten in der Bundesregierung und in der Bundeswehr (z. Zt. Hauptangriffspunkt der ostdeutschen Propaganda!). c) Westdeutsche Sozialpolitik. Krankenversicherungswesen und -leistungen. Renten, Fürsorge, Löhne, Gehälter. 129 Undatierter Bericht des Heidelberger Chemiestudenten Thomas Höpner über die Fahrt vom 14.–24.4.1961 (EZA BERLIN, 36/704).

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(Zahlen!!). d) Westdeutsche Landwirtschaftspolitik. Grüner Plan. Flurbereinigung. e) Westliche und vor allem westdeutsche Entwicklungshilfe. Summen, Empfänger, Bedingungen, Rückzahlungen, Verwendung. f) Westdeutsche Wiedergutmachung an Israel. g) Kirche und Staat in Westdeutschland. Gegenseitige Einflussnahme. Militärseelsorgevertrag. h) USA. Lebensstandard, soziale Schichtung. Arbeitslosigkeit. [. . .] i) Entstehung, Inhalt und Schicksal des Potsdamer Vertrages.“130

Der Heidelberger Student forderte somit bei der Vorbereitung eine thematische Verlagerung von den Verhältnissen in der DDR auf die in der Bundesrepublik, um sowohl den Fragen der ostdeutschen Kommilitonen Rede und Antwort stehen zu können als auch den Diskussionen mit Funktionären gewachsen zu sein. Die Gespräche zwischen den Gliedern der „Schwestergemeinden“ während des Treffens in Greifswald waren für Höpner ein Beispiel der „voll bestehenden geistigen Einheit“. Das im Memorandum des Vertrauensrates konstatierte „Faktum“ der Einheit der ESGiD wurde somit von Seiten der Gemeinden Bonn, Hamburg, Heidelberg und Greifswald für sich selbst bejaht. An einem Gemeindeabend sprachen die Begegnungsteilnehmer auch explizit über das Einheitsmemorandum. Dabei zeigte sich, dass über die Fragen von kirchlicher und nationalstaatlicher Einheit in der Bundesrepublik theologisch deutlich mehr reflektiert wurde als in der DDR. Vom Berliner Obmann dazu angehalten131, diskutierten auch noch andere Patengemeinden bei ihren Treffen im Jahr 1961 über das Einheitsmemorandum. Auf einer Berlin-Begegnung im Mai konzentrierte sich die Diskussion zwischen den Teilnehmern aus einer ostdeutschen und drei westdeutschen Patengemeinden vornehmlich auf die Definition der nationalen Grundlagen ihrer Gemeinschaft. Das integrative Moment sah man ebenso wie der Vertrauensrat in der gemeinsamen Vergangenheit, wollte es jedoch noch konkreter benennen als „gemeinsame Schuld in der jüngsten Vergangenheit“132. Nur unter diesem Aspekt konnte nach Ansicht der Studenten von einem „gemeinsamen Verantwortungsbereich“ gesprochen werden. Die deutschen Studentengemeinden hätten die Chance, „von der Vergebung her Schuld abzutragen, neue Schuld zu verhindern, Vertrauen zwischen den gegnerischen Positionen zu schaffen, Gegensätze abzubauen, die Vergangenheit aufzuarbeiten, einen Durchbruch durch öst- wie westliche Ideologie zu wagen“. Nach ihrem Selbstverständnis hatten die Studentengemeinden im geteilten Deutschland „den Auftrag der Stellvertretung“, wodurch sie sich gegenseitig, der Gesamtkirche, dem deutschen Volk und der „Welt“ halfen133. Ihre neu geformte Identität als deutsche Studentengemeinden ruhte demnach auf einer historisch-moralischen Verantwortung, aus der ein spezifischer Versöhnungsauftrag resultierte. Das ganze fassten sie in eine theologische Begrifflichkeit.

130 131 132 133

EBD. EZA BERLIN, 36/320. Zitiert nach: G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 84. EBD.

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Eine besondere Auslegung erfuhr das Einheitsmemorandum in der Darmstädter Studentengemeinde134. Die Gemeindeglieder fragten, ob das Memorandum nicht schon in einigen Punkten von der Wirklichkeit überholt worden und die darin postulierte Einheit nicht bereits eine Fiktion sei oder zumindest in einigen Jahren sein werde. Die Aufgaben, die aus der spezifischen deutschen Geschichte erwuchsen, könnten, so die Überlegung eines Gesprächsteilnehmers, auch getrennt wahrgenommen werden. Einige Studenten erklärten, dass, auch wenn man das Einheitsmemorandum anerkenne und daher auf die Lage der Studentengemeinden in der DDR Rücksicht nähme, man dennoch etwa über Kontakte zu FDJ-Vertretern anders denken könne als es die Leitung der Gesamtarbeit tue, die auf Wunsch der DDR-Vertreter jegliche offiziellen Beziehungen ablehnte. Martin Stöhr, der neue Studentenpfarrer in Darmstadt, begründete denn auch nachträglich eine Einladung von zehn Weimarer Studenten, unter denen auch FDJ-Funktionäre waren, nach Darmstadt mit der Ansicht, im Sinne der Einheitserklärung gehandelt zu haben135. Man habe zuvor mit ostdeutschen Gemeindegliedern gesprochen und von dort grünes Licht für die Aktion erhalten136. Der Kontakt sei auch ausschließlich über Privatpersonen zustande gekommen137. Mit ihrem Begegnungstreffen mit FDJ-Vertretern, die im Gegensatz zu Gliedern der Studentengemeinden in die Bundesrepublik reisen durften, hatten die Darmstädter eine Abmachung innerhalb der Gesamtarbeit der ESGiD gebrochen und wurden von der Geschäftsführung entsprechend kritisiert. Kreyssig klagte, dass „diese Tendenz, sich einfach auf das Votum einzelner Patengemeinden in der DDR zu berufen, bei unseren Schwärmern hier alle Lenkungsversuche zuschanden“ mache138. Innerhalb der ESGiD blieben die FDJ-Kontakte noch für viele Jahre ein strittiges Thema. Ein gleiches galt für die Evangelische Jugend, doch setzten hier die intensiven Diskussionen über Beziehungen zur FDJ erst zwei Jahre später ein. 1961 hingegen kamen keine solchen Kontakte zustande, die Ost-West-Begegnungen beschränkten sich ausschließlich auf Glieder der Evangelischen Jugend. Dort fanden sie noch auf allen Ebenen statt, d. h. der Arbeitsgemeinschaft, der Jugendkammer, des Vorstandes, im Referentenkreis, dem Großteil der Arbeitsausschüsse, der Landesjugendpfarrerkonferenz, den Zentralen der Werke, der Arbeitsgemeinschaft der Landesjugendkonvente Deutschlands und nicht zuletzt zwischen den Mitarbeitern und Jugendkreisen selbst139. Bis zum Mauerbau kam es zu insgesamt 88 Patenschaftsbegegnungen in Berlin, mehr als im Jahr zuvor. Dabei trafen sich 1.766 westdeutsche junge Christen mit 1.418 Gliedern der Jungen Gemeinde in der DDR, womit nahezu ein Verhältnis von

134 Schilderung der Diskussion am 5.7.1961 im Brief des Darmstädter Studenten Klaus Knothe an den Bonner Hochschulreferenten der ESGiD Peter Schur, 27.7.1961 (EZA BERLIN, 36/315). 135 Stöhr an Kreyssig, 24.7.1961 (EZA BERLIN, 36/315). 136 EBD. 137 EBD. 138 Brief an Orphal, 1.8.1961 (EZA BERLIN, 36/282). 139 Bericht Lauks über die Tätigkeit des GKR der AGEJD im Jahr 1961, 24.1.1962 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung).

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eins zu eins erreicht wurde140. Die meisten Begegnungen führten auf westdeutscher Seite die Landeskirchen und Werke von Baden und Württemberg durch, auf ostdeutscher Seite war aufgrund ihrer geografischen Lage vor allem die Landeskirche von Berlin-Brandenburg beteiligt141. Sämtliche Teilnehmer aus der Bundesrepublik und der DDR erhielten für die Treffen Beihilfen aus Mitteln des Bundesjugendplanes bzw. des BMG. Die Gelder für die westdeutschen Teilnehmer wurden vom Gesamtkirchlichen Ausschuss in Stuttgart, diejenigen für die DDR-Teilnehmer im Auftrag der AGEJD vom Landesjugendpfarramt Berlin verwaltet142. Die Quartierzuweisung, Programmberatung und Vermittlung von studentischen Betreuern erfolgte gleichfalls über das Berliner Landesjugendpfarramt. Nach Einschätzung des Geschäftsführers des Gesamtkirchlichen Ausschusses Lauk waren die Begegnungen 1961 aber nicht nur quantitativ angestiegen, sondern hatte sich auch ihre inhaltliche Qualität verbessert. Ihrem Inhalt und Stil nach waren sie nahezu ausschließlich gemeinsame Bibelrüstzeiten. Die Bibelarbeit stand im Zentrum und beinahe alle Berichterstatter der Treffen betonten, dass durch sie die geistliche Gemeinschaft der beteiligten Glieder der Jungen Gemeinde aus Ost- und Westdeutschland gestärkt worden war143. Diese Gemeinschaft im Glauben wurde in der Regel am Ende der Begegnung noch durch eine gemeinsame Abendmahlsfeier bekräftigt. Je länger die deutsche Teilung andauerte und je stärker sich die Lebensbedingungen für Kirche und Christen in den beiden deutschen Staaten auseinander entwickelten, um so mehr schien man sich auf die Gemeinsamkeit des Glaubens zu besinnen und auf dieser Grundlage die Gespräche zu führen. So wertete der Leiter einer Begegnung zwischen Gliedern des Evangelischen Jugendwerks Pforzheim und dem Patenbezirk aus Brandenburg die Bibelarbeit als eine Basis, von der aus alle anderen Gespräche „sachlich und brüderlich“ geführt werden könnten, auch bei politischen und sonstigen Meinungsverschiedenheiten144. Der Begegnungsleiter eines Treffens zwischen 16 Jungen und Mädchen aus der hannoverschen Landeskirche mit 16 Jugendlichen aus der sächsischen Landeskirche im März in Berlin berichtete, dass es sich auf mehreren früheren Begegnungen gezeigt habe, dass Gespräche über die besonderen Probleme in Ost und West festliefen und keine der beiden Seiten befriedigten. Die einzige Möglichkeit, die Zusammengehörigkeit der Jungen Gemeinde sichtbar werden zu lassen, die oft sehr unterschiedlichen Wege auf östlicher und westlicher Seite zusammenzuführen und das Verständnis für den Anderen und das Hören auf ihn zu wecken, war seiner Ansicht nach das gemeinsame Gespräch „unter dem Evangelium“. Gerade in dieser Gemeinschaft des Gesprächs und des Gebets liege eine 140 EBD. 141 Anlage 1 zum Tätigkeitsbericht des GKA der AGEJD für das Jahr 1961, 24.1.1962 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 142 Bericht Lauks über die Tätigkeit des GKR der AGEJD im Jahr 1961, 24.1.1962 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 143 Im Aaej HANNOVER (12. BJP-Berichte) befinden sich Berichte über 87 der 88 Begegnungen, die alle von der Verfasserin ausgewertet wurden. 144 Bericht des Diakons Paul Gerlach über eine Begegnung in Berlin vom 3.–10.4.1961 (Aaej HANNOVER, 12. BJP-Berichte).

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echte Hilfe für jeden Einzelnen145. Ähnlich sah es der Leiter einer Begegnungsfreizeit von 14 jungen Leuten des Landesjugendkonvents Bayern mit 22 sächsischen und drei Ost-Berliner Jugendlichen. Für ihn und die Begegnungsteilnehmer war es klar, dass sie auch auf zukünftigen Freizeiten gemeinsam an einem biblischen Stoff arbeiten wollten, da auf diese Weise eine gute Basis für die Zusammenarbeit geschaffen werde. „Von dieser Grundlage aus“, so die Erfahrung der Bayern, ließen „sich aktuelle Fragen und Probleme ganz anders behandeln. Es kommt nicht sofort so deutlich bei den Gesprächen zum Durchbruch, was uns voneinander trennt.“146 Angesichts des Teilnehmerkreises naheliegend, drehten sich die Gespräche bei den Begegnungen oftmals um die Jugendarbeit in Ost- und Westdeutschland. Dabei setzte sich der Eindruck fest, dass man trotz der unterschiedlichen äußeren Verhältnisse in beiden Teilen Deutschlands doch mit ähnlichen Problemen konfrontiert war, etwa wie man den „modernen Menschen“ ansprechen konnte. Einige westdeutsche Teilnehmer gelangten zudem zu der Auffassung, dass manche in der DDR praktizierten Arbeitsformen, wie Rüstzeiten, Evangelisationen usw., auch für die Arbeit in der Bundesrepublik beispielhaft sein könnten. Bestärkt wurden sie darin durch kritische Anfragen von ostdeutschen Teilnehmern an die Jugendarbeit in der Bundesrepublik147. Insgesamt verlief der Ideentransfer im Bereich der evangelischen Jugendarbeit aber überwiegend in West-Ost-Richtung. Dazu zählten etwa die Idee der „Jugendkonvente“ oder neue pädagogische Konzepte148. Im Gegensatz zu früheren Jahren wurde die Frage der Wiedervereinigung der beiden Teilstaaten auf den Begegnungen 1961 nicht mehr thematisiert. Hauptthemen des Jahres waren vielmehr die Obrigkeitsfrage, das neue Arbeitsgesetzbuch der DDR sowie die „unbewältigte Vergangenheit“. Letzteres wurde vor allem vor dem Hintergrund des Eichmann-Prozesses in Jerusalem sowie im Zusammenhang mit dem Kirchentag und seiner Arbeitsgruppe „Juden und Christen“ diskutiert. Vor, während und nach dem Berliner Kirchentag wurden besonders viele Begegnungstreffen abgehalten. Jedoch war bei einigen von ihnen, wie beim Kirchentag selbst, lange nicht sicher, ob sie überhaupt würden stattfinden können. Auch war die Beteiligung bei den ostdeutschen Patengemeinden auf Grund der angespannten Lage etwas geringer als erwartet. In zwei Fällen wurden ostdeutsche Begegnungsteilnehmer von Sicherheitskräften an einer Fahrt nach Berlin gehindert149. Diejenigen, die sich in Berlin treffen konnten, nah145 Bericht von Rolf Ottmers vom Landesjugendkonvent der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, 14.4.1961 (Aaej HANNOVER, 12. BJP-Berichte). 146 Bericht von Ilse Morgenroth, o. Datum (Aaej HANNOVER, 12. BJP-Berichte). 147 Vgl. u. a. den Bericht über die Ost-West-Begegnungsfreizeit von Jugendwarten und Gemeindehelferinnen aus der sächsischen und hannoverschen Landeskirche in Berlin vom 27.2.–5.3.1961 (Aaej HANNOVER, 12. BJP-Berichte). 148 Vgl. E. UEBERSCHÄR, Gemeinde, S. 331f. 149 Bericht von Wolfgang Schmidt über die Ost-West-Begegnung vom 19.–31.7.1961 in Berlin zwischen Jugendlichen aus Bochum und der DDR; Bericht über die Begegnungsfreizeit zwischen 18 Gliedern der Jungen Gemeinde von Lauterbach und Dekanatsgemeinden mit 14 Gliedern der Jungen Gemeinde aus Anhalt/Dessau in Berlin vom 24.–31.7.1961 (Aaej HANNOVER, 12. BJP-Berichte).

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men auch am „Abend der Begegnung“ des Kirchentages teil. Auf der Abschlussveranstaltung winkten sie im großen Oval ihren Patengemeinden mit Taschentüchern zu und hatten damit Anteil an der Inszenierung gesamtkirchlicher Einheit. Neben den Themen des Kirchentages wurde auf den Begegnungstreffen Ende Juli auch die zu diesem Zeitpunkt hochbrisante Flüchtlingsfrage behandelt. Für die Teilnehmer einer Begegnung stellte sich das Problem der „Republikflucht“ auch unmittelbar, da zwei ostdeutsche Jugendliche sich während des Treffens in den Westen absetzten, ein dritter aber vom Leiter der Ostgruppe nach langen Gesprächen von der Flucht abgehalten wurde150. Neben den Patenschaftsbegegnungen fanden 1961 auch wieder Gruppenbesuchsfahrten der Evangelischen Jugend nach West-Berlin statt151. An den vom Bundesjugendplan zum Zwecke der staatsbürgerlichen Bildung geförderten Fahrten nahmen 150 Jugendgruppen mit rund 4.000 evangelischen Jugendlichen teil. Auch sie wurden ausschließlich vom Landesjugendpfarramt Berlin betreut. In der Sicht des Gesamtkirchlichen Ausschusses waren diese Gruppenfahrten eine „Vorstufe gesamtkirchlicher Arbeit“152. „Echte“ gesamtkirchliche Arbeit stellten hingegen die Einzel- und Gruppenfahrten in die DDR dar, von denen 1961 41 Einzelreisen und vier Gruppenreisen durchgeführt werden konnten. Bei diesen Zahlen handelte es sich jedoch allein um die über den Gesamtkirchlichen Ausschuss bezuschussten Reisen. Lauk schätzte die Gesamtzahl der Besuchsfahrten in die DDR um ein fünffaches höher. Die meisten der Einzelreisen führten in die sächsische Landeskirche153. Die Reisenden stammten überwiegend aus den süddeutschen Landeskirchen Bayern, Württemberg und Baden. Die Beihilfen für die Reisen kamen aus einem vom Gesamtkirchlichen Ausschuss verwalteten Vorlagefonds aus Mitteln des Bundesjugendplanes154. Von den ostdeutschen Jungen Gemeinden wurden diese Besuche in der DDR als „stärkster Beweis der Verbundenheit“ verstanden und sehr viel höher bewertet als eine Begegnung in Berlin. Zu Patenschaftsbegegnungen auf dem Boden der Bundesrepublik kam es 1961 nur siebenmal. Da diese Treffen nur durch ein illegales Verlassen der DDR und Ost-Berlins zustande kommen konnten, wurden sie wegen grundsätzlicher Bedenken der Jugendkammer Ost von der Geschäftsstelle des Gesamtkirchlichen Ausschusses nur mit „großen Skrupeln“ aus Mitteln des BMG bezuschusst. Der Geschäftsstelle wurden jedoch keine Fälle bekannt, in denen DDR-Jugendlichen aus der Teilnahme an einer solchen Begegnung ein Nachteil erwachsen war. Der Mauerbau am 13. August 1961 bedeutete für diesen Zweig der gesamtkirchlichen Begegnungsarbeit dann aber das völlige Aus.

150 Bericht über die vom Landesjugendpfarramt Karlsruhe organisierte Ersatz-Ost-West-Begegnung in Berlin während des Kirchentages (Aaej HANNOVER, 12. BJP-Berichte). 151 Bericht Lauks über die Tätigkeit des GKR der AGEJD im Jahr 1961, 24.1.1962 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 152 EBD. 153 Anlage 2 zum Tätigkeitsbericht des GKA der AGEJD für das Jahr 1961, 24.1.1962 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 154 Bericht Lauks über die Tätigkeit des GKR der AGEJD im Jahr 1961, 24.1.1962 (EBD.).

Zusammenfassung

2.5 Zusammenfassung Angesichts der internationalen und innerdeutschen Entwicklung der deutschen Frage nach Abschluss der militärischen Blockintegration machte sich unter der Bevölkerung der DDR Mitte der 50er Jahre Hoffnungslosigkeit breit. Die ostdeutschen Kirchen hatten gegen eine „Woge tiefer Depression“ unter ihren Gliedern anzukämpfen, die ebenso wie die Kirchen selbst wachsendem ideologischem Druck und zunehmenden Repressalien von Seiten des Staates ausgesetzt waren. Die Phase einer Mäßigung der repressiven Kirchenpolitik der SED aus deutschlandpolitischen Rücksichten war vorüber. Der ostdeutsche Staat forderte von den Kirchen, ihre Überwinterungshaltung aufzugeben und die DDR sowie ihre staatspolitischen Ziele anzuerkennen. Damit wollte er den „reaktionären“ Kirchenleitungen eine Niederlage zufügen und die Laien für eine Mitarbeit am Aufbau des Sozialismus in der DDR gewinnen. Zudem versprach sich die Partei- und Staatsführung mittels einer solchen Loyalitätserklärung die Entfremdung zwischen den ost- und westdeutschen Kirchenleitungen zu fördern. Beides sollte dem übergeordneten Ziel der Herrschaftssicherung der SED dienen. In dieser Situation setzten dann vornehmlich ostdeutsche Kirchenvertreter 1956 die Einberufung einer außerordentlichen Synode der EKD durch, die der Bundesregierung wenig willkommen war. Die in mehrfacher Hinsicht bedeutende Synode begegnete der angespannten Lage mit einem Appell zur Wiederherstellung staatlicher Einheit, der Bekräftigung der kirchlichen Einheit und einer theologischen Reflexion über die Situation der Kirchen in Ost und West. In ihrer „Theologischen Erklärung“ setzte sie in der Wiedervereinigungsfrage neue Akzente, indem sie festhielt, dass es sich bei der Forderung nach politischer Wiedervereinigung nicht unmittelbar um ein Gebot des Evangeliums handelte, die Milderung und schließliche Überwindung der Teilung aber als eine Forderung der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit zu verstehen war. Ob es sich bei dieser „Nächstenliebe“ aber nicht doch in Wahrheit um nationale Solidarität von Christen gegenüber den Angehörigen ihres Volkes handelte und beides unterschieden werden musste, wurde nicht thematisiert. In der Verlautbarung zur „Einheit des Volkes“ kamen die national-humanitären Tendenzen in dem vorgeschlagenen Sofortprogramm zur Milderung der Teilungsfolgen zum Ausdruck. Die Verlautbarung enthielt aber auch eine Rechtsargumentation. Sie berief sich auf das Völkerrecht und forderte die Selbstbestimmung der Deutschen über ihre gemeinsame staatliche Form in freien Wahlen. Damit machte sie sich die Grundforderung des Westens zu Eigen. Dennoch wurde an die verantwortlichen Politiker und evangelischen Christen appelliert, deutschlandpolitische Flexibilität zu zeigen und offen für „neue Wege“ zu sein. Die Synode selbst wollte indes keinen ersten Schritt auf „neuen Wegen“ tun. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit scheiterte der Vorstoß von ost- und westdeutschen Kirchenvertretern, gemeinsam mit Politikern aus beiden deutschen Staaten die Bildung eines gesamtdeutschen Rates zu initiieren, am Streit über Fragen

Zusammenfassung

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der politischen Ethik. Der Plan des „Verschwörerkreises“ um Lothar Kreyssig hatte zunächst Züge eines „legalen Staatsstreichs“, war im Laufe der Vorbereitung in seinem Ziel immer weiter reduziert und am Ende dennoch auf der Synode abgelehnt worden. 1956 verabschiedete die EKD-Synode erstmals auch eine Entschließung zur „Einheit der Kirche“ und deren Bedrohung durch die DDR-Regierung. Die gesamtdeutsche Kirchengemeinschaft wurde darin doppelt begründet: Sie sei faktisch im Bewusstsein ihrer Gemeinden existent und entspreche dem Grundanliegen der ökumenischen Bewegung, die Einheit der Christenheit zu erhalten und zu fördern. Geschichtstheologische Erklärungsansätze im Sinne von Urteil, Auftrag und Gnade, wie sie in Kreyssigs Erklärungsentwurf enthalten waren, blieben ausgespart. Dagegen bekräftigte die EKD-Synode in der Entschließung ihre Arbeits- und Beschlussgemeinschaft auch in Fragen, die nur einen Teil der Gliedkirchen unmittelbar betrafen. Als Beispiele wurden die Jugendweihe und die Militärseelsorge aufgeführt und damit explizit je ein Beispiel für die ostdeutsche Staat-Kirche-Konfrontation und die bundesdeutsche Staat-Kirche-Kooperation genannt. Auswirkungen auf die Zukunft hatte auch Jacobs viel beachteter Synodenvortrag „Der Raum für das Evangelium in Ost und West“. Darin vertrat er die Auffassung, dass im östlichen und westlichen Europa das „konstantinische Zeitalter“ vorbei sei. Abwertend und mit groben Strichen skizzierte er eine vergangene Epoche des Bündnisses zwischen Staat und Kirche, der Monopolstellung der christlichen Kirche und ihrer Identifizierung mit der Gesamtbevölkerung. Mit seiner These vom Ende des „konstantinischen Zeitalters“ relativierte Jacob die schwierige Lage der Kirche in der DDR und gab ihr zugleich eine positive theologische Deutung, die nicht mehr der Wiedervereinigung als Zukunftserwartung bedurfte. Ohne Bindung an eine bestimmte Gesellschaftsordnung oder Gesellschaftsschicht sollte sich die Kirche auf das Evangelium und seinen Auftrag besinnen und auf Privilegien verzichten. In Replik auf die staatliche Forderung nach einer Loyalitätsbekundung erklärte die Synode in ihrer theologischen Stellungnahme „Gottes Wort ist nicht gebunden“ ihre Neutralität gegenüber dem Zustandekommen und der Verfassungsform eines Staates, verweigerte sich jedoch gleichzeitig jedem staatlichen Totalitätsanspruch und erklärte ihre Solidarität mit den Entrechteten und Verführten. Die Stellungnahme enthielt damit gegenüber der DDR weder eine klare Loyalitätserklärung noch -verweigerung. Ein weiteres Thema dieser außerordentlichen Synode war die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik und ihre voraussichtlich negativen Auswirkungen auf die deutsche Teilung und das Leben der ostdeutschen Bevölkerung. Nach harten Auseinandersetzungen entsandten die Synodalen eine gesamtdeutsche Delegation zu beiden deutschen Regierungen. Die Delegierten übermittelten bei ihrem Empfang durch hochrangige Staats- und Parteivertreter in Bonn die kirchlichen Bedenken, dass der westdeutschen Wehrpflicht mit einem gewissen Automatismus die ostdeutsche folgen würde und durch die 18-monatige ideologische Schulung der gesamten männlichen Jugend die christlich geprägte Kulturnation und das gesamtdeutsche Bewusstsein verloren gehe. Bei ihrem Besuch in Ost-Berlin bat die Delegation, dass kein Zwang zum Eintritt in die NVA und zur Teilnahme an einer vormilitärischen

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Die kirchliche Einheit (1956–1961)

Ausbildung ausgeübt werde, und klagte über das antikirchliche Klima in der Armee. Die Mission der gesamtkirchlichen Delegation bei den Regierungen beider deutscher Staaten blieb erwartungsgemäß ohne konkretes Ergebnis. Ihr Erfolg bestand allein darin, dass sie überhaupt stattfand. Die Folgejahre waren bestimmt von Gefahren für die äußere und innere Einheit der EKD. Die innerprotestantische Auseinandersetzung um die allgemeine Wehrpflicht verband sich 1957 mit dem Streit über die Regelung der Militärseelsorge. Die Gegner eines Militärseelsorgevertrags mit der Bundesrepublik argumentierten auch mit der drohenden Gefahr für die kirchliche und die nationale Einheit. Dennoch stimmte eine deutliche Zweidrittelmehrheit der EKD-Synodalen dem Vertrag zu. Mit der Ratifizierung des Militärseelsorgevertrags, der eine enge Kooperation von Staat und Kirche dokumentierte und damit die Stellung der evangelischen Kirche im politischen System der Bundesrepublik stabilisierte, hatten sich die CDU-nahen Gruppen im Protestantismus durchgesetzt. Allerdings hatten auch nahezu alle Synodalen aus der DDR für den Vertrag votiert. Sie deuteten ihr Votum nicht als Zeichen der politischen Ablehnung des SED-Regimes, sondern gaben ihm eine theologische Begründung: Die EKD sei keine Arbeitsgemeinschaft, sondern eine Kirche. Sie müsse als Gesamtkirche tätig werden, gleichgültig ob es sich um Aufgaben oder Schwierigkeiten in der Bundesrepublik oder in der DDR handelte. Die Kirchengemeinschaft in der EKD gehe verloren, falls man sie nur administrativ durchhalte. Es kamen aber noch drei weitere Umstände hinzu, die für die Zustimmung der ostdeutschen Synodalen zum Militärseelsorgevertrag eine Rolle spielten: Erstens hatte die DDR-Regierung der Synode einen ostdeutschen Tagungsort verweigert; zweitens schien sie den für Juli in Thüringen geplanten Kirchentag auf Grund unannehmbarer politischer Forderungen unmöglich zu machen; drittens hatte es die DDR-Regierung abgelehnt, mit der EKD ebenfalls in Verhandlungen über einen Militärseelsorgevertrag zu treten, was angesichts der weltanschaulichen Grundlagen und Ziele des SED-Staates allerdings zwangsläufig erfolgen musste. Die SED hatte schon im Vorfeld gegen den Abschluss des Militärseelsorgevertrags polemisiert, ihn aber nicht zu verhindern versucht. Mit dem Vertrag hatte die Parteiführung einen willkommenen propagandistischen Vorwand gefunden, ihre – wenn auch nicht linear – auf die Spaltung der EKD zulaufende Kirchenpolitik voranzutreiben und als „Defensive“ zu tarnen. Parteichef Ulbricht schien entschlossen, mit der Spaltung der EKD als letzter gesamtdeutscher Großorganisation seinen Teilungs- und Abgrenzungskurs zu demonstrieren. In der gleichen Zeit, in der die ostdeutsche Regierung repressiv gegen die Kirchen in der DDR sowie die grenzübergreifende Einheit in der EKD vorging, ließ sie die finanzielle Verklammerung der gesamtdeutschen Kirche zu und betrieb zugunsten ihrer Volkswirtschaft bis zum Ende der DDR das so genannte Kirchengeschäft A. Seit 1957 erfolgten über die Diakonie Rohstoff- und Warenlieferungen an die DDR, deren Gegenwert die ostdeutschen Landeskirchen und diakonischen Einrichtungen in Mark der DDR erhielten. Auf die Kirchenpolitik der SED hatten diese Geschäfte keine Richtung ändernde Auswirkung. Die Kirchen im Westen nahmen die wirtschaftlich stabilisierende Wirkung des Transfers für die DDR in Kauf, um trotz Mitgliederschwund,

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Verringerung der Staatsleistungen und Abschaffung des staatlichen Kirchensteuereinzugs volkskirchliche Organisationsstrukturen und Tätigkeitsfelder – insbesondere den diakonischen Bereich – in der DDR weiterhin aufrecht zu erhalten. Die SED erreichte dennoch in der zweiten Hälfte der 50er Jahre einen massiven Einbruch der Volkskirche als gesellschaftliche Kultur- und Bildungsmacht. Mit der flächendeckenden Durchsetzung der Jugendweihe zwischen 1954 und 1959 kam die Staatspartei ihrem Fernziel, der systematischen Verdrängung der Kirche aus der Mitte der Gesellschaft an deren Rand, näher. Parallel zur Durchsetzung der Jugendweihe wurde der Religionsunterricht faktisch aus der Schule verdrängt und die gesamte Schulbildung atheistisch überformt. Die Kirchen reagierten auf die Jugendweihepropaganda mit einer Unvereinbarkeitserklärung von Jugendweihe und Konfirmation. Ihr Selbstbewusstsein in dieser weltanschaulichen Auseinandersetzung bezogen sie aus den positiven Erfahrungen, die sie 1952/53 mit der Standhaftigkeit der Jugendlichen gemacht hatten, und aus der Resthoffnung auf ein absehbares Ende der DDR. Die im April 1958 in Ost- und WestBerlin tagende EKD-Synode verhandelte trotz einer von der SED inszenierten Protestkampagne das vorgesehene Thema „Kirche und Erziehung“. Jedoch verlagerte sie die Austragung des Konflikts um die Jugendweihe in ein Staat-Kirche-Gespräch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Um unter den östlichen sowie zwischen den westlichen und östlichen Gliedkirchen eine einheitliche Auffassung und Gestaltung der Konfirmation sicherzustellen, wurde ein koordinierender EKD-Ausschuss eingesetzt. Dieser konnte jedoch nicht verhindern, dass bereits im Sommer 1958 der Konsens der ostdeutschen Kirchenleitungen in der Konfirmationsfrage zu bröckeln begann. Die Landeskirchen überprüften ihre Entscheidung über die Inkompatibilität von Konfirmation und Jugendweihe und kamen dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen. Dahinter stand die Erfahrung, dass die Gemeinden dem widerständigen Kurs der Kirchenleitungen und Pfarrer in der Jugendweihe-Frage immer weniger folgten. Das harte Vorgehen der SED in Jugend- und Erziehungsfragen war Teil einer ideologischen Großoffensive, welche durch den V. Parteitag der SED im Juli 1958 an Dynamik gewann. Ulbricht verkündete in Parallele zu den christlichen Zehn Geboten die „Zehn Gebote der sozialistischen Moral“ und machte damit den Führungsanspruch der Partei über alle Lebensbereiche deutlich. In der Kirchenpolitik führte dies zu Kampagnen zur Ausbreitung des Atheismus und zur Einführung atheistischer Ersatzrituale. Die Kirchen verloren diese weltanschauliche Auseinandersetzung, die Kirchlichkeit ging in der zweiten Hälfte der 50er Jahre drastisch zurück. Die Mehrheit der Christen zeigte sich dem staatlichen Druck nicht gewachsen und wollte den Schikanen und Benachteiligungen, denen sie als Christen ausgesetzt waren, entgehen. Der drastische Schrumpfungs- und Marginalisierungsprozess, das staatliche Drängen auf eine Loyalitätserklärung, die repressive Kirchenpolitik der SED sowie das Schwinden der Hoffnung auf eine deutsche Wiedervereinigung, die den kirchlichen Widerstandswillen in der DDR bis dahin mitgetragen hatte, bildeten den Hintergrund, vor dem die ostdeutschen Kirchen in der zweiten Hälfte der 50er Jahre ihr Verhältnis zu ihrem Staat und der sie umgebenden, sich sukzessive wandelnden Ge-

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Die kirchliche Einheit (1956–1961)

sellschaft neu bestimmen mussten. In diesem Reflexionsprozess bildete sich in der zweiten Hälfte der 50er Jahre ein weites Spektrum theologischer und kirchenpolitischer Positionen aus, das von staatsloyalen Opportunisten über Theologen, die sich um eine konstruktiv-kritische Haltung bemühten, westlich orientierten, kritischen Pragmatikern bis hin zu wirklichen Staatsgegnern reichte. Dieser Prozess fand noch innerhalb der gesamtdeutschen kirchlichen und theologischen Kommunikationsnetze statt. Ohnehin war der westdeutsche Staat und das dortige Staat-Kirche-Verhältnis weiterhin positive wie negative Bezugsgröße in diesen Diskussionen. Während im kirchlichen Raum reflektiert wurde, schuf die DDR-Führung Tatsachen, um die ostdeutschen Kirchen von der EKD zu entfremden und dem SED-Staat anzunähern. Ab Mai 1958 stellte sie jeglichen offiziellen Kontakt mit der EKD ein. Gleichzeitig offerierte sie ein Staat-Kirche-Gespräch über die kirchlichen Gravamina mit ausschließlich ostdeutscher Beteiligung. Mit der Annahme dieses Angebotes sollten die Kirchen in der DDR selbst den ersten Schritt zur organisatorischen Spaltung der EKD machen. Obgleich die ostdeutschen Kirchenleitungen an der EKD-Einheit festhalten wollten, da sie bei einer Trennung Finanznöte, geistige Isolierung sowie den Verlust kirchlicher Unabhängigkeit gegenüber dem Staat fürchteten, kam es dennoch zu dem Treffen. Mit dem Kommuniqué über das Gespräch errang die SED-Führung einen wichtigen Teilerfolg: Die EKD verlor mit ihm faktisch ihren gesamtkirchlichen Vertretungsanspruch gegenüber der DDR-Regierung. Und zumindest indirekt hatten die ostdeutschen Kirchen ihre Loyalität gegenüber der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR erklärt und sich damit deklaratorisch von der Orientierung der EKD an der Bundesrepublik und der westlichen Wertewelt gelöst. Die SED behandelte das Kommuniqué im Folgejahrzehnt als Dokument einer Neudefinition des Staat-Kirche-Verhältnisses und berief sich in Kirchenfragen fortan auf diesen Text und nicht mehr auf die Verfassung. Innerkirchlich reichten die Reaktionen auf das Kommuniqué von scharfer Kritik bis zu verständnisvoller Zustimmung, es überwog jedoch die Ablehnung. Auch und gerade nach dem Kommuniqué ging die Positionssuche von Kirche und Christen gegenüber einem demokratisch nicht legitimierten, mehrfach rechtsbrüchigen SED-Staat und einer atheistischen Umwelt weiter. Die gesamtdeutschen Kirchenbünde EKU und VELKD brachten je eine Handreichung zur christlichen Existenz in der DDR heraus. Die Anstrengungen der EKD in dieser Richtung blieben vor allem infolge von Interventionen seitens Dibelius’ ohne ein publiziertes Ergebnis. Das ganze Spektrum der divergierenden Positionen gegenüber dem SED-Staat offenbarte sich schließlich im „Obrigkeitsstreit“ der Jahre 1959/60. Dibelius’ theologisch begründetes Eintreten für die, von ihm keineswegs geliebte, parlamentarische Demokratie und gegen das östliche Staatssystem löste in West- und Ostdeutschland eine heftige Auseinandersetzung aus. Die Synode der EKD, die 1960 wegen eines staatlichen Verbots nur im Westteil von Berlin tagen konnte, nahm den Ratsvorsitzenden dennoch vor den Anfeindungen des SED-Regimes in Schutz. Inhaltlich bestätigte sie hingegen ihre Aussagen zur Obrigkeit in der Theologischen Erklärung von 1956. Einer repräsentativen Umfrage zum „Obrigkeits“-Thema unter der westdeutschen Bevölkerung zufolge fand der von Dibelius geforderte kirchliche Konfrontationskurs gegen den atheisti-

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schen Staat auch unter den bundesdeutschen Protestanten wenig Widerhall. In tradiertem Obrigkeitsverständnis empfahl fast die Hälfte der Befragten den Christen in der DDR Gehorsam gegenüber ihrer Obrigkeit und den Rückzug in ein christlich gestaltetes Privatleben. Und trotz eines weit verbreiteten Antikommunismus in der Bundesrepublik erklärte die Mehrheit der befragten Protestanten, die Kirche solle anstatt die DDR-Regierung zu kritisieren alle Kraft auf den seelischen Beistand für die Bevölkerung verwenden. Neben der Auseinandersetzung um die kirchliche Haltung zu Staat und Gesellschaft der DDR beschäftigte und spaltete die evangelische Kirche in der zweiten Hälfte der 50er Jahre eine zweite Streitfrage: die atomare Ausrüstung der Bundeswehr. Auch die Atomdebatte fand in gesamtkirchlichen und gesamtdeutschen Diskussionszusammenhängen und unter argumentativer Bezugnahme auf die spezifische deutsche Situation statt. Trotz harter Auseinandersetzungen blieb die befürchtete Spaltung der EKD-Synode wegen der Atomfrage aus. Die Vertreter der Bruderschaften verzichteten auf eine Abstimmung über die Feststellung des status confessionis in der Haltung zur Atomfrage. Dieser Verzicht wurde nachträglich mit dem Eindruck begründet, die ostdeutschen Synodalen hätten angesichts des auf sie von staatlicher Seite ausgeübten Druckes nicht innerlich frei abstimmen können – eine auch innerhalb der Bruderschaften nicht unumstrittene Argumentation. So endete die Atomdebatte der Synode nicht mit einem Eklat, sondern mit der so genannten „Ohnmachtsformel“, in der die augenblickliche Unüberbrückbarkeit der theologischen und kirchenpolitischen Gegensätze eingestanden wurde. Wie im Obrigkeitsstreit verliefen auch in der Atomdebatte die Fronten nicht parallel zur innerdeutschen Grenze. Als mit der zweiten Berlin-Krise seit Ende 1958 die deutsche Teilung noch einmal für einige Jahre in den Blickpunkt der Weltpolitik rückte, kamen hierzu auch erneut Stellungnahmen aus dem kirchlichen Raum. Vornehmlich die EKU wurde aktiv, indem sie auf der Grundlage eines geschichtstheologisch fundierten, historisch-moralischen Nationalbewusstseins ein „Notwort“ mit weit reichenden friedens- und deutschlandpolitischen Forderungen herausbrachte und als „Notdienst“ den Plan eines gesamtdeutschen Rates reaktivierte. Vor, während und nach der Genfer Außenministerkonferenz der Siegermächte kamen dann gleich mehrere deutschlandpolitische Stellungnahmen aus dem kirchlichen Raum, die allesamt auf die Wiederherstellung bzw. Wahrung der Kommunikationsgemeinschaft der Deutschen zielten. Als 1960 angesichts des Flüchtlingsstroms die „Wiedervereinigung“ auf westdeutschem Gebiet stattzufinden drohte, war es wieder die EKU, die zum Problem der Massenflucht und damit faktisch auch der Dezimierung der ostdeutschen Kirchengemeinden Stellung bezog. In einem Wort an die Gemeinden ihrer ostdeutschen Gliedkirchen deutete sie die Situation von dem Glauben an die allumfassende Herrschaft Gottes her und rief auf dieser theologischen Grundlage zum Bleiben und zur Annahme der Situation in der DDR auf. Die Gemeinden ihrer westdeutschen Gliedkirchen bat sie, an der Situation der ostdeutschen Christen Anteil und sie in ihren andersgearteten Lebensumständen ernst zu nehmen. In einem Schreiben an den DDR-Ministerpräsidenten Grotewohl erklärte die Synode, der Staat habe mit der Durchsetzung des Mar-

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xismus-Leninismus als Grundlage allen gesellschaftlichen Lebens in der DDR die ihm von Gott gesetzte Aufgabe, ein geordnetes Zusammenleben der Staatsbürger und die Würde und das Recht des Einzelnen zu sichern, überschritten und damit die Hauptursache der Flucht geschaffen. Auf Staatsseite wurde die Annahme des Briefes mit der Begründung verweigert, die Leitung der EKU sei für die Regierung der DDR seit dem Abschluss des Militärseelsorgevertrages nicht mehr existent. Auch die gesamtdeutsche EKU war zum Objekt der Abgrenzungspolitik der DDR geworden. Die Spaltung gesamtdeutscher Kircheneinheit trieb der Staat derweil auch mit Aus- und Einreiseverboten voran. Angesichts der Angriffe auf die grenzübergreifende Kircheneinheit sowie der ostdeutschen kirchlichen Standortsuche, die von der Erfahrung der Dauer der DDR und der eigenen Minorisierung vorangetrieben wurde, setzte in den gesamtdeutschen kirchlichen Gremien ein Reflexionsprozess über Grundlagen und Lebenswirklichkeit kirchlich-institutioneller Einheit ein. Besonders intensiv erfolgte dies im Studentenund Jugendbereich. Hier wurde schon vor dem Mauerbau deutlich, dass die Verhältnisbestimmung zu nationaler und kirchlicher Einheit auch eine Generationenfrage war. Für die junge Generation, die in den Studentengemeinden bereits in den Leitungsgremien saß, war der deutsche Nationalstaat keine eigene bewusste Erfahrung mehr. Ihre Lebenswirklichkeit war der jeweilige deutsche Teilstaat; der Wiedervereinigung standen sie kritisch oder aber desinteressiert gegenüber. Unter jungen Christen, vornehmlich in der Bundesrepublik, machte sich eine Hinwendung zu einer globalen Perspektive sowie die Ausbildung von Mehrfachidentitäten bemerkbar. Von daher stellten sie auch die Einheit der ESGiD infrage, die ihnen der Realität der Gemeinden zu widersprechen schien. Einig waren sich jüngere und ältere Studentenvertreter in der Ablehnung einer nationalpolitischen Motivierung kirchlicher Einheit, wie sie im Bild der „Klammer“ zum Ausdruck kam. Sie wurde als Ideologisierung der Einheit der Gemeinden verstanden. Ein ausschließlich ökumenisches Einheitsverständnis hielten sie hingegen – noch – für zu abstrakt und ahistorisch. Die Verantwortlichen der ESGiD entschieden sich in ihrem Einheitsmemorandum von 1960, ihre faktisch vorhandene Gemeinschaft in der ESGiD auf der Grundlage eines funktionalen und dynamischen Einheitsverständnisses zu erhalten. Ihre spezifische Gemeinschaft wurde historisch-moralisch mit den noch vorhandenen gemeinsamen Aufgaben im gemeinsamen „Verantwortungsbereich“ Deutschland begründet und die gegenseitige Korrektivfunktion hervorgehoben – ein Interpretationsmuster, das sich auch die AGEJD zu Eigen machte. Die Situation im geteilten Deutschland wurde als Herausforderung und Angebot Gottes gedeutet. Die Christen sollten sie annehmen, gestalten und an der Überwindung aktueller Not arbeiten. Diese geschichtstheologische Deutung der Teilung barg allerdings die Möglichkeit in sich, sie zukünftig auch im Sinne eines Verzichts auf nationale kirchliche und staatliche Einheit zu interpretieren. Auf Martin Fischers Drängen wurde dieser Interpretation im Memorandum ein Riegel vorgeschoben, indem es hieß, die Zukunft sei offen und die Christen müssten sich mit der Spaltung Deutschlands nicht abfinden. Ohne sich aus der gegenseitigen Verantwortung zu entlassen, gab man sich in der ESGiD dennoch zum Handeln

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im eigenen Bereich frei; dies schloss auch die bewusste Loyalität gegenüber dem eigenen Teilstaat ein. Das Memorandum trug Kompromisscharakter, es rührte an Tabus, aber brach sie nicht, weder hinsichtlich der nationalen noch der kirchlichen Einheit. Außerhalb des Studenten- und Jugendbereichs wurde vornehmlich ex negativo argumentiert, dass politische Kräfte kein Recht besäßen, eine vorgegebene Einheit der Kirche willkürlich zu trennen. Man lehnte es ab, sich in politische und staatliche Abgrenzungen oder Gegensätze einzuordnen, die menschliches Leid und politische Gefahr in sich bargen. Gleichwohl galt es darüber nachzudenken, wie zukünftig innerkirchlich „Einheit“ und „Verschiedenheit“ miteinander verknüpft, d. h. die Organisationsstruktur an die veränderte Situation angepasst und gleichzeitig die kirchliche Einheit erhalten werden konnte. Die zunehmende Behinderung der Synode durch die Maßnahmen der DDR-Behörden, die zwangsläufige Verlagerung der politischen Themen in die nicht öffentlichen Ausschüsse, die Notwendigkeit taktischer Rücksichtnahmen, die wachsende Verschiedenheit der Probleme von Christen in Ost- und Westdeutschland, die Lähmung des Klärungsprozesses in der DDR durch den kirchlichen Zusammenhang mit dem Westen sowie die Schwierigkeiten, noch eine gemeinsame Sprache zu sprechen, traten immer offener zu Tage. Vereinzelt kam es zu Plädoyers, die Einheit zugunsten von kontextadäquatem Handeln zu lockern, da sie die notwendige Kirchenreform in der DDR blockiere sowie theologische und sozialethische Klärungsprozesse in Ost- und Westdeutschland behindere. Diese Absage an den Dibelianischen Kurs gründete auf ekklesiologischen Vorstellungen von einer deprivilegierten Bekenntniskirche, die sich gerade unter jüngeren Pfarrern in der DDR verbreiteten. Dominierte zuvor die Furcht, von den Westdeutschen „abgeschrieben“ zu werden, gab es im Zuge der Selbstverständigungsprozesse unter den Christen in der DDR nunmehr Abwendungstendenzen gegenüber dem Westen. Aus inneren und äußeren Gründen kam es zu ersten Veränderungen an den gesamtdeutschen Organisationsstrukturen. Die EKD reagierte auf die äußere Bedrohung und wertete das Büro der Kirchenkanzlei – Berliner Stelle in Ost-Berlin auf. Die selbstständige Verwaltungsstelle trug fortan den Namen „Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR“ und wurde ausschließlich mit DDR-Bürgern besetzt. Die berlin-brandenburgische Kirche, die täglich mit den Problemen kirchlicher Einheit konfrontiert war, plante Mitte 1959 für den Ernstfall einer totalen Abschnürung und erließ eine „Notverordnung über einstweilige regionale Synoden“. Auf äußere und innere Anstöße hin wurden in der ESGiD einige Veränderungen vorgenommen, welche sowohl die Einheit als auch die Selbstständigkeit der beiden Bereiche stärkten. Zu Bewährungsproben für die Einheit wurden im Jahr 1961 EKD-Synode und Kirchentag in Berlin. Angesichts der staatlichen Behinderungen der Synode wurden dort noch einmal die Reihen über alle theologischen und kirchenpolitischen Gegensätze hinweg geschlossen. Die Synode war ein Ort der Einheitsbekundungen und -deutungen. Die Einheit der EKD wurde im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft gedeutet oder als „Laboratorium der ganzen Ökumene“. Dibelius klagte in seinem letzten Ratsbericht über die innere Bedrohung der Einheit durch die Geringschätzung der verfassten Kirche in der jungen Theologengeneration und legte selbst noch einmal ein

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Bekenntnis zur EKD ab. Auch die Neuwahl des Rates und seines Vorsitzenden wurde zu einem Akt zur Wahrung kirchlicher Ost-West-Einheit. Die Wahl des in Ost-Berlin ansässigen und SPD-nahen Scharf zum Ratsvorsitzenden sollte den Vorwurf der einseitigen Westorientierung der EKD entkräften und ihre Einheit sichern. Der letzte gesamtdeutsche Kirchentag in Berlin stellte hingegen die äußere und innere Einheit der EKD auf die Probe. Die DDR-Regierung ließ Ende 1960, als die deutsch-deutschen Beziehungen auf Grund des Streits um den Reiseverkehr von und nach Berlin einen Tiefpunkt erreicht hatten, keinen gesamtdeutschen Kirchentag in Berlin zu. Stattdessen bot sie Leipzig als Ort für einen Kirchentag der „evangelischen Kirche in der DDR“ mit westdeutschen Delegationen an und machte den Kirchentag damit zum Objekt ihrer Abgrenzungspolitik. Über die Entscheidung für Berlin und die Demonstration von Einheit, Recht und Freiheit der EKD oder für Leipzig und die Chance, den Evangeliumsauftrag der Kirche auf DDR-Gebiet wahrzunehmen, kam es zu heftigen innerkirchlichen Auseinandersetzungen. Das Verbot des Kirchentages in Ost-Berlin und die drohenden Restriktionen gegen ostdeutsche Kirchentagsbesucher ließen die ostdeutschen Bischöfe für eine Verschiebung des Kirchentages plädieren, das Präsidium des DEKT hielt indes an Berlin und dem Juli-Termin fest. Aus Solidarität mit ihren Gemeindegliedern blieben die ostdeutschen Bischöfe bis auf eine Ausnahme dem Kirchentag fern und respektierten damit faktisch das Verbot ihrer Staatsführung. Die West-Berliner Veranstaltungen des Kirchentages, an denen dann doch tausende DDRChristen teilnahmen, wurden bewusst unpolitisch gehalten. Als Faktum aber war der Kirchentag natürlich ein Politikum. In den Augen seiner kirchlichen Befürworter hatte er ein weiteres Mal seine kirchliche und nationale Klammerfunktion erfüllt. Angesichts der vorausgegangenen inneren Querelen und der äußeren Behinderungen traf dies im Vergleich zu den Jahren 1951 und 1954 jedoch nur noch in einem eingeschränkten Maße zu. Und es sollte das letzte Mal gewesen sein. Die gesamtdeutsche Geschichte des Kirchentages war an ihr vorläufiges Ende gekommen. Außerhalb des Rampenlichts gab es hingegen noch vielfache Formen lebendiger kirchlicher Einheit. Jedoch zeichnete sich in der zweiten Hälfte der 50er Jahre auch in der Begegnungsarbeit eine innere Entfremdung ab, die deutlich macht, dass der Prozess des Auseinanderwachsens schon vor dem Mauerbau voll im Gange war. Auch im Bereich der Jungen Gemeinde war 1956 ein Jahr, in dem sich angesichts der internationalen, innerdeutschen und innenpolitischen Entwicklung Hoffnungslosigkeit breit machte. Bei den ostdeutschen Jugendlichen machten die Begegnungsleiter zunehmend Ermüdungs- und Zermürbungserscheinungen aus. Die jungen Christen in der Bundesrepublik befanden sich derweil nicht anders als ihre Altersgenossen auf dem Weg zu einem neuen Freizeit- und Konsumverhalten und mussten bereits 1957 zum „Opfer“ einer Besuchsfahrt in die DDR nachdrücklich aufgefordert werden. Bei den Begegnungen wurde die Verständigung unter den Jugendlichen aus beiden deutschen Teilstaaten schwieriger, da in der jungen Generation die Identifikation mit ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Umwelt wuchs. Die Folgen der unterschiedlichen Sozialisation machten sich bis in die Bibelarbeit hinein bemerkbar. Die unterschiedlichen Problemlagen des Christseins in Ost- und Westdeutschland sowie die Stereotypen

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vom „reichen Westen“ und „frommen Osten“ führten bei den Treffen mitunter zu Spannungen. Um die Jahreswende 1957/58 kam die Begegnungsarbeit im Bereich der Evangelischen Jugend in eine Krise, die jedoch mehr auf der Leitungs- als auf der Teilnehmerebene zu verorten war. Für die Krise gab es gleich mehrere Ursachen: Erstens wurden die evangelischen Jugendvertreter in der DDR durch Gerichtsverfahren gegen Studentenpfarrer, in deren Zusammenhang die „Ost-West-Begegnungen“ negativ in die ostdeutschen Schlagzeilen geraten waren, verunsichert. Zweitens ging das Konkurrenzverhältnis zwischen den Treffen in der Bundesrepublik und den Veranstaltungen der Jungen Gemeinde in der DDR eindeutig zu Lasten letzterer. Drittens entstand auf ostdeutscher Seite der Eindruck, dass die Begegnungen mit der evangelischen Jugend in der Bundesrepublik unter den Mitgliedern der Jungen Gemeinde die Abneigung gegenüber der DDR verstärkten und bei den ostdeutschen Begegnungsleitern eine „Verwestlichung“ förderten. Viertens wuchs unter ost- und westdeutschen Vertretern der Jugendarbeit eine theologisch und politisch motivierte Unzufriedenheit mit dem Charakter der Ost-West-Begegnungen. Sie kritisierten diese als einseitig westlich geprägt und von einer Ignoranz gegenüber der Realität der DDR bestimmt. Der Gesamtkirchliche Ausschuss gab daher die Empfehlung, bis auf weiteres in der Bundesrepublik keine Begegnungen mehr durchzuführen. Etwas später wurde die Lösung in einer Begegnungsarbeit der kleinen Zahl gesehen. Infolge der Abschottungspolitik der DDR durch das Passgesetz vom Dezember 1957 sowie einer repressiven Jugendpolitik sank die Anzahl der Treffen aber ohnehin. Standard wurden die Ost-West-Ersatzbegegnungen in Berlin sowie Besuchsfahrten westdeutscher Jugendgruppen in die geteilte Stadt, die nach dem Willen des staatlichen Geldgebers der politischen Bildung dienen sollten. Vereinzelt kamen auch noch Reisen in die DDR zustande, die von den ostdeutschen Christen als stärkster Beweis der Verbundenheit gewertet wurden. Nach einem Einbruch in der studentischen Begegnungsarbeit im Jahr 1957 auf Grund der äußeren Behinderungen und Gefährdungen konnten zwischen 1958 und dem Mauerbau die Kontakte unter den Patengemeinden neu belebt werden. Nach dem Willen der Leitungsebene sollten die „Patenverhältnisse“ gleichberechtigt gestaltet werden. Der geistige und geistliche Austausch hatte zukünftig im Mittelpunkt zu stehen, die einseitigen materiellen Hilfeleistungen in den Hintergrund zu treten. Der bereits 1956 vorgeschlagene Begriff „Partnergemeinde“, der das neue Verständnis nach außen dokumentieren sollte, setzte sich jedoch erst sehr viel später durch. Thematisch waren die Treffen in Ost-Berlin während dieser Jahre eindeutig „ostlastig“. Die Diskussionen drehten sich vorwiegend um das Staat-Kirche-Verhältnis sowie über kirchliche Zukunftsmodelle in der DDR. Weniger als in den gesamtdeutschen Gremien wurde bei den Begegnungen über Grundlage und Funktion gesamtkirchlicher Einheit und somit auch der Patentreffen debattiert. Kam es doch vor, so betonten die Teilnehmer die Korrektivfunktion der Ost-West-Begegnungen. Im Jahr des Mauerbaus trafen sich noch tausende junger Christen aus beiden Teilen Deutschlands in Berlin, überwiegend zu gemeinsamen Bibelrüstzeiten. Denn je stärker sich die Lebensbedingungen auseinander entwickelten, um so mehr wurde versucht,

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Die kirchliche Einheit (1956–1961)

durch die Bibelarbeit die geistliche Gemeinschaft zu stärken und so eine gemeinsame Basis zu legen, auf der dann ein sachliches Gespräch möglich wurde. Der Ost-WestVergleich blieb dabei ein wesentlicher Bestandteil der Diskussionen. Mitunter erschienen in der DDR praktizierte Arbeitsweisen, wie Rüstzeiten oder Evangelisationen, den westdeutschen Teilnehmern beispielhaft auch für die Arbeit in der Bundesrepublik. Bestärkt wurden sie darin durch kritische Anfragen von ostdeutschen Teilnehmern an die westdeutsche Jugendarbeit. Der kirchliche Westen war nicht mehr selbstverständlich die Norm, an der sich der kirchliche Osten maß. Insgesamt verlief der Ideentransfer im Bereich der evangelischen Jugendarbeit aber dennoch überwiegend in WestOst-Richtung.

ImBannderMauer(1961–1964)

3. Im Bann der Mauer (1961–1964) ZwischenEinheitundEigenständigkeit

3.1 Kirchliche Gemeinschaft zwischen Einheit und Eigenständigkeit 3.1.1 Erste Reaktionen auf den Mauerbau Mit dem Bau der Berliner Mauer waren die Kommunikations- und Informationswege zwischen den beiden deutschen Teilstaaten weitgehend abgeschnitten. Dies hatte für die Bevölkerung der DDR nicht allein praktische, sondern auch psychische Auswirkungen1. Es entstand das Gefühl des Eingesperrtseins, des Ausgeliefertseins gegenüber dem – nach dem Mauerbau vorübergehend zunehmenden – politischen Druck sowie die Überzeugung, dass das ostdeutsche Provisorium von Dauer und man sich im Osten selbst überlassen sein würde. Als eine Folge dieser Bewusstseinslage registrierten Kirchenvertreter in den ersten Wochen nach dem 13. August 1961 in der DDR eine vorübergehende Zunahme von Kirchlichkeit2. Sowohl die Besuche von Gottesdiensten und übergemeindlichen Veranstaltungen als auch die Anmeldungen zur Konfirmation und die seelsorgerliche Inanspruchnahme der Pfarrer stiegen sichtbar an. Auch die Studentengemeinden in der DDR verzeichneten einen erhöhten Zulauf_3. Eine „massenhafte Zuwendung zum aktiven kirchlichen Leben“, wie etwa nach dem Kriegsende, blieb allerdings aus4. Die evangelische Kirche versuchte in der Zeit unmittelbar nach dem Mauerbau vor allem deeskalierend auf die aufgebrachte Berliner Bevölkerung einzuwirken. Scharf und Dibelius bemühten sich am 14. August, mit einem seelsorgerlich gehaltenen Aufruf die angespannte Stimmung zu beruhigen. In dem von den Kanzeln des Kirchengebietes Berlin-Brandenburg verlesenen Hirtenbrief unterließen sie es, die politischen Ereignisse zu analysieren oder zu bewerten. Stattdessen riefen sie zu Besonnenheit und Einheit im Glauben auf: „Im Namen Jesu Christi soll verbunden bleiben, was er zusammengefügt hat. Wir bleiben Brüder, auch wenn man es uns schwer macht, beieinander zu sein. Laßt uns reicher werden an Liebe und erfinderisch an Mitteln und Wegen, einander 1 Zur Wirkung der Mauer auf Bevölkerung und Politik vgl. H. POTTHOFF, Schatten, S. 20–30; P. MAJOR, Reaktionen, S. 339–351. Zu den katholischen Reaktionen vgl. M. HÖHLE, 13. August. 2 Vgl. Bericht Scharfs über die Lage in der DDR, gehalten am 15.9.1961 vor der AGEJD in Berlin (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung), und den Bericht Liljes über die gesamtkirchliche Situation vor der Hannoverschen Landessynode (epd ZA, 24.10.1961, S. 2). 3 Bericht Rohrbachs über die ESGiD, gehalten am 29.11.1963 vor dem Rat der EKD (EZA BERLIN, 36/88/387). 4 Vgl. Referat Wilkens vor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 12.4.1961: „Kirchlicher Dienst am gespaltenen Deutschland“ (EZA BERLIN, 650/95/2).

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diese Liebe zu zeigen!“5. Drei Tage später unterzeichnete Scharf ein Telegramm an den Staatsratsvorsitzenden und den Ost-Berliner Oberbürgermeister6. Auch darin unterblieb Kritik an der politischen Situation. Man konzentrierte sich auf die humanitären Auswirkungen des Mauerbaus und bat zur Beruhigung der Bevölkerung um die „großzügige Gewährung von Passierscheinen, Reisebescheinigungen und Aufenthaltsgenehmigungen“7. Wegen dieses Telegramms wurden Scharf sowie die drei weiteren Unterzeichner – der Vorsitzende der Kirchlichen Ostkonferenz Krummacher, der Berliner Generalsuperintendent Führ und der Präses der Synode von Berlin-Brandenburg Fritz Figur – von Staatsvertretern in persönlichen Gesprächen scharf gerügt. Doch nur Scharf hatte noch sehr viel weit reichendere Konsequenzen zu tragen. Auf Weisung des Politbüros wurde ihm am 31. August die Rückreise zu seinem Dienstsitz in Ost-Berlin verweigert und der DDR-Personalausweis abgenommen8. Begründet wurde diese Maßnahme mit einer bewussten Missdeutung des Telegramminhalts, der als Bitte Scharfs zur Ausreise zu seiner Familie nach West-Berlin ausgelegt wurde. Hinzu kamen die Behauptung, Scharf habe beim Zuzug nach Ost-Berlin 1951 seinen Westausweis behalten, sowie der Vorwurf, er sei als Vorsitzender des Rates der EKD der Leiter einer „friedensfeindlichen und illegalen Organisation“9. Eingaben von Seiten des Rates der EKD, der berlin-brandenburgischen Kirchenleitung, der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR, der Provinzialsynode der Evangelischen Kirche von Schlesien sowie einer Reihe bekannter Kirchenvertreter aus dem In- und Ausland gegen die Aussperrung blieben ohne Erfolg10. Die Hauptabteilung V/4 des MfS bezeichnete in ihrer Jahresanalyse die Ausweisung Scharfs als „Höhepunkt der gesamten Aktionen in der politisch-operativen Arbeit“11. Durch sie und den Mauerbau sei erreicht worden, dass der Einfluss der EKD auf die Landeskirchen in der DDR erheblich zurückgedrängt wurde – eine „Voraussetzung für die Selbständigmachung der Kirchen in der DDR“. Kirchenvertreter bewerteten demnach die Ausweisung Scharfs zu Recht nicht nur als einen schwerwiegenden Eingriff in das kirchliche Leben, sondern auch als einen gezielten Angriff auf die institutionelle Ost-West-Einheit der EKD. In einem Gespräch, das der Vertreter des Bruderrates der EKD Heinz Kloppenburg mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen führte, wurde diese Vermutung auch unmittelbar bestätigt12. Seigewasser 5 KJ 88, 1961, S. 3. 6 Der Wortlaut des Telegramms war von der Kirchenleitung der EKiBB vorbereitet und auf einer Besprechung von verantwortlichen Vertretern einiger ostdeutscher Landeskirchen und mehrerer Berliner Dienststellen verabschiedet worden. Vgl. Aktenvermerk Behms über eine Besprechung am 16.8.1961 in Berlin (EZA BERLIN, 104/108). 7 KJ 88, 1961, S. 4. 8 Vgl. SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 299. 9 Der genaue Hergang der Aussperrung wird in einem Kommuniqué des Rates vom 1.9.1961 geschildert. Vgl. KJ 88, 1961, S. 6f. 10 Vgl. EBD., S. 6–14. 11 „Jahresanalyse der HA V/4 für das Jahr 1961 und die sich daraus ergebende politisch-operative Aufgabenstellung für das Jahr 1962“, 18.1.1962 (BStU BERLIN, MfS HA XX/4–332). 12 Bericht Kloppenburgs vom 15.10.1961 über sein Gespräch mit dem StfK Seigewasser in Ost-Berlin am 13.10.1961. Abdruck in: H. PROLINGHEUER, Kirchenwende, S. 129–134.

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erklärte, dass die Ausweisung Scharfs unwiderruflich sei und der neue Ratsvorsitzende die in ihn gesetzten Hoffnungen, man könne mit ihm anders verhandeln als mit seinem Vorgänger Dibelius, durch seine „prinzipielle Voreingenommenheit“ enttäuscht habe. Eine gesamtdeutsche kirchliche Organisation, erklärte der Staatssekretär weiter, könne es zukünftig angesichts der Existenz zweier deutscher Staaten nicht mehr geben. Sie sei auch keine theologische Notwendigkeit. Auf die Kommunikation zwischen den Gemeinden in den beiden deutschen Staaten angesprochen, erklärte er, dass erst nach einer internationalen Anerkennung der DDR mit deren Erleichterung gerechnet werden könne. Dass der kirchenpolitische Kurs der SED im Zuge ihrer Abgrenzungs- und Anerkennungspolitik nach außen und ihrer Machtkonsolidierungspolitik nach innen auf eine institutionelle Trennung der ost- von den westdeutschen Kirchen zielte, machte auch der Vorstoß des SED-nahen Bundes Evangelischer Pfarrer in der DDR deutlich. Am 19. Oktober forderte diese Vereinigung „fortschrittlicher“ Pfarrer in einem Schreiben an die Kirchenleitungen in der DDR, „sobald wie möglich gesamtkirchliche Organe in der DDR zu schaffen, die unabhängig von der EKD sind und arbeiten können.“13 Es wurde argumentiert, dass die Evangelische Kirche 1945 ihre Einheit in der Stuttgarter Schulderklärung gefunden und sie mit dem Abschluss des Militärseelsorgevertrages verloren habe. Durch ihr Mehrheitsvotum für die westliche Lösung der deutschen Frage sei die EKD an der Spaltung Deutschlands mitschuldig geworden und habe durch das Verhalten einiger Ratsmitglieder und Synodaler die „Maßnahmen“ vom 13. August mit provoziert. Eine Fortexistenz der evangelischen Kirchen in der DDR als Gliedkirchen der EKD erschien dem Pfarrerbund unter diesen Umständen als „innerlich und äußerlich unmöglich.“ Hingegen sollte die „unaufgebbare geistliche Einheit der evangelischen Kirchen in Deutschland [. . .] ihren Ausdruck in einer deutschen Ökumene finden“14. Kirchenkanzleipräsident Heinz Brunotte verwarf in einer internen Stellungnahme die Trennungsvorschläge des Pfarrerbundes und ihre Begründung Punkt für Punkt15. Er verwies auf die rechtliche Kontinuität der EKD mit der 1933 entstandenen DEK und bezeichnete die Zurückführung der Einheit der EKD auf die Stuttgarter Schulderklärung als eine „Überschätzung dieser erst im Oktober 1945 beschlossenen Erklärung“. Erwartungsgemäß sah er die Einheit der EKD durch den mit großer Synodalmehrheit angenommenen Militärseelsorgevertrag nicht als verloren gegangen an. Denn mit diesem Vertrag habe die Kirche keine politische Entscheidung getroffen, sondern ihren Auftrag zur Seelsorge ernst genommen, so der CDU-nahe Brunotte. Seiner Auffassung nach bestand die gesamtdeutsche EKD auch nach dem 13. August 1961 fort, da sie „historisch und bekenntnismäßig“ begründet sei und von der Verschiedenheit wirtschaftlicher und politischer Strukturen nicht berührt werde. Die „vo13 KJ 88, 1961, S. 13. 14 EBD., S. 14. 15 EZA BERLIN, 650/95/36. Nahezu alle von Brunotte angeführten Argumente finden sich wörtlich, aber ohne Angabe einer Autorenschaft im KJ 88, 1961, S. 152.

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rübergehende Spaltung“ Deutschlands tangiere die Einheit der EKD nicht. „Im Gegenteil“, behauptete Brunotte und unterstrich noch einmal die innerkirchlich inzwischen immer mehr umstrittene nationale Klammerfunktion der Evangelischen Kirche: „Die Einheit der EKD ist ein wesentlicher Faktor für die von allen Deutschen ersehnte spätere Wiedervereinigung Deutschlands.“16 Im Folgesatz negierte er, dass die EKD jemals für eine „westliche Lösung der deutschen Frage“ optiert habe. Auch nach dem Mauerbau sah Brunotte die EKD noch als funktionsfähig an, da Arbeitstagungen in Ost-Berlin abgehalten werden konnten, wohin die westdeutschen Teilnehmer entsprechend der Vier-Mächte-Vereinbarung einreisen durften. Aus den angeführten Gründen hielt der Kirchenamtspräsident eine Fortexistenz der EKD „weder innerlich noch äußerlich“ für unmöglich. Den Begriff einer „deutschen Ökumene“ bezeichnete er als „schlichte[n] Unsinn“. Die deutschen evangelischen Landeskirchen bildeten historisch, rechtlich, organisatorisch und geistlich eine Einheit, die weit über die Verbundenheit der Kirchen verschiedener Bekenntnisse in der Ökumene hinausginge. Hinzu komme der Wille der acht evangelischen Landeskirchen in der DDR, Gliedkirchen der EKD zu bleiben. Tatsächlich hatten alle Kirchenleitungen sowie die Zusammenschlüsse EKD, EKU und VELKD erklärt, trotz der erschwerten Umstände an der kirchlichen Ost-WestGemeinschaft festzuhalten17. Nachdem somit offenkundig war, dass die Pläne des Pfarrerbundes innerkirchlich keine Chance hatten, setzte die DDR-Führung stattdessen ihre kirchenpolitische Strategie der inneren Differenzierung fort, die sie durch den Mauerbau begünstigt sah. Vermutlich wusste sie um die geringe innerkirchliche Bedeutung der „fortschrittlichen“ Kreise und wollte das Experiment einer Machtergreifung durch eine kleine kirchliche Minderheit nicht eingehen18. Es sollten offenbar keine „Märtyrersituation“ geschaffen und kein offener Widerstand gegen einseitige organisatorische Maßnahmen des Staates provoziert werden19. So unterblieb auf diesem Gebiet ein offener Zusammenstoß zwischen Staat und Kirche, wie ihn die Bezeichnung der EKD als „friedensfeindliche“ und „illegale Organisation“ anlässlich der Ausweisung Scharfs hatte befürchten lassen. Ein Sprecher des Pfarrerbundes bagatellisierte Mitte November in einem Zeitungsaufsatz das Schreiben vom 19. Oktober und bestritt, dass es von Seiten des Staates weitgehende kirchliche Reorganisationspläne gäbe20. Den vorläufigen Schlussstrich unter dieses Thema setzte Moritz Mitzenheim, der immer wieder mit staatlichen Plänen einer Neuorganisation der Kirchen in der DDR in Verbindung gebracht worden war. Während seines Aufenthaltes in Neu-Delhi, wo im November 1961 die Vollversammlung des ÖRK stattfand, lehnte der Thüringer Bischof in mehreren Interviews die kirchenpolitischen Pläne des Pfarrerbundes nachdrücklich ab. Er betonte, dass die Kirchen in der DDR Glieder der EKD bleiben wür16 17 18 19 20

Auf die Übernahme genau dieses Satzes verzichtete das KJ. Vgl. KJ 88, 1961, S. 152f. Vgl. Wilkens: Stationen des Kirchenkampfes in der DDR (EZA BERLIN, 650/95/2). Vgl. KJ 88, 1961, S. 153. Karl Kleinschmidt: Wer sind die Verräter? In: NZ, 14.11.1961. Abdruck in: KJ 88, 1961, S. 153f.

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den, auch wenn die organisatorische Einheit der EKD im Augenblick kaum praktiziert werden könne. Es bleibe jedoch die Verbundenheit „im Glauben und im Hoffen, in der Fürbitte und in der dienenden Liebe.“21 Die EKD und ihre Gliedkirchen konnten aber nicht nur mit Einheitsbeteuerungen auf die Folgen reagieren, die der 13. August 1961 für ihre gesamtkirchliche Organisation nach sich zog. War schon vor dem Mauerbau die organisatorische Einheit in der Praxis durch Einreise- und Ausreisebeschränkungen von Seiten der DDR behindert worden, so verschlechterten sich die Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten durch den Mauerbau noch weiter. So oft wie möglich wurden jedoch Sitzungen der kirchenleitenden Organe in Ost-Berlin auch von westdeutschen Kirchenvertretern besucht. Die monatlichen Ratssitzungen der EKD fanden in zwei Teilen statt: Sie begannen in West-Berlin, wohin die drei östlichen Ratsmitglieder Krummacher, Beste und Mager nicht kommen konnten, wurden in Ost-Berlin ohne Teilnahme von Scharf und Lilje, die keine Einreiseerlaubnis erhielten, fortgeführt und endeten mit einer Schlusssitzung in West-Berlin22. Mit dem Verweis, es handele sich dabei nicht um Ratssitzungen, sondern lediglich um einen freien Gedankenaustausch, hielt man auch dann noch an dieser Praxis fest, als Staatsvertreter den ostdeutschen und auch einigen westdeutschen Ratsmitgliedern erklärten, eine Sitzung des Rates der EKD in Ost-Berlin sei illegal23. In bescheidenem Umfang konnten auch die Ausschussarbeiten in Ost-Berlin fortgeführt werden. Ähnliches galt für die Gremien kirchlicher Werke. Einige „Dauerkuriere“ sowie „Zusatzkuriere“ sorgten dafür, dass der Informationsfluss zwischen West und Ost nicht abbrach. Bei den ersteren handelte es sich um kirchliche Mitarbeiter, die z. T. mit einem bestimmten Anteil ihrer Stelle für diesen Dienst freigestellt wurden, bei den zweiteren um jüngere Mitarbeiter oder Vikare aus den westlichen Patenkirchen, die jährlich für ein bis vier Wochen nach West-Berlin kamen, um von dort aus zwei- bis dreimal wöchentlich die Grenze zu passieren24. Zudem transportierten französische Militärpfarrer theologische Literatur über die Grenze. Ebenso betätigten sich andere diplomatische Vertretungen, unmittelbar nach dem Mauerbau vor allem Schweden, als Verbindungshelfer zwischen den Kirchen25.

21 KJ 88, 1961, S. 14 und S. 155ff. 22 Information Henkys an Roterberg, 9.4.1964 (PARH). Der Westberliner Journalist Reinhard Henkys sandte seit Januar 1964 in unregelmäßigen Abständen aktuelle Hintergrundinformationen aus der evangelischen Kirche in der DDR an den WDR, zunächst an Reinhold Roterberg, später an Werner Hühne. Diese wurden vertraulich behandelt. Vgl. Roterberg an Henkys, 12.2.1964 und Henkys an Hühne, 2.4.1965 (EBD.). 23 Niederschrift über die Sitzung der Ratsmitglieder, die ihren Wohnsitz im Gebiet der DDR haben, am 5.4.1962 (EZA BERLIN, 104/38). 24 Vgl. F. WINTER, Wege, S. 139ff.; Hertenstein an Herrmann, 4.10.1961 (Aaej HANNOVER, Hans Herrmann II); Aktennotiz Lauks betr. Bruderdienst für Berlin (Daten, Beschlüsse und Planung), 3.4.1962 (Aaej HANNOVER, GKA-Vorsitzende). 25 Vgl. F. WINTER, Wege, S. 141 und Brief Hertensteins vom 4.10.1961 (Aaej HANNOVER, Hans Herrmann II).

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Dennoch war „die lebendige Verbindung mit den Kirchen in der DDR“ nach dem Mauerbau „auf ein dünnes Rinnsal reduziert worden“26. Und auch die wenigen, noch möglichen Kontakte waren „von der Bereitschaft der Machthaber in Ostberlin“ abhängig, „diesen ganzen Verkehr zu dulden.“ Es wuchs daher unter westdeutschen Kirchenvertretern die Einsicht, dass das „Theologumenon“, dass die Kirche von äußeren Lebensverhältnissen unabhängig sei und ihr seitens des Staates das Zugeständnis einer freien Entfaltungsmöglichkeit zustehe, „blasse Theorie“ war27. Nach dem Mauerbau stellte sich somit die Frage, wie elastisch die institutionelle Einheit der EKD sein würde und mit welchen strukturellen Veränderungen man auf die äußeren Behinderungen antworten konnte, ohne die kirchliche Einheit zu gefährden. Zuständigkeiten mussten geklärt und der Rest der noch möglichen gemeinsamen Arbeit organisiert werden. Auf seiner Sitzung am 1. September bevollmächtigte der Rat der EKD durch seine westdeutschen Mitglieder die drei in der DDR wohnhaften Ratsmitglieder für die Zeit, in der gemeinsame Ratssitzungen nicht möglich waren, die Funktionen des Rates gegenüber den ostdeutschen Gliedkirchen wahrzunehmen28. Grundlage hierfür war Art. 30,5 der Grundordnung der EKD, in dem es hieß: „Der Rat gibt sich eine Grundordnung. Sie kann vorsehen, dass die Erledigung bestimmter Aufgaben einem engeren Ausschuss des Rates übertragen wird.“29 Auf diesen Artikel Bezug nehmend hatte der Rat bereits am 4. März 1959 einstimmig seiner Geschäftsordnung den Satz hinzugefügt: „Der Rat kann die Erledigung bestimmter Angelegenheiten einem engeren Ausschuss des Rates übertragen.“30 Hintergrund war damals, dass der Rat seine Befugnisse aus dem Militärseelsorgevertrag einem ausschließlich mit westdeutschen Mitgliedern besetzten Ausschuss übertragen wollte. Auf dieser Rechtsgrundlage konnte der Rat nunmehr auch einem engeren Ausschuss, bestehend aus den drei ostdeutschen Ratsmitgliedern, die Erledigung bestimmter Aufgaben rechtswirksam übertragen. Ähnliche Ermächtigungen erhielten die ostdeutschen Mitglieder der Kirchenleitung der VELKD und des Rates der EKU. Die leitenden Geistlichen in der DDR kamen am 4. September 1961 überein, dass eine engere Kontaktnahme und Zusammenarbeit der in Ost-Berlin arbeitenden gesamtkirchlichen Dienststellen von EKD, EKU und VELKD notwendig sei31. Es war jedoch klar, dass diese nur innerkirchlich arbeiten konnten, da ihnen staatlicherseits der Kontakt verweigert wurde. Am 26. September billigten die drei ostdeutschen Ratsmitglieder der EKD, dass die Dienststellen der EKD, der EKU und der VELKD in 26 Streng vertraulicher Bericht von Erwin Wilkens für den Minister für gesamtdeutsche Fragen, Ernst Lemmer, über die „Kirchliche und theologische Situation in der DDR nach dem 13. August 1961 (Stand vom 1. Dezember 1961)“ (BArch KOBLENZ, B 137/1940). 27 EBD. 28 Brunotte las diesen Beschluss den ostdeutschen Ratsmitgliedern auf deren Sitzung am 7./8.11.1961 vor. Vgl. Niederschrift über die Sitzung von Behm (EZA BERLIN, 104/38). 29 PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 533. 30 BERLIN 1960, S. 109. 31 Aktenvermerk Behms über die Sitzung der leitenden Geistlichen am 4.9.1961 (EZA BERLIN, 104/108).

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Ost-Berlin ein festes Arbeitsteam bildeten32. Zugleich betonten sie die klare Zuordnung der Kirchenkanzlei für die Gliedkirchen in der DDR unter ihre alleinige Verantwortung, womit dem Verdacht westlicher Einflussnahme begegnet werden sollte. Am selben Tag beschloss die Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR eine Namenskorrektur. Im offiziellen Sprachgebrauch sollten zukünftig statt der bislang immer noch üblichen Formulierungen „Ostbischofkonferenz“ und „Ostkonferenz“ die Bezeichnungen „Konferenz der evangelischen Bischöfe der Deutschen Demokratischen Republik“ und „Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen der Deutschen Demokratischen Republik“ verwendet werden33. Der KKL war schon vor dem Mauerbau eine gewachsene Bedeutung zugekommen, da seit 1958 kein EKD-Organ mehr die Kirchen in der DDR gegenüber dem Staat vertreten konnte. Nach dem 13. August 1961 trug die vormals eher lockere Arbeitsgemeinschaft der Kirchenleitungen, die keine feste Rechtsgestalt besaß, die Hauptlast der Verantwortung in der DDR, auch wenn die ostdeutschen Kirchen nichts an ihrer Zugehörigkeit zur EKD veränderten. So war es die KKL und nicht ein Organ der EKD, das in den Folgejahren zu den gesellschaftspolitischen Veränderungen in der DDR Stellung nahm: 1961 zum Arbeitsgesetzbuch, 1963 zum Jugendgesetz und 1964 zum „einheitliche[n] sozialistische[n] Bildungssystem“. Auf ihrer Sitzung am 7. und 8. November bestätigten die drei ostdeutschen Ratsmitglieder sowie der anwesende Kirchenamtspräsident Brunotte, dass im Raum der DDR mit den in der Grundordnung in dieser Form nicht vorgesehenen Zusammenschlüssen der ostdeutschen Gliedkirchen in der Konferenz der evangelischen Bischöfe und in der KKL „gewisse Ordnungen“ geschaffen worden seien, „die sich bewährt haben.“34 Der Staat erkannte Krummacher als Vorsitzenden der KKL faktisch an. Daneben hatte es sich als sinnvoll erwiesen, dass bestimmte gesamtkirchliche Aufgaben delegiert worden waren und somit z. B. Bischof Noth die ökumenischen Aufgaben und der Greifswalder Vizepräsident Willy Woelke den Bereich der Landwirtschaft übernommen hatte. An dieser Struktur wollte man grundsätzlich festhalten. Brunotte sagte zu, seinerseits in der Bundesrepublik dafür einzutreten, dass auch dort Bestrebungen zu einer gewissen Neuordnung, etwa die Erweiterung des Rates oder die Einberufung einer Westsynode, zurückgestellt würden. Den Überlegungen in westdeutschen Kirchenkreisen, den Rat durch neue Mitglieder zu ergänzen, lag die Tatsache zugrunde, dass durch die Abwesenheit der ostdeutschen Ratsmitglieder bei den Sitzungen sich das konfessionelle und kirchenpolitische Kräfteverhältnis innerhalb des Rates verändert hatte35. Da jedoch jede Änderung in der rechtlichen und verfassungs-

32 Aktenvermerk Behms über die Besprechung, 28.9.1961 (EZA BERLIN, 104/38). 33 Aktenvermerk Behms über die Tagung der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der Deutschen Demokratischen Republik am 26.9.1961 (EZA BERLIN, 104/108). 34 Niederschrift Behms über die Sitzung der drei ostdeutschen Ratsmitglieder und Brunotte am 7./8.11.1961 (EZA BERLIN, 104/38). 35 Vgl. Wilkens: Kirchliche und theologische Situation in der DDR nach dem 13. August 1961 (BArch KOBLENZ, B 137/1940).

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mäßigen Struktur in einem der beiden Teile der EKD Rückwirkungen auf den anderen Teil haben musste, unterblieb eine Zuwahl zum Rat. Dieser arbeitete – ebenso wie die anderen gesamtkirchlichen Organe in der Bundesrepublik – mit seinen westdeutschen Gliedern mit gesamtkirchlicher Kompetenz weiter und ging formell davon aus, dass die östlichen Mitglieder durch „höhere Gewalt“ verhindert waren, an den Sitzungen teilzunehmen36. Ein größeres Problem stellte die Synode der EKD dar. Eine Tagung der Synode an zwei Orten wurde unter den herrschenden Umständen als zu große Belastung für die Einheit der EKD empfunden37. Man war sich aber darüber im Klaren, dass nicht dauerhaft auf das synodale Element verzichtet werden konnte. Am 8. November bekräftigte die ostdeutsche Bischofskonferenz den seit dem Mauerbau eingeschlagenen Weg. Sie hielt an der Gemeinschaft der EKD fest, die als „gestört, nicht zerstört“ eingestuft wurde38. Ähnlich wie die katholische Kirche wollte man die weitere Entwicklung abwarten. Auch wenn Mitzenheim den Befugnissen der Ratsmitglieder der EKD in der DDR teilweise widersprach39, bestand doch Einmütigkeit darüber, dass keine neuen Organe geschaffen und daher auch alle Pläne hinsichtlich von Teilsynoden abgelehnt werden sollten. Der vom Bund der Evangelischen Pfarrer eingereichte Plan zur Neuordnung der Kirche wurde einstimmig abgelehnt und eine Beteiligung des Thüringer Oberkirchenrats Gerhard Lotz an diesen Plänen von seinem Bischof bestritten40. Krummacher erhielt den Auftrag, für die Bischofskonferenz und die KKL eine Geschäftsordnung zu entwerfen. Zudem sollte zur „Wahrnehmung der Verbindungen zwischen den Landeskirchen und den staatlichen Stellen in Berlin“ eine Dienststelle geschaffen werden. Dabei wurde ausdrücklich festgehalten, dass diese „nicht grundsätzliche Fragen theologischer und kirchenpolitischer Art zu behandel[n]“ hatte. Auf der Sitzung der KKL am 6. Dezember bestätigte Krummacher in seinem „Bericht zur Lage“41 noch einmal den eingeschlagenen Kurs zwischen Einheit und Eigenständigkeit: An der gesamtdeutschen Organisationsform sollte festgehalten werden, gleichzeitig aber sollten die Funktionsfähigkeit bereits bestehender Organe in der DDR erhöht und unumgänglich notwendige Arbeitseinrichtungen aufgebaut werden. 36 Vgl. Rundschreiben der Kirchenkanzlei der EKU vom 9.10.1961. Abdruck in: KJ 88, 1961, S. 152f. 37 Niederschrift Behms über die Sitzung der drei ostdeutschen Ratsmitglieder und Brunotte am 7./8.11.1961 (EZA BERLIN, 104/38). 38 Zusammenfassung der Ergebnisse der Bischofskonferenz am 8.11.1961 von Krummacher an Behm zur vertraulichen Kenntnisnahme (EZA BERLIN, 104/108). 39 Aus diesem Grund erstellte Brunotte am 18.4.1962 ein Gutachten über die „Vollmacht der Ratsmitglieder, die ihren Wohnsitz im Gebiet der DDR haben, die Funktionen des Rates der EKD gegenüber den Kirchen in der DDR wahrzunehmen“ und verwies darin auf deren Bevollmächtigung durch den Rat vom 1.9.1961 (EZA BERLIN, 104/38). 40 Lotz hatte schon im Herbst 1958 mit seinem Stasi-Führungsoffizier über die Schaffung eines EKDunabhängigen, zentralistisch strukturierten und von einem „Generalsekretär“ geleiteten „Hauptamt“ der ostdeutschen Landeskirchen nachgedacht. Vgl. C. DIETRICH, Gründung, S. 28. Es geht jedoch zu weit, damit Lotz zum Urheber des 1969 gegründeten BEK zu erklären, wie dies Heike Schmoll tut. Vgl. dies.: War die Kirchenbundgründung von der SED vorgeplant? In: FAZ, 9.10.1992, S. 2. 41 Niederschrift über die Sitzung von Behm, 14.12.1961 (EZA BERLIN, 104/101).

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Die Evangelische Kirche von Berlin-Brandenburg war von der Mauer, die sie in zwei Teile zerschnitt, in ihrem kirchlichen Leben und Arbeiten am stärksten betroffen. Bis zum 13. August 1961 wurde das Kirchengebiet Berlin-Brandenburg einheitlich geleitet und verwaltet42. Die währungspolitische und wirtschaftliche Entwicklung hatte jedoch bereits 1951 die Einrichtung einer zweiten Dienststelle des Evangelischen Konsistoriums in Ost-Berlin notwendig gemacht. Auch hatten einige leitende Amtsträger, die Verantwortung für das östliche Kirchengebiet trugen, ihren Wohnsitz von West- nach Ost-Berlin verlegt. Trotzdem nahmen die Mitglieder der Kirchenleitung und des Konsistoriums aus dem Ost- und dem Westbereich gemeinsam die Aufgaben der Leitung und Verwaltung für das ganze Kirchengebiet wahr. Die 1961 amtierende Kirchenleitung setzte sich aus 19 Mitgliedern zusammen, sieben aus West-Berlin und zwölf aus OstBerlin und Brandenburg. Das Kollegium des Konsistoriums bestand aus 26 haupt- und nebenamtlichen Mitgliedern, zwölf kamen aus West-Berlin und 14 aus Ost-Berlin und Brandenburg. Jede Woche, zum Teil auch täglich, fuhren Mitglieder beider Gremien und neben ihnen Inspektoren, Sekretärinnen und Amtshilfen zwischen den beiden Dienststellen in Ost- und West-Berlin hin und her, um hier wie dort zu arbeiten. Einen Tag nach dem Mauerbau beriet das Evangelische Konsistorium in Ost-Berlin über dessen Auswirkungen auf das kirchliche Leben43. Es sah zunächst keinen Anlass, die kirchliche Notverordnung anzuwenden. Tags darauf erhielt jedoch Dibelius, dem staatlicherseits schon seit 1957 der Besuch der Gemeinden in der DDR verweigert wurde, auch keinen Zugang zum Ostteil der Stadt mehr44. Mit seinem Einverständnis wurde auf einer Kirchenleitungssitzung am 17. August, an der neun ostdeutsche Mitglieder und nur ein West-Berliner Mitglied teilnehmen konnten, der Beschluss gefasst, für Anfang September eine Synode nach Ost-Berlin einzuberufen. Auf ihr sollte Scharf vorzeitig zum Nachfolger von Dibelius gewählt werden, allerdings mit der Vorgabe, dass der Termin des Wechsels noch vorbehalten wurde45. Als die DDR-Führung die Durchlässigkeit der Mauer für Kirchenvertreter dann noch mehr begrenzte, wurde Scharf am 24. August von der Kirchenleitung auf der Grundlage des „Bischofsparagraphen“ der Notverordnung zum Bischofsverweser bestellt46. Er konnte sein Amt aber nur bis zu seiner sieben Tage später erfolgenden Aussperrung ausüben. Derweil appellierte Dibelius in seinen vom 28. August bis 1. September in der Kirche am Südstern gehaltenen „Reden an eine gespaltene Stadt“ allabendlich an den Durchhaltewillen der West-Berliner Christen. Diese Reden wurden – vermutlich unter Beihilfe des BMG47 – auch gedruckt verbreitet. Damit erkennbar werde, dass auch die berlin-brandenburgische Kirche „nicht daran denkt zu verzagen“, vertrat Heinz Gefaeller, ehemals Mitglied der Kirchenkanzlei

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Vgl. auch zum Folgenden: L. BESSERT, Getrennte, S. 19–22. Vgl. epd ZA, 14.8.1961, S. 1; Dibelius an Kunst, 21.8.1961 (BArch KOBLENZ, N 1439/9). EBD. EBD. Vgl. KJ 89, 1962, S. 180. Gefaeller an Dibelius, 6.10.1961 (EZA BERLIN, 636/7 Bd. 1).

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der EKU und seit 1956 Leiter der Berliner Abteilung im BMG, die Ansicht, dass die kirchlichen Einrichtungen in West-Berlin unter keinen Umständen schrumpfen dürften, sondern „im Gegenteil auch entsprechend den Bemühungen bei den weltlichen Unternehmungen alles tun müssen, um die Strahlungskräfte von West-Berlin zu verstärken und für die weitere Zukunft gerüstet zu sein.“48 Er riet den zuständigen kirchlichen Stellen, über den Ausbau ihrer Anstalten und Einrichtungen einen neuen Plan zu entwickeln, um an den Mitteln Anteil zu haben, die hierfür in Zukunft Berlin zusätzlich zugeteilt wurden. Die Evangelische Kirche in Berlin (West) hatte schon vor dem Mauerbau von Seiten des BMG eine jährliche Beihilfe von rund 1,2 Millionen Mark erhalten49. Danach liefen diese Beihilfen, wenn auch mit Kürzungen, weiter. Hinsichtlich der finanziellen Belastungen der Berliner Kirche infolge des Mauerbaus, bewilligte das Berliner Abgeordnetenhaus der Kirche in Berlin-Brandenburg überdies am 3. Juli 1962 aus Bundesmitteln 4.167.000 DM vornehmlich für Baumaßnahmen50. Auch von Seiten der westdeutschen Gliedkirchen der EKD kam man der Kirche in West-Berlin finanziell zu Hilfe. Auf Initiative von Hermann Kunst hin51 forderte der Rat der EKD das Evangelische Konsistorium Mitte 1962 dazu auf, für West-Berlin einen Plan auszuarbeiten. Aus ihm sollte hervorgehen, in welcher Weise und in welcher Höhe die westdeutschen Landeskirchen der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg für ihren West-Berliner Teil helfen konnten52. Im einleitenden Teil der daraufhin zusammengestellten und von Dibelius gezeichneten Denkschrift wurden die Bitten um finanzielle und personelle Unterstützung weltanschaulich, konfessionell und politisch motiviert. Es hieß darin: „Die ‚Mauer‘ ist umbrandet von den andrängenden Wogen der östlichen Ideologie. Demgegenüber erwarten die Gemeinden aus dem Osten, dass in der Evangelischen Kirche von WestBerlin Außergewöhnliches getan wird, damit das Evangelium in allen Bereichen so gefördert wird, dass es über die Mauer ausstrahlt. [. . .] Es wäre verhängnisvoll, wenn in West-Berlin, zumal angesichts der katholischen Aktivität, ein evangelisches Vacuum entstände. Die Brückenfunktion der Evangelischen Kirche in West-Berlin ist durch die Tatsache der Mauer nicht außer Kraft gesetzt. Ihre Bedeutung für unser gesamtes Volksleben in Gegenwart und Zukunft kann keinem Zweifel unterliegen.“53

Zugleich versicherte Dibelius, dass es nicht darum gehe, die kirchliche Arbeit in Berlin „unrealistisch“ auszuweiten. Ende des Jahres wurde der Berlin-Plan noch einmal überarbeitet und die „geistlichen Gesichtspunkte stärker hervorgehoben“54. Die Neufas48 EBD. 49 Söhngen an Krautwig, 12.11.1966 (BArch KOBLENZ, B 137/16649). 50 Konsistorium Berlin-Brandenburg an Kirchenkanzlei der EKD, 28.3.1963 (EZA BERLIN, 2/5001). 51 Niederschrift über die Sitzung des Berlin-Plan-Ausschusses am 22.6.1963 (EZA BERLIN, 2/5004). 52 Vgl. Evangelisches Konsistorium Berlin-Brandenburg an Rat der EKD, 30.7.1962 (EZA BERLIN 2/5001). 53 EBD. 54 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 30./31.8.1962 (EZA BERLIN, 2/1353).

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sung des Plans nannte als Zielsetzung „die Intensivierung und bessere Koordinierung missionarisch ausgerichteter kirchlicher Arbeit“, und es wurde erneut versichert, dass es nicht um ein „Mehr“, sondern um ein „Besser“ gehe55. Zur Klärung und Durchführung der mit dem Berlin-Plan zusammenhängenden Fragen konstituierte sich am 22. Juni 1963 ein Berlin-Plan-Ausschuss. Auf seinen Vorschlag hin ließen die 19 westdeutschen Landeskirchen der Westberliner Kirche im Hinblick auf ihre „Insel-NotLage“56 für den Gemeindeaufbau, die Aus- und Fortbildung kirchlicher Mitarbeiter, für Jugendarbeit und den Bau von Wohn- und Altersheimen eine Sonder-Umlage von jährlich 5 Millionen DM für 1964, 1965 und 1966 zukommen57. Hinzu kamen die laufende Entlastung der West-Berliner Kirche bezüglich ihrer für den Ostwährungsbereich der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg bisher gezahlten Nothilfeleistungen sowie eine Umschuldungsaktion58. Neben die finanzielle trat auch die personelle Hilfe. Während es nicht möglich war, Mitarbeiter im nicht-theologischen Dienst nach Berlin abzuordnen, wurden zwischen Februar 1964 und März 1966 hingegen 21 Pfarrer in den West-Teil der geteilten Stadt gesandt, um dort für fünf Jahre Dienst zu tun59. Der Berlin-Plan war unter dem Eindruck der unmittelbaren Gefährdung der Stadt zustande gekommen, folglich wurde er, als die politische Situation sich entspannt hatte, 1966 wieder eingestellt. Danach erhielt Berlin (West) Mittel aus dem kirchlichen Hilfsplan60. Die Evangelische Jugend wollte sich nach dem Mauerbau ebenfalls verstärkt dem eingeschlossenen West-Berlin zuwenden und nahm es daher in das System der Patenschaften auf. Dies war aber nur einer von mehreren Vorschlägen, welche der Gesamtkirchliche Ausschuss in einer Vorlage an den Vorstand der Jugendkammer formulierte61. Der Ausschuss war Anfang Oktober in Berlin zusammengekommen, um zu klären, was man nach dem Mauerbau in Ost und West zukünftig noch gemeinsam oder füreinander tun konnte. Er kam zu dem Ergebnis, dass trotz der eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten seine Existenz für den interdependenten Selbstverständigungsprozess der Evangelischen Jugend in beiden deutschen Staaten weiterhin notwendig war. Die Einheit der Kirche und der Evangelischen Jugend theologisch zu begründen, hielt er für sekundär. Für ihn hatte die pragmatische Motivation 55 Evangelisches Konsistorium Berlin-Brandenburg an Kirchenkanzlei der EKD, 28.3.1963 (EZA BERLIN, 2/5001).

56 Niederschrift über die Sitzung des Berlin-Plan-Ausschusses am 22.6.1963 (EZA BERLIN, 2/5004). 57 Niederschrift über die Sitzung des Berlin-Plan-Ausschusses der EKD am 13.9.1963 (EZA BERLIN, 2/5003). Nachdem die Mitglieder des Finanzbeirates und der westdeutschen Finanzreferentenkonferenz am 1.10.1963 den Berlin-Plan-Vorschlägen zugestimmt hatten, bat das Kirchenamt in einem Schreiben vom 24.10.1963 die 19 westdeutschen Landeskirchen, die für 1964 verabredete Sonderumlage in vier Teilbeträgen zu überweisen (EBD.). 58 EBD. 59 Niederschrift über die Sitzung des Berlin-Plan-Ausschusses am 26.3.1966 (EZA BERLIN, 2/5008). 60 Kirchenkanzlei an Evangelische Kirchenleitung der EKiBB, 4.8.1966 (EBD.). 61 Von Hertenstein am 3.10.1961 unterzeichnete Vorlage (Aaej HANNOVER, Hans Herrmann II). Zu den weiteren Vorschlägen s. u. Kap. 3.3.

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der Einheit Vorrang: der Wille der ostdeutschen Mitarbeiter zur weiteren Zusammenarbeit62. Trotz dieser Prioritätensetzung wiederholte der Ausschuss in seiner Vorstandsvorlage die Thesen, in denen man bereits im April 1961 die eigene Einheit theologisch zu begründen versucht hatte63. Anschließend zählte er die vordringlichsten gemeinsamen Aufgaben der gesamten EJD auf und nannte dabei die Weiterarbeit des Gesamtkirchlichen Ausschusses an den „gesamtkirchlichen Fragen und Aufgaben“ an erster Stelle. Sechs Tage später wandte sich der Vorsitzende der AGEJD Hans Herrmann mit einem Brief an die Mitarbeiter in der Evangelischen Jugendarbeit in der Bundesrepublik, um zur Situation nach dem Mauerbau Stellung zu nehmen. Auch er verzichtete bewusst auf eine Bewertung der politischen und der kirchlichen Lage und sprach stattdessen den Dank „für jede Möglichkeit echten Austausches und brüderlicher Gemeinschaft“64 aus. Das Festhalten an der Einheit bei gleichzeitigem Verzicht auf eine eindeutige staatlich-politische Positionierung war nach dem Mauerbau jedoch innerhalb der AGEJD nicht unumstritten. Auf einer Sitzung des Jugendpolitischen Ausschusses prallten die Meinungen hart aufeinander. Der Ausschuss war bereits 1956 im Rahmen des Ausdifferenzierungs- und Professionalisierungsprozesses der evangelischen Jugendarbeit in der Bundesrepublik eingerichtet worden65. Allein schon durch seine Existenz spiegelte er die divergierende Entwicklung der beiden deutschen Staaten und der in ihnen praktizierten evangelischen Jugendarbeit. Auf seiner Sitzung am 12. und 13. Oktober 1961 referierten Helmut Lauk, der Geschäftsführer des Gesamtkirchlichen Ausschusses, und Eberhard Stammler, der Vorsitzende des Jugendpolitischen Ausschusses und Chefredakteur der „Jungen Stimme“. Beide sprachen über das Thema „Die Bedeutung unserer gesamtkirchlichen Einheit für das jugendpolitische Handeln in der Evangelischen Jugend der BRD“66. Stammler vertrat die Auffassung, dass die Einheit der EKD nicht theologisch begründet werden konnte und daher auch im Wesentlichen mit „menschlichen [. . .] Faktoren“ motiviert wurde67. Als Konsequenz aus der „theologischen Unbegründbarkeit“ leitete er den Gehorsam „gegenüber dem jeweilig geistlichen Anruf im eigenen Bereich“ ab. Für die Kirche und die Junge Gemeinde in der Bundesrepublik sollte dies bedeuten, jede Reserve gegenüber ihrem Staat aufzugeben und die volle Mitverantwortung für das zu tragen, was in der bundesrepublikanischen Gesellschaft geschah. Wörtlich formulierte er: „Unser christliches Verhalten muß gekennzeichnet sein durch die Identität und die Solidarität mit unserer Gesellschaft.“ Diese klare Positionierung auch im „Kampf der Ideologien und Machtblöcke“ schloss nach Stammlers Ansicht nicht aus, dass auch Elemente gesamtkirchlicher Verbunden62 Vgl. den Bericht Hertensteins auf der Sitzung der AGEJD am 10./11.11.1961 (EZA BERLIN, 2/1554). 63 Siehe oben Kap. 2.3.1. 64 Aaej HANNOVER, Hans Herrmann III. 65 Vgl. I. HOLZAPFEL, Bindung, S. 178 und S. 284. 66 Bericht Lauks über die Tätigkeit des GKR der AGEJD im Jahr 1961 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 67 Referat Stammlers, ausgearbeitet nach den Notizen von Lauk (Aaej HANNOVER, OW Referate [falsch abgelegt]).

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heit erhalten blieben. Dazu zählte er die Verantwortung füreinander, das Offenlegen der Verschiedenheit der beiden gesellschaftlichen Kontexte und das Verhindern, dass der Weg der Gemeinde im anderen deutschen Teilstaat „verteufelt“ werde. Nach Lauks Ansicht verbot hingegen die gesamtkirchliche Verbundenheit eine „Total-Identifizierung mit den politischen Anliegen der Bundesregierung“68, die er Stammler unterstellte. Er wollte zwei Extreme vermieden sehen: eine sich aus der Mitverantwortung für die beiden deutschen Staats- und Gesellschaftsordnungen zurückziehende Weltflucht und eine „Gleichsetzung der Anliegen Junger Gemeinde mit den Anliegen dieser Welt, die leicht von richtig empfundener Mitverantwortung zum Opportunismus wegführt“69. Im Hinblick auf eine theologische Klärung des Selbstverständnisses der EJD regte er an, zu überlegen, ob nicht die Begründung ihrer Einheit in einer „besonders verbindlichen ökumenischen Einheit“ gefunden werden könne. Es schien ihm nicht ausgeschlossen, dass die gesamtkirchliche Verbundenheit zukünftig als ein „besonders enges international-kirchliches Band – in unsere oekumenische Arbeit einmünden könnte.“70 Angesichts der durch den Mauerbau reduzierten und sich eventuell noch weiter einschränkenden Kontaktmöglichkeiten hielt es Lauk auch für ratsam, im Laufe des Jahres 1962 über eine „organisatorische Lockerung der AGEJD“ nachzudenken.

3.1.2 Organisatorische Varianten kirchlicher Einheit In der ESGiD wurde die Debatte um eine Strukturveränderung von den ostdeutschen Vertretern der Gesamtarbeit angestoßen und vorangetrieben. Helmut Orphal, Leiter der Ost-Berliner Geschäftsstelle, sprach während des Herbstes 1961 mit mehreren ESG-Vertretern über eine Streichung des „iD“ im Namen „Evangelische Studentengemeinde in Deutschland“. Martin Fischer antwortete ihm, dass gerade nach dem Mauerbau „nichts von der gesamtdeutschen Verklammerung fallen gelassen“ werden dürfe71. Siegfried Ringhandt, Studentenpfarrer an der Humboldt-Universität zu Berlin, plädierte hingegen dezidiert für eine Namensänderung. Er argumentierte seelsorgerlich: Den Studenten werde es zu schwer gemacht, wenn sie ständig auf die EKD angesprochen würden. „EKiD“ sei ein „politischer Begriff, ebenso ESGiD“. Die Gesamtarbeit der Studentengemeinden sollte zukünftig lediglich ihre faktische Zusammengehörigkeit mit den Kirchen deutlich machen72. Anfang Dezember fand eine außerordentliche Sitzung des Beirates Ost statt. Auf ihr setzte sich Orphal erneut für eine 68 Bericht von Lauk über die Tätigkeit des GKR der AGEJD im Jahr 1961 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 69 EBD. 70 EBD. 71 Vertraulicher Vermerk über eine Besprechung mit Orphal und Ehlert am 9.11.1961 (EZA BERLIN, 36/337). 72 Vertraulicher Vermerk über ein Gespräch mit Ringhandt am 9.11.1961 (EBD.).

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Namensänderung ein73. Darüber hinaus forderte er, dass die Arbeit der Geschäftsstelle Ost und die Arbeit der ostdeutschen Studentengemeinden unter die ausschließliche Verantwortung von DDR-Bürgern, d. h. des Beirates, gestellt werde. Den Wunsch nach Eigenständigkeit der Gesamtarbeit in der DDR unterstrich auch Bassarak, der früher im Reisedienst der Studentengemeinden in der DDR tätig gewesen war und nun die Evangelische Akademie in Ost-Berlin leitete74. Beide begründeten ihr Anliegen damit, dass die Zugehörigkeit zur ESGiD die Studenten im Falle eines Verhörs durch Sicherheitskräfte belaste. Denn in den Augen des ostdeutschen Staates handele es sich bei der ESGiD um eine von Westdeutschland gesteuerte Organisation, da der Vertrauensrat als ihr Leitungsgremium überwiegend mit Westdeutschen besetzt war. Beide betonten aber auch, dass sich am praktischen Zusammenhalt der Gemeinden in Ost und West in Gestalt der Patenbeziehungen, der Treffen der Studentenpfarrer und des Stabes nichts ändern sollte. Auch das Amt des Generalsekretärs sollte erhalten bleiben, jedoch lediglich um die gemeinsame Vertretung im WSCF weiter wahrzunehmen. Wichtig war Orphal und Bassarak, dass die Eigenständigkeit des Beirats Ost nicht mehr dadurch beschränkt wurde, dass seine Beschlüsse der Genehmigung des Vertrauensrats unterlagen. Der Beirat und nicht der Vertrauensrat sollte die letzte Entscheidungsinstanz in der DDR sein. Dagegen wandten sich auf der Sitzung insbesondere die westdeutschen ESGiD- und EKD-Vertreter: der scheidende Generalsekretär der ESGiD Kreyssig, sein Nachfolger Heinrich-Constantin Rohrbach75 sowie Oberkirchenrat Hans-Jürgen Behm, Leiter der EKD-Kanzlei in Ost-Berlin. Auch einige Beiratsmitglieder sahen keinen Handlungsbedarf76. Denn die Verantwortung für die Arbeit der Studentengemeinden an den einzelnen Hochschulorten in der DDR wurde bereits von den zuständigen Landeskirchen wahrgenommen, die dazu die Studentenpfarrer ernannten. Die Verantwortung für die Tätigkeit der Ost-Berliner Geschäftsstelle trug nach Absatz 1 seiner Geschäftsordnung der Beirat Ost. Dieser Ist-Stand der Zuständigkeiten wurde auf der Dezember-Sitzung noch einmal in einem Beschluss festgehalten77. Die eigentlich schwierige Frage aber war die Abstimmung der Verantwortung des Beirates gegenüber dem Vertrauensrat. Die Entscheidung über den Antrag einer Reihe von Beiratsmitgliedern, den Art. 6 der Beiratsordnung, in dem die 73 Vgl. Bericht Kreyssigs. In: Protokoll der Sitzung der VR-Mitglieder aus der Bundesrepublik und West-Berlin am 7./8.4.1962 (EZA BERLIN, 36/383). 74 Vgl. Rohrbach an Thadden, 14.5.1962 (EZA BERLIN, 36/33). Bereits zu diesem Zeitpunkt wurden innerhalb der ESGiD Vermutungen geäußert, Bassarak arbeite für die Staatssicherheit. Vgl. EZA BERLIN, 36/86/86. Nachweisen lässt sich eine Tätigkeit Bassaraks für das MfS seit Ende 1961. Vgl. Auskunftsbericht der Hauptabteilung V/4 vom 2.11.1961 über den „GI ‚Freund‘“ (BStU BERLIN, MfS AP 11329/92). – „GI“, d. h. Geheimer Informator war eine IM-Kategorie in den Jahren 1950 bis 1968. 75 Rohrbach, der 1958 bis 1962 als Referent für Ingenieur- und Höhere Fachschulen in der Geschäftsstelle der ESGiD in Stuttgart gearbeitet hatte, wurde am 18.3.1962 von den Mitgliedern des Beirates Ost und am 8.4.1962 von den westdeutschen Mitgliedern des VR für fünf Jahre zum Generalsekretär gewählt. Vgl. Protokoll der Sitzung der VR-Mitglieder aus der Bundesrepublik und West-Berlin am 7./8.4.1962 (EZA BERLIN, 36/383). 76 Rohrbach an Thadden, 14.5.1962 (EZA BERLIN, 36/33). 77 Vgl. den Aktenvermerk Behms über die Sitzung am 2.12.1961 (EZA BERLIN, 104/980).

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Verklammerung von Beirat und Vertrauensrat festgelegt war, völlig zu streichen, wurde auf die nächste Vertrauensratssitzung vertagt. Ebenso der Beschluss über eine Namensänderung78. Für die Geschäftsstelle in Ost-Berlin wollte man hingegen zukünftig im Schriftverkehr die Bezeichnung „Geschäftsstelle der Evangelischen Studentengemeinden“ wählen79. Neben den rechtlich-organisatorischen Fragen thematisierten die Beiratsmitglieder auf ihrer Sitzung aber auch das dahinter stehende Problem: Wie konnte zukünftig nicht nur angesichts der Berliner Mauer, sondern auch angesichts charakteristischer Unterschiede in der Lebenssituation der Studenten in den beiden deutschen Teilstaaten die innere Gemeinschaft der ESGiD aufrechterhalten werden? Eine abschließende Antwort wurde auf der Sitzung nicht gefunden. Die Beiratsmitglieder sahen jedoch in der Einheitsfrage vor allem ein Generationenproblem80. Schneller und einfacher waren die rechtlich-organisatorischen Fragen zu lösen. Inwieweit man dabei auf eine innere Entfremdung reagierte oder sie nicht dadurch erst produzierte, lässt sich nur schwer gewichten. Anfang 1962 ließ Orphal der Stuttgarter Geschäftsstelle mitteilen, dass eine Vertrauensratssitzung mit allen Mitgliedern in OstBerlin nicht riskiert werden könne81. Er schlug vor, einen verkleinerten Vertrauensrat mit je sechs Vertretern aus Ost- und Westdeutschland, d. h. mit paritätischer Zusammensetzung, tagen zu lassen. Kreyssig stimmte dem Vorschlag zu. Zur Vorberatung trafen sich zunächst der Beirat Ost und die westlichen Vertrauensratsmitglieder zu getrennten Sitzungen. Auf der Beiratssitzung am 18. März versicherte Orphal, dass strukturelle Änderungen nur in Anlehnung an die Gestaltung kirchlicher Gesamtarbeit in der DDR und im Einvernehmen mit den westdeutschen Partnern erfolgen würden. Auf der geplanten Sitzung der Zwölfer-Kommission im Mai in Berlin-Weißensee sollte eine Vorlage für die künftige Arbeit des Vertrauensrats erarbeitet werden, die sicherstellte, dass die Leitungsfunktionen in der DDR und in der Bundesrepublik zukünftig gesondert wahrgenommen würden. Dem Vertrauensrat als gemeinsamem Gremium wollte Orphal nurmehr einen konsultativen Charakter im Hinblick auf die theologische Unterweisung, das Verhältnis zu den Kirchen und die Beziehung zum Weltbund zubilligen82. Am 7. und 8. April trafen sich die westlichen Vertrauensratsmitglieder zu einer Sondersitzung in Hannover. Dabei wurde über die Binnen- und Außenwirkung einer gesamtdeutschen Organisationsstruktur diskutiert und ihre Schutz- und Gefährdungspotenziale gegeneinander abgewogen. Das Ergebnis der Beratungen war eine schriftlich formulierte Arbeitsgrundlage für das Zwölfer-Gespräch in Berlin, das den sechs westdeutschen Teilnehmern übergeben wurde. In dem Text83 78 Vgl. Protokoll der Sitzung der VR-Mitglieder aus der Bundesrepublik und West-Berlin am 7./8.4.1962 (EZA BERLIN, 36/383). 79 Vgl. Aktenvermerk Behms über die Sitzung am 2.12.1961 (EZA BERLIN, 104/980) und Protokoll der Sitzung des Beirates am 18.3.1962 (EZA BERLIN, 141/98a). 80 Aktenvermerk Behms über die Sitzung am 2.12.1961 (EZA BERLIN, 104/980). 81 Rohrbach an Thadden, 14.5.1962 (EZA BERLIN, 36/33). 82 Protokoll der Sitzung des Beirates am 18.3.1962 (EZA BERLIN, 141/98a). 83 Arbeitsgrundlage der Mitglieder des VR aus der Bundesrepublik und West-Berlin für den vorbereitenden „Zwölfer-Ausschuss“ in Berlin (EZA BERLIN, 36/383).

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wurde die Einheit der ESGiD von den westdeutschen Wiedervereinigungsvorstellungen abgegrenzt. Das prinzipielle Festhalten an der Einheit der ESGiD dürfe, so wurde betont, nicht als „eine Reklamierung der gesamten Studentengemeinde für den ‚Westen‘ oder als eine Art ‚Hallstein-Doktrin‘ des westlichen Immobilismus“ missverstanden werden. Der gesamtdeutsche Zusammenhalt der Studentengemeinden habe bislang zu Vorwürfen von beiden Seiten geführt: Aus der Bundesrepublik sei ihnen „Pro-Östlichkeit“ vorgehalten worden, aus der DDR „Pro-Westlichkeit“. Nach ihren eigenen Vorstellungen aber waren die Ziele ihrer Gesamtarbeit, das wechselseitige Verständnis, die gegenseitige Hilfe und die Förderung des „Frieden[s] in Deutschland“. Das Festhalten an „den Klammern unserer Einheit“ so weit als möglich habe weder „traditionalistische, noch nationalistische, noch antikommunistische Gründe“. Es beruhe vielmehr auf dem Verständnis des christlichen Auftrages „an jede der beiden Seiten, in unserem Leben, in allen praktischen Schritten immer zugleich auch das Wohlergehen der anderen Seite und die Wirkungen einzelner Schritte auf diese Nächsten im Sinn zu haben.“ Aufbauend auf diesem Selbstverständnis von der Verpflichtung gegenüber dem „Nächsten“ wurde den gemeinsamen Organen – Vertrauensrat, Generalsekretär, Studentenpfarrerkonferenz – eine große Bedeutung für die Umsetzung dieses Auftrags beigemessen. Daher votierten die westdeutschen Vertrauensratsmitglieder für eine Beibehaltung des Namens ESGiD und der gemeinsamen Organe. Über deren zukünftige Zusammensetzung aber wollte man mit sich reden lassen. So konnten sich die westdeutschen Vertrauensratsmitglieder eine paritätische Zusammensetzung aus Ost- und West-Mitgliedern vorstellen, um den Vorwürfen einer „westliche[n] Steuerung“ jegliche Grundlage zu entziehen. Um den Vertrauensrat „aktionsfähiger“ zu machen, wurde erwogen, ein kleines, entsprechend zusammengesetztes Gremium zu bilden, dem gegebenenfalls die Funktionen des Vertrauensrates ganz oder teilweise für längere oder kürzere Zeit übertragen werden könnten. Ferner wollten die westdeutschen Vertrauensratsmitglieder den westlichen und den östlichen Teil des Vertrauensrates ermächtigen, im Falle der absoluten Verhinderung gemeinsamer Beratungen je für sich ihre geschäftsführenden Vorstände und hauptamtlichen Mitarbeiter zu berufen und die anfallenden Sachfragen selbstständig zu verhandeln und zu entscheiden. Solange aber dieser Fall noch nicht eingetreten sei, wollten sie den gegenseitigen Austausch und die gemeinsame Beschlussfassung nicht nur über grundsätzliche Anliegen, sondern auch über regionale Fragen der Arbeit in der DDR und der Bundesrepublik weiterhin pflegen. Der Generalsekretär sollte entsprechend der Beschlüsse des Vertrauensrates weiterhin für die praktische Durchführung der Gesamtarbeit Sorge tragen. Denn nur so könne er auch die Vertretung der ESGiD im Weltbund wirklich wahrnehmen. Der Austausch innerhalb der Studentenpfarrerkonferenz wurde nicht nur für die Gesamtarbeit, sondern auch für die regionale Arbeit der Gemeinden als unerlässlich erachtet. Am Ende der Arbeitsgrundlage formulierten die westdeutschen Vertrauensratsmitglieder noch ihre grundsätzliche Auffassung über das Verhältnis von institutioneller und innerer Einheit: Danach konnte eine Zusammenarbeit nicht formal erzwungen, sondern musste vom gegenseitigen Vertrauen und dem Willen zur Zusammenarbeit getragen werden. Indes konnte die institutionelle

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Verklammerung der Gesamtarbeit zu einer entscheidenden Hilfe werden, „um das gegenseitige Vertrauen wirklich durchzuhalten.“ Am 19. und 20. Mai traf sich in Berlin-Weißensee die Zwölfer-Kommission, um ein neues Konzept für die institutionelle Gestalt der Gesamtarbeit der ESGiD zu entwickeln84. Generalsekretär Rohrbach ging in das Gespräch mit der Hoffnung, dass die ostdeutschen Vertreter einsehen würden, dass es um mehr als um „Formalia“ ging85. Solange nicht eine ernsthafte Bedrohung vorlag, verlangte er von seinen DDR-Kollegen, dass sie sich zu der ESGiD bekannten. Nur auf dieser Grundlage konnte er sich einige organisatorische Änderungen vorstellen, um unnötige Anstöße bei den DDRBehörden zu vermeiden. Nach der Kommissionssitzung hatte Rohrbach den Eindruck, dass es eine „sehr klare, offene und vertrauensvolle Besprechung“ gewesen sei86. Die Kommission schlug dem Vertrauensrat folgende Strukturveränderungen vor: Obgleich es deutlich mehr west- als ostdeutsche Studentengemeinden gab, sollte der Vertrauensrat paritätisch besetzt und auf zwölf Mitglieder, zuzüglich des Präsidenten, verkleinert werden. Weiter wurde empfohlen, folgenden Passus in die Beiratsordnung aufzunehmen: „Der Beirat ist mit dem Vertrauensrat in gegenseitiger Verantwortung und Kooperation verbunden. Die Ergebnisse seiner Beratungen teilt der Beirat dem Vertrauensrat mit und nimmt die Anregungen und Beschlüsse des Vertrauensrates in seine Arbeit auf. (Beschlüsse gegen die Stimmen sämtlicher anwesender Vertrauensrat-Mitglieder innerhalb des Beirates sollten nicht gefaßt werden.)“87

Entsprechend sollte es in der Ordnung des Vertrauensrats heißen: „Der Vertrauensrat weiß sich verantwortlich für die Gesamtarbeit der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland. Er kann alle Beratungen und Beschlüsse des Beirates oder eines entsprechenden regionalen Gremiums zum Gegenstand seiner Verhandlungen machen.“ Für den Bereich der Bundesrepublik und West-Berlins wurde in Aussicht gestellt, ein dem Beirat entsprechendes Gremium zu konstituieren. Der Ausdruck „Beirat-West“ sollte aber vermieden werden, um nicht den Eindruck zu erwecken, als würde der Vertrauensrat durch zwei regionale Leitungsgremien ersetzt werden88. Dem Vertrau84 Ihr gehörten von Ostseite an: Ernst Kähler, Gustav Scharnweber, Casparson als Vertreter der JungAkademiker-Arbeit, Sigrid Jahnke, Volker Hofmann und Hans-Jürgen Reisgies als studentische Vertreter sowie Helmut Orphal, Christoph Haase und Barbara Ehlert von der Geschäftsstelle. Der Westen war vertreten durch Martin Schröter, Wilhelm Schmidt, den Patenreferenten des Landesverbandes Baden in der EAiD Siegfried Müller, die Studenten Alex Zeek, Lienhard Hösch und Hans Mener, den Redakteur der „ansätze“ Eberhard Kuhrau, die Berliner Obfrau Irmgard Langer, Heiko Rohrbach und Reinold von Thadden. Vgl. Protokoll der Kommissionssitzung des VR der ESGiD am 19./20.5.1962 (EZA BERLIN, 141/99/89a). 85 Rohrbach an Thadden, 14.5.1962 (EZA BERLIN, 36/33). 86 Rohrbach an VR-Mitglieder in der Bundesrepublik und West-Berlin, 6.6.1962 (EZA BERLIN, 36/86/86). 87 Protokoll von Orphal über die Kommissionssitzung am 19./20.5.1962 (EZA BERLIN, 141/99/89a). 88 Rohrbach an VR-Mitglieder in der Bundesrepublik und West-Berlin, 6.6.1962 (EZA BERLIN, 36/86/86). Auf seiner konstituierenden Sitzung am 23./24.3.1963 gab sich das westliche Gremium den

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ensrat wurde zudem nahegelegt, das Amt eines stellvertretenden Generalsekretärs einzurichten, das mit dem jeweils anderen Geschäftsstellenleiter besetzt werden sollte. Wie von der Kommission vorgeschlagen, tagten am 24. November die Mitglieder des Beirates Ost und die westdeutschen Vertrauensratsmitglieder in parallelen Sitzungen. Tags darauf traf sich der Vertrauensrat. Alle drei Gremien nahmen die Kommissionsvorschläge mit geringen Änderungen an89. Am Nachmittag des 25. November konstituierte sich der neue Vertrauensrat90 und wählte den Greifswalder Kirchenhistoriker Ernst Kähler und Hans Stroh, Studienleiter in der Evangelischen Akademie Bad Boll, zu gleichberechtigten Vorsitzenden. Rudolf von Thadden wurde als Präsident kooptiert91. Die Geschäftsstellenleiter erhielten den Auftrag, auf der nächsten Sitzung den Entwurf einer Geschäftsordnung für den Vertrauensrat vorzulegen. Die Verabschiedung der neuen Geschäftsordnung fand dann aber erst auf der Frühjahrssitzung 1964 statt. Der Passus, in dem das Verhältnis zwischen Vertrauensrat und Beiräten bestimmt wurde, hatte noch für Diskussionen gesorgt. In seiner ursprünglich vorgesehenen Fassung lautete er: „Der Vertrauensrat ist den beiden Beiräten in gegenseitiger Verantwortung und Kooperation verbunden. Er kann alle Beratungen der Beiräte zum Gegenstand seiner Verhandlungen machen. Dabei sollen seine Erwägungen und Empfehlungen die Arbeit der Beiräte als Dienst an der gleichen Sache fördern. Erwägungen des Vertrauensrates werden durch die Mitwirkung seiner Mitglieder in den Sitzungen des jeweiligen Beirates vertreten. Empfehlungen des Vertrauensrates werden den Beiräten schriftlich zugeleitet. Die Beiräte können je ihre Beschlüsse von der Zustimmung des Vertrauensrates abhängig machen.“92

Nach längeren Beratungen einigte man sich darauf, den letzten Satz zu streichen und statt seiner einzufügen: „Macht ein Beirat die Gültigkeit seiner Beschlüsse von der Entscheidung des V-Rates abhängig, so ist der Vertrauensrat eine klärende Antwort schuldig.“93 In der Ordnung des Beirates für die Bundesrepublik und West-Berlin hieß es entsprechend: „Der Vertrauensrat kann sich eine letzte Entscheidung vorbehalten.“ Die neue Ordnung des Beirates Ost enthielt jedoch keinen solchen Passus. Erich Hoffmann, ostdeutsches Mitglied des Vertrauensrates, kennzeichnete nach Abschluss der Diskussion die verabschiedete Ordnung des Vertrauensrates als ein „Muster für partNamen „Beirat für die Evangelischen Studentengemeinden in der Bundesrepublik und in Westberlin“. Vgl. Protokoll der Sitzung (EBD., 36/546). 89 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 25.11.1962 (EZA BERLIN, 141/99/89a). Da der Beirat Ost die Einrichtung des Amtes eines stellvertretenden Generalsekretärs abgelehnt hatte, wurde darauf verzichtet. Vgl. Protokoll der a. o. Sitzung des Beirates am 24.11.1962 (EBD., 141/98a). 90 Ihm gehörten aus der DDR an: Tonimaria de Boor, Harald Messlin, Friedrich-Wilhelm Krummacher, Ernst Kähler, Christian Walter und Werner Tannert. Mitglieder aus der Bundesrepublik und West-Berlin waren: Lienhard Hösch, Hans Mener, Hans Stroh, Gesa Conring, Dietrich Goldschmidt und Martin Schröter. Vgl. Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD Vormittag des 25.11.1962 (EZA BERLIN, 141/99/89a). 91 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 25.11.1962 (EZA BERLIN, 36/383). 92 Geschäftsordnung des VR der ESGiD (EZA BERLIN, 36/383). 93 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 26./27.4.1964 (EBD.).

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nerschaftliche Zusammenarbeit von Deutschen, die das Faktum ihrer verschiedenen politischen Bereiche und Verantwortung ernstnehmen und sich dennoch binden an eine gemeinsame Verantwortung als Christen und als Deutsche in der gegenwärtigen Situation.“94 In der Landeskirche von Berlin-Brandenburg kam es ebenfalls zu einer Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der beiden Bereiche, ohne dass die Einheit offiziell aufgegeben wurde. 1961 waren für die Weiterführung der Arbeit von der Kirchenleitung zunächst einige provisorische Regelungen getroffen worden. Danach wurden im Osten des Kirchengebiets die bischöflichen Funktionen von den Generalsuperintendenten sprengelweise wahrgenommen. Gemeinsam mit dem Präses der Provinzialsynode Fritz Figur traten diese regelmäßig zu gemeinsamen Beratungen zusammen95. Die Vertretung der berlin-brandenburgischen Kirche in der KKL übernahm als stellvertretender Vorsitzender der Kirchenleitung gleichfalls Figur. Oberkonsistorialrat Andler wurde mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Propstes von Brandenburg beauftragt. Für den in West-Berlin lebenden Konsistorialpräsidenten Ranke übernahm Oberkonsistorialrat Hagemeyer die Verwaltungsaufgaben in der Neuen Grünstraße. Das Konsistorium in der Jebensstraße wurde ermächtigt, für das West-Berliner Kirchengebiet die Aufgaben der Kirchenleitung wahrzunehmen. Die Kirchenleitung im Osten war angesichts von zwölf Ostmitgliedern bei einer Gesamtzahl von 19 auch ohne Veränderungen beschlussfähig. Damit waren beide Kirchenteile voll arbeitsfähig und gleichzeitig blieb die Einheit organisatorisch gewahrt. Als sich aber bis Anfang 1962 die Reisemöglichkeiten zwischen den beiden Teilen Berlins nicht verbessert hatten, entschied am 8. Februar die Kirchenleitung, die Notverordnung anzuwenden und die Provinzialsynode für Mitte März in Gestalt zweier gleichzeitig tagender Regionalsynoden mit identischer Tagesordnung einzuberufen. Auf beiden sollte es zu keiner Bischofswahl kommen, da die Kirchenleitung (Ost) mit sieben zu fünf Stimmen gegen eine Nominierung Scharfs votiert hatte, obgleich dieser bereits seit 1955 als Nachfolger von Dibelius gehandelt wurde. Diese Entscheidung wurde mit den Befürchtungen begründet, dass Scharf für die Christen im Ostteil der Kirche auf unabsehbare Zeit nicht erreichbar sei und dass seine Wahl von der DDR-Führung als Affront betrachtet würde. Der auf Lebenszeit gewählte, inzwischen 82jährige Dibelius blieb daraufhin im Amt, was von Generalsuperintendent Jacob auf der östlichen Regionalsynode scharf kritisiert wurde. Die östliche Teilsynode verzichtete auf die Wahl eines Nachfolgers für Scharf als Bischofsverweser und beauftragte stattdessen die regionale Kirchenleitung, die Funktionen des Bischofsamtes wahrzunehmen96. Der Ablauf der Synode in West-Berlin, auf der ebenso wie auf der östlichen eine neue regionale 94 Zitiert nach Rohrbachs Gesamtbericht über die ESGiD auf der Studentenpfarrerkonferenz Herbst 1964 in West-Berlin (EZA BERLIN, 36/87). 95 Vgl. hierzu und zum Folgenden: KJ 89, 1962, S. 181. 96 Vgl. hierzu und zum Folgenden T. HECK, EKD, S. 70–74; G. BESIER, SED-Staat, S. 520–536; R. MAU, Probleme, S. 146ff.; G. BESIER, Kirche, S. 843–846.

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Kirchenleitung gewählt wurde, war von der Rücksichtnahme auf die „Brüder und Schwestern im Osten“ bestimmt97. Beide Regionalsynoden betonten in Grußtelegrammen ihre „brüderliche Verbundenheit“98. Oberkirchenrat Erwin Wilkens, theologischer Referent und Leiter der Pressestelle im Kirchenamt der VELKD, wertete das „dramatische Ringen um den kirchlichen Zusammenhalt“ auf den beiden Regionalsynoden als „exemplarisch“ für die gesamte evangelische Kirche in Deutschland. In seinem Vortrag über den „Kirchliche[n] Dienst am gespaltenen Deutschland“, den er am 12. April vor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hielt, hob er hervor, dass es den Berlin-Brandenburgern nur noch „unter äußerster Mühe“ gelungen sei, die Merkmale einer organisatorischen Einheit der Kirche, wie sie sich in gemeinsamen Organen, in einer gemeinsamen rechtlichen Ordnung und in übereinstimmenden Beschlüssen darstelle, aufrechtzuerhalten99. Für Wilkens bestätigte der Verlauf dieser Synodaltagung die Einsichten, die nach seiner Einschätzung seit dem Mauerbau im kirchlichen Raum verstärkt Platz zu greifen begannen. Dazu zählte die Erkenntnis, dass eine reale kirchliche Gemeinschaft damit stand und fiel, dass Menschen und Gemeinden sie in der Begegnung erfahren konnten und folglich der äußere Zusammenhalt der EKD nur noch so stark war, wie die Berliner Mauer durchlässig. Und dazu gehörte das Gewahrwerden, dass die kirchlichen Aufgaben und die Gestalt des kirchlichen Zeugnisses so sehr von der jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit mitbestimmt wurden, dass ab einer bestimmten Entwicklungsstufe Verschiedenheiten und auch gravierende Meinungsunterschiede „in Kauf genommen“ werden mussten. In dieser Situation kam, nach Wilkens, die „unaufhebbare innere geistliche Gemeinschaft“ darin zum Ausdruck, dass man sich „gegenseitig die Freiheit zu selbständigem Handeln in der jeweiligen Situation zugesteht.“ Wenn man sich dabei „vor äußerer Überfremdung“ hüte, bliebe auf jeden Fall der „gemeinsame Boden in der Bezeugung des Evangeliums von Jesus Christus gewahrt.“ Im Tätigkeitsbericht der Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg, der auf beiden Regionaltagungen zum Ärger der SED-Führung in gleichem Wortlaut verlesen worden war, wurde diese Gratwanderung zwischen Eigenständigkeit und Einheit mit nachfolgenden Worten umschrieben und dabei vor allem die Korrektivfunktion der Gemeinschaft betont: „Wir werden als Kirche in verschiedenen Bereichen uns gegenseitig zur Ordnung rufen und gegenseitig warnen vor möglichen Grenzüberschreitungen. Wir werden es ertragen, dass bei verschiedener Lagebeurteilung auch verschiedene Entscheidungen angeraten oder gefällt werden, und wir werden uns bemühen, Vertrauen zueinander festzuhalten und Geduld miteinander zu bewahren.“100

97 Vgl. den Bericht von Friedrich Schwanecke über die Regionalsynode Ost, wiedergegeben im: KJ 89, 1962, S. 191. 98 EBD., S. 4f. 99 EZA BERLIN, 650/95/2. 100 KJ 89, 1962, S. 183.

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Ein Prüfstein für die „kontrapunktische Spannung von Einheit und Trennung“101 in der berlin-brandenburgischen Kirche blieb auch weiterhin die Bischofswahl. Zu ihr wurden die Regionalsynoden für Anfang Dezember 1962 zusammengerufen. Die drei Generalsuperintendenten Führ, Jacob und Schönherr sprachen sich gegen eine Wahl Scharfs aus und argumentierten vornehmlich mit der aktuellen kirchlichen Situation. Die Mehrheit der Gegner einer Wahl des Präses kam aus dem „Weißenseer Arbeitskreis“. Der im Januar 1958 als eine Art kirchliche Bruderschaft u. a. von Martin Fischer, Albrecht Schönherr, Siegfried Ringhandt und Gerhard Bassarak gegründete Arbeitskreis wollte die Entwicklung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg mitgestalten und hatte deren volkskirchlichen Strukturen den Kampf angesagt. Dabei stand der Begriff „Volkskirche“ als Negativfolie für unterschiedliche ekklesiologische Vorstellungen. In den ersten Jahren wurde der Kreis vor allem durch den gemeinsamen Anti-Dibelianismus zusammengehalten102. 1962 meldeten seine Vertreter Zweifel an der Wahl eines Bischofs an, der seine östlichen Kirchensprengel nicht besuchen konnte, und befürchteten negative Auswirkungen einer Wahl Scharfs für die östlichen Kirchengemeinden. Grundsätzlich standen sie aber auch dem Bischofsamt in seiner bisherigen Gestalt ablehnend gegenüber und bevorzugten, die bischöflichen Amtsbefugnisse jedem der Generalsuperintendenten für seinen Sprengel zuzuerkennen. Dieser Vorschlag wurde jedoch nicht verwirklicht, da eine solche Regelung die gesamthänderische Funktion des Amtes aufgelöst und der Grundordnung widersprochen hätte103. Die Befürworter einer Wahl Scharfs verwiesen hingegen darauf, dass dieser die Einheit der Kirche Berlin-Brandenburgs repräsentiere und man seine Ausweisung nicht nachträglich sanktionieren dürfe. Da aber auf der östlichen Regionalsynode keine Zweidrittelmehrheit für Scharf zustande kam, verzichtete die Regionalsynode West auf den Wahlgang. In einem Kommuniqué betonten beide Regionalsynoden, dass dies kein Abrücken von dem ausgesperrten Scharf bedeutet104. Im Anschluss an die Synode versuchten namhafte Kirchenvertreter aus Ost und West – darunter auch Niemöller – die ostdeutschen Staatsvertreter doch noch dazu zu bewegen, Scharfs Rückkehr in die DDR zu ermöglichen, jedoch ohne Erfolg. Staatssekretär Seigewasser verfolgte die vom Politbüro und Sekretariat des ZK der SED festgelegte „Linie“ und teilte den anfragenden Kirchenvertretern mit, dass alle Versuche, die DDR-Führung zu einem Einlenken in „Sachen Scharf“ zu bewegen, zwecklos seien105. Nach dem Willen der SED-Führung sollte die berlin-brandenburgische Kirche „den politischen Realitäten Rechnung“ tragen, d. h. im Ostteil einem DDR-Bürger das Bischofsamt übertragen106 und positiv zur Politik der SED Stellung nehmen. Um dies

101 EBD., S. 182. 102 Vgl. T. FRIEBEL, Kirche, S. 296. 103 Vgl. L. BESSERT, Getrennte, S. 40. 104 Vgl. Kommuniqué der Regionalsynoden. Abdruck in: KJ 89, 1962, S. 192f. 105 Vgl. SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 311. 106 Information über die Situation in den evangelischen Landeskirchen der DDR vom 28.11.1962. Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 395–412, hier S. 411.

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zu erreichen und den Einfluss der „reaktionären Kräfte“ aus West-Berlin zurückzudrängen, wurden 1962 und 1963 zahlreiche „aufklärende Gespräche“ geführt und „massenpolitische Arbeit“ betrieben. Um eine Rückkehr von Scharf zu ermöglichen, war bereits Anfang 1962 Kunst auf das Angebot eines ostdeutschen Regierungsvertreters eingegangen, demzufolge der Ratsvorsitzende zurückkehren könne, falls die EKD sich dazu entschließen würde, in aller Form den Militärseelsorgevertrag mit der Bundesregierung zu kündigen107. Kunst bot in einer direkten Verhandlung die Kündigung an, woraufhin ihm jedoch mitgeteilt wurde, man könne das Angebot leider nicht aufrechterhalten. Scharf blieb folglich ausgesperrt und der Militärseelsorgevertrag als Hauptspaltungsargument der ostdeutschen Machthaber gegenüber den gesamtkirchlichen Zusammenschlüssen erhalten. Nachdem alle kirchlichen Bemühungen, Scharf eine Rückkehr nach Ost-Berlin zu ermöglichen, fehlgeschlagen waren, bestellte im Februar 1963 die östliche Kirchenleitung Günter Jacob zum nebenamtlichen „Verwalter des Bischofsamtes im Bereich der Regionalsynode Ost“ für die Dauer von vier Jahren bzw. bis zur Rückkehr von Scharf108. Mit der Wahl eines seiner Antipoden vollzog die Ostregion eine Abkehr von Dibelius, der jedoch nominell Bischof der gesamten Kirche blieb. Durch dieses gemeinsame Bischofsamt sowie die gemeinsame Grundordnung blieb die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg nach ihrem Selbstverständnis eine Landeskirche. Man hatte sich nicht geteilt und damit auch nicht freiwillig ein Stück kirchlicher Einheit im geteilten Deutschland aufgegeben, sondern sich auf Grund der besonderen politischen Umstände durch Anwendung der Notverordnung vorübergehend aufgegliedert. Insbesondere von westlicher Seite her wurde betont, dass die voneinander getrennten Teile nicht verselbstständigt, sondern lediglich arbeitsfähig gemacht worden waren109. Wie man es auch wertete, der östliche Kirchenteil hatte mit eigener Kirchenleitung und Synode den notwendigen Spielraum erhalten, um eigenverantwortlich handeln und der DDR-Regierung gegenüber auf die Eigenständigkeit seiner kirchlichen Verwaltung verweisen zu können. Die Erfahrungen in der Zeit seit dem Mauerbau ließen aber insbesondere bei westdeutschen Kirchenvertretern die Befürchtung wachsen, dass trotz deutlicher Zurückweisung kirchenspaltender Tendenzen „der Sog der ideologisch, politisch und wirtschaftlich grundverschieden orientierten Umwelten und das zur rechten Ausrichtung der aufgetragenen Botschaft notwendige, nüchterne Rechnen mit den Gegebenheiten“ dazu führen könnte, dass sich die beiden Teile der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg auseinanderleben würden110.

107 Vertrauliche Mitteilung von Kunst an Beckmann in einem Brief vom 1.1.1963 (EZA BERLIN, 87/96/997). 108 Vgl. KJ 90, 1963, S. 177. 109 Vgl. L. BESSERT, Getrennte, S. 39. 110 KJ 89, 1962, S. 5. Im März 1963 hielt Ernst Wilm diese Befürchtung bereits für bewahrheitet und sprach davon, dass die Christen in der EKiBB sich in verhältnismäßig kurzer Zeit auseinander gelebt hätten. Vgl. Ders., „Gibt es noch eine Einheit der EKD?“ In: Unsere Kirche, 3.3.1963. Wiederabdruck in: KJ 90, 1963, S. 167.

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Zögerlicher als der „Test- und Modellfall“111 Berlin-Brandenburg zeigte sich die EKD in ihren organisatorisch-rechtlichen Reaktionen auf den Mauerbau. Trotz aller Behinderungen hielt sie an ihrer Rechtsgestalt fest. Außerhalb der Grundordnung der EKD setzten hingegen die KKL und die Konferenz der evangelischen Bischöfe ihren Institutionalisierungsprozess fort. Dieser hatte vor allem das Ziel, entgegen der staatlichen Differenzierungspolitik die Gemeinschaft der ostdeutschen Landeskirchen zu stärken. Am 21. Februar 1962 erhielten die beiden Konferenzen eine eigene Geschäftsordnung, in der die Kompetenzen der verschiedenen Organe festgelegt waren. Zugleich wurde eine eigene, von den ostdeutschen Kirchen finanzierte Geschäftsstelle eingerichtet, deren Leitung der junge Jurist Manfred Stolpe übernahm. Im Vorfeld der Verabschiedung hatte es Auseinandersetzungen darüber gegeben, ob in der Geschäftsordnung die EKD erwähnt werden sollte. In Krummachers Entwurf hatte es in der Präambel geheißen, dass die evangelischen Landeskirchen in der DDR „als Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland“ seit Jahren in der KKL und der Bischofskonferenz zusammenarbeiteten und „unbeschadet der Zuständigkeit der gesamtkirchlichen Organe, gemeinsame Interessen besonderer Art der evangelischen Landeskirchen in der Deutschen Demokratischen Republik“ wahrnahmen112. Mitzenheim und Lotz kritisierten, dass durch diese Sätze und die vorgesehene Teilnahme von Ratsmitgliedern und den Leitern der Amtsstellen der EKD die „Verklammerung mit der EKD zu stark herausgestellt“ werde und dadurch „die erstrebte Festigung des Zusammenschlusses der Kirchen in der DDR illusorisch würde.“113 Lotz legte auf der Besprechung der leitenden Juristen am 19. Januar einen völlig neuen Entwurf vor, in dem in der Präambel und bei der Nennung der Konferenzteilnehmer jeder Hinweis auf die EKD fehlte. Im Blick auf die Geschäftsstelle forderte er ein von der EKD völlig unabhängiges „Gemeinsames Sekretariat der Evangelischen Kirchen in der DDR“ mit weit reichenden Aufgaben114. Damit holte er zum Schlag gegen die Kirchenkanzlei für die Gliedkirchen in der DDR aus, die er, ganz staatskonform, als vom Westen ferngesteuert kennzeichnete. Zwar konnte Lotz seine Vorstellungen in diesen Punkten nicht durchsetzen, jedoch blieben die thüringischen Interventionen auch nicht ganz erfolglos. Der von der KKL verabschiedete Text nannte unter den beratenden Teilnehmern der Konferenz der Kirchenleitungen u. a. die „Leiter gesamtkirchlicher Dienststellen in der Deutschen Demokratischen Republik“ und „die in der Deutschen Demokratischen Republik wohnhaften Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland“115. Zum Teilnehmerkreis der Bischofskonferenz zählten sie jedoch nicht. Die Präambel behielt einen Hinweis auf die Zugehörigkeit der Kirchen in der DDR zur

111 KJ 89, 1962, S. 4. 112 Entwurf im EZA BERLIN, 104/101. 113 Aktenvermerk Behms über die Besprechung der leitenden Geistlichen und leitenden Juristen am 4.1.1962 (EZA BERLIN, 104/101). 114 Aktenvermerk Behms über die Besprechung der leitenden Juristen am 19.1.1962 (EBD.). Dort auch der Entwurf von Lotz. 115 ABlEKD 1962, S. 376.

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EKD, wenn auch in abgeschwächter Form. Die Zusammenarbeit der Kirchen in der DDR wurde wie folgt charakterisiert: „Die evangelischen Kirchen in der Deutschland Demokratischen Republik, die zur Evangelischen Kirche in Deutschland gehören, arbeiten, unbeschadet ihrer bekenntnisbedingten und rechtlichen Selbständigkeit seit Jahren in der ‚Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen in der Deutschen Demokratischen Republik‘ und in der ‚Konferenz der evangelischen Bischöfe in der Deutschen Demokratischen Republik‘ zusammen und sind dabei geleitet von dem Ziel, Anliegen, die alle Kirchen gleicherweise berühren, brüderlich zu beraten und in möglichst weitgehender Übereinstimmung gemeinsam zu handeln.“116

Bei der Wahrung der Eigenständigkeit der Landeskirchen war man der Thüringer Kirche weit entgegengekommen. Denn auch hier hatte diese scharfe Kritik am ursprünglichen Entwurf angemeldet. Die Beschlüsse der Konferenzen waren nun nur noch für die Landeskirchen bindend, deren Vertreter ihnen zugestimmt hatten. Auch hatte jede Landeskirche, unabhängig von ihrer Größe, jetzt lediglich eine Stimme. Einen Tag nach der Verabschiedung der Geschäftsordnung fragte Erwin Wilkens auf einer Sitzung des „Sonderausschusses der EKD“ in Ost-Berlin seine ostdeutschen Kollegen, ob es sich bei dieser um eine „Kirchenverfassung in nuce“ handle. Er erhielt zur Antwort, dass man sie in Thüringen bereits dafür halte117. Doch auch Wilkens selbst hielt den Weg der weiteren organisatorischen Verselbstständigung der Kirchen in der DDR für unumgänglich und empfahl, in diesem Punkt „sehr nüchtern in die Zukunft“ zu blicken. Das Problem der unmittelbaren Zukunft war die ursprünglich für Oktober 1962 geplante Synode der EKD. Ihre Einberufung wurde zunächst verschoben. Nach einer Beratung mit Rudolf Smend, dem Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts in Göttingen, teilte Präses Puttfarcken dem Rat der EKD Ende August mit, dass es keine rechtliche Möglichkeit gebe, in der Bundesrepublik eine beschlussfähige Synode zu versammeln118. Der Rat vertagte daraufhin seine Entscheidung über Ort und Zeit der Synode auf Februar 1963. Noch hoffte er, gleichzeitig in Ost- und West-Berlin tagen zu können. Für alle Fälle sollte aber auch der Tagungsort in Bethel frei gehalten werden. Am 28. November erörterte die Kirchenkonferenz in Berlin die Frage, auf welche Weise 1963 eine rechtsgültige und beschlussfähige Synode der EKD abgehalten werden konnte. Sie empfahl, das Problem noch einmal mit leitenden Vertretern der Gliedkirchen in der DDR zu besprechen. „Nach Möglichkeit sollte“, so die Kirchenkonferenz, „durch ein Kirchengesetz die Legalisierung von Regionalsynoden, wie sie in der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg eingerichtet sind, vorgesehen werden.“119 Kurz darauf trafen sich die Ratsmitglieder aus der DDR mit den beiden westdeutschen Ratsmitgliedern Puttfarcken und Niesel, um gemeinsam die weitere Planung 116 EBD. 117 Streng vertrauliche „Bemerkungen und Beobachtungen zur gegenwärtigen kirchlichen Situation in der DDR“ von Wilkens vom 26.2.1962 (EZA BERLIN, 650/95/2). 118 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 30./31.8.1962 (EZA BERLIN, 2/1118). 119 EZA BERLIN, 2/1118.

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der Synode zu besprechen120. Sie waren der Auffassung, dass die Synode keinesfalls in Ost-Berlin stattfinden konnte. Wiederum wurde Bethel als Tagungsort ins Spiel gebracht121. Auch dorthin sollten die Synodalen aus beiden Teilen Deutschlands eingeladen werden122. Falls keiner der Ostdeutschen eine Ausreisegenehmigung erhalten würde, müsse ihre Zustimmung auf anderem Wege eingeholt werden. Der Rat sollte „in dieser Frage beweglich sein“. Den Versammelten erschien es fraglich, ob eine Tagung der Synode mit ausschließlich westdeutschen Teilnehmern bestimmte Notgesetze über eine Regelung der Legalität von Synodalbeschlüssen, etwa im Sinne von Regionalsynoden, verabschieden sollte. Sie selbst zogen diesbezüglich einen späteren Zeitpunkt vor. Der Rat respektive seine westdeutschen Mitglieder beauftragten die Kirchenkanzlei aber schon einmal damit, ein „Kirchengesetz über die Einrichtung von Regionalsynoden“ vorzubereiten123. Am 17. Januar 1963 diskutierten die Ratsmitglieder aus der DDR gemeinsam mit fünf westdeutschen Ratsmitgliedern noch einmal grundsätzlich über die Gefahren und Chancen einer Synodaltagung unter den herrschenden politischen Bedingungen124. Vor allem Präses Hans Puttfarcken, Wiesbadener Ministerialdirigent und Gründungsmitglied des Kronberger Kreises, argumentierte gegen die Abhaltung der Synode. Er nannte dabei fünf Gründe: „a) Sinn und Zweck der Synode (Art. 23 GO). b) Kein Zwang, Synode jetzt abzuhalten (Art. 25 GO). c) Möglichkeit, dass zumindest der Berlin-Status sich in absehbarer Zeit ändert. d) Besorgnis, dass der Zerbruch der EKD von uns aus sichtbar gemacht wird, nachdem die Behauptung der EKD, auch nach dem 13.8.1961 die letzte und einzige gesamtdeutsche Klammer zu sein, zumindest fragwürdig geworden ist. e) Wenn sich in der kommenden Zeit für die EKD eine bessere Lage ergeben sollte, wird diese von uns jetzt in Aussicht genommene ‚Rumpfsynode‘ oder auch ‚West-Synode‘ im Raum stehen. f) Meine Befürchtung, dass durch Stellungnahmen von Synodalen oder durch die pressemäßige Behandlung Gräben aufgerissen werden, die nicht mehr zugeschüttet werden können. Die Leidtragenden würden die Brüder und Schwestern in der DDR sein.“125

Die Mehrheit im Rat sah zwar das Risiko, durch die Synodaltagung die „Zerreissung der EKD durch die politischen Verhältnisse in Deutschland“ vor aller Welt zu dokumentieren126. Das gleiche Risiko hielt sie aber auch dann für gegeben, falls die EKD es 120 Niederschrift über die Sitzung der Ratsmitglieder am 30.11.1962 (EZA BERLIN, 104/39). An dem Gespräch nahmen von westlicher Seite Puttfarcken und Niesel teil. 121 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 29./30.11.1962 (EZA BERLIN, 2/1118). 122 Niederschrift über die Sitzung der Ratsmitglieder am 30.11.1962 (EZA BERLIN, 104/39). 123 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 29./30.11.1962 (EZA BERLIN, 2/1118). 124 An der Sitzung nahmen teil: Krummacher, Beste, Mager, Puttfarcken, Wilm, Haug, Niesel, Smidt, Riedel, Brunotte, Wischmann, Gundert, Koch, Behm. Niederschrift Behms über die Begegnung der Ratsmitglieder am 17.1.1963 (EZA BERLIN, 104/39). 125 Puttfarcken an Brunotte, 21.1.1963 (EZA BERLIN, 2/1118). 126 Niederschrift Behms über die Begegnung der Ratsmitglieder am 17.1.1963 (EZA BERLIN, 104/39).

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nicht mehr wagen würde, überhaupt noch eine Synode einzuberufen. Aus der Überzeugung heraus, dass die Kirche allein aus kirchlichen Gesichtspunkten handeln dürfe, entschied sich der Rat mehrheitlich dafür, die Synode vom 10. bis 14. März in Bethel abzuhalten. Dort sollten jegliche „Manipulationen“ an der Grundordnung der EKD vermieden werden. Auf der Ratssitzung am Morgen in West-Berlin hatte Brunotte noch die verschiedenen Möglichkeiten für ein Kirchengesetz über Regionalsynoden erörtert, das, falls die Synode beschlussfähig war, erlassen werden könnte. Heinemann hatte vorgeschlagen, im Falle der Beschlussfähigkeit auf jeden Fall Art. 26,2 der Grundordnung127 in dem Sinne zu ändern, dass die Synode künftig bereits dann Beschlüsse fassen könne, wenn lediglich drei Fünftel der Synodalen anwesend wären128. Auf der Nachmittagssitzung in Ost-Berlin aber waren Bedenken laut geworden. Es wurde befürchtet, dass sich die Bestrebungen, durch Veränderungen in der Grundordnung aktionsfähige Gremien der EKD für die Bundesrepublik zu schaffen, negativ auf die Kirchen in der DDR und ihr Verhältnis zum Staat auswirken würden. Man kam schließlich überein, falls notwendig, den Rat zu ermächtigen, besondere Regelungen zu treffen. Weiterhin wurde beschlossen, dass der Präses umgehend dem Staatssekretär für Kirchenfragen in einem kurzen Schreiben die Einberufung der Synode ankündigen und sich nicht auf persönliche Diskussionen einlassen sollte. Erst nach Übergabe dieses Schreibens würde auch die Öffentlichkeit über die Einberufung der Synode informiert werden. Der Rat fasste am 18. Februar in West-Berlin hinsichtlich der Synode noch zwei weitere Beschlüsse: Auf Vorschlag des Vorsitzenden des Vorbereitungsausschusses, Präses Beckmann, wurde für alle Referate zum Hauptthema der Synode ein zweiter Referent aus der DDR bestellt129. Dies geschah vermutlich in der Hoffnung, dass zumindest diese eine Ausreiseerlaubnis bekommen würden. Zudem wurden die westdeutschen Stellvertreter für die sechs vom Rat berufenen Synodalen aus der DDR bereits für den ersten Synodentag als Gäste eingeladen, um notfalls den Platz dieser Synodalen einnehmen zu können. Dass die ostdeutschen Synodalen nicht an der Synode würden teilnehmen können, war seit dem 24. Januar 1963 klar. Der Staatssekretär für Kirchenfragen hatte Bischof Jänicke in einem Gespräch erklärt, dass DDR-Bürger keine Reisegenehmigung nach Bethel erhalten würden130. Der Staat nehme zwar die gesamtkirchlichen Dienststellen in Ost-Berlin sowie überhaupt die Tatsache des Zusammenschlusses der Landeskirchen in der EKD bzw. in der EKU und VELKD als Faktum hin, so Seigewasser, eine gesamtdeutsche Synode aber sei weder in der Bundesrepublik möglich noch in Ost-

127 Dort hieß es: „Die Synode beschliesst mit Stimmenmehrheit. Sie ist beschlussfähig, wenn zwei Drittel der Synodalen anwesend sind. Sie gibt sich eine Geschäftsordnung.“ Zitiert nach: PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 531. 128 Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 17./18.1.1963 (EZA BERLIN, 104/58). 129 EBD. 130 Aktenvermerk Behms vom 24.1.1963, in dem er einen mündlichen Bericht Hildebrandts über das Gespräch zwischen Jänicke und Seigewasser am 24.1.1963 wiedergibt (EZA BERLIN, 104/58).

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Berlin. Der Staatssekretär schlug stattdessen vor, die EKD und vor allem die EKU solle dem Beispiel von Berlin-Brandenburg folgen und gesetzliche Regelungen für Regionalsynoden treffen. Diese Regionalsynoden sollten dann aber nach dem Willen des Staates nicht in Ost-Berlin, sondern auf DDR-Gebiet tagen. Auch bei einer Unterredung zwischen Krummacher und Seigewasser am 5. Februar kam das Gespräch auf die EKD-Synode131. Der Greifswalder Bischof war zu diesem Zeitpunkt um eine Wiederaufnahme des Kontakts mit dem Staat bemüht, der seit Frühjahr 1962 nicht in ihm, sondern nur noch in Mitzenheim den Vertreter der ostdeutschen Landeskirchen sah132. Krummacher fragte den Staatssekretär, was er den DDR-Synodalen raten solle, die nach Bethel eingeladen wurden. Er erhielt zur Antwort, dass er in Kenntnis der Situation seinen Synodalen den richtigen Rat geben werde. Der Staatsseite lag offensichtlich daran, dass die verantwortlichen Kirchenvertreter von sich aus den Synodalen empfehlen sollten, auf die Teilnahme an der EKD-Synode zu verzichten. Krummacher, der ohne Voranfrage vom Rat als Referent zum Thema „Mission und Kirche“ aus der Sicht der Landeskirchen benannt worden war133, verzichtete zunächst für seine Person auf eine Teilnahme. Einen Tag nach seinem Besuch beim Staatssekretär teilte er der Kirchenkanzlei mit, dass er nicht zur Synode kommen könne134. Mitte Februar beschloss das Politbüro des ZK der SED „Maßnahmen gegenüber sogenannten gesamtdeutschen Tagungen der evangelischen Kirche“135. Darin wurde u. a. festgelegt, dass für den Besuch der EKD-Synode in Bethel, der Synode der VELKD im April in Nürnberg und des Kirchentags im Juli in Dortmund keine Ausreisegenehmigungen erteilt werden durften. Zudem erhielt Seigewasser den Auftrag, den verantwortlichen Vertretern der EKU zu erklären, dass eine Beteiligung westdeutscher Vertreter an der für April in Ost-Berlin geplanten EKU-Synode nicht gestattet werde. Am 18. Februar erklärte Fritz Flint, der Stellvertreter des Staatssekretärs, Führ offiziell, dass den Synodalen die Beantragung einer Personalbescheinigung nicht empfohlen werden könne; sie müssten auf jeden Fall mit einem ablehnenden Bescheid rechnen136. Führ entwarf daraufhin ein Schreiben an die ostdeutschen Synodalen, in dem er über seine Besprechung mit Flint berichtete und bedauerte, „dass wir an den Beratungen der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland nicht 131 Bericht Seigewassers vom 11.2.1963 an W. Barth über sein Gespräch mit Krummacher (BStU BERLIN, MfS AP 10667/92). 132 Um Mitzenheim als Sprecher der ostdeutschen Landeskirchen durchzusetzen, warf der Staat im Frühjahr 1962 Krummacher seine Tätigkeit im Kirchlichen Außenamt und als Wehrmachtspfarrer während der NS-Zeit vor. Die Kirchen in der DDR waren jedoch entschlossen, ihre Eigenständigkeit gegenüber dem Staat zu wahren und bestätigten den Greifswalder Bischof im Juli 1962 als Vorsitzenden der KKL. Anstelle von Mitzenheim wurde Noth zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 103–114; S. BRÄUER, Bischof, S. 475–479. Krummacher war der am intensivsten vom Staat überwachte Kirchenmann in der DDR. Vgl. EBD., S. 486. 133 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 17./18.1.1963 (EZA BERLIN, 104/39). 134 EZA BERLIN, 104/58. 135 Reinschriftenprotokoll Nr. 5 vom 13.2.1963 (SAPMO-BArch BERLIN, DY 30/J IV 2/3/865). 136 Aktenvermerk Behms über ein Gespräch mit Lewek und Führ am 20.2.1963 (EZA BERLIN, 104/58).

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teilnehmen können. Ich darf annehmen, dass wir alle die Tagung der Synode umso treuer in unsere Fürbitte einschließen und darin die Einheit unserer EKD bewahren.“137

Bei den Leitern der Berliner Dienststellen löste dieser Entwurf heftigsten Widerspruch aus. Sie glaubten, dass er bei den Synodalen den Eindruck erwecke, die Kirche empfehle ihnen, keine Anträge auf Personalbescheinungen zu stellen. Zudem hielten sie in dem Entwurf die Einheit der EKD „derartig verdünnt ausgedrückt“, dass Rückwirkungen auf die Synoden von VELKD und EKU nicht ausbleiben könnten. Sie baten Führ, das Schreiben zurückhalten zu dürfen, woraufhin dieser aber durchsetzte, dass die ostdeutschen Kirchenleitungen am 25. Februar telefonisch über das Ergebnis seiner Verhandlungen in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen informiert wurden138. Drei Tage später sprachen die ost- und westdeutschen Ratsmitglieder erneut über die geplante Synode. Dabei wurde Kritik an den Verantwortlichen auf ostdeutscher Seite laut, dass sie die Synodalen nicht dazu aufgefordert hatten, einen Antrag auf Personalbescheinigungen zu stellen139. In der Frage der „Notgesetzgebung“ ermächtigten die ostdeutschen Mitglieder den Rat, „Gedanken weiter zu durchdenken, die eine Spaltung der EKD verhindern, eine Gliederung aber nicht ausschliessen.“ Waren die Ratsmitglieder aus der DDR bislang jeder gesetzlichen und organisatorischen Neuordnung, d. h. der Einrichtung von Regionalsynoden, ablehnend gegenüber gestanden, so zeigten sie sich nunmehr offen gegenüber einer solchen Regelung140. Ähnliches galt für die VELKD und das dort geplante Kirchengesetz über Regionalsynoden. Angesichts dieser veränderten Position beauftragte der Rat die Kirchenkanzlei, ein gleichartiges Gesetz für den Bereich der EKD zu entwerfen. In einem Ausblick auf die bevorstehende Synode, der am 3. März in der Zeitung „Unsere Kirche“ erschien und in Auszügen über dpa verbreitet wurde, appellierte das Ratsmitglied Wilm, an der Einheit der EKD festzuhalten141. Der Präses kritisierte Stimmen in westdeutschen Landeskirchen, die davon ausgingen, dass nicht länger auf die Christen in der DDR Rücksicht genommen werden könne, man in Ost und West den Weg allein gehen müsse und es nur noch eine ökumenische Verbundenheit geben werde. Wilm forderte demgegenüber mit Vehemenz, „dass wir auf unsere Brüder und Schwestern drüben Rücksicht nehmen, dass wir sie im Herzen immer mit dabei haben bei allem, was wir tun, auch auf der Synode in Bethel und auch auf dem Dortmunder Kirchentag, dass wir nicht ohne sie unsere kirchliche Arbeit tun, unsere Beschlüsse fassen, unsere Reden halten und die Artikel schreiben, dass wir jeden möglichen Austausch mit ihnen pflegen und Verbindung mit ihnen halten, besonders die Verbin-

137 Entwurf vom Februar 1963 (EBD.). 138 Vermerk Behms, 25.2.1963 (EBD.). 139 Aktenvermerk Behms über die Begegnung der Ratsmitglieder am 28.2.1963 (EZA BERLIN, 104/39). Anwesend waren aus der Bundesrepublik: Wilm, Niesel, Smidt, Riedel, Brunotte und Koch; aus der DDR: Beste, Mager, Schmitt und Behm. 140 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 28.2.1963 (EZA BERLIN, 2/1118). 141 Präses Wilm: Gibt es noch eine Einheit der EKD? Ausblick auf die Synode in Bethel vom 10. bis 14. März. In: Unsere Kirche, 3.3.1963 (EZA BERLIN, 87/96/994).

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dung durch die Fürbitte. Und dass wir uns täglich darüber klar werden, dass wir uns mit den Menschen drüben nicht im kalten Krieg befinden und uns nicht in eine Antihaltung gegen sie drängen lassen wollen.“

Nachdem absehbar war, dass die ostdeutschen Synodalen keine Ausreiseerlaubnis bekommen würden, richtete die KKL am 8. März ein Schreiben an Präses Puttfarcken. Darin hieß es: „Es ist das erste Mal, dass aus politischen Gründen eine Beratung der Gesamtvertretung unserer Kirchen nicht durchgeführt werden kann. Das beklagen wir vor allem im Blick auf den Dienst unserer Synode für die Menschen unserer Zeit und für unser Volk in seiner Gesamtheit. [. . .] Die zur Synode versammelten Brüder bitten wir, sich nicht mit der geschäftsordnungsmäßigen Erledigung der Tagesordnung zufriedenzugeben, sondern sich mit uns gemeinsam den Worten unseres Gottes zu stellen und bei allem unsere Einheit im Herrn der Kirche zu sehen.“142

Erwartungsgemäß blieben in Bethel die für die ostdeutschen Synodalen vorgesehenen Plätze leer und symbolisierten die bedrohte Einheit der gesamtdeutschen EKD143. Auf seiner Sitzung nach dem Eröffnungsgottesdienst, den Wilm gehalten hatte, erörterte der Rat den Entwurf der Kirchenkanzlei zu einem „Kirchengesetz betr. Regionalsynoden“144. Heinemann hielt ein stärkeres Festhalten an der Einheit der Synode für erforderlich und legte daher auf der Ratssitzung am Folgetag einen neuen Entwurf vor. Auf seiner Abendsitzung am 11. März beschloss der Rat, Heinemanns Entwurf „über die Tagung von Regionalsynoden“ den Beratungen zugrunde zu legen145. In ihn wurden noch aus dem Entwurf der Kirchenkanzlei die Bestimmungen über die Änderung der Grundordnung und der Paragraf über die Ermächtigung des Rates aufgenommen. Am ersten Verhandlungstag stellte Präses Puttfarcken angesichts von 79 anwesenden und zwei noch anreisenden Synodalen die Beschlussfähigkeit der Synode fest146. Nach der Grundordnung hatte die Synode 120 Mitglieder, 79 aus der Bundesrepublik und 41 aus der DDR. Folglich wurde die Beschlussfähigkeit äußerst knapp mit Hilfe der westdeutschen Stellvertreter für jene ostdeutschen Synodalen gesichert, die laut Ordnung vom Rat berufen wurden. Am zweiten Verhandlungstag der Synode, dem 12. März, tagten die Ausschüsse147. Die brisante Frage, welche rechtlichen und organisatorischen Konsequenzen die Synode aus der durch den Mauerbau entstandenen Situation ziehen sollte, wurde sowohl im Rechtsausschuss als auch im Ausschuss „Einheit der Kirche“ behandelt148. Laut 142 KJ 90, 1963, S. 8f. 143 Der Beschluss, im Sitzungssaal in Bethel Plätze für die Synodalen aus der DDR vorzusehen, obgleich bereits sicher war, dass die ostdeutschen Vertreter nicht an der Synode würden teilnehmen können, fiel auf Anfrage von Präses Puttfarcken auf der Ratssitzung am 28.2.–1.3.1963 (EZA BERLIN, 2/1118). 144 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 10.3.1963 (EZA BERLIN, 2/1808). 145 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 11.3.1963 (EBD.). 146 BETHEL 1963, S. 15. 147 EBD., S. 115f. 148 Kurzprotokoll der Betheler Synode, von Brunotte an Puttfarcken, 25.3.1963 (EZA BERLIN, 2/1118).

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Reymar von Wedel, der als Referent des Ratsvorsitzenden an den vertraulichen Sitzungen teilnehmen konnte, plädierte Scharf im Ausschuss „Einheit der Kirche“ für ein Regionalsystem nach Berliner Vorbild149. Dieses war aber durch die negative Wahlentscheidung der Ost-Berliner Synode diskreditiert, da vermutet wurde, dass die östlichen Synodalen unter staatlichem Druck entschieden hatten. Gegner einer Regionalisierung waren im Ausschuss vor allem Gerstenmaier, Bauer und die meisten Lutheraner. Sie glaubten, nun für den Osten stellvertretend handeln zu müssen. Im Hintergrund, so Wedel, zog Kunst die Fäden. Auf der nichtöffentlichen Plenarsitzung am Abend berichtete Raiser für den Ausschuss „Einheit der Kirche“150. Er erläuterte den an die Synodalen verteilten Entwurf eines Kirchengesetzes über „Arbeitstagungen der Synode“ – von Regionalsynoden war hier bereits nicht mehr die Rede. Der Synodale Hans Wilhelmi trug den Gesetzentwurf über „Synodaltagungen in besonderen Fällen“ vor, der kurz zuvor vom Rechtsausschuss abgeschlossen worden war. Zwischen 21.40 und 22.10 Uhr wurde die Plenarsitzung für eine gemeinsame Sitzung von Rat und Kirchenkonferenz unterbrochen. Nach Wiedereröffnung der geschlossenen Plenumssitzung brachte Heinemann die beiden Kirchengesetze über „Arbeitstagungen der Synode“ und über „Synodaltagungen in besonderen Fällen“ als Vorlage des Rates nach Stellungnahme der Kirchenkonferenz ein. In der anschließenden allgemeinen Aussprache über die beiden Gesetze ging es vor allem um die Frage, ob die Herabsetzung des Quorums von zwei Dritteln auf die einfache Mehrheit der Synodalen als vorübergehende Maßnahme im Gesetz über „Synodaltagungen in besonderen Fällen“ erfolgen sollte, oder ob der Wortlaut der Grundordnung auf Dauer geändert werden sollte, wie es Gerstenmaier beantragte. Dann ging die Synode in die erste Lesung der beiden Gesetze. Der Antrag Gerstenmaiers und dreier weiterer Synodalen, den Art. 26,2 der Grundordnung dahingehend zu ändern, dass für die Beschlussfähigkeit der Synode die einfache Mehrheit der Mitglieder ausreichte, erhielt mit 45 Stimmen nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Die Abstimmung zu dem Gesetz über „Synodaltagungen in besonderen Fällen“ ergab 55 Ja-Stimmen und 17 Gegenstimmen. Am 13. März erfolgte in öffentlicher Sitzung die zweite Lesung der Gesetze, an denen noch kleine Änderungen vorgenommen worden waren. Raiser erklärte dort, dass der Ausschuss sich um die Lösung einer dreifachen Aufgabe bemüht habe: die institutionelle Einheit zu erhalten, der Synode größere Beweglichkeit in ihrer Arbeitsweise zu verschaffen und das synodale Element im Bereich der östlichen Gliedkirchen zu stärken151. Mit den beiden Kirchengesetzen, welche die Synode verabschiedete, hoffte man diese drei Ziele zu erreichen. Das erste Gesetz ermöglichte die Abhaltung

An den Beratungen des Ausschusses „Einheit der Kirche“, der ein Unterausschuss des Ausschusses für den Ratsbericht war, nahmen auch Mitglieder des Rechtsausschusses und der Kirchenkonferenz teil. Vgl. BETHEL 1963, S. 116. 149 Vgl. R. v. WEDEL, Kirchenanwalt, S. 82. 150 Vgl. hierzu und zum Folgenden: Brunotte an Puttfarcken, 25.3.1963 (EZA BERLIN, 2/1118). 151 BETHEL, S. 162.

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von Synodaltagungen an zwei Orten für den Fall, dass die Synodalen nicht gemeinsam an einem Ort tagen konnten. Bei Abstimmungen sollten dann die östlichen und westlichen Stimmen zusammengezählt werden. Das Quorum für die Beschlussfähigkeit der Synode wurde von zwei Dritteln auf die Anwesenheit der Mehrheit der Synodalen herabgesetzt, was zur Folge hatte, dass die westdeutschen Synodalen auch ohne die ostdeutschen Mitglieder gültige Beschlüsse für den gesamten Bereich der EKD fassen konnten. Denn falls Paralleltagungen nicht durchführbar waren – etwa weil die östliche Synodaltagung von den DDR-Behörden untersagt wurde – sollte die Synode an dem Ort zusammenkommen, an dem sich die Mehrzahl der Synodalen versammeln konnte. Das zweite Gesetz sah die Einrichtung von Arbeitstagungen vor. Diese konnten Entschließungen verabschieden und der Gesamtsynode Anträge vorlegen, hatten aber selbst kein Gesetzgebungsrecht. Damit war es den ostdeutschen Synodalen nicht möglich, für ihren Kirchenbereich die gesetzgebende Befugnis auszuüben, wie dies etwa bei der Einrichtung von Regionalsynoden der Fall gewesen wäre. Auf seiner Abendsitzung am 13. März beschloss der Rat gemäß Art. 26,4 der Grundordnung, gegen die Beschlüsse der Synode keine Einwendungen zu erheben152. Auf Bitte des Rates informierte Scharf am Folgetag Krummacher in einem Brief über die Betheler Beschlüsse. Er betonte, dass der Rat von der Synode dazu ermächtigt worden war, die Gesetze erst zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft zu setzen153. Zuvor sollten sie noch eingehend mit den Ratsmitgliedern aus der DDR beraten werden. Scharf begründete den Entschluss der Synode, die Mitwirkung der getrennten Teile „zunächst“ nur durch die Einrichtung von „Arbeitstagungen“ zu sichern, damit, dass die Synodalen stärker, als dies bei der Kirche in Berlin-Brandenburg der Fall gewesen sei, an der Einheit der Synode und mit ihr an der Einheit der EKD hatten festhalten wollen. Zu den Motiven dieses Wunsches äußerte er sich nicht. Der Verlauf der Synode hatte jedoch deutlich gemacht, dass sich dahinter sowohl ein theologisches Einheitsverständnis als auch eine Vermischung von kirchlichem Auftrag und politischen Zielvorstellungen verbargen. SED und Ost-CDU deuteten die beiden Kirchengesetze von Anfang an rein deutschlandpolitisch. Die „Neue Zeit“ schrieb am 24. März, in Bethel sei „die Spaltung zementiert“ worden. Sie sprach von der „Notstandsgesetzgebung der westdeutschen ‚EKD‘-Synode“, die Bundestagspräsident Gerstenmaier „erzwungen“ habe154. In den am 27. März vom Politbüro beschlossenen „Maßnahmen zur verstärkten Einflußnahme auf evangelische Kreise in Westdeutschland“ hieß es, die beiden Gesetze entsprächen ihrem Wesen nach der Anwendung der Hallstein-Doktrin auf die Kirche, „mit der die Illusion aufrechterhalten werden soll, als könne man in Westdeutschland beschließen, was in den evangelischen Kirchen in der DDR zu geschehen hat.“155

152 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 13.3.1963 (EZA BERLIN, 2/1808). 153 Brief vom 14.3.1963 (EZA BERLIN, 2/1118). 154 Eberhard Klages: In Bethel wurde die Spaltung zementiert. Zur Notstandsgesetzgebung der westdeutschen ‚EKD‘Synode. In: NZ, 24.3.1963, S. 6. 155 Anlage Nr. 4 zum Protokoll Nr. 8, 27.3.1963. Abgedruckt in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 422ff., hier S. 424.

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In der DDR gab es auch innerkirchliche Kritiker der beiden Kirchengesetze. Ihnen gegenüber aber wurde auf den nur vorläufigen Charakter der getroffenen Regelungen verwiesen. In diesem Sinne schrieb am 29. April Gottfried Niemeier, Referent in der Kirchenkanzlei in Hannover, an seinen Kollegen Behm in Ost-Berlin: „Eure Sorgen und Bedenken wegen des Beschlusses der Betheler Synode verstehe ich voll und ganz. Es lag ein wesentlich besserer Vorschlag zur Regelung dieser Sache vor, aber die jetzige Regelung fand die grössere Zahl von Anhängern. Das ist schmerzlich, aber wir müssen uns damit abfinden, dass wir vorerst, d. h. bis bessere Beschlüsse gefasst werden, unter dieser Ordnung leben müssen.“156

Am 9. Mai trafen sich sämtliche Ratsmitglieder mit Ausnahme von Scharf und Lilje zu einer „Begegnung“ in Ost-Berlin157, von deren Ausgang es abhängig gemacht wurde, ob die Betheler Gesetze in Kraft gesetzt werden sollten158. Heinemann kommentierte dort die beiden umstrittenen Kirchengesetze und bat im Namen der westdeutschen Ratsmitglieder die drei DDR-Mitglieder, sich für ihre Inkraftsetzung auszusprechen. Sie enthielten das „Maximum des Möglichen“, so Heinemann. Beste, Mager und Krummacher stimmten daraufhin zu, die Gesetze in Kraft zu setzen. Sie erklärten, in ihnen „Möglichkeiten echten synodalen Handelns und wirklicher Mitverantwortung der Synodalen aus der DDR für die Gesamt-EKD“ zu sehen. Die Ratsmitglieder Smidt, Haug und Riedel machten im Anschluss noch einmal den kirchenpolitischen Standpunkt der westdeutschen Befürworter der Gesetze deutlich. Danach propagierten die Gesetze weder eine „Kirchenpolitik der Stärke des Westens“, noch wollten sie eine „Sanktionierung der Verselbständigung der beiden Teile in der EKD sein“. Hinter ihnen stand die Überzeugung, dass die EKD die Teilung „erleiden“ müsse und sie nicht selbst „sanktionieren“ dürfe. Damit wurde dem Widerstand gegen die Kirchenpolitik der DDR eine höhere Bedeutung beigelegt als der Handlungsfähigkeit und den Mitbestimmungsmöglichkeiten der ostdeutschen Synodalen. Auf der anderen Seite habe sich die EKD auch nicht die Initiative zum Handeln vom Staat aus der Hand nehmen lassen wollen, so die drei Ratsmitglieder. Sie räumten allerdings ein, dass die Gesetze kein „Plan auf lange Sicht“ seien; falls sie sich nicht bewährten, könnten sie verändert werden. Am Nachmittag des 9. Mai versammelten sich in Ost-Berlin die EKD-Synodalen aus der DDR, um über den Verlauf der Betheler Synode informiert zu werden und Gelegenheit zur Aussprache zu erhalten159. Die Kirchenleitungen der Gliedkirchen in der DDR hatten jeweils einen Vertreter entsandt; darüber hinaus nahmen die Ratsmitglieder teil. Während der vierstündigen Aussprache standen sich zwei konträre Positionen gegenüber, die aber beide den Erhalt der Einheit der EKD als ihr Ziel bezeichneten. Auf der einen Seite, vertreten durch die beiden Berlin-Brandenburger 156 EZA BERLIN, 104/60. 157 Aktenvermerk Behms vom 10.5.1963 (EZA BERLIN, 104/39). Sitzungsteilnehmer neben den Ratsmitgliedern waren Brunotte, Wischmann, Schmitt, Behm und Führ. 158 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 8.–10.5.1963 (EZA BERLIN, 2/1808). 159 Vgl. Aktenvermerk Behms, 13.5.1963 (EZA BERLIN, 104/60).

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Schönherr und Führ sowie die beiden Thüringer Mitzenheim und Oberkirchenrat Ingo Braecklein, war man der Auffassung, dass die beiden Kirchengesetze die Einheit der EKD behinderten, wenn nicht gefährdeten. Die Vertreter Thüringens wollten gar keine Veränderungen, während die beiden Generalsuperintendenten die Einrichtung von Regionalsynoden forderten. Gemeinsam war ihnen der Wunsch, dass die Gesetze nicht in Kraft gesetzt wurden. Die meisten übrigen Gesprächsteilnehmer waren dagegen der Ansicht, dass die Gesetze den Kirchen in der DDR die Möglichkeit zu echter synodaler Arbeit gaben. Das Votum der Gliedkirchen in der DDR käme mit ihnen in der EKD durchaus zur Geltung. Sie wollten die Angelegenheit auch nicht ausschließlich unter politischen Aspekten betrachtet wissen. Die Kirche sollte Mut zeigen und auf der nun geschaffenen Basis arbeiten. Wiederum wurde darauf verwiesen, dass eine spätere Synode die Gesetze korrigieren könne, falls sie sich in der Praxis nicht bewährten. Würde der Rat die Gesetze aber nicht in Kraft setzen, so wurde angemahnt, bestünde die Gefahr eines „Rechtschaos“. In der Aussprache baten die ostdeutschen Synodalen allerdings auch, dass ihnen zukünftig vor der Verhandlung solcher und ähnlicher Gesetze ausreichend Gelegenheit zur Diskussion gegeben werde. In diesem Zusammenhang wurde auf die „ökumenische Verantwortung“ der EKD verwiesen. Das Wort des Generalsekretärs Visser ’t Hooft, die EKD sei ein „Laboratorium der Ökumene“, könne und müsse hier praktiziert werden. Die Synodalen plädierten für wechselseitiges Vertrauen und dafür, dass „keine Seite die andere irgendwie abschreiben“ dürfe. Am Ende der Aussprache billigten sie einstimmig das „Kirchengesetz über Arbeitstagungen der Synode“. Das „Kirchengesetz über Synodaltagungen in besonderen Fällen“ fand hingegen bei drei Synodalen keine Billigung, drei weitere enthielten sich. Der Rat der EKD sah sich nunmehr bevollmächtigt, die „Betheler Gesetze“ mit Wirkung zum 1. Juli in Kraft zu setzen160. Inzwischen hatte die VELKD eine andere rechtlich-organisatorische Lösung gewählt, um ihre Arbeitsfähigkeit über die Mauer hinweg zu erhalten. Am 25. April verabschiedete sie auf ihrer Generalsynode in Nürnberg, zu der die 16 östlichen Synodalen ebenfalls nicht ausreisen durften, ein Kirchengesetz über eine regionale Gliederung ihrer Organe, das am 14. Juni in Kraft gesetzt wurde161. Es besagte, dass zukünftig die Mitglieder der Generalsynode zu regionalen Tagungen einberufen werden konnten. Diese durften je für sich mit einfacher Mehrheit in „regionalen Angelegenheiten Beschlüsse fassen sowie Kirchengesetze und Ordnungen erlassen.“162 Damit ging das Kirchengesetz über die Lösung der EKD hinaus. Für Regelungen mit Wirkung für den gesamten Bereich der VELKD waren aber übereinstimmende Beschlüsse beider Regionalsynoden notwendig. Für Verfassungsänderungen bedurfte es der Zweidrittelmehrheit in jeder der beiden Regionalsynoden. Auf diese Weise wurde erreicht, dass die drei Glied160 Auszug aus der Niederschrift über die Begegnung der Ratsmitglieder am 9.5.1963 (abends) (EBD.). 161 Kirchengesetz der VELKD über eine regionale Gliederung der Organe der Vereinigten Kirche vom 14.6.1963. Abdruck in: KJ 90, 1963, S. 172f. 162 EBD., S. 172.

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kirchen in der DDR sowie die sieben in der Bundesrepublik je für sich eigenständig handeln konnten und doch die organisatorische und verfassungsmäßige Einheit der VELKD bewahrt wurde. Im Juni fand die Synode der EKU statt. Trotz anderweitiger Empfehlung des Staatssekretärs für Kirchenfragen hatte man sich für Berlin als Tagungsort entschieden. In dem Einladungsschreiben an die Synodalen begründete Präses Kreyssig diese Entscheidung für Berlin und damit für die Einheit der EKU erneut theologisch mit dem Begriffspaar von „Gericht“ und „Gnade“, das seine Argumentation seit Jahren bestimmte. Die Teilung als „Gerichtsgeschehen“ deutend, sah Kreyssig in der Wahl des Tagungsortes Berlin für die gesamte EKU-Synode einen Akt der „Solidarität [. . .], in welcher das Volk Gottes mit den ihm befohlenen Menschen zu stehen, sich Gottes Gericht zu stellen und darin Seine Gnade zu erwarten hat.“163 Die Synode der EKU gehöre dorthin, „wo die Gliedkirche Berlin-Brandenburg die gemeinsame Not der Zertrennung, die Verheißung und Aufgabe der Einheit exemplarisch erfährt.“ Wie zu erwarten war, erhielten die West-Berliner und bundesdeutschen Synodalen jedoch keine Einreiseerlaubnis in den Ostteil der Stadt, so dass die Synode parallel in BerlinWeißensee und Berlin-Spandau tagen musste. Dem Selbstverständnis nach aber war man weiterhin eine gemeinsame Synode, wie in einem Kommuniqué betont wurde164. Auf ihren Paralleltagungen schufen die Synodalen die rechtlichen Voraussetzungen für eine Regelung, welche die Einheit der EKU als Kirche wahrte, auch wenn die Synode nicht mehr als Ganze zusammentreten konnte. In der „Ordnung für Synodaltagungen in besonderen Fällen“165 wurde festgelegt, dass falls die Synode nicht gemeinsam tagen konnte, dies an verschiedenen Orten und „möglichst gleichzeitig“ erfolgen sollte. Die Beschlussfähigkeit war gegeben, wenn an jedem Tagungsort mindestens die Hälfte der dorthin einberufenen Synodalen anwesend war. Dasselbe galt für die Beschlussfähigkeit jeder Versammlung der Synode für ihren Bereich. Um einen gültigen Beschluss für die gesamte EKU zu fassen, war die einfache Mehrheit in beiden Teilsynoden notwendig. Im Unterschied zur EKD und VELKD wurden weder Arbeitstagungen noch regionale Tagungen eingeführt. Damit hatten EKD, VELKD und EKU drei verschiedene Möglichkeiten gewählt, um nach dem Mauerbau eine neue Form der gemeinsamen Arbeit ihrer Synoden zu finden. Ungeachtet der unterschiedlichen Regelungen hatten alle an der institutionellen Einheit festgehalten, denn, so begründete Scharf diese Entscheidung, die gemeinsame Organisation preiszugeben wäre ihnen „als Ungehorsam erschienen gegenüber einer Entwicklung, die in der Gesamtökumene und in der gesamtmenschlichen Gesellschaft auf eine immer stärkere Einheitlichkeit der Lebens163 Schreiben vom 5.4.1963 (BStU BERLIN, MfS AP 20985/92). 164 Abdruck in: KJ 90, 1963, S. 13f. 165 Abdruck in: EBD., S.173f.

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formen hindrängt und auf Gemeinsamkeit in Entscheidungen und Behandlung der großen Menschheitsfragen und Menschheitssorgen. Indem wir die organisatorische Einheit unserer Kirche über die Weltmachtgrenze hinweg aufrechterhalten, die unser Volk teilt, fördern wir die Entwicklung auf gemeinsame Verantwortung aller Menschen hin in einer sinnvollen, natürlich logischen Weise. Wir dienen dem Frieden der Menschheit. Wir dienen einem neuen gemeinsamen Leben aus Versöhnung und im gegenseitigen Dienst, wenn wir als Rat und als Synode, als Bischofskonferenz und Kirchenleitung einheitliche Anordnungen für die Gliedkirchen und Gemeinden in ganz Deutschland treffen. Wahrnehmung des Kirchenregimentes in unserem gespaltenen Vaterland wird damit zu einem erhaltenden und aufbauenden Faktor der Weltpolitik Gottes.“166

Hier war nichts mehr von der nationalen Klammerfunktion der kirchlichen Zusammenschlüsse zu hören, vielmehr bemühte sich Scharf, im Gegensatz zu manchen Vertretern der jüngeren Generation, das Festhalten an der kirchlichen Einheit mit globalem und friedensethischem Denken zu verknüpfen. Zugleich hob er hervor, dass es sich bei den vollzogenen Neuregelungen um einen „geistliche[n] Akt des Bekennens“ handele. Sie seien Zeugnisse der „sich aus dem Zwang der sie knechtenden Situation befreienden Kirche, die mit einem solchen Akt kirchenregimentlicher Ordnung ihre Zuversicht, ihre innere Freiheit wiedergewinnt.“167 Scharf nahm bei dieser Wertung der rechtlichen Neuregelungen Bezug auf die 3. These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934, in der es hieß: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.“168

Mit ihren neuen Rechtsordnungen hatte die Kirche demnach vor allem auch ihren Anspruch auf selbstständige Regelung ihrer Angelegenheiten gegenüber dem SEDStaat unterstrichen.

3.1.3 Standortbestimmungen im gesamtkirchlichen Kontext Auch die Konferenz der Kirchenleitungen in der DDR betonte in Anlehnung an die Barmer Theologische Erklärung in ihren „Zehn Artikel[n] über Freiheit und Dienst der Kirche“169 die Eigenständigkeit der Kirche in der Gestaltung ihrer Ordnung. In Artikel 9 zum Thema „Die Ordnung der Kirche“ wurde aber neben der Eigenständigkeit auch die Reformbereitschaft unterstrichen. Es hieß dort: „Die Kirche hat mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung zu bezeugen, dass sie allein ihres Herrn Eigentum ist und ihm gehorchen soll. Wohl kann sie aus der Schrift keine bestimmte 166 167 168 169

Kommentar Scharfs in den LM 2, 1963, S. 393. EBD. Zitiert nach: KJ 60–71, 1933–1944, S. 65. Abdruck in: KJ 90, 1963, S. 181–185.

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unveränderliche Ordnung für sich ablesen; die Gestalt der Kirche ist Wandlungen unterworfen. Aber die Ordnung der Kirche muß auch bei Berücksichtigung der geschichtlichen Situation ihrem Wesen entsprechen, darf nicht wider die Schrift sein und muß der Erfüllung ihres Auftrages dienen. Darum gehört es zur Verantwortung der Kirche vor ihrem Herrn, dass sie über ihre Ordnung selbst bestimmt. Die Kirche verfällt dem Unglauben, wenn sie einer Ordnung zutraut, was allein Wirkung des Heiligen Geistes sein kann, und darum statt allein auf die Möglichkeit rechten Dienstes zu schauen, überlieferte Vorrechte lediglich um ihrer selbst willen behauptet oder die Gestalt ihrer Ordnung dem Wechsel der jeweils herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse überläßt. Die Kirche verfällt dem Ungehorsam, wenn sie ihre Ordnung und ihr Recht durch menschliche Willkür auflöst, ihre eigenen Ordnungen nicht einhält oder die Gestalt ihrer Ordnungen an außerkirchliche Bindungen preisgibt.“

Mit den „Zehn Artikeln“ gaben erstmals alle Leitungen und Bischöfe der ostdeutschen Kirchen gemeinsam eine „kirchlich-theologische Grundsatzerklärung“170 über den Standort von Kirche und Christen in der DDR ab. An dem Text hatte seit Ende 1961 der Theologische Sonderausschuss der EKD im Gedankenaustausch mit dem Ausschuss für öffentliche Verantwortung der EKU gearbeitet171. Der Ausschuss legte der KKL nacheinander drei Entwürfe vor; der letzte wurde am 8. März 1963 von der Konferenz einstimmig angenommen. Wie schon in den Handreichungen von EKU und VELKD aus den Jahren 1959 und 1960 wurden hier, nunmehr aber aus „postmuraler“ Perspektive, noch einmal christliche Identität und Existenzweise gegenüber den Anforderungen eines atheistischen Weltanschauungsstaates verteidigt172. Neben der Systemkonformität verwarfen die Artikel auch einen Rückzug in ein religiöses Getto. Die Christen wurden aufgefordert, in der sozialistischen Gesellschaftsordnung „zwischen dem gebotenen Dienst an der Erhaltung des Lebens und der gebotenen Verweigerung der atheistischen Bindung“ zu unterscheiden173. Die aber doch eher distanziert-defensive Haltung der „Zehn Artikel“ gab Karl Barth Anlass zu kritischen Einwänden gegenüber dem ansonsten von ihm positiv gewürdigten Grundsatzdokument. In seinem „Theologischen Gutachten“174 empfahl der Schweizer Theologe mehr Gottvertrauen und mehr Gelassenheit gegenüber der atheistischen Propaganda. Entschieden kritischer äußerte sich der Weißenseer Arbeitskreis zu den Artikeln175. Im November 1963 veröffentlichte er als theologischen Gegenentwurf sieben Sätze „Von der Freiheit der 170 EBD., S. 180. 171 Zur Entstehungsgeschichte der „Zehn Artikel“ vgl. T. FRIEBEL, Kirche, S. 276–287; M. KÜHNE, Neuordnung, S. 59f. 172 In acht Artikeln wurden für die Gebiete: „Der Auftrag der Verkündigung“, „Das Leben im Glauben und Gehorsam“, „Wissenschaft und Wahrheit“, „Rechtfertigung und Recht“, „Versöhnung und Friede“, „Arbeit“, „Obrigkeit“ und „Leben und Dienst der Kirche“ ebenso wie in der Barmer Erklärung jeweils christliche Lehre und Irrlehre gegenübergestellt. Der letzte Artikel handelte von der „Hoffnung der Kirche“. 173 KJ 90, 1963, S. 182. 174 Abdruck EBD., S. 190–193. 175 Der Arbeitskreis beschäftigte sich auf einer a.o. Tagung in Berlin am 17.5.1963 mit den „Zehn Artikeln“. Bericht darüber in: JK 24, 1963, S. 398ff.

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Kirche zum Dienen“176, in denen ein neues Verständnis des Welt-Bezuges des christlichen Glaubens im Kontext der sozialistischen Gesellschaft zum Ausdruck kam177. Von einer bestimmten Bonhoeffer-Rezeption178 und der Vorstellung von der „Solidarität“ der Kirche mit der Welt ausgehend, wollten die in dem Arbeitskreis versammelten Theologen zu einem positiven Verhältnis zur sozialistischen Gesellschaft finden und warfen den „Zehn Artikeln“ vor, zu sehr aus der Abwehrposition heraus formuliert zu sein. Durch seinen Gegenentwurf verhinderte der Weißenseer Arbeitskreis, dass die „Zehn Artikel“, wie intendiert, einen verbindlichen Schlusspunkt für die mehrjährige Suche nach dem Weg von Christen und Kirchen in der DDR bilden konnten. Die Gesprächssituation blieb weiterhin offen179. Die Auseinandersetzungen um die „Zehn Artikel“ und die „Sieben Sätze“ zogen sich innerhalb des DDR-Protestantismus bis weit in das Jahr 1964 hinein180. Profunde Beiträge zu dieser theologischen Debatte kamen auch aus der Bundesrepublik181, wo beide Thesenreihen veröffentlicht worden waren, während in der DDR weder die „Zehn Artikel“ selbst noch sie interpretierende Veröffentlichungen im Druck erscheinen konnten182. Neben den theologischen Auseinandersetzungen sorgten die „Zehn Artikel“ im geteilten Deutschland aber auch für politische und kirchenpolitische Kontroversen. Denn in einigen westlichen Nachrichtenagenturen und Zeitungen wurden sie als kirchliche Absage an den DDR-Staat und seine Gesellschaftsordnung ausgelegt183. Dies wiederum nahmen Partei- und Staatsvertreter in der DDR zum Anlass, „progressive Kräfte“ dazu aufzufordern, gegen die als sozialismusfeindlich eingestuften Artikel Stellung zu beziehen184. Besonders polemisch ging dabei das „Evangelische Pfarrerblatt“, das Organ des Bundes evangelischer Pfarrer in der DDR, zu Werke185. Am 2. Juni bedauerte aber auch Bischof Mitzenheim in der „Neuen Zeit“, dass diese „rein innerkirchliche Arbeit“ von der Westpresse zum „Instrument des Kalten Krieges“ gemacht worden sei186. Die Artikel wollten zur Diskussion anregen und stellten „keine dogmatische Fixierung, keine Basis“ dar, erklärte der Bischof entgegen der eigentlichen Intention der KKL. Sie seien keineswegs eine Antithese zum Kommuniqué von 1958 oder zu den „sonstigen weiterführenden Verlautbarungen und Gesprächen, die das 176 Abdruck in: KJ 90, 1963, S. 194–198. 177 Vgl. W. THUMSER, Kirche, S. 237. 178 Vgl. W. KRÖTKE, Bonhoeffer, S. 98. 179 H.-W. PIETZ, Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte, S. 76. 180 Vgl. G. Jacob: Zehn Artikel und Sieben Sätze. Versuche einer Wegweisung. Abdruck in: KJ 90, 1963, S. 195–200; J. Hamel: Kirche für die Welt – Ein Abänderungsvorschlag zu den Zehn Artikeln. Abdruck in: KJ 91, 1964, S. 200–205; A. Schönherr: Kirche in der Welt – Kirche für die Welt. Antwort an Johannes Hamel. Abdruck in: EBD., S. 205–212. 181 Vgl. z. B. E. WILKENS, Artikel. 182 H.-W. PIETZ, Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte, S. 59. 183 Vgl. KJ 90, 1963, S. 186. 184 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 544ff. 185 Eine Auflistung der Artikel findet sich bei H.-W. PIETZ, Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte, S. 60. 186 Abdruck in: KJ 90, 1963, S. 187.

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Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der DDR seitdem in guter Weise gestaltet haben.“187 Am 12. Juni wurde Krummacher in die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen bestellt, wo man ihm mitteilte, dass nur dann Delegierte aus der DDR für die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes im August in Helsinki eine Ausreisegenehmigung erhalten würden, wenn Krummacher oder die KKL die Äußerungen der westdeutschen Presse zurückwiesen188. Der Bischof ging darauf nicht ein. Tags darauf sah sich die KKL zu einer Stellungnahme in zwei Richtungen veranlasst. Sie erklärte, sie würde „jeden politischen Mißbrauch ihrer ‚Zehn Artikel‘ wie auch deren Abwertung zu einem unverbindlichen Diskussionsbeitrag aufs lebhafteste bedauern und abweisen.“189 Damit konnte sie den „Zehn Artikeln“ aber nicht mehr den ihnen ursprünglich zugedachten Status höchster Verbindlichkeit sichern noch der öffentlichen Polemik in der DDR gegen die Artikel ein Ende setzen. Weiterhin wurde insbesondere von der Ost-CDU behauptet, die Artikel seien von der westdeutschen „Militärkirche“ inspiriert bzw. den Kirchen in der DDR als ein „Instrument des Kalten Krieges“ untergeschoben worden190. Auf Grund ihres Inhaltes wollten die staatsnahen Protestanten die Artikel nicht als eigenständigen und erstmals von allen ostdeutschen Kirchen gemeinsam getragenen theologischen Beitrag anerkennen. Die westdeutschen Kirchen waren an der Entscheidung über die „Zehn Artikel“ nicht beteiligt gewesen. Wie schon das Hirtenwort von 1960/61 waren auch die „Zehn Artikel“ vom Theologischen Sonderausschuss nicht dem Rat der EKD, sondern einem rein ostdeutschen kirchlichen Gremium, in diesem Fall der KKL, vorgelegt worden. Wohl aber waren Vorentwürfe der Artikel in gesamtkirchlichen Kontexten besprochen worden, insbesondere im Jugendbereich. Anfang 1963 diskutierten beispielsweise die ost- und westdeutschen Mitglieder des Gesamtkirchlichen Ausschusses vertraulich über einen Entwurf der Artikel, nachdem zunächst Ingeborg Becker und der neue Vorsitzende der Jugendkammer Ost, der frühere Studentenpfarrer Siegfried Ringhandt, über sie referiert hatten191. Ende Februar führte Ringhandt auch auf der Konferenz der ost- und westdeutschen Landesjugendpfarrer in die „Zehn Artikel über Freiheit und Dienst der angefochtenen Kirche“ ein. Dort wurde beschlossen, die Artikel nach ihrer Verabschiedung allen Beteiligten zugänglich zu machen, da sie „wesentliche Aussagen zu Brennpunkten der Unsicherheit“ enthielten und auch in der „westlichen Situation“ eine „klärende und scheidende Funktion“ haben könnten192. Nach der Verabschiedung der Artikel durch die KKL referierten im Juni Mitglieder des Gesamtkirchlichen Ausschusses in drei West-Berliner Kirchenkreisen vor Mitar187 EBD. 188 Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 131. Tatsächlich konnten dann nur wenige Delegierte nach Helsinki reisen. Krummacher erhielt allerdings auf Grund seiner Stellungnahme zu Ulbrichts Sieben-PunkteVorschlag eine Ausreisegenehmigung. Vgl. EBD., S. 134. 189 Abdruck in: KJ 90, 1963, S. 187f., hier S. 188. 190 Zitiert nach EBD., S. 188. 191 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 16.–18.1.1963 (PAEW). 192 Protokoll der Konferenz der LJP am 25.–27.2.1963 (Aaej HANNOVER, Landesjugendpfarrerkonferenzen).

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beitern der Jugendarbeit über die Bedeutung der „Zehn Artikel“ für die gesamtkirchliche Jugendarbeit193. Der Gesamtkirchliche Ausschuss selbst diskutierte dann im November noch einmal über den Text194. Auch auf Referentenebene waren die „Zehn Artikel“ innerhalb der EJD Gegenstand oder Ausgangspunkt für gesamtdeutsche theologische Diskussionen. Im Mai und Dezember 1963 sprachen Vertreter aus der Stuttgarter Geschäftsstelle und der Jugendkammer Ost bei ihren Treffen in Ost-Berlin über sie195. Angeregt durch den VI. Artikel wurde dabei auf der zweiten Sitzung das Thema „Arbeit“ diskutiert und sowohl die kapitalistische als auch die sozialistische Wirtschaftsordnung als Bedrohung für die „Subjekthaftigkeit und Verantwortlichkeit“, die das Menschenbild auch in der Arbeitswelt bestimmen sollten, gekennzeichnet196. Die „Zehn Artikel“ wurden auch zum Bezugstext einer von der AGEJD Anfang 1964 herausgegebenen Handreichung „Christ und Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik“. Bis Ende 1965 wurden von ihr insgesamt 7.390 Exemplare verkauft197. Ihre Entstehungsgeschichte reichte bis in die Zeit vor dem Mauerbau zurück. Bereits auf den beiden Sitzungen des Gesamtkirchlichen Ausschusses im Jahr 1961 wurde über eine Handreichung „Evangelium und Kirche in der DDR“ beraten, die als grundlegende theologische Informationsschrift für die kirchliche Jugendarbeit in der Bundesrepublik gedacht war198. Spiritus rector des drei Jahre später publizierten Textes war Pfarrer Eberhard Warns199. Die Handreichung setzte sich aus Beiträgen von nicht namentlich genannten west- und ostdeutschen Autoren sowie staatlichen und kirchlichen Dokumenten zusammen200. Ihr Ziel war es, ihren Lesern ein Verständnis für Denken und Handeln der evangelischen Christen in der DDR zu vermitteln. Die Darstellung erfolgte dabei aus der Perspektive derer, die in der DDR als Christen lebten und dort bleiben wollten201. Für sie war die kirchliche Situation in der Bundesrepublik keine positive Referenzgröße. Am Anfang des ersten Kapitels wurde der Leser in den „Zusammenhang kirchlicher Probleme in Ost und West“ eingeführt202. Dort war zu 193 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 10.–12.6.1963 (PAEW). 194 Vgl. TO für den GKA der AGEJD vom 11.–13.11.1963 (PAEW). 195 Arbeitsbericht zur Vorstandssitzung am 27./28.6.1963 (Aaej HANNOVER, Hans Herrmann VI). 196 Vgl. Weisser an P. Krusche und Bäumler, 16.10.1963; die Skizze des Ost-Berliner LJP Rolf-Dieter Günther vom 5.11.1963 über ein Gespräch unter fünf Teilnehmern aus dem Kreis der Jugendkammer Ost zur Vorbereitung der Referententagung am 12./13.11.1963 (beides Aaej HANNOVER, Hans Herrmann VII) sowie das Protokoll des Treffens der Jugendkammer Ost-West am 12./13.12.1963 (EBD., Hans Herrmann VIII). 197 Bericht des Geschäftsführers des GKA, 10.9.1965. Anlage VII: Statistik Handreichung „Christ und Kirche in der DDR“ (Aaej HANNOVER, GKR 1). 198 Bericht über die Tätigkeit des GKR der AGEJD im Jahr 1961 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). Erste Entwürfe der Handreichung in EBD. 199 Eisenberg an Weisser, 2.9.1963 (Aaej HANNOVER, Hans Herrmann VII). 200 Gegliedert war die Handreichung in: I. Einleitung, II. Der Gehorsam des Christen und die Verkündigung der Kirche, III. Die evangelische Christenheit in der DDR und die Weltanschauung des Marxismus, IV. Die evangelische Kirche in der DDR, VI. Der Christ im Beruf und im öffentlichen Leben, VII. Anhang: Dokumente. 201 CHRIST UND KIRCHE, S. 3. 202 Vgl. EBD., S. 8f.

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lesen, dass sich „die geistlichen und geistigen Probleme der Christenheit in der DDR und BRD in der Tiefe gleichen“ würden. Die „Problematik der marxistisch-leninistischen Regierungspolitik für die Christen der DDR“ habe eine „Parallele in Westdeutschland“. Dazu wurden u. a. folgende Themen und Bereiche gezählt: Konfirmation, Wehrdienst und Kriegsdienstverweigerung, politische Predigt, Kirchensteuern, Gemeindeordnung, die öffentliche Wohlfahrt, das Pfarramt, Recht und Eigentum, Erziehung, Wissenschaft usw. Man räumte zwar ein, dass die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation der Christen und der Kirche in der DDR, die Gewissensbelastung, die Bespitzelung sowie die Bedrohung von Leben und Eigentum in der Bundesrepublik keine Entsprechung habe, doch würden die Entscheidungsfragen, welche die Verantwortung der Christen in der modernen Gesellschaft betrafen, in Westdeutschland in gleicher Weise auf Antwort warten. Die Flucht vor dieser Problematik bedeute eine Gefahr für das geistliche Leben der Christenheit im Westen. Ein Gespräch mit den ostdeutschen Christen könne daher die eigene Situation deutlicher machen. Die Handreichung gab damit eine mögliche Antwort auf die Frage nach „Berechtigung und Besonderheit“ der Zusammengehörigkeit ost- und westdeutscher evangelischer Christen in der EKD und in der EJD, wie sie bereits auf einem „Treffen Jugendkammer Ost – West“ Mitte Dezember 1963 gestellt worden war203. Die äußerst lebhaft verlaufende Diskussion wurde ausgelöst durch einen Bericht Ringhandts über die Kritik des Generalsuperintendenten Jacob an den Betheler Gesetzen und dessen Absichtserklärung, aus der EKD-Synode auszutreten204. Daraufhin entwickelte sich ein Grundsatzgespräch über den „theologiegeschichtliche[n] Hintergrund der EKD, die Notwendigkeit der EKD als geistlich/kirchlicher und geschichtlicher Auftrag, die politische Situation im Ost- und Westblock nach 1945.“205 Intensiv setzten sich die Teilnehmer mit den „kirchlich-völkischen Mißdeutungen“ der Größen „Volk“, „Deutschland“ und „Demokratie“ auseinander. Überlegt wurde, inwieweit die „gemeinsame deutsche Geschichte“, das „deutsche geistige Erbe“ und die „gemeinsame Verpflichtung – unsere Schuld gegenüber den Juden“ einen „christliche[n] Auftrag für gesamtkirchliches Handeln“ begründen konnten. Die sich dabei in dem Gespräch offenbarenden Gegensätze führte die Protokollantin Margarete Krüger auf zwei Faktoren

203 Protokoll des Treffens der Jugendkammer Ost-West am 12./13.12.1963 (Aaej HANNOVER, Hans Herrmann VIII). Teilnehmer aus der Bundesrepublik waren: Christof Bäumler, Hans-Georg Binder, Hermes, Bernd Kuhn, Margarete Krüger, Albrecht Müller-Schöll, Ilse Ueckert, Elisabeth Weisser. Aus der DDR waren dabei: Heinz Blauert, Gisela Fengler, Elsa Girnus, Wolf-Dietrich Gutsch, Rolf-Dieter Günther, Hein, Siegfried Ringhandt, Brigitte von Schroetter, Hans Schulz. 204 Am 16.1.1964 sprachen ost- und westdeutsche Ratsmitglieder mit Jacob über seine Bedenken gegen das „Kirchengesetz über Synodaltagungen in besonderen Fällen“. Im Protokoll hieß es zum Ausgang dieses Gesprächs: „Im Ergebnis konnten viele Bedenken von D. Jacob überwunden und die Gemeinschaft der EKD als das Verbindende herausgestellt werden, so dass alle Beteiligten für diese Aussprache dankbar waren“ (EZA BERLIN, 104/40). 205 Protokoll des Treffens der Jugendkammer Ost-West am 12./13.12.1963 (Aaej HANNOVER, Hans Herrmann VIII).

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zurück: auf die unterschiedlichen Informationsmöglichkeiten in Ost- und Westdeutschland und auf „die Zugehörigkeit zu zwei Generationen mit ihrem spezifischen Bezug zur Geschichte (völkisch, geistes-, kirchengeschichtlich und theologisch).“ Eine generationelle Trennlinie in der Beurteilung der kirchlichen Einheit markierte auch der 58jährige Siegfried Ringhandt. Er schrieb am 15. Februar 1964 an Martin Fischer: „Wir, die wir auf unserer Seite diese Gemeinsamkeit festhalten möchten, weil wir einen Auftrag mit Verheißung darin sehen, stehen allmählich in der Angeklagtenposition unter unseren eigenen Brüdern. Es ist so nicht leicht, selber seiner Sache gewiß zu bleiben, wenn man hüben und drüben so viele weichen sieht und oft nur noch auf den negativen Effekt einer Theorie von den zwei Kirchen als Gegenargument verweisen kann, also in die Defensive gedrängt scheint. Aber mir erscheint es – jedenfalls für meine Generation – noch zu rasch, mich auf Dauertrennung einzurichten. Mag es einer jüngeren Generation redlicher möglich sein, für mich wäre es einfach opportunistischer Verrat, wäre Hörigkeit gegenüber einem nihilistischen Sieg, wäre das Abschütteln eines unbequemen Jochs.“206

Der Vorsitzende der Jugendkammer Ost kritisierte, dass diejenigen, welche die kirchliche Einheit aufgaben, sich um „Gottes Auftrag in dieser einmaligen Situation an der Nahtstelle der Weltspaltung [. . .] herumdrücken.“ Er konnte deren Argumentation, man könne Glaubwürdigkeit erst durch „mitmachen“ gewinnen, „um dann das Zeugnis des Evangeliums ohne das Hindernis des Mißtrauens besser landen zu können“, nicht folgen. Diese theologische Position, für welche die grenzübergreifende Kircheneinheit nicht mehr ein unantastbares Tabu war, trennte innerhalb des bruderrätlichen Spektrums im Laufe der sechziger Jahre immer stärker eine mittlere Generation von einer älteren Generation207, welche die kirchliche Einheit geschichtstheologisch als Verantwortung deutete und in ihr zugleich auch Stütze und Beweis kirchlicher Eigenständigkeit gegenüber dem Staat sah. Auf die Bedeutung des generationellen Aspekts bei der Haltung zur kirchlichen Einheit verwies auch der Generalsekretär der ESGiD Heiko Rohrbach. Die im Februar 1964 erfolgte Wahl des Leipziger Studentenpfarrers Dietrich Mendt, des Dresdner Studentenpfarrers Werner Tannert und des Direktors des Ökumenischen Instituts Berlin (Ost) Johannes Althausen, die alle in den zwanziger Jahren geboren waren, als ostdeutsche Vertreter in den Vertrauensrat sowie das Ausscheiden von Kähler und Krummacher208 aus diesem führte bei ihm zu der Vermutung: „Immerhin ist diese Wahl doch vielleicht ein Ausdruck – nicht des Abrückens von irgendjemandem – aber doch einer bewussten Konzentration auf die mittlere Altersstufe und vielleicht auch auf eine Einstellung, die den eigenen Weg der DDR mit der gemeinsamen Verantwortung aller deutschen evangelischen Studentengemeinden anders verbindet als dies Kähler und Krummacher tun.“ 206 EZA BERLIN, 606/78. 207 Vgl. allgemein zur Unterscheidung zweier Generationen in den Kirchenleitungen und in der Pfarrerschaft im ostdeutschen Protestantismus während der sechziger Jahre H. KÜHNE, 1968, S. 47–51. 208 Krummacher wurde gebeten, weiterhin als Gast an den Sitzungen des VR teilzunehmen.

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Keineswegs, so fügte er jedoch hinzu, drücke sich in dieser Wahl ein „Abrücken von der Gemeinsamkeit aus.“209 Die ersten Forderungen nach einer Revision des Einheitsverständnisses der ESGiD kamen dann auch nicht aus dem Osten, sondern aus dem Westen Deutschlands. Bereits Anfang März 1962 bat die Delegiertenkonferenz den Vertrauensrat um eine neue Stellungnahme zur Einheitsfrage, da die Begründung der Einheit im Memorandum von 1960 vielfach missverstanden worden sei.210 Ein Jahr später setzte die Delegiertenkonferenz selbst eine Kommission ein, die das Einheitsmemorandum kritisch überarbeiten sollte211. Dabei ging es in erster Linie darum, die theologische Begründung der Einheit herauszustellen und eine national(staatlich)e Klammerfunktion der ESGiD noch deutlicher auszuschließen. Die Änderungsvorschläge, die sich im Wesentlichen auf Teil II konzentrierten und mehr Verdeutlichungen als Veränderungen beinhalteten, wurden dem Vertrauensrat zur Begutachtung vorgelegt. Dieser nahm die neue Version des Einheitsmemorandums auf seiner Sitzung im April 1963 zur Kenntnis. Vor einer Beschlussfassung wollte er sich allerdings selbst noch einmal intensiver mit der Einheitsfrage beschäftigen212. Eine Außensicht auf die Einheit der ESGiD erhielt der Vertrauensrat im Herbst 1964 durch den holländischen Theologen Bert ter Schegget vermittelt, der seit Februar für ein Jahr als Studiensekretär in der Geschäftsstelle der ESGiD in West-Berlin tätig war. Bereits im April 1963 hatte sich die Leitung der ESGiD dazu entschlossen, einen hauptamtlichen Mitarbeiter nach West-Berlin zu berufen213. Er sollte in die Lücke treten, die nach dem 13. August 1961 dadurch entstanden war, dass der ostdeutsche Geschäftsstellenleiter nicht mehr täglich zwischen Ost- und West-Berlin hin- und herfahren und so den Kontakt halten konnte. Hauptaufgabe des neuen Mitarbeiters war es daher, an der theologischen Arbeit und dem geistlichen Leben der Gemeinden in beiden Teilstaaten zu partizipieren, „um dabei und dadurch eine Brücke zwischen beiden zu bilden“214. Nach der Vorstellung der Geschäftsleitung sollte seine Arbeit aber auch dem wechselseitigen Ideentransfer zwischen den DDR-Gemeinden und der westlichen Ökumene dienen. Die Wahl war auf einen Holländer gefallen, da bereits langjährige Beziehungen zwischen den DDR-Gemeinden und der holländischen christlichen Studentenbewegung existierten und man davon ausging, „dass ein solcher Ausländer auch unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen arbeiten“ konnte215. Finanziert wurde die einjährige Tätigkeit ter Scheggets durch den WSCF im Rahmen seines „frontier study and service project“. Eine staatliche Finanzierung war

209 Rohrbach an Fischer und Stroh, 27.2.1964 (EZA BERLIN, 606/121). Bis auf Hoffmann gehörten alle Gewählten den Geburtsjahrgängen zwischen 1920 und 1930 an . 210 Protokoll der DK der ESGiD am 28.2.–3.3.1962 (EZA BERLIN, 36/89). 211 Protokoll der DK der ESGiD am 27.2.–3.3.1963 (EZA BERLIN, 36/409). 212 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 20./21.4.1963 (EZA BERLIN, 36/395). 213 Rohrbach an Fischer, 15.4.1963 (EZA BERLIN, 606/121). 214 EBD. 215 EBD.

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für die ESGiD „für eine geistliche und kirchliche Aufgabe dieser Art“ nicht infrage gekommen216. Nach einem halben Jahr in Berlin stellte ter Schegget auf der Vertrauensratssitzung im September einige kritische Anfragen an Selbstverständnis und Praxis der Einheit der ESGiD. Sie sollte, so der holländische Theologe, an ihrem Einheitsmemorandum festhalten, es jedoch nicht als Programm, sondern als Feststellung einer Tatsache betrachten und von daher die Richtlinien ihrer Arbeit bestimmen217. Die ESGiD könne nicht Parteigängerin der DDR oder der Bundesrepublik und ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme sein, was die Präferenz für eine der beiden aber nicht ausschließe. Als ausgeschlossen betrachtete ter Schegget lediglich eine rein unpolitische Haltung. Er sah es als Aufgabe der ESGiD an, sich so zu organisieren, dass jeder Bereich in die Lage versetzt werde, innenpolitisch Kritik zu üben. Es müsse immer wieder aufs Neue überdacht werden, ob die organisatorische Einheit dies nicht erschwere. Die westdeutschen Gemeinden müssten sich fragen, ob sie die Gemeinden in der DDR nicht dem Verdacht aussetzten, ein Anhängsel des Westens zu sein. Die ostdeutschen Gemeinden sollten überlegen, ob sie nicht doch zu stark vom Westen abhängig waren. Die Westgemeinden wiederum müssten sich im Klaren sein, dass ihr Reden von der „DDR“ anstelle von „Sowjetzone“ nur dann ernst genommen werde, wenn es einen Einsatz für die faktische Anerkennung der DDR einschließe. Man könne nicht von Versöhnung reden, wenn man den Anderen in seiner Existenz nicht ernst nehme. Der Niederländer forderte dazu auf, die deutsche Frage im globalen Rahmen zu sehen und empfahl an einer „Theologie der Revolution“ zu arbeiten. Der junge niederländische Theologe erntete im Vertrauensrat viel Kritik für seine radikalen Thesen. Krummacher fragte, ob es zulässig sei, geistige und organisatorische Einheit in dieser Weise zu trennen. Er hielt Schritte der Versöhnung nur dann für möglich, wenn an der organisatorischen Einheit festgehalten wurde. Reinhard Glöckner, der seit Mai 1963 die Geschäftsstelle der ESG in der DDR leitete, hielt ein nur ökumenisches Verhältnis der beiden Bereiche für nicht ausreichend verbindlich. Die Vertreterin der EKD im Vertrauensrat, Oberkirchenrätin Gesa Conring, warnte vor einem „ökumenischen Spiritualismus“, der die gemeinsame Geschichte vernachlässige. Gemeinsam war den Diskutanten, dass trotz der Tendenzen nach 1961, die Einheit der ESGiD, der EKD und anderer gesamtkirchlicher Zusammenschlüsse auf ihre theologische Dimension zurückzuführen und von nationalpolitischen Implikationen zu befreien, an ihrem politischen Auftrag im geteilten Deutschland festgehalten wurde. Ob dazu jedoch die organisatorische Einheit oder Trennung zweckdienlicher war, darüber gingen die Meinungen mit den Jahren allmählich auseinander. Auch in der Evangelischen Jugend brach der Reflexionsprozess über das eigene Einheitsverständnis nicht mehr ab. Auf der gemeinsamen Sitzung des Jugendpolitischen Ausschusses der AGEJD mit den westdeutschen Mitgliedern des Gesamtkirchlichen 216 EBD. 217 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 26./27.9.1964 (EZA BERLIN, 36/86/86).

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Ausschusses am 9. und 10. Oktober 1964 gab Heinz-Georg Binder eine Gesprächseinführung über „Vorstellungen und Bindungen innerhalb der Evangelischen Jugend Deutschlands“218. Dabei legte er das Thema betont politisch aus. Die Schwierigkeit für die EJD in der Bundesrepublik – im Unterschied zur Jungen Gemeinde in der DDR – sah Binder in ihrer „Doppelrolle“ als junge Gemeinde und demokratischer Jugendverband, die gewisse Verhaltensweisen nach sich ziehe. Verhaltensbestimmend wirke zum einen die Vorstellung „von den Christen als dem dritten Geschlecht zwischen Ost und West“, die in evangelischen Jugendkreisen seit Mitte der fünfziger Jahre populär war219. Vielfach sei das Verhalten der EJD aber auch von der Auffassung geleitet, dass es sich bei der Bundesrepublik um einen christlichen Staat und bei der DDR um einen atheistischen Staat handelte, in dem der Christ „überwintern müsste“. Bei den ostdeutschen Christen sah Binder die Tendenz, die DDR zunehmend als ihren Staat anzuerkennen. Vor diesem Hintergrund wies Binder der EJD für die Zukunft spezifische Aufgaben zu: 1. Sie sollte für eine Versachlichung des Gesprächs und gegen Hasspropaganda eintreten. Das bedeutete für Binder u. a., sich gegen die „Ideologisierung der Mauer“ zu wehren und die Illusion zu zerstören, dass das Alleinvertretungsrecht der Bundesrepublik in sich schon die Wiedervereinigung schaffe. 2. Die EJD müsse für den Vorrang der Humanität werben. Es dürfe nicht um des westlichen Fortschritts willen eine risikoreiche Politik betrieben werden. Zur Friedenssicherung sollte die deutsche Politik dazu bereit sein, eine drittrangige Position einzunehmen. 3. Zu den Aufgaben der EJD gehöre die Bereitschaft zum Gespräch. Die bisher geltende Formel, allein die Christen in der DDR seien der Gesprächspartner für die FDJ, sollte überprüft werden220. In der anschließenden Aussprache kennzeichneten die Ausschussmitglieder die EKD und damit auch die EJD als eine geschichtliche Einrichtung, die durch die aktuelle historische Situation in Frage gestellt, wenn nicht schon aufgehoben war. Die Kirche, so das Ergebnis der Diskussion, stehe unter einer besonderen Dialektik: Zum einen sei sie Kirche mit ihrer Eigengesetzlichkeit, zum anderen aber auch eine gesellschaftliche und damit politische Größe. Auch den einzelnen Christen sah man in dieser dialektischen Situation. Als Bürger der Bundesrepublik sei er in den Kampf der Ideologien hineingestellt. In der Begegnung mit einem ostdeutschen Christen müsse man daher deutlich sehen, dass dieser aus einem antagonistischen politischen System komme. Die Ausschussmitglieder gaben den Grundsatz aus, dass die Christen sich auf die Existenzweise des Anderen einlassen sollten, ohne die eigene aufzugeben. Auf diese Weise würden sie zur Entspannung beitragen. Gegen Mitte der sechziger Jahre hatte in der Interpretation der gemeinsamen Rolle als EJD der je eigene politische und gesellschaftliche Kontext demnach inzwischen einen hohen Stellenwert bekommen. Die evangelische Jugendarbeit in Westdeutschland schien endgültig in der demokratischen Gesellschaft der Bundesrepublik und ihren Möglichkeiten für die Jugendarbeit angekommen zu sein, die Junge Gemeinde verortete sich hingegen in der „realsozialistischen“ DDR. 218 Protokoll, 18.12.1964 (PAEW). 219 Siehe Kap. 1.3.4. 220 Zu Begegnungen mit FDJ-Vertretern s. u. Kap. 3.3.

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3.2 Die deutsche Frage im Zeichen der Ernüchterung 3.2.1 Deutschland- und ostpolitische Initiativen Mit dem Bau der Mauer 1961 und der Kuba-Krise 1962 waren in Europa die Einflusssphären des Westens und des Ostens dem Anschein nach auf Dauer zementiert. Das „atomare Patt“ zwischen der UdSSR und den USA, die mit dem fortdauernden Entkolonialisierungsprozess eigenständigere Rolle der „Dritten Welt“ als weltpolitischer Einflussfaktor sowie die Tendenz der beiden Supermächte, ihre Einflusssphäre zu konsolidieren und die des anderen zu respektieren, hatten die Ost-West-Beziehungen verändert. Das Zeitalter der Entspannungspolitik begann. Mit dem allmählichen Übergang von der Konfrontation der Blöcke zu ihrer Kooperation wandelte sich auch der Stellenwert der deutschen Frage im Kontext der Ost-West-Beziehungen. Die Frage der deutschen Wiedervereinigung verschwand von den Tagesordnungen der Ost-West-Verhandlungen; die deutsche Einheit wurde auf unbestimmte Zeit zurückgestellt. Selbstbewusst proklamierte man in beiden deutschen Staaten und Gesellschaften im Laufe der sechziger Jahre das Ende der Nachkriegszeit und erlebte eine Phase des Wandels mit je system- und strukturbedingten Unterschieden. Die DDR erhielt durch den Mauerbau die Grundlage, sich innerlich zu konsolidieren, sich partiell zu modernisieren sowie die Transformation in eine „sozialistische Gesellschaft“ weiter voranzutreiben (Sozialstruktur, Wirtschaftssystem, Bildungswesen). Dabei war die SEDFührung stets darauf bedacht, die „politischen Kosten“ der Reformen in Teilbereichen, d. h. eine politische Liberalisierung, nicht zahlen zu müssen, so dass die partielle Modernisierung letztlich misslang1. Teilhabend an dem transnationalen Prozess des „Wertewandels“ der westlichen Industriegesellschaften erlebte die Bundesrepublik während der sechziger Jahre eine Fortsetzung ihres gesellschaftlichen Transformationsprozesses, in dessen Verlauf es zu einer stärkeren politischen Verankerung ihrer Bevölkerung in den westdeutschen Teilstaat kam. Insgesamt verstärkte sich während des ersten „postmuralen“ Jahrzehnts – trotz einiger Parallelen aufgrund ähnlicher Herausforderungen und des kommunikativen Zusammenhangs – die Unterschiedlichkeit der beiden deutschen Staaten und Gesellschaften2. Infolge der internationalen Lage sowie angesichts des beschleunigten innerdeutschen Entfremdungsprozesses setzte seit Beginn der sechziger Jahre in fast allen Parteien und in vielen wichtigen gesellschaftlichen Gruppen in der Bundesrepublik allmählich ein Umbruch der Politikansätze hinsichtlich der deutschen Frage ein. Die Wiedervereinigungspolitik der Bundesrepublik im Zeichen von Nicht-Anerkennung, Hallstein-Doktrin und Junktim zwischen europäischer Sicherheit und Fortschritten 1 Vgl. C. KLESSMANN, Staaten, S. 330–378 und B. FAULENBACH, Modernisierung, S. 291. 2 Vgl. B. FAULENBACH, Modernisierung, S. 291.

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in der deutschen Frage war in zentralen Punkten obsolet geworden und schien den Übergang zur Blockkooperation eher zu belasten. So begann die Suche nach einem modus vivendi. In der evangelischen Kirche konzentrierte man sich nach dem Mauerbau und seiner desillusionierenden Wirkung darauf, die Auswirkungen der nunmehr zementierten deutschen Teilung zu mildern, auf eine Entschärfung des Verhältnisses zwischen Ost und West zu drängen und doch die Möglichkeit einer nationalen Selbstbestimmung nicht aufzugeben. Diese Haltung implizierte eine Kritik an den ost- und deutschlandpolitischen Positionen der Bundesregierung, auch wenn diese zunächst verhalten geäußert wurde. Im Vergleich zu der Zeit vor dem Mauerbau äußerte sich die Kirche insgesamt sehr viel seltener direkt zu deutschlandpolitischen Fragestellungen. Tat sie es doch, so war in den Texten die deutsche Frage in die Friedensfrage eingebettet, wobei die Kausalbezüge zwischen Wiedervereinigung und Entspannungspolitik allmählich wechselten. Einen Monat nach dem Beginn des Mauerbaus richtete der Rat der EKD an die Gemeinden in Ost- und Westdeutschland einen Aufruf zum Gebet für den Frieden, der von Scharf und Lilje formuliert worden war. Die Handschrift Scharfs wurde in dem Text darin erkennbar, dass die deutsche Problematik zurückgenommen und in globale Zusammenhänge eingeordnet sowie die aktuellen Ereignisse mit der deutschen Schuld in Bezug gesetzt wurden. Entsprechend hieß es am Ende des Aufrufes: „Soweit unserem Volke dabei um des Friedens willen besondere Lasten auferlegt werden müssen, wollen wir um die Kraft bitten, diese aus Gottes Hand anzunehmen und in ihnen die Nachwirkungen der bösen Taten zu erkennen, mit denen der Name unseres Volkes in den vergangenen Jahrzehnten befleckt worden ist.“3

Noch sehr viel stärker wurde die Schuldargumentation in einem Brief zu „Besinnung und Gebet für den Frieden“ herausgearbeitet. Diesen sandte der Leitungsausschuss der Kirchlichen Bruderschaften in Deutschland am 1. November an die Pfarrer und Gemeinden. Er fragte darin, ob man „nicht endlich die Zerschlagung Deutschlands in und nach dem Kriege als ein Gericht Gottes über unseren Hochmut und unsere Gewaltsamkeit“ annehmen könne4. Der Leitungsausschuss forderte dazu auf, die durch den Mauerbau entstandene Situation nicht nur auf fremde Schuld, sondern auch auf eigene geschichtliche Schuld sowie Versagen im Umgang mit ihr zurückzuführen und sich vom – im Schatten der Mauer erneut aufflammenden – Antikommunismus freizumachen. In einem Wort an die Politiker und an die Gemeinden hatte der Arbeitskreis der Kirchlichen Bruderschaften in der EKD drei Tage zuvor bereits diese Schuldargumentation handlungsleitend in die Forderung überführt, dass sich die Politiker, darin bestärkt von den Gemeinden, an die Lösung der Nachkriegsfragen machen. Genannt wurden dabei: „Befriedung der Ostgrenzen, Normalisierung in den Beziehungen zu den Oststaaten, Desillusionierung der Einstellung zu der angeblich 3 Zitiert nach: KJ 88, 1961, S. 5. 4 EBD., S. 83.

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als Staat nicht existierenden DDR“5. Mit diesem Appell wollte man Bewegung in die bundesrepublikanische Ost- und Deutschlandpolitik bringen und auch die von Angst vor dem Kommunismus und der Furcht vor der eigenen NS-Vergangenheit gehemmte westdeutsche Außenpolitik gegenüber Osteuropa aus ihrer Starrheit lösen. Die ostdeutschen Kirchen mussten sich derweil mit dem Vorwurf der Friedensfeindlichkeit der EKD auseinander setzen6. Hierzu stellte die Kirchenkanzlei Ost eine Liste der Verlautbarungen zusammen, aus denen das Eintreten der Evangelischen Kirche „für Frieden, Menschlichkeit und verantwortliches Handeln im Blick auf unser Volk“ deutlich werden und die vor allem bei Verhandlungen mit Funktionären auf örtlicher Ebene argumentative Hilfestellung geben sollte7. Etwas später gab sie auch eine Zusammenstellung von Auszügen aus diesen Verlautbarungen weiter8. Die Vorwürfe gegen die „friedensfeindliche“ EKD waren Teil des Druckes, der von Staats- und Parteiseite auf alle kirchlichen Ebenen ausgeübt wurde, um sie zu positiven Stellungnahmen zur „Friedenspolitik“ der DDR zu nötigen. Auch die Theologischen Fakultäten, die noch immer an den staatlichen Universitäten angesiedelt waren, sollten nach dem Mauerbau zu den „friedensfördernden Maßnahmen“ der DDR öffentlich Stellung nehmen. Aber nur die Berliner Theologische Fakultät war dazu bereit, nach harten internen Auseinandersetzungen und unter Ausschluss der drei West-Berliner Mitglieder am 26. Oktober 1961 eine „Erklärung über die staatsbürgerliche Verantwortung des Christen“ zu verabschieden9. Programmatisches Ziel dieser Erklärung war es, die Studenten „zu einer nüchternen und vernünftigen Erkenntnis in die Notwendigkeit jener Maßnahmen zu führen, die für die Erhaltung des Friedens erforderlich sind.“10 Zu jenen Maßnahmen wurde der Mauerbau, das „Gesetz zur Verteidigung der DDR“11 sowie der Abschluss eines Friedensvertrages gezählt. Die Erklärung – ein Erfolg der Differenzierungspolitik der SED – hatte eine spürbare Verschlechterung des Verhältnisses der Fakultät zu mehreren Landeskirchen zur Folge12. Auch die Pfarrer vor Ort standen unter dem ständigen Druck, sich öffentlich zur „Friedenspolitik“ der DDR äußern zu müssen. Um ihnen konkrete, auf die aktuelle politische Situation abgestimmte Argumente an die Hand zu geben, entwarf der gesamtdeutsch besetzte Theologische Sonderausschuss der EKD eine Handreichung13. Der endgültige Text „Zur Friedensfrage“ richtete sich dann aber an die Christen in beiden deutschen Staaten und bezog sich inhaltlich sowohl auf die DDR als auch auf die Bundesrepublik. Bereits im Januar 1961 hatte das Ausschussmitglied Gottfried 5 EBD., S. 80f. 6 Siehe Kap. 3.1. 7 Niederschrift über die Sitzung der Kirchlichen Ostkonferenz am 27.9.1961 (EZA BERLIN, 104/101). 8 Niederschrift über die Sitzung der KKL am 6.12.1961 (EBD.). 9 Zu Entstehung und Rezeption der Erklärung vgl. F. STENGEL, Fakultäten, S. 566–580. 10 Zitiert nach: KJ 88, 1961, S. 216f. 11 Das Gesetz wurde von der Volkskammer am 20.9.1961 verabschiedet; ihm folgte am 24.1.1962 das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht. 12 Vgl. F. STENGEL, Fakultäten, S. 5. 13 Vgl. Wilkens: Kirchlicher Dienst am gespaltenen Deutschland (EZA BERLIN, 650/95/2).

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Voigt, Studiendirektor des Predigerseminars St. Pauli in Leipzig, kritisiert, dass in den Handreichungen der EKU und der VELKD die Friedensproblematik nicht ausreichend behandelt worden sei und sie daher dringend neu thematisiert werden müsse14. Am 6. April referierte er auf einer Sitzung des Theologischen Sonderausschusses anhand von 40 Punkten über „Das Amt der Kirche im Blick auf den Frieden in der Welt in unserer Lage“. Dabei reflektierte er das Thema stark auf die Situation in der DDR hin und in Abgrenzung zur als einseitig proöstlich eingestuften Weltfriedensbewegung15. Die deutsche Frage blieb gänzlich ausgespart. Auf der Ausschusssitzung am 17. Mai legte Voigt dann den Entwurf einer Verlautbarung zur Friedensfrage vor, der auf seinen 40 Punkten aufbaute16. Der Rat der EKD stimmte zwei Tage später der Erarbeitung eines „Flugblattes zur Friedensfrage“ zu, das ihm vor der Fertigstellung vorgelegt werden sollte17. Voigt überarbeitete daraufhin seinen Text anhand der auf der Ausschusssitzung vorgebrachten Bedenken, Wünsche und Anregungen. Einen Teil der Überarbeitung übernahm auch Robert Frick18. Auf der Ausschusssitzung am 18. Juli wurden noch Änderungswünsche von einzelnen Ratsmitgliedern aufgenommen19 und beschlossen, die Neufassung wegen der Dringlichkeit der Angelegenheit dem Rat in seiner Sitzung am 18. Juli mit der Bitte vorzulegen, sie als Orientierungshilfe zur Friedensfrage anzunehmen und den Pfarrern in den Gliedkirchen in geeignet erscheinender Weise zukommen zu lassen20. Als dringlich erschien den Ausschussmitgliedern das Wort zum einen durch die allgemeine Zuspitzung der politischen Lage, zum anderen durch die Aktivitäten der Prager Allchristlichen Friedensversammlung 1961, welche die Friedensfrage im christlichen Raum zu monopolisieren versuchte21. Vor dem Hintergrund der Ereignisse vom 13. August wurde der Text dann noch einmal überarbeitet und im November von dem um seine thüringischen Mitglieder verminderten Sonderausschuss erneut dem Rat übergeben22. Auf Beschluss der ostdeutschen Ratsmitglieder hin wurde die Handreichung am 9. November den Kirchenleitungen in der DDR zugeleitet, die mit ihr nach eigenem Ermessen verfahren konnten23. Die Weitergabe an die westdeutschen Landeskirchen erfolgte auf Wunsch

14 Aktenvermerk Behms über die Sitzung des Theologischen Sonderausschusses am 27.1.1961 (EZA BERLIN, 4/456). 15 Aktenvermerk Behms über die Sitzung, 12.4.1961 (EBD.). Dort auch eine Abschrift der 40 Punkte von Voigt. 16 Aktenvermerk Behms über die Sitzung (EBD.). 17 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 19.5.1961(EBD.). 18 Vermerk Heidlers über die Sitzung des Theologischen Sonderausschusses am 30.6.1961 (EBD.) 19 Scharf wünschte, dass auch die Bedeutung der Koexistenz für das Leben des Einzelnen und für die Gemeinde aufgenommen werde; Bischof Haug wollte die Beteiligung der deutschen Kirchen an den Friedensworten der Ökumene erwähnt haben. Vgl. EBD. 20 EBD. 21 Vgl. Heidler an Behm, 3.7.1961 (EZA BERLIN, 4/456). Zur CFK s. u. Kap. 3.2.3. 22 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 491. 23 Schreiben Behms an die Kirchenleitungen der Gliedkirchen in der DDR, 9.11.1961 (EZA BERLIN, 2/2531).

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der Ratsmitglieder aus der DDR erst im Februar 1962, nachdem die Verbreitung in Ostdeutschland abgeschlossen war24. In ihrem argumentativen, zur Diskussion anregenden Stil unterschied sich die Handreichung „Zur Friedensfrage“ von den vorhergehenden Worten der EKD mit ihrem Weisungscharakter und bildete somit einen Übergang zu den späteren Denkschriften25. Die Verfasser sprachen in ihr so konkret wie möglich, „ohne die Grenzen hinüber auf das Feld der Meinungen zu überschreiten.“26 In gesamtkirchlicher Verantwortung stehend bemühten sie sich um eine unabhängige und kritische Perspektive auf beide Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme. Der Text begann zunächst mit einer nüchternen Begründung des aktuellen kirchlichen Friedensengagements, die in der Gefahr eines Dritten Weltkrieges gesehen wurde. Die Sowjetunion und die DDR meinend, aber nicht nennend, wurde sodann die Monopolisierung der Friedenssicherung durch eine Partei, einen Staat oder ein politisches System als Friedensgefährdung gekennzeichnet27. Frieden sei „ein Verhältnis, eine Beziehung zwischen verschiedenartigen Menschen, Völkern und Staaten“ und verlange die Erkenntnis wechselseitigen Aufeinanderangewiesenseins, so die Verfasser. Eher in Richtung Bundesrepublik wurde die Aufforderung gerichtet, über erste praktische Schritte, die zu Entspannung und Annäherung führen könnten, nachzudenken und sie auch zu wagen. Das Stichwort „Verhandlungsbereitschaft“ fiel dabei aber nicht. In der Bundesrepublik, so hieß es kritisch, dürfe nicht dem Verdacht Nahrung gegeben werden, als hege man Revancheabsichten und versuche eine abgelehnte Ordnung „etwa gar unter dem Vorzeichen einer Kreuzzugsideologie“ gewaltsam zu beseitigen28. „Wer Frieden will“, so lautete die Mahnung, „darf nicht restaurativ in der Erhaltung des Bestehenden beharren wollen, sondern muß sich auch für Neuentwicklungen der menschlichen Gesellschaftsund Sozialordnung offen halten.“29 Wer Frieden wolle, dürfe sich auch nicht vom „Wohlstandsdenken“ leiten lassen, sondern müsse zu „Opfern“ bereit sein. Gegenüber Ansinnen von östlicher Seite erklärte die Handreichung, dass sich die Kirche um ihres Friedensauftrages willen nicht propagandistisch oder machtpolitisch in den Dienst einer der beiden Seiten stellen dürfe, da sie sonst ihren „Mittlerdienst“ verwirke. Daher könne sie weder zu den Ereignissen des 13. August noch zur Frage eines deutschen Friedensvertrages parteilich reden. Ein Friedensvertrag – soweit bezog man dann aber doch gegenüber der SED Position – dürfe nicht zur „politischen Waffe“ werden und könne kein Beitrag zur Friedenssicherung sein, falls er die Teilung Deutschlands verfestige. Die Kirche solle nach Ansicht der Verfasser Vertrauen schaffen, das für einen 24 Vgl. Niederschrift über die Besprechung der drei Ratsmitglieder aus der DDR am 14.12.1961 (EZA BERLIN, 104/38), die Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 14./15.12.1961 (2/2531) sowie den Aktenvermerk Behms über die Sitzung der ostdeutschen Ratsmitglieder am 8.2.1962 (104/38). 25 Vgl. hierzu auch T. FRIEBEL, Kirche, S. 465ff. 26 Vgl. Wilkens: Kirchlicher Dienst am gespaltenen Deutschland (EZA BERLIN, 650/95/2). 27 Der Text ist abgedruckt: KJ 88, 1961, S. 77–80. 28 EBD., S. 78. 29 EBD.

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wirklichen Friedensschluss unerläßlich sei. Sie müsse sich bemühen, „stellvertretend und richtungsweisend“ Verständnis und Geduld in beiden Teilen Deutschlands zu bewahren und zu wecken. Damit wurde der EKD auch weiterhin die Rolle einer Vermittlerin zugeschrieben. Für die ostdeutschen Gliedkirchen hingegen bedeutete eine solche Aussage, dass sie den kirchlichen Anspruch, eigenständig Friedensverantwortung wahrzunehmen, nicht aufgaben und damit auch ihre innere und äußere Unabhängigkeit gegenüber dem „Friedensstaat“ DDR dokumentierten. Selbstkritisch wurde in der Handreichung aber auch zugegeben, dass innerkirchlich zwar Konsens darüber herrsche, dass es keinen gerechten Krieg geben könne, nicht aber darüber, wie der Frieden am besten zu sichern sei. So war der Grat schmal, auf dem die Handreichung ihre Orientierungspunkte für weltliches Friedenshandeln formulierte. Die Grundannahme dabei lautete: „Wir sehen in der gegenwärtigen Weltlage keine andere Möglichkeit des Friedens als auf dem Boden der Koexistenz.“ Der Begriff der „Koexistenz“, der seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre im Zentrum der sowjetischen Außenpolitik gegenüber kapitalistischen Staaten stand30, wurde dabei sehr bewusst gewählt und im eigenen Sinne interpretiert31. Auch damit manifestierte man den Anspruch auf kirchliche Eigenständigkeit in der Friedensfrage. Wie Frieden auf dem Boden der Koexistenz gesichert werden könne, wurde in der Handreichung hinsichtlich der Weltpolitik – der Primat des internationalen Systems in der Friedens- und Deutschlandfrage wurde realistisch gesehen –, der deutschen Situation sowie der Lebensbereiche des Einzelnen jeweils knapp konkretisiert. Auf weltpolitischer Ebene forderte die Handreichung die Akzeptanz des systemischen Nebeneinanders, den Verzicht auf eine kriegerische Vernichtung des anderen, politische Kontakte und wirtschaftliche Kooperation, Opferbereitschaft, politische Zuverlässigkeit, Einwilligung in kontrollierte Abrüstung, Gewährung der allgemeinen Menschenrechte, Verzicht auf Imperialismus und Weltrevolution sowie die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Wer im deutschen Bereich Koexistenz bejahe, so lauteten die Forderungen in Bezug auf die nationale Ebene, dürfe nicht vergessen, dass es sich bei den beiden deutschen Staaten um Provisorien handele und sie „keinesfalls als staatsrechtlich angemessener Ausdruck für die Einheit unseres Volkes gelten können“. Auch unter dem Primat der Friedenssicherung wurde in der Handreichung der Anspruch des deutschen Volkes auf ein geeintes Deutschland nicht aufgegeben. Der Begriff „Wiedervereinigung“ fiel aber nicht, wie er insgesamt in kirchlichen Erklärungen nach dem Mauerbau kaum noch auftauchte. Auch wurde die Wiederherstellung der deutschen Einheit nicht mehr zur primären Voraussetzung für den europäischen Frieden erklärt, wie noch in den vierziger und fünfziger Jahren. Wer Koexistenz meine, so hieß es allerdings weiter, dürfe sich nicht damit abfinden, dass beide Teile Deutschlands gegeneinander rüsteten. Zudem dürfe er die in den Verfassungen verankerten Grundrechte wie die Unabhängigkeit der Rechtsprechung, die

30 Siehe Kap. 2.1. 31 Vgl. Wilkens: Kirchlicher Dienst am gespaltenen Deutschland (EZA BERLIN, 650/95/2).

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Rechtsgleichheit aller Bürger, die Versammlungs- und Redefreiheit, das Wahlrecht sowie die Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht antasten. Überdies müsse er den Menschen in beiden Teilen Deutschlands die Möglichkeit geben, zueinander zu kommen und die Propagandamethoden des Kalten Krieges ablehnen. Bei dieser Aufzählung der Grundbedingungen für Koexistenz in Deutschland wurde, auch wenn es neutral formuliert war, vor allem die DDR – die den Begriff „Koexistenz“ im deutschen Bereich politisch besetzte – kritisch auf die Werte Frieden, Freiheit und Einheit hin angesprochen32. Trotz dieser verstärkten Kritik in Richtung Ostdeutschland wurde der Kirche in der Handreichung die Rolle zugewiesen, Brücken zu schlagen und Koexistenz vorzuleben. Mit dieser Friedensaufgabe wurden zugleich die Einheit und der Erhalt der EKD legitimiert. „Auch um ihrer Verantwortung für den Frieden willen wird sie allen Versuchen widerstehen, ihre Einheit zu zerstören, wie sie etwa in der Evangelischen Kirche in Deutschland ihren sichtbaren Ausdruck findet“, hieß es entsprechend gegen Ende des Textes33. Umgekehrt wurde die Handreichung selbst wiederum von ihren Verfassern als „Manifestation des kirchlichen Zusammenhalts in Ost und West“ gedeutet34. Wilkens zufolge ging der gesamtdeutsch zusammengesetzte Ausschuss dabei „bis an die äußerste Grenze dessen heran, was man kirchlicherseits in Ost und West und was man auf dem Boden der um ihren Zusammenhalt zwischen beiden Teilen Deutschlands ringenden Evangelischen Kirche in Deutschland noch gemeinsam sagen kann, deshalb aber auch gemeinsam sagen muß.“35

Nach Auskunft der Ratsmitglieder aus der DDR wurde die Handreichung in ostdeutschen Kirchenkreisen „mit grosser Genugtuung“ aufgenommen und „als wertvolle Hilfe auch für die Pfarrer empfunden“36. Ganz im Unterschied dazu stand die Aufnahme des Textes bei Staats- und Parteivertretern. Am 11. Januar 1962 wurde das Kollegium des Landeskirchenamtes Dresden zu einer Besprechung zum Rat des Bezirkes bestellt37. In sehr scharfer Form warf man ihnen dort vor, das Friedensschutzgesetz der DDR verletzt zu haben, indem sie die Handreichung an alle Pfarrer weitergegeben hatten. Die Staatsseite verlangte die sofortige Zurückziehung des Wortes und eine Veröffentlichung im Kirchlichen Sonntagsblatt zur Friedenspolitik der Regierung der DDR. Dem Landeskirchenamt wurde bis zum 16. Januar Zeit gegeben, um entsprechende Maßnahmen zu treffen. Das Kollegium zeigte sich zunächst entschlossen, die Handreichung zurückzuziehen. Es wurde argumentiert, dass der Text in der entsprechenden Verfügung, mit der er verschickt worden war, lediglich als „Arbeitspa32 So auch die Kritik von T. FRIEBEL, Kirche, S. 467. Nicht richtig ist jedoch sein Urteil, die Handreichung stehe noch gänzlich im „Bannkreis westdeutscher Forderungen und Argumentationsmuster“. 33 KJ 88, 1961, S. 80. 34 Wilkens: Kirchlicher Dienst am gespaltenen Deutschland (EZA BERLIN, 650/95/2). 35 EBD. 36 Niederschrift über die Besprechung der drei ostdeutschen Ratsmitglieder am 14.12.1961 (EZA BERLIN, 104/38). 37 Vgl. Aktenvermerk über die Besprechung zwischen Hildebrandt, Figur, Hagemeyer, Behm und dem Dresdner Präsidenten Johannes am 11.1.1962 (EZA BERLIN, 104/596).

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pier“ bezeichnet worden sei und folglich keinen offiziellen Charakter besitze. Vor allem wollte man vermeiden, dass bei den Pfarrern Hausdurchsuchungen durchgeführt und sie zu „unglücklichen Erklärungen“ provoziert wurden. Bei einem Gespräch mit dem Dresdner Präsidenten Johannes machte der Berliner Präses Figur Bedenken gegen ein solches Vorgehen geltend, da damit ein Präzedenzfall geschaffen würde. Die anderen Teilnehmer der Besprechung am 12. Januar, Hildebrandt, Hagemeyer und Behm, hielten eine Einziehung der Handreichung für möglich, baten jedoch darum, in der Form der Bekanntgabe an die Pfarrer deutlich zum Ausdruck zu bringen, „dass die Kirche nicht verlängerter Arm der Polizeiorgane des Staates“ sei38. Das Landeskirchenamt forderte daraufhin die Pfarrer auf, die Handreichung an die Superintendenten zurückzugeben. Es lag ihr allerdings daran, gegenüber anders lautenden westdeutschen Pressemeldungen festzustellen, dass es dadurch die Handreichung „auf staatlichen Druck hin weder zurückgenommen noch für ungültig erklärt habe“39. Der Grundkonflikt, der hinter der Auseinandersetzung um die Handreichung stand, wurde in einem Gespräch zwischen Seigewasser und Krummacher am 6. Februar noch einmal deutlich. Der Staatssekretär warf darin dem Bischof vor, die Handreichung trotz Kenntnis der Dresdner Vorgänge vor dem Generalkonvent in Züssow am 16. Januar vorgestellt zu haben. Die Handreichung habe, konstatierte Seigewasser, einen „gegen die Friedenspolitik der DDR gerichteten feindseligen Inhalt, und man sei nicht gewillt, eine Aufweichungs- und Zermürbungstaktik seitens der EKD gegen die DDR zuzulassen.“40 Der Bischof negierte in dem Gespräch, „dass es keine andere Einstellung zum Frieden als die der Bejahung der Friedenspolitik der DDR gäbe“, und bestand auf einer eigenständigen kirchlichen Friedensarbeit41. Seigewasser erklärte hingegen, der Staat dulde nicht, dass sich die Kirche die „Rolle eines Schiedsrichters“ anmaße: „Sie ist keine sogenannte 3. Kraft, wie sie sich das oftmals einbildet.“42 Dem staatlichen Gesprächsprotokoll zufolge erklärte sich Krummacher letztlich dazu bereit, die Superintendenten anzuweisen, die Handreichung zurückzugeben, die „ohnehin nur ein Material zum Nachdenken und kein Synodal- oder Hirtenwort“ sei43. Tags darauf sprach der Staatssekretär mit Mitzenheim, der ihm versicherte, dass der Text in seiner Kirche nicht weitergereicht worden war44. Insgesamt war die Handreichung nur in Sachsen direkt an die Pfarrer versandt worden. In Berlin-Brandenburg etwa wurde sie „unkorrigiert als Studienmaterial“ nur an die Superintendenten weitergeleitet mit der

38 EBD. 39 Bericht darüber in Wilkens’ streng vertraulichen „Bemerkungen und Beobachtungen zur gegenwärtigen kirchlichen Situation in der DDR“ vom 26.2.1962, die er aufgrund seiner Teilnahme an der Sitzung des Theologischen Sonderausschusses am 22.2. in Berlin niederschrieb (EZA BERLIN, 650/95/2). 40 Vermerk Krummachers vom 11.2.1962 über das Gespräch am 6.2.1962. Zitiert nach: G. BESIER, SED-Staat, S. 494. 41 Vgl. EBD. 42 Niederschrift Seigewassers, zitiert nach: G. BESIER, SED-Staat, S. 494. 43 EBD. 44 EBD., S. 495.

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dringenden Empfehlung, sie auf einem der nächsten Pfarrkonvente „mit den Amtsbrüdern prüfend durchzuarbeiten.“45 Als Nachspiel der Dresdner Ereignisse traf sich am 21. Februar Oberlandeskirchenrat Gottfried Knospe, Mitglied des Theologischen Sonderausschusses der EKD, mit dem Volkskammerpräsidenten zu einem zweistündigen Gespräch46. Dieckmann missbilligte darin die grobe Behandlung des Landeskirchenamtes durch die Staats- und Parteifunktionäre. Er erkannte auch an, dass die Handreichung „beherzigenswerte Partien“ enthielt. Sein Hauptkritikpunkt aber war, dass die Verfasser den Warschauer Pakt und seine „Friedensziele“ mit der NATO und ihrer „Kriegstreiberei“ gleichgesetzt hatten. Der Volkskammerpräsident empfahl den Kirchen, sich zukünftig vor solchen Stellungnahmen bei ihm „über die tatsächliche politische Situation zwischen Ost und West“ zu informieren. In der Bundesrepublik waren die Meinungen über die Handreichung „Zur Friedensfrage“, die für längere Zeit die letzte Stellungnahme der EKD zur deutschlandpolitischen Situation sein sollte, gespalten. Politisch konservative Kreise interpretierten den in ihr versuchten Balanceakt zwischen West und Ost und das Plädoyer für Entspannung und Annäherung als „kirchliche[n] Neutralismus“47. Als Mitautor wies Erwin Wilkens diese Vorwürfe zurück und sprach stattdessen von einer „unbefangenen und freimütigen Unabhängigkeit“, die in der Handreichung zum Ausdruck komme und die nicht wie der „Neutralismus“ durch falsche Rücksichtnahmen oder Gleichsetzungen gekennzeichnet sei48. Den westlichen Politikern riet er, kirchliche Äußerungen nicht primär „auf ihre unmittelbare politische Verwendbarkeit im Sinne der eigenen subjektiven Überzeugungen hin zu prüfen“49. „Machtpolitische Untertöne und kreuzzugsideologische Überhöhungen“ hielt Wilkens für unzulässig. „Unsere moralische Stärke muß sich darin ausdrücken, dass wir dem Haß keinen Vorschub leisten und bewußt ein anderes Bild unseres politischen Wollens bieten, als es die Gegenseite von uns zeichnet“, empfahl er. Zugleich sollten die ostdeutschen Christen darin unterstützt werden, ihrerseits den Verzerrungen in der DDR entgegenzutreten. Dies geschehe, indem „überfällige Nationalismen, unrealistische Einseitigkeiten, sittliche Zerfallserscheinungen in der politischen Führung und ideologische Verzerrungen unseres Wollens“ vermieden bzw. bekämpft würden. Noch sehr viel stärker auf die Bundesrepublik hin wurde die Handreichung in den Evangelischen Studentengemeinden gelesen. Die elfte Delegiertenkonferenz vom 28. Februar bis 3. März 1962 nahm „mit großer Freude“ von ihr Kenntnis und bezeichnete sie als „lange vermißte Leitlinie der EKiD zu den drängenden Fragen der Weltpolitik und der deutschen Lage“50. Im eigenen Sinne wurde auf der Konferenz die Handreichung als „Ruf zur kritischen Überprüfung der politischen Aktivitäten der 45 Kirchenleitung der EKiBB an Superintendenten, 15.12.1961 (EZA BERLIN, 104/596). 46 Bericht darüber in Wilkens: Bemerkungen und Beobachtungen zur gegenwärtigen kirchlichen Situation in der DDR (EZA BERLIN, 650/95/2). 47 Vgl. Wilkens: Kirchlicher Dienst am gespaltenen Deutschland (EZA BERLIN, 650/95/2). 48 EBD. 49 EBD. 50 Protokoll im EZA BERLIN, 36/89.

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Kirche und der ESGiD“ und als „offene[r] und mutige[r] Bruch mit Tabus in der deutschen Politik, die eine Politik im Sinne der Handreichung bisher unmöglich gemacht haben“, interpretiert. Mit der Handreichung sahen die Studentengemeinden ihre eigenen politischen Aktivitäten kirchlich legitimiert, um derentwillen sie noch um die Jahreswende 1961/62 von konservativen Politikern und Theologen öffentlich scharf kritisiert worden waren. In einem nach dem Mauerbau erneut sehr antikommunistischen Klima in der Bundesrepublik hatte im November der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Kai-Uwe von Hassel die Verantwortlichen der evangelischen Landeskirchen darauf hingewiesen, dass eine Reihe von Studentenpfarrern „sehr extremen politischen Gedankengängen“ anhingen, die „wegen des Zusammenhanges mit gewissen östlichen Maßnahmen der psychologischen Kriegsführung“ den evangelischen Politikern große Sorgen bereiteten51. Er hielt es für einen bedenklichen Zustand, dass die jungen Akademiker durch die Studentenpfarrer zum „Objekt kommunistischer Unterwanderung“ wurden. Aufgenommen und weitergeführt wurde diese Attacke gegen die Studentenpfarrer von der Wochenzeitschrift „Christ und Welt“52, von „CIVIS“ sowie dem „Deutschen-Studenten-Anzeiger“. Den Studentenpfarrern wurden eine Ablehnung des „freien Westens“ sowie eine Aufgeschlossenheit gegenüber dem östlichen Totalitarismus vorgeworfen. Man sprach von einem „Klub von Linksintellektuellen“ mit gefährlicher Multiplikatorenstellung. Auslöser für die geäußerten Vorwürfe waren ein Brief des Berliner Studentenpfarrers Friedrich-Wilhelm Marquardt an den Ratsvorsitzenden, in dem er den Missbrauch der Militärseelsorge in der Bundeswehr für die „Psychologische Kampfführung“ anprangerte53, sowie die Teilnahme von zehn Studentenpfarrern an der Prager Friedenskonferenz im Juni 196154. Im Februar 1962 griff dann Helmut Thielicke unter dem Titel „Sind die Studentenpfarrer die ‚Fünfte Kolonne der ideologischen Tyrannis?‘“ die Studentenpfarrer auch theologisch an55. Er vermutete hinter ihrer politischen Haltung eine „etwas pubertär bewegte und unausgegorene Theologie“, ein „unverdautes mixtum compositum aus Niemöllers grundsätzlicher Protesthaltung, Barths merkwürdiger Interpretation der vermeintlichen A-Christlichkeit (statt Antichristlichkeit) des Kommunismus, Hromadkas eindrucksvoller charismatischer Seelsorge an den Atheisten [. . .] und vielem anderem.“56 Bei ihren pazifistischen Tendenzen wirke sich zudem eine „tadelnswerte Mißdeutung von Luthers Lehre von den beiden Reichen aus, über die man sich weithin nur aus der Interpretation Barths und seiner Schüler orientiert zu haben“ schien57. Ebenso werde Barths Schritt von einer Verneinung des nationalsozia51 Von Hassel hielt seinen Vortrag „Der evangelische Christ und die Politik“ vor dem Arbeitskreis Bochum der Evangelischen Akademie Westfalen. Zitiert nach: KJ 89, 1962, S. 70. 52 „Geist und Ungeist der deutschen Studentenpfarrer“. In: ChrWelt, 5.1.1962. 53 Der Brief vom 26.4.1961, der ohne Wissen des Autors in der DDR-Presse groß aufgemacht erschien, ist abgedruckt in: JK 22, 1961, S. 603–607. 54 Zur CFK s. u. 55 LM 1, 1962, S. 57ff. 56 EBD., S. 57. 57 EBD.

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listischen Totalitarismus zu einer wesentlich toleranteren Wertung des kommunistischen Totalitarismus „ziemlich kritiklos mitgemacht“. All diese Einflüsse führten nach Ansicht des Hamburger Theologen zu „Kurzschlüssen in der politischen Ethik“: die Nivellierung des östlichen und westlichen Systems und eine „fast snobistische Abwertung der sogenannten ‚freien Welt‘“. Darin sah Thielicke eine politische Gefahr. In der Angst der Studentenpfarrer vor einem „Kuddelmuddel von christlich-traditionalen Ideen samt ihren humanitären Rändern und der christlichen Botschaft selbst“58 sowie ihrer Kritik an einer gewissen Form des Antikommunismus in der Bundesrepublik sah Thielicke aber auch berechtigte Anfragen. Denn eine bestimmte Spielart des Antikommunismus hielt auch der nationalkonservative Theologe für „geistig und geistlich gefährlich“, soweit sie westliche Werte ideologisch überhöhte und „etwa ‚Freiheit‘ und ‚Humanität‘ mit metaphysischen Gewichten belaste, die in groteskem Widerspruch zu ihrer faktisch drohenden Sinnentleerung stehen.“59 Ein solcher Antikommunismus könne sich verführt sehen, das Christentum als eine „Art westlicher Gegenideologie“ zu verstehen, und zeitige damit ein „viel sublimeres, latenteres, darum aber auch bedrohlicheres Antichristentum“ als in Osteuropa. Trotz dieser in seinen Augen berechtigten Elemente in der Kritik der Studentenpfarrer gab Thielicke den Landeskirchen die Empfehlung, die Ausbreitung einer „derart einseitigen theologische[n] und politische[n] Richtung“ unter den Studentenpfarrern „personalpolitisch“ zu lösen. In Reaktion auf diesen und die anderen Artikel veröffentlichte die westdeutsche Studentenpfarrerkonferenz im März eine Erklärung, in der sie zu den Vorwürfen politischer und theologischer Einseitigkeit Stellung nahm60. Sie erklärte darin, dass es nötig und möglich sei, als Christen auch in der Ost-West-Spannung Verbindungen zu pflegen, ohne sich durch eine solche Durchbrechung der Systemfronten in der Klarheit seines politischen Urteils trüben zu lassen. Das ständige Bemühen um die geistliche Einheit der ESGiD – und dabei berief man sich auf das Memorandum von 1960 – mache es ihnen unmöglich, nur von der westdeutschen Position aus zu denken. Gegen Ende der Erklärung wiesen sie die Erwartung an sie zurück, sich einer der beiden Seiten im Systemkonflikt zuzuordnen. In dieser vermittelnden Haltung sahen sich die Studentengemeinden durch die Aussagen der Handreichung „Zur Friedensfrage“ bestätigt. Während die westdeutsche Delegiertenkonferenz aber der Kritik, die in der Handreichung gegen die DDR gerichtet war, keine weitere Beachtung schenkte, stellte sie die kritischen Äußerungen des Theologischen Sonderausschusses zur Deutschland- und Ostpolitik der Bundesrepublik besonders heraus61. Indirekt bestätigte sie damit den gegen sie gerichteten Vorwurf der politischen Einseitigkeit ihrer Perspektive. Bemerkenswert erschien den Delegierten vornehmlich folgender Satz der Handreichung: 58 EBD., S. 58. 59 EBD. 60 Die Erklärung vom 23.3.1962 erschien in den „ansätzen“ und wurde auch im KJ 89, 1962, S. 70ff. abgedruckt. 61 Protokoll der DK der ESGiD vom 28.2.–3.3.1962 (EZA BERLIN, 36/89).

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„Wer Koexistenz sagt, begrenzt sich selbst und seine Forderungen an den anderen. Er übt Verzicht und weiß, daß der Friede auch schmerzhafte Opfer verlangt. Er fragt nicht nur: Was ist für mich unaufgebbar?, sondern zugleich: Was kann ich dem anderen zumuten?“62

Diesen sehr allgemein formulierten Passus sahen sie durch Aussagen eines Memorandums, das im Februar 1962 von acht evangelischen Laien und Theologen publiziert wurde, im Hinblick auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete entscheidend konkretisiert63. Die Frage der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze wurde in protestantischen Kreisen schon seit einigen Jahren, wenn auch zunächst sehr vorsichtig und verhalten diskutiert64. Bereits in dem von der EKU-Synode am 13. Februar 1959 verabschiedeten „Notwort an das deutsche Volk und an die großen Mächte“ war von der Bereitschaft zu – nicht näher benannten – Opfern gesprochen worden, „die auch einem neuen Zusammenleben der Völker dienen“65. Das Wort der Bruderschaften vom 29. September 1961 forderte die Politiker dazu auf, sich der Fragen der „Befriedung der Ostgrenzen“ und der „Normalisierung in den Beziehungen zu den Oststaaten“ zu stellen66. Die Handreichung „Zur Friedensfrage“ hatte von „schmerzhaften Opfern“ gesprochen und ihr Mitverfasser Wilkens kommentierend von „überfällige[n] Nationalismen“ und „unrealistische[n] Einseitigkeiten“67. Alle diese mehr oder weniger vorsichtigen Äußerungen konnten im Sinne des Verzichts auf eine Revision der deutschen Ostgrenze und die Rückgabe der Gebiete jenseits von Oder und Neiße gelesen werden. Deutlich ausgesprochen und von der politischen und kirchlichen Öffentlichkeit wahrgenommen wurden diese politischen Forderungen aber erst in dem von den Studentengemeinden auf ihrer Delegiertenkonferenz begrüßten so genannten „Tübinger Memorandum“, welches der gleichzeitig erscheinenden Handreichung „Zur Friedensfrage“ die öffentliche Aufmerksamkeit in der Bundesrepublik weitgehend entzog. Die Verfasser des Memorandums68 kamen aus Wissenschaft, Bildung und Medien, verfügten über hohes Ansehen in der bundesdeutschen Öffentlichkeit und waren keiner kirchenpolitischen Gruppe zuzuordnen69. Vier von ihnen gehörten dem Führungskreis der Evangelischen Studiengemeinschaft an. Allen gemeinsam war eine „liberal-demokratische Wertehierarchie“, die zu dieser Zeit in evangelisch-kirchlichen Kreisen noch keineswegs selbstverständlich war70. Die kurze Denkschrift hatten die Acht, wie sie sagten, verfasst, um „mehr Wahrheit“ in die 62 KJ 88, 1961, S. 79. 63 Protokoll der DK der ESGiD vom 28.2.–3.3.1962 (EZA BERLIN, 36/89). 64 Ausführlich hierzu: H. RUDOLPH, Kirche, S. 1–68 und T. HECK, EKD, S. 113–131. 65 Siehe oben Kap. 2.2.3 und KJ 86, 1959, S. 77. 66 Siehe oben und KJ 88, 1961, S. 81. 67 Siehe oben. 68 Es handelte sich um Hellmut Becker, Joachim Beckmann, Klaus von Bismarck, Werner Heisenberg, Günter Howe, Georg Picht, Ludwig Raiser sowie Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker. Vgl. KJ 89, 1962, S. 78. Näheres zu den Unterzeichnern s. bei: M. GRESCHAT, Kontinuitäten, S. 12f. 69 M. GRESCHAT, Wahrheit, S. 493. 70 Vgl. M. GRESCHAT, Kontinuitäten, S. 13.

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Politik zu bringen71. Dabei verzichteten sie darauf, ihre politischen Forderungen in einen theologischen Begründungszusammenhang zu stellen. In dem Memorandum warfen sie den bundesdeutschen Parteien vor, gegenüber der Bevölkerung nationale und internationale Realitäten zu verschleiern und dringend anstehende Entscheidungen aufzuschieben. Diese Behauptung exemplifizierten sie anhand von Beispielen aus den Bereichen Außenpolitik, Rüstungspolitik, Notstandsgesetzgebung, Sozialpolitik sowie Schulpolitik. Auf außenpolitischem Gebiet vermissten sie eine „aktive Außenpolitik“, die zu einer „Normalisierung der politischen Beziehungen zu den östlichen Nachbarn Deutschlands“ führte, und forderten die Anerkenntnis, „dass wir den Souveränitätsanspruch auf die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie werden verlorengeben müssen.“72 Ebenso müsse eingesehen werden, dass das „nationale Anliegen der Wiedervereinigung in Freiheit heute nicht durchgesetzt werden“73 und folglich nur ein Fernziel sein könne. Den Kampf um die Freiheit West-Berlins sowie um das Selbstbestimmungsrecht der „Deutschen in der DDR“ betrachteten die Acht hingegen als „unabdingbaren Grundbestand jeder überhaupt denkbaren deutschen Politik“74. Hierbei berief man sich weniger auf nationales Interesse, als vielmehr auf die Menschenrechte der Freiheit und Selbstbestimmung, „deren Verteidigung das westliche Bündnis dient.“75 Die bisherige Verknüpfung dieser menschenrechtlich begründeten Forderungen mit dem „nationalen“ Anspruch auf Wiederherstellung der Grenzen von 1937 in der westdeutschen Außenpolitik hatte nach Ansicht der Verfasser dazu geführt, „dass auch unsere unabdingbaren Rechte durch diese Politik in der Weltöffentlichkeit in ein zweifelhaftes Licht gerückt worden sind.“ Unverblümt konfrontierten sie die Öffentlichkeit mit dem Dilemma bundesrepublikanischer Außenpolitik, die sich jenseits des Ost-West-Konflikts durch ihre Revisionsbestrebungen und Rechtsvorbehalte in einen Konflikt mit ihren östlichen Nachbarn gebracht hatte, in dem sie immer weniger mit der Unterstützung der Westmächte rechnen konnte, die vorrangig an einer Stabilisierung des europäischen Status quo interessiert waren76. Das Memorandum war ein Zeugnis für den Wandel der Öffentlichkeit und eine zunehmende Öffnung der politischen Diskussion während der sechziger Jahre77. Seine Resonanz in den westdeutschen Medien, Parteien, Verbänden und auch in der evangelischen Kirche war ebenso gewaltig wie vielfältig78. Im Zentrum der öffentlichen 71 M. GRESCHAT, Wahrheit, S. 500. 72 KJ 89, 1962, S. 76. 73 EBD. 74 EBD., S. 75. 75 EBD., S. 76. 76 Zu diesem konstitutiven Doppelkonflikt der Bundesrepublik vgl. R. LÖWENTHAL, Krieg. 77 Vgl. H. RUDOLPH, Zeit, S. 64f. 78 Ursprünglich war das Memorandum nicht für die Öffentlichkeit, sondern für interne Gespräche mit Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen bestimmt gewesen. Durch eine Indiskretion wurden jedoch Textteile publik, woraufhin sich die Verfasser zur Veröffentlichung des gesamten Textes entschlossen. Vgl. KJ 89, 1962, S. 75. Zu den Reaktionen vgl. EBD., S. 78–86 sowie T. HECK, EKD, S. 136–148 und M. GRESCHAT, Wahrheit, S. 507–513.

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Diskussion standen dabei vor allem die Aussagen des Memorandums zur Oder-Neiße-Linie als deutscher Ostgrenze. Politiker und politische Gruppen verwiesen auf die Abmachungen der Potsdamer Konferenz von 1945, denenzufolge die endgültige Regelung der Oder-Neiße-Frage einem Friedensvertrag für ganz Deutschland vorbehalten werden sollte. In einer vorzeitigen „Verzichtserklärung“ sahen einige unter ihnen nicht nur politische Ungeschicktheit, sondern gar „Landesverrat“79. Die Flüchtlinge und Vertriebenen und ihre Verbände pochten auf ihr „Recht auf Heimat“, das durch die Vertreibung missachtet worden sei, und forderten politische Maßnahmen zu dessen Durchsetzung. Auch innerprotestantisch standen sich Befürworter und Gegner einer Anerkennung der deutschen Gebietsverluste im Osten schroff gegenüber. Einige evangelische CDU-Bundestagsabgeordnete veröffentlichten eine umfangreiche Stellungnahme zu dem Memorandum, in dem sie u. a. die Entkoppelung von Wiedervereinigung und Regelung der Ostgrenzen kritisierten, vermutlich aus der Befürchtung heraus, dass damit auch der Anspruch auf Vereinigung in den Grenzen der beiden deutschen Staaten in Zukunft begraben werden müsse80. Auf entschiedene Ablehnung stieß das Memorandum im Ostkirchenausschuss der EKD, der seit 1946 die kirchlichen Belange der Vertriebenen wahrnahm81. Zustimmend äußerte sich hingegen der „Beienroder Konvent“, ein aus der Bekennenden Kirche hervorgegangener Zusammenschluss ostpreußischer Pfarrer und Laien82. Im Getümmel der Meinungskämpfe veröffentlichte der Rat der EKD am 10. Mai eine Erklärung, in der er nicht inhaltlich zu dem Memorandum Stellung nahm, sondern sich gegen die diffamierende Kritik an dessen Verfassern wandte, gleichzeitig aber auch deutlich machte, dass das Memorandum nicht in seinem Auftrage geschrieben und veröffentlicht worden war83. Trotz dieser etwas distanzierenden Stellungnahme des Rates war aber klar, dass sich die Kirche den durch das Memorandum gestellten Fragen zur deutschen Ostgrenze zukünftig stellen musste, was sie dann 1965 mit der so genannten Ostdenkschrift auch tat84. Insgesamt sorgte das Memorandum dafür, dass die Frage der deutschen Ostgebiete ins Zentrum der kirchlichen, aber auch der politischen Öffentlichkeit rückte und dort auch geraume Zeit blieb. So stand bei einer IfD-Umfrage vom Januar 1963 auf die Frage: „Was halten Sie für die wichtigste Frage, mit der man sich heute in Westdeutschland allgemein beschäftigen sollte?“ das Thema „Wiedervereinigung (Rückgabe der Ostgebiete)“ bei den Befragten mit 31 % an erster Stelle85. Unter den befragten Protestanten war der Anteil mit 37 % noch höher. Die bundesrepublikanische Öffentlichkeit im Allgemeinen und die Protestanten im Besonderen waren demzufolge für das Thema Wiedervereinigung und deutsche Ostgrenze hoch sensibilisiert. Und 79 Vgl. KJ 89, 1962, S. 82. 80 EBD., S. 79. Vgl. hierzu auch die Äußerungen Gerstenmaiers in einem Rundfunkgespräch am 5.3.1962, paraphrasiert in: T. HECK, EKD, S. 138. 81 Vgl. KJ 89, 1962, S. 82ff. 82 EBD., S. 85. 83 EBD., S. 82. 84 Siehe dazu Kap. 4.2. 85 Zahlen bei G. SCHMIDTCHEN, Protestanten, S. 248.

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diejenigen, die in der Deutschland- und Ostpolitik neue Wege gehen wollten, hatten durch das Memorandum ihr Signal zum Aufbruch erhalten86. In der offiziellen DDR-Presse wurde das Tübinger Memorandum wohlwollend aufgenommen87. Mit Genugtuung sprach das „Neue Deutschland“ von der „Einheitsfront der Revanchisten gegen protestantische Politiker“88. Selbst Ulbricht ging in einer Rede auf der Tagung des Nationalrates der Nationalen Front am 25. März auf das Memorandum ein und interpretierte es ganz im eigenen deutschlandpolitischen Sinne. „Wir haben das Dokument der westdeutschen evangelischen Persönlichkeiten so verstanden“, führte er aus, „dass auch sie die friedliche Koexistenz zwischen Staaten auch in Deutschland für notwendig halten.“89 Ulbricht bezog sich in seiner Rede vor allem auf die Teile des Memorandums zur Rüstungspolitik. In diesen hatten sich die Verfasser dagegen ausgesprochen, dass die Bundesrepublik im Rahmen des britischamerikanischen Konzepts einer gemeinsamen Atomstreitmacht (Multilateral Nuclear Force, MLF) darauf dränge, die Verfügungsgewalt über Atomwaffen zu erhalten90. Der Staatsratsvorsitzende ging allerdings nicht wirklich auf deren Aussagen ein. Er sei davon überzeugt, so Ulbricht, mit den Verfassern des Memorandums und „den vielen gleichgesinnten Bürgern“ darin übereinzustimmen, dass ein Atomkrieg auf deutschem Boden unbedingt verhütet werden müsse. Daher dürfe weder „Kriegspolitik noch Revanchepolitik“ geduldet werden. „Wir sind zu der Schlussfolgerung gelangt“, fuhr Ulbricht fort, „dass die unseren besonderen historischen Bedingungen entsprechende Form für die friedliche Koexistenz der beiden deutschen Staaten eine deutsche Konföderation ist, an der auch das entmilitarisierte, freie und neutrale West-Berlin teilnehmen könnte.“91

Damit wiederholte bzw. fasste Ulbricht seine seit 1956/57 propagierten Konföderationskonzepte zusammen. In dieser Form waren sie auch im so genannten „Nationalen Dokument“ enthalten, dem eigentlichen Gegenstand von Ulbrichts Rede vor der Nationalen Front. Der Text über „Die geschichtlichen Aufgaben der Deutschen Demokratischen Republik und die Zukunft Deutschlands“ wurde an diesem Tag vom Nationalrat der Nationalen Front veröffentlicht und im Januar 1963 vom VI. SEDParteitag bestätigt. Er sollte die historisch-politische Legitimation für die innerdeutsche Abgrenzung durch den Mauerbau liefern sowie die Perspektiven einer künftigen Wiedervereinigung im Sinne der SED aufzeigen. Die Verfestigung der DDR-Eigenstaatlichkeit sollte auf diese Weise mit einer langfristigen, gesamtdeutschen Zielsetzung in Einklang gebracht werden92. Gleichsam als Gegenstück zum Bonner Alleinvertretungsanspruch wurde hierfür aus der deutschen Geschichte ein historisches und 86 87 88 89 90 91 92

Vgl. M. GRESCHAT, Kontinuitäten, S. 13; T. HECK, EKD, S. 142; W. HUBER, Kirche, S. 391. Vgl. Presseausschnitte im BArch KOBLENZ, N 1287/42. ND, 1.3.1962, S. 2. Die Rede wurde auszugsweise abgedruckt in: ND, 28.3.1962, S. 3ff., hier S. 5. KJ 89, 1962, S. 77. ND, 28.3.1962, S. 5. Vgl. K. ERDMANN, Nationalstaat, S. 138.

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moralisches Alleinvertretungsrecht der DDR, eine Art „nationale Mission der DDR in Deutschland“93 abgeleitet. Der „Sieg des Sozialismus“ in der DDR und später auch in der Bundesrepublik wurde in dem Dokument als „entscheidende Voraussetzung für die Lösung der nationalen Frage“ definiert. Die Entwicklung in der DDR habe bewiesen, dass Sozialismus und die nationalen Interessen des deutschen Volkes völlig übereinstimmten. In die von der SED inszenierte „Aussprache“ über das „Nationale Dokument“ in der Bevölkerung der DDR wurden auch die Kirchen einbezogen. Nur wenige Pfarrer folgten aber der Einladung staatlicher Stellen zu den Gesprächen, in denen auch die Auseinandersetzung um die Handreichung „Zur Friedensfrage“ weitergeführt wurde94. Bischof Krummacher forderte hingegen die Landeskirchen dazu auf, das „Nationale Dokument“ aufmerksam zu studieren95. Ausgehend von einer Reflexion über „Schuld und Versäumnis der Vergangenheit“, so empfahl er, sollte die Kirche zu einem „im christlichen Glauben begründete[n] Urteil“ über das Dokument finden. Eine Gruppe „kirchlicher Experten“ beschäftigte sich daraufhin mit dem Text und stellte das Ergebnis ihrer Überlegungen im Juli 1962 den Landeskirchen zur Verfügung96. Sie kritisierten darin vor allem die einseitige Geschichtsbetrachtung des „Nationalen Dokuments“, die von Christen nicht übernommen werden könne97. Auf dem IV. Parteitag der SED wurde neben dem „Nationalen Dokument“ auch ein Sieben-Punkte-Vorschlag zur Lösung der Deutschlandfrage verabschiedet. Diesem Vorschlag Ulbrichts zufolge sollten „Schritt um Schritt“ die Voraussetzungen für „sachliche und normale Beziehungen“ zwischen den beiden deutschen Staaten geschaffen werden98. Hierfür wurde ein „Abkommen der Vernunft und des guten Willens“ befürwortet, das von der „Existenz zweier deutscher Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung“ ausging und u. a. den gegenseitigen Gewaltverzicht, die Anerkennung der deutschen Grenzen, den Verzicht auf die Verfügungsgewalt über Kernwaffen, einen Rüstungsstopp, gegenseitige Anerkennung der Staatsbürgerschaft, Herstellung normaler sportlicher und kultureller Beziehungen sowie den Abschluss eines Handelsvertrages enthalten sollte. Ähnlich wie beim Nationalen Dokument war es auch hinsichtlich des Sieben-Punkte-Vorschlags Friedrich-Wilhelm Krummacher, der auf kirchlicher Seite für eine konstruktive Auseinandersetzung mit diesem Vorstoß der SED warb. Seine Motivlage hierfür ist nicht mit letzter Sicherheit zu klären, doch liegt die Vermutung nahe, dass der Bischof sich durch dieses Verhalten eine Verbesserung seiner Beziehungen zu den staatlichen Stellen erhoffte, die ihn weder als Sprecher 93 EBD., S. 137. 94 So OLKR Knospe über die Situation in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Sachsen. Vgl. Niederschrift über die Sitzung der KKL am 11.5.1962 (EZA BERLIN, 102/10). Ähnliches wurde auch aus der EKiBB vermeldet. Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 529. 95 Niederschrift über die Sitzung der KKL am 11.5.1962 (EZA BERLIN, 102/10). 96 Auszug aus dem Aktenvermerk über die Sitzung der KKL am 6.7.1962 (EZA BERLIN, 104/596). 97 EI vom 10.7.1962 über die Neuwahl des Vorsitzenden und Stellvertreters der KKL in der DDR und Hinweise zu der gegen die DDR gerichteten kirchenpolitischen Linie (BStU BERLIN, MfS ZAIG 627). 98 Der Wortlaut des Vorschlages ist abgedruckt in: KJ 90, 1963, S. 153f.

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der KKL akzeptierten noch zu ökumenischen Veranstaltungen ausreisen ließen. Am 5. Februar bat Krummacher den Staatssekretär für Kirchenfragen, der sich in Greifswald aufhielt, um ein Gespräch. Seigewasser zufolge versuchte der Bischof darin zu erfahren, ob es für ihn überhaupt noch einen Sinn habe, Anträge für Auslandsreisen zu stellen99. Der Staatssekretär antwortete, dies hänge von seinem Verhalten ab. Im weiteren Gespräch wurde deutlich, was er damit meinte. Zunächst kritisierte er Krummachers Schweigen „zu wirklichen Lebensfragen des deutschen Volkes, wie etwa zur friedlichen Lösung der deutschen Frage, zu den konstruktiven Verständigungs- und Abrüstungsvorschlägen der Regierung der DDR und zum Beispiel zum in der ganzen Welt diskutierten 7-Punkte-Programm der Vernunft und des guten Willens“100.

Nach der Kritik erklärte Seigewasser dem Bischof, was man von ihm erwartete. Von der Verwirklichung des Sieben-Punkte-Programms, „besonders in Westdeutschland“, argumentierte Seigewasser, hänge „zum guten Teil die Sicherheit und das Leben deutscher Menschen ab, übrigens auch das der Kirchen. Wir würden also das Ja zum 7-Punkte-Programm für ein Ja zum Frieden und damit zum Leben halten. Hier könnte, ja hier müßte ein Bischof seine Meinung sagen, sofern er christliches Verantwortungsbewußtsein ernst nimmt.“101

Anschließend fragte er Krummacher direkt, ob er es nicht für vernünftig hielte, wenn ostdeutsche Kirchenvertreter ihren westdeutschen Amtsbrüdern den Rat geben würden, die Grundgedanken des Sieben-Punkte-Programms zu übernehmen und die Anerkennung der DDR „als bestehende Realität“ zu fordern102. Krummacher wies diese Indienstnahme für die Anerkennungspolitik der DDR nicht zurück, erklärte aber, dass sein öffentliches Ja zum Sieben-Punkte-Programm in Kirchenkreisen den Eindruck erwecken würde, er wolle sich mit einer solchen Erklärung die Teilnahme an der ökumenischen Arbeit erkaufen. Der Staatssekretär ging jedoch mit der Überzeugung aus dem Gespräch, dass es möglich sei, den Bischof für eine Stellungnahme zugunsten von Ulbrichts Vorschlag zu gewinnen. Denn Krummacher hatte in Aussicht gestellt, sich eventuell im Rahmen der Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten des ÖRK, deren Mitglied er war, zu dem Sieben-Punkte-Vorschlag zu äußern103. Sechs Tage später gab der Greifswalder Bischof dem „Evangelischen Nachrichtendienst Ost“ ein Interview104. Darin befürwortete er konkrete politische Schritte hinsichtlich der deutschen Frage, um die Folgen der Teilung zu mildern und zur Entspannung beizutragen. Wörtlich sagte er: 99 Protokoll Seigewassers vom 11.2.1963 über das Gespräch am 5.2.1963 (BStU BERLIN, MfS AP 10667/92). 100 EBD. 101 EBD. 102 EBD. 103 Vermerk Krummachers vom 6.2.1963. Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 120. 104 Veröffentlicht wurde das Interview im eno, 13.2.1963. Wiederabdruck in: KJ 90, 1963, S. 155f.

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„Das könnte, wie ich meine, zum Beispiel durch einen entschlossenen Abbau mancher starr gewordener politischer Doktrinen und illusionärer Vorurteile geschehen. Ich denke beispielsweise an Illusionen hinsichtlich des Faktums der nun einmal bestehenden deutschen Staaten und ihren Grenzen.“105

Im weiteren Verlauf des Gesprächs berichtete er über einen Brief an das Londoner Büro der CCIA vom 10. Februar106. Darin habe er gefragt, „[. . .] ob es nicht an der Zeit wäre, auf der Grundlage der ‚Vernunft und des guten Willens‘, wie es der Vorsitzende des Staatsrates der DDR ausgedrückt hat, den von ihm entwickelten SiebenPunkte-Vorschlag für ein sachliches Näherkommen der Menschen in beiden deutschen Staaten ernster zu prüfen, als das offensichtlich unsere westdeutschen Brüder zur Zeit tun.“107 Krummacher hatte sich damit nicht alle Forderungen des SiebenPunkte-Vorschlages zu Eigen gemacht. Allein die Tatsache aber, dass er sich auf einen Vorschlag Ulbrichts positiv bezogen hatte, sorgte schon für Aufregung. In ost- und westdeutschen Kirchenkreisen erfuhren Brief und Interview sowohl Zustimmung als auch Kritik108. Günter Jacob begrüßte den Schritt Krummachers und stimmte selbst dem Sieben-Punkte-Vorschlag Ulbrichts zu. Eine ähnliche öffentliche Stellungnahme wie die Krummachers lehnte er für sich aber ab, um nicht „weitere Einflußmöglichkeiten auf bestimmte Kirchen- und Gemeindekreise zu verlieren.“109 Bei einem Gespräch der ostdeutschen Ratsmitglieder Beste und Mager mit einigen Ratsmitgliedern aus der Bundesrepublik am 28. Februar in Berlin, betonten die beiden Ostdeutschen, dass der Greifswalder Bischof nicht die „geschlossene [. . .] Meinung der Gliedkirchen in der DDR“ wiedergegeben habe110. Sie bedauerten seinen „Alleingang“ in dieser Angelegenheit. Zugleich ordnete Beste den Vorfall in die übergeordnete Fragestellung, das Verhältnis von Staat und Kirche in der DDR, ein. Er berichtete über ein Gespräch mit Staatsvertretern und wies darauf hin, dass es sehr schwer zu vermeiden sei, dass in der allgemeinen und in der kirchlichen Öffentlichkeit solche Gespräche missverstanden würden, da die Kirche diese nicht darüber informieren könne. Die Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens betrachtete das Krummacher-Interview gleichfalls als Teil einer grundsätzlicheren Frage: In welcher Weise sollten sich die Kirche und ihre Amtsträger zu politischen Gegenständen äußern? In ihrer Erklärung vom 21. März bezog sich die Synode auf einen Grundsatz der Bekennenden Kirche, wonach „Kirche Kirche bleiben müsse“, und unterstrich, dass die Kirche, wolle sie ihrem Auftrag treu bleiben, es unterlassen müsse, „zu bestimmten Vor105 EBD., S. 155. 106 Eine Abschrift des Briefes findet sich in BArch KOBLENZ, N 1439/10. Siehe auch unten Kap. 3.2.3. 107 KJ 90, 1963, S. 156. 108 In der Beurteilung des Krummacher-Briefes gab es keinen kirchlichen Ost-West-Gegensatz. A. Mäkinens Aussage, Krummachers Initiative dokumentiere, dass der Mauerbau auch die Kirchen gespalten habe, ist daher zu undifferenziert. Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 128. 109 Aktenvermerk von Carl Ordnung vom 1.3.1963 über einen Besuch von Jacob bei Götting am 28.2.1963 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII/013/3495). 110 Aktenvermerk Behms (EZA BERLIN, 104/39). An der Begegnung nahmen teil: Wilm, Niesel, Smidt, Riedel, Brunotte, Koch, Beste, Mager, Schmitt sowie Behm.

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schlägen, Programmen und Vorgängen im politischen Bereich Stellung zu nehmen.“111 Damit wurde kein kirchlicher Rückzug aus der öffentlichen Verantwortung gefordert, wohl aber die Grenze des Zulässigen dort gezogen, wo das kirchliche Wort für solche politischen Fragen und Entscheidungen in Anspruch genommen werden sollte, bei denen nicht mit der Autorität vom Wort Gottes her gesprochen werden konnte. Die offizielle Presse der DDR und der Bund Evangelischer Pfarrer in der DDR polemisierten heftigst gegen die als „Schweigewort“ titulierte Erklärung der Synode112. In der Bundesrepublik nahm Wilkens das Interview Krummachers zum Anlass, um in den „Lutherischen Monatsheften“ über die mangelnden deutschlandpolitischen Initiativen der EKD seit Mitte der fünfziger Jahre und die unterschiedlichen Positionen in dieser Frage in Ost und West zu reflektieren113. Die Äußerungen des Greifswalder Bischofs hatten Wilkens zufolge deutlich gemacht, dass die führenden kirchlichen Persönlichkeiten in der DDR sich vom Gedanken eines Überwinterns „bis zum baldigen Frühling der Wiedervereinigung“ endgültig verabschiedet hätten. Die Westdeutschen müssten akzeptieren lernen, dass die Menschen in der DDR hinsichtlich der deutschen Teilung zu einem realistischeren Denken übergegangen seien und sich stärker auf Teillösungen als auf Fernziele konzentrierten. Von der EKD forderte Wilkens mehr Eigeninitiative in der Deutschlandfrage. Sie sollte den „sichtbaren Schritt aus der Rechtsgemeinschaft in die Handlungsgemeinschaft“ machen und ihre Brückenfunktion nicht lediglich verbal beschwören. Auf der nachfolgenden Synode in Bethel blieb jedoch ein deutschlandpolitischer Impuls aus. Die ostdeutschen Ratsmitglieder hatten darum gebeten, dass auf der Synode nicht über das Krummacher-Interview gesprochen werde114, so dass dieser Ansatzpunkt für eine deutschlandpolitische Diskussion entfiel. Stattdessen stritten sich während der Aussprache über den Bericht des Ratsvorsitzenden Heinrich Vogel und Eugen Gerstenmaier über die Deutschlandpolitik der Adenauerregierung und die Haltung der EKD zu ihr. Der Grenzgänger Vogel, der sowohl an der West-Berliner Kirchlichen Hochschule als auch an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin lehrte, erklärte in Bethel provokant, dass „die Mauer, politisch gesehen, von beiden Seiten gebaut worden“ sei115. Zugleich warnte er davor, dass der Mauerbau zum Anlass für eine „Wiedergeburt des deutschen Nationalismus“ werden könne. Vogel forderte, dass die Mauer und der durch sie ausgelöste Schmerz Anstoß sein sollten „zu einer Buße, zu einer wirklichen Umkehr, aber bis in die politischen Fragestellungen hinein“116. Gerstenmaier entgegnete den pointierten Ausführungen Vogels mit ähnlich scharfen Worten: „[. . .] diese Mauer ist gebaut, um aus einem Herzstück unseres deutschen Landes ein Gefängnis zu machen.“117 Im Zusammenhang mit diesem Schlagabtausch schlug 111 112 113 114 115 116 117

Die Erklärung ist abgedruckt in: KJ 90, 1963, S. 157f., hier S. 158. Vgl. KJ 90, 1963, S. 158–164. LM 2, 1963, S. 97. Aktenvermerk Behms über die Begegnung der Ratsmitglieder am 28.2.1963 (EZA BERLIN, 104/39). BETHEL 1963, S. 87. EBD. EBD., S. 94f.

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der Pfälzer Synodale Georg Jung vor, die Synode solle eine Kommission einrichten, die die Positionen der EKD in der Deutschlandfrage zwischen der Synode von Weißensee 1950 und 1963 reflektiere118. Dieser Vorschlag zu einer deutschlandpolitischen Rückschau und Bilanz stieß auf wenig positive Resonanz. Gerstenmaier missdeutete ihn dahingehend, als solle sich die EKD zum „Obergericht politischer Art über die politischen Entscheidungen eines Volkes“ aufschwingen119. Eine Diskussion über mögliche Fehler der Vergangenheit – die er nicht völlig abstritt, zumal er in deutschlandpolitischen Fragen nicht immer gleicher Meinung wie Adenauer gewesen war – hielt er für nutzlos. Dass man deutschlandpolitisch mit den alten Rezepten nicht mehr weiter kam, war allerdings auch Gerstenmaier klar. Im Juni 1963, d. h. zu einem Zeitpunkt, als noch mehr als die Hälfte der Protestanten in der Bundesrepublik die Teilung Deutschlands für „ein[en] ganz unerträgliche[n] Zustand“ hielten120, warnte der Bundestagspräsident die deutsche Öffentlichkeit vor „Wiedervereinigungs-Illusionen“ und forderte eine neue Deutschlandpolitik. Bei der UNO, so erklärte der gerade von einer USAReise zurückgekehrte Gerstenmaier selbst reichlich desillusioniert, würde man das Thema Wiedervereinigung mit Schulterzucken quittieren und jedes Gespräch abrupt beenden, sobald man auf die Wiederherstellung der deutschen Grenzen von 1937 dränge121. Ein halbes Jahr später, im Januar 1964, erhielt Gerstenmaier einen Brief, den die zwei Dresdner „fortschrittlichen“ Pfarrer Walter Feurich und Dieter Frielinghaus an ihn, Scharf, Heinemann sowie einige führende evangelische Politiker gerichtet hatten. Die beiden warben darin für eine neue deutsche Friedensinitiative, in der beide deutsche Staaten dauerhaft auf Atomwaffen verzichten und damit der Welt und der deutschen Bevölkerung einen Hilfsdienst erweisen sollten. Hintergrund dieses Briefes war ein Schreiben Ulbrichts an den neuen Bundeskanzler Ludwig Erhard vom 6. Januar. Angesichts der sowjetischen Ankündigung, die DDR im Falle der Verwirklichung des Planes einer multilateralen Atomstreitmacht der NATO ebenfalls nuklear zu bewaffnen, schlug der Staatsratsvorsitzende darin einen Verzicht beider deutscher Staaten auf Kernwaffen vor. Die Bundesregierung sandte dieses Schreiben ungeöffnet zurück. Den Brief von Frielinghaus und Feurich beantwortete der Bundespräsident privat122 und öffentlich. In seiner monatlichen Rundfunkrede „Zur Zone“ im Westdeutschen Rundfunk deutete er ihn ganz unter den politisch-ideologischen Leitbegriffen „Frieden“ und „Freiheit“. Zu Ulbrichts Vorschlag, für den die beiden Pfarrer geworben hatten, meinte der Bundestagspräsident, er sei darauf angelegt, die Bundesrepublik

118 EBD., S. 105f. 119 EBD., S. 109. 120 Exakt waren es 53 % der Protestanten und nur 45 % der Katholiken. Vgl. G. SCHMIDTCHEN, Protestanten, S. 249. 121 „Gerstenmaier gegen Wiedervereinigungs-Illusionen“. In: Stuttgarter Zeitung, 21.6.1963. 122 Kopie eines Schreiben von Gerstenmaier an Feurich und Frielinghaus vom 18.2.1964 (SAPMOBArch BERLIN, DY 30/IV A2/14/27).

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aus der NATO herauszubrechen, die Amerikaner aus Europa zu vertreiben und „damit ganz Deutschland dem Druck und Zugriff Moskaus und Pankows auszuliefern.“123 Die Bevölkerung der DDR sollte sich, so Gerstenmaier, die „Unterlegenheit der kommun[istischen] Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung im Wettlauf mit der freien Welt durch keine Propaganda und keinen Friedensappell à la Ulbricht vernebeln lassen.“124 Für Gerstenmaier war der Brief der beiden Pfarrer ein Beispiel, wie Menschen in dem „Bedürfnis nach Frieden“ schließlich auch „ihren Frieden mit dem System“ machten, das „den nach Gottes Willen zu Freiheit und Selbstverantwortung geschaffenen Menschen in seinem ganzen Denken, Tun und Lassen der Partei- und Staatsdoktrin von der Wiege bis zur Bahre unterwirft.“125 Hier gebiete aber, so der EKDSynodale, „das Christentum und die Menschlichkeit nicht Friede, sondern Widerstand.“126 Die östliche Seite reagierte auf Gerstenmaiers Kalte-Kriegs-Rhetorik mit einer Pressekonferenz in Dresden. Dort erklärten Frielinghaus und Feurich, es sei gegenwärtig Aufgabe der Kirchenleitungen in beiden deutschen Staaten, zur „nationalen Frage“ Stellung zu nehmen und die Bonner Politiker aufzufordern, Abstand von der Aufrüstung und der Verfügungsgewalt über Atomwaffen zu nehmen127. Sie seien bereit, jederzeit in der Bundesrepublik zu der Gerstenmaier-Rede Stellung zu nehmen oder auch mit dem Bundestagspräsidenten zu reden. Dieser Appell der beiden Pfarrer lag ganz auf der Linie der kirchenpolitischen Konzeption, wie sie das Politbüro bereits am 16. Juli 1963 beschlossen hatte128. Sie sah eine „Kampagne nach Westdeutschland“ vor, „gegen alle Erscheinungen der Kriegshetze innerhalb der Kirche und ihrer Einrichtungen“. Diese sei mit der Forderung zu verbinden, „endlich die unbewältigte Vergangenheit zu bewältigen“129. Dazu gehöre „die Überwindung des Revanchismus, des Militarismus und der Kriegshetze.“ Keine „Propaganda für den Atomkrieg und für Aufrüstung“ dürfe in der Kirche zugelassen werden, „sondern Bekenntnisnahme zur Abrüstung und zum 7-Punkte-Vorschlag für ein Abkommen der Vernunft und des guten Willens.“ In der DDR müssten alle „Kirchenanhänger für die Unterstützung des 7-Punkte-Vorschlages gewonnen werden; d. h. sie sollen erklären, daß normale 123 Rundfunkansprache Gerstenmaiers im NDR am 17.2.1964. Abschrift im SAPMO-BArch BERLIN, DY 30/IV A2/14/27. 124 EBD. 125 EBD. 126 EBD. 127 Notiz über einen Anruf „vom Genossen Engel“ über die Pressekonferenz in Dresden (SAPMOBArch BERLIN, DY 30/IV A2/14/27). 128 Auszug aus dem Protokoll Nr. 22/63 der Sitzung des Politbüros des ZK der SED am 16.7.1963, Beschlusspunkt 12: Konzeption für die weitere Arbeit auf dem Gebiet der Kirchenpolitik. SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 425. 129 Diese Bemerkung ist im Zusammenhang mit dem Wort des Rates der EKD zu den NS-Verbrecherprozessen vom 13.3.1963, dem am 20.12.1963 beginnenden Auschwitz-Prozess in der Bundesrepublik und der mit großer propagandistischer Begleitung sich vollziehenden Verurteilung von Hans Globke, Staatssekretär im Bundeskanzleramt, durch das Oberste Gericht der DDR am 23.7.1963 zu sehen.

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Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten die Voraussetzung dafür sind, daß normale Beziehungen auch zwischen den Kirchen in beiden deutschen Staaten hergestellt werden können.“ Im Dienste dieser „Kampagne“ wurde der Appell von Frielinghaus und Feurich in Leipzig unter christlichen Messebesuchern verteilt und im Rundfunk propagiert130. Eine Eingabe der beiden Pfarrer an die Kirchenkanzlei im gleichen Tenor wurde auf Beschluss der östlichen Ratsmitglieder nicht beantwortet131. Ähnliche Eingaben waren auch an alle Kirchenleitungen ergangen. Vor dem Hintergrund des Ulbrichtbriefs an Erhard vom Januar, dem am 25. Mai ein zweiter gefolgt war, schrieb am 13. August Johannes Jänicke aus Anlass des 50. bzw. 25. Jahrestages der Kriegsausbrüche 1914 und 1939 an den Bundeskanzler und den Bundestagspräsidenten. Der Magdeburger Bischof verwies zunächst auf die „gemeinsame Schuld“ der Deutschen in Ost und West und sprach von der sich daraus ergebenden „gemeinsamen Aufgabe für den Frieden“132. Anschließend beklagte er bitter die deutschlandpolitische Situation: „Ich kann in diesem Zusammenhang auch nicht verschweigen, dass das Gerede vom ‚unteilbaren Deutschland‘ und von dem nicht aufgegebenen Fernziel der Wiedervereinigung hier weithin nur mit Bitterkeit, ja mit Hohn beantwortet wird. 1½ Jahrzehnte müssen wir nun unter diesen kaum mehr zu ertragenden Reden zusehen, wie sich die beiden Teile Deutschlands auseinanderleben und die gegenseitige Verständigung immer schwieriger wird.“

Jänicke fragte Erhard und Gerstenmaier, ob sie denn wirklich glaubten, man könne der Wiedervereinigung näher kommen, ohne dass Kontakte aufgenommen würden. Auch könne Wiedervereinigung doch niemals so aussehen, „dass der eine Teil Deutschlands vom anderen vereinnahmt“ werde, kritisierte der Bischof133. Ziel seines Briefes war es, die Angesprochenen zu einem deutschlandpolitischen Kurswechsel zu bewegen, der die Aufnahme von Gesprächen mit den politisch Verantwortlichen in der DDR einschloss. „Dass Kirchenmänner in beiden Teilen Deutschlands dabei zu diakonischer Hilfe gegebenenfalls bereit wären“, glaubte Jänicke versichern zu können134. Der Magdeburger Bischof erhielt von Erhard keine schriftliche Antwort auf seinen Brief. In einem Entwurf zu einem Antwortschreiben, der im BMG für das Bundeskanzleramt erstellt wurde, hieß es jedoch in scharfem Ton: „Wenn sie, sehr verehrter Herr Bischof, und andere evangelische Kirchenführer mit dazu helfen wollen, dass die Voraussetzungen eines echten Gespräches zwischen verantwortlichen Politikern aus beiden Teilen Deutschlands geschaffen werden, so halte ich es für unerläßlich, dass der qualitative Unterschied zwischen einer totalitären und freiheitlich-demokratischen 130 EBD. 131 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung der Ratsmitglieder aus der DDR am 19.3.1964 (EZA BERLIN, 104/596). 132 Der Brief ist ausschnittsweise abgedruckt in: J. JÄNICKE, Ich, S. 212f. 133 EBD., S. 213. 134 EBD.

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Gesellschaftsordnung klar erkannt und festgehalten wird. Eine unkritische und undifferenzierte Gleichsetzung von Ost und West, wie sie auch Ihrem Brief zugrunde liegt, verdeckt die eigentlichen Probleme und kann deshalb der Verwirklichung Ihres Anliegens, das auch ich bejahe, nicht förderlich sein.“135

Bundestagspräsident Gerstenmaier antwortete schriftlich auf Jänickes kritische Anfrage an die Deutschlandpolitik der Bundesregierung. Er erklärte, dass er eine Diskussion über eine Entmilitarisierung oder Neutralisierung ganz Deutschlands für sinnlos halte, solange auch einem neutralisierten Deutschland die Wiedervereinigung verweigert werde136. Bezug nehmend auf Jänickes Aussagen zur Schuld der Deutschen schrieb Gerstenmaier: „Die Ablehnung solcher Gespräche ist kein Zeichen mangelnder Bußfertigkeit, sondern bedeutet, dass wir nicht bereit sind, mit denen ergebnislos Gespräche zu führen, die heute noch mit Millionen Deutschen in vielen Stücken kein Haar anders umgehen, als es die Nazis einst mit uns allen getan haben.“137

Am Ende seines schroffen Schreibens unterstellte der Bundestagspräsident der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen, auf Druck des Staates hin die Konfirmation abgeschafft zu haben. Jänicke rückte diesen Vorwurf in einem Antwortschreiben zurecht. Die Konfirmation sei nicht abgeschafft, sondern neu geordnet worden und dies sei keineswegs auf politischen Druck hin geschehen. Die Behauptung Gerstenmaiers war ihm ein Zeichen, „wie wenig wir voneinander wissen und wie falsch wir unsere Situation gegenseitig beurteilen“138. Ansonsten hielt er Gerstenmaiers Ausführungen für einen Beweis, dass man die Ostdeutschen „abgeschrieben“ habe139. Aus Anlass der 25. Wiederkehr des Kriegsbeginns verfasste Jänicke auch einen Hirtenbrief, in dem er auf der Grundlage theologischer Überlegungen zu Schuld und Versöhnung ebenfalls auf deutschland- und friedenspolitische Fragen einging140. Weil die Deutschen durch militärische Gewalt an anderen Völkern „so schrecklich schuldig“ geworden seien, so der Bischof, sollten sie jetzt den Anfang zu einem „atomwaffenfreien, entmilitarisierten Raum“ machen, „der sich als ein Bereich des Friedens auf andere Gebiete der Erde ausbreiten könnte.“ Als weiteren „Schritt zur Versöhnung“ nannte Jänicke „eine Absage an jede Form des Kalten Krieges“ und damit auch an den deutsch-deutschen Propagandakampf141. Zusätzlich zu seinem Hirtenbrief hielt der Magdeburger Bischof zum Gedenken an den Kriegsausbruch am 30. August gemein135 Entwurf eines Antwortschreibens an Jänicke von Staatssekretär Franz Thedieck (BMG), der am 6.10.1964 an den Chef des Bundeskanzleramtes ging. Die Erstfassung des Entwurfs stammte von dem ehemaligen Magdeburger Oberkonsistorialrat Johannes Anz, der von Ministerialrat von Zahn zu einer Abfassung aufgefordert worden war (BArch KOBLENZ, B 137/1940). 136 Ausschnitte des Briefes in: J. JÄNICKE, Ich, S. 213f., hier S. 213. 137 EBD., S. 214. 138 Teilabdruck des Antwortschreibens von Jänicke in: EBD., S. 215. 139 EBD., S. 214. 140 In Teilen abgedruckt in: KJ 91, 1964, S. 79f. 141 EBD., S. 80.

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sam mit Mitzenheim in Weimar einen Friedensbittgottesdienst, über den die „Neue Zeit“ auf ihrer ersten Seite berichtete142. Der Thüringer Bischof war es auch, der Jänicke zu seinem Hirtenbrief inspiriert hatte. Denn Mitzenheim hatte bereits am 6. August eine Kundgebung an die Gemeinden erlassen, die in den Gottesdiensten verlesen werden sollte143. Darin forderte er – wie auch Jänicke nach ihm –, dass insbesondere die Deutschen, die „schwer an der Blutschuld des letzten Vernichtungskrieges zu tragen“ hätten, für einen atomwaffenfreien Raum in Mitteleuropa eintreten sollten. Auf diese Kanzelabkündigung nahm Ulbricht bei seinem Gespräch mit Mitzenheim am 18. August auf der Wartburg mehrfach positiv Bezug. Das so genannte „Wartburggespräch“ wurde staatlicherseits genau geplant, durchgeführt, publiziert und ausgewertet144. Hauptgegenstand des Gesprächs war die Frage, was zur Erhaltung und Festigung des Friedens getan werden könne. Es herrschte nach Auskunft der ostdeutschen Presse bei den Gesprächspartnern volles Einverständnis darüber, dass „alle Bürger guten Willens“ alles in ihren Kräften stehende tun müssten, „um einer für das deutsche Volk gefahrvollen Entwicklung zu begegnen, die sich ergeben würde, wenn die Kreise in der Bundesrepublik, die die durch den Ausgang des Zweiten Weltkrieges geschaffenen Realitäten nicht anerkennen wollen, die Verfügung oder Mitverfügung über Atomwaffen erhalten.“145

In der SED- und CDU-Presse sowie in einer Reihe von Broschüren und Dokumentensammlungen folgten ausführliche Veröffentlichungen aus der zweistündigen Unterhaltung, bei der Mitzenheim nur selten zu Wort gekommen war. Dabei fehlte nie die Betonung des programmatischen Charakters des Gesprächs und der Hinweis auf die „gemeinsame humanistische Verantwortung“ von Christen und Sozialisten146. „An dieser nationalen Gedenkstätte“, so hatte es Ulbricht formuliert, „können wir sagen, dass wir in der gemeinsamen humanistischen Verantwortung ein gutes Stück vorwärtsgekommen sind. Die Aufgabe besteht darin, diesen Weg weiterzugehen. Je fester diese Einheit in der humanistischen Verantwortung und beim Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik ist, um so eher wird es möglich sein, die Bürger Westdeutschlands dafür zu gewinnen, dass sie ihre friedlichen Auffassungen und ihre Politik der Verständigung durchsetzen. Der Sache des Friedens und des Sozialismus gehört die Zukunft in ganz Deutschland.“147

Das Treffen und seine publizistische Verwertung waren ein Stück Deutschlandpolitik und eine mittelbare Form der „Westarbeit“ der SED. Diese zielte seit 1961 darauf, die 142 „Die große Chance unseres Volkes. Gemeinsamer Friedens-Bittgottesdienst der Bischöfe D. Dr. Mitzenheim und D. Jänicke in der Weimarer Herderkirche.“ In: NZ, 1.9.1964, S. 1f. 143 Vgl. KJ 91, 1964, S. 138. 144 Zur publizistischen Auswertung vgl. BArch BERLIN DO 4/2669. 145 NZ, 19.8.1964. Zitiert nach: KJ 91, 1964, S. 124. 146 Vgl. KJ 91, 1964, S. 125. 147 EBD., S. 137.

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bundesrepublikanische Öffentlichkeit unter der Losung vom Kampf um den Frieden für die Anerkennung der DDR zu gewinnen148. Ulbricht mahnte in dem Gespräch den Abschluss eines Friedensvertrags an, wie er im „Vertrag über Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit zwischen der DDR und der UdSSR“ vom 12. Juni 1964 von beiden Seiten erneut gefordert worden war. Der Staatsratsvorsitzende erklärte, dass ein solcher Vertrag und die Herstellung „normaler Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten“ auch „normale Beziehungen zwischen den Kirchen beider deutscher Staaten“ gewährleisten würden149. Damit war deutlich, dass die Kirchen in der DDR sowie die EKD für die deutschland- und außenpolitischen Ziele der SED in Dienst genommen werden sollten. Als Anreiz stellte man dafür langfristig „normale Beziehungen“ zwischen den ost- und westdeutschen Kirchen in Aussicht. Der bei dem Gespräch ebenfalls anwesende Thüringer Oberkirchenrat und MfS-Mitarbeiter Gerhard Lotz, der Mitzenheim stetig zu einem staatsnahen Kurs drängte, ging auf diese Argumentationslinie ausdrücklich ein. Er bezeichnete die „Fiktion vom ‚Nichtexistieren‘ der DDR“ als grotesk und verwies auf ein Interview Mitzenheims mit einer westdeutschen Zeitschrift, in dem dieser erklärt habe, zuerst müsse das Verhältnis zwischen den beiden Staaten in Ordnung kommen, dann würden auch die Kirchen wie alle anderen Institutionen wieder normal miteinander verkehren können150. Der Bischof bestätigte dies. Die übrigen ostdeutschen Bischöfe wurden sowohl von Mitzenheims Kanzelabkündigung als auch vom Wartburggespräch völlig überrascht und reagierten uneinheitlich. Mitzenheim hatte seine Kundgebung an alle evangelischen Bischöfe und Präsides in beiden deutschen Staaten gesandt und sie im Begleitschreiben, das anschließend veröffentlicht wurde, dazu aufgefordert, in gleicher Weise zu verfahren. Doch lediglich Bischof Jänicke war seiner Aufforderung soweit gefolgt, dass er gleichfalls einen atomwaffenfreien Raum gefordert hatte. Andere Kirchenleitungen hatten zwar ebenso Erklärungen zu den Gedenktagen an die Gemeinden oder an die Pfarrerschaft herausgegeben, darin aber nicht konkret zur Ulbrichtschen Initiative Stellung genommen151. Auch der Rat der EKD, der auf seiner Tagung am 26. und 27. August der Jahrestage gedachte, erinnerte in einem Kommuniqué an die Schuld der Deutschen und leitete daraus für die Kirche die „Verpflichtung“ ab, „in politischer Unabhängigkeit die sittlichen und menschlichen Bedingungen zur Erhaltung des Friedens nach allen Seiten zu vertreten“152. Er machte aber auch deutlich, dass er sich nicht für eine Friedensinitiative von einer der beiden Seiten aussprechen werde. Hier waren die beiden ostdeutschen Bischöfe Mitzenheim und Jänicke deutlich andere Wege gegangen. All diesen Erklärungen zum Gedenken an die Kriegsausbrüche war jedoch

148 Zur „Westarbeit“ bzw. „Westpolitik“ der SED vgl. J. STAADT, Westpolitik. 149 Ulbricht, zitiert nach: KJ 91, 1964, S. 129. 150 Lotz, zitiert nach: EBD. S. 132f. 151 Die Worte von Landesbischof Beste, der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Schlesien sowie von Bischof Krummacher sind ganz oder in Auszügen abgedruckt in: EBD., S. 140ff. 152 Zitiert nach: EBD., S. 79.

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eines gemeinsam: Sie erinnerten an die gemeinsame Schuld und leiteten daraus eine gemeinsame, besondere Friedensverantwortung ab. Damit begründeten sie in der evangelischen Kirche im Mehrfach-Gedenkjahr 1964 eine Tradition derartiger Friedensworte, die jeweils anlässlich von Gedenktagen im Zusammenhang mit den nationalsozialistischen Verbrechen gesprochen wurden.

3.2.2 Humanitäre Aktivitäten Angesichts der als „verfahren“ empfundenen welt- und deutschlandpolitischen Situation nach dem Mauerbau153 richtete sich das Streben der evangelischen Kirche darauf, auf öffentlichem Wege oder mit den Mitteln der „silent diplomacy“ die menschlichen Folgen der Teilung schrittweise zu mildern. Hier sah sie für sich einen Ansatz, am Abbau der Spannungen zwischen Ost und West mitzuwirken. Das kirchliche Bemühen um menschliche Erleichterungen kam bereits im Telegramm an Walter Ulbricht und Friedrich Ebert vom 16. August 1961 zum Ausdruck, in dem die Kirchenvertreter – erfolglos – um die Gewährung von Passierscheinen, Reisebescheinigungen und Aufenthaltsgenehmigungen für die Bevölkerung gebeten hatten154. Die West-Berliner konnten noch bis zum 22. August in den Ostteil der Stadt fahren, dann erfolgte durch den Innenminister der DDR die Anordnung, dass das Betreten der „Hauptstadt der DDR“ künftig nur noch mit einer Aufenthaltsgenehmigung gestattet werden könne155. Anträge für Passierscheine sollten in Büros auf den West-Berliner S-Bahnhöfen Zoo und Westkreuz ausgegeben werden. Die Alliierte Kommandantur verbot jedoch die Errichtung und den Betrieb dieser Büros innerhalb der Westsektoren, so dass die auf den S-Bahnhöfen am 26. August eröffneten Schalter nach wenigen Stunden von der West-Berliner Polizei geschlossen wurden. Im November bat der Ost-Berliner Generalsuperintendent Führ, den Berlinern am Buß- und Bettag sowie am Totensonntag den Besuch der Friedhöfe in West- bzw. Ost-Berlin zu erlauben. Das Politbüro lehnte dies ab156. Führ ließ sich nicht entmutigen und setzte sich im Dezember 1961 dafür ein, dass die West-Berliner während der Weihnachtsfeiertage Passierscheine für Verwandtenbesuche in Ost-Berlin erhielten. In Schreiben an den Staatsratsvorsitzenden, den Staatssekretär für Kirchenfragen sowie den Volkskammerpräsidenten berief er sich auf die Aussage Ulbrichts vom Oktober 1960, dass das Christentum und die humanistischen Ziele des Sozialismus keine Gegensätze seien, und hoffte auf eine „Prävalenz des Humanen“ vor politischen Statusfragen157. Während Führ die Öffentlichkeit bewusst nicht über seine Schreiben informiert hatte, antwortete Dieckmann ihm am 18. Dezember in einem offenen Brief, mit 153 154 155 156 157

Vgl. KJ 90, 1963, S. 130. KJ 88, 1961, S. 4. Vgl. U. PRELL, Grenzüberschreitung, S. 25. Vgl. G. KUNZE, Grenzerfahrungen, S. 49. Abdruck in: KJ 88, 1963, S. 145f.

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dem er den Generalsuperintendenten für die Deutschland- und Berlinpolitik der DDR zu instrumentalisieren versuchte158. Der Volkskammerpräsident erinnerte an das Angebot des Ost-Berliner Bürgermeisters Ebert an den West-Berliner Senat vom 23. August, West-Berliner Bürgern Besuche in Ost-Berlin dadurch zu ermöglichen, dass sie Besuchsanträge und -genehmigungen über in West-Berlin einzurichtende Zweigstellen des Deutschen Reisebüros einreichen bzw. erhalten. Da der Senat darauf nicht eingegangen sei, hätte Führ sein Anliegen an diesen richten müssen, argumentierte Dieckmann. Er forderte den Generalsuperintendenten dazu auf, „in Wahrnehmung der menschlichen Belange der vielen christlichen Bürger West-Berlins sich eine Sinnesänderung des West-Berliner Senats in dieser Sache zur Aufgabe“ zu machen159. Zeitgleich mit Dieckmanns Brief erklärte der 1. Stellvertreter des Außenministers der DDR, Otto Winzer, in einem Fernsehinterview, dass seine Regierung nach wie vor dazu bereit sei, sich in Verhandlungen mit dem Senat über die Einrichtung von Zweigstellen des Ost-Berliner „Deutschen Reisebüros“ in West-Berlin zu verständigen und damit den West-Berlinern während der Weihnachtstage den Besuch ihrer Verwandten in der „DDR-Hauptstadt“ zu ermöglichen160. Am 19. Dezember sprach Führ mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen und dessen Stellvertreter über mögliche Passierscheinverhandlungen161. Zwei Tage später widersprach er in einem Telegramm an seinen West-Berliner Kollegen Hans-Martin Helbich der Mitteilung einer westdeutschen Nachrichtensendung, der Staatssekretär habe Passierscheinverhandlungen gänzlich abgelehnt. Ihm, Führ, sei Verhandlungsbereitschaft signalisiert worden, „wenn Staatsautorität wahrende Verhandlungswege angeboten werden.“162 Von diesem Telegramm setzte der Generalsuperintendent auch Dieckmann in Kenntnis, verbunden mit dem Wunsch: „Ich gebe nicht die Hoffnung auf, noch in letzter Stunde zur Erfüllung meiner Bitte für Weihnachten kommen zu können.“163 Von West-Berliner Seite hatte sich derweil Helbich ebenfalls an Dieckmann gewandt. Das Presseamt des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR machte dazu am 21. Dezember folgende Mitteilung: Dieckmann habe von Helbich ein Schreiben erhalten, dem entnommen werden könne, dass der West-Berliner Senat nunmehr bereit sei, entsprechend den Vorschlägen der DDR über die Regelung der Ausgabe von Passierscheinen in Gespräche einzutreten. Dieses Schreiben sei an den amtierenden Ministerratsvorsitzenden Willi Stoph weitergeleitet worden, der geäußert habe, jederzeit über die Eröffnung von Zweigstellen des Reisebüros der DDR in West-Berlin zur Ausgabe von Passierscheinen sowie über andere Fragen mit dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt oder einem 158 Publiziert in: Der Morgen, 19.12.1961. Wiederabdruck in: KJ 88, 1963, S. 146ff. Nach diesem offenen Brief gab Führ der Kirchenkanzlei für die Gliedkirchen in der DDR auch von seinen Schreiben Kenntnis. Vgl. Brief vom 28.12.1961 (EZA BERLIN, 104/595). 159 KJ 88, 1963, S. 148. 160 Vgl. G. KUNZE, Grenzerfahrungen, S. 50. 161 Führ an Kirchenkanzlei für die Gliedkirchen in der DDR, 28.12.1961 (EZA BERLIN, 104/595). 162 EZA BERLIN, 104/101. In dem mit „drängendem herzlichen Gruß“ unterzeichneten Telegramm teilte Führ Helbich auch mit, dass er Heinrich Vogel über die Angelegenheit informiert habe. 163 Führ an Dieckmann, 22.12.1961 (EZA BERLIN, 104/101).

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anderen bevollmächtigten Mitglied des West-Berliner Senats zu verhandeln164. Diese Erklärung wurde in einer Antwort des Senatspresseamtes vom 22. Dezember als neue Form der Ablehnung von Besuchen bezeichnet, da auch Westdeutsche Aufenthaltsgenehmigungen erhielten, ohne dass deshalb Regierungsverhandlungen zur Einrichtung amtlicher Reisebüros der DDR in Westdeutschland erforderlich gewesen seien165. So scheiterten die im Dezember 1961 aufgenommenen Geheimverhandlungen zwischen Senatsvertretern und DDR-Beauftragten. Trotz der entmutigenden Erfahrungen bei den Initiativen von Führ und Helbich forderte die regionale Synode in West-Berlin in einem Beschluss vom 15. März 1962 ihre Kirchenleitung dazu auf, nichts unversucht zu lassen, um zumindest die Vergabe von Passierscheinen für Verwandte ersten Grades zu erreichen. Begründet wurde das kirchliche Eintreten für die Durchlässigkeit der deutsch-deutschen Grenze nicht mit nationalen Motiven, sondern mit der Pflicht der Kirche, „den Dienst des barmherzigen Samariters zu tun.“166 Infolge eines am 11. September gefassten Beschlusses wandte sich die West-Berliner Kirchenleitung an einige Dienststellen sowie an das Deutsche Rote Kreuz der DDR mit der Bitte, nach Möglichkeiten für die Ausgabe von Passierscheinen zu suchen167. Als diese nichtöffentlichen Bemühungen keinen Erfolg zeigten, kündigte Helbich am 10. November 1962 in einer Presseverlautbarung an, dass Führ und er sich bei den zuständigen Stellen für die Ausgabe von Passierscheinen für die Weihnachtsfeiertage einsetzen würden. Drei Tage später beschloss das Politbüro, dass es über die Vergabe von Passierscheinen keine Verhandlungen auf kirchlicher Basis bzw. mit dem Roten Kreuz geben werde. Das „Neue Deutschland“ sollte noch einmal der Öffentlichkeit die Position Ulbrichts verdeutlichen, was am 15. und 17. November auch geschah168. Führs und Helbichs erneute Bemühungen um die Vergabe von Passierscheinen scheiterten somit wiederum an den widerstreitenden politischen Forderungen und Bedenken der Entscheidungsträger in Ost- und Westdeutschland: Die DDR wollte die Verhandlungen als ersten Schritt zur Anerkennung ihrer Staatlichkeit nutzen, die Bundesregierung wollte genau dies verhindern. Auf einem weiteren Gebiet der humanitären Hilfe für die Opfer der Teilung war die Kirche schon vor dem Mauerbau tätig gewesen und setzte sie auch nach dem 13. August fort: die Flüchtlingsarbeit. Zwar gingen die Flüchtlingszahlen erheblich zurück, doch wurden 1962 immerhin noch einige tausend Menschen registriert, die über die Grenze direkt nach Westdeutschland oder, diese waren in der Mehrzahl, über die Mauer nach West-Berlin gekommen waren169. Die Flüchtlingsseelsorge kümmerte

164 G. KUNZE, Grenzerfahrungen, S. 51. 165 Vgl. zur Geschichte der Passierscheinfrage: U. PRELL, Grenzüberschreitung; G. KUNZE, Grenzerfahrungen. 166 Der Beschluss ist abgedruckt in: L. BESSERT, Getrennte, S. 93. 167 Vgl. G. KUNZE, Grenzerfahrungen, S. 54. 168 Vgl. EBD., S. 55. 169 Vgl. L. BESSERT, Getrennte, S. 53.

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sich sowohl um die Menschen in den Lagern als auch durch einen „nachgehenden Besuchsdienst“ um die Eingliederung der in West-Berlin oder Westdeutschland sich Niederlassenden170. Auf ostdeutscher Seite wandte sich die regionale Synode der Provinzialsynode von Berlin-Brandenburg im März 1962 an den Staatsrat der DDR mit der Bitte, diejenigen zu amnestieren, „die aus tiefer menschlicher Verpflichtung ihre nächsten Angehörigen – wie zum Beispiel Eltern, Kinder, Ehegatten, Verlobte – aufsuchen wollten und dabei gegen die Strafgesetze verstoßen haben.“171 Auch mit der Fürsprache für Gefangene führte die Kirche eine schon vor dem Mauerbau wahrgenommene Aufgabe fort. Neben der institutionalisierten Hilfe, etwa durch die Abteilung Gefangenenfürsorge des Zentralbüros des Hilfswerks der EKD172, setzten sich Einzelpersönlichkeiten wie Scharf aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen, die sie während der Zeit des Nationalsozialismus gemacht hatten, in besonderem Maße gegenüber dem Staatssicherheitsdienst der DDR vornehmlich für inhaftierte kirchliche Mitarbeiter ein, sei es für ihre Freilassung oder für Hafterleichterungen173. Von Ende 1961 an wurde eine neue Form der Hilfeleistung für Gefangene, die aus religiösen oder politischen Gründen inhaftiert waren, entwickelt: der Häftlingsfreikauf174. Im November 1961 beauftragte Scharf seinen persönlichen Referenten, den Rechtsanwalt und Konsistorialrat Reymar von Wedel, nach Wegen zu suchen, um Häftlingen in der DDR zur Freilassung zu verhelfen175. Wedel nahm daraufhin Kontakt zu dem langjährigen Vertrauensanwalt der Kirche in Ost-Berlin, Wilhelm Stark, auf. Dieser empfahl ihm, den Ost-Berliner Anwalt Wolfgang Vogel aufzusuchen, der zu Beginn des Jahres 1962 beim Austausch eines amerikanischen Piloten gegen einen sowjetischen Agenten als diskreter Verhandler tätig gewesen war. Am 21. Juni 1962 traf sich Wedel erstmals mit Vogel in Ost-Berlin und zeigte ihm eine Liste von dringenden Fällen, die er gemeinsam mit Scharf zusammengestellt hatte. Sie basierte auf der Fürbitteliste, auf Briefen an den Ratsvorsitzenden und auf Namen, die Kunst Präses Scharf mit der Bemerkung genannt hatte, für die Freilassung dieser Häftlinge stünde Geld zur Verfügung176. Vogel und Wedel verabredeten, dass von Wedel mit Rechtsanwalt Jürgen Stange Kontakt aufnehmen sollte, der zusammen mit Vogel schon einige Fälle gelöst hatte. Die Liste mit den Häftlingsnamen wollte Vogel an den Generalstaatsanwalt Josef Streit weitergeben. Zuvor besuchten Vogel und Wedel den katholischen Prälaten Johannes Zinke, auf dessen Mitarbeit Vogel Wert legte. Nach Gesprächen mit ihm und Generalvikar Walter Adolph

170 EBD. 171 Zitiert nach: EBD., S. 55. 172 Die Abteilung leistete Rechtsschutz für politische Gefangene in den DDR-Strafanstalten und sorgte für die materielle Betreuung der Gefangenen und deren Angehörigen. Für diese Tätigkeit erhielt sie vom BMG seit 1953 Beihilfen. Vgl. BArch KOBLENZ, B 137/1766. Zur frühen kirchlichen Hilfe für Inhaftierte, Internierte und auch Kriegsgefangene vgl. S. RINK, Bevollmächtigte, S. 138–147. 173 Vgl. L. GEISSEL, Unterhändler, S. 328. 174 Vgl. hierzu: J. SCHMIDTHAMMER, Rechtsanwalt; L. REHLINGER, Freikauf; L. GEISSEL, Unterhändler, S. 328–334; R. v. WEDEL, Kirchenanwalt, S. 39–57; T. HECK, EKD, S. 102–107. 175 Vgl. R. v. WEDEL, Kirchenanwalt, S. 40ff. 176 EBD., S. 45.

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wurden auch einige katholische Gefangene auf die Liste gesetzt. Das ZK der SED stimmte schließlich der Freilassung von 15 auf der Liste genannten Gefangenen zu, verlangte dafür aber materielle Gegenleistungen in Form von drei Waggons Kali177. Begründet wurde diese Forderung mit dem materiellen Schaden, den die Gefangenen durch ihre Ausreise verursachen würden. Daraufhin wurden die Häftlinge entlassen und gingen teils in ihre DDR-Heimatgemeinden zurück, teils nach Westdeutschland178. Vom Direktor der Wirtschaftsabteilung des Diakonischen Werkes in Stuttgart, Ludwig Geißel, beschafft, lieferte die Kirche mit einer Ausfuhrgenehmigung des Bundeswirtschaftsministeriums der DDR den Kali. Kunst hatte, vornehmlich aus der Wirtschaft, die finanziellen Mittel dafür besorgt179. Weitere Häftlingsfreikäufe folgten, doch waren die kirchlichen Mittel um das Jahr 1964 erschöpft180. Ermutigt von den Erfolgen der Kirche und gedrängt von Innensenator Heinrich Albertz, der schon früh in die kirchlichen Freikäufe eingeweiht worden war181, verhandelte auch der Berliner Senat über den West-Berliner Anwalt Stange mit Vogel über den Freikauf von Häftlingen. Im Dezember 1962 wurden 20 DDR-Häftlinge freigekauft182. Versuchsweise ließ der neue gesamtdeutsche Minister Rainer Barzel auf Anregung von Axel Springer hin im Frühjahr 1963 ebenfalls über Stange acht Häftlinge gegen Bargeld freikaufen183. Insgesamt aber blieb die Bundesregierung gegenüber dem Häftlingsfreikauf zunächst skeptisch und Barzels Nachfolger Erich Mende ließ sich zu Beginn seiner Amtszeit auf keine weiteren Freikäufe ein. Zu einem erfolgreichen Abschluss führten hingegen erneute Passierscheinverhandlungen im Jahre 1963184. Inwieweit ein Gespräch zwischen dem West-Berliner Generalsuperintendenten Helbich und dem sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow, das im Juni 1963 über die Passierscheinfrage geführt wurde, irgendeinen Einfluss auf den Erfolg der Verhandlungen hatten, ist ungewiss185. Jedenfalls kam es am 17. Dezember zur Unterzeichnung eines Passierscheinabkommens durch den DDR-Staatssekretär Erich Wendt und den West-Berliner Senatsrat Horst Korber. Durch eine salvatorische Klausel wurde festgestellt, dass man sich über Orts-, Behörden- und Amtsbezeichnungen nicht geeinigt habe. Erstmals seit dem Mauerbau konnten daraufhin zwischen dem 18. Dezember und 5. Januar West-Berliner den Ostteil der Stadt besuchen. Insgesamt kam es zu 1,2 Millionen Besuchen bei Verwandten ersten und zweiten Grades sowie bei Ehepartnern186. 177 178 179 180 181 182 183 184 185 186

EBD., S. 50. EBD., S. 52. EBD., S. 56. EBD., S. 55. EBD., S. 54 und S. 58. J. SCHMIDTHAMMER, Rechtsanwalt, S. 91. L. REHLINGER, Freikauf, S. 33f. Vgl. hierzu W. SCHMIDT, Krieg, S. 516–533. Vgl. Informationsschreiben Henkys’ an Roterberg, 24.2.1964 (PARH). Zur Geschichte des 1. Passierscheinabkommens vgl. U. PRELL, Grenzüberschreitung, S. 34–53.

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Die Mauer war – zumindest für kurze Zeit – durchlässiger geworden. Genau dies war Ziel der neuen Deutschlandpolitik der SPD, die zwischen 1961 und 1963 unter Leitung des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt Konturen gewann. Bereits 1960 hatte die SPD einen sicherheitspolitischen Kurswechsel vollzogen, indem sie von den Disengagementplänen Abstand genommen und die Integration der Bundesrepublik in das westliche Bündnissystem vorbehaltlos anerkannt hatte187. Den SPD-Politikern war klar geworden, dass eine deutsche Wiedervereinigung in weiter Ferne lag, ein wehrhaftes NATO-Bündnis aber sowjetische Hegemonialansprüche zurückweisen und gleichzeitig die Grundlagen für neuartige deutschlandpolitische Initiativen schaffen könnte. Die Bewahrung West-Berlins, das zum Symbol für das Streben nach Selbstbestimmung wurde, sollte Ausgangspunkt der Wiedervereinigungspolitik neuer Art sein188. Brandt brachte diese 1962 auf den kurzen Nenner: man müsse den Status quo zunächst anerkennen, um ihn schrittweise mit den Mitteln der „friedlichen Koexistenz“ zu überwinden. Egon Bahr, zu diesem Zeitpunkt Pressesprecher des West-Berliner Senats, entwickelte der Öffentlichkeit in einem Vortrag in der Evangelischen Akademie Tutzing im Juli 1963 die langfristige Strategie dieses neuen deutschlandpolitischen Kurses189. Er kennzeichnete die Wiedervereinigung als einen langen, stationenreichen Prozess. Zu diesem gehörten auch direkte Kontakte zur DDR-Führung, die jedoch nicht ohne Zustimmung der Sowjetunion stattfinden dürften und unterhalb der Schwelle einer Legitimitätsbestätigung der „Zone“ angesiedelt sein müssten. Zudem empfahl Bahr, die DDR-Kontakte durch intensivierte Handelsbeziehungen zu erweitern, um den Lebensstandard in Ostdeutschland zu erhöhen und die ökonomischen Verbindungen zwischen Ost und West zu intensivieren. Hiermit wie mit dem Ausnutzen anderer Möglichkeiten hoffte er, das SED-Regime graduell zu entlasten und zu menschlichen Erleichterungen zu bewegen. In einer solchen „Politik der kleinen Schritte“ sahen Bahr wie Brandt die einzige erfolgversprechende Alternative zu den gescheiterten Wiedervereinigungs-Illusionen. Für diese neue Strategie prägte Bahr in Tutzing die Losung: „Wandel durch Annäherung“190. In ihrer Grundtendenz deckte sich diese neue deutschlandpolitische Strategie mit Überlegungen und Äußerungen, wie sie seit dem Mauerbau aus protestantischen Kreisen zu vernehmen waren. So war in der Handreichung „Zur Friedensfrage“ die Politik der „friedlichen Koexistenz“ befürwortet worden; im Tübinger Memorandum hatte man die Wiedervereinigung nurmehr als Fernziel gesehen und das Augenmerk auf die Freiheit West-Berlins gelenkt. Und auch die Passierscheinabkommen als Teil der „Politik der kleinen Schritte“ waren von evangelischen Kirchenvertretern teilweise gefördert und immer begrüßt worden. 187 Vgl. P. BENDER, Ostpolitik, S. 76f.; W. R. KRABBE, Deutschland, S. 36f. 188 Vgl. W. R. KRABBE, Deutschland, S. 35. 189 Vgl. EBD., S. 36. 190 Vgl. hierzu: A. VOGTMEIER, Bahr, S. 59–79; H. POTTHOFF, Schatten, S. 31–43. W. SCHMIDT zeigt in seiner Studie über die deutschlandpolitischen Vorstellungen Willy Brandts, dass der Kern der Konzeption „Wandel durch Annäherung“ bei Brandt schon Mitte der fünfziger Jahre angelegt war. Vgl. DERS., Krieg, insbesondere S. 497–503.

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Am 7. Januar 1964 kritisierte hingegen Bundeskanzler Erhard das Passierscheinabkommen im Bundestag, das er zuvor „gegen das unzweideutige Nein des Vorsitzenden seiner Fraktion und einer Reihe einflußreichster Leute“ durchgesetzt hatte191. Jetzt erklärte er, es leiste der sowjetischen Dreistaatentheorie Vorschub, nach der West-Berlin eine eigenständige politische Einheit war192. Außenminister Gerhard Schröder distanzierte sich Ende Januar von der Weihnachtsregelung, durch die er seine im protestantischen Raum begrüßte „Politik der Bewegung“193 gefährdet sah. Direkte Kontakte mit der DDR drohten seine Bemühungen um eine außenpolitische Isolierung der DDR mittels Aufnahme von Beziehungen zu Staaten des Warschauer Paktes zu konterkarieren194. Und auch auf alliierter Seite waren kritische Stimmen zu hören, die vor einer Fortführung des Abkommens auf der Grundlage der Weihnachtsregelung entschieden warnten195. Von kirchlicher Seite erhielt die Passierscheinregelung hingegen Unterstützung, nachdem man sich während der Verhandlungen nicht öffentlich geäußert hatte. Bereits am 18. Dezember begrüßte Helbich das Abkommen, dankte den Verhandlungspartnern und sprach seine Hoffnung auf weitere Übereinkünfte aus196. Am 8. Januar sandten Mitglieder des gesamtdeutschen Gründungsausschusses der Aktion Sühnezeichen ein Telegramm an die Verantwortlichen in Ost- und Westberlin, der DDR und der Bundesrepublik sowie der vier Besatzungsmächte197. Darin begrüßten sie „im Sinne ihrer Bemühungen um eine aktive Bewältigung der schuldhaften Vergangenheit unseres Volkes und ihrer Folgen“ das Passierscheinabkommen und traten nachdrücklich dafür ein, „die Bemühungen um einen engeren Zusammenhalt der Deutschen, unbeschadet widerstreitender politischer Interessen weiterzuführen und auszuweiten.“ Indem sie somit das Primat der humanitären Anliegen vor politischen Statusfragen forderten, setzten sie sich klar von der deutschlandpolitischen Linie der Bundesregierung ab und stützten die pragmatischere Politik des sozialliberalen WestBerliner Senats. Auf der Sitzung der Bischofskonferenz am 30. Januar in Berlin wurde die Passierscheinregelung gleichfalls begrüßt198. Es sei zwar unrealistisch, die menschlichen Fragen aus den größeren politischen Zusammenhängen herauslösen zu wollen, doch hätten die Besucherströme um die Jahreswende in Berlin unmissverständlich deutlich gemacht, „dass die politischen Entscheidungen an der Auswirkung auf den Menschen ihr Maß und ihr Ziel finden.“199 Eine öffentliche Stellungnahme zum Weih-

191 Kunst an Wilm, 1.5.1964 (EZA BERLIN, 87/96/447). Zur Kritik aus Bonn und der Einflussnahme der Bundesregierung auf die weiteren Passierscheingespräche vgl. W. SCHMIDT, Krieg, S. 533–536. 192 Vgl. U. PRELL, Grenzüberschreitung, S. 56. 193 Vgl. T. OPPELLAND, Arbeitskreis, S. 132. 194 Vgl. EBD. 195 EBD. 196 epd ZA, 18.12.1963, S. 1. 197 Abdruck im KJ 91, 1964, S. 77. Unterzeichnet war es von Beckmann, L. Kreyssig, Gollwitzer, Müller-Gangloff, Hammerstein, Scharf, F. R. Hildebrandt und Wilm. 198 EZA BERLIN 650/95/23. 199 EBD. Diese Formulierungen verwandte Wilkens wörtlich in seinen Ausführungen zur „Weltpolitik und Deutschlandfrage als Hintergrund der Kirchenpolitik“ im KJ 90, 1963, S. 128.

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nachtsabkommen sowie zu den neu aufgenommenen Passierscheinverhandlungen gab es von gesamtkirchlicher Seite aber nicht. Dies änderte sich auch nicht, als am 19. Februar der westfälische Präses Wilm die starre Haltung der politischen Verhandlungspartner kritisierte und die evangelische Kirche aufforderte, sich im Interesse der Menschen für den Erfolg der Verhandlungen einzusetzen200. In der DDR äußerte sich lediglich die regionale Kirchenleitung Ost der berlin-brandenburgischen Kirche öffentlich zum Passierscheinabkommen. Dies war ihr in den Weihnachtstagen von DDR-Seite indirekt nahe gelegt worden, indem auf die Rundfunkansprache des West-Berliner Generalsuperintendenten Helbich in einem WestBerliner Sender zu dem Abkommen hingewiesen wurde201. In der sehr abgewogenen Erklärung der Ost-Berliner Kirchenleitung vom 19. Dezember hieß es: „Wir sind dankbar, in diesem Ergebnis von schwierigen Verhandlungen zwischen beiden Seiten ein Anzeichen der Bereitschaft sehen zu dürfen, die Starrheit der Fronten auflockern zu wollen. Die evangelischen Christen verbinden damit die Hoffnung, dass diesem Schritt weitere folgen werden.“202

Mit dieser Aussage hatte sich die Kirchenleitung in Ost-Berlin sicherlich nicht zu weit vorgewagt. Dennoch wurde sie in der DDR-Presse missbraucht, wodurch für die anderen Kirchenleitungen eine schwierige Situation entstand. Denn nachdem die Bundesregierung sich gegen eine Neuauflage der Weihnachtsregelung sperrte, was in weiten Teilen der Ost-Berliner sowie der DDR-Bevölkerung auf Unverständnis stieß, wiederholten sich die mehr oder weniger indirekten staatlichen Aufforderungen an die ostdeutschen Kirchenleitungen und Einzelpersonen, nunmehr erneut Stellung zu nehmen. Doch was anlässlich des Abkommens vom 17. Dezember 1963 in die Form eines Danks an beide Verhandlungsseiten gekleidet werden konnte, wäre zu diesem Zeitpunkt angesichts der Bedenken der westlichen Seite notwendig zu einer Parteinahme für die politische Position der DDR geworden. Eine noch so vorsichtige Stellungnahme zugunsten von Passierscheinregelungen nach dem Muster der vorangegangenen konnte gegen die westliche Verhandlungsposition gerichtet interpretiert werden. Daher äußerte sich keine der ostdeutschen Kirchenleitungen zu den laufenden Passierscheinverhandlungen. Zwei Tage vor einem Gespräch zwischen Bundeskanzler Erhard und dem Ratsvorsitzenden Scharf schrieb am 24. Februar 1964 Heinrich Vogel einen offenen Brief an den Bundeskanzler, in dem er ihn um die erfolgreiche Weiterführung der Verhandlungen bat203. Der deutsch-deutsche Grenzgänger Vogel markierte darin auch seine eigene deutschlandpolitische Position. Danach verbot sich für das deutsche Volk angesichts seiner Vergangenheit der Weg der Machtpolitik, wodurch nur die „Friedensalternative von Verhandlungen“ bleibe, die jedoch ohne gegenseitige Konzessionen zu 200 201 202 203

epd ZA, 19.2.1964, S. 2. Vgl. hierzu und zum Folgenden: Informationsschreiben Henkys an Roterberg, 24.2.1964 (PARH). Zitiert nach: EBD. EZA BERLIN, 650/95/23.

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keinem positiven Ergebnis führen könne. Das innen- und außenpolitische Interesse der DDR an solchen Verhandlungen erwähnte Vogel dabei nicht, sondern er blieb ganz in seiner historisch-moralischen Argumentation: Die „Prävalenz des Menschlichen zu praktizieren“, so lautete sein Credo, „dürfte die einzige uns noch verbliebene Chance sein, den durch unser Volk gehenden Riss auch politisch zu heilen und damit dem Frieden der Welt zu dienen.“204 Auch Scharf schnitt bei seinem Antrittsbesuch beim Bundeskanzler die Passierscheinfrage an. Dabei machte er sich zum Fürsprecher der an einem positiven Ergebnis interessierten Menschen205. Auf DDR-Seite hieß es hingegen später, Scharf habe sich in seinem Gespräch mit Erhard gegen erfolgreiche Verhandlungen in der Berliner Passierscheinfrage ausgesprochen – eine Fehldeutung, der die Verlautbarung des Bundespresseamtes über das Gespräch Vorschub geleistet hatte206. Mit Hinweis auf die Scharf unterstellte Haltung lehnten daraufhin die Behörden des Bezirks Rostock die Ausreiseanträge der Bischöfe Krummacher und Beste zur Amtseinführung des neuen Hamburger Bischofs Wölber ab207. Ende Februar wurden die Hoffnungen auf ein baldiges neues Passierscheinabkommen enttäuscht. Die Verhandlungen über ein Abkommen, das über Ostern gelten sollte, scheiterten. Auf evangelischer Seite blieb man jedoch weiterhin in der Passierscheinfrage aktiv und thematisierte sie erneut auf der Begegnung der Ratsmitglieder am 19. März in Ost-Berlin208. Die östlichen Ratsmitglieder berichteten über Versuche, in dieser Frage zu einem Gespräch mit der Regierung der DDR zu kommen. Auf eine entsprechende Bitte der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg war aber bislang keine Antwort erfolgt. Einige Ratsmitglieder vermuteten, dass seitens der Regierung der Brief des Staatsratsvorsitzenden an den Bundeskanzler über einen Atomwaffenverzicht209 und eine Stellungnahme der Kirche zu diesem Brief als vorrangig behandelt würden. Ende März äußerte sich Propst Grüber zur Passierscheinfrage. Das Interview mit der DDR-Nachrichtenagentur ADN wurde jedoch in der „Neuen Zeit“ vom 28. März verkürzt und entstellt wiedergegeben. Wörtlich hatte Grüber gesagt: „Wir möchten, dass all die vielen grundsätzlichen Beteuerungen von dieser Prävalenz des Menschlichen auch sichtbar werden, auch wenn ein Risiko damit verbunden ist [. . .], und dass man sich endlich einmal frei macht von vorgefassten Meinungen und hochgespielten Ideologien.“210 Unmittelbar vor der Wiederaufnahme erneuter Passierscheinverhandlungen gab die Regionalkirchenleitung Berlin-West eine Verlautbarung heraus, in der sie ihrem Wunsch Ausdruck gab, dass die Verhandlungen im Interesse der Menschen in beiden Teilen der Stadt erfolgreich 204 EBD. 205 Vgl. KJ 91, 1964, S. 78. 206 Hinweis im Informationsbericht Henkys’ an Roterberg, 9.4.1964 (PARH). 207 EBD. 208 EZA BERLIN 104/40. 209 Siehe Kap. 3.2.1. 210 Der Text des Interviews wurde im Anhang zum Pressebericht der Pressestelle der Evangelischen Kirchenleitung vom 2.4.1964 abgedruckt (EZA BERLIN, 636/35).

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verlaufen würden211. Gleichzeitig sandte der Rat der EKU gleichlautende Telegramme an die Verhandlungsführer Wendt und Korber. Darin wurde dafür plädiert, „am Vorrang des Menschlichen vor den politischen Prinzipien festzuhalten und deshalb auch Kompromisse nicht zu scheuen“212. Auf westdeutscher Seite wurde das Telegramm nicht überall positiv aufgenommen. Bischof Kunst kommentierte es in einem Brief an Bischof Haug mit dem Satz: „Immerhin, auch die Freiheit ist ein politisches Prinzip.“213 Hinsichtlich des für den 11. Mai geplanten Gesprächs zwischen dem Rat der EKD und dem Bundeskanzler mahnte Kunst: „Wir werden uns Mühe geben müssen, dass wir etwa in der Passierscheinfrage die uns gesetzte Grenze nicht überschreiten.“214 Haug teilte diese Meinung und antwortete ihm: „In der Passierscheinfrage halte ich die Erklärung des Rates der Union für töricht; mit solchen Kurzschlüssen werde ich nicht vor den Bundeskanzler treten.“215 Aus ganz anderen Gründen wollte Ernst Wilm erst gar nicht an dem Gespräch mit Erhard teilnehmen216. Das erste Gespräch mit dem Bundeskanzler hatte bei dem westfälischen Präses noch die Hoffnung auf einen deutschlandpolitischen Kurswechsel geweckt. Inzwischen aber sah er bei Erhard keinen positiven Willen hinsichtlich der Passierscheinverhandlungen und keine positive Konzeption, „wie wir denn nun mit dem geteilten Deutschland weiterkommen“. Er versprach sich daher nichts von der Aussprache, zumal auch die kirchlichen Gesprächsteilnehmer unter sich nicht einig waren. An seiner Stelle nahm dann Scharf teil217. Zuvor trat dieser bereits am 23. April im „epd“ mit einer Erklärung zur Passierscheinfrage an die Öffentlichkeit218. Darin machte er sich für den Vorrang der „menschlichen Begegnung“ vor den „juristischen Bedenken“ stark, verwies auf den Erfolg des ersten Abkommens, billigte der DDR ein Interesse an einer innerdeutschen Entspannung zu und plädierte dafür, das ostdeutsche Angebot trotz der darin enthaltenen zeitlichen Einschränkungen anzunehmen und auf dieser Grundlage weiter zu verhandeln. Ende Mai wurden die evangelische und die katholische Kirche gemeinsam aktiv, um die Passierscheinverhandlungen voranzubringen. Generalsuperintendent Jacob schrieb an Stoph und bot ihm auch im Namen der katholischen Kirche an, die WestBerliner Gemeindehäuser als Ausgabestellen für die Passierscheine zu benutzen219. Staatssekretär Seigewasser, dem Jacob das Angebot mündlich vorgetragen hatte, stellte mit Unwillen fest, dass sich die beiden Kirchen hier erstmals auf ein konkretes ge211 Abgedruckt im KJ 91, 1964, S. 78. 212 EBD. 213 Brief vom 11.4.1964 (EZA BERLIN, 87/96/447). 214 EBD. 215 Haug an Kunst, 13.4.1964 (EZA BERLIN, 87/96/447). 216 Wilm an Kunst, 28.4.1964 (EBD.). 217 Über den Gesprächsverlauf gibt die Presseerklärung des Rates vom 11.5.1964 keine detaillierten Informationen (EZA BERLIN, 87/96/447). Vgl. auch den Bericht über das Treffen in der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 28./29.5.1964 (EZA BERLIN, 2/1810). 218 epd ZA, 23.4.1964. 219 Vgl. G. KUNZE, Grenzerfahrungen, S. 154.

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meinsames Vorgehen geeinigt hatten220. Die kirchliche Initiative war zuvor mit den westdeutschen Behörden abgestimmt worden, doch ohne auch den Senat zu informieren221. Dies erfolgte erst im 12. Passierscheingespräch am 10. Juni durch den ostdeutschen Verhandlungsleiter Wendt. Dies enttäuschte wiederum die Kirchenvertreter, da vereinbart worden war, dass ihr Vorschlag in den Verhandlungen vorerst nicht zur Sprache gebracht werden sollte. Reymar von Wedel klagte gegenüber seinem Gesprächspartner im Bischöflichen Ordinariat, die staatlichen Stellen hätten ihr Wort gebrochen. Enttäuscht war indes auch der Senat, sowohl über die Kirche und noch mehr über die Bundesregierung. Damit hatte Wendt durch seine Information sein Ziel erreicht, zu einer Verschlechterung des von Spannungen nicht freien Verhältnisses zwischen Bonn und Berlin beizutragen. Jacob erhielt am 25. Juni von Seigewasser den Rat, sich zukünftig aus den Passierscheinverhandlungen herauszuhalten und sich nicht als unvollständig informierter „Mittelsmann“ westdeutscher Regierungs- und Kirchenstellen missbrauchen zu lassen222. Im Juli traten Grüber und Vogel erneut mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit und plädierten angesichts der Gratwanderungen innerdeutscher Verhandlungen und Vereinbarungen für ein Primat der humanitären Anliegen vor politischen Statusfragen. In ihrem gemeinsamen Appell zur Passierscheinfrage traten sie für die Fortsetzung der Verhandlungen des Senats von Berlin mit der DDR ein und forderten die Mitbürger auf, „die Bestrebungen zu unterstützen, die zu einem neuen Abkommen auf der Basis des Übereinkommens vom 17.1.1963 führen können.“223 Während der noch laufenden, dritten Verhandlungsrunde zwischen Wendt und Korber trafen sich Ulbricht und Mitzenheim am 18. August auf der Wartburg224. Der Staatsratsvorsitzende nutzte das Gespräch, um sich selbst öffentlich zu den Passierscheinverhandlungen zu äußern. Er wies der Bonner Regierung die Schuld zu, dass die Verhandlungen noch nicht erfolgreich abgeschlossen worden waren225. Mitzenheim stimmte ihm darin zu. Im Rahmen der Begegnung wurde auch über die Möglichkeit gesprochen, ostdeutschen Rentnern die Reise nach Westdeutschland zu erlauben. Am 9. September durfte Mitzenheim dann die Entscheidung der ostdeutschen Regierung bekannt geben, dass DDR-Bürger im Rentenalter künftig ihre Verwandten im Westen besuchen konnten226. Damit wurde der Thüringer Bischof erneut als be-

220 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 574. 221 Vgl. G. KUNZE, Grenzerfahrungen, S. 154. 222 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 575. 223 Exemplar im EZA BERLIN 636/35. Als Herausgeber des von Grüber und Vogel unterschriebenen Appells zeichnete der „Ständige Arbeitsausschuss für Frieden, nationale und internationale Verständigung, West-Berlin“. 224 Siehe Kap. 3.2.1 225 Vgl. KJ 91, 1964, S. 134ff. 226 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 578. – Im Rentenalter stehende oder invalide Bürger der DDR durften seither einmal jährlich Verwandte in der Bundesrepublik und in West-Berlin bis zur Dauer von vier Wochen besuchen; auch waren Reisen bis zu vier Wochen ins westeuropäische und bis zu drei Monaten ins außereuropäische Ausland möglich. Kosten für Reise und Aufenthalt waren vom Gastgeber zu

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vorzugter Ansprechpartner des Staates herausgehoben und zugleich der Eindruck erweckt, man müsse lediglich mit den Verantwortlichen in der DDR sprechen, um zu menschlichen Erleichterungen zu gelangen. Mitzenheim bezeichnete denn auch die Erlaubnis der Rentnerreisen „eine großzügige Vorleistung des Vertrauens und des guten Willens“227. Nach insgesamt 28 Besprechungen seit Januar 1964 unterzeichneten Wendt und Korber am 24. September das 2. Passierscheinabkommen228. Daraufhin wurden zwischen dem 30. Oktober und 12. November 1964 sowie zwischen dem 19. Dezember 1964 und dem 3. Januar 1965 rund 1,4 Millionen Besucher in Ost-Berlin gezählt229. Der Abschluss des Abkommens stieß kirchlicherseits auf viel Zustimmung. Vor der KKL würdigte Krummacher das Passierscheinabkommen und wertete es zusammen mit der Reisemöglichkeit für Rentner, der Entlassung von Gefangenen und der Anordnung über die Bildung von Baueinheiten bei der NVA, die einen waffenlosen Dienst in der Armee der DDR ermöglichte, als Anzeichen von Menschlichkeit im politischen Leben230. Lobte der Greifswalder Bischof damit ausschließlich das Verhalten der DDR-Regierung, begrüßte die EKD die Haltung beider Seiten hinsichtlich des Passierscheinabkommens. Im Kommuniqué über die Ratssitzung vom 15. und 16. Oktober hieß es, der Rat sehe in dem Abkommen „den wichtigen Versuch, durch Maßnahmen der Menschlichkeit die Auswirkungen der Mauer innerhalb Berlins zu lindern.“231 Er hielt es für notwendig, dass die zuständigen Behörden weiter nach Mitteln und Wegen suchten, um trotz der politischen Spannungen „elementaren menschlichen Erfordernissen im Ost-West-Verhältnis Rechnung zu tragen.“232 Eine deutlich aktivere Rolle als bei der Passierscheinfrage konnte die Kirche von 1964 an bei den Häftlingsfreikäufen der Bundesregierung übernehmen. Der Ratsvorsitzende Scharf erhielt bei einem Gespräch mit Bundeskanzler Erhard die grundsätzliche Zustimmung zu den Freikäufen. Bischof Kunst gelang es, Wolfgang Vogel in Bonn viele Türen zu öffnen233. Am 12. Juni traf sich der gesamtdeutsche Minister und Vizekanzler Erich Mende erstmals mit Vogel. Der Ost-Berliner Rechtsanwalt bot ihm im zahlen. Von der Möglichkeit der innerdeutschen Rentnerreisen machten daraufhin pro Jahr rund 1,1 Millionen DDR-Bürger Gebrauch, fast ein Drittel davon kam nach West-Berlin. In den Publikationsorganen der DDR wurden diese Reisen praktisch totgeschwiegen. Nur etwa 0,5 % der Rentner aus der DDR blieben im Westen. Die Millionen von älteren Menschen aus der DDR wurden in den Folgejahren zu den wichtigsten Kommunikatoren zwischen Ost- und Westdeutschland. Vgl. G. VETTER, Entwicklung, S. 312f. 227 ND, 9.9.1964. Zitiert nach: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 317. 228 Zu den Verhandlungen über das 2. Passierscheinabkommen vgl. U. PRELL, Grenzüberschreitung, S. 54–60. 229 PASSIERSCHEINFRAGE II, S. 3. 230 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 578. 231 KJ 91, 1964, S. 78. 232 EBD. 233 Vgl. hierzu und zum Folgenden: J. SCHMIDTHAMMER, Rechtsanwalt, S. 92–98, und R. V. WEDEL, Kirchenanwalt, S. 58–66, die sich in Details jedoch widersprechen. Vgl. auch T. HECK, EKD, S. 104–107.

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Namen von Generalstaatsanwalt Streit den Freikauf von 650 politischen Gefangenen an. Auf bundesdeutscher Seite entschloss man sich, das von der Kirche entwickelte Konzept für den Freikauf auch für die Häftlingsaktion zwischen der Bundesregierung und der DDR-Führung zu übernehmen und die Hilfe der Kirche für die Abwicklung in Anspruch zu nehmen. Die Bundesregierung sollte über Stange Listen mit den Namen derjenigen Personen übermitteln, deren Entlassung sie aus den DDR-Gefängnissen wünschte. Die DDR-Generalstaatsanwaltschaft wollte im Gegenzug durch Vogel Namenslisten solcher Häftlinge übergeben, deren sie sich gern entledigen wollte. Die Gegenleistung sollte nach dem für die Transaktionen der Kirche entwickelten Modell erfolgen, d. h. über einen durch das Diakonische Werk in Stuttgart organisierten Warentransfer. Die Bonner Vertreter akzeptierten, eine Pauschalsumme von ca. 40.000 DM pro Person zu zahlen. Unmittelbarer Vertragspartner der DDR wurde die evangelische Kirche respektive das Diakonische Werk, das auch die Kosten für die Abwicklung des Transfers – das so genannte „B-Geschäft“ – übernahm. Kunst handelte offiziell die Listen aus und trug nach außen hin die Verantwortung. Der erste Transport der entlassenen politischen Häftlinge erfolgte am 14. August 1964. Bis zum Oktober kamen alle 650 Personen frei. Trotz des vereinbarten Stillschweigens, an dem aus Gründen des inneren und äußeren Ansehens vor allem der DDR gelegen war, wurde die Häftlingsaktion durch Indiskretionen publik. Mehrere Tageszeitungen berichteten über einen „Häftlingsaustausch“ und nannten dabei zudem falsche Zahlen. Dies bewirkte „eine erhebliche Störung der Aktion und berechtigte Verärgerung auf der östlichen Seite“234. Trotz einzelner weiterer Indiskretionen, auch durch Minister Mende selbst235, gingen die Häftlingsfreikäufe jedoch in den Folgejahren nach dem bewährten Muster weiter, auch wenn sie, wie man auf westdeutscher Seite wusste, nicht „von einmütiger Zustimmung des Politbüros getragen waren.“236 Insgesamt wurden zwischen 1964 und 1990 aus dem Haushalt des BMG (BMIB) 3,4 Mrd DM aufgewendet, um 33.000 Häftlinge freizukaufen und für 250.000 Personen im Zuge der Familienzusammenführung die Berliner Mauer durchlässig zu machen237.

3.2.3 Die EKD, die Ökumene und die deutsche Frage Angesichts der weltpolitischen Lage reagierte die Ökumene in der Öffentlichkeit zurückhaltend auf den Bau der Berliner Mauer. Nach Beratungen unter Vertretern des ÖRK in New York, London und Paris formulierte am 24. August der US-Amerikaner 234 Wissing und Kunst an Mende, 12.4.1966 (EZA BERLIN, 87/96/529). 235 Mende hatte entgegen der Vereinbarung über die Geheimhaltung in einer vertraulichen Sitzung des Gesamtdeutschen Ausschusses des Bundestages einen ausführlichen Bericht über die Freikäufe des Jahres 1965 erstattet, woraufhin selbst die Finanzleistungen in deutschen und ausländischen Zeitungen nachzulesen waren. Kunst und Wissing beklagten sich beim Vizekanzler bitter über diesen Bruch der Geheimhaltung. EBD. 236 EBD. 237 Vgl. A. VOLZE, Transferleistungen, S. 63.

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Frederick Nolde, seit 1946 Direktor der CCIA des ÖRK238, ein Memorandum. Darin erklärte er, dass es im Hinblick auf die weltpolitische Gesamtsituation wenig sinnvoll sei, öffentlich Stellung zu nehmen239. Möglicherweise, so seine internen Überlegungen, müsse man im Interesse der internationalen Stabilität die deutsche Teilung „als ein verhältnismäßig dauerhaftes Moment“ akzeptieren und vermutlich auch die „de facto Teilung der Stadt Berlin“ hinnehmen240. Denn eine Veränderung der politischen Situation zu diesem Zeitpunkt war nach Noldes Ansicht mit unvertretbar hohen Kosten verbunden. Hingegen müsse die Ökumene, so der CCIA-Direktor, bei den westlichen Staaten darauf dringen, dass über den Status West-Berlins als Teil der westlichen Welt nicht verhandelt werden dürfe und dass die Freiheit des Westteils der Stadt notfalls auch mit Nuklearwaffen verteidigt werden würde. Im Falle von Verhandlungen sei zu überlegen, „ob eine Ausdünnung der Truppen in Mitteleuropa eher ein Beitrag zur Abrüstung sein würde als, wie in der Vergangenheit, ein Beitrag zur deutschen Wiedervereinigung oder zur Befreiung der Satellitenstaaten.“241 Eine solche Haltung zur deutschen Frage schloss nach Noldes Ansicht Kritik am SED-Regime nicht aus, auch wenn man die Existenz der DDR prinzipiell anerkenne. Mit diesen Ausführungen umriss der Direktor der CCIA die Strategie des ÖRK für die Folgejahre, die entsprechend des weltpolitischen Trends auf Ausgleich zwischen den Machtblöcken setzte und den eher antikommunistischen Kurs der ersten Nachkriegsjahre ablöste. Anstelle einer öffentlichen Erklärung reiste Nolde vom 4. bis 5. September nach Berlin, um sich vor Ort ein Bild von der Situation zu machen und in Gesprächen mit Kirchenvertretern die Anteilnahme des ÖRK zu unterstreichen242. Doch auch während seines Aufenthaltes in der geteilten Stadt betonte Nolde, dass die Berlinfrage unter weltpolitischer Perspektive betrachtet werden müsse243. Vom 19. November bis 5. Dezember fand in Neu Delhi die 3. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen statt. Auch dort wurde über die Ereignisse in Berlin gesprochen. Deren Beurteilung war jedoch unter den Mitgliedskirchen umstritten, wie der Bericht des Ausschusses für die CCIA deutlich machte. „Bei der Diskussion der Berlinfrage neigen die Vertreter der Kirche dazu, sich nach Nationen und Blöcken aufzuspalten“, begann der Berlin-Abschnitt im Kapitel „Krisenherde und Entspannung“244. Die Repräsentanten der osteuropäischen Kirchen vertraten die Auffassung, dass man die Berlinfrage nicht isoliert betrachten könne, sondern „dass die ganze politische Stellung Deutschlands und Osteuropas, auch die Geschichte dieser Länder während des Krieges und seit dem Krieg wie auch die politische Lage innerhalb der Bundesrepublik gesamthaft 238 Zu Entstehung und Arbeit der CCIA vgl. M. GRESCHAT, Verantwortung; F. O. NOLDE, Handeln; Ökumenischer Rat der Kirchen, Rolle. 239 Vgl. G. BESIER, Haltung, S. 159 und DERS., SED-Staat, S. 422. 240 Zitiert nach: G. BESIER, SED-Staat, S. 422. 241 EBD., S. 422. 242 Vgl. KJ 88, 1961, S. 344. 243 Das Berlin-Problem im Lichte der gesamten Weltsituation. In: JK 22, 1961, S. 629f. 244 W. VISSER ’T HOOFT, Neu-Delhi, S. 290.

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zu betrachten seien.“245 Eine solche Argumentation steuerte mehr auf eine Erklärung als auf eine Verurteilung des Mauerbaus zu. Die Kirchenvertreter aus dem Westen sprachen sich ebenfalls gegen eine isolierte Sicht der Berlinfrage aus. Doch waren sie zugleich der Ansicht, dass der Bau einer Mauer durch eine Stadt, die Familien und Kirchen trenne und Menschen zu Verzweiflungstaten hinreiße, etwas sei, „was kein Christ billigen könne, und dass keine Nation das Recht habe, Menschen eines anderen Volkes als Werkzeuge ihrer eigenen Interessen zu benutzen.“246 Ihre Argumente zielten folglich auf eine humanitäre und politische Verurteilung des Mauerbaus. An das Eingeständnis der unterschiedlichen Bewertung der Ereignisse nach dem 13. August 1961 schloss sich in dem Bericht eine Textpassage über das geteilte Deutschland an. In ihr tauchte das Wort „Wiedervereinigung“ nicht mehr auf. Stattdessen richteten sich die Überlegungen – wie auch in Noldes Memorandum – ganz auf einen Entspannungsprozess im Zentrum von Europa. Die CCIA sollte die verschiedenen Pläne zu „einer begrenzten Form überwachter Rüstung, die wahrscheinlich in diesem sehr gefährlichen Gebiet entspannend wirken würde“, studieren und dabei die Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten. Im nächsten Textabsatz kam dann noch einmal die Sprache auf Berlin. Die Kirchen müssten „die Nationen vor neuen provokatorischen Handlungen in der Berliner Situation warnen“, etwa vor jedem weiteren Versuch, West-Berlin zu isolieren, oder vor der Ausrüstung der Bundeswehr mit Kernwaffen. War letzteres vorrangig eine Forderung der osteuropäischen Kirchen und ihrer Staaten, so setzten sich die Kirchen des Westens hingegen mit der christlich-humanitären Verurteilung des Mauerbaus durch. So schloss der Abschnitt über die Berlinfrage mit dem Satz: „Die Christen müssen klar zum Ausdruck bringen, dass sie, ganz abgesehen von Recht oder Unrecht im besonderen Fall, politische Handlungen, die Kirchen und Familien aufspalten oder Christen von Christen trennen, unter keinen Umständen billigen können.“247

In Neu Delhi konnten die Kirchenvertreter aus beiden deutschen Staaten entsprechend der Konferenzordnung noch einmal als gemeinsame deutsche Delegation in Erscheinung treten: Die „42 Deutsche[n] schritten inmitten der Vertreter von rund 190 christlichen Kirchen der Welt gemeinsam zum Versammlungszelt.“248 Aus der DDR hatten jedoch lediglich acht Teilnehmer eine Reisegenehmigung erhalten. Und auch sie durften zuvor nicht zur gemeinsamen „Vorbereitungstagung“ nach Arnoldshain fahren, sondern mussten den Flug nach Neu Delhi über Prag nehmen. Bischof Krummacher hatte angesichts der Behinderungen freiwillig auf seine Reiseerlaubnis verzichtet, um „dadurch sowohl innerkirchlich als auch gegenüber dem Staat zu dokumentieren, dass die Kirche ihre Freiheit bewahrt.“249 Die Versuche des Generalse245 246 247 248 249

EBD. EBD., S. 291. EBD. L. BESSERT, Getrennte, S. 7. Zitiert nach: G. BESIER, SED-Staat, S. 438.

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kretärs des ÖRK, Willem Visser ’t Hooft, im Vorfeld der Versammlung beim Staatssekretär für Kirchenfragen Seigewasser Ausreisegenehmigungen für sämtliche Delegierten der EKD aus der DDR zu erreichen, waren erfolglos geblieben250. Auf der Vollversammlung wurde sodann mehrfach darauf hingewiesen, dass die ostdeutschen Delegierten an der Teilnahme gehindert wurden, und damit die staatlichen Restriktionen gegenüber den Kirchen in der DDR vor aller Welt öffentlich gemacht. In einer „Botschaft an die Christen in Ostdeutschland“ wurde diesen versichert, „dass die Mitglieder der Vollversammlung durch ihre Abwesenheit bekümmert sind, beständig für sie beten und sich darüber freuen, dass wir über alle Schranken hin vereint sind in dem, der das Licht der Welt ist.“251 Herausragendes Ereignis der Vollversammlung in Neu Delhi war die Aufnahme der Russisch-Orthodoxen Kirche in der UdSSR und in deren Gefolge auch der orthodoxen Kirchen Rumäniens, Bulgariens und Polens in den ÖRK252. Prägend für die Zukunft sollte sich ebenfalls auswirken, dass sich die protestantische Weltorganisation auf ihrer dritten Vollversammlung entschieden für die Kirchen der „Dritten Welt“ öffnete: So kamen 18 der 23 während der Vollversammlung neu aufgenommenen Mitgliedskirchen aus Afrika, Asien und Lateinamerika253. Infolgedessen verschoben sich die Einflussgrößen innerhalb des einst „westlich“ begonnenen ÖRK zugunsten der „Zweiten“ und „Dritten Welt“254. Damit einher ging ein allmählicher Perspektivenwechsel hin zu den Problemen der Entwicklungsländer. Dorthin verlagerten sich während der sechziger Jahre auch der Systemkonflikt respektive seine potenzielle Entscheidung, wodurch die deutsche Frage Stück für Stück weiter aus dem Zentrum des weltpolitischen Interesses rückte. Schon in Bezug auf die Konferenz in Neu Delhi 1961 war von Mitgliedern der deutschen Vertretung und in der bundesdeutschen Öffentlichkeit kritisiert worden, dass die Anliegen des geteilten Deutschlands zu wenig berücksichtigt worden seien. Auch das deutsche CCIA-Mitglied Ulrich Scheuner räumte ein, dass die deutsche Frage im Vergleich zu früher stärker zurückgetreten sei und nannte hierfür gleich mehrere Ursachen: „Die gewandelte internationale Lage zwingt heute den Westen zu einem Engagement für Deutschland. Es ist bisher loyal erfüllt worden, aber es weckt keine Begeisterung für die deutsche Situation, die vor allem unter dem Gesichtspunkt der von ihr drohenden Kriegsgefahr erscheint. Man kann ferner – auch ohne den orthodoxen Beitritt – feststellen, dass insgesamt die Ost-West-Spannung weniger im Mittelpunkt stand als früher, dafür aber das Interesse mehr den aufsteigenden Staaten zugewandt war. Auch das führte eher von den deutschen Dingen hinweg. Es mag endlich immerhin als möglich angenommen werden, dass man in manchen Kreisen dem Gedanken Raum gab, dass es nicht tunlich sei, den Moment des rus-

250 251 252 253 254

Vgl. A. BOYENS, Rat, S. 105f. W. VISSER ’T HOOFT, Neu-Delhi, S. 348. Vgl. hierzu: A. BOYENS, Rat, S. 105ff. G. BESIER, Haltung, S. 157. Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 435.

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sischen Beitritts zu benutzen, um die Streitfragen um Deutschland besonders zu beleben. Alle diese Momente zusammen ergaben eine unverkennbare Neigung, in den deutschen Fragen zurückhaltend zu verfahren, die übrigens schon vor der Konferenz im Verhalten der Oekumene zu Berlin hervortrat. Im Blick auf diese Lage ist immerhin die deutsche Frage noch erheblich zum Zuge gekommen [. . .].“255

Otto Dibelius sah die Veränderungen in der ökumenischen Berlin- und Deutschlandpolitik hingegen vornehmlich durch die Aufnahme der osteuropäischen Kirchen in den ÖRK verursacht. Mit Unwillen reagierte er auf den Verlauf der Tagung des Zentralausschusses des ÖRK Mitte August 1962 in Paris256. Dort hatte der Ausschuss die Berlin-Frage lediglich im Rahmen einer allgemeinen Erörterung internationaler Fragen behandelt. Er stimmte indes einer Erklärung der CCIA speziell zur Berlinfrage zu, in der es hieß, dass unter den ungelösten Problemen Berlin in den Ost-West-Beziehungen eine „Schlüsselstellung“ einnehme; die Berlinfrage wirke stark auf alle Überlegungen zu Abrüstung und Sicherheit ein. Die ungelösten Probleme der Verkehrswege nach West-Berlin und des Status und der Zukunft der Stadt würden eine „große Gefahr für die internationale Lage und den Weltfrieden“ bedeuten. Alle beteiligten Regierungen müssten daher unbedingt die Verhandlungen darüber aufnehmen und fortsetzen. Eine endgültige Lösung dürfe aber nicht in kurzer Zeit erwartet werden. „Das Bemühen um eine Lösung“, so mahnte die CCIA in der Erklärung die Deutschen, „sollte den Blick für den großen Wert vorläufiger Regelungen nicht trüben, welche die vorliegenden Schwierigkeiten ändern und praktische Handhaben zur Meisterung einer gefährlichen Lage bieten. Einstweilen braucht es Geduld, um in Verhältnissen zu leben, die zur Zeit nicht allgemein zu beheben sind. Es sollte jedoch alles versucht werden, einseitiges Handeln zu vermeiden, das weitreichende Konflikte auslösen könnte.“257

In Reaktion auf die Berlin-Diskussion im Zentralausschuss gab Dibelius ein Interview, in dem er die Haltung des ÖRK in dieser Frage stark kritisierte:258 Das Berlin-Problem sei nur flüchtig behandelt und der Hoffnung Ausdruck gegeben worden, die Situation möge durch Verhandlungen entspannt werden. Nach Ansicht des Berliner Bischofs hing der Ausbruch oder die Verhinderung eines Dritten Weltkrieges aber maßgeblich von einer gerechten Lösung der Berlinfrage ab. Erst die Lösung der Berlinfrage sichert den Frieden, lautete seine Kausalfolge. Den ÖRK forderte er auf, ein christliches Zeugnis abzulegen und sich nicht von einer Minorität – gemeint war die Russisch-Orthodoxe Kirche – bestimmen zu lassen. Der Weltrat der Kirchen nahm diese Kritik, die ähnlich auch von Bischof Lilje geäußert wurde, sehr ernst259. Nolde schrieb sofort an Dibelius, dass der ÖRK seinen Zeugnisauftrag keineswegs verletzt und er selbst die 255 Scheuner an Wischmann, 25.2.1962 (EZA BERLIN, 6/85/1521). 256 Vgl. den Bericht darüber in der JK 23, 1962, S. 525–532. Die beiden DDR-Delegierten sowie das ostdeutsche CCIA-Mitglied Krummacher hatten keine Reisegenehmigung nach Paris erhalten. 257 Zitiert nach: EBD., S. 531. 258 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 554. 259 Vgl. A. BOYENS, Rat, S. 151.

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Berlinfrage nachdrücklich thematisiert habe260. Unterstützung erhielt er von Scheuner, der ihm versicherte, in der EKD sei man insgesamt mit der Stellungnahme des Zentralausschusses in Paris einverstanden. Jedoch wies auch der Bonner Rechtswissenschaftler auf das Bedauern in kirchlichen Kreisen hin, dass in einigen Kirchenzeitschriften zur Berlinfrage keine deutlicheren Worte gefunden worden waren261. Gegenüber Dibelius stellte sich Scheuner auf die Seite Noldes. In einem Brief an den Berliner Bischof, den er auf Anraten des Kirchlichen Außenamtes schrieb262, bestritt das deutsche CCIA-Mitglied die These von Dibelius, die Aufnahme der östlichen Kirchen in den ÖRK habe zu einem Bruch in dessen Deutschlandpolitik geführt263. Für das nachlassende Interesse an der Deutschlandfrage sei vielmehr ein „Wandel der allgemeinen Weltmeinung“ verantwortlich, so Scheuner. Es werde immer schwieriger, den deutschen Auffassungen in der Berlinfrage in internationalen Gremien Gehör zu verschaffen. Die öffentliche Meinung in den meisten Ländern sehe „die Berliner Frage vor allem unter dem Gesichtspunkt der Gefahr für den Frieden und ist bestrebt, alle Möglichkeiten einer friedlichen Lösung zu unterstützen.“264 Dibelius hingegen sah sich in seiner Haltung bestätigt, als Ende September einige osteuropäische Bischöfe zur Berliner Mauer Stellung nahmen. Im Rahmen des Evangelischen Pfarrertages in Ost-Berlin, an dem ca. 200 „fortschrittliche“ Pfarrer teilnahmen, besuchten u. a. der polnische Bischof Wantula, der ungarische Bischof Vetö und Bischof Katlovski von der slowakisch-lutherischen Kirche in Begleitung des Staatssekretärs für Kirchenfragen die Berliner Mauer. Im Anschluss erklärte Wantula in einem ADN-Interview, die Mauer sei zwar für Einzelne tragisch, aber „von einem höheren Gesichtspunkt aus betrachtet ist die Sicherung dieser Grenze eine Notwendigkeit.“ Sie sei ein „Schutzwall“ für die DDR und auch für Polen, um „Aufbauarbeit“ leisten zu können und in Frieden zu leben265. Vetö nannte die Mauer „nicht schön“, sah aber in ihr ein geeignetes Mittel zur Sicherung des Friedens266. Ähnlich äußerte sich Katlovski. Dibelius bezeichnete diese Äußerungen als einen „ökumenische[n] Skandal“, als Zeichen einer „politische[n] Unterwanderung der ökumenischen Gemeinschaft der Kirchen“ und titulierte die drei Bischöfe als „Werkzeuge der politischen Propaganda“267. Um den Berliner Bischof in seinem Unwillen über die Haltung der Ökumene zur Berlinfrage zu besänftigen, reiste Nolde am 21. Oktober in die geteilte Stadt. Dort betonte er in einer Rede das Selbstbestimmungsrecht der Völker und nahm klar zum Status Berlins Stellung268. Von den unmittelbaren Eindrücken berührt gestand der 260 Vgl. G. BESIER, Haltung, S. 161. 261 G. BESIER, SED-Staat, S. 556. 262 H. Krüger an Scheuner, 17.9.1962 (EZA BERLIN, 6/85/1521). 263 Scheuner an Dibelius, 8.10.1962. Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 556. 264 EBD. 265 Zitiert nach: KJ 89, 1962, S. 162. 266 EBD., S. 163. 267 O. Dibelius: Es geht um die Ökumene! In: Berliner Sonntagsblatt, 14.10.1962. Zitiert nach: KJ 89, 1962, S. 163f. 268 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 556f.

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Londoner CCIA-Sekretär Reverent Alan R. Booth, der Nolde begleitet hatte, in seinem Bericht über die Reise ein, dass es die Neu-Delhi-Kommission zum Mauerbau in Berlin unterlassen habe, moralische Entrüstung über die inhumanen Begleitumstände und Folgen der Grenzschließung zu äußern269. An dem deutschlandpolitischen Kurs der CCIA änderte dieses Eingeständnis jedoch nichts. Booth betonte in seinem Bericht, dass angesichts der aktuellen Mächtekonstellation in Mitteleuropa die christliche Meinungsbildung dahingehend beeinflusst werden müsse, die Existenz sowohl der Mauer als auch der DDR zu akzeptieren270. Ansonsten erhöhe sich die Gefahr eines großen Krieges. Die christlichen Interventionen, so führte der CCIA-Sekretär aus, dürften zukünftig nicht mehr an den politischen Einflusssphären ansetzen, sondern bei den inhumanen Methoden, mit denen die DDR-Regierung ihre Bürger entgegen des Selbstbestimmungsrechtes der Völker und der Menschenrechte unterdrücke. Dibelius und Scharf nahmen den Bericht Booths zum Anlass, um noch einmal die deutschlandpolitischen und kirchenpolitischen Anliegen der EKD darzulegen271. In ihrer Stellungnahme, die sie nach Genf sandten, äußerten sie sich enttäuscht darüber, dass es offenbar erst die Kuba-Krise und nicht schon der Mauerbau gewesen sei, der den Westalliierten die Augen für die aggressive Politik der UdSSR und ihrer Satellitenstaaten geöffnet habe. Sie betonten erneut, dass die Haltung des ÖRK nach Errichtung der Mauer innerhalb der EKD auf Kritik gestoßen sei. Auf die kirchliche Situation bezogen, bekräftigten der ehemalige und der amtierende Ratsvorsitzende der EKD, dass man eine Kirche in Ost und West sei und dies auch bleiben wolle. Den ökumenischen Brüdern, so die beiden, könne es zugemutet werden, sie in ihrem Widerstand gegen eine Spaltung der EKD zu unterstützen, was sie „ja auch vielfach in der großzügigsten Weise“ tun würden272. Als verhängnisvoll bezeichneten es die Berliner Kirchenmänner, falls sich in der Ökumene „um der Brüder aus den anderen Kirchen willen“ ein „‚rücksichtsvolles‘ Schweigen“ ausbreite, wenn es um Fragen des kirchlichen Protestes gegen ein Unrechtsregime gehe. Die Kirchen dürften eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker nicht schweigend hinnehmen. Ernsthaft gefährdet sahen Scharf und Dibelius die Beziehungen zu Genf in dem Falle, dass die CCIA der staatsrechtlichen Anerkennung der DDR das Wort reden sollte. Um herauszufinden, wie verschiedene deutsche Kirchenvertreter die politische und kirchliche Lage einschätzten, nahmen Booth und Nolde Anfang 1963 verstärkt Kontakt zu den CCIA-Mitgliedern Krummacher, Kloppenburg, Scheuner und Lilje auf273. Am 21. Januar schrieb Krummacher, das einzige ostdeutsche Mitglied der CCIA, Booth von einer drohenden, „unmerklich eintretende[n] ‚Entfremdung‘“ zwischen den ost- und westdeutschen Gliedkirchen und bestätigte, „dass durch ökumenische Besuche bei beiden Teilen der getrennten Brüder eine wesentliche Hilfe geleistet“ wer269 270 271 272 273

EBD. EBD. EBD. Aus dem Brief der „Berliner Freunde“ an die CCIA wird zitiert nach: K. KUNTER, Kirchen, S. 262. Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 561ff.

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de274. Nolde und Booth folgerten aus Krummachers Äußerungen, dass es sich sowohl bei der kirchlichen Einheit der EKD als auch bei der staatlichen Wiedervereinigung stärker um westliche denn östliche Anliegen handelte. In den Kirchen in der DDR sahen sie die Bereitschaft zunehmen, die innerdeutsche Grenze und den ostdeutschen Teilstaat zu akzeptieren und innerhalb der gegebenen Verhältnisse für mehr Menschlichkeit einzutreten275. Nach einem Gespräch mit Staatssekretär Seigewasser schrieb Krummacher am 10. Februar erneut an Booth und teilte den Inhalt des Briefes einen Tag später in einem „eno“-Interview der Öffentlichkeit mit276. Der Bischof dankte Booth für die Informationen über die weltweite Arbeit der CCIA, da sie helfen würden, die „eigenen spannungsvollen Probleme im grösseren Zusammenhang der oekumenischen Bemühungen um die weltweiten internationalen Fragen [zu] sehen, um nicht introvertiert nur auf unsere speziellen Fragen, insbesondere das Deutschland- und Berlin-Problem, zu schauen.“277

Doch trotz der „Sorge vor Überschätzung unserer eigenen Probleme“ kam Krummacher aus humanitären Motiven, wie er betonte, anschließend erneut auf die Deutschlandfrage zu sprechen. Er frage sich, „ob nicht, nach der Überwindung der Kuba-Krise, C. C. I. A., auch über den unmittelbaren Bereich der christlichen Menschen hinaus, einen hilfreichen Schritt in Richtung auf einen vernünftigen Kompromiss auch für Deutschland anbahnen könnte.“

In diesem Zusammenhang kritisierte Krummacher den bundesdeutschen Alleinvertretungsanspruch und erwähnte das Sieben-Punkte-Programm von Ulbricht, das „um der betroffenen Menschen willen sachlich, nüchtern und mit etwas gutem Willen zum Gegenstand von Gesprächen und Gegenvorschlägen“ gemacht werden sollte. Der Brief löste bei seinem Adressaten eine gewisse Ratlosigkeit aus. Booth befürchtete, dass die ost- und die westdeutschen Kirchenvertreter die CCIA „in dieser Angelegenheit mit unterschiedlichen Richtlinien ausstatten würden.“278 Aus einem Schreiben von Scheuner an Booth vom 17. Februar wurde jedoch deutlich, dass auch westdeutsche CCIA-Mitglieder ein Abrücken von bisherigen politischen Positionen empfahlen279. Einen entscheidenden Kurswechsel in der bundesdeutschen Politik erhoffte Scheuner nach dem für Herbst 1963 erwarteten Rücktritt Adenauers. Anfang März reisten Nolde und Booth nach Berlin, um Vorbereitungsgespräche für eine Ost-West-Konsultation über die Deutschlandfrage zu führen, die schon vor Krummachers zweitem Brief angedacht worden war280. Bei ihren Gesprächen erhielten die Ökumene-Vertreter den Eindruck, dass die deutschen Kirchenvertreter in der 274 275 276 277 278 279 280

Krummacher an Booth, 21.1.1963. Zitiert nach: EBD., S. 562. Aktenvermerk Noldes an Booth, 25.1.1963. Vgl. EBD. Siehe Kap. 3.2.1. Abschrift des Briefes im BArch KOBLENZ, N 1439/10. Booth an Nolde. Zitiert nach: G. BESIER, SED-Staat, S. 563. Vgl. EBD., S. 564. Vgl. hierzu und zum Folgenden: EBD., S. 564–568; A. MÄKINEN, Mann, S. 125ff.

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Beurteilung des Krummacher-Briefes völlig uneinig waren. Krummacher selbst deutete gegenüber Nolde und Booth seine Bezugnahme auf Ulbrichts Sieben-Punkte-Plan als taktischen Schritt zum Anschub des Ost-West-Dialogs, den er in seiner Eigenschaft als deutsches Mitglied der CCIA unternommen habe. Bei ihrem Besuch in Berlin sprachen die beiden Ökumene-Repräsentanten mit ihren deutschen Partnern auch erstmals über die seit November 1962 laufenden Sondierungsversuche der SED-Regierung für ein geheimes Gespräch zwischen ÖRK- und Regierungsvertretern281. Während einige deutsche Gesprächspartner eine solche Begegnung grundsätzlich begrüßten, wurde insgesamt aber zum Abwarten geraten. Als Diskussionsgrundlage für die Konsultation zwischen ost- und westdeutschen Kirchenvertretern sowie ÖRK-Repräsentanten, die für Ende Mai angesetzt war, verfasste Scheuner auf Bitte Booths hin eine sechsseitige Tischvorlage. Er gab ihr den Titel „Reflexionen zur deutschen Frage“ und ließ sie am 6. Mai dem CCIA-Sekretär zukommen. In dem Text hieß es, dass zwar die Deutschen mehrheitlich eine Wiedervereinigung wünschten, außerhalb Deutschlands aber der Gedanke des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen um des Friedens mit der Sowjetunion willen allmählich in den Hintergrund rückte. Die deutsche Frage habe an Gewicht verloren, da sich die Blockkonfrontation weg von Europa und hin zur „Dritten Welt“ und Lateinamerika verschoben hatte. Auf westdeutscher Seite werde die Ansicht vertreten, dass Zugeständnisse an die Sowjetunion, wie die Inkaufnahme der formellen Stabilisierung der deutschen Teilung im Interesse einer friedlichen Koexistenz, lediglich neue sowjetische Vorstöße provozierten. Das Anliegen der Kirche in dieser Situation, so Scheuner, müsse sein, die humanitären Probleme hervorzuheben und nach verstärkten menschlichen Kontakten zwischen der Bundesrepublik und der DDR zu streben. Während die Kirchen in der DDR kaum Einfluss auf den Kurs der Politik nehmen könnten, seien die westdeutschen Kirchen in der Lage, gegen manche Entwicklungen Position zu beziehen, welche die persönlichen Beziehungen eher erschwerten: „Dazu gehört eine auch von dort ausgehende Absperrung in der Information und in der geistigen Beziehung, dazu gehört auch die fortgeführte Aufrechterhaltung unrealistischer und emotionaler Vorstellungen.“282 Auf den christlich-kirchlichen Aspekt der Teilung kommend, empfahl er, das Problem des Lebens von Christen in einem bewusst atheistischen Staat intensiv zu reflektieren. Er hielt es für fraglich, ob die während der Zeit des Nationalsozialismus entwickelten Grundsätze auf die heutige Situation übertragen werden konnten. Das zentrale Gesprächsthema bei der Konsultation in Ost-Berlin war dann aber die Frage, ob die DDR außenpolitisch anerkannt werden sollte283. Es herrschte darüber

281 Vgl. ausführlich hierzu: G. BESIER, SED-Staat, S. 559ff. 282 Zitiert nach: EBD, S. 567. 283 Neben den deutschen Mitgliedern der CCIA nahmen an dem Treffen am 27./28.5.1963 von ökumenischer Seite Nolde, Booth und der CCIA-Sekretär in Genf, Elfan Rees, teil; Walter Zimmermann, Vizepräsident des Lutherischen Kirchenamtes, und Wilkens vertraten Bischof Lilje; Teilnehmer von ostdeutscher Seite waren Noth, Schönherr, Hildebrandt, Knospe und Oberkirchenrat Gerhard Schmitt.

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Konsens, dass eine Anerkennung der DDR durch westliche Staaten die Tendenz zur Abtrennung noch verstärken könnte. Auch würden ihr kaum Erleichterungen im menschlichen Bereich folgen. Die westdeutschen Konsultationsteilnehmer glaubten, dass auch wirtschaftliche Zugeständnisse an die DDR nicht zur Verbesserung der humanitären Situation führen würden, da die DDR-Regierung politische Zugeständnisse forderte, zu denen die Bundesrepublik aber nicht bereit sei. Nolde und Rees wiesen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Aufnahme von Gesprächen zwischen Vertretern des ÖRK und einer Regierung keine Anerkennung dieser Regierung bedeute. Bevor der ÖRK Kontakt mit der DDR-Regierung aufnehme, werde er die Umstände der Begegnung und die Sachfragen mit den ostdeutschen Kirchenvertretern besprechen und auch die EKD zumindest verständigen. Die Stabsmitglieder der CCIA widmeten der Situation der deutschen Kirchen sowie dem Berlin- und Deutschlandproblem auch in den Folgejahren weiterhin ihre Aufmerksamkeit, u. a. in Form von Berlin-Besuchen. Auf Einladung der Evangelischen Akademie in Ost-Berlin hielt Nolde im November 1963 einen Vortrag284. In der daran anschließenden Diskussion verwies er erneut darauf, dass es keine militärische Lösung der Deutschlandfrage geben dürfe, und mahnte zur Geduld. Ausdrücklich unterstrich er das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes, auch wenn er eine Ausübung dieses Rechtes gegenwärtig und in der unmittelbaren Zukunft nicht für möglich hielt. Auf der Jahrestagung der amerikanischen Mitgliedskirchen des ÖRK im April 1964 forderte Nolde erneut das Selbstbestimmungsrecht für die Deutschen ein. Jedoch müsse es in einer Weise gewährt werden, so schränkte er ein, „die gleichzeitig die Sicherheit seiner Nachbarn im Osten und Westen gewährleistet.“285 Der „Mythos“ aber, „dass Deutschland als bleibendes Ergebnis des 2. Weltkrieges getrennt bleiben“ müsse, könne nicht aufrechterhalten werden286. Noch stärkere Aufmerksamkeit wurde der Deutschland- und Berlinfrage in einem anderen ökumenischen Zusammenschluss gewidmet: in der 1958 unter der Ägide des Prager Theologen Josef L. Hromádka gegründeten Christlichen Friedenskonferenz (CFK)287. An der Gründung waren auch deutsche Theologen und Kirchenvertreter beteiligt, die vornehmlich aus den kirchlichen Bruderschaften kamen. Hierzu zählten u. a. Joachim Beckmann, Hans Joachim Iwand, Martin Niemöller, Helmut Gollwitzer, Heinrich Vogel und Werner Schmauch. Wie der Name der Konferenz zu erkennen gab, stand im Zentrum ihrer Arbeit die Friedensthematik. Ausgehend von dem Eingeständnis, dass auch die Christen an den beiden Weltkriegen eine Mitschuld trugen, leiteten die Theologen der CFK eine besondere christliche Verantwortung ab, sich für die Versöhnung und die friedliche Zusammenarbeit zwischen den Völkern einzusetzen. Zunächst galt ihr Hauptinteresse den Fragen der Überwindung des Kalten Kriegs 284 285 286 287

Vgl. KJ 91, 1964, S. 357. Vgl. auch A. MÄKINEN, Mann, S. 137. KJ 91, 1964, S. 358. EBD., S. 357f. Zur CFK vgl. zuletzt: G. LINDEMANN, Sauerteig.

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und des Verbots der Atomwaffen. Seit Mitte der sechziger Jahre verlagerte sich dann wie auch in anderen ökumenischen Veranstaltungen der Schwerpunkt der Diskussion und des Interesses vom Ost-West-Gegensatz auf die Nord-Süd-Spannungen. Insbesondere in den Anfangsjahren, als die Mehrzahl der osteuropäischen Kirchen noch nicht den Anschluss an den ÖRK vollzogen hatten, waren die Prager Versammlungen für viele ihrer Teilnehmer vor allem eine Möglichkeit der Begegnung und des Austauschs zwischen Ost- und Westeuropa. Die kirchlichen Zusammenschlüsse EKD, EKU sowie die VELKD lehnten eine offizielle Beteiligung an der CFK jedoch ab. Sie sandten lediglich Beobachter zu den Prager Allchristlichen Versammlungen. Die Friedenskonferenz stand von Anbeginn unter staatlicher Einflussnahme. Die Kirchenämter der Ostblockstaaten, deren Vertreter sich regelmäßig zum kirchenpolitischen Informationsaustausch trafen, legten die politischen Leitlinien fest, die sie anschließend mit Hilfe inoffizieller Kräfte durchzusetzen suchten288. In der Jahresanalyse der Hauptabteilung V/4 des MfS für das Jahr 1960 vom 30. Dezember 1960 hieß es: „Es wurde erreicht, dass im Rahmen der Prager Christlichen Friedenskonferenz eine Deutsche Sektion der PCF gebildet wurde, in welcher die inoffiziellen Mitarbeiter des Referates I leitende Positionen bekommen haben.“289 Im Februar 1961 wurde sodann in Berlin ein Arbeitsausschuss der CFK in der DDR gebildet, dessen Vorsitz Werner Schmauch übernahm und dessen Büro durch die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen eingerichtet und finanziell unterstützt wurde290. Die CFK beschäftigte sich in der ersten Hälfte der sechziger Jahre zunehmend intensiver mit der deutschen Frage, die sie der Friedensfrage ein- und unterordnete. Zunächst wurde das Deutschlandproblem nur sehr allgemein angesprochen. So bat man in der Botschaft der 3. Tagung der CFK im September 1960 die verantwortlichen Staatsmänner darum, „das deutsche Problem“ durch Vereinbarungen zu lösen und damit die Grundlage für einen dauerhaften Weltfrieden zu legen. Auf der selben Tagung nahm die Diskussionsgruppe „Probleme des kalten Krieges“ eine Resolution an, in der behauptet wurde, dass „die in Westdeutschland verstärkt erhobenen militärischen und politischen Forderungen“ sowie die „ungeklärte Berlin-Frage“ in jüngster Zeit „große Unruhe in der Weltöffentlichkeit verursacht“ hätten. Die „Infragestellung der durch den Hitlerkrieg herbeigeführten Grenzen Polens“ sowie das „unnormale Verhältnis der beiden deutschen Staaten“ stufte die Resolution als friedensgefährdend ein291. Auf der ersten Allchristlichen Friedensversammlung in Prag vom 13. bis 18. Juni 1961 bildete die deutsche Frage dann einen der thematischen Schwerpunkte der Zusammenkunft. Im Vorfeld waren die ostdeutschen Teilnehmer von Seiten der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen darauf vorbereitet worden, „dass sie eine klare Stellung zu den Lebensfragen des deutschen Volkes beziehen und den westdeut288 Vgl. C. VOLLNHALS, Abteilung, S. 115. 289 BStU BERLIN, MfS HA XX/4/332. 290 Hans Weise: Information über den derzeitigen Stand der Vorbereitung der Allchristlichen Friedenskonferenz im Juni in Prag, 22.3.1961 (BArch BERLIN, DO 4/2550). 291 Zitiert nach: JK 21, 1960, S. 624.

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schen Militarismus als Hauptstörenfried des Friedens in Europa entlarven müssen.“292 Von der EKD nahmen an der Versammlung lediglich zwei Beobachter teil; Niemöller, Wilm und Kloppenburg fuhren als Privatpersonen nach Prag293. In der mit großer Mehrheit angenommenen „Botschaft“ der Allchristlichen Konferenz wurde die „ungelöste Deutschlandfrage“ als „eine gefährliche Wunde am Leibe Europas“ bezeichnet und an die beiden deutschen Regierungen die Aufforderung gerichtet, durch einen Verzicht auf atomare Aufrüstung zum Frieden in Europa und der Welt aktiv beizutragen294. Ausgangspunkt des Berichts der Arbeitsgruppe „Der Friede und das Deutschland-Problem“ für das Plenum war die Schuldfrage. Dabei wurde das Bewusstsein, „dass Deutschland die heutige Lage selbst verschuldet hat“, als Voraussetzung für das „Betreten des Weges zum Frieden“ bezeichnet295. Als Schritt zur Sicherung des Friedens erwartete man von (West-)Deutschland, dass es auf die wiederholt gemachten Vorschläge, die zu einem Friedensvertrag führen würden, eingehe296. „Möglichkeiten, die zur Entspannung führen können“, wurden als Angebot des „Herrn der Geschichte [. . .] zur Umkehr von einem falschen Weg“ gedeutet. Insofern sah man auch in der Zweistaatlichkeit Deutschlands nicht nur ein „Schicksal“, sondern auch eine „Aufgabe“. Die Deutschen sollten die gegenseitigen Verbindungen ausbauen und damit zur Befriedung der politischen Lage in Europa und in der Welt beitragen. Die Kirchen wurden dazu aufgefordert, das Gespräch miteinander zu suchen und ihre gegenseitigen Besuche zu intensivieren. Am Ende des Berichtes regte die Arbeitsgruppe die Gründung einer ständigen Kommission der CFK zum „Studium der deutschen Fragen“ an297. Diese Entwicklung war ganz im Sinne von Staatssekretär Seigewasser. Denn Ende September 1961 schrieb er an den Prager Kulturminister Frantisek Kahuda, dass die Deutschlandfrage im Blick auf einen anzustrebenden Friedensvertrag im Mittelpunkt der Arbeit der CFK der kommenden Jahre stehen sollte298. Ebenfalls ganz im Sinne der SED ließ der Arbeitsausschuss der CFK, der sich vom 25. bis 27. Oktober 1961 in Prag traf, in seinem Beschluss den Mauerbau in Berlin unerwähnt. Stattdessen wurde erklärt, „dass die Anerkennung der Existenz der beiden deutschen Staaten und der Grenzen, wie sie im Jahr 1945 vorläufig bestimmt wurden, zur Lösung der deutschen Frage ebenso hinzugehört, wie die Einbeziehung der beiden deutschen Staaten in eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa als erster Schritt zur totalen Abrüstung, die friedliche Überwindung der Berlin-Krise und die Wiederherstellung der menschlichen Gemeinschaft zwischen den Angehörigen des einen deutschen Volkes und auch zwischen ihnen und den Nachbarvölkern. Wir

292 293 294 295 296 297 298

EBD. Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 448. Zitiert nach: KJ 88, 1961, S. 347. Zitiert nach: JK 22, 1961, S. 421. EBD., S. 422. EBD., S. 423. Vgl. G. LINDEMANN, Sauerteig, S. 709.

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sind überzeugt, daß Friedensverträge mit den beiden deutschen Staaten nicht nur den zweiten Weltkrieg beenden, sondern eine Befriedung und eine reale Grundlage für eine dauerhafte friedliche Ordnung der Verhältnisse in Europa schaffen.“299

Die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 21. bis 22. Februar 1962 in Budapest erbrachte lediglich eine Wiederholung dieser deutschlandpolitischen Forderungen300. Mitte Mai trat in Karlovy Vary (Karlsbad) der Beratungsausschuss der CFK zusammen, um das Thema „Die Verantwortung der Christen in der gegenwärtigen internationalen Spannung“ zu verhandeln301. Trotz nicht unerheblicher Auseinandersetzungen während der Sitzung wurde ein gemeinsames Kommuniqué verabschiedet, in dem erneut die Deutschlandfrage ohne Hinweis auf den Mauerbau thematisiert wurde. Der Ausschuss empfahl den (West-)Deutschen, ihre nationalen Wünsche hintanzustellen und aufzuhören, der „Beseitigung des internationalen Krisenherdes Deutschland im Wege zu stehen.“302 Sie sollten jede Verständigung zwischen den Siegermächten dankbar begrüßen und sich konstruktiv zu den Verhandlungen stellen. Dazu gehöre, im Übereinander- und Miteinandersprechen das gegenwärtige Bestehen zweier deutscher Staaten anzuerkennen. Der Internationale Ausschuss der CFK tagte im September in Moskau. Dort schlugen die Delegierten der DSSR vor, ein Gespräch zwischen Vertretern aus beiden deutschen Staaten sowie Kirchenvertretern über das Thema „Deutschland und Berlinfrage“ zu initiieren. Bei einer Konsultation zwischen Gerhard Bassarak, dem internationalen Sekretär der CFK aus der DDR, und Jaroslav Ondra, dem Generalsekretär der CFK, im Oktober in Prag wurde dieser Gedanke weiterverfolgt. Die beiden benannten bereits mögliche Gesprächsteilnehmer und dachten an Dieckmann und Gerstenmaier als einzuladende Staatsvertreter303. Aus Furcht, hiermit könne einem „sog. dritten Weg Vorschub“ geleistet werden, sprach man sich von staatlicher Seite in der DDR zunächst gegen diese Initiative aus304. Hrusa vom Ministerium für Kultur und Schulwesen der DSSR, Hauptabteilung Kirchenfragen, vertrat dagegen die Ansicht, dass die CFK Aktionen durchführen müsse, um ein Gegengewicht zur CCIA werden zu können305. Während eines Gesprächs zwischen Hrusa und den Mitgliedern des Internationalen Sekretariats aus den sozialistischen Staaten am 21. November in Prag wurde festgelegt, dass auf der geplanten Konsultation die Deutschlandfrage unter internationalem Aspekt diskutiert werden sollte und innenpolitische Fragen ausgeschlossen werden müssten306. Das Internationale Sekretariat legte daraufhin die 299 Zitiert nach: JK 22, 1961, S. 702. 300 JK 23, 1962, S. 154. 301 Vgl. KJ 89, 1962, S. 318. 302 EBD., S. 319. 303 Kurzprotokoll über die Konsultation Bassarak-Ondra am 22./23.10.1962 in Prag; Bericht Seidowskys über eine Unterredung mit „Freund“ am 26.10.1962 (beide: BStU BERLIN, MfS AIM 3654/71 Bd. 5). 304 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 452. 305 Bericht Seidowskys vom 27.11.1962 über eine Unterredung mit „Freund“ (BStU BERLIN, MfS AIM 3654/71 Bd. 5). 306 Kurzprotokoll über das Gespräch (EBD.).

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Marschroute fest307. Die im Februar in der DDR tagende ständige Kommission sollte Thesen zur Deutschland- und Berlinfrage erarbeiten, die im März im Arbeitsausschuss diskutiert würden. Auf der Grundlage dieser Thesen wollte man dann paritätisch Politiker aus beiden deutschen Staaten zur Stellungnahme einladen. Die Zahl der beteiligten Kirchenvertreter sollte klein gehalten werden, wobei an Wilm und Stempel aus der Bundesrepublik und Schönherr und Jacob aus der DDR gedacht war. Im Dezember 1962 gab es auf der Sitzung des Arbeitsausschusses der CFK in Holland Streit darüber, wo die neue Studienkommission „Friede und die Deutschlandfrage“ erstmals tagen sollte308. Einige Mitglieder bezweifelten, ob die DDR, wie ursprünglich vorgesehen, der geeignete Tagungsort sei. Aus Protest stellte Bassarak daraufhin sein Amt als Internationaler Sekretär zur Verfügung. Die Kommission tagte schließlich vom 4. bis 8. März 1963 im ungarischen Mátraháza. In den von ihr entworfenen Richtlinien wurde empfohlen, die deutsche Frage unter drei Gesichtspunkten zu behandeln. Zunächst sollte nach den theologischen Voraussetzungen und Strukturen gefragt werden. Dazu zählte die Kommission das Schuldbekenntnis als Ausgangspunkt für Versöhnung und eine humanere Politik, die Überwindung von Angst auch in der Begegnung mit dem Atheismus sowie die Ablehnung einer „natürlichen Theologie“ in Form der Überhöhung von „christliche[r] Kultur, Menschenrechte[n] [sic!], Selbstbestimmung, Volkseinheit, Recht auf Heimat u. a.“. Außerdem sollte nach politischen Konkretisierungen gesucht werden. Hier wurden die Aussagen der Verlautbarungen der CFK seit 1961 wiederholt und eine Lösung der Berlin-Problematik nur im Zusammenhang mit einer Neutralisierung Deutschlands gesehen. Schließlich sollten die Adressaten der Prager Aussagen – Öffentlichkeit, Regierungen und Kirchen – benannt werden309. Auf seiner Tagung in Dresden vom 28. März bis 3. April diskutierte der Arbeitsausschuss ausführlich über die politische Lage Deutschlands310. Grundlage hierfür war neben den Richtlinien der Kommission auch ein „Memorandum zur Deutschlandfrage“ von Hromádka311. Nach Ansicht des Theologen stand die Welt an der Schwelle einer neuen Epoche: Keine Frage, auch nicht die deutsche, könne mehr durch einen Krieg gelöst werden; Gespräche, die Suche nach einer gemeinsamen Basis und nach Kompromissen würden sich früher oder später als einzige Möglichkeit erweisen. Ziel sei eine dauerhafte Koexistenz, die jedoch dynamisch verstanden werden müsse. Sie bedeute „ein schwieriges, aber umso wichtigeres Bemühen, allseitige Fähigkeit zu zeigen, wie man zum Fortschritt und zum Guten der menschlichen Gesellschaft, zur höheren Freiheit und Gerechtigkeit, zur tieferen gegenseitigen Solidarität beiträgt.“312 Die deutsche Frage blieb nach Hromádkas Ansicht „Prüfstein in dieser neuen Epoche“. Damit wies

307 308 309 310 311 312

Kurzprotokoll über die Sitzung (EBD.). Protokoll über die Sitzungen am 4.–7.12.1962 (EBD.). Abdruck der Richtlinien in: JK 24, 1963, S. 285f. EBD., S. 284. Exemplar im EZA BERLIN, 104/543. EBD., S. 11.

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er ihr entgegen der allgemeinen Tendenz auf weltpolitischer und ökumenischer Ebene weiterhin eine zentrale Bedeutung zu. Die Verantwortlichen für die Spaltung und ihre Vertiefung sah er im Westen, Lösungsvorschläge hingegen, um aus der „Sackgasse herauszukommen“, kamen seiner Ansicht nach allein aus dem Osten. Als „gute Vorschläge für Gespräche“, um in der deutschen Frage weiterzukommen, bezeichnete der Präsident der CFK die Sieben Punkte von Ulbricht. Es liege nun an der Bundesrepublik, „vernünftig und realistisch den Vorschlägen der anderen Seite entgegen[zu]kommen.“313 „Solange der andere deutsche Staat ignoriert wird“, argumentierte Hromádka, „solange solche Ansprüche erwogen werden, dass die BRD der einzige berechtigte Vertreter des ganzen deutschen Volkes ist, solange nicht wirklich zur Kenntnis genommen wird, dass Osteuropa ein dauernder Mitgestalter der künftigen internationalen Ordnung ist und dass der Krieg aufgehört hat, Schiedsrichter im internationalen Leben zu sein, bis dahin machen wir nicht nur keinen Schritt vorwärts, sondern wir vertiefen nur die Spannung, die Vorurteile, die falschen Vorstellungen und Schwächen unserer eigenen historischen Aufgabe.“314

Insbesondere die christlichen Kirchen sollten einen westdeutschen Bewusstseinswandel fördern. „Nur dann können sie“, so der tschechische Theologe, „ihre Sendung erfüllen, wenn sie den Mut zum Verständnis unbestreitbarer Tatsachen aufbringen und Tapferkeit beim Suchen nach neuen Wegen beweisen.“315 Im Rahmen der CFK gehe es darum, „durch unser Verständnis eine solche Atmosphäre des Vertrauens und der Mitarbeit schaffen zu helfen, die im kirchlichen und öffentlichen Leben den konstruktiven Tendenzen in Deutschland zur Überlegenheit verhelfen und zur allmählichen Liquidation aller unheilvollen Reste der unmittelbaren Vergangenheit beitragen kann.“316

Der Arbeitsausschuss begrüßte das stark geschichtspolitisch und geschichtstheologisch argumentierende Memorandum als „wichtiges Studienmaterial“, beschloss seinen Abdruck und empfahl es der Aufmerksamkeit aller der CFK Nahestehenden317. In der Diskussion wurden sich die Ausschussmitglieder darin einig, dass eine Lösung der Deutschlandfrage nur über Gespräche gefunden werden könne, wobei von der Existenz zweier deutscher Staaten mit verschiedenen Gesellschaftsordnungen ausgegangen werden müsse. Weitere Voraussetzungen seien die Anerkennung der deutschen Nachkriegsgrenzen und der Verzicht auf den Besitz von Atomwaffen. Vor dem Hintergrund von Verhandlungen, die zu einer gegenseitigen Anerkennung führen sollten, wäre es dann möglich, „wechselseitig die Staatsbürgerschaft anzuerkennen, den Reiseverkehr durch Einführung und Anerkennung von Reisepässen zu regeln und Kultur-, Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zu normalisieren.“ Nach dem SiebenPunkte-Vorschlag von Ulbricht, dem man sich somit anschloss, sei nun die Bundes313 314 315 316 317

EBD. EBD. EBD. EBD., S. 6. EBD., S. 1.

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regierung an der Reihe, ebenfalls Vorschläge auszuarbeiten. Um selbst in der deutschen Frage aktiv zu werden, fasste der Arbeitsausschuss auf Empfehlung der Kommission den Beschluss, Briefe an die verantwortlichen Staats- und Kirchenvertreter in beiden deutschen Staaten zu senden. Bewusst wählte man für diese Schreiben ein historisches Datum: den 8. Mai, den Tag der deutschen Kapitulation. In den Briefen an die Präsidenten des Deutschen Bundestages und der Volkskammer in der DDR referierten Hromádka und Ondra das deutschlandpolitische Programm des Arbeitsausschusses der CFK, in dem die reale politische und menschliche Situation in der DDR völlig ausgespart wurde. Darüber hinaus schlugen sie eine gemeinsame Konsultation zwischen CFK-Vertretern sowie Mitgliedern des Bundestages und der Volkskammer über die Deutschlandproblematik vor318. Da die in dem Brief unterbreiteten deutschlandpolitischen Vorstellungen weitgehend Ulbrichts Sieben-Punkte-Plan entsprachen, hielt Seigewasser die Initiative für die Auslandspropaganda der DDR von größter Bedeutung. Auch kam sie dem Bestreben der CCIA zuvor, die beiden deutschen Staaten an einen Tisch zu bringen319. Gerstenmaier lehnte erwartungsgemäß eine Konsultation ab und warf der CFK vor, ihr läge an einer Zementierung der deutschen Teilung320. Volkskammerpräsident Dieckmann erklärte sich hingegen zu einem Gespräch bereit, das am 25. Mai 1963 auch stattfand321. In einem Kommuniqué wurde anschließend öffentlich friedens- und deutschlandpolitischer Konsens demonstriert. In dem Schreiben des Präsidenten und des Generalsekretärs der CFK an die Gliedkirchen in der Bundesrepublik und der DDR sowie an die Kirchenkanzleien in Hannover und Berlin wiederholten Hromádka und Ondra ebenfalls das deutschlandpolitische Maximalprogramm der CFK und forderten die Kirchen dazu auf, in diesem Sinne zu wirken322. Wie schon Hromádka in seinem Memorandum, appellierten beide in dem Brief an die von ihnen positiv bewerteten Traditionsstränge im (ost-)deutschen Protestantismus: sie erinnerten an Martin Luther, Paul Gerhardt, Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf und August Hermann Francke323, an die Theologische Erklärung von Barmen, das Stuttgarter Schuldbekenntnis und das Darmstädter Wort. Damit konstruierten sie, ähnlich wie es die DDR im politischen Bereich u. a. mit dem Nationalen Dokument versucht hatte, eine „progressive“ historische Kontinuitätslinie im deutschen Protestantismus, deren Fortschreibung sie zu fördern wünschten. „An solche Erkenntnisse, Erfahrungen und Bekenntnisse“, lautete die Argumentation, „knüpfen wir an, wenn wir die Kirchen um ihren Beitrag zum Entstehen neuer Ver318 Der Brief ist abgedruckt in: JK 24, 1963, S. 337ff. 319 Vgl. G. LINDEMANN, Sauerteig, S. 711. 320 Vgl. EBD., S. 712. 321 Carl Ordnung: Zur ideologischen Problematik unter den Geistlichen und kirchlichen Amtsträgern, besonders im Hinblick auf die internationale Lage, die ökumenische Arbeit der Kirchen und die CFK [März 1967] (ACDP ST. AUGUSTIN, VII/013/2161). 322 Exemplar an die „Kirchenkanzlei für die Gliedkirchen in der DDR“ im EZA BERLIN, 104/543. 323 Alle der genannten vier Theologen kamen aus oder wirkten auf dem späteren Staatsgebiet der DDR.

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hältnisse zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bitten.“ Als konkrete Maßnahme empfahlen sie die Aufnahme von Gesprächen zwischen Christen und Kirchenleitungen aus beiden deutschen Staaten mit der CFK über die Deutschlandproblematik. Am Ende des Briefes wollten Hromádka und Ondra die Meinung der Adressaten zu dem Plan der CFK erfahren, eine Konsultation mit verantwortlichen Politikern und Kirchenvertretern über „die friedliche Lösung der deutschen Frage“ durchzuführen. Die angeschriebenen Gliedkirchen überließen es dem Ratsvorsitzenden der EKD, den Brief zu beantworten324. Parallel zu der Offerte der CFK an die evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik und der DDR, mit ihnen in ein deutschlandpolitisches Gespräch einzutreten, versuchte die CFK in der DDR, die ostdeutschen Kirchenleitungen für eine offizielle Beteiligung an der Arbeit des Regionalausschusses zu gewinnen. Am 6. August erging an die Kirchenleitungen ein Einladungsschreiben des CFK-Regionalausschusses zur Beteiligung an den Vorbereitungen zur II. Allchristlichen Friedensversammlung, auf das als erster Bischof Fränkel antwortete325. In seinem Brief vom 30. August an den Vorsitzenden Schmauch warf er dem Regionalausschuss und der CFK eine einseitig antiwestliche Haltung vor, die eine Zusammenarbeit verhindere. Krummacher führte am 28. September im Namen der ostdeutschen Kirchenleitungen mit Ausnahme von Thüringen und der Kirchenprovinz Sachsen ein Gespräch mit Schmauch. Darin argumentierte er ähnlich wie Scharf in dem gleichzeitig formulierten Antwortschreiben an die CFK: Vor einer Mitarbeit müssten „Inhalt und Grenze des Friedensauftrages der Kirchen vom Evangelium her“ geklärt werden, und die CCIA vertrete bereits nachhaltig das Friedensanliegen der Christenheit326. Trotz der Meinungsverschiedenheiten sollte nach Ansicht Krummachers aber das Gespräch im kleinen Kreis fortgesetzt werden327. Am 21. und 22. Oktober kam es auf der Regionaltagung der CFK in der DDR zu heftigen Auseinandersetzungen über den Kurs der Friedenskonferenz in der Deutschlandfrage. Insbesondere Hans-Jochen Tschiche kritisierte die auf den Prager Tagungen vertretene östliche Perspektive auf den Kalten Krieg und forderte dazu auf, auch die in der DDR ausgebildeten Formen des Kalten Krieges aufzuzeigen und zu kritisieren328. Der Pfarrer und spätere Leiter der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt verlangte den Austausch SED-getreuer DDR-Vertreter in der Internationalen Kommission „Kalter Krieg“ und erklärte, dass ein Christ sich nur in „kritischer Distanz“ zu der ihn umgebenden gesellschaftlichen Wirklichkeit bewegen könne. Er forderte, dass die CFK sich für eine pluralistische, antitotalitäre DDR einsetze. Tschiche sah den alleinigen Ausgangspunkt für die deutsche Teilung nicht im Westen. Er verstand auch die Angst der Westeuropäer und der Westdeutschen vor dem Kommunismus und glaubte ihnen eine Abrüstung nicht zumuten zu können. Unterstützung fand er für 324 325 326 327 328

Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 4./5.7.1963 (EZA BERLIN, 104/39). Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 453. Zitiert nach: EBD., S. 454. Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 141. Vgl. G. LINDEMANN, Sauerteig, S. 713 und G. BESIER, SED-Staat, S. 454.

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seine Position bei den Pfarrern Martin Kramer und Helmut Orphal. Den Aussagen Tschiches wurde zwar von anderen SED- bzw. Ost-CDU-getreuen Teilnehmern heftig widersprochen, doch wurden er und die anderen Opponenten nicht aus der CFK ausgeschlossen329. Am 7. Oktober war inzwischen auch das Antwortschreiben des Ratsvorsitzenden an die CFK abgesandt worden. Scharf unterstrich darin die gemeinsame Überzeugung von der christlichen Verantwortung für die Friedenssicherung und markierte zugleich die theologischen Unterschiede zwischen der CFK und der EKD330. Die politische Situation, so Scharf, könne verschieden beurteilt werden, da sie nicht unmittelbar vom Wort Gottes her und aus dem Glauben gedeutet werden könne. Daher dürfe der Rat der EKD in der politischen Diskussion nicht im Namen der Kirche „mit Einzelvorschlägen Stellung nehmen.“331 Soweit sich kirchliche Organe überhaupt mit konkretem politischem Geschehen sachverständig und „methodisch legitim“ befassen könnten, erfolge dies beispielhaft in der CCIA. Damit wurde deutlich gemacht, in welchem Rahmen man die Deutschland- und Friedensfrage vorrangig zu behandeln gedachte. Ohne auf die von der CFK vorgeschlagene Deutschland-Initiative einzugehen, schlug Scharf ein Treffen zwischen Ratsmitgliedern und CFK-Vertretern vor, um zum einen über das Verständnis des Friedens im Neuen Testament und die damit im Zusammenhang stehenden Aufgaben der Christen zu sprechen und zum anderen zu erörtern, welche Stellung die CFK in der Gesamtökumene einzunehmen gedenke. Dieser Wunsch nach einem Gespräch war insbesondere von den ostdeutschen Ratsmitgliedern geäußert worden332. Unabhängig davon fanden Anfang Dezember auf Einladung von Präses Beckmann in Köln und Düsseldorf öffentliche Ost-West-Begegnungen zwischen evangelischen Christen aus beiden deutschen Staaten und führenden Vertretern der CFK statt333. Das Echo in der Öffentlichkeit und Presse auf diese Zusammenkünfte war gespalten und die Kritik an ihnen mitunter heftig334. Auch der Leiter des Referats 6 (Kulturelle Angelegenheiten) der Abteilung I (SBZ und deutsche Ostgebiete) des BMG beurteilte sie kritisch335. Friedrich von Zahn ging davon aus, dass die Gespräche politischen Inhalt hatten. Hromádka bemühe sich, die Evangelische Kirche dazu zu bewegen, für die deutsche Zwei-Staaten-Theorie des Ostblocks einzutreten. Zahn vermutete weiter, dass Beckmann und Wilm vor den Gesprächen der EKD mit der CFK „vollendete Tatsachen“ schaffen wollten und dafür auch die Unterstützung von Kloppenburg besäßen. Der Ministerialrat befürchtete, dass am Ende die CFK als Gesprächspartner in das ökumenische Gespräch aufgenommen würde. Darin sah er Vorgänge, die weitge329 Vgl. G. LINDEMANN, Sauerteig, S. 714. 330 KJ 90, 1963, S. 66. 331 EBD., S. 67. 332 Niederschrift über die Besprechung der Ratsmitglieder aus der DDR am 4.7.1963 (EZA BERLIN, 104/39). 333 Vgl. KJ 90, 1963, S. 67. 334 Vgl. EBD. und JK 24, 1963, S. 728. 335 Vermerk vom 7.12.1963 „Betr.: Ostkontakte der Evangelischen Kirche im Rheinland“ (BArch KOBLENZ, B 137/1938).

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hende politische Folgen haben könnten: Denn gelänge es, die Evangelische Kirche für die Zwei-Staaten-Theorie zu gewinnen oder zumindest deren Haltung in dieser Frage zu neutralisieren, wäre „dem Kommunismus ein entscheidender Schritt gelungen, denn es liegt nahe, dass sich die Haltung der Kirchenoberen allmählich auch auf das Kirchenvolk überträgt und dass schließlich breite Teile der evangelischen Christen den politischen Anliegen der Wiedervereinigung gegenüber auf den Standpunkt zurückfallen, dass sie nur über die Verhandlungen zweier gleichberechtigter deutscher Staaten erzielt werden kann.“

Er empfahl seinem Abteilungsleiter, dass man die EKD auf diese Gefahr „mit allem Ernst rechtzeitig und von hoher Warte aus“ hinweisen sollte. Ob dies erfolgte, lässt sich nicht nachweisen. Auf einem Treffen Mitte Januar 1964 sprachen die östlichen und westlichen Mitglieder des Rates der EKD über eine einheitliche Vorgehensweise gegenüber der CFK336. Eine Begegnung mit der Leitung der CFK wurde in Aussicht genommen. Das Problem war jedoch, dass die Vertreter der CFK auf Grund staatlicher Weisungen offiziell nicht mit dem Rat der EKD verhandeln konnten, auch wenn sie diesen inoffiziell als existent betrachteten. Nach dem Willen der östlichen Ratsmitglieder sollten zu der Begegnung jedoch verantwortliche Kirchenvertreter aus beiden Teilen Deutschlands entsandt werden, um der Öffentlichkeit nicht das Bild einer gespaltenen EKD zu vermitteln. Der eigens für die Vorbereitung des Gesprächs mit der CFK eingesetzte EKD-Ausschuss337 empfahl Mitte Februar, das Treffen vor der II. Allchristlichen Friedensversammlung stattfinden zu lassen, damit die Gliedkirchen ihre Teilnahme daran vom Ausgang des Gesprächs abhängig machen konnten338. Da die CFK das von ihr angeregte Gespräch nicht mehr mit dem Rat als solchem führen durfte, riet der Ausschuss, als Gesprächsteilnehmer von Seiten der EKD neben Ratsmitgliedern auch andere verantwortliche Kirchenvertreter aus West- und Ostdeutschland zu entsenden. Hinsichtlich der Deutschlandfrage empfahl er, das Memorandum von Hromádka sowie die Empfehlungen der Kommission „Friede und Deutschlandfrage“ von Mátraháza im Vergleich mit der Handreichung „Zur Friedensfrage“ zur Diskussion zu stellen. Dringlich erschienen ihm in diesem Zusammenhang einige sachliche Klärungen, wie etwa die Feststellung, dass die Deutschlandfrage nicht isoliert gesehen werden dürfe, sondern im Rahmen der weltpolitischen Konstellationen und der umfassenden Bemühungen um die Entspannung der Weltlage zu erörtern sei. In einem an den Rat der EKD adressierten Schreiben antwortete der Präsident der CFK Hromádka am 14. Februar auf Scharfs Brief und bat um Vorschläge für einen Gesprächstermin sowie um Mitteilung der Namen der Gesprächspartner339. Er mach336 Auszug aus der Niederschrift über die Begegnung der Herren Ratsmitglieder aus Ost und West am 16.1.1964 (EZA BERLIN, 104/543). 337 KJ 90, 1963, S. 66. 338 Vgl. „Empfehlungen des Ausschusses für die Vorbereitung des Gesprächs mit der Prager Friedenskonferenz“ (EZA BERLIN, 104/543). 339 EZA BERLIN, 104/543.

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te jedoch klar, „dass von der Erörterung über das Verständnis des Friedens im Neuen Testament das Gespräch zu den Gegenwartsaufgaben der Christen übergehen und dass dieses Gespräch eine freimütige Konsultation über eine friedliche Lösung der deutschen Frage einschließen muss.“ Am 28. Februar trafen sich Scharf und Hromádka in Berlin, um Inhalt und Umstände des geplanten Gesprächs abzustimmen. Der CFK-Präsident legte Wert darauf, den Begriff „Rat der EKD“ nicht zu stark zu betonen340. Da auch der Rat das Gespräch nicht an Formalia scheitern lassen wollte, wurde das Einverständnis erzielt, die deutsche Delegation als eine „solche der Gliedkirchen der EKD aus Ost und West“ zu bezeichnen. Zugleich wurde von Hromádka der Wunsch, aber nicht die Forderung geäußert, hinsichtlich der Zusammensetzung der Delegation die beiden deutschen Regionalausschüsse zu konsultieren. Scharf lehnte dies ab und hielt lediglich eine informelle unverbindliche Fühlungnahme zwischen einzelnen Persönlichkeiten für möglich. Auf der Begegnung der ost- und westdeutschen Ratsmitglieder wurde am 19. März eingehend über die Stellung der EKD zur Prager Friedenskonferenz gesprochen und für Ende Mai oder Anfang Juni eine „theologische Aussprache zwischen der EKD und der Leitung der Prager Friedenskonferenz“ vorgesehen341. Aus der Bundesrepublik sollten daran Scharf, Lilje und Wilm teilnehmen, aus der DDR Hildebrandt, Noth und Krummacher. Am 23. März schlug Scharf in einem Brief an Hromádka den 20. bis 22. Mai als Termin vor und nannte ihm die Namen der „Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland“342. Bezüglich der Themen teilte er das Einverständnis des Rates mit, dass die in Scharfs Schreiben vom Oktober genannten Gegenstände sowie die von Hromádka in seinem Rundschreiben gemachten „Vorschläge und Konkretisierungen“ diskutiert werden sollten. In seinem Antwortschreiben bestätigte Hromádka den Termin und erhob keinerlei Einwendungen gegenüber dem Ratsbeschluss und dem Zustandekommen der EKD-Delegation343. Am Ostersonntag nahm Scharf in einer Sendung des Norddeutschen Rundfunks zur Friedensfrage und dem bevorstehenden Gespräch zwischen EKD und CFK Stellung344. Er verwies auf die Worte zur Deutschland- und Berlinsituation des ÖRK und seiner Komitees, die „genaue Kenntnis, die lebendige Anschauung verrieten und die bei den Regierungen in Ost und West mit Dankbarkeit aufgenommen wurden.“345 Die Mitglieder im Zentralkomitee und im Exekutivkomitee des ÖRK, die auch Sprecher der CFK seien, hätten diese Erklärungen mitgetragen. In dem von Ondra und Hromádka unterzeichneten Brief des Arbeitsausschusses der CFK seien nunmehr aber Forderungen und Fragen zum Frieden in Europa enthalten, die von einer Sicht der

340 Vgl. Brunotte an Ratsmitglieder und Kirchenleitungen der evangelischen Landeskirchen, 8.5.1964 (EZA BERLIN, 104/543). 341 Niederschrift über die Begegnung (EZA BERLIN, 104/40). 342 EZA BERLIN, 104/543. 343 EZA BERLIN, 104/543. 344 Abdruck in JK 25, 1964, S. 229f. 345 EBD., S. 230.

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deutschen Geschichte ausgingen, „die wir nicht zu teilen vermögen.“ Scharf differenzierte in seiner Stellungnahme zwischen zwei Gruppen von „Pragern“: Diejenigen, die sich um den Frieden sorgten, die die menschliche Not in Deutschland mitempfanden und die „unserem Volke als ganzem in seinem Lebensspruch gerecht werden wollen“. Sodann jene, die die christliche Forderung nach dem Frieden in der Welt von einem „‚parteiischen‘ politischen Vorverständnis her konkretisieren“. Der Ratsvorsitzende hoffte jedoch auf ein offenes Gespräch und signalisierte Bereitschaft, die Ursache für die unterschiedliche Beurteilung der Lage zu berücksichtigen, die er „in den historischen Fakten und auch in der seelischen Haltung der Nachbarnationen Deutschlands“ sah. Einer Verständigung auf dieser Ebene maß er hohen politischen Wert zu: „Gelingt es uns, aufeinander zu hören, so werden wir zur Veränderung des Bewusstseins der Menschheit beitragen im eigenen Kreis und bei allen andern.“ Im April traf sich im holländischen Driebergen der Arbeitsausschuss der CFK, um die II. Allchristliche Friedensversammlung vorzubereiten. Am 10. April meldete der „epd“, der Arbeitsausschuss habe sich auch mit dem bevorstehenden Gespräch zwischen Vertretern der CFK und „einer Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland unter Leitung des Ratsvorsitzenden“ befasst und der 2. CFK-Sekretär Andrej Ziak bereits die Namen der voraussichtlichen Teilnehmer von Seiten der EKD – Scharf, Lilje, Wilm, Krummacher, Noth und Hildebrandt – genannt346. Am 14. April schrieb Hromádka an Scharf_347. Der Arbeitsausschuss habe ihn und Ondra beauftragt, „ganz besonders Sie darauf aufmerksam zu machen, dass wir auf [sic!] dem Grundsatz festhalten müssen, dass das Gespräch nicht auf der Ebene der EKiD, sondern auf der Ebene der kirchlichen Persönlichkeiten aus Ost und West stattfinden soll.“ „Wir sind auch auf [sic!] die Regel der CFK gebunden“, verwies Hromádka, „alle die bevorstehenden Gespräche im Einvernehmen mit den jeweiligen Regionalausschüssen vorzunehmen.“ Um „einige nicht ganz geklärte Fragen mit uns zu klären“, bat er Scharf Ende April oder Anfang Mai nach Prag zu kommen. „Unsererseits“, so schloss der CFK-Präsident seinen Brief, „werden wir alles tun, um das Gespräch mit den deutschen Brüdern zu ermöglichen. Wir setzten voraus, dass Sie den Regionalausschuß in der Bundesrepublik, Prof. W. Schweitzer, Bethel, und die Bischofskonferenz in der DDR konsultiert haben.“ Dies war in Form einer „persönliche[n] Fühlungnahme“ mit Schweitzer und einer „offizielle[n] Konsultation“ der Bischofskonferenz bereits erfolgt348. Unter dem 21. April wurde dann in Berlin ein Interview der ostdeutschen Nachrichtenagentur „ADN“ mit Hromádka veröffentlicht, in dem der Präsident der CFK dem „epd“-Bericht widersprach. Der Arbeitsausschuss der CFK habe in Driebergen über die geplante Begegnung mit „den evangelischen Kirchen in beiden deutschen Staaten“ verhandelt. Weiterhin erklärte er:

346 Abdruck in: EBD., S. 278f. 347 EZA BERLIN, 104/543. 348 Scharf an Hromádka, 30.4.1964 (EZA BERLIN, 104/543).

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„In der Ende Februar stattgefundenen Vorbesprechung mit Präses D. Kurt Scharf haben wir festgestellt, dass es sich nicht um ein Gespräch mit einer EKiD-Delegation, sondern – der gegenwärtigen Lage gemäß – um eine Begegnung von Vertretern der Kirchen aus der Bundesrepublik und der Kirchen aus der DDR mit Vertretern der Christlichen Friedenskonferenz zur Klärung einiger wichtiger Fragen handelt. Die Teilnehmerliste sollte im Einvernehmen sowohl mit dem Regionalausschuss der Christlichen Friedenskonferenz in der Bundesrepublik als auch mit dem Regionalausschuss der Christlichen Friedenskonferenz in der DDR bestimmt werden.“349

Triumphierend titelte die „Neue Zeit“ daraufhin: „‚EKD‘-Blamage“. Seit Oktober 1963 habe die EKD eine „Anti-Prag-Kampagne“ betrieben, die jedoch nicht die „zunehmende Bereitschaft in vielen Landeskirchen beider deutscher Staaten entkräften“ konnte, „sich an der Arbeit der Christlichen Friedenskonferenz zu beteiligen.“ In „ihrer Verlegenheit“ habe die „Militärkirche“ zu „einem letzten Mittel – einer Falschmeldung“ gegriffen. Hromádkas „Richtigstellung“ aber entspreche „den Anliegen aller friedliebenden Christen in der DDR“. Als Kronzeuge hierfür wurde Gerhard Bassarak genannt, der bereits im März im Mitteilungsheft des DDR-Regionalausschusses der CFK festgestellt hatte: „Der Rat der EKD erhebt den Anspruch, im Namen der protestantischen Christen in beiden deutschen Staaten zu sprechen, einen Anspruch, der durch die Fehlentscheidungen des Rates verspielt worden ist, einen Anspruch, der Eingriff in ein fremdes Amt ist. In der Politik hieße solch ein Anspruch imperialistisch. Der Anspruch des Rates, von Westdeutschland aus Sprecher für die Christen in der DDR zu sein, ist seltsam analog zum Anspruch der Bonner Regierung, für alle Deutschen zu sprechen.“350

Am 28. April veröffentlichte die Kirchenkanzlei eine Erklärung, in der sich der Ratsvorsitzende zu der durch das Interview geschaffenen Lage äußerte351. In allen Vorverhandlungen habe Einvernehmen darüber bestanden, so Scharf, dass Fragen zur kirchlichen Einheit in der EKD über die deutsch-deutsche Grenze hinweg für das Zustandekommen des Gesprächs mit der CFK außer Betracht bleiben sollten. Fragen des kirchlichen Zusammenhalts zwischen den beiden deutschen Staaten gehörten in die Kompetenz der EKD-Organe, nicht aber zu den Verhandlungsgegenständen mit der CFK. Daher konnte der Rat darauf verzichten, seine Gesprächsbereitschaft von der „Anerkennung der kirchenrechtlichen Lage in Deutschland abhängig zu machen.“352 Die Erklärung von Hromádka im ADN mache aber nunmehr die vom Rat und allen Gliedkirchen der EKD abgelehnte Übertragung der politischen Spaltung Deutschlands auf die kirchliche Ebene zu einer Voraussetzung für das gemeinsame Gespräch. Zuvor habe Einverständnis geherrscht, dass es sich bei den deutschen Gesprächsteilnehmern um eine vom Rat benannte Delegation der Gliedkirchen der EKD 349 Abdruck in: JK 25, 1964, S. 279. 350 NZ, Ausgabe B, 25.4.1964, S. 2. 351 Abdruck in: EBD., S. 279f. Am 8.5.1964 informierte Brunotte die Ratsmitglieder über die Vorfälle (EZA BERLIN, 4/495). 352 JK 25, 1964, S. 280.

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aus Ost- und Westdeutschland handeln würde. In der nunmehrigen Forderung sah der Ratsvorsitzende eine „Einmischung in innerkirchliche Fragen der EKiD“. Für die Zusammensetzung der Delegation sei allein der Rat zuständig und keinesfalls Organe der CFK. Die Zurückweisung auch nur eines Delegationsmitglieds müsse den Verzicht auf das Gespräch zur Folge haben, so Scharf. In einem Brief an Hromádka vom 30. April machte er darüber hinaus klar, wo ein weiterer, wesentlicher Stein des Anstosses lag: in der von Hromádka erst in seinem ADN-Interview geforderten Einbeziehung des Regionalausschusses DDR bei der Auswahl der Delegationsmitglieder353. Der Koordinationssekretär der CFK, der Prager Jaroslav Cihák, sowie der internationale Sekretär der CFK, Bassarak, kommentierten die Stellungnahme des Ratsvorsitzenden in einer ADN-Erklärung als Versuch Scharfs, die „gemeinsame[n] Absprachen in Abrede zu stellen.“354 In Vorverhandlungen zwischen Scharf und Hromádka am 28. Februar sei vereinbart worden, in allen Veröffentlichungen über das geplante Gespräch die Bezeichnung „Rat der EKiD“ zu vermeiden. Es sei auch bestimmt worden, die „Delegationen von Kirchenführern aus der Bundesrepublik und aus der DDR“ nach Konsultationen mit den beiden Regionalausschüssen der CFK zu benennen. Scharf gab zu der Angelegenheit keine weitere Stellungnahme ab. Er sandte jedoch am 8. und 9. Mai Oberkirchenrat Gottfried Niemeier nach Prag, um ein klärendes Gespräch mit dem Arbeitsausschuss der CFK zu führen355. Niemeier erhielt dabei den Eindruck, dass der Ausschuss um eine Verständigung bemüht war356. Allerdings sahen die Prager die Chancen für ein Treffen vermindert, falls von deutscher Seite Bezeichnungen verwendet werden würden, die in der DSSR und in der DDR politische Reaktionen auslösten. Gleichzeitig versicherten sie, dass sie die politische Spaltung Deutschlands nicht auf die Kirchen übertragen und sich nicht in Fragen der inneren Struktur der EKD und des kirchlichen Zusammenhalts zwischen den Gliedkirchen in der Bundesrepublik und der DDR einmischen wollten. Sie forderten auch kein nach Ost und West aufgeteiltes Gespräch. Aus „praktisch-taktischen Erwägungen“ sollte jedoch das Selbstverständnis der EKD im Verhältnis zur CFK nicht ausdrücklich herausgestellt werden. Das ADN-Interview von Hromádka wurde als Richtigstellung von Meldungen des „epd“ und der westlichen Presse interpretiert, die durch Überschriften und Kommentare das Selbstverständnis der EKD nach außen sichtbar gemacht und damit eine Belastung der CFK und eine Gefährdung für das Zustandekommen der Begegnung dargestellt hätten. Von der Erklärung von Cihák und Bassarak, die von letzterem verfasst worden war, hatten weder der Präsident noch der Generalsekretär der CFK im Vorfeld gewusst. Umstrittenster Punkt bei der Aussprache mit Niemeier war die Beteiligung des Regionalausschusses DDR. Hromádka berichtigte den letzten Satz seines Briefes vom 14. April, in dem er von der Konsultation der Bischofskonferenz in der DDR gesprochen hatte. Er habe die Konsultation zwischen 353 354 355 356

EZA BERLIN, 104/543. Zitiert nach: „Präses Scharf erntet Widerspruch aus Prag“. In: Die Welt, Ausgabe D, 2.5.1964, S. 5. Vgl. Scharf an Hromádka, 30.4.1964 (EZA BERLIN, 104/543). Vermerk über das Gespräch mit dem Arbeitsausschuss der CFK am 7./8.5.1964 in Prag (EBD.).

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dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz und dem des Regionalausschusses DDR gemeint. „Pfarrer Bassarak wurde in diesem Zusammenhang als wenig geeigneter Kontaktmann bezeichnet“, notierte Niemeier. Die Prager reduzierten ihre Bitte dahingehend, dass nunmehr von einer „persönlichen Fühlungnahme“ zwischen Scharf und Kloppenburg bzw. Krummacher und Schmauch die Rede war. Weiter fragten sie an, ob nicht als Gegenposition zum CFK-kritischen Mitglied der westlichen Delegation Lilje in der östlichen Delegation ein der CFK näher stehender Theologe sein könne. Gedacht war an Schönherr, Mitzenheim oder Jacob. Da der ursprünglich vorgesehene Gesprächstermin, der 20. bis 22. Mai, nicht mehr zu halten war, schlugen die Ausschussmitglieder vor, im Falle des Konsens ein gemeinsames, von Hromádka und Scharf unterzeichnetes Kommuniqué zu veröffentlichen, in dem Verhandlungen über einen neuen Termin in Aussicht gestellt würden. Die Vertreter der Gliedkirchen in der DDR hielten die Frage eines Kommuniqués nicht für zentral. Im Falle seines Zustandekommens bestanden sie jedoch darauf, dass in ihm die Zusammengehörigkeit der Landeskirchen in der Bundesrepublik und der DDR deutlich würde357. Den Austausch eines der genannten Delegationsmitglieder lehnten sie ab. Sie hielten allenfalls eine Ergänzung der Delegation durch Jacob für möglich. Der Gesamtrat entschied daraufhin, dass in der Einleitung des Kommuniqués, wie von Krummacher vorgeschlagen, die Bezeichnung „Ratsvorsitzender“ enthalten sein musste; im Text sollte es dann heißen: „zwischen leitenden Männern aus Gliedkirchen der EKD in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik“358. Auf diese Weise wollte der Rat verhindern, dass durch das Kommuniqué die Teilung der EKD in zwei deutsche Kirchen aktenkundig gemacht würde. Der ursprüngliche Begegnungstermin verstrich, ohne dass in einem Kommuniqué ein neuer in Aussicht gestellt wurde. Das Ratsmitglied Ernst Wilm beklagte diese Entwicklung in einem Artikel in der Juni-Ausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“359. Er behauptete, dass sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR Politiker, Journalisten und Kirchenvertreter bewusst oder unbewusst dazu beigetragen hätten, dass dieses Gespräch nicht stattfand. Gemeinsame Gespräche in der Situation des Kalten Krieges setzten voraus, dass neuralgische Punkte übergangen oder umgangen würden, so Wilm; dies gelte für die Passierscheinverhandlungen ebenso wie für das Gespräch zwischen EKD und CFK. Den „neuralgischen Punkt“ bei letzterem sah er in der Vokabel „EKD“, nicht aber im Tatbestand der kirchlichen Einheit360. Das Wort „EKD“ habe man umgehen sollen und auch wollen. Dann aber habe es genau in dieser Frage Störmanöver in Ost und West gegeben, die zum Scheitern des geplanten Gesprächs geführt hätten. Wilm sah sich angesichts dieser Entwicklung dazu veranlasst, „nachdrücklich“ zu betonen, dass das Festhalten an der Einheit der EKD 357 358 359 360

Auszug aus dem Aktenvermerk Behms über die Besprechung am 28.5.1964 (EBD.). Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 28./29. Mai 1964 (EZA BERLIN, 2/1110). E. WILM, Friedenskonferenz. EBD., S. 461.

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weder die Anerkennung zweier Staaten in Deutschland noch des Alleinvertretungsanspruchs der Bundesrepublik bedeute. Mit ihrer Einheit vertrete die EKD kein „politisches Prinzip“361. Nachdem Wilm klar gemacht hatte, dass er in der EKD kein Instrument westdeutscher Deutschlandpolitik sah, wies er ihr einen anderen politischen Auftrag zu: Die Kirchen wollten in dieser Gemeinschaft „Taten des Friedens tun“ und daher bat er darum, sie „darin frei zu lassen.“362 Zu Recht verwies Wilm darauf, dass es innerhalb der Kirche sehr verschiedene Ansichten über die Lösung der deutschen Frage gab. Er selbst wünschte sich vorrangig, dass die bundesdeutsche Politik „endlich beweglicher würde und aus ihrem Festgefahrensein endlich herauskäme!“363 Im Sommer 1964 kam es jedoch eher zu einer Verhärtung der deutschlandpolitischen Fronten. Die mögliche Beteiligung der Bundeswehr an der Atomrüstung im Rahmen des MLF-Projekts belastete das Verhältnis der Bundesrepublik zur Sowjetunion. Dieses verschlechterte sich noch weiter, als die Sowjetunion am 12. Juni mit der DDR ein Freundschaftsabkommen abschloss, das von Politikern aller im Bundestag vertretenen Parteien verurteilt wurde. Daraufhin veröffentlichten am 26. Juni Frankreich, Großbritannien und die USA im Einvernehmen mit der Bundesrepublik eine Deutschlanderklärung, in der die Vier-Mächte-Verantwortung für ganz Deutschland betont und der Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik untermauert wurde. Vor diesem deutschlandpolitischen Hintergrund tagte vom 28. Juni bis 2. Juli in Prag die II. Allchristliche Konferenz mit 699 offiziellen Delegierten, 73 Beobachtern, 74 Gästen und 52 Journalisten aus ca. 50 Ländern364. Die bei weitem stärkste Delegation war die deutsche mit 58 Teilnehmern aus der Bundesrepublik, 57 aus der DDR – darunter Bischof Mitzenheim – sowie 14 aus West-Berlin. Auf Drängen der Westdeutschen wurde West-Berlin nicht, wie zuerst geschehen, in den Konferenzunterlagen getrennt aufgeführt. Damit sollte der Anschein vermieden werden, die CFK und ihre deutschen Mitglieder akzeptierten die sowjetische Dreistaatentheorie. Am 1. Juli trafen sich die deutschen Teilnehmer außerhalb der offiziellen Tagesordnung zu gesonderten Besprechungen. Darin regte Dieter Frielinghaus an, die Vertreter aus beiden deutschen Staaten sollten sich in einer Resolution zugunsten des Vorschlags von Ulbricht aussprechen, der einen deutschen Atomwaffenverzicht vorsah. Von westdeutscher Seite wurde gefordert, in einer gemeinsamen Entschließung auch zu den Berliner Passierscheinverhandlungen Stellung zu nehmen. Das Ergebnis war eine kombinierte Passierschein- und Anti-Atom-Erklärung. Darin wandte man sich „an die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und an den Senat von Westberlin“365, wodurch indirekt die Dreistaatentheorie anerkannt und dem Berliner Senat seine Selbstbezeichnung verweigert wurde366.

361 362 363 364 365 366

EBD. EBD. EBD. H. KRÜGER, Bericht, S. 409. Abdruck der Erklärung in: JK 25, 1964, S. 392. Vgl. H. KRÜGER, Bericht, S. 410.

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Von Heinrich Vogel unterzeichnet wurde der Text an Ulbricht, Erhard und Brandt telegraphiert. Obgleich damit die Gruppe um Frielinghaus und die Berliner Dozentin Rosemarie Müller-Streisand ein Stück SED-Deutschlandpolitik betrieben hatten, stieß die Initiative bei Mitgliedern der Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED auf keine positive Resonanz, da sich eine „gesamtdeutsche“ Delegation zu einer gemeinsamen Verantwortung für humanitäre Fragen bekannt hatte367. Die eigentliche Kommission „Friede und Deutschlandfrage“ tagte auf der Grundlage eines Papiers, das auf der Kommissionstagung in Basel formuliert worden war. In ihm wurde eine „politische Konkretisierung“ gefordert, die völlig mit dem deutschlandpolitischen Kurs der DDR konform ging: die Anerkennung der Existenz von zwei deutschen Staaten, den Abschluss eines Friedensvertrages, die Anerkennung der OderNeiße-Grenze, Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik, der DDR und West-Berlin über innerdeutsche Beziehungen, den Verzicht beider deutscher Staaten auf die Beteiligung an atomarer Bewaffnung sowie die Übernahme der Verantwortung für die Lösung der deutschen Frage durch die Deutschen selbst368. Dieses Papier ernte in Prag heftige Kritik, u. a. von Seiten Niemöllers, der die Verantwortung der Alliierten anmahnte. Superintendent Dietrich Detmar Munscheid formulierte ein Ersatzpapier, in dem die deutsche Frage in den weltpolitischen Kontext eingeordnet und gefordert wurde, den Besitz von Atomwaffen auf die USA und die UdSSR zu beschränken, die deutsch-deutschen Beziehungen zu intensivieren und die Neubesiedelung der ehemaligen deutschen Ostgebiete als Faktum zu akzeptieren. Die West-Berliner Teilnehmer formulierten eine zweite Stellungnahme, in der vorgeschlagen wurde, von der DDR und der Bundesrepublik als von zwei Teilstaaten zu sprechen, deren Annäherung dem Ziel der „Neu-Vereinigung“ diene369. Einen Sturm der Entrüstung unter den westdeutschen Teilnehmern löste die propagandistische Rede des Ost-Berliner Völkerrechtlers Peter A. Steiniger aus, in der dieser die Drei-Staaten-Theorie begründete und die Bundesregierung heftig attackierte370. Niemöller und andere verließen die Sitzung zu gesonderter Beratung. In Verhandlungen mit Hromádka stellten sie als Bedingung für ihr Bleiben, dass das Baseler Papier in keinem Abschlussbericht auftauchen durfte. Der Bericht des Kommissionsvorsitzenden, des Niederländers Albert Rasker, vor dem Plenum bemühte sich dann um Ausgewogenheit und markierte offen die Gemeinsamkeiten und die Differenzen der Kommissionsteilnehmer hinsichtlich der Deutschlandproblematik371. Die deutsche Frage und die „innerdeutschen Querelen“372 über sie fanden auch bei der Formulierung der offiziellen Verlautbarung der Prager Versammlung, dem „Aufruf an die Regierungen“, ihren Niederschlag. Trotz des Protestes von Martin Niemöller

367 368 369 370 371 372

Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 459. Vgl. EBD., S. 460. Vgl. EBD., S. 462. Vgl. G. LINDEMANN, Sauerteig, S. 726. Der Kommissionsbericht über die Deutschlandfrage ist abgedruckt in: KJ 91, 1964, S. 386ff. Vgl. H. KRÜGER, Bericht, S. 412.

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und Martin Fischer blieb es darin bei der Nennung der beiden deutschen Staaten, jedoch unter zusätzlicher Betonung der Verantwortung der Großmächte. Die Kompromissformel lautete: „In Europa zum Beispiel würde der Abschluss eines Friedensvertrages mit der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, der eine Lösung des Westberlinproblems einschließt, einer Stabilisierung der Koexistenz dienen. Hierin mitzuwirken, besteht die Verantwortlichkeit der Großmächte im Sinne des Potsdamer Abkommens.“373

Entgegen des Votums der Redaktionskommission hatte der Redaktionssekretär Bassarak dafür gesorgt, dass hier wie auch in der offiziellen „Botschaft an die Kirchen und Christen“ West-Berlin besonders erwähnt wurde. Aufs Ganze gesehen konnte man auf Partei- und Staatsseite in der DDR mit dem Verlauf der II. Allchristlichen Versammlung zufrieden sein374. Ulbricht erwähnte die Prager Versammlung bei seinem Wartburg-Gespräch mit Mitzenheim mehrfach und sprach u. a. den Versuch des Thüringer Bischofs an, den westeuropäischen Teilnehmern in Prag die „Notwendigkeit“ des von der DDR-Regierung verfolgten „Friedensweges“ zu erklären375. Indes hatten die kontroversen Prager Verhandlungen auch deutlich gemacht, dass von ihrem heterogenen Teilnehmerkreis die deutschlandpolitische Konzeption der DDR keineswegs unbesehen übernommen wurde. Dass hingegen die bundesdeutsche Deutschlandpolitik wenig positiven Niederschlag in den Stellungnahmen fand, war angesichts der kritischen Haltung auch eines großen Teils der westlichen Teilnehmer, insbesondere der starken holländischen Gruppe, gegenüber der Bundesrepublik zu erwarten gewesen376. Die Evangelische Studentengemeinde in Deutschland nahm den Verlauf der II. Allchristlichen Versammlung in Prag zum Anlass, ihr Verhältnis zur CFK neu zu durchdenken. Sie hatte ebenso wie 1961 Beobachter nach Prag gesandt; mehrere Studentenpfarrer und Mitglieder fuhren privat dorthin. In der nachfolgenden Vertrauensratssitzung am 26. und 27. September wurde beschlossen, die Mitarbeit der ESGiD in der CFK grundsätzlich zu bejahen und den Geschäftsstellen einen Prüfauftrag zu geben, inwieweit eine Mitarbeit von Vertretern der Gemeinden in Ost- und Westdeutschland an der internationalen Jugendkommission der CFK möglich war377. Ende Februar 1965 schlug dann der Beirat Ost vor, dass die Geschäftsstellenmitarbeiter an den Veranstaltungen der Jugendkommission als aktive Gesprächspartner teilnehmen sollten378. Mit der Leitung der Regionalkonferenz wollte man über eine Möglichkeit 373 374 375 376 377 378

Der Aufruf ist abgedruckt in: KJ 91, 1964, S. 391f. G. BESIER, SED-Staat, S. 464. KJ 91, 1964, S. 129. Vgl. H. KRÜGER, Bericht, S. 412. Protokoll (EZA BERLIN, 36/395). Protokoll der Sitzung des Beirates Ost am 27./28.2.1965 (EZA BERLIN, 141/99/98a).

Im Zeichen der Ernüchterung

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sprechen, wie das Votum der Geschäftsstelle zu Gehör kommen konnte379. Weiter plädierte der Beirat dafür, den Gemeinden umfangreiches Material der CFK zukommen zu lassen und die Studenten über Möglichkeiten der Mitarbeit in ihr zu informieren. Oberkirchenrat Behm, der an der Sitzung teilgenommen hatte, kommentierte sie in einem Brief an Krummacher mit den Worten: „Es berührte beinahe peinlich, in welcher Weise Herr Bassarak auftrat, aber auch von den anderen behandelt wurde. Die Bindung der Studentengemeinde an Prag scheint sehr stark zu sein.“380 Auch der Beirat West beschäftigte sich mit der Frage der Mitarbeit in der CFK. Bei der lebhaften Aussprache auf seiner Mai-Sitzung wurde deutlich, dass eine wie auch immer geartete Mitarbeit der ESGiD bei der CFK bzw. ihren regionalen Untergliederungen als nicht unproblematisch erachtet wurde381. Letztlich bat der Beirat den Vertrauensrat, hinsichtlich einer Mitarbeit in der internationalen Kommission weitere Schritte zu unternehmen. Die örtlichen Studentengemeinden wurden dazu aufgefordert, die Mitarbeit ihrer Glieder in regionalen Arbeitsgruppen der CFK „kritisch zu begleiten“. Der vorausgehende Beschluss der Delegiertenkonferenz war hier sehr viel entschiedener gewesen: Die Konferenz hielt ein Engagement der Studentengemeinden in der Regionalkommission „Friedensdienst der Jugend“, in der die Studentenpfarrer Martin Schröter und Martin Stöhr sowie der Vikar Reinhard Tietz ohnehin mitarbeiteten, für sehr begrüßenswert382. Während sich somit die ESG in der DDR, aber auch in der Bundesrepublik insbesondere auf der Leitungsebene weit gegenüber der CFK öffnete, ohne sich aber organisatorisch zu binden, gestaltete sich die Kontaktaufnahme zwischen CFK und EKD weiterhin schwierig. Auch Ende 1964 sowie im Frühjahr 1965 scheiterten die Versuche zu einem offiziellen Gespräch383. Trotz dieser bestehenden Dissonanzen bewirkten jedoch die CFK und ihre Arbeit, dass sich die evangelische Kirche seit Mitte der sechziger Jahre noch stärker der Friedensthematik zuwandte und dabei neue Kausalbezüge zwischen der Friedens- und der Deutschlandfrage herstellte.

379 Im Bericht Glöckners für die Beiratssitzung am 19./20.2.1966 heißt es diesbezüglich: „In einem Gespräch mit Herrn Generalsuperintendent Schönherr, dem damaligen Vorsitzenden der Regionalkonferenz DDR, mit Herrn Fink und Herrn Gutsch als den Leitern der Jugendkommission haben Fräulein Grengel und ich uns einigen können, dass die Studentengemeinde ihrerseits der Thematik der CFK sich offen zeigt durch Materialweitergabe, gelegentliche Konferenzen im Bereich dieser Thematik und durch persönliche Kontakte. Durch unsere persönliche Zugehörigkeit in der Jugendgruppe der CFK ist uns der Einblick und in mancher Hinsicht die Mitsprache für ihre Regelungen ermöglicht. So war es z. B. möglich, dass Fräulein Grengel, ohne von der Jugendkommission delegiert zu sein, als Gast zu der Sitzung der internationalen Jugendkommission in Hoechst eingeladen wurde und teilnehmen konnte“ (EZA BERLIN, 141/99/98a). 380 Brief vom 2.3.1965 (EZA BERLIN, 104/982). 381 Protokoll der Sitzung am 1./2.5.1965 (EZA BERLIN, 36/547). 382 EBD. 383 Vgl. Vermerk Wilkens über eine Besprechung am 26.8.1964 in Ost-Berlin (EZA BERLIN, 2/1784); G. BESIER, SED-Staat, S. 468–472; JK 26, 1965, S. 292; Scharf an Ratsmitglieder, 3.4.1965 (EBD., 87/96/447); A. MÄKINEN, Mann, S. 143f.

ImBannderMauer(1961–1964) ImSpiegelderPartnertreffen

3.3 Mauersprünge – Die Entwicklung im Spiegel der Partnertreffen Der Gesamtkirchliche Ausschuss der AGEJD verlangte von der evangelischen Jugend im geteilten Deutschland eine christlich-religiöse Reaktion auf den Mauerbau1. Die „neue Situation“ sollte „unter dem Anspruch von Gottes Wort“ gesehen und gelebt werden. Wo der direkte Weg versperrt war, wollte man die indirekten Formen zur Wahrung der geistlichen Gemeinschaft intensivieren. Es wurde vorgeschlagen, dass die Jugendlichen sich regelmäßig in West und Ost zu Fürbittegottesdiensten versammelten und zudem an jedem Mittwochabend um 20 Uhr einzeln oder in Gruppen fürbittend aneinander dachten. Hierfür entwickelte ein Unterausschuss des Gesamtkirchlichen Ausschusses eine neue Fürbitteordnung2. Sie wurde im Dezember 1961 in einer Auflage von 29.000 Exemplaren gedruckt und erschien im Frühsommer 1962 bereits in zweiter, überarbeiteter Auflage3. Des Weiteren sollten die bestehenden Patenschaften erhalten und intensiviert sowie das „Patenamt“ auch auf die evangelische Jugend in West-Berlin ausgedehnt werden4. Anfang Oktober wandte sich der AGEJDVorsitzende Hans Herrmann noch in einem Brief an die bundesdeutschen Mitarbeiter in der evangelischen Jugendarbeit5. Angesichts der bedrohten institutionellen Kircheneinheit hob er die Bedeutung der Patenschaften hervor und interpretierte das aus der Not entstandene Netzwerk als ekklesiologische Chance. Unter dem „unzureichenden Ausdruck“ „Patenschaften“ sei ein „neues festes Gewebe unter der Verwandtschaft des Kirchenvolks entstanden, das tiefer greift als Funktionen der Kirchenleitung.“ In ihm bahne sich „unmittelbare Verantwortung“ an und eine „Erkenntnis der Kirche als einer Gemeinschaft des Wortes, Lebens und Leides“. Dieser Weg sollte weiter beschritten werden „in einer Zeit, die neben die verschiedensten Spaltungsversuche den steigenden Grundwasserspiegel der Kirche als Oekumene zur Kenntnis nehmen muß.“ Neben der theologischen Deutung gab Herrmann seinen Mitarbeitern auch praktische Empfehlungen für die postmurale Zeit mit auf den Weg. Sie sollten: „1. Weitermachen wie bisher. 2. Einladungen herbeiführen, annehmen und aussprechen. 3. Neben die Hauptstraße 20 Feldwege legen. 4. Persönliche Informationen suchen und weitergeben. 5. Fleißig Fürbitte üben und Opfer bringen. 6. Flüchtlinge aufsuchen und aufnehmen. 7. Jede Zeche vermeiden, die andere bezahlen müssen.“

Eine der Maßnahmen, um das Risiko so gering und den geistlichen Ertrag so hoch 1 Vorlage des GKA der AGEJD für den Vorstand der Jugendkammer, 3.10.1961 (Aaej HANNOVER, Hans Herrmann II). 2 Vgl. Protokoll der Sitzung des Unterausschusses am 14.10.1961 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 3 Bericht der Hauptgeschäftsführung der EJD für 1962 (EZA BERLIN, 2/1555). 4 Vorlage des GKA der AGEJD für den Vorstand der Jugendkammer, 3.10.1961 (Aaej HANNOVER, Hans Herrmann II). 5 Brief vom 9.10.1961 (Aaej HANNOVER, Hans Herrmann III).

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wie möglich zu halten, war der „Rüstbrief für Berlinfahrten“, den alle Gruppenleiter vor ihrer Abreise vom Landesjugendpfarramt Berlin erhielten6. In dem von Herrmann unterzeichneten Brief wurde jede Berlinfahrt evangelischer Jugendlicher als „wichtiger und entscheidender Dienst“ qualifiziert: in Berlin sei die „äußere Zertrennung des Volkes und der Kirche“ erfahrbar; hier zeige sich die heutige Realität, in der Christen sich zu bewähren hätten7. Von den Reisenden verlangte er „geistliche Vorbereitung und die Bereitschaft, das Gesehene und Gehörte unter Gottes Wort zu stellen.“ Um einen Multiplikatoreneffekt zu erzielen sollten vor allem Mitarbeiter nach Berlin fahren. Als Programmpunkte des mindestens viertägigen Berlinaufenthalts wurden empfohlen: Bibelarbeit, Morgenandacht und Tagesschluss, ein Besuch der WiderstandsGedenkstätte in Plötzensee, die Kontaktaufnahme mit Gliedern der Jungen Gemeinde in West-Berlin, ein Zusammenleben mit Berliner Familien oder ein mehrtägiger Dienst in einem Haus der Inneren Mission. Umgekehrt war erwünscht, dass auch Einzelne oder ganze Kreise aus der West-Berliner Evangelischen Jugend zu Freizeiten in der Bundesrepublik eingeladen würden. Insgesamt sollte nach Ansicht des gesamtkirchlichen Referenten Lauk bei der „Sonderbetreuung West-Berlins [. . .] mehr ein geistlicher als ein humanitär-sentimentaler Schwerpunkt gebildet werden.“8 Neben den neu hinzugekommenen, besonderen Maßnahmen zugunsten der evangelischen Jugend in West-Berlin blieb die Förderung von Ost-West-Begegnungen eine Hauptaufgabe des Gesamtkirchlichen Ausschusses der AGEJD. Die indirekten Formen der Kontaktpflege, wie Brief- und Paketsendungen, für die der Ausschuss Ende 1961 ein Merkblatt mit Hinweisen herausgab9, konnten die direkte Begegnung nicht ersetzen. Da nach dem Mauerbau Treffen in West-Berlin nicht mehr möglich waren, wurde Ost-Berlin zum Ort der Begegnung. Die Sonderregelung für Berlin ermöglichte die Einreise in den „demokratischen Sektor“ mit einem Tagesvisum. Folglich mussten die westdeutschen Teilnehmer von Treffen und Tagungen jeden Abend Ost-Berlin wieder verlassen und am nächsten Morgen erneut anreisen und die Grenzkontrollen über sich ergehen lassen. Dieses Verfahren verlangte den westdeutschen Besuchern einige Strapazen ab und reduzierte das Zeitbudget der Treffen. Um nicht aufzufallen, teilten sich die Westdeutschen für den Grenzübergang nach Ost-Berlin in kleine Gruppen auf. Im Osten der Stadt trafen sie sich in Gemeindehäusern mit Mitgliedern der Jungen Gemeinde oder statteten Einzelbesuche ab. Aus Gründen erhöhter Vorsicht sank die Zahl ihrer Begegnungspartner auf DDR-Seite seit dem Mauerbau drastisch, wodurch ein quantitatives Missverhältnis zwischen Ost- und Westteilnehmern bei den Treffen entstand. Durch den Sonderstatus von Ost-Berlin handelte es sich bei den ostdeutschen Begegnungspartnern vor allem um Ost-Berliner und Brandenburger.

6 Vgl. Protokoll der Sitzung des Unterausschusses des GKA am 14.10.1961 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung); Lauk an Herrmann, 18.10.1961 (Aaej HANNOVER, Hans Herrmann III). 7 Aaej HANNOVER, Hans Herrmann III. 8 Bericht über die Tätigkeit des GKR der AGEJD im Jahr 1961 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 9 Protokoll über die Sitzung der AGEJD am 10./11.11.1961 (EZA BERLIN, 2/1555).

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Vereinzelt kamen aber auch nach dem Mauerbau noch Treffen zwischen Westdeutschen und ihren Patengemeinden aus der DDR in Ost-Berlin zustande, bei denen die ostdeutschen Teilnehmer jeden Tag von ihrem Heimatort nach Ost-Berlin fuhren. Zwischen dem 13. August und 31. Dezember 1961 wurden insgesamt 26 „Ost-WestErsatz-Begegnungen“ mit 504 Teilnehmern aus der Bundesrepublik und 123 Teilnehmern aus der DDR in Ost-Berlin durchgeführt10. Die Begegnungsarbeit ließ somit nach dem 13. August 1961 im Bereich der Evangelischen Jugend zunächst nicht nach. Jedoch konnte nur noch eine siebenköpfige Gruppe aus dem Landesjugendkonvent Hannover anlässlich der Leipziger Messe ihre Patengemeinde in der DDR besuchen. Ost-West-Begegnungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik fielen als Zweig gesamtkirchlicher Begegnungsarbeit nach dem Mauerbau ganz weg. Aus den westdeutschen Erfahrungsberichten über die Treffen in Ost-Berlin geht hervor, dass die Begegnungen kurz nach dem Mauerbau als besonders intensiv erfahren wurden. Sofern es sich nicht um explizite Arbeitstagungen kirchlicher Jugendarbeiter handelte, standen die persönlichen Gespräche im Mittelpunkt der Treffen. Das Kulturprogramm trat demgegenüber im Vergleich zu den Vorjahren in den Hintergrund. Bei den Begegnungen wurde vornehmlich über die aktuelle kirchliche und politische Lage in der DDR gesprochen, häufiges Einzelthema war die Wehrdienstfrage. Über sie entstand z. B. bei einer Begegnung zwischen Gruppen der Jungen Gemeinde aus den Landeskirchen Berlin-Brandenburg und Hamburg eine kontroverse Diskussion. Nach Beobachtung des westdeutschen Begegnungsleiters fiel es den ostdeutschen Teilnehmern in diesem Gespräch schwer, zu differenzieren und die konkrete historische Situation in ihre Überlegungen einzubeziehen11. Er erklärte sich dies damit, dass die Christen in der DDR durch ihr Gegenüber zum eindimensionalen Denken und Argumentieren gezwungen würden. Denn gegenüber den Parteifunktionären könnten sie nur damit argumentieren, dass ihnen die Bibel verbiete, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Es bestehe jedoch die Gefahr, so räsonierte der westdeutsche Begegnungsleiter, dass diese strategische Argumentation bei den ostdeutschen Jugendlichen schließlich zur eigenen Meinung werde. Bei einigen Begegnungsteilnehmern aus der Bundesrepublik bewirkten die Gespräche mit ostdeutschen Christen hingegen, dass sie zu einer sehr kritischen Beurteilung ihrer christlichen Existenz in einem liberal-demokratischen Staat gelangten bzw. sich in dieser Einschätzung bestätigt fühlten. Sie empfanden das Verhältnis von Staat und Kirche bzw. Christen in der DDR als eindeutiger und meinten, dass die ostdeutschen Christen durch die „Klärung der Fronten“ den westdeutschen Christen „um einiges voraus“ seien12. Sie selbst litten unter den Kompromissen, die sie als Christen in der Bundesrepublik zumeist unbewusst eingingen. In der westdeutschen Situation werde 10 Bericht Lauks vom 24.1.1962 über die Tätigkeit des GKR der AGEJD im Jahr 1961 (Aaej HANNOGKA Geschäftsführung). Für alle 26 Begegnungen liegen Berichte vor, die von der Verfasserin ausgewertet wurden (EBD., 12 BJP-Berichte). 11 Bericht über die Begegnung vom 29.9.–2.10.1961 (EBD.) 12 Bericht über die Ost-West-Begegnung in Berlin vom 4.–7.12.1961 (EBD.). VER,

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ständig politische Freiheit mit der Freiheit des Christen verwechselt und man sei weit davon entfernt, „in der Nachfolge Christi den Weg des Leidens als normalen Weg des Christen zu sehen.“ Um die Jahreswende 1961/62 gab es innerhalb der Evangelischen Jugend die Überlegung, in der nächsten Zeit die Begegnungen ganz auf hauptamtliche Jugendarbeiter zu beschränken. Erstmals wurde dieser Gedanke auf einer Begegnungskonferenz geäußert, die vom 27. November bis 1. Dezember 1961 zwischen Vertretern der Evangelischen Jugend Badens und Jugendpfarrern aus Brandenburg stattfand13. Auf ihrer Besprechung am 3. Januar 1962 kamen die ostdeutschen Landesjugendpfarrer und Vertreter der Werke im Beisein von Krummacher zu einem ähnlichen Ergebnis. Sie plädierten dafür, die Begegnungen mit westdeutschen Jugendlichen einzustellen bzw. auf Begegnungen mit verantwortlichen Mitarbeitern einzugrenzen14. Als Begründung wurde angegeben, dass die Treffen staatlicherseits sehr genau beobachtet würden und Jugendliche bei Verhören auf die Begegnungsarbeit angesprochen worden seien. Insgesamt ging man davon aus, dass die Arbeit der Jugendkreise „schamlos überwacht und bespitzelt“ wurde. Die Einstellung des Literaturtransfers erschien dagegen nicht notwendig, da zu diesem Zeitpunkt ohnehin kaum noch etwas über die Grenze gelangte. Was noch von früher in den Händen der Jugendlichen war, wollte man ihnen belassen. Hintergrund aller dieser Überlegungen und Maßnahmen waren Verhaftungen von Mitgliedern der Jungen Gemeinde im Zuge der „von Angst und Panik bestimmte[n], rigide[n] Jugendpolitik“ der SED direkt nach dem Mauerbau15. So wurden z. B. in Ost-Berlin zwölf Angehörige der Jungen Gemeinde zu Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie nach dem 13. August auf dem Zeltplatz Bansin Ulbricht „verleumdet“ und versucht hätten, das Motorschiff „Seebad Binz“ nach Bornholm zu entführen16. In Gesprächen mit Krummacher und Führ erklärte Staatssekretär Seigewasser hierzu, die Landesjugendpfarrer würden die Jugend im falschen Sinne beeinflussen und daher sei es sinnlos, wenn die Kirche „hinterher wegen Verhaftung und Verurteilung einzelner Jugendlicher großes Geschrei erhebe“17. Krummacher warnte die Landesjugendpfarrer davor, „Panikstimmung“ aufkommen zu lassen. Er konstatierte aber auch nüchtern, dass der Staat angesichts der Oppositionshaltung, die unter Jugendlichen zu beobachten sei, nach einem „Schuldigen“ suche und darum erneut die Jugendarbeit der Kirche angreife. Zutreffend sei daran, dass gerade junge Christen sich der vom Staat gewünschten Akklamation und dem Feinddenken verweigerten. Durch die genannten sowie weiteren Maßnahmen wollte man kirchlicherseits in der angespannten Situation „unnötige“ Konfrontationen und Schwierigkeiten vermeiden. Die Sorge vor weiteren staatlichen Übergriffen auf die Junge Gemeinde war nicht unbegründet. Denn in der Jahresanalyse der Hauptabteilung V/4 des MfS für 1961 13 14 15 16 17

Bericht von Gerd Böttcher (EBD.). Aktenvermerk Behms vom 6.1.1962 über die Sitzung (EZA BERLIN, 104/999). Vgl. D. WIERLING, Jugend, S. 407. Vgl. P. MASER, Kirchen, S. 62. Aktenvermerk Behms vom 6.1.1962 über die Sitzung (EZA BERLIN, 104/999).

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wurde als eine Aufgabe der „politisch-operativen Arbeit“ für das kommende Jahr genannt: „Aufklärung und Unterbindung der von den Leitungen der Jugendorganisationen der ev. und kath. Kirche organisierten konterrevolutionären Tätigkeit.“18 Der „Kampf zwischen den alten und neuen Erziehungseinflüssen“19 hatte zur Folge, dass bis zum Januar 1963 die Zahl der verhafteten kirchlichen Mitarbeiter in der DDR auf 19 anstieg, darunter 13 Vertreter der Jungen Gemeinde20. Auch die Studentengemeinden und ihre Westkontakte unterlagen nach dem Mauerbau einer stärkeren Überwachung. So erhielt z. B. die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen einen Bericht über eine Patenbegegnung zwischen Gliedern der ESG Braunschweig und der ESG Magdeburg, die anlässlich einer Tagung der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg am 7. und 8. Oktober 1961 in der Adolf-Stoecker-Stiftung in Berlin-Weißensee stattgefunden hatte21. Der Bericht konzentrierte sich vornehmlich auf die politischen Äußerungen, die während des Treffens gemacht worden waren. U. a. hieß es darin: „Im Verlaufe der Diskussion in der Seminartagung brachten die Braunschweiger zum Ausdruck, dass es keinen Friedensvertrag mit der DDR geben könne, wenn man nicht dadurch dem ‚Weltkommunismus‘ Vorschub schaffen wolle. [. . .] In den weiteren Gesprächen wurde von beiden Partnern die Wahl in der DDR als Erpressung und die Wahl in Westdeutschland als wirklich freie Wahl hingestellt. Dabei wurde die Politik von Brandt und Strauß gelobt. Die Wehrdienstverweigerung wurde für die Westzone als auch für die DDR als gut geheißen und dabei die Regierung der DDR oftmals verleumdet. Die Maßnahmen unserer Regierung vom 13.8.1961 wurden von beiden Seiten vollkommen abgelehnt. Es wurde an die Magdeburger die Frage gestellt, ob sie sich nicht wie eingesperrte Tiere vorkämen. Es tauchte auch oft die Frage auf: Was wird, wenn die DDR einen Friedensvertrag erhält, aus Westberlin? Die Braunschweiger waren der Ansicht, dass die USA Westberlin um keinen Preis freigeben werden. Es wird eine Entscheidung geben, im Notfall durch Krieg zwischen USA und der Sowjetunion.“22

Auf der Leitungsebene der ESG in der DDR war man sich bewusst, dass die Patenbegegnungen und andere gesamtdeutsche Aktivitäten überwacht wurden23. Um die „Legalität der Treffen für die Teilnehmer aus der DDR“ zu sichern, drängte daher Orphal darauf, dass die Begegnungen schriftlich beim Staatssekretär für Kirchenfragen unter Nennung der westlichen Teilnehmer angekündigt wurden24. Unter Beobachtung des Staatssicherheitsdienstes standen nach dem Mauerbau vor allem die Studentengemeinde der Humboldt-Universität und der Ost-Berliner Stu18 BStU BERLIN, MfS HA XX/4–332. 19 Vgl. D. WIERLING, Jugend, S. 407. 20 Information von Hanisch auf der Sitzung des GKA am 16./17.1.1963 in Berlin (PAEW). 21 BArch BERLIN, DO 4/586. 22 EBD. 23 Bericht Orphals (EZA BERLIN, 36/86/86). 24 Rohrbach an die Studentenpfarrer Nattland, Bochinger, H. Ritter, Iber, Kohlhaas, 2.11.1961 (EZA BERLIN, 36/320).

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dentenpfarrer Siegfried Ringhandt25. Auch hier war der Staatssicherheitsdienst insbesondere an der gesamtdeutschen Arbeit interessiert. Laut Bericht des MfS vom 20. Februar 1962 hatte am 10. Februar eine Besprechung zwischen Mitgliedern der Karlsruher und Ost-Berliner ESG über die Zukunft der „Schwesterfreizeiten“, wie die Patentreffen hier genannt wurden, stattgefunden. Die zuletzt geplante Freizeit, so wurde im Bericht festgehalten, war aus nachfolgenden Gründen abgesagt worden: „1.) Die Republikflucht der Studentin [. . .], durch [sic!] den westdeutschen Studenten [. . .] aus Karlsruhe. 2.) Die Schwesterfreizeit darf kein Abenteuer sein, sondern jeder soll sich mit dem Thema auseinandersetzen. 3.) Verhinderung von materiellem Streit. 4.) Erziehung der Gemeinde.“26

Auch in den kommenden Semestern wollte man keine Freizeiten durchführen, um in der Zwischenzeit „Erziehungsarbeit“ innerhalb der Gemeinden zu leisten. Bei zukünftigen Treffen sollte verantwortlich gehandelt und sollten „politische Zuspitzungen“ vermieden werden. Der Vorschlag, dann nur noch offiziell angemeldete und für alle offene Schwesterfreizeiten zu veranstalten, wurde von Ringhandt entschieden abgelehnt: Damit würde man der Überwachung Tür und Tor öffnen. Laut Staatssicherheitsbericht stellte der Studentenpfarrer den Sinn von Schwesterfreizeiten überhaupt in Frage und plädierte dafür, die gesamte Aufmerksamkeit auf die Festigung der DDRGemeinden zu konzentrieren. Vom 29. April bis zum 1. Mai trafen sich in Ost-Berlin die Patenreferenten der ESG Köln, Karlsruhe und Bethel mit ESG-Gliedern der Humboldt-Universität. Auch dieses Treffen wurde überwacht27. Bei der Zusammenkunft am 1. Mai wurde laut MfS-Bericht die Frage diskutiert, wie die gesamtdeutsche Arbeit inhaltlich gefüllt werden könne und ob sich das für sie einzugehende Risiko lohne. Die Frage wurde bejaht. Die Deutschen hätten, so wurde argumentiert, neben der ökumenischen Grundlage der Einheit in Christus zudem eine gemeinsame Kultur, eine einheitliche Sprache, verwandtschaftliche Beziehungen sowie eine geschichtliche Aufgabe, die sie verbinde. Durch den Zusammenprall zweier Weltsysteme auf deutschem Boden ergebe sich für die christliche Gemeindearbeit eine große Verantwortung. Aufgabe der Christen sei es, einen Weg zwischen den Fronten zu finden. Doch sollten die Schwestertreffen zukünftig nur noch über Privateinladungen durch Einzelne zustande kommen und Teil der Arbeitsfreizeiten der Gemeinde sein. Für ihre Organisation wurde laut MfS-Bericht ein „gesamtdeutscher Kreis“ gebildet. Da die Beteiligten wussten, dass sie überwacht wurden, wollten sie zukünftig bei der Begegnungsarbeit besonders vorsichtig sein28. In ihrer Jahresanalyse für 1963 stufte die Hauptabteilung V/4 des MfS die OstBerliner Studentengemeinde als ein Zentrum der gesamtdeutschen Treffen im kirch25 Vgl. BStU BERLIN, MfS AOP 2492/75. 26 BStU BERLIN, MfS AOP 2492/75 Bd. 1. 27 Bericht vom 3.5.1962 (BStU BERLIN, MfS AOP 2492/75 Bd. 1). 28 Vgl. Bericht vom 9.10.1962 „betr. Tagung der illegalen Leitung der ESG am 5.10.1962 in der Bischofstr. 6–8“ (EBD.).

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lichen Bereich ein29. Die Diskussionen auf diesen Treffen fanden nach Ansicht des MfS „auf der Basis feindlicher Argumente und Konzeptionen“ statt. Besonders besorgt zeigte sich das MfS darüber, dass durch die gesamtdeutschen Begegnungen und die dabei geführten Gespräche „breite Kreise kirchlicher Angestellter, vor allem aber der mit der Kirche noch verbundenen alten Intelligenz“ beeinflusst würden. Zudem ging es davon aus, dass westdeutsche und ausländische Personen die Treffen zur Informationsbeschaffung über die Lage in der DDR sowie in den verschiedenen Bevölkerungsschichten ausnutzten. Trotz Mauerbaus und geheimdienstlicher Überwachung war man sich innerhalb der ESGiD grundsätzlich darüber einig, die Patenbeziehungen auch nach dem 13. August 1961 weiter zu pflegen30. Angesichts der zunehmenden organisatorischen Verselbstständigung der ostdeutschen und westdeutschen Studentengemeinde erschienen sie als eine letzte Form praktizierter Gemeinschaft. „Mit dieser Art von provisorischer Verbindung zwischen Ost und West müßten wir uns heute begnügen“, hieß es leicht resignativ im Bericht des Generalsekretärs Rohrbach auf der Sitzung der westdeutschen Vertrauensratsmitglieder am 7. und 8. April 196231. Andererseits waren sich die Verantwortlichen auch der besonderen Gefahren der Begegnungsarbeit bewusst und richteten daher an die westdeutschen Patenreferenten im Oktober 1962 ein Merkblatt mit Richtlinien für die Kontaktpflege32. Für die Korrespondenz in die DDR wurde empfohlen, persönliche Erlebnisse sowie Fragen der Theologie, der Gemeindearbeit oder des Studiums zu behandeln; als Tabu galten politische Themen und Finanzfragen. Auch wurde dringend davon abgeraten, die Briefe in einer Geheimsprache abzufassen. Nachdrücklich befürwortet wurden hingegen der Austausch von Bibelarbeiten und die Verabredung von Fürbittegottesdienste nach einer gemeinsam erarbeiteten Form. Als Möglichkeiten zur persönlichen Begegnung wurden alle Ausstellungen und Veranstaltungen empfohlen, zu denen in der DDR offizielle ausländische Gäste zugelassen waren. Bei den von den Gemeinden bevorzugten privaten Begegnungen in Ost-Berlin wurde größte Zurückhaltung und „peinliche Beachtung“ der Anweisungen gefordert: nicht mehr als sechs Teilnehmer pro Treffen; Anwesenheit eines Studentenpfarrers; Vorbereitung eines Programms; Meldung des Treffens an die West-Berliner Geschäftsstelle; Nachfrage der angekommenen Teilnehmer in der Geschäftsstelle, nach den neuesten Informationen. Am Ende des Merkblattes wurde darauf hingewiesen, dass es sich hierbei nicht um Empfehlungen handelte, sondern um „Regeln“. Weitere „Pannen“ sollten unbedingt vermieden werden.

29 BStU BERLIN, MfS HA XX/4/332. 30 Sowohl die Studentenpfarrerkonferenz als auch die DK hatten sich dazu entschlossen. Vgl. Protokoll der DK der ESGiD am 28.2.–3.3.1962 (EZA BERLIN, 36/385). 31 Protokoll der Sitzung (EZA BERLIN, 36/383). 32 Abdruck in: G. SOMMER, Beziehungen, S. 301f. Vgl. auch Entwurf zu dem Rundschreiben vom 14.9.1962 (EZA BERLIN, 36/282).

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Die evangelische Jugend in der Bundesrepublik erhielt 1962 ebenfalls einen neuen Leitfaden für ihre Begegnungsarbeit33. Seine „geistliche[n] Ratschläge“ waren das Ergebnis einer „Auswertung der Umwandlung der Einheitstheologie für die Grundlagen der Begegnungen“34. Der Gesamtkirchliche Ausschuss35 bereitete in seinen Hinweisen die Begegnungsleiter auf die „innere Spannung“ vor, unter der die Junge Gemeinde in der DDR nach Kenntnis des Ausschusses momentan stand: Die einzelnen Ortsgemeinden und Gruppen würden die neue Situation des Abgeschnittenseins unterschiedlich gut verarbeiten. Folglich seien auch die Bereitschaft und die Fähigkeit zu einer Begegnung mit der evangelischen Jugend aus der Bundesrepublik unterschiedlich stark ausgeprägt. Für einige Kreise stehe die eigene Selbstverständigung im Vordergrund und werde als Voraussetzung für eine erneute Aufnahme der Begegnungsarbeit gesehen. Auch das Gefahrenpotenzial der Begegnungen wurde nach den Erfahrungen des Ausschusses von den Ostdeutschen unterschiedlich eingeschätzt. Insgesamt stehe der Begegnungsbereitschaft auf Seiten der evangelischen Jugend in der Bundesrepublik eine uneinheitliche Haltung in der Begegnungsfrage auf Seiten der Jungen Gemeinden in der DDR gegenüber. „Guter Wille hier und nicht seltenes Zögern dort müssen mit Fingerspitzengefühl miteinander, auch während Ihrer Begegnungstage, in Einklang gebracht werden“, so wurde die Begegnungsproblematik beschrieben. Der Ausschuss ermahnte die Begegnungsleiter, während ihres Ost-Berlin-Aufenthaltes sich „ständig an die inneren und äußeren Möglichkeiten Ihres Partners anzupassen und nicht nur von eigenen Vorstellungen und Wünschen auszugehen.“ Hinsichtlich der Gestaltung der Begegnung wurde gebeten, die „Sammlung unter Gottes Wort“ als Kernstück anzusehen, Raum für persönlichen Kontakt zu lassen und in den Gesprächen den ostdeutschen Partnern Gelegenheit zu geben, über ihre Situation zu berichten. Wichtig erschien dem Gesamtkirchlichen Ausschuss, dass die Gruppen paritätisch nach Ost und West zusammengesetzt wurden. Im Jahr 1962 betreute der Ausschuss insgesamt 120 Begegnungen in Ost-Berlin36. Die Gruppen waren im Vergleich zu den Vorjahren kleiner, so dass die Begegnungen intensiver und persönlicher verlaufen konnten37. Aus den Erfahrungsberichten geht hervor, dass die Teilnehmer aus der Bundesrepublik sich den ostdeutschen Begeg33 Hinweise für gesamtkirchliche Begegnungen evangelischer Jugend 1962 in Berlin vom 1.4.1962 (Aaej HANNOVER, GKA-Vorsitzende). 34 Bericht über die Tätigkeit des GKR der AGEJD im Jahr 1961, 24.1.1962. Abschnitt: II. Gesamtkirchliche Arbeit 1962 (Aaej HANNOVER, GKA Geschäftsführung). 35 Dem GKA gehörten 1962 an: Wilhelm Hertenstein (Vorsitzender), Horst Fild (Reichsverband CVJM), Eberhard Warns (Burckhardthaus), Petra Wulf (Mädchenbibelkreise), Ulrich Dahm (Christliche Pfadfinderschaft), Joachim Kreiter (Konferenz der LJP), Alfred Schröder, Oswald Hanisch (Jugendkammer Ost), Eberhard Stammler, Elisabeth Weisser (Hauptgeschäftsführerin), Gerd Leopold (Landesjugendkonvent), Ingeborg Becker, Hans Schulz, Johannes Thoma (Jugendwart der Methodistenkirche), Erhard Wonneberger. Vgl. Mitgliederliste Stand 12.9.1962 (Aaej HANNOVER, 17 GKA-Mitglieder). 36 Bericht der Hauptgeschäftsführung für 1962, 23.1.1963 (EZA BERLIN, 2/1555). 37 Vgl. Auszüge aus den Berichten über Ost/West-Ersatzbegegnungen evangelischer Jugendgruppen 1962 in Berlin (Aaej HANNOVER, GKR 1).

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nungspartnern stärker verpflichtet fühlten, als dies bei den früheren Begegnungen in West-Berlin der Fall gewesen war. Hauptgesprächsthema war die Situation der kirchlichen Jugend(arbeit) in der DDR. Während 1962 keine Gruppenfahrten in die DDR durchgeführt wurden, konnten Einzelreisen z. T. in Verbindung mit internationalen Veranstaltungen erfolgen. Der Geschäftsstelle der AGEJD wurden 76 solcher Besuche bekannt. Neben der Begegnungsarbeit gingen auch die materiellen Hilfeleistungen für die Junge Gemeinde in der DDR weiter. Für sie erhielt die AGEJD wie in den Jahren zuvor Beihilfen von Seiten des BMG38. Beschafft wurden damit technische Hilfsmittel, Bauund Installationsmaterialien, Werkzeuge, Geräte, Ersatzteile für Kraftfahrzeuge, Einrichtungsgegenstände, Lebensmittel, Textilien usw. Als schwierig gestaltete sich der Literaturtransfer. Auf der Landesjugendpfarrerkonferenz im Februar 1963 zeigte man sich darüber besorgt, dass Bücherpakete kaum mehr ihr Ziel erreichten39. Theologische Literatur wurde an der Sektorengrenze registriert und musste wieder zurückgebracht werden. Dies barg nach Ansicht der Jugendpfarrer die Gefahr in sich, dass die Ostdeutschen über kurz oder lang in der theologischen und geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzung den Anschluss verlieren würden. Auch in die Begegnungsarbeit der AGEJD flossen weiterhin staatliche Gelder40. Neben den allgemeinen Hinweisen für Begegnungen, die Anfang 1963 aktualisiert wurden41, erhielten die Begegnungsleiter aus der Bundesrepublik daher auch Hinweise für die Beantragung von Beihilfen sowie den anschließenden Nachweis der Mittelverwendung42. Hinzu kamen Empfehlungen für die Abfassung ausführlicher „sachlicher Berichte“. Um diese Berichte für die weitere Begegnungsarbeit fruchtbar machen zu können, bat der Gesamtkirchliche Ausschuss die Begegnungsleiter, darin über folgende Punkte Auskunft zu geben: „1) Allgemeiner Verlauf der Begegnung (durchgeführtes Programm beifügen); 2) Veranstaltungen, die sich für die Intensität und die Gemeinschaftsbildung der Begegnung günstig bzw. 38 Im Rechnungsjahr 1961 erhielt die AGEJD aus dem Titel 606 des BMG Zuwendungen für Mitarbeitertagungen, Buchaktionen, Inneneinrichtungen für Jugendheime, Freizeiten, Päckchenversand, Begegnungen, Studentenbetreuung u. Ä. die Summe von 1.363.675,82 DM. Hinzu kam ein Zuschuss für die Verwaltungskosten für gesamtdeutsche Aufgaben aus dem Titel 600 in Höhe von 32.000,– DM. Im Rechnungsjahr 1962 waren es aus Titel 606: 1.663.892,46 DM und aus Titel 600: 26.200,– DM. Im Rechnungsjahr 1963 belief sich der Betrag aus Titel 606 auf: 2.303.911,80 DM und aus Titel 600 auf: 27.728,20 DM. Im Rechnungsjahr 1964 waren es aus Titel 606: 2.480.500,– DM und aus Titel 600: 37.000,– DM. Vgl. Niederschrift der Vorprüfungsstelle des BMG über die örtliche Prüfung bei der AGEJD am 25.–29.3.1968 (BArch KOBLENZ, B 137/4820). 39 Protokoll der Konferenz der LJP am 25.–27.2.1963 (Aaej HANNOVER, Landesjugendpfarrerkonferenzen). 40 1963 waren es für diesen Zweck insgesamt 266.000,– DM von Seiten des BMG. Vgl. Bewilligungsschreiben vom 27.11.1963 (EZA BERLIN, 87/96/446). 41 Fassung vom 21.1.1963 (Aaej HANNOVER, GKR 1). 42 Muster für den Nachweis über Hin- und Rückreisekosten für Ost-West-Begegnungen; Abrechnungsrichtlinien zur Abrechnung von Beihilfen für Ost-West-Begegnungen in Berlin (Aaej HANNOVER, GKR).

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nachteilig ausgewirkt haben; 3) Vortrags- und Diskussionsthemen, die beide Partner in gleicher Weise bzw. nur einen der Partner angesprochen haben; 4) Zahlenverhältnis zwischen den Teilnehmern aus der Bundesrepublik und der DDR (Welches Zahlenverhältnis ist Ihrer Meinung nach für Begegnungen besonders günstig?); 5) Altersdurchschnitt und berufliche Zusammensetzung der Teilnehmer (Haben die Partner in dieser Beziehung etwa einander entsprochen?); 6) Kontaktmöglichkeiten und -schwierigkeiten zwischen den Partnern; 7) Urteil über das Ergebnis der Begegnung; 8) In welcher Weise soll die Begegnung ausgewertet werden?“43

In ihrer Gesamtheit vermitteln diese Berichte einen lebendigen Eindruck von den Begegnungen zwischen evangelischen jungen Erwachsenen aus beiden deutschen Staaten. Bei den Treffen 1963, deren Zahl im Vergleich zum Vorjahr um 10 bis 15 % zugenommen hatte44, machten die westdeutschen Besucher sowohl Erfahrungen der Vertrautheit als auch der Fremdheit45. Während einige davon berichteten, wie gut man sich immer noch verstehe, betonten mehrere, dass ein wechselseitiges Verstehen kaum mehr möglich und die Entfremdung erschreckend weit fortgeschritten sei. Ein Begegnungsleiter beschrieb seinen Eindruck von der Verschiedenheit des Lebensgefühls, das den Jugendlichen in Ost- und Westdeutschland zu Eigen sei. Die westdeutschen Jugendlichen seien von einem Gefühl der Sicherheit hinsichtlich Beruf und Zukunftschancen bestimmt; die ostdeutschen Jugendlichen hingegen verbänden ihre beruflichen Zukunftsperspektiven mit der Vorstellung, „Gewissens-Entscheidungen“ treffen zu müssen. Ost-West-Unterschiede sah ein anderer Berichterstatter auch in der Haltung zur Wiedervereinigung. Sie spiele im Bewusstsein und in der Hoffnung der einzelnen Gemeindeglieder in der DDR noch eine starke Rolle, so sein Eindruck, während dies beim Durchschnittsbürger der Bundesrepublik nicht mehr der Fall sei. Während einer Begegnung hatten Glieder der Jungen Gemeinde ihr schmerzliches Bedauern darüber geäußert, dass beim Mauerbau von westlicher Seite nicht mehr gewagt worden sei. Ein Begegnungsleiter zeigte sich erschüttert über den folgenden Satz einer 47jährigen Frau: „Ich habe noch nicht einen Tag meines Lebens die Freiheit gekannt. Muß mein Leben denn so zu Ende gelebt werden?“46 Einem anderen Begegnungsleiter vermittelte sich hingegen der Eindruck, die Mauer habe den Ostdeutschen eine gewisse Beruhigung gebracht. Sie müssten nun mit ihrer schwierigen Situation fertig werden, ohne nach dem Westen zu schielen und ohne immer wieder vor der Frage zu stehen, ob man nach Westdeutschland gehen solle. Ein ostdeutscher Teilnehmer hatte dies auch offen ausgesprochen: „Die Mauer hat uns die Ruhe wiedergegeben.“47 Laut eines anderen Berichts stießen die westdeutschen Besucher in der DDR auf Erwachsene und Jugendliche, die ihr Leben nicht erst nach einer eventuellen „Befreiung“ 43 EBD. 44 Mitteilung von Weisser auf der Sitzung des GKA am 12.11.1963 (PAEW). 45 Vgl. die anonymisierten Auszüge aus den Berichten über Ost-West-Begegnungen evangelischer Jugendgruppen 1963 in Berlin, Teil 1 (Aaej HANNOVER, Hans Herrmann VIII). 46 EBD. 47 Auszüge aus den Berichten über Ost-West-Begegnungen evangelischer Jugendgruppen 1963 in Berlin, Nachtrag 15.12.1963 (EBD.).

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leben, sondern es in der Gegenwart sinnvoll gestalten wollten: „Sie rechnen mit sich selber und kalkulieren mit ihrer Kraft und nicht mit dem Staat im Osten, ebenso wenig mit dem Staat im Westen.“48 Ein Begegnungsleiter beobachtete, dass die ostdeutschen Partner einen kritischen, aber gelassenen Umgang mit den sie umgebenden Verhältnissen entwickelt hatten. Hassgefühle und bedingungslose Negation seien verschwunden. Andere berichteten hingegen von Jugendlichen, die im Hinblick auf ihre Zeit bei der Nationalen Volksarmee resignierten, und von solchen, die in entschiedener Opposition zu ihrem Staat standen. Ein westdeutscher Einzelreisender meinte, ein generationenspezifisches Verhalten erkennen zu können: Bei den Menschen ab 40 Jahren herrsche Resignation und Verzweiflung vor; die Jugend versuche hingegen das Beste aus allem herauszuholen, immer mit der Hoffnung, dass es einmal besser oder anders werde. Weiterhin wurde beobachtet, dass sich bei den Christen in der DDR Verzweiflung über das Ein- und Abgeschlossensein einerseits und Humor andererseits miteinander abwechselten. Die somit sehr unterschiedlichen Reaktionen der ostdeutschen Begegnungspartner auf die Situation nach dem Mauerbau verwirrten manche westdeutschen Besucher. Die bundesdeutschen Berichterstatter äußerten sich auch zu der spezifischen Situation der Christen in der DDR. Ein Einzelreisender berichtete, dass selbstbewusste Christen in der DDR ihr Christentum leben könnten und sich auch bei Funktionären Respekt verschaffen würden. In Gesprächen mit Theologiestudenten erkannten einige westdeutsche Besucher, welche Bedeutung die „Zehn Artikel“ für das Leben der Christen und den eigenen Weg der Kirche in der DDR besaßen. Darüber hinaus enthielten die Berichte Hinweise darauf, welche Auswirkungen die Begegnungen auf das politische Bewusstsein der westdeutschen Teilnehmer hatten. Beeindruckt zeigten sich diese stets von der unmittelbaren Erfahrung der menschlichen Probleme der Teilung. Des Öfteren führten die Ost-Berlin-Besuche auch zu einer Höherschätzung des eigenen staatlichen und gesellschaftlichen Umfelds, für das man sich nunmehr verstärkt verantwortlich zeigen wollte. Mitunter wurde diese Erfahrung als „Aufrüttelung“ beschrieben49. Zugleich gaben einzelne an, dass nur durch den Kontakt mit DDR-Bürgern der Blick für ein Gesamtdeutschland bewahrt werden könne. Der Gesamtkirchliche Ausschuss wertete die einzelnen Erfahrungsberichte für die weitere Begegnungsarbeit aus. 1963 kam er dabei zu dem Ergebnis, dass die westdeutschen Teilnehmer zukünftig besser vorbereitet sein müssten. Insbesondere ihre Kenntnisse über die politische Situation in der DDR wurden als mangelhaft bezeichnet. Trotz aller ihrer Bemühungen war den Ausschussmitgliedern jedoch klar, dass sich die Ost-West-Begegnungen evangelischer Jugendlicher nie gänzlich würden regulieren lassen50. Als besonders gefährlich erachteten sie jedoch die zunehmende Zahl an „wilden Besuchsgruppen“, die zu einem improvisierten Treffen nach Ost-Berlin fuhren. 48 Auszüge aus den Berichten über Ost-West-Begegnungen evangelischer Jugendgruppen 1963 in Berlin, Teil 1 (EBD.). 49 Auszüge aus Berichten über Einzelreisen in die „SBZ“ 1963 (EBD.) 50 Protokoll der Sitzung des GKA vom 10.–12.6.1963 (PAEW).

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Diese rekrutierten sich u. a. aus Teilnehmern von West-Berlin-Besuchsfahrten, was in den Augen der Ausschussmitglieder fatal war, da ihrer Ansicht nach das Programm des West-Berliner Senats und die dort gegebenen Informationen den Blick für die tatsächliche Lage in der DDR weitgehend verstellten. Die Ausschussmitglieder beklagten sich darüber, dass offensichtlich nicht allgemein bekannt war, dass kirchliche Besuchsgruppen an dem Senatsprogramm nicht teilnehmen mussten. Um einen geordneteren Verlauf der Begegnungen zu erzielen, schlug der Ausschuss vor, die bestehenden Patenverbindungen zwischen Ost- und West-Berliner Kirchenkreisen zu intensivieren. Den westdeutschen Patengebieten sollte jeweils ein Berliner Kirchenkreis zugeordnet werden, so dass die Verbindung von Westdeutschland über WestBerlin nach Ost-Berlin und von dort u. U. auch in die übrigen Gebiete der DDR verlaufen würde. Damit wäre dann auch der Westen Berlins stärker in die Ost-West-Begegnungen eingebunden worden. Denn West-Berlin hatte sich nach dem Mauerbau zum Problemgebiet evangelischer Jugendarbeit entwickelt. Auf Grund der von den West-Berliner Mitarbeitern wiederholt betonten schwierigen Lage der eingeschlossenen Stadt51 traf sich der Gesamtkirchliche Ausschuss Mitte Juni 1963 zu einer Sondertagung in West- und Ost-Berlin. Auf ihr wurde der oben genannte Vorschlag beschlossen. Bereits am Vorabend der Tagung hatten Ausschussmitglieder in drei West-Berliner Bezirken über die Aufgabe der Jugendarbeit in Ost und West vorgetragen. Dabei hatten sie den Eindruck gewonnen, dass der Berliner Jugendarbeit die Isolierung drohe: Es fehle an Informationen, vor allem aber an einer kirchlichen Gesamtsicht der Ost-West-Probleme. Dem Verlangen nach Informationen und Kontakten stehe ein festgefahrenes Frontdenken gegenüber, das sich als weitgehend resistent gegenüber Informationen erweise. Die westdeutschen Mitglieder des Gesamtkirchlichen Ausschusses kamen daher überein, die West-Berliner Jugendarbeit zukünftig stärker als ein Problem der gesamtkirchlichen Jugendarbeit anzusehen. Folglich wurden auch bei den nächsten Sitzungen des Ausschusses in Berlin am ersten Abend Gespräche mit Mitarbeitern von drei Berliner Kirchenkreisen geführt. Dabei ließen sich die Ausschussmitglieder von den Berlinern über ihre spezielle Situation berichten und informierten selbst über die Ost-West-Arbeit, die Patenbeziehungen, Besuche in der DDR und anderes mehr52. Auch die Verantwortlichen in der ESGiD unternahmen 1963 erneut den Versuch, regulativ in die Patenbegegnungen einzugreifen. Hintergrund war die Klage der Berliner Obfrau Inge Pohl über den Ablauf der Patentreffen in der ersten Jahreshälfte. Sie kritisierte, dass die gemeinsamen Bibelarbeiten während der Treffen von den Teilnehmern als notwendiges Übel angesehen würden und kein Bewusstsein dafür vorhanden sei, dass die Texte und die innergemeindlichen Themen die Grundlage bildeten für 51 So z. B. die Klage von Hanisch auf der Sitzung des GKA am 16./17.1.1963 in Berlin, dass die Mauer in Deutschland drei Teile geschaffen habe, der dritte Teil aber, West-Berlin, weiterhin unbeachtet bliebe (EBD.). 52 Vgl. Tagesordnung für die Sitzung des GKA am 11.–13.11.1963 (Aaej HANNOVER, GKR 1).

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alle anderen Gespräche zur beiderseitigen Situation und zur Frage der Einheit der ESGiD53. Die Begegnungsteilnehmer verständen nicht, „was ein Patentreffen unter dem Zeichen ‚Gemeinde‘“ bedeute, was sich dann auch bei Verhören an der Grenze negativ auswirke. Zudem würden die materiellen Hilfeleistungen während der Begegnungen zu viel Aufmerksamkeit und Zeit beanspruchen. Insgesamt sah Pohl auf beiden Seiten zu viel Begeisterung und zu wenig Vorsicht walten. Insbesondere die Zollund Devisenbestimmungen wurden oft nicht eingehalten, was mitunter einen sportiven Charakter besaß. In den im Oktober 1963 herausgegebenen „Grundsätzen zur Patenarbeit“ wurde daher zunächst definiert, was unter „Patenarbeit“ nach Ansicht der ESGiD-Verantwortlichen zu verstehen sei: „Patenarbeit heißt, dass zwischen einzelnen Menschen oder Gruppen eine Beziehung wechselseitiger Verantwortung besteht. Das bedeutet, dass Hilfeleistung und Ratschlag nicht allein in Sonderaktionen ihren Ausdruck finden können, sondern gerade in jedem Handeln und Leben auffindbar sein müssen. Patenarbeit heißt dann besonders, dass man sich dieser Partnerschaft in der Verantwortung bewußt ist und nichts geschehen läßt, was den anderen befremden oder zerstören könnte.“54

Da immer mehrere westdeutsche Gemeinden einer ostdeutschen Gemeinde zugeordnet waren55, sollten sich die Patengemeinden in der Bundesrepublik untereinander über die jeweilige Gemeindearbeit informieren. Denn die Kenntnis und das Verständnis der eigenen Situation, so die Autoren der „Grundsätze“, erleichterten das Gespräch mit den Gliedern der Studentengemeinden in der DDR bzw. ermöglichten es in vielen Fällen erst. Daher wurde vorgeschlagen, dass die Patenreferenten der westdeutschen Gemeinden mindestens einmal im Semester zusammenkamen, um über den geistlichen und strukturellen Weg ihrer Gemeinde in der besonderen Beziehung zu der Gemeinde in der DDR zu reflektieren. Für die Begegnungen in Ost-Berlin wurde empfohlen, sie nicht durch Geschenke dominieren zu lassen. Die Treffen sollten ausschließlich als Chance verstanden werden, miteinander zu sprechen und soviel als möglich voneinander zu lernen.

53 Pohl an Brandes, Otto und Pohlmann, 29.5.1963 (EZA BERLIN, 36/62). 54 EZA BERLIN, 36/705. 55 Patengemeinden innerhalb der ESGiD, Stand 28.1.1963 (EZA BERLIN, 36/705): Berlin – Bethel, Karlsruhe, Köln; Cottbus – Bielefeld, Mönchen-Gladbach, Essen; Dresden – Darmstadt, Hannover, Stuttgart; Eisenach – Gengenbach, Passau; Erfurt – Bayreuth, Neuendettelsau, Weingarten, Geisenheim; Freiberg – Clausthal-Zellerfeld, Oldenburg; Görlitz – Detmold, Jugendheim, Gießen; Gotha – Weilburg, Konstanz; Greifswald – Bonn/Godesberg, Hamburg, Heidelberg; Güstrow – Augsburg, Lüneburg; Halle – Frankfurt/M., Germersheim, Göttingen; Ilmenau – Freising, Worms; Jena – Tübingen, Würzburg, Bremen; Karl-Marx-Stadt – Esslingen, Mannheim, Reutlingen, Krefeld; Leipzig – Erlangen, München, Münster, Saarbrücken; Magdeburg – Braunschweig-Wolfenbüttel, Nürnberg, Suderburg; Mittweida – Dortmund; Naumburg – Marburg, Kaiserslautern, Osnabrück; Potsdam – Aachen, Mainz; Rostock – Freiburg, Kiel, Wuppertal; Weimar – Düsseldorf, Flensburg, Lübeck, Wedel; Zittau – Friedberg, Furtwangen, Kassel; Zwickau – Kettwig, Schwäbisch Gmünd, Regensburg; Schleusingen – Duisburg, Alfeld.

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Eine sinnvolle inhaltliche Gestaltung der Patenarbeit sah nach Ansicht der Berliner Geschäftsstelle wie folgt aus: „Briefkontakt der Pfarrer. Austausch über theologische Arbeit. Angezielt: Theologische Unterweisung. Gemeinsame Bibelarbeit über parallele Stellen. Abwendung von rein theoretischer Debatte über Politik zur Frage nach der Gemeinde. Eingehen auf Fragestellung der DDR-Gemeinde. Hauptpunkt: Grundsatzfrage Gemeinde in der Welt, mündiger Christ. Kritische Sicht der BR-Gemeinde vom biblischen Auftrag her. Von der Bibelarbeit her Fähigkeit, sich in Frage stellen zu lassen.“56

Die hier artikulierte Forderung, die Patenarbeit solle sich mehr auf theologische Fragen konzentrieren, wurde bereits bei einigen größeren Patentreffen 1963 erfüllt. So standen die Begegnungen u. a. unter folgenden Themen: „Ethik von Bonhoeffer und Brecht“, „Sprache und Wort Gottes in einer weltlich gewordenen Welt“, „Kirchenkampf“, „Anstöße des Humanismus für die christliche Existenz“, „Der Mensch im Neuen Testament und in der modernen Gesellschaft“, „Der Glaube und die Wirklichkeit“, „Überlegungen über die kirchliche Verkündigung in unserer Zeit“, „Verkündigung damals und heute“, „Das Gebet“57.

Besonders intensiv diskutierten die Begegnungsteilnehmer 1963 über das Verständnis von Gemeinde, Gottesdienst und Gebet. Dabei wurde die Erfahrung gemacht, dass die Kirche in allen Teilen in einem Umbruch begriffen war, der speziell von der jungen Generation ausging58. Theologische Themen waren auch Gesprächsgegenstand bei den gemeinsamen Konferenzen und Retraites der ost- und westdeutschen Studentenpfarrer sowie der Mitarbeiter der Berliner und Stuttgarter Geschäftsstellen. Im Zentrum standen vor allem Fragen der Ekklesiologie. Dabei herrschte die Vorstellung vor, dass Christus auch in der außerkirchlichen und außerchristlichen Welt wirke und die Grenzen der Gemeinde zu eng seien, ihn dort zu erkennen. Die Gemeinde müsse die Erkenntnis Christi aus der Welt in sich hineinnehmen und sie mit Hilfe des Pfarrers formulieren und gegenüber der Bibel prüfen. Christus sei außerhalb der Gemeinde bei den Menschen in der Welt zu finden, so lautete der Schlüsselgedanke. Doch war die „christologische Neuorientierung der Ekklesiologie“, die gerade unter jüngeren Theologen in Ost und West auf positive Resonanz stieß, auch in den Studentengemeinden nicht unumstritten59. So betonte Johannes Hamel auf der gesamtdeutschen Studentenpfarrerkonferenz, dass Wort und Sakrament die Grundlagen der Gemeinde seien. Es gelte 56 Notizen über ein Gespräch mit dem Mainzer Patenreferenten Manfred Weschke und dem Delegierten Roch in der Berliner Geschäftsstelle am 26.4.1963 (EZA BERLIN, 36/704). 57 Berichte über Patentreffen im Jahr 1963 in: EZA BERLIN, 36/704. 58 Wolfgang Tietzsch: Protokoll über das Partnertreffen in Berlin vom 30.11.–1.12.1963 zwischen zwei Düsseldorfer, zwei Flensburger, zwei Wedeler, drei Hamburger, einem Suderburger und acht Weimarer Studenten (EBD.). 59 Vgl. Bericht über die ESG im Bereich der DDR und in Groß-Berlin für die Zeit von April 1963 bis Februar 1964, vorgetragen von Glöckner auf der Beiratssitzung am 22.2.1964 (EZA BERLIN, 141/99/98a).

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daher nicht, sich ausschließlich auf die Welt zu konzentrieren, sondern der Welt das Evangelium zu bringen und in der Gemeinde vom Evangelium her zu leben. Im Sinne Hamels beschäftigten sich die Gemeinden in dieser Zeit intensiv mit dem Thema „Gottesdienst“, so dass der Leiter der Ost-Berliner Geschäftsstelle, Reinhard Glöckner, im Hinblick auf die ostdeutschen Gemeinden bilanzierte: „Insgesamt zeigt sich also ein Umschwenken vom christologischen und ethisch bestimmten Weg der Gemeinde zur Welt auf eine fast introvertierte Besinnung der Gemeinde auf sich selbst und ihre Lebensquellen.“60 Im Jahr 1964 nahmen die Verantwortlichen in der ESGiD erneut Anlauf, die Patenarbeit inhaltlich und organisatorisch anzuleiten. Ihr Ziel war es dabei, die Reduktion der Patentreffen auf rein private Begegnungen sowie weitere Verhöre infolge von Gesetzesübertretungen zu verhindern. Intern sprach man – halb scherzhaft – vom Entwurf einer „Patentreffen-Ideologie“61, die den Teilnehmern „Sinn und Aufgabe der Patentreffen, ja der [. . .] partnerschaftliche[n] Arbeit der Gemeinden in der ESGiD überhaupt“62 verdeutlichen sollte. Auf der Sitzung des Beirates Ost im Februar wurde beanstandet, dass vielen Teilnehmern Aufgabe und Bedeutung der Treffen nicht klar sei63. Erneut betonte man, dass es sich bei den Patentreffen um themengebundene biblische Tagungen handeln solle. Den Teilnehmern müsse bewusst sein, dass die Patenbegegnungen ein Stück Gesamtarbeit darstellten. Die Verantwortung für die Treffen wurde nunmehr ausschließlich den Studentenpfarrern zugeteilt. Sie hatten auch Sorge dafür zu tragen, dass die Begegnungen nicht von materiellen Aspekten dominiert wurden. Auf diese Weise sollten weitere Übertretungen der Grenzbestimmungen sowie daraus resultierende Verhöre verhindert und den Treffen damit der Anschein der Illegalität genommen werden64. Im Frühjahr setzte die 13. Delegiertenkonferenz eine Kommission zum Thema „Partnerschaft“ ein, die über Selbstverständnis und Praxis der Gemeinschaft in der ESGiD diskutierte. Am Ende der Konferenz gaben die Delegierten den Geschäftsstellen in Ost- und West-Berlin den Auftrag, anhand des Kommissionsprotokolls65 einen Text über die partnerschaftlichen Beziehungen in der ESGiD als Interpretation des Einheitsmemorandums von 1960 auszuarbeiten und dem Vertrauensrat vorzulegen. Dieser lehnte jedoch den Textentwurf auf seiner Herbstsitzung ab66. Später billigte er eine überarbeitete Fassung mit der Auflage, sie in Verbindung mit dem Einheitsmemorandum als „Arbeitshilfe zur Partnerschaft“ für Vertrauensstudenten, Partnerreferenten, Delegierte und Studentenpfarrer in beiden Bereichen der ESGiD herauszuge-

60 61 62 63 64 65 66

EBD. Brandes an Pohl, 5.2.1964 (EZA BERLIN, 36/1100). Brandes an Mende, 5.2.1964 (EBD.). Protokoll der Sitzung des Beirates Ost am 22./23.2.1964 (EZA BERLIN, 141/99/98a). Rohrbach an Fischer und Stroh, 27.2.1964 (EZA BERLIN, 606/121). Hausinterne Anlage zum Protokoll der DK der ESGiD am 29.3.–4.4.1964 (EZA BERLIN, 36/383). Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 26./27.9.1964 (EZA BERLIN, 36/395).

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ben67. Der Text mit dem Titel: „Die partnerschaftlichen Beziehungen innerhalb der ESGiD“68 nahm in seiner Einleitung zunächst Bezug auf das Einheitsmemorandum von 1960 und damit auf das grundsätzliche Bekenntnis zur Einheit der ESGiD. Dabei wurde wie folgt argumentiert: Das Memorandum sei von der vorgefundenen, faktischen Einheit ausgegangen und habe auf der Grundlage der historischen Verantwortung über eine gemeinsame Zukunft reflektiert. Die so verstandene Einheit konkretisiere sich u. a. in den „partnerschaftlichen Beziehungen“ der Gemeinden untereinander. Die Formen der Konkretisierung aber müssten sich entsprechend dem politischen und gesellschaftlichen Kontext verändern – wie dies für die organisatorischen Strukturen schon geschehen war und nunmehr auch für Selbstverständnis und Praxis der Patenarbeit erfolgen sollte. In einem zweiten Abschnitt wurde daher definiert, wie man sich die konkretisierte Einheit unter den Bedingungen der Gegenwart vorstellte: „Einheit in partnerschaftlichen Beziehungen“ bedeute nicht „Gleichheit“, sondern beinhalte die ernsthafte Wahrnehmung von „Verantwortung für den eigenen Bereich“. Dies führe zwangsläufig auch zu Handlungen, die nicht auf den anderen Bereich übertragbar seien. Und es schließe ein, die Loyalität der Studenten gegenüber ihrem jeweiligen Staat zu akzeptieren und die Gesetze beider „Bereiche“ zu respektieren. Die Chance eines solchen Einheitsverständnisses ergebe sich aus der Möglichkeit, für den anderen ein notwendiges Korrektiv zu bilden. Damit könne dieser eine kritische Distanz auch zu seiner eigenen Umgebung gewinnen. Als gemeinsame Aufgabe wurde – im Unterschied zum Memorandum von 1960 – formuliert: handelnd Beispiel zu geben für kritische Gespräche und gemeinsames Arbeiten an praktischen und begrenzten Aufgaben. Dass man damit eine (deutschland-)politische Vorreiterrolle übernehmen wollte, wurde durch den nachfolgenden Satz offenkundig: „Dies alles beginnt in der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland, zielt aber darüber hinaus auf den Ausgleich politischer Gegensätze und die Befriedung jetzt noch verfeindeter Fronten.“ In dieses postmurale Verständnis von den Grundlagen und Aufgaben der Einheit der ESGiD, das die Aussagen des Einheitsmemorandums von 1960 zumindest neu interpretierte, wurden nunmehr die „partnerschaftlichen Begegnungen“ eingeordnet und damit politisch aufgeladen. Die Begegnungen ermöglichten, so der Text, Kommunikation und gemeinsame Willensbildung. In ihnen würden die partnerschaftlichen Beziehungen „stellvertretend von einzelnen für die Gemeinde getragen“. Daraus folge einerseits, dass diese Einzelnen in ihrem Tun von der Gemeinde unterstützt werden müssten. Andererseits sollten die Begegnungsteilnehmer ihre gewonnenen Erfahrungen für die Gemeinde fruchtbar machen und die Treffen nicht zu ihrem persönlichen „Hobby“ werden lassen. Auch für die Themenwahl bei den Begegnungen sollte das neue Einheitsverständnis bestimmend sein. Den Hauptakzent wollte man nicht mehr, wie in den Jahren zuvor, auf die Situation der ostdeutschen 67 In dieser „Arbeitshilfe“ druckte die Stuttgarter Geschäftsstelle das Einheitsmemorandum nicht in der Fassung von 1960, sondern in der Version der DK von 1963 (s. o. Kap. 3.1) ab, ohne dies zu vermerken. 68 Exemplare im EZA BERLIN, 104/982 und 87/96/887.

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Gemeindeglieder gelegt sehen. Als erstrebenswert galt nunmehr, die Unterschiede nicht mehr durch ein „allgemeines ‚Gesetz der Nächstenliebe‘ überbrücken zu müssen“, sondern zu thematisieren. Am Ende des Textes wurden die praktischen Konsequenzen des zuvor Gesagten zusammengefasst: Zwei oder drei Studenten der Gemeinde nehmen die Partnerschaft „stellvertretend“ wahr; die Gemeinden werden über die Partnerarbeit informiert; die Themen werden sorgfältig ausgewählt und in den jeweiligen Gemeinden gründlich vorbereitet. Für die praktische Vorbereitung der Treffen wurde zudem auf die aktualisierte Fassung der „Grundsätze“ verwiesen. Diese führten nunmehr im Titel anstelle des Terminus „Patenarbeit“ den Begriff „Partnerarbeit“, um auch semantisch das neue Verständnis der Begegnungskultur im Bereich der ESGiD zu dokumentieren69. Bei ihrem Versuch, die neue „Patentreffen-Ideologie“ in die Partnergemeinden hineinzutragen, stießen die Geschäftsstellen auf geteilte Resonanz. Bei einem Partnerschaftstreffen vom 20. bis 22. November zwischen elf Gliedern der Rostocker ESG, sieben Gliedern der Freiburger ESG, vier der Kieler ESG und vier der ESG Wuppertal entwickelte sich über derartige Vorschläge eine kontroverse Diskussion70. Unterstützt von den Kieler Teilnehmern hatte die Berliner Geschäftsstelle vorgeschlagen, die Teilnehmerzahl künftig auf insgesamt zwölf Personen, d. h. sechs Ostdeutsche und sechs Westdeutsche, zu beschränken. Darüber hinaus sollten die Gespräche in Seminarform intensiviert und möglichst ausgereifte Diskussionsergebnisse als Grundlage für Gemeindegespräche weitergegeben werden. Das gemeinsame Weiterdenken wollte man als ein Symbol der Einheit der ESGiD verstanden wissen. Diese Vorschläge stießen bei den Rostocker und Freiburger Teilnehmern auf starke Ablehnung. Sie sahen den Hauptsinn der Partnertreffen in den persönlichen Gesprächen, die ihrer Ansicht nach dem Einzelnen am besten ein wirklichkeitsnahes Bild der „anderen Welt“ vermittelten. Gerade den Rostockern war das persönliche Gespräch nicht nur ein geistiges, sondern auch ein emotionales Bedürfnis. Die andere Seite argumentierte, dass die Partnertreffen ohne die Diskussion gemeinsamer Probleme nicht ausreichend genutzt würden. Auch seien Gespräche über theologische Fragen nicht genug. Die Referate sollten konkrete Probleme des gesellschaftlichen Lebens in beiden Teilen Deutschlands aufgreifen, um einerseits über bestehende Institutionen und Gesetze zu informieren, vor allem aber, um sich und den Partner zu zwingen, gesellschaftliche Probleme zu reflektieren. Die Westdeutschen glaubten gerade bei vielen Rostocker Begegnungspartnern eine pauschale Ablehnung aller Maßnahmen ihrer Regierung ausmachen zu können – eine Haltung, die nach ihrer Ansicht zu „einer sterilen Isolierung innerhalb des Staates“ führe. Die Forderungen nach ernsthafter Wahrnehmung von „Verantwortung für den eigenen Bereich“ und Anerkennung der Loyalität gegenüber dem jeweiligen Staat, wie sie der Text „Die partnerschaftlichen Beziehungen innerhalb der ESGiD“ enthielt, gingen demzufolge eher von den Westdeutschen aus. Die Rostocker bejahten 69 Exemplar der aktualisierten Fassung vom März 1964 im EZA BERLIN, 36/705. 70 Über das Treffen liegen drei Erfahrungsberichte der westdeutschen Partnerreferenten vor (EZA BERLIN, 36/704).

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zwar grundsätzlich die Diskussion über gesellschaftliche Probleme in beiden deutschen Staaten. Sie gaben aber auch die Gefährdung der Partnertreffen durch solche Gesprächsthemen zu bedenken, da das Monopol zur Diskussion aller gesellschaftlichen Probleme bei der FDJ lag. Daher wählten sie unter den für das nächste Treffen vorgeschlagenen Gesprächsthemen „Welche Schulsysteme bietet uns unser Staat“, „Fragen um die gerechte Vermögensverteilung“ und „Ehrfurcht vor dem Leben“ (Geburtenkontrolle, Sterilisation) das letztere als das unverfänglichste aus. Auch andere Partnergemeinden hatten sich mit dem Problem auseinanderzusetzen, Arbeitstreffen und persönliche Begegnung miteinander zu vereinbaren. Immer wieder wurde in den Berichten über die Treffen jedoch vor allem die Bedeutung des persönlichen Gesprächs hervorgehoben71. Mit ihrem Appell, die Begegnungen nicht mehr zur Mitnahme von Westwaren zu nutzen, hatte die Berliner Geschäftsstelle größeren Erfolg72. Dennoch kam es auch 1964 zu Verhören an der Grenze unter dem Vorwand der unerlaubten Wareneinfuhr73. Gefragt wurde dabei vor allem nach dem Ziel des Besuches und der Finanzierung der Fahrt. Im Mai wurde auch die Ost-Berliner Geschäftsstellenmitarbeiterin Christa Grengel durch das MfS über Westkontakte und Patenbeziehungen befragt74. Grengel berief sich dabei entschieden auf das bei den Begegnungen eingehaltene „Legalitätsprinzip“. Bereits seit Anfang des Jahres 1964 wurden Partnertreffen offiziell nicht mehr aus Mitteln des BMG finanziert75. Indirekt wurden für die „gesamtdeutsche Arbeit“ (West-Berliner Geschäftsstelle, Studentenpfarrerkonferenzen, Vertrauensratssitzungen, Stabretraite in Ost-Berlin, Arbeitssitzungen in Ost-Berlin, Ost-West-Begegnungen in Ost-Berlin und in der DDR, Tagungen in der Bundesrepublik mit gesamtdeutscher Thematik etc.) aber dennoch weiterhin Gelder des BMG eingesetzt. Diese flossen jedoch zukünftig über die Evangelische Akademikerschaft (EAiD)76 an die ESG77. Auch die staatlichen Zuschüsse für die Sachleistungen, die an die Glieder der ostdeutschen Studentengemeinden gingen, wurden fortan überwiegend über die EAiD beantragt und abgerechnet78. Diese übernahm auch den größten Teil des Versands. Neben den Treffen in Ost-Berlin war es einzelnen Gruppen aus westdeutschen Studentengemeinden 1964 auch möglich, in die DDR zu reisen. So fuhren im Oktober Glieder der ESG der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau anlässlich der Inter71 Vgl. z. B. den Bericht über das Patentreffen Oldenburg-Clausthal-Freiberg vom 7.–11.5.1964 (EBD.). 72 Vgl. EBD. 73 Vgl. Aktennotiz über das Verhör am Übergang Heinrich-Heine-Straße während des Partnertreffens Berlin-Karlsruhe-Köln-Bethel vom 23.–27.10.1964 sowie Aktennotiz über das Verhör während des Partnertreffens Heidelberg-Bonn-Hamburg-Greifswald am 29.10.1964 (EZA BERLIN, 36/704, 705). 74 Vgl. Heide an Hilke, 17.5.1964 (EZA BERLIN, 36/85). 75 EZA BERLIN, 36/86/93. 76 Die EAiD wurde 1947 als Altfreundeschaft der ESGiD gegründet und änderte 1954 ihren Namen. 77 Vgl. die Korrespondenz zwischen dem Vorsitzenden der EAiD Horst Bannach und mit dem BMG (EZA BERLIN, 36/1117, 1118, 1120). 78 Vgl. EBD. und Bannach an BMG, 20.2.1964 (EZA BERLIN, 36/1119).

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nationalen Gartenbauausstellung zu ihrer Patengemeinde nach Erfurt79. Einige Wochen später berichteten sie der Berliner Geschäftsstelle der ESGiD von ihren Eindrücken und Erfahrungen: Sehr deutlich sei bei ihren ostdeutschen Gesprächspartnern aus der Studentengemeinde die Ablehnung des Militärseelsorgevertrags gewesen. Das Argument, dieser diene der Männerarbeit, sei mit der Aussage zurückgewiesen worden: „Bei der Bundeswehr könne das Thema Nr. 1 nicht Eheseelsorge sein, sondern das Aufmerksammachen auf das Problem des Bruderkriegs, zu dem sie ausgebildet werden.“ Aus den Gesprächen mit den Gemeindegliedern entnahm der bayerische Berichterstatter, dass die Pfarrer in der DDR in drei Gruppen eingeteilt werden könnten: 1. in offene Parteigänger der SED; 2. in offene Befürworter des Westens; 3. in die deutliche Mehrheit, angeführt von den jüngeren Pfarrern, die in der DDR ihren Staat sahen und sich auf die Realitäten ihrer politischen und gesellschaftlichen Umwelt einstellten. Generell kam der Neuendettelsauer auf Grund seiner Beobachtungen und Gespräche zu dem Schluss: „die junge Generation drüben richtet sich in ihrem Staat ein; vor allem seit Errichtung der Mauer. Man kritisiert, man wird manchmal ungeduldig, aber man ist stolz auf das Erreichte.“ Ähnliches berichteten auch die 18 Studenten der Hamburger Kurrende, die schon im März 1964 auf Einladung der dortigen Fakultät nach Rostock gefahren waren80. Sie beobachteten, dass nur wenige der ostdeutschen Studenten über ihre Lage verzweifelt seien oder resignierten. Die meisten würden versuchen, sich in ihrer Situation einzurichten und so gut es gehe „bewußt“ in der DDR zu leben. Von vielen sei ausdrücklich betont worden, dass sie nicht in der Bundesrepublik leben wollten, sondern sich lediglich Reisemöglichkeiten und den notwendigen Gedankenaustausch wünschten. Teilweise hätten sie empfindlich darauf reagiert, als die westdeutschen Begegnungsteilnehmer von der „Zone“ sprachen. Diese hätten aber mit ihrer Wortwahl keine Kränkung bewirken, sondern verdeutlichen wollen, dass sie die DDR-Regierung nicht anerkennen konnten. Die Eindrücke der Berichterstatter aus Neuendettelsau und Hamburg von ihren jungen ostdeutschen Gesprächspartnern finden ihre Bestätigung in den Erfahrungen anderer Westbeobachter sowie in einer ostdeutschen Jugendstudie. 1964 reisten drei Redakteure der Wochenzeitung „Die Zeit“ 14 Tage lang durch die DDR. Von dieser „Reise in ein fernes Land“ berichtete Theo Sommer: „In der Tat ist in der DDR ein solches Staatsbewußtsein im Entstehen. Viele meiner Gesprächspartner, auch Kritiker des Regimes, sprachen wie selbstverständlich von ihrer ‚Republik‘ [. . .]. Psychologisch ist das durchaus erklärlich. Die Mehrzahl der Menschen verharrt nun einmal nicht auf unbestimmte Zeit in Trotzpose und Widerstandshaltung; sie arrangiert sich mit der Umwelt, wenn diese Umwelt unabänderlich zu sein scheint. Die Menschen in der DDR mögen auch nicht die Leistungen, die sie trotz aller äußeren und inneren Schwierigkeiten im Laufe der Zeit vollbracht haben, verlachen oder verspotten; schließlich sind es ihre eignen Leistungen. Nicht, dass dieses Sich-Abfinden sie zu Kommunisten machte – das sind 79 Bericht von Wolfgang Burckhardt (EZA BERLIN, 36/705). 80 Bericht von Hernteich an Hilke, 14.5.1964 (EZA BERLIN, 36/704).

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sie nicht und werden sie nicht. Aber ihre gesonderte Existenz hat über die Jahre hinweg doch dazu geführt, dass viele auch dem westlichen System distanziert gegenüberstehen. Sie beneiden den Westen in vielem, aber sie wünschen ihn nicht in allem nachzuahmen.“81

Ebenfalls 1964 wurde vom Leipziger Jugendforschungsinstitut unter Leipziger Schülern eine Studie durchgeführt82. Diese stellte bereits bei der Mehrheit der jugendlichen Schüler eine deutliche DDR-Verbundenheit fest. Offensichtlich war es in dieser Phase einer relativen wirtschaftlichen und politischen Konsolidierung und forcierten Abgrenzungspropaganda nach dem Mauerbau gelungen, bei einem großen Teil der Jugend in der DDR eine zunehmende Identifikation mit ihrem Staat und ein spezielles Wir-Gefühl auszubilden83. Bei jungen Christen mag diese Identifikation, je nach ihrer persönlichen Erfahrung, weniger ausgeprägt gewesen sein. Doch war wohl auch unter ihnen die Identifikationsbereitschaft mit der sie umgebenden politischen und gesellschaftlichen Umwelt gewachsen. Da sie eine Einreiserlaubnis über die Fakultät erhalten hatten, mussten die Studenten der Hamburger Kurrende während ihres Rostockaufenthaltes auch ein „offizielles Gespräch“ führen. Am 19. März unterhielten sie sich im Konzilsraum der Universität mit vier Vertretern der FDJ-Hochschulgruppenleitung, einem Hochschulassistenten sowie einem Gewerkschaftsvertreter in „ausgesprochen gute[r] Atmosphäre“84. Da die Hamburger Studenten ihre Kritik nur vorsichtig äußerten, waren sie überrascht über das Verhalten des Hochschulassistenten, der ihre Äußerungen pointierter wiederholte mit dem Argument, ihnen „keinen Sand“ in die Augen streuen zu wollen. Das Gespräch begann mit dem Thema „Kritik an der Regierung“ und kreiste lange um den Fall des Regimekritikers Robert Havemann. Der Ost-Berliner Physikprofessor hatte im März seinen Lehrstuhl verloren, nachdem er zuvor schon aus der SED ausgeschlossen worden war. Auslöser hierfür war seine auf marxistischer Basis geübte Kritik an den wissenschaftlichen Restriktionen durch den Parteiapparat. Havemanns Maßregelung offenbarte die Ambivalenz der seit 1963 einsetzenden Reformphase in der Wirtschafts-, Kultur- und Bildungspolitik der DDR. In dem Gespräch versuchten die FDJVertreter die Hamburger Studenten von ihrer Vorstellung von „konstruktiver Kritik“ zu überzeugen. Als Resümee der Reise empfahl die Hamburger Berichterstatterin, die ESGiD solle in der gegenwärtigen politischen Situation Fahrten in die DDR initiieren. Auf der Ebene der Gesamtarbeit war man jedoch noch skeptisch, was die Reisen in die DDR anbelangte. Bereits auf ihrer konstituierenden Sitzung im Oktober 1963 setzte sich die Hochschulkommission der ESGiD mit der Problematik auseinander85. Hintergrund war der gewachsene Wunsch von Studenten und auch von Studentengemeindegliedern nach Kontakten mit Studierenden aus der DDR, auch über die FDJ. Die Hoch81 M. Gräfin DÖNHOFF, Reise, S. 104f. 82 Zu den Bedingungen der Untersuchung und ihren Ergebnissen vgl. P. FÖRSTER, Frage, 1366ff. 83 EBD., S. 1368. 84 Bericht über die Rostockreise von Hernteich an Hilke, 14.5.1964 (EZA BERLIN, 36/704). 85 Protokoll der konstituierenden Sitzung der Hochschulkommission der ESGiD am 12./13.10.1963 (EZA BERLIN, 36/386).

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schulkommission der ESGiD wollte nicht, dass in diesem Zusammenhang von „FDJKontakten“ gesprochen wurde. Die Besuche in der DDR, die auf Einladung der FDJ erfolgten, sollten ihrer Ansicht nach den Zweck verfolgen, sich über die Situation an dem jeweiligen Hochschulort zu informieren. Dies müsse selbstverständlich den Besuch der dortigen Studentengemeinde einschließen. Auf Grund der gesamtdeutschen Organisationsstruktur der ESGiD wünschten die Kommissionsmitglieder, dass Einladungen, die von der FDJ an Kreise aus den Studentengemeinden in der Bundesrepublik und West-Berlin ergingen, besonders intensiv hinsichtlich Risiken und Chancen geprüft werden sollten. Es müsse sichergestellt werden, dass die Studentengemeinden im Bereich der DDR und Ost-Berlins zu solchen Projekten im Vorfeld eine Stellungnahme abgeben können. Aus diesem Grund betrachtete man die enge Zusammenarbeit von Reisewilligen mit der Geschäftsstelle in Stuttgart schon im frühesten Planungsstadium als unabdingbar. Entsprechend wurden die Studentenpfarrerkonferenz, die Vertrauensstudentenkonferenz, die Delegiertenkonferenz und die Patenreferenten informiert und insbesondere auf die Rücksichtnahme auf die Gemeinden in der DDR hingewiesen. Obgleich das Kontaktverbot für westdeutsche Jugendverbände gegenüber der FDJ andauerte, nahmen vereinzelt auch Mitglieder der AGEJD Einladungen von Seiten der ostdeutschen Staatsjugend an. Bereits vom 11. bis 15. Juli 1963 war eine Delegation des Hamburger CVJM auf Einladung von FDJ-Funktionären in Rostock gewesen und von Vertretern der Jungen Union dafür scharf kritisiert worden86. Der Vorsitzende des Jugendpolitischen Ausschusses der EJD, Stammler, argumentierte gegenüber den Vertretern der Jungen Union, dass die evangelische Jugend in der Bundesrepublik immer an Kontakten zur Jungen Gemeinde in der DDR interessiert bleiben müsse und in diesem Sinne auch der Versuch des Hamburger CVJM zu werten sei, die Verbindung in die DDR auf keinen Fall abreißen zu lassen. Auf der Sitzung des Jugendpolitischen Ausschusses im Oktober begründete der Generalsekretär des Hamburger CVJM, Gerhard Weber, seine Initiative jedoch mit deutschlandpolitischen Gründen: Es habe sich bei der Aktion bewusst nicht nur um den Versuch gehandelt, die Verbindung mit der Jungen Gemeinde aufrecht zu erhalten, sondern auch darum, „eine bestimmte Auffassung zu gesamtdeutschen Gesprächen deutlich zu machen, die im Augenblick allerdings nicht als opportun erscheine.“87 Er selbst hielt das Unternehmen für gelungen und es wurde seiner Auskunft nach auch von den Mitgliedern der Jungen Gemeinde in Mecklenburg positiv beurteilt. Der Jugendpolitische Ausschuss wollte jedoch in der Hamburger Aktion weder ein Präzedenz- noch ein Modellfall für die AGEJD sehen. Der Hamburger CVJM betrieb jedoch auch 1964 seine eigene Deutschlandpolitik und lud vom 20. bis 25. November eine achtköpfige Jugendgruppe aus der DDR nach Hamburg ein88. Im gleichen Jahr unternahm auch eine „Studiengruppe“ unter Leitung des Darmstädter Landesjugendwarts, Alfred Bieber, eine Fahrt in die DDR, die 86 Protokoll über die Sitzung des Jugendpolitischen Ausschusses der AGEJD am 17./18.10.1963 (EZA BERLIN, 2/1556). 87 EBD. 88 EZA BERLIN, 102/331.

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jedoch vor der Öffentlichkeit geheim gehalten wurde. Lediglich auf der gemeinsamen Sitzung des Jugendpolitischen und des Gesamtkirchlichen Ausschusses (West) am 9. und 10. Oktober in Frankfurt am Main erstattete der Darmstädter Landesjugendpfarrer und stellvertretende Vorsitzende des Jugendpolitischen Ausschusses, Fritz Eitel, darüber Bericht89. Für die Studiengruppe habe es, so Eitel, ganz klare Voraussetzungen für ihren Umgang mit der FDJ gegeben: 1. Die Mitglieder der Studiengruppe betrachteten sich als loyale Bürger der Bundesrepublik und lehnten daher die Terminologie der „Friedensfreunde“ ab. Das Gespräch mit der FDJ wurde der Studiengruppe allerdings dadurch erleichtert, dass alle ihre Mitglieder Sozialisten waren. 2. Sowohl die Vertreter der FDJ als auch die Studiengruppe hatten feste Vorstellungen von einer gesamtdeutschen Politik. Die Studiengruppe offerierte ihren Gesprächspartnern kein „Wiedervereinigungs-Programm“, „da solche Programme Illusionen seien.“ Die „gesellschaftliche Entwicklung sollte nicht durch politische Taten verwischt werden“, so lautete das deutschlandpolitische Credo der Studiengruppe. 3. Der Kontakt, wie ihn die Studiengruppe aufgenommen hatte, brauche einen „Arkanraum“. In einem solchen sollten unbedingt auch von der AGEJD weitere Gespräche mit der FDJ geführt werden. Hierzu bedürfe es qualifizierter Teilnehmer, die gut mit dem Marxismus-Leninismus vertraut waren. Die Gespräche sollten über die konkrete Situation in der DDR geführt werden. In der Diskussion über Eitels Bericht wurde danach gefragt, was das „Gesprächsmodell der ‚Bieber-Gruppe‘ mit der FDJ“ für die AGEJD bedeuten könne, auch dann, wenn dieses Experiment einmalig und unwiederholbar sein sollte. Dabei ergab sich folgendes Meinungsbild: Die Studienfahrt wurde als politischer Auftrag gedeutet. Diesen unter den gegebenen Umständen ausgeführt und dabei alle Konsequenzen für die innenpolitische Situation bedacht zu haben, zeigte nach Ansicht der Ausschussmitglieder, welche Stellung die Kirche heute in der Gesellschaft einnehme und wie sich die Kirche selbst verstehe. In einer besonderen historischen Situation müsse man sich bei prinzipieller Solidarität und Loyalität gegenüber der Bundesrepublik punktuell unsolidarisch verhalten. Ein Gespräch mit der FDJ bedürfe eines hermeneutischen Ansatzes: Man lasse sich als Partner darauf ein, eine Sache gemeinsam zu durchdenken und zu besprechen. Ein solches Gespräch mit der FDJ sei für einen Christen aus der Bundesrepublik wesentlich ungefährlicher als für einen Christen aus der DDR. Die westlichen Gruppen könnten daher stellvertretend für die Junge Gemeinde Gespräche in der DDR führen und auf diese Weise Solidarität praktizieren. Allerdings erkannte man auch an, dass Gespräche zwischen der Jungen Gemeinde und „ihrer Obrigkeit“ „eigenexistentiell“ waren. Allerdings glaubten die westdeutschen Verantwortlichen, der Jungen Gemeinde auch dabei theologische Hilfe leisten zu können. 89 Protokoll über die gemeinsame Sitzung des Jugendpolitischen Ausschusses und des GKA am 9./10.10.1964 (PAEW). Darüber hinaus berichtete Landesjugendwart Bieber bei einer Sitzung des GKA in Ost-Berlin am 24./25.11.1964 über die Fahrt, woran sich eine „lebhaft[e]“ Diskussion anschloss. Protokoll der Sitzung des GKA am 24./25.11.1964 (EBD.).

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Zum Schluss votierten die Sitzungsteilnehmer für ein Gespräch der Jugendverbände mit der FDJ. Auch der Bundesjugendring sollte sich „einer Wandlung öffnen und politische Mühlen langsam mahlen lassen.“ Es gelte, „Politik als ein Spiel zu verstehen, um zumindest Teil-Ziele zu erreichen.“ Im Bundesjugendring hatten sich hingegen nach Sitzungen des Vorstandes und des Geschäftsführenden Ausschusses im September 1964 zwei Meinungsströmungen hinsichtlich der Gesprächsofferten von Seiten der FDJ herausgebildet90. Die einen hielten an den bisherigen Grundsätzen fest und lehnten die FDJ prinzipiell als Gesprächspartnerin ab. Die anderen konzedierten, dass angesichts der Machtverhältnisse in der DDR die FDJ als Verhandlungspartnerin nicht zu umgehen sei, auch wenn sie Teil des totalitären Herrschaftsapparates war. Da diese sich aber als institutionelle Repräsentantin der Jugend eines selbstständigen Staates verstand, sah man mit einer offiziellen Kontaktaufnahme die Gefahr einer faktischen Anerkennung der DDR verbunden. Darum verlangten die Wortführer dieser zweiten Meinungsströmung von der FDJ, dass sie bei einem gesamtdeutschen Jugendtreffen nicht als Staatsjugend auftrete, sondern als einer unter einer Vielzahl deutscher Jugendverbände. Ein Treffen kam auf diese Weise nicht zustande. Neben diesen vereinzelten außerkirchlichen Kontakten in die DDR wurde die Begegnungsarbeit zwischen Evangelischer Jugend und Junger Gemeinde 1964 erfolgreich weitergeführt. Die Berlin-Betreuerstelle zog eine durchweg positive Jahresbilanz91. Insgesamt hatte die mit lediglich zwei Kräften besetzte Stelle 524 Besuche betreut, davon 277 Berlin-Besuche mit 8.125 Teilnehmern und 247 Begegnungen mit 3.968 Teilnehmern92. Nicht enthalten sind in diesen Zahlen die Begegnungen jener Kreise, die ohne finanzielle Zuschüsse die Verbindung zu ihren Patengemeinden hielten. Zugenommen hatten auch die bezuschussten Einzelreisen in die DDR. Aus den Berichten über die Begegnungen ging hervor, dass bei ihnen zunehmend politische Themen behandelt wurden93. In einer Begegnungsgruppe äußerten die Ostteilnehmer die Ansicht, die Kirche in der Bundesrepublik müsse sich stärker politisch engagieren und darauf hin wirken, dass die starre Nichtanerkennungspolitik der Bundesregierung überwunden werde, „um die Wege in die Zukunft zu eröffnen.“94 In einer anderen Gruppe war laut westdeutschem Bericht die überwiegende Meinung der ostdeutschen Teilnehmer in Bezug auf die Wiedervereinigung „erheblich realistischer und damit auch negativer als das meist vorherrschende Wunschdenken in der Bundesrepublik.“ Eine Wiedervereinigung in Form einer Angliederung der „Ostzone“ an die Bundesrepublik ohne Gegenleistung wurde für undurchführbar gehalten, wie denn auch der weitaus größte Teil der ostdeutschen Partner in dieser Begegnungsgruppe von der Grundlage der Zwei-Staaten-Theorie ausging. Weitere politische Ge-

90 Vgl. W. R. KRABBE, Deutschland, S. 125f. 91 Protokoll der Sitzung des GKA am 24./25.11.1964 (PAEW). 92 Bericht der Berlin-Betreuerstelle für das Jahr 1964 (Aaej HANNOVER, GKR 1). 93 Protokoll der Sitzung des GKA am 24./25.11.1964 (PAEW). 94 Vgl. hierzu und zum Folgenden: Auszüge aus den Berichten über Ost-West-Begegnungen evangelischer Jugendgruppen 1964 in Berlin (Aaej HANNOVER, GKR 1).

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sprächsthemen während der Ost-West-Begegnungen waren u. a.: die Bildungssysteme in Ost und West, das Jugendgesetz der DDR95, polytechnische Oberschulen, die Arbeitsgemeinschaft und die Arbeitsmoral in einer Brigade, der Gegensatz DDR-Westberlin, Probleme der Republikflucht, neue Wege in der Durchsetzung der Parteidisziplin. Bei der Diskussion politischer Fragen wurden bei einigen Begegnungen hermeneutische Schwierigkeiten deutlich. Beide Seiten erhielten den Eindruck, nicht oder einseitig informiert zu sein, was die Verständigung erschwerte. Wie schon in den Vorjahren war es für die westdeutschen Teilnehmer verwirrend, dass sie innerhalb ihrer Partnergruppen sehr unterschiedliche politische, aber auch theologische Positionen vorfanden. Mitunter diskutierten die Teilnehmer auf Begegnungen auch darüber, ob westdeutsche Jugendgruppen offizielle Einladungen der DDR annehmen sollten – wie z. B. zum Deutschlandtreffen der FDJ in Ost-Berlin an Pfingsten 1964, für das die Partei- und Staatsführung für 25.000 Teilnehmer aus der Bundesrepublik und Westberlin die Schlagbäume öffnete96. Ein junger „DDR-Intellektueller“ votierte für die Annahme solcher Einladungen. Die Westdeutschen könnten offen sprechen und die Funktionäre auf diese Weise eine andere Meinung als die offiziell verordnete zur Kenntnis nehmen97. Falsche Pressemeldungen über derartige Treffen könnten gleich nach der Rückkehr in die Bundesrepublik über Funk und Presse richtig gestellt werden; dies werde dann von vielen DDR-Bürgern zur Kenntnis genommen. Einige westdeutsche Begegnungsteilnehmer kamen zur Zeit des Pfingsttreffens nach Ost-Berlin und hatten auf diese Weise Gelegenheit, mit FDJ-Funktionären zu sprechen. Sie wurden mit „bester Praxis“ des „eingeübte[n] ideologische[n] Denkens“ konfrontiert und beobachteten die „suggestiven Wirkungen der Massenmedien und Demonstrationen“. Eine Gruppe geriet mitten in den Aufmarsch hinein: „Diese glänzend gelungene Massenorganisation, deren Politisierung stark gequält, aber andererseits doch wieder demonstrativ wirkte, war die stets gegenwärtige Folie und Umgebung unserer Begegnung. Selbst während des Gottesdienstes in der Marienkirche umbrandete buchstäblich der Aufmarsch die hier versammelte Gemeinde – zumal gerade die Chorfenster ausgebaut waren – und bewirkte bei uns sofort ein bestimmtes Zusammengehörigkeitsgefühl, ohne dass man sich von den jungen Menschen in FDJ-Uniform hätte distanzieren wollen.“98

An kirchlich-theologischen Themen wurden während der Begegnungen u. a. Folgende diskutiert: Konfirmation, Taufe, Verkündigung an junge Menschen, Evangelische Jugendarbeit in der DDR, Anfragen Karl Marx’ an Christen, Nachfolge in der Gegenwart, die Gebote Gottes und ihr Verhältnis zu menschlichen Ordnungen, Freizeitge95 Das neue Jugendgesetz, das die Pflichten und Rechte der DDR-Jugend beim umfassenden Aufbau des Sozialismus festlegte, war am 4.5.1964 von der Volkskammer verabschiedet worden. 96 Zur Reaktion der westdeutschen Jugendgruppe auf die Einladung zum Pfingsttreffen vgl. W. R. KRABBE, Deutschland, S. 124f. Vgl. auch U. MÄHLERT, Geschichte, S. 105. 97 Vgl. hierzu und zum Folgenden: Auszüge aus den Berichten über Ost-West-Begegnungen evangelischer Jugendgruppen 1964 in Berlin (Aaej HANNOVER, GKR 1). 98 EBD.

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staltung und Sonntagsheiligung, naturwissenschaftliches Weltbild und christlicher Glaube, „Zehn Artikel über Freiheit und Dienst der Kirche“, Arbeit der Landesjugendkonvente, der Gegensatz zwischen der Jugendarbeit der SED und der Kirche, das Menschenbild der Bibel und des Sozialismus, Jugendgottesdienst in moderner Form sowie das Problem der Volkskirche in der DDR. Eine westdeutsche Gruppe ließ sich auch über die quantitative Entwicklung des kirchlichen Lebens in der DDR unterrichten und erhielt die Information: „Rückgang auf der ganzen Linie“. Fragwürdig erschien den westdeutschen Gästen das Bemühen einiger Ostdeutscher, die kirchliche Tradition zu „konservieren, um die Schäflein (sprich: die Volkskirche) zusammenzuhalten.“ Sie vertraten hingegen die Ansicht, dass man einem „totalen Umbruch und kirchlichen Neuanfang“ nicht mehr ausweichen könne. Erschreckt zeigten sich Begegnungsteilnehmer aus der Bundesrepublik, dass sich die ostdeutschen Christen mit „Kleinkram“ beschäftigen mussten, wie etwa dem Einziehen der Kirchensteuer oder dem Kampf um Baumaterial. Sie beobachteten auch, „wie durch das Isoliertsein die Gefahr einer gewissen Begrenztheit im theologischen Denken wächst.“ Zwar würde dankbar nach mitgebrachten westlichen Büchern gegriffen, nur hatten die westdeutschen Besucher den Eindruck, dass ihren ostdeutschen Partnern auf Grund ihres „Alltagskleinkrams“ die Zeit zum Bücherstudium fehlte. Beeindruckt zeigten sich hingegen mehrere bundesrepublikanische Begegnungsteilnehmer von der Intensität des Glaubens, des persönlichen Einsatzes und des Gemeinschaftsgedankens, wie sie sie in ostdeutschen Gemeinden vorfanden. Unterschiedlich waren die Erfahrungen der Begegnungsteilnehmer beim Grenzübergang. Während manche problemlos passieren konnten, wurde häufiger auch von Schwierigkeiten beim Übergang berichtet. Zum Teil kam es zu Verhören mit gezielten Fragen danach, ob sie eine Gruppe seien, wen sie besuchten, wo sie diesen kennen gelernt hätten, wer die Fahrt bezahlt hätte, von wem sie Zuschüsse erhalten hätten. Im Unterschied zur ESGiD beantragte die AGEJD weiterhin Beihilfen für OstWest-Begegnungen wie auch für materielle Hilfeleistungen zugunsten der Jungen Gemeinde in der DDR99. Auch für die „gesamtkirchliche Tätigkeit“ der Stuttgarter Geschäftsstelle und der Berliner Betreuerstelle erhielt sie von Seiten des BMG Zuschüsse100. Neben der Vermittlung finanzieller Beihilfen bemühte sich der Gesamtkirchliche Ausschuss, auf westdeutscher Seite inhaltlich auf die Patenarbeit einzuwirken. So gab die AGEJD im Juni 1964 eine neue Fürbittenordnung heraus, von der 10.000 Exemplare gedruckt wurden101. Bereits im Januar 1963 hatte man festgestellt, dass neue Formulierungen notwendig waren, welche die „Ost-West-Trends“ berücksichtigten und in Ausschnitten auch in Einzelandachten verwendet werden konnten102. Zudem 99 EZA BERLIN, 87/96/446. 100 Vgl. u. a. den Bewilligungsbescheid vom 4.8.1964 (EBD.). 101 Bis zum 31.12.1964 waren bereits 8.989 Exemplare verkauft. Vgl. Bericht des Geschäftsführers des GKA vom 10.9.1965, Anlage VIII Statistik „Fürbittenordnung 1964“ (Aaej HANNOVER, GKR 1). 102 Protokoll der Sitzung des GKA am 16./17.1.1963 (PAEW).

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sollte ein Vorschlag für die private Fürbitte erarbeitet werden. Mitte 1963 waren die Exemplare der alten Fürbittenordnung vergriffen, so dass sich ohnehin die Frage einer Neuauflage bzw. -bearbeitung stellte. Die AGEJD entschied sich aus zwei Gründen für eine Neubearbeitung103: Erstens müsse die „inzwischen eingetretene Veränderung der Situation (Dreiteilung: Bundesrepublik, Westberlin, DDR)“ berücksichtigt werden, womit man wohl weniger die Drei-Staaten-Theorie der DDR übernahm, als vielmehr die unterschiedliche menschliche und kirchliche Situation in der DDR, West-Berlin und der übrigen Bundesrepublik meinte, die es in der Fürbitte zu berücksichtigen galt. Zweitens sollten die Erkenntnisse der „Zehn Artikel über Freiheit und Dienst der Kirche“ darin ihren Niederschlag finden. Die Fürbitte könne nicht nur, so waren sich die westlichen Mitglieder des Gesamtkirchlichen Ausschusses während ihrer West-Berliner Sitzung einig, „nach drüben ‚für die Brüder in der DDR‘“ gerichtet sein, da sich sonst leicht die Gefahr der Überheblichkeit einstelle. Die Fürbitte musste ihrer Ansicht nach vielmehr verbunden werden mit „der eigenen Buße und mit Fragen nach dem rechten Weg für uns selbst.“ Daher hielten sie es auch nicht für nötig, die Fürbittenordnung den östlichen Mitgliedern zur Annahme vorzulegen, da sie in dieser Form nicht für den Gebrauch in der DDR bestimmt war. Vielmehr wollte man die Glieder des Gesamtkirchlichen Ausschusses in der DDR anregen, aus ihrer Sicht eine Fürbittenordnung zu formulieren. Auch bei der Fürbitte sollte demnach zukünftig „Partner“- und nicht „Paten“schaft praktiziert und damit die Beziehung symmetrischer gestaltet werden. Das Ergebnis dieser Bestrebungen war jedoch zwiespältig: Die Akzeptanz des anderen in seiner Eigenständigkeit bedeutete nämlich zugleich eine verstärkte Hinwendung auf den je eigenen Bereich und damit letztlich auch eine Entfremdung.

103 Protokoll der Sitzung des GKA am 10.–12.6.1963 (EBD.).

Zusammenfassung

3.4 Zusammenfassung Das erste postmurale Jahrzehnt wurde für Selbstverständnis und Praxis der Gemeinschaft der evangelischen Kirchen im geteilten Deutschland zur harten Belastungsprobe. Nicht nur staatliche Be- und Verhinderungen machten der EKD ihr Dasein als letzte große gesamtdeutsche Institution schwer. Auch das zunehmende Auseinanderdriften der beiden Staaten und Gesellschaften ließ Christen und Kirchen nicht unberührt. Sie waren ebenfalls von Entfremdung und Fehlperzeption betroffen, versuchten ihnen aber gleichzeitig innerkirchlich wie innerdeutsch entgegenzusteuern. Mit dem Bau der Berliner Mauer erreichten die administrativen Behinderungen der grenzübergreifenden Arbeit der EKD eine neue Stufe. Die direkten kirchlichen Informations- und Kommunikationswege konnten nun wirksamer abgeschnitten werden. Ende August 1961 bürgerte die DDR-Regierung zudem den Ratsvorsitzenden Scharf als Leiter einer „friedensfeindlichen und illegalen Organisation“ aus. Dass der kirchenpolitische Kurs der SED im Zuge ihrer Abgrenzungs- und Anerkennungspolitik nach außen und ihrer Machtkonsolidierungspolitik nach innen auf eine institutionelle Trennung der ost- von den westdeutschen Kirchen zielte, machte auch der Vorstoß des SED-nahen Bundes Evangelischer Pfarrer in der DDR zur Bildung einer evangelischen Kirche in der DDR deutlich. Der Vorschlag des Pfarrerbundes blieb aber innerkirchlich ohne positive Resonanz und wurde auch von der DDR-Führung nicht weiter unterstützt. Stattdessen setzte sie ihre kirchenpolitische Strategie der inneren Differenzierung fort. Für die EKD wurde der Erhalt ihrer Einheit dennoch zum bestimmenden Thema der sechziger Jahre. Sie argumentierte mit der Existenz der historischen, rechtlichen, organisatorischen und geistlichen Einheit der deutschen evangelischen Landeskirchen sowie mit dem Willen der ostdeutschen Kirchen, in der EKD zu verbleiben. Um die bedrohte kirchliche Ost-West-Gemeinschaft zu retten, versuchte die neu gewählte Riege kirchlicher Amtsträger zudem, die Diskurse um die Einheit der Kirche und die Einheit der Nation zu entflechten. Die ESGiD ging auch hier bereits einen Schritt weiter und formulierte 1964 ihr Einheitsmemorandum mit dem Ziel um, ihre Einheit noch weiter zu entnationalisieren. Trotz der Tendenz, die Einheit der ESGiD, der EKD und anderer gesamtkirchlicher Zusammenschlüsse auf ihre theologische Dimension zurückzuführen und von nationalpolitischen Implikationen zu befreien, wollten doch alle an deren politischem Auftrag im geteilten Deutschland festhalten. Ob dazu jedoch die organisatorische Einheit oder Trennung zweckdienlicher war, darüber gingen die Meinungen mit den Jahren allmählich auseinander. Immer deutlicher wurde eine generationelle Trennlinie bei der Beurteilung der kirchlichen Einheit erkennbar, insbesondere in bruderrätlichen Kreisen. Die mittlere Altersgruppe drängte auf eine aktive Präsenz im je eigenen politischen und gesellschaftlichen Kontext. Sofern sie diese behinderte, war die grenzübergreifende Kirchen-

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einheit für jene kein unantastbares Tabu mehr. Die ältere Generation aber deutete die kirchliche Einheit nach wie vor als historisch-moralische Verantwortung bzw. als „Auftrag mit Verheißung“ und sah in ihr zugleich auch Stütze und Beweis kirchlicher Eigenständigkeit gegenüber dem Staat. Trotz Einheitsdeutungen und -beteuerungen war offenkundig, dass mit den äußeren Behinderungen die Möglichkeiten für ein gemeinsames Handeln sanken. Zugleich wirkten Vorsicht und Rücksichtnahme in der Haftungsgemeinschaft EKD allenthalben lähmend. Auch im Westen mussten Strukturreformen zurückgestellt werden. Das Agieren in der jeweiligen Gesellschaft wurde durch die gesamtdeutsche Organisationsform belastet. Auf die äußeren Behinderungen reagierte die Kirche mit pragmatischen Lösungen und einzelnen strukturellen Veränderungen. Ratssitzungen wurden in Ostund West-Berlin parallel gehalten, Ausschusssitzungen nach Ost-Berlin verlegt, Dauer- und Zusatzkuriere eingesetzt. Die drei in der DDR wohnhaften Ratsmitglieder erhielten die Vollmacht, die Funktionen des Rates gegenüber den ostdeutschen Gliedkirchen zu übernehmen. Die Kirchenkanzlei für die Gliedkirchen in der DDR wurde unter deren alleinige Verantwortung gestellt. Die gesamtkirchlichen Dienststellen von EKD, EKU und VELKD in Ost-Berlin arbeiteten enger zusammen. Außerhalb der Grundordnung der EKD setzten die Kirchliche Ostkonferenz, die ihren Namen in Konferenz der Kirchenleitungen in der DDR änderte, und die Konferenz der evangelischen Bischöfe ihren Institutionalisierungsprozess fort. Anfang 1962 erhielten beide Konferenzen eine Geschäftsordnung und eine eigene Geschäftsstelle. Damit wurde vornehmlich das Ziel verfolgt, entgegen der staatlichen Differenzierungspolitik die Gemeinschaft der ostdeutschen Landeskirchen zu stärken; die thüringischen Kirchenvertreter intendierten jedoch auch eine Abnabelung von der EKD. Der KKL war schon zuvor eine größere Bedeutung zugewachsen, da seit 1958 Staatsvertreter nur noch mit ostdeutschen Kirchenrepräsentanten in Kontakt traten. Folglich nahm die KKL, die kein Organ der EKD war, zukünftig allein zu den gesellschaftspolitischen Veränderungen in der DDR gegenüber dem Staat Stellung. Dies führte wiederum dazu, dass die EKD-Organe und ihre Arbeit für die ostdeutschen Kirchen an Bedeutung verloren. Auf formal-rechtlicher Ebene tat sich die EKD schwer, ihre Strukturen den Erfordernissen der Situation anzupassen. Die ostdeutschen Kirchenvertreter zeigten sich zunächst zögerlich gegenüber einer Regionalisierung der EKD-Synode, die von Staatsseite befürwortet wurde. Als man sich dann doch dazu entschloss, lehnten sie die westdeutschen Synodalen auf der Synode in Bethel, die ohne ostdeutsche Beteiligung stattfinden musste, ab. Sie wollten den kirchlichen Spaltungsabsichten der SED keinen Vorschub leisten und die ostdeutsche Zwei-Staaten-Theorie nicht kirchlich bestätigen. Es dominierte die Auffassung, dass die EKD die Teilung „erleiden“ müsse und sie nicht selbst „sanktionieren“ dürfe – eine Position, bei der die EKD auch in den Folgejahren blieb. Insgesamt wurde dem kirchlichen Widerstand gegen die Kirchen- und Deutschlandpolitik der SED ein höherer Stellenwert beigemessen als der Handlungsfähigkeit und den Mitbestimmungsmöglichkeiten der ostdeutschen Synodalen, die keine selbstständige Entscheidungskompetenz für ihren Bereich erhielten. Die ostdeutschen Ratsmitglieder und Synodalen stimmten aber der Einrichtung von Parallelsynoden und

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Arbeitstagungen, die als vorläufige Regelung verstanden wurden, mehrheitlich zu. Gegenvoten kamen u. a. von Schönherr und Braecklein, die beide später bei der Bundesgründung eine aktive Rolle spielen sollten. VELKD, EKU und die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg fanden hingegen andere Wege, ihre institutionelle Einheit elastischer zu gestalten und Eigenständigkeit in der Einheit zu organisieren. In der ESGiD wurde die Debatte um eine Strukturveränderung von den ostdeutschen Vertretern der Gesamtarbeit angestoßen und vorangetrieben. Die „partnerschaftliche Zuordnung“ innerhalb der ESGiD führte zur Konstituierung eines Beirates West, der paritätischen Ost-West-Besetzung des Vertrauensrates, dem Fehlen eines Hinweises auf den gesamtdeutschen Vertrauensrat in der Ordnung des Beirates Ost und zur Tabuisierung des Namens ESGiD in der DDR. Neben der Deutung und Organisation kirchlicher Einheit und doch davon überlagert, ging die Standortbestimmung der ostdeutschen Kirchen weiter. Nach dem Mauerbau mussten die Kirchen in der DDR endgültig Abschied nehmen von der Vorstellung des „Überwintern“-Könnens bis zur Wiedervereinigung, welche lange einiges an Druck zum Arrangement und zur theologischen Auseinandersetzung mit der besonderen Existenzgrundlage in der DDR genommen hatte. Ein Sich-Einlassen auf die Situation schien angesichts der Konsolidierung der DDR nun unausweichlich. Dennoch wurde in der wohl bedeutendsten theologisch-kirchlichen Orientierungshilfe in dieser Zeit, den im Namen aller ostdeutschen Landeskirchen 1963 erschienenen „Zehn Artikel[n] über Freiheit und Dienst der Kirche“, noch einmal christliche Identität und Existenzweise gegenüber den Anforderungen eines atheistischen Weltanschauungsstaates verteidigt. Die Artikel verwarfen Systemkonformität ebenso wie den Rückzug ins religiöse Getto. Im Gegenentwurf des Weißenseer Arbeitskreises kam hingegen ein neues Verständnis des Welt-Bezuges des christlichen Glaubens im Kontext der sozialistischen Gesellschaft zum Ausdruck. Er insistierte auf die in Christus geschenkte bedingungslose Freiheit zum Dienst gerade auch in einer sozialistischen Gesellschaft, betonte die Solidarität mit den Gottlosen sowie die zentrale Bedeutung von sozialer Gerechtigkeit und dem Weltfrieden. Diese Argumentation stand im Kontext des Bekenntnisses zur Autonomie der modernen, nachchristlichen Welt, wie es zunächst eine Minderheit vornehmlich jüngerer ostdeutscher Theologen vertrat. Neben den theologischen Auseinandersetzungen sorgten die „Zehn Artikel“ im geteilten Deutschland aber auch für politische und kirchenpolitische Kontroversen. Die westdeutschen Kirchen waren zwar an der Entscheidung über die Artikel nicht beteiligt gewesen, wohl aber waren Vorentwürfe in gesamtkirchlichen Kontexten besprochen worden. Auch wurden die Artikel zum Bezugstext einer von der AGEJD Anfang 1964 herausgegebenen Handreichung „Christ und Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik“, die als grundlegende theologische Informationsschrift für die kirchliche Jugendarbeit in der Bundesrepublik gedacht war. Angesichts der bedrohten institutionellen Kircheneinheit wuchs die Bedeutung der Patenbeziehungen. In der Jugendarbeit wurde das aus der Not entstandene Netzwerk nunmehr als ekklesiologische Chance interpretiert. In ihm bahne sich eine unmittelbare Verantwortung der Kirchenglieder und ein Verständnis der Kirche als Gebets-,

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Lebens- und Leidensgemeinschaft an. Trotz erschwerter Bedingungen gingen die Treffen auch nach dem Mauerbau weiter; sie fanden jedoch nunmehr fast ausschließlich in Ost-Berlin statt. Um die Jahreswende 1961/1962 drängten aber kirchliche Jugendvertreter in der DDR darauf, dass die Treffen mit bundesdeutschen Jugendlichen eingestellt bzw. auf Mitarbeiter eingeschränkt werden sollten, um Konfrontationen mit Staats- und Parteikräften zu vermeiden. Der Hintergrund für diese Überlegungen war die rigide Jugendpolitik der SED nach dem Mauerbau und die zunehmende Überwachung der Begegnungen, von denen auch die Studentengemeinden betroffen waren. Das MfS befürchtete, dass die gesamtdeutschen Begegnungen der westdeutschen Informationsbeschaffung über die Stimmungslage in der DDR sowie der Einflussnahme auf breite Kreise kirchlicher Angestellter und der mit der Kirche noch verbundenen „alten Intelligenz“ dienten. Trotz Mauerbau und verstärkter geheimdienstlicher Überwachung hielt nach kontroversen Diskussionen aber auch die ESGiD an den Patenbeziehungen fest, die angesichts der zunehmenden Verselbstständigung der Gesamtarbeit auf beiden Seiten zur letzten Form praktizierter Gemeinschaft wurden. Indes versuchten die Verantwortlichen in der ESGiD, nach den organisatorischen Strukturen der Gesamtarbeit nun auch Selbstverständnis und Praxis der Patenarbeit der politischen Entwicklung anzupassen. Die dabei entworfene „Patentreffen-Ideologie“ lief auf eine politische Aufladung der Patenbeziehungen hinaus, die man zum Modell für deutsch-deutsche Beziehungen entwickeln wollte. Sie sah vor, zukünftig die Verantwortung für den eigenen „Bereich“ bewusst wahrzunehmen, gegenüber dem eigenen Staat loyal zu sein, die Unterschiede nicht mehr zu überbrücken, sondern zu thematisieren sowie die gegenseitige Korrektivfunktion aktiv zu praktizieren. Der Bezeichnungswechsel von „Patenarbeit“ zu „Partnerarbeit“ dokumentierte das neue Verständnis der Begegnungskultur im Bereich der ESGiD nach außen. Die ESGiD versuchte, sich angesichts der zunehmenden Überwachung der Partnerarbeit streng an das „Legalitätsprinzip“ zu halten. Dazu zählte auch, dass sie von 1964 an nur noch auf indirektem Weg Bundeszuschüsse für ihre gesamtdeutsche Arbeit annahm. Im Bereich der EKD lief hingegen nach dem Mauerbau der finanzielle und materielle West-Ost-Transfer normal weiter. Für die Jahre 1963 bis 1966 kam noch ein spezieller Berlin-Plan für West-Berlin hinzu. Auch nach dem Mauerbau blieb die Deutschlandfrage ein gemeinsames Aufgabengebiet der gesamtdeutschen Kirche. Jedoch hatten sich die internationalen und innerdeutschen Konstellationen weiter zuungunsten einer deutschen Einheit verschoben. Unmittelbar nach dem 13. August 1961 versuchte die evangelische Kirche vor allem deeskalierend auf die Bevölkerung einzuwirken. Um den Deutschen zu helfen, mit der Realität der Teilung und ihren menschlichen Folgen fertig zu werden, und um das geteilte Deutschland durch menschliche Erleichterungen zusammenzuhalten, verstärkte die Kirche ihren Einsatz zugunsten der schrittweisen „menschlichen Wiedervereinigung“. Darin sah sie einen Ansatz, auch ohne deutschlandpolitische Positionierung am Abbau der innerdeutschen Spannungen mitzuwirken. Jedoch bewegten sich die Kirchenvertreter auch hierbei im deutschlandpolitischen Minenfeld. So setzten sich ost- wie westdeutsche Kirchenmänner öffentlich oder auf diplomatischem Wege

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Im Bann der Mauer (1961–1964)

intensiv für Passierscheinverhandlungen ein, indes votierten nicht alle offen für die Prävalenz der humanitären Anliegen vor politischen Statusfragen. Auf Seiten der beiden deutschen Regierungen war die kirchliche Unterstützung je nach augenblicklicher Verhandlungslage erwünscht oder unerwünscht. Eine aktive, aber geheime Rolle spielte die EKD von 1964 an bei den Häftlingsfreikäufen. Bei dieser humanitären Aktion abseits der offiziellen Deutschlandpolitik ging sie der Bundesregierung voraus und ebnete ihr den Weg. Die Zahl der öffentlichen kirchlichen Stellungnahmen zu deutschlandpolitischen Fragestellungen ging nach dem Mauerbau stark zurück. In den wenigen Stellungnahmen aber lassen sich bereits Ansätze zu einem Wandel in den ost- und deutschlandpolitischen Vorstellungen erkennen, der eine zunächst verhaltene Kritik an der Politik der Bundesregierung und eine Annäherung an die SPD und ihren deutschlandpolitischen Ansatz eines „Wandels durch Annäherung“ implizierte. Als ein Dokument des Übergangs kann die Handreichung „Zur Friedensfrage“ von 1961/62 gelten, in der die EKD für „Koexistenz“ plädierte und eine eigenständige Interpretation des sowjetischen Begriffs gab. Die Autoren schätzten das Primat des internationalen Systems in der Friedens- und Deutschlandfrage realistisch ein und gaben dennoch den Anspruch des deutschen Volkes auf ein geeintes Deutschland nicht preis. Der Begriff „Wiedervereinigung“ fiel indes nicht und tauchte auch in anderen kirchlichen Erklärungen nach 1961 kaum noch auf. Auch wurde die Wiederherstellung deutscher Einheit nicht mehr zur primären Voraussetzung für die Sicherung des europäischen Friedens erklärt, wie es in den vierziger und fünfziger Jahren geschehen war. Bei der Aufzählung der Grundbedingungen für Koexistenz in Deutschland sprachen die Autoren, wenn auch neutral formuliert, vor allem die DDR kritisch auf die Werte Frieden, Freiheit und Einheit an. Der Kirche selbst wies die Handreichung die Aufgabe zu, Brücken zu schlagen und Koexistenz vorzuleben. Mit dieser Friedensaufgabe erhielt zugleich die Einheit der EKD eine Legitimation. Und im Umkehrschluss wurde die gesamtdeutsch erarbeitete Handreichung von ihren Verfassern als Manifestation kirchlicher OstWest-Einheit gedeutet. Die östlichen Gliedkirchen dokumentierten mit ihr zudem den kirchlichen Anspruch, neben der „Friedenspolitik“ der DDR eine eigenständige kirchliche Friedensarbeit zu leisten. Die scharfen staatlichen Reaktionen auf die Handreichung zwangen sie dann jedoch zu einem formalen Zurückweichen. In der Bundesrepublik wurde der Balanceakt zwischen Ost und West, wie ihn die Handreichung unternahm, und das Plädoyer für Entspannung und Annäherung von politisch konservativen Kreisen als „kirchlicher Neutralismus“ verworfen. Noch wesentlich mehr Aufmerksamkeit erregte 1962 aber das richtungsweisende, nicht kirchenoffizielle Tübinger Memorandum. In ihm wurde die Wiedervereinigungsfrage von der mit Ja beantworteten Frage nach der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gelöst, die Selbstbestimmung der Ostdeutschen als eine Forderung der Menschenrechte charakterisiert und die staatliche Einheit von einem Nah- zu einem Fernziel erklärt. In den beiden Folgejahren drängten dann vor allem ostdeutsche Kirchenführer, u. a. Krummacher und Jänicke, auf einen deutschlandpolitischen Kurswechsel in der Bundesrepublik, der die Aufnahme von Gesprächen mit den politisch

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Verantwortlichen in der DDR einschloss. Unter den kirchenleitenden Persönlichkeiten in der DDR wuchs die Bereitschaft, die innerdeutsche Grenze und den ostdeutschen Teilstaat zu akzeptieren und innerhalb der gegebenen Verhältnisse für mehr Menschlichkeit einzutreten. Dabei befanden sie sich stets in der Gefahr, für die Westarbeit der SED in Dienst genommen zu werden. In der Bundesrepublik begegneten sie dem Vorwurf, den qualitativen Unterschied zwischen einer totalitären und einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung zu nivellieren. Für Mitzenheim traf dieser Vorwurf sicherlich zu. Er ließ sich 1964 im so genannten „Wartburggespräch“ auch öffentlich für die Deutschlandpolitik der SED instrumentalisieren. Im Mehrfach-Gedenkjahr 1964 begründete die evangelische Kirche eine Tradition von Friedensworten, in denen an die gemeinsame Schuld erinnert und daraus eine gemeinsame, besondere Friedensverantwortung abgeleitet wurde. Mitte der sechziger Jahre war die EKD jedoch noch nicht dazu bereit, aus dieser historisch-moralischen Verantwortung heraus die Existenz von zwei deutschen Staaten anzuerkennen, wie es ihr insbesondere von Seiten der Christlichen Friedenskonferenz nahe gelegt wurde. In diesem ökumenischen Zusammenschluss protestantischer und orthodoxer Kirchen der sozialistischen Länder, der von Anbeginn unter der Einflussnahme der osteuropäischen Staatsapparate stand, beschäftigte man sich intensiv mit der deutschen Frage, die der Friedensfrage ein- und untergeordnet wurde. Zwischen 1963 und 1965 bemühten sich CFK und EKD um offizielle Gesprächskontakte, die aber aus politischen Gründen scheiterten. Die Vertreter der CFK konnten auf Grund staatlicher Weisungen nicht offiziell mit dem Rat der EKD verhandeln, die EKD wiederum wollte sich nicht für die Anerkennungspolitik der DDR missbrauchen lassen. Der Ökumenische Rat der Kirchen setzte nach dem Mauerbau entsprechend des weltpolitischen Trends auf Ausgleich zwischen den Machtblöcken und auf einen Entspannungsprozess im Zentrum Europas. Im Interesse der friedlichen Koexistenz glaubte man, die Stabilisierung der deutschen Teilung akzeptieren zu müssen. Die christlichen Interventionen sollten daher zukünftig nicht mehr an den politischen Einflusssphären ansetzen, sondern bei den inhumanen Methoden der DDR-Regierung gegenüber ihren Bürgern. Dieser Kurs stieß bei ostdeutschen Kirchenvertretern auf höhere Akzeptanz als bei den westdeutschen. ÖRK-Vertreter sowie Kirchenrepräsentanten aus beiden deutschen Staaten wurden sich aber bei einer Konsultation Ende Mai 1963 darüber einig, dass eine Anerkennung der DDR durch westliche Staaten die Tendenz zur Abtrennung noch verstärken und kaum Erleichterungen im menschlichen Bereich erbringen würde. Konsens herrschte aber auch darüber, dass das Prinzip der Selbstbestimmung nicht notwendig mit der Wiedervereinigungsforderung verknüpft sein musste. Trotz der bestehenden Dissonanzen mit der CFK und auch vereinzelter Unzufriedenheit mit der Behandlung der Deutschland- und Berlinfrage durch den ÖRK gab das ökumenische Gespräch den evangelischen Kirchen in Deutschland doch wichtige Impulse und bewirkte, dass diese sich seit Mitte der sechziger Jahre noch stärker der Friedensthematik zuwandten und dabei neue Kausalbezüge zwischen der Friedensund der Deutschlandfrage herstellten.

DieFriedensaufgaben(1965–1968)

4. Wandlungen – Die Friedensaufgaben der Deutschen (1965–1968) ImZeichendesWertewandels

4.1 Deutschlandpolitik im Zeichen des Wertewandels 4.1.1 Frieden, Versöhnung und Vaterland: Kirchliche Erklärungen des Jahres 1965 Während sich die EKD Mitte der sechziger Jahre deutschlandpolitisch in Zurückhaltung übte, wagte sie auf dem Gebiet der Ostpolitik einen mutigen Vorstoß. Unter der Leitidee „Frieden“ und dem auf ihn zielenden Vorgang der „Versöhnung“ formulierte sie Perspektiven für eine Öffnung nach Osteuropa. Im Nachklang der Diskussion um das Tübinger Memorandum1 hatten die westdeutschen Mitglieder der Kammer für öffentliche Verantwortung bereits im November 1962 beschlossen, sich zukünftig mit dem „Problem der deutschen Ansprüche auf die früheren deutschen Ostgebiete“ zu beschäftigen2. Nach einigem Hin- und Her mit dem Ostkirchenausschuss und dem Rat der EKD über die Frage der Zuständigkeit für dieses Thema3 begann die Kammer im Herbst 1963 unter ihrem Vorsitzenden Ludwig Raiser an einer Denkschrift zum „Recht auf Heimat“ zu arbeiten4. Die sechs ostdeutschen Kammermitglieder5 wurden zunächst nicht in die Arbeit miteinbezogen. Dies hatte zwei Gründe: Zum einen billigte der Rat der Kammer im August 1962 zu, angesichts der schwierigen Kommunikationsbedingungen getrennt zu tagen6. Diese Entscheidung entsprach dem Wunsch Raisers, der sich kurz zuvor aus inhaltlichen Gründen gegenüber der Kirchenkanzlei für eine Regionalisierung der Kammerarbeit ausgesprochen hatte: „Ich kenne die Erfahrungen der Kirchenkanzlei in allen diesen Fragen nicht, habe aber selbst den Eindruck, dass wir besser daran tun, ein arbeitsfähiges Gremium aus den westlichen Mitgliedern der Kammer zu bilden, als uns unter der Fiktion eines gesamtdeutschen Organs jede Freiheit des Redens und Handelns zu nehmen.“7 1 2 3 4

S. o. Kap. 3.2.1. Niederschrift über die Verhandlungen der KföV am 10.11.1962 (EZA BERLIN, 2/1353). Vgl. Niederschrift über die Verhandlungen der KföV am 16.2.1963 (EZA BERLIN, 2/1354). Zur Entstehungsgeschichte der Ostdenkschrift vgl. auch: H. RUDOLPH, Kirche, Bd. 2, S. 69–149; T. HECK, EKD, S. 149–160; M. GRESCHAT, Protestantismus und Evangelische Kirche, S. 559–564. 5 Diese waren: Jacob, Hamel, Klemm, Voigt, Pflugk und Verwiebe. Aus der Bundesrepublik kamen 14 Kammermitglieder. 6 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 30./31.8.1962 (EZA BERLIN, 2/1353). 7 Raiser an Niemeier, 17.8.1962 (EBD.).

Im Zeichen des Wertewandels

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Zum anderen war für die DDR das Problem der Ostgebiete bereits rechtlich geklärt. In einem Abkommen mit Polen vom 6. Juli 1950 hatte sie die Oder-Neiße-Grenze als „Friedens- und Freundschaftsgrenze“ anerkannt8. Da angesichts dieser politischen Lage die Denkschrift vornehmlich auf die Bundesrepublik zielte, wurden die ostdeutschen Kammermitglieder sowie weitere Kirchenvertreter aus der DDR erst Ende 1964 beratend hinzugezogen. Auf einer gemeinsamen Sitzung am 18. Dezember in OstBerlin baten sie, das Thema in „seine größeren politischen, geschichtlichen und völkerrechtlichen Zusammenhänge hineinzustellen.“9 Zwar dürfe die menschliche Seite der Problematik nicht übersehen werden, doch sei es wichtig, so gab das Protokoll ihre Einwände wieder, „diesen ganzen Fragenkomplex im Zusammenhang einer künftigen haltbaren Friedensordnung zwischen den Völkern zu sehen. Einem kirchlichen Beitrag hierzu sei es angemessen, den Fragenbereich des ‚Rechtes auf Heimat‘ vornehmlich unter dem Vorzeichen der Versöhnung zwischen Deutschland und den Völkern des Ostens (vor allem Polen und Tschechoslowakei) zu sehen. Auch unter diesem Gesichtspunkt wird nicht erwartet, daß in einem kirchlichen Wort naheliegende konkrete politische Forderungen gestellt werden. Die beabsichtigte Denkschrift wird aber als eine gute Gelegenheit bezeichnet, für interessierte Kreise namentlich in Polen zu zeigen, daß es in Deutschland eine sehr viel besonnenere Betrachtung dieses Fragenbereiches gibt, als es oft nach außen hin den Anschein hat oder in der Propaganda herausgestellt wird. Suche man mit dieser Denkschrift auch das Ohr von Persönlichkeiten in Polen, so werde sie auch dann ihre Wirkung nicht verfehlen, wenn dies nach außen nicht gleich in Erscheinung tritt.“10

Die Autoren der Denkschrift nahmen diese wichtigen Anregungen auf und so war es den ostdeutschen Kammermitgliedern zu verdanken, dass in der Denkschrift die außen- und friedenspolitische Dimension des Fragebereichs stärker berücksichtigt wurde. Die Polen wurden zu Adressaten der Denkschrift, wodurch eine ausschließlich nationale Perspektive auf die Frage der Ostgebiete vermieden wurde. Ebenfalls erfolgreich hatten die Kammermitglieder aus der DDR dafür plädiert, dass die Frage des Rechts auf Wiedervereinigung und die Frage des Rechts auf Heimat in der Denkschrift voneinander getrennt wurden11. Die gesamtdeutschen Teile in der Entstehungsgeschichte der Denkschrift dokumentierten aber nicht nur die wechselseitige Befruchtung, sondern auch die Problemlagen gesamtkirchlicher Arbeit im geteilten Deutschland. So erschwerte die unterschiedliche Vergangenheitspolitik der beiden deutschen Staaten einen gemeinsamen kirchlichen Sprachgebrauch in politischen Fragen. Um eine Provokation der SED zu vermeiden, wünschten die ostdeutschen Kammermitglieder das Wort „Vertriebene“ durch das Wort „Umsiedler“ auszutauschen12. Der Begriff „Umsiedler“ war auf An8 Vgl. A. MALYCHA, Wir. Dort auch weiterführende Literatur. 9 Entwurf des Kurzprotokolls über die Sitzung der KföV am 18./19.12.1964 von Erwin Wilkens (EZA BERLIN, 2/1357). Ostdeutsche Teilnehmer waren: Hamel, Hildebrandt, Klemm, Pflugk und Behm. 10 EBD. 11 Aktenvermerk von Behm (EZA BERLIN, 104/117). 12 Vgl. H. RUDOLPH, Kirche, Bd. 2, S. 145ff.

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ordnung der SMAD seit September 1945 in der gesamten SBZ verbindlich vorgeschrieben und verharmloste gezielt das Geschehen von Flucht und Vertreibung13. Ab 1948/49 wurde die erzwungene Sprachregelung dann sukzessive durch die Anordnung völliger Sprachlosigkeit abgelöst; diese gelang jedoch nicht sofort und nicht völlig. Die westdeutschen Kammermitglieder verweigerten indessen erfolgreich diesen Tribut an die SED und ihre Tabuisierung der Vertriebenenproblematik. Während die anderen ostdeutschen Kammermitglieder dem Text der Denkschrift dennoch zustimmten, lehnte ihn Günter Jacob ab. Er störte sich nicht allein an einzelnen Formulierungen, sondern an der Darstellung und Beurteilung ganzer Problemzusammenhänge und drohte mit dem Austritt aus der Kammer14. Die Ratsmitglieder aus der DDR hingegen wollten die Denkschrift nicht mitverantworten, billigten aber eine Veröffentlichung außerhalb ihrer Verantwortung15. Trotz dieses Votums stimmte der Rat der EKD der Veröffentlichung der Denkschrift aber als Gesamtgremium und nicht nur namens seiner westdeutschen Mitglieder zu: Es galt die Einheit der EKD zu wahren16. Um die ostdeutschen Kirchen jedoch vor staatlichen Angriffen zu schützen, trugen allein die westdeutschen Kammermitglieder die Verantwortung für den Inhalt der Schrift. Die Ostdenkschrift erschien allerdings erst im Oktober 1965, um eine Kollision mit dem Wort des Rates der EKD „zur Besinnung auf das Kriegsende 1945“ zu vermeiden17. Auch die Entstehung dieses Wortes war sowohl von der Spaltung der Erinnerung im geteilten Deutschland als auch von dem Konflikt um die „Vergangenheitsbewältigung“ innerhalb der Bundesrepublik bestimmt. Der Wunsch nach einem gemeinsamen EKD-Wort ging frühzeitig von den Landeskirchen in der DDR aus18. Sie zogen damit die Konsequenzen aus den Erfahrungen, die sie im August 1964 mit der Erinnerung an den Beginn der beiden Weltkriege gemacht hatten19. Damals lag nicht rechtzeitig eine EKD-Erklärung vor und so konnte die DDR-Presse einzelne Äußerungen, insbesondere die Kanzelabkündigung des Thüringer Landesbischofs Mitzenheim, propagandistisch herausstellen und gleichzeitig zur Polemik gegen die EKD und schweigende Landeskirchenleitungen benutzen. Seit Anfang 1965 rückte nun die DDR-Führung den 20. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in den Mittelpunkt ihrer kirchenpolitischen Arbeit20. Ziel war dabei erneut sowohl eine Dif13 Vgl. M. SCHWARTZ, Vertreibung, S. 183. 14 Jacob an Behm, 27.8.1965 (EZA BERLIN, 2/1357). Jacob nahm ab Februar 1966 nicht mehr an den Kammersitzungen teil. Vgl. Jacob an Behm, 25.2.1966 (EBD.). 15 Niederschrift über die gemeinsame Besprechung des Rates der EKD am 1.8.1965 (EZA BERLIN, 2/1784). 16 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 12./13.8.1965 (EZA BERLIN, 4/138). 17 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 4./5.2.1965 (EZA BERLIN, 2/1357). 18 Vgl. Vermerk Wilkens über eine Besprechung am 26.8.1964 in Ost-Berlin (EZA BERLIN, 2/1784); Niederschrift über die Begegnung der Ratsmitglieder aus Ost und West am 4.2.1965 (EZA BERLIN, 104/40); Hintergrundinformation von Henkys an Hühne „zu aktuellen kirchlichen Fragen in Berlin und Mitteldeutschland“, 2.4.1965 (PARH). 19 Siehe oben Kap. 3.2.1. 20 Vgl. SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 317f. und G. BESIER, SED-Staat, S. 583–588.

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ferenzierung der Kirchen innerhalb der DDR als auch eine Ost-West-Spaltung der EKD. Die leitenden ostdeutschen Kirchenvertreter sollten sich an den staatlichen Gedenkfeiern zum „20. Jahrestag der Befreiung“ beteiligen und sich auch öffentlich zum Jahrestag äußern. Angesichts der von der SED propagierten „politisch-moralischen Einheit des Volkes“ wurde hier das in Art. 41,2 der DDR-Verfassung verankerte Recht der Religionsgemeinschaften, „zu den Lebensfragen des Volkes von ihrem Standpunkt aus Stellung zu nehmen“, geradezu in eine Pflicht verkehrt. Kirchenleitungen, Synoden und einzelne kirchliche Persönlichkeiten konnten kaum der ausgesprochenen und unausgesprochenen Forderung entgehen, sich in irgendeiner Form zum 8. Mai zu äußern, „Faschismus“ und Krieg zu verdammen, zugleich die „Friedenspolitik“ der DDR zu loben und die bundesrepublikanische „Atomkriegspolitik“ zu brandmarken21. Ziel der verantwortlichen kirchlichen Kreise war es daher, möglichst viele jener zu erwartenden Einzeläußerungen abzufangen, indem sie auf die Ausarbeitung einer Erklärung der EKD drängten. Denn die Existenz eines solchen Textes gab dem Einzelnen die Möglichkeit, sich darauf berufen zu können und sich nicht selbst äußern zu müssen. Aber auch von westdeutscher Seite kamen Anstöße für ein Wort der EKD zum 20. Jahrestag des 8. Mai 1945. Am 3. März richtete die Delegiertenkonferenz der ESGiD ein Schreiben an den Ratsvorsitzenden, das mit einem persönlichen Anschreiben auch an Bundestagspräsident Gerstenmaier gesandt wurde22. Darin wurde mit Besorgnis auf Tendenzen in der Bundesrepublik hingewiesen, das an den Deutschen begangene Unrecht in den Vordergrund zu stellen, von den deutschen Verbrechen abzulenken und deren Bedeutung für die Gegenwart zu verkennen. Die Delegiertenkonferenz vertrat hingegen die Auffassung, dass die deutsche Teilung von „Menschen unseres Volkes und Gliedern unserer Kirche“ mit verschuldet worden war und als Herausforderung und Angebot Gottes verstanden werden müsse. In diesem Sinne sahen sie sich – nicht ganz zutreffend – mit den Verfassern des „Stuttgarter Schuldbekenntnisses“ einig. Für die Studenten selbst markierte der 8. Mai die Niederlage in einem verbrecherischen Krieg und die Beseitigung des nationalsozialistischen Unrechtsstaats. Für Deutschland verbot sich ihrer Ansicht nach seither jegliches Streben nach politischer Vormachtstellung sowie ein Pochen auf das formale Recht. Die Studenten sahen vielmehr die Deutschen dazu verpflichtet, das Recht der betroffenen Kriegsgegner zu achten und zur Geltung zu bringen. Die Delegiertenkonferenz bat daher den Rat, zum 8. Mai vor den evangelischen Christen, dem deutschen Volk und den ehemaligen Kriegsgegnern in einer Erklärung darauf hinzuweisen, dass die Schuld aus der NS-Zeit das deutsche Volk immer noch bedrücke, dass die Annahme der Niederlage im Bewusstsein des (west)deutschen Volkes weithin ausstehe und dass von daher besonders das Verhältnis der Bundesrepublik zur DDR einer „grundsätzlichen Umorientierung“ bedürfe. Gerstenmaier, der ja auch angeschrieben worden war, be21 Vgl. Hintergrundinformation von Henkys an Hühne, 2.4.1965 (PARH). 22 Vgl. Kurzprotokoll der DK der ESGiD (EZA BERLIN, 36/547). Nachrichtlich erhielten den Brief Thomas Dehler, Fritz Erler, Hermann Kunst und Carlo Schmid.

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zeichnete den ethisch-moralischen Rigorismus, wie er in dem Brief und seinem Begleitschreiben zum Ausdruck kam, später auf der EKD-Synode polemisch als „monotone Selbstbeschuldigung, alles zapfenduster und die Deutschen sind schwarz.“23 Die Erklärung der EKD zum 8. Mai war zum Zeitpunkt des ESGiD-Schreibens bereits schon im Werden. In ihren Entstehungsprozess wurde auch die Kammer für öffentliche Verantwortung einbezogen24. Bei der Formulierung des Textes zeigte sich, wie schwer es war, einen für beide Teile Deutschlands zutreffenden Bußruf zu formulieren25. Letztlich verabschiedete der Rat mit den Stimmen aller seiner Mitglieder eine gemeinsame Erklärung, die auf einem ost- und einem westdeutschen Entwurf aufbaute26. Sie knüpfte ausdrücklich an die Stuttgarter Schulderklärung an und bezeichnete die Kapitulation als Befreiung von der NS-Gewaltherrschaft und als Möglichkeit für einen neuen Anfang, wenn auch unter der Last der politischen Spaltung27. Der Rat formulierte in seinem Bußruf Fragen und Aufgaben. Er fragte, ob die Christen in Deutschland den neuen Anfang genutzt hätten, um sich in der Kirche unter dem Evangelium zu sammeln, für Menschlichkeit einzutreten sowie die Kausalitätsbeziehung zu erkennen, „daß unsere so schmerzliche Zerrissenheit ihre Ursache in den Irrwegen hat, die wir zuvor gegangen sind“. Er fragte, ob sie Unrecht wieder gutmachen sowie die politisch-mentalen Voraussetzungen, die das „Dritte Reich“ ermöglichten, beseitigen wollten. Er wies den Christen die Verantwortung zu, dafür zu sorgen, dass sich die Deutschen in ihrer Spaltung nicht in ein „haßerfülltes Gegeneinander oder gleichgültiges Nebeneinander“ treiben ließen und damit die Gefahr des Unfriedens in der Welt erhöhten. Er attestierte sich und ihnen, dass die Zeit der Zwangsherrschaft sie gelehrt habe, dass die irdische Freiheit ein unveräußerliches Recht der Menschen und Völker sei, und wies sich und ihnen die Aufgabe zu, für die Freiheit einzutreten, wo immer sie behindert wurde. Er unterstrich, dass das Erbe der Vergangenheit als Verpflichtung sowohl auf der älteren wie auch auf der jüngeren Generation liege. Zuletzt betonte der Rat unter Berufung auf 2 Kor 5,20 den Versöhnungsgedanken, der sich auch auf das politische Leben im geteilten Deutschland auswirken sollte. Das Wort wurde anlässlich der Gedenkfeier zum 20. Todestag von Dietrich Bonhoeffer am 9. April in beiden Teilen Berlins öffentlich verlesen und anschließend durch die Landeskirchen in beiden Teilen Deutschlands bekannt gemacht28. Knapp drei Wochen später erschien eine weitere kirchliche Erklärung, die sich jedoch in ihrem Inhalt sehr deutlich von der des Rates unterschied. Es handelte sich dabei um das „Wort zum zwanzigsten Jahr der Vertreibung“ des Ostkirchenausschus23 FRANKFURT – Magdeburg 1965, S. 104. 24 Vgl. Kurzprotokoll über die Sitzung der KföV am 19./20.2.1965; Wilkens an Mitglieder und Gäste der KföV, 30.6.1965 (EZA BERLIN, 2/1361). 25 Hintergrundinformation von Henkys an Hühne, 2.4.1965 (PARH). 26 Niederschrift über die Begegnung der Ratsmitglieder aus Ost und West am 11.3.1965 (EZA BERLIN, 104/40). 27 Wort des Rates der EKD zur Besinnung auf das Kriegsende 1945. Abdruck in: KJ 92, 1965, S. 82f. 28 Hintergrundinformation von Henkys an Hühne, 2.4.1965 (PARH).

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ses und des Konvents der zerstreuten evangelischen Ostkirchen an die evangelischen Vertriebenen. An ihm war bereits seit Spätsommer 1964 gearbeitet worden29. Ohne die NS- und Kriegsverbrechen als eigentlichen Grund für das Schicksal der Vertriebenen zu nennen, bezeichneten die Verfasser Flucht und Vertreibung der Deutschen als Teil der Weltflüchtlingsnot. Sie dankten für die Hilfe, die den Vertriebenen bei ihrer Eingliederung zuteil wurde, erinnerten aber auch an die „Verantwortung für die angestammte Heimat“, die sie als „Gabe Gottes im irdischen Leben“ definierten. Die Vertriebenen sollten daher nicht nur um die Vergebung der Schuld, sondern auch um die „Rückkehr in die Heimat“ beten dürfen. Nach dem Willen ihrer Vertreter sollten sie Hass und Feindschaft überwinden helfen, sich neuem Unrecht widersetzen und dem Gedanken an Rache und Vergeltung entsagen. Sie sollten aber auch der Behauptung widersprechen, dass es nur die Alternative von „Verzicht und Gewaltanwendung“ gebe. Denn „wahre Aussöhnung“, so hieß es in dem Wort, verlange die Erkenntnis, dass gewaltsame Vertreibung gegen die allgemeinen Menschenrechte verstoße. Das Ziel des Friedens zwischen den Völkern fordere von den evangelischen Vertriebenen sowohl die Bereitschaft zur Aussöhnung wie das Eintreten für die Menschenrechte und verlange ihren Einsatz für „dauerhafte zwischenstaatliche Regelungen auf der Grundlage von Sittlichkeit und Recht.“ Wie die spätere Diskussion um die Ostdenkschrift machten bereits diese beiden Erklärungen zum 20. Jahrestag des Kriegsendes aus dem Raum der EKD die Gegensätze innerhalb des deutschen Protestantismus und die schwierige Problematik einer evangelischen Ethik des Politischen deutlich30. Mit halbjährigem Abstand zu den beiden Worten zum 8. Mai wurde im Oktober 1965 unter dem Titel „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ die von der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD erarbeitete Denkschrift veröffentlicht. Durch ihren argumentativen, auf Diskussion zielenden Stil unterschied sie sich deutlich von den bisherigen kirchlichen Worten31. Im Vorwort, das vom Ratsvorsitzenden Scharf unterzeichnet war, wurde der Leser explizit darauf hingewiesen, dass für den Text nur die aus den westlichen Gliedkirchen der EKD stammenden Kammermitglieder verantwortlich waren. Angesichts der unterschiedlichen Lage der öffentlichen Diskussion und der staatlichen Handhabung der Problematik in den beiden Teilen Deutschlands habe sich die Kammer im Wesentlichen auf die Darstellung der Situation in der Bundesrepublik und West-Berlin beschränkt, insbesondere bei den völkerrechtlichen Darlegungen. Dennoch sei es Sache des ganzen deutschen Volkes, die Folgen des Zweiten Weltkrieges zu bewältigen und das Verhältnis der Deutschen zu den osteuropäischen Völkern zu klären, verdeutlichte Scharf den Standpunkt der EKD. Die Lösung dieser Aufgabe stehe zugleich „in engem Zusammenhang mit der Aufgabe, die notvolle Spaltung Deutschlands zu über29 Abdruck in: KJ 92, 1965, S. 83f. Zum Entstehungsprozess vgl. H. RUDOLPH, Kirche, Bd. 2, S. 120–129. 30 Vgl. KJ 92, 1965, S. 81. 31 Abdruck in: Denkschriften, Bd. 1, S. 77–126.

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winden“ (S. 80), so schloss das Vorwort, ohne dass diese kausale Verbindung in der Denkschrift näher entfaltet wurde. Im ersten Kapitel skizzierten die Verfasser „Umfang und Zusammenhänge der Probleme“ (S. 81) und verwiesen dabei sowohl auf das Schicksal der deutschen Vertriebenen wie auf das der Polen. Dabei wurden aber deutlich die Kausalbezüge benannt: „Die den Deutschen angetanen Unrechtstaten können nicht aus dem Zusammenhang mit der politischen und moralischen Verirrung herausgelöst werden, in die sich das deutsche Volk vom Nationalsozialismus hat führen lassen.“ (S. 81) Als Kernproblem beschrieben die Autoren, dass „sich zwanzig Jahre nach Beendigung der Zweiten Weltkrieges kaum die Möglichkeit abzeichnet, die schwerwiegenden Fragen der Schuld und des Rechtes zwischen den beteiligten Völkern in sachlicher Offenheit zu erörtern. [. . .] Solange dieser Zustand einer noch ausstehenden Versöhnung besteht, bildet er einen Herd der Unruhe, weil ohne Lösung der deutschen Frage alle Bemühungen um eine politische Entspannung in Mitteleuropa und um eine neue tragfähige Friedensordnung zwischen den Völkern erfolglos bleiben müssen.“ (S. 82)

Im zweiten Kapitel wurden unter der Überschrift „Die Vertriebenen in Gesellschaft und Kirche“ die Erfolge und Defizite der Integration aufgeführt. Die Beurteilung der Situation lautete vor dem Hintergrund einer geschichtstheologischen Deutung von Kriegsende und Nachkriegszeit für den gesellschaftlichen und kirchlichen Bereich gleich: „Offenbar ist auch hier nicht vernehmlich genug ausgesprochen und entschlossen genug gelebt worden, daß nur das Ja zum Gericht Gottes den Weg zu neuen Aufgaben frei macht, daß dieses Ja aber zusammen mit den Vertriebenen von der Gesamtheit des Volkes in der Solidarität einer einzigen großen Schuld- und Haftungsgemeinschaft gesprochen werden muß.“ (S. 93)

Das dritte Kapitel beschäftigte sich mit der „gegenwärtigen Lage in den Gebieten jenseits der Oder-Neiße-Linie“ (S. 94). Auf Wunsch der ostdeutschen Kammermitglieder wurde hier auch der Görlitzer Vertrag zwischen der DDR und Polen erwähnt32. Im vierten Kapitel wurden die völkerrechtlichen Fragen abgehandelt und zur Nüchternheit im politischen Gebrauch völkerrechtlicher Argumente aufgefordert. Denn, so hieß es, „Recht steht gegen Recht oder – noch deutlicher – Unrecht gegen Unrecht. In solcher Lage wird das Beharren auf gegensätzlichen Rechtsbehauptungen, mit denen jede Partei nur ihre Interessen verfolgt, unfruchtbar, ja zu einer Gefahr für den Frieden zwischen beiden Völkern. Auf dieser Ebene ist der Konflikt nicht zu lösen. Daher gilt es, einen Ausgleich zu suchen, der eine neue Ordnung zwischen Deutschen und Polen herstellt.“ (S. 109)

Die Autoren mahnten an die besondere Verpflichtung der Deutschen, die sich aus dem „Erbe einer bösen Vergangenheit“ (S. 108) ergebe: Es gelte das Lebensrecht des polni32 EBD., S. 101f. Vgl. Vermerk über die Sitzung der ostdeutschen Kammermitglieder am 14.7.1965 (EZA BERLIN, 104/117).

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schen Volkes zu respektieren, ihm den notwendigen Raum zur Entfaltung zuzugestehen und nicht durch die Vertreibung der nun in Westpolen ansässigen Bevölkerung neues Unrecht zu schaffen. Das fünfte Kapitel war von „theologischen und ethischen Erwägungen“ zum Heimatbegriff sowie dem Rechts-, Schuld- und Versöhnungsgedanken bestimmt. Die Verfasser warnten, „die Leistungsfähigkeit der Theologie für den politischen Rat und die politische Entscheidung“ (S. 119) nicht zu überschätzen. Im Hinblick auf das „Recht auf Heimat“ kamen sie zu dem Schluss: „Die theologischen Elemente des Heimatbegriffes können nach allem nicht dazu dienen, ein unabdingbares Recht des Menschen auf seine, auf die Heimat zu begründen“ (S. 113). Bei der Schuldfrage verwiesen die Autoren auf die „Schuldverflechtung der Völker“, machten aber zugleich deutlich, „daß alle Schuld der anderen die deutsche Schuld nicht erklären oder auslöschen kann“ (S. 121). Das sechste Kapitel stand unter der Überschrift: „Die deutschen Ostgrenzen als politische Aufgabe“ (S. 123). Darin hieß es, dass die Kirche den Politikern zwar keine Handlungswege vorzeichnen, ihnen aber den Handlungsspielraum erweitern könne: „Das deutsche Volk muß auf die notwendigen Schritte vorbereitet werden, damit eine Regierung sich ermächtigt fühlen kann zu handeln, wenn es Not tut“ (S. 125). Die in der Denkschrift geäußerten rechtlichen, ethischen und theologischen Überlegungen sollten dahin wirken, „eine neue Bewegung in die politischen Vorstellungen des deutschen Volkes hineinzubringen und auch den Nachbarn im Osten einen Dialog auf neuer Ebene anzubieten“ (S. 123). Den Zeitpunkt zum politischen Handeln wollten die Autoren nicht vorgeben. Sie mahnten aber, dass das „formale Argument“, nur eine künftige gesamtdeutsche Regierung sei zu so weit reichenden Entscheidungen befugt, es nicht rechtfertige, „auch die Klärung der hier auf dem Spiele stehenden Grundsatzfragen auf unbestimmte Zeit zu verschieben“ (S. 125). In der Bundesrepublik stieß die so genannte Ostdenkschrift im kirchlichen wie im politischen Raum auf breite, sowohl positive als auch negative Resonanz33. Da es ihr vorrangig um einen Einstellungswandel gegenüber den osteuropäischen Nachbarn ging, hatte sie den außenpolitischen Aspekt des von ihr behandelten Problemkreises mehr angedeutet als ausgeführt und folglich die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Grenze nicht explizit gefordert. Dennoch war durch sie dieses Tabu angerührt worden und die öffentliche Auseinandersetzung darüber eröffnet. Die Debatte schlug hohe Wellen und dauerte bis weit ins Jahr 1966 hinein an. Äußerst scharfe Kritik kam von den Vertriebenenverbänden. Sie stellten sich weiterhin auf den Standpunkt, das Grundgesetz verpflichte in seiner Präambel jede Regierung der Bundesrepublik dazu, die Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 zu betreiben. Neben zahlreichen anderen Vorwürfen wurde der EKD von ihnen unterstellt, sie habe mit der Denkschrift ein „Zeugnis von Wohlverhalten“ gegenüber der DDR abgelegt, 33 Vgl. hierzu auch: R. HENKYS, Deutschland, S. 33–91; W. HUBER, Kirche, S. 397–415; H. RUDOLPH, Kirche, Bd. 2, S. 150–210; T. HECK, EKD, S. 160–206; M. GRESCHAT, Protestantismus und Evangelische Kirche, S. 565ff.

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um ihre gesamtkirchliche Lage zu verbessern34. Ablehnende Voten kamen auch vom Ostkirchenausschuss und aus konservativen Kreisen in Politik, Kirchen und Gesellschaft. Auf Seiten der Befürworter fanden sich innerhalb des Protestantismus Barthianer und Lutheraner zu einer ungewohnten Allianz zusammen35. Dies wurde bereits auf der Arbeitstagung für Synodale aus der Bundesrepublik und West-Berlin in Frankfurt am Main im November 1965 offenbar, deren Thema eigentlich der Dienst der Kirche an Soldaten, Kriegsdienstverweigerern und Ersatzdienstleistenden gewesen war. In einer Entschließung dankten die Synodalen der Kammer für die „wegweisende“ Denkschrift, verschoben jedoch eine ausführliche Auseinandersetzung mit ihr auf die Synode im Frühjahr36. Im Januar 1966 gab die AGEJD eine Erklärung zur Denkschrift der EKD ab. Sie identifizierte sich mit deren Inhalt und reihte die evangelische Jugend in die Schuld- und Haftungsgemeinschaft, von der die Denkschrift gesprochen hatte, ein37. Ihre Gliederungen bat sie, Begegnungen mit osteuropäischen Jugendlichen zu fördern und so den in der Denkschrift geforderten Dialog zu intensivieren. Die im März 1966 in Berlin-Spandau versammelten westdeutschen EKD-Synodalen befassten sich dann intensiv mit dem Thema „Vertreibung und Versöhnung“38. In der verabschiedeten Erklärung betonten sie, dass der Inhalt der Denkschrift „die Gewissen nicht als Glaubenswahrheit“ binde, sondern ein Angebot der Kirche zur Reflexion und Diskussion darstelle39. Noch einmal ging man auf verschiedene strittige Aussagen der Denkschrift ein, erläuterte und präzisierte sie, formulierte manches aber auch vorsichtiger. Besonders betont wurde in der Erklärung der Gedanke der „Aussöhnung“ als Voraussetzung für eine „Friedensordnung“ und dabei an beide Seiten, die deutsche wie die polnische, appelliert40. Hoffnung hierfür gab den Synodalen der Brief der katholischen Bischöfe Polens vom 18. November 1965, in dem diese Vergebung für deutsche Schuld gewährten und um Vergebung für polnische Schuld baten. In diesen Prozess der Aussöhnung mit dem Ziel einer europäischen Friedensordnung wurde in der Synodalerklärung auch das Wiedervereinigungsziel eingebettet: „Wir bitten unsere östlichen Nachbarn, eingedenk der Liebe, die sie zu ihrem eigenen Volke stets empfunden haben, Verständnis dafür zu gewinnen, daß auch wir für die Lebensrechte des deutschen Volkes eintreten, insbesondere für seine friedliche Wiedervereinigung.“41 Im Ergebnis trug die Auseinandersetzung um die Denkschrift in der Bundesrepublik zur allmählichen Revision erstarrter politischer Positionen bei und bereitete damit die „neue Ostpolitik“ der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt 34 Pressedienst der Heimatvertriebenen, zitiert nach: T. HECK, EKD, S. 168. 35 Vgl. R. HENKYS, Deutschland, S. 82. 36 ARBEITSTAGUNG Frankfurt 1965, S. 80–129, S. 193. 37 Abdruck in: EvW 20, 1966, S. 20. 38 BERLIN und Potsdam 1966, S. 102–138, S. 188–229, S. 242–256. 39 EBD., S. 471. 40 Vgl. ausführlich zu Entstehung und Rezeption der Synodalerklärung: H. RUDOLPH, Kirche, Bd. 2, S. 211–247. 41 BERLIN und Potsdam 1966, S. 473.

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vor42. Die Denkschrift war aber auch von deutschlandpolitischer Relevanz, obgleich das Thema Wiedervereinigung in ihr nicht ausdrücklich behandelt wurde. Ihre Verfasser hatten aber vorsichtig kritisiert, sich auf die Verknüpfung von Friedensvertrag, gesamtdeutscher Regierung und Regelung der Ostgrenzen zu fixieren. Außerdem hatte Scharf im Vorwort implizit angedeutet, dass eine Wiedervereinigung im gesamteuropäischen Rahmen nur durch eine vorherige Verständigung mit den osteuropäischen Völkern erreichbar und diese ohne Einvernehmen in den Grenzfragen schwer vorstellbar sei43. Damit forcierte die Denkschrift und die Diskussion um sie das Ende der Lähmung der bundesrepublikanischen Wiedervereinigungspolitik durch die Territorialfrage der Ostgebiete, ein Ziel, das sich schon die Autoren des „Tübinger Memorandums“ gesetzt hatten. Eine im politischen Referat des BMG erarbeitete Studie zur Denkschrift hob gerade diesen Aspekt als zukunftsweisend hervor und empfahl, den Wiedervereinigungsbegriff künftig nicht auf die territoriale Wiederherstellung der Grenzen von 1937, sondern ausschließlich auf die nationale Einheit des deutschen Volkes in den beiden deutschen Teilstaaten zu beziehen44. Und tatsächlich fassten die Westdeutschen seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre die nationalstaatliche Zielperspektive territorial enger und verstanden unter der Wiedervereinigung überwiegend eine Vereinigung der Bundesrepublik mit der DDR45. Auch die ostdeutschen Bischöfe stimmten dem Text der Denkschrift zu. Sie unterließen jedoch eine öffentliche Stellungnahme, weil sie eine solche für die Diskussion in der Bundesrepublik für „weder notwendig noch förderlich“ hielten46. Die Görlitzer Kirchenleitung fasste hingegen am 24. November 1965 einen Beschluss zur Denkschrift47. Darin begrüßte sie diese, übte jedoch zugleich Kritik daran, dass die evangelische Kirche von Schlesien als existenziell besonders betroffene Gliedkirche der EKD vor der Verabschiedung der Denkschrift nicht gehört worden war. Auch wenn dies, wie man vermutete, aus Rücksicht auf die besondere Lage der Kirchen in der DDR geschehen sei, hätte dieser Grund nicht ausschlaggebend sein dürfen. Zum Inhalt der Denkschrift stellte die Kirchenleitung kritische Anfragen: „Hätte nicht doch der große politische Zusammenhang, in dem die Frage steht, mehr als angedeutet werden müssen? Ebenso hätte ein Hinweis darauf erfolgen müssen, daß die Tei42 Diese Wirkung der Ostdenkschrift betont T. HECK, EKD. 43 Wolfhart Pannenberg betont in seinem Kommentar zur Denkschrift „Ist Versöhnung unrealistisch?“ diesen deutschlandpolitischen Aspekt. In: EvE 10, 1966, S. 116ff. Vgl. auch L. RAISER, Ostpolitik, S. 201f. und S. 208. 44 Exemplar im EZA BERLIN, 87/96/529. Die Studie stellte keine offizielle Meinungsäußerung des Ministeriums dar, da die Bundesregierung keine Stellungnahme zur Denkschrift abzugeben bereit war. Vgl. Zahn an Kunst, 17.2.1966 (EZA BERLIN, 87/96/529). Die Studie war ursprünglich nur für den innerdienstlichen Gebrauch vorgesehen, wurde am 15.2. aber durch Indiskretion bekannt und in Auszügen im „Echo der Zeit“ am 20.2. veröffentlicht. 45 M. GLAAB, Deutschlandpolitik, S. 75. 46 Auszug aus dem Vermerk vom 4.11.1965 über die Konferenz der Bischöfe in der DDR am 1.11.1965 (EZA BERLIN, 104/118). 47 Er ist wiedergegeben in dem Schreiben des Görlitzer Konsistoriums an die Kirchenkanzlei in Hannover, 16.7.1969 (EZA BERLIN, 104/128).

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lung Deutschlands dem deutschen Volke eine gemeinsame sachliche Klärung und Besinnung sehr erschwert, wenn nicht unmöglich macht. Das Argument, daß nur eine zukünftige gesamtdeutsche Regierung zu letzten Entscheidungen befugt sei, darf nicht als formal bezeichnet werden. Zu den Faktoren, die einer Berücksichtigung bedürfen, gehört auch die Frage nach dem Lebensraum nicht nur des polnischen, sondern auch des deutschen und des sowjetischen Volkes. Auch hätte stärker bedacht werden müssen, daß die Vertriebenen nicht einfach eine Masse von Individuen sind, sondern daß wir es hier mit geschichtlich gewachsenen Lebensgemeinschaften zu tun haben (deutschen Stämmen!), denen mit ihrer Vertreibung das geschichtliche Todesurteil gesprochen ist. Daß sich von hier aus auch für die Frage der sogenannten Eingliederung noch besondere Probleme ergeben, bedarf der Beachtung.“

Diese Kritik war ein Anzeichen, dass auch in der DDR das Vertriebenen- und Grenzproblem bei den davon Betroffenen noch nicht gänzlich gelöst war, wie es etwa die ostdeutschen Mitglieder des Gesamtkirchlichen Ausschusses der AGEJD behaupteten: „Die Oder-Neiße-Linie ist in der DDR ein Faktum, an dem sich keine Emotionen mehr entzünden können.“48 Ebenfalls noch im November diskutierte der Vertrauensrat der ESGiD über die Denkschrift und ließ im Anschluss der EKD mündlich mitteilen, dass er in der Schrift ein übertragbares Modell kirchlichen Handelns sehe und hoffe, dass sie in den Gemeinden debattiert werde49. Der Vertrauensrat und vor allem seine ostdeutschen Mitglieder äußerten aber auch Kritik am Zustandekommen sowie am Inhalt der Denkschrift: Die ostdeutschen Kirchen hätten ihr nur noch im Nachhinein zustimmen können; ein gesamtdeutsches Gremium spreche hier nur für Westdeutschland; in ihr seien weder die Erwartungen der osteuropäischen Nachbarn ausreichend berücksichtigt noch seien die deutsch-deutschen Beziehungen thematisiert worden. Auf der in Berlin-Weißensee und Berlin-Spandau tagenden EKU-Synode war die Denkschrift gleichfalls Gesprächsthema. Bischof Jänicke dankte in seinem Bericht dafür, dass mit ihr ein Tabu angegriffen und eine „Bewegung auf Versöhnung hin“ in Gang gebracht worden sei50. Im gemeinsamen Beschluss der ost- und westdeutschen Synodalen zu den Berichten der Ratsvorsitzenden wurde die Denkschrift als ein Beitrag gewürdigt, der zur Versachlichung der Diskussion und zur kritischen Urteilsbildung diene51. Die Gliedkirchen wurden gebeten, das Gespräch über die durch die Denkschrift gestellten Fragen zu fördern und die damit verbundenen seelsorgerlichen Aufgaben ernst zu nehmen52. Den Rat forderte man auf, stärker die Verbindungen zu den östlichen Nachbarn und insbesondere zu deren Kirchen zu suchen. In der Erläuterung des Beschlusses wies Johannes Hamel, der Vorsitzende des Berichtsausschusses 48 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 14.–16.3.1966 (Aaej HANNOVER, GKR 1). 49 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 20./21.11.1965 (EZA BERLIN, 141/99/89a). 50 BERICHT Synode EKU 1965, S. 37. 51 EBD., S. 67. 52 Die Kirchenkanzlei der EKU versorgte jeden Kirchenkreis ihrer Gliedkirchen mit mindestens 2 Exemplaren der Denkschrift. So konnte auf den Pfarrkonventen die Erörterung über die durch die Denkschrift gestellten Fragen auf breiter Basis erfolgen. Vgl. Hildebrandt an Rat der EKD, 2.4.1966 (EZA BERLIN, 2/1486).

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in Weißensee, darauf hin, dass es dem Ausschuss vor allem um „eine Versöhnung mit unseren östlichen Völkern ohne die Nivellierung der seelsorgerlichen und sonstigen Aufgaben, die aus der Vertreibung von über 10 Millionen Deutschen erwachsen“, gehe53. Hamel markierte auch die Unterschiede, die im Umgang mit den Vertriebenen54 sowie in der Rezeption der Denkschrift zwischen der Bundesrepublik und der DDR bestanden: „Es ist doch drüben so, daß sich die Vertriebenen – wir nennen sie Umsiedler bei uns – drüben organisieren konnten, während in unserem Raum die Organisierung dieser Vertriebenen nach Landsmannschaften nicht möglich war und ist. D. h., daß drüben Gespräche geführt werden, Urteile, vielleicht auch Vorurteile, gewachsen sind, Erinnerungen gepflegt werden, die hier – soll ich sagen – verblaßt sind, oder soll ich sagen: unter der Oberfläche weiterschwelen. Es kommt noch hinzu, daß die Lösung der wirtschaftlichen Probleme dieser ehemaligen Bewohner von Schlesien, Ostpreußen usw. in Ost und West sehr verschieden gewesen ist, sowohl nach negativen wie nach positiven Seiten. Die Einzelheiten brauche ich jetzt wohl nicht zu erwähnen. Wir haben im Ausschuß ausführlich darüber gesprochen. Die Reaktion auf die Denkschrift ist auch sehr verschieden. Bei uns ist sie in der Bevölkerung so gut wie kaum bekannt, es sei denn aus den zahlreichen Meldungen des westlichen Rundfunks und ab und zu aus Zeitungsmeldungen bei uns. Drüben aber war die Reaktion auf die Denkschrift sehr verschiedenartig. Man darf aber – das haben wir uns sagen lassen müssen – annehmen, daß die Reaktion zu weit überwiegender Weise positiv gewesen ist [. . .]“55.

Eine weitere Erklärung zur Ostdenkschrift erfolgte dann erst auf der nicht öffentlichen Arbeitstagung der EKD-Synode, die vom 14. bis 16. März in Potsdam-Babelsberg stattfand56. Darin wurde die kirchliche Initiative zum Problemkreis „Vertreibung und Versöhnung“ begrüßt, die politische Dimension aber zugunsten des theologischen Aspekts der Versöhnung ausgespart. Auf der eigentlichen öffentlichen Synodaltagung war die Diskussion über die Denkschrift, anders als auf der Paralleltagung in Spandau, gar nicht auf der Tagesordnung und folglich kam es auch zu keinem gemeinsamen Beschluss des Ost- und Westteils der Synode der EKD. Im Kirchlichen Jahrbuch wurde diese Verfahrensweise so gedeutet: Man gab sich gegenseitig die auf Grund des unterschiedlichen politischen Kontextes notwendige Handlungsfreiheit und signalisierte zugleich, dass die EKD „ihre Einheit in Freiheit und Mannigfaltigkeit“ zu wahren entschlossen war57. Die SED reagierte auf die Ostdenkschrift der angeblichen „westdeutschen Militärkirche“ nicht wie befürchtet negativ, sondern eher irritiert. Das Politbüro und das Sekretariat des ZK der SED wurden bereits am 25. Oktober von der Arbeitsgruppe Kirchenfragen über ihren Inhalt informiert58. Dabei erklärte man sich den ostpolitischen Vorstoß der EKD, der nicht ins Feindbild passen wollte, folgendermaßen:

53 54 55 56 57 58

BERICHT Synode EKU 1965, S. 79. Vgl. hierzu allgemein: M. SCHWARTZ, Vertreibung. BERICHT Synode EKU 1965, S. 78f. BERLIN und Potsdam 1966, S. 474. KJ 93, 1966, S. 2f. Die „Kirchenpolitische Information“ ist abgedruckt in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 435–439.

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„Die Tatsache, daß bestimmte Kräfte innerhalb der westdeutschen EKD-Führung eine von den offenen Revanchisten abweichende Position einnehmen und dafür von den reaktionärsten Gruppierungen im Bonner Staat spürbar unter Druck gesetzt werden, ist ein Ausdruck der verschiedenen Strömungen innerhalb der herrschenden Kreise Westdeutschlands, die im wesentlichen alle das gleiche Ziel haben, für seine Verwirklichung jedoch verschiedene Wege gehen wollen.“59

Damit verfügte die SED über ein Erklärungsmuster, das in der Folgezeit auf jegliche Veränderungen in der bundesrepublikanischen Ost- und Deutschlandpolitik angewandt wurde: es gehe nur um die alten Ziele, die mit flexibleren, raffinierteren Mitteln durchgesetzt werden sollten. In der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen wurde an der Denkschrift kritisiert, dass in ihr vom deutschen Volk und von Deutschland anstelle von der westdeutschen Bevölkerung und der Bundesrepublik gesprochen wurde: „Die DDR als Teil Deutschlands existiert nicht. Dem Leser wird suggeriert, Deutschland sei gleich Bundesrepublik.“60 Bei einem Gespräch mit Bischof Krummacher am 2. November monierte Staatssekretär Seigewasser überdies, dass in der Denkschrift „bestimmte politische Schlußfolgerungen“ fehlten61. Zugleich erkannte er jedoch auch die „Zivilcourage“ und den „Mut zur Unpopularität“ des Rates und der Kammer an. In der DDR-Presse wurden die Angriffe der westdeutschen „Revanchisten“ auf die Ostdenkschrift zunächst mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen und zur Polemik gegen den „Revanchismus“ in der Bundesrepublik genutzt62. Auf Weisung von oben ging das „Neue Deutschland“ am 10. November dann ausführlicher auch auf den Inhalt der Denkschrift ein: Zwar hebe sie sich vom nationalen Chauvinismus, der in Westdeutschland herrsche, ab, doch seien ihre Aussagen zwiespältig, da sie nicht offen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze fordere63. Sehr viel schärfer als auf die Ostdenkschrift der EKD reagierte die DDR-Führung auf eine Handreichung „Zum Friedensdienst der Kirche“, die von der KKL verantwortet wurde. Sie war am 6. November 1965 den ostdeutschen Landeskirchenleitungen als Orientierungshilfe für die Seelsorge an Wehrpflichtigen in der Situation der DDR zugeleitet worden64, nachdem zwei Wochen zuvor in Thüringen ein gemeinsames Manöver von Truppenverbänden aus Polen, der Tschechoslowakei, der Sowjetunion und der

59 EBD., S. 435. 60 Stellungnahme von Dohle zur Denkschrift, 25.10.1965 (BArch BERLIN, DO 4/422). 61 Vermerk über die Besprechung zwischen Seigewasser, Flint, Weise und Krummacher (EZA BERLIN, 104/597). 62 Das ND titelte z. B. am 20.10.: „Wütende Angriffe auf westdeutsche Kirchenführer“, am 25.10.: „Kirche unter Beschuß“, am 27.10.: „Bombendrohung gegen die Kirche. Revanchisten wollen Diskussion der Denkschrift vereiteln“. 63 Günter Kertzscher: Sturm um eine evangelische Denkschrift. In: ND, 10.11.1965, S. 6. 64 Beschluss der KKL vom 30.9.1965, die Handreichung zu verantworten; Verabschiedung der Handreichung im Auftrag der KKL durch die Konferenz der evangelischen Bischöfe am 1.11.1965 bei einer Stimmenthaltung (Mitzenheim). Vgl. Krummacher an Evangelische Kirchenleitungen in der DDR, 6.11.1965 (EZA BERLIN, 2/1361).

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DDR – der so genannte „Oktobersturm“ – stattgefunden hatte. Ursprünglich nur für den innerkirchlichen Gebrauch bestimmt, führte die Handreichung zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche in der DDR, bei der die Fassade von der „politisch-moralischen Einheit des Volkes“ einzustürzen drohte. Verfasst wurde der Text von einem ostdeutschen Arbeitskreis, der auf Bitten der KKL von Bischof Jänicke einberufen worden war, um innerkirchlich „noch offene Grundsatzfragen“ im Zusammenhang mit dem Wehrdienst zu klären65. Die westdeutschen Kirchen wurden über das Vorhaben nicht informiert. Der Arbeitskreis unter dem Vorsitz von Pfarrer Heino Falcke entwickelte seine Überlegungen auf der Basis des Wortes der EKD-Synode von 1950 und dem darin angezeigten Paradigmenwechsel in der protestantischen Kriegsethik66. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Besinnung auf den Friedensdienst der Kirche zu einer Angelegenheit aller evangelischen Christen in den ostdeutschen Gliedkirchen der EKD werden müsse. Die Kirche wurde aufgefordert, sich stärker mit der Entscheidung für Wehrdienstverweigerung zu verbinden, als sie dies bisher getan hatte. Sie sollte nicht nur um der Gewissensfreiheit des Einzelnen willen für die Wehrdienstverweigerer eintreten, sondern deren Entscheidung als eine legitime christliche Gehorsamsentscheidung mit vertreten. Im Text der Handreichung hieß es dann: „Es wird nicht gesagt werden können, daß das Friedenszeugnis der Kirche in allen drei der heute in der DDR gefällten Entscheidungen junger Christen in gleicher Deutlichkeit Gestalt genommen hat. Vielmehr geben die Verweigerer, die im Straflager für ihren Gehorsam mit persönlichem Freiheitsverlust leidend bezahlen, und auch die Bausoldaten, welche die Last nicht abreißender Gewissensfragen und Situationsentscheidungen übernehmen, ein deutlicheres Zeugnis des gegenwärtigen Friedensgebotes unseres Herrn. Aus ihrem Tun redet die Freiheit der Christen von den politischen Zwängen.“67

Insbesondere diese wehrdienstkritischen Aussagen, zu denen auch noch die Forderung nach einem zivilen Ersatzdienst gehörte, führten dazu, dass gegenüber der Handreichung von staatlichen Stellen der Vorwurf erhoben wurde, sie rufe zur totalen Wehrdienstverweigerung auf und schwäche damit den Wehrwillen in der DDR. Die Staats- und Parteivertreter zeigten sich empört. Schließlich war doch der Nationale Verteidigungsrat der DDR den Kirchen und ihrer Forderung, die Gewissensentscheidung von Kriegsdienstverweigerern zu berücksichtigen, im September 1964 entgegengekommen. Er hatte die Verweigerung des Waffendienstes aus religiösen und anderen Gründen als einziger Ostblockstaat legalisiert und die Möglichkeit geschaffen, waffenlos in so genannten Baueinheiten zu dienen, wenn auch in Uniform und im Rahmen der NVA. Das Politbüro fasste am 1. März einen Beschluss mit Maßnahmen gegen die Handreichung, deren Urheber man in einigen Kirchenvertretern in der DDR vermutete, „die unter dem Druck der westdeutschen Militärkirche stehen oder abso65 Entwurf eines Schreibens von Stolpe an Jänicke, 4.1.1965 (EZA BERLIN, 102/11). 66 Niederschrift über die Sitzung der KKL in der DDR am 1.7.1965 (EBD.). 67 KJ 93, 1966, S. 257. In der DDR wurde die Handreichung nicht veröffentlicht.

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lute pazifistische Anschauungen vertreten“68. Die KKL sollte aufgefordert werden, die Handreichung aufzuheben und zurückzuziehen. Im Falle einer Weigerung wollte man mit einer inszenierten „Protestkampagne“ auf die einzelnen Kirchenleitungen Druck ausüben. Im Beisein von Mitzenheim teilte Staatssekretär Seigewasser am 8. März Krummacher die Position des Staates mit: Die Handreichung müsse zurückgenommen und dürfe auf keinen Fall auf der EKD-Teilsynode in Potsdam-Babelsberg behandelt werden69. Im letzten Punkt gab die Kirche der staatlichen Forderung nach; die Handreichung wurde zumindest nicht explizit auf der Synode verhandelt. Krummacher sprach in seinem Bericht vor der Synode lediglich davon, dass man sich im Berichtsjahr auch der Seelsorge an den Wehrpflichtigen angenommen habe. Er erwähnte die verschiedenen „vor einem christlichen Gewissen verantwortbare[n] Möglichkeiten, den Dienst mit der Waffe als Christ zu leisten oder ihn zu verweigern bzw. als Bausoldat ohne Waffe im Rahmen der Armee Dienst zu tun“, ohne sie zu bewerten. Ausdrücklich verwies er auf die Aussage von Scharf in dessen Bericht hin, dass das Eintreten für die Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen zur Pflicht der Kirche gehöre, und dass es sich dabei um einen Dienst am Frieden handle70. Auf die Forderung, die Handreichung zurückzuziehen bzw. umzuarbeiten, reagierte die KKL mit einer Erklärung vom 1. April 1966, mit der sie eine „Mißdeutung“ des Textes ausschließen wollte71. Es hieß darin, die Handreichung bedeute keine politische Stellungnahme zur „Friedenspolitik“ der DDR, sondern sei ausschließlich zu seelsorgerlichem Gebrauch bestimmt72. Sie wolle keine Wertungen zwischen Wehrdienstleistenden, Bausoldaten und Totalverweigerern treffen, sondern zu einem „christlichen Friedenszeugnis“ helfen. Trotz dieser Erklärung wurde von Staatsseite weiterhin das Zurückziehen der Handreichung gefordert73. Besonderen Anstoß nahm Seigewasser daran, dass es zur Wehrdienstfrage keinen entsprechenden Text der westdeutschen Gliedkirchen gab. Er erklärte diese Tatsache gegenüber Krummacher damit, „daß die Bonner Regierung es den Kirchen verbietet, ein solches Dokument zu verfassen und den Geistlichen in die Hand zu geben.“74 Auf die Forderung, die Handreichung zurückzunehmen, antworteten die Bischöfe, mit Ausnahme Mitzenheims75, dem Staatssekretär am 29. Juni mit der erneuten Versicherung, dass der Text allein das seelsorgerliche Anliegen verfolge, jungen Christen zu helfen, ihre Entscheidung in der Frage des Wehrdienstes „im Gehorsam des Glaubens“ und nicht aus „unlauteren Motiven“ zu treffen. 68 Abdruck eines Protokollauszugs sowie der Anlage Nr. 4 in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 462–470, hier S. 465. 69 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 599. 70 BERLIN 1966, S. 29. 71 Niederschrift über die Sitzung der KKL am 1.4.1966 (EZA BERLIN, 102/11). 72 EBD. Die Erklärung wurde allen kirchlichen Empfängern der Handreichung sowie dem StfK zugeleitet. 73 Vermerk über eine Aussprache des StfK mit Bischof Krummacher zur Frage der Zurückziehung der Handreichung „Zum Friedensdienst der Kirche“ am 6.6.1966 (BStU BERLIN, MfS AP 11318/92). 74 EBD. 75 Das schriftliche Votum der thüringischen Kirchenleitung befindet sich im EZA BERLIN, 102/11.

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Die Handreichung bejahe die „Möglichkeit verschiedener Gewissensentscheidungen“76. Nichtsdestotrotz enthielt die Handreichung eine Bevorzugung der Wehrdienstverweigerung „als deutlicheres Zeugnis des gegenwärtigen Friedensgebots unseres Herrn“. Mit dieser Auffassung provozierten die ostdeutschen Kirchen nicht allein den SED-Staat, der den Dienst in der NVA als „Friedensdienst“ propagierte, sondern brachten sich auch in einen Gegensatz zu den westdeutschen Gliedkirchen der EKD. Deren Synodalen entschieden sich auf ihrer Arbeitstagung vom 8. bis 10. November 1965 ohne Wissen über Existenz und Inhalt der ostdeutschen Handreichung dafür, sowohl die Wehrdienstleistung als auch Wehrdienstverweigerung als Möglichkeiten christlicher Gewissensentscheidung zu werten77. Damit erkannten sie die Wehrdienstverweigerung als vollgültige christliche Entscheidung an, räumten ihr aber gegenüber dem Wehrdienst nicht den Vorrang ein. Folgerichtig beschloss der Rat der EKD im August 1966, dass eine Veröffentlichung der ostdeutschen Handreichung zur Friedensfrage von kirchlicher Seite unterbleiben sollte, da sie keine „EKD-offizielle Auffassung“ enthalte78. Er plante aber auch keine „die ganze EKD umfassende Erklärung zum gleichen Thema“. Stattdessen sollte die Jugendkammer ihre Ausarbeitung zu Fragen des Wehrdienstes und der Seelsorge an den betreffenden Personengruppen in der Bundesrepublik vorlegen. Wie von den Synodalen auf ihrer Arbeitstagung im November vorgeschlagen79, hatte sich der Rat bereits Ende Dezember 1965 an die Jugendkammer mit der Bitte gewandt, ihm eine Handreichung für Pfarrer, Jugendleiter und Religionslehrer in der Bundesrepublik zu erstellen, die als Grundlage für die Gewissensberatung junger Männer in der Wehrdienstfrage dienen sollte80. Damals äußerte der Ratsvorsitzende Scharf den Wunsch, die gesamtkirchliche Verbundenheit durch eine Anlehnung der westdeutschen an die ostdeutsche Handreichung zum Ausdruck zu bringen81. Im Oktober 1966 beauftragten dann die Ratsmitglieder aus beiden deutschen Teilstaaten die Kammer für öffentliche Verantwortung, auf der Grundlage des Entwurfs des Jugendkammer-Ausschusses82 einen Text zu erarbeiten, der von beiden Seiten verantwortet werden konnte83. In der Kammer für öffentliche Verantwortung beschäftigte sich bereits seit Juli 1966 ein theologischer Ausschuss in gesamtdeutscher Runde mit Fragen der Kriegs- und Friedensethik. Zur Einführung in das Thema hatte Heino Falcke unter dem Titel „Die 76 Brief der Bischöfe bzw. Bischofsvertreter mit Ausnahme Mitzenheims an den StfK, 29.6.1966 (EZA BERLIN, 102/11). 77 ARBEITSTAGUNG Frankfurt 1965, S. 194f. 78 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates am 18./19.8.1966 (EZA BERLIN, 4/496). 79 ARBEITSTAGUNG Frankfurt 1965, S. 195. 80 Vgl. Protokoll über die Sitzung des Redaktionskreises „Handreichung für Wehrpflichtige“ der AGEJD am 26.5.1966 (Aaej HANNOVER, GKR 1). 81 EBD. 82 Der Entwurf vom 6.10.1966 befindet sich im EZA BERLIN, 2/1362. 83 Niederschrift über die Begegnung (EZA BERLIN, 104/43).

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ethischen Fragen des Krieges“ eine theologische Interpretation der ostdeutschen Handreichung gegeben84. Auf ihrer Sitzung am 20. Oktober in Ost- und West-Berlin85 kamen die Kammermitglieder dann zu dem Schluss, dass nicht damit zu rechnen sei, dass die in der Bundesrepublik erarbeitete „Handreichung für Seelsorge an Wehrpflichtigen“ in wesentlichen Punkten das Gleiche aussagen würde wie die Handreichung in der DDR. Darum hielten sie es für geboten, diese nicht herauszugeben, um die Lage der Kirchen in der DDR nicht weiter zu verschlechtern. Es erschien den Kammermitgliedern angesichts des theologischen Diskussionsstandes in und zwischen Ost- und Westdeutschland auch weder politisch ratsam noch praktisch möglich, eine EKD-Handreichung zu erstellen. Denn, so die ostdeutschen Kammermitglieder, eine EKD-Handreichung müsste auf jeden Fall „die theologische Identität mit der DDR-Handreichung“ wahren, was jedoch angesichts der tatsächlichen Diskussionslage nicht möglich war. Die Kammer empfahl dem Rat, das Ergebnis ihrer Arbeit zu „Kriegsverhütung und Friedenssicherung“ abzuwarten. Erst im Rahmen der noch zu leistenden Klärung von kriegsethischen Grundfragen könne ein fundierter Vorschlag für eine Handreichung für Wehrdienstpflichtige gemacht werden. Der Rat folgte dieser Empfehlung86 und stellte sich damit gegen den früheren Wunsch des Vorsitzenden der KKL, Bischof Krummacher, die schwierige Situation in der DDR, wie sie durch die Handreichung entstanden war, dadurch zu erleichtern, dass die EKD eine entsprechende Handreichung veröffentlichte. Allerdings hatten Ende des Jahres 1966 die öffentlichen Angriffe gegen die Kirchen in der DDR auch bereits ihren Höhepunkt überschritten. Die Handreichung „Zum Friedensdienst der Kirche“ und ihre Entscheidung für die Wehrdienstverweigerung als „deutlicheres Zeichen“ war getragen von einer Friedensethik, die sich auch aus ökumenischen Einflüssen speiste87. Die Entwicklung der Atombombe und die atomare Rüstung hatten nach Ansicht der Verfasser einem rein nationalstaatlichen Denken in der politischen Ethik ein Ende gesetzt. Jeder von dieser Entwicklung mitbetroffene Staat könne nur noch zusammen mit seinem Gegner leben. Die bewaffnete Auseinandersetzung habe in diesem Raum aufgehört, ein mögliches Mittel der Politik zu sein. Es gebe kein Gut mehr, das einen solchen Wert besitze, dass ein Krieg riskiert werden dürfe, seien es Recht und Freiheit im Westen oder die „sozialistischen Errungenschaften“ im Osten, so die Aussage der Handreichung, die damit der Freiheit keinen höheren Wert (mehr) zubilligte88. Angesichts des internationalen Friedens als „höchste[m] Gut“, war auch das Vaterland kein absoluter Wert mehr:

84 Der Text des Referates befindet sich im EZA BERLIN, 2/1357. 85 Vgl. hierzu Aktenvermerk Behms über die Sitzung der KföV am 20.10.1966 (EZA BERLIN, 2/1357); Wilkens an Raiser, 18.11.1966 (EBD.); Raiser an Scharf, 21.11.1966 (EZA BERLIN, 2/1363). 86 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 30./31.11.1966 (EZA BERLIN, 2/1377). 87 Zum Gedankengang der Handreichung vgl: D. POLLACK, Kirche, S. 196f. und T. FRIEBEL, Kirche, S. 474ff. 88 KJ 93, 1966, S. 253f. und S. 257.

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„Das Vaterland bzw. die Nation hat aufgehört, ‚heilig‘ und ‚höchstes Gut‘ zu sein, das mit allen Mitteln, und sei es im Krieg unter Einsatz des Lebens, zu verteidigen ist. Heute ist der internationale Friede als ‚höchstes Gut‘ zu schützen. Friede ist zum Leitbegriff und Maßstab politischen Handelns geworden, und zwar genau an der Stelle, an welcher im nationalstaatlichen Denken das Vaterland stand.“89

Christliches Friedenszeugnis nehme Begriffen wie „Vaterland“, „Nation“ und „‚Verteidigung‘ von Errungenschaften und Freiheiten“ ihren „ideologischen Gehalt“ und forme sie zu Gütern um, die „von einzelnen Völkern und Kraftgruppen in die von allen gemeinsam zu gestaltende internationale Friedensordnung eingebracht und in ihren Dienst gestellt werden.“90 Für diese internationale Friedensordnung, die das überkommene, am Nationalstaat oder an ideologischen Blöcken orientierte Machtdenken ablöse, müsse sich christlicher Friedensdienst heute einsetzen91. Mit dieser Neubewertung bzw. Relativierung von Volk, Nation und Vaterland im Zeichen einer neuen Friedensethik setzten sich die ostdeutschen Kirchenvertreter nicht nur von der nationalprotestantischen Vergangenheit ab, sondern auch von aktuellen Entwicklungen innerhalb der DDR. Denn der SED-Staat befand sich Mitte der sechziger Jahre in einer Phase „gesteigerter psychologischer Rüstung“92, in der sich Partei- und Staatsvertreter bemühten, unter der Bevölkerung eine rein emotionale Bindung an die DDR als „sozialistisches Vaterland“ mit der entsprechenden Hasspropaganda gegen deklarierte Vaterlandsfeinde, insbesondere die Bundesrepublik, zu aktivieren. Jede Diskussion über die Frage, ob Beteiligung an der militärischen Stärkung des Vaterlandes wirklich mit dem Friedensziel vereinbar war, galt hier bereits als objektive Kriegsvorbereitung. Die Abteilung Kirchenfragen der Ost-CDU, die dem Vorsitzenden Gerald Götting direkt unterstellt war93, hielt es daher für notwendig, dass 1966 in den Arbeitsgruppen vor allem die Themen „nationale Mitverantwortung“, „Überlegenheit der DDR“, „sozialistischer Patriotismus“ und „Friedens- und Verteidigungspolitik unserer Republik“ diskutiert wurden94. Zu diesen Themen sprach Götting unter dem Titel „Das bewußte Mitwirken der Christen bei der Verteidigung unserer sozialistischen Heimat“ am 30. September auf einer von dem Nationalrat der Nationalen Front gehaltenen Veranstaltung für junge Christen in Zwickau95. Die anwesenden Jugendlichen antworteten ihm in einer Erklärung: „Wir jungen Christen, Wehrpflichtige, Angehörige der Nationalen Volksarmee und Reservisten, bekunden unsere tiefe Liebe zu unserem sozialistischen Vaterland und unsere allseitige Bereitschaft, es mit allen Mitteln vor einer imperialistischen Aggression zu bewahren.“96 89 EBD., S. 253. 90 EBD., S. 257. 91 EBD., S. 252. 92 R. Henkys: Die Kirchenpolitik der DDR wird umorientiert. Manuskript vom 11.7.1966 (PARH). 93 Zu Struktur und Aufgaben der Abteilung vgl. H. WENTKER, Abteilung. 94 Jahresbilanz der Abteilung Kirchenfragen vom 29.12.1965 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII/013/2142). 95 „Wehrdienst – Friedensdienst. Gerald Götting vor jungen Christen in Zwickau“. In: NZ, 1.10.1966, S. 1. 96 „Bereit zur Verteidigung. Junge Christen bekennen sich zum Dienst in der NVA“. In: NZ, 2.10.1966, S. 1.

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4.1.2 Die Diskussion um Volk, Nation und Vaterland im bundesdeutschen Protestantismus Während sich die ostdeutschen Kirchenvertreter in ihrer Handreichung sowohl gegen eine nationalprotestantische Vergangenheit als auch gegen die aktuellen Versuche zur Herausbildung eines aggressiven DDR-Patriotismus wandten, fand zur gleichen Zeit im westdeutschen Protestantismus eine breite Diskussion um Volk, Nation und Vaterland sowie das Verhältnis von Glaube und Kirche zu ihnen statt. Die Ostdenkschrift und die Debatte um Schuld und Versöhnung wurden zu Katalysatoren der dabei im Mehrheitsprotestantismus vollzogenen Neubestimmung des Nationalen. Denn die Frage des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und ihren moralischen und territorialen Folgen war zentral für die Formulierung normativer Vorstellungen nationaler Identität im Nachkriegsdeutschland. Die Anfänge der Auseinandersetzungen um den Stellenwert des „Vaterlandes“ liegen jedoch in der Zeit vor der Denkschrift. Dabei handelte es sich um zwei Diskussionsstränge, die miteinander verwoben waren: die politische Diskussion über die Bedeutung von Volk und Nation für die Deutschen und ihr politisches Bewusstsein einerseits und der innerprotestantische Streit um eine Wiederaufwertung der Ordnungsgröße Vaterland in der evangelischen Kirche andererseits. Am 17. Juni 1962 hielt Helmut Thielicke eine viel beachtete Rede im Bundestag97. Darin stellte er die Frage, ob die westliche und damit auch die westdeutsche Demokratie nicht an einem inneren Substanzverlust leiden würde: „Wer von uns aber singt dieses Hallelujah für die Idee der Freiheit, die doch unsere einzige wirkliche Aktiv-Legitimation gegenüber dem Osten sein soll?“98 Er kritisierte die Abstraktheit und Rationalität des bundesrepublikanischen Demokratieverständnisses, in dessen Rahmen es kaum noch Raum für einen Begriff wie „Vaterland“ und für nationale Symbole gebe. Der Missbrauch des Nationalen durch die Nationalsozialisten aber dürfe nicht dazu führen, die Nation selbst aus dem Bewusstsein zu bannen. Thielicke forderte daher, dass sich die Deutschen von den „neurotischen Bindungen an unsere jüngste Vergangenheit frei“ machten99. Er plädierte für die Wiederentdeckung des „Vaterlandes“ und der „Liebe“ zu ihm. Der systematische Theologe, der während der NS-Zeit eine Theologie der Schöpfungsordnungen vertreten und dennoch eine Verabsolutierung des eigenen Volkes abgelehnt hatte, war der Auffassung, ohne das „Vaterland“ könne es keine affektive Bindung an den Staat geben. Diese hielt er aber für unabdingbar: „Eines dürfte feststehen: Ich kann solange kein inneres Verhältnis zu meinem Staate haben, wie er mir nicht die organisatorische Form für dieses mein Vaterland ist. Das so unmodern gewordene Wort ‚Vaterland‘ aber umschließt, ohne daß es nationalistisch zu entarten

97 DEUTSCHLAND, S. 9–29. Vgl. auch H. THIELICKE, Gast, S. 375ff. 98 DEUTSCHLAND, S. 17. 99 EBD., S. 24.

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braucht, die ganze Fülle dessen, was ich in dieser Welt liebe: Vater, Mutter und Freunde, Weib und Kind, den Raum meiner Heimat und den Hintergrund meiner Geschichte. [. . .] Wenn unser Staat nicht als die politische Gestalt dieses unseres Vaterlandes und auch des Vaterlandes unserer abgetrennten Brüder in den Herzen verankert wird, bleibt es bei Kühle und Distanz und dann auch bei jener blasierten Kritik, die wir alle kennen.“100

Insbesondere bei der Jugend sollte der bundesdeutsche „Staat in all seiner Vorläufigkeit“ emotional verankert werden. Thielicke sah auch eine Bereitschaft bei den Jugendlichen zu „Idealismus und Dienst“ vorliegen, sofern man ihnen nur die richtigen Ziele und Werte vor Augen führte. Dieser Appell an den „Idealismus“ der Jugend erfolgte in seiner Rede vor dem Hintergrund einer scharfen Gesellschafts- und Kulturkritik. Sie richtete sich vor allem gegen den vermeintlichen Gruppenegoismus der Gewerkschaften und den angeblichen Materialismus der Bundesbürger. Thielickes nationalkonservatives Plädoyer für die Rehabilitierung des Vaterlandes im Dienste des freiheitlichen Rechtsstaates fand viel positive, aber auch kritische Resonanz. 760 der bei Thielicke eingegangenen Zuschriften wurden 1964 von Ekkehard Othmer ausgewertet. Der Soziologe kam zu dem Ergebnis, dass die Briefeschreiber überwiegend Demokratie und Vaterland als Gegensätze empfanden101. In diese Polarität sah er auch den Freiheitsbegriff hineingezogen, der sich in eine nach außen gerichtete „vaterländische“ und eine nach innen gerichtete „demokratische Freiheit“ aufspaltete. Othmer erklärte diesen Gegensatz mit direkten und vermittelten historischen Erfahrungen: Vaterländisches Denken wurde mit Schuldgefühlen für die von Deutschen geführten Kriege verknüpft, und die Demokratie begann jeweils mit einer Niederlage, die Vorstellungen von Strafe und Sühne erzeugte. Das vergangene Symbol „Vaterland“ lebe in der Zukunft in dem Wunsch nach einem vereinigten Deutschland weiter, die gegenwärtige „Demokratie“ finde ihre Weiterentwicklung in der Verwirklichung eines vereinigten Europas. Die kommende Generation sollte nach Ansicht des Soziologen diesen Gegensatz überwinden und ein „demokratisches Vaterland“ oder eine „vaterländische Demokratie“ schaffen, in denen sich emotionale Bindung und rationales Denken ergänzten. „Nationale Einstellung“ und „demokratische Gesinnung“ sollten „unter Verzicht auf die Betonung der Extreme zur Einheit werden.“102 Eine weitere Demokratisierung der bundesdeutschen Gesellschaft wurde bei dieser Zielvorgabe weder gefordert noch gefördert, was auch bei Thielicke nicht der Fall war. Zwischen 1962 und 1965 schrieb Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier mehrere Reden und Aufsätze, die alle um das Thema Nationalbewusstsein kreisten. Zum 17. Juni 1965 veröffentlichte er diese Texte in überarbeiteter Fassung unter dem Titel „Neuer Nationalismus?“ Er klagte darin über die seit 1945 andauernde Unterbewertung der Nation infolge der nationalsozialistischen Hypertrophie des Nationalismus. Jenseits von Wohlstandsdenken und Konsumorientierung glaubte er nun aber bei den Bundesbürgern ein Bedürfnis „nach einer neuen inneren Orientierung, nach einem 100 EBD., S. 22f. 101 DEUTSCHLAND, S. 33–111. 102 EBD., S. 109f.

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geklärten nationalen Bewußtsein der Deutschen“ zu entdecken103. In ihm meldete sich nach Ansicht des Bundestagspräsidenten die Erkenntnis, dass die Deutschen, wenn sie sich als eine Nation „behaupten“ wollten, wieder wissen müssten, wer sie seien und was sie wollten. Das neue nationale Selbstbewusstsein dürfe aber nicht „ungeklärte Gefühlslagen“ stilisieren, sondern müsse die „geistige und charakterliche Grundlage“ der staatlichen Selbstgestaltung der Deutschen, der Einheit der Nation und ihrer Orientierung in der Weltpolitik liefern. Ob die Deutschen eine solche eigene, gewissenhaft verantwortete Orientierung zustande und zur Wirkung brächten, entschied nach Gerstenmaier darüber, ob sie eine „geschichtsfähige Nation“ blieben. Könnten sie das nicht leisten, würden sie zu einem zwar gut funktionierenden, aber geschichtlich und national unbedeutenden „Ausschnitt einer europäischen Konsumgesellschaft oder zu einem provinziellen Anhängsel der amerikanischen Industriegesellschaft“ werden104. Bei „einer solchen Bewußtseinslage“ könne es dann auch eine deutsche Wiedervereinigung und „damit die natürliche und gebotene Selbstdarstellung der Deutschen als Nation“ nicht mehr geben. Denn nur bei einer Stärkung historischer und kultureller deutscher Identität konnte nach Gerstenmaier der Wille zur politischen Einheit aufrechterhalten werden, wobei die Wiedervereinigung für ihn noch ein völlig selbstverständliches Ziel war. Hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung und Zielsetzung des neuen Nationalbewusstseins blieb Gerstenmaier etwas vage. Aus der Gesamtheit der Reden und Aufsätze ergab sich jedoch folgendes Bild: Bestand haben sollte die Orientierung der deutschen Politik der Nachkriegszeit an der Rang- und Werteordnung: Freiheit, Frieden, Einheit105 – eine Reihenfolge, die zu derjenigen, wie sie die ostdeutsche Handreichung „Zum Friedensdienst der Kirche“ enthielt, in deutlichem Widerspruch stand. Beibehalten werden sollte ebenfalls die Hinwendung zum Gedanken der europäischen Einigung, jedoch unter Wahrung der „nationalen Individualität“106. Neu war das Ziel, „das geteilte Deutschland neben Frankreich und England im gleichen Rang in der Weltpolitik zu etablieren.“107 Damit würde aber, so betonte Gerstenmaier, keine „nationale Prestigeposition angestrebt, sondern nur der politische Maßstab angesprochen, an dem wir uns und unsere Leistungen messen müssen, gleichgültig ob sie der Sache der Freiheit in der Welt, unserer nationalen Einheit oder der Neugestaltung Europas gelten.“108 Neu hinzukommen sollte ein positives Geschichtsverständnis. Im Übergang von den fünfziger zu den sechziger Jahren hatten Wissenschaftler und Publizisten in der Bundesrepublik eine Diskussion geführt, die sich um den „Verlust der Geschichte“ im Allgemeinen und die Abkoppelung des politischen Selbstverständnisses der Westdeutschen von der historischen Kontinuität im Besonderen drehte109. Vor diesem Hintergrund forderte Gerstenmaier, dass 103 104 105 106 107 108 109

E. GERSTENMAIER, Nationalismus, S. 6. EBD., S. 10. EBD., S. 40 und S. 90. EBD., S. 133. EBD., S. 136. EBD. Vgl. E. WOLFRUM, Geschichtspolitik, S. 222–225.

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wieder mit Nachdruck an die deutsche Geschichte angeschlossen und somit der Bundesrepublik neben der rechtsstaatlichen und demokratischen Legitimation auch eine historische Verankerung gegeben werde. Dazu mussten seiner Ansicht nach im Umgang mit der jüngsten Vergangenheit zwei Extreme vermieden werden: „Bußheroismus“ ebenso wie ein „kollektives Unschuldbekenntnis“110. Neben dem „dankbaren und kritischen Verhältnis zu unserer eigenen Geschichte“ sollte sich das neue Nationalbewusstsein aber vor allem in „der charakterbildende[n] und gewissensprägende[n] Kraft des Glaubens und der Tradition in unserem Volke“ gründen111. Denn, so Gerstenmaier, „ein Volk begreift seine Berufung, seinen geschichtlichen Auftrag und Sinn schließlich nur im Glauben.“112 Thielickes und Gerstenmaiers Ausführungen machen deutlich, dass der „neue Nationalismus“ vornehmlich auf zwei innere Entwicklungen reagierte: auf die kritische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit in Wissenschaft und Justiz sowie auf das wirtschaftliche Erstarken der Bundesrepublik, das in keinem Verhältnis zur Stärke ihrer politischen Position stand. Vor diesem Hintergrund wollten sie durch die Reaktivierung des Vaterlands als ideellen Wert ein neues Staats- und Nationsbewusstsein fördern, das ihrer Ansicht nach durch materielle Werte allein nicht zu vermitteln war. Um seine Vorstellung von einem „geklärten nationalen Bewußtsein“ der (West-) Deutschen umzusetzen, forderte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Gerstenmaier im März 1965 auf dem CDU-Parteitag seine Partei dazu auf, die „Bildung eines neuen Nationalbewußtseins der Deutschen“ „gewissenhaft“ zu pflegen113. Schon Ende Mai beschäftigte sich dann die Bundestagung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU unter dem Generalthema „Verantwortung für Deutschland“ damit, einen Mittelweg zwischen der Gefahr eines neu erstarkenden Nationalismus und einem Verzicht auf die Pflege nationaler Gemeinsamkeiten zu finden114. Der Mainzer Theologieprofessor Wolfhart Pannenberg betonte in seinem Vortrag, dass die nationalen Interessen aus der christlichen Hoffnung auf die kommende Friedensherrschaft Gottes heraus dem Bemühen um eine übernationale Rechts- und Friedensordnung untergeordnet werden müssten115. Aus der Hoffnung auf die kommende Herrschaft Gottes ließen sich nach Ansicht des Systematikers „konkrete Gesichtspunkte für die christliche politische Ethik gewinnen.“116 Wo hingegen die Reich-Gottes-Hoffnung von der politischen Gegenwart isoliert werde, überlasse man das Feld des politischen Denkens und Handelns anderen Kräften, wie beispielsweise dem Nationalismus. Die nationale Zusammengehörigkeit deutete Pannenberg positiv als eine unumgängliche Stufe zur größeren Gemeinschaft der Menschheit. Der Zusammenhang mit den übergeordne110 111 112 113 114 115 116

E. GERSTENMAIER, Nationalismus, S. 95. EBD. EBD., S. 93. Zitiert nach: W. HILL, Rauschen, S. 106. Vgl. Bericht darüber in: EW 19, 1965, S. 361. Vgl. auch W. PANNENBERG, Reich. EBD., S. 44.

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ten politischen Zielen der europäischen Einheit und des Weltfriedens bestimmte seiner Ansicht nach die Grenze zwischen der berechtigten Pflege nationaler Gemeinsamkeiten und abzulehnenden nationalistischen Übersteigerungen. Für die deutsche Politik folgerte Pannenberg daraus, dass es sich bei der Wiedervereinigung um eine berechtigte Forderung nach freier Selbstbestimmung handele, dass die Forderung nach Wiederherstellung der Grenzen von 1937 jedoch das Vertreten eines „ziemlich abstrakten nationalen Rechtsstandpunktes“ sei117. Das hartnäckige Festhalten an der „irrealen Forderung“ könnte zur Folge haben, dass auch die vielleicht noch erreichbare politische Einheit mit den Deutschen jenseits der Elbe für lange Zeit verspielt werde. An der westdeutschen Ostpolitik werde auf Dauer sichtbar werden, in welchem Maße die deutsche Politik bereit sei, nationale Belange in eine übergeordnete, gesamteuropäische Konzeption einzugliedern und den Forderungen der Menschlichkeit unterzuordnen. Die häufig geäußerte Meinung, den Deutschen fehle es heute an nationalem Selbstbewusstsein, hielt Pannenberg für zutreffend. Die Ursache für diesen Mangel sah er in der Ungeklärtheit der gegenwärtigen politischen Situation. Ein von nationalistischer Übersteigerung freies deutsches Nationalgefühl konnte sich seiner Auffassung nach erst dann entwickeln, wenn die Bundesdeutschen das Ergebnis des Krieges im ehemaligen Osten Deutschlands nicht länger aus ihrem politischen Bewusstsein verdrängten. Erst dann könnten die Deutschen das Wort Vaterland wieder in den Mund nehmen ohne die Sorge, sich damit auf unabsehbare Abenteuer einzulassen. Laut Pannenberg durfte das Vaterland aber nie mehr zur obersten Wertvorstellung des politischen Denkens und Handelns der Deutschen werden. Die Bundesrepublik sollte unbeirrt am Ziel einer europäischen Einheit festhalten, die über die Vorstellungen des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle von einem „Europa der Vaterländer“ hinausgehen müsste. Zugleich sollte sie ihren Teil zu einer künftigen, besseren Friedensordnung der Menschheit beitragen. Eine auf dieses universale Ziel gerichtete Politik, die der universalen Bestimmung des Menschen im Zusammenleben der Menschheit ebenso diente wie der Bildung ihrer eigenen Bürger zu wahrer Gleichheit und Freiheit, konnte sich nach Ansicht Pannenbergs darauf berufen, „ihre Kraft aus den besten Wurzeln christlicher Überlieferung zu ziehen.“118 Zudem würde sie auch den nationalen Bedürfnissen des deutschen Volkes vermutlich den besten Dienst erweisen. Der systematische Theologe erntete für seinen Vortrag Beifall, doch kam auch Kritik von den Verfechtern des „Rechts auf Heimat“. Das Gleiche galt für Hans Hermann Walz, der über „Deutschland als geistige Aufgabe“ sprach. Der Generalsekretär des DEKT wandte sich sowohl gegen die künstliche Reaktivierung eines spezifisch deutschen Selbstbewusstseins als auch gegen eine Glorifizierung der Nation oder eine metaphysische Verankerung nationaler Ideologien. Er sah für das „geistige Deutschland“ andere Aufgaben, die nicht nur im eigenen Land lagen. Heinz-Dietrich Wendland, der sich von 1965 an häufiger zum Thema Nation und Religion äußerte, brachte diese transnationale Ausrichtung auf den Nenner eines „pat117 EBD., S. 47. 118 EBD., S. 48.

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riotischen Weltbürgertums“119. Wendland hatte seit Mitte der zwanziger Jahre zu denen gehört, die von einer Ordnungstheologie her eine autoritäre und totalitäre Staatsauffassung vertreten hatten120. In seinen späteren sozialethischen Arbeiten kritisierte er jedoch die konservative Ordnungstheologie und wandte sich kritisch gegen jede Form des Nationalismus. Er betonte fortan die universale Ausrichtung der christlichen Ethik: Das universelle Liebesgebot rufe zur Fürsorge für die gesamte Menschheit und zur Zusammenarbeit zwischen den Nationen auf. Der Nationalismus erschwere gute Beziehungen der Nationen untereinander und bedrohe die Individualität des Einzelnen, sofern er von ihm die völlige Hingabe an die Nation verlange. Er unterliege der Gefahr, die geschichtlich begrenzte Wirklichkeit der Nation absolut zu setzen und zur Pseudo-Religion zu werden. Scharfe Kritik übte Wendland an einer nationalistisch gefärbten und verengten christlichen Ethik, der so genannten „Nationalstaatsethik“, welche die Nation als den Ort für die Bewährung christlicher Tugenden ansah. Nächstenliebe und Vaterlandsliebe würden dort miteinander vermischt und der alle nationalen Grenzen sprengende und überschreitende Charakter der Liebe zum Nächsten verdeckt. Wendland konzedierte aber auch, dass die alten und neuen Nationen eine geschichtliche Realität waren und in nächster Zukunft auch noch bleiben würden. Übernationale politische Ordnungen und Rechtsgefüge könnten sich nicht einfach über diese geschichtlichen Wirklichkeiten hinwegsetzen. Der Theologe befürwortete daher ein „patriotisches Weltbürgertum“. Der Einzelne sollte dem eigenen Volk und Land dienen und zugleich auch Weltbürger in der Weise sein, dass er sich mit allen Menschen, auch den Angehörigen anderer Rassen und Nationen, solidarisch zeigte. Das patriotische Weltbürgertum sehe in der eigenen Nation eine bedeutsame geschichtliche Größe, beschränke sie jedoch in ihrer Geltung darauf, Teil einer übernationalen Ordnung zu sein. Jede quasireligiöse Verabsolutierung der eigenen Nation werde damit zurückgewiesen. Mit dem Konzept des „patriotischen Weltbürgertums“ versuchte Wendland einen scharfen Trennstrich zwischen einem ethisch abzulehnenden Nationalismus und einem sittlich geforderten Nationalbewusstsein zu ziehen. Wendlands sozialethische Auseinandersetzung mit Nation und Nationalismus unter den Prämissen von Friedenssicherung und internationaler Solidarität war nicht allein von der deutschen Situation inspiriert worden, sondern auch von Entwicklungen in Afrika und Asien. Denn mit dem Prozess der Dekolonialisierung war das Problem des Nationalismus in neuer Gestalt wiedergekehrt und stellte auch die Ökumene vor neue Fragen. Wendland zeigte für diesen sich neu ausbildenden Nationalismus ein gewisses Verständnis, da sich dieser seiner Ansicht nach gegen alle Formen eines nationalistischen Imperialismus wandte, soziale Gegensätze und kulturelle Unterschiede überbrückte und die Ausbildung neuer politischer Einheiten ermöglichte. Der Theologe war sich jedoch bewusst, dass auch diese neuen Nationen mit der Universalität der christlichen Ethik in Konflikt gerieten, sobald sie die Interessen der eigenen Nation denen anderer vorordneten. 119 H.-D. WENDLAND, Nationalismus; vgl. auch DERS., Konstruktiver Nationalismus. 120 Vgl. K.-H. FIX, Universitätstheologie, S. 171–177.

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Diese internationale Dimension der Frage nach der Nation spielte auch immer wieder in die deutsche Diskussion hinein. Gerstenmaier etwa nahm polemisch auf sie Bezug, wenn er davon sprach, dass die Völkergemeinschaft es zwar durchgesetzt habe, dass auch der kleinste afrikanische Staat das Recht auf Selbstbestimmung erhielt, Deutschland aber dasselbe Recht noch immer verweigert werde121. Die Wahrung nationaler Interessen und die Ausbildung eines neuen Nationalbewusstseins waren auch Thema des Bundestagswahlkampfes im Frühjahr und Sommer 1965, und zwar quer durch alle Parteien. Diese parteienübergreifende Wiederbelebung einer nationalen Terminologie wurde von zeitgenössischen Beobachtern auf die Existenz der im November 1964 gegründeten rechtsradikalen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) zurückgeführt122. Eberhard Stammler vermutete hingegen in der „Jungen Stimme“ im Mai 1965 hinter der drohenden „neuen nationalen Welle“ den Druck der Heimatvertriebenenverbände. Daneben hegte er den Verdacht, dass die neue Wahlkampftaktik vor allem auf die jungen Wähler zielte123. Während man noch bis vor ein paar Jahren davon habe ausgehen können, so schrieb Stammler, dass gerade jungen Menschen jegliches nationale Pathos fernlag und sie mit Begriffen wie „Nation“ und „Vaterland“ nichts anfangen konnten, scheine sich nun ein grundlegender Wandel anzubahnen. Untersuchungen hätten ergeben, dass unter Jugendlichen in zunehmendem Maße das Bedürfnis nach Nationalstolz und vaterländischer Bindung entstehe124. Stammler, selbst Jahrgang 1915, zeigte sich von diesem Vorgang nicht überrascht und nannte zwei Ursachen für diesen Wandel: Zum einen besitze die Generation des Wirtschaftswunders keine eigenen Erfahrungen des deutschen Zusammenbruchs. Zum anderen lasse sich auf Dauer keine rein negative Haltung zu Volk und Nation durchhalten. Nach Stammler war die Bundesrepublik auf das innere Engagement ihrer Bürger angewiesen. Je mehr sie ihre Rolle in der Weltpolitik zu finden habe, desto weniger könne sie sich damit begnügen, nur als eine „anonyme Zweckorganisation“ verstanden zu werden. Der Journalist betrachtete es jedoch als eine Gefahr, dass die ältere Generation die jüngere für ihre nationalistischen Ideen in Anspruch nehmen könnte. Der Erlebnisschwerpunkt dieser Großvätergeneration lag in der Zeit vor dem Nationalsozialismus, in der sie überwiegend einem nationalkonservativen Denken verhaftet waren. Aus diesem Denken heraus hatten sie den großdeutschen Träumen Hitlers zugestimmt. Stammler befürchtete nun, dass trotz der Ernüchterung durch den Zusammenbruch und mancher Anpassungsleistung dieses alte Ordnungsdenken mit seinen patriarchalischen Vorstellungen noch immer in ihnen lebendig war. Er sah daher die Gegenwart bestimmt durch die politischen Bewusstseinslagen von drei Generationen: Auf der einen Seite standen die „restaurativen Kräfte“, die sich den nüchternen Forderungen des „modernen Zeitalters“ entzogen und sich in die Wunschwelt der Vergangenheit flüchteten, auf der an121 122 123 124

E. GERSTENMAIER, Nationalismus, S. 136. Vgl. A. LANGER, Nationalismus, S. 9. E. STAMMLER, Neue nationale Welle? In: Junge Stimme (Soldatenausgabe), 29.5.1965, S. 1. Vgl. hierzu die Untersuchung R. RAASCH, Zeitgeschichte.

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deren Seite rang eine mittlere Generation, der er selbst angehörte und deren zentrale Lebenserfahrung der Zusammenbruch von 1945 war, um den Bestand der freiheitlichen Lebensordnung, um das „Wagnis der Demokratie“. Dazwischen stand die junge Generation, die von dem Erlebnis des deutschen Zusammenbruchs nicht mehr berührt wurde. Diese junge Generation wollte auch die Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP für eine neue Bindung an das „Vaterland“ gewinnen. Eine solche Absicht enthielt zweifelsohne der Bericht der Bundesregierung über die Lage der Jugend vom 14. Juni 1965, der seine Kritiker dazu veranlasste, die Regierung an die „demokratische und weltbürgerliche Tendenz der modernen Gesellschaft“ zu erinnern125. Um der Frage nachzugehen, ob die Jugendlichen tatsächlich ein verstärktes nationales Empfinden und Handeln in der Bundesrepublik wünschten, unternahm die Soldatenausgabe der „Jungen Stimme“ im Oktober 1965 eine Umfrage unter ihren Lesern126. Die Auswertung der eingegangenen 500 Fragebögen erbrachte folgendes Ergebnis127: – Auf die Frage, ob die erste Strophe des Deutschlandliedes wieder Nationalhymne werden solle, antworteten 81 % der Befragten mit Nein, 19 % mit Ja;

– auf die Frage, ob man die Bundesrepublik Deutschland als sein „Vaterland“ bezeichnen könne, hielten 25 % den Begriff „Vaterland“ für überholt, 24 % antworteten mit Ja, und 50 % hielten den Begriff nur für Gesamtdeutschland zutreffend; – auf die Frage, ob das vorherrschende Bild der jüngsten deutschen Geschichte richtig sei, antworteten 67 % mit oder ohne Einschränkungen mit Ja, 15 % wünschten vor allem in der Schuldfrage eine gleichmäßigere Belastung aller Beteiligten, sprachen sich aber entschieden für Versöhnung und gegen ein Aufrechnen in dieser Sache aus, 18 % forderten eine radikale Überprüfung des Geschichtsbildes, wobei sich eine weitgehende Entlastung Deutschlands ergeben sollte; – auf die vierte Frage, ob die Bundesrepublik in ihrer Politik energischer die nationalen Interessen Deutschlands vertreten solle, antworteten 60 % mit Nein, weil sie allein die Verständigungs- und Bündnispolitik für sinnvoll hielten, 14 % wünschten eine stärkere Berücksichtigung der nationalen Belange, die aber nicht auf Kosten der Bündnis- und Verständigungspolitik gehen dürfe, und immerhin noch 26 % waren für eine entschieden nationale Interessenspolitik; – auf die letzte Frage, ob das „Vaterland“ heute von seinen Bürgern Opfer und Engagement fordern könne, antworteten 4 % mit Nein, z. T. weil sie den Begriff „Vaterland“ grundsätzlich ablehnten, 25 % mit Ja ohne Vorbehalte, 71 % hielten Engagement und Opfer für notwendig, jedoch nur in einem demokratischen Staat, der die Rechte der Bürger respektierte.

Das Ergebnis der Umfrage kann nicht verallgemeinert werden, da es sich nicht um eine demoskopische Untersuchung handelte. Vermutlich antworteten nur die besonders politisch interessierten Leser. Zumindest unter diesen war indes keine „Wieder125 Vgl. hierzu Jugendbericht-Aspekte. In: Junge Stimme, 10.7.1965 sowie H. GIESECKE, Denken, S. 29. 126 Vor der Wiedergeburt des deutschen Nationalismus? In: Junge Stimme (Soldatenausgabe), 30.10.1965, S. 8. 127 Auswertung in der Jungen Stimme (Soldatenausgabe), 15.1.1966, S. 6f.

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geburt des deutschen Nationalismus in der jüngeren Generation“ zu erkennen. Vielmehr legte die Mehrheit der Zuschriften ein klares Bekenntnis zum demokratischen Rechtsstaat und zur internationalen Entspannungspolitik ab. Immerhin rund 25 % hatten allerdings betont national argumentiert. Der Chefredakteur der „Jungen Stimme“, Heinz-Georg Binder, lehnte in seinem Kommentar der Umfrageergebnisse auch im Namen seiner Redaktion eine Rückkehr zu den doch überwiegend irrational begründeten „nationalen Werten“ als Leitvorstellungen für die Politik angesichts der aktuellen Weltprobleme als unzeitgemäß ab. Damit wollte er sich aber nicht gegen ein „maßvolles Nationalbewußtsein“ und gegen die einfache Erkenntnis aussprechen, dass jede Regierung zunächst einmal nationale Interessen zu vertreten habe. Der 36jährige Binder und seine Redaktion appellierten jedoch, die Einsicht nicht wieder aufzugeben, die viele ihrer Generation für die Politik John F. Kennedys eingenommen habe: dass die Probleme der Zeit nur durch den Zugriff der kritischen Vernunft zu bewältigen seien, und dass die aktuelle Weltpolitik von der Grundtatsache der „Interdependenz“, der gegenseitigen Abhängigkeit aller Staaten ausgehen müsse128. Auch hielten sie eine Einigung Europas über das System der Nationalstaaten hinaus für längst überfällig. Eine wirkliche Einflussnahme rechtsradikaler Gruppen in der Bundesrepublik hielten Binder und seine Redaktionskollegen in Zukunft nur für denkbar, wenn „stimmungsmäßig“ dafür die Voraussetzungen geschaffen würden. Daher zeigten sie sich „geradezu allergisch“ gegenüber allzu betonten nationalen Empfindungen. Ähnlich wie in der Redaktion der „Jungen Stimme“ war auch die Einstellung der im Deutschen Bundesjugendring zusammengeschlossenen Jugendverbände und Landesjugendringe. Auf Antrag der AGEJD und drei weiterer Verbände wurde auf der 32. Vollversammlung des DBJR im April 1966 eine Entschließung verabschiedet, in der man der Sorge über die Sammlungsbestrebungen nationalistischer Kräfte in der Bundesrepublik, die Teilerfolge der NPD und die Entwicklung der rechtsextremen Publikationsorgane Ausdruck gab129. Die Jugendvertreter forderten die demokratischen Parteien dazu auf, zu verhindern, dass nationalistische Kräfte in der Bundesrepublik „noch einmal salonfähig“ wurden. Sie baten alle verantwortlichen Persönlichkeiten und Organisationen, den Appell an die politische Vernunft höher zu stellen als die Weckung von Emotionen, die dem Engagement der Bürger für die Demokratie hinderlich waren. Es müsse dafür gesorgt werden, dass die Jugend in der Bundesrepublik keine nationalistischen Vorstellungen übernehme und ihr Wille zur verantwortlichen Mitarbeit an der Demokratie gestärkt werde. Die Klärung der Begriffe Heimat, Volk, Nation und Vaterland könne nicht durch den Appell an nationale Gefühle und Vorurteile ersetzt werden. Die Frage nach der Nation und den Gefahren des Nationalismus erreichte im Sommer 1966 auch die evangelischen Akademien. Auf Anregung von Hanns Lilje veranstaltete Ende Juni die Loccumer Akademie eine Tagung, auf der Politiker und Wissenschaft128 Zur Deutschlandpolitik Kennedys vgl.: A.W. SCHERTZ, Deutschlandpolitik. 129 Abdruck in: Deutscher Bundesjugendring. Jahrbuch 1966, Dokumentation, S. 2f.

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ler darüber reflektierten, wie die deutsche Politik das Interesse des Volkes vertreten und gleichzeitig der Entspannung und dem Frieden in der Welt dienen könne130. Dabei kamen sie zu unterschiedlichen Lösungsansätzen. Der französische Publizist deutscher Abstammung Alfred Grosser forderte in seinem Eingangsreferat die Westdeutschen dazu auf, ihre unbewältigten Probleme der Gegenwart anzugehen, insbesondere die Frage der Oder-Neiße-Linie131. Da die junge Generation nach den Begriffen Nation, Nationalgefühl und Nationalbewusstsein frage, hielt der Darmstädter Historiker Karl Otmar Freiherr von Aretin eine dauerhafte kritische Distanzierung vom Nationbegriff alter Prägung für unabdingbar132. Der alte Nationbegriff stand nach Aretin für eine Abgrenzung nach außen, für das Pochen auf nationale Rechte und die Vernachlässigung der Freiheit im Inneren. Nur mit dem Wissen um die ganze deutsche Geschichte könne ein neuer Nationbegriff entwickelt werden, der auf eine „innerlich freie Nation“ ziele, die in freier Auseinandersetzung mit anderen freien Völkern ihren eigenen Platz finde. Der Göttinger Soziologe Helmuth Plessner benannte in seinem Referat die Konsequenzen anstehender bzw. anvisierter Veränderungen in der deutschen Politik für den deutschen Nationalgedanken133. Er plädierte für eine Anerkennung der Zweistaatlichkeit und gegen eine Föderation. Die beiden deutschen Staaten würden sich ihrer nationalen Gemeinsamkeit bewusster, nachhaltiger und wirksamer erinnern, wenn der staatliche Gesamtvertretungsanspruch der Bundesrepublik erlösche, so Plessner. Die Westdeutschen sollten ihre eigene Staatsauffassung in der Weise der Einheit der Nation unterordnen, dass sie im Rahmen der Nation Raum für zwei Staatsauffassungen gewährten, nicht aber im Rahmen eines Staates. In diesem Lösungsansatz kombinierte der Soziologe den gesamtdeutschen Nationbegriff – der jedoch im Sinne einer Kulturnation auf seine historisch-kulturellen Bestandteile reduziert wurde – mit der Eigenstaatlichkeit der beiden deutschen Staaten. Der Minister für Familien- und Jugendfragen Bruno Heck (CDU) beschäftigte sich auf der Tagung mit der Frage nach dem Verhältnis von Nation und Demokratie in Deutschland134. Als Zielvorgabe nannte er, dass die Deutschen Demokratie als Lebensform der Nation verstehen und erfahren lernen müssten. Seine eigenen Vorstellungen von einem neuen deutschen Nationalbewusstsein bestanden jedoch noch aus einer ungeklärten Gemengelage von traditionellem, gesamtdeutschem Nationalgefühl und bundesdeutschem Patriotismus. Hier forderten die beiden Protestanten Eberhard Stammler und Kurt Sontheimer gemeinsam mit dem Katholiken Hans Heigert eine klare Scheidung. In ihrem 1966 erschienenen Buch „Sehnsucht nach der Nation?“ plädierten sie gegen die Reaktivierung eines traditionellen Nationsverständnisses, da es zu einer friedensgefährdenden Aktivierung nationalistischer Ansprüche führen könne135. Sontheimer, Professor für

130 131 132 133 134 135

Die Beiträge sind abgedruckt in: H. V. BOLEWSKI, Nation. A. GROSSER, Entwicklung, S. 24f. K. O. von ARETIN, Notwendigkeit, S. 26. H. PLESSNER, Nationbegriff. B. HECK, Nation. Ähnlich auch A. LANGER, Nationalismus.

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Politik in München, kritisierte das Motto vom „Ende der Nachkriegszeit“, wie es Bundeskanzler Erhard in seiner Regierungserklärung am 10. November 1965 verkündet hatte, und sah in ihm den Ausdruck eines „neuen Nationalismus“ des konservativen Lagers136. Ziel dieser Bestrebungen sei ein neues politisches Selbstbewusstsein der Deutschen, frei von den Schatten der Vergangenheit. Dafür werde die Stunde Null der jungen Generation der „historisch Unbelasteten“ konstruiert137. Der neue Nationalismus entspringe aus einem Gefühl des Überdrusses an der durch den Nationalsozialismus erlittenen Herabminderung alles Nationalen. Er stelle zwar Schuld und Irrtum der deutschen Nation in Rechnung und passe sich den Gegebenheiten der Nachkriegsordnung an, doch seine Wurzeln seien der traditionelle deutsche Nationalismus. Das Nationale werde dem Demokratisch-Liberalen übergestülpt, anstatt die Demokratie selber zur nationalen Sache zu machen. Gerstenmaier und andere würden „das Vaterländische für den unerläßlichen Kitt in den Fugen des demokratischen Pluralismus“ halten138. Im Windschatten dieses neuen Nationalismus aber segle der Rechtsradikalismus; er könne nicht, so Sontheimer, mit einem gemäßigten Nationalismus neutralisiert und unschädlich gemacht werden, sondern nur durch einen demokratischen Radikalismus bekämpft werden. Anstelle eines neuen, gesamtdeutschen Nationalbewusstseins mit alten Zügen plädierte der Politologe für eine Art bundesdeutschen Verfassungspatriotismus: „Unser erstes nationales Ziel muß es sein, die Bürger der Bundesrepublik voll und ganz mit der demokratischen Lebensform, mit der Demokratie als einer Regierungsform der Freiheit und der Diskussion zu versöhnen. Das vitale Interesse an der freiheitlichen Verfassung muß die politische Grundlage unserer nationalen Zusammengehörigkeit sein, nicht ein nationaler Mythos.“139

Diese Überlegungen führten bereits hinüber zu einer weiteren politischen Debatte, die 1967/68 in der katholischen Zeitschrift „Hochland“ über die Identität der Bundesrepublik geführt wurde140. Noch stärker in diese Richtung verwies der Beitrag von Hans Heigert. Der Chefredakteur beim Bayerischen Fernsehen plädierte für die Selbstanerkennung der Bundesrepublik als „Vaterland“ und forderte nachhaltig den Vorrang der Freiheit auch um den Preis der staatlichen Einheit141. Stammler wiederholte hingegen in seinem Beitrag unter dem Titel „Versuchung aus der Vergangenheit“ seine These von der Instrumentalisierung der Enkel durch die Großväter gegen die Väter. In einem Artikel aus demselben Jahr stellte er dann jedoch ebenfalls die Frage nach einem bundesdeutschen Patriotismus142. Die Deutschen müssten sich entscheiden, ob ihnen das Vaterland eine „Idee“ bleiben solle oder ob es nicht ein Zweckbegriff werden 136 137 138 139 140 141 142

K. SONTHEIMER, Wiederkehr, S. 7ff. EBD., S. 10. EBD., S. 30. EBD., S. 32. Vgl. hierzu H. A. WINKLER, Weg, Bd. 2, S. 243–247 und B. WESTLE, Identität, S. 47f. H. HEIGERT, Deutschlandbild. E. Stammler: Sind Vaterländer teilbar? In: Motive 3, 1966, S. 10f.

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könne, der sich auf das jeweilige Staatsgebiet beziehe. Den Begriff „Nation“ wollte er jedoch, wie die meisten Protestanten, als Dach für die Deutschen in Ost und West erhalten wissen. Unstrittig war für ihn, dass auch die Deutschen jenseits der Elbe zur deutschen Nation gehörten, die Verbindung zu ihnen wiederhergestellt und das gemeinsame Erbe der Geschichte auch gemeinsam verwirklicht werden müsse. Neben die Loyalität gegenüber den Ostdeutschen stellte Stammler die Loyalität gegenüber der Bundesrepublik. Das politische Engagement, so argumentierte er, müsse sich in erster Linie auf den Staat beziehen, dessen Bürger man sei. Ob es notwendig sei, diese Bindung emotional anzureichern, hielt er für fraglich, eine Mobilisierung „künstlicher Gefühlsaufschwünge“ lehnte er hingegen entschieden ab. Über die Frage, ob ein Staatsbewusstsein im Sinne staatsbürgerlicher Mitverantwortung im demokratischen Gemeinwesen auch emotionale Elemente enthalten sollte, war auch die 33. Vollversammlung des Deutschen Bundesjugendrings, die Mitte November in Bremen stattfand, uneins143. Konsens herrschte hingegen darüber, dass die deutsche Jugend kein neues Nationalgefühl brauche, sondern ein neues Staatsbewusstsein. Zu eben diesem Ergebnis kam auch der Gesamtkirchliche Ausschuss der Evangelischen Jugend. Auf seiner Sitzung im April 1967 beschäftigte er sich mit dem Verständnis von „Volk, Nation, Vaterland“144. Der deutsch-deutschen Zusammen- und Zielsetzung des Ausschusses entsprechend geschah dies im Hinblick auf beide deutschen Staaten. Der ostdeutsche Pfarrer Norbert Ernst sprach über die Herausbildung eines neuen sozialistischen Nationalbewusstseins in der DDR und nannte als retardierende Momente den proletarischen Internationalismus und die Teilung Deutschlands. Er verwies darauf, dass die DDR allerdings immer noch eine nationale Zukunftsvision habe: Sowohl im neuen Gesetz über die Staatsbürgerschaft der DDR als auch in ostdeutschen Geschichtsbüchern werde als geschichtliche Hauptaufgabe des deutschen Volkes die Errichtung des Sozialismus in ganz Deutschland gefordert. Aus der Perspektive der Bundesrepublik referierte der Braunschweiger Pfarrer Eberhard Fincke die Argumente der Befürworter und Gegner eines neuen Nationalbewusstseins, wobei er sich auf die Seite der letzteren schlug. In der Diskussion wurde von den Ausschussmitgliedern ein neues Nationalbewusstsein sowohl für die Bundesrepublik als auch für die DDR abgelehnt. Hingegen forderten sie für beide Staaten ein kritisches Staatsbewusstsein ein. Christen sollten sich in beiden Staaten gesellschaftlich und politisch engagieren. Über die unterschiedlichen Herrschaftssysteme in den zwei deutschen Staaten und die dadurch bedingten Unterschiede in der Freiheit des politischen Engagements wurde dabei ebenso wenig reflektiert wie über die Frage, ob das beide Staaten übergreifende Nationalbewusstsein eine apolitische Größe sei oder sich auf das Ziel der politischen Einheit richten sollte. Neben der politischen Diskussion um ein neues Nationalbewusstsein der Deutschen, die von prominenten Protestanten angestoßen worden war und in der protestantische 143 Vgl. Carlo Moesta: Staatsbewußtsein statt Nationalgefühl. In: Deutsche Jugend 14, 1966, S. 537ff., und H. GIESECKE, Jugend. 144 Protokoll der Sitzung vom 17./18.4.1967 (Aaej HANNOVER, GKR).

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Wissenschaftler und Publizisten intensiv und kontrovers mit diskutierten, gab es eine zweite Debatte, die mit der ersten vielfach verwoben war. Ausgelöst wurde sie von dem Dortmunder Pfarrer Alexander Evertz. 1906 geboren, war er während der NS-Zeit Mitglied der Bekennenden Kirche und im Krieg Soldat in Russland gewesen. In seiner Schrift „Der Abfall der evangelischen Kirche vom Vaterland“ von 1964, die insgesamt vier Auflagen erlebte, forderte er mit deutlich nationalistischen Tönen eine Rehabilitierung des nationalen Gedankens in der Kirche. Schon der Buchtitel macht deutlich, dass der Autor von einer falschen Beziehung zwischen Kirche und Vaterland ausging. Denn diese kann von jenem nicht „abfallen“, da das Vaterland der Kirche nicht übergeordnet und auch nicht Inhalt ihres Auftrages ist. Evertz aber beklagte in seinem Buch ebenso pauschalierend wie polemisch, dass die evangelische Kirche heute von einem „Linksprotestantismus“ bestimmt werde, der die Verbindung zwischen „christlicher und vaterländischer Gesinnung“ zerrissen habe145. An die Stelle der „Vaterlandsvergötzung“ sei die „Vaterlandsverachtung“ getreten146. Die evangelischen Theologen würden in ihrer Mehrheit leugnen, dass „das Volk ebenso wie die Ehe eine Ordnung Gottes ist. Daß sie sich damit im Widerspruch zur Bibel befinden, stört sie nicht im geringsten.“147 Als einen ersten Kulminationspunkt dieser Entnationalisierung innerhalb der evangelischen Kirche betrachtete Evertz den Evangelischen Studententag in Heidelberg 1954: „Dabei wurde deutlich, daß für die junge Generation der evangelischen Kirche das Vaterland nur noch ein leeres Wort, ein Begriff ohne Inhalt ist.“148 Die jungen Theologiestudenten von damals seien heute in mehr oder weniger einflussreichen beruflichen Stellungen, ihr „Nein zum Vaterland“ beherrsche weithin das kirchliche Denken der Gegenwart. Diese Vertreter einer „neudeutschen Selbstzerfleischung“149 würden nicht ruhen, bis „sie auch den letzten Deutschen vor aller Welt schuldig gesprochen“ hätten150. Diesem so skizzierten Ist-Zustand stellte Evertz seine Forderung entgegen: Die evangelische Kirche müsse zu einer „gereinigten Liebe zum Vaterland“ finden. Luther bemühend versuchte er aufzuzeigen, wie Volk und Vaterland als Gaben Gottes gesehen werden mussten, die weder verabsolutiert noch verachtet werden durften: Die Heilsbotschaft wende sich nicht „an menschliche Schattenwesen oder an Weltbürger und Einheitsmenschen ohne jede individuelle Kennzeichnung“, sondern sie treffe „das blut- und bodengebundene Geschöpf Gottes“151. Das „göttliche Gnadenwort“ löse die Menschen nicht „aus den schöpfungsmäßigen Bindungen an Volk und Vaterland“, sondern verpflichte sie „zur Treue und zum Gehorsam in diesen Bindungen.“ Als Aufgaben, die sich aus einer Neubesinnung auf die Nation für die deutschen evangelischen Christen ergaben, benannte Evertz: Ab-

145 146 147 148 149 150 151

A. EVERTZ, Abfall, S. 17. EBD., S. 31. EBD., S. 14. EBD., S. 32. EBD., S. 54. EBD., S. 55. EBD., S. 23.

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wehr einer Überfremdung Deutschlands und der deutschen Sprache; Kampf gegen die „sittliche Anarchie“, insbesondere die sexuelle Freizügigkeit; Abschluss der Schuldfrage; Pflege des „vaterländischen Erbes“. Nach zahlreichen antirationalistischen, antiindividualistischen, antipluralistischen, antiamerikanischen und antisozialistischen Ausbrüchen beendete Evertz sein Buch mit der apodiktischen Aussage: „Wer das Vaterland verachtet, der versündigt sich an der Schöpfung Gottes. Und wer seiner vaterländischen Verpflichtung nicht nachkommt, der lebt nicht im Gehorsam vor Gott.“152 Evertz’ Anklageschrift macht deutlich, dass der Autor geistig weder in der offenen, demokratischen Gesellschaft der Bundesrepublik, noch in der weltpolitischen Lage der sechziger Jahre angekommen war. Seine Gedankenwelt kreiste um ein romantisches Nationalgefühl, ein patriarchalisch-autoritäres Gesellschaftsmodell und das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937. All das überschrieb er mit dem Begriff „Vaterland“ und verlangte durch eine undifferenzierte Reformulierung ordnungstheologischer Thesen eine Neuaufnahme der Allianz von protestantisch und national. Ähnliche Vorstellungen und Forderungen wie bei Evertz waren auch bei den Mitgliedern des Johann-Heermann-Kreises zu finden. Unter dem Vorsitz des Oberlandesgerichtsrats a. D. Karl Oelsner, dem Amtsrat im niedersächsischen Sozialministerium Karl Groth und dem Hannoveraner Pfarrer Werner Petersmann bemühte sich dieser Kreis „um Fragen geschichtlich begründeter gesamtdeutscher Verantwortung heute, die uns durch unsere historische Krisensituation vordringlich gestellt sind und uns auf Nägeln und Gewissen brennen.“153 In der von dem ehemaligen Leiter der Reichsbewegung „Deutsche Christen“ Petersmann herausgegebenen Schriftenreihe des Kreises, die den Titel „Jedermann“ trug, erschienen überwiegend Texte mit deutschnationaler Tendenz. Der Hannoveraner Pfarrer lieferte dabei meist im Voroder Nachwort die theologische Begründung der im Haupttext enthaltenen politischen Urteile und Forderungen154. Er selbst veröffentlichte zwei Reden, die er anlässlich der Feiern zum 17. Juni 1964 und 1965 in der Tierärztlichen und in der Technischen Hochschule Hannovers gehalten hatte155. Darin machte er deutlich, was er unter der Deutschlandfrage verstand: „Es ist die Frage unseres an der Oder-Neiße amputierten und an der Elbe-Werra schizophren gespaltenen Vaterlandes mit der schwärenden Schnittwunde Berlin, und das alles unter der immer noch grassierenden Epidemie einer geschichtsmüden Gleichgültigkeit und ‚realpolitischen‘ Resignation und eines krebswuchernden Wohlstandsdenkens.“ [. . .] „Hier liegt eine gesamtdeutsche Verantwortung vor, die es nicht zulassen kann, vor einer augenblicklichen unglückseligen Machtkonstellation zu kapitulieren oder, sei es aus tagespolitischem Kurzblick, sei es aus einem falsch kompensierten Schuldkomplex einer unbewäl152 EBD., S. 77. 153 Vgl. Buchrücken der Reihe „Jedermann“. 154 Vgl. u. a. K. RABL, Selbstbestimmungsrecht; A. HUDAK, Prager Friedenskonferenz; W. HALFMANN, Christ. 155 W. PETERSMANN, Deutschlandfrage; DERS., Vaterland.

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tigten Vergangenheit oder aus einem sachlich nicht nüchtern abwägenden schwärmerischen Versöhnungswillen heraus, hier zu verzichten.“156

Sein Ziel, die territoriale Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937, begründete Petersmann menschen- und völkerrechtlich, theologisch unter Hinweis auf das Volk als „Schöpfer-Ordnung“ und „Schöpferlob“157 sowie „mythopolitisch“. Letzteres war eine Neuauflage der Vorstellung von einer „deutschen Sendung“, die er geschickt mit den aktuellen Leitideen „europäische Einigung“ und „Weltgesellschaft“ verband158. Den führenden Kreisen in der evangelischen Kirche warf er vor, jeden Versuch, „aus dem Trümmerhaufen von 1945 das notwendige ‚gesunde Nationalempfinden‘ wiederaufzurichten, als neufrisierten ‚Götzendienst‘ unbesehen erneut [zu] zerschlagen.“159 Durch die Ostdenkschrift erhielt die Frage nach dem „Abfall der Kirche vom Vaterland“ eine neue Brisanz. Einige Wochen nach ihrem Erscheinen reflektierte Eugen Gerstenmaier über die Frage: „Gilt das Vaterland nichts mehr?“160 Er glaubte im Kontext der Ostdenkschrift die evangelische Kirche daran erinnern zu müssen, dass eine Kirche, die in dem Glauben lebe, dass Gott die Welt liebe, nicht nur ein „unterkühltes Verhältnis“ zum Vaterland haben könne. Unverständnis äußerte er darüber, dass die Denkschrift nicht zur deutschen Wiedervereinigung Stellung genommen hatte, die er als eine Voraussetzung für das anvisierte partnerschaftliche Verhältnis zu Polen ansah. Jenseits „bloßer Pflicht“, so schloss der EKD-Synodale Gerstenmaier, könne die Kirche ihrem Land dienen, indem sie auf „Gottesfurcht“ achte, der Indifferenz gegenüber den unterschiedlichen Herrschaftssystemen in den beiden deutschen Staaten begegne, vor Opportunismus warne und zu „Leistung und Hingabe“ ermuntere. Hatte Gerstenmaier im Zusammenhang mit der Ostdenkschrift seinen Appell zu einem neuen Nationalbewusstsein auf die Kirche übertragen, so brachte auch Ludwig Raiser die Diskussion um die Denkschrift in Zusammenhang mit dem Diskurs über ein neues politisches Selbstverständnis der Deutschen, setzte aber andere Akzente. In einem Referat über „Deutsche Ostpolitik im Lichte der Denkschrift der EKD“ vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik am 8. März 1966 kritisierte er, dass die Deutschen der Frage nach ihrer Identität lange ausgewichen seien, teils durch eine Flucht in ein „selbstgenügsames Wirtschaftsaufschwungs- und Wohlstandsdenken“, teils durch die Konzentration auf den Europagedanken161. Als einen Baustein zur „Neubildung eines von allen Verkrampfungen und Übersteigerungen freien nationa-

156 W. PETERSMANN, Deutschlandfrage, S. 9 und S. 16. 157 EBD., S. 16. 158 Diesen Gedanken führte er vor allem in der Druckfassung der Rede „Was ist des Deutschen Vaterland?“ von 1965 aus. 159 W. PETERSMANN, Deutschlandfrage, S. 15. 160 Vortrag Gerstenmaiers bei einer Feierstunde zum 20. Jahrestag der ersten Versammlung der Synode der evangelisch-lutherischen Kirche im hamburgischen Staate nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Die Welt, 24./25.12.1965. Die ungekürzte Fassung in: EVANGELISCH-LUTHERISCHE KIRCHE, S. 13–26. 161 L. RAISER, Ostpolitik, S. 205.

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len Selbstbewußtseins des deutschen Volkes“ bezeichnete Raiser die Loslösung von einem durch die nationalstaatliche Geschichtsschreibung des ausgehenden 19. Jahrhunderts geprägten Geschichtsbild und infolge dessen die Anerkennung der Polen als Volk und Staat gleichberechtigt neben den Deutschen162. Zehn Tage später nahmen auch die in Berlin-Spandau versammelten EKD-Synodalen zur Frage der Identität der Deutschen Stellung. Der Synodale Pfarrer Locher bezeichnete in seinen Ausführungen zu der Erklärung „Vertreibung und Versöhnung“163 diese Frage als „offene Wunde der Debatte um die Denkschrift“164. Die Teilnehmer der Debatte seien sich in der Beobachtung einig: „Nichts ist gegenwärtig bei uns so aufgerissen und schmerzhaft, so heillos und undeutlich wie das Verhältnis zum eigenen Land, zum Vaterland, zum Volk.“165 In der Erklärung selbst wurde zunächst auf die Zeit nationalistischer Übersteigerung verwiesen, die hinter den Deutschen liege und der auch die Kirche „unkritisch Vorschub“ geleistet habe166. Solche Entwicklungen müssten in der Zukunft verhindert werden. Die „Leugnung einer Bindung an das eigene Volk“ wurde jedoch gleichfalls abgelehnt. Eine solche Bindung müsse ernst genommen werden, sie sei dem Christen erlaubt, „ja geboten“, sofern sie nicht zu einer Vergötzung der Nation führe und die Offenheit gegenüber Menschen anderer Völker verhindere. Aufgabe der Deutschen sei es, „ein Verhältnis zur Geschichte und zur heutigen Stellung unseres Volkes zu finden, das weder in Selbstgerechtigkeit noch in Selbstaufgabe mündet, sondern zu der Selbstachtung verhilft, mit der allein wir unseren Nachbarvölkern frei gegenübertreten können.“167 Als ein wesentliches Kriterium zur Bestimmung nationaler Kollektivität betrachtete die Synode die Vorstellung von der „Haftungsgemeinschaft“. Sie war bereits in der Denkschrift angeklungen und wurde in der Erklärung als Gegenentwurf zur „Kollektivschuld“-These verstanden. In der Haftungsgemeinschaft ständen die Deutschen sowohl für die Folgen der im deutschen Namen begangenen Unrechtstaten als auch „für das Unglück ein, das Mitbürger ohne persönliche Schuld erlitten haben.“ Die Haftungsgemeinschaft umschließe das gesamte Volk, einschließlich der jungen Generation. Ohne ein solches Selbstverständnis der Deutschen könnten „die Voraussetzungen für die notwendige Partnerschaft mit den Nachbarvölkern und für eine dauerhafte Friedensordnung nicht geschaffen werden“, machten die Synodalen deutlich. Das Selbstverständnis als Haftungsgemeinschaft wurde verstanden als Teil eines neuen Geschichtsverständnisses, zu dem die Deutschen nach Ansicht der Synode finden sollten. Unter dem Zeichen der Versöhnung sollten sie ein neues und positives Verhältnis zu ihrer Geschichte entdecken und „nach Gottes Führung in ihr“ fragen168. Mit Ausnahme dieser Aufforderung enthielt

162 163 164 165 166 167 168

EBD. BERLIN und Potsdam 1966, S. 470–474. EBD., S. 245. EBD. EBD., S. 471. EBD. EBD., S. 474.

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sich die Erklärung jeglicher geschichtstheologischer Überlegungen. Der Schuld- und Gerichtsgedanke, der in der Ostdenkschrift enthalten war und ihr den Vorwurf eingebracht hatte, sie bediene sich einer fragwürdigen Geschichtstheologie und ginge leichtfertig mit dem Ausdruck von Gottes Gericht im Schicksal der Vertriebenen um, wurde in der Erklärung der Synode nicht weiter entfaltet. So endete die Erklärung – ohne dies explizit geschichtstheologisch zu motivieren – mit der Aussicht, dass die Bereitschaft zur Versöhnung die Deutschen von dem Zwang befreie, „nach rückwärts zu blicken, über eigene und fremde Taten zu rechten und Geschichte ungeschehen machen zu wollen. Sie ermutigt uns, quer durch alle trennenden Gegensätze hindurch die Menschen auf der anderen Seite als Partner zu suchen, weil sie Gottes Geschöpfe sind wie wir.“169

Mit dieser Stellungnahme zu einem neuen Selbst- und Geschichtsverständnis der Deutschen setzte sich die Synode deutlich von den nationalen bis nationalistischen Einstellungen von evangelischen Christen ab, wie sie in der Diskussion um die Denkschrift offen zutage getreten waren. Diese Protestanten lehnten jede Reflexion nationaler Identität vom Schuld- und Gerichtsgedanken her vehement ab170 und warfen der evangelischen Kirche eine Abkehr von ihrer nationalprotestantischen Tradition oder, wie Evertz es ausgedrückt hatte, einen „Abfall vom Vaterland“ vor. Der Dortmunder Pfarrer sah sich durch die Ostdenkschrift gänzlich in seinem Urteil bestätigt und schaltete sich intensiv in die Diskussion um sie ein. 1966 veröffentlichte er gemeinsam mit Petersmann und Helmuth Fechner eine Schrift mit dem sprechenden Titel: „Revision der Denkschrift. Eine Forderung an die evangelische Kirche.“ Evertz trug aber nicht nur seinen Teil zur Pamphletliteratur gegen die Denkschrift bei, sondern unternahm gemeinsam mit anderen den Versuch, national und antipluralistisch eingestellte Protestanten in der „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“ zu organisieren. Zu deren Gründern gehörten neben Evertz auch der Schriftsteller Bernt von Heiseler sowie der Freiburger Oberlandesgerichtsrat Karl Salm. Heiseler hatte 1965 in einer Rede über „Vaterland nicht mehr in Mode?“ die Verschwörungsthese einer von außen gesteuerten „Entnationalisierung der Deutschen“ entwickelt und die „Volkswirklichkeit“ angesichts der Lebenswelt der technischen Massengesellschaft als „Gestalt des vollen Menschseins“ gekennzeichnet. Salm warf 1966 in seiner „evangelische[n] Antwort“ auf die Ostdenkschrift deren Verfassern Lieblosigkeit und Unwahrhaftigkeit vor171. Ein verbindendes Moment der Gründer der Notgemeinschaft war denn auch die Parteinahme für diejenigen Vertriebenen, die das Recht auf die polnisch verwalteten deutschen Ostgebiete proklamierten und eine Revision des gegenwärtigen Zustandes forderten. War die Ostdenkschrift der unmittelbare Anlass, so opponierten die in der Notgemeinschaft zusammengeschlossenen Protestanten doch gegen die theologische und 169 EBD. 170 Vgl. z. B. J. V. BRAUN, Gericht. 171 K. SALM, Antwort.

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kirchenpolitische Entwicklung in der evangelischen Kirche der sechziger Jahre im Allgemeinen. In ihrem Gründungsaufruf vom 17. März 1966 hieß es, die Publikation der Ostdenkschrift habe den Eindruck bestätigt, „daß das Verhältnis der Evangelischen Kirche zu Staat, Volk und Vaterland nicht mehr in Ordnung“ sei. „[U]nzählige treue evangelische Deutsche, die in Liebe und Verehrung an ihrer Kirche hängen“, würden sich von ihr im Stich gelassen fühlen und einen Austritt erwägen, andere hätten ihn bereits vollzogen. Die Ursache hierfür sahen sie in einer Fehlentwicklung der Theologie der Nachkriegszeit: Ebenso wie die Deutschen Christen 1933 in der nationalsozialistischen Machtergreifung eine besondere Offenbarung Gottes in der Geschichte gesehen hätten, fassten „tonangebende Kreise in unserer Kirche“ das Jahr 1945 als eine „neue Offenbarungsquelle“ auf. „Der deutsche Zusammenbruch wird als ein Wort Gottes aufgefaßt, dem man politische Weisung entnimmt“, unterstellten die Unterzeichner und fuhren fort: „Man empfiehlt dem deutschen Volk eine Bußhaltung, die sich im Verzicht auf seine Rechte äußern soll. Die Sinnesänderung habe sich darin zu zeigen, daß sich unser Volk mit dem Ergebnis seiner Niederlage als mit einem endgültigen Urteilsspruch Gottes abzufinden habe. Der militärischen Kapitulation soll die geistige Unterwerfung folgen.“172

Unter „man“ verstanden die Vertreter der Notgemeinschaft vor allem leitende kirchliche Gremien und Persönlichkeiten sowie kirchliche Gruppen wie die Bruderschaften und die Prager Friedenskonferenz173. Dieser Fehlentwicklung und der durch sie ausgelösten Vertrauenskrise wollte die Notgemeinschaft nach eigenem Verständnis als eine Gruppierung innerhalb der verfassten Kirche und zu deren Besten entgegensteuern. Daher riefen ihre Gründer „alle evangelischen Deutschen“ dazu auf, nicht aus der Kirche auszutreten, sondern sich ihnen anzuschließen. Dies taten indes nur wenige, was jedoch nicht zwangsläufig bedeutete, dass eine nicht unbeträchtliche Zahl evangelischer Gemeindeglieder, zumeist mit einem konservativen Glaubens- und Kirchenverständnis, deren Auffassungen teilten174. Lauten Beifall erhielt die Notgemeinschaft von der NPD175. Diese versuchte ohnedies durch verleumderische Kritik an der Ostdenkschrift im Lager der Vertriebenen Stimmen für sich zu gewinnen176. Stimmenzuwachs erzielte die NPD jedoch dann vor allem vor dem Hintergrund der Krise der Regierung Erhard, der wirtschaftlichen Rezession, der Bildung der Großen Koalition sowie der Aktionen der Außerparlamentarischen Opposition (APO), die sich gegen die Große Koalition und vor allem gegen die von ihr verabschiedeten Notstandsgesetze wandte177. Das sprunghafte Anwachsen der NPD erregte in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit Besorgnis, zeigte 172 Der Aufruf ist abgedruckt in: B. HEISELER, Christ, S. 27ff., hier S. 28. 173 Vgl. A. HUDAK, Friedenskonferenz; DERS., Deutschlandfrage. 174 Vgl. E. WARMERS, Kirche, S. 452. 175 Der NPD-Bundesvorstand wertete ihre Gründung als ein „ermutigendes Zeichen im Kampf um die nationale Selbstbesinnung des deutschen Volkes.“ Zitiert nach: G. SCHIEFLER, Restauration, S. 115. 176 Vgl. W. HUBER, Kirche, S. 403f. 177 Vgl. R. STÖSS, Rechte, S. 135–140; P. BOROWSKY, Deutschland, S. 273f.

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es doch, dass noch immer ein Teil der Bevölkerung für autoritäre und nationalistische Losungen empfänglich war. Neben dem Erfolg der NPD waren es vor allem die Angriffe der Notgemeinschaft auf die Kirche, die dazu führten, dass sich offizielle Kirchenvertreter sowie protestantische Publizisten und Journalisten in den Jahren 1966 bis 1970 intensiv mit der Frage nach Volk, Nation und Vaterland auseinandersetzten. Dabei spielten verschiedene Bezugsgrößen eine Rolle: die nationalsozialistische Vergangenheit im Zeichen von Schuld und Versöhnung, die Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung durch die Kirche, der gesellschaftliche Wandel, der demokratische Rechtsstaat, die deutsche Teilung, die Aussöhnung mit Osteuropa, die europäische Integration, die Globalisierung, die Entkolonialisierung und immer wieder der Frieden. Die wichtigsten Stationen und Positionen in dieser Diskussion sollen im Folgenden dargestellt werden. Am 7. April richtete der rheinische Präses Beckmann einen offenen Brief an Heiseler, in dem er sich mit dem Gründungsaufruf der Notgemeinschaft auseinandersetzte und seinen Autoren den Anspruch auf das bekenntniskirchliche Erbe bestritt178. Er wies darauf hin, dass die theologische Entscheidung über den Auftrag der Kirche in der Welt die Grundlage lege für eine Entscheidung über das Verhältnis von Kirche einerseits und Staat, Volk und Vaterland andererseits. Die theologische Generation, der Beckmann angehörte, war zwischen 1918 und 1934 zu grundlegend neuen Erkenntnissen über Existenz und Auftrag der Kirche in der Welt gekommen, die sich in der VI. These der Barmer Erklärung widerspiegelten, wo es hieß: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen.“ Wer diese Entscheidung der Bekennenden Kirche nicht mit vollzogen habe, so Beckmann, neige heute dazu, sein Leitbild über die rechte Ordnung des Verhältnisses von Kirche, Staat und Volk im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu finden, als es noch „christliche Obrigkeit, christliche Gesellschaft und unter landesherrlichem Regiment Volkskirche“ gegeben habe. Von Heiseler erwiderte darauf, dass um das rechte Verhältnis von Staat, Volk und Kirche immer von neuem gerungen werden müsse179. Es sei immer dann in Ordnung, wenn das in den drei Artikeln des Credo niedergelegte Bekenntnis des christlichen Glaubens gewahrt und dabei „die Mitempfindung und Mitverantwortlichkeit der Kirche auch für das irdische Schicksal des Volkes, in das sie gestellt ist, ganz deutlich gemacht wird.“ Dies sei bei der Bekennenden Kirche, wie sie sich im Barmer Bekenntnis erklärt und gleichzeitig durch ihre führenden Sprecher „die vaterländische Mitverantwortung voll bejaht hatte“, der Fall gewesen. In der Gegenwart sah von Heiseler jedoch weder in der vorherrschenden Theologie das Bekenntnis voll gewahrt, noch in den Kirchen die „vaterländische Verantwortung“. Er selbst hingegen betrachtete sich als einen bekennenden Christen in seinem Volk und für sein Volk. 178 Kritische Fragen an die „Notgemeinschaft“. In: EW 20, 1966, S. 242f. 179 Die Diskussion um die „Notgemeinschaft“ geht weiter. Bernt von Heiseler an Präses Beckmann. In: EW 20, 1966, S. 271f.

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Ebenfalls im April nahmen Erwin Wilkens und Ernst Wilm zu der versuchten Wiederaufwertung des Vaterlands in der Kirche kritisch Stellung. Wilkens verwies im „Sonntagsblatt“ vom 17. April darauf, dass angesichts einer neuen Weltsituation, die er als globale „Schicksalsgemeinschaft“ kennzeichnete, die alten Vorstellungen vom Vaterland nicht unverändert übernommen werden könnten180. Auch die Christenheit sei im Atomzeitalter der Aufgabe verpflichtet, „eine neue Ordnung zwischen den Völkern“ zu schaffen. Zwar bleibe die Kirche mit ihrem Dienst in erster Linie an den „übersehbaren geschichtlichen Raum“ verwiesen, die weltpolitische Entwicklung und die ökumenische Bewegung aber stellten den politischen Dienst der Christenheit vor eine neue universale Aufgabe. Diese Spannung dürfe auf keinen Fall dadurch aufgelöst werden, dass man die Kirche auf ihre jeweiligen nationalen Bindungen festlege. Wilm übte am 19. April auf dem Westfälischen Pfarrertag in Dortmund scharfe Kritik an der Notgemeinschaft: Sie stehe in Gefahr, von kirchenfremden nationalistischen Gruppierungen für deren eigene Ziele eingespannt zu werden181. Der Präses wehrte sich dagegen, dass Christen, die gegen Atomwaffen waren und an Ostermärschen teilnahmen, als Vaterlandsverräter diffamiert wurden. „Auch uns geht es um unser deutsches Volk und Vaterland“, betonte Wilm. Bereits am 7. April hatten mehrere Zeitungen einen Kommentar des Journalisten Reinhard Henkys abgedruckt, in dem dieser eine Warnung vor dem in Anführungszeichen gesetzten Vaterland aussprach182. Mit deutlichen Worten gab er darin seiner Ablehnung jeglicher „vaterländischer Gesinnung“ und deren Vokabular Ausdruck. 1945 waren für Henkys nicht nur das Vaterland, sondern auch die „entsprechenden Denk- und Wertvorstellungen“ zusammengebrochen. Diesen Zusammenbruch, den er als Heranwachsender erlebt hatte, wertete der 37jährige als eine „Befreiung des Geistes“, die nicht preisgegeben werden sollte. Daher wehrte er sich gegen die Vermengung von nationalem und christlichem Denken bei einem „kirchlichen Nationalismus“, wie er in der Diskussion um die Ostdenkschrift zu Tage getreten war. Auch auf politischer Ebene sah Henkys Anzeichen einer Renaissance nationalen Selbstbewusstseins. Dazu zählte er die seiner Ansicht nach von nationalem Prestigedenken bestimmte Weigerung, auf die Beteiligung an der Verfügungsgewalt über Atomwaffen zu verzichten, die Wahlerfolge der NPD sowie die Forderung von prominenten Politikern nach Ausbildung eines neuen Nationalbewusstseins. Henkys’ pointierte „Warnung vor dem ‚Vaterland‘“ stieß auf rege publizistische Resonanz. Der Journalist Gerhard Bittner veröffentlichte am 5. Mai eine Replik unter der Überschrift „Besinnung auf das Vaterland“183. Er warnte vor Vereinfachungen und davor, von einem Extrem in das andere zu fallen, denn der Missbrauch der Begriffe Volk, Nation und Vaterland hebe die Sache selbst nicht auf, der die Menschen durch „Geburt und Erziehung, durch Sprache und Geschichte verbunden, der 180 181 182 183

E. WILKENS: Wider die vaterlandslosen Gesellen. Vgl. Die „Notgemeinschaft“ vor die Wahrheitsfrage gestellt. In: EW 20, 1966, S. 275. Vgl. u. a. epd B, 7.4.1966, S. 7f. epd B, 5.5.1966, S. 7.

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wir sogar durch den Glauben verpflichtet sind.“ Ebenfalls im Mai meldete sich Altbischof Otto Dibelius öffentlich zu Wort. Bereits im August 1964 hatte er Evertz für seine Schrift persönlich mit den Worten gedankt, dass er sich „von Herzen darüber“ freue, dass sich in der evangelischen Kirche endlich einmal wieder eine Stimme für das Vaterland erhoben habe und „einen Grundstein zu der Abwehrstellung gegen die Links-Intellektuellen in unserer Kirche zu legen versucht.“ „Es ist wirklich hohe Zeit, daß das einmal geschieht!“, schrieb Dibelius dem Autor184. Empört über Henkys’ „Warnung vor dem ‚Vaterland‘“ legte der inzwischen 85jährige Altbischof dann bewusst am 8. Mai im Sonntagsblatt „Die Kirche“ seine noch immer stark deutschnational geprägten Vorstellungen von Volk und Vaterland als vorgegebene, sittlich normierende Fakten dar185. Volk blieb für ihn eine „Schöpfungsordnung“. Sein „Volkstum“ könne man nicht ablegen, die durch das 4. Gebot „gottgesetzte Pflicht“ gegenüber dem Volk nicht abschütteln, so Dibelius. „Vaterland“ war für ihn definiert durch Abstammung, Sprache und emotionale Primärbindung: die „Schönheiten“ des eigenen Vaterlandes standen dem „Herzen am nächsten“. Der Einzelne hatte nach Dibelius gegenüber dem Vaterland vorgegebene „Pflichten“: den Schutz vor „Überfremdung und Fremdherrschaft“, die Opferbereitschaft, die Verteidigung gegenüber Herabsetzungen. „Das Vaterland ist Gottes Geschenk an seine Kinder. Es ist eine Quelle sittlicher Kraft, die das intellektualistische Geschlecht von heute nicht kennt, – die Folgen sind für jeden, der Augen im Kopf hat, deutlich zu sehen“, machte Dibelius seinem antimodernistischen Unmut Luft. Mitte Mai mischte sich der Leiter des Evangelischen Publizistischen Zentrums Berlin, Sepp Schelz, in die „Diskussion um das Vaterland“ ein. Der ehemalige Gründer der „Sammlung der Kriegsgeneration“ und vormalige GVP-Politiker vertrat die Auffassung, dass weder die Anhänger noch die Gegner der „Idee vom Vaterland“ genau wüssten, wovon sie redeten186. Das Vaterland sei kein übergeschichtliches Prinzip, sondern müsse seinen eventuellen Wahrheitsgehalt in der konkreten Situation erweisen. Unter der jungen Generation in der Bundesrepublik begegne das Wort Vaterland einer großen Gleichgültigkeit, wenn nicht Verlegenheit. Angesichts der deutschen Teilung sei es aber auch schwierig, vom Vaterland zu sprechen.Denn weder seien die beiden deutschen Teilstaaten bereits Objekte der Vaterlandsliebe, noch habe sich der Wiedervereinigungswille so leidenschaftlich und zwingend geäußert, dass aus ihm eine Art überhöhte Vaterlandsvorstellung hätte hervorgehen können. Die Deutschen hätten die Vaterlandsidee aber nicht erst 1945 verloren, sondern bereits 1933, so Schelz. Deshalb lasse sich heute der Vaterlandsbegriff nicht einfach mit „historischen Vulgärkategorien“ wieder beleben, er brauche eine entsprechende politische Wirklichkeit.Im dem aktuellen Streit um das Vaterland sah Schelz keine echte Auseinandersetzung um eine Grundfrage, sondern das Symptom einer bestimmten „ideologischen Lage“. Er sollte daher beendet werden. 184 Zitiert nach: A. EVERTZ, Abfall, S. 106. 185 O. Dibelius: Das Vaterland. In: Berliner Sonntagsblatt Die Kirche, 8.5.1966, S. 1f. 186 S. Schelz: Unsere Uhren gehen anders. Zur Diskussion um das Vaterland. In: epd B, 12.5.1966, S. 8f.

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Friedrich Schwanecke, leitender Redakteur des Sonntagsblatts für das Rheinland „Der Weg“, lag daran, eine gewisse Begriffsschärfe in die Diskussion zu bringen. In seinem Artikel vom 15. Juni plädierte er dafür, zwischen „Staat“ und „Vaterland“ zu differenzieren187. Die Entstehung des Nationalstaates habe eine verhängnisvolle Gleichsetzung der beiden mit sich gebracht. Die Christenheit habe diese mitvollzogen und in den so entstehenden Begriff teilweise noch alte Vorstellungen vom christlichen Reich eingebracht. Einen Ausweg aus dieser Begriffsverwirrung sah Schwanecke im Rückgriff auf das biblische Verständnis von „Staat“ und „Vaterland“. Der Staat und seine Vertreter seien dort die Inhaber der Gewalt, die sie von Gott erhalten hätten, um für Recht und Frieden zu sorgen. Ihnen sollte sich der Christ unterordnen, es sei denn, er käme in eine Lage, in der es gelte, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Vaterland sei in der Bibel hingegen ein völlig unpolitischer Begriff und im Sinne von Heimat oder Herkunftsland gebraucht. Er sei weder an politische Grenzen noch an sonst irgendwelche politischen Bedingungen gebunden. Diese aus der Bibel hergeleitete Unterscheidung zwischen „Staat“ und „Vaterland“ übertrug Schwanecke auf die Situation in der Bundesrepublik. Im Hinblick auf die Diskussion um die ehemaligen deutschen Ostgebiete folgerte er, dass christliche Staatsbürger keine Forderungen an ihren Staat richten sollten, die über die Grenzen seiner obrigkeitlichen Gewaltausübung hinausreichten. In Düsseldorf trafen im Juni 1966 der Vertreter des „neuen Nationalismus“ Gerstenmaier und der „Linksprotestant“ Präses Beckmann bei einer Diskussion zum Thema „Kirche – Staat – Vaterland“ aufeinander188. Der Bundestagspräsident mahnte seine Zuhörer, dass eine europäische Integration weder mit dem Verzicht auf die nationale Einheit Deutschlands noch auf eine eigene nationale Individualität bezahlt werden dürfe. Beckmann setzte hingegen andere Akzente: „Ich denke gesamteuropäisch und betrachte die Kirche als eine weltumspannende Größe“. Das Vaterland bzw. die Nation habe aufgehört, „heilig“ oder „höchstes Gut“ zu sein. Der internationale Friede sei nunmehr der oberste Leitbegriff und Maßstab politischen Handelns. Mit dieser Haltung befand sich der Präses in Übereinstimmung mit den Aussagen der ostdeutschen Handreichung „Zum Friedensdienst der Kirche“. Anfang Juni veröffentlichte die Notgemeinschaft ihr „Arbeitsprogramm“189. Darin fehlten einige der umstrittenen Thesen des Aufrufs vom März, doch blieben Motive und Argumente, die zu dieser kirchlichen Gruppenbildung geführt hatten, dieselben. Die Zeitung „Christ und Welt“ bot Evertz am 10. Juni die Gelegenheit, ihren Lesern das Programm der Notgemeinschaft ausführlich zu erläutern190. Der Pfarrer polemisierte dabei gegen das Streben der evangelischen Kirche „nach Modernität“, wodurch

187 F. Schwanecke: Staat und Vaterland. Zwei Begriffe, die nicht verwechselt werden sollten. In: epd B, 15.6.1966, S. 9f. 188 Vgl. Artikel darüber im epd B, 30.6.1966, S. 2. 189 Abdruck in: B. HEISELER, Christ, S. 29f. 190 Was will die Notgemeinschaft? Plädoyer für Volk und Vaterland. In: ChrWelt, 10.6.1966. Im gleichen Tenor: Ders.: Das Vaterland darf nicht abgeschrieben werden. In: Die Welt, 3.12.1966.

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das „Volk als eine Gemeinschaft seiner für das Gesamtschicksal verantwortlichen Glieder“ hinter das „Bild einer ‚pluralistischen Gesellschaft‘ oder [. . .] ‚mobilen Gesellschaft‘ und das Nationale hinter dem Globalen“ zurücktrete. Das kirchliche Denken müsse sich von der „Gewalt des Zeitgeistes“ frei machen und durch eine gründliche Besinnung auf die Heilige Schrift und die Reformation die Bedeutung von Volk und Staat für die Gegenwart neu bestimmen. Dazu müsse der erste Artikel des Glaubensbekenntnisses wieder ernst genommen und an einen jenseitigen, über- und außerweltlichen Gott und damit auch an den Schöpfergott geglaubt werden. „Tonangebende Kreise in der EKD“ würden das deutsche Volk aber nur noch als eine Schuld- und Haftungsgemeinschaft begreifen. Auf Grund ihrer Fixierung auf Schuld und Buße könnten sie das staatspolitische Handeln nicht mehr richtig bewerten und empfahlen den Politikern eine „Art Bußpolitik, die im Grund eine Schwarmgeisterei“ sei. „Versöhnung“ werde als „neue Heilslehre für das politische Leben verkündet“. „Nüchterner christlicher Sinn vermag in diesen Utopien keine wahre Vernunft zu erkennen“, erklärte Evertz und vereinnahmte für seine eigene Haltung die Zwei-Reiche-Lehre Luthers. In der Politik müsse „der Liebe die Gerechtigkeit zugeordnet sein“. Der Politiker habe die „Pflicht, das Recht seines Volkes und Landes zu schützen.“ Georg Picht, Mitautor des „Tübinger Memorandums“ von 1962, antwortete am 24. Juni in „Christ und Welt“ auf den Artikel von Evertz. Unter der Überschrift „Wo stehen die wahren Patrioten?“ sparte er nicht mit polemischen Angriffen auf Evertz und die Notgemeinschaft. Er wehrte sich gegen eine Monopolisierung der Begriffe „Volk“ und „Vaterland“ durch Kräfte, „die uns von einem Unheil ins andere treiben“. Im Gegenzug entwickelte Picht einen aufgeklärten Patriotismusbegriff. Die „wahre Liebe zum Vaterland“ dokumentierte sich danach nicht in „tönernden Worten, sondern in harter, nüchterner Arbeit und in einem politischen Verhalten“, das den Deutschen die Achtung und das Vertrauen der anderen Völker wiedergewinne. Die Worte Volk und Vaterland könnten nur ernst genommen werden, wenn die Deutschen ihre Geschichte einschließlich ihrer Folgen auf sich nähmen. Von dieser Einsicht hänge es ab, ob es einer neuen Generation gelinge, ein Vaterlandsgefühl zu begründen, „das nicht von Illusionen lebt, sondern den Realitäten unserer Zeit verantwortlich zu begegnen weiß.“ Dies hielt Picht für den Kern der Diskussion, die im Interesse von Deutschland und der evangelischen Kirche geführt werden müsse. Im Jahre 1966 erschien erstmals das Evangelische Staatslexikon, von dem sich die Herausgeber erhofften, dass es „das Zeugnis eines in evangelischer Freiheit vollzogenen Ringens und Strebens um einen Beitrag zur Lösung der Fragen unserer Zeit in Kirche und Staat in beiden Teilen unseres zertrennten Vaterlandes“ darstelle191. Das Lexikon enthielt auch einen Artikel zum Begriff „Volk“ von Pfarrer Friedrich SpiegelSchmidt192. Der Text las sich in seinem theologiegeschichtlichen Teil wie eine Auseinandersetzung mit der Notgemeinschaft respektive der theologischen Position ihrer 191 STAATSLEXIKON, S. XVII. 192 1969 setzte sich Spiegel-Schmidt dann noch ausführlicher mit der „protestantischen Rechten“ auseinander. Vgl. F. SPIEGEL-SCHMIDT, Kirche.

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Väter und Großväter. Spiegel-Schmidt gab zu bedenken: dass das Volk sich nur als ein Glied der von Gott als die umfassendere Einheit geschaffenen Menschheit wissen dürfe, das nie der Pflicht gegenüber den anderen Völkern enthoben sei; dass das Volk als eine relative geschichtliche Größe ein zeitbedingtes Sein und keinen ewigen Beruf habe; dass das Volk nur als der den Christen zunächst gegebene Ort ihres Dienstes bejaht werden könne; dass der Christ diesen Dienst nur im Durchhalten der Spannung zwischen Gemeinde Jesu und Kosmos tun könne; dass nur dann vom Volk als Kollektivpersönlichkeit gesprochen werden könne, wenn es Organe besitze, die in klarer Abgrenzung zu seiner Obrigkeit stünden und in denen es sich repräsentiere und verantwortlich handele. In diesem Sinne müsse dann aber heute auch von gemeinsamer Verantwortung und gemeinsamer Schuld von Völkern gesprochen werden. Im Juni setzte sich der rheinländische Pfarrer Heinrich Treblin in der „Stimme der Gemeinde“ mit dem „Gott des Nationalprotestantismus“ auseinander193. Die Reaktionen auf die Ostdenkschrift hätten die „Zählebigkeit“ des „deutsch-evangelischen Bindestrichchristentums“ offenbart. Bei Evertz sah er den Nationalprotestantismus fröhliche Urstände feiern. Treblin, Jahrgang 1911 und ehemaliges Mitglied der Schlesischen Bekennenden Kirche, beklagte, dass es nach 1945 in der evangelischen Kirche nicht zu einer wirklichen, radikalen Aufdeckung des nationalprotestantischen Irrwegs im Lichte des Evangeliums gekommen sei. Das Darmstädter Wort sei einsam und unbeachtet geblieben. Die deutsch-national gesinnten Vertreter der Bekennenden Kirchen hätten nach Kriegsende erneut versucht, die Kirche zu einem „Bollwerk einer antisozialistisch-antikommunistischen Ideologie zu machen, zum Hort aller derer, die ihre besitzbürgerlichen Privilegien gefährdet sahen und – nun notgedrungen unter westlich-demokratischem Vorzeichen – für die Verteidigung Restdeutschlands und die Wiedergewinnung des alten Deutschen Reiches eintraten.“194

Das Nein der so genannten „Linksprotestanten“ gelte nicht dem Vaterland, sondern einer unangemessenen Bewertung dieser irdischen Gegebenheit, der „Blut-und-Boden-Theologie“. Barth sehe im Volk und Vaterland keine „Schöpfungsordnung“, sondern lediglich eine „Fügung“, eine „Platzanweisung“. Aufgabe der Gegenwart war es nach Treblin, die Irrwege der Vergangenheit nüchtern zu analysieren und im Hören auf die Botschaft von der Versöhnung umzudenken. Das bedeute, nicht selbstmitleidig und rechthaberisch auf längst verspielte Positionen des „Deutschtums“ und des Protestantismus zu pochen, sondern offen und ehrlich die Schuld der Deutschen gegenüber den anderen Völkern einzugestehen und eine „neue bescheidenere und dienstbereitere Politik“ zu machen. „Nicht ‚Rechtsprotestantismus‘ als Bindung der Kirche an die Ideologie bestimmter Gesellschaftsschichten, sondern der rechte, d. h. dem Evangelium gehorsame Protestantismus“ sei heute gefordert. Dazu müsse die „1945 versäumte Prüfung und Scheidung der Geister“ nachgeholt werden195. An Treblins 193 Stimme 18, 1966, S. 334–340. 194 EBD., S. 334. 195 EBD., S. 340.

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Ausführungen wurde ebenso wie an den Äußerungen der Vertreter der Notgemeinschaft deutlich, dass sich hier in freilich modifizierter Form noch einmal die Fronten der zwanziger und dreißiger Jahre gegenüberstanden. Um es nicht bei einer publizistischen Auseinandersetzung zu belassen, trafen sich am 30. Juni Vertreter und Kritiker der Notgemeinschaft im Mülheimer „Haus der Begegnung“ zu einem Gespräch196. Die Sprecher der Notgemeinschaft wiederholten dort ihren Vorwurf, die evangelische Kirche habe sich nach 1945 der nationalen Lebensfragen des deutschen Volkes nicht positiv angenommen. Ihre Gesprächspartner negierten dies entschieden: Es sei zwar nicht Aufgabe der Kirche, „die legitimen Ansprüche der Nation“ – wie es von Heiseler gefordert hatte – wahrzunehmen, doch habe die evangelische Kirche den Weg des deutschen Volkes seit Kriegsende mit zahlreichen Stellungnahmen zum politischen und sozialen Leben begleitet. Weit auseinander gingen die Meinungen auch über die Legitimität von Pluralismus in der Kirche, das Verständnis von Schuld sowie die Predigt der Kirche von Gericht und Gnade im Horizont des Politischen. Trotz sachlicher Diskussion brachte das Gespräch keine grundsätzliche Annäherung der Positionen. Wieweit man voneinander entfernt blieb, wurde auch auf den „Tagen der Besinnung“ deutlich, welche die Landeskirchen der Pfalz und Badens vom 30. September bis 3. Oktober 1966 in Ludwigshafen und Mannheim veranstalteten. Heiseler hielt dort vor tausend Zuhörern das Eröffnungsreferat und forderte erneut, dem gelenkten Prozess der „Entnationalisierung“ eine Besinnung auf das Vaterland entgegenzusetzen197. Bundesrichter Simon, Mitglied im Ausschuss für Atomfragen sowie in der Kammer für Soziale Ordnung der EKD, widersprach Heisseler in der anschließenden Podiumsdiskussion energisch: „Wir sollten auf selbstbewußte vaterländische Proklamationen verzichten, um das Notwendige in unserer Demokratie und den Beziehungen zu unseren Partnern zu tun.“198 In der Septemberausgabe der „Lutherischen Monatshefte“ setzte sich Erich Warmers, Öffentlichkeitsreferent in der braunschweigischen Landeskirche, ausführlich mit den Fragen auseinander, die durch das Programm der Notgemeinschaft an die politische Ethik gestellt wurden199. Zunächst versicherte er, dass es in der evangelischen Kirche unstrittig sei, in dem Hineingeborenwerden in ein Volk und damit in eine bestimmte Abstammung, Sprache, Geschichte und Sitte die Wirksamkeit des Schöpfers und Erhalters der Welt zu sehen. Gerade „Linksprotestanten“ wie Karl Barth und Helmut Gollwitzer hätten dies zum Ausdruck gebracht und sich gegen eine zynische Verkennung der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk gewandt. Die Liebe zum Vaterland könne der politischen Verantwortung jedoch einzig und allein die Besinnung auf den eigenen Standort liefern. Maßstäbe für diese Verantwortung dürften sich aus ihr nicht ergeben. Damit das romantische Nationalgefühl nicht wieder zum politischen Gestal196 197 198 199

Vgl. EW 20, 1966, S. 434f.; epd B, 7.7.1966, S. 9; ChrWelt, 8.7.1966, S. 10. Zitiert nach: epd ZA, 30.9.1966, S. 2. EBD. E. WARMERS, Kirche.

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tungs- und Ordnungsprinzip werde, müsse man sich gegen die Renaissance einer „romantischen Mythologisierung des Vaterlandes“ in der Kirche wehren. Die Notgemeinschaft stellte Warmers Ansicht nach die EKD vor die grundlegende Entscheidung, wo der Ansatzpunkt der politischen Ethik liege: beim demokratischen Staatsgebilde oder beim Volk als dem eigentlichen Kulturträger. „Ist politische Ethik“, so formulierte es Warmers, „eine geistige Subvention für die Volksseele, damit im Endergebnis vielleicht ein vernünftiger, hochstehender Staat entsteht – oder ist politische Ethik Befreiung zu verantwortlicher Gestaltung des demokratischen Staates, damit über den Staat das bestmögliche für das Volk geschieht?“200 Lange sei für die protestantische Ethik selbstverständlich gewesen, dass der ethische Ansatz beim „Naturprozeß Volk“ liege. Mit Paul Tillich habe dann eine Umorientierung der evangelischen Ethik begonnen201. Die Notgemeinschaft verlege den Ansatzpunkt der politischen Ethik aber wieder zum Volk, der Staat werde erneut zum Ausfluss eines natürlichen kulturellen Prozesses, des Volkes. Demokratie sei aber kein Naturprozess, sondern Ergebnis einer rationalen Gestaltung mit Hilfe von Macht und Recht. Die Botschaft des Neuen Testaments hatte nach Ansicht von Warmers eine größere Affinität zum demokratischen Verfassungsstaat als zum Volks- und Kulturprinzip. Alle Aussagen über den Menschen in der Gemeinde liefen darauf hinaus, dass völkische und rassische Bindungen keine Gültigkeit für die Konstituierung der Gemeinde hätten. Nirgends sei im Neuen Testament eine „Aufforderung zur Dankbarkeit für die Schöpfungsordnung Volk oder Vaterland“ zu finden202. Hingegen fänden sich die Wurzeln des demokratischen Verfassungsstaats im christlich interpretierten Naturrecht und in Gemeindeordnungen der Reformation. Den demokratischen Verfassungen komme es nicht auf ursprüngliche, natürliche Besonderheiten an, sondern auf die Durchsetzung wahrer Menschlichkeit gegen die natürlichen Anlagen des Menschen. Bezogen auf die Außenpolitik hielt Warmers eine politische Ethik, die durch die Vaterlandsliebe auch nur stellenweise auf eine Isolation zusteuere, von christlicher Verantwortung weit entfernt. Das Eigenwohl des Volkes könne nur noch im und mit dem Gemeinwohl der Welt gesucht werden. Die Notgemeinschaft erwies laut Warmers der evangelischen Kirche dann einen guten Dienst, wenn diese durch deren nicht vertretbare Forderungen genötigt sei, politische Ethik als eine bleibende Aufgabe der praktischen kirchlichen Arbeit anzusehen. Im Dezember griff Ludwig Raiser ein weiteres Mal in die Diskussion um eine Neubewertung von Volk, Nation und Vaterland ein203. Die kritische Besinnung auf die theologischen Grundlagen protestantischer Ethik sowie die bittere Erfahrung der „totalitären Staatssysteme unseres Jahrhunderts“, so Raiser, hätten dazu geführt, dass eine Theologie der Schöpfungsordnung nicht mehr leitend sei. Anstatt vom Eingefügtsein in vorgegebene Ordnungen und der Unterordnung unter obrigkeitliche Gewalt aus200 EBD., S. 456. 201 Vgl. P. TILLICH, Christentum. 202 E. WARMERS, Kirche, S. 457. 203 L. Raiser: Der Beitrag der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Wiedervereinigung. Vortrag im Studium Generale der Universität Marburg am 16.12.1966 (EZA BERLIN, 650/95/36).

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zugehen, herrsche heute die Tendenz vor, die Freiheit der Christen und der Kirche gegenüber dem Staat, also „Recht und Pflicht zu kritischer Distanz“ gegenüber den Erscheinungen der geschichtlich-politischen Welt zu betonen. Damit aber würden „die Güter, die uns die Zugehörigkeit zum eigenen Volk vermitteln, und die wir meinen, wenn wir von nationalen Zielen sprechen“, für den Christen nicht ihres Wertes beraubt. Sie gehörten zu den „guten Gaben Gottes“, um die Christen bitten und für die sie sich einsetzen dürften. Auch die Kirche erkenne sie an und nehme sich ihrer an, aber nur als vorletzte, irdische, nicht als höchste Güter eines Christen und darum unter dem Vorbehalt, dass sie den richtigen Platz unter den Zielen finden, für die die Kirche sich einzusetzen habe. Die protestantische Ethik gebe Kirche und Christen auf, an den weltlichen Ordnungen mitzubauen mit dem Ziel, in ihnen das „Personsein des Menschen und seinen freien Dienst am Nächsten zu ermöglichen und im Zusammenleben der Menschen und Völker den Frieden zu sichern.“ Eine freiheitliche Ordnung im Innern und eine Friedenspolitik nach Außen hatten somit auch für Raiser den Vorrang vor den „nationalen Zielen“. Im März 1967 schaltete sich die Notgemeinschaft auch in die Auseinandersetzung um die „moderne“, historisch-kritische Theologie ein204. In einem „Grundsätzlichen Wort“ des Vorstandes hieß es u. a., der „theologische Intellektualismus“ mache die „Felder der christlichen Frömmigkeit kahl“. Grundwahrheiten des christlichen Glaubens würden infrage gestellt und der Auflösung sittlicher Werte Vorschub geleistet205. Mit solchen Aussagen suchte die Notgemeinschaft die Nähe zu der im Januar 1966 gegründeten, wesentlich erfolgreicheren „Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘“. Diese opponierte gegen den in den sechziger Jahren sich beschleunigenden Prozess der Auflösung des traditionellen Verständnisses der Bibel als Gottes Wort bzw. generell gegen die Traditionsabbrüche in Kirche und Gesellschaft206. Zum Gegenstand und Schauplatz von Auseinandersetzungen zwischen der „Bekenntnisbewegung“, der Notgemeinschaft, dem Ostkirchenausschuss und den so genannten „Linksprotestanten“ wurde der 13. Deutsche Evangelische Kirchentag, der vom 21. bis 25. Juni 1967 in Hannover stattfand. In seinem Vorfeld hielt von Heiseler am 5. Juni einen Vortrag in der Hannoveraner Lukaskirche, in dem er seine bekannten Aussagen zu „Christ und Vaterland“ wiederholte207. Die Veranstaltung war als Gegenforum zum Kirchentag gedacht, wo kein Redner der Notgemeinschaft vertreten war. Mitte Juni beklagte sich Petersmann daher in einem offenen Brief an die Kirchentagsleitung, dass die „drei großen konservativen Gruppen“, deren personelle und sachliche Querverbindungen er betonte208, von der wesentlichen Mitarbeit „ausgeschaltet“ worden waren. Folglich stehe ein „linkprotestantischer Kirchenparteitag“ bevor209. Bereits

204 205 206 207 208 209

Vgl. EW 21, 1967, S. 11. Vgl. hierzu auch den ebenfalls 1967 erschienenen Band von A. EVERTZ, Glaubensnotstand. Vgl. hierzu F. JUNG, Bewegung; R. SCHEERER, Christen. B. VON HEISELER, Christ, S. 5–13. EBD., S. 51. Abdruck in: EBD., S. 49ff., hier S. 49.

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der Inhalt des Vorbereitungsheftes des Kirchentages erregte bei Petersmann heftigsten Widerspruch. Kurt Sontheimer forderte dort erneut, den Rechtsradikalismus nicht durch einen „gesunden Nationalismus“, sondern durch einen „demokratischen Radikalismus“ zu bekämpfen210. Und Georg Picht empfahl, das Nationalbewusstsein durch ein rationales Staatsbewusstsein zu ersetzen. Bei beiden sah Petersmann „die Verpflichtung für die Lebensinteressen der eigenen Nation entschwinde[n].“211 Auf dem Kirchentag selbst trat die Notgemeinschaft mit einer Plakat- und Flugblattaktion in Erscheinung. In dem Flugblatt wurde der EKD vorgeworfen, die Bemühungen der Bundesregierung um „einen gerechten Frieden und um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in seinen rechtmäßigen Grenzen“ zu beeinträchtigen212. Denn die wichtigste Aufgabe der deutschen Friedenspolitik sei „das Ringen um Wiederherstellung des Rechtes für Deutschland und seine Menschen.“213 Als Vorbild für eine Kirchentagserklärung in Hannover wurde aus der „Vaterländischen Kundgebung“ des Kirchentages in Königsberg 1927 zitiert, jenes Kirchentages, der das Thema „Kirche und Volkstum“ auf die Tagesordnung des landeskirchlichen Protestantismus gebracht hatte214: „Wir sind Deutsche und wollen Deutsche sein. Unser Volkstum ist uns von Gott gegeben. Es hochzuhalten ist Pflicht, zweifache Pflicht in einer Lage wie der gegenwärtigen. Ein Weltbürgertum, dem das eigene Volk gleichgültig ist, lehnen wir ab. – Die Kirche verkündigt, daß es über der irdischen Heimat eine ewige gibt. Aber das verleitet sie nicht, Heimat und Vaterland gering zu schätzen. Wie sie den Frieden unter den Völkern sucht, so tritt sie ein für Freiheit und Recht des eigenen Volkes. Sie will, daß jeder sich seiner Mitverantwortung bewußt ist und sich für alles einsetzt, was Volk und Staat stärkt, bessert und fördert. Solcher Vaterlandsdienst ist auch Gottesdienst.“215

Dieses Zitat verdeutlichte einmal mehr, dass die Notgemeinschaft an die Theologie der Zwischenkriegszeit anschließen wollte. In der Aussprache der Arbeitsgruppe Politik des Kirchentages ging es am 22. Juni auch um die Frage, ob nicht jedes Volk ein gewisses Maß an Nationalbewusstsein brauche. Für Karl Dietrich Erdmann war in Deutschland eine gute Tradition der Selbstkritik vorhanden, die es zu pflegen galt. Unter Selbstkritik verstand er nicht das Gegenteil von Nationalgefühl, sondern dessen legitime Betätigung. Wie sonst, fragte der Historiker, sollten die Deutschen zu einem klaren und geordneten Verhältnis zu sich selbst kommen, d. h. „Nation werden“, wenn sie ihre Vergangenheit nicht wahrhaben wollten216. Der Braunschweiger Landesjugendpfarrer Günther Berndt war der Auffassung, dass die jungen Deutschen kein Nationalbewusstsein bräuchten, sondern ein Bewusstsein von 210 211 212 213 214 215 216

Vgl. EBD., S. 51. EBD. Das Flugblatt ist abgedruckt in: EBD., S. 57f., hier S. 58. EBD., S. 59. Vgl. K. NOWAK, Kirche und Weimarer Republik, S. 173–177. B. HEISELER, Christ, S. 59. KIRCHENTAG 1967, S. 142.

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der Gesellschaft, ihrer Ordnung und der Aufgabe, in dieser Gesellschaft verantwortlich zu leben217. Daraus entstehe dann das, was man als „Staatsbewusstsein“ bezeichnen könne. Dazu bedürfe es der Information, der Diskussion und des Handelns. Der katholische Bundesminister a. D. Johann B. Gradl vertrat auf dem Podium die Gegenposition und plädierte für ein Nationalbewusstsein. „Nation“ war für ihn „Schicksalsgemeinschaft“, „Gemeinschaft“, in der man „zu Hause ist“. Den Deutschen müsse ihre „Persönlichkeit als Volk“ gelassen werden; diese hätten sie jedoch nur, wenn die Gemeinschaft als Ganzes das Recht habe, über sich zu bestimmen218. Nachdem die Notgemeinschaft bei den offiziellen Veranstaltungen des Kirchentags nicht vertreten war, meldete sie sich erneut publizistisch zu Wort. In der Broschüre „Politik in der Kirche. Schwarmgeisterei oder fremde Machtpolitik?“ ließ sie neben ihren nationalen Ressentiments auch ihrer antikommunistischen Kreuzzugsstimmung freien Lauf und offenbarte durch beides, dass es sich bei ihr weniger um eine religiös-kirchliche Gruppe mit seelsorgerlicher Zielsetzung als um eine politische Gruppierung innerhalb der Kirche handelte. Diese Broschüre wurde einem Rundbrief beigelegt, mit dem sich die Notgemeinschaft im September 1967 an Kreise von Industrie und Handel wandte, um sie um Spenden zu bitten. Der Antikommunismus diente dabei als Werbemittel: So hieß es in dem Brief, dass sich einflussreiche Kräfte der Kirche „von Jahr zu Jahr mehr die Schlagworte der kommunistischen Propaganda zu eigen gemacht haben und damit objektiv den Zielsetzungen der sowjetischen Politik in die Hände arbeiten. [. . .] Wir bitten Sie deshalb auch in Ihrem eigenen Interesse sehr herzlich, unsere Arbeit zu unterstützen.“219

Die Diskussion um die Notgemeinschaft und ihre Rehabilitierungsversuche von Volk, Nation und Vaterland innerhalb der evangelischen Kirche setzte sich im Jahr 1968 fort. Im Januar reflektierte Hans Hermann Walz über die Ursachen und Wirkungen des Nationalismus in ökumenisch-globaler und bundesdeutscher Perspektive220. Auf ökumenischer Ebene forderte er eine theologische Klärung des „Ja“ zum neuen und des „Nein“ zum alten Nationalismus. In der Bundesrepublik hielt er die Anfrage an Theologie und Kirche hinsichtlich der Begriffe Volk, Nation und Vaterland, die hinter der Polemik der Notgemeinschaft stehe, für berechtigt. Konsens herrsche in der christlichen Theologie lediglich darüber, dass Gott und Volk nicht ineinsgesetzt werden könnten. Mit der Ablehnung der Vaterlandsgläubigkeit sei aber nur ihre Identifizierung mit dem christlichen Glauben getroffen, nicht aber das Problem der Quasireligionen theologisch gelöst, zu denen nach Tillich auch der Nationalismus gezählt werden müsse. Da die Theologie es mit Realitäten zu tun habe, könne sie keinen Beitrag zu einer Wesensschau von Volk und Vaterland an sich leisten, sich aber zum Umgang 217 218 219 220

EBD., S. 164. EBD., S. 168. Vgl. KJ 94, 1967, S. 109. H. H. WALZ, Nationalismus.

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der Menschen mit dem Vaterland äußern. Nach Walz gab es eine Grunderfahrung, die sich terminologisch in die Erfahrung ‚Volk‘, die Erfahrung ‚Nation‘ und die Erfahrung ‚Vaterland‘ aufgliedern lasse: Hinter dem Begriff Volk stehe die Erfahrung von etwas Vorgegebenem, jedoch ohne normative Gültigkeit; Nation sei die Erfahrung von etwas, was gewollt und immer neu vollzogen werden müsse, sie sei das Instrument einer auf Zukunft, auf anderes und auf die anderen gerichteten Handelns; Vaterland stehe für einen irrationalen, von Tabus umgebenen Bereich, etwas das als über uns stehend empfunden werde. In der Formel vom heiligen Vaterland drücke sich ein Wissen von der Vergänglichkeit, von der Schuldhaftigkeit und von der Unerfülltheit des Daseins aus. Es sei die Hingabe an das prinzipiell Unerreichbare. Eine bloße autoritative Verwerfung dieser Erfahrung reiche nicht aus. Das Bedürfnis nach Verehrung, nach Läuterung und Opfer, die Wünsche, zu bleiben statt zu vergehen, frei zu werden von der Verstrickung, eins zu werden mit allen, könne aus der menschlichen Wirklichkeit nicht einfach wegdiskutiert werden. Die christliche Botschaft bewahre vor der Vergötzung, sie befreie aber auch von der Verteufelung dessen, was Menschen verehren. Gott entziehe die Menschen nicht der Vergänglichkeit, der Verzweiflung, der Begeisterung und der Leidenschaft. Aber er befreie sie in Christus von dem Ausgeliefertsein an diese Mächte und berufe sie zum Selbstsein und zur Vernunft im Umgang mit der Welt. Im März 1968 forderte die Notgemeinschaft in halbseitigen Anzeigen in überregionalen Tageszeitungen dazu auf, „die Front des Widerstandes gegen die Fehlentwicklung in unserer Kirche zu stärken.“221 Dies provozierte Georg Picht zu einer weiteren Stellungnahme222. Darin deutete er die Renaissance eines rechten Nationalismus außerhalb und innerhalb der Kirche als Abwehrreaktion auf den durch die wissenschaftliche und technologische Entwicklung erzwungenen gesellschaftlichen Wandel. Alle gesellschaftlichen Schichten, die nicht in der Lage seien, die durch den Wandlungsprozess verursachte Umstellungskrise geistig zu bewältigen, würden Ressentiments entwickeln. Die Diakonie könne nur darin bestehen, dass man den Menschen dabei helfe, die neue Situation geistig zu bewältigen. Unter dem Titel „Politische Protestbewegung, pressure group oder Kirchenpartei“ untersuchte die Redaktion der „Evangelischen Kommentare“ Motive und Methoden der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher223. Sie sah in der Notgemeinschaft mehrere politische und kirchliche Traditionen, Motive und Problemlagen zusammenfließen, die teilweise sogar in erheblicher Spannung zueinander standen. Die verschiedensten Ausprägungen der national-konservativen Traditionen im Protestantismus hätten sich in ihr zusammengefunden. Einem politisch-romantischen Konservativismus mit pietistischem Einschlag und einer christlich begründeten Staatsfrömmigkeit, wie sie sich in der Synthese von ‚Nation und Altar‘ ausgedrückt hat, träten verschiedene extreme Ausbildungen zur Seite, in denen sich z. B. deutsch221 Zitiert nach: epd ZA, 15.3.1968, S. 2. 222 „In der Umstellungskrise des politischen Bewußtseins. Gespräch mit Professor Dr. Georg Picht über die ‚Notgemeinschaft evangelischer Deutscher‘“. In: EvKo 1, 1968, S. 303ff. 223 EvKo 1, 1968, S. 306–312.

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christlicher Nationalismus neu artikuliere. Das einigende Band dieses heterogenen Kreises sahen die Redakteure in einem christlich untermauerten Nationalbewusstsein mit revanchistischen Tendenzen und einer Fülle emotional bestimmter Negationen und Ressentiments, wobei insbesondere ein militanter Antikommunismus hervorsteche. Eine gemeinsame Theologie besitze diese Gruppe außer ordnungstheologischen Elementen nicht. Theologische Argumente hätten bei den einzelnen Vertretern auch ganz verschiedene Funktionen: Neben der Zuwendung zu mehr religiös-kirchlichen, sozialpsychologischen und seelsorgerlichen Problemen, die auf eine Entfremdung zwischen vielen national denkenden Gemeindegliedern und der kirchlichen Predigt und politischen Ethik aufmerksam machte, stehe die Vertretung rein politischer Interessen in der Kirche. Die Notgemeinschaft müsse sich entscheiden, ob sie sich als „politische Protestbewegung von rechts“ verstehen wolle oder als „orthodox-pietistische Kirchenpartei“, deren Angehörige auch durch eine nationalkonservative Gesinnung verbunden waren224. Nach publizistischen Schlagabtauschen, Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Gesprächen kam drei Jahre nach Gründung der Notgemeinschaft die ausführlichste und differenzierteste Auseinandersetzung mit ihr aus der Westfälischen Kirche, der kirchlichen Heimat von Evertz. Mitte März 1969 ließ die Kirchenleitung den Pfarrern und Presbyterien eine „Stellungnahme zur Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“225 zur Besprechung zukommen, in der die Unterschiede zwischen den kirchlichen und gesellschaftlichen Leitbildern der Notgemeinschaft und ihrer Gegner deutlich markiert wurden. Abgefasst vom landessynodalen Ausschuss für öffentliche Verantwortung unter Vorsitz von Oberkirchenrat Werner Danielsmeyer wurden in der Stellungnahme Entstehung, Programm und Theologie der Notgemeinschaft beschrieben und analysiert. Vieles wurde kritisiert, aber auch berechtigte Bedenken und Anfragen ernst genommen. So räumte der Ausschuss ein, dass hinsichtlich einer Neubestimmung des Stellenwerts von Volk, Vaterland, Nation und Heimat nach 1945 von kirchlich-theologischer und politischer Seite manches unterlassen, die Frage nach der nationalen Identität entweder verdrängt oder einseitig negativ beantwortet worden sei. Er erklärte in diesem Falle nicht nur die Problemanzeige der Notgemeinschaft für berechtigt, sondern stimmte auch einzelnen ihrer theologischen Argumente zu. Die Existenz der Völker gründe im schaffenden Handeln Gottes und vollziehe sich unter seiner Herrschaft. Die christliche Gemeinde wie der einzelne Christ lebten unter dieser Voraussetzung in den Völkern und trügen darum Verantwortung für deren Selbstverständnis, Entwicklung und Lebensrecht. Es sei in der Tat an der Zeit, solche theologischen Aussagen zu machen und derartige Verantwortung zu praktizieren. Es wurde auch anerkannt, dass die Notgemeinschaft den theologischen und politischen Missbrauch der fraglichen Begriffe und Größen sehe, reflektiere und verwerfe. Seiner partiellen Zustimmung ließ der Ausschuss massive Kritik folgen. Die Not224 EBD., S. 312. 225 Abdruck in: Kirchliches Amtsblatt der Evangelischen Kirche von Westfalen III. Teil, Nr. 2, 19.3.1969, S. 9–16.

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gemeinschaft sehe die Schöpfungsqualität des Volkes zu isoliert. Jedes Volk sei Schöpfung und entstellte Schöpfung zugleich. Eine Definition des Volkes als Schöpfung, die diesen Tatbestand nicht genügend berücksichtige, neige schon vom Ansatz her zu einer einseitig positiven Wertung. Zumal dann, wenn das Verständnis von Schöpfung zu stark auf die „primäre Welt“ bezogen werde. Entsprechend und gemäß dem biblischen Zeugnis müsse gesagt werden, dass die christliche Gemeinde nicht nur in Solidarität dem Volk verbunden sei, in dem sie lebe, sondern als Volk Gottes und Anfang der neuen Menschheit auch in eschatologischer Distanz zu diesem stehe. Diesen zweiten Aspekt hielt man in der theologischen Konzeption der Notgemeinschaft für nicht ausreichend berücksichtigt. Auf Grund dessen verwende sie die Begriffe Volk, Vaterland, Nation und Heimat wie selbstverständlich und frage weder nach ihrem historischen Wandel noch nach ihrer Brauchbarkeit in der aktuellen politischen Lage. Ihre Argumentation laufe auf eine Rehabilitierung der Begriffe und der mit ihnen bezeichneten Wirklichkeit hinaus. Hinsichtlich der Völkerbeziehungen folge die Notgemeinschaft in ihrem „Arbeitsprogramm“ nur scheinbar der Erklärung der Spandauer Synode. Dort war von der freien Partnerschaft gleichberechtigter Völker die Rede. Die teilweise scharfe Polemik gegen die Leitbilder Weltgesellschaft und Weltdemokratie sowie gegen den Willen zu weltweiter Kooperation zur Sicherung des Friedens machte es nach Ansicht des Ausschusses jedoch fraglich, ob die Notgemeinschaft wirklich den Aussagen der Synode folgte. Angesichts der schöpfungstheologisch abgeleiteten Abwertung der Neuzeit, der kritischen Haltung zum gesellschaftlichen Wandel und zu allen in die Zukunft greifenden Konzeptionen auf Seiten der Notgemeinschaft waren diese Zweifel berechtigt. Zutreffend war auch die Beobachtung des Ausschusses, dass in den Äußerungen der Notgemeinschaft der Begriff „Gesellschaft“ kaum auftauchte. Deren antipluralistische Gesellschaftsvorstellungen waren geprägt von dem Wunsch nach einer Gemeinschaft voll geistiger und politischer Harmonie. Der Synodalausschuss der Westfälischen Kirche wertete hingegen den Meinungs- und Interessenskonflikt als notwendiges Element jeder staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung und bejahte ihn auch für Lehre und Leben der Kirche. Er stand damit für eine Neuorientierung in der protestantischen Staatsethik nach 1945. Für besonders bedenklich hielt der Ausschuss Äußerungen der Notgemeinschaft, in denen diese sich gegen eine Politik der Gewaltlosigkeit und des Eintretens für das Recht anderer Völker aussprachen. Denn eine vom Evangelium vertretbare Haltung war für sie dann verlassen, wenn das Recht des eigenen Volkes prinzipiell über das anderer Völker gestellt und jeder Rechtsverzicht, der einem besseren Zusammenleben der Völker diente, grundsätzlich abgelehnt wurde. In seinem abschließenden Urteil über die Notgemeinschaft erklärte der Öffentlichkeitsausschuss, dass deren theologischer Ansatz und ihre Leitbilder, das sie bestimmende geistige Klima und einzelne ihrer politischen bzw. kirchenpolitischen Aussagen dazu geeignet waren, nationalistische Einstellungen zu fördern, zu legitimieren bzw. eine latente Bereitschaft für sie zu wecken. Dass sich die westfälische Kirche nicht nur nationalistischen Tendenzen innerhalb der Kirche, sondern auch in der Politik entschlossen entgegenstellte, machte eine zweite Stellungnahme deutlich, die sie sieben Wochen später zum Programm der NPD

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veröffentlichte226. In seinen „grundsätzlichen Vorüberlegungen“ ging der Öffentlichkeitsausschuss dabei auch auf die Diskussion um die Rehabilitierung der Begriffe wie „Vaterland“ und „Heimatland“ ein. Er sah in ihnen „sozialpsychologische Leitbegriffe“227 und lehnte sie als solche nicht ab. Doch stellten sich seine Mitglieder die Frage, ob diese Begriffe durch ihren Missbrauch nicht so sehr in Misskredit geraten und missverständlich geworden seien, dass sie ihre ordnende Funktion gar nicht mehr erfüllen konnten. Der Ausschuss plädierte dafür, auf diese Begriffe zu verzichten, falls ihre Verwendung offenkundig dazu beitrage, den Nationalismus zu reaktivieren. Im Hinblick auf das Ziel der Völkerverständigung empfahl er den Christen, sich auf die Leitbegriffe zu konzentrieren, die das Zusammengehörigkeitsbewusstsein aller Völker festigten, d. h. vor allem auf den Begriff Frieden. An der NPD kritisierte der Öffentlichkeitsausschuss deren autoritäres, antidemokratisches und nationalistisches Gedankengut. Angesichts der Universalität der biblischen Botschaft könnten Christen sich an einer von einem integralen Nationalismus geleiteten Politik nicht beteiligen, lautete ihr abschließendes Urteil. Zum Zeitpunkt dieser Stellungnahme hatte die NPD jedoch bereits den Zenit ihrer Wahlerfolge und Mitgliederzahlen überschritten. Die „Rezession“ hatte sich nur als Stagnation erwiesen, der rasch ein neuer Wirtschaftsboom folgte. Zusammen mit innerparteilichen Streitigkeiten, der energischen Bekämpfung durch Parteien und Medien sowie dem sich abzeichnenden Verfall der Großen Koalition und der APO setzte die wirtschaftliche Erholung der kurzlebigen Erfolgsgeschichte der NPD ein Ende228. Auch die Notgemeinschaft hatte gegen Ende der sechziger Jahre bereits den Höhepunkt ihrer öffentlichen Aufmerksamkeit überschritten. Vermutlich hätte sie nicht mehr lange existiert, wäre sie nicht in die 1970 gegründete „Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands“ aufgenommen worden. Ihre Bedeutung für die sechziger Jahre aber lag darin, dass sie, indem sie den Notstand des Vaterlandes in Kirche und Theologie proklamierte, mit dazu beigetragen hatte, dass der Stellenwert von Volk, Vaterland und Nation für evangelische Christen neu reflektiert wurde. Ein gewisser Abschluss und Höhepunkt dieser Reflexion bildete der Band „ Volk – Nation – Vaterland. Der deutsche Protestantismus und der Nationalismus“, der 1970 erschien. Angeregt hatte ihn die Leitung der Evangelischen Kirche im Rheinland229. Die Wahlerfolge der NPD in überwiegend evangelischen Gebieten sowie die Gründung der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher hatten der Kirchenleitung den Eindruck vermittelt, dass noch immer viele Protestanten für nationale und antidemokratische Parolen anfällig seien. Bereits seit 1966 kamen die Autoren in einem Arbeits226 Abdruck in: Kirchliches Amtsblatt der Evangelischen Kirche von Westfalen III. Teil, Nr. 6, 6.5.1969, S. 35–39. Vgl. auch KJ 96, 1969, S. 107–110. Eine Stellungnahme gegen die NPD enthielt auch die Erklärung des Bischofsrates der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Vgl. EBD., S. 110. 227 Kirchliches Amtsblatt der Evangelischen Kirche von Westfalen III. Teil, Nr. 6, 6.5.1969, S. 37. 228 Zum Niedergang der NPD zwischen 1969 und 1972 vgl. P. DUDEK/H.-G. JASCHKE, Entstehung, S. 285 und S. 289f. 229 Vgl. H. ZILLESSEN, Volk, S. 7.

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kreis zusammen und diskutierten ihre Beiträge. Der daraus entstandene Sammelband, herausgegeben von dem Mitarbeiter am Sozialethischen Institut der Evangelischen Kirche im Rheinland Horst Zilleßen, gliederte sich in zwei Teile. Sehr viel Raum wurde der historischen Analyse des Verhältnisses von Protestantismus und Nationalismus gegeben. Ein Hauptaugenmerk lag dabei auf der Erläuterung, wie es zu der emotional gefüllten politischen Wertsetzung des nationalen Gedankens im Protestantismus gekommen war und welche Gründe für seine theologische Überhöhung maßgebend waren. Manfred Jacobs, Karl Kupisch, Wolfgang Tilgner und Ernst Wolf beschäftigten sich im ersten Teil des Bandes mit Volk, Nation und Vaterland im protestantischen Denken von der Reformation bis zur Gegenwart. Ergänzt wurden diese historischen Beiträge durch eine Darstellung von Klaus-Martin Beckmann über den nationalen Gedanken in der Ökumenischen Bewegung und von Albrecht Langner über den nationalen Gedanken im deutschen Katholizismus. Ziel der ausführlichen historischen Darstellung und Analyse war es nicht, so gab Zilleßen im Vorwort an, „im Hinblick auf die Folgerungen für die Gegenwart alle mit Volk, Nation und Vaterland verbundenen Wertsetzungen zu beseitigen oder einer rückwärtsgewandten Politik zuzuschreiben.“ Man wollte vielmehr „die Frage ihrer gegenwärtig angemessenen politischen Proportionierung bewußt“ machen230. Der zweite Teil war den sozialethischen, kirchenpolitischen, innen- und außenpolitischen Gegenwartsfragen hinsichtlich „Volk – Nation – Vaterland“ gewidmet. Autoren in diesem Teil waren drei Protagonisten der seit 1965 anhaltenden Diskussion um das Vaterland: Heinz-Dietrich Wendland, Erwin Wilkens und Kurt Sontheimer. Jan Juriaan Schokking rundete den zweiten Teil mit Ausführungen zum Verhältnis des Nationalstaates zur europäischen Einigung ab. Alle Autoren des Bandes waren sich darin einig, dass die politische Bewertung von Volk, Nation und Vaterland ernsthaft überprüft werden müsse, doch erreichten sie unter sich keine völlige Übereinstimmung darüber, welche politischen Wertvorstellungen mit ihnen verbunden werden sollten231. Die Diskussion um „Volk, Nation und Vaterland“ während der sechziger Jahre führte insgesamt weder im kirchlichen noch im politischen Raum zu einem völligen Konsens über die Vorstellungen, die hinter diesen Referenzgrößen standen, noch über ihren Stellenwert. Die Definitionen blieben vielfältig und in sich oftmals synkretistisch. Dennoch zeichneten sich Tendenzen ab, die auf einen Paradigmenwechsel hinweisen, der 1945 eingeleitet wurde und Ende der sechziger Jahre eine deutliche Beschleunigung erfuhr: Volk, Nation und Vaterland waren in der Vorstellungswelt der Protestanten – allen voran bei ihren Deutungseliten – insgesamt säkularer und sekundärer geworden. Im Sinne einer Staatsnation wurde die Nation hinsichtlich ihrer Binnenordnung demokratischer und pluraler sowie im Hinblick auf ihre Außenbeziehungen pazifistischer gedacht. Nationalkonservative Positionen mit ihrem bedenklichen Irrationalismus und politischen Romantizismus konnten keine Deutungshoheit mehr in der evangelischen Kirche erlangen. 230 EBD., S. 10. 231 EBD.

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4.1.3 Deutschlandpolitische An- und Vorstöße Seit Mitte der sechziger Jahre wurde in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit verstärkt über neue Wege in der Deutschlandpolitik diskutiert. Und auch im gesamtdeutschen Protestantismus wuchs in dieser Zeit der Wunsch nach deutschlandpolitischen Neuansätzen. Auf ostdeutscher Seite war es im Februar 1965 erneut Bischof Krummacher, der einen offiziellen Vorstoß zugunsten einer Neuorientierung der westdeutschen Politik gegenüber der DDR unternahm. Schon im Dezember 1964 hatte er in Briefen an Kunst und Scharf vor den negativen Auswirkungen gewarnt, welche die Umsetzung des Plans zu einer multinationalen Atomstreitmacht (Multilateral Forces = MLF) der NATO auch auf die Einheit der EKD haben würde232. Anfang Januar 1965 forderte ihn dann Staatssekretär Seigewasser dazu auf, öffentlich gegen die bundesdeutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik Stellung zu nehmen233. Krummacher verweigerte dies und verwies auf seine Briefe an leitende westdeutsche Kirchenvertreter. Ende Februar entschieden sich dann Krummacher und Scharf dazu, einen für die Öffentlichkeit bestimmten kirchlichen Dialog in Briefform zu führen. Die beiden DibeliusSchüler waren sich im Laufe des Jahres 1964 auf ökumenischen Treffen vornehmlich in Schweden persönlich näher gekommen234. Für ihre Annäherung gab es vor allem zwei inhaltliche Gründe: die gefährdete organisatorische Einheit der EKD und die Bischofswahl in Berlin-Brandenburg. Beide waren vermutlich auch die Motive für den Briefwechsel im Februar und März. In seinem Brief vom 28. Februar forderte der Vorsitzende der KKL die westdeutschen Gliedkirchen dazu auf, bei den Politikern darauf zu drängen, sich aus erstarrten Positionen zu lösen235. Krummacher hoffte auf eine „gemeinsame kirchliche Antwort auf einige brennende Fragen“, die in der Bundesrepublik zur Entscheidung anstanden. Ausdrücklich nannte er die Beteiligung der Bundesrepublik an der nuklearen Planung, den Plan eines Atomminengürtels an der innerdeutschen Grenze, die westdeutsche Debatte um eine Verjährung von NS- und Kriegsverbrechen236 und die Fortdauer der Hallsteindoktrin. Scharf unterstrich in seinem Antwortschreiben vom 7. März die Notwendigkeit eines politischen Dienstes der Kirche im Sinne einer „kritische[n] Unruhe im Interesse der Menschlichkeit in der Politik“237. In diesem Sinne stimmte er Krummachers Wunsch zu, dass den „kleinen Schritten“, wie dem Passierscheinabkommen von 1964, größere folgen sollten. Ohne explizit gegen die Hallsteindoktrin Stellung zu nehmen, enthielt der Brief des Ratsvorsitzenden eine vorsichtige Distanzierung von der Deutschlandpolitik der Bundes232 Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 152f. 233 Vgl. EBD., S. 153f. 234 Vgl. A. MÄKINEN, Einheit, S. 151. 235 Der Brief ist abgedruckt in: KJ 92, 1965, S. 75f. 236 Der Bundestag verabschiedete am 25.3.1965 ein Gesetz zur Neuberechnung der Verjährungsfrist, das faktisch auf eine Verlängerung der Frist bis 31.12.1969 hinauslief. Vgl. zur Verjährungsdebatte von 1965 M. GREVE, Umgang, S. 304–320. 237 KJ 92, 1965, S. 76ff., hier S. 76.

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regierung. Trotz aller Vorsicht erntete Scharf für den Brief Kritik von Seiten der westdeutschen Ratsmitglieder, die er über den Briefwechsel nicht informiert hatte238. Die Brieftexte wurden daher auf der westlichen Parallelsynode der EKD in Frankfurt am Main Ende März nicht an die Synodalen weitergegeben239, während sie hingegen in Magdeburg verteilt wurden240. Der ostdeutsche Berichtsausschuss diskutierte intensiv über den Inhalt des Briefwechsels und begrüßte in seinem Bericht, dass Scharf „in hilfreicher Weise“ auf die „sehr ernsten“ Fragen von Krummacher geantwortet habe. Er bedauerte zugleich nachdrücklich, dass eine gemeinsame Verständigung über die gestellten Fragen in örtlich gemeinsamer Synode nicht mehr möglich war241. Der westdeutsche Berichtsausschuss erklärte dagegen, dass für die Teilsynode in Frankfurt in diesem Fragebereich „Zurückhaltung in eigenen Äußerungen und Entschließungen geboten“ sei242. Er stellte sich folglich nicht hinter die Überlegungen und Maßnahmen zur politischen Diakonie der Kirche im geteilten Deutschland, die Scharf in seinem Brief und in seinem Bericht als Ratsvorsitzender entwickelt hatte. Andererseits bedauerte es der Ausschuss zutiefst, dass es anlässlich einer Synode des Briefwechsels zwischen Ratsmitgliedern bedurfte und nicht die Synode als Ganze an einem Ort zusammentreten konnte, um über derartige Fragen zu beraten. Die Kirchenpolitik der SED verhinderte jedoch nicht nur eine gemeinsame Synodaltagung, sie führte auch dazu, dass der Wortlaut des Briefs von Scharf in ostdeutschen Kirchenblättern nicht veröffentlicht werden konnte, da die Verantwortlichen auf Staats- und Parteiseite eine Aufwertung von Scharf angesichts der bevorstehenden Bischofswahl in Berlin-Brandenburg befürchteten243. In der Bundesrepublik wurde der Briefwechsel hingegen publiziert. So zeigte sich an dem Briefwechsel und den Reaktionen auf ihn das volle Ausmaß der inneren und äußeren Schwierigkeiten der gesamtdeutschen EKD, Mitte der sechziger Jahre zu deutschlandpolitischen Fragen konkret Stellung zu nehmen. Insbesondere Scharf musste einen Tag nach Synodenende erneut erfahren, welche Vorsicht bei deutschlandpolitischen Äußerungen angebracht war. Nach einem Interview mit dem Ratsvorsitzenden titelte die Nachrichtenagentur UPI am 26. März: „Scharf schlägt Bildung eines gesamtdeutschen Gremiums vor. EKD will westlichen Teilnehmern einen kirchlichen Auftrag geben“. Neben zahlreichen sachlichen Fehlern im Artikel war allein schon diese Überschrift eine Interpretation, da Scharf sich auf Vorschläge vor dem Mauerbau – gemeint war wohl die Initiative auf der Synode 1956 – bezogen und zumindest direkt keinen aktuellen Vorschlag formuliert hatte244. Um 238 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 22.3.1965 (EZA BERLIN, 104/40). 239 Vgl. EBD. Den Mitgliedern des Berichtsausschusses wurde der Briefwechsel jedoch im Wortlaut bekannt gemacht. Vgl. KJ 92, 1965, S. 132. 240 EBD. 241 Vgl. EBD. 242 EBD. 243 Information von Henkys an Hühne, 9.4.1965 (PARH). Zur Bischofswahl s. u. Kap. 4.2.1. 244 Schelz unterrichtete Wilkens in einem Schreiben vom 3.4.1965 über Scharfs mündliche Richtigstellung des Artikels. Daraufhin informierte Wilkens am 12.4.1965 die Ratsmitglieder (EZA BERLIN, 87/96/447).

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kritischen Anfragen zu begegnen, ließ Scharf das Interview vertraulich u. a. bei den Ratsmitgliedern richtig stellen. In den evangelischen Jugend- und Studentenorganisationen musste man in den deutschlandpolitischen Diskussionen weniger Vorsicht walten lassen. Mitte Mai referierte Heinz-Georg Binder vor den west- und ostdeutschen Mitgliedern des Gesamtkirchlichen Ausschusses der AGEJD über „Probleme und Möglichkeiten der OstWest-Politik in Deutschland“245. Binder beschrieb sich als einen Christen, der sich „loyal aber nicht konform“ gegenüber dem bundesdeutschen Staat verhielt. Anlass zur Kritik sah er in drei Bereichen: Die Bundesrepublik verhalte sich – erstens – in ihrer Ost- und Deutschlandpolitik besonders „schwerfällig“, sie „bewältige“ – zweitens – ihre Vergangenheit nicht, und erlebe – drittens – gegenwärtig eine „Renaissance nationalen Denkens“. Die deutschlandpolitische Konzeption der Bundesrepublik stehe auf „tönernden Füßen“, da die Wiedervereinigung keine realistische Erwartung mehr sei. Laut Binder setzte sich diese nüchterne Erkenntnis auch unter Politikern mehr und mehr durch. Als hinderlich erweise sich dabei aber noch die in der Nachkriegszeit entwickelte „heuchlerische Wiedervereinigungsliturgie“. Durch ihre Abgrenzungspolitik hätten sich die zwei deutschen Staaten in der Weltpolitik isoliert. Die Bundesrepublik werde vor allem durch die Hallstein-Doktrin gelähmt, die sich in der Öffentlichkeit als ein Tabu erweise. Binder plädierte dafür, dass sich Christen in der Deutschlandpolitik für „Sachlichkeit“, für humane Lösungen wie z. B. Passierscheinabkommen sowie für eine risikoarme Politik einsetzen sollten. Zuletzt entwickelte er eine außenpolitische Prioritätenliste für Deutschland: An erster Stelle stand die Gewährleistung, dass Deutschland nicht wieder Auslöser eines Krieges werde; dann kam die Hilfe für die Lösung der sozialen Spannungen in der Welt und erst an dritter Stelle stand für Binder die Wiedervereinigung. Die Entwicklungspolitik war somit vor das nationalstaatliche Ziel gerückt. Hinsichtlich der Wiedervereinigung hegte Binder nur noch die „geringe Hoffnung“, dass ein Fortschritt in der Deutschlandfrage über eine gesamteuropäische Lösung erreicht werden könne. Ähnlich wie in den EKD-Gremien herrschte aber auch im Gesamtkirchlichen Ausschuss der AGEJD kein Konsens in deutschlandpolitischen Fragen, was in der Aussprache über Binders Referat deutlich wurde. Als prominente Einzelperson wagte im Frühjahr 1965 Erich Müller-Gangloff einen Aufsehen erregenden Vorstoß für eine Wende in der Deutschlandpolitik. Der 1907 geborene Müller-Gangloff hatte Germanistik und Geschichte studiert und stand in den dreißiger Jahren den Gedanken der Konservativen Revolution nahe246. Vor dem Hintergrund der „deutschen Katastrophe“ und den Fragen nach Schuld und Sinn fand er während der amerikanischen Kriegsgefangenschaft zu Christentum und Kirche und trat später in die evangelische Michaelisbruderschaft ein. 1951 gründete er die Evangelische Akademie in Berlin, deren Leiter er wurde. Seit den fünfziger Jahren äußerte 245 Protokoll über die Sitzung des GKA der AGEJD am 11./12.5.1965 (Aaej HANNOVER, GKA-Vorsitzende). 246 Vgl. zum Lebensweg von Müller-Gangloff: R. HANUSCH, Müller-Gangloff.

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er sich kontinuierlich in politisch-moralischer Absicht zur „Vergangenheitsbewältigung“ sowie zur Teilung Deutschlands und Europas. 1958 trat er als Mitbegründer der späteren „Aktion Sühnezeichen“ und des Berliner Zweigs der Bewegung „Kampf dem Atomtod“ in Erscheinung. Seit 1962 ließ ihn das MfS wegen des „Verdachts auf Agententätigkeit“ und wegen „ideologischer Diversion“ fast ein Jahrzehnt beobachten247. 1965 schließlich veröffentlichte Müller-Gangloff sein Buch mit dem provokanten Titel „Mit der Teilung leben. Eine gemeindeutsche Aufgabe“, der zugleich Programm war. Er formulierte darin seinen Weg aus der deutschlandpolitischen Sackgasse in „sieben Thesen für ein neues Bewußtsein“: „1. Die Wiedervereinigung ist verspielt. 2. Wir müssen mit der Teilung leben. 3. Wir sind kein Volk im Sinn einer Nation. 4. Wir waren immer mehr oder weniger als Nation. 5. Unsere Aufgabe heißt: Reich als Friedensordnung. 6. Wir haben die Geschichte auf Zukunft zu befragen. 7. Wir brauchen ein politisches Konzept.“248

In der Hoffnung auf die Generation der Zwanzigjährigen forderte er einen politischen Bewusstseinswandel weg von der gesamtdeutschen Wiedervereinigungsrhetorik hin zur Wahrnehmung einer „gemeindeutschen“ Friedensaufgabe, die den Abschied vom Nationalstaatsdenken des 19. Jahrhunderts und die Einwilligung in die deutsche Teilung erfordere. Die Existenzsicherung der DDR und der Verzicht auf die Wiedervereinigung dienten nach Müller-Gangloff als politische Zielsetzungen dem Frieden: „Wir fragen betroffen [. . .] Warum rührt niemand an dieses letzte Tabu?“249 Insbesondere den Christen in Ost- und Westdeutschland wies er eine „Friedenstiftungsaufgabe“ zu; sie sollten ihre wenigen noch verbliebenen Gemeinsamkeiten als „Potential für eine Zukunft des Friedens“ entfalten und ausbauen250. Eine eigene Verantwortung sah er hierfür bei der CFK liegen. Müller-Gangloffs ethisch-moralische und geschichtstheologische Argumentation und die daraus abgeleiteten politischen Forderungen fanden vor allem in den Studentengemeinden Gehör, wo er sie auf Seminaren teilweise auch selbst vortrug251. Zustimmende Äußerungen kamen auch aus der DDR. So identifizierte sich Günter Jacob in einer Rezension in der „Stimme der Zeit“ mit Müller-Gangloffs Analyse und Forderungen252. Der Kirchentag, das große Forum des Protestantismus, öffnete dem Akademieleiter und seinen Thesen jedoch erst 1967 die Tore. Im Jahr 1965 waren Kirchentagspräsident Richard von Weizsäcker und der Vorsitzende des Vorbereitungsausschusses Klaus von Bismarck noch bemüht, den DEKT von Debatten um die Deutschlandpolitik freizuhalten. Am Vorabend der Eröffnung 247 Vgl. BStU BERLIN, MfS AIM 3654/71 und H. KNABE, Republik, S. 297ff. 248 E. MÜLLER-GANGLOFF, Teilung, Klappentext. Langfassung der Thesen auf S. 17ff. 249 EBD., S. 9. 250 EBD., S. 164. 251 So z. B. auf dem Politischen Pfingstseminar der ESG TU Berlin, Hochschule für Musik und Hochschule der Bildenden Künste: 8. Mai 1945 – Zwanzig Jahre danach, vom 5.–7.6.1965 (EZA BERLIN, 36/297). 252 G. JACOB, Frage – eine Bücherschau.

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des vom 28. Juli bis 1. August in Köln stattfindenden Protestantentreffens erklärte von Weizsäcker, es sei nicht Aufgabe des Kirchentags, politisch zur Deutschlandfrage Stellung zu nehmen und zu erklären, ob „große, kleine oder gar keine politische Schritte unserem Land am besten helfen.“253 „Was wir können und wollen, ist“, so definierte er das Selbstverständnis des Kirchentags, „uns klar zu machen, wie es zur Spaltung gekommen ist, was sie für uns bedeutet, was sie uns praktisch für Möglichkeiten der Verbindung und Hilfe läßt, und was von uns aus geschehen kann, um das Bewußtsein, zusammenzugehören, und den Wunsch, zusammenzukommen lebendig zu erhalten.“254

Auch wenn die Entfremdung fortgeschritten war und „auf beiden Seiten nun eine Art von eigener Geschichte und Entwicklung der Gesellschaft vorliegt, die der Vereinigung nicht durch bloße Abstimmung und Staatsakte fähig ist“, sah von Weizsäcker den „Willen zur Zusammengehörigkeit“ vorhanden und in der Bundesrepublik eher wieder zunehmen. Es gelte den Gefahren, die dieser Zusammengehörigkeitswille in sich berge, vorzubeugen und seine Chancen zu nutzen. Der Präsident sah die Arbeit des Kirchentages bewusst in diesem Zusammenhang und wollte jede sich bietende Gelegenheit zu gegenseitiger Orientierung und Korrektur genutzt wissen. Ein gesamtdeutsches Ereignis wie noch in den fünfziger Jahren konnte der Kirchentag indes nicht mehr sein. Denn zum zweiten Mal gab es keine offiziellen Teilnehmer aus den ostdeutschen Gliedkirchen; lediglich ca. 3.000 Rentner aus der DDR kamen als private Besucher. In Verzeichnung der Kausalitäten nahm das MfS den Verlust des gesamtdeutschen Charakters des Kirchentages mit Zufriedenheit zur Kenntnis: „Der Deutsche Evangelische Kirchentag hat sich auf Grund seiner einseitigen Parteinahme für die Bonner Politik allmählich von einer sogen. gesamtdeutschen Massenveranstaltung zu einem kirchlichen Lokalereignis entwickelt, das besonders der Unterstützung der Erhard-Regierung dient.“255 Während das Programm des Kölner Kirchentags ganz auf die Situation in der Bundesrepublik zugeschnitten war, kam von Weizsäcker in seiner Schlussrede noch einmal kurz auf die deutsche Teilung zu sprechen. „Gute Lösungen“, so mahnte er, könnten nur „aus den gemeinsamen Friedensaufgaben der Deutschen“ erwachsen256. Die Deutschen hätten die Chance, durch ihre Zusammengehörigkeit zum Abbau des Misstrauens über den Eisernen Vorhang hinweg und zur Überwindung der europäischen Spaltung beizutragen. Die „Versteifung auf Maximalforderungen“ verhärte hingegen „die gegenwärtige Unlösbarkeit“ und steigere die „Reizbarkeit“. Diese langfristige Aufgabe werde vor allem den Vertretern der jüngeren Generation zufallen. Von ihnen hänge es ab, so Weizsäcker, „ob sie zusammenfügen können, was zusammengehört.“ Auch hätten sie es zu bestimmen, „wie es zusammengehört“. Dabei würden sie die 253 254 255 256

KIRCHENTAG 1965, S. 25. EBD. E. I. über den 12. DEKT in Köln 1965 (BStU BERLIN, MfS ZAIG 1096). KIRCHENTAG 1965, S. 935.

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Erfahrung machen, dass sie nur dann für die deutsche Problematik Gehör fänden, wenn sie sich in die politische Weltlage einordnen und zur Beteiligung an der Lösung der weltpolitischen Fragen bereit seien. Damit hielt von Weizsäcker am Fernziel einer wie auch immer gestalteten deutschen Vereinigung fest, signalisierte Zustimmung zu entspannungspolitischen Ansätzen in der Ost- und Deutschlandpolitik und erklärte allen deutschlandpolitischen Maximalforderungen eine Absage. Dies alles geschah in vorsichtigen, den Konsens nicht gefährdenden Formulierungen. Konkretere Forderungen kamen Ende des Monats August aus der DDR. Als eine Demonstration der „gemeinsamen humanistischen Verantwortung von Marxisten und Christen für die Erhaltung und Sicherung des Friedens“ inszeniert257, trafen sich am 29. August auf der Wartburg zum „Sonntags-Gespräch“ des Deutschen Fernsehfunks: der Vorsitzende des Staatlichen Rundfunkkomitees Gerhard Eisler, CDU-Generalsekretär Götting, Landesbischof Mitzenheim und Oberkirchenrat Lotz. Der Inhalt des Gesprächs wurde unter dem Titel „Christen und Wiedervereinigung“ vom Sekretariat des Hauptvorstands der CDU als Broschüre herausgegeben und in Auszügen am 31. August in der „Neuen Zeit“ veröffentlicht258. Sein Tenor lautete, dass die Bundesrepublik und insbesondere die CDU/CSU für die Herbeiführung und die Fortdauer der Spaltung Deutschlands verantwortlich waren. Mitzenheim übernahm es, die gegenwärtige Aufgabe der Kirche im geteilten Deutschland in Form rhetorischer Fragen zu formulieren: „Müßten die Kirchen, ihre Leitungen, ihre Pfarrer und alle ihre Gemeindeglieder nicht unermüdlich und noch viel stärker ihre Stimme erheben und eintreten für Verständigung, für Gespräche, für Versöhnung, für die Erhaltung des Friedens, damit das Gegeneinander und Nebeneinander zu einem Miteinander und Füreinander im einzelnen Volk – auch in unserem Volk – und in der Völkerwelt wird? Müßte es nicht endlich in unserem geteilten deutschen Volke dahin kommen, daß die Deutschen ihre Lebensfragen miteinander besprechen und so schrittweise eine Wiedervereinigung herbeiführen helfen? Wir begrüßen es, daß auch in der Bundesrepublik Männer der Kirche den Mut haben, im Sinne der Ratschläge der ökumenischen Bewegung ihr Wort in aller Oeffentlichkeit zu sagen. Aber müßte dies nicht viel mehr und viel kräftiger noch geschehen?“259

Danach nannte er die konkreten politischen Ziele, für welche Christen und Kirchen in der DDR und der Bundesrepublik mobilisiert werden sollten. Er lobte die DDRFührung für die bisherigen Passierscheinabkommen sowie die Ermöglichung von Rentnerreisen und bedauerte das Stocken der Verhandlungen für ein neues Passierscheinabkommen. Weitere kleine Schritte könnten folgen, so Mitzenheim, falls die Bundesrepublik bereit wäre, über die „größeren Schritte“, insbesondere den Verzicht auf Atomwaffen und weitere Aufrüstung zu Vereinbarungen mit der DDR zu kommen 257 Vgl. den Bericht der AG Kirchenfragen des ZK der SED vom 11.10.1965 über den Erfahrungsaustausch zu Fragen der Kirchenpolitik mit den Leitern der staatlichen Ämter für Kirchenfragen der UdSSR in Moskau. Abgedruckt in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 449–456, hier S. 450. 258 „Sonntagsgespräch auf der Wartburg“. In: NZ, 31.8.1965, S. 1 und 3. 259 EBD., S. 3.

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und sachliche Gespräche über gemeinsam interessierende Fragen zu führen. Dieses Plädoyer für die „großen Schritte“ hielt Mitzenheim auf dem Höhepunkt des Bundestagswahlkampfes. Am 25. November kam es zu einem weiteren „kleinen Schritt“: die Verabschiedung des 3. Passierscheinabkommens zwischen der Regierung der DDR und dem Senat von Berlin. Bereits am 16. August hatte der Rat der EKD in einem Kommuniqué die Wiederaufnahme der Verhandlungen begrüßt und zugleich gemahnt, dass ein Berliner Passierscheinabkommen nur der Anfang für weitere Erleichterungen sein könne. Er versicherte, dass die Evangelische Kirche als eine die innerdeutsche Grenze übergreifende Organisation alle Bemühungen unterstütze, die zum Ziel hatten, politische Spannungen abzubauen und weitere menschliche Entfremdung zwischen den Teilen Deutschlands zu verhindern260. Als die Verhandlungen ins Stocken gerieten, sandte der Rat am 7. Oktober ein Telegramm an Bundeskanzler Erhard, Ministerpräsident Stoph und in Abschrift an den Regierenden Bürgermeister von Berlin Brandt261. Er bat darin, zumindest die 1964 eingerichtete Passierscheinstelle für Härtefälle aus den jeweiligen politischen Erwägungen heraus und auf jeden Fall offen zu halten. Entsprechend seiner Absicht, alle Bemühungen zu unterstützen, die der innerdeutschen Entspannung und dem Einhalt des Entfremdungsprozesses dienten, begrüßte der Rat der EKD auch den geplanten Redneraustausch von SPD und SED. Die SEDFührung präsentierte sich 1966 verhandlungswillig, um das Nichtzustandekommen von Verhandlungen der westdeutschen Seite anlasten zu können. Am 7. Februar schrieb Ulbricht einen „Offenen Brief an die Delegierten des Dortmunder Parteitages der SPD“ und schlug eine „loyale Zusammenarbeit“ zwischen den beiden Parteien und eine Annäherung der deutschlandpolitischen Standpunkte vor262. Dieser Brief wurde – im Unterschied zu früheren Reaktionen – vom sozialdemokratischen Parteivorstand beantwortet. Die SPD-Vertreter markierten deutlich die grundsätzlichen Differenzen zur SED, drangen auf Verbesserungen des menschlichen Zusammenlebens im geteilten Deutschland und fragten, ob eine freimütige Diskussion über die Auffassungen beider Seiten über die Deutschlandfrage möglich sei. Daraufhin bot die SED-Spitze am 26. März in einem erneuten Brief einen Redneraustausch an. Während in der politischen Öffentlichkeit in der Bundesrepublik dieses Vorhaben noch kontrovers diskutiert wurde, fand in Bochum am 14. April auf Einladung des örtlichen Arbeitskreises der Evangelischen Akademie Westfalen ein Forumgespräch über „Wege der Annäherung im geteilten Deutschland“ zwischen Journalisten aus der DDR und aus der Bundesrepublik statt263. Das nach dem Mauerbau wohl erstmalige 260 Vgl. Die Welt, 16.8.1965, S. 2. 261 Vgl. Niederschrift über die Begegnung der Ratsmitglieder am 8.10.1965 (EZA BERLIN, 104/41). Zwei Tage zuvor hatte der Rat der EKU an die Unterhändler auf beiden Seiten ein Telegramm gesandt. Vgl. BERICHT Synode EKU 1965, S. 39. 262 Zum Redneraustausch vgl. J. STAADT, Westpolitik, S. 167–190; R. SIEWERT, Kontakte, S. 23–36 und S. 55–102. 263 EW 20, 1966, S. 276. Teilnehmer waren Günter Kertzscher, Martin Radmann, Theo Sommer und Peter Bender. Die Gesprächsleitung hatte Axel Seeberg.

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Zusammentreffen dieser Art bewies die Möglichkeiten, die im Bereich kirchlicher Initiativen lagen, machte aber zugleich deutlich, wie schwierig es war, jenseits der bekannten Thesen beider Seiten gangbare „Wege der Annäherung“ zu finden. Die bundesdeutschen Journalisten plädierten für verstärkte „kleine Schritte“ unter Ausklammerung der grundsätzlichen politischen Fragen, ihre Ost-Berliner Kollegen forderten hingegen Verhandlungen auf „Regierungsebene“. Obgleich es zu keiner Annäherung der Positionen kam, wurde ein weiterer Gedankenaustausch in der Evangelischen Akademie Erfurt in Aussicht genommen. Nach technischen Vorgesprächen einigten sich SED und SPD am 26. Mai über Orte und Termine ihres Redneraustauschs. Einen Tag später erklärte der Rat der EKD in einem Kommuniqué, er unterstütze alle Vorhaben, die „einen Abbau von Vorurteilen und eine Förderung gegenseitiger Kenntnisse in ganz Deutschland erwarten lassen.“264 Erneut plädierte er für weitere Erleichterungen menschlicher Kontakte im geteilten Deutschland. Mit anderer Akzentuierung gab Moritz Mitzenheim am 9. Juni im „Neuen Deutschland“ ebenfalls eine Erklärung zum geplanten Redneraustausch ab. Darin hieß es: „Wer auf christlicher Grundlage steht und realistisch denkt, begrüßt es, daß endlich Gespräche zwischen Bürgern der DDR und der Bundesrepublik über die deutsche Frage zustande kommen. Denen, die zu solchem Meinungsaustausch den Anstoß gegeben haben und für sein Zustandekommen unerschrocken eintreten, danken wir für ihre feste Haltung.“265

In der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen wurde diese Erklärung als musterhaft bezeichnet mit der Maßgabe, dass noch stärker als bisher auf Geistliche und kirchliche Amtsträger zur Abgabe von Stellungnahmen eingewirkt und für deren Veröffentlichung Sorge getragen werden sollte266. Ende Juni sagte die SED vermutlich auf eine Moskauer Intervention hin267 die geplanten Gespräche, die in West- und vor allem Ostdeutschland Hoffnungen auf einen „gesamtdeutschen Frühling“ geweckt hatten268, ab. Als Grund gab sie ein Gesetz an, das der Bundestag am 23. Juni verabschiedet hatte. Es sollte die SED-Delegierten in der Bundesrepublik vor einer Strafverfolgung wegen des Schießbefehls und der Toten an der deutsch-deutschen Grenze bewahren, wurde von der SED aber als „Handschellengesetz“ und Anmaßung der Bundesregierung bezeichnet. Noch vor dem Scheitern des Redneraustauschs war am 7. März das 4. Passierscheinabkommen unterzeichnet worden, das die Besuchszeiträume für Ostern und Pfingsten regelte. Möglich gemacht wurde es erneut durch die so genannte „salvatorische Klausel“, die klarstellte, dass es sich bei der Vereinbarung nicht um einen Vertrag zwischen zwei 264 Zitiert nach: KJ 93, 1966, S. 237. 265 M. Mitzenheim: In gegenseitiger Achtung das Gemeinsame betonen. In: ND, 9.6.1966, S. 2. 266 Mitteilung Nr. 3/66, 1.7.1966 (BArch BERLIN, DO 4/4883). 267 H. A. WINKLER spricht von einer „Intervention aus Moskau“ (DERS., Weg, S. 235). P. ERKER vermutet ebenfalls ein „Moskauer Veto“ (DERS., Westarbeit, S. 178). 268 G. VETTER, Entwicklung, S. 316.

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Staaten handelte. Im Juni fanden Gespräche für ein weiteres Abkommen statt, die sich jedoch schwierig gestalteten, da die DDR den Wegfall der salvatorischen Klausel forderte. Der West-Berliner Unterhändler brach die Gespräche daraufhin ab; wenig später nahm er sie wieder auf, um zumindest den Fortbestand der Passierstelle für dringende Familienangelegenheiten zu retten. Die DDR weigerte sich jedoch auch für dieses Teilabkommen die Klausel zu übernehmen269. Während die Bundesregierung auf deren Aufnahme bestand, war der Berliner Senat jedoch bereit, für das Teilabkommen, das sich ausdrücklich auf das Passierscheinabkommen vom 7. März bezog, auf die Klausel zu verzichten. In dieser Situation erklärte am 19. August der Rat der EKD öffentlich sein Bedauern darüber, dass alle Bemühungen, wenigstens die Härtestelle fortzuführen, vorläufig gescheitert seien270. Er sah es als eine „dringende sittliche Verpflichtung“ an, die Passierscheinverhandlungen wiederaufzunehmen und einer erneuten Verschärfung der Spannungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands entgegenzuwirken. Bischof Kunst wurde beauftragt, „diese Gesichtspunkte bei den beteiligten politischen Stellen mit Nachdruck zu vertreten.“ Sepp Schelz ging in seinem Kommentar im „Berliner Sonntagsblatt – Die Kirche“ noch einen Schritt weiter271. Er schlug vor, die beiden christlichen Kirchen und das Rote Kreuz sollten selbst versuchen, die Passierscheinverhandlungen wieder in Gang zu bringen. Der Vorschlag wurde in der Presse zwar rezipiert272, kam aber nicht zur Umsetzung. Am 6. Oktober erfolgte eine Übereinkunft über die Passierstelle für Härtefälle, die vom 10. Oktober an geöffnet blieb. Bei den Verhandlungen um ein allgemeines Passierscheinabkommen wandte sich der DDR-Unterhändler erneut entschieden gegen die salvatorische Klausel und forderte die Aufnahme „normaler staatlicher Beziehungen“ zwischen dem Senat und der DDR-Regierung. Hinter dieser harten Linie stand ein deutschlandpolitischer Kurswechsel der Staats- und Parteispitze in der DDR. Dort legte man es fortan auf eine prinzipielle Entscheidung in der Deutschlandpolitik an und verknüpfte daher auch humanitäre Regelungen mit konkreten politischen Forderungen. Da der Senat die Bindung West-Berlins an den Bund nicht infrage stellen konnte und wollte, mussten die Verhandlungen am 13. Dezember 1966 endgültig scheitern. Dies konnte auch Hermann Kunst nicht verhindern, der auf Geheiß des Rates ein weiteres Mal bei den beteiligten staatlichen Stellen nachdrücklich für eine Regelung eingetreten war, „die den Geboten der Menschlichkeit entspricht“273. Außer in Härtefällen war es fortan West-Berlinern bis 1972 nicht mehr möglich, ihre Verwandten in Ost-Berlin zu besuchen. Neben ihrem den politischen Entscheidungsträgern sekundierenden Einsatz für menschliche Erleichterungen konnte sich die EKD auch 1966 nicht zu einer grund-

269 Vgl. G. VETTER, Entwicklung, S. 311f. 270 KJ 93, 1966, S. 237. 271 21.8.1966. 272 Laut Berliner Pressespiegel vom 25.8.1966 berichteten die FAZ, Die Welt, Der Telegraf, das Spandauer Volksblatt, die Nacht-Depesche, der SFB sowie der Rias über den Vorschlag. 273 KJ 93, 1966, S. 237.

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sätzlichen deutschlandpolitischen Äußerung entschließen. Und dies obgleich sie zunehmend von west- und ostdeutschen Protestanten öffentlich dazu aufgefordert wurde, sich für einen Kurswechsel in der bundesdeutschen Deutschlandpolitik einzusetzen. Auf der Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft in Genf im Juli erklärte es Helmut Gollwitzer für eine legitime Aufgabe der christlichen Kirchen in Deutschland, der Bevölkerung die „Wahrheit“ zu sagen274. Dazu gehörte für Gollwitzer primär, dass die Deutschen die Folgen des Zweiten Weltkrieges anzuerkennen hatten. Das bedeutete: den Verzicht auf die verlorenen Gebiete; die Beendigung des „latente[n] Bürgerkrieg[es] zwischen den deutschen Teilstaaten“; die Aufgabe des Alleinvertretungsanspruches der Bundesrepublik für ganz Deutschland; die Einsicht, dass es eine Annäherung im geteilten Deutschland nur auf der Basis der Anerkennung des Status quo geben konnte und dass eine deutsche Beteiligung an einer NATO-Atommacht für Europa und Deutschland schädlich war. Gollwitzer appellierte an die Ökumene, der EKD zu helfen, „ihre Aufgabe in der politischen Diakonie zu erkennen und zu erfüllen“275. Eine Aufforderung zum Handeln erhielt die EKD auch durch den Regionalausschuss der CFK in der Bundesrepublik. Heinz Kloppenburg, Karl Immer, Herbert Mochalski, Wolfgang Schweitzer und Martin Schröter sandte am 26. September dem Rat der EKD einen Brief, in dem die Kirche, ähnlich wie von Gollwitzer, gebeten wurde, der westdeutschen Bevölkerung Hilfestellung zu leisten, um „zu gesunden Urteilen und zu einem wirklichen Beitrag zur Gewinnung des Friedens in Europa und in der Welt zu kommen.“276 Dies sollte nicht nur hinsichtlich deutschlandpolitischer Fragen geschehen, sondern auch im Hinblick auf aktuelle innen- und außenpolitische Themen bundesrepublikanischer Politik. Bezüglich der Deutschlandpolitik forderten sie die Kirche auf, nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass die europäische Friedenssicherung nur Voraussetzung und nicht Folge eines Fortschrittes in „deutschen Fragen“ sein könne. Zudem sollte die EKD bei der Herbeiführung eines modus vivendi zwischen der Bundesrepublik und der DDR helfen. Scharf ließ dem Regionalausschuss auf privatem Wege mitteilen, dass er zu einem Gespräch über den Brief einladen werde. Als die Einladung bis Anfang 1967 nicht erfolgte, veröffentlichte der Ausschuss den Brief in der Februarnummer der „Jungen Kirche“. Im letzten Viertel des Jahres 1966 meldeten sich auch prominente Protestanten zu Wort, die für einen gemäßigteren Kurswechsel in der bundesrepublikanischen Deutschlandpolitik eintraten. Dies geschah vor dem Hintergrund des bevorstehenden bzw. bereits vollzogenen Regierungswechsels hin zur Großen Koalition, von der man hoffte, dass sie wirklich neue Wege in der Deutschlandpolitik einschlagen werde. Im Oktober gab Herbert Wehner dem Journalisten Günter Gaus ein Interview, das Aufsehen erregte277. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende sprach sich dafür aus, im in274 275 276 277

Das Votum von Gollwitzer ist abgedruckt in: JK 27, 1966, S. 436–441. EBD., S. 441. Abdruck in: JK 28, 1967, S. 91–94, hier S. 93. Abdruck in: DOKUMENTE, IV/12, S. 1489–1501.

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nerdeutschen Bereich alles zu tun, was nicht ausdrücklich einer friedensvertraglichen Regelung vorbehalten sein musste. Er empfahl, je nach Bedeutung des Themas auch Verhandlungen zwischen den Behörden auf höherer Ebene als bisher zu führen. Auch könnten an einem dritten Ort gegenseitige Gewaltverzichtserklärungen deponiert werden. Ebenso schloss er die Bildung einer Deutschen Wirtschaftsgemeinschaft oder eines Deutschen Bundes nicht aus. Kurt Scharf bezeichnete in einem Interview mit der „Neuen Ruhr-Zeitung“ am 1. November die Vorschläge Wehners als „eine Möglichkeit, die man ernsthaft prüfen sollte.“278 Man müsse „Fühler in diese Richtung ausstrecken“, so erklärte er weiter, da jeder Kontakt dieser Art helfe, „das Gemeinschaftsbewußtsein der Deutschen zu steigern.“ Im Zusammenhang mit der Diskussion über die Vorschläge Wehners befürwortete der Ratsvorsitzende und Bischof von Berlin laut Interview eine „flexiblere Anwendung“ der Hallstein-Doktrin und ein Maximum an Kontakten mit dem anderen Teil Deutschlands, die seiner Ansicht nach „in erster Linie der Bevölkerung und nicht dem Staatsapparat in der DDR zugute“ kamen. Scharf erklärte, dass das, was sich in der öffentlichen Diskussion nun abzeichne, die EKD seit 1956 gefordert habe, nämlich die Bildung eines gesamtdeutschen Gremiums aus unabhängigen Persönlichkeiten, das die Möglichkeit einer Konföderation untersucht. Er berichtete, die Initiative zur Bildung eines gesamtdeutschen Gremiums sei damals „erst auf die beschwörende Bitte der Bundesregierung“ hin abgebrochen worden. Scharf bedauerte dies im Nachhinein. Für seinen indirekten Vorschlag, nun ein gesamtdeutsches Gremium zu bilden, erntete der Ratsvorsitzende in der Bundesrepublik stumme, in der DDR-Presse aber ebenso scharfe wie höhnische Ablehnung279. Mitte Dezember hielt Ludwig Raiser an der Universität Marburg einen Vortrag über den „Beitrag der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Wiedervereinigung“280. Der Vorsitzende der Kammer für öffentliche Verantwortung gab darin einige deutschlandpolitische Denkanstöße, die er aber nicht als „offizielles Aktionsprogramm“ der evangelischen Kirche verstanden wissen wollte. Er hielt es für vorrangig, dass die Bundesdeutschen sich über ihr deutschlandpolitisches Ziel Klarheit verschafften. Die uneindeutige und vornehmlich auf Emotionen zielende „Parole der Wiedervereinigung“ könne nicht mehr politischer Leitbegriff sein. Der bundesdeutschen Bevölkerung müsse offen gesagt werden, dass die Einheit zu wollen, heute bedeute, sich auf einen langen Annäherungsprozess einzustellen, der erst in langen Zeiträumen und nur unter günstigen Voraussetzungen in der politischen Konstellation Europas zum Ziel führen könne. Von der Bundesrepublik forderte Raiser, ihr „Dogma“ der Nichtanerkennung und Alleinvertretung „kritisch“ zu „überprüfen“, von der DDR, dass sie aufhöre, ihre Anerkennung bei Verhandlungen über menschliche Erleichterungen „erpressen zu wollen“. Die Nichtanerkennung hatte nach Ansicht des Tübinger Juristen nur noch den Sinn, das „Vorläufige und ganz und gar Unzuträgliche des gegenwärtigen, nur mit Gewalt geschaffenen Zustandes der Spaltung zu betonen“. Als Waffe im 278 Das Interview ist auch abgedruckt in: EBD., S. 1632f. 279 Vgl. z. B. den ND-Kommentar „Was will Präses Scharf?“ In: ND, 5.11.1966, S. 2. 280 Abschrift im EZA BERLIN, 650/95/36.

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Kalten Krieg verwendet, warnte Raiser, wirke sie verletzend und wecke den Widerwillen nicht nur der Funktionäre, sondern auch der ostdeutschen Bevölkerung und vor allem der jungen Generation in der DDR. Damit aber untergrabe sie den Willen zur Wiederherstellung der Einheit bei denjenigen, die ein einiges Deutschland noch nicht erlebt hatten und auf deren Zusammengehörigkeitswillen es in der Zukunft ankomme. Eine Gefahr für das Fernziel einer deutschen Einheit sah Raiser auch im „kalten Propagandakrieg“ zwischen den beiden deutschen Staaten. Dieser zerstöre das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit in einem Volk und der gemeinsamen Verantwortung für dieses Volk und beunruhige zudem die europäischen Nachbarn. Die Kirche sollte sich daher handelnd und beratend in den Dienst der Entspannung des innerdeutschen Klimas stellen. Ob es schon an der Zeit war, auch weitergehende Dienste der Kirche anzubieten, wie es Scharf vorgeschlagen hatte, hielt Raiser angesichts der aggressiven deutschlandpolitischen Gangart der DDR für zweifelhaft. Was Raiser in seinem Vortrag entwickelte, war im Grunde eine Unterstützung für die neuen deutschlandpolitischen Akzente der Großen Koalition, wie sie Kanzler Kurt Georg Kiesinger in seiner drei Tage zuvor gehaltenen Regierungserklärung gesetzt hatte281. „Wir wollen entkrampfen und nicht verhärten, Gräben überwinden und nicht vertiefen“, hieß es darin. Er gab zwar den Alleinvertretungsanspruch nicht auf, betonte aber, dass dieser keine „Bevormundung“ der Ostdeutschen bedeute. In seiner Rede fehlte auch das „Nicht-Anerkennungsvokabular“ wie „Sowjetzone“, „Alleinvertretungsanspruch“ und „Aufwertung“. Vor allem wollte der Kanzler die DDR in die Gewaltverzichtspolitik einbeziehen. Den Staaten des Warschauer Pakts bot er diplomatische Beziehungen an. Anstelle einer offiziellen EKD-Erklärung zur deutschlandpolitischen Problematik wurde zu Beginn des Jahres 1967 erneut ein bereits 1964 und 1965 eingesetztes Instrument öffentlicher Stellungnahme im innerdeutschen Spannungsfeld gewählt: der offene deutsch-deutsche Briefwechsel auf kirchenleitender Ebene. Dieses Mal war es nicht Krummacher, sondern Johannes Jänicke, der an Scharf schrieb. Der Magdeburger Bischof wollte damit Angriffen gegen Scharf in der DDR-Presse und in Verhandlungen mit staatlichen Stellen entgegentreten. Der Berliner Bischof hatte ihn dazu ermutigt und ihm eine Antwort zugesichert282. In seinem Brief vom 2. Januar bezog sich Jänicke auf das Scharf-Interview in der „Neuen Ruhrzeitung“ und das daraufhin von dem Redakteur für kirchenpolitische Fragen Eberhard Klages veranstaltete „Trommelfeuer“ gegen den Berliner Bischof in der „Neuen Zeit“. Jänicke forderte Scharf auf, klar zur respektive gegen die Hallstein-Doktrin Stellung zu nehmen und gleichzeitig auch den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik zurückzuweisen283. Die Kirche müsse hier, wie es Jänicke ausdrückte, „zu den Avantgardisten“ gehören284. Da Scharf keinen Alleingang unternehmen wollte, ließ er sich für seinen Antwortbrief intensiv beraten. In diesem 281 282 283 284

Zur Regierungserklärung von Kiesinger vgl. P. BENDER, Ostpolitik, S. 140f. Vgl. Scharf an Lilje, Wilm, Kunst und Raiser, 26.1.1967 (BArch KOBLENZ, N 1287/41). Der Brief ist abgedruckt in: KJ 94, 1967, S. 110ff. EBD., S. 111.

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Beratungsprozess wurde die innerkirchliche Diskussionslage offenbar. Erwin Wilkens empfahl Scharf, im Unterschied zu Jänicke sorgfältig zwischen Hallstein-Doktrin und Alleinvertretungsanspruch zu differenzieren285. Hinsichtlich der außenpolitischen Hallstein-Doktrin sah Wilkens die Dinge bereits im Fluss. In Bezug auf den Alleinvertretungsanspruch riet er Scharf in seinem Antwortbrief darauf hinzuweisen, dass die Ablehnung einer völkerrechtlichen Anerkennung keineswegs die Aberkennung der Staatlichkeit der DDR einschließen müsse. Zu den innerdeutschen Beziehungen könne Scharf schreiben, dass „die einander ausschließenden gegenseitigen staatsrechtlichen Beanspruchungen ein Element der Spannung ersten Ranges“ darstellten und die beiden deutschen Teilstaaten daher „unterhalb solcher Maximalansprüche“ miteinander in Kontakt treten und Regelungen aller Art treffen sollten. An dieser Stelle könne man auch den Konföderationsgedanke erwähnen und zwar in dem Sinne, dass im Verhältnis der beiden Staaten zueinander mit langen Fristen und mit Formen des Übergangs zu rechnen sei. Scharf überarbeitete seinen Entwurf entsprechend der Empfehlungen von Wilkens, lediglich in der Terminologie behielt er eine gewisse Unschärfe bei, da er Jänicke nicht belehren wollte und die sprachliche Ungenauigkeit auch für die Abwehr etwaiger Angriffe in der westdeutschen Öffentlichkeit von Nutzen hielt286. Den überarbeiteten Entwurf sandte Scharf anschließend Lilje, Wilm, Kunst und Raiser zur Stellungnahme zu287. Kunst, ebenso wie der von ihm zu Rate gezogene Heinemann, empfahlen Scharf, nicht davon zu sprechen, dass sich die Kirche weder mit der Hallstein-Doktrin noch mit einem Alleinvertretungsanspruch identifiziere. Zutreffend sei, dass die Kirche selbst beide „nicht praktiziere“288. Raiser plädierte in seiner Antwort für eine deutlichere Unterscheidung zwischen einer kirchlichen Anerkennung der DDR als legitime Obrigkeit einerseits und andererseits der Stellungnahme der EKD zu dem politischen Konflikt zwischen den beiden deutschen Teilstaaten sowie zu den in diesem Konflikt auf beiden Seiten verwendeten „propagandistischen und diplomatischen Waffen“289. Auch zu dem politischen Konflikt müsse die Kirche als „wichtiger Sachwalter des deutschen Volkes“ Stellung nehmen, dürfe sich aber nicht zum „Streithelfer der einen oder der anderen Seite mißbrauchen“ lassen. Scharf sollte in dem Brief die „eigene Zielsetzung“ der Kirche herausarbeiten, die nach Raisers Ansicht darin bestand, dass sie alles unterstütze, „was der Erhaltung der Einheit des deutschen Volkes dienen kann und allem widerstehen sollte, was die gegenwärtige Trennung noch verschärfen und verhärten müßte.“ Raiser sah im Augenblick hingegen kaum eine Möglichkeit, „konkrete Vorschläge zur staatlichen Verschmelzung zu machen“, und auch die Vokabel „Wiedervereinigung“ wollte er „eine Weile“ vermieden wissen. Nicht (Wieder-)Herstellung staatlicher Einheit, sondern Erhalt der „Einheit des deutschen Volkes“ sollte nach Raiser Ziel deutschlandpolitischer Stellungnahmen der EKD sein. Scharf müsse in seinem Brief darauf 285 286 287 288 289

Wilkens an Scharf, 19.1.1967 (EBD.). Scharf an Wilkens, 26.1.1967 (EZA BERLIN, 650/95/36). Brief und Entwurf vom 26.1.1967 (BArch KOBLENZ, N 1287/41). Kunst an Scharf, 28.1.1967 (EZA BERLIN, 742/514). Brief vom 31.1.1967 (EBD.).

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hinweisen, dass es auf beiden Seiten darum gehe, „die vermeintlich zwangsläufige Entwicklung im Sinne einer Verewigung der deutschen Spaltung aufzuhalten und in eine Entwicklung zur Gemeinsamkeit hin umzuleiten.“ Wie Wilkens ging es auch Raiser vor allem darum, die deutsche Frage für die Zukunft hin offen zu halten. Die Endfassung des Scharf-Briefes datierte vom 13. Februar und war gegenüber dem Entwurf in der Stellungnahme zur Hallstein-Doktrin und ihren Vertretern leicht abgeschwächt. Ohne nähere Ausführungen hieß es jetzt nur noch, Scharf habe mit seiner Bemerkung im Interview der „Neuen Ruhrzeitung“ „starre Fronten durchbrechen wollen.“ Der Bischof versicherte, dass die Kirche selbst entgegen der Vorwürfe in der DDR-Presse weder eine Hallstein-Doktrin noch einen Alleinvertretungsanspruch praktiziere. Um dies zu unterstreichen, bot Scharf der DDR-Regierung an, mit der EKD einen „Kirchenvertrag über beiderseitig interessierende Fragen“ abzuschließen290. Von der innerkirchlichen Praxis, so Scharf, müsse die politische Spannung in den innerdeutschen Beziehungen unterschieden werden. In seiner Stellungnahme zu Letzterer bemühte sich der Brief um Ausgewogenheit: Er kritisierte die „diskriminierende Propaganda“, die mit der Politik der Nichtanerkennung der DDR oft verbunden sei ebenso wie die „Erziehung zum Haß“ in der DDR. Er erinnerte an seinen Synodalbericht von 1965, in dem er erklärt hatte, dass die EKD keine bestimmte staatsrechtliche Zuordnung der beiden deutschen Staaten zueinander vertrete. Die Kirche könne nur Formen und Mittel der Verständigung empfehlen. In diesem Zusammenhang nannte Scharf eine Konföderation der beiden deutschen Staaten einen „fruchtbaren Gedanken“ und erwähnte erneut seine Anregung, einen gesamtdeutschen Rat einzurichten. Dieser Vorschlag, so der Bischof, käme dem Angebot Ulbrichts in seiner Neujahrsansprache, paritätische Kommissionen zu bilden, sehr nahe. Auf jeden Fall müssten „Formen des Übergangs“ gefunden werden, die aber den endgültigen Zustand noch nicht fixieren dürften. Auch jede praktische Übergangsregelung sollte laut Scharf unter der Leitidee der Versöhnung stehen. Der Briefwechsel wurde am 16. März im Landesdienst Berlin des „epd“ veröffentlicht, was der Rat der EKD bedauerte, da er vermutete, dass die Briefe zu Missverständnissen führen und sich negativ auf die bevorstehende Synode auswirken könnten291. Tags darauf beschäftigte man sich im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen mit den Briefen. In dem Bericht hieß es, beide seien zwar „nicht einseitig oder aggressiv“ im Ton, würden aber im Tenor auf die Deutschlandpolitik der Bundesrepublik zielen292. Scharfs Empfehlung einer Konföderation stehe in diametralem Gegensatz zu der von Bundestag und Bundesregierung bisher verfolgten Wiedervereinigungspolitik293. Die etwas unklaren Formulierungen des Bischofs in dieser Frage

290 Daran zeigte sich die DDR-Führung jedoch nicht interessiert. Vgl. „Ost-Berlin lehnt Scharfs Vorschlag ab“. In: FAZ, 20.3.1967, S. 5. 291 Aktenvermerk von Behm über die Sitzung des Rates der EKD am 16.3.1967 (EZA BERLIN, 104/43). 292 BArch KOBLENZ, B 137/7848. 293 In einer Zusammenstellung des Referats II 6 (Kultur, Erziehung, Jugend) für das Referat II 1 (Politik) vom 10.10.1967 wurde der Briefwechsel zwischen Scharf und Jänicke als Beweis dafür genom-

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ließen nicht erkennen, ob er sich des spezifischen Charakters der „kommunistischen Konföderationsidee“ bewusst sei und ob er bereit wäre, die Konsequenzen zu akzeptieren, die sich aus den Forderungen der DDR schon für das Stadium der Herbeiführung der Konföderation ergaben. Zu Recht vermutete man im Ministerium, die Briefe seien vor dem Hintergrund der gefährdeten kirchlichen Einheit geschrieben worden. Willi Barth von der Arbeitsgruppe Kirchenfragen äußerte in seinem Bericht für die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros und des Sekretariats ähnliche Vermutungen. Jänicke habe mit seinem Brief „offensichtlich dem West-Berliner Bischof D. Scharf Gelegenheit geben [wollen, C. L.], sich als Ratsvorsitzender der EKD von dem Vorwurf der Unterstützung der Hallstein-Doktrin und der Alleinvertretungsanmaßung des Bonner Regimes bzw. der Praktizierung dieser Doktrin durch die EKD freizusprechen.“294 Ganz im Gegensatz zu den tastenden deutschlandpolitischen Vorstößen im Briefwechsel zwischen Scharf und Jänicke ging Erich Müller-Gangloff auch nach der Bildung der Großen Koalition weiterhin deutschlandpolitisch in die Offensive. Auf einem Seminar der ESG Darmstadt Mitte Januar 1967 erklärte er erneut, dass eine Wiedervereinigung nicht möglich sei295. So wie sich Österreich seit langem als selbstständiger deutscher Staat entwickelt habe, müssten in absehbarer Zeit auch die DDR und die Bundesrepublik nebeneinander leben. Die Diskussion in der Bundesrepublik über eine Anerkennung der DDR hielt der Akademieleiter für arrogant gegenüber den Ostdeutschen und ihren Leistungen. Es ging seiner Ansicht nach nicht nur um Anerkennung, sondern um die Bejahung des politischen Weges der DDR. Müller-Gangloff nannte drei Bedingungen, die die Bundesrepublik für eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen ihr und der DDR erfüllen müsse: Erstens, der Verzicht auf atomare Bewaffnung, zweitens, die Anerkennung der Nachkriegsgrenzen, drittens, der Verzicht auf die alte Wiedervereinigungskonzeption. Im Sinne der Drei-Staaten-Theorie hielt er es für notwendig, dass es zu vertraglichen Abmachungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik sowie zwischen beiden Staaten und West-Berlin komme. Bundestagssitzungen in West-Berlin bezeichnete er als ein „ausgesprochenes Verbrechen“, da dieses „Auftrumpfen“ West-Berlin zum „Störfaktor“ mache. Für diese Aussage sowie seine Ausführungen zur Anerkennung der DDR wurde Müller-Gangloff von einigen Seminarteilnehmern scharf angegriffen. Auf dem Darmstädter Seminar fand auf Einladung von Studentenpfarrer Martin Stöhr hin auch ein deutsch-deutsches Politikertreffen statt. Bernhard Vogel, Mitglied des Bundestages für die CDU, diskutierte dort mit Carl Ordnung von der Ost-CDU über deutschlandpolitische Fragen. Beide vertraten die Positionen ihrer jeweiligen men, dass „maßgebende Kreise der EKD [. . .] nicht mit den offiziellen Auffassungen der Bundesrepublik überein“ stimmten (BArch KOBLENZ, B 137/7847). 294 Zitiert nach: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 332. 295 Bericht von Carl Ordnung vom 18.1.1967 über das Seminar vom 13.–15.1.1967 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII/010/3252).

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Parteien. Laut Ordnung neigte nur eine geringe Zahl der Teilnehmer der Haltung von Vogel zu, die große Mehrheit habe seine Position unterstützt. Ähnlich lautete sein Erfolgsbericht auch nach einer Diskussionsveranstaltung mit Studenten, die der ASTA der TH Darmstadt zwei Tage später mit ihm veranstaltet hatte: Die ESG, so sein Eindruck, stehe „im allgemeinen weit links von den Auffassungen der Mehrheit der gesamten Studentenschaft an der TH“. Diese Einschätzung traf in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre auch für andere, wenn auch nicht für alle der 90 westdeutschen Studentengemeinden zu. Im Laufe des Jahrzehnts vollzog sich im Kontext der beginnenden Studentenproteste in der Bundesrepublik und anderen westlichen Industriegesellschaften in vielen Studentengemeinden eine (Links-) Politisierung, die von den zentralen, überregionalen Gremien der ESGiD und von einigen Studentenpfarrern vor Ort bewusst gefördert wurde. Hochschul- und gesellschaftspolitische Themen sowie politische Aktionen bestimmten immer mehr die Arbeit der Gemeinden. Zu Kristallisationspunkten des Engagements wurden die Auseinandersetzungen um die Notstandsgesetze in der Bundesrepublik und der Protest gegen den Krieg in Vietnam296. Gesteigertes Interesse entwickelten die Studentengemeinden auch an neomarxistischen Theorien und ihrer Fundamentalkritik am „kapitalistischen System“ und an der „bürgerlichen Formaldemokratie“. Ebenso richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf die Befreiungsbewegungen der „Dritten Welt“. Dies alles spiegelte sich in den Themen der Arbeitstagungen zur politischen Bildung wider, die seit Herbst 1965 unter dem Titel „res novae“ veranstaltet wurden297. Auf diesen wurde jedoch auch intensiv über die politische Situation in der DDR und zur deutschen Frage gearbeitet298, was nicht zuletzt der Tatsache geschuldet war, dass die Seminare finanziell vom Familienministerium gefördert wurden299. Dennoch, so versicherten die Veranstalter stolz, habe man keine „apologetische“ Arbeit geleistet. Nach fünf Jahren wurde 1970 in einem vertraulichen Bericht das Resümee gezogen: „Eines ist sicher nicht erfolgt, nämlich das Bereitstellen apologetischen Materials für Antisozialisten und Antikommunisten. Der weitaus überwiegende Teil der Teilnehmer konnte zu einer sachgerechten Einschätzung und sympathisierenden Haltung gegenüber der sozialistischen Bewegung gebracht werden“300.

Einer der stärksten Förderer einer Politisierung der ESGiD war Martin Schröter301. In den deutschlandpolitischen Fragen vertrat er selbst den Standpunkt der CFK, in deren westdeutschem Regionalausschuss er seit 1967 im Vorstand war. Unter seiner Leitung fand vom 4. bis 6. April 1967 in Beienrode eine Begegnung von Vertretern der Regionalausschüsse der CFK in der DDR und in der Bundesrepublik sowie Mitgliedern des 296 Vgl. G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 94, S. 98. 297 Vgl. EZA BERLIN, 36/382. 298 Übersicht der Themen bei W. Motzkau: 5 Jahre res novae (EZA BERLIN, 36/89/4). 299 Für die Seminare 1965– 1970 erhielt die ESGiD 199.000 DM aus Bundesmitteln. Vgl. EBD. 300 EBD. 301 Vgl. das Referat von M. Schröter: Partnerschaft innerhalb der ESGiD. Abdruck in: G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 240–250, besonders S. 249.

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West-Berliner Arbeitsausschusses der CFK statt302. Als Gäste kamen hinzu der Vizepräsident der CFK, George Casalis, und der Generalsekretär der CFK Ondra. Das Ergebnis des Gesprächs über die Deutschlandfrage wurde einmütig in fünf Sätzen fixiert. Als „unerlässliche Schritte“ zu einer „umfassenden europäischen Friedensregelung“ wurden genannt: Erstens, die Anerkennung der Unverletzlichkeit der OderNeiße-Grenze; zweitens, die Anerkennung der Eigenstaatlichkeit der DDR; drittens, die Befürwortung einer internationalen vertraglichen Friedensregelung, welche den ersten und zweiten Punkt einschließen müsste und auch für West-Berlin einen „angemessene[n] Status“ garantieren sollte; viertens, die Einsicht in die Notwendigkeit von Abrüstungsmaßnahmen. Um den Eindruck zu vermeiden, dass damit die deutsche Teilung für alle Zeit festgeschrieben werden sollte, wurde der Satz aufgenommen: „Eine künftige europäische Sicherheits- und Friedensordnung soll die Möglichkeit offenhalten, daß sich die beiden deutschen Staaten zusammenschließen.“ Dass dieser Forderungskatalog der Deutschlandpolitik der DDR-Führung näher stand als dem von der Großen Koalition eingeschlagenen deutschlandpolitischen Kurs, lag auf der Hand. In seiner Regierungserklärung zur Deutschlandfrage am 12. April wies Kiesinger der Verbesserung der Beziehungen zur DDR – unterhalb der Ebene der staatlichen Anerkennung – als Teil der angestrebten Entspannung in Europa eine hohe politische Priorität zu. Er schlug Maßnahmen zur „Erleichterung des täglichen Lebens“, zur verstärkten wirtschaftlichen und verkehrspolitischen Zusammenarbeit und „Rahmenvereinbarungen für den wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Austausch“ vor. Hintergrund dieser Vorschläge war Kiesingers Überzeugung, dass ein wieder vereinigtes Deutschland zu groß sei, um für das europäische Mächtegleichgewicht keine Rolle zu spielen, und zu klein, um es wirksam beeinflussen zu können303. Daher konnte eine Wiedervereinigung nur nach der Überwindung des Ost-West-Konfliktes in Europa Erfolg haben. Entsprechend dieser Lageeinschätzung waren Entspannung und Wiedervereinigung künftig nicht mehr als Gegensätze anzusehen. Bis zum Fernziel Wiedervereinigung, an dem er festhielt, sollte die Zeit der Teilung menschlich erträglich gestaltet werden. Mit diesem Konzept hatte Bonn wieder den Anschluss an die Politik der Westmächte gefunden. Eine Konsequenz wurde jedoch nicht gezogen: die Nicht-Anerkennungsprinzipien galten uneingeschränkt weiter, auch wenn man sie so zu handhaben versuchte, dass sie politisches Handeln während der Zeit der Teilung nicht mehr lähmten304. So kam es zwischen Mai und September 1967 erstmals zu einem Briefwechsel zwischen einem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und einem Ministerratsvorsitzenden der DDR, der aber ergebnislos endete305. Stoph bestand auf einer staatsrechtlichen Fixierung der „Existenz zweier deutscher Staaten“. Die Beharrlichkeit, mit der fortan von Seiten der DDR diese Forderung verfolgt wurde, war Ausdruck des deutschlandpolitischen Kurs302 Vgl. den Bericht darüber in: JK 28, 1967, S. 276f. und in: EW 21, 1967, S. 290. 303 Vgl. P. BENDER, Ostpolitik, S. 139f. Eine detaillierte Darstellung von Kiesingers Deutschlandpolitik bietet: D. KROEGEL, Anfang. Vgl. auch D. TASCHLER, Herausforderungen. 304 Vgl. P. BENDER, Ostpolitik, S. 140. 305 Vgl. hierzu G. VETTER, Entwicklung, S. 318f.

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wechsels der Staats- und Parteispitze in der DDR seit der Jahreswende 1966/67306. Der Grund für den nunmehr eingeschlagenen, konsequenten Abgrenzungskurs der DDR war ein doppelter: zum einen der deutschlandpolitische Umdenkungsprozess in der Bundesrepublik nach Bildung der Großen Koalition sowie die damit verbundene Gefahr einer innenpolitischen „Aufweichung“ in der DDR, zum anderen die Gefahr einer außenpolitischen Einkreisung. Denn die ostpolitischen Initiativen der neuen Bundesregierung führten dazu, dass sich die osteuropäischen Staaten mit der Bundesrepublik auf der Ebene gegenseitiger diplomatischer Anerkennung zu verständigen drohten, was zu einer Isolierung der DDR geführt hätte. Offizieller Wendepunkt der Deutschlandpolitik war der VII. Parteitag der SED im April 1967, auf dem klargestellt wurde, dass man unter die Grenze der „formellen Anerkennung“ und der „normalen Beziehungen“ nicht mehr gehen könne. Die offizielle ostdeutsche Wiedervereinigungs- und Annäherungspolitik – sei es durch Konföderationsangebote oder die Dialogphase mit der SPD – wurde im Frühjahr 1967 ad acta gelegt. Von „Gesamtdeutschland“ und „gesamtdeutsch“ war keine Rede mehr. Im Februar wurde eine eigene Staatsbürgerschaft der DDR eingeführt. Ebenfalls im Februar gelang es der DDR, durch die so genannte „Ulbricht-Doktrin“ die ostpolitische Offensive der Bundesrepublik zu bremsen: Die Außenminister der Warschauer-Pakt-Staaten einigten sich darauf, dass kein Mitglied des Pakts sein Verhältnis zur Bundesrepublik normalisieren durfte, bevor die DDR dies nicht getan habe. Der Kampf um die „Anerkennung“ ging in seine entscheidende Phase. Die Parteiführung versuchte hierfür mit ihrer „Westarbeit“, d. h. der operativen Umsetzung der deutschlandpolitischen Ziele der SED in Westdeutschland, auch „fortschrittliche Kräfte“ in der Bundesrepublik zu mobilisieren.Dort war jedoch ohnehin bereits ein Einstellungswandel hinsichtlich der Deutschlandpolitik im Gange307. Anfang März fragte die „Junge Stimme“ ihre Leser nach ihrer Meinung zu einer Anerkennung der DDR308. Am 6. Mai veröffentlichte sie die Ergebnisse. Von den mehr als 1.100 Teilnehmern im Alter von durchschnittlich 22 Jahren hielten 22 % eine Anerkennung in jedem Fall für höchst gefährlich, 19 % in absehbarer Zeit für unmöglich, 45 % mit Vorbehalten für denkbar und 15 % für längst fällig. Die Mehrheit votierte demnach für eine Anerkennung, allerdings machten die meisten sie von Bedingungen abhängig: überwiegend forderten sie eine Perspektive für die Wiedervereinigung oder menschliche Erleichterungen. Einige verlangten auch „freie Wahlen“ oder eine „nationale, neutrale Regierung“. Insgesamt wurde kaum zwischen völkerrechtlicher und praktischer Anerkennung unterschieden. Die Meisten wollten lediglich die Tatsache zur Kenntnis genommen sehen, dass der zweite deutsche Staat existierte. Dies lag für sie in der Konsequenz der neuen Ostpolitik der Großen Koalition. Eine dauerhafte Existenz zweier deutscher Staaten wollten sie hingegen nicht. Bei der Beurteilung der Ergebnisse kam die Redaktion der „Jungen Stimme“ zu dem Schluss:

306 Vgl. hierzu P. BENDER, Ostpolitik, S. 140–144 und P. ERKER, Westarbeit, S. 176–190. 307 Vgl. M. GLAAB, Deutschlandpolitik, S. 382. 308 „Haben wir (noch) eine Demokratie?“ In: Junge Stimme, 4.3.1967, S. 8.

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„Die Mehrzahl zieht also der streng fixierten Rechtsposition ein bewegliches, auf Menschlichkeit und die Wiedervereinigung als Endziel gerichtetes politisches Handeln vor und schließt dabei nicht aus, die Existenz der DDR anzuerkennen.“

Um die Frage der „Anerkennung“ ging es auch beim deutschlandpolitischen Forum auf dem Kirchentag im Juni 1967 in Hannover. In der Arbeitsgruppe Politik hatten zunächst der Minister für gesamtdeutsche Fragen Herbert Wehner und der Historiker Karl Dietrich Erdmann Vorträge zum Thema „Wozu sind wir als Deutsche da?“ gehalten. Wehner skizzierte die deutschlandpolitischen Neuansätze der Großen Koalition309. Neben pragmatischen Politikansätzen fanden sich in seiner Rede auch moralische Deutungselemente. So sprach er von einer „Prüfung“, die dem deutschen Volk auferlegt worden sei, „gespalten zu leben und doch dem Frieden in der Welt zu dienen, gespalten zu leben und doch seinen Zusammenhalt als ein Volk zu bewahren.“ Würden die Deutschen diese „Prüfung“ bestehen, so sei dies ihre „Reifeprüfung als Nation“ in der sich ausbildenden europäischen Gemeinschaft. Zur Frage der Anerkennung der DDR warf er deren Führung vor, sie benutze ihre Bürger als „Faustpfänder“, um aus den „Demarkationslinien zwischen Besatzungszonen“ eine Staatsgrenze zu machen. Erdmann behandelte das Thema auf globaler, europäischer und nationaler Ebene310. In der sich anschließenden Podiumsdiskussion diskutierten vor ca. 5.000 Zuhörern neben Wehner und Erdmann: Landesjugendpfarrer Günther Berndt, Philipp von Bismarck, Pfarrer Heinold Fast, der Geschäftsführer des Gesamtkirchlichen Ausschusses der AGEJD Christoph Gäbler, der ehemalige Bundesminister Johann B. Gradl, Max Kohnstamm aus Brüssel sowie Erich Müller-Gangloff311. Die Moderation übernahm der stellvertretende Bundespressechef Conrad Ahlers. Während des Gesprächs entstand ein heftiger Streit zwischen Wehner und Müller-Gangloff über den Grad der deutschlandpolitischen Wende. Die Mehrheit der Anwesenden teilte Wehners vorsichtige Vorschläge zu einer Normalisierung der deutsch-deutschen Beziehungen im Kontext einer europäischen Entspannungspolitik und mit dem Fernziel einer Wiedervereinigung312. Die DDR, so der Minister, verweigere ihren Bürgern elementare Rechte und erhebe ihrerseits einen Alleinvertretungsanspruch für die deutsche Arbeiterschaft sowie in allen Friedensfragen. Müller-Gangloff trat in der Diskussion als Vertreter der „Aktion Sühnezeichen“ auf, die an den Kirchentag eine „Friedensadresse“ mit weit reichenden Forderungen gesandt hatte313. Der Text unter dem Titel „Frieden muß gestiftet werden“ wurde von einer Adresse der „Aktion Sühnezeichen“ in der DDR ergänzt314. Sie trug die Überschrift „Frieden mit der DDR“ und enthielt die Forderung, dass die Bundesrepublik ihren Alleinvertretungsanspruch aufgebe und die DDR an309 KIRCHENTAG 1967, S. 114–122. 310 EBD., S. 122–132. 311 EBD., S. 133–168. 312 „Es geht um die Reifeprüfung als Nation“. In: Die Welt, 23.6.1967. 313 KIRCHENTAG 1967, S. 146. 314 Nach dem Mauerbau arbeitete die „Aktion Sühnezeichen“ in der DDR selbstständig weiter. 1991 erfolgte dann die (Wieder-)Vereinigung der beiden Aktionen Sühnezeichen.

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erkenne, da sonst alle Bemühungen um Kontakte keinen Erfolg haben könnten. Den „Frieden mit der DDR“ zu fördern war nach Ansicht von Müller-Gangloff eine Aufgabe, die gerade auch die Kirche betraf. Von ihr werde erwartet, so der Akademieleiter, dass sie ähnlich wie in der Ostdenkschrift auch im Hinblick auf die beiden deutschen Staaten Aussagen mache, „die die Politiker aus gewissen Rücksichten auf die Wähler, die sie morgen wiederwählen sollen, nicht machen können“315. Unterstützung für seine Position fand Müller-Gangloff auf dem Podium von den beiden Vertretern der evangelischen Jugendarbeit Gäbler und Berndt sowie im Publikum bei den jungen Kirchentagsteilnehmern, deren Erlebnishorizont altersbedingt bereits teilstaatlich eingeschränkt war. Auch außerhalb der Kirche waren es vor allem die Jugendlichen und ihre Verbände, die zu einer neuen Deutschlandpolitik drängten. So legten die Nachwuchsorganisationen und Hochschulverbände von FDP und SPD im Jahr 1967 neue Entwürfe vor, in denen sie sich von „Dogmen“ der bundesdeutschen Deutschland- und Ostpolitik verabschiedeten316. Dahinter stand der Wunsch, die Folgen der Teilung zu lindern und die globale Entspannung zu fördern, sowie die Absicht, ihren Parteien in dem deutschland- und ostpolitischen Positionswechsel voranzugehen. Ähnliches zeichnete sich im Sommer 1967 auch im protestantischen Jugend- und Studentenbereich ab. Noch auf dem Kirchentag sprachen Mitarbeiter der ESG und anderer christlicher Gruppierungen mit Müller-Gangloff über eine deutschlandpolitische Zusammenarbeit unter dem Motto „Frieden mit der DDR“317. Am 20. Juli trafen sich dann Müller-Gangloff, Reinhart Wolff von den „res-novae-Arbeitstagen“ der ESGiD, Peter Freygang vom „Christlichen Friedensdienst“ und der Berliner Obmann der ESGiD Dieter Vogel in Berlin, um die Gründung eines „Aktionskomitees ‚Frieden mit der DDR‘“ zu planen318. Als nächster Schritt folgte am 19. und 20. August eine Tagung in der Evangelischen Akademie Berlin, auf der ein Thesenentwurf diskutiert wurde, den ein Arbeitsausschuss von „res novae“ vorgelegt hatte. Am Ende der Diskussion beauftragten die Teilnehmer einen Redaktionsausschuss damit, die Thesenreihe fertig zu stellen319. Noch auf der Tagung gründeten die Anwesenden, darunter Glieder der ESG in der Bundesrepublik und in West-Berlin, der AGEJD, der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Christlicher Aufbaulager, der Aktion Sühnezeichen, des Christlichen Friedensdienstes, der Ökumenischen Jugenddienste sowie der „Kampagne für Abrüstung“, wie vorgesehen das „Aktionskomitee ‚Frieden mit der DDR‘“. In Berlin und Stuttgart wurde jeweils ein Planungsausschuss eingesetzt. Am Ende der Tagung verabschiedeten die Teilnehmer eine Pressemeldung, wonach sich das Aktionskomitee

315 KIRCHENTAG 1967, S. 146. 316 W. R. KRABBE, Deutschland, S. 144–156. 317 Vgl. D. Vogel an Müller-Gangloff, 10.7.1967 (EZA BERLIN, 36/288). 318 Protokoll (EBD.). 319 Der Ausschuss bestand aus Reinhard Wolff, Dieter Vogel, Günter Berndt, dem Ökumenereferent der AGEJD Konrad Lübbert sowie dem Berliner Redakteur Christoph Gahl. Vgl. das Protokoll der Tagung (Aaej HANNOVER, Arbeitsgemeinschaft Vorstandsprotokolle).

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die Aufgabe stellte, die Ursachen des „gefährlichen Unfriedens zwischen der Bundesrepublik und der DDR“ zu erhellen und in öffentlichen Veranstaltungen, Seminaren und Dokumentationen für den „Frieden“ zwischen Bonn und Ost-Berlin zu wirken320. Wolff ergänzte in einem Interview mit dem „epd“, das Komitee verlange von der Bundesregierung, dass sie folgenden „Grundforderungen“ nachkomme: Aufgabe des Alleinvertretungsanspruchs der Bundesrepublik, Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, Verzicht auf Atomwaffen und Eintreten für militärische Entspannung in Mitteleuropa, Verwirklichung der „durch die Spaltung verzögerten umfassenden Demokratisierung in Deutschland.“321 Ebenfalls im „epd“ stellten offizielle Vertreter der ESGiD und der AGEJD klar, dass beide Organisationen nicht korporativ am „Aktionskomitee“ beteiligt waren322. Damit hatte man sich schon im Vorfeld gegenüber kritischen Anfragen, wie sie etwa aus dem BMG kamen323, abgesichert. Am 12. Oktober wurde die Gründung des „Aktionskomitees“ auch in der DDR bekannt. Das „Neue Deutschland“ berichtete über die Beteiligung „prominenter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“ und nannte namentlich Müller-Gangloff. Letzterer war indes das einzige prominente Mitglied und auch er machte seine Beteiligung von der weiteren Entwicklung des „Aktionskomitees“ abhängig324. In Ostdeutschland wurde derweil die Anerkennung der DDR vom staatsnahen „Bund evangelischer Pfarrer in der DDR“ gefordert. Auf seiner Mitgliederversammlung Ende September rückte er von seiner früheren, auf die „friedliche demokratische Wiedervereinigung unseres deutschen Volkes“ gerichteten Zielsetzung ab und machte stattdessen die neuen deutschlandpolitischen Forderungen der SED zum Bestandteil seiner Satzung325. Aber auch prominente ostdeutsche Kirchenvertreter versuchten Bewegung in die Deutschlandpolitik zu bringen, so z. B. erneut Bischof Jänicke. Am 18. September hatte Stoph im Zuge des Briefwechsels mit Kiesinger diesem noch einmal Gespräche angeboten und seinem Schreiben einen Vertragsentwurf über normale völkerrechtliche Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR beigelegt. Vier Tage später telegraphierte Jänicke an Kiesinger die dringende Bitte, „im Interesse des Friedens und der Überwindung verhärteter Fronten, Möglichkeiten zum Gespräch zwischen Bundesregierung und verantwortlichen Männern der Deutschen Demokratischen Republik zu erwirken.“326 Ein zweites Telegramm ging an den neuen Ratsvorsitzenden Hermann Dietzfelbinger. Wiederum waren die west- und ostdeutschen EKD-Ratsmitglieder über Jänickes Alleingang wenig erfreut327. Auf Anregung von Günter Jacob wurde auf einer erweiterten Sitzung der Kirchen320 321 322 323 324 325 326 327

Vgl. epd ZA, 23.8.1967, S. 2. epd ZA, 24.8.1967, S. 5. EBD. Vgl. Anfrage des Referats I 7 an das Referat II 11 vom 25.8.1967 (BArch KOBLENZ, B 137/4820). Vgl. epd ZA, 20.10.1967, S. 2. epd ZA, 23.9.1967, S. 3. J. JÄNICKE, Ich, S. 211. Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 12./13.10.1967 (EZA BERLIN, 104/45).

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leitung (Ost) der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg am 9. Dezember über die Deutschlandpolitik gesprochen328. Als Gast nahm Richard von Weizsäcker an der Aussprache teil, der zu diesem Zeitpunkt die Unterkommission Deutschlandfrage der Kammer für öffentliche Verantwortung leitete329. Strittig war in der Diskussion vor allem die Frage einer Anerkennung der DDR. Eindeutig gefordert wurde sie lediglich von Jacob. Er argumentierte, dass die DDR es angesichts ihres Entwicklungsstandes nicht mehr nötig habe, sich umgehen zu lassen. Schon um der Menschen willen müsse eine Anerkennung erfolgen und sollte die Kirche dazu beitragen. Superintendent Reinhard Steinlein sprach sich hingegen entschieden gegen eine Anerkennung aus, da die DDR von ihren Bürgern ablehnt werde. Ebenso votierten die übrigen Teilnehmer, nur Bischofsverweser Albrecht Schönherr nahm eine vermittelnde Position ein. So endete die Diskussion im Dissens. Die Frage nach dem Votum der Kirche zur Anerkennung der DDR war im Januar und Februar 1968 auch Bestandteil einer zwar nicht im wissenschaftlichen Sinne repräsentativen, aber doch allgemeinere Tendenzen widerspiegelnden Umfrage unter 116 ostdeutschen Gemeindepfarrern, kirchlichen Mitarbeitern und Gemeindegliedern330. Wörtlich wurde gefragt: „Sollte ihrer Meinung nach die Kirche (EKD – westliche Landeskirchen – östliche Landeskirchen) für eine staatliche Anerkennung der DDR durch Bonn eintreten oder nicht? Was sind die Gründe für Ihre Meinung?“ Bei den Antworten hielten sich die Befürworter und Gegner annähernd die Waage: 44 Personen bejahten die Frage, 8 Antworten enthielten eine bejahende Tendenz, 48 Personen verneinten die Frage, 2 Antworten zeigten eine verneinende Tendenz. 14 der Befragten lehnten eine Antwort ab oder äußerten sich unklar. Unter den verneinenden Stimmen waren 11, die persönlich eine staatliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik zwar für richtig hielten, es jedoch nicht als Aufgabe der Kirche ansahen, für diese einzutreten. Auch insgesamt vertrat die Mehrheit der ablehnenden Stimmen die Ansicht, dass die Kirche keine solche politische Aufgabe wahrnehmen sollte. Ein Teil der bejahenden Stimmen hatte eine resignative Tendenz: die Anerkennung komme ja doch, daher solle man sich nicht gegen die Realitäten stellen. Die mit der Kirche beruflich Verbundenen neigten eher dazu, der Kirche einen Einsatz für die Anerkennung der DDR zu empfehlen331. Auch unter ihnen dominierte das Argument, man müsse die politischen Tatsachen anerkennen. Einige erhofften sich indes von einem kirchlichen Einsatz für die Anerkennung auch Vorteile für Christen und Kirchen in der DDR. Nur eine kleine Gruppe argumentierte politisch: Die Kirche fördere damit die Entspannung. Bei den Gemeindepfarrern war die Haltung in der Anerken328 Vgl. die Information der Abteilung XX/4 der Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin vom 21.12.1967 über die Sitzung (BStU BERLIN, Bln. AIM 2834/88 Bd. 2). 329 Siehe unten Kap. 4.1.4. 330 Die detaillierten Umfrageergebnisse finden sich in: PARH. 331 Aufgeschlüsselt nach kirchlichen Amtsträgern, Angestellten und Auszubildenden einerseits und Gemeindegliedern ohne kirchliche Anstellung andererseits ergab sich ein Stimmenverhältnis in der ersten Gruppe von 31 bejahenden zu 24 verneinenden und 8 unentschiedenen; in der zweiten Gruppe votierten 21 mit ja, 26 mit nein und 6 mit unentschieden (EBD.).

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nungsfrage offensichtlich abhängig vom kirchenpolitischen Klima in ihrer Landeskirche. So sprachen sich von den 9 Pfarrern aus der Kirchenprovinz Sachsen 7 dafür aus, die Kirche möge für die Anerkennung eintreten. Von 5 Pfarrern aus Thüringen waren 4 dafür. Von den 8 Pfarrern aus der sächsischen Landeskirche waren 3 dafür und 5 dagegen. Nach Altersgruppen aufgeschlüsselt ergab sich, dass es vor allem die jüngere, aber auch die mittlere Generation war, die sich für einen Einsatz der Kirche zugunsten der Anerkennung der DDR aussprach332. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass von den 17 befragten Studentengemeindemitgliedern 10 für eine Anerkennung und nur 3 dagegen waren. Der generationelle Unterschied bei der Antwort auf diese Frage wird auch bestätigt durch die Aussagen eines ebenfalls befragten Leiters einer Jugendtagungsstätte. Nach dessen Erfahrung wünschten ca. 70 % der Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik333. Er gab zudem an, dass in der Diskussion mit den Jugendlichen zwar ein gewisses Verständnis für die Nichtanerkennungstheorie vorhanden sei, nicht jedoch für den Alleinvertretungsanspruch. Unter den „Umsiedlern“ und deren Nachkommen votiere die Mehrzahl gegen eine Anerkennung. Die Umfrage unter den ostdeutschen Kirchenmitarbeitern und Gemeindegliedern fiel in eine Zeit, als die DDR dabei war, ihre Eigenstaatlichkeit weiter auszubauen und ihre rigorose Abgrenzungspolitik gegenüber der Bundesrepublik fortzusetzen. Dazu gehörte auch eine Verfassungsreform. Bereits am 1. Dezember 1967 hatte die Volkskammer beschlossen, eine Kommission zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung für die DDR zu bilden. Als „erste sozialistische Verfassung“ in der Geschichte der DDR sollte sie die noch durch Elemente bürgerlicher Grundgesetze geprägte Verfassung von 1949 ablösen. Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit, die sich im Laufe der Jahre weit auseinander entwickelt hatten, sollten wieder in Übereinstimmung gebracht werden. Die Kommission legte bereits am 31. Januar einen Verfassungsentwurf vor, in dem erstmals auch der im Staat längst durchgesetzte Führungsanspruch der SED festgeschrieben war. Die DDR erschien darin als „sozialistischer Staat deutscher Nation“ (Art. 1), d. h. es wurde vorerst noch an der einen deutschen Nation festgehalten, unter deren Dach zwei Völkerrechtssubjekte existierten. Trotz des formalen Festhaltens am Staatsziel einer Vereinigung war die Verfassung dennoch im Tenor auf die Unabhängigkeit und Dauerhaftigkeit der DDR ausgerichtet. Die deutschlandpolitische Leitlinie war in Art. 8,2 fixiert: „Die Herstellung und Pflege normaler Beziehungen und die Zusammenarbeit der beiden deutschen Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung sind nationale Anliegen der Deutschen Demokratischen Republik. Die Deutsche Demokratische Republik und ihre Bürger erstreben darüber hinaus die Überwindung der vom Imperialismus der deutschen Nation

332 Die bis Mitte 30jährigen votierten mit 29: 25: 9; unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Meinung zur Anerkennung veränderte sich das Verhältnis auf 40: 24: 9. Die Altersgruppe zwischen Mitte 30 und Anfang 50 stimmte mit 13: 11: 1. Die Gruppe der Älteren votierte mit 9: 13: 6 (EBD.). 333 EBD.

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aufgezwungenen Spaltung Deutschlands, die schrittweise Annäherung der beiden deutschen Staaten bis zu ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus.“334

Für die Kirchen ergab der Verfassungsentwurf eine deutliche Verschlechterung ihrer rechtlichen Stellung335. Parallel zur Verfassungsreform in der DDR erlebte die DSSR ihren „Prager Frühling“336. Studentendemonstrationen bildeten Ende Oktober 1967 den Auftakt des politischen Erneuerungsprozesses. Im Januar 1968 wurde Alexander Dubdek Erster Sekretär des ZK der KPD, mit dessen Namen sich in den folgenden Monaten die Hoffnung auf eine umfassende Reform des sozialistischen Staatswesens verband. Der Versuch, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ in die Realität umzusetzen, weckte auch bei der Bevölkerung in anderen Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes große Erwartungen. Die Aussicht, die staatssozialistische Ordnung durch ihre Demokratisierung zu „verbessern“, fügte sich als osteuropäische Variante in den in ganz Europa zu verspürenden Drang nach Reform der überkommenen, höchst unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnungen. Auch in der DDR-Bevölkerung gab es 1968 in der ersten Jahreshälfte Sympathien für die Prager Reformen und die Hoffnung auf eine ähnliche Entwicklung im eigenen Staat, d. h. eine Reform des Gesellschaftssystems der DDR von innen heraus. Dies traf auch für kirchliche Kreise zu. Ostdeutsche Kirchenvertreter, wie etwa Siegfried Ringhandt, blickten mit großen Erwartungen nach Prag. Laut eines MfS-Berichts hoffte Ringhandt, dass die Reformentwicklung in der DSSR, sofern sie sich dort stabilisierte, in circa zwei Jahren auch auf die DDR übergriff. Sollte dies geschehen, wollte er sich einem daraus entwickelnden Regime mit allen seinen Möglichkeiten zur Verfügung stellen337. Mittelbar sowie unmittelbar nahmen ostdeutsche Vertreter der Evangelischen Akademien und der Studentengemeinden auch am Dialog des tschechoslowakischen Protestantismus mit Marxisten teil338. Unter einigen ostdeutschen Protestanten weckte die sich anbahnende Entwicklung zu einem „Sozialismus in Gerechtigkeit und Freiheit“ in der DSSR Hoffnung auf eine neue Phase kirchlicher Existenzmöglichkeiten in einem sozialistischen Staat. Nach offiziellen Angaben wurde der Entwurf der neuen DDR-Verfassung auf ca. 750.000 Veranstaltungen diskutiert. Die Diskussion zeigte, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung in die Verfassungsreform Hoffnungen auf eine Demokratisierung in der DDR setzte. Auch aus dem Raum der evangelischen Kirche kamen offizielle Stellungnahmen, welche die ganze Bandbreite der innerkirchlichen Positionen zur öffentlichen Verantwortung der Kirche spiegelten. Bereits am 9. Februar trafen sich die evangelischen Bischöfe in Babelsberg, um vor Beginn der EKU-Synode in Pots334 Zitiert nach: KJ 95, 1968, S. 164. 335 Siehe unten Kap. 5.1. 336 Zu Vorgeschichte und Verlauf des Prager Frühlings sowie seinen Auswirkungen auf die DDR vgl. allgemein P.-C. BURENS, DDR, und L. PRIESS, SED. 337 Treffbericht des GI Eberhard vom 16.4.1968 (BStU BERLIN, MfS AOP 2492/75 Bd. 3). 338 Vgl. etwa die Publikationen: STIMMEN; M. STÖHR, Disputation.

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dam über einen gemeinsamen Brief zu beraten, in dem sie zur neuen Verfassung Stellung nehmen wollten339. In dem Entwurf des Bischofsbriefes hieß es: „Die evangelischen Bischöfe respektieren die politischen und ökonomischen Grundlagen der sozialistischen Gesellschafts- und Staatsordnung.“340 Der Verfassungsentwurf wurde begrüßt und nur Details hinsichtlich kirchlicher Rechte bemängelt341. Für den Briefentwurf traten vor allem Krummacher und Schönherr ein, in zweiter Linie Jänicke. Der Görlitzer Bischof Fränkel verweigerte die Unterschrift, die des Sächsischen Landesbischofs Noth stand noch aus, ebenso fehlte noch die Zustimmung von Mitzenheim, mit der man aber rechnete. Um den Brief in dieser Form zu verhindern, besprach sich Fränkel mit Johannes Hamel. Dieser nutzte daraufhin die Diskussion über den Ratsbericht auf der EKU-Synode, um auszuführen, was in eine kirchliche Stellungnahme zur Verfassung hinein gehöre und was nicht. Dabei ging er – wenn auch nicht explizit – den Bischofsbrief Punkt für Punkt durch und machte ihn nach Krummachers Ansicht „unmöglich“. Das Berliner Kirchenleitungsmitglied Siegfried Ringhandt überzeugte daraufhin Schönherr, dass dieser Brief ihn in Konflikt mit seiner Kirchenleitung bringe, Hamel tat ein gleiches bei Jänicke. Daraufhin kamen die anwesenden Bischöfe mit der „Opposition“, bestehend aus Fränkel, Ringhandt, Hamel, Franz-Reinhold Hildebrandt, Lothar Kreyssig und Generalsuperintendent Horst Lahr, zusammen und verabredeten, dass Fränkel, Lahr, Ringhandt, Hamel und eine Kirchenjuristin ein Grundsatzpapier über Grundlinien der geplanten neuen Verfassung und deren Problematik entwerfen sollten. Schönherr, der bereits Hauptverfasser des verworfenen Entwurfs gewesen war, sollte in loser Fühlungnahme mit diesem Gremium einen neuen Briefentwurf verfassen. Das alles hatte noch während der EKU-Synode zu erfolgen, um nach deren Ende in einem größeren Gremium von ca. 30 Vertretern von EKU und VELKD den Text des neuen Bischofsbriefes im Kloster Lehnin zu beschließen. Angesichts der zu erwartenden gemeinsamen Stellungnahme verfasste die EKU-Synode keine eigene Erklärung zum Inhalt des Verfassungsentwurfs. Sie rief jedoch zum Abschluss ihrer Beratungen am 15. Februar alle evangelischen Christen in der DDR dazu auf, sich an der Aussprache über den Entwurf einer neuen Verfassung „verantwortlich zu beteiligen“. Dabei sollten sie sich nicht nur von kirchlichen oder persönlichen Interessen leiten lassen, sondern sich auch für die Rechte anderer einsetzen342. Zu Beginn der Sitzung in Lehnin empörte sich Bischof Beste darüber, dass Krummacher in der kurzen Zwischenzeit ein Interview gegeben hatte, in dem er genau das zur Verfassung als kirchliche Meinung ausgab, was in dem alten Briefentwurf gestanden hatte. Tatsächlich hatte Krummacher bereits am 12. Februar Harry Tisch, dem Sekretär der Bezirksleitung Rostock und Mitglied des ZK der SED, geschrieben:

339 340 341 342

Vgl. epd ZA, 4.3.1968, S. 1. Zitiert nach: C. DIETRICH, Gründung, S. 32. Vgl. hierzu und zum Folgenden: J. HAMEL, Geschichte, S. 15ff. Vgl. epd ZA, 17.2.1968, S. 2.

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„Im Anschluss an unser letztes Gespräch überreiche ich Ihnen meinen beiliegenden Gesprächsbeitrag zum Verfassungsentwurf, der im ‚Evangelischen Nachrichtendienst in der Deutschen Demokratischen Republik‘ (ena) in der Nummer vom 14. Februar 1968 veröffentlicht wird. Gegen weitere öffentliche Verwendung habe ich nichts einzuwenden. Außer dieser meiner Stellungnahme werden von den Bischöfen zunächst noch keine weiteren Schritte getan werden, auch nicht von der gegenwärtig hier tagenden Synode. Ich hoffe, dass mein Gesprächsbeitrag einen nützlichen Dienst tun kann.“343

Vermutlich wollte sich Krummacher mit seiner Stellungnahme zum Verfassungsentwurf beim Staat erneut als Vertreter der Kirchen in der DDR etablieren. Vielleicht wollte er aber auch nicht, dass Mitzenheims positive Äußerungen zum Verfassungsentwurf, wie sie am 4. Februar in der „Neuen Zeit“ veröffentlicht worden waren, in der Öffentlichkeit als einzige Stellungnahme der Kirche stehen blieben. In dem am 14. Februar erschienenen Text lobte Krummacher vornehmlich zwei Grundzüge der Verfassung: In ihr werde den geltenden Regeln des Völkerrechts bindende Bedeutung in der DDR beigemessen und in ihr stehe der Mensch im Mittelpunkt. Danach bat der Vorsitzende der KKL in äußerst vorsichtigem Ton, dass die ungehinderte Ausübung der kirchlichen Tätigkeit im Wortlaut der Verfassung deutlicher zum Ausdruck gebracht werde. Im Anschluss betonte er noch einmal die Loyalität der Kirche gegenüber dem Staat und sprach sich im Namen der „Christen“ in der DDR für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR aus: „Der Dienst der Kirche ist den Menschen im sozialistischen Staat zugewandt, die in vielen Berufen am Aufbau des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens tätig mitwirken. Unsere evangelische Kirche hat seit dem 7. Oktober 1949 diesen Staat der Deutschen Demokratischen Republik, in dem wir Christen leben, als ihren Staat bejaht. Wir meinen, daß diesem souveränen Staat in den bestehenden Grenzen nun auch im Völkerleben die Anerkennung nicht länger bestritten werden kann. Ich sage das aus christlicher Verantwortung angesichts des neuen Verfassungsentwurfes, weil ich meine, daß die Herstellung normaler Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten und ihre Zusammenarbeit (Artikel 8,2) sich zum Segen der getrennten deutschen Menschen auswirken und auf friedlichem Wege helfen würde, ständig drohende Konflikte in der Mitte Europas zu entschärfen. Nur so wird auch eine stabile europäische Friedensordnung möglich werden.“344

Nach dem Protest gegen Krummachers Vorgehen wurde in Lehnin dennoch der Briefentwurf Schönherrs besprochen und in Einzelheiten abgeändert. Hamels Urteil zufolge war das Ergebnis „nicht überwältigend, konnte aber ohne Schamröte in den Gemeinden publik gemacht werden.“345 Unterzeichnet von allen evangelischen Bischöfen der DDR – mit Ausnahme Mitzenheims346 – ging der Brief am 15. Februar an 343 Vgl. Krummacher an Tisch, 12.2.1968 (BStU BERLIN, AP 11318/92). 344 Abdruck in: JK 29, 1968, S. 182ff. 345 J. HAMEL, Geschichte, S. 17. 346 Mitzenheim hatte an der Sitzung in Lehnin nicht teilgenommen und unterschrieb auch nicht nachträglich. Der thüringische Landesbischof legte jedoch später Wert auf die Feststellung, dass er den Inhalt des Briefes billige. Vgl. BUND, S. 112, Anm. 1.

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den Staatsratsvorsitzenden347. Der „Brief aus Lehnin“ begann mit einer Stellungnahme zur deutschen Teilung, die in inhaltlicher Korrespondenz zu den Aussagen der wenig später erscheinenden Studie „Die Friedensaufgaben der Deutschen“348 stand: „Als Staatsbürger der Deutschen Demokratischen Republik und als Christen gehen wir davon aus, daß nach dem durch deutsche Schuld begonnenen Krieg nun auf dem Boden der deutschen Nation zwei deutsche Staaten bestehen. Wir erstreben die geordnete Zusammenarbeit und die Annäherung der beiden deutschen Staaten, damit wir Deutsche den Frieden fördern und die menschlichen Beziehungen, insbesondere zwischen Familienangehörigen, wieder voll zu ihrem Recht kommen.“349

Die völkerrechtliche Anerkennung der DDR wurde, im Unterschied zum Krummacher-Interview, nicht explizit gefordert, sondern es wurden umschreibende Formulierungen gewählt, die mehr auf eine staatsrechtliche Anerkennung hinausliefen. „Als Christen“ durch das „Darmstädter Wort“ an die soziale Verantwortung gemahnt, äußerten sich die Bischöfe „als Staatsbürger“ der DDR – nicht als Kirchenvertreter – in ihrem Brief auch zur sozialistischen Gesellschaftsordnung, innerhalb der sie einen konstruktiven Gestaltungswillen anmeldeten: „Als Staatsbürger eines sozialistischen Staates sehen wir uns vor die Aufgabe gestellt, den Sozialismus als eine Gestalt gerechteren Zusammenlebens zu verwirklichen. Als Christen lassen wir uns daran erinnern, daß wir es weithin unterlassen haben, ‚die Sache der Armen und Entrechteten gemäß dem Evangelium von Gottes kommendem Reich zur Sache der Christenheit zu machen.‘ (Darmstädter Wort des Bruderrates zum politischen Weg unseres Volkes vom 8.8.1947).“350

Die Bischöfe unterstellten damit dem Sozialismus das Ziel eines gerechteren Zusammenlebens der Menschen, auf das hin er sich befragen lassen musste. Für diese Aussage dürfte auch der „Prager Frühling“ und die mit ihm verbundenen Hoffnungen auf einen Reformsozialismus Impulsgeber gewesen sein. Zwischen dem Sozialismus als Gesellschaftsordnung und als vom Atheismus geprägter Weltanschauung unterscheidend, baten die Bischöfe aber auch darum, „daß die neue Verfassung so erstellt wird, daß die Christen und diejenigen Mitbürger, die die Weltanschauung der führenden Partei nicht teilen, an der Verantwortung für unser Staatswesen mit unverletztem Gewissen teilhaben können.“351

Neben einer ausdrücklichen Zusicherung der „volle[n] Glaubens- und Gewissensfreiheit“ forderten die Bischöfe Rechtsklarheit: „Es ist auch notwendig, die häufig wiederkehrende Formulierung ‚gemäß dem Geist und den Zielen der Verfassung‘ durch klare rechtliche Bestimmungen zu ersetzen. ‚Geist und Ziel der 347 348 349 350 351

Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 35ff. Siehe unten Kap. 5.1.3. SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 35. EBD., S. 35f. SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 36.

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Verfassung‘ sind mannigfaltiger Auslegung fähig. Einer mißbräuchlichen Auslegung wird von vornherein gewehrt, wenn der Staatsbürger ebenso wie der Vertreter der Staatsmacht an eindeutige Verfassungsvorschriften gebunden ist.“

In der zweiten Briefhälfte trugen die Bischöfe Ulbricht ihre Bedenken hinsichtlich des Religionsartikels des Verfassungsentwurfes vor und baten die gesonderte Bezugnahme auf die Glaubensfreiheit und die Rechte der Kirche in den Art. 38 einzufügen. Im Gegensatz zum „Brief aus Lehnin“ klagten zwei andere kirchliche Erklärungen stärker die Gewährung von bürgerlichen Individualrechten und allgemeinen Menschenrechten ein. So Bischof Fränkel in seinem Bericht vor der Provinzialsynode in Görlitz am 22. März. In seine Stellungnahme zum Verfassungsentwurf gingen alle von der Arbeitsgruppe in Potsdam formulierten Kritikpunkte ein. Fränkel verwies vor allem auf die Spannung, die zwischen dem obersten Stellenwert des Sozialismus und der Gewährung der Grundrechte in der Verfassung entstand. Er plädierte dafür, die Erklärung in der alten Verfassung, dass bei jeder gesetzlichen Beschränkung die Grundrechte als solche unangetastet bleiben müssen, auch in die neue Verfassung zu übernehmen. Außerdem kritisierte er: das Fehlen klarer Bestimmungen über die Rolle der Partei im Staat, vieldeutige Rechtsbestimmungen, unklare Formulierungen, das Fehlen der Verpflichtung gegenüber den Entwicklungsländern. Und er äußerte sich als einziger Bischof kritisch zu den Aussagen des Verfassungsentwurfs zur deutschen Frage: „Nach Art. 8 (2) wird die ‚Pflege normaler Beziehungen und die Zusammenarbeit‘ mit der Bundesrepublik auf der Grundlage der Gleichberechtigung erstrebt. Wenn aber zugleich die Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus erstrebt wird, so besteht die Gefahr, daß die gewünschte Zusammenarbeit auch für alle Gutwilligen in der Bundesrepublik blockiert wird. Daher erscheint es notwendig, die Worte ‚auf der Grundlage der Demokratie‘ explizit dahin zu präzisieren, daß damit die freie Rechtsentscheidung aller Deutschen gemeint ist.“352

Gleichfalls im März stimmte die Synode der Kirchenprovinz Sachsen geschlossen einer Eingabe zum Verfassungsentwurf zu, in der darum gebeten wurde, folgende Grundrechte aus der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ – verkündet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 – in die Verfassung aufzunehmen353: – – – –

die Meinungs- und Informationsfreiheit über die Staatsgrenzen hinaus, die Freiheit der Eheschließung über die Staatsgrenzen hinaus, das Elternrecht hinsichtlich der Bildung ihrer Kinder, die Anwendung des Artikels der Glaubens- und Gewissensfreiheit auf das Elternrecht bei der religiösen Erziehung von Kindern, auf die Fragen des Wehrersatzdienstes im Sinne eines zivilen Ersatzdienstes und auf die Klärung des Begriffes Sozialismus, der auf die Kennzeichnung der Gesellschaftsform eingeschränkt werden sollte.

352 Der Bericht ist in Auszügen abgedruckt in: KJ 95, 1968, S. 182–186, hier: S. 185. 353 Abdruck in: EBD., S. 186f.

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Als Ergebnis der öffentlichen Verfassungsdiskussion, die im März vermutlich vor dem Hintergrund des „Prager Frühlings“ abrupt beendet wurde, gingen einige wenige Änderungsvorschläge in den am 6. April zur Volksabstimmung vorgelegten Text ein, darunter die Garantie der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Am 9. April trat die neue Verfassung in Kraft.

4.1.4 Entstehung und Wirkung der Studie „Die Friedensaufgaben der Deutschen“ Die Fragen nach einer globalen Friedensethik und einer kirchlichen Friedensarbeit nahmen seit Beginn der sechziger Jahre auf ökumenischer Ebene immer breiteren Raum ein. Um dieser Entwicklung auch in Deutschland stärker Rechnung zu tragen, forderte im Februar 1965 der rheinländische Landespressepfarrer Günter Heidtmann in „Kirche in der Zeit“ die Einrichtung einer ständigen EKD-Kommission354. Sie sollte sich über globale friedensethische und friedenspolitische Entwicklungen informieren, dieses Wissen innerkirchlich kommunizieren sowie verantwortliche politische Stellen konsultieren. Ebenfalls im Februar diskutierte die EKD-Kammer für öffentliche Verantwortung darüber, welche Arbeitsvorhaben sie nach Abschluss der Ostdenkschrift in Angriff nehmen sollte. Folgende Themen standen zur Diskussion: „a. Atomares Problem b. Rechtsstaat und Demokratie c. Volk, Vaterland und Nation d. Friedensarbeit der Kirchen (anknüpfend an die Prager Christliche Friedenskonferenz, an CCIA usw.)“355. Mitte März empfahl der Rat der Kammer, vorrangig das Friedensthema aufzunehmen356. Er glaubte damit dem Vorschlag von Heidtmann zu entsprechen, der jedoch die Einrichtung einer eigenen Friedenskommission gefordert hatte. Bereits im April diskutierten die Kammermitglieder das Friedensthema an und focussierten es auf die „konkreten Fragen der Friedenssicherung in Deutschland“357. Da sie in der gegenwärtigen weltpolitischen Lage keine Chance auf eine Wiedervereinigung erkennen konnten, bezeichneten sie es als eine gesamtkirchliche Aufgabe, zu einer Atmosphäre beizutragen, die eine Annäherung der beiden deutschen Teilstaaten ermöglichte. Auf der nächsten Kammersitzung weitete man allerdings die Perspektive wieder aus und ließ sich von Heinrich Kloppenburg über die Grundlinien des weltweiten Friedensengagements der Kirchen im 20. Jahrhundert informieren358.

354 G. Heidtmann: Friedensarbeit der Kirchen. In: KiZ 20, 1965, S. 49. 355 Kurzprotokoll der Sitzung am 19./20.2.1965 (EZA BERLIN, 2/1361). 356 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 11./12.2.1965 (EZA BERLIN, 4/138). 357 Zusammenfassende Notiz über die Nachmittagssitzung der KföV am 28.4.1965 (EZA BERLIN, 2/1362). 358 H. Kloppenburg: Die Friedensarbeit der Kirchen. Aufriss zu einem Bericht am 22.10.1965 vor der KföV (EBD.).

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Wie virulent die Friedensfrage in kirchlichen Kreisen in West- und Ostdeutschland im Jahr 1965 war, zeigt sich auch daran, dass zum Jahresende die EKU einen Vorstoß zur Institutionalisierung dieses Themenbereiches unternahm. In ihren Tätigkeitsberichten gingen die Ratsvorsitzenden Wilm und Jänicke auf der Synode in Spandau und Weißensee intensiv auf die Friedensverantwortung der Kirche ein359. Die gesamtdeutschen Kirchenverbände sahen sie dabei in einer besonderen Verantwortung stehen. Jänicke sprach davon, es sei ihnen „in dieser Situation der durch die Zertrennung auferlegten Heimsuchung aufgegeben, ein noch deutlicheres Zeugnis für Frieden und Versöhnung zu geben, als es bisher offenbar geschehen konnte.“360 Der Gedanke von der besonderen historischen Verantwortung der Christen in Deutschland für Frieden und Versöhnung in Europa wurde insbesondere in der CFK gepflegt, mit deren deutschlandpolitischen Stellungnahmen aus den Jahren 1958 bis 1964 sich ein Sonderausschuss der EKU beschäftigt hatte361. In dem dabei entstandenen Memorandum wurde die Behandlung der Deutschlandfrage auf den Prager Friedenskonferenzen kritisch gewürdigt und zwischen richtigen Fragestellungen und theologisch wie politisch simplifizierenden, einseitig antiwestlichen Antworten unterschieden362. Einen Wendepunkt in der Haltung der CFK zur deutschen Frage markierte nach Ansicht des Ausschusses die II. Allchristliche Konferenz im Juli 1964; dort sei die Diskussion pluraler und ergebnisoffener geworden. In sieben Punkten benannte das Memorandum bedenkenswerte Anfragen an die Deutschen aus dem Raum der CFK, die Jänicke in seinem Tätigkeitsbericht vor der Synode in voller Länge zitierte: „1. Haben wir Deutsche eingesehen, daß wir auf der politischen Ebene als Volk und Staat für Handlungen verantwortlich sind, deren schwere, von uns verschuldete Konsequenzen wir nüchtern zu sehen haben, statt Politik aus Wunschträumen heraus und fixiert an vergangene Größe treiben zu wollen? 2. Sind wir bereit, insbesondere mit unseren östlichen Nachbarn einschließlich der UdSSR äußeren und inneren Frieden zu suchen und zu schließen und nicht unsere Schuld mit deren späterer Schuld aufzurechnen? 3. Sind wir bereit, unser politisches Ziel: Zusammenleben der Deutschen in einer Nation nur innerhalb des übergeordneten Zieles zu verfolgen, unseren Beitrag für ein besseres und friedliches Zusammenleben der europäischen Völker innerhalb der Völkerwelt der Erde zu leisten? 4. Sind wir bereit, fast 20 Jahre nach der Neuordnung des Siedlungsraumes in Ost-Mitteleuropa, Polen und Tschechen von dem Alptraum befreien zu helfen, daß auf 1938/45 und auf 1945ff. eine neue Schreckensperiode folgen könnte, in der Schuldige an Schuldigen wiederum schuldig werden und die völkische Existenz beider Nationen erneut von Deutschland aus gefährdet wird?

359 BERICHT Synode EKU 1965, S. 28–34 und S. 53–65. 360 EBD., S. 29. 361 Ihm gehörten an: Kreyssig, Fränkel, Hagemeyer, Hamel, Hoffmann, Hildebrandt, Schönherr (vgl. auszugsweise Abschrift aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKU am 10.7.1963, EZA BERLIN, 107/34). 362 Je ein Exemplar des unveröffentlichten Memorandums ging am 18.4.1966 den Mitgliedern der KföV als Arbeitsunterlage zu (EZA BERLIN, 2/1495).

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5. Sind wir – in beiden Teilen Deutschlands – bereit, im Zuge der Entspannung, ja vielleicht sogar Annäherung der beiden Weltmächte einfallsreich und beharrlich nach Wegen zu suchen, auf denen die beiden Teile Deutschlands aus schußfertigen Vorposten zweier Machtblöcke zu ausgleichenden Faktoren werden? Es versteht sich, daß auf diesen Wegen die jedem Teil gebotene Loyalität zu der ihn beherrschenden Weltmacht nicht verletzt und das Gleichgewicht beider Paktsysteme nicht gefährdet werden dürften. Doch heben diese Bedingungen die Frage an uns nicht auf, ob wir geduldig und aktiv mit daran arbeiten wollen, daß beide Gesellschaftssysteme in echter Weise zusammen leben und nach und nach zu einem zwar nuancierten, aber doch harmonischen Miteinander gelangen? 6. Sind wir bereit, uns in unserem politischen Denken und Handeln von Propagandaparolen hüben und drüben frei zu machen, mit denen die Sicht der deutschen Frage vernebelt und eine echte Lösung blockiert werden? Diese Bereitschaft ist zu fordern, auch wenn wir in Ost und West nur einen – sicher verschieden bemessenen – geringen Spielraum zu politischen Entscheidungen haben. Haben wir es gelernt, beim Durchdenken dieser Frage weder alles nur ‚vom deutschen Standpunkt aus‘ zu betrachten und zu entscheiden noch unsere nationale Verantwortung und unser nationales Erbe im Guten und Bösen nicht kennen zu wollen? Werden wir es lernen, nicht immer wieder zwischen diesen beiden Extremen hin und her zu taumeln? 7. Sind wir Deutsche in Ost und West bereit, unsere nationale Zertrennung als eine echte Chance zu begreifen, in unserem Raum die unheilvolle Zertrennung der Nationen in verschiedene Lager beispielhaft überwinden zu helfen? Sehen wir ein, daß unsere Spaltung nicht nur für viele Deutsche bitter und nicht nur eine verdiente Folge unseres Verhaltens ist, sondern daß uns mit der bestehenden Teilung eine Aufgabe gestellt wurde, die es als eine gute Gabe anzunehmen gilt?“363

Vor dem Hintergrund dieses Fragekatalogs forderte Jänicke im Einvernehmen mit Wilm eine intensivere Auseinandersetzung mit dem „Friedensdienst des Christen“ und hierzu die Gründung einer „Zentrale für Friedensdienst“ bei der EKU364. Der Gedanke an eine Informationsstelle für friedensethische und friedenspolitische Fragen hatte Jänicke nach eigenen Angaben schon seit längerem beschäftigt. Als aktuelle ost- und westdeutsche Impulsgeber nannte er zudem Überlegungen des Zukunftsforschers Robert Jungk, die Anregung Heidtmanns sowie den Vorschlag junger christlicher Bausoldaten zur Gründung eines „Christlichen Friedensinstituts“365. Bereits bei der Erarbeitung der Handreichung „Zum Friedensdienst der Kirche“ hatte man im Kreise der Bausoldaten darüber geklagt, dass es innerhalb der EKD keine verantwortliche Amtsstelle gebe, die sich wissenschaftlich mit der Friedensfrage beschäftige366. Ähnliche Wünsche wurden auch aus dem Kreis der Jugendkammer Ost laut. Eine Gruppe von Bausoldaten hatte daher ein Memorandum erarbeitet, dessen Inhalt im Berichtsausschuss der EKU-Synode vorgetragen wurde und dort Grundlage des entsprechenden Synodalbeschlusses wurde. In dessen Vorfeld kam es jedoch 363 BERICHT Synode EKU 1965, S. 30f. 364 EBD., S. 32f. 365 EBD., S. 33. 366 Vgl. „Erläuterungen des Ausschusses zu Ziffer 2 der Entschließung der EKU-Synode zum Versöhnungsdienst der Kirche in der Welt“ (EZA BERLIN, 2/1362).

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zwischen dem ostdeutschen und dem westdeutschen Berichtsausschuss zu einer heftigen Diskussion über die Absicht, eigene EKU-Einrichtungen zu gründen367. Letztlich einigte man sich auf zwei Bitten an den Rat der EKU. Erstens sollte er über die Bildung einer EKU-„Friedenskommission“ nachdenken, die in Zusammenarbeit mit der Kammer für öffentliche Verantwortung „einem christlichen Friedensdienst den Weg bereiten könnte.“368 Die Notwendigkeit, eine aus beiden Teilen Deutschlands paritätisch zusammengesetzte EKU-Kommission zu bilden, sah der Berichtsausschuss dann für gegeben an, wenn die Kammer für öffentliche Verantwortung lediglich innerhalb ihrer westdeutschen Mitglieder über die Friedensfrage zu arbeiten beabsichtigte369. Nachdem die Kammermitglieder aus der DDR bei der Entstehung der Ostdenkschrift erst zu einem späten Zeitpunkt hinzugezogen worden waren, wollte man nunmehr bereits im Vorfeld der Abfassung einer möglichen „Friedensdenkschrift“ die ostdeutsche Beteiligung sicher stellen. In der beantragten Friedenskommission sollte nach Vorstellung des ostdeutschen Berichtsausschusses auch die Frage „des Zusammenlebens der Deutschen in einer Nation“ behandelt werden370. Denn, so erläuterte der Berichterstatter Johannes Hamel, die deutsche Frage könne nur im Kontext einer neuen europäischen und globalen Ordnung gelöst werden. Dieser Gedanke war auch die Quintessenz des Memorandums über die deutschlandpolitischen Stellungnahmen der CFK gewesen, an dem Hamel führend mitgearbeitet hatte371. Die zweite Bitte an den Rat der EKU lautete, in Verbindung mit dem Rat der EKD zu prüfen, ob ein „christliches Friedensinstitut“ als zentrale wissenschaftliche Forschungsstelle für die kirchliche Friedensarbeit notwendige Dienste leisten könnte372. Um die ostdeutsche Mitarbeit zu ermöglichen, sollte dieses Institut in Ost-Berlin errichtet werden, und zwar entweder von der EKD oder in Verbindung mit ihr oder notfalls nur von der EKU. Da dem Rat der EKD an einer Zusammenführung der Vorhaben lag, bat er die Kammer für öffentliche Verantwortung, ihm entsprechende Vorschläge zu erarbeiten373. Hierzu tagten am 18. Februar zunächst die westdeutschen Kammermitglieder unter Beisein von Konsistorialrat Hartmut Johnsen von der Kirchenkanzlei der EKU374. Alle Beteiligten hielten eine Kooperation zwischen der Kammer und den Einrichtungen der EKU für erstrebenswert und wählten für das neue Arbeitsthema die

367 Vgl. die Erläuterung des Beschlussantrags durch den Vorsitzenden des Berichtsausschusses in Berlin-Weißensee J. Hamel. BERICHT Synode EKU 1965, S. 77f. 368 EBD., S. 67. 369 Vgl. EBD., S. 78 und „Erläuterungen des Ausschusses zu Ziffer 2 der Entschließung der EKU-Synode zum Versöhnungsdienst der Kirche in der Welt“ (EZA BERLIN, 2/1362). 370 BERICHT Synode EKU 1965, S. 76. 371 Dort lauteten die beiden Schlusssätze: „In dem Einsatz für eine besseres Zusammenleben der Völker der Erde – und nur so werden die jetzt getrennten Deutschen ihre neue Einigung praktizieren und erreichen. Das ist die uns von Gott gegebene Chance der heutigen Zertrennung“ (EZA BERLIN, 2/1495). 372 BERICHT Synode EKU 1965, S. 67. 373 Vgl. Wilkens an Kirchenkanzlei der EKU, 4.1.1966 (EZA BERLIN, 2/1486). 374 Niederschrift über die Sitzung (EZA BERLIN, 2/1362).

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Formulierung „Kriegsverhütung und Friedenssicherung“. Aufgabe der Vollsitzung der Kammer Ende April in Ost-Berlin war es dann, die Vorhaben von EKD und EKU zu koordinieren und einen konkreten Arbeitsplan für das neue Thema zu entwickeln375. Der als Gast eingeladene Präsident Hildebrandt informierte über die Pläne der EKU und der ostdeutschen Kirchen, die kirchliche Friedensarbeit zu intensivieren. Dabei wurde deutlich, dass es vor allem vier Motive waren, die unter Christen und Kirchenvertretern in der DDR die Überzeugung hatten wachsen lassen, dass die Kirchen einen eigenständigen Beitrag zum Frieden leisten sollten: Erstens mussten sich die ostdeutschen Christen zu der offiziellen Friedenspropaganda in der DDR verhalten; zweitens erlebten und beurteilten sie die Frage der Kriegsdienstverweigerung „existenzieller, schärfer“; drittens erfuhren sie die Teilung Deutschlands als belastender und viertens standen sie unter dem politischen Druck, sich an der Arbeit der CFK zu beteiligen. Hildebrandt teilte mit, dass die EKU entschlossen sei, nicht lediglich weitere Proklamationen zu verfassen, sondern einem wirksamen christlichen Friedensdienst vorzuarbeiten. Dazu hielt sie die Einrichtung eines „Friedensinstituts“ für unumgänglich und plante zum 1. Oktober in Ost- und West-Berlin je eine hauptamtliche wissenschaftliche Kraft einzustellen376. Von der Bildung einer eigenen Friedenskommission wollte der Rat der EKU zunächst absehen, sofern sich die Arbeit der EKD-Kommission nicht allein auf den Bereich der Bundesrepublik beschränkte. Auf diese Bedingung eingehend, wurde auf der Sitzung in Ost-Berlin beschlossen, dass die Arbeit von Ost und West gemeinsam betrieben, die Kammer um einige Mitglieder vornehmlich aus dem Bereich der DDR und der EKU ergänzt und unter Umständen auch ein stellvertretender Vorsitzender für Ostdeutschland bestellt werden sollte. Thematisch entschied man, neben der deutschen Frage noch weitere Aspekte mit einzubeziehen und so wurden für die weitere Arbeit vier Unterkommissionen gebildet: eine theologische, eine völkerrechtliche, eine soziologische sowie eine zur „Deutschlandfrage“377. Die Öffentlichkeit erfuhr über das neue Arbeitsvorhaben der Kammer durch den Ratsvorsitzenden Scharf. In seinem Rechenschaftsbericht auf der EKD-Synode im März 1966 wies er darauf hin, dass der Rat der Kammer den Auftrag erteilt habe, „die Möglichkeiten des Dienstes der Kirche für den Frieden in der Gemeinschaft der Völker 375 Bei der Sitzung am 28./29.4.1966 waren anwesend: die westdeutschen Kammermitglieder Danielsmeyer, Diem, Funcke, Locher, Metzger, Putz, Raiser und Weizsäcker, die ostdeutschen Kammermitglieder Hamel, Klemm und Verwiebe; von der Kirchenkanzlei Behm und Wilkens; von der EKU: Beckmann, Hildebrandt, Johnsen; als Gäste: Frick, Krummacher, Rechtsanwalt H. Afheldt sowie Synodalpräsidentin Hildegard Lewerenz. Am Sitzungsteil in West-Berlin am 29.4. nahmen teil: Raiser, Metzger, Weizsäcker, Danielsmeyer, Goldschmidt, Funcke, Bauer, Putz, Schwarzhaupt, Wilkens, Frick, Johnsen. Vgl. Niederschrift über die Sitzung (EZA BERLIN, 2/1362); Vermerk Behms (EBD., 104/120). 376 Letztlich erfolgte aber nur die Einstellung eines Mitarbeiters für den Ostteil. Vgl. Wilkens an Scheuner, 18.2.1969 (EZA BERLIN, 2/93/981). Zur Einrichtung eines Friedensinstituts auf EKD-Ebene kam es nicht. 377 Angesichts der Themenstellung dieser Studie wird im Folgenden nur auf die Arbeit der Unterkommission Deutschlandfrage eingegangen. Zur Arbeit der ebenfalls gesamtdeutsch zusammengesetzten theologischen Unterkommission vgl. EZA BERLIN, 2/1357–1366 sowie Kap. 4.1.1 und Kap. 5.2. Die anderen Kommissionen kamen z. T. gar nicht zustande, z. T. trafen sie sich nur einige Male.

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und für die Wiedervereinigung des deutschen Volkes zu untersuchen.“378 Der Rat erwarte, so Scharf, dass die Kammer unter Mitarbeit von Sachverständigen die gegenwärtige weltpolitische Situation, ihre Ursachen und Hintergründe darstelle sowie die Lage und die sie bestimmenden Faktoren rechtlich und ethisch werte. Die gewonnenen Urteile könnten dann zu Empfehlungen führen, „die Einfluß ausüben auf das Verhalten der einzelnen Christen und der Kirche“379. Nach seinem Bekanntwerden versuchten die Studentengemeinden Einfluss auf das neue Arbeitsvorhaben der Kammer zu nehmen. Im Auftrag der Delegiertenkonferenz schrieb deren Vorsitzender Arthur Behr im Juni an Ludwig Raiser und bat die Kammer um eine Stellungnahme zum Verhältnis zwischen der DDR und der Bundesrepublik „ähnlich der Vertriebenendenkschrift“. Behr führte auch auf, was nach Ansicht der Studentengemeinden in einer solchen enthalten sein musste380. Die EKD sollte: – ihre früheren Stellungnahmen zur deutschen Teilung „mit der heutigen politischen Wirklichkeit“ konfrontieren;

– die „Tabuisierung“ der mit der Deutschlandfrage zusammenhängenden Probleme in der Bundesrepublik überwinden helfen;

– analysieren, warum einerseits eine Gleichgültigkeit gegenüber der Lösung der deutschen

– –

– –

Frage zu beobachten sei und andererseits eine affektgeladene politische Rhetorik weiter gepflegt werde; die im Umlauf befindlichen rechtlichen und historischen Argumente auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen; darauf hinweisen, dass die Spaltung Deutschlands ihre Ursachen in politischen Entscheidungen und Unterlassungen nicht nur der Alliierten und der deutschen Regierungen, sondern auch eines großen Teils der ganzen Bevölkerung hatte; die Deutschen dazu auffordern, selbst eigene neue Vorstellungen zur Lösung der deutschen Frage zu entwickeln; zu einer Versachlichung der Atmosphäre beitragen, indem sie sich gegen einen irrationalen Antikommunismus stellte.

An dem Forderungskatalog wurde deutlich, dass sich die Delegierten von der EKD eine deutschlandpolitische Denkschrift erhofften, die sich exklusiv an die Bundesregierung und an die Bundesbürger richtete. Die Unterkommission Deutschlandfrage tagte erstmals am 8. Juli381. Ihr gehörten an: Richard von Weizsäcker, Hermann Diem, Johannes Hamel, Ludwig Metzger, Franz Reinhold Hildebrandt382, Ludwig Raiser und Walter Bauer. Auf Grund der Behinderungen an der Berliner Sektorengrenze fand die Sitzung in Ost-Berlin in kleinem Kreise statt383. Weizsäcker referierte dort über neuere Erwägungen zu Fragen der Deutsch378 BERLIN und Potsdam 1966, S. 11. 379 EBD., S. 12. 380 EZA BERLIN, 650/95/36. 381 Aktenvermerk über die Sitzung (EZA BERLIN, 2/1362). 382 Hildebrandt war zusammen mit Falcke am 26./27.5.1966 vom Rat der EKD zum Kammermitglied ernannt worden. Auszug aus der Niederschrift (EZA BERLIN, 4/138). 383 Vgl. Raiser an Wilkens, 21.8.1966 (EZA BERLIN, 2/1357).

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landpolitik und bezog sich dabei u. a. auf Arbeiten von Wilhelm Cornides, Theodor Eschenburg, Rüdiger Altmann, Carl Friedrich von Weizsäcker, die „Friedensnote“ der Bundesregierung vom 25. März 1966, Referate und Äußerungen auf dem SPD-Parteitag in Dortmund sowie Vorschläge von Rainer Barzel. Wichtig erschien ihm, die deutsche Frage in drei Bezugsebenen zu sehen: der globalen, der europäischen und der deutschen. Damit nahm er die Gliederung der späteren Friedensstudie bereits vorweg. Die Kommissionsmitglieder kamen überein, dass die Kirche sich weder für eines der deutschlandpolitischen Modelle entscheiden, noch ein weiteres hinzufügen sollte. Sie selbst wollten die Deutschlandfrage im Kontext der Friedenssicherung bearbeiten und zunächst die bisherigen Beiträge der EKD zur Friedensfrage und zur deutschen Situation analysieren384. Bereits im August machten sich Beamte im Referat „Innerer Dienst“ des BMG Sorgen über eine „bevorstehende Denkschrift“ der EKD zur Deutschlandfrage. Nach ihren Informationen sollte deren Inhalt weitgehend den Vorstellungen der CFK entsprechen und einer Konföderation „der beiden deutschen Staaten“ das Wort reden385. Sie rieten daher Minister Mende, mit führenden protestantischen Persönlichkeiten zu sprechen. Zudem wurde ihm nahe gelegt, „die Angelegenheit auf mittelbarem Wege durch lancierte Pressemeldungen aufzugreifen“386. Am 20. August warnte dann der Bundessprecher der Landsmannschaft Pommern Oskar Eggert auf dem Deutschlandtreffen der Pommern vor mehr als 80.000 Heimatvertriebenen die EKD davor, eine „Friedensdenkschrift“ anzufertigen und drohte mit einem unerbittlichen Kampf gegen die evangelische Kirche387. Drei Tage danach sprach Mende mit Kunst. Der Bischof beruhigte den Minister, dass die Erarbeitung einer neuen Denkschrift noch in den allerersten Anfängen stecke und sicherte ihm zu, dass er vor der Veröffentlichung einen Entwurf erhalte388. Tatsächlich befanden sich die Vorbereitungen zu einer Denkschrift im Spätsommer 1966 in einem noch sehr frühen Stadium. Am 30. September und 1. Oktober trafen sich die westdeutschen Kammermitglieder in Frankfurt am Main, um angesichts der vermehrten Einreiseverbote die weitere Verfahrensweise sowie das im Juli nur in zwei „Kleinkreisen“ in Ost- und West-Berlin behandelte Thema „Wiedervereinigung“ zu besprechen389. Auf dieser Sitzung referierte der Berliner Soziologe Peter Christian Ludz über den „Wandel der Sozialstruktur der DDR“. Ludz hatte 1964 einen Sammelband über die Soziologie der DDR herausgebracht390 und veröffent384 Vgl. Weizsäckers Bericht über die Kommissionssitzung auf der Kammersitzung am 30.9./1.10.1966 (EZA BERLIN, 2/1362). 385 Vgl. Schnekenburger an Mende, 4.8.1966 und Krautwig an Westrick, 5.8.1966 (BArch KOBLENZ, B 136/6718). 386 Briefe von Schnekenburger vom 9. und 11.8.1966 (EBD.). 387 „EKD-Kirchenkanzlei zur Polemik der Vertriebenenverbände“. In: EW 20, 1966, S. 527. 388 Vgl. handschriftliche Anmerkungen von Mende auf dem Brief von Schnekenburger an ihn vom 11.8. und Vermerk von Schnekenburger o. D. (BArch KOBLENZ, B 136/6718). 389 Vgl. Raiser an Wilkens, 21.8.1966 (EZA BERLIN, 2/1357). 390 P. LUDZ, Studien.

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lichte in den Folgejahren mehrere einflussreiche Bücher u. a. zu den Veränderungen in der sozialen Zusammensetzung und im politischen Führungsstil der „Partei der Arbeiterklasse“ seit Ende der fünfziger Jahre391. In seinem Referat beschrieb er einen Prozess des geistigen und sozialen Wandels in der DDR, der sich bereits in den fünfziger Jahren angekündigt habe, nach dem Mauerbau und besonders nach dem VI. Parteitag der SED voll sichtbar geworden sei und auch weiterhin anhalte392. Einen Wandel diagnostizierte Ludz in der Gesellschaftspolitik der SED, in so gut wie allen Teilen der Sozialstruktur, bei der SED selbst, bei den Wirtschaftsführern, in der Bevölkerungsstruktur, der Beschäftigungs- und Berufsstruktur, der Familie, der Jugend und im Staats- und Nationalbewusstsein. Von einem eigenen Staats- und Nationalbewusstsein in der DDR zu sprechen, hielt er für falsch. Die Distanz zur Bundesrepublik habe jedoch zugenommen. Auch sei das Selbstbewusstsein zahlreicher im Arbeitsprozess stehender Menschen in den vergangenen Jahren gestiegen. Insgesamt schien für Ludz die DDR auf dem Weg zu einer leistungsorientierten Laufbahngesellschaft zu sein. In der lebhaften Aussprache nach dem Referat wurden verschiedene Sachverhalte angeschnitten, die sich für die weitere Arbeit der Kammer als wichtig erwiesen. So überlegten die Kammermitglieder, ob es anstelle eines eigenen Nationalbewusstseins oder eines besonderen „Gesellschafts-Bewußtseins“ in der DDR nicht vielmehr ein „weltanschaulich mehr neutrales Bewußtsein einer bestimmten Eigenständigkeit“ gebe, das „von Fall zu Fall zur Identifizierung mit dem eigenen Staat, seinen Leistungen und gesellschaftlich-politischen Zielen“ führte393. Ein weiterer Diskussionspunkt war das beobachtete Anwachsen der Skepsis in der DDR-Bevölkerung gegenüber der Bundesrepublik und dem „Westen“. Hierfür wurden mehrere Erklärungen angeboten: Viele DDR-Bürger hielten den „Westen“ für unfähig, seine eigenen Probleme zu lösen; der spezifisch westliche Umgang mit der Freiheit stoße bei ihnen auf Kritik; in der DDR habe das „im Marxismus verankerte Element des Aktivismus in der Lebens- und Weltbewältigung“ Fuß gefasst und werde nun zum Maßstab für die Beurteilung des „Westens“. Nach Referat und Aussprache kamen die Kammermitglieder zu dem Schluss, dass es notwendig sei, „das in der Bundesrepublik noch vorherrschende Bild von der DDR als einem in jeder Hinsicht starren Gesellschaftsgebilde zu überwinden.“ Diese Einschätzung macht deutlich, dass Mitte der sechziger Jahre unter prominenten Protestanten die Wahrnehmung der DDR hoffnungsvoller wurde – eine Tendenz, die sich auch insgesamt in den bundesdeutschen Meinungseliten abzeichnete. Über die Behandlung der Deutschlandfrage in einer künftigen Kammerpublikation wurde auf der Frankfurter Sitzung noch kein Beschluss gefasst. Mit Erfolg hatte Locher davor gewarnt, die Analyse der tatsächlichen kirchlichen Gesprächslage in Fragen der Deutschlandpolitik zu vereinfachen und die Basis der Bestandsaufnahme zu schmal zu halten. Er plädierte dafür, in der DDR auch Gruppen zur Kenntnis zu nehmen wie 391 Vgl. z. B. P. LUDZ, Parteielite. 392 Protokoll des Referats „Wandel der Sozialstruktur in der DDR“ (EZA BERLIN, 2/1363). 393 Niederschrift über die Sitzung der Kammer am 30.9./1.10.1966 (EZA BERLIN, 2/1362).

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den Weißenseer Arbeitskreis, den DDR-Regionalausschuss der CFK und den Bund Evangelischer Pfarrer, die sich seiner Einschätzung nach „ernsthaft konstruktiv“ unter theologisch-kirchlichen und politischen Gesichtspunkten mit dem Komplex der Deutschlandfrage beschäftigten. Es fiel daher der Vorschlag, das Gespräch mit Schönherr zu suchen und Jacob dringend darum zu bitten, sich als Mitglied der Kammer an der Arbeit der Unterkommission zu beteiligen. Trotz der widrigen äußeren Umstände wurde auch weiterhin versucht, den gesamtdeutschen Charakter der Kammerarbeit sicherzustellen. So trafen sich im Oktober ost- und westdeutsche Kammermitglieder zu einer Sitzung in Ost-Berlin394. Weizsäcker informierte dort über die Beratungen in der Bundesrepublik und warb um Verständnis, dass die bundesdeutschen Mitglieder der Kammer auch zu eigenen Beratungen zusammentraten, um in voller Besetzung und über bundesdeutsche Themen beraten zu können. Dennoch war man sich einig, dass nur eine effektive Zusammenarbeit zwischen ost- und westdeutschen Mitgliedern ein gutes Ergebnis der Kammerarbeit gewährleistete, da die Friedensfrage beide Teile in gleicher Weise beschäftigte. In der anschließenden Sitzung der Unterkommission Deutschlandfrage wurde über aktuelle deutschlandpolitische Konzepte diskutiert. Am Abend und am Folgetag tagten die Kammermitglieder aus der Bundesrepublik in West-Berlin und ließen sich von dem Kieler Professor für internationales Recht, Eberhard Menzel, über die „Umrisse einer europäischen Friedensordnung“ informieren395. Die nachfolgende Aussprache konzentrierte sich dann schnell auf die aktuelle Frage der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR. Dabei wurde auf begriffliche Klärungen gedrängt, z. B. auf die Unterscheidung von völkerrechtlicher Anerkennung und Anerkennung als „Staat“ oder die Kennzeichnung des „Alleinvertretungsrechts“ als politische und nicht als staatsrechtliche oder völkerrechtliche Formel. Die Kammermitglieder waren der Auffassung, dass eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR den Zustand der deutschen Teilung verfestigen und einen großen Prestigeverlust für die Bundesrepublik bedeuten würde. Daher sollte ihrer Ansicht nach am Alleinvertretungsanspruch und an der völkerrechtlichen Nichtanerkennung seitens der Bundesrepublik gegenüber der DDR festgehalten werden. Unterhalb der damit bezeichneten Ebene gelte es jedoch alle Möglichkeiten auszuschöpfen, etwa indem durch parallele Gesetzgebung oder sonstige Regelungen bestimmte Gebiete im Berührungsbereich zwischen Bundesrepublik und DDR geregelt und praktische Schwierigkeiten ausgeräumt wurden. Abschließend betonten die Kammermitglieder, dass der Wiedervereinigungswille durch „wirkliche Schritte“ auf deutscher Seite glaubhaft gemacht werden müsste. Sonst liefe man Gefahr, dass „Europa von den Großmächten auf dem Boden der Teilung endgültig organisiert“ würde396.

394 Aktenvermerk von Behm über die Sitzung am 20.10.1966 (EZA BERLIN, 2/1357). 395 Niederschrift über die Sitzung (EZA BERLIN, 2/1363). 396 EBD.

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Auf der nächsten Sitzung der Unterkommission Deutschlandfrage397 gab Hamel eine negative Bilanz der bisherigen deutschlandpolitischen Äußerungen der EKD398. Er kritisierte, dass die Kirche unreflektiert an der Forderung nach der Wiedervereinigung in einem Nationalstaat festhalte, die primär „im irrationalen und unkontrollierten Fühlen“ gründe. Besonderen Anstoß nahm er an dem Argumentationsmuster, dass nur die Wiedervereinigung in einem Nationalstaat auf der Grundlage freier Selbstbestimmung des deutschen Volkes den Frieden bringen und erhalten könne. Für falsch hielt er es, dass unter dem Begriff „Wiedervereinigung“ ganz Verschiedenes subsumiert wurde: die Vereinigung in einem souveränen Nationalstaat, die freie Selbstbestimmung mit dem Ziel, eine parlamentarisch-demokratische Ordnung zu installieren, die Befreiung der Ostdeutschen vom „sowjetischen Besatzungsregime“ sowie die freie Kommunikation zwischen den Deutschen. Die Summe dieser Vorstellungen hatte nach Hamels Einschätzung vor allem die Ostdeutschen an der Wiedervereinigung festhalten lassen. Die Westdeutschen und vornehmlich Dibelius sah er hingegen in einem „Nationalgefühl alten Stils verhaftet, über dessen Relativität man sich keine Rechenschaft gab.“ Daher habe man früher die Deutschlandfrage nur als Frage nach der Wiedervereinigung verstanden, anstatt sie von Anfang an im Rahmen einer neu zu errichtenden besseren Friedensordnung in Europa zu verorten. Neuansätze in diese Richtung seien stecken geblieben. Nach Hamels Analyse trugen alle bisherigen Verlautbarungen einen Grundwiderspruch in sich: Einerseits betonten sie, dass es nicht Sache der Kirche sei, politische Wegweisungen zu geben, andererseits habe man mit der Forderung nach der Wiedervereinigung in einem Nationalstaat eine weit reichende und konkrete politische Entscheidung getroffen und eine politische Parteinahme – für die Bundesrepublik – vollzogen. Besonders kritikwürdig hielt Hamel, dass in den Verlautbarungen Anfragen aus dem ökumenischen Raum ignoriert würden. Dazu zählte er die Fragen: – Ob angesichts der weltpolitischen Lage anstelle des Nationalstaates nicht eine Kooperation von Völkern, Staaten, politischen Systemen und Kontinenten erstrebenswert sei?

– Ob nicht die Wiedervereinigung, sondern die Konsolidierung zweier deutscher Staaten die beste Lösung im Interesse der Erhaltung und Befestigung des Friedens sei?

– Ob nicht auch die Westmächte die Wiedervereinigung verhindert hatten?

Insgesamt zielte Hamels Kritik an den bisherigen deutschlandpolitischen Verlautbarungen der EKD auf eine Wende in der kirchlichen Haltung zur Deutschlandfrage: Diese sollte entnationalisiert und in die Suche nach einer europäischen Ordnung und nach Wegen der Friedenssicherung eingebunden werden. Am Ende seines Referates fragte er provokant, ob es die Kammer wagen werde, die Ostdenkschrift durch eine Denkschrift über die Deutschlandfrage „im Rahmen einer zu erstrebenden Friedensordnung in Europa“ zu ergänzen. „Wenn nicht“, so Hamel, 397 An der Sitzung am 16.12.1966 in Ost-Berlin nahmen teil: Hildebrandt, Hamel, v. Weizsäcker, Diem, Eppler, Behm und Lewek (EZA BERLIN, 104/121). 398 Vgl. Aktenvermerk von Behm über die Sitzung sowie den Text des Referates „Die bisherigen Verlautbarungen innerhalb der EKiD zur Deutschlandfrage“ (EZA BERLIN, 2/1357).

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„bliebe auch die letzte Denkschrift der EKiD ein Zeichen dafür, dass die evangelische Christenheit bei dem versuchten Durchbruch durch die Befangenheit nationalstaatlichen Denkens zu einem Denken im Horizont der Weltchristenheit und der Völkerwelt wieder einmal versagt hat.“399

Den Kammermitgliedern wurde in der nachfolgenden Aussprache deutlich, dass sie für ihre Weiterarbeit eine Definition des Nationsbegriffs benötigten. Der Ansatzpunkt ihrer Studien sollte allerdings die Friedensfrage bleiben. Als Leitfrage wurde daher formuliert: „Was können die Deutschen zum Frieden beitragen“. Im Einzelnen wollten sie folgenden Teilfragen nachgehen: „a) Was muß im Umgang miteinander unterbleiben? b) Wo liegen die gemeinsamen Aufgaben der beiden Teile? c) In welchem Rahmen können die Deutschen miteinander kooperieren? d) Wie müßten die gemeinsamen Zielvorstellungen aussehen?“ Zu Punkt a) sollte Hildebrandt400, zu Punkt b) Weizsäcker, zu Punkt c) das neue Kammermitglieder Erhard Eppler401 und zu Punkt d) Hamel weiterarbeiten402. Damit war vorgesehen, dass zwei Kapitelentwürfe des nunmehr in Angriff genommenen Textes aus der DDR und zwei aus der Bundesrepublik kamen. Noch bevor ein Wort geschrieben war, wurde die potenzielle „Friedensdenkschrift“ im Vorfeld des Kirchentages im März 1967 zum Gegenstand der Auseinandersetzung. Die CDU-nahe katholische Wochenzeitschrift „Echo der Zeit“ berichtete am 8. Februar, dass die Kammer eine Friedensdenkschrift verfasse, in der die praktische Anerkennung der DDR befürwortet werde403. Ferner werde in ihr ein deutscher „Vorabverzicht“ auf die Gebiete jenseits der Oder und Neiße propagiert, die Deutschlandpolitik der neuen Bundesregierung kritisiert und Verhandlungen mit der DDR auf hoher und höchster Ebene gefordert. Als Quelle gab „Echo der Zeit“ ein Kammermitglied sowie ein Mitglied der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher an. Daraufhin ließ Joachim Freiherr von Braun, Gründungsmitglied der Notgemeinschaft, mitteilen, das Kammermitglied Hermann Diem habe erklärt, dass auf einer Sitzung im Dezember die Deutschlandpolitik der neuen Bundesregierung missbilligt und der Wunsch nach Verhandlungen auf hoher und höchster Ebene geäußert worden sei404. Die EKD-Kirchenkanzlei dementierte am 9. Februar in gereiztem Ton die Presseberichte als „in allen Einzelheiten frei erfunden“405. Eine Veröffentlichung aus der Arbeit der Kammer zu den Fragen der Kriegsverhütung und Friedenssicherung stehe zur Zeit nicht zur Debatte. In den Presseberichten sah man „nur das neueste Beispiel einer Hetze, die von offenbar rechtsradikalen Kreisen im399 EBD. 400 Hildebrandt wurde am 20.10.1966 von der Kammer zum verantwortlichen Mitglied im Raum der DDR ernannt. Vgl. Aktenvermerk von Behm über die Sitzung (EZA BERLIN, 2/1357). 401 Auf seiner Sitzung am 6./7.10.1966 hatte der Rat die Bundestagsabgeordneten Walter Leisler Kiep und Erhard Eppler zu Mitgliedern der KföV berufen. Vgl. Niederschrift der Ratssitzung (EBD.). 402 Aktennotiz von Weizsäckers über die Sitzung des Unterausschusses (EZA BERLIN, 2/1363). 403 Vgl. epd ZA, 9.2.1967, S. 2. 404 Vgl. den Artikel „Wirbel um neue EKD-Denkschrift“. In: Berliner Morgenpost, 9.2.1967. 405 Das Dementi ist u. a. abgedruckt in: JK 28, 1967, S. 483f.

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mer wieder neu gegen die Leitung der EKD inszeniert“ werde. Das scharfe Dementi hatte wiederum empörte Stellungnahmen seitens der Notgemeinschaft zur Folge406. Auf der Sitzung der westlichen Kammermitglieder am 17. und 18. Februar berichtete Weizsäcker über den Stand der Arbeiten in der Unterkommission Deutschlandfrage407. Er wie die übrigen Anwesenden vertraten die Auffassung, dass die Kommission mehr an Strukturfragen und langfristigen Planungen und weniger an Fragen der Tagespolitik arbeiten sollte. Zugleich hielten sie es für erforderlich, den Kreis der Mitarbeiter aus der DDR zu ergänzen408. Gedacht wurde an Schönherr, Ringhandt sowie Elisabeth Adler, die Ende 1965 aus Genf nach Ost-Berlin zurückgekehrt war und dort als Studienleiterin an der Evangelischen Akademie arbeitete. Ringhandt und Adler nahmen bereits an der nächsten Sitzung der Unterkommission am 13. März 1967 in Ost-Berlin teil409. Dort wurde zunächst über Hamels Thesen zur „Frage nach dem Zusammenleben des deutschen Volkes in Konfrontation mit der Forderung nach ‚Wiedervereinigung‘“ gesprochen410. Der ökumenischen Diskussionslage folgend, die sich insbesondere seit der Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft in Genf 1966 auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Industriestaaten und „Dritter Welt“ verlagert hatte, begann der Naumburger Dozent seinen Argumentationsgang mit einem Hinweis auf die Verantwortung der Industrienationen für die Staaten der „Dritten Welt“. Die „elementare politische Aufgabe des deutschen Volkes“, so folgerte er, sei es, seine „spezielle Verantwortung für ein besseres Zusammenwirken Europas auf dieses Ziel hin zu erkennen und zu praktizieren.“ Die „Deutschlandfrage“ durfte seiner Auffassung nach nur in diesem Kontext definiert werden. Diese These stieß in der Kommission auf erhebliche Bedenken sowohl hinsichtlich der „speziellen Verantwortung der Deutschen“ als auch im Hinblick auf das völlige Aufgehen der deutschen Frage in der „Weltfrage“411. Hamel argumentierte weiter, der Ruf nach „Wiedervereinigung“ entstamme den „heute unbrauchbaren“ nationalstaatlichen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts und verstelle den Blick der Deutschen auf den ihnen gebotenen Beitrag zu einer europäischen Friedensordnung. Angesichts der Pauschalität dieser Aussage forderten die Kammermitglieder eine Klärung der Begriffe „Volk“ und „Nation“. Sie lehnten es ab, dass gemeinsam mit dem Wort „Wiedervereinigung“ auch alle mit den Wörtern „Volk“ und „Nation“ verbundenen Werte eine Abwertung erfuhren. Ebenfalls für so nicht akzeptabel hielten sie Hamels Forderung, zwischen der „Wiederver406 Vgl. den Artikel „Wirbel um neue EKD-Denkschrift“. In: Berliner Morgenpost, 9.2.1967. 407 Niederschrift über die Sitzung (EZA BERLIN, 2/1364). 408 Obgleich schon auf der Kammersitzung am 30.9./1.10.1966 angeregt worden war, u. a. Schönherr zu den Beratungen hinzuziehen, war dies bis dahin nicht erfolgt. Weizsäcker äußerte am 2.1.1967 gegenüber Raiser die Vermutung, dass Behm das Hinzuziehen weiterer ostdeutscher Sachverständiger absichtlich vergessen habe, worüber Hildebrandt zufrieden und Hamel und die westlichen Mitglieder unzufrieden seien (EZA BERLIN, 2/1362). 409 Anwesend waren auch: Hamel, Weizsäcker, Hildebrandt, Lewek, Diem, Eppler und Behm (EZA BERLIN, 4/122). 410 Thesen von Hamel (EZA BERLIN, 104/122). 411 Aktenvermerk von Behm über die Kommissionssitzung (EZA BERLIN, 2/1358).

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einigung“ als Forderung nach einem Nationalstaat, dem Verlangen nach Selbstbestimmung innerhalb der DDR und dem Wunsch nach uneingeschränkter innerdeutscher Kommunikation strikt zu trennen. „Vollmundig“ fanden die Kommissionsmitglieder Hamels Formel von der „Lösung der Deutschlandfrage“ und verlangten von ihm, die in diesem Zusammenhang genannten „Opfer“ und „Forderungen“ zu konkretisieren. Zudem forderten sie, dass die Frage des Status quo ausgeklammert werde; Hamel hatte hingegen eine Konsolidierung und Demokratisierung der osteuropäischen Staaten zur Sicherung des Status quo in Mittel- und Osteuropa gefordert und wollte diese innere Stabilisierung in den Dienst der „Kooperation und Communikation der Völker mit verschiedenen gesellschaftlichen Ordnungen“ gestellt sehen. Den stärksten Widerspruch aber erregten die beiden letzten Thesen: „X. Es dürfte schwer sein zu widerlegen, daß auf dem Wege zu Cooperation und Proexistenz der Völker sich das Gesamtinteresse dahin entwickeln wird, miteinander die völkerrechtliche Fixierung beider Staaten mit deutscher Bevölkerung und die innerpolitische Selbstbestimmung, wo sie noch nicht da ist, zu erreichen. XI. Wollten die Völker samt dem deutschen Volk auf dem skizzierten Weg fortschreiten (einschließlich der eben angedeuteten Lösung), wird sich das Problem eines künftigen ‚Nationalstaates‘ entschärft und völlig gewandelt haben. Es ist heute noch nicht abzusehen, ob ein Gesamtinteresse später einmal zur Herstellung einer engeren politisch-staatlichen Einheit der deutschen Nation führen wird.“412

Der Theologe Hamel wurde gefragt, ob eine so rein politische Aussage vom Evangelium her möglich sei. In der Sache argumentierten die Kommissionsmitglieder, dass, falls überhaupt eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR in Betracht gezogen werde, diese nur eine Zwischen- und keine Endstation zur Lösung der deutschen Frage sein dürfe. Der Wille der Deutschen, zusammenleben zu können, müsse in dem Text stärker herausgestellt werden und dürfe nicht in der Schwebe bleiben. Nach dieser sehr kritischen Diskussion über die Thesen des ostdeutschen Theologen sprach die Kommission über die Ausarbeitung Weizsäckers, der zu diesem Zeitpunkt Mitglied des Bundesvorstands der CDU war. Im Hinblick auf die Frage nach möglichen deutschen Beiträgen für den Frieden nannte Weizsäcker in seinem Entwurf zwei Ausgangspunkte für „gemeinsame Aufgaben, die uns objektiv verknüpfen“: Zum einen die Gefahren, die die Bundesrepublik und die DDR gleichermaßen betrafen und zum anderen die Lebenssituation und die Kontaktmöglichkeiten der Deutschen413. Auf Grund ihrer „gemeinsame[n] Zugehörigkeit zum Gefahrenzentrum“ hätten die beiden deutschen Staaten gemeinsame und parallele Sicherheitsaufgaben, so führte er aus. Auf militärisch-technischer Ebene sollten sie Mithilfe leisten, um Überraschungsangriffe, militärische Unfälle und Eskalationen zu verhüten. Dieser Bereich biete Anlass und Möglichkeit zur Kommunikation auch ohne Botschafteraustausch und ohne Lösung der ideologischen und politischen Streitpunkte. Auf politischer Ebene seien 412 Thesen von Hamel (EZA BERLIN, 104/122). 413 EZA BERLIN, 2/1358.

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Schritte wie Gewaltverzichtserklärungen und das Knüpfen bilateraler Verbindungen mit dem gemeinsamen Ziel der „Sicherheitsverstärkung“ notwendig. Zwar betrachtete Weizsäcker weder das militärisch-technische noch das politische Feld in diesem Bereich als Objekte kirchlicher Ratschläge an die Politik, doch hielt er eine innerkirchliche Grundverständigung darüber für notwendig. Denn die noch immer vorhandene kirchliche Gemeinschaft in beiden Teilen Deutschlands verführe die Kirche oft dazu, deutschlandpolitische Zielsetzungen im Vordergrund zu sehen, die aber aus der „derzeitigen Sackgasse“ nicht herauswiesen, sondern eher geeignet waren, die politischen Ansätze zu weniger ambitionierten gemeinsamen und parallelen Sicherheitsaufgaben zu erschweren. Wer dem Frieden in Europa dienen wolle, so Weizsäckers Appell, müsse bis auf weiteres nach Umfang und Tempo deutschlandpolitisch bescheidener bleiben, als es den aktuell vorherrschenden Meinungen in der DDR und in der Bundesrepublik entsprach. Als zweites, dem ideologischen Gegensatz übergeordnetes Problem bezeichnete er die Bekämpfung des Hungers in der Welt. Ungeachtet des ideologischen Wettbewerbs in der „Dritten Welt“ werde der Zwang zur gemeinsamen Bewältigung der Entwicklungsaufgaben zunehmen. Dies aber sei ein originäres Gebiet kirchlicher Aufgaben. Nach Weizsäckers Vorstellung sollten die Deutschen in Zukunft „in beiden geistigen und politischen Räumen Europas als Deutsche“ existieren, d. h. zur Erkenntnis und Bewältigung von Gefahren beitragen, die dem Ost-West-Konflikt und dem innerdeutschen Gegensatz übergeordnet waren. Die kulturellen, historischen und familiären Verbindungen der Deutschen untereinander sollten sie zu „realistischen Friedensbeiträgen, nicht aber zu unrealistischen Nationalstaatsplänen ermuntern“. Die Betonung nationalstaatlicher Ziele – auch etwa von Seiten Frankreichs – war, so Weizsäcker, der notwendigen Entwicklung im Zeichen der wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Zukunftsaufgaben ebenso wie der politischen Chance Europas und den Gefahren seiner Sicherheit entgegengesetzt. Sollten die Deutschen nicht aus der Not der Teilung die Kraft zu führenden Beiträgen für übernationale Entwicklungen ableiten, würden sie, so prophezeite er, ihre Aufgabe im Interesse der europäischen Zukunft versäumen, ohne gleichzeitig ein nationalstaatliches Ziel zu erreichen. Nähmen sie diese Aufgabe aber wahr, so würden sie dadurch „nicht als einziges europäisches Volk zu vaterlandslosen Gesellen“ werden. Sie erfüllten diese Verpflichtungen als Deutsche, die der Zukunft ihres eigenen Landes damit am besten dienten, argumentierte Weizsäcker gegen den „neuen Nationalismus“ in der Bundesrepublik an. Von der Eignung der Deutschen zur Wahrnehmung von übernationalen Aufgaben leitete er die Forderung ab, die innerdeutschen Kontakte zu pflegen und zu intensivieren: „Wenn die Kontakte einschlafen und die Teilung nicht mehr existentiell als Not und Aufgabe empfunden wird, wenn sich also jeder mit seinem Teil zufrieden eingerichtet hat, geht den Deutschen ihre Kraft in Richtung der Aufgaben der europäischen Zukunft verloren.“414 Den innerdeutschen Verbindungen wurde damit eine europäische Dimension zugemessen und sie von deutschlandpolitischen Konzepten

414 EBD.

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und Forderungen entkoppelt. Weizsäcker drang vor diesem Hintergrund auf eine undogmatische Förderung aller innerdeutschen Reisemöglichkeiten: „Die Chance zur Erkenntnis gemeinsamer Aufgaben als Deutsche ergibt sich nur in den Kontakten selbst, dagegen nicht in ihrer Einschränkung durch Legalismus und mangelndes Selbstvertrauen.“ Für besonders wichtig hielt er auch den Interzonenhandel. Hier sollten Bedenken hinsichtlich einer Stabilisierung des SED-Regimes zurückgestellt werden. Denn, so argumentierte er, die bundesdeutschen Versuche, die DDR-Regierung zu „diskriminieren oder zu isolieren“ müssten dort ihre Grenze finden, „wo sie die Solidarität der Bevölkerungen über die D-Linie hinweg gefährden.“ In diesem Sinne sollte die Kirche auch weiterhin Einfluss auf die Politik ausüben. Aus Zeitmangel wurden die Ausführungen Weizsäckers auf der Kammersitzung nur kurz diskutiert. Dabei konzentrierte man sich auf die Frage, die der Entwurf ausgespart hatte, nämlich ob eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR ein Weg aus der „derzeitigen Sackgasse der Politik“ sein konnte. Zwar wurde allgemein anerkannt, dass sich die DDR aktuell tatsächlich bedroht fühlte, keine Einmütigkeit herrschte jedoch darüber, ob der Weg über eine völkerrechtliche Anerkennung weiterhalf, ob diese zu größeren Möglichkeiten der Kommunikation der Deutschen, zu einem wirklichen Zusammenleben führen würde und wie die Reaktion der Menschen in der DDR darauf ausfiele. Angesichts dieser Diskussionslage hielt die Kommission fest, dass die Entwürfe zunächst in erster Linie der innerkirchlichen Klärung dienen sollten. Nach der kontroversen Debatte über seine Thesen schrieb Hamel eine Studie mit „Erwägungen über die Aufgaben der Deutschen im Dienst des Friedens“, in der er die kritischen und weiterführenden Anmerkungen der Kommissionsmitglieder berücksichtigte415. Sein Ziel war die Verortung und Definition der Deutschlandfrage innerhalb des globalen Bemühens um militärische und soziale Friedenssicherung. In einem ersten Kapitel benannte Hamel die von ihm als dringlich eingestuften globalen Aufgaben: die Entwicklung neuer Methoden für den Austrag und Ausgleich der Interessensgegensätze der Supermächte, die Herstellung und den Erhalt des „sozialen Weltfriedens“ sowie die Wahrung eines menschlichen Zusammenlebens in einer „technisch-wissenschaftlichen Welt“. Um diese Ziele zu erreichen, so Hamel, müsse der Systemkonflikt überwunden und ein allgemeines Staatensystem entwickelt werden, dessen oberste Organe so viel Exekutivgewalt besaßen, dass sie Kriege verhindern und Polizeiaktionen gegen Friedensstörer durchführen konnten. Je dringlicher aber die globalen Aufgaben würden, so argumentierte er in seinem zweiten Kapitel, umso dringlicher werde auch die Schaffung eines „echten Friedenszustandes“ in Mittel-Osteuropa. Dazu aber dürfe der Status quo nicht völkerrechtlich fixiert, sondern lediglich als Provisorium anerkannt und seine Veränderung von allen Beteiligten geplant und schrittweise in Gang gesetzt werden, forderte nun Hamel mit Rücksicht auf seine Kritiker. Denn nur ein Ende des „Kalten Krieges“ zwischen den beiden deutschen Staaten werde eine Kriegsgefahr in Europa beseitigen. Auch eine völkerrechtliche Si-

415 EZA BERLIN, 2/1358.

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cherung der Siedlungsräume, welche das polnische und tschechische Volk seit 1945 inne hatten, hielt Hamel nur durch die Zustimmung des ganzen deutschen Volkes und seiner frei gewählten Regierung für beide Völker für befriedigend. Ebenso sah er in der Freiheit zur „innenpolitischen“ Selbstbestimmung in Ostdeutschland eine der notwendigen Voraussetzungen, um die Bundesrepublik und die DDR in eine europäische Entspannung einbeziehen zu können. Und nicht zuletzt würden die Deutschen nur dann „willig und opferbereit ihren Beitrag zum Weltfrieden leisten“, wenn ihnen eine langfristige Perspektive auf eine Überwindung der Trennung eröffnet werde. Bei der Beseitigung des Status quo konnte es sich, so Hamel in seinem dritten Kapitel, nicht um die Wiedervereinigung der Deutschen in einem souveränen Nationalstaat handeln. Die Tendenz gehe zu supranationalen Zusammenschlüssen und gerade die unter dem Blockkonflikt besonders leidenden Deutschen sollten daher eine institutionalisierte Kooperation der europäischen Völker und Staaten fördern. Da der „Nichtkriegszustand in Ost-Mitteleuropa“ labil sei, müsse jede Veränderung des Status quo äußerst behutsam und nur Hand in Hand mit einer wachsenden Integration Europas erfolgen, die wiederum von dem Ausgleich zwischen den beiden Supermächten abhänge. Auch sah Hamel unter den Deutschen selbst noch keine Klarheit darüber bestehen, welchen historisch-politischen Ort ein künftiger deutscher Gesamtstaat einnehmen sollte und könnte. Er hielt es daher für möglich, dass unter den gegebenen Umständen ein deutscher Gesamtstaat eine mehrfach bedingte Labilität zeigen würde, die auf absehbare Zeit um der Erhaltung des europäischen Friedens unter allen Umständen vermieden werden müsse. In seinem vierten Kapitel ging Hamel der Frage nach, was oder wer heute das „deutsche Volk“ sei. Gegenwärtig würden die Ostdeutschen mit bisher geringem Erfolg propagandistisch bearbeitet, in der DDR ihr „Vaterland“ zu sehen und sich selbst als eine „moralisch-politische Einheit“, als eine „DDR-Nation“ zu verstehen. Den Bundesdeutschen werde zwar versichert, dass ihr politisches Hauptziel die „Wiedervereinigung“ sei und bleiben müsse, doch äußerte Hamel Zweifel, inwieweit dieses propagierte Ziel noch von einem breiten und entschlossenen nationalen Willen getragen wurde. Die militärische, wirtschaftliche und politische Abhängigkeit beider Teile von ihrer jeweiligen Supermacht blockierten seiner Ansicht nach einen Neuansatz zu einem nationalen Wollen des deutschen Volkes; der Spielraum für eine nationale Zielsetzung sei in beiden Räumen, wenn auch in verschiedenem Maße, sehr gering. Der Theologe hielt es daher auch nicht für ausgeschlossen, dass auf die Dauer zwei „Völker“ entstehen könnten, die in „zwei staatlichen Räumen“ lebten – eine Entwicklung, die von nicht wenigen der unmittelbaren und mittelbaren Nachbarn Deutschlands für möglich, wenn nicht im Blick auf den europäischen Frieden für wünschenswert gehalten werde. „Aber freilich würde das noch sehr lange Zeit brauchen und lange ungewiß bleiben!“, so beruhigte Hamel. In Kapitel fünf beschäftigte er sich mit der Frage, inwiefern die Deutschen noch ein „Volk“ seien. Als Hinweise für die Existenz eines deutschen Volkes nannte er die Außenwahrnehmung der Deutschen als ein Volk, die gemeinsame Verantwortung für die Geschehnisse während der NS-Zeit, der sich auch die DDR nicht entziehen könne, die Versöhnung mit Israel und den osteuropäischen Völkern als gemeinsame Aufgabe

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sowie den in Ost- und Westdeutschland vorhandenen Wunsch der Bevölkerung nach einer rechtlich gesicherten Kommunikation. In seinem sechsten Kapitel erläuterte Hamel die Aufgabe, durch welche die Deutschen vor allem zu einer „Nation“ zusammengeschlossen würden: die gemeinsame schrittweise Förderung der „Kooperation und Proexistenz“ der beiden Blöcke. Voraussetzung hierfür war für ihn, dass die beiden provisorischen deutschen Staaten ihren „kalten Krieg“ beendeten und sich stabilisierten, bis die Teilung im Zuge einer europäischen Integration überwunden werden konnte. Das deutsche Volk musste nach Hamel folglich ein „Doppeltes“ wollen und tun: „es muß diese beiden Staatsgebilde (die ohne seinen Willen entstanden sind!) als bloße Durchgangsstationen zu einem Zueinanderfinden aller Staaten in Relation setzen, also relativieren, und es muß auf dem Weg zu diesem Ziel diese beiden verhältnismäßig labilen Ordnungen vor revolutionären Erschütterungen, vor Lebensunfähigkeit und äußerem oder innerem Niedergang bewahren.“416

Das Erste fordere von den Deutschen eine schrittweise Annäherung und „Angleichung“ der beiden deutschen Bereiche, das Zweite die Bereitschaft, für unabsehbar lange Zeit in den beiden Provisorien zu leben sowie sie lebensfähig zu erhalten und lebenswürdig zu gestalten. „Alle Mitarbeit an dem Ausbau der parlamentarischen Demokratie zu einem ‚Sozialen Rechtsstaat‘ (wie man ihn genannt hat) und aller Einsatz für eine ständige Reform der DDR in Richtung auf eine echtere Beteiligung der Bevölkerung an der politischen Willensbildung, vermehrte Rechtssicherheit des Einzelnen und der Gruppen und größere geistige Freiheit im öffentlichen Raum sind Momente dieser zweiten Aufgabe. Nur wenn der eine Teil des deutschen Volkes die Bemühungen um diese Ziele im anderen Teil mitbegleitet, mitbedenkt, mitversteht und akzeptiert, kann der angegebene Weg gegangen werden und leistet das deutsche Volk seinen Beitrag zu einer umfassenderen Friedensordnung der Nationen und Staaten“,

so konkretisierte Hamel seine deutschlandpolitischen Vorstellungen. In einem siebten und achten Kapitel benannte er dann die Aufgaben, die sich für die beiden deutschen Staaten einzeln stellten. Von der Bundesrepublik forderte er: die Intensivierung der Entwicklungshilfe; eine stärkere Unterstützung der UNO; die Verbesserung ihres Verhältnisses zu den Staaten des Warschauer Paktes; den Verzicht auf Mitbeteiligung an dem Besitz oder der Verfügung über ABC-Waffen; die Unterstützung von Abrüstungsbemühungen; die Förderung eines „geordneten Nebeneinander und ein allmählich wachsendes Miteinander“ der beiden Provisorien Bundesrepublik und DDR ohne eine völkerrechtliche Anerkennung des ostdeutschen Staates, aber mit dessen Stabilisierung; die Erhöhung des Informationsstands der Bundesbürger über die DDR. Schwieriger war es für ihn, die Forderungen an die DDR zu formulieren, da er nicht die Machtfrage stellen wollte. Hamel hoffte aber auf die Reformfähigkeit der SED. Von der ostdeutschen Bevölkerung erwartete er anstelle von innerer Opposition, Resigna416 EBD.

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tion, Opportunismus oder Illusionen hinsichtlich einer baldigen Wiedervereinigung eine „nüchterne“ Sicht ihrer Lage und Chancen sowie ihres nationalen Ziels in Verbindung mit ihrem Beitrag für eine europäische Friedensordnung. Er forderte von ihnen Duldsamkeit gegenüber den wirtschaftlichen und politischen Missständen in der DDR, die er aber auch klar benannte und von denen er hoffte, dass sie nach und nach beseitigt würden. Hamel nannte auch, obgleich etwas unscharf, die Grenzen, welche die „- sicherlich nicht unkritische – Bereitschaft, in einer marxistisch-leninistisch bestimmten politischen Ordnung mitzuarbeiten und ihre Verbesserung mitanzustreben“, haben müsste. So sollte der Diffamierung der westlichen Staaten widerstanden werden, da sie jeden Fortschritt auf eine künftige Friedensordnung hin blockiere. Auch müsse das „relative Recht des Einzelnen“, seine Freiheit, Würde und Existenz, geschützt werden. Der Einzelne sollte seine Gewissensfreiheit behaupten. Hamel forderte seine Landsleute auch dazu auf, sich ein Interesse an der Situation in der Bundesrepublik und an weltpolitischen Problemen zu bewahren. Offen ließ er am Ende seiner Studie die Frage, welche konkrete Gestalt Europa und mit ihm Deutschland in der Zukunft haben würde. Doch zeigte er sich zuversichtlich: „Wird der angedeutete Weg nach vorn von allen Beteiligten jetzt zäh und ehrlich beschritten, dürfte die einstige Lösung der ‚Deutschlandfrage‘ nicht allzu schwierig sein.“417 Erhard Eppler schloss seinen Entwurf über die „Ausgangs- und Zielvorstellungen einer Deutschlandpolitik“, um den er auf der letzten Kommissionssitzung gebeten worden war, Mitte April ab418. Epplers politisches Engagement hatte mit der Ablehnung der Wiederbewaffnung begonnen. 1952 gründete er mit Heinemann die GVP, die er 1955 verließ, um im Januar 1956 in die SPD einzutreten, für die er ab 1961 im Bundestag saß. 1967 und 1968 war er außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, danach bis 1974 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. In den siebziger und achtziger Jahren sollte er dann als Vorsitzender der „Grundwerte-Kommission der SPD“ wesentlichen Einfluss auf die inhaltliche und programmatische Ausgestaltung sozialdemokratischer Werte und Ziele nehmen. Auch in der deutschlandpolitischen Unterkommission der EKD-Kammer übernahm er 1967 die Rolle des programmatischen Vordenkers. In seinen Ausführungen konzentrierte er sich auf die Rolle der europäischen Nationen sowie auf die Frage nach Existenz und Grundlagen einer deutschen Nation. Eppler begann mit dem Hinweis auf die verschiedenen Begriffe „Volk“ und „Nation“, die im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts wirksam geworden waren. Dabei stützte er sich auf die Unterscheidung des Historikers Friedrich Meinecke zwischen „Staatsnation“ und „Kulturnation“. Seinen eigenen Überlegungen legte er nicht den Begriff „Volk“, der in Deutschland nach wie vor der gebräuchlichere war, sondern den „politisch relevanteren Begriff der Nation“ zugrunde, der dann auch in der Endfassung der Friedensstudie gebraucht und definiert wurde. In seinen Ausführungen über die Situation des Nationalstaats in Europa bezeichnete Eppler den souveränen Nationalstaat auf ökonomischer und militärischer Ebene als „überholt“. Misslungen 417 EBD. 418 Eppler an Wilkens, 13.8.1967 (EZA BERLIN, 2/1359), Entwurf (EBD., 2/1358).

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sei aber auch der Versuch, die europäischen Nationalstaaten in ideologische Großblöcke hinein aufzulösen. Seit Beginn der sechziger Jahre hätten die nationalen gegenüber den ideologischen Bindungen wieder eine Stärkung erfahren. Im Gegensatz zum Nationalstaat hielt Eppler die Nation nicht für überholt. Er sah in ihr zwar keine unabänderliche Schöpfungsordnung, sondern eine historisch gewachsene Größe. Doch hielt er diese für noch lebendig, und so gelte es, die Nationen als „Ordnungsfaktoren und Bausteine einer anderen Ordnung aufzubewahren, sie über die nationalistischen Querelen souveräner Nationalstaaten hinaufzuheben und damit ihrer alten Funktion zu entkleiden.“419 Fernziel könne ein „europäischer Zusammenschluß mit Nationalcharakter“ sein, zu dem der Weg über Kooperationen führe. Die Frage, ob noch eine deutsche Nation existiere, bejahte Eppler. Es gebe sie sowohl im Bewusstsein der anderen europäischen Nationen als auch in dem der Deutschen. Die deutsche Nation sei dort, so Epplers eigenwillige Definition, „wo man in besonderer Weise im geistigen Spannungsfeld zwischen Luther, Goethe und Marx lebt“, „wo man eine politische und geistige Antwort auf den Nationalsozialismus sucht“, „wo Vertriebene und Nichtvertriebene gemeinsam den Verlust weiter Gebiete tragen müssen“ und wo die „Formulierung gemeinsamer politischer Grundwerte und politischer Aufgaben für eine deutsche Nation [. . .] noch nicht unmöglich“ ist. Der SPD-Politiker hielt auch die „Neukonstituierung“ eines deutschen Staates – nicht eine Wiedervereinigung – für möglich. Dies jedoch nur unter folgenden Voraussetzungen: die ehemaligen deutschen Ostgebiete dürften nicht zurückgefordert werden, der neue Staat müsse Teil einer europäischen Ordnung und föderativ aufgebaut sein, die Sozialstruktur in einem Teil Deutschlands dürfe nur auf Wunsch der Betroffenen hin geändert werden, Berlin müsse wieder „seine natürliche Funktion“ übernehmen dürfen. Ein solcher „Gesamtstaat“ konnte nach Epplers Auffassung nur das Ergebnis eines „langsamen Zusammenwachsens“ sein. Das Ziel könne dann als erreicht gelten, wenn durch gemeinsame staatliche Institutionen zum Ausdruck komme, dass die politischen, kulturellen und ökonomischen Bindungen zwischen den beiden deutschen Teilen stärker seien als die der beiden Teile zu ihren jeweiligen Nachbarn. Besonderen Wert legte Eppler darauf, dass die Neukonstituierung eines deutschen Staates die „radikale Demokratisierung des deutschen Nationalbewußtseins“ voraussetze. Als Antwort auf den „neuen Nationalismus“ in der Bundesrepublik ging er auf diesen Punkt intensiv ein und widmete ihm ein eigenes Kapitel. Das deutsche Volk litt seiner Ansicht nach seit 1866 an einer Spaltung zwischen Nationalbewusstsein und Demokratie, die zu einer Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsteile aus der Nation geführt hatte. Nach 1945 sei es in der Bundesrepublik gelungen, Katholiken und Arbeiterbewegung wieder in die Nation zu integrieren. Dieser Ansatz zu einer Demokratisierung des Nationalbewusstseins müsse weiter geführt und für die Überwindung der staatlichen Spaltung fruchtbar gemacht werden. Vorausgesetzt, man verstehe unter Nationalbewusstsein primär das Bewusstsein einer „besonderen, an niemanden abtretbaren politischen Verantwortung“, so habe sich dieses Bewusstsein künftig auf die 419 Entwurf (EBD.).

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gemeinsamen „Grundwerte“420 sowie die gemeinsamen Aufgaben, die sich aus diesen Grundwerten ergaben, zu konzentrieren. Sowohl die gemeinsamen Grundwerte als auch die daraus resultierenden Aufgaben mussten laut Eppler für die überwiegende Mehrheit der Bürger beider deutscher Staaten verständlich und akzeptabel sein. Sie müssten sich hingegen nicht durchgehend von den Grundwerten und Aufgaben anderer Nationen unterscheiden. Eppler nannte vier Grundwerte: die drei neu interpretierten Werte der französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sowie als neuen Grundwert den Frieden. Den Einsatz der Deutschen für die individuelle und korporative Freiheit, die nationale und internationale Solidarität sowie den Frieden motivierte Eppler historisch-moralisch mit dem Verweis auf die NS-Vergangenheit. Die Gleichheit im Sinne von Chancengleichheit hielt er für ein unverzichtbares Postulat einer demokratischen Industriegesellschaft. Im Einzelnen folgerte Eppler daraus, dass alle Deutschen sich unabhängig von der Forderung nach staatlicher Einheit für mehr individuelle und korporative Freiheit in der DDR einsetzen sollten, für mehr soziale Chancengleichheit in der Bundesrepublik, für Solidarität innerhalb und zwischen „den beiden deutschen Staaten“, innerhalb Europas und gegenüber den Entwicklungsländern, für friedenssichernde Maßnahmen einschließlich Schritte zu einem „friedliche[n] Nebeneinander und Miteinander der beiden deutschen Staaten“ sowie für Parteienvielfalt in Ost- und Westdeutschland. Den Alleinvertretungsanspruch wollte er in ein Bewusstsein von gesamtdeutscher Verantwortung bei den politisch Handelnden umgewandelt wissen. Im Hinblick auf die Anerkennungsfrage nannte er zwei Situationen, in denen diese erfolgen müsse bzw. könne: Zum einen, wenn eine Mehrheit in einem Staat sich frei für die dauernde Trennung entscheide; zum anderen, wenn damit erkennbar eine neue Phase der Kooperation zwischen den beiden deutschen Staaten eingeleitet würde mit dem beiderseits erklärten Ziel der späteren Neukonstituierung eines deutschen Staates. Einen gegenseitigen Botschafteraustausch, der nach Epplers Ansicht ohne freie Entscheidung der Deutschen lediglich als abschließende juristische Formel für die endgültige Trennung zweier verfeindeter deutscher Staaten zu verstehen war, lehnte er ab. Denn, so der Schlussappell des SPDPolitikers, es gehe nicht „um das Prestige des einen oder anderen deutschen Staates, es geht darum, daß Deutsche in Frieden, Solidarität und Freiheit ihren gemeinsamen Aufgaben gerecht werden.“421 Ende Mai nahm erstmals Albrecht Schönherr an einer Sitzung der Unterkommission Deutschlandfrage teil422. Grundlage des Gesprächs bildeten die Ausarbeitungen von Hamel und Eppler sowie das bereits in der letzten Sitzung ansatzweise behandelte Papier von Weizsäcker. Nach längerer Diskussion einigte sich die Kommission darauf, die Überlegungen über „Frieden und Deutschlandfrage“ in den Bezugskreisen Welt,

420 Bereits im Godesberger Programm der SPD von 1959 war von „Grundwerten“ die Rede, dort allerdings von denen „des Sozialismus“. 421 Entwurf (EZA BERLIN, 2/1358). 422 Teilnehmer der Sitzung am 29.5.1967 waren Eppler, Lewek, Hildebrandt, Ringhandt, Schönherr, Adler, Hamel, Weizsäcker. Vgl. Vermerk Leweks über die Sitzung, 7.6.1967 (EZA BERLIN, 104/122).

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Europa und Deutschland zu behandeln und danach auch die geplante Studie zu gliedern. Intensiv diskutierten die Teilnehmer über Epplers Überlegungen zum Nationsbegriff. Es entwickelte sich eine grundsätzliche Debatte darüber, ob die konstitutiven Elemente stärker von der Funktion der Nation oder von den von Eppler genannten Grundwerten „Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Friede“ her zu entwickeln waren. Die Diskussionsteilnehmer wünschten auch, dass die Formulierung „Neukonstituierung eines deutschen Staates“ durch die allgemeinere Formulierung „Neukonstituierung einer politischen Gemeinschaft der Deutschen“ ersetzt werde, wodurch man sich noch weiter vom alten nationalstaatlichen Wiedervereinigungsgedanken entfernte. Im Ergebnis kamen die Anwesenden überein, dass Eppler und Weizsäcker Entwürfe zu Kapitel 1 und 2 unter Berücksichtigung des Papiers von Weizsäcker formulieren würden. Für das Kapitel 3 sollten Teil 3 der Ausarbeitung von Eppler („Demokratisierung des Nationalbewußtseins“) und Teil VI, VII und VIII der Ausarbeitung von Hamel zusammengearbeitet werden. Hamel erklärte sich bereit, gemeinsam mit Elisabeth Adler eine Neufassung zu erstellen. Zu diesem Zeitpunkt gelangten nur wenige Informationen über die Kommissionsarbeit an die Öffentlichkeit. So war auch das Bundeskanzleramt mehr auf Mutmaßungen angewiesen, denn auf Wissen. Am 6. April informierte das BMG den Bundeskanzler sowohl über die Notgemeinschaft evangelischer Deutscher als auch über die geplante „Friedensdenkschrift“423. Laut Information des Ministeriums ging der Denkschriftentwurf von der Drei-Staaten-Theorie aus, rief zur Garantie der Ostgrenze Polens auf und betrachtete den deutsch-russischen Vertrag von 1939 als noch gültig. Am 5. Juni sandte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeskanzleramt Karl Freiherr von und zu Guttenberg (CSU) diese Aufzeichnungen an Bundesfamilienminister Heck424. Er berichtete ihm auch von seinem Vorschlag an den Bundeskanzler, das Thema „Friedensdenkschrift“ der EKD und die Frage einer „eventuellen Nutzbarmachung der ‚Notgemeinschaft‘“ in einem Gespräch zwischen Kiesinger, Heck und leitenden Vertretern des evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU zu behandeln. Auch der Bundeskanzler sei der Ansicht gewesen, dass sich der evangelische Arbeitskreis mit „den politischen Tendenzen befassen sollte, die innerhalb der EKD bereits in der Denkschrift über die deutschen Ostgebiete sichtbar wurden und offenkundig in dieser Friedensdenkschrift fortgesetzt werden sollen.“ Wenige Tage später äußerte Kiesinger auf einer internen Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Sorge, die geplante EKD-Denkschrift könne bei den osteuropäischen Staaten die Hoffnung nähren, die Bundesrepublik werde ihren Rechtsstandpunkt nicht mehr lange aufrechterhalten425. In der Deutschlandpolitik sei aber Standfestigkeit gefragt. Bundesministerin a. D. Elisabeth Schwarzhaupt, selbst Mitglied der Kammer für öffentliche Verantwortung, bemühte sich, Kiesinger diese Sorge zu nehmen. Die Pressemeldungen über Kiesingers Äußerungen wurden am 4. Juli zum Anlass 423 Schnekenburger an Kiesinger (BArch KOBLENZ, B 136/6718). 424 BArch KOBLENZ, B 136/6718. 425 Vgl. Wiedergabe eines Artikels aus Echo der Zeit vom 10.6.1967 in: JK 28, 1967, S. 403f.

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eines Informationsgesprächs zwischen Herbert Trebs – Theologieprofessor, Mitglied der Ost-CDU und IM für das MfS426 – und Erwin Wilkens in der Kirchenkanzlei der EKD in Hannover427. Darin versuchte der Geschäftsführer der Kammer für öffentliche Verantwortung mithilfe der von Kiesinger kritisierten „politischen Tendenzen“ in der EKD, d. h. ihrer Abwendung in der Ost- und Deutschlandpolitik von der bisherigen West-CDU-Linie, dem Ost-CDU-Vertreter die Vorteile der Einheit der EKD darzulegen. Nach einer Information der Abteilung Kirchenfragen der Ost-CDU versicherte Wilkens in der Unterredung mit Trebs, dass es sich bei den verbreiteten Meldungen über die Denkschrift um „üble Verleumdungen“ handelte und die EKD keinerlei Absicht habe, gegen die Politik der Großen Koalition Stellung zu nehmen. Der Oberkirchenrat bezeichnete es als seine und die Aufgabe einer kirchlichen Denkschrift, Fragen der langfristigen politischen Planung zu behandeln. Hierzu arbeitete er nach eigenen Angaben mit Egon Bahr (SPD), Wilhelm Wolfgang Schütz (Kuratorium Unteilbares Deutschland) und Ulrich Scheuner (CDU, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht) zusammen. Wilkens fragte bei Trebs an, ob nicht, da gegenwärtig auf der politischen Ebene keine Annäherung möglich war, die Kirche dafür einen Weg bahnen könnte. Er zitierte hierzu die Rede von Herbert Wehner auf dem Kirchentag und erklärte, dass er diese Frage auch im Auftrag von Schütz und bestimmten CDU-Kreisen stellte. In solchen Gespräche solle geprüft werden, ob nicht unterhalb der formalen Anerkennung gangbare Wege für eine Verständigung gefunden werden könnten. Wilkens sagte über sich selbst, dass er momentan in erster Linie politisch engagiert sei, da es darauf ankomme, Veränderungen anzustoßen und dadurch Voraussetzungen für ein mögliches Zusammenleben der Deutschen zu schaffen. Alle urteilsfähigen Persönlichkeiten hätten ebenso wie er selbst die Wiedervereinigung und die Alleinvertretung „abgeschrieben“. In der CDU gäbe es, so versicherte er, wichtige Kreise, die „sogar links von Wehner“ stünden. Er selbst setzte sich vor allem für die Isolierung der „Rechtsgruppen“ (Franz Josef Strauß, Karl Freiherr von und zu Guttenberg) und die Beeinflussung der öffentlichen Meinung ein. In den öffentlichen Äußerungen von westdeutschen Politikern käme zum Ausdruck, dass sie Gefangene ihrer früheren Politik seien. Er wollte daher dazu beitragen, bei den politisch verantwortlichen Kräften ein Umdenken zu erreichen. Dies war nach Wilkens auch die Intention der Ostdenkschrift und des Kirchentages gewesen. In diesem Sinne versuchten er und die entsprechenden Stellen in der EKD zu wirken. Deshalb müsse die DDR ein Interesse an der Einheit der EKD haben, „da diese Politik der Aufweichung im Interesse der DDR liege.“ Trebs wertete diese Offerten als Versuch von Wilkens, für sich die Einreiseerlaubnis in die DDR zu erhalten, die Einheit der EKD als vorteilhaft für die DDR darzustellen und im Auftrag von Schütz, Wehner und anderen Kontakte zu politischen Stellen in der DDR zu suchen. Ende Juni ging den Mitgliedern der Unterkommission Deutschlandfrage der Vorent426 Zu Trebs vgl. H. WENTKER, Abteilung, S. 174f. 427 Information vom 17.8.1967 über das Treffen (ACDP ST. AUGUSTIN, VII/010/3252).

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wurf von Hamel und Adler für den 3. Teil der Denkschrift zu428. Die beiden hatten Epplers Gliederung weitgehend übernommen und begannen ihren Text ebenfalls mit einem Abschnitt zu der Frage „Gibt es eine deutsche Nation?“429 Auch die hier aufgeführten Gründe für die Existenz einer deutschen Nation waren von Eppler übernommen und nur leicht modifiziert. Neu hinzugefügt wurde der Hinweis, die Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR seien eine Nation, da sie vor der Notwendigkeit ständen, gemeinsam zur Befriedung Europas beizutragen, was vor allem im Lebensinteresse Polens und der DSSR liege. Auch den zweiten Abschnitt „Der Ort der Deutschen in Europa“ hatten Hamel und Adler nur leicht umformuliert. Inhaltliche Änderungen betrafen lediglich die Aussage zu Berlin. Hier war nicht mehr von seiner „natürlichen Funktion“ – gemeint war wohl die Hauptstadtfunktion – die Rede, sondern lediglich davon, dass Berlin in die Föderation miteinbezogen werden müsse. Wie vorgesehen, hatten die beiden indes im dritten Abschnitt „Demokratisierung des Nationalbewußtseins“ größere Ergänzungen vorgenommen. Dort hieß es nun: „In der Deutschen Demokratischen Republik versucht die Sozialistische Einheitspartei die nationalen Traditionen weitgehend mit den demokratischen und sozialistischen Traditionen zu verbinden und für den Aufbau des Staates fruchtbar zu machen.“ Eine entscheidende Änderung nahmen sie bei der Auflistung und Interpretation der Grundwerte vor: Aus historisch-moralischen Gründen sollte der kollektive Wert „Frieden“ Priorität haben. Neu hinzu fügten sie einen vierten Abschnitt über „Koexistenz und Kooperation“, in den aber Teile von Epplers Entwurf aufgenommen wurden. Damit die Deutschen in Frieden, Solidarität und Freiheit ihren gemeinsamen Aufgaben gerecht werden könnten, müssten sie, so hieß es bei Hamel und Adler, ein „geordnetes Nebeneinander der beiden politischen Gemeinschaften“ herstellen. Hierzu sollten sich beide Teile „zunächst als vorläufige politische Ordnung anerkennen und respektieren.“ Hinsichtlich der formellen Anerkennung, des Botschafteraustausches, des Alleinvertretungsanspruchs und der Parteienvielfalt folgten die beiden weitgehend den Ausführungen Epplers. Neu hinzu kam die Aufforderung, die Informationen über den jeweils anderen Staat zu vermehren und zu objektivieren. „Gerade die Erkenntnis“, so argumentierten sie, „daß die Deutschen am Beginn eines vermutlich langen Weges zu Koexistenz und Kooperation stehen, sollte ihnen die Gelassenheit geben, objektiv und fair Zustände zu sehen und zu beurteilen, die ihnen fremdartig und zum Teil unannehmbar erscheinen.“ Vor allem aber sollten sie, wie es Hamel schon in seinem früheren Text gefordert hatte, eine Provinzialität des Denkens überwinden und auch die weltweiten Probleme und die Situation anderer Nationen wahrnehmen, um auf diesem Wege Geduld gegenüber ihrer eigenen Lage zu entwickeln. Auf ihrer Sitzung am 13. Juli, die unter Vorsitz von Hildebrandt in Ost-Berlin stattfand430, beschäftigte sich die Unterkommission jedoch zunächst mit Weizsäckers Aus428 Behm an Hildebrandt und Schönherr, 23.6.1967 (EZA BERLIN, 104/122) und Wilkens an Weizsäcker, Eppler, Diem, Raiser und Metzger, 28.6.1967 (EZA BERLIN, 2/1359). 429 Vorentwurf für den dritten Teil (EZA BERLIN, 2/1359 und 609/96/11). 430 Anwesend waren: Hildebrandt, Lewek, Eppler, Schönherr, Ringhandt, Behm, Metzger, Hamel, Adler und Weizsäcker (EZA BERLIN, 104/122).

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arbeitung „Politische Friedensaufgaben der Deutschen“ und erkannten sie ungeachtet einer späteren Überarbeitung als Rahmen an431. Anschließend wurde intensiv über den „Vorentwurf für den 3. Teil“ von Hamel und Adler sowie die Ausarbeitung von Eppler zu „Vorentwurf für den 3. Teil“ diskutiert. Dabei kam es über die Abschnitte drei und vier zu lebhaften Auseinandersetzungen. Umstritten waren die Aussagen zur Spaltung von Nationalbewusstsein und Demokratie vor 1945 sowie zu den Ansätzen zur Demokratisierung des Nationalbewusstseins in beiden Staaten. Die Formulierung über die Demokratisierung des Nationalbewusstseins in der DDR wurde von allen abgelehnt. Bei den Grundwerten war man hingegen einverstanden, den Frieden vorzuziehen. Der Vorschlag, auch die „Gerechtigkeit“ als Grundwert aufzunehmen, wurde hingegen fallen gelassen. Dafür sollte unter „Gleichheit“ hinzugefügt werden: „Nicht nur im Sinn einer Rechtsgleichheit, sondern auch eine möglichst gleiche Startchance [. . .]“. Heftige Diskussionen gab es auch über den vierten Abschnitt, der bei Eppler überschrieben war mit: „Nebeneinander und Miteinander“, wodurch der sowjetische Begriff der „Koexistenz“ vermieden wurde. Hierzu fragten Teilnehmer, ob man sich bewusst sei, dass hier die de facto und die de jure Anerkennung der DDR als Möglichkeit genannt wurden. Schließlich einigten sich die Kommissionsmitglieder darauf, dass Weizsäcker die Vorlagen von Hamel/Adler und von Eppler auf der Grundlage der Aussprache noch einmal überarbeiten sollte. Eppler, Hamel und Adler übernahmen die Überarbeitung von Weizsäckers Vorlage. Im September besprachen die Mitglieder der Unterkommission in Ost-Berlin Weizsäckers überarbeiteten Entwurf „Politische Friedensaufgaben der Deutschen“, in den alle bisherigen Manuskripte eingegangen waren432. Dabei wurden Bedenken hinsichtlich des Absatzes über die staatliche Anerkennung laut, wo es hieß: „Eine gegenseitige staatliche Anerkennung wäre denkbar, wenn sie der vertraglich gesicherten beiderseitigen Vorbereitung einer politischen Gemeinschaft der Deutschen diente.“433 Einige Kommissionsmitglieder hielten diese Formulierung für zu „juristisch“ und zu wenig „politisch“. Alternativ wollte man daher von einer „gegenseitigen Anerkennung als politische Partner“ sprechen. Eine staatliche Anerkennung, so wurde angemerkt, dürfe „nicht die Folge haben, daß sich beide deutsche Staaten als Ausland betrachten“ – eine Aussage, die zwei Jahre später in der Regierungserklärung von Willy Brandt auftauchte. Hamel schlug folgende Formulierung vor: „Vertragliche Abmachungen zwischen den Regierungen dieser politischen Provisorien sind denkbar, wenn [. . .]“. Als weiteres Vorgehen wurde beschlossen, dass eine von Weizsäcker und Eppler überarbeitete Fassung den Kommissionsmitgliedern noch vor der Plenarsitzung der Kammer im November zugehen sollte. Wohl angesichts des politischen Drucks, der auf den ostdeutschen Kirchenvertretern lastete, gingen die Sitzungsteilnehmer davon aus, 431 Aktenvermerk Behms über die Sitzung des Deutschland-Unterausschusses am 13.7.1967 (EZA BERLIN, 2/1364). 432 Anwesend bei der Sitzung am 25.9.1967 waren: Hildebrandt, Lewek, Eppler, Schönherr, Ringhandt, Hamel, Adler, Weizsäcker (EZA BERLIN, 104/123). Entwurf (EBD., 2/1495). 433 Vorlage Nr. 6: Politische Friedensaufgaben der Deutschen (EZA BERLIN, 609/96/111).

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dass die Mitglieder des Rates aus der DDR sich im Blick auf eine Publikation des Textes besonders initiativ verhalten würden. Für sinnvoll, aber vermutlich nicht praktikabel erschien es ihnen, dass die Ausarbeitung zunächst den beiden Regierungen zugehen und erst zu einem späteren Zeitpunkt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde. Einig waren sie sich darin, dass das Papier substanziell nur in der von ihnen erarbeiteten und verantworteten Fassung publiziert werden durfte. Akzentverschiebungen durch weitere Grundsatzdiskussionen im Plenum der Kammer oder im Rat hielt die Unterkommission für unvereinbar mit der Gesamtintention ihres Arbeitsergebnisses. Die Ratsmitglieder erhielten den Entwurf Anfang Oktober434. Im Begleitsschreiben charakterisierte Kirchenkanzleipräsident Hammer ihn als einen „Rahmenplan zur Deutschlandfrage“. Ein solcher sei in letzter Zeit verschiedentlich gefordert worden, um die Öffentlichkeit zu einem politischen Denken in größeren Zusammenhängen anzuleiten und der politischen Führung Hilfestellung bei ihrem Bemühen zu geben, „einen größeren langfristig ausgerichteten Spielraum zu erlangen.“ Mit dem Dokument lag laut Hammer nun ein kirchlicher Teilbeitrag für einen solchen Rahmenplan vor, wie er der EKD als gesamtdeutscher Institution angemessen war. Da man bei der Zusammensetzung der Kommission bewusst auf eine große Breite der Auffassungen geachtet habe, zeichne sich das Ergebnis dadurch aus, dass es gemeinsame Aussagen eines Arbeitskreises enthalte, dessen Angehörige in ihren Ansichten oft wesentlich differierten. Mit ähnlichen Formulierungen erläuterte Wilkens die Vorlage auf der Ratssitzung am 13. Oktober auch noch mündlich435. Wenige Tage danach erreichten Wilkens bereits die ersten kritischen Anmerkungen zu dem Text. Otto von Harling, Referent in der Kirchenkanzlei, hielt ihn für „eine illegitime Parteinahme in der politischen Auseinandersetzung“436. Er machte darauf aufmerksam, dass die inhaltliche Füllung der angeblich gemeinsamen Grundwerte in den antagonistischen Gesellschaftssystemen nicht identisch sein könne. Weiter wandte er ein, dass die geforderte legale Beteiligung aller Parteien an der Meinungsbildung einer Selbstpreisgabe des SED-Regimes gleichkäme. Am 6. November nahm Raiser zu dem Entwurf Stellung437. Der Kammervorsitzende hatte aufgrund eines Einreiseverbots an den Sitzungen in Ost-Berlin nicht teilnehmen können. Besondere Schwierigkeiten machte ihm der Abschnitt „Der Beitrag der Deutschen“, in dem er die Zusammengehörigkeit der beiden Teile Deutschlands nicht deutlich genug herausgestellt sah. Er hatte aber auch einzelne Kritikpunkte. So plädierte er dafür, bei der Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit das Nationalstaatsverständnis anzusprechen, das im Wilhelminismus geprägt wurde und das es heute umzuformen gelte. Ferner wollte er das gemeinsame Erbe der Deutschen deutlicher benannt wissen und dabei auch „die Rolle des Protestantismus für die Formung des deutschen Geistes“ aufgeführt sehen. Wichtig erschien es ihm, in der Studie zu zeigen, dass die deutsche 434 435 436 437

Brief vom 9.10.1967 nebst Entwurfstext (EBD.). Auszug aus dem Protokoll (EBD.). Harlings an Wilkens, 17.10.1967 (EBD.). Raiser an Weizsäcker, Eppler und Wilkens, 6.11.1967 (EZA BERLIN, 2/1359).

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Teilung deswegen so schwer erträglich sei, „weil sie jeden der beiden Teile mit dem im deutschen Volkscharakter liegenden Hang zur systematischen Gründlichkeit und Perfektion zu kompromißlosen Bannerträgern der Ideologien der beiden Lager gemacht hat.“ Gerade diese auf beiden Seiten vorhandene Neigung stellte seiner Ansicht nach eine Gefahr für den Frieden in Europa dar. Raiser hielt es für eine spezifisch deutsche Aufgabe, den Gegensatz zu entschärfen. In diesem Zusammenhang wollte er auf die „besondere Rolle des Protestantismus in der Auseinandersetzung zwischen den westlichen Freiheitsvorstellungen und dem Marxismus“ hingewiesen wissen. Was darunter zu verstehen sei, führte er jedoch nicht aus. Bei den Aussagen zur nationalstaatlichen Souveränität empfahl er deutlich zu machen, dass die Deutschen kein Status minderen Rechts, sondern innerhalb einer europäischen Ordnung den gleichen eingeschränkten Status wie die anderen europäischen Staaten besitzen sollten. Grundsätzliche Kritik äußerte Raiser an dem Abschnitt über die gemeinsamen Grundwerte und Aufgaben. Er war skeptisch, ob eine unaufgebbare Gemeinsamkeit für das deutsche Volk in der Gegenwart mit künftigen, erst noch gemeinsam zu akzeptierenden Grundwerten gerechtfertigt werden könne. Raiser empfahl stattdessen, an den in „Klassik, Romantik und politischem Liberalismus der 48er Jahre“ enthaltenen Bestand von gemeinsamen Grundwerten anzuknüpfen. Mit kulturprotestantischer Tendenz fügte er hinzu: „Und wiederum würde ich meinen, daß es als spezifisches Element der deutschen Geschichte und damit auch der Grundwerte unserer Nation das gibt, was Paul Tillich das protestantische Prinzip genannt hat“. Als Jurist vermisste Raiser unter den künftigen Grundwerten das Element der Rechtsstaatlichkeit. Im heikelsten Punkt der Studie, der Anerkennungsfrage, verlangte er eine deutlichere Stellungnahme. Auch auf der Vollsitzung der Kammer für öffentliche Verantwortung, die am 10. November in Ost- und West-Berlin stattfand, stießen die Meinungen über den Entwurf und insbesondere über das Kapitel „Beitrag der Deutschen“ aneinander438. Die Aussage, zwischen den Deutschen in Ost und West bestehe eine „innere Nähe“, wollte man abgeschwächt sehen. Die Erwähnung der „Rechtsstaatlichkeit“ als eines eigenen Grundwertes, wie es Raiser vorgeschlagen hatte, wurde weder für notwendig noch für „tunlich“ gehalten: Der Begriff sei „belastet“. Der Sache nach sah man ihn bereits im Text enthalten. Eine heftige Debatte entwickelte sich an dem Abschnitt „Nebeneinander und Miteinander der Deutschen heute“. Dabei konnte zu folgenden beiden Unterpunkten kein Konsens gefunden werden: „b) Vertragliche Abmachungen zwischen den Regierungen dieser politischen Provisorien sind möglich, insofern sie das Ziel haben, den Weg zu einer politischen Gemeinschaft der Deutschen zu ebnen. Es bedarf keiner Sorge davor, dass die Beziehungen der beiden Regierungen zueinander dabei zu intensiv würden, wenn und weil es keine Auslandsbeziehungen sind. Sie können weit intensiver werden als zwischen Ländern, die in normalen diplomatischen Auslandsbeziehungen zueinander stehen. 438 Aktenvermerk (EZA BERLIN, 4/138). Anwesend waren Hildebrandt, Danielsmeyer, Funcke, Putz, Schwarzhaupt, Behm, Bosse, Knobloch, Adler, Schönherr, Pflugk, Falcke, Eppler, von Weizsäcker, Metzger und Ringhandt (Anwesenheitsliste: EZA BERLIN, 104/124).

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c) Eine bedingungslose gegenseitige Anerkennung als zwei deutsche Staaten wäre unvermeidlich, wenn die Mehrheit in einem der beiden Teile in freier Entscheidung die dauernde Trennung wünschen sollte. Dies wäre vom jeweils anderen Teil zu respektieren.“439

Auch das Votum der ostdeutschen Vertreter war hierzu nicht eindeutig. Die Kammermitglieder rechneten zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr damit, dass der Rat den Text in seinem Namen herausgeben würde. Sie wollten ihn aber auch nicht lediglich als die Privatarbeit von Einzelpersonen publizieren. Eppler und Weizsäcker drängten darauf, das Dokument möglichst bald zu veröffentlichen, da es auf die aktuelle Situation einer zunehmenden Verhärtung zwischen den beiden Teilen Deutschlands ausgerichtet war. Sehr stark wurde von den Autoren die deutsch-deutsche Entstehungsgeschichte des Textes hervorgehoben, um zu erklären, dass einseitige Anforderungen an ein solches Dokument nicht erfüllt werden konnten. Dennoch kritisierten Kammermitglieder, dass um des gesamtdeutschen Charakters willen in der Studie von einer Gleichwertigkeit der verschiedenen Gesellschaftssysteme in beiden Teilen Deutschlands ausgegangen werde. Infolgedessen würden Begriffe benutzt, die in den beiden Teilen je eine eigene Semantik besäßen. Kritische Einwendungen wurden von einigen Kammermitgliedern auch erneut gegen Ausführungen erhoben, die sich auf politisch umstrittene Sachverhalte bezogen. Mehrere der Anwesenden drängten vor allem auf eine Klärung der kirchlich-theologischen Legitimation eines solchen Dokuments zumindest in einem Vorspann. Aufgrund der zahlreichen Einwände übernahmen es Weizsäcker und Eppler, das Dokument noch einmal zu überarbeiten. Der Rat der EKD setzte sich in gesamtdeutscher Besetzung erstmals Mitte November mit den „Politischen Friedensaufgaben der Deutschen“ auseinander440. Bedenken kamen dabei von Bischof Noth: Ihm fehlte in dem Dokument eine ausreichende theologische Begründung für Äußerungen der Kirche in politischen Fragen. Der Wittenberger Ephorus Paul Wätzel sah hingegen das Wort als einen Beitrag zur Abwehr von Hass legitimiert. Der Rat beauftragte daraufhin die Kammer, ihm Vorschläge für die endgültige Textfassung und deren Veröffentlichung zu präsentieren. Hierzu trafen sich die Kammermitglieder am 20. Dezember in Ost-Berlin und beschlossen u. a. die Streichung des Adjektivs „politisch“ aus dem Titel441. In der ausführlichen Diskussion über die Verwendung des Papiers plädierte Schönherr dafür, es nur für den innerkirchlichen Gebrauch freizugeben. Der Anlass für seine vorsichtige Haltung war eine Rede von Albert Norden auf der internationalen Pressekonferenz des Nationalrates der Nationalen Front, die am Vortag im „Neuen Deutschland“ abgedruckt worden war. Norden, der die Westkommission beim Politbüro leitete, hatte sich mit scharfen Worten gegen die seit einem Jahr amtierende Große Koalition gewandt und ihr eine den Frieden in Europa gefährdende „Annexionspolitik“ gegenüber „dem sozialistischen deutschen Friedensstaat“ vorgeworfen, wobei er vor allem gegen die „Nicht-Auslands-Pa-

439 Politische Friedensaufgaben der Deutschen (EZA BERLIN, 2/1495). 440 Auszug aus der Niederschrift der Sitzung am 15.11.1967 in Ost-Berlin (EZA BERLIN, 104/124). 441 Vermerk von Behm über die Sitzung (EZA BERLIN, 2/1360).

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role“ polemisierte442. Andere Kammermitglieder wollten jedoch mit der Friedensstudie an die Öffentlichkeit gehen. Es sei immer allen Beteiligten klar gewesen, so argumentierten sie, dass die Kammer für ihre Aussagen weder die volle Zustimmung der westdeutschen noch der ostdeutschen Regierung finden würde. Die EKD müsse aber den Menschen Hilfestellung bei der Klärung ihrer Position leisten und ihnen sagen, was aus kirchlicher Sicht heute über die „Friedensaufgaben der Deutschen“ gesagt werden könne. Eppler maß der Herausgabe des Textes sogar „kirchengeschichtliches“ Gewicht bei. Die EKD müsse auf die Frage antworten, was sie in ihren ost- und westdeutschen Teilen zur nationalpolitischen Situation der Deutschen noch gemeinsam sagen könne. Eine Minderheit unter den Sitzungsteilnehmern wollte den Text in seiner jetzigen Form jedoch nicht als Verlautbarung der Kammer herausgeben und so überließ man die letzte Entscheidung dem Rat. Die Kammer empfahl allerdings, das Dokument als Arbeitsmaterial den Kirchen zuzuleiten, die es wiederum den Gemeinden bekannt machen sollten. Eine Veröffentlichung in der westdeutschen Presse erschien unumgänglich und auch politischen Stellen sollte der Text zugehen. Die Entscheidung, ob und in welcher Form er auch der DDR-Regierung zukommen sollte, wollten sie den ostdeutschen Kirchenvertretern überlassen. Ansonsten war für die DDR nur eine innerkirchliche Verbreitung vorgesehen. Sie sollte gegenüber der Veröffentlichung im Westen einen zeitlichen Vorsprung erhalten. Angesichts der verschärften Abgrenzungspolitik der SED wurde nicht ausgeschlossen, dass die Weitergabe des Textes in der DDR staatlich verhindert werden würde. Unter dem Datum des 21. Dezember wurden Ulbricht und andere hohe Parteiund Staatsvertreter von Seiten des MfS über die Entstehung der Friedensstudie informiert und ihnen die Textfassung vom 9. Oktober zugeleitet443. Das MfS wusste zu diesem Zeitpunkt aber nur wenig Konkretes über die Genese des Textes sowie die Beteiligung ostdeutscher Kammermitglieder und Gäste an dieser. Anfang Januar 1968 sandte Weizsäcker die abermals überarbeitete Friedensstudie an Wilkens444. Dabei verwies er einmal mehr auf die Bedeutung des Dokuments, die er vor allem in ihrem deutsch-deutschen Autorenkreis sah. Nach Ansicht des CDUPolitikers gab es in Deutschland kein zweites gesamtdeutsches Gremium, das gemeinsam aussprechen und begründen konnte, dass und warum die Deutschen noch zusammengehörten. Dies betrachtete er als große Chance für die EKD und in der Situation ihrer aktuellen Bedrohung als Zeichen für ihre faktische Existenz. Eine Gefahr für sie sah er hingegen, falls die Beratungen über eine solche Arbeit in ihren Gremien scheiterten. Ein Misslingen, argumentierte Weizsäcker, würde die Kammer auch darin sehen, wenn die Entscheidung über die Verwendung des Papiers weiter verschoben werde. Zwei Tage später ging der Entwurf zusammen mit Weizsäckers 442 „Anklage gegen Bonns revanchistische Politik“. In: ND, 19.12.1967, S. 3f., hier S. 3. 443 „E.I. über von besonderen Ausschüssen der ‚Evangelischen Kirche in Deutschland‘ (‚EKiD‘) erarbeitete Entwürfe zur ‚Politischen Friedensaufgabe der Deutschen‘ und zur ‚Bedeutung des Atomwaffensperrvertrages‘“ (BStU BERLIN, MfS HA XX/4–1233). 444 Schreiben vom 3.1.1968 (EZA BERLIN, 2/1495).

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Brief an die Ratsmitglieder445. In seinem Begleitschreiben wies Hammer darauf hin, dass dem Dokument noch ein Vorspann vorangestellt werde, der einige kurze Hinweise zur kirchlichen Legitimation, zur Kontinuität kirchlicher Bemühungen um diesen Gegenstand sowie zum Zustandekommen und Charakter des Textes enthalten sollte. Am 7. Januar wandte sich Raiser an den Ratsvorsitzenden Dietzfelbinger, um ihn für die Publikation der Studie zu gewinnen446. Zuvor hatte sich der Kammervorsitzende bereits gegenüber Wilkens entschieden für die Veröffentlichung ausgesprochen, trotz oder gerade wegen der um eine Denkschrift von Wilhelm Wolfgang Schütz entstandenen Aufregung447. Im Dezember waren deutschlandpolitische Thesen des Vorsitzenden des Kuratoriums Unteilbares Deutschland erschienen, in denen dieser mehr deutschlandpolitische Beweglichkeit gefordert und u. a. die Aufnahme „staatsrechtliche[r], nicht völkerrechtliche[r] Beziehungen“ zur DDR als innerdeutsche Notwendigkeit bezeichnet hatte448. Damit löste er eine heftige öffentliche Debatte sowie scharfe Angriffe vor allem von Seiten der CDU/CSU aus449. Unterstützung erhielt er hingegen von Kurt Scharf, der der Kirche empfahl, die Studie ernst zu nehmen450. Raiser fühlte sich durch den Lärm um Schütz’ Buch in dem Entschluss bestärkt, „daß auch die Kirche in diese Kerbe hauen muß.“451 Den Bedenken im Rat solle entgegengehalten werden, dass es sich bei der Stellungnahme zur Situation der deutschen Nation um „ein ureigenes Anliegen der EKD, also nicht bloß um die Besorgung fremder politischer Geschäfte“ handelte. In seinem Brief an Dietzfelbinger stellte sich Raiser uneingeschränkt hinter die Friedensstudie. Seiner Auffassung nach enthielt der Text im Hinblick auf den Stand der deutschlandpolitischen Diskussion in der Bundesrepublik nichts, was für die öffentliche Meinung völlig unerwartet käme und damit schockierend wirken müsse. Wichtig und neu gegenüber anderen in jüngster Zeit in der Bundesrepublik diskutierten Äußerungen zur deutschen Frage sei aber gerade, dass es sich hier um die gemeinsame Meinungsbildung in einem repräsentativen kirchlichen Kreis aus ost- und westdeutschen Mitgliedern handele. Diese Tatsache bezeichnete Raiser als hochbedeutsam für das politische Leben im Ganzen sowie für den weiteren Weg der EKD im Besonderen. Eine ganz andere Empfehlung erhielt Dietzfelbinger von der CDU-Politikerin Schwarzhaupt452. Ihrer Ansicht nach durfte sich eine kirchliche Instanz nicht so äußern, dass ihre Worte in Ost und West unterschiedlich interpretiert werden konnten, d. h. die politisch Verantwortlichen in der DDR die Aussagen in ihrem Sinne und zu ihren Gunsten auslegen konnten. Die Konsequenz einer solchen Forderung, dass da445 EBD. 446 EBD. 447 Brief vom 29.12.1967 (EZA BERLIN, 2/1359). 448 Vgl. W. W. SCHÜTZ, Deutschland-Memorandum, S. 16. 449 Vgl. C. MEYER, Doppelstrategie, S. 401–408. 450 epd ZA, 8.12.1967, S. 2. 451 Brief vom 29.12.1967 (EZA BERLIN, 2/1359). 452 Brief Schwarzhaupts mit Eingangsstempel 11./12.1.1968 (EZA BERLIN, 2/1495). Dort auch das Antwortschreiben von Wilkens vom 19.2.1968.

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durch faktisch jegliche gesamtkirchliche Äußerung zu politischen Fragen unmöglich wurde, sprach sie nicht aus. Schwarzhaupt bezweifelte, dass die Ausarbeitung für die innerdeutschen Beziehungen oder für die evangelische Kirche in der DDR hilfreich sein konnte. Falls der Rat den Text doch der Öffentlichkeit übergeben wollte, empfahl sie, diesen lediglich als Diskussionsgrundlage für interessierte kirchliche Arbeitsgemeinschaften zur Verfügung zu stellen. Mit dem Inhalt sollte sich der Rat jedoch ausdrücklich nicht identifizieren. Ähnlich kritisch äußerten sich Walter Bauer und der bayerische Kirchenrat Eduard Putz gegenüber dem Ratsvorsitzenden. Putz wandte sich am 2. Februar „in großer Unruhe“ auch an Wilkens als den Geschäftsführer der Kammer453. Er lehnte die politischen Forderungen im Schlusskapitel ab und sprach sich mit Vehemenz gegen eine Veröffentlichung des „derartig hochpolitischen Wortes“ im Namen der Kammer aus. Auch auf der Klausurtagung der westlichen Ratsmitglieder Mitte Januar fehlte es nicht an kritische Stimmen:454 Der eigentliche Bezugspunkt zum Glauben komme zu kurz bzw. fehle völlig; die Legitimation der Kirche, zu der angeschnittenen politischen Frage in der vorliegenden Weise Stellung zu nehmen, müsse eindeutig begründet werden. Besonders attackiert wurden die Ausführungen über die „Voraussetzung einer politischen Gemeinschaft der Deutschen“ und über das „Nebeneinander und Miteinander der Deutschen heute“, auf die zweifelsohne der ganze Text hinzielte. Ein Ratsmitglied hielt den Begriff der deutschen Nation für nicht ausreichend definiert. Der Hamburger Landesbischof Hans-Otto Wölber kritisierte die Nachordnung der Freiheit hinter den Frieden. Für das württembergische Ratsmitglied Rudolf Weeber blieb unklar, ob das Papier die Zwei-Staaten-Theorie und den Sonderstatus von Berlin anerkannte. Zudem hielt er die freie Betätigung aller Parteien in beiden Teilen Deutschlands für nicht realisierbar. Lilje las aus dem Text eine Ungleichgewichtigkeit in der Verständnisbereitschaft heraus: Der DDR gegenüber erscheine es als Christenpflicht, Verständnis entgegenzubringen, während die öffentliche Christenpflicht gegenüber der Bundesrepublik darin bestehe, Kritik an ihr zu üben. Vor einer endgültigen Entscheidung über den Entwurf beschloss der Rat, noch Weizsäcker und Eppler zu hören. Generell hielt er es für denkbar, den Text durch die Kammer oder im Namen der Kammer mit Genehmigung des Rates veröffentlichen zu lassen. Daher wünschte er, dass das erneut überarbeitete Manuskript den Kammermitgliedern zugestellt wurde, damit diese sich äußern konnten und der Rat erfuhr, welche dissentierenden Auffassungen es gab455. Auf jeden Fall wollte man sich über die Verwendung des Textes mit den ostdeutschen Ratsmitgliedern abstimmen. Diese wurden bereits am 15. Januar in Ost-Berlin durch Wilm und Hammer über den Stand der Dinge informiert456. 453 EZA BERLIN, 2/1495. 454 Vgl. Niederschrift über die Klausurtagung des Rates der EKD am 10.–15.1.1968 (EZA BERLIN, 2/1817) und Wilkens an Raiser, Weizsäcker und Eppler, 5.2.1968 (EBD., 2/1495). 455 Vgl. Wilkens an Raiser, Weizsäcker und Eppler, 19.1.1968 (EBD.). 456 Niederschrift über die Ratssitzung, an der Krummacher, Noth, Oberin Elisabeth Lundbeck, Wätzel, Wilm, Hammer, Lewek, Pabst, Behm und Pfarrer Grüber aus Hohenbruch teilnahmen (EZA BERLIN, 104/46).

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Wie vom Rat gewünscht, ging die überarbeitete Textfassung noch einmal allen Kammermitgliedern zur Stellungnahme zu. Zwei sehr unterschiedliche Antworten kamen von Ludwig Raiser und Walther Leisler Kiep. Raiser riet davon ab, wie von einzelnen Ratsmitgliedern gefordert, „das Freiheitspathos vor uns herzutragen“457. Er nannte hierfür zwei Gründe: Zum einen konnte den ostdeutschen Mitautoren nicht die Aussage zugemutet werden, sie lebten im Zustand der Unfreiheit. Zum anderen plädierte Raiser dafür, dass Christen den Freiheitsbegriff sehr vorsichtig und genau gebrauchen sollten, ehe sie die „im politischen Sprachgebrauch des Westens allmählich etwas abgegriffene Münze wieder verwenden.“ Er selbst warnte davor, mit der „Freiheit“ als politisch-ideologischem Leitbegriff zu operieren. Am 26. Februar äußerte sich das Kammermitglied Leisler Kiep zur Friedensstudie458. Nachdem er zu einzelnen Textpassagen teils zustimmend, teils kritisch nachfragend Stellung genommen hatte, ging der CDU-Bundestagsabgeordnete auf die potenzielle Wirkung der Studie ein. Er vermutete, dass die öffentliche Berichterstattung und Diskussion sich auf die konkreten deutschlandpolitischen Aussagen der Schrift konzentrieren würden und damit das eigentliche Anliegen der EKD zu kurz komme. Die UdSSR werde die Studie in ihrem harten Kurs gegen die Bundesrepublik und West-Berlin bestärken, da die EKD ihr neue Argumente für die sowjetische Theorie der deutschen Frage liefere. Die westlichen Siegermächte würden die Schrift mit Erleichterung aufnehmen, da ihre Verantwortung darin gänzlich ausgespart werde. Entlasse man die Großmächte aus ihrer Verantwortung, werde die deutsche Teilung endgültig sein, warnte Leisler Kiep, denn die in der Studie implizierte Einigungsbereitschaft der DDR sei Wunschdenken. Auch den Zeitpunkt für eine eventuelle Veröffentlichung der Studie hielt er für denkbar ungünstig. Er falle in einen Zeitabschnitt, in dem selbst die breiteste Regierungsbasis, die es in der Bundesrepublik je gegeben habe, keine Möglichkeiten erkenne, das deutsche Problem auf einem für beide Seiten akzeptablen Weg zu lösen. Leisler Kiep schloss daher nicht aus, dass die Studie den Nationalismus in der Bundesrepublik verstärken könne und die EKD der außerparlamentarischen Opposition zugeordnet werde. Weiter befürchtete er, der Kirche könne vorgeworfen werden, sie befasse sich mit Fragen, die dem Bundestag und der Bundesregierung vorbehalten seien, und sie tue dies auf der Grundlage einer unrealistischen Lagebeurteilung. Für noch schlimmer hielt er es, wenn man den Beitrag der EKD als eine die Erosion des Status von WestBerlin fordernde Aussage bezeichnen würde. Leisler-Kiep riet daher in Anbetracht der aktuellen europa- und weltpolitischen Situation von der Veröffentlichung der Friedensstudie ab. Ausgestattet mit diesen divergierenden Empfehlungen beschäftigte sich der Rat der EKD am 28. Februar mit der Herausgabe der Studie. Am Vormittag tagten die westlichen Mitglieder in Anwesenheit von Weizsäcker, Raiser und Eppler in der Kirchenkanzlei – Berliner Stelle459. Als neues Argument für die Veröffentlichung führte Weiz457 Brief an Wilkens vom 7.2.1968 nebst Anlagen (EZA BERLIN, 2/1495). 458 Brief an Wilkens (EZA BERLIN, 2/1489). 459 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 28./29.2.1968 (EBD.).

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säcker die Fürstenwalder Erklärung zur Einheit der EKD an, die am 5. April 1967 von der ostdeutschen Teilsynode beschlossen worden war460. Da in ihr die Einheit auch damit begründet worden sei, dass die EKD eine Mitverantwortung für das Schicksal und den Weg des deutschen Volkes trage, hätten sich die Mitglieder der Unterkommission Deutschlandfrage zu einer gemeinsamen Äußerung verpflichtet gesehen. Raiser lehnte eine Veröffentlichung unter dem Namen einiger Kommissionsmitglieder ab, da die Namen der ostdeutschen Mitarbeiter nicht öffentlich genannt werden dürften und bei Nennung lediglich der westdeutschen Autoren das Spezifische der Studie, ihre deutsch-deutsche Autorenschaft, verloren gehe. Eppler drängte auf eine schnelle Veröffentlichung, weil sich die Aufnahmebereitschaft der politischen Öffentlichkeit für eine solche Studie fortlaufend verschlechtere. Nach ausführlicher Beratung stimmte der Rat schließlich der Veröffentlichung durch die Kammer zu. Er verantwortete damit die Publikation, nicht aber den Inhalt der Studie. Diese sollte nach dem Willen des Rates als Gesprächsbeitrag verstanden werden und die Auseinandersetzung über die Friedensaufgaben der Deutschen und das Verhältnis der beiden Teile Deutschlands zueinander anregen. Die einzelnen Vorschläge waren aber weder für die Kirche noch die evangelischen Christen bindend. Als Motiv für die Veröffentlichung nannte Dietzfelbinger der Argumentation Weizsäckers folgend: „Der Rat sieht seine Mitverantwortung für die in der Studie angesprochenen, grundlegenden Fragen nach der Zukunft des deutschen Volkes darin begründet, dass die Evangelische Kirche in Deutschland an ihrer Gemeinschaft in beiden Teilen Deutschlands festhält.“ Der Studie sollte noch ein Vorwort von Raiser vorangestellt werden, dessen Text im Einzelnen abgesprochen wurde. Voraussetzung für die Veröffentlichung waren zudem einige Änderungen in den Formulierungen. Kunst wurde beauftragt, die Studie vor ihrem Erscheinen mit persönlichen Anschreiben Bundeskanzler Kiesinger, den Ministern Wehner und Brandt sowie den Parteivorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden zur Information zuzusenden. Als Veröffentlichungstermin setzte man den 6. März fest. Auf der Ratssitzung in Ost-Berlin referierte ebenfalls Weizsäcker über Entstehung und Ziel der Ausarbeitung461. Er gab zu bedenken, dass gemeinsame Äußerungen nicht mehr lange möglich sein würden. Nach eingehender Aussprache beschlossen die ostdeutschen Ratsmitglieder, dass ihre Gliedkirchen den Text am 29. Februar erhalten sollten, die westlichen Gliedkirchen am gleichen Tag informiert würden und die westdeutschen Verantwortlichen über die Information der Presse situationsadäquat entscheiden konnten. Ihre letzte Hürde nahm die Friedensstudie einen Tag später auf der in West-Berlin tagenden Konferenz der westlichen Kirchenleitungen. Der Umstand, dass sie dort vorgestellt wurde, demonstrierte bereits nach außen, welchen Charakter der Text nach Ansicht des Rates von vorn herein haben sollte: den einer Diskussionsgrundlage. Weiz460 Siehe hierzu Kap. 4.2.2. 461 Teilnehmer waren Krummacher, Noth, Wätzel, Lundbeck, Wilm, Heyl, Lingner, Koch, Lewek, Behm, Weizsäcker, Eppler, Hildebrandt. Niederschrift über die Sitzung am 28.2.1968 (EZA BERLIN, 104/46).

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säcker argumentierte auf der Konferenz, dass sich in der Arbeit an dem Thema der Studie ein Stück dessen verwirkliche, wofür die EKD da sein solle: „die Verpflichtung, eine gemeinsame Geschichte zu bewältigen, sich der Not der Menschen anzunehmen und Ausschau zu halten nach dem, was auf uns zukommt.“462 Die Mehrheit der Anwesenden war hinsichtlich der Veröffentlichung der Studie der Auffassung, „dass hier etwas gewagt werden müsse“. Einzelne hofften, dass vornehmlich die junge Generation es begrüßen werde, wenn die EKD zu diesem Thema eine differenzierte Diskussionsgrundlage vorlegte. Die Kirchenkonferenz empfahl noch eine Änderung in der Einleitung, die der Rat am Nachmittag beschloss463. Dann war die Druckfassung der Friedensstudie nach zweieinhalb Jahren Vorarbeit fertig. Nach mehr als sechs Jahren deutschlandpolitischer Abstinenz lag erstmals wieder eine zumindest offiziöse Stellungnahme aus der EKD vor. Dem eigentlichen Text der Studie464, der letztlich vor allem von Eppler und Weizsäcker in einer Art Großen Koalition formuliert worden war, ging ein Vorwort von Raiser sowie ein Abschnitt über die kirchliche Legitimation voraus. Das Vorwort betonte den gesamtdeutschen Entstehungsprozess und charakterisierte die Studie als „Gesprächsbeitrag“. Der nachfolgende Abschnitt „Kirchlicher Auftrag“ war von Wilkens verfasst und von Raiser überarbeitet worden465. Er begann mit einem Verweis auf die Verflechtung des deutschen Protestantismus mit der politischen Geschichte des deutschen Volkes, die durch die „Katastrophe des zweiten Weltkrieges“ noch verstärkt worden sei. Im Folgenden wurde jedoch der „kirchliche Auftrag“ zu (deutschland)politischen Stellungnahmen nicht nationalprotestantisch im Sinne des 19. Jahrhunderts motiviert und auch nicht primär historisch-moralisch aus der Mitverantwortung für die Geschehnisse zwischen 1933 und 1945 hergeleitet. Wilkens begründete ihn vielmehr mit einer ökumenisch orientierten Sozialethik, wonach „eine Bemühung um die sittlichen und menschlichen Bedingungen des Zusammenlebens der Menschen in Staat und Gesellschaft und einer auf den Frieden gerichteten Völkerordnung“ in der Konsequenz der Verkündigung von Gottes Wort lag466. Da der Ort dieses kirchlichen Dienstes für die EKD das politisch gespaltene Deutschland war, so wurde argumentiert, musste diese sich in der Auseinandersetzung zwischen der Bundesrepublik und der DDR als „eine unabhängige Institution“ verstehen, die sich „nach beiden Seiten hin für eine kritische Solidarität [sic!]“ offen hielt. Dabei sollte sie „hinreichend konkrete Beiträge leisten, die Vernunft und Gewissen der verantwortlichen Politiker zu treffen vermögen, ohne die Grenzen in die Tagespolitik hinein mit Einzelratschlägen zu überschreiten.“ Die Kirche sei sich bewusst, wurde möglichen Kritikern aus dem politischen Raum entgegengehalten, „daß es keinen in ihrer Macht stehenden Sonderweg zum Frieden und zur Lösung politischer Streitfragen“ gebe. Auch das kirchliche Wort zu politischen Fragen 462 Auszug aus dem Protokoll (EZA BERLIN, 2/1495). 463 Auszug aus der Niederschrift der Sitzung des Rates der EKD am 28./29.2.1968 (EZA BERLIN, 2/1489). 464 Abdruck in: KJ 95, 1968, S. 114–124. 465 Vgl. Wilkens an Raiser u. a., 5.2.1968 und Raiser an Wilkens, 7.2.1968 (EZA BERLIN, 2/1495). 466 KJ 95, 1968, S. 115.

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müsse die Instrumente und Bedingungen politischen Handelns berücksichtigen. Es komme aber darauf an, „als die Motive öffentlicher Mitverantwortung der Kirche den Dienst am Menschen in Liebe und Versöhnung erkennbar zu machen.“467 „Aus Liebe und Versöhnungsbereitschaft“ allein ließen sich zwar politische Aufgaben nicht lösen, aber sie sollten als „mitgestaltende Faktoren“ so geltend gemacht werden, „daß auch die politische Vernunft sie als unentbehrlich erkennt.“ Dem einführenden Abschnitt folgten die friedens- und deutschlandpolitischen Teile der Studie, die mit den Vorfassungen bis auf die letzten, oben aufgeführten Änderungen übereinstimmten468. In ihnen wurde die deutsche Frage relativiert, indem sie in den Zusammenhang der globalen militärischen und sozialen Friedenssicherung sowie der europäischen Integration eingeordnet wurde. Auf diese Weise wollten die Verfasser vor allem in der Bundesrepublik bewusstseinsbildend wirken und zu einem deutschlandpolitischen Denken in größeren Zusammenhängen und Zeitdimensionen anregen. Als Ausdruck des Perspektivenwechsels von einer weniger nationalen zu einer stärker globalen Orientierung, den die Vertreter des deutschen Protestantismus in der Friedensethik zu vollziehen im Begriff waren, begannen die Sachaussagen der Studie mit Ausführungen zur Entspannungs- und Entwicklungspolitik als primäre und weltpolitische Aufgaben. In einem anschließenden Abschnitt wurde auf die „Gemeinsamen Aufgaben in Europa“ eingegangen. Dort skizzierten die Autoren als friedenssicherndes Ziel für die Gefahren- und Interessengemeinschaft Europa eine Ordnung, die auf die Zusammenarbeit ihrer Glieder unter erheblichen Souveränitätsverzichten und ohne hegemoniale Übergewichte angelegt war. Voraussetzung hierfür war es, die Nationen nicht mehr als unabänderliche Schöpfungsordnungen, sondern als historische Größen zu verstehen, sie aber auch nicht zu negieren, sondern bis auf weiteres als politische Wirklichkeit anzuerkennen. Als Beitrag zu der parallel zu der Entstehung der Denkschrift laufenden Diskussion um „Volk, Nation und Vaterland“ gab die Studie an dieser Stelle eine rationale, historisch-politische Definition von „Nation“. Danach waren Nationen in der Gegenwart geprägt durch eine gemeinsame Geschichte, zumeist auch durch gemeinsame Sprache, Kultur und Lebensgewohnheiten, durch gemeinsame Grundwerte, die sich indes nicht von denen anderer Nationen unterscheiden mussten, sondern „den Weg zur werdenden Gemeinschaft aller Menschen ebnen“ könnten469, sowie durch das Bewusstsein gemeinsamer Aufgaben für eine gemeinsame Zukunft. Die Nation suche nach „gemeinsame[n] Antworten auf gemeinsame Geschichte“, sei somit „Haftungsgemeinschaft“ – ein Begriff, der bereits in der Ostdenkschrift und der nachfolgenden Erklärung der Spandauer Synode gebraucht worden war. Angesichts der Zunahme transnationaler Aufgaben sollten sich die europäischen Nationen jedoch zu Bausteinen und Ordnungsfaktoren einer größeren Einheit entwickeln, denn so hieß es in der Studie deutlich: Der „unabhängige Nationalstaat, der ohne Verpflichtung für übernationale friedliche Ordnungen nur seine 467 EBD., S. 115f. 468 Aufgrund dieser Übereinstimmung wird der Text der Studie hier nicht mehr detailliert referiert. 469 KJ 95, 1968, S. 118.

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eigenen Ziele verfolgt, ist für uns endgültig überholt.“470 Nur im Rahmen einer neuen europäischen Ordnung und nach dem Lossagen von der Norm der Nationalstaatlichkeit erschien den Autoren dann auch eine „politische Gemeinschaft der Deutschen“ möglich und sinnvoll471. Damit europäisierten die Autoren die deutsche Frage, „germanisierten“ gleichzeitig aber auch die europäische Frage472. Denn so hieß es in der Studie: „Es gibt kein befriedetes Europa ohne ein befriedetes Deutschland, wie es kein befriedetes Deutschland ohne Friedensordnung in Europa gibt.“473 Deutschlandpolitik wurde damit zur Friedenspolitik für Europa erklärt. Ihr Festhalten an einer deutschen Vereinigung als langfristiges Ziel begründete die Studie im zentralen Abschnitt „Der Beitrag der Deutschen“ mit der Fortdauer einer deutschen Nation und ihrem Willen zur Gemeinschaft. Bei der Aufstellung des Kanons an Normen, Werten und historischen Bezugspunkten für das kollektive Nationalbewusstsein der Deutschen argumentierte man nicht allein historisch-kulturell, sondern vor allem auch politischfunktional. Die Autoren zielten darauf, das deutsche Nationalbewusstsein in erster Linie zu pazifizieren und in zweiter Linie zu demokratisieren. Als den zentralen der antizipierten Grundwerte der deutschen Nation nannten sie daher den Frieden, als zentrale Aufgabe die Friedensförderung. Auf diese bezogen – und damit relativiert – folgten sodann die Sicherung am Gemeinwohl orientierter individueller und korporativer Freiheit, von Rechts- und Chancengleichheit sowie sozialer Solidarität. Folglich ging es den Verfassern weniger um die Bewahrung der Abstammungs-, Sprach- und Kulturgemeinschaft, als um die Neukonstruktion gesamtnationaler Identität im Sinne einer ihrer historischen Verantwortung bewussten politischen Willensgemeinschaft. Das Fernziel dieser so definierten Nation sollte keine nationalstaatliche „Wiedervereinigung“ – das Wort wurde bewusst vermieden – sondern die Neukonstituierung einer „politischen Gemeinschaft“ der Deutschen sein. Diese, und folglich nicht die dauerhafte Trennung der Deutschen, sei ein „friedensfördernder Schritt“474, so lautete eine Kernaussage der Studie. Doch nur unter dem Vorbehalt, dass die Gemeinschaft von den Deutschen auch gewünscht wurde. Wollte die Mehrheit der Bürger in einem der beiden Teile in freier Entscheidung die dauerhafte Trennung, was die Autoren der Studie immerhin für denkbar hielten, musste dies von der anderen Seite akzeptiert werden: Die neue politische Gemeinschaft sollte das Produkt der freien Selbstbestimmung der Nation sein. Für den langen und beschwerlichen Weg zu neuer Gemeinschaft gab die Studie in groben Zügen einen Rahmen- und Stufenplan vor. Bewusst wurden dabei alle gängigen Begriffe, Denkmodelle und Rechtsfiguren vermieden, die 470 EBD. 471 EBD., S. 122. 472 Nach T. Garton Ash kam es in einem wechselseitigen Prozess nicht nur zu einer Europäisierung der deutschen Frage, sondern auch zu einer „Germanisierung der europäischen Frage“. Die Deutschen hätten ihr eigenes nationales Interesse mit dem europäischen gleichgesetzt und Europa immer dann im Munde geführt, wenn sie etwas verlangten, was sie im eigenen Namen nicht zu fordern wagten (vgl. T. GARTON ASH, Namen, S. 44f.). Ansätze zu dieser Haltung finden sich auch in der Friedensstudie. 473 KJ 95, 1968, S. 121. 474 Vgl. EBD., S. 119 und S. 122.

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dem nationalstaatlichen Souveränitätsdenken oder den deutschlandpolitischen Maximalforderungen der beiden deutschen Regierungen entstammten. Für die Dauer des langwierigen Prozesses ging man von der „Existenz zweier politischer Ordnungen“, d. h. faktisch für lange Jahre von einer deutschen Zweistaatlichkeit aus, wobei man jedoch die Bezeichnung „zwei Staaten“ bewusst vermied. Das Verhältnis dieser beiden „politischen Ordnungen“ sollte „vom Gegeneinander des kalten Krieges wegführen und über ein geregeltes Nebeneinander zum konstruktiven Miteinander hinleiten“475. Die Autoren plädierten für den Abbau der innerdeutschen Konfrontation, für intensive gegenseitige Information, für Geduld und Gelassenheit, für die Intensivierung der Kontakte auf breiter Ebene sowie für „Beziehungen zwischen den Partnern in angemessenen Rechtsformen“476. Ihre Empfehlungen waren im Einzelnen nicht neu, vielmehr wurden hier Vorschläge, die bereits im Umlauf waren, zusammengefasst. Die völkerrechtliche Anerkennung der DDR zählte nicht zu ihren Forderungen, sie wurde vielmehr als Zeichen einer endgültigen Fixierung der deutschen Teilung und damit als „der Sicherung des Friedens nicht dienlich“ abgelehnt. Damit blieb man im Rahmen des deutschlandpolitischen Konsenses der Großen Koalition. Kammer und Rat wollten in ihrer Mehrheit hier kein bundesdeutsches Tabu brechen. Die Friedensstudie war das Produkt eines die innerdeutsche Grenze übergreifenden geistigen Austauschs und wechselseitiger Korrektur. Zum letzten Mal für lange Zeit konnten in ihrem Entstehungsprozess die äußeren und inneren Grenzen gesamtkirchlichen Redens erkundet werden. Eine gemeinsame Sprache zu finden, gelang dabei zum Teil nur um den Preis begrifflicher Ambivalenzen und mit dem Wissen, dass etwa die inhaltliche Füllung der gemeinsamen Grundwerte in den zwei deutschen Staaten unterschiedlich sein würde. Man enthielt sich auch jeglicher Wertung der beiden divergierenden Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme und ihrer Legitimation. An manchen Stellen schienen hingegen systemische Dritte-Wege-Konzepte durch, wie sie Hamel, in abgeschwächter Form aber auch noch Eppler vertraten. So wurde zum Beispiel in der Studie der Wunsch geäußert, dass sich die beiden deutschen Staaten in ihrer Sozialstruktur allmählich und freiwillig annähern sollten. Im Ergebnis trug das Papier sehr deutlich Kompromisscharakter. Vieles blieb vage formuliert, wofür vor allem die Einsprüche westdeutscher Kammer- und Ratsmitglieder gesorgt hatten. Das Wegweisende für die Zukunft aber war, dass in ihr in einer neuen Weise von den gemeinsamen Grundwerten und Aufgaben der deutschen Nation gesprochen wurde. In der Bundesrepublik ging der explizit als „Studie“ und nicht als Denkschrift bezeichnete Text ab 1. März vorab an verschiedene Tageszeitungen, Wochenblätter, Rundfunk- und Fernsehanstalten477. Drei Tage später wurde er wichtigen Kirchenvertretern zugesandt478. Danach erhielten ihn weitere Persönlichkeiten des kirchlichen 475 476 477 478

EBD., S. 122. EBD., S. 123. Vgl. verschiedene Schreiben von Wilkens an die Chefredakteure (EZA BERLIN, 2/1489). Schreiben von Hammer (EBD.).

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und öffentlichen Lebens. Je 100 Exemplare gingen auch an die ESGiD und die AGEJD. In seinem Begleitschreiben argumentierte Hammer, dass aufgrund des Einvernehmens zwischen den politischen Kräften in beiden Teilen Deutschlands über den Fortbestand einer deutschen Nation es erlaubt und geboten sei, über den Inhalt dessen nachzudenken, was sonst nur eine „Leerformel“ zu bleiben drohe. Bereits am 1. März sandte Kunst die Studie an den Bundeskanzler und betonte in seinem Begleitschreiben deren deutsch-deutsche Entstehungsgeschichte479. Die Studie sei als Probe dafür zu verstehen, was evangelische Christen in der Frage der deutschen Nation noch gemeinsam sagen könnten. Kunst unterstrich, dass die kirchlichen Verantwortlichen in der DDR dazu bereit waren, durch die Veröffentlichung der Studie eine zusätzliche Gefährdung in ihrer zur Zeit ohnehin besonders schwierigen Lage auf sich zu nehmen. Nach einer ersten Durchsicht versicherte am 3. März Staatssekretär Karl Carstens, Chef des Bundeskanzleramtes, dem Kanzler, die „Denkschrift“ trage „Kompromisscharakter“480. Neben positiv zu bewertenden Aussagen enthalte sie auch „nebelhafte Passagen“, die in der Tendenz auf eine gegenseitige, nur vermeintlich vorläufige Anerkennung der Bundesrepublik und der DDR und auf eine Konföderation hinausliefen. Freiheit, so gab Carstens seinen ersten Leseeindruck wieder, werde in der Studie zwar als Grundwert postuliert, die Gefahren, die der Freiheit entständen, falls der vorgeschlagene Weg eingeschlagen werde, würden aber nicht dargestellt werden. Für eine genauere Auswertung der Studie gab Carstens eine Analyse in Auftrag. Um zwischenzeitlich auf die Aufnahme der Friedensstudie bei Kiesinger Einfluss nehmen zu können, schrieb Weizsäcker am 4. März an seinen Parteivorsitzenden481. Auch er hob die deutsch-deutsche Autorenschaft hervor und kennzeichnete sie als „Begrenzung“ und „Stärke“ zugleich. Als „Kernstück“ der Studie bezeichnete Weizsäcker den Abschnitt über die „Zusammengehörigkeit der Deutschen“: Dort werde die Zusammengehörigkeit deutlich betont und die Bildung einer politischen Gemeinschaft unter den Deutschen im Laufe der Entwicklung für möglich und nötig gehalten. Einen Botschafteraustausch lehne sie ab. Weizsäcker machte den CDU-Vorsitzenden darauf aufmerksam, welchen Mut es von den ostdeutschen Kammer- und Ratsmitgliedern verlangt habe, der Veröffentlichung dieser Studie zuzustimmen. Am 7. März erhielt Kiesinger dann von Hubert Schnekenburger aus dem Ministerium für gesamtdeutsche Fragen eine Einschätzung des Textes482. Ihm zufolge stimmte die Friedensstudie in einigen wesentlichen Punkten mit der Politik der Bundesregierung überein: im Fortbestehen der deutschen Nation, dem Willen zum Zusammenleben, der Ablehnung einer gewaltsamen Lösung, der Absage an eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR, der Respektierung der freien Entscheidung der Mehrheit in einem Teil Deutschlands, auch wenn sich diese für die Teilung ausspräche. In einigen wichtigen Punkten sah Schnekenburger aber die Studie im Gegensatz zur Politik der Bundesre479 480 481 482

BArch KOBLENZ, B 136/6718. EBD. EBD. EBD.

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gierung. So gehe sie vom Bestehen zweier deutscher Staaten mit unterschiedlichen politischen Ordnungen aus, die gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Mit ihrer Zielvorgabe, der Bildung einer „politischen Gemeinschaft der Deutschen“, sei wohl eine Konföderation gemeint, die in einer immer enger werdenden Zusammenarbeit erreicht werden sollte. Um die Rezeption der Friedensstudie in der Öffentlichkeit in ihrem Sinne zu beeinflussen, gab die Kirchenkanzlei am 6. März eine Presseerklärung heraus483. Sie lenkte die Aufmerksamkeit auf die Aussagen des Kapitels „Der Beitrag der Deutschen“, d. h. auf die Suche der Deutschen nach einem Frieden untereinander, sowie auf die Begrifflichkeit des Textes. Als Motiv für die Veröffentlichung wurde die Überzeugung genannt, dass auch aus dem kirchlichen Raum Versuche gemacht werden sollten, „die verhärteten Fronten zu Gunsten einer fairen und offenen Diskussion über strittige Fragen der Deutschlandpolitik zu überwinden.“ Um zu verhindern, dass die Studie als EKD-Denkschrift rezipiert wurde, gab ihr entschiedener Gegner Bischof Wölber ebenfalls eine Erklärung ab. Darin wies er vor allem auf den Dissens hin, der in der Kammer und im Rat über den Inhalt und die Veröffentlichung der Studie bestanden hatte484. Kritik an der Arbeit der Kammer übte er auch im Märzheft der „Evangelischen Kommentare“ unter dem Titel „Politisierung – Gefahr für die Einheit der Kirche?“485 Andere Ratsmitglieder äußerten sich ebenfalls kurz nach der Publikation der Studie öffentlich zu ihr. Dietzfelbinger unterstrich auf der bayerischen Landessynode den Charakter der Studie als eine weder Kirchen noch Christen bindende Diskussionsgrundlage486. Scharf erklärte hingegen seine volle Übereinstimmung mit Tenor und Einzelaussagen des Textes487. Lilje stimmte ihm „im Ganzen“ zu, Differenzen bestanden für ihn nur hinsichtlich untergeordneter Punkte488. Er hielt es für wichtig, dass die evangelische Kirche den Versuch zu einer einheitlichen Stellungnahme gemacht hatte. Die erste Aufnahme der Studie in den Medien war überwiegend sachlich und wohlwollend489. Im Gegensatz zur Ostdenkschrift war die Friedensstudie für die Presse „keine Sensation mehr“490, dazu waren ihre Aussagen zu den strittigen politischen Fragen im Zuge der mehrfachen Überarbeitung letztlich zu vage formuliert worden. Wie von den Autoren der Studie gewollt, stand in den Berichten zumeist der „Stufen-

483 Abschrift im EZA BERLIN, 2/1492. 484 Vgl. u. a. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 7.3.1968. 485 EvKo 1, 1968, S. 136–143. Der Artikel ist das leicht veränderte Referat, das Wölber auf der Klausurtagung des Rates im Januar gehalten hatte. Er wurde am 3.5.1968 zum Anlass für eine Aussprache zwischen den Rats- und Kammermitgliedern. Wölber erklärte sich dort zu einer öffentlichen Stellungnahme bereit, in der er die kritischen Äußerungen über den Rat, die Kammer und Wilkens zurückzog. Vgl. EvKo 1, 1968, S. 329. 486 Vgl. epd ZA, 7.3.1968, S. 1. 487 EBD. 488 EBD. 489 Vgl. Presseausschnittsammlung (EZA BERLIN, 2/1491 und 1492). 490 Titel in der FR, 7.3.1968.

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plan“ zur Herstellung einer „politischen Gemeinschaft der Deutschen“ im Mittelpunkt. Viele Zeitungen brachten auch längere Textauszüge491. So auch „Die Zeit“, in der Marion Gräfin Dönhoff die Friedensstudie gemeinsam mit dem Memorandum zur deutsch-polnischen Aussöhnung besprach, das am 3. März der katholische Bensberger Kreis herausgebracht hatte492. Dönhoff hielt das deutschlandpolitische Kapitel der Friedensstudie für den interessantesten Beitrag der letzten Jahre, weil erstmals ein Konzept von Deutschen aus beiden Teilen gemeinsam erarbeitet worden sei. Zudem werde die deutsche Frage in den großen Rahmen globaler Probleme gestellt und dadurch relativiert. Lobend erwähnte sie auch die Sprache der Studie. Sie verfalle nicht in das gängige Vokabular, das an bestimmte Assoziationen appelliere und stereotype Reaktionen auslöse. Dönhoffs Gesamturteil über die Friedensstudie lautete: „Sie macht die Dinge transparent und fördert den Prozeß der Bewußtwerdung.“493 Klaus Mehnert, Direktor des Instituts für Politische Wissenschaft an der TU Aachen, kritisierte hingegen in „Christ und Welt“ die „fragwürdige Reihenfolge der Grundwerte in der evangelischen Friedensstudie“, die in letzter Konsequenz Frieden auch um den Preis der Freiheit bedeute494. Der Kommentar in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ bescheinigte der Studie einen „apolitischen Denkansatz“495. In der „Frankfurter Rundschau“ hob der Journalist Eckart Spoo die kritischen Aussagen der Studie in Richtung Bonn hervor496: die Teilung Deutschlands in zwei Staaten werde in ihr als Tatsache betrachtet und der Alleinvertretungsanspruch „endgültig aus dem politischen Dienst entlassen.“ Damit habe sie einer öffentlichen Meinung Ausdruck verliehen, „die sich in Bonn bisher nicht oder nur mangelhaft repräsentiert sah.“ In der Ablehnung eines Botschafteraustausches komme die Studie hingegen der Bundesregierung entgegen. Eberhard Stammler besprach die Friedensstudie im Norddeutschen Rundfunk zusammen mit dem Bensberger Memorandum und Kiesingers Bericht „Zur Lage der Nation“ vom 11. März497. Er fand in den drei Dokumenten eine „Übereinstimmung im Bewußtseinswandel“: In allen drei Erklärungen gehe es um den Frieden, um die Bereitschaft zum Gewaltverzicht und um eine umfassende europäische Friedensordnung als Grundlage der Verständigung. Trotz der Unterschiede in Absicht und Stil waren die drei Dokumente für ihn ein Zeichen, wie sehr sich die Erklärungen der offiziellen Politik den Vorstellungen angenähert hatten, die in den kirchlichen Denkschriften zum Ausdruck kamen. Reinhard Henkys nannte die Studie in einem 491 U. a. SZ, FAZ und Die Welt vom 7.3.1968, Der Tagesspiegel, Rheinischer Merkur und FR vom 8.3.1968. 492 Die Zeit, 8.3.1968. Das Memorandum deutscher Katholiken zu den polnisch-deutschen Fragen vom 2.3.1968 ist abgedruckt in: DOKUMENTE, V/2/1, S. 302–314. 493 EBD. 494 ChrWelt, 15.3.1968. 495 FAZ, 7.3.1968. 496 FR, 7.3.1968. 497 Sendung im Kirchenfunk des NDR (2. Programm), 12.3.1968. Manuskriptabschrift im EZA BERLIN, 2/1492. Vgl. auch E. Stammler: Signale am deutschen Weg. Kanzler und Kirche zur Lage. In: Junge Stimme, 23.3.1968.

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„epd“-Kommentar einen „qualifizierten Gesprächsbeitrag“, um die Fixierung der politischen Diskussion in Deutschland auf bestimmte „Detailfragen“ wie die Anerkennung der DDR zu durchbrechen und die deutsche Frage in einen langfristigen Zusammenhang zu stellen498. In dem Dokument sei die Erfahrung der EKD als gemeinsame Kirche, die in zwei gegensätzlichen politischen Ordnungen lebt, fruchtbar gemacht worden. Der Text sei aus der Kenntnis und dem Ernstnehmen der Positionen der Bundesrepublik und der DDR entstanden, die jedoch gewogen und dem gemeinsamen Ziel der Friedenserhaltung untergeordnet wurden. Henkys hielt das in der Studie vorgetragene Konzept, das seiner Ansicht nach von dem Motiv bestimmt war, „den Gedanken der Versöhnung als politischen Faktor einzufügen“, für realistischer als das meiste, was bisher zum deutschen Thema von anderer Seite gesagt worden war. Insbesondere deshalb, weil es das „Faktum Nation“ berücksichtige. Die deutsche Nation aber müsse sich darin bewähren, so Henkys, dass sie lerne, in zwei gegensätzlichen politischen Ordnungen gemeinsame Grundwerte zum Tragen zu bringen. Auch in politischen Kreisen fand die Studie eine ruhige, zumeist positive Aufnahme. Ihre zurückhaltenden Formulierungen machten es den Politikern leicht, sie zugunsten der je eigenen deutschlandpolitischen Position zu interpretieren und Differenzen zu übergehen. Die Bundesregierung lehnte eine offizielle Stellungnahme ab. Vermutlich wollte sie sich wenige Tage vor dem „Bericht über die Lage der Nation im geteilten Deutschland“499, der tatsächlich in einigen Grundaussagen mit der Friedensstudie übereinstimmte, nicht deutschlandpolitisch äußern. Laut Bundespresseamt wurde das Dokument jedoch in Regierungskreisen als ein Beitrag zu einer sachlichen und fairen Diskussion in der Öffentlichkeit betrachtet500. Rainer Barzel, der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Bundestag, nannte die Studie der EKD eine „Arbeit von hohem moralischen und politischen Rang“501. Bundesverteidigungsminister Gerhard Schröder äußerte sich zurückhaltend502. Er bezeichnete es als einen entscheidenden Wert der Studie, dass sie von Christen aus beiden Teilen Deutschlands erarbeitet wurde und den Willen der Deutschen nach einem „deutschen Gesamtstaat“ – der Ausdruck war in der Studie bewusst vermieden worden – zum Ausdruck bringe. Andererseits enthalte sie auch Vorstellungen, so Schröder, über die man geteilter Meinung sein könne. Gerhard Stoltenberg, CDU-Bundesminister für Wissenschaft und Forschung, lobte die Eindringlichkeit ihrer Aussagen über die „Zusammengehörigkeit der Deutschen heute“503. Einzelne Formulierungen zu den konkreten Erfordernissen deutscher Politik hielt er indes für präzisierungsbedürftig. Zugleich plädierte er dafür, die zentrale Bedeutung von Begriffen wie „Freizügigkeit“,

498 499 500 501 502 503

epd ZA, 6.3.1968, S. 6. Abdruck in: DA 1, 1968, S. 55–59. Vgl. Die Welt, 8.3.1968. Vgl. EBD. Vgl. EBD. Deutschland-Union-Dienst, 8.3.1968.

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„Rechtssicherheit“ und „Anerkennung der Grundrechte“ für eine wirkliche Friedensordnung in Deutschland und Europa zu betonen. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Mischnick erklärte der Zeitung „Die Welt“, dass er sich zwar nicht mit allen Einzelaussagen der Friedensstudie identifizieren könne, es aber begrüße, dass Einzelpersonen und Institutionen sich zu diesen Fragen äußerten504. Er bezeichnete dies als einen Beweis für das Vorgehen gegen Immobilität in der Politik und gegen die These „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“. In seiner Erklärung zum Bericht zur „Lage der Nation im geteilten Deutschland“ zitierte er am 14. März im Bundestag aus der Denkschrift zustimmend die Passage über die Stellung der Nation und der Nationalstaaten in der Gegenwart505. Von SPD-Seite nahm zunächst der Bundes-Pressesprecher Frank Sommer Stellung506. Er erkannte in der Studie das Bemühen, in einer differenzierten Weise die Diskussion über Deutschland von vereinfachenden Schlagwörtern weg und hin auf die zentralen Fragen zu lenken. Die gesamtkirchliche Entstehungsgeschichte der Studie achtend, erklärte er, dass man nicht erwarten könne, dass alle Vorstellungen des Textes mit denen einer politischen Partei übereinstimmten, die nur in einem Teil Deutschlands aktiv war. Auf der Bundestagssitzung am 14. März wurde in der Aussprache über den Bericht der Bundesregierung zur „Lage der Nation im geteilten Deutschland“ von mehreren SPD-Abgeordneten auf die Studie Bezug genommen. Helmut Schmidt erklärte: „Die Christen der evangelischen Kirche in Deutschland – aus beiden Teilen –, die sich in diesen Tagen auf eine gemeinsame Schrift über die Friedensaufgabe unseres Volkes verständigt haben, setzen der Nation ein Beispiel – um so mehr, als die Verfasser dieser Schrift sich jeweils als loyale Bürger der DDR oder der Bundesrepublik verstehen.“507 Weiter stimmte er der Denkschrift in ihrer Aussage zu, dass eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR nicht in Frage komme, da sie kein Ausland sei508. Auch der Vorsitzende des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen Egon Franke nahm positiv auf die Studie Bezug509. Er sah sie als Zeichen und Beweis dafür, dass von Bürgern in beiden Teilen Deutschlands das Zusammenleben gewollt war. Auf dem SPD-Parteitag, der vom 17. bis 21. März in Nürnberg stattfand, erklärte Willy Brandt in seiner Rede, da die DDR für eine nicht absehbare Zeit existieren werde, habe man „alles Erdenkliche zu tun, um das Nebeneinander und Miteinander der beiden Teile Deutschlands zu organisieren im Interesse der Menschen und im Interesse des Friedens.“510 Neben diesen Übereinstimmungen in Aussage und Wortwahl zwischen der Rede des SPD-Vorsitzenden und der Friedensstudie verfasste der Parteitag auch noch eine eigene Entschließung zu ihr. Darin wurde die

504 505 506 507 508 509 510

Vgl. Die Welt, 8.3.1968. Zitiert nach: DOKUMENTE, V/2/1, S. 404. epd ZA, 7.3.1968, S. 2. Zitiert nach: DOKUMENTE, V/2/1, S. 396. EBD., S. 401. EBD., S. 422. Zitiert nach: H. BUCHHEIM, Deutschlandpolitik, S. 125.

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Studie als ein gewichtiger Beitrag zur Diskussion über die Zukunft des deutschen Volkes bezeichnet. Gerade weil die EKD durch sie niemanden binden und zurechtweisen wolle, hieß es in der Entschließung, könne sie sich als fruchtbar erweisen. Die SPD wusste sich mit der Studie vor allem in folgenden Punkten einig: „[. . .] in der Notwendigkeit, die deutschen Probleme in die Zusammenhänge der Weltpolitik, des Ost-West und des Nord-Süd-Konflikts einzufügen; in der Einschätzung der Bedeutung und der Funktion der Nationen in Europa; in der Darstellung der Wirklichkeit unserer eigenen Nation; in den Grundwerten, die unserer Nation eigen sein müssen und in den Aufgaben, die sich daraus ergeben; in der Feststellung, daß eine Politik der Friedenssicherung auch dann im Interesse aller Deutschen liegt, wenn sie nicht unmittelbar zur staatlichen Einheit führt; in der Überzeugung, daß eine Kooperation zwischen beiden Teilen Deutschlands wünschenswert ist; in der Einschätzung dessen, was zwischen den beiden Teilen Deutschlands an politischen und rechtlichen Beziehungen zu erstreben und was abzulehnen ist; in der Überzeugung, daß über die Zukunft der Deutschen und ihre staatliche Gemeinschaft letztlich der freie Wille der Bürger entscheiden muß.“511

Der Parteitag empfahl, die „Friedensaufgaben der Deutschen“ auch in der Parteiorganisation zu diskutieren und gegebenenfalls zu konkretisieren. In einem Brief an Kunst dankte einige Tage später Brandt der Kammer für ihren Versuch, zur begrifflichen Klärung beizutragen512. Was das „Miteinander der Deutschen“ anbelangte, verwies er jedoch auf die bittere Erkenntnis, dass kaum etwas erreicht werden könne, solange die Regierenden in der DDR nicht bereit seien, dem Willen zum Miteinander auf westdeutscher Seite wenigstens einen kleinen Schritt entgegenzukommen. Im Maiheft der „Lutherischen Monatshefte“ meldete sich dann auch noch Herbert Wehner zu Wort513. Die Friedensstudie sollte seiner Meinung nach nicht daran gemessen werden, was sie unmittelbar bewirkte, sondern an der Tatsache, dass sie möglich wurde und dass ihr eigentlich nicht ernsthaft widersprochen werden konnte. Nach Ansicht des stellvertretenden SPD-Parteichefs konnte die Studie den Deutschen dabei helfen, sich als Nation zu finden, ohne einem „nationalstaatlichen Irrlicht zu folgen“, das sie von dem zwar schweren, aber einzig realistischen Weg zur Kooperation in europäischer Gemeinschaft oder europäischen Gemeinschaften, die miteinander kooperieren, ablenken könnte514. Damit wurde von allen Parteien die Friedensstudie in der SPD am intensivsten rezipiert. Bei aller Eigenständigkeit hatte ihr deutschlandpolitischer Entwurf aber auch die meisten Gemeinsamkeiten mit den deutschlandpolitischen Vorstellungen der SPD515 und insbesondere mit Bahrs Konzept eines „Wandels durch Annäherung“. In der Regierungserklärung Brandts vom 28. Oktober 1969 und seinem Bericht zur Lage der Nation vom 14. Januar 1970 fanden sich dann auch manche 511 KUNDGEBUNGEN, S. 40f. 512 EZA BERLIN, 2/1492. 513 H. WEHNER, Kirche. 514 EBD., S. 226. 515 Vgl. den Absatz „Außenpolitik und innerdeutsche Beziehungen“ in der Entschließung des Parteitages 1968: „Beitrag der SPD zu aktuellen Problemen der deutschen Politik“. In: KUNDGEBUNGEN, S. 6–9.

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ähnlichen Gedanken und Formulierungen wie in der Friedensstudie – insbesondere die Vorstellung von der Nation als „Bewußtseinsnation“516. Das Kuratorium Unteilbares Deutschland ließ in einer Pressemitteilung erklären, dass zwischen der Denkschrift ihres geschäftsführenden Vorsitzenden Schütz und der EKD-Studie weitgehende Übereinstimmung herrsche517. Es zeige sich, „daß wesentliche Gedanken über die Zukunft Deutschlands nicht mehr aufzuhalten sind.“ Falls sich alle verantwortlichen Gremien nunmehr in freimütiger Diskussion mit den deutschlandpolitischen Fragen befassten, so hoffte das Kuratorium, werde die Deutschlandpolitik in der ganzen Bevölkerung, insbesondere aber in der jungen Generation, neuen Auftrieb erhalten. Einige Monate später gab das Kuratorium zur Verteidigung ihres geschäftsführenden Vorsitzenden eine Schrift heraus, in der in synoptischer Darstellung zu zeigen versucht wurde, in welcher Weise sich die Gedanken und Grundsätze der Denkschrift von Schütz in der Politik und im Denken der Bundesrepublik konkretisiert hatten518. Neben dem „Bericht zur Lage der Nation“ sowie Stellungnahmen der Bundesregierung und der Parteien war die Friedensstudie der EKD einer der Vergleichstexte. Gemeinsamkeiten sah man in den Punkten: „Deutschland nach wie vor ein Ganzes“, „Gemeinsame Staatsangehörigkeit“, „Merkmale des Weiterbestehens der Einheit“, „Teile eines Ganzen“, „Föderatives Verhältnis“, „Gesamtverantwortung“, „Gemeinschaft trotz zweier Gesellschaftsformen“, „System von Verträgen“, „Verhandlungspartner“, „Notwendige Zustimmung des Volkes“, „Erfordernis der internationalen Unterstützung“, „Deutsche Ostgebiete“, „Deutsche Einheit und europäische Friedensordnung“, „Freiheit für das ganze Volk“.

Dabei wurden teilweise aber Aussagen des vorsichtig formulierten EKD-Textes interessensgeleitet interpretiert. Von einer gemeinsamen Staatsangehörigkeit z. B. war in der Friedensstudie an keiner Stelle die Rede. Wie zu erwarten, übte der Bund der Vertriebenen an der Friedensstudie besonders scharfe Kritik. Es sei nicht Sache der evangelischen Kirche, auf die deutsche Wiedervereinigung und die früheren Ostgebiete zu verzichten, erklärte sein Sprecher519. Allerdings räumte er ein, dass die Studie „eine Reihe diskutabler Auffassungen“ enthalte, mit denen sich eine Kommission des Vertriebenenbundes eingehend beschäftigen wollte. Auch von der Notgemeinschaft evangelischer Christen kam heftige Kritik. Evertz erklärte, die Friedensstudie setze die Einheit der Kirche „neuen Bedrohungen“ aus520. Am 27. April veranstaltete die Notgemeinschaft in der Hannoverschen Lukaskirche eine Vortragsveranstaltung, auf der u. a. Werner Petersmann referierte. Seine „kirchlich-theologische[n] Bemerkungen“ zur Friedensstudie erschienen später im Druck unter dem Titel: „Die Friedens-Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland. Wei516 517 518 519 520

Siehe unten Kap. 5.2. Pressemitteilung vom 7.3.1968 (EZA BERLIN, 2/1492). W. NÖBEL, Deutschland-Memorandum. Vgl. EvKo 1, 1968, S. 233. epd ZA, 11.3.1968, S. 3.

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terhin eine kirchliche Grenzüberschreitung“. Petersmann, der ein Jahr später als Spitzenkandidat der niedersächsischen NPD für den Bundestag kandidierte521, warf der EKD „Links-Politisierung“ vor. Besonders scharfe Kritik übte er am „konkrete[n] Plan-Spiel über die Wiedervereinigung.“522 Zwar lenke die Friedensstudie nach der Diskussion um Volk, Nation und Vaterland im Jahre 1966 „auf eine positive Wertung der Nation zurück“, was Petersmann als Erfolg der unablässigen Kritik von Seiten der Notgemeinschaft wertete523. Im Laufe des Textes werde aber die Nation negativ bewertet und die „biblische Theologie von Schöpfung und Schöpfungsordnung“ verneint524. Anstelle von „Geschichts-Gemeinschaft“ spreche die Kammer von der „Haftungsgemeinschaft“ und führe die „masochistische ‚Schuld-Schwarmgeisterei‘“ fort525. Die Studie enthalte auch eine „verschleierte Verzichts-Empfehlung“ hinsichtlich der ehemaligen deutschen Ostgebiete526. Kritik übte Petersmann zudem an den in der Studie angeführten Grundwerten der Deutschen. Hier würden die „eigentümlichen Grundwerte der deutschen Nation“ – laut Petersmann die „Gründlichkeit des Denkens und der Arbeit im Ordnungsgefüge“ – beiseite geschoben und in „Allgemeinheiten sehr andrer Herkunft“ eingeebnet527. Mit dem Argument, die Friedensstudie entspreche nicht den Ansichten „der überwiegenden Mehrheit der Gemeindemitglieder“, stellte die Notgemeinschaft auf der Veranstaltung in Hannover die Gründung einer „Freien Kammer für öffentliche Verantwortung in der Evangelischen Kirche in Deutschland“ in Aussicht528. Scharfe Töne kamen auch erwartungsgemäß von der rechtsextremen „Deutschen Nationalzeitung“. In der Friedensstudie werde „der Verzicht auf die deutschen Ostgebiete in brutaler, unbelehrbarer und unverantwortlicher Weise wiederholt“529. Bemängelt wurde, dass in ihr Begriffe wie „Volk“ und „Vaterland“, die nach Meinung des Blattes allein den inneren Zusammenhang des geteilten Deutschland garantierten, keine Rolle spielten. Die Forderung, dass in ganz Deutschland die Stimmen aller im Bundestag und in der Volkskammer vertretenen Parteien legal Gehör finden sollten, wurde von dem Autor zu Recht dahingehend ausgelegt, dass der NDP kein Gehör verschafft werden sollte. Die Nationalzeitung sah darin eine Diffamierung der „nationalen Kreise, die überwiegend gleichzeitig treue Kirchenglieder sind.“530 In der DDR war die Friedensstudie bereits am 29. Februar vom Leiter der EKD-Kanzlei in Ost-Berlin Hans-Jürgen Behm den ostdeutschen Gliedkirchen mit der Bemer521 522 523 524 525 526 527 528 529 530

Vgl. epd ZA, 19.6.1969, S. 3 und epd ZA, 23.6.1969, S. 5. W. PETERSMANN, Friedens-Studie, S. 23. EBD., S. 24. EBD. EBD., S. 28. EBD., S. 29. EBD., S. 32f. EBD., S. 6. Zitiert nach: epd ZA, 18.3.1968, S. 3. EBD.

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kung zugesandt worden, sie „in geeignet erscheinender Weise zu verwenden.“531 Am 1. März erhielten sie dann auch die endgültige Fassung des Vorwortes532. Sechs Tage später ließ Behm Staatssekretär Seigewasser die Studie zukommen533. Da die staatlichen Stellen jedoch jeglichen dienstlichen Kontakt zu EKD-Einrichtungen verweigerten, ging das Exemplar mit der Bemerkung „Annahme aus bekannten Gründen verweigert“ über Oberkirchenrat Walter Pabst an die Kirchenkanzlei zurück534. Bei dieser Gelegenheit war Pabst vom Hauptabteilungsleiter beim Staatssekretär für Kirchenfragen, Hans Weise, darum gebeten worden, herauszufinden, um wen es sich bei den ostdeutschen Beteiligten an der Studie handelte, da man den Wunsch habe, „mit ihnen ein Gespräch zu führen.“535 Pabsts Hinweis, mit der Studie werde ernsthaft der Versuch gemacht, die politischen Spannungen in Europa zu mildern, ließ Weise nicht gelten. In dem Dokument, das er nur „überflogen“ habe, werde nicht von den „beiden deutschen Staaten“, sondern von den „beiden Teilen Deutschlands“ gesprochen. Er warf den Verfassern zudem vor, der Konvergenztheorie zuzuneigen. Diese im Westen diskutierte Theorie ging davon aus, dass es durch die fortschreitende Technisierung zu einer allmählichen Annäherung der arbeitsteilig organisierten Industriegesellschaften gleich welcher politischer Systeme und damit zu inneren Wandlungen kommen werde536. Weises Hauptvorwurf an die Studie aber lautete, sie diene der „ideologischen Aufweichung“. Vor einer solchen fürchtete sich die SED seit den Anfängen einer neuen bundesdeutschen Ost- und Deutschlandpolitik besonders, da sie ihr die Legitimation aus der Bedrohung von außen zu entziehen drohte537. Der Vorwurf der „ideologischen Diversion“ war auch in der „Einschätzung“ des Staatssekretärs für Kirchenfragen enthalten, die an alle Räte der Bezirke ging und ihnen die SED-konforme Interpretation der Friedensstudie detailliert vorgab538. In dem zehnseitigen Papier wurde vermutet, dass der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Studie bewusst gewählt sei, um Einfluss auf die Volksaussprache über den Verfassungsentwurf zu gewinnen. Der Staatssekretär befürchtete, dass die Studie bei einem „Teil der Amtsträger der DDR, Angehörigen der Intelligenz und Jugendlichen aus der christlichen Bevölkerung Resonanz findet bzw. Illusionen weckt.“ Zudem sah er in ihr einen „Störfaktor gegen die Anstrengungen der kommunistischen und Arbeiterparteien und des sozialistischen Lagers zur Festigung der Einheit ihrer Reihen“. Insgesamt stufte er die Studie und ihre Verbrei-

531 EZA BERLIN, 104/125. 532 Kirchenkanzlei für die Gliedkirchen in der DDR an Kirchenleitungen der Gliedkirchen in der DDR, 1.3.1968 (EZA BERLIN, 104/125). 533 EZA BERLIN, 104/125. 534 EBD. 535 Aktenvermerk von Pabst über die Unterredung mit Weise und Dohle in der Dienststelle des StfK am 11.3.1968 (EZA BERLIN, 104/597). 536 Vgl. u. a. P. C. LUDZ, DDR. 537 Vgl. A. MITTER/S. WOLLE, Untergang, S. 382. 538 „Einschätzung der Studie ‚Friedensaufgaben der Deutschen‘, Hrsg. von der Kammer für öffentliche Verantwortung beim Rat der EKD am 1.3.68“ (SAPMO-BArch BERLIN, DY 30/IV A2/14/27). Hieraus auch die nachfolgenden Zitate.

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tung als Bestandteil der „neuen Ostpolitik“ und der „Deutschland Politik“ der Großen Koalition ein: Sie beweise „die völlige Liierung der EKD mit der flexiblen Ostpolitik des westdeutschen staats-monopolitischen Herrschaftssystems“. In der Bundesrepublik solle mit der Diskussion über die Studie eine „Barriere“ gegen die außerparlamentarische Opposition, gegen die sich verstärkenden Forderungen nach Änderung des innen- und außenpolitischen Kurses der Großen Koalition und insbesondere nach Anerkennung der DDR errichtet werden, so die „Einschätzung“. Mit der Studie werde ferner bezweckt, von den aktuellen politischen Problemen in der Bundesrepublik abzulenken, wie der „Notstandsgesetzgebung, der Renazifizierung, der Torpedierung des Atomwaffensperrvertrages, der Unterstützung des schmutzigen USAKrieges gegen das vietnamesische Volk durch die Regierung Kiesinger“. Und nicht zuletzt solle durch sie die EKD als gesamtdeutsche Institution, als „vermittelnde Kraft“ zwischen den beiden antagonistischen Systemen aufgewertet werden. In den deutschlandpolitischen Teilen der Studie sah der Staatssekretär einen Angriff auf die in der neuen DDR-Verfassung enthaltene „nationale Konzeption der DDR“. Diese gehe von der Existenz zweier deutscher Staaten und von dem Fernziel aus, dass nach einem längeren Prozess grundsätzlicher gesellschaftlicher Veränderungen in der Bundesrepublik „der einheitliche deutsche Nationalstaat auf der Grundlage der Demokratie, des Friedens und des Sozialismus entstehen wird.“ Die Ablehnung nationalstaatlicher Souveränität in der Friedensstudie interpretierte er als Abwehrversuch gegen eben diese Konzeption. Die berechtigte Sorge in vielen europäischen Staaten „angesichts der Refaschisierung in Westdeutschland“ werde umgefälscht in ein Argument gegen „das Fernziel der nationalen Konzeption der DDR“. Entgegen der „Tatsache, daß die Bürger der DDR fest zu ihrem sozialistischen Staat stehen und sie nichts mit dem westdeutschen Imperialismus verbindet“, erfänden die Autoren der Studie zudem die Illusion eines angeblich unzerstörbaren „Zusammengehörigkeitsgefühles aller Deutschen“. Es gebe aber, so hieß es in der „Einschätzung“, keine „gemeinsamen Grundwerte“ zwischen „den Kräften des Imperialismus und Militarismus einerseits und den Bürgern der DDR und den friedliebenden demokratischen Kräften Westdeutschlands andererseits“. Die in der Studie geforderte „politische Gemeinschaft der Deutschen“, die über menschliche, kulturelle und politische Bindungen erreicht werden solle, decke sich mit dem Ziel der Großen Koalition, „die DDR von ihren sozialistischen Bruderländern zu trennen und ideologisch zu unterwandern.“ Unter dem „Mißbrauch“ von Begriffen wie Kooperation, Koexistenz, Liquidierung von Vorurteilen usw. solle überdies in der DDR ein Gegensatz zwischen der Bevölkerung und der Partei und Staatsführung herbeigeführt und ein Liberalisierungsprozess eingeleitet werden, der auf die Beseitigung der DDR abziele. Auf Seiten der Ost-CDU, die zu dieser Zeit die Trennung der ostdeutschen Kirchen von der EKD forcierte, herrschte zunächst Unsicherheit, wie man auf die Friedensstudie reagieren sollte. Am 11. März notierte der Leiter der Abteilung Kirchenfragen, Gerhard Quast, die Mitwirkung von ostdeutschen Kirchenvertretern an der Friedensstudie stelle „die Frage der Einheit der EKD“ und erschwere „eine differenzierte Be-

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urteilung der inhaltlich durchaus interessanten Erklärung.“539 Zwei Tage später schrieb jedoch Eberhard Klages „Anmerkungen“ zu der Studie nieder, die in ihrer Wertung mit denen des Staatssekretärs konform gingen540. Die EKD-Studie gebe sich den Anschein, als argumentiere sie „zwischen den Fronten – gewissermaßen von höherer Warte aus“. Sie kaschiere die bestehenden Gegensätze zwischen den beiden deutschen Staaten, um „von der Forderung westdeutscher Friedenskräfte nach Anerkennung der DDR und Aufnahme normaler staatlicher Beziehungen zu ihr abzulenken.“ Die Behauptung von der „Unabhängigkeit“ der EKD sei jedoch nur die Verschleierung ihrer tatsächlichen Abhängigkeit von der Bonner Regierung und deren Deutschlandpolitik. Diesem Täuschungsmanöver diene die stark hervorgehobene Mitarbeit von Christen aus der DDR. Aus einem Telefongespräch mit Elisabeth Adler am 13. März wusste Klages, dass vor allem Schönherr, Ringhandt, Hamel und Hildebrandt beteiligt gewesen waren. Adler hatte erklärte, sie selbst habe nur ein- oder zweimal an den Vorgesprächen teilgenommen541. Klages kam zu dem Ergebnis, dass die Studie nicht nur eine „flexible Variante der Bonner Deutschlandpolitik“ propagiere, sondern auch auf die „‚gesamtdeutsche‘ Prestigeverbesserung der ‚EKD‘“ ziele. Beides sei darauf angelegt, die christlichen Bürger in der DDR in ihrer „Parteinahme für den sozialistischen Staat deutscher Nation“ wie für die Vorschläge der DDR-Regierung zur „Normalisierung in den Beziehungen der beiden deutschen Staaten“ zu „irritieren“. Dies geschehe bewusst zum Zeitpunkt der Volksaussprache über den Entwurf der neuen Verfassung. Klages sah seine Vermutung durch erste Informationen über Diskussionen in Kirchengemeinden bestätigt. So waren angeblich am 9. März während eines Gemeindeabends in Berlin-Grunau, der der Erörterung des Verfassungsentwurfs dienen sollte, von mehreren Teilnehmern Thesen der Friedensstudie gegen die Aussagen von Art. 8 des Verfassungsentwurfs ins Feld geführt worden. Die Studie, so wurde dort erklärt, führe schneller zu einer Wiedervereinigung als die Perspektive von Art. 8, wo von einer schrittweisen Annäherung der beiden deutschen Staaten bis zu ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus die Rede war. Ferner wurde mit Berufung auf den Vorschlag der Studie, dass „in ganz Deutschland die Stimmen aller Parteien legal Gehör finden“ sollten, die Zulassung der „SP“ in der DDR gefordert. Klages rechnete damit, dass ähnliche Stimmen auf den bevorstehenden Frühjahrssynoden, vor allem durch Hamel auf der Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, laut würden. Zudem befürchtete er, dass angesichts der positiven Aufnahme der Studie in der Bundesrepublik westdeutsche Teilnehmer bei der III. Allchristlichen Friedenskonferenz, die vom 31. März bis 5. April in Prag stattfinden sollte, zu „Propagandisten“ der Studie werden könnten. Klages empfahl, zunächst noch einmal genau zu prüfen, welche Christen aus der DDR an der Ausarbei539 Aktennotiz (ACDP ST. AUGUSTIN, VII/013/3252). 540 ACDP ST. AUGUSTIN, VII/010/3252. Klages arbeitete als IM „Ehrlicher“ für das MfS. Vgl. G. BESIER, SED-Staat 1969–1990, S. 608. 541 In Wirklichkeit hatte sie zwischen März und November 1967 an fünf Sitzungen teilgenommen und zusammen mit Hamel Teile der Studie verfasst. An der Endredaktion war sie nicht beteiligt.

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tung konkret teilgenommen hatten, sowie die Reaktion auf die Studie bei den Synoden zu beobachten und zu analysieren. Sollte der Text in breiteren christlichen Kreisen „Verwirrung stiften“, müsste die CDU- und SED-Presse „eine klare Auseinandersetzung“ führen, in der dessen „Bonn-Konformität“ herausgestellt werde. Dies schien bis Mai nicht notwendig zu werden, da die Friedensstudie in den Gemeinden in der DDR nicht weit verbreitet war. Die Kammer für öffentliche Verantwortung forderte daher die Kirchenkanzlei auf, den Kirchenleitungen in der DDR noch einmal dringend zu empfehlen, allen Pfarrern in der DDR die Studie zugänglich zu machen542. Eine Veröffentlichung war aus den bekannten Gründen nicht möglich. Nicht in der DDR, sondern in der in Dortmund gedruckten „Jungen Kirche“ erschien im Mai eine Stellungnahme von Günter Jacob „Zur deutschen Frage“. Ihr Inhalt richtete sich gezielt an die evangelischen Christen in der Bundesrepublik. Der Generalsuperintendent, der sich von Anfang an geweigert hatte, in der Unterkommission Deutschlandfrage mitzuarbeiten, verzichtete in dem Artikel darauf, seine „sehr ernsten kritischen Rückfragen an diese Studie im einzelnen vor[zu]tragen.“ In scharfem Ton hieß es jedoch: „Der von uns Deutschen geforderte Beitrag zur Befriedung Europas sowohl im Blick auf die östlichen wie auf die westlichen Nachbarn und die durch viele erschütternde Einzelschicksale unterstrichene Notwendigkeit, die Voraussetzungen für eine Kommunikation zwischen den Menschen in den beiden deutschen Staaten zu schaffen, machen die Aufgabe einer Überwindung der gegenwärtigen Stagnation sehr viel dringlicher, als schönfärberische Erklärungen, Denkschriften und Konzeptionen zur deutschen Frage mit ihren langfristigen Planungen und ihrem pseudoerbaulichen Appell zur Gelassenheit es wahrhaben wollen!“543

Sein Hauptkritikpunkt lautete, dass die Studie eine völkerrechtliche Anerkennung als friedensfeindlich ausschloss. Nach Jacob aber sollte diese „als Initialzündung für den Abbau des kalten Krieges und für die Ermöglichung mitmenschlicher Kommunikationen bejaht und gefordert werden.“ Denn in dem Maße, so argumentierte Jacob, wie evangelische Christen in der Bundesrepublik die bisherigen Tabus – d. h. die völkerrechtliche Anerkennung – umstießen und mit dieser Forderung an ihre Regierung heranträten, könnten auch evangelische Christen in der DDR gegenüber ihrer Regierung die Bitte nach mehr innerdeutschen Kommunikationsmöglichkeiten überzeugender vorbringen. Der Generalsuperintendent sprach sich für Gespräche auf Regierungsebene aus, in denen ein Junktim zwischen völkerrechtlicher Anerkennung und dem Ausbau von Kontaktmöglichkeiten zeitlich und sachlich akzeptiert und versucht wurde, beide Probleme gleichzeitig zu lösen. Im selben Heft der „Jungen Kirche“ veröffentlichte auch der Marburger Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth seine Anmerkungen zur Friedensstudie544. Er hielt diese in der Deutschlandfrage für „nicht zu Ende gedacht“: Wenn man die Annähe542 Niederschrift über die Sitzung der KföV am 3.5.1968 (EZA BERLIN, 104/126). 543 G. JACOB, Frage, S. 289. 544 W. ABENDROTH, Ende.

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rung der beiden deutschen Staaten wolle, müsse man einsehen lernen, dass die Voraussetzung hierfür die gegenseitige Respektierung als gleichberechtigte Partner sei. Jeder Versuch, die Wirklichkeit durch „scheinjuristische Fiktionen“ oder durch „‚geistesgeschichtliche‘ Spiele“, die von der Realität ablenkten, überspielen zu wollen, müsste unterlassen werden545. Nach Abendroth waren die Beziehungen zwischen DDR und der Bundesrepublik bereits „Auslandsbeziehungen“, d. h. Beziehungen zwischen zwei souveränen Staaten, auch wenn die Bürger beider Staaten einer Kulturnation angehörten. Jeder Annäherungsprozess musste seiner Überzeugung nach von dieser „Wirklichkeit“ ausgehen. Der Sozialist Abendroth546, einer der „Ziehväter“ der studentischen Rebellion der sechziger Jahre, war auch Mitunterzeichner der Thesenreihe „Friede mit der DDR. Ein evangelisches Sendschreiben“. Die 50 Thesen erschienen fast genau ein Jahr nach der Gründung des „Aktionskomitees Friede mit der DDR“. Im Oktober 1967 hatte Dieter Vogel dem Generalsekretär der ESGiD Rohrbach noch versichert, dass es sich bei den Thesen um kein „revolutionäres linkes Papier“ handeln würde, sondern um einen „Beitrag zur Aufklärung und Hinführung zur eigenen Tätigkeit der Bürger in Sachen ‚Friede mit der DDR‘“547. Ihre Veröffentlichung war im Jugenddienst-Verlag vorgesehen. Dazu kam es dann aber nicht. Müller-Gangloff schied aus dem Aktionskomitee aus, da er die dort eingetretene „Entwicklung einer Radikalisierung“ nicht vertreten konnte548. Christoph Gäbler, der Gesamtkirchliche Referent der AGEJD, erklärte seine Mitarbeit Ende 1967 ebenfalls für beendet. Angesichts der „linksradikalen Tendenzen“ des Thesenentwurfs des Aktionskomitees sah er für die Vertreter der AGEJD keine Arbeitsgrundlage mehr. Der Ökumenereferent Konrad Lübbert, dem der Vorstand der AGEJD vorwarf, ihm den Thesenentwurf vorenthalten zu haben, schloss sich dieser Erklärung an549. Sein Name blieb aber unter der nunmehr als „Voltaire Flugschrift“ erscheinenden Thesenreihe, ebenso wie der von sechzehn weiteren Vertretern aus dem evangelischen Studenten- und Jugendbereich, darunter auch Martin Schröter550. In der Einleitung zu den Thesen gingen die Autoren auf die bisherigen Memoranden zur Deutschlandfrage ein, darunter auch die Friedensstudie der Kammer. Sie kritisierten, dass die Studie ebenso wie das Memorandum von Schütz sich vor allem an die politisch Verantwortlichen richtete. Dies sei falsch, da auch die Große Koalition „im Interesse der herrschenden Klasse am bisherigen Konzept der Deutschlandpolitik 545 EBD., S. 295. 546 Zu den angeblichen Kontakten Abendroths zur SED vgl. H. KNABE, Republik, S. 203f. 547 D. Vogel an Rohrbach, 25.10.1967 (EZA BERLIN, 36/288). 548 Protokoll über die Sitzung der AGEJD vom 6.–8.12.1967 (EZA BERLIN, 2/1560). 549 Dennoch sprach der Vorstand auf der Sitzung Lübbert die Kündigung aus, die jedoch später wieder zurückgenommen wurde. Vgl. „Stellungnahme des Berliner Arbeitskreises des Aktionskomitees ‚Friede mit der DDR‘ zu den Vorgängen um Pfarrer Konrad Lübbert aus Stuttgart (Presseerklärung) Berlin, am 25.1.1968“ (EZA BERLIN, 36/88/376) und die gemeinsame Erklärung von Lübbert und dem Vorstand der AGEJD vom 19.1.1968 (EBD., 2/1560). 550 Vgl. FRIEDEN, S. 3f.

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fest[halte], das die Nichtanerkennung der kommunistischen DDR, die Erhaltung des privatwirtschaftlichen Systems der Ausbeutung und dessen Ausdehnung auf die DDR sichern will.“551 Ganz im Duktus der sozialistischen Studentenbewegung als Teil der APO fuhren sie belehrend fort: „Die Adressaten eines Vorschlags zur Veränderung des feindlichen status quo in Deutschland müssen darum heute die kritischen Gruppen, die Avantgarde der noch nicht ganz erwachten Massen, sein. Ihr Interesse ist tendenziell die Beseitigung bestehender Herrschaft, die Durchsetzung einer alternativen Politik nach innen und außen, d. h., die umfassende Demokratisierung der Gesellschaft in der Bundesrepublik.“552

Den Interessen dieser demokratischen Potenziale entsprach nach Auffassung der Autoren der in den Thesen formulierte Vorschlag zur „Entschärfung der deutschen Teilung“. In den Thesen 1 bis 9 wurde zunächst die Entwicklung der deutschen Teilung dargestellt, die man vornehmlich vom Westen verursacht sah. Die Thesen 10 bis 35 enthielten eine „Bestandsaufnahme“ der Situation in der DDR, die folgendermaßen gekennzeichnet wurde: wirtschaftliche Konsolidierung, Fortschritte auf dem Gebiet der Sozialgesetzgebung und des Bildungssystems, gewachsenes Selbstbewusstsein bei Repräsentanten und Bürgern, Defizite in der Demokratisierung. Die Lage in WestBerlin wurde umschrieben mit: Ideologisierung, Wirtschaftskrise sowie Krise in der Berlin-Politik. Ganz im Sinne der neomarxistischen Fundamentalkritik an der liberal-parlamentarischen Demokratie war die Bundesrepublik nach Ansicht der Autoren bestimmt vom wirtschaftlichen Konzentrationsprozess, von Krisenerscheinungen in der Wirtschaft, der Entwicklung zur „autoritären Leistungsgesellschaft“, stagnierendem Bildungswesen, Stagnation in der Außenpolitik sowie außerparlamentarischer Opposition. In den Thesen 36 bis 43 analysierten die Autoren die „ideologischen und gesellschaftlichen Widerstände“, die den „Frieden mit der DDR“ bisher verhindert hatten: „Die Ideologie des Antikommunismus“, „Die Ideologie der sozialen Marktwirtschaft“, „Die Ideologie der ‚Strategie des Friedens‘“, den „Marxismus als Affirmation“. Aus der Analyse wurden „Forderungen für eine neue Politik“ gewonnen, die in den Thesen 44 bis 50 enthalten waren. Danach musste die Bundesregierung den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik aufgeben, zusammen mit der DDR einen Friedensvertrag mit den Siegermächten anstreben, sofort und ohne Vorbehalt mit der DDR über den Frieden in Deutschland verhandeln und versuchen, freundschaftliche Beziehungen mit der DDR auf wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Gebiet herzustellen, die bestehenden Grenzen in Europa vertraglich anerkennen, den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnen, sofort Schritte zu einer kontrollierten Abrüstung unternehmen und in internationalen Institutionen dafür eintreten. Sollte die Entspannungspolitik in der NATO keine Unterstützung finden, so sei 1969 der Austritt der Bundesrepublik aus der NATO zu vollziehen. West-Berlin müsse „normale Beziehungen“ zur DDR herstellen, einen besonderen Status unter Schutz der UNO, der 551 EBD., S. 9. 552 EBD.

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Westmächte, der Sowjetunion und beider deutscher Staaten im Interesse seiner Sicherheit erhalten, den Springer-Konzern entflechten und zu einer weltoffenen Metropole werden. Damit alles dies geschehe, sollte die bundesdeutsche Bevölkerung den „Frieden mit der DDR“ zu ihrer eigenen Sache machen. Um die Bevölkerung zu aktivieren, forderten die Autoren dazu auf, „Friedenskomitees“ zu gründen553. Weniger einseitig in seiner politischen Analyse und etwas gemäßigter in seinen politischen Forderungen war demgegenüber das im Oktober vom Jugendpolitischen Ausschuss der AGEJD publizierte „Arbeitspapier“: „Friedenspolitik der Bundesrepublik Deutschland“554, auch wenn Adam Weyer, Vorsitzender des Evangelischen Jugendzentrums in Höchst/Odenwald, und Landesjugendpfarrer Günther Berndt beide Texte unterzeichnet hatten. In der AGEJD hatte der Neo-Marxismus noch keine Gedankenhoheit. Das Arbeitspapier richtete sich speziell an die jüngere Generation in der Bundesrepublik und war, wie betont wurde, unabhängig von der Studie der EKD-Kammer entstanden. Im Gegensatz zu dieser wollte es auch „konkrete Einzelvorschläge“ machen, die sich jedoch ausschließlich auf die Politik der Bundesrepublik bezogen. Sie konnten formuliert werden, da der Jugendpolitische Ausschuss weder gesamtdeutsch zusammengesetzt noch politisch so inhomogen wie Rat und Kammer war. In seinen deutschland- und ostpolitischen Passagen lehnte das Arbeitspapier die Fortdauer von Deutschland in den Grenzen von 1937 ab und forderte von der Bundesrepublik die Anerkennung der Grenzen von 1945. Es schloss eine Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands „als Möglichkeit einer ferneren Entwicklung der politischen Verhältnisse in Europa nicht aus [. . .]“, hielt aber eine „formelle Bestätigung der gegebenen Situation, daß es heute zwei souveräne deutsche Staaten gibt“, durch die Bundesrepublik ebenso für notwendig wie ihren Verzicht auf den Alleinvertretungsanspruch gegenüber dritten Staaten. Für den „Unfrieden“ zwischen den beiden deutschen Staaten machte der Jugendpolitische Ausschuss beide verantwortlich. Die innerdeutschen Beziehungen aber sollten sich entspannen, da sie ein Problem für den militärischen und sozialen Weltfrieden darstellten. Deutschlandpolitik war für die Ausschussmitglieder folglich reine Friedenspolitik, ebenso wie die Ostpolitik, die Europapolitik und die Entwicklungspolitik, zu denen das Arbeitspapier ebenfalls konkrete Vorschläge enthielt, die allein dem Frieden dienen sollten. Dem Papier der AGEJD war jedoch ebenso wie dem „evangelischen Sendschreiben“ „Friede mit der DDR“ keine große Resonanz beschieden. Das lag zum einen daran, dass andere Jugend- und Studentenorganisationen schon 1967 neuartige deutschlandpolitische Entwürfe vorgelegt und damit die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten555. Zum anderen hatte im Erscheinungsjahr 1968 die Studentenbewegung in Westeuropa einschließlich der Bundesrepublik ihren Höhepunkt erreicht und die öffentliche – einschließlich der kirchlichen – Aufmerksamkeit auf sich gezogen556. 553 554 555 556

EBD., S. 32. Exemplar in: Aaej HANNOVER, Referat Materialien. W. R. KRABBE, Deutschland, S. 144–161. Zu „68“ im internationalen Vergleich s.: I. GILCHER-HOLTEY, 68er-Bewegung.

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Die deutsche Frage aber stand nicht im unmittelbaren Zentrum des Interesses der revoltierenden Studenten und rückte auch 1968 nicht dorthin. Unter diesem Umstand hatte auch die Rezeption der Friedensstudie der Kammer zu leiden. Und nicht zuletzt erschienen die Thesen „Friede mit der DDR“ zu einem für ihre Intention äußerst ungünstigen Zeitpunkt: Der sowjetischen Intervention in der DSSR. Wegen der inneren Reformen und der außenpolitischen Öffnung waren die Prager Reformkommunisten zunehmend unter den Druck eines harten Kerns des Warschauer Pakts geraten. Die Parteiführungen der Sowjetunion, Ungarns, Polens, Bulgariens und der DDR forderten die Prager Führung ultimativ dazu auf, die Reformen auszusetzen bzw. zurückzunehmen. Sie beriefen sich dabei auf das Prinzip der eingeschränkten Souveränität im sozialistischen Lager, die so genannte „Breschnew-Doktrin“. Die „Fünf“ sahen den Zusammenhalt des „sozialistischen Lagers“ in Gefahr und beendeten schließlich den Reformprozess gewaltsam: Am 21. August 1968 besetzten Truppen des Warschauer Pakts die DSSR. Auch die DDR beteiligte sich an der Intervention. Entgegen der offiziellen Propaganda nahmen Truppenverbände der NVA aber nicht unmittelbar an der Invasion teil, sondern sicherten lediglich den Nachschub und das Hinterland557. Das gewaltsame Ende des Reformprozesses in der DSSR unter der vermeintlichen Teilnahme von NVA-Truppen löste auch in weiten Teilen der DDR-Bevölkerung Enttäuschung und Wut aus. Dort, wo sich lauter Protest artikulierte, kam er vor allem aus der Arbeiterschaft sowie von Jugendlichen558. Auch in den kirchlichen Kreisen, wo das Prager Experiment mit Sympathie sowie Hoffnungen für das eigene Land verfolgt worden war, regte sich Kritik559. „Die Lage in den evangelischen Landeskirchen der DDR nach den militärischen Hilfsmaßnahmen der sozialistischen Länder für die DSSR ist durch eine verstärkte Aktivität reaktionärer Kirchenkräfte und eine relativ breite politische Verwirrung unter kirchlichen Amtsträgern gekennzeichnet“, so hieß es in einer Information der Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED vom 17. Oktober560. Man erklärte sich dies u. a. durch eine aktive Unterstützung der Proteste von Seiten der „westdeutschen EKD“. Eine gemeinsame Kanzelabkündigung zur Besetzung der DSSR sowie ein Protestbrief der ostdeutschen evangelischen Kirchenleitungen an Ulbricht wurden jedoch von Mitzenheim, der zuvor ein „grundsätzliches Gespräch“ mit Seigewasser geführt hatte561, vereitelt562. Öffentlich äußerte sich daraufhin lediglich die Kirchenleitung Berlin-Brandenburg (Ostregion) explizit gegen die Invasion. Ihr Brief an die im ÖRK zusammengeschlossenen Kirchen in der DSSR wurde in den Gottesdiensten verlesen563. In der Bundesrepublik

557 Vgl. R. WENZKE, NVA, S. 115–159, S. 188–205 und L. PRIESS, SED, S. 236–247. 558 Vgl. S. WOLLE, DDR-Bevölkerung, S. 41. 559 Vgl. zur Haltung der Kirchen zu den Ereignissen in der DSSR: G. BESIER, SED-Staat, S. 684–694; DERS., SED-Staat, 1969–1990, S. 24–27. 560 Zitiert nach: SED UND Kirche, Bd. 2, S. 66. 561 H. DOHLE, Grundzüge, S. 39. Vgl. auch G. BESIER, SED-Staat, S. 684f. 562 G. BESIER, SED-Staat, 1969–1990, S. 25. 563 KJ 95, 1968, S. 266f.; G. BESIER, SED-Staat, S. 685–688; DERS., SED-Staat, 1969–1990, S. 25f.

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gab es ebenfalls nur vereinzelt kirchliche Erklärungen zu den Ereignissen in der DSSR564. Einige Monate nach dem gewaltsamen Ende des „Prager Frühlings“ erschien in der Dezember-Ausgabe der Jungen Kirche „eine Stellungnahme“ zu der Friedensstudie der Kammer für öffentliche Verantwortung unter der Überschrift: „Friedensaufgaben der Deutschen in der DDR“565. Sie datierte vom 12. August und trug die Unterschriften von Elisabeth Adler, dem Ökumenischen Referenten der Jugendkammer Ost WolfDietrich Gutsch, dem Studienleiter an der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg Manfred Punge sowie von dem Mathematiker Walter Romberg. Gegenüber Behm, dem sie den Text am 25. September zusandte, erklärte Adler, sie habe auf Grund eigener Unzufriedenheit über die Druckfassung der Studie gemeinsam mit den drei anderen Unterzeichnern versucht, eine Stellungnahme zu erarbeiten566. Diese sei bereits am 12. August abgeschlossen gewesen, doch habe man dann gezögert, den Text aus der Hand zu geben. Die Unterzeichner fürchteten, dass ihre Stellungnahme angesichts der Invasion in der DSSR „für viele sehr mißverständlich sein würde.“ Nach „gründlicher Überlegung“ seien sie jedoch zu dem Schluss gekommen, dass die behandelten Fragen „nicht ihr Recht und ihre Aktualität verloren haben. Wir meinen sogar, daß eine der wesentlichen Wurzeln für die jüngsten Ereignisse in der von uns kritisierten westdeutschen Politik zu suchen ist, die sich unserer Meinung nach gerade auch in der EKD-Studie widerspiegelt.“

Behm zeigte sich über Adlers Vorgehen „zutiefst befremdet“, da sie während der Kommissionssitzungen nie ihren grundsätzlichen Widerspruch artikuliert hatte. Er kritisierte auch ihre Haltung zu den Ereignissen in der DSSR und warf ihr vor, „zumindesten sehr einseitig zu urteilen und einer ganz bestimmten Propaganda zu erliegen“567. In ihrer Stellungnahme betonten Adler, Gutsch, Punge und Romberg die Unterschiede in den Friedensaufgaben der beiden deutschen Staaten und konterkarierten damit den Grundansatz der EKD-Studie. Anstelle der gemeinsamen Friedensaufgaben verwiesen sie auf die zentrale Friedensaufgabe der Deutschen in der DDR: die Konsolidierung ihrer sozialistischen Gesellschaftsordnung in enger Zusammenarbeit mit den anderen sozialistischen Ländern. Dementsprechend ordneten sie der gesamtdeutschen die „gesamtsozialistische“ Verantwortung vor. Ihr Haupteinwand gegen die Studie war, ähnlich wie bei Jacob, dass diese die zentrale Frage nach einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR umgangen hatte. Die Anerkennung aber war nach Ansicht der vier der „erste notwendige friedensfördernde Schritt“, der geeignet war, die „Überwindung der de-facto-Trennung“ einzuleiten568. Die EKD habe

564 Vgl. KJ 95, 1968, S. 112f. 565 JK 29, 1968, S. 689–695. Adler hatte Kloppenburg die Stellungnahme zur eventuellen Veröffentlichung zugesandt. Vgl. ihr Schreiben an Behm, 29.10.1968 (EZA BERLIN, 104/127). 566 EZA BERLIN, 104/127. 567 Behm an Adler, 10.10.1968 (EBD.). 568 JK 29, 1968, S. 691.

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in ihrer Friedensstudie trotz gegenteiliger Erklärung ihre prowestliche Haltung beibehalten. Mit ihrer Prioritätenfolge von sozialistischem Staatsbewusstsein vor gesamtdeutschem Nationalbewusstsein sowie von ideologischen Bindungen vor nationalen stimmten die vier mit der deutschlandpolitischen Linie der SED überein. Von der SED selbst war indes öffentlich so gut wie nichts zur Friedensstudie zu vernehmen. Dies mussten auch die Mitglieder der Unterkommission Deutschlandfrage mit Bedauern feststellen. Sie trafen sich am 26. September noch einmal in Ost-Berlin, um die Reaktionen auf die Studie zu bilanzieren. Elisabeth Adler nahm an dieser Sitzung nicht mehr teil569. Die anwesenden Kommissionsmitglieder beklagten, dass die Friedensstudie in der DDR von offizieller Seite intern abgelehnt und öffentlich weitgehend totgeschwiegen werde. In kirchlichen Kreisen überlagere die Verfassungsdiskussion ihre Rezeption. Von der distanzierenden Stellungnahme von Adler, Gutsch, Punge und Romberg hatten die Kommissionsmitglieder zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis570. Das Echo auf die Studie in der Bundesrepublik wurde als „nicht sehr laut“ qualifiziert571. Die Öffentlichkeit habe sich wenig interessiert gezeigt und zurückhaltend reagiert. Die verantwortlichen politischen Stellen hätten hingegen die Studie sehr stark beachtet. Man könne „nicht von spektakulären Konsequenzen sprechen, wohl aber von einer stillen Wirkung der Studie“. Enttäuschend war für die Kommissionsmitglieder die Diskussion im kirchlichen Raum: Sie hatte sich auf die theologische Grundsatzfrage konzentriert, inwieweit die Kirche zu politischen Fragen Stellung nehmen dürfe. Eine umfassende deutschlandpolitische Diskussion war nicht Zustande gekommen. Aus dem Echo auf die Friedensstudie allein erwuchs demnach für die Kommission noch keine neue Aufgabe. Dennoch wünschten ihre Mitglieder, dass die gemeinsame Kammerarbeit fortgeführt wurde, trotz der bereits absehbaren Verselbstständigung der ostdeutschen Gliedkirchen. Die weitere Entwicklung vereitelte jedoch diese Absicht. Während die SED und ihre Presse die Friedensstudie auch weiterhin mit Nichtbeachtung straften, widmete die Ost-CDU ihr einen Absatz in dem im Oktober 1968 erschienenen „Blaubuch“: „CDU/CSU – Kreuzritter des Kapitals“. Darin hieß es, die Studie der EKD sei eine „Art kirchlicher Versuchsballon“ für die „Modifizierung der Bonner Alleinvertretungsanmaßung“572. Die „Infiltrations-Broschüre“ solle die Christen in der DDR in ihrem Engagement für „die konstruktiven Vorschläge ihrer Regierung hinsichtlich einer Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten irritieren und damit zugleich ihre Bereitschaft schwächen, sich gemäß der neuen sozialistischen Verfassung der DDR als Bürger eines souveränen sozialistischen Staates deutscher Nation zu verstehen und zu bewähren.“573 569 Adler an Behm, 25.9.1968 (EZA BERLIN, 104/127). 570 Behm erhielt Adlers Brief erst am 27.9. und sandte die Stellungnahme am 10.10. an die ostdeutschen Mitglieder und Gäste der Unterkommission weiter (EZA BERLIN, 2/1489). 571 Aktenvermerk von Behm über die Sitzung (EZA BERLIN, 104/127). 572 CDU/CSU, S. 109. 573 EBD., S. 110.

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Die Friedensaufgaben (1965–1968)

Am 4. Januar 1969 veröffentlichte die Ost-CDU zudem in ihrem Zentralorgan „Neue Zeit“ die Stellungnahme von Adler, Gutsch, Punge und Romberg zur Friedensstudie. In dem begleitenden Artikel wurde die Erklärung der „Gruppe kirchlicher Persönlichkeiten aus der DDR“ wohlwollend kommentiert und im eigenen Sinne interpretiert. Die vier, so hieß es dort, hätten „einen wertvollen Beitrag zur weiteren Demaskierung der westdeutschen ‚EKD‘-Führung als einer klerikalen Hilfstruppe der Kiesinger und Strauß“ geleistet574. Aus der Art der Einordnung der Studie im „Blaubuch“ wie in der „Neuen Zeit“ wurde deutlich, dass die Ost-CDU in der gesamtdeutschen EKD und ihren Äußerungen nurmehr einen Störfaktor der Deutschland- und Kirchenpolitik der DDR zu sehen vermochte, den es durch die Abtrennung der ostdeutschen Gliedkirchen auszuschalten galt.

574 Eberhard Klages: ‚Friedensstudie‘ à la Strauß. Kritische Stellungnahme von Christen unserer Republik gegen eine ‚EKD‘-Denkschrift. In: NZ, 4.1.1969, S. 5.

ZumSelbstverständniszwischenOstundWest DieFriedensaufgaben(1965–1968)

4.2 Die bedrohte kirchliche Einheit – Klärungen zum Selbstverständnis zwischen Ost und West 4.2.1 Brüchige Einheit Seit dem Mauerbau kam die Diskussion um Erhalt und Gestalt der gesamtdeutschen Strukturen im protestantischen Raum nicht mehr zur Ruhe. Angesichts des innerdeutschen Konflikts und der Kirchenpolitik der DDR, aber auch der weltpolitischen Lage und der Entwicklungen in der Ökumene wuchs zum Teil die Notwendigkeit, zum Teil auch der Wunsch, das eigene Selbstverständnis im gespaltenen Deutschland neu zu definieren. Das Interpretationsspektrum der institutionellen kirchlichen Einheit reichte dabei von einer Theologisierung bis zu einer Politisierung. Letzteres war vor allem in den Studentengemeinden vorzufinden. Auf einer Konferenz der Partnerreferenten der westdeutschen Studentengemeinden referierte am 30. Januar 1965 Martin Schröter über „Partnerschaft innerhalb der ESGiD“1. Der Vertrauensratsvorsitzende konzentrierte sich in seinem Vortrag auf zwei Fragen: Zum einen, ob es zwischen den Studentengemeinden in der Bundesrepublik und der DDR gemeinsames Handeln im theologischen und politischen Bereich gab, und zum anderen, welches die politische Funktion sei, die sie im Festhalten an der Einheit wahrnahmen: „Etwa Dienst an der Wiedervereinigung?“2 Schröter empfahl der ESGiD, sich „inmitten des Schemas eines gegensätzlichen gesellschaftlichen und politischen Lebens“ in die „Brennpunkte der Gegensätze“ hineinzustellen und „dort – als Struktur! – Freiheit zu leben und Liebe zu üben“3. Die Voraussetzung, als „institutionelle Verklammerung der Gegensätze“ wirksam werden zu können, war für ihn jedoch das gesellschaftliche und politische Engagement am „eigenen Ort“4. In welche Richtung dies in der Deutschlandfrage gehen sollte, machten seine Ausführungen zur „Wiedervereinigung“ deutlich. Die „Idee“ der Wiedervereinigung, die er als „zu perfektionistisch, zu nationalistisch, einfach: zu reaktionär“ bezeichnete, blockierte seiner Ansicht nach eine „innereuropäische Neuordnung der Zukunft“. Schröter empfahl daher den Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR, eine neue gemeinsame Aufgabe anzugehen, die nicht auf die Eigenstaatlichkeit als Ziel hinauslief: eine Aufgabe „an den anderen: an den Nachbarvölkern, an Europa (das nicht an Elbe und Werra, auch nicht an Oder und Neiße endet), eine Aufgabe des Friedens!“ Nur an einer solchen neuen Aufgabe könne sich unter Umständen auch eine neue Einheit der Deutschen bilden, wobei es Schröter für sekundär hielt, ob diese Einheit auch eine gemeinsame Staatlichkeit ermöglichte. Frieden sollte die neue, identitätsstiftende gemeinsame Auf1 2 3 4

Abdruck in: G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 240–250. EBD., S. 241. EBD., S. 250. EBD., S. 247.

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gabe der Deutschen jenseits der Nationalstaatlichkeit sein, erklärte der CFK-Anhänger bereits drei Jahre vor Erscheinen der Friedensstudie der EKD-Kammer. Im Sinne dieser „Revolution aus dem Geist für den Frieden“ sollte um des Friedens und der Menschen willen die DDR politisch aufgewertet und dies der bundesdeutschen Bevölkerung auch offen gesagt werden, so lautete Schröters deutschlandpolitische Forderung. Mit seinen Ausführungen zur Einheit der ESGiD und zur „Wiedervereinigung“ stieß Schröter bei Martin Fischer auf heftige Kritik5. Dieser blieb bei der Position, die er bereits seit Kriegsende vertrat: „Sowohl die nationale Gemeinschaft, die natürlich zunächst vorauszusetzen ist, und von der man sich nicht ohne weiteres dispensieren darf, wie die Einheit einer EKD sollten der westlichen und der östlichen Ideologisierung wehren.“ Auch wenn angesichts der Entwicklung der vierziger und fünfziger Jahre die „Verantwortungsbereiche der Deutschen in Ost und West“ von der Kirche anerkannt werden mussten, was er mit seiner „Obrigkeitsschrift“ zu erreichen versucht hatte, so sollte doch das „Hineinintegriertwerden in den Westen und Osten“ nach Fischers Ansicht weiterhin abgelehnt werden. Das „Aufgeben der nationalen gegenseitigen Verpflichtung und des gemeinsamen kirchlichen Weges“ war für ihn gleichbedeutend mit der „Niederlage vor den östlichen und westlichen Positionen“. Der Vorwurf, das Festhalten an der Einheit sei „perfektionistisch, nationalistisch, reaktionär“, widerrief für Fischer „das, was von Niemöller bis Heinemann und Scharf als Dienst an Menschen durchgehalten worden ist, so kräftig“, wie er es bisher nur von Bassarak gekannt hatte. Schröters Ansatz, durch eine „deutliche Abmeldung der nationalen Fragestellung und der Frage der Einheit der EKD ein entspannendes Aufeinanderzugehen von West und Ost“ zu erreichen, hielt der Berliner Theologe für völlig verfehlt. Beide Teile Deutschlands könnten gar nicht umhin, „im ideologisch bestimmten Bereich von Ost und West zu leben und dies ideologisch zu rechtfertigen, nachdem sie die einzige Chance der Ent-Ideologisierung, die im Nationalen und Kirchlichen gelegen hat, ausgeschlagen haben“, argumentierte er. Die Ideologen in West und Ost hätten sich längst mit dem neu aufgeblühten Nationalismus in Ost- und Westeuropa verbündet, der nur im geteilten Deutschland „in 2 Formen auftreten“ dürfe. „Man nützt und heizt an, was man gleichzeitig negiert“, lautete Fischers Analyse. In dieser Situation von Frieden zu reden, stand für ihn unter vielfacher Belastung. Es habe nur dann Sinn, „wenn man dies als Situation von Not und Schuld realpolitisch als die uns gestellte Aufgabe ansieht.“ Man dürfe es aber, so mahnte er, „um Gottes willen nicht umfälschen zu dem Heilsereignis, daß man endlich von Reaktion, Perfektionismus, Nationalismus und dergleichen freigekommen ist und nun ohne alle Illusionen sich für interessant halten darf – bei erleichterten Positionen – im revolutionären Sinn für globale Entspannung.“ Fischer wertete dies als „zu ideologisiert“, als ein „echt deutsches Ausweichen vor der Sachproblematik in eine neu rechtfertigende Illusion.“ Aus seinen pointierten Ausführungen wurde deutlich, dass Fischer nicht gewillt war, die Kehrtwende mit zu vollziehen, die mancher Protestant während der

5 Fischer an M. Schröter, 15.5.1965 (EZA BERLIN, 606/86).

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sechziger Jahre vollzog: Galt in den fünfziger Jahren der Einsatz für die politische und kirchliche Einheit als Beitrag für den Frieden, votierte man nun aus entspannungspolitischen Motiven für die Anerkennung der Zweistaatlichkeit und stellte z. T. auch die organisierte Kirchengemeinschaft zwischen Ost und West in Frage. Letzteres hatte allerdings Schröter – noch – nicht getan. Im Februar thematisierte der Vertrauensrat in einer Sondersitzung die Einheit der ESGiD „zwischen Ost und West, zwischen Ökumene und Nation“6. Die Sitzung war anberaumt worden, da vor allem in der Bundesrepublik sowohl aus den Gemeinden als auch aus dem hochschulpolitischen Raum Anfragen an das Einheitsverständnis der ESGiD gestellt worden waren. Dies geschah zumeist im Rahmen von Diskussionen über Deutschlandpolitik und über FDJ-Kontakte7. Ziel der außerordentlichen Sitzung war es, grundsätzlich zu klären, was mit der gemeinsamen Verantwortung in verschiedenen politischen Bereichen, wie es im Einheitsmemorandum von 1960 geheißen hatte, gemeint war und welche Konsequenzen sich daraus insbesondere für das „politische Zeugnis“ der Studentengemeinden ergab8. Denn das politische Engagement nahm im Laufe der sechziger Jahre einen immer größeren Stellenwert innerhalb der Arbeit vor allem der westdeutschen Studentengemeinden ein. Hinsichtlich der „politischen Implikationen“ des Einheitsverständnisses der ESGiD meinte Generalsekretär Rohrbach bereits im Vorfeld der Sitzung, dass es nicht möglich sei, diese Einheit als eine rein innerkirchliche Angelegenheit zu betrachten, die mit dem politischen Verhältnis der beiden deutschen Staaten nichts zu tun habe9. Andererseits könne es nicht darum gehen, dass der Vertrauensrat in einer öffentlichen Erklärung zwei oder drei deutsche Staaten „anerkenne“. „Irgendwo dazwischen liegt die Linie unseres politischen Zeugnisses im geteilten Deutschland“, schrieb er an Schröter. Letzterer hatte neben Erich Hoffmann auf der Vertrauensratssitzung in Berlin-Weißensee das Eingangsvotum abzugeben10. Schröter wiederholte seine Aussagen vom Januar, und Hoffmann stimmte ihm in seinen deutschlandpolitischen Überlegungen zu. Auch für ihn war „Wiedervereinigung“ keine „diskutable Vokabel“ mehr. Die beiden Teile Deutschlands müssten in erster Linie an der Völkerversöhnung und der Friedenssicherung mitarbeiten und sich so als „Nation bewähren“, der aus diesem gemeinsamen Bemühen heraus eines Tages als etwas „Zweites“ die Einheit zufalle. Die Studentengemeinden sollten die ihnen an den Hochschulen durch das Zusammenleben mit Marxisten und Atheisten gegebene Chance nützen, in diesem Sinne zu wirken. Auch in der nachfolgenden Diskussion herrschte weitgehend Konsens11. Abweichende Meinungen ka6 Einladungsschreiben von Glöckner an Krummacher vom 23.10.1964 (EZA BERLIN, 141/99/89a). 7 Vgl. Rohrbach an M. Schröter, 16.2.1965 (EZA BERLIN, 36/86/86). 8 Vgl. Einladungsschreiben Rohrbachs an die westdeutschen Mitglieder des VR der ESGiD, 4.11.1964 (EZA BERLIN, 36/395). 9 Rohrbach an M. Schröter, 16.2.1965 (EZA BERLIN, 36/86/86). 10 Aufzeichnungen zu den Beratungen des VR der ESGiD am 20./21.2.1965 (EZA BERLIN, 141/99/89a). 11 An ihr nahmen teil: Aichelin, Althausen, Hausmann, Hilke, Hirte, Hoffmann, Glöckner, Grengel, Keller, Klein, Krummacher, Rohrbach, M. Schröter, Tannert, Thadden, Wintermann.

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men nur von Mitgliedern aus der jüngeren Generation. Die Äußerung eines ostdeutschen Studenten, er sehe keinen Grund für Kontakte mit der Bundesrepublik im Rahmen einer „irgendwie verstandenen ‚Einheit‘“ – „Was Westdeutschland betrifft, ist Außenpolitik!“ – blieb in dieser Schärfe allerdings eine Einzelmeinung. In Bezug auf die Einheit der ESGiD vertrat Krummacher als Vertreter der älteren Generation die Ansicht, dass die Trennung auf beiden Seiten eine geistige Verarmung bedeuten und den Zwiespalt zwischen den beiden deutschen Staaten noch vertiefen würde. Aufgabe der Christen sei es, der deutsch-deutschen Hasspropaganda entgegenzuwirken. Der Bischof sah keinerlei Anlass dazu, die Form der Zusammenarbeit in der ESGiD zu verändern. Der westdeutsche Student Paulander Hausmann forderte hingegen, dass die „Einheit“ der ESGiD „entideologisiert“ werden müsse, der Terminus sei „unglücklich“ gewählt, die Gemeinsamkeit liege in einer partnerschaftlichen Form. Auf Wunsch der Mitglieder des Vertrauensrats informierten die Vorsitzenden Schröter und Hoffmann in einem längeren „persönlichen“ Brief die beiden Beiräte sowie Einzelpersonen über Verlauf und Ergebnis des „Gedankenaustausch[s] über die politische Funktion und Aufgabe der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland“12. Bereits im Memorandum von 1960, so hieß es in dem von Schröter verfassten und vom Vertrauensrat autorisierten Brief13, habe die ESGiD eine dynamisch-funktionale Auffassung von „Einheit“ vertreten. Der Vertrauensrat sähe daher keinen Anlass, ein neues „Einheitsmemorandum 65“ zu verfassen. Er habe sich sowohl gegen eine Namensänderung in „Evangelische Studentengemeinden in Deutschland“ als auch gegen eine „Strukturverwandlung“, d. h. Trennung, ausgesprochen. Diese Entscheidung sei gefallen, obgleich in manchen Gemeinden keinerlei Verständnis für die Gesamtarbeit existiere und „viele von uns“, vor allem aber Schröter selbst, die Studentengemeinde in ihrer Einheitspraxis gerade nicht „auf der Bahn und nicht im Windschatten“ der EKD „leben und laufen sehen“ wollten. Ein Schwerpunkt in der Diskussion des Vertrauensrates war die Frage gewesen, wie die Studenten zu den Begriffen „Volk, Nation, Vaterland“ standen. Der Brief gab den Diskussionsgang hierzu wie folgt wieder: Dort, wo die Begriffe benutzt würden, seien sie Frucht von Ressentiments, „Götzen, um die Denkfaulheit zu füllen“ (Hoffmann) oder Begleiterscheinung eines „künstlich hochgezüchteten Heimatbewußtseins“ (Thadden). Wo diese Werte fehlten, stehe an ihrer Stelle Ratlosigkeit gepaart mit politischem Desinteresse oder aber eine „verkrampfte Vaterlandsideologie“ wie die der SED. Es fehle auf beiden Seiten „ein gesundes Staatsbewußtsein“, in der DDR gebe es dieses allenfalls als „Trotzhaltung“ gegenüber Westdeutschland. Eher seien die alten Länder Bezugsgrößen, was auch für den kirchlichen Bereich gelte, wo die gesamtkirchlichen Zusammenschlüsse EKD und ESGiD für viele junge Menschen keine Anziehungskraft besäßen. Von daher sei es auch nicht verwunderlich, hieß es in dem Brief, dass die Wiedervereinigung offen in Frage gestellt werde. Bei der jungen Generation sei dies einerseits die Folge eines man-

12 EZA BERLIN, 141/99/89a. 13 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 2./3.5.1965 (EZA BERLIN, 36/547).

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gelnden Geschichtsbewusstseins, andererseits aber auch durch einen unbewussten „Hunger nach Zukunft“ motiviert. „In die Offenheit der gegenwärtigen politischen Situation muß die gemeinsame Arbeit am Frieden treten“, gab Schröter als Konsens des Vertrauensrats wieder. „Vor Ort“ sollten die Studentengemeinden von der älteren Generation ein Schuldbekenntnis einfordern, die Kirche nach ihrem Weg seit 1945 befragen, die „kritische Hilfe“ aus der Ökumene und der CFK annehmen sowie sich von Andersdenkenden an den Hochschulen Anstöße geben lassen. Und natürlich waren „Stellungnahmen zu wichtigen innen-, außen- und hochschulpolitischen Problemen nicht zu vergessen.“ Auch die „partnerschaftlichen Kontakte“ zwischen den Einzelgemeinden wurden unter dem Gesichtspunkt des politischen Engagements gesehen. Bei ihnen handelte es sich laut Schröters Brief „um eine ökumenische Verbundenheit sui generis“, ein Begriff, der im Sitzungsprotokoll nicht auftauchte. Als praktische Möglichkeiten, wie die Partnergemeinden ihren Auftrag als Christen „im Dienst an der Einheit in der Situation der politischen Getrenntheit“ konkretisieren konnten, wurden aufgezählt: Informationen austauschen und an Dritte weitergeben, den Dialog mit den Marxisten und über den Marxismus innerhalb und außerhalb der Gemeinden pflegen, eine innerkirchliche politische Aufklärung betreiben sowie die Friedensarbeit „theologisch, politisch und in praktischen Diensten“ aufnehmen. Damit war die „Einheit und Partnerschaft in der ESGiD“ ganz nach Schröters deutschland- und friedenspolitischen Vorstellungen interpretiert worden. Bis zur Trennung der ESGiD wurde diese Form der Einheit von den Vertretern der Gesamtarbeit als „Modell“ für christliche Ost-West-Gemeinschaft verstanden. In diesem Verständnis referierten 1966 Jürgen Hilke vor der Leiterkonferenz Kirchlicher Bruderschaften14 und Klaus Uhde vor dem Gesamtkirchlichen Ausschuss der AGEJD15. 1968 sollte dann die Trennung zum „Modellfall“ werden. In der EKD bemühte man sich 1965 ebenfalls, die institutionelle Kircheneinheit von nationalpolitischen Implikationen zu befreien, allerdings nicht im Sinne eines deutschlandpolitischen Statements. Ihren Vertretern ging es in erster Linie um den Erhalt der kirchlichen Gemeinschaft. Die letzte EKD-Synode mit ostdeutscher Beteiligung hatte 1961 stattgefunden. Angesichts dieser Tatsache sprachen sich die ostdeutschen Ratsmitglieder im Juni 1964 dafür aus, dass im Folgejahr gemäß dem Betheler „Kirchengesetz über Synodaltagungen in besonderen Fällen“ eine Synode der EKD in zwei Teilen stattfinden sollte16. Um nichts unversucht zu lassen, fragte Krummacher im Oktober beim Staatssekretär für Kirchenfragen an, ob 1965 eine EKD-Synode in der DDR veranstaltet werden könne. Er tat dies mit dem Hinweis, dass eine solche gesamtdeutsche Synode in Halle oder Leipzig „durchaus auch förderlich für das politische Anliegen der D.D.R. sein könnte“17. Wie zu erwarten, lehnte Seigewasser ab. 14 15 16 17

Vortrag auf der Leiterkonferenz am 1./2.6.1966 (EZA BERLIN, 650/95/36). Anlage zum Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 20./21.9.1966 (Aaej HANNOVER, GKR). Niederschrift über die Sitzung des Ostrates am 2.6.1964 (EZA BERLIN, 104/40). Auszug aus dem kirchlichen Vermerk über die Sitzung am 2.10.1964 (EZA BERLIN, 104/60).

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Zuvor müsse das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten „normalisiert“ werden, wobei die westdeutschen Kirchenvertreter „hilfreich tätig werden“ könnten, argumentierte er strikt im Tenor des Wartburggesprächs. Somit war klar, dass die Synode der EKD erstmals in zwei getrennten Tagungen zusammentreten musste. Vier Wochen bevor dies geschah, beschloss das Sekretariat des ZK der SED einen Maßnahmenkatalog18: Danach durfte niemand aus der Bundesrepublik oder West-Berlin am ostdeutschen Tagungsteil teilnehmen. Die Medien sollten weder vor noch während der Tagung Meldungen oder Kommentare veröffentlichen. Die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen hatte eine „Argumentation“ auszuarbeiten und darin die „antihumanistische bzw. zwiespältige Haltung der westdeutschen EKD-Führung, vor allem zur MLF, zu den Plänen eines Atomminengürtels und zur Verjährung der Naziverbrechen“ nachzuweisen sowie den Bemühungen „aller christlicher Friedenskräfte“ gegenüber zu stellen. Weiter hatte sie zu begründen, „daß auch die in Bethel formulierte militärkirchliche Hallstein-Doktrin, daß die EKD die alleinige Vertreterin aller Kirchen in beiden deutschen Staaten sei, gescheitert ist.“ Auf der Grundlage dieser Argumentation sollten Gespräche mit Krummacher sowie einzelnen Synodalen aus der DDR geführt werden und in der „Neuen Zeit“ sollte kurz vor Tagungsbeginn ein Kommentar ohne Bezugnahme auf die westdeutsche Synodaltagung erscheinen. In örtlich getrennten Sitzungen fand vom 21. bis 24. bzw. 25. März in Magdeburg sowie in Frankfurt am Main die 3. Tagung der 3. Synode der EKD statt. Ihr Hauptthema „Wort Gottes und Heilige Schrift“ war betont unpolitischer Natur. Um eine „Politisierung der Synodalverhandlungen“ zu vermeiden, hatte es auch die Kammer für öffentliche Verantwortung unterlassen, die Ostdenkschrift vor die Synode zu bringen19. Auf Wunsch der Ratsmitglieder aus der DDR wurden zudem Fragen der Militärseelsorge, mit deren vertraglicher Regelung sich die EKD laut DDR-Propaganda ja selbst gespalten hatte, auf der Synode so weit wie möglich ausgespart20. Das Experiment der Parallelsynode sollte um jeden Preis – hier den der Entpolitisierung – gelingen, auch als Probe für die zwei Jahre später anstehende Ratswahl. Die Verhandlungen begannen mit dem Tätigkeitsbericht des Rates, den Scharf in Frankfurt und Krummacher in Magdeburg gab. Da die ostdeutschen Kirchenvertreter nicht bereit gewesen waren, „programmatische Äußerungen der Synode zur EKD zwischen Ost und West ins Auge zu fassen“, übernahm Scharf diese Aufgabe21. Dass überhaupt zum Selbstverständnis der EKD als gesamtdeutsche Institution Stellung genom18 Abdruck von Protokoll und Vorlage vom 24.2.1965 in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 434f. 19 Niederschrift über die Ratssitzung am 4./5.2.1965 in Berlin (EZA BERLIN, 2/1357). 20 Auszug aus der Niederschrift über die Begegnung der Ratsmitglieder aus Ost und West am 3.12.1964 (EZA BERLIN, 104/65) und Niederschrift über die gemeinsame Besprechung des Rates der EKD am 4.2.1965 (EBD., 2/1784). Bereits am 11.3. versicherte Puttfarcken den Ratsmitgliedern, dass er versuchen werde, die Fragen nach der Militärseelsorge abzufangen, indem er schon bei der Eröffnung eine Arbeitstagung in Aussicht stellen werde (EBD., 04/40). Die westdeutsche Arbeitstagung der Synode fand dann im November statt. 21 Vgl. Wilkens an Raiser, 30.10.1964 (EZA BERLIN, 2/1357). Wilkens hatte auf der „Bornholm“ u. a. mit Hildebrandt und Fränkel gesprochen und obige Auskunft erhalten.

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men wurde, geschah auf Vorschlag der westdeutschen Mitglieder der Kammer für öffentliche Verantwortung22. Auf der Vollsitzung der Kammer Mitte Dezember 1964 war dann das Thema in Ost-Berlin vorbesprochen worden. Dabei hatten die ostdeutschen Mitglieder gebeten, den Zusammenhalt der EKD „nicht nur nicht politisch zu begründen, sondern dazu auch keinen Vorwand zu geben.“23 Die Initiative, das Einheitsverständnis der EKD zu thematisieren, kam demnach aus der Bundesrepublik, der Wunsch, diese Einheit dabei zu entpolitisieren, aus der DDR. In seinem Bericht versuchte Scharf im Selbstverständnis der EKD als Kirche im Spannungsfeld zwischen zwei deutschen Staaten neue Akzente zu setzen. Dazu erklärte er zunächst, was die EKD in seinen Augen nicht war: „Die Evangelische Kirche in Deutschland ist nicht ein Restbestand alter nationaler Einheit noch ein Vorgriff auf die politische Wiedervereinigung, noch auch kann sie Sprecherin sein für eine bestimmte Zuordnung der beiden deutschen Teile zueinander, wie das etwa in dem in mancher Hinsicht bedeutsamen Wartburg-Gespräch zwischen dem Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht und dem Thüringer Landesbischof D. Moritz Mitzenheim angeklungen ist.“24

Mit dieser dezidierten Abgrenzung der kirchlichen Einheit von westdeutschen Wiedervereinigungsvorstellungen nahm Scharf Abschied von der national(staatlich)en Klammerfunktion der EKD und zog damit einen endgültigen Schlussstrich unter die Ära Dibelius. Er tat dies aus innerer Überzeugung, aber auch, um die EKD vor weiteren deutschlandpolitischen Verdächtigungen der DDR-Spitze zu schützen und den ostdeutschen Kirchen den Umgang mit ihrer Staatsführung zu erleichtern. Diese hatte jedoch gar kein Interesse, den Wandel im Selbstverständnis der EKD zur Kenntnis zu nehmen. Scharf sprach sich in seinem Bericht indessen auch gegen eine deutschlandpolitische Instrumentalisierung der EKD bzw. ihrer ostdeutschen Gliedkirchen durch die DDR aus und setzte sich somit gegen politische Beanspruchungen von beiden Seiten zur Wehr. Ebenso wie eine politische Auslegung der Gemeinschaft der EKD lehnte er auch deren theologische Überbewertung ab, d. h. ihre Interpretation vom dogmatischen Verständnis der Kirche und dem Wesen ihrer Einheit her. Ihre Einheit sei kein Lehrsatz des Bekenntnisses, keine „über die Zeiten hin gültige Glaubensaussage“. Anschließend nannte Scharf Gründe für ein Festhalten an der Einheit der EKD: „Aber die Evangelische Kirche in Deutschland ist Kirche über Grenzen hinweg, eine rechtliche und eine geistliche Wirklichkeit. Tritt ihre Synode, das höchste Organ ihrer Leitung, zu einer einheitlichen Tagung zusammen, so ist das ein Akt des Gehorsams gegen Gott, der uns die Gabe und den Wert unserer Einheit belassen, ja neu anvertraut hat. [. . .] Wir meinen, daß unser Tun und Planen die uns anvertraute Gabe, eine Kirche in Gebieten verschiedener gesellschaftlicher Struktur, verschiedener wirtschaftlicher und politischer Ordnung zu sein, recht gebraucht hat. Der von Gott uns zugewiesene Ort unserer Existenz hat der Predigt 22 Kurzprotokoll über die Sitzung der KföV am 2./3.10.1964 (EZA BERLIN, 2/1357). 23 Kurzprotokoll über die Sitzung der KföV am 18.12.1964 (EBD.). 24 FRANKFURT – Magdeburg 1965, S. 7.

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unserer Kirche und ihrem gesellschaftlichen und politischen Dienst die Gelegenheit, die ‚Chance‘, geboten, den Menschen zu zeigen, wie sie ‚auf einander zu‘ denken sollen, und zwar nicht nur den Menschen, die Glieder unserer Kirche sind, sondern den Menschen in den getrennten Lagern der Welt von heute.“25

In der Deutung der zu praktizierenden EKD-Einheit als „Akt des Gehorsams gegen Gott“ spiegelte sich die Erfahrung des Kirchenkampfes und der unmittelbaren Nachkriegszeit wider, die Scharfs Denken und Handeln stark bestimmten. Er verstand die 1948 erreichte Gemeinschaft als gnädiges Geschenk Gottes, das nicht aus äußeren Gründen preisgegeben werden durfte. Nach der Barmer Erklärung leitete sich die Kirche aus eigenem Recht her und durfte daher ihr Recht und ihre Gestalt nicht ohne aus ihr selbst kommende legitime Gründe an staatliche Forderungen anpassen. Positiv begründete der Ratsvorsitzende den Erhalt der Ost-West-Gemeinschaft in der EKD vom Dienst der Kirche am gespaltenen Europa und Deutschland her. Er versuchte nachzuweisen, dass die Wahrung des kirchlichen Zusammenhalts zwischen Ost- und Westdeutschland noch immer zu den wichtigsten kirchlichen und geschichtlichen Aufgaben der EKD gehörte. Denn nach Scharfs Ansicht übernahm die EKD eine Brückenfunktion im Systemkonflikt, war sie in ihrer Existenz ein Zeugnis des „Aufeinander-zu-Denkens“ in die beiden antagonistischen Gesellschaften hinein. Dem Ratsvorsitzenden ging es demnach nicht um eine völlige Entpolitisierung des Zusammenhalts der EKD, sondern vielmehr um die Befreiung ihrer Einheit von politischen Fremdzuschreibungen, die jedoch in früheren Jahren auch Selbstbeschreibungen waren. In der Ära Scharf aber erlangte das friedenspolitische Brückenkonzept anstelle des nationalpolitischen Klammerkonzepts die Deutungshoheit. Die konservative Presse in der Bundesrepublik wollte diesen Rollenwandel jedoch nicht ohne weiteres akzeptieren. So hieß es in der „Welt“ am 22. März: „Die Kirche ist noch immer eine der Klammern, die unser Volk über die Zonengrenze hinweg zusammenhält. Das gilt, auch wenn die Kirche sich selbst, wie Präses Scharf es gestern formulierte, weder als einen ‚Restbestand alter nationaler Einheit‘ noch als einen ‚Vorgriff auf die politische Wiedervereinigung‘ betrachtet. Der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche mag für seine zurückhaltenden Worte triftige Gründe haben. Aber sie ändern nichts daran, daß die Einheit der Kirche auch für die deutsche nationale Existenz ein Element der Hoffnung bleibt.“26

Auf der Synode erhielt Scharf für seine programmatischen Äußerungen zur Einheit der EKD die Unterstützung des Berichtsausschusses. Dessen Vorsitzender Raiser ergänzte allerdings die Ausführungen des Ratsvorsitzenden um die Forderung nach mehr Freiheit und Freizügigkeit für die Kirchen und die Menschen im geteilten Deutschland27. In seinem Bericht vor der ostdeutschen Teilsynode in Magdeburg nahm Krumma25 EBD., S. 7f. 26 Presseausschnitt (EZA BERLIN, 104/70). 27 FRANKFURT – Magdeburg 1965, S. 188.

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cher Scharfs Ausführungen z. T. wörtlich auf, setzte aber auch eigene Akzente. Der Greifswalder Bischof betonte gleichermaßen die Einheit der EKD sowie die Freiheit ihrer west- und ostdeutschen Teile. Im Hinblick auf die kirchliche Gemeinschaft verwies er auf die rechtlichen Bindungen sowie auf die „innere geistliche Verpflichtung“. Wie schon im Kreis des Vertrauensrats der ESGiD sprach er von der „unvorstellbare[n] Verarmung des geistlichen und kirchlichen Lebens in beiden Teilen Deutschlands“, die eingetreten wäre, wenn die Gliedkirchen der EKD „voneinander gelassen hätten“28. Er hob aber hervor, dass die Einheit nur bewahrt werden könne, wenn insbesondere bei der Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung „einer dem andern die Freiheit gibt, jeweils unter seinen besonderen gesellschaftlichen, sozialen und staatspolitischen Verhältnissen in der Bindung an das eine Evangelium eigene Beschlüsse zu fassen.“ Als Referenz an die Einheit fügte er hinzu: „Bei jeder selbständigen Entscheidung des Einen ist immer die Frage nach dem Anderen mit darin.“ Krummacher hob nicht von ungefähr das kirchliche Handlungsfeld der „Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung“ besonders heraus. Denn angesichts der divergierenden politischen Systeme in beiden deutschen Staaten wurde der Spagat, in die jeweilige Gesellschaft hineinzuwirken und gleichzeitig die EKD als Gemeinschaft der ost- und westdeutschen Kirchen zu erhalten, immer schwieriger. Zugleich war es auch der Bereich, in dem der Prozess einer inneren Entfremdung auf Grund der verschiedenen Problemlagen im jeweiligen Kontext sich am stärksten vollzog und man die Grenzen des gemeinsamen Redens und Handelns am stärksten wahrnahm. Da gemeinsame Stellungnahmen kaum noch möglich waren, hatte sich gerade hier bereits früh eine regionale Selbstständigkeit in der kirchlichen Einheit entwickelt, ohne dass dies aber rechtlich geregelt worden war. Denn in der DDR war es nicht ein Ost-Rat der EKD, der zu gesellschaftlichen Themen Stellung nahm, sondern die KKL, die kein Organ der EKD war. Sie hatte sich z. B. 1961 zum „Gesetzbuch der Arbeit“, 1962 zu den Fragen der Wehrdienstverweigerung und des Fahneneides sowie 1963 zum Jugendgesetz geäußert; sie hatte im März 1963 die „Zehn Artikel über Freiheit und Dienst der Kirche“ verabschiedet und im Oktober 1964 ihre Meinung zum Entwurf eines einheitlichen sozialistischen Bildungssystems kund getan. Der Rat der EKD, de facto aber seine westlichen Mitglieder, hatte im gleichen Zeitraum für die Bundesrepublik 1961 zur Bundestagswahl und zum Wehrpflichtgesetz Stellung genommen, 1962 zu Fragen der so genannten „Contergan-Kinder“ und zur Eigentumsfrage, 1963 zu den NS-Verbrecherprozessen, 1964 zur „moralischen Entartung“ im öffentlichen und privaten Leben (Wort zum Buß- und Bettag) und 1965 zur Neuordnung der Landwirtschaft. Die Synode der EKD hingegen war um des Erhalts der kirchenorganisatorischen Einheit willen in politischen Fragen gelähmt, beschlussfähige Regionalsynoden existierten nicht. Es gab somit keine Möglichkeit, sich mit den Dingen des eigenen gesellschaftlichen Bereichs auseinanderzusetzen bzw. die Tätigkeit der KKL zu erörtern und die von ihr an staatlichen Maßnahmen geübte Kritik synodal zu be-

28 EBD., S. 213.

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kräftigen. In kirchlichen Kreisen der DDR wurde diese Situation zwar als unbefriedigend empfunden, aber auch hier vermochte man „keine neuen Wege zu zeigen“29. Die Gegenstände der genannten kirchlichen Erklärungen machen deutlich, dass die Fragen und Probleme, welche die jeweilige kirchliche Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, stark differierten. Völlig unterschiedlich waren allerdings auch die Rahmenbedingungen und Spielräume für kirchliche Äußerungen, die einerseits im demokratischen Verfassungsstaat der Bundesrepublik und andererseits im Weltanschauungsstaat der DDR mit seinem totalitären Steuerungs- und Kontrollanspruch erfolgten. Folglich handelte es sich bei den Stellungnahmen der KKL auch nicht um öffentliche Verlautbarungen, sondern um Eingaben an die Regierung, die nach geraumer Zeit Pfarrern und Gemeinden bekannt gegeben wurden, wobei man in den einzelnen Kirchen verschieden verfuhr. Darauf konnte Krummacher in seinem Plädoyer für kirchliche Eigenständigkeit in der Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung aber ebenso wenig eingehen wie auf den Zwang zum selbstständigen Handeln. Denn die DDR-Führung war ja seit Jahren nur noch bereit, mit ostdeutschen Kirchenvertretern in Kontakt zu treten. Am Ende seiner Ausführungen kam der Greifswalder Bischof darauf zu sprechen, worin er noch die gemeinsamen Aufgaben der EKD sah30. Seiner Ansicht nach sollte die EKD alle menschlichen Erleichterungen begrüßen und auf „größere Schritte“ und eine „Kooperation der getrennten Teile“ hoffen, „weil über allen politischen Doktrinen die Sorge um den Menschen und mit der Sorge um den Menschen die Sorge um Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden stehen muß“. Die gesamtdeutsche Kirche hatte die „innere Gemeinschaft im Geist der Buße und der Versöhnung“ zu bekunden. Sie sollte sich gegen eine deutsche Atombewaffnung aussprechen und ihre Gemeinschaft angesichts des friedensgefährdenden deutsch-deutschen Gegensatzes als „konkrete Chance“ nutzen, um „Brücken der Verständigung zu schlagen und damit dem Frieden zu dienen“. Für die Ökumene sollte sie unter Beweis stellen, dass „brüderliche Gemeinschaft der Kirche Jesu Christi nicht abhängig ist von verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Systemen, sondern gerade in der Verschiedenheit des politischen Lebens als Einheit und Gemeinschaft auch bei getrenntem Handeln im einzelnen bewährt werden will“.

In der Bundesrepublik und in der DDR hatte sie den volkskirchlichen Charakter der Kirche zu überdenken und in der DDR die „Chance“ des Schrumpfungsprozesses wahrzunehmen, um „zu einer Kirche mit wahrhaft missionarischer Verantwortung vorzustoßen“. Viele dieser Aufgaben wurden nach der Kirchentrennung dann auch von der „besonderen Gemeinschaft“ der Kirchenbünde EKD und BEK wahrgenommen. 1965 aber versuchte man noch die Eigenständigkeit in der Einheit zu organisieren. Dazu diente das „Kirchengesetz über die Tagungen der Kirchenkonferenz in beson29 Aktenvermerk von Behm über eine gesamtdeutsche Sitzung der KföV am 18.12.1964 (EZA BERLIN, 104/117). 30 FRANKFURT – Magdeburg 1965, S. 220f.

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deren Fällen“, das der Synode vorgelegt wurde31. Die ostdeutschen Kirchenvertreter hatten darauf gedrängt, dass auch Tagungen der Kirchenkonferenz in zwei Teilen eine rechtliche Grundlage erhielten32. Das Gesetz war analog zum Betheler Gesetz über die Synode gestaltet. Aus psychologischen Gründen hatte man den Fall, in dem örtlich getrennte Tagungen nicht durchführbar waren und die Kirchenkonferenz an dem Ort einberufen werden sollte, an dem sich die Mehrheit der Mitglieder versammeln konnte, d. h. in der Bundesrepublik, als Ausnahmefall erst ganz am Ende des Gesetzestextes genannt. Mit dieser Regelung aber war die Kirchenkonferenz auch in diesem Fall handlungsfähig, was vor allem im Hinblick auf die Ratswahl 1967 von Bedeutung war. Das Gesetz wurde in beiden Synodenteilen einstimmig angenommen33. Das Modell der Parallelsynode hatte formal funktioniert. Die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Frankfurt und Magdeburg über Telefon, Telegraph, Rundfunksendungen und Kuriere34 hatten zumindest den Minimalanforderungen entsprochen. Die EKD hatte somit den Beweis ihrer synodalen Handlungsfähigkeit erbracht, auch wenn das gemeinsame Ergebnis der Synode auf ein Minimum beschränkt blieb. Wollte man aber zukünftig gemeinsame Beschlüsse zustande bringen, die nicht bis ins Einzelne im voraus intern abgesprochen worden waren, wie dies beim Gesetz über die Kirchenkonferenz und der Wahl von Superintendent Figur zum stellvertretenden Synodalpräses der Fall gewesen war35, so bedurfte dies einer noch engeren Kommunikation während der Synodaltagung über Kuriertätigkeit. Denn eine Koordination der Arbeitsergebnisse zum Hauptthema der Synode war zwischen Magdeburg und Frankfurt nicht möglich gewesen und eine gemeinsame Beschlussfassung über im Verlauf der Synode spontan gestellte Anträge von vornherein ausgeschlossen. Die Praxis der Parallelsynoden musste demnach noch verbessert werden. Angesichts des ungehinderten Verlaufs der Magdeburger Teilsynode äußerte Scharf in einem UPI-Interview unmittelbar nach der Synode die Erwartung, dass in Zukunft eine Gesamtsynode in der DDR stattfinden könne36. Getrübt wurden derlei Hoffnungen im April, als den Chefredakteuren der landeskirchlichen evangelischen Sonntagsblätter und des Evangelischen Nachrichtendienstes Ost vom Presseamt der DDR erklärt wurde, Verlautbarungen des Rates der EKD, seiner westlichen Mitglieder sowie von Gerstenmaier und Kunst dürften künftig nicht mehr in einem ostdeutschen Presseorgan erscheinen37. Die „NATO-Kirche“ und ihre Repräsentanten sollten keinerlei öffentliche Plattform mehr in der DDR haben. Im Falle des Zuwiderhandelns würden die 31 EBD., S. 498. 32 Aktenvermerk Behms über ein Gespräch mit Krummacher und Stolpe am 26.9.1964 (EZA BERLIN, 104/40). 33 FRANKFURT – Magdeburg 1965, S. 157. 34 Vgl. die nicht zur Veröffentlichung gedachten Hintergrundinformationen von Henkys an Hühne „zu aktuellen kirchlichen Fragen in Ostberlin und Mitteldeutschland“, 9.4.1965 (PARH). 35 Vgl. EBD. 36 Abschrift des gedruckten UPI-Interviews vom 26.3.1965 im EZA BERLIN, 87/96/447. 37 Vgl. die nicht zur Veröffentlichung gedachten Hintergrundinformationen von Henkys an Hühne „zu aktuellen kirchlichen Vorgängen in Ostberlin und Mitteldeutschland“, 30.4.1965 (PARH).

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betreffenden Nummern nicht ausgeliefert. Das Presseamt bot aber zugleich eine Möglichkeit an, das Verbot zu umgehen: Die Erklärungen des Rates könnten gedruckt werden, sofern sie als Stellungnahmen der KKL firmierten. Wäre man kirchlicherseits aber darauf eingegangen, hätte dies ein Einverständnis mit der staatlichen Auffassung, dass die Zugehörigkeit der ostdeutschen Landeskirchen zur EKD unwirksam sei, bedeutet. Neben dieser Einschränkung für die Kirchenpresse in der DDR kam es im Frühjahr und Sommer 1965 zu keinen neuen staatlichen Behinderungen der Gemeinschaft in der EKD. Gemeinsame Kommissions- und Ausschusssitzungen in Ost-Berlin sowie der lebhafte Kurierverkehr wurden nicht mehr als im seit Jahren üblichen Maße gestört38. Solange sie nicht nach außen dokumentiert wurde, konnte die Kircheneinheit praktiziert werden. Denn ein offenes, repressives Vorgehen mit dem Ziel, die ostdeutschen Kirchen zu einer Trennung von der EKD zu zwingen, hätte einen „Kirchenkampf“ zur Folge gehabt, den die SED aber im Zeichen der „politisch-moralischen Einheit des Volkes“ nicht wollte. Also wurden die EKD-Verbindungen offiziell ignoriert und in der Praxis soweit toleriert, als sie nicht öffentlich gemacht wurden. Öffentliche Veranstaltungen wie gemeinsame Kirchentage konnten somit auch weiterhin nicht stattfinden. Der DEKT ging daher faktisch als eine westdeutsche Veranstaltung weiter. Allerdings stand er auch als solche im Kontext der gefährdeten Ost-West-Einheit der EKD, wie folgendes Beispiel zeigt. Im Juni 1964 erfuhren die ostdeutschen Ratsmitglieder, dass sich auf dem Kirchentag 1965 in Köln eine Arbeitsgruppe mit dem Thema „Neuordnung der EKD“ befassen wollte. Sie baten daraufhin die westlichen Ratsmitglieder sich dafür einzusetzen, dass dieses Thema, das den Rechtsboden der EKD in Frage stellen könnte, abgesetzt wurde39. Denn jede Reform etwa im Sinne einer Anpassung der landeskirchlichen Grenzen an die deutsch-deutsche Grenze durch Bereinigung der kirchlichen En- und Exklaven stellte den Grundsatz in Frage, dass politische Grenzen die Kirchengrenzen nicht präjudizierten. In der DDR hätte man es kirchlicherseits daher am liebsten gesehen, dass in Köln die Fragen einer Reform der landeskirchlichen Struktur, wenn überhaupt, möglichst abstrakt behandelt würden, weil jede Konkretisierung politische und kirchenpolitische Rückwirkungen haben musste40. Anfang Dezember wiederholten die ostdeutschen Ratsmitglieder ihre Bedenken gegenüber ihren westdeutschen Ratskollegen41. Doch schien es zu diesem Zeitpunkt bereits fraglich, ob eine ausführliche Behandlung des ganzen Problems sowohl auf dem Kirchentag als auch in der Öffentlichkeit noch abgefangen werden konnte. Ebenfalls im Dezember äußerten sich auch die ostdeutschen Mitglieder der Kammer für öffentliche Verantwortung kritisch zu dem Vorhaben des DEKT, in Köln Fragen der institutionellen Kirchenreform öffentlich zu behandeln42. Das Präsidium des Kirchentages versicherte daraufhin bei einer Aussprache mit dem Rat am 10. März 38 Information von Henkys an Hühne, 26.6.1965 „Zur aktuellen kirchenpolitischen Lage“ (EBD.). 39 Niederschrift über die Sitzung des Ostrates am 2.6.1964 (EZA BERLIN, 104/40). 40 Information von Henkys an Roterberg (WDR), 24.11.1964 (PARH). 41 Niederschrift über die Begegnung der Ratsmitglieder aus Ost und West am 3.12.1964 (EZA BERLIN, 104/40). 42 Kurzprotokoll über die Sitzung der KföV am 18./19.12.1964 (EZA BERLIN, 2/1357).

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1965 in West-Berlin, dass die Frage der Kirchenreform auf dem Kirchentag keine entscheidende Rolle spielen werde43. Tatsächlich wurde dann auf dem Kirchentag zwar in einer Arbeitsgruppe ausführlich über das Thema „Kirchenreform“ gesprochen, jedoch nicht in der auf Seiten der ostdeutschen Kirchenvertreter befürchteten Weise44. Da eine Teilnahme am DEKT für ostdeutsche Christen nicht mehr möglich war, es sei denn sie waren im Rentenalter, fanden ebenfalls im Sommer mit Unterstützung der jeweiligen städtischen Behörden drei „Kirchentagstreffen“ in der DDR statt (Wittenberg, Havelberg und Frankfurt/Oder)45. Das Jahr 1965 schloss mit einem weiteren staatlichen Vorstoß gegen die kirchliche Ost-West-Einheit. Auf Grund einer Intervention des Leiters des Presseamtes beim Vorsitzenden des Ministerrats der DDR musste der Evangelische Nachrichtendienst Ost die Bezeichnung „Ost“ als Zeichen der Korrespondenz zum Evangelischen Pressedienst in der Bundesrepublik streichen. Ab 1. Januar 1966 erschien er unter dem Namen „Evangelischer Nachrichtendienst in der Deutschen Demokratischen Republik“46. Das Folgejahr sollte indes noch stärkere Einschnitte für den gesamtdeutschen Protestantismus und seine gemeinsamen Organisationsformen bringen. Seit seiner Ausweisung Ende 1961 war Kurt Scharf eine Symbolfigur der bedrohten kirchlichen Einheit. Kontinuierlich bemühte man sich kirchlicherseits um eine Rückkehr des Präses nach Ost-Berlin. So schrieb Kunst am 7. November 1964 an Scharf: „Nach unserer Absprache habe ich mit Bruder Heinemann gesprochen, was wir in Deiner Sache der Rückkehr nach Ostberlin tun können. Er stimmt mir zu, daß auf dem politischen Weg über den russischen Botschafter in Bonn und Ostberlin zur Zeit keine Chance besteht. Auch einige andere politische Wege sind uns so lange verschlossen, als wir nicht etwas klarer die Landschaft im Ostblock übersehen. Abgesehen davon aber war Bruder Heinemann dezidiert der Auffassung, unsere Hauptbemühung müsse darauf gerichtet sein, daß Du zunächst einmal klar in einem unmittelbar kirchlichen Amt eines Bischofs verankert wirst. Wir wollen also bei der nächsten Ratstagung das Gespräch mit Dir und mit Otto Dibelius suchen, wie wir Deine Wahl zum Bischof von Berlin-Brandenburg erreichen können.“47

Nach der gescheiterten Wahl Scharfs zum Bischof im Dezember 1962 sollte nunmehr ein neuer Anlauf genommen werden. Auf einer ökumenischen Tagung im November 1965 im schwedischen Lund fand eine Aussprache zwischen Scharf, dem Bischofsamtsverwalter Jacob sowie Krummacher statt48. Dort wurde beschlossen, im Falle des Ausscheidens von Bischof Dibelius eine Wahlsynode in Berlin-Brandenburg einzuberufen und nicht eine provisorische Lösung durch Einsetzen von zwei Bischofsverwesern ins

43 Niederschrift über die Begegnung der Ratsmitglieder aus Ost und West am 11.3.1965 (EZA BERLIN, 104/40). 44 Vgl. KIRCHENTAG 1965, S. 278–380. 45 Vgl. Information von Henkys vom 6.10.1965 über das Kirchentagstreffen in Frankfurt/O. (PARH). Vgl. auch P. BEIER, Gemeinde, S. 44–47. 46 Vgl. Information Henkys an Hühne, 2.12.1965 (PARH). 47 Vgl. Kunst an Scharf, 7.11.1964 (EZA BERLIN, 87/96/447). 48 Hintergrundbericht von Henkys vom 18.2.1966 zur Berliner Bischofswahl (PARH).

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Auge zu fassen. Damit entschied man sich nicht nur für die Wahrung der Einheit der Kirche von Berlin-Brandenburg, sondern auch der EKD. Denn ein berlin-brandenburgischer Verzicht, das einheitliche Bischofsamt neu zu besetzen, hätte zweifelsohne negative Auswirkungen auf die Zusammengehörigkeit in der EKD gehabt. In Lund wurde auch verabredet, dass, falls Scharf sein Bischofsamt im Osten nicht ausüben konnte, Jacob Bischofsverweser für unbefristete Zeit und das Verweseramt stärker fundamentiert werden sollte. Ende Dezember erklärte Dibelius seinen endgültigen Rücktritt vom Bischofsamt zum 1. April. Daraufhin stimmte am 6. Januar die Kirchenleitung in Berlin-Brandenburg der Absicht des Präses zu, das Bischofswahlkollegium einzuberufen und die Bischofswahl auf die Tagesordnung der Synode unter der Voraussetzung zu setzen, dass die beiden Sektionen des Bischofswahlkollegiums zu einem übereinstimmenden Wahlvorschlag kamen49. Auf derselben Sitzung beschloss die Kirchenleitung, in einem Brief den Vorsitzenden des Ministerrats der DDR über die bevorstehende Bischofswahl zu informieren und die Regierung der DDR zu bitten, Scharf, auf den die Wahl voraussichtlich fallen werde, möglichst noch vor dem Zusammentritt der Synode die Rückkehr in die DDR zu ermöglichen. Das Politbüro lehnte am 18. Januar den Antrag der Kirchenleitung ab50. Eine Wahl des ausgewiesenen EKD-Ratsvorsitzenden und West-Berliner Bürgers Scharf zum Bischof von ganz Berlin und Teilen der DDR widersprach diametral dem kirchenpolitischen Kurs der SED-Führung, der auf eine Abgrenzung der ostdeutschen Kirchen von der EKD zielte. Das Politbüro beschloss daher eine „Gesprächskampagne“ gegen Scharf: Die leitenden Funktionäre der Räte der Kreise bzw. der Stadtbezirke sollten in „individuellen Gesprächen“ die ostdeutschen Synodalen dahingehend beeinflussen, dass auf der Synode im Februar Jacob für das Bischofsamt kandidieren und gewählt würde. Jacob war aber infolge der Verabredungen von Lund zu einer Kandidatur nicht bereit, wovon er den Staatssekretär für Kirchenfragen jedoch erst am 20. Januar in Kenntnis setzte. Am 7. Februar warnte der Weißenseer Arbeitskreis vor einer Wahl Scharfs51. Drei Tage später erschienen in der „Neuen Zeit“ ein scharfer und im „Neuen Deutschland“ ein zurückhaltenderer Artikel gegen Scharf52. Dieser wurde jedoch am 15. Februar auf der in Ost- und West-Berlin tagenden Synode der Kirche in Berlin-Brandenburg mit 195 von 235 möglichen Stimmen zum Bischof gewählt. Kurz nach der Wahl gab Jacob seinen Auftrag als Bischofsverwalter für die Ostregion zurück, da die Kirchenleitung seinem Wunsch, ihn mit einem unbefristeten und hauptamtlichen Bischofsverweseramt zu betrauen, – noch – nicht nachkommen wollte53. Der frisch gewählte Scharf erklärte das Ergebnis der Wahl als Zeichen, dass die innerdeutsche Grenze „für die Kirche keine Grenze ist“54.

49 Vgl. KJ 93, 1966, S. 294. 50 Vgl. Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Politbüros des ZK der SED, 18.1.1966, abgedruckt in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 456. 51 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 604. 52 W. K.: „Untauglicher Versuch“. In: ND, 10.2.1966, S. 4. 53 Vgl. Henkys Hintergrundbericht vom 18.2.1966 (PARH); G. BESIER, Kirche, S. 847–850. 54 Die Welt, 16.2.1966.

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Für die SED-Kirchenpolitik war die Wahl des EKD-Ratsvorsitzenden Scharf zum Berliner Bischof trotz ihrer massiven Einflussnahmeversuche eine empfindliche Niederlage. Die Arbeitsgruppe Kirchenfragen erklärte den Mitgliedern und Kandidaten des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED den Vorgang so: „Es muß festgestellt werden, daß die reaktionären Vertreter alle Kraft darauf konzentriert haben, Präses Scharf als Bischof von Berlin-Brandenburg wählen zu lassen, um damit einen Affront zur nationalen Politik der DDR zu schaffen.“55 Im „Neuen Deutschland“ hieß es am 17. Februar, dass Scharf als Ratsvorsitzender der EKD einer Institution vorstehe, „die seit dem Abschluß des Militärseelsorge-Vertrages mit der aggressiven Politik des Bonner Regimes verbunden“ sei. Mit diesem Vertrag, „für den Scharf die Verantwortung trägt“, sei die „Trennung der evangelischen Kirchen in Westdeutschland von den evangelischen Kirchen in der DDR herbeigeführt“ worden. „Deshalb, sowie auf Grund der Tatsache, daß Scharf kein Bürger der DDR ist, kann er für die auf dem Staatsgebiet der DDR liegende Berlin-Brandenburgische Kirche nicht tätig sein. Seine Wahl ist für die DDR wirkungslos.“56 Versuche in den Folgemonaten, dem neu gewählten Bischof die Rückkehr in die DDR zu ermöglichen, wie u. a. Visser ’t Hooft und Karl Barth sie unternahmen, blieben ohne Erfolg57. Vier Wochen nach der berlin-brandenburgischen Synode tagte die Synode der EKD. Da wiederum eine Tagung an einem Ort nicht möglich war, fanden die Teilsynoden in Berlin-Spandau und Potsdam-Babelsberg statt. Dieses Mal waren jedoch auch Tagungstermin und Tagesordnung verschieden. Die Synodalen aus den östlichen Gliedkirchen begannen ihre Zusammenkunft mit einer internen Arbeitstagung und behandelten auf ihrer öffentlichen Tagung nur das Thema „Die evangelische Kirche im ökumenischen Spannungsfeld“, während die Spandauer Versammlung auch über die durch die Ostdenkschrift und ihr Echo in der Öffentlichkeit aufgeworfenen Fragen beriet58. Zu einer gemeinsamen Beschlussfassung kam es nur zum Zweiten Vatikanischen Konzil. An beiden Teilsynoden nahmen auch ökumenische Gäste teil. In Potsdam-Babelsberg waren es der katholische Weihbischof Heinrich Theissing, der Generalsekretär des ÖRK Visser ’t Hooft und der Präsident des Lutherischen Weltbundes Fredrik Schiotz. Krummacher wies laut einer Information des MfS diesen Besuchen auch für die Zukunft eine hohe Bedeutung zu. „Es soll eine Tradition damit geschaffen werden, um über ständige ökumenische Gäste auf derartigen kirchlichen Veranstaltungen eine Anerkennung der EKD zu erzwingen“, hieß es in der Information der Hauptabteilung XX/4 des MfS vom 1. April59. Wie im Vorjahr bekannte sich die Synode auch 1966 in den Berichten und Erklärungen erneut zur Einheit der EKD. Vor dem Hintergrund des geplanten Redneraustauschs von SED und SPD erklärte Krummacher: „In unseren Tagen, in denen die gesamtdeutsche Verständigungsbereitschaft 55 56 57 58 59

Abdruck der Information vom 18.2.1966 in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 456–462, hier S. 460. „Wirkungslose Bischofswahl“. In: ND, 17.2.1966, S. 2. Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 609f. Vgl. KJ 93, 1966, S. 2. BStU BERLIN, MfS AP 11318/92.

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im Vordergrund steht, sollte man uns doch glauben, daß die Evangelische Kirche in Deutschland in allen ihren Organen und Gliedern wahrhaftig bereit ist, Dienste zu echter gesamtdeutscher Verständigung zu tun, wenn man sie nur nicht darin hemmen würde.“60 Aus diesen Worten klang Unverständnis gegenüber der Diskrepanz zwischen dem Selbstbild der EKD als Vermittlerin und Versöhnerin und ihrer Behandlung durch die SED. Angesichts der Fortdauer der Behinderungen fuhr man indes auch auf dieser Synode damit fort, die Selbstständigkeit in der Einheit zu organisieren. Auf Anregung Krummachers hin61 wurde durch ein Kirchengesetz die Zahl der Ratsmitglieder von 12 auf 15 erhöht, damit bei getrennten Sitzungen jeder Teil über eine breite Beratungsbasis verfügte62. Bereits am 1. März hatte das Politbüro den Staatssekretär für Kirchenfragen und die Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED beauftragt, eine „Einschätzung über die Strategie und Taktik der Kirche mit Schlußfolgerungen“ auszuarbeiten63. Bei der daraufhin am 25. April vom Politbüro bestätigten Vorlage mit dem Titel „Zur Politik und Taktik der Staatsorgane und der Nationalen Front gegenüber den Kirchenleitungen in der DDR“ handelte es sich um eine vor allem von deutschlandpolitischen Gesichtspunkten geleitete Einschätzung der kirchlichen Entwicklung64. Der EKD unterstellte man eine „kirchenpolitische Variante“ der „‚Ostpolitik‘ des Bonner Außenministers Schröder“. Das Festhalten der EKD an ihrer Einheit wurde als direkte Unterstützung des Alleinvertretungsanspruchs der Bundesregierung interpretiert sowie als Versuch, „das Staatsbewußtsein der Bürger christlichen Glaubens in der DDR [zu] untergraben“65. Die „westdeutsche EKD-Führung“ verfolge das Ziel, „glaubhaft zu machen, daß die Kirchen einen jenseits der tatsächlichen Gegensätze zwischen den beiden deutschen Staaten möglichen Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage der kirchlichen Einheit weisen können.“66 Besorgt äußerte sich die Vorlage über den Versuch der EKD, ihre Kontakte zu den Kirchen in den Warschauer-Pakt-Staaten und zur CFK auszubauen, um dort die Politik der Bundesregierung als „Friedenspolitik“ zu vertreten. In der DDR versuche die EKD mit Hilfe „reaktionärer Kreise“ in den ostdeutschen Kirchenleitungen sich in die inneren Angelegenheiten einzumischen und Christen in eine „Frontstellung“ gegen ihren Staat zu bringen. Irritiert zeigte man sich darüber, dass die „reaktionären Kreise“ in der Kirche nicht mehr für eine Beseitigung des Sozialismus, sondern für seine „Vermenschlichung“ einträten. Die Bischofswahl Scharfs wurde dahingehend gedeutet, dass dieser von „der Hauptstadt Berlin aus die Politik der westdeutschen EKD auf die Kirchen in der DDR übertragen soll.“ Die Beziehungen zwischen dem Staat und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg sollten daher zunächst nur noch auf der Ebene der zuständigen Räte der Bezirke und des Magistrats 60 61 62 63 64 65 66

Zitiert nach: KJ 93, 1966, S. 293. Notiz von Lingner über ein Gespräch mit Krummacher am 5.10.1965 (EZA BERLIN, 4/19). BERLIN und Potsdam 1966, S. 467. Vgl. SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 323. Abdruck in: EBD., S. 475–479. EBD., S. 477. EBD.

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von Ost-Berlin über die jeweiligen Generalsuperintendenten geführt werden. Als Maßnahmen zur Abwehr „ideologischer Diversion“ von außen sah das Papier vor: „5. Bei Anträgen auf Auslandsreisen für Mitglieder von Kirchenleitungen – besonders aus Berlin-Brandenburg und Görlitz – sind strenge Maßstäbe anzulegen. 6. Die Lizenz für das ‚Amtsblatt der Evangelischen Kirche Deutschlands‘, das seinem Inhalt nach ein Organ des westdeutschen Rates der EKD ist, ist durch das Presseamt einzuziehen. 7. Auf Grund der in der letzten Zeit in der Hauptstadt Berlin verstärkt durchgeführten kirchlichen Tagungen und Konferenzen unter Beteiligung und der Leitung von Vertretern der westdeutschen EKD-Führung wird die Einreise westdeutscher EKD-Synodaler und bekannter Kirchenleute der westdeutschen Leitung der EKD in die Hauptstadt der DDR unterbunden. 8. Die Genossen der Zollverwaltung der DDR stellen sicher, daß die massenhaften Paketsendungen an die Amtsträger und die Synodalen der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg eingestellt werden und entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen verfahren wird.“67

Daneben sollte nach Innen der „Differenzierungsprozeß sowohl zwischen als auch innerhalb der evangelischen Landeskirchen in der DDR“ fortgeführt werden. In der Öffentlichkeit wurde von Staats- und Parteiseite in den Folgemonaten stets die Formel wiederholt, die Normalisierung der Beziehungen zwischen den Kirchen in beiden deutschen Staaten setze eine Normalisierung der Beziehungen der beiden deutschen Staaten voraus. So hieß es in der Festansprache Ulbrichts zur 20-Jahr-Feier der SED am 21. April68, im Artikel von Günter Kertzscher „Wer will Kirchenkampf – und wozu?“ im „Neuen Deutschland“ vom 1. Mai69 sowie bei Gerald Götting in seinem Referat auf der XI. Tagung des Hauptvorstandes der CDU anläßlich ihres 21. Jahrestages70. Immer wieder wurde auch die „Liquidierung“ des Militärseelsorgevertrags gefordert. Die kirchenpolitische Hauptabteilung des MfS legte am 22. Juni einen Halbjahresbericht über „die feindlichen Angriffsrichtungen internationaler und westdeutscher kirchlicher Zentralen gegen die DDR“ vor71. Zu den „Zentralen“ zählte sie den Weltkirchenrat, die EKD, die evangelischen Akademien, die Gossner Mission sowie die ESGiD. Deren Angriffe, so hieß es, hätten sich „verschärft“ und vollzogen sich „nach einem einheitlichen Plan, der sich in Übereinstimmung mit der aggressiven Politik der Bonner Regierung befindet“. Die Hauptvorwürfe lauteten, die „realen Verhältnisse zweier deutscher Staaten“ würden ignoriert werden und es werde „politisch ideologische Diversion“ betrieben. Nachdem bereits im Mai die Lizenz für die Ost-Ausgabe des Amtsblattes der EKD entzogen worden war, wurden seit Ende Juni, d. h. nach dem Scheitern des SED-SPD67 68 69 70 71

EBD., S. 480. Vgl. KJ 93, 1966, S. 206. ND, 1.5.1966, S. 4. Vgl. KJ 93, 1966, S. 211f. BStU BERLIN, MfS HA XX/4–3233.

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Redneraustauschs, auch die Einreiseverbote für westdeutsche Kirchenvertreter nach Ost-Berlin praktiziert. Seitdem verging in Berlin kaum ein Tag, an dem nicht einige aus der Bundesrepublik angereiste Repräsentanten der evangelischen Kirche am Betreten Ost-Berlins gehindert wurden72. Alle gesamtkirchlichen Leitungsgremien und Ausschüsse, die in Ost-Berlin zu tagen pflegten, wurden durch das Fernbleiben wichtiger westdeutscher Teilnehmer in ihrer Arbeit behindert. So der Rat der EKD, dessen Mitglieder Scharf, Niesel, Smidt, Puttfarcken und Haug ebensowenig Einreisegenehmigungen erhielten wie die Kirchenräte Erwin Wilkens und Wilhelm Gundert von der Kirchenkanzlei der EKD. Ebenso betroffen war der Rat der EKU, die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Weltmission sowie die Kammer für öffentliche Verantwortung. Am 12. Juli revidierte das Politbüro auch seinen Beschluss vom 11. Dezember 1965, die Durchführung der 5. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes im Jahr 1969 in der DDR zu gestatten73. Die Hauptabteilung XX/4 legte am 24. Juli weitere „Vorschläge für Maßnahmen zur Einschränkung des Einflusses politisch-klerikaler Kräfte auf das gesellschaftliche Leben in der DDR“ vor74. Als Grund für die Restriktionen wurde angegeben, dass „mit der Annahme des ‚Handschellengesetzes‘ in Westdeutschland“75 „die Zentralen der politisch-klerikalen Kräfte in Westdeutschland ihre feindliche Tätigkeit gegenüber der DDR“ verstärken würden. Der Kurswechsel in der Deutschlandpolitik der DDR nach Absage des Redneraustauschs wurde demnach in der Kirchenpolitik nachvollzogen. Als „kirchliche Organisationen und Institutionen mit gesamtdeutschem Charakter, deren Tätigkeit weitgehend unterbunden werden müßte“, benannte das MfS: die EKD, die EKU, die VELKD, Innere Mission und Hilfswerk, die ESGiD sowie die Jugendkammer der EKD. Als Maßnahmen schlug die Hauptabteilung vor: „1. Ergänzung der bereits bei der HPF vorliegenden Sperrliste für westdeutsche Personen, über welche die anleitende Tätigkeit der westlichen Zentralen realisiert wird. 2. Die sogenannten Zweigstellen der zentralen kirchlichen Vereinigungen sind durch die staatlichen Organe der DDR völlig zu ignorieren. Mit den leitenden Angestellten ist in ihrer Funktion kein Gespräch zu führen. Offizielle Schreiben dieser Dienststellen sind zurückzuschicken. 3. Der Druck, die Einfuhr sowie der Versand im öffentlichen Verkehr von Schreiben, die den Briefkopf einer solchen gesamtdeutschen Zentrale bezw. einer Zweigstelle tragen, ist zu unterbinden [. . .] 4. Verhinderung von Teilsynoden der EKD, EKU und VELKD, wenn zur gleichen Zeit die Teilsynoden in Westberlin stattfinden. Die Synoden der Evangelischen Kirche sind die höchsten gesetzlichen Körperschaften, die in ihrer Tätigkeit die Existenz der DDR ignorieren.

72 Vgl. Information von Henkys an Hühne, 11.7.1966 (PARH). 73 Vgl. SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 325. 74 BStU BERLIN, MfS HA XX/4–3233. 75 Gemeint war das Gesetz, das der Bundestag am 23. Juni zum Schutz der am SED-SPD-Redneraustausch beteiligten Ostdeutschen vor einer Strafverfolgung verabschiedet hatte.

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5. Überprüfung der Möglichkeit der Verlagerung von Dienststellen, wie z. B. Geschäftsstelle der ESG außerhalb Berlins (unter Ausnutzung des Abrisses des ‚Heinrich-Grüber-Hauses‘ Berlin C 2, Bischofstr. 6–8).“76

Überdies wurde empfohlen, Veranstaltungen der EKD einschließlich der Evangelischen Akademien und Studentengemeinden, an denen westdeutsche und ausländische Referenten und Personen teilnahmen, anmelde- und genehmigungspflichtig zu machen. Bei der Erteilung von Genehmigungen sei zu „differenzieren“. Des Weiteren sollten Kirchenchöre, Jugendgruppen, Akademikerverbände sowie Mitglieder von Patengemeinden an der Grenze zurückgeschickt werden, falls sie nicht im Besitz einer staatlichen Genehmigung bzw. einer bestätigten Einladung waren. Ziel war es, auch solche Treffen anmelde- und genehmigungspflichtig zu machen. Zudem sollte die Tätigkeit von Gastlektoren und Referenten an kirchlichen Ausbildungsstätten und Theologischen Fakultäten in der DDR eingeschränkt werden. Als weitere Maßnahme empfahl die Hauptabteilung, in der Frage des Vertriebs und der Verbreitung „kirchlicher Westliteratur“ eine Neuregelung vorzunehmen. Alle genannten Beschränkungen sollten vor allem die evangelische Kirche, z. T. aber auch die katholische Kirche betreffen. Anfang August machte sich Horst Dohle, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Staatssekretärs für Kirchenfragen, Gedanken darüber, was sich „in der Politik der westdeutschen Kirchenführer ändern“ müsste, „damit die Annäherung der beiden deutschen Staaten und die friedliche Koexistenz unterstützt“ werde77. Er nannte: „Anerkennung der Existenz zweier deutscher Staaten, – Anerkennung der daraus entstandenen 2 verantwortlichen kirchenleitenden Gremien für das jeweilige Staatsgebiet, Aufhebung der anmaßenden Beschlüsse von Bethel 1963, mit denen die westdeutschen Kirchenleitungen für die Christen der DDR glauben sprechen zu können, – Absage an den Mißbrauch kirchlicher Verbindungen in die sozialistischen Länder zum Zweck der Isolierung und Umgehung der DDR, – Absage an den Mißbrauch kirchlicher Verbindungen zwischen den beiden deutschen Staaten zur Umgehung staatlicher Verhandlungen und um die Christen der DDR in einen Gegensatz zu Partei und Regierung zu bringen.“

Ähnliche Überlegungen gab es zur gleichen Zeit in der Abteilung Kirchenfragen der Ost-CDU unter dem Titel „Auf welche Weise können die westdeutschen Kirchen zu einer Politik der Annäherung der beiden deutschen Staaten, der friedlichen Koexistenz, der Vernunft und der Verständigung beitragen?“78 Das Politbüro beschloss am 3. August zunächst nur Restriktionen gegen die Evangelische Akademie in West-Berlin, die ihm als ein Zentrum der „ideologischen Diversion“ galt79. Noch am gleichen Tag aber brachte die Arbeitsgruppe Kirchenfragen „Maßnahmen als Antwort gegenüber den Kirchen auf Grund der Alleinvertretungsanmaßung des Bonner Regimes und der aktiven Unterstützung dieser Bonner Politik 76 77 78 79

BStU BERLIN, MfS HA XX/4–3233. Entwurf vom 2.8.1966 (BArch BERLIN, DO 4/4883). Entwurf vom 1.8.1966 (ACDP ST. AUGUSTIN, VIII/013/2161). Auszug aus dem Protokoll und Beschlusspunkt 7 abgedruckt in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 480–485.

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durch die westdeutsche Kirchenführung“ zu Papier80. Die Maßnahmen sollten sich gegen die „kirchenpolitische Parallele der Bonner Alleinvertretungsanmaßung“, d. h. gegen Einmischungsversuche von Seiten der „EKD-Führung in Westdeutschland“ in kirchenpolitische Fragen in der DDR wenden. Es wurde vorgeschlagen, in einer schriftlichen Ausarbeitung nachzuweisen, wie die „westdeutsche Kirchenführung der EKD die Alleinvertretungsanmaßung und das damit im Zusammenhang stehende Handschellengesetz aktiv unterstützt“. Auf dieser Argumentationsgrundlage sollten in allen Kreisen, Städten und Gemeinden Theologen, kirchliche Amtsträger und Gemeindekirchenräte dahingehend bearbeitet werden, dass sie sich von der „EKD-Politik der Unterstützung des Bonner ‚Alleinvertretungsrechtes‘“ öffentlich distanzierten. Diese Kampagne war als erster Schritt zu „einer gruppenweisen Distanzierung kirchlicher Kräfte von der westdeutschen EKD“ gedacht. „In dieser Frage“, so klagte die Arbeitsgruppe, „sind wir in den letzten Jahren nicht durchgekommen.“ Nun aber wollte man die Arbeit koordiniert mit allen Mitgliedern des Partei- und Staatsapparates, die auf kirchenpolitischem Gebiet tätig waren, der Nationalen Front und den Blockparteien, „besonders den Freunden der CDU“, in Angriff nehmen. Die Arbeitsgruppe schlug vor, alle Dienststellen und Büros, die in ihrer Bezeichnung darauf hinwiesen, dass sie „Stützpunkte“ der EKD in der DDR waren, aufzulösen. Zudem sollten die Paketsendungen an kirchliche Amtsträger und Synodale fortan für alle Landeskirchen unterbunden werden. Auch Teilsynoden der EKD auf dem Gebiet der DDR wollte man nicht mehr zulassen. Das Auftreten von Bundesbürgern und Ausländern als Redner bei kirchlichen Veranstaltungen sollte zukünftig der Genehmigung durch die Abteilungen für Innere Angelegenheiten bei den Räten des Kreises bedürfen. Noch aber wurden all diese projektierten Maßnahmen nicht umgesetzt. Lediglich bei den Päckchen und Paketen an Bewohner in der DDR kam es in der zweiten Jahreshälfte zu einer Beschlagnahmungswelle81. Während in SED- und MfS-Kreisen bereits die völlige Lähmung der deutsch-deutschen Kirchengemeinschaft geplant wurde, gingen im Protestantismus die Selbstverständigungsversuche über seine Ost-West-Gemeinschaft weiter. Nach ESGiD und EKD überdachte im Spätsommer 1966 auch die AGEJD ihre Einheitsvorstellungen. Am 19. und 20. September fand nach siebenjähriger Unterbrechung in Berlin erstmals wieder eine Ost-West-Arbeitstagung statt. Auf ihr referierte Adam Weyer über „Evangelische Jugendarbeit im Ost-West-Konflikt“82. Der Wuppertaler Pfarrer kritisierte, dass in der Bundesrepublik zu lange unter „evangelischer Jugend im Ost-West-Konflikt“ ausschließlich eine nach Westdeutschland hin orientierte evangelische Jugend in der DDR verstanden wurde. Auf Grund der kirchlichen Einheit sei in der DDR eine neue Selbstverständigung in einer sozialistischen Umwelt und in der Bundesrepublik eine Auseinandersetzung mit der westlich-bürgerlichen Prägung von Kirche und Glauben versäumt worden. Beides müsse nun nachgeholt werden. Das setzte nach 80 SAPMO-BArch BERLIN, DY 30/IV A2/14/27. 81 Vgl. Information von Henkys vom 1.12.1966 (PARH). 82 Aaej HANNOVER, GKR 1.

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Weyer die Einsicht voraus, dass nach mehr als 20 Jahren deutscher Teilung die Gemeinsamkeit der evangelischen Jugend im Gebiet der EKD nicht mehr mit der „nationalen Verbundenheit“ begründet werden könne. Man müsse mit der Mauer und der Trennung leben und in Konsequenz dieser Einsicht, die Kirchen in der DDR aus der theologischen, kirchlichen und materiellen Abhängigkeit vom Westen entlassen. Voraussetzung einer „evangelischen Jugendarbeit im Ost-West-Konflikt“ sei es, dass die bundesdeutschen Beteiligten ihre eigene gesellschaftliche Verortung reflektierten und sich über die theologische, kirchliche und soziologische Situation der Kirchen in der DDR informierten. Zusammenfassend nannte Weyer folgende Aufgaben evangelischer Jugendarbeit: Sie sollte unvoreingenommen das Gespräch mit Christen, aber auch ostdeutschen Funktionären suchen und zu einer „nüchternen und der Situation angemessenen Partnerschaft“ mit den ostdeutschen Kirchen beitragen. Die anschließende Diskussion ergab, dass die Mehrheit der anwesenden Vertreter der Landesjugendpfarrämter sowie der kirchlichen und freikirchlichen Jugendwerke Weyers Entnationalisierungskurs nicht folgen wollte83. Auch auf der nachfolgenden Sitzung des Gesamtkirchlichen Ausschusses in OstBerlin ging es um das Selbstverständnis der EJD zwischen Ost und West84. Zunächst referierte Klaus Uhde über das „Modell“85 der „Einheit der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland“86. Anschließend stellte Wolf-Dieter Gutsch, der ökumenische Referent der Jugendkammer Ost und Leiter der Jugendkommission der CFK in der DDR, in seinem Referat die provokante Frage: „Was gehen uns Christen in der DDR die Christen in der BRD an?“87 Das Leben in der Spannung, Glied des Volkes Gottes und des deutschen Volkes zu sein, konnte laut Gutsch die Christen vor Nationalismus bewahren und ihnen die Richtung ihres Engagements zeigen. Da die Christen um eine andere Dimension des Lebens wüssten, könnten sie über das emotional aufgeladene Thema Volk und Teilung „offener, ehrlicher, aber auch härter und schonungsloser miteinander reden.“ Darin sah er auch explizit die Aufgabe des Gesamtkirchlichen Ausschusses. Dieser müsse sich für seine Arbeit ein politisches Ziel setzen. Bei dessen Formulierung lehnte sich Gutsch an Überlegungen von Carl Friedrich von Weizsäcker über den Weltfrieden an: Nicht die Beseitigung der Konflikte allgemein, sondern eine bestimmte Art ihres Austrages sei die Aufgabe. Dazu müsse der Ausschuss der „emotionalen Manipulation“ westdeutscher Politiker mit dem Begriff Volk entgegentreten und ihn „demaskieren und entmythologisieren“. Da beide deutsche Regierungen nicht mehr bereit seien, Demokratie auf der einen Seite und Aufbau des Sozialismus auf der anderen Seite für die nationale Einheit zu opfern, 83 Protokoll über die Ost-West-Arbeitstagung der AGEJD vom 19./20.9.1966 (Aaej HANNOVER, GKR). 84 Anwesend waren: Becker, Biermann, Brunotte, Dahm, Dettloff, Eisenberg, Ernst, Fincke, Fritz, Gäbler, Günther, Gutsch, Hertenstein, Kleiner, Lange, Strachotta, Walter. Vgl. Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 20./21.9.1966 (EBD.). 85 Gäbler an Uhde, 14.9.1966 (Aaej HANNOVER, GKA-Aktionen). 86 Anlage zum Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 20./21.9.1966 (Aaej HANNOVER, GKR). 87 Aaej HANNOVER, GKR.

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könne es heute nur noch um die Annäherung der beiden Systeme und damit verbunden um eine Verständigung der beiden deutschen Staaten gehen. Gerade hier hätten die Christen in der Bundesrepublik und in der DDR ihre Aufgabe, doch seien sie sich gerade hier nicht einig. Gutsch formulierte drei „Erwartungen“ an die westdeutschen Christen: Sie sollten erstens die „Gefährlichkeit und Verlogenheit“ der bundesdeutschen Deutschland-, Ost- und Sicherheitspolitik erkennen und mithelfen, ein „neues Klima zu schaffen, das eine Annäherung der beiden Gesellschaftssysteme und Machtblöcke“ ermöglichte; zweitens sollten sie sich um ein „neues Klima“ für gute Beziehungen zu den sozialistischen Staaten in Osteuropa bemühen; und drittens sollten sie „exemplarisch für ihre Politiker“ die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus wagen ohne dabei die Christen in der DDR als ihre Verbündeten zu betrachten. Christen in der DDR hatten nach Gutschs Auffassung die „Aufgabe der Mitgestaltung der sozialistischen Gesellschaft“ und sollten in ihr „auch das kritische Gespräch“ führen. Das Recht, „Erwartungen“ an die westdeutschen Christen zu richten, leitete er in Anlehnung an Helmut Gollwitzer aus dem gemeinsamen, „vorgegebenen Verantwortungszusammenhang“ der Deutschen in der DDR und der Bundesrepublik ab. Das deutsche Volk habe die „gemeinsame Aufgabe“, die deutschen Probleme zu lösen und damit dem europäischen Frieden zu dienen. „Gemeinsame Verantwortung“ war bei Gutsch somit nicht mehr das Movens für die Wiederherstellung deutscher Einheit, sondern für eine Annäherung auf der Grundlage des Status quo. Hierzu sollten sich die ost- und westdeutschen Christen gegenseitig nach den Kriterien ihres Denkens und Handelns fragen. Sie sollten einander nicht am Handeln hindern, nicht gemeinsam die „Unparteiischen“ spielen und sich nicht gegenseitig zu „korrumpieren“ versuchen. Denn nach Gutsch standen sie nicht über der systemischen Auseinandersetzung, sondern waren ein Teil von ihr. Der Gesamtkirchliche Ausschuss sah in Gutschs Referat vor allem eine kritische Anfrage an seine eigene Tätigkeit88. Die Ausschussarbeit in ihrer bisherigen und zukünftigen Gestalt war auch Thema der beiden Referate von Pfarrer Jürgen Eisenberg und Pfarrer Ulrich Dahm. Unter der Überschrift „Prognose und Überlegungen für morgen“ formulierte Eisenberg acht Thesen für eine Umformung des Einheitsverständnisses der EJD entsprechend des aktuellen politischen und theologischen Diskussionsstands89. Im Einzelnen lauteten diese: 1. Es gibt neben der „generellen“ eine „spezielle“ Ökumene. 2. Die Deutschen müssen den Friedensdienst als ihre „politisch-christliche Aufgabe“ erkennen und nach Realisierungsmöglichkeiten fragen. 3. Auch bei zukünftigen Überlegungen wird das Geschichtsbewusstsein eine Rolle spielen. 4. Die „Bruderschaftshilfe“ ist nicht von organisatorischen Einheitsfragen abhängig. 5. Es muss eine Bewährung im Brückendienst erfolgen. 6. Man muss sich gegenseitig „in Liebe freigeben“, d. h. sich nicht aus der Verantwortung 88 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 20./21.9.1966 (Aaej HANNOVER, GKR). 89 Jürgen Eisenberg: Die Tätigkeit des GKA. Analyse und Prognose. Ausschnitt des Kurzreferats, am 21.9.1966 in Ost-Berlin vor dem GKA gehalten (EBD.).

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entlassen, sondern sich im Gespräch gegenseitig zur Wahrnehmung der je eigenen Verantwortung auffordern. 7. Es gilt, nach gemeinsamen Aufgaben und Aktionen zu suchen. 8. Es muss eine Beschäftigung mit der politischen Ethik stattfinden.

In seinen Schlussbemerkungen wertete Eisenberg den Gesamtkirchlichen Ausschuss als eine berechtigte „Lebensäußerung“ der evangelischen Jugend in beiden Teilen Deutschlands, die jedoch der ständigen Selbstkontrolle unterliegen müsse. Der Ausschuss dürfe sich nicht als Organ „zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Einheit“ verstehen, sondern als die Basis „zum brüderlichen Gespräch“ zwischen Christen in der DDR und der Bundesrepublik. Abschließend diskutierte der Ausschuss über den Grad der Politisierung seiner künftigen Arbeit90. Einig war er sich in der Absicht, in einem Verantwortungszusammenhang zu bleiben. Das bedeutete, sich in Ost und West nicht am Handeln zu hindern, sich nicht „gegenseitig [zu] korrumpieren“, wohl aber sich wechselseitig zu korrigieren. Auch die Prioritätenfolge der Aufgaben war klar: Erst sollte zur Entgiftung der politischen Atmosphäre in der DDR und der Bundesrepublik beigetragen werden, um dann auch „Brücken zwischen Ost und West“ zu bauen. Am 22. September, d. h. ein Tag nach der Selbstverständnisdiskussion im Gesamtkirchlichen Ausschuss, nutzte Walter Ulbricht die Verleihung des Ordens „Stern der Völkerfreundschaft“ in Silber an Landesbischof Mitzenheim zu einer bedeutsamen kirchenpolitischen Aussage. In der „Neuen Zeit“ wurde der Staatsratsvorsitzende mit den Worten wiedergegeben: „In Deutschland gibt es mehrere Richtungen in der Kirche, ich möchte sogar sagen, daß es mehrere Kirchen gibt. Es gibt eine Kirche, die in christlicher Verantwortung die Grundsätze des Humanismus achtet und verbreitet. Das ist die Kirche in der DDR. Es gibt in Westdeutschland eine große Zahl von Christen und Geistlichen, die sich von der Idee des Humanismus leiten lassen, und daneben gibt es Bischöfe, die sich der Militärkirche verschworen haben und die Politik der CDU, d. h. die Politik der Atomkriegsführung, die Politik der Forderung nach Änderung der Grenzen, die Revanchepolitik usw. unterstützen.“91

Zum ersten Mal sprach Ulbricht hier explizit von mehreren Kirchen, die sich politisch-weltanschaulich unterschieden. Ohne offen organisatorische Konsequenzen zu fordern, ging er von der Existenz einer Evangelischen Kirche in der DDR aus und nahm diese für die Politik der DDR in Anspruch. Dem deutschlandpolitischen Kurswechsel folgte somit der Kurswechsel in der Kirchenpolitik, die lediglich eine Funktion der Deutschlandpolitik war. Entsprechend veröffentlichte das „Neue Deutschland“ im November ganzseitig Diskussionsbeiträge aus einer Beratung der Arbeitsgruppe Christen im Nationalrat der Nationalen Front, in denen sich die „fortschrittlichen Christen“ zu ihrem „sozialistischen Vaterland“ und zu einem „sozialistischen Natio90 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 20./21.9.1966 (EBD.). 91 Zitiert nach: KJ 93, 1966, S. 219.

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nalbewußtsein“ bekannten92. In diesem Sinne gedachte man zukünftig die ostdeutschen Kirchen und Christen für die Abgrenzungspolitik der DDR in Anspruch zu nehmen. Während somit auch öffentlich ein Signal für einen verschärften kirchenpolitischen Kurs gegen die Gemeinschaft in der EKD gegeben wurde, gingen im Geheimen die Wirtschaftsverhandlungen zwischen evangelischer Kirche und Staat weiter. Nach der Berliner Bischofswahl war es zwar im Frühjahr und Sommer zu Störungen im Transfer und zur Forderung nach Ausschluss der Kirche in Berlin-Brandenburg von Transfermitteln und Einfuhren gekommen93. Im Laufe des Jahres konnten die Unstimmigkeiten jedoch ausgeräumt und die Summe im Rahmen des Warentransfers sogar auf über 56 Millionen DM (1965 knapp 41 Millionen) erhöht werden. 1966 begann auch das Valuta-Mark-Programm94. Bei der Valuta-Mark handelte es sich um eine devisenähnliche Werteinheit, die innerhalb der DDR eingesetzt werden konnte, um DDR-Exportgüter auch im Inland zu erhalten oder in speziellen Fällen auch Güter aus westlichen Ländern zu importieren. Der Erfinder der Valuta-Mark, Ludwig Geißel, ließ gegen Kaffeelieferungen im Wert von 1,5 Millionen DM, Baumaterial für Fertighäuser mit kirchlicher oder diakonischer Zweckbestimmung in die DDR liefern und die Häuser dort aufstellen. In den Folgejahren wuchs das Valuta-Mark-Geschäft rasch an. Denn am 15. September 1966 richtete das Politbüro des ZK der SED im Ministerium für Außen- und Innerdeutschen Handel der DDR die „Abteilung Kommerzielle Koordinierung“ ein95. Zu ihrem Leiter wurde Alexander Schalck-Golodkowski ernannt, der zuvor als 1. Sekretär der SED-Kreisleitung im Ministerium für Außen- und Innerdeutschen Handel tätig gewesen war. Aufgabe der Abteilung war es, in maximalem Umfang Valuten außerhalb des geltenden Wirtschaftsplans zu erwirtschaften. Im Spätsommer 1966 soll es auch Verhandlungen darüber gegeben haben, Kurt Scharf gegen ein „Entgelt“ bzw. eine „Kaution“ nach Ost-Berlin einreisen zu lassen96. Sofern diese Verhandlungen tatsächlich stattgefunden haben, so waren sie nicht von Erfolg gekrönt. Scharf blieb ausgesperrt. Bischof Krummacher solidarisierte sich am 7. November in seinem Rechenschaftsbericht vor der Landessynode demonstrativ mit dem EKD-Ratsvorsitzenden97. Zudem legte er ein Bekenntnis zur Gemeinschaft der EKD ab, das durch einen förmlichen Synodalbeschluss bestätigt wurde98. Gleichzeitig begann die DDR-Presse eine erneute 92 „Christen sind treue Bürger der DDR. Aus einer Beratung der Arbeitsgruppe Christen im Nationalrat mit Pfarrern, Gemeindekirchenräten und Laienchristen“. In: ND, 27.11.1966, S. 4. 93 Vgl. L. GEISSEL, Unterhändler, S. 342–351. 94 Vgl. EBD., S. 339f. 95 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 538. 96 Laut MfS beklagte sich Jacob gegenüber Paul Verner über die Absicht, Scharf gegen ein „Entgelt“ die Einreise zu gestatten. Vgl. E.I. vom 22.10.1966 (BStU BERLIN, MfS HA XX/4–1235). Henkys berichtete in einer vertraulichen Information am 8.9.1966 an S. Schelz, dass Kunst zu Gesprächen über die Rückkehr von Scharf nach Ost-Berlin eingeladen worden sei (PARH). 97 Vgl. Information von Henkys vom 11.11.1966 (PARH). 98 Vgl. EW 20, 1966, S. 718.

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Kampagne gegen Scharf und gegen die als rein westliche Kirchenorganisation dargestellte EKD99. Beides waren Vorboten für die im Januar 1967 bevorstehende Lösung der nur aufgeschobenen Frage des Verwalters des Bischofsamtes in Berlin-Brandenburg sowie die im April 1967 stattfindende EKD-Synode, auf der ein neuer Rat und Ratsvorsitzender zu wählen war. In Ost-Berliner Kirchenkreisen befürchtete man bereits Mitte November, dass in nächster Zeit auch eine innerkirchliche Bewegung gegen eine weitere Zugehörigkeit der evangelischen Landeskirchen in der DDR zur EKD „propagandistisch“ „hochgezüchtet“ werde, um einen Vorwand dafür zu bieten, das Zusammentreten des Ostteils der EKD-Synode im April zu verhindern oder doch die Mitwirkung der östlichen Synodalen an der Neuwahl des Rates der EKD unmöglich zu machen100. Ein Vortrag von Hanfried Müller zur kirchenpolitischen Lage vor dem Weißenseer Arbeitskreis gab diesen Vermutungen neue Nahrung101. Müller, Professor für Systematische Theologie an der Humboldt-Universität, Mitglied der Regionalsynode Ost von Berlin-Brandenburg und „Geheimer Informator“ des MfS, war seit 1958 im Weißenseer Arbeitskreis aktiv. In seinem Lagebericht vom 28. November behauptete er, dass es sich bei dem Kampf um die Einheit der EKD in Wahrheit um einen Kampf gegen die DDR im Sinne der flexibleren Bonner Deutschlandpolitik handele. Dessen Hauptwerkzeug sei Scharf, der als „menschgewordene Demagogie“ die eigentlichen Ziele der Kirchenpolitik verdecke. Um Ratsvorsitzender zu bleiben, habe er zum Bischof von Berlin-Brandenburg gewählt werden müssen. Die berlin-brandenburgische Kirche sei zu diesem Zweck manipuliert und insbesondere die Wahlsynode 1966 getäuscht worden. Müller forderte für den Ost-Teil der berlin-brandenburgischen Kirche einen durch die Synode gewählten, „unabhängigen, dauerhaften und hauptamtlichen Verweser“, damit „unsere Kirche eine selbständige, nicht von außen dirigierte, sondern von innen geleitete Kirche“ sei102. Nur dann würde sie wieder in „eine glaubwürdige und fruchtbare Korrelation zu Staat und Gesellschaft kommen.“103 Auf Müllers Vorstoß bezog sich Wolf-Dieter Zimmermann am 9. Dezember in einem Artikel in „Christ und Welt“, der den Titel trug: „Modell liegt schon bereit. Pankow will die Evangelische Kirche endgültig spalten“104. Laut Zimmermann, Leiter des Rundfunkdienstes, sollte an dem für Berlin-Brandenburg geforderten „Modell“ deutlich werden, „wie in Zukunft auch für alle anderen gesamtkirchlichen Gremien die Spaltung vollzogen werden kann: völlige Loslösung vom Westen, Spaltung aller gesamtkirchlichen Gremien und Schaffung neuer Leitungsinstitutionen, die dann gute Beziehungen zum Staat unterhalten und dafür eine neue Bewegungsfreiheit erhalten.“ Der Staat, so Zimmermann, wolle unbedingt eine Neuordnung der ostdeutschen Landeskirchen, damit die „kommunistische Zweistaatentheorie konsequent verwirklicht werden“ könne. 99 Vgl. EW 21, 1967, S. 14. 100 Vgl. Information von Henkys vom 11.11.1966 (PARH). 101 Der Vortrag wurde im Grünen Dienst des epd Nr. 29/66 und in Auszügen im KJ, 1966, S. 301–304 abgedruckt. Zu Müllers MfS-Tätigkeit vgl. F. STENGEL, Fakultäten, S. 20. 102 Zitiert nach: KJ 93, 1966, S. 302. 103 EBD., S. 304. 104 ChrWelt, 9.12.1966, S. 15.

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Mit besonderem Interesse blickte auch das MfS auf die anstehende Entscheidung in Ost-Berlin. Erich Mielke, der Minister für Staatssicherheit, erklärte aus Anlass einer Dienstkonferenz am 30. November, das MfS müsse dazu beitragen, dass vor der Regionalsynode (Ost) im Januar alle vorhandenen „loyalen Kräfte anhand einer einheitlichen Konzeption“ so vorbereitet würden, dass den „progressiven Synodalen“ eine „starke einheitliche Position“ verschafft werde105. Diese Konzeption müsse das Ziel haben, „eine von westlichen Einflüssen unabhängige Kirchenleitung Berlin Brandenburg zu wählen.“ Dieselbe Intention hatte auch ein Memorandum der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin, das im Dezember dem Synodalpräsidium zugeleitet wurde. Darin drängte man auf eine Lösung der „Bischofskrise“, indem die Synode die Berufung in einer Weise vollziehe, dass der Betreffende „nicht als Vikar eines in WestBerlin residierenden Bischofs, sondern als ein einem solchen sowie den Bischöfen in der DDR gleichgeordneter leitender Geistlicher im Sinne von Artikel 103–105 und 112–118 der in der Grundordnung festgelegten Rechten und Pflichten zu amtieren hat.“106 Die Berliner Professoren appellierten an die Kirchenleitungen in der DDR „noch mehr Bewußtsein um ein selbständiges und ihren besonderen Aufgaben gerecht werdendes Handeln [zu] gewinnen.“107 Die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg entschied sich am 5. Januar für den Generalsuperintendenten des Sprengels Eberswalde Albrecht Schönherr als neuen „Verwalter des Bischofsamts“108. Damit kam man den kirchlichen Gruppen um den Weißenseer Arbeitskreis, aber auch staatlichen Erwartungen entgegen. Denn Schönherr, der Mitglied der CFK und des Weißenseer Arbeitskreises war, gehörte zu den Theologen, die schon früh den sozialistischen Staat DDR als Standort ihrer kirchlichen und theologischen Arbeit betrachtet hatten109. Um nicht als zweiter Bischof zu erscheinen, sollte der neue Verweser zwar die bischöflichen Funktionen als Hauptfunktion ausüben, rechtlich aber Generalsuperintendent bleiben und nach Beendigung seines Dienstes als Verweser in die Ausübung seines Hauptamtes zurückkehren. Des Weiteren sollte er die in der Grundordnung über das Bischofsamt enthaltenen Tendenzen auf Zusammenarbeit „im Sinne bruderschaftlicher Leitung beispielhaft für das gesamte Leben der Kirche zu verwirklichen trachten.“110 Auch war er dazu verpflichtet, „im Rahmen der Möglichkeiten brüderlichen Kontakt mit dem Bischof [zu] halten.“ Letzteres wurde von der Kirchenleitung als kirchenrechtlich bindend bezeichnet. Die „Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Verwesers“ sollte dadurch jedoch nicht tangiert werden. Unmittelbar nach seiner Nominierung

105 Abdruck in: G. BESIER, Pfarrer, S. 268–271, S. 270. 106 Zitiert nach: KJ 94, 1967, S. 243. 107 EBD., S. 244. 108 Mitteilung der regionalen Kirchenleitung Ost vom 5.1.1967. Abdruck in: KJ 94, 1967, S. 244. Zur Vorgeschichte der Wahl vgl. G. BESIER, Kirche, S. 849ff. 109 Vgl. KJ 94, 1967, S. 244. 110 Vgl. Mitteilung der regionalen Kirchenleitung Ost vom 12.1.1966. Abdruck in: EBD., S. 245.

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durch die Kirchenleitung bat Schönherr um ein persönliches und vertrauliches Gespräch mit Seigewasser, das bereits am 7. Januar zustande kam. Der neue Bischofsverweser versicherte dem Staatssekretär, dass er sein Amt in voller Selbstständigkeit und ohne West-Berliner Einfluss führen werde111. Zwei Tage später warnte die Arbeitsgruppe Kirchenfragen das Politbüro und das Sekretariat des ZK der SED, dass man trotz der „positiven politischen Positionen Schönherrs [. . .] keine Illusion über eine grundsätzliche Wende in der Politik der Kirchenleitung“ aufkommen lassen dürfe112. Die weitere Entwicklung im Bereich der Kirche Berlin-Brandenburg hänge „von der straffen Koordinierung aller im progressiven Sinne tätigen Gruppierungen ab.“ Vom 13. bis 17. Januar tagte die Regionalsynode (Ost). In ihrem Vorfeld waren die meisten Synodalen von Staatsvertretern aufgesucht und darauf hingewiesen worden, dass die Brücke zum Staat erst dann wieder begehbar werde, wenn die Brücke zu anderen Kirchen abgebrochen werde113. Auf der Synode setzte sich die Kirchenleitung Ost in ihrem Tätigkeitsbericht indes noch einmal mit aller Entschiedenheit für die Aufrechterhaltung der Einheit der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg, aber auch der EKU und EKD ein114. Hanfried Müller konstatierte hingegen, die kirchliche Einheit sei durch eigene Schuld bereits zerbrochen, weil die Kirche keine einheitliche Haltung gegenüber den Massenvernichtungsmitteln, dem Militärseelsorgevertrag, dem „Dibelianismus“ und der Obrigkeitsfrage eingenommen habe115 – eine Argumentation, mit der die Ost-CDU wenig später zum Sturm auf die Einheit der EKD blasen sollte. Auf der gleichzeitigen Regionalsynode West erklärte dagegen ebenfalls ein Linksprotestant, die berlin-brandenburgische Kirche müsse „aus Gründen des Glaubens an ihrer Einheit festhalten“. Martin Fischer deutete das Leben und Denken der einen Kirche in zwei verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten noch immer als eine Chance. Eine Distanzierung von dem ausgewiesenen Scharf erschien ihm geradezu unehrenhaft. Wörtlich sagte er: „Wir halten an der Einheit der Kirche fest, um der Kirche staatskirchlichen Opportunismus abzugewöhnen.“116 Auf der Regionalsynode Ost erklärte Schönherr, wie er sein neues Amt zu führen gedachte: „Der Verweser, ist er einmal eingesetzt, tut seinen Dienst in voller Zusammenarbeit mit seiner Kirchenleitung; er empfängt keinerlei Weisung von der anderen Region unserer Kirche, weder von der Regionalsynode West noch von der dortigen Kirchenleitung, auch nicht von dem in West-Berlin wohnenden Bischof. Diese Tatsache schmälert nicht die brüderliche Verbundenheit, die zwischen den beiden Teilen unserer Kirche besteht.“117 111 Aktenvermerk Weises vom 9.1.1967. Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 618. 112 Information der AG Kirchenfragen des ZK der SED an die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED vom 9.1.1967. Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 495ff., hier S. 497. 113 Vgl. epd ZA, 16.1.1967, S. 248. 114 Vgl. KJ 94, 1967, S. 241f. 115 Vgl. epd ZA, 16.1.1967. 116 Zitiert nach: EW 21, 1967, S. 59. 117 KJ 94, 1967, S. 247.

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Es sollte folglich kein Unterstellungsverhältnis zwischen Bischof und Bischofsverweser existieren, was Scharf auf der Westsynode bestätigte. Schönherr äußerte sich auch programmatisch zum weiteren Weg der Kirche in Berlin-Brandenburg: „Es gilt ja, an einer Kirche zu arbeiten, die in einem sozialistischen Staat und in einer sehr weltlich gewordenen Welt das Zeugnis von der Liebe Gottes zu dieser Welt in der damit gegebenen Freiheit und Gebundenheit des Dienstes findet.“118

Hinsichtlich der gestörten Staat-Kirche-Beziehungen zeigte sich der neue Verweser zuversichtlich, dass wieder „ein normales, sachliches Verhältnis“ zustande kommen werde119. Noch vor Abschluss der Synode machte er am 16. Januar zusammen mit Präses Figur bei Staatssekretär Seigewasser seinen Antrittsbesuch120. Am Nachmittag desselben Tages erklärte er den Synodalen, dass die „normalen Verhältnisse“ zwischen der Regierung der DDR und der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg wiederhergestellt seien121. Der Wille, das seit der Wahl Scharfs empfindlich gestörte Verhältnis zwischen Staat und Kirche wieder zu normalisieren wurde auch staatlicherseits in einer ADN-Meldung deutlich gemacht, in der von Schönherr als Bischof gesprochen wurde122. Schönherr selbst bezeichnete einige Wochen später die „Unabhängigkeit“ der Ost-Region der berlin-brandenburgischen Kirche von der West-Region sowie ihr Verhältnis zum Staat als einen „Modellfall für die Lösung der Probleme der EKiD“123.

4.2.2 Das Bekenntnis von Fürstenwalde 1967 Vom 17. bis 22. April 1967 sollte in Ost-Berlin der VII. Parteitag der SED stattfinden. Um mit diesem nicht zu kollidieren, beschloss der Rat der EKD Ende Oktober 1966, die Synode um 14 Tage vorzuverlegen. Denn ein gleichzeitiges Tagen von Parteitag und Synode hätte der westdeutschen Presse ermöglicht, beide Veranstaltungen gegenüber zu stellen, was man kirchlicherseits vermeiden wollte124. Zudem war damit zu rechnen, dass Ulbricht sich vor dem Parteitag zur Kirchenpolitik äußern würde und die Synode dann dazu Stellung nehmen müsste. Die Synodalen aber sollten sich ganz auf die Wahl der Mitglieder und des Vorsitzenden des Rates konzentrieren können. Da hierfür eine schnelle Kommunikation zwischen den beiden Synodenteilen unum118 EBD., S. 246. 119 EBD. 120 epd ZA, 17.1.1967. 121 EBD. 122 „Bereitschaft zu einem vertrauensvollen Verhältnis. Bischof D. Schönherr bei Staatssekretär Seigewasser“. In: NZ, 17.1.1967, S. 1. 123 „Bericht über das Gespräch des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes, Genossen Mönch, mit dem Verwalter des Bischofsamtes der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Bischof D. Schönherr, am 25.4.1967 im Rat des Bezirkes Frankfurt (O)“ (BStU BERLIN, MfS AP 21369/92). 124 Vgl. Information Henkys vom 28.10.1966 (PARH).

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gänglich war, hatte sich der Rat trotz großer Bedenken dazu entschlossen, erstmals seit dem Bau der Mauer beide Teile der EKD-Synode nach Berlin einzuberufen. Damit war aber auch der östliche Teil der Synode für die westdeutsche Presseberichterstattung zugänglich, was bei ostdeutschen Kirchenvertretern Besorgnis auslöste. Zur Vorbereitung der Synode fand am 1. Dezember in Ost-Berlin eine Kirchenkonferenz statt, bei der von 28 Gliedkirchen 26 vertreten waren125. Die Konferenz setzte einen Siebenerausschuss ein, der gemeinsam mit einem kleinen Ratsausschuss Wahlvorschläge ausarbeitete. Gemäß dem neuen Kirchengesetz waren erstmals fünf neue ostdeutsche Ratsmitglieder zu wählen, die ein arbeitsfähiges Gremium für die DDR bilden sollten. Da nicht sicher war, ob während der Synode nicht jede Kommunikation verhindert werden würde, wurden die Wahlen soweit wie möglich vorbereitet. Zeitlich parallel liefen die Vorbereitungen zum Parteitag der SED. Für den Rechenschaftsbericht des ZK über „Die Politik der Partei gegenüber den Religionsgemeinschaften“ lieferte Willi Barth die Zuarbeit126. Analog zur Einschätzung der Deutschland- und Ostpolitik der Bundesregierung sah Barth den „politischen Klerikalismus“ von der offenen Gegnerschaft gegenüber dem Sozialismus zur Strategie der „ideologischen Aufweichung“ übergehen. Unter dem „Deckmantel der ‚Einheit des Glaubens‘“, durch Ausnutzung ökumenischer Einrichtungen und mit dem „demagogischen“ Argument einer „Humanisierung des Sozialismus“ würden „reaktionäre Kräfte“ der EKD versuchen, christliche DDR-Bürger in Widerspruch zu ihrem Staat zu bringen. Das Festhalten der „westdeutschen Kirchenleitung“ an der Einheit der EKD bezeichnete Barth als die „kirchenpolitische Variante der Bonner Alleinvertretungskonzeption“. Diese Konzeption war jedoch seiner Ansicht nach gescheitert und hatte „keinerlei Aussicht auf Erfolg“. Die Kirchenleitungen in der DDR sollten daher Ulbrichts Feststellung über die unterschiedliche Entwicklung der Kirchen in beiden deutschen Staaten ernst nehmen. Die Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED schloss am 17. Januar einen Entwurf ab, in dem sie die Kirchenpolitik auf die neue Deutschlandpolitik der SED abstimmte. Sie forderte einen „kompromißlosen Kampf gegen alle Versuche, die Kirchen in der DDR für die Praktizierung und Propagierung der Konzeption von der ‚Einheit der Kirche in Deutschland‘ zu mißbrauchen.“127 Den Christen, Theologen und kirchlichen Amtsträgern in der DDR sollte bewusst gemacht werden, dass die Kirchen in beiden deutschen Staaten „faktisch unter diametral entgegengesetzten gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen existieren.“128 Zur „wirkungsvollen Zerschlagung der Illusion über den gesamtdeutschen Charakter der Kirche“ müsse der Nachweis geführt werden, dass die Verfechter der Einheit der Kirche selbst entscheidend dazu

125 Riedel an Raiser, 21.1.1967 (BA KOBLENZ, N 1287/41). 126 SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 327f. 127 „Konzeption für die weitere Linie der Politik gegenüber den Kirchen in bezug auf die Lage in Westdeutschland und die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten“. In: EBD., S. 498–501, hier S. 498. 128 EBD., S. 499.

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beigetragen hatten, die Einheit der Kirche zu zerstören. Damit war die These von der Selbstzerstörung der gesamtdeutschen Kirche formuliert und Kurs auf die Spaltung der EKD genommen, die jedoch von den ostdeutschen Kirchen selbst vollzogen werden sollte. Paul Verner, für Kirchenfragen verantwortlicher ZK-Sekretär, betonte in seinen Ausführungen zu der Konzeption nachdrücklich, dass „die Illusion über eine einheitliche Kirche ganz systematisch mit Argumenten zerschlagen“ werden müsse129. Dem Christen in der DDR, „der durch seine Obrigkeit den Weg des Friedens, der sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit geht“, stehe der „Christ in der formierten Herrschaft des westdeutschen Imperialismus“ gegenüber. Damit gehe es auch „um die Frage der Liebe zur DDR, zum Vaterland“, so Verner. Es gelte zu überlegen, wie eine breite Aufklärungskampagne unter Einbeziehung der CDU diese Gesichtspunkte vermitteln könne. Taktische Maßnahmen seien zu finden, „wie wir Schritt für Schritt das kirchliche Leben organisieren nach den realen historisch geschaffenen Gegebenheiten.“ „Wie liquidieren wir Schritt für Schritt (nicht in langen Intervallen) besonders die Büros der gesamtdeutschen kirchlichen Organe in der Hauptstadt der DDR (EKD, EKU, VELKD)?“, fragte Verner. Statt eine „sektiererische Politik“ in Richtung einer „Staatskirche in der DDR“ zu treiben, wie es das Vorstandsmitglied des Bundes Evangelischer Pfarrer in der DDR Karl Kleinschmidt präferierte, empfahl er „flexibel“ zu bleiben und die „fortschrittlichen Kräfte in den Kirchen in Westdeutschland“ zu unterstützen. Allerdings sei darauf zu achten, dass „sie nicht bei uns, sondern wir bei ihnen eindringen und unsere Politik der Realitäten durchsetzen.“ Im Vordergrund stand für Verner die „politisch-ideologische Überzeugungsarbeit“. Von derlei Überlegungen hatte man in kirchlichen Kreisen keine Kenntnis. Schon bald aber gab es erste öffentliche Hinweise auf die neue kirchenpolitische Strategie der SED. Die Mittleraufgabe übernahmen die Ost-CDU und ihre Vertreter. Am 21. Januar 1967 veröffentlichte die „Neue Zeit“ eine Stellungnahme des Hauptvorstandsmitglieds der Ost-CDU Günter Wirth, in der die „Theorie“ der Einheit der EKD als „Vehikel“ dessen dargestellt wurde, „was auch die Kiesinger/Strauß-Regierung als ‚gesamtdeutsche‘ Politik bezeichnet.“130 Wirth behauptete, Scharf habe als Ratsvorsitzender der EKD die Bonner Große Koalition im kirchlichen Bereich in gewissem Sinne vorweggenommen. Die „Große Koalition der EKD“ sei jetzt „das direkte kirchenpolitische Instrument der Bonner Bunkergemeinschaft.“ Scharf unterstütze die Notstandsgesetzgebung, greife die kirchlichen Gegner des Vietnamkriegs an, sei ein „Atomtheologe“ und ein „Vorreiter der ‚nationalen Bewegung‘“ im westdeutschen Protestantismus. Der Hauptvorwurf des auf Kirchenpolitik spezialisierten Sprechers der Ost-CDU aber richtete sich gegen Scharfs Vorstellung von der EKD als „Brücke zwischen Ost und West“. Die EKD sei nicht Brücke, so Wirth, sondern diene in der Politik der Großen Koalition als „Brückenkopf“. Es werde eine „Kirchenpolitik über 129 Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 501–504, hier S. 503. Dort auch die nachfolgenden Zitate aus den Ausführungen Verners. 130 „Instrument der Bonner Politik. Zur Konzeption des ‚EKD‘-Führers Scharf“. In: NZ, 21.1.1967, S. 5. Dort auch die folgenden Zitate.

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diese Grenzen hinweg gemacht, als ob es diese Grenzen nicht gebe, und zwar nach dem historischen Beispiel der Politik der Evangelischen Kirche in Deutschland gegenüber Polen in den zwanziger und dreißiger Jahren.“ Am 23. Januar teilte Präses Figur dem Staatssekretär für Kirchenfragen mit, dass die nächste EKD-Synode Anfang April stattfinden und der Ost-Teil in Berlin-Weißensee tagen werde. Daraufhin fertigten Mitarbeiter des Staatssekretärs eine „Einschätzung der Aufgaben- und Zielstellung“ der geplanten EKD-Synode an131. Besondere Kritik fand die kirchliche Absicht, mit den fünf statt bislang drei ostdeutschen Ratsmitgliedern einen „Ostrat der EKD“ zu bilden. Dieses Vorhaben bezweckte nach Auffassung der Mitarbeiter des Staatssekretärs, die Konferenz der Bischöfe in der DDR bedeutungslos zu machen und „eine einheitliche Linienführung in den Landeskirchen der DDR im Sinne der EKD-Konzeption, unter Ausschaltung der progressiven Bemühungen der Thüringer Landeskirche“, zu erreichen. Ebenso sei der Plan, im April die beiden Teilsynoden gleichzeitig in Ost- und West-Berlin abzuhalten, darauf gerichtet, „die direkte Einflußnahme“ von Westdeutschland und West-Berlin zu sichern. Die Verfasser schlugen vor, die Tagung in Ost-Berlin nicht zu genehmigen und einen Tagungsort außerhalb Berlins ohne Zufahrtstraßen aus Westdeutschland zu empfehlen. Westdeutsche und ausländische Gäste sollten keine Einreisegenehmigung erhalten. Mit den Synodalen waren Gespräche zu führen mit dem Ziel, bei ihnen „Klarheit über die Realität zweier deutscher souveräner Staaten“ zu schaffen, der die Kirchen Rechnung zu tragen hätten, und die Synodalen zu veranlassen, auf der Synode keinen Maßnahmen zuzustimmen, „die der sozialistischen Gesetzlichkeit“ zuwiderliefen. Presse, Rundfunk und Fernsehen sollte „empfohlen“ werden, nicht über die Synode zu berichten. Außerdem riet man dazu, „alle Bestrebungen der Eigenständigkeit der Kirchenvertreter in der DDR, die sich – aus welchen Gründen auch immer – gegen die westdeutsche EKD-Konzeption“ richteten, zu unterstützen. Das öffentliche Signal zum Sturm auf die Einheit der EKD im Zuge der Abgrenzungspolitik der DDR gegenüber der Bundesrepublik kam von der Ost-CDU. Am 9. Februar beendete Gerald Götting eine Theologentagung der CDU in Jena mit einem Schlusswort, das die Kirchen in der DDR aufmerken ließ132. Götting erklärte dort, die Parole von der Einheit der EKD sei zu einer Waffe des kalten Krieges gegen die DDR geworden. Die „freien und unabhängigen evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik“, die gemäß dem Kommuniqué vom Juli 1958 loyal den Aufbau des Sozialismus in der DDR respektierten, könnten mit der „durch den Militärseelsorgevertrag der NATO verhafteten und verpflichteten evangelischen Kirche in Westdeutschland nicht in einem Atemzug genannt werden“, spitzte der CDU-Vorsitzende zu, um dann fordernd zu erklären: „Zwischen diesen Extremen gibt es keine institutionelle Einheit“. Bereits am 21. Februar bekräftigte der CDU-Abgeordnete und Präsident des obersten Gerichts der DDR Heinrich Toeplitz die Ausführungen Göttings über die Selbstspaltung der EKD und die Existenz einer eigenständigen Kirche 131 BA BERLIN, DY 30/IV A2/14/19. 132 Referat in Teilen abgedruckt in: KJ 94, 1969, S. 182f.

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in der DDR. Dies geschah nicht von ungefähr während einer Beratung des Staatsbürgerschaftsgesetzes der DDR, einem Hauptinstrument der ostdeutschen Abgrenzungspolitik133. In kirchlichen Kreisen der DDR wurden die Erklärungen Göttings und Toeplitz’ sehr ernst genommen und als Grundsatzproklamationen des Staates gewertet. Auf der Kirchenkonferenz am 21. Februar wurden sogar Stimmen laut, es handle sich um den status confessionis. Dass sich die Lage für die EKD zuspitzen werde, war auch einem Gespräch zu entnehmen, das der Dessauer Kirchenpräsident Martin Müller und Oberkirchenrat Klaus Meyer Anfang Februar mit Seigewasser geführt hatten134. Der Staatssekretär erklärte darin, dass der Staat die Trennung der Kirche vom Westen erwarte. Die Staatsgrenzen seien notwendig auch Kirchengrenzen. Die Kirche in der DDR solle sich eine eigene Organisation schaffen. Die Überlegungen zur kirchenpolitischen Situation von Seiten der Arbeitsgruppe Kirchenfragen, Paul Verners und der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen mündeten in eine Vorlage über „Konzeption und Maßnahmen für die weitere politisch ideologische Arbeit auf kirchenpolitischem Gebiet“ ein, die am 28. Februar vom Politbüro bestätigt wurde. Darin wurde die von Götting bereits öffentlich kundgegebene Argumentation gegen die Einheit der EKD wiederholt und geschlussfolgert, dass die Auffassung von einer „kirchlichen Einheit in Deutschland“ im Widerspruch zur gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit in beiden deutschen Staaten stehe. Dieser Standpunkt sollte in der Öffentlichkeit und besonders gegenüber kirchlichen Amtsträgern durchgesetzt werden. Hierfür waren umfangreiche Maßnahmen vorgesehen: „1. Die gesellschaftlichen Kräfte, insbesondere die CDU und progressive kirchliche Kreise führen eine systematische Überzeugungsarbeit unter den kirchlich gebundenen Kreisen und Amtsträgern durch. 2. Die Aussprache des Staatssekretariats für Kirchenfragen, des Hoch- und Fachschulwesens sowie des Vorsitzenden der CDU, Gerald Götting, mit dem Senat der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität über Grundfragen unserer Politik wird an allen Theologischen Fakultäten der Universitäten der Deutschen Demokratischen Republik unter Hinzuziehung von Theologiestudenten durchgeführt. 3. Einige Theologieprofessoren arbeiten ein Memorandum über die Spaltung der Kirche durch die reaktionäre Kirchenführung Westdeutschlands aus. 4. Das Staatssekretariat für Kirchenfragen führt auf der Grundlage der Konzeption mit jedem Bischof der Deutschen Demokratischen Republik gesonderte Aussprachen durch. 5. Die Vorsitzenden der Räte der Bezirke führen ebenfalls auf der Grundlage der Konzeption Aussprachen mit den im Bereich ihres Bezirkes tätigen Bischöfen durch. Sie verbinden dies mit der Behandlung von Problemen aus dem betreffenden Bezirk. 6. Die Arbeitsgruppe Christliche Kreise beim Nationalrat führt Mitte März 1967 eine erweiterte Tagung mit Geistlichen, Theologen und Synodalen und namhaften Laien über die in der Konzeption dargelegten Grundfragen und die sich daraus ergebenden Aufgaben 133 Abdruck in: KJ 94, 1967, S. 183f., hier S. 184. 134 Vgl. Geheime Information von Schelz an Kirchenvertreter, 17.2.1967 (EZA BERLIN, 650/95/36).

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durch. In allen Bezirken der DDR finden durch die Arbeitsgruppe Christliche Kreise ähnliche Veranstaltungen statt. 7. Der Staatssekretär für Kirchenfragen führt Beratungen zu diesen Fragen mit dem Bund Evangelischer Pfarrer, den Mitgliedern der Prager Christlichen Friedenskonferenz, dem Weißenseer Arbeitskreis, dem Weimarer Arbeitskreis, der Dresdner Bruderschaft und anderen zu gleichen Fragen durch. 8. Presse, Rundfunk und Fernsehen veröffentlichen persönliche Stellungnahmen von Christen, kirchlichen Amtsträgern und Gemeindekirchenräten, in denen sie ihre Liebe und Treue zu ihrem Vaterland der DDR kundtun. 9. In der ‚Neuen Zeit‘, dem ‚Evangelischen Pfarrerblatt‘, der Zeitschrift ‚Glaube und Gewissen‘, der ‚begegnung‘ sowie den Bezirksorganen der CDU sind Artikel und Stellungnahmen zu veröffentlichen, in denen der Nachweis geführt wird, daß – die Kirche sich mit ihrer Bindung an den Bonner Staat in Deutschland selbst gespalten hat; – die These der angeblichen gesamtdeutschen Kirche nichts anderes als die Unterstützung des Bonner Alleinvertretungsanspruches ausdrückt; – die Christen der Deutschen Demokratischen Republik nichts gemein haben mit der Politik der westdeutschen Kirchenführung und sich jede Einmischung in die Angelegenheiten der Kirchen der DDR verbitten; – die allseitige Stärkung der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik auch die ureigenste Aufgabe der religiös gebundenen Menschen in der DDR ist. 10. Der Minister des Innern gemeinsam mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen werden beauftragt, Maßnahmen einzuleiten, daß die Büros und Einrichtungen der EKD und EKU ihre Tätigkeit in der Deutschen Demokratischen Republik einstellen. 11. Hinsichtlich der vom 1. bis 7. April 1967 geplanten Synode der EKD in Westberlin und in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik wird nach Prüfung der Varianten vorgeschlagen, daß als erster Schritt der Staatssekretär für Kirchenfragen die Bischöfe Krummacher und Noth zu sich bestellt und ihnen darlegt, daß die Tagung der Synode in der Hauptstadt der DDR nicht stattfinden kann. Die Tatsache, daß die westdeutsche Leitung der EKD diese Tagung zur Anheizung des kalten Krieges und zur gesetzlichen Verankerung ihrer Alleinvertretungsanmaßung nutzen und dadurch die Kirchen der Deutschen Demokratischen Republik für die Politik der westdeutschen Kirchenführung manipulieren will, sowie aus Gründen des Schutzes der Kirchen der Deutschen Demokratischen Republik und der religiös gebundenen Staatsbürger unserer Republik macht eine solche Entscheidung notwendig.“135

Kirchlicherseits konnte man von diesem Beschluss nichts wissen und nur auf die öffentlichen Attacken auf die Einheit der EKD reagieren. Göttings und Toeplitz’ Angriffe wurden durch Demonstrationen der Einheit und Einigkeit der EKD beantwortet. Das Jahr 1967 war folglich von „Bekenntnissen zur Einheit der EKD“136 durchzogen, wobei in den Argumentationen unterschiedliche Akzente gesetzt wurden. Denn eine offizielle theologische Studie über die Einheit der EKD existierte nicht. Als Einzelner äußerte sich zunächst Bischof Fränkel. Vor der Synode der schlesischen Kirche begründete er 135 SED UND KIRCHE, Bd. 1, S. 504–507, hier S. 505f. 136 KJ 94, 1967, S. 4.

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am 27. Februar die Einheit in der EKD rein geistlich und unter Bezugnahme auf die Barmer Theologische Erklärung: „Darum verstehen wir unser Festhalten an der Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland als Akt des Gehorsams gegen Gott, der uns gerade im Zeichen des ökumenischen Zeitalters gebietet, die einigende Macht der Versöhnungsbotschaft gegenüber allen Ansprüchen fremder Herren in der Gemeinschaft der Kirche zu bewähren.“137

Ähnlich argumentierte der anhaltische Kirchenpräsident Martin Müller in einem Schreiben an Götting138. Dieser antwortete ihm, „daß es für uns unzumutbar ist, daß außerhalb unserer Republik wohnende Persönlichkeiten oder Gremien in irgendeiner Form Weisungsbefugnisse gegenüber Bürgern der DDR ausüben. Das ist mit unseren Gesetzen unvereinbar.“139 Damit wurde indirekt die Zugehörigkeit der evangelischen Kirchen in der DDR zur EKD für illegal erklärt. Am 11. März sprach Bischof Jänicke vor der Synode der Kirchenprovinz Sachsen zur kirchlichen OstWest-Einheit. Er begründete sie mit der gemeinsamen historisch-moralischen Verantwortung aufgrund der „gemeinsamen Schuld der Vergangenheit“, die es „gemeinsam zu bewältigen“ gelte „für unser ganzes Volk“140. Jänicke lehnte die Behauptung ab, die Ostdeutschen hätten diese Vergangenheit aufgearbeitet und die Westdeutschen nicht. Man dürfe „einem kirchlichen Alleinvertretungsanspruch der Gliedkirchen in der DDR in Sachen Schuld der Vergangenheit“ nicht zustimmen. Auch wenn er dies allein auf die Kirche bezog, so kratzte Jänicke damit doch an der antifaschistischen Selbstlegitimation der DDR141. Der Bischof distanzierte sich aber von dem Begriff „gesamtdeutsch“, der in der DDR inzwischen auf dem Index stand, und sprach von der „gesamtchristliche[n] tätige[n] Buße in beiden deutschen Staaten“, die es zu realisieren gelte. Der Gemeinsamkeit in der EKD maß er daher einen anderen Charakter zu als der zwischen den Mitgliedskirchen des ÖRK. Sie dürfe nicht aufgegeben werden, so mahnte Jänicke mit geschichtstheologischem Impetus, „wenn wir nicht dem Gebot der Stunde, nein, dem, was Gott in dieser geschichtlichen Stunde abverlangt, ungehorsam werden wollen!“142 Zur gleichen Zeit warnte Bischof Beste vor der mecklenburgischen Synode vor der Gefahr, die politischen Gegensätze als Glaubensgegensätze zu bezeichnen, die kirchentrennende Folgen haben könnten. Er wies der Kirche stattdessen eine versöhnende Funktion zu143. In einer Entschließung bekannte sich die Synode ausdrücklich zur Mitgliedschaft ihrer Landeskirche in der EKD144. Zurückhaltender äußerte sich Mitte März die Synode der Thüringer Lan137 EBD., S. 258. 138 Schreiben vom 4.3.1967. Abdruck in: BUND, S. 94f. 139 Antwortschreiben von Götting vom 13.3.1967. EBD., S. 96. 140 KJ 94, 1967, S. 259. 141 Zum Selbstverständnis der DDR vgl.: M. OVERESCH, Buchenwald; S. MEUSCHEL, Legitimation; M. LEMKE, Antifaschismus; P. BENDER, Parallelen, S. 48. 142 KJ 94, 1967, S. 260. 143 epd ZA, 16.3.1967, S. 3. 144 KJ 94, 1967, S. 260.

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deskirche145. Sie unterstrich Mitzenheims Äußerung, dass die Einheit der evangelischen Kirchen in Deutschland zwar gestört, aber nicht zerstört sei. Gleichzeitig betonte sie, dass organisatorische Fragen keinen status confessionis bedeuten könnten. Und sie äußerten den Wunsch nach einem Weg, der „eine echte Zusammenarbeit unter den evangelischen Kirchen in der DDR unter den gegenwärtigen Verhältnissen ermöglicht.“146 In der Bundesrepublik hielt man sich zunächst mit kirchlichen Erklärungen zur angegriffenen EKD-Einheit bewusst zurück, um keine weiteren Argumente für die Behauptung westdeutscher Einflussnahme auf die ostdeutschen Kirchen zu liefern147. Hinter den Kulissen wurde aber über eine Stellungnahme der EKD-Synode nachgedacht. Am 1. März trafen sich Hammer, Behm und Figur148. Der Kirchenkanzleipräsident plädierte dafür, dass die Synodalen aus der DDR in dieser Frage zwar das erste Wort haben müssten, nach Möglichkeit aber eine gemeinsame Erklärung erarbeitet werden sollte. Er berichtete, dass in der Bundesrepublik keine Einigkeit darüber herrsche, ob der status confessionis gegeben sei, falls die Tagung der EKD-Synode in der DDR verboten oder überhaupt die Einheit der EKD in Frage gestellt würde. In der DDR waren hingegen laut Figur die meisten der Ansicht, dass die Bestreitung der Einheit der EKD ein „echte[r] Angriff auf die Grundlage des Glaubens“ sei. Das Gespräch endete mit der Übereinkunft, dass, falls es eine Synodalerklärung geben sollte, diese vorbereitet werden musste. Unabhängig von diesem Gespräch schrieb Wilkens am selben Tag an Martin Fischer und Benjamin Locher und bat sie, gemeinsam mit ihm die Vorbereitung eines solchen Wortes zu übernehmen149. In einem informellen Kreis mit Scharf nach der Sitzung von Rat und Kirchenkonferenz am 20. und 21. Februar war man sich einig geworden, dass bereits zu Beginn der Synodaltagung ein Entwurf für eine Synodalerklärung vorliegen müsse. Scharf hatte gebeten, dass Wilkens, Fischer und Locher die Formulierung dieses Entwurfs übernahmen. Wilkens bezeichnete es in seinem Brief als nicht einfach, das Festhalten am Zusammenhalt der EKD zwischen Ost- und Westdeutschland ausreichend kirchlich und theologisch zu begründen. Er kennzeichnete die innerkirchliche Diskussion darüber als kontrovers und hielt die Erklärung eines status confessionis für nicht ungefährlich. Am 2. März informierte Wilkens Behm über die Vorbereitungsgruppe für die Synodalerklärung150. Auf der Ostseite wusste zudem Präsident Hildebrandt Bescheid. Ein Kreis um ihn sollte sich ebenfalls Gedanken über eine solche Erklärung machen151. Anschließend wollte man die Ergebnisse zusammen beraten, um zu einer gemeinsamen Erklärung zu kommen. 145 EBD. 146 Bericht des Pressepfarrers Herbert von Hintzenstern in „Glaube und Heimat“ vom 26.3.1967. Zitiert nach: KJ 94, 1967, S. 260f. 147 Vgl. Wilkens an Fischer und Locher, 1.3.1967 (EZA BERLIN, 2/1232). 148 Aktenvermerk von Behm (EZA BERLIN, 104/75). 149 EZA BERLIN, 2/1232. 150 EZA BERLIN, 104/75. 151 Aktenvermerk von Behm über ein Gespräch mit Wilkens am 6.3.1967 (EZA BERLIN, 104/75).

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In der März-Ausgabe der „Lutherischen Monatshefte“ legte Wilkens seine Position zu der aktuellen Bedrohung der Einheit der EKD dar. Er empfahl, nach einem modus vivendi zu suchen. Die um der staatlichen Souveränität der DDR willen erhobenen Forderungen an die Kirchen müssten ebensowenig „antikirchlich im eigentlichen Sinne“ gemeint sein, wie sich die Kirche bei der Behauptung ihrer eigenen Freiheit von politischen Motiven als solchen leiten lassen dürfe152. Wilkens hoffte, dass die DDRRegierung das Potenzial der EKD für eine innerdeutsche Entspannungspolitik erkennen würde. Ähnlich argumentierte er auch in Informationsgesprächen, die er mit Herbert Trebs am 5. März und 4. Juli in Hannover sowie mit Hermann Kalb und Eberhard Klages am 6. März in Ost-Berlin führte153. Walter Hammer, der bei den Gesprächen in Hannover zeitweise anwesend war, führte hingegen das Kirchengeschäft A als Argument an und gab sich sicher, dass auf Grund dessen die Einheit der EKD im bisherigen Umfang auch weiter praktiziert werden könne. Die Gesprächspartner von der Ost-CDU argumentierten streng im Rahmen der neuen kirchenpolitischen Linie. In der DDR ging die Kampagne gegen die Einheit der EKD weiter. Die „Neue Zeit“ titelte am 4. März: „Es gibt zwischen diesen Extremen keine Einheit!“154. Zwei Tage später erklärte Seigewasser gegenüber Krummacher, dass die Synode nicht in Ost-Berlin tagen könne, u. a. da die Wahl des Tagungsortes auf Veranlassung von Bundesminister Herbert Wehner erfolgt sei155. Die ostdeutschen Kirchenvertreter entschlossen sich daraufhin, die Teilsynode nach Fürstenwalde zu verlegen. Der Rat der EKD billigte die Verlegung, obgleich westdeutsche Ratsmitglieder besorgt waren, dass ein Nachgeben der Kirche schwerwiegende Folgen für die Zukunft haben könnte156. Auf derselben Ratssitzung wurde beschlossen, dass es Aufgabe der Tagung der östlichen Synodalen sei, eine Erklärung zur Einheit der EKD zu erarbeiten, welche die Spandauer Tagung übernehmen bzw. bestätigen würde157. Der Plan, die in Ost- und Westdeutschland angestellten Überlegungen vor der Synode zusammenzuführen, wurde damit fallen gelassen158. Trotz des kirchlichen Entgegenkommens hinsichtlich des Tagungsortes ging in der DDR die Kampagne gegen die EKD unvermindert weiter. Am 21. März informierte Seigewasser die Räte der Bezirke über die neue kirchenpolitische Linie159. In der „Neuen Zeit“ folgte ein Hetzartikel gegen die EKD auf den anderen, zumeist verfasst von so genannten „fortschrittlichen Christen“: 152 LM 6, 1967, S. 105. 153 Bericht von Trebs vom 12.3.1967 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII/013/2161); Bericht über das Gespräch Wilkens, Klages, Kalb (EBD., VII/010/3252). 154 NZ, Ausgabe B, 4.3.1967, S. 4. 155 Information von Seigewasser vom 7.3.1967 über das Gespräch (BStU BERLIN, MfS AP 11318/92). 156 Aktenvermerk von Behm vom 17.3.1967 (EZA BERLIN, 104/43). 157 Auszug aus dem Aktenvermerk betr. Sitzung des Rates der EKD am 16.3.1967 (EZA BERLIN, 104/59). 158 Vgl. Wilkens an Fischer, 28.3.1967 (EZA BERLIN, 606/100). 159 BArch BERLIN, DO 4/4883.

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„Hallstein-Doktrin in klerikaler Aktion. Die ‚EKD‘ und die Wahrheitsfrage“ (19. März), „Domprediger Karl Kleinschmidt: Vorgetäuschte Einheit. Unsere Aufgabe: Dort Kirche sein, wo wir sind!“ (29. März), „Tabus muß man brechen! Hallsteindoktrin und EKD. Von Pfarrer Dr. Dieter Frielinghaus“ (29. März), „Pfarrer Walter Feurich: ‚Gegenseitiges Hören‘? EKD im Widerspruch zur eigenen Grundordnung“ (29. März), „‚EKD‘ – ein Anachronismus!“ Prof. Dr. Bassarak auf einer Pfarrertagung in Berlin“ (30. März),160 „Der Anspruch der ‚EKD‘, die Christenheit in beiden deutschen Staaten zu vertreten, ist fiktiv! Aus dem Referat von Professor Dr. Gerhard Bassarak auf der Berliner Theologen-Tagung“ (2. April), „Wolfgang Heyl: Unser Auftrag fordert klare Entscheidungen. Aus dem Diskussionsbeitrag des Mitgliedes des Präsidiums des Hauptvorstandes der CDU auf der Theologen-Tagung in der Hauptstadt der DDR“ (2. April)161

In der westdeutschen Presse wurde hingegen im Vorfeld der Synode vor allem Besorgnis darüber geäußert, ob und wie die EKD ein Minimum an Gemeinschaft wahren könne162. Am 2. April begann in Fürstenwalde und Berlin-Spandau die erste Tagung der vierten Synode der EKD. Da die Angriffe auf die institutionelle und juristische Einheit der EKD aus der DDR kamen und vor allem die ostdeutschen Kirchen von ihnen betroffen waren, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf die Teilsynode in Fürstenwalde, die sich dazu verhalten musste. Am Anfang standen die Rechenschaftsberichte des Ratsvorsitzenden Scharf sowie des Sprechers des Rates in der DDR Krummacher. Im zweiten Teil seines Berichtes, der auch in Spandau verlesen wurde, legte Krummacher ein Bekenntnis zur Einheit der EKD ab, das den weiteren Verlauf der Synode stark beeinflusste. Er erläuterte darin, „aus welcher geistlichen Verantwortung heraus“ an der „Einheit und Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland“ festgehalten wurde163. Dabei verknüpfte er institutionelle Kircheneinheit und Gemeinschaft im Glauben eng miteinander164. Der Greifswalder Bischof widersprach den Vorwürfen, die EKD halte nur aus nationalpolitischen Motiven und Gründen der Tradition an ihrer Einheit fest. Anstelle nationaler gab Krummacher zwei ökumenisch bedingte Gründe für den Erhalt der gesamtdeutschen EKD an: die ökumenische Tendenz der Zeit zu mehr Gemeinschaft sowie den „ökumenisch gebotenen Versöhnungs- und Brückendienst gerade an der Grenze zwischen West- und Osteuropa“, den die EKD wahrzunehmen habe165. Er führte aber auch die Gemeinschaft in Theologie, Amts- und Ordinationsverständnis, gottesdienstlichem Leben und Gesangbuch auf. Eine Trennung, so betonte Krummacher, würde „geistliche Verarmung und Selbstisolierung“ bedeuten. Eine Kirche dürfe diesen Weg nicht freiwillig gehen, „solange Gott eine gemeinsame Schulderkenntnis, aber auch gemeinsame geistliche Gaben geschenkt hat“, erklärte der Bischof unter Rekurs auf das 160 Alle bisher genannten Artikel sind zu finden im EZA BERLIN, 650/95/36. 161 Beide in: BArch BERLIN, DO 4/317. 162 Vgl. KJ 94, 1967, S. 13. 163 EBD., S. 23. 164 Wie er dabei auch mit gezielten terminologischen Ungenauigkeiten arbeitete, hat W. THUMSER, Kirche, S. 63f. herausgearbeitet. 165 KJ 94, 1967, S. 25.

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Stuttgarter Schuldbekenntnis. Für ihn handelte es sich daher nicht um eine pragmatische Frage, „sondern um eine Frage des Glaubensgehorsams, ob wir an der Einheit und Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland festhalten oder nicht“. Eine Herauslösung der ostdeutschen Landeskirchen aus der EKD, so argumentierte er, würde zum gegenwärtigen Zeitpunkt „aus keinem einzigen tragenden geistlichen oder kirchlichen Grund“ erfolgen. Krummacher kennzeichnete in seinem Bericht die Trennung als eine Gefahr für beide Kirchenteile: Auf jeder Seite würde die Freiheit und Glaubwürdigkeit kirchlichen Handelns und Sprechens gefährdet werden. In beiden Teilen Deutschlands würde sich die Kirche stärker „an die Umwelt der gesellschaftspolitischen Systeme, in denen wir leben, als an das Evangelium und an die Alleinherrschaft des Einen Herrn binden“. In beiden Bereichen bestehe die „Gefahr der Perversion des Evangeliums durch falsche Assimilierung an die gesellschaftliche Umwelt“166. Mehrmals machte der Greifswalder Bischof aber auch deutlich, dass Einheit nicht „Uniformität“ bedeuten musste und das Festhalten an der Ost-West-Gemeinschaft der EKD nicht ausschloss, dass in „freier Entscheidung“ die kirchlichen Ordnungen und Gesetze zur Erfüllung des kirchlichen Auftrags den jeweiligen Möglichkeiten angepasst wurden. Was aber nicht stattfinden durfte, war eine politisch motivierte Ausrichtung der kirchlichen Organisationsform an der staatlichen Gestaltung. Um der Unabhängigkeit der Kirche gegenüber dem Staat willen musste hier Widerspruch erfolgen. Krummacher berief sich in diesem Zusammenhang auf die Barmer Erklärung und die „Zehn Artikel über Freiheit und Dienst der Kirche“, in denen bereits ebenfalls auf Barmen Bezug genommen worden war. Damit setzte er die aktuelle Situation in Parallele zum „Kirchenkampf“ während der NS-Herrschaft. Angesichts der Behauptung, die westdeutschen und ostdeutschen Kirchen und Christen dürften nicht mehr „in einem Atemzug genannt werden“, galt der von politischer Seite geführte Angriff nach Krummachers Auffassung nicht nur der institutionellen Einheit, sondern auch der „Gemeinschaft im Glauben“: „Wahrhaftig, meine Brüder und Schwestern, jetzt geht es in der Evangelischen Kirche in Deutschland um mehr als um Fragen der kirchlichen Institution oder der Gesetzgebung. Es geht um die alleinige Bindung einer freien Kirche an den Einen Herrn, der in jedem Atemzug auch der Herr unserer Brüder ist, mögen sie politisch oder gesellschaftlich anders leben und denken als wir.“167

Am Ende seiner emphatischen Rede appellierte Krummacher: „Gott gebe, daß wir nun erst recht diese unaufgebbare Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland im Zeugnis und im Dienst vor der Welt aus Glaubensgehorsam Tag für Tag tiefer verwirklichen.“ Der ostdeutsche Synodalteil dankte Krummacher für „das eindeutige und unmißverständliche Wort zur Einheit und Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutsch166 EBD., S. 26. 167 EBD., S. 27.

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land“ und machte es sich zu Eigen168. Daneben verabschiedete er am 5. April einstimmig die von Albrecht Schönherr formulierte169 „Erklärung der in Fürstenwalde versammelten Mitglieder der Synode zur Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland“, die als „Fürstenwalder Erklärung“ in die kirchliche Zeitgeschichte einging. Darin wurde ein gegenwartsorientiertes Selbstverständnis der EKD als Kirchengemeinschaft im geteilten Deutschland skizziert, indem man aufzählte, was gegen die Trennung und was für die Einheit sprach. Gegen eine Auflösung oder Trennung wurde angeführt, dass es keinen geistlichen Grund dafür gebe. Es sei weder erkennbar, dass Gott die EKD nicht mehr für die Verkündigung des Evangeliums brauchen wolle noch dass eine der Kirchen in der EKD „in Irrlehre oder Ungehorsam gegen den Herrn der Kirche“ beharre170. Der Vorwurf der politischen Hörigkeit der Kirchen in der Bundesrepublik wurde als ungerecht zurückgewiesen. Das theologische Argument, die Einheit in der EKD müsse aufgegeben werden, weil die Kirchen sonst den Menschen, die in zwei entgegengesetzten Gesellschaftsordnungen lebten, nicht mehr dienen könnten, wurde mit der Begründung abgelehnt, die Gesellschaftsordnung werde sonst „zur Herrin über den Christusdienst“ gemacht. Für den Erhalt der Einheit wurden vier Gründe angegeben: Erstens sei die Gemeinschaft der EKD als Geschenk zu verstehen. Ihre Wurzeln habe sie in der Bekennenden Kirche und im gemeinsamen Schuldbekenntnis. In ihr werde das gemeinsame Erbe der Reformation erhalten. Zweitens sei die Gegenwart geprägt von der Tendenz zur Ökumene, zu mehr Einheit zwischen den Kirchen. Daher sei es antagonistisch, die bestehende Gemeinschaft aufzugeben. Drittens trage man angesichts der gemeinsamen Schuld eine gemeinsame historisch-moralische Verantwortung. Wörtlich hieß es dazu im Text: „Wir dürfen es nicht versäumen, einander im geteilten Deutschland zu helfen, den rechten Weg zum irdischen Wohl unseres Volkes, der Nachbarvölker und der ganzen Menschheit in Friedfertigkeit, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und vernünftiger Einsicht zu finden, damit wir nicht in alte Schuld fallen und neue Schuld auf uns laden.“171

Viertens habe die EKD ein Mandat für die Menschen, die unter der Teilung litten, und setze sich für neue Kommunikationsmöglichkeiten ein. Verwiesen die beiden ersten Motive in den kirchlichen Raum, so waren die beiden letzten Ausdruck der spezifischen öffentlichen Verantwortung der die deutsch-deutsche Grenze übergreifenden Kirche. Reinhard Henkys sah als zeitgenössischer Beobachter hier programmatisch eine „stellvertretende deutsche Verantwortungsgemeinschaft in der Situation des Antagonismus“ definiert172. In einem dritten Teil der Fürstenwalder Erklärung wurde beschrieben, wie die bestehende Einheit der EKD zukünftig gelebt und gestaltet werden sollte. Es wurde dazu aufgefordert, sie zu vertiefen und zur Abendmahlsgemeinschaft

168 169 170 171 172

EBD. A. SCHÖNHERR, Zeit, S. 247. KJ 94, 1967, S. 28. EBD., S. 29. BUND, S. 20.

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zu führen. Weiter hieß es, die Einheit sollte in Freiheit und gegenseitiger Verantwortung praktiziert werden: „Wir werden uns gegenseitig so weit freizugeben haben, daß wir unserem Auftrag in dem Teil Deutschlands, in dem wir leben, gerecht werden. Das erfordert von allen Kirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland, daß sie in ihren Entscheidungen immer wieder auf die anderen Rücksicht nehmen. Das erfordert große Zucht bei Äußerungen in der Öffentlichkeit. Das erfordert viel Vertrauen zu denen, die nicht unmittelbar gefragt werden können.“173

Ohne wie Krummacher die Frage institutioneller Kircheneinheit zur Bekenntnisfrage werden zu lassen, schloss die Erklärung mit den Sätzen: „Die Einheit der Kirche besteht in dem Einen Herrn, der uns in seine Nachfolge berufen hat. Als seine Jünger weist uns der Herr aneinander. Wir sollen einander auf dem Wege helfen, trösten, mahnen und tragen. Wir sollen aufeinander zugehen und miteinander sprechen. Wenn wir uns aus den Augen verloren haben, sollen wir uns suchen. Wenn wir uns gefunden haben, sollen wir beisammen bleiben. Gemeinsame Einrichtungen in der Leitung dienen diesem Ziel. Darum halten wir an der Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland fest.“

Der vorletzte Satz stammte nicht von Schönherr, sondern war nachträglich in dessen Entwurf eingefügt worden174. Sehr bewusst war sowohl in Krummachers Bericht als auch in der Fürstenwalder Erklärung versucht worden, der aus politischen Gründen geforderten Trennung und Abgrenzung der ostdeutschen Landeskirchen von der EKD eine spezifisch kirchlichtheologische Sicht der Gemeinschaft in der EKD entgegenzustellen. Angesichts der bekenntnishaften Äußerungen von Krummacher und der Fürstenwalder Synode verzichteten die in Spandau versammelten Synodalen auf eine eigene Stellungnahme zur EKD-Einheit und erklärten sich am 7. April in einer „Entschließung zur Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland“ mit den Fürstenwalder Äußerungen einig175. Zuvor war indes die Einheitsfrage im theologischen Ausschuss sowie im Ausschuss für öffentliche Verantwortung intensiv diskutiert worden. Der theologische Ausschuss hatte der Synode einen Entwurf zu einem „Wort an die Gemeinden angesichts der gefährdeten Einheit der Kirche“ vorgelegt, der sich im ersten Teil mit einer inneren Gefährdung, dem sich zuspitzenden Gegensatz zwischen der Verkündigung in der Gemeinde und der wissenschaftlichen Theologie, auseinandersetzte und im zweiten Teil die von außen bedrohte institutionelle Einheit der EKD in einer Art Zusammenfassung der Hauptargumente aus Krummachers Bericht „geistlich“ begründete176. Der zweite Teil war durch die Fürstenwalder Erklärung hinfällig geworden und wurde im Plenum bewusst nicht mehr diskutiert, der erste Teil aber war sowohl in den Ausschussberatungen als auch im Plenum so umstritten, dass das Wort lediglich dem Rat 173 174 175 176

KJ 94, 1967, S. 29. A. SCHÖNHERR, Zeit, S. 247. KJ 94, 1967, S. 30. BERLIN und Fürstenwalde 1967, S. 206f. und S. 211f.

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als „Material“ übergeben wurde177. Über die Diskussion im Ausschuss für öffentliche Verantwortung berichtete ausführlich Benjamin Locher. Er machte durch seine Darlegungen deutlich, dass die innerkirchliche Debatte über die organisatorische und innere Einheit der EKD in der Bundesrepublik in vollem Gange war. Locher sprach von den nicht politisch motivierten Einwänden gegen die organisatorische Einheit der EKD, die in letzter Zeit im kirchlichen Raum geäußert wurden. Er führte folgende Argumente auf: – Eine institutionelle Ordnung trägt nicht von vornherein den Charakter einer Glaubensnotwendigkeit; in der EKD existiert keine Gemeinschaft in der Sakramentsverwaltung; die EKD besitzt keine lange Tradition; die politische und gesellschaftliche Situation hat sich gegenüber 1948 verändert; die Kirche muss initiativ sein, anstatt immer nur zu reagieren; die Kirche befindet sich ohnehin in einem Wandlungsprozess; die ostdeutschen Kirchen haben ihr Miteinander bereits außerhalb der Ordnung der EKD organisiert; – die Organe der EKD sind von einem Lähmungsprozess erfasst.

– – – – – –

Locher zählte auch die Gegenargumente auf, die im Ausschuss geäußert wurden: – In der EKD existiert „eine Gemeinschaft des Zeugnisses, des Dienstes und der gegenseiti– – – –

gen Hilfe“178; die Ordnung der Kirche darf nicht ohne Rückbezug auf die Glaubensgrundlagen geändert werden; die Einheit der EKD verwirklicht sich allein im gemeinsamen Vollzug der Aufgaben, die ihr gemeinsam gestellt sind; Einheit bedeutet wechselseitiges Geben und Nehmen; Einheit muss Vielfalt beinhalten, auch in den zu ziehenden politischen Konsequenzen.

Um die Freiheit in der Einheit, von der später auch die Fürstenwalder Erklärung sprach, zu organisieren, verabschiedete die Synode bereits am 4. April das „Kirchengesetz über Tagungen der Synode und der Kirchenkonferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland in besonderen Fällen“179, das die Betheler Gesetze modifizierte. Durch das neue Kirchengesetz wurde ermöglicht, dass nunmehr auch regionale Tagungen der Synode stattfinden konnten, die je für ihren Bereich die Aufgaben und Befugnisse der Synode wahrnahmen und EKD-Gesetze mit räumlich beschränktem Wirkungsbereich erlassen konnten. Beschlüsse, die für den Gesamtbereich der EKD gelten sollten, mussten von den regionalen Tagungen übereinstimmend gefasst werden. Auch die Mitglieder von Präsidium und Rat konnten getrennt gewählt werden. Der Rat hatte gemeinsam mit der Kirchenkonferenz zu bestimmen, wie viele Mitglieder von den einzelnen regionalen Tagungen zu wählen waren. Beide Gremien gemeinsam legten 177 EBD., S. 210. 178 KJ 94, 1967, S. 273. 179 Abdruck EBD., S. 31f.

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auch fest, von welcher der regionalen Tagungen der Vorsitzende und von welcher der stellvertretende Vorsitzende zu wählen war. Die Bestimmungen über getrennte Tagungen der Kirchenkonferenz wurden der neuen Regelung angepasst. Falls bis zum 4. April keine Kontaktnahme zwischen den beiden Synodenteilen möglich gewesen wäre, hätte der Westteil gemäß der Betheler Gesetze das neue Kirchengesetz für die ganze EKD beschlossen. Für diesen Fall hatte der Rat vorgesehen, die Amtszeit von Präsidium und Rat weiter laufen zu lassen und im Herbst nach dem neuen Kirchengesetz die Wahlen auf regionalen Tagungen durchzuführen. Der Ernstfall, auf den man vorbereitet war180, trat aber nicht ein. Die Neuwahl des Rates und seines Vorsitzenden konnte, wenn auch mit Mühen und Verzögerungen auf Grund der erschwerten Kommunikationsmöglichkeiten, durch die gemeinsame Entscheidung der getrennt tagenden Teile der Synode und der Kirchenkonferenz vollzogen werden. Das heißt, die östlichen Ratsmitglieder wurden auch mit den Stimmen der westlichen Synodalen und die westlichen Ratsmitglieder auch mit den Stimmen der östlichen Synodalen gewählt. Neuer Ratsvorsitzender wurde erstmals ein VELKD-Lutheraner: der bayerische Landesbischof Hermann Dietzfelbinger. Seine Nominierung und Wahl ging von den in Fürstenwalde tagenden Synodalen aus181. Sie war mit der Hoffnung verbunden, durch die Wahl eines politisch bislang kaum hervorgetretenen Bischofs den ostdeutschen Gliedkirchen ihre Zugehörigkeit zur EKD zu erleichtern und vor politischen Missdeutungen zu schützen182. Aus ähnlichen Motiven hatten westliche Ratsmitglieder im Vorfeld der Synode vorgeschlagen, ein Vertreter der ostdeutschen Gliedkirchen solle den Ratsvorsitz übernehmen183. Die östlichen Ratsmitglieder waren jedoch dagegen gewesen, da die mangelnde Bewegungsfreiheit eines Ratsvorsitzenden aus dem Osten die Ausübung des Amtes unmöglich gemacht hätte. Vor und noch während der Synode war dann eigentlich Hanns Lilje als Kandidat für den Ratsvorsitz vorgesehen gewesen. Doch musste er zum zweiten Mal nach 1961 aus politischer Rücksichtnahme auf den Vorsitz verzichten. Kurt Scharf wurde zum stellvertretenden Ratsvorsitzenden gewählt. Den Kirchenzeitungen in der DDR wurde die Berichterstattung über die Synode in Fürstenwalde untersagt184, die Ostausgabe des Amtsblatts der EKD durfte nicht mehr erscheinen. So konnten Informationen über die Ergebnisse der Synode sowie Krummachers Bericht und die Fürstenwalder Erklärung nur auf dem kirchlichen Amtswege den Superintendenturen und Pfarrkonventen weitergegeben oder mündlich auf Landes-, Kreis- und Bezirkssynoden, Pfarrkonventen und Gemeindeveranstaltungen verbreitet werden185. Als erster berichtete Bischof Krummacher den Mit180 Aktenvermerk von Behm vom 17.3.1967 über die Ratssitzung am 16.3.1967 (EZA BERLIN, 104/43). 181 Vgl. den Kommentar von Hans-Otto Wölber zum Verlauf der Synode in: LM 6, 1967, S. 157. Vgl. auch E. WILKENS, Bekenntnis, S. 189. 182 Vgl. KJ 94, 1967, S. 275. Vgl. auch H. DIETZFELBINGER, Veränderung, S. 290. 183 Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 181. 184 BArch BERLIN, DO 4/317. 185 Vgl. z. B. Krummacher an geistliche Amtsträger des Kirchengebiets, 8.4.1967; Ringhandt an alle Geistlichen des Kirchengebiets, 17.4.1967 (EZA BERLIN, 104/75) sowie den Auszug aus der Niederschrift über die erweiterte Referentenbesprechung am 27.4.1967 in Berlin (EBD., 104/76).

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arbeitern seiner Landeskirche in einem Rundbrief über Fürstenwalde, was ihm staatlicherseits als Affront ausgelegt wurde186. Bischof Fränkel und Kirchenpräsident Müller sprachen beide auf großen Gemeindeveranstaltungen über die Synode187. In der Bundesrepublik fand die Synode in Presse, Rundfunk und Fernsehen eine überdurchschnittliche Beachtung. Manfred Linz warnte im Norddeutschen Rundfunk davor, die institutionelle Einheit der EKD theologisch zu überhöhen188. Stattdessen plädierte er dafür, aus „pragmatischen“ Gründen an ihr festzuhalten, denn sie ermögliche den Kontakt und damit die gegenseitige Korrektur. In einem privaten Schreiben an Raiser wurde er noch deutlicher. Er sprach vom „Durcheinander der Emotionen“ und davon, dass aus „dem Bekennen im ‚Geiste von Barmen‘ [. . .] mehr ein Deklamieren geworden“ sei. Auch in Fürstenwalde sei nach seinen Informationen „mehr manipuliert als verhandelt worden.“ Für ihn blieb nach der Synode ein „ungutes Gefühl“ zurück, auch im Gedanken an die „Folgen, die jetzt schon erkennbar sind.“189 Eberhard Stammler titelte in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 6. April: „Die Qual der kirchlichen Einheit“190. Auch er kritisierte, dass in der Diskussion weithin dogmatische Argumente mit pragmatischen und theologische mit politischen verwechselt wurden. Er verwies darauf, dass angesichts der lähmenden Wirkung der Einheit auf beide Kirchenbereiche sich die Stimmen derer mehrten, die aus kirchlichen Bedenken heraus das Festhalten am Einheitsprinzip hinterfragten. Stammler selbst stellte die Frage, ob die EKD gut daran tue, ihrem Einheitsprinzip die Funktionsfähigkeit ihrer Organe in so einschneidender Weise zu opfern. Eventuell müssten neue Wege gesucht werden, die gegenseitige Verantwortung wahrzunehmen und zugleich sich soweit freizugeben, als es für die Erfüllung der je spezifischen Aufgaben notwendig war. Hans Jürgen Schultz forderte im Süddeutschen Rundfunk „Begründungen“ statt „Bekenntnisse“191. Es bedürfe einer „Theologie der Einheit“, nicht einer „Einheitstheologie“. „Pragmatische und geistliche, politische und heilsgeschichtliche, taktische und seelsorgerliche Begriffe, Gott und Kattun sind in eine heillose Gemengelage geraten“, so kritisierte er. Er empfahl der Synode, sich nicht „ideologisch, sondern dialogisch“ zu verhalten, d. h. zu einem Forum kritischer Ost-West-Dialoge zu werden. Kirchenvertreter kommentierten die Synode erwartungsgemäß positiver. Den meisten von ihnen war aber auch bewusst, dass bei der Fürstenwalder Erklärung nicht stehen geblieben werden konnte, sondern dass das Bekenntnis zur Einheit der EKD aktiv umgesetzt werden musste. Wilkens erklärte am 8. April im RIAS, dass die Einheit der EKD vom Wesen kirchlicher Gemeinschaft und vom Dienst der Kirche in der aktuellen Lage des deutschen Volkes her neu definiert werden müsse192. Insgeheim war er jedoch wenig

186 187 188 189 190 191 192

Vgl. epd Gelber Brief 28/67, S. 2. EBD. Abschrift im BArch KOBLENZ, N 1287/41. Linz an Raiser, 14.4.1967 (BArch KOBLENZ, N 1287/41). Abdruck in: KJ 94, 1967, S. 279–283. Abschrift im BArch KOBLENZ, N 1287/41. Teilabdruck im: KJ 94, 1967, S. 275f.

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zuversichtlich im Hinblick auf die Zukunft der EKD. Nach der Verlesung der Fürstenwalder Erklärung in Spandau hatte er gegenüber Reinhard Henkys geäußert, die EKD werde zerbrechen193. Bischof Wölber machte in den „Lutherischen Monatsheften“ klar, dass es beim „Bekenntnis“ zur Einheit nicht bleiben könne. „Thema und Wirklichkeit der Einheit bedarf einer neuen intellektuellen und diakonischen Aktion“, so seine Forderung, „wenn wir nur institutionell auf die Einheit pochen oder sie erquälen, werden wir uns nicht als stark genug erweisen.“194 Der neue Ratsvorsitzende Dietzfelbinger verstand die Fürstenwalder Erklärung als Auftrag an die Kirche, vor allem auch ihre innere Einheit zu festigen195. Andere Artikel und Kommentare fokussierten stärker den kirchenpolitischen Aspekt der Fürstenwalder Erklärung. Karl-Alfred Odin erklärte am 8. April in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die öffentlichen Angriffe und administrativen Maßnahmen in der DDR gegen die EKD hätten das „Wunder“ heraufgeführt, dass alle ostdeutschen Synodalen die „öffentliche Selbstverpflichtung“ mit beschlossen hätten, an der Gemeinschaft in der EKD festzuhalten196. Eugen Gerstenmaier begrüßte die Fürstenwalder Erklärung in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“, das am 9. April unter dem provokanten Titel erschien: „Kirchen-Einheit stärker als Ulbricht“197. Herbert Wehner würdigte hingegen vor dem Bundeskongress der Jungsozialisten in Braunschweig am 11. April den „ökumenischen Geist der Erklärung“ und begrüßte „Impulse von außerhalb der Politik“198. Derlei Äußerungen waren wie Wasser auf die Mühlen der ostdeutschen Kirchenpolitiker. In der politischen Presse der DDR fand die Synode wie zu erwarten ein negatives Urteil. Denn mit ihrem Bekenntnis zur Einheit der EKD gegen den klaren Willen der SED hatten die ostdeutschen Synodalen die DDR-Propaganda Lügen gestraft, die behauptete, die EKD sei eine rein westdeutsche Angelegenheit, die sich zu Unrecht anmaße, die Landeskirchen in beiden deutschen Staaten zu umfassen199. Zugleich hatte man das Propagandabild von der harmonischen „Zusammenarbeit von Christen und Nichtchristen“ in der DDR düpiert. Um diese Schlappe für die SED-Kirchenpolitik nicht zu offenbar werden zu lassen, wurde das Ergebnis der Synode personifiziert und Krummacher zur persona non grata erklärt. Der stellvertretende Chefredakteur des „Neuen Deutschland“, Günter Kertzscher, schrieb am 8. April, Krummacher habe als „Einpeitscher der Kiesinger/Strauß-Linie“ agiert200. Damit wurde erstmals seit längerer Zeit wieder ein ostdeutscher Kirchenvertreter öffentlich angegriffen. Zugleich bemühte Kertzscher das kirchenpolitische Instrument der Differenzierung: 193 E. WILKENS, Bekenntnis, S. 188. 194 LM 6, 1967, S. 158. 195 „Ihre Einheit muß gewahrt werden“. In: Deutsche Korrespondenz, 16.5.1967. Wiederabdruck in: KJ 94, 1967, S. 283f. 196 FAZ, 8.4.1967, S. 2. 197 „Kirchen-Einheit stärker als Ulbricht. Interview mit Bundestagspräsident Gerstenmaier zur Gesamtdeutschen Synode der EKD. Von Claus Dieter Nagel“. In: Welt am Sonntag, 9.4.1967, S. 4. 198 epd ZA, 11.4.1967, S. 6. 199 Vgl. Reinhard Henkys: Zerbrochene Fassaden. In: KJ 94, 1967, S. 279. 200 „Evangelische Kirchenführer auf Kiesinger/Strauß-Kurs“. In: ND, 8.4.1967, S. 5.

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„Mit der politischen Rolle Krummachers ist aber keineswegs die evangelische Kirche der DDR insgesamt, sind nicht die evangelischen Christen überhaupt charakterisiert. Der Landesbischof D. Dr. Mitzenheim, die thüringische Landeskirche und andere sind einem gegen die DDR gerichteten politischen Mißbrauch entgegengetreten. Vertreter der Thüringer Landeskirche haben es abgelehnt, sich wieder in den Rat der sogenannten EKD wählen zu lassen.“201

Die Kirchenvertreter aber, welche die evangelische Kirche „für eine abenteuerliche und hoffnungslose Politik einspannen, führen einen schweren Schlag gegen die eigene Kirche und werden scheitern“, prophezeite Kertzscher. Ähnlich titelte Klages einen Tag später in der „Neuen Zeit“: „‚EKD‘-Unheil besiegelt“. Und im gleichen Tenor erklärte Ulbricht auf dem SED-Parteitag Mitte April, dass „alle Versuche, die Politik des Grauen Planes und der Alleinvertretungsanmaßung des Bonner Regimes unter der Flagge der westdeutschen Nato-Kirche in die DDR zu tragen, zum Scheitern verurteilt sind. Bestimmte kirchenleitende Kräfte in der DDR, die dem Druck der westdeutschen Militärkirche unterliegen und sich zum Sprecher ihrer reaktionären Politik machen, isolieren sich mehr und mehr von den christlichen Bürgern der DDR und der Mehrheit der vernünftig denkenden kirchlichen Amtsträger, die zu der festen Überzeugung gelangt sind, daß die dem Frieden und dem sozialen Fortschritt dienende Politik unserer Partei mit ihren eigenen Interessen übereinstimmt.“202

Neben dieser Kritik an Einzelpersonen lobte Ulbricht die Festigung der „Gemeinsamkeit des humanistischen Denkens und Handelns von Christen und Nichtchristen in unserem sozialistischen Staat.“203 Da Krummacher nach seinem Synodalbericht für sie kein Gesprächspartner mehr war, zeigten sich die staatlichen Stellen empört, als er am 29. Juni erneut zum Vorsitzenden der KKL gewählt wurde. Das über Krummacher verhängte politische Verdikt hatte den Kirchenleitungen keine andere Wahl gelassen: Eine Entscheidung für einen anderen Kandidaten wäre politisch als Distanzierung von dem Greifswalder Bischof ausgelegt worden. Nur die Vertreter der Thüringer Kirchenleitung hatten erneut dafür plädiert, den Vorsitz in der Konferenz jährlich wechseln zu lassen und den Ost-Berliner Bischofsamtsverwalter Schönherr als Kandidaten vorgeschlagen204. Nach der Wahl Krummachers machte Staatssekretär Seigewasser in einem Gespräch mit Bischof Beste klar, dass der Greifswalder Bischof zukünftig keine ökumenischen Reisen mehr unternehmen könnte205. Ebenso sollte er keine Einladungen zu staatlichen Veranstaltungen mehr erhalten206. Im „Neuen Deutschland“ wurde Krummacher scharf angegriffen207. Ansonsten hielt man sich von Staats- und Parteiseite in den Sommermonaten 201 EBD. 202 Zitiert nach: BUND, S. 105. 203 EBD. 204 Vgl. epd Gelber Brief 35/67, S. 1. 205 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 640. 206 Vgl. Einschätzung der Tätigkeit der „internationalen und westdeutschen kirchlichen Zentralen“ der HA XX/4 des MfS vom 27.11.1967 (BStU BERLIN, MfS HA XX/4–3233). 207 Dies geschah bezeichnenderweise durch einen gekürzten Abdruck eines Beitrages aus der west-

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wohl im Hinblick auf die im Oktober anstehenden Reformationsfeierlichkeiten mit öffentlichen Angriffen zurück. Stattdessen wurden einer Reihe von Pfarrern, Gemeindehelferinnen und Katechetinnen der evangelischen Kirche von Greifswald die ihnen zustehenden Rentnerreisen in die Bundesrepublik oder nach West-Berlin behördlich mit der Begründung verweigert, dass sie zunächst dafür sorgen sollten, dass Krummacher seine politischen Anschauungen änderte208. Durch diese „Sippenhaft“ versuchte man, die kirchlichen Mitarbeiter gegen ihren Bischof aufzubringen. In der Bundesrepublik ging währenddessen die innerkirchliche Diskussion um die Einheit der EKD weiter. In der zweiten Juni-Nummer der „Stimme der Gemeinde“ erschien ein Aufsatz von Martin Niemöller mit dem Titel: „Was soll aus der ‚Evangelischen Kirche in Deutschland‘ werden?“ Angesichts des Gegensatzes der beiden deutschen Staaten stellte Niemöller, wie schon ähnlich auf der Synode in Spandau, die rhetorisch anmutende Frage: „ob die evangelische Christenheit in beiden deutschen Staaten ihre gemeinsame Organisation EKiD aufrechterhalten soll oder ob sie aus der gegenwärtigen Unmöglichkeit, dieser gemeinsamen Organisation lebendigen Inhalt zu geben, die Folgerung ziehen muß, daß sie die EKiD aufgibt und an ihre Stelle zwei regional getrennte Kirchengebilde treten läßt, also eine Evangelische Kirche in der Bundesrepublik und eine Evangelische Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik.“209

Als Entscheidungskriterium nannte Niemöller: „Wir müssen jeweils diejenige irdische Struktur schaffen, die der Gemeinde Jesu zur Erfüllung ihrer Aufgabe unter den obwaltenden Umständen die besten Möglichkeiten gibt.“210 Die Antwort auf die Frage, ob die staatliche Ablehnung der EKD die Verkündigung des Evangeliums in der DDR beeinträchtige, wollte er den ostdeutschen Christen überlassen, fügte aber hinzu: „Es geht hier offensichtlich nicht um den ‚status confessionis‘“211. Laut Niemöller sollten sich die evangelischen Christen in Deutschland energischer um die Abendmahlsgemeinschaft bemühen, statt in dem „Ende einer strukturellen Einheitsorganisation, wie es die EKD war“, das Zerbrechen einer Gemeinschaft zu beklagen, deren wirkliche Einheit man aus konfessionellen Gründen niemals habe anerkennen wollen. Neben diesem Seitenhieb gegen die konfessionellen Lutheraner, mit denen Niemöller schon in der Konstituierungsphase der EKD um den Charakter des neuen Zusammenschlusses erbittert gestritten hatte, enthielt Niemöllers Aufsatz zahlreiche Unmutsäußerungen über die westdeutsche Deutschlandpolitik und den deutschlandpolitischen Kurs der EKD seit Kriegsende, die er beide noch immer für verfehlt hielt. Angesichts der Infragestellung der Einheit der EKD durch kirchliche Stimmen in der Bundesrepublik rief der Ratsvorsitzende Dietzfelbinger in einer Rede Ende Juni deutschen „Anderen Zeitung“: „Zeuge einer ganz speziellen Einheit.“ ‚Andere Zeitung‘, Hamburg: Das „Evangelium des Friedrich-Wilhelm Krummacher“. In: ND, 2.8.1967, S. 6. 208 Vgl. epd Gelber Brief 35/67, S. 1. 209 Stimme 19, 1967, S. 366f. 210 EBD., S. 367. 211 EBD.

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dazu auf, die EKD weder zu „verklären“ noch „vorzeitig preis[zu]geben“212. Die Gründe für die aktuelle Kritik an der EKD waren in seinen Augen „entweder zu hohe Erwartungen, die nicht erfüllt werden können, oder aber auch zu niedrige Ansprüche, die zur Folge haben, daß die EKD uninteressant wird.“ Auf der Herbsttagung der westfälischen Landessynode setzte sich Ernst Wilm ausführlich mit der aktuellen Einheitsdiskussion auseinander. Er widerlegte dabei neben den bekannten pragmatischen, politischen und kirchlichen Argumenten für eine Trennung auch das von ihm so genannte „menschliche“ Argument, nach dem der Zusammenhang der Christen in der DDR mit den westdeutschen Christen für diese eine Belastung sei213. Sie würden, so argumentierten die kirchlichen Befürworter einer Trennung, dadurch politisch diskreditiert und auch selbst nicht frei, ihre christliche und kirchliche Existenz in ihrer gesellschaftlichen Umwelt zu leben. Man sollte sie aus der institutionellen Gemeinschaft entlassen, damit sie in eine „andere Solidarität mit ihren Mitbürgern und ihrem Staat kommen!“214. Wilm erklärte dazu, dass es den Christen und Kirchen in der Bundesrepublik fern läge, irgendeinen Druck auf ihre Mitchristen in der DDR auszuüben. Wenn diese selbst den Wunsch hätten, aus der Gemeinschaft entlassen zu werden, würden die westdeutschen Kirchen dies ohne zu zögern tun, „auch wenn wir selbst viel dabei verlieren würden“, versicherte der Präses. Ohne diese Willenserklärung aber gäben die Christen in der Bundesrepublik die kirchliche Gemeinschaft mit den Christen in der DDR nicht auf. Wilm begründete das Beieinanderbleiben auch mit den vielen bestehenden, menschlichen Bindungen, basierend auf familiären oder freundschaftlichen Beziehungen, gemeinsamer „Heimat“ und Sprache, gemeinsamen Kulturgütern sowie gemeinsamer Noterfahrung. Noch immer, so Wilm, bete er für die Zusammenführung des getrennten deutschen Volks. Dafür sei er zu „Opfern“ bereit und der Regierung dankbar, dass auch sie es sei. Das nationale Moment spielte bei dem 66jährigen Präses sichtlich noch eine Rolle, auch für den Erhalt der kirchlichen Einheit. Die westfälische Landessynode bekräftigte in einer Erklärung ihren Willen zur Einheit der EKD und nannte hierfür neben der Einheit der Bibel, des Gesangbuches und von Formen institutioneller Einheit seit 1918 auch einen religiös motivierten friedensethischen Grund: „Wir glauben gemeinsam, daß der Evangelischen Kirche in Deutschland gerade heute an der Nahtstelle zweier unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen der Auftrag ihres Herrn zukommt, einander festzuhalten und Brücken des Verstehens und der Versöhnung zwischen Menschen eines geteilten Landes und zwischen Ost und West zu schlagen.“215

Die Erklärung der in Bethel tagenden Landessynode enthielt auch einen Gruß an die Vertreter von EKD und Ökumene, die sich zu diesem Zeitpunkt anlässlich des 212 213 214 215

Vgl. EW 21, 1967, S. 410. Vgl. KJ 94, 1967, S. 7–11. EBD., S. 10f. EBD., S. 12.

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450. Jahrestages des Thesenanschlags von Martin Luther in Wittenberg aufhielten. Die Synodalen drückten ihr Bedauern aus, dass viele ihrer Kirchenglieder an den Feierlichkeiten in der DDR nicht teilnehmen konnten. Denn entgegen früherer Aussagen von staatlicher Seite, in der Frage der Einreisegenehmigungen großzügig zu verfahren, hatte das Politbüro am 22. August 1967 beschlossen, dass zur Teilnahme an den kirchlichen Feiern nur solche Kirchenvertreter aus der Bundesrepublik einreisen durften, „die für die normalen Beziehungen zwischen den Regierungen beider deutscher Staaten durch gleichberechtigte Verhandlungen sind und die die Alleinvertretungsanmaßung der Bonner Regierung nicht billigen.“216 Nach SED-Interpretation waren damit auch die Befürworter einer kirchlichen Einheit von einer Teilnahme ausgeschlossen. Folglich konnte der neue Ratsvorsitzende Dietzfelbinger nicht einreisen und auch die meisten anderen westdeutschen Antragsteller wurden rigoros abgewiesen. Lediglich 39 Gäste aus der Bundesrepublik und West-Berlin durften an den kirchlichen Feierlichkeiten teilnehmen. Von den 303 geladenen ökumenischen Gästen aus dem westlichen Ausland erhielten nur 170 eine Einreisegenehmigung217. Die Fürstenwalder Synode hatte dazu geführt, dass die DDR-Führung die 1966 entwickelte kirchenpolitische Linie noch konsequenter verfolgte. Die Vorbereitungen zu den Reformationsfeierlichkeiten im Oktober und November 1967 hatten staatlicherseits bereits im September 1964218 und kirchlicherseits 1965 eingesetzt219. Im März 1966 entschloss sich das Politbüro hinsichtlich der 1967 zu begehenden Jubiläen von 900 Jahre Wartburg, 450 Jahre Reformation und 150 Jahre Wartburgfest der deutschen Burschenschaften zu einer gezielten Kulturerbe-Rezeption220. Die DDR sollte der eigenen Bevölkerung als der einzig rechtmäßige, von der Geschichte legitimierte und allen Deutschen die Zukunft weisende deutsche Staat präsentiert werden221. Zu diesem Zwecke sollte sich die DDR bei den Jubiläen des Jahres 1967 „als Hüterin und Fortsetzerin der fortschrittlichen nationalen und humanistischen Traditionen des deutschen Volkes [. . .] erweisen“ und durch zentrale Veranstaltungen auch gegenüber den Kirchen das kulturelle „Primat für alle drei Jubiläen zum Ausdruck“ bringen222. So wurde neben dem kirchlichen „Vorbereitenden Ausschuss für die zentralen kirchlichen Veranstaltungen 1967“ unter dem Vorsitz von Jänicke und Noth auch ein staatliches „Komitee der DDR für die zentralen Veranstaltungen anläßlich des 450. Jahrestages der Reformation“ unter Vorsitz von Gerald Götting konstituiert. Das 216 Zitiert nach: G. BESIER, SED-Staat, S. 639. Vgl. das entsprechende Schreiben des Innenministeriums der DDR. Abdruck in: KJ 93, 1967, S. 190f. 217 Vgl. KJ 93, 1967, S. 190. 218 Eine erste „Aussprache“ zur Ausgestaltung des 450. Jahrestages des Thesenanschlages zwischen staatlichen Stellen und Wissenschaftlern fand am 18.9.1964 im Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen statt. Vgl. M. ROY, Luther, S. 149. 219 Vgl. „Ost-Berlins Griff nach der Deutschen Geschichte“. In: EW 21, 1967, S. 110–113. 220 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 612. 221 Zur „historischen Mission der DDR“ vgl. K. ERDMANN, Nationalstaat, S. 137f. 222 Zitiert nach: G. BESIER, SED-Staat, S. 612. Zu den Überlegungen und Zielen der SED hinsichtlich des Reformationsjubiläums 1967 vgl. auch M. ROY, Luther, S. 152ff.

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bedeutete indes nicht, dass man von Parteiseite nicht auch auf den kirchlichen Vorbereitungsausschuss Einfluss nehmen wollte. Im Sinne der aktuellen deutschlandpolitisch motivierten Kirchenpolitik der SED wies die Arbeitsgruppe Kirchenfragen darauf hin: „Für die weitere politisch-ideologische Vorbereitung der Jubiläen gilt es, im kirchlichen Vorbereitungsausschuß durchzusetzen, daß die Absage an den Allein-Vertretungsanspruch der EKD im wohlverstandenen Interesse der Kirche selbst liegt.“223 Um das offizielle nationale Geschichtsbild nicht zu stören, wonach die Reformation zu jenem Teil der deutschen Nationalgeschichte zählte, den die DDR für sich allein in Anspruch nahm, durfte es nach dem Willen der Partei- und Staatsfunktionäre auch keine in irgendeiner Form gesamtdeutsch verantworteten kirchlichen Feiern in Wittenberg geben. Der kirchliche Teil der Reformationsfeierlichkeiten sollte Sache der Kirchen in der DDR sein, die dazu ausländische und westdeutsche Gäste einluden. Um die Feiern in Wittenberg nicht zu gefährden, legte sich die EKD bei deren Vorbereitung große Zurückhaltung auf. Sie überließ den Kirchen in der DDR die Ausrichtung der zentralen Veranstaltungen an den dort gelegenen Stätten der Reformation. Auch verzichtete sie trotz der massiven Einreisebeschränkungen für westdeutsche Kirchenvertreter in die DDR auf eigene Ersatzveranstaltungen – eine Rücksichtnahme, die in der Bundesrepublik nicht überall auf Verständnis stieß224. Trotz der gesamtkirchlichen Zurückhaltung war aber ein Konflikt zwischen ostdeutschen Staats- und Kirchenvertretern aus zwei anderen Gründen nicht zu vermeiden: Zum einen versuchten Staat und Partei anlässlich der Reformationsfeiern, die auf dem VII. Parteitag der SED propagierte „sozialistische Menschengemeinschaft“ zur Schau zu stellen, in der Menschen verschiedener Weltanschauung miteinander am Aufbau des Sozialismus arbeiteten. Zum anderen wollten sie die evangelische Kirche für die Propagierung des offiziellen Geschichtsbilds, wonach alle positiven Traditionen der deutschen Geschichte in der DDR ihre eigentliche Erfüllung fanden, vereinnahmen. Bereits am 27. September 1966 bat daher Bischof Jänicke Götting, die kirchlichen Teilnehmer am staatlichen Reformationskomitee zukünftig als Beobachter bzw. Berater und nicht mehr als ordentliche Mitglieder zu betrachten225. Als Grund gab er an, dass die kirchlichen Vertreter nicht die Verantwortung für die Äußerungen dieses Komitees und das darin enthaltene Geschichtsbild übernehmen könnten. In der Schlussphase der Vorbereitungen nahmen die Spannungen zwischen Kirchen- und Staatsvertretern so zu, dass das Stattfinden der kirchlichen Feierlichkeiten infrage stand226. Um die Einreise der wenigen westlichen Teilnehmer zu den kirchlichen Feiern vor Missdeutungen zu schützen, gab der kirchliche Vorbereitungsausschuss am 4. September eine Presseerklärung heraus, in der man sich gegen „falsche Inanspruchnahme und politischen Mißbrauch der Reformation und ihrer Botschaft“ aussprach227. Da ihre Teil223 224 225 226 227

Zitiert nach: G. BESIER, SED-Staat, S. 613. Vgl. KJ 93, 1967, S. 190. Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 612. Vgl. EBD., S. 639. KJ 93, 1967, S. 191.

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nahme am staatlichen Vorbereitungsausschuss in der bundesdeutschen Presse sowie in ostdeutschen Kirchenkreisen nicht unumstritten war, traten am 21. September Jänicke und zwei weitere Kirchenvertreter aus dem staatlichen Vorbereitungskomitee aus228. Sowohl die kirchliche als auch die staatliche Seite machten den Eklat jedoch nicht öffentlich229. Jänicke nahm wie geplant am staatlichen Festakt am 31. Oktober teil, wo Götting die Festrede hielt230. Diese enthielt das neue offizielle Reformationsverständnis und Lutherbild in der DDR, wie es sich auch in einer Reihe von ostdeutschen Publikationen niederschlug231. Die Kämpfe der Reformationszeit galten nunmehr als die größte revolutionäre Massenbewegung der Deutschen bis zur Novemberrevolution von 1918 und die DDR als Erbin und Vollenderin der Reformation. Luther wandelte sich – vereinfacht gesagt – vom antinationalen, negativen Helden der fünfziger Jahre allmählich zum Stammvater der deutschen Nation sowie des Sozialismus in der DDR und zum Kronzeugen gegen den „katholischen“ Europagedanken232. In der westdeutschen Presse wurde die Teilnahme ostdeutscher Kirchenvertreter an den staatlichen Feiern teilweise kritisch kommentiert. Unter einem Pseudonym schrieb Reinhard Henkys im „epd“ einen Leitartikel mit dem Titel „Zwiespältige Bilanz“233. Darin behauptete er, dass die kirchlichen Feiern in Wittenberg nur durch unfreiwillige und freiwillige Opfer der Kirche möglich geworden seien. Zu den freiwilligen Opfern zählte er die Teilnahme der kirchlichen Vertreter am Staatsakt, obwohl die Bischöfe Krummacher und Fränkel – aufgrund ihrer Haltung in der kirchlichen Einheitsfrage234 – nicht eingeladen worden waren. Er verwies auf das Schweigen der kirchlichen Gäste zu dem Vortrag Göttings beim Staatsakt, in dem von den „humanistischen Gemeinsamkeiten“ von Marxisten und Christen und von der „Respektierung der Eigenverantwortung der Kirchen“ in der DDR die Rede gewesen war. Zudem warf er den kirchlich Verantwortlichen vor, dass sie die Grußbotschaft des EKD-Ratsvorsitzenden nicht in ihren Gottesdiensten verlesen hatten. Aus der Informationsmappe für die geladenen Gäste der kirchlichen Veranstaltung waren Dietzfelbingers Grußworte auf staatliche Weisung hin herausgenommen worden235. Alles in allem, so Henkys, habe die staatliche Kirchenpolitik beim Reformationsjubiläum einen „leichten Sieg“ errungen. Jänicke beschwerte sich daraufhin über den Kommentar bei der Zentralredaktion des „epd“ sowie in einem Rundschreiben236. Er verwies auf seinen 228 Vgl. J. JÄNICKE, Ich, S. 227f. 229 Vgl. M. ROY, Luther, S. 165f. 230 Abdruck in: KJ 93, 1967, S. 192–211. 231 Z. B. G. GÖTTING, Reformation; L. STERN, Reformation; H. TREBS, Luther; bedingt auch: G. ZSCHÄBITZ, Luther. Zum Wandel des Lutherbilds in der DDR-Geschichtsschreibung vgl. M. ROY, Luther. 232 Vgl. M. ROY, Luther, S. 154 und S. 301. 233 epd ZA, 2.11.1967. 234 Vgl. Einschätzung der Tätigkeit der „internationalen und westdeutschen kirchlichen Zentralen“ der HA XX/4 des MfS vom 27.11.1967 (BStU BERLIN, MfS HA XX/4–3233). 235 Vgl. EBD. 236 Vgl. epd Gelber Brief, 19.12.1967 (PARH).

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Austritt aus dem staatlichen Komitee, auf seine Predigt, in der er sich gegen das Missverständnis gewandt hatte, als gebe die Kirche mit ihren Wittenberger Veranstaltungen der marxistischen Interpretation der Reformation „ihren Segen“, sowie auf ein „hartes Gespräch“ mit Götting unmittelbar nach dem Festakt. Hinsichtlich der nicht verlesenen Dietzfelbinger-Erklärung wies Jänicke darauf hin, dass die Wittenberger Veranstaltungen Feiern der Weltchristenheit auf Einladung eines vorbereitenden kirchlichen Ausschusses gewesen seien. Ausdrücklich sei in den vorangegangenen Verhandlungen auch mit den westdeutschen Kirchenvertretern vereinbart worden, dass die EKD dabei nicht in Erscheinung treten sollte, um nicht dadurch die gesamten Feiern zu gefährden. Eine öffentliche Verlesung des Wortes von Dietzfelbinger hätte nach Ansicht von Jänicke als eine Demonstration für die EKD und damit als ein Bruch der Vereinbarung angesehen werden müssen. Besonders empört reagierte der Bischof auf Henkys’ Satz: „Die DDR ist auf ihrem Wege, auch kirchlich im östlichen Deutschland volksdemokratische Zustände herzustellen, einen deutlichen Schritt weitergekommen.“ Er konterte: „Wenn man so die evangelische Kirche in der DDR auf dem Wege in die Zustände der anderen Kirchen des Ostens abwandern sieht, dann können wir uns mit solch einem Urteil nur als vom Westen abgeschrieben empfinden. Unsere gewiss nicht leichten Bemühungen um die Erhaltung der Einheit der EKiD werden dadurch stark belastet und gefährdet“. Unterstützung erhielt der Bischof von Wilm, der an den Feierlichkeiten in Wittenberg teilgenommen hatte. Er kritisierte Henkys’ Kommentar öffentlich in den „Nachrichten aus dem Evangelischen Pfarrerverein in Westfalen“. Die Teilnahme von Kirchenvertretern an den staatlichen Feiern sei ausführlich im Kreis von Kirchenvertretern aus beiden Teilen Deutschlands sowie der westlichen Ökumene besprochen worden. Kirchenleitende Persönlichkeiten aus der DDR hätten die westdeutschen Gäste dringlich gebeten, am Staatsakt teilzunehmen. Während des Staatsaktes selbst habe es gar keine Gelegenheit gegeben, zu Göttings Vortrag Stellung zu nehmen. Während einer Sitzung der Kirchenkonferenz der EKD am 17. November warnte Wilm trotz aller Behinderungen der kirchlichen Feierlichkeiten „vor einer allzu negativen Berichterstattung über die Veranstaltungen in Wittenberg und vor einer dramatisierenden Beurteilung der marxistischen Beanspruchung Luthers“237. Die Wahrung der Einheit der EKD gebot Zurückhaltung in der Bewertung der Erbe-Aneignung durch die DDR.

4.2.3 Der Präzedenzfall und ein Nachahmungsversuch: Strukturveränderungen im Bereich der evangelischen Studenten- und Jugendarbeit Seit Mitte des Jahres 1966 konnte eine Reihe westdeutscher Persönlichkeiten aus dem Umfeld der EKD nicht mehr in die DDR einreisen. Auch dem Generalsekretär der 237 Zitiert nach: G. BESIER, SED-Staat, S. 640.

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ESGiD Heiko Rohrbach wurde ab Juli der Zugang nach Ost-Berlin verweigert238. Vertreter der Gesamtarbeit in der DDR und in der Bundesrepublik überlegten daraufhin, welche Konsequenzen die ESGiD aus der veränderten Lage zu ziehen hatte. Diese Überlegungen erweiterten sich schnell zu einer erneuten Grundsatzdiskussion über die bislang gesamtdeutsche Organisationsstruktur: eine Bewegung, ein Name, ein Generalsekretär, ein Vertrauensrat. Die Diskussion begann in Ost-Berlin. Dort wurde auf einer Konzilsitzung am 12. September erstmals über die Thematik gesprochen239. Vier Tage später folgte eine Stabssitzung in der Stuttgarter Geschäftsstelle, auf der bereits darüber debattiert wurde, ob eine „ESGiBRD und eine ESGiDDR“ in gleicher Weise sachlich verbunden sein könnten, wie bislang die beiden Teile der ESGiD240. Um das weitere Vorgehen zwischen den Verantwortlichen in Ost- und Westdeutschland abzustimmen, trafen sich Rohrbach, der Vorsitzende des Beirates DDR Johannes Althausen, der neue Geschäftsstellenleiter Klaus-Peter Hertzsch sowie der Vorsitzende des Beirates West Arnold Falkenroth Ende Oktober in Prag241. Sie waren sich darin einig, dass unabhängig von der Entwicklung der Einreisemöglichkeit für Rohrbach der Vertrauensrat eine grundsätzliche Strukturveränderung der ESGiD erwägen sollte. Gedacht war an „zwei christliche Studentenbewegungen mit zwei Generalsekretären aber einem gemeinsamen Vertrauensrat“. Die Generalsekretäre würden von dem jeweiligen Beirat gewählt werden, bedürften aber der Zustimmung des Vertrauensrates. Dieser sollte weiterhin die legislativen Befugnisse besitzen, wie sie in seiner eigenen Ordnung sowie in der Ordnung des Beirates West verankert waren. In letzterer hieß es unter I 2,d: „Beschlüsse des Beirates, gegen die der Vertrauensrat Bedenken erhebt, werden dem Beirat erneut zur Beratung vorgelegt. Der Beirat schuldet dem Vertrauensrat eine Antwort auf seine Bedenken; dieser kann sich eine letzte Entscheidung vorbehalten.“ Die Ordnung des Beirates Ost hatte ursprünglich einen ähnlichen Paragrafen enthalten, der jedoch 1963 gestrichen worden war242. Seitdem fungierte der Beirat als „das leitende Organ der Evangelischen Studentengemeinden in der DDR und Großberlin“243. In seiner Ordnung existierte kein Hinweis auf die ESGiD, mit der einzigen Ausnahme, dass in Paragraf 7 gesagt wurde, dass der Generalsekretär an den Beiratssitzungen ohne Stimmrecht teilnehmen konnte. Nunmehr aber sollte die Ordnung des Beirates Ost in der Verhältnisbestimmung zum Vertrauensrat entsprechend der Ordnung des Beirates West geändert werden. Auf diese Weise wären zwei „Bewegungen“ entstanden, die in ihren Ordnungen freiwillig auf einen Teil ihrer Souveränität zugunsten des gemeinsamen Vertrauensrates verzichteten. „Eine solche neue Struktur erscheint uns nicht nur im Blick auf die Haltung des Staates 238 Rohrbach an westdeutsche Mitglieder des VR der ESGiD, 13.9.1966 (EZA BERLIN, 36/88/533). 239 Anwesend waren u. a. Althausen, Glöckner und der stellv. Vorsitzende der Studentenpfarrerkonferenz Johannes Hempel. Vgl. EBD. sowie Uhde an Rohrbach, 14.9.1966 (EZA BERLIN, 36/288). 240 Rohrbach an westdeutsche Mitglieder des VR der ESGiD, 18.9.1966 (EZA BERLIN, 36/88/533). 241 Rohrbach an die westdeutschen Mitglieder des VR der ESGiD, 31.10.1966 (EBD.). 242 Rohrbach an westdeutsche Mitglieder des VR der ESGiD, 30.11.1966 (EBD.). 243 „Informationsblatt zur Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland für die Vertrauensstudenten“ der Geschäftsstelle DDR vom Frühjahr 1964 (EZA BERLIN, 36/383).

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in der DDR wünschenswert, sondern auch als ein glaubwürdigerer Ausdruck für Einheit, Vielfalt und Partnerschaft der ESG, wie wir sie bereits längere Zeit verstehen“, so lautete nach Rohrbach die doppelte Motivation244. Althausen und Hertzsch sahen keine Probleme, die neue Struktur gegenüber den ostdeutschen Kirchen und dem ostdeutschen Staat zu vertreten. Eine kirchenpolitische oder konfessionelle Einflussnahme seitens der Landeskirchen auf die Studentengemeinden im Zuge der Strukturveränderung schlossen die beiden aus. Sie rechneten auch nicht mit staatlichen Angriffen auf die Gesamtarbeit der Studentengemeinden in der DDR. Die staatlichen Stellen seien an einem zentralen Gesprächspartner interessiert und könnten zudem die Strukturveränderungen bei der ESG als Modell für die evangelischen Kirchen in der DDR deuten. Die Befugnisse des Vertrauensrates sollten allerdings gegenüber den staatlichen Gesprächspartnern nicht hervorgehoben werden. Noch vor der Vertrauensratssitzung im November wurden Bischof Krummacher und der Präsident der Kirchenkanzlei der EKD, Hammer, über die Strukturdebatte in der ESGiD informiert. Beide sollten davon überzeugt werden, dass eine Neuordnung der Studentengemeinde „keine Desavouierung der EKiD bedeuten würde, sondern im Gegenteil ein Modell für die Zukunft der EKiD selbst abgeben könnte.“245 Krummacher zeigte sich in dem Gespräch wider Erwarten aufgeschlossen für die Änderungspläne246. Er war bereit, auch in Zukunft als der für die Studentenseelsorge in der DDR zuständige Bischof zu fungieren247 und sich die bisherige Praxis durch die Bischofskonferenz bestätigen zu lassen. Damit sollte das bei der „Kirchenkanzlei für die Gliedkirchen in der DDR“ eingerichtete „Referat für Studentenseelsorge und Studentengemeinden in der DDR und Groß-Berlin“ bei der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR verankert werden. Verwundert zeigte sich Krummacher darüber, dass die Befugnisse des Vertrauensrates genau definiert werden sollten. Er riet stattdessen dazu, den Grad der Institutionalisierung möglichst niedrig zu halten und die Änderungen innerhalb der alten Grundstruktur zu vollziehen. Das hieß, den Vertrauensrat in seiner bisherigen Arbeitsweise zu belassen und seine Kompetenzen nicht durch einseitige Verzichtserklärungen der Beiräte zu erweitern. Die gemeinsame Verantwortung und die Zusammenarbeit der beiden Bereiche der ESG sollten „im Wesen“ unverändert erhalten bleiben. Der Briefkopf „Geschäftsstelle DDR und Großberlin“, den die Ost-Berliner Geschäftsstelle schon seit längerer Zeit benutzte, konnte nach Krummachers Ansicht beibehalten bleiben, der Stuttgarter Briefkopf nach dem OstBerliner Muster geändert werden. Um möglichst wenig öffentliches Aufsehen zu er244 EBD. 245 EBD. 246 Vgl. das Protokoll über das Gespräch am 15.11.1966 in Ost-Berlin von Althausen und Glöckner (EZA BERLIN, 141/99/89a) sowie Uhdes Schreiben an die westdeutschen Mitglieder des VR der ESGiD, 21.11.1966 (EBD., 36/88/533). 247 Krummacher war das Referat Studentenseelsorge ursprünglich in seiner Funktion als Generalsuperintendent von Berlin übertragen worden. Er hatte es dann aus personellen und praktischen Gründen auch als Bischof von Greifswald behalten. Vgl. Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 26./27.11.1966 (EZA BERLIN, 36/383).

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regen, empfahl der Bischof, nach dem Ausscheiden Rohrbachs Ende 1967 das Amt des Generalsekretärs nicht mehr zu besetzen, sondern nur einen neuen Geschäftsstellenleiter für Stuttgart zu ernennen. Befürchtungen äußerte Krummacher lediglich hinsichtlich der öffentlichen Reaktionen auf die zukünftige Führung von zwei deutschen Studentengemeinden bei der WSCF in Genf, wo bislang die ESGiD allein vom Stuttgarter Generalsekretär vertreten wurde. Er vermutete zu Recht, dass die Verantwortungsträger der ESG in der Bundesrepublik mit diesem Schritt öffentlich demonstrieren wollten, was sie in ihren gesamtdeutschen Beziehungen schon seit Jahren zu praktizieren versuchten, nämlich die Anerkennung zweier deutscher Staaten. Krummacher war der Auffassung, dass man durch einen demonstrativen Vollzug dieses Schrittes viele unnötig vor den Kopf stoße, die einen „lautloseren“ Übergang, wenn sie davon im Laufe der Zeit Kenntnis bekämen, durchaus akzeptieren würden. Dennoch wollte er den westdeutschen ESG-Vertretern die Freiheit des Entscheidens und Handelns in dieser Angelegenheit zubilligen. Stuttgart und Berlin konnten seiner Meinung nach auf jeden Fall direkte Verbindungen zum Weltbund und zur Ökumene halten. Im Ergebnis bedeutete dies, dass der Vorsitzende der Bischofskonferenz den Änderungen im Sinne einer flexiblen Handhabung der alten Ordnung zustimmte, aber voraussetzte, dass diese unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzogen wurden. Denn, so hieß es in dem Gesprächsprotokoll, „für eine einheitliche Bewegung sieht Krummacher bessere Chancen der politischen Verantwortung als für zwei getrennte.“ Auch Hammer, mit dem Rohrbach am 21. November in Hannover sprach, empfahl, die Veränderungen ohne viel Aufhebens in der Öffentlichkeit zu vollziehen248. Er insistierte allerdings auf eine starke Position des gemeinsamen Vertrauensrates249. Das Protokoll über das Gespräch mit Krummacher ging als Vorlage in die Sitzung des Vertrauensrates Ende November. Eine weitere „Vorlage für die Diskussion über die Weiterarbeit der ESGiD für den Vertrauensrat“ war von Glöckner und Althausen bereits am 10. Oktober unterzeichnet und Krummacher bei dem Treffen vorgelegt worden250. Darin wurden die geplanten Strukturveränderungen bei der ESGiD im Kontext des Verhältnisses zur EKD und deren Position in der Einheitsfrage diskutiert. Den Autoren schien es fraglich, ob die Schutz- und Stützfunktion der EKD für die ESGiD sachlich noch zu rechtfertigen sei. Denn die Entscheidungen des Vertrauensrates zur Einheit der ESGiD würden zeigen, dass sich die Studentengemeinde immer mehr von den Strukturen und Positionen der EKD entferne. Die Erfahrungen aus der Ost-West-Arbeit legten ihrer Ansicht nach die Überlegung nahe, ob nicht „zwei getrennte Bewegungen in der DDR und in der BRD mit gemeinsamen ökumenischen Aufgaben der geistlichen Wirklichkeit eher entsprechen als die jetzige Struktur der ESGiD“. Eine „Trennung“ müsse weder ein Ende der gemeinsamen Arbeit zur Überwindung des deutsch-deutschen Gegensatzes noch der gemeinsamen theologischen Beratung bedeuten und auch 248 Rohrbach an Dietzfelbinger und Scharf, 7.11.1967 (EZA BERLIN, 2/4339). 249 Rohrbach an die westdeutschen Mitglieder des VR der ESGiD, 30.11.1966 (EZA BERLIN, 36/88/533). 250 EZA BERLIN, 141/99/89b.

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nicht die Auflösung der gegenwärtigen Ordnung der Zusammenarbeit im Einzelnen zur Folge haben. Durch derartige Überlegungen, so formulierten Glöckner und Althausen die übergeordnete Bedeutung der Veränderungen innerhalb der ESGiD, „könnte die EKD beizeiten zur Entwicklung eines Modells späterer Weiterarbeit kirchlicher Stellen in Deutschland veranlaßt werden, wie es in der neuen Weise der Zusammenarbeit zweier Bewegungen der ESG gegeben wäre“. Zwei Punkte wollten beide bei allen Überlegungen berücksichtigt sehen: „a) die ernsthafte Einschätzung der inneren Berechtigung und der äußeren Chancen der Arbeit der EKD auf längere Sicht und b) de[n] Wille[n], den eigenen Weg der ESG gemeinsam mit der EKD zu finden.“251 Eine dritte Vorlage stammte von Althausen und Hertzsch252. In ihr wurden die in Prag verabredeten Strukturveränderungen beschrieben und theologisch fundiert: „Diese neue Regelung sollte nicht so sehr von taktischen Gesichtspunkten her bestimmt sein, sondern sollte Ausdruck einer grundsätzlichen Haltung zur Zusammenarbeit innerhalb der Kirche Christi sein, einer Zusammenarbeit, die den besonderen Gegebenheiten jedes Bereiches realistisch Rechnung trägt und die zugleich gegenseitige Hilfeleistung und kritische Fragestellung aneinander bedeutet. Die Verbindung zwischen unseren Studentengemeinden sollte also nicht im Blick auf die Vergangenheit, sondern im Blick auf die Zukunft begründet werden.“253

Das vierte vertrauliche Papier kam aus dem Westbereich: am 23. November sandte der Ökumenereferent der ESGiD Hartmut Dreier an Schröter, Aichelin und Rohrbach einen Text mit dem Titel „Ökumenizität des Vertrauensrates“254. In Übereinstimmung mit dem Trend der Zeit zielte er auf eine völlige Internationalisierung der Zusammensetzung und Arbeit des Vertrauensrates. In ihm sollten Vertreter der beiden deutschen Studentengemeinden, der Nederlandsche Christelijke Studenten Vereeniging, der österreichischen Evangelischen Studentengemeinde, der World Student Christian Federation sowie tschechische Vertreter der Jugendabteilung der Allchristlichen Friedenskonferenz zusammenarbeiten, sich wechselseitig über die Arbeit der verschiedenen Bewegungen informieren und deren „policy“ koordinieren. Ausgehend von der Einsicht, „daß sich Christen kritisch gegenüber ihren nationalen Loyalitäten verhalten und für Dialog gerade zwischen heterogenen Gruppen eintreten“, würden die im Vertrauensrat zusammengeschlossenen Bewegungen „ein Modell für einen ‚Brückenschlag‘ in Europa bilden“, so Dreiers Vision. Dem gesamtdeutschen Vertrauensrat lagen somit auf seiner Novembersitzung unterschiedliche Vorschläge für strukturelle Veränderungen vor255. Bei seinen einleitenden Erläuterungen zu den Papieren betonte Althausen, dass das Einreiseverbot für Rohrbach lediglich der Auslöser, nicht aber die Ursache für die Strukturüberlegungen gewesen sei. Schröter erinnerte an die „dynamische Einheitskonzeption“, die der Ver251 252 253 254 255

EBD. „Informationen für den Vertrauensrat“ (EBD). EBD. EZA BERLIN, 36/88/533. Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 26./27.11.1966 (EZA BERLIN, 36/383).

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trauensrat 1960 entwickelt hatte und die es nun fortzuführen gelte. Damit wollten beide klar stellen, dass die Veränderungen weder ein taktisches Nachgeben gegenüber staatlichen Forderungen noch einen Bruch mit der eigenen Vergangenheit bedeuteten. Der Vertrauensrat wurde sich schnell darüber einig, dass die Rede von zwei „selbständigen Bewegungen“ nicht ein Entlassen aus der gemeinsamen Verantwortung bedeuten dürfe. Auch in Zukunft wollte man alle wichtigen Entscheidungen in gegenseitiger Übereinstimmung treffen. In der entscheidenden Frage, wie die Kompetenzen zwischen den Beiräten und dem Vertrauensrat fortan verteilt sein sollten, aber gingen die Meinungen auseinander. Um das dynamisch-funktionale Verständnis von der Einheit der ESGiD klar von „allen volksmäßig-national motivierten Einheitsvorstellungen und -bestrebungen“ abzuheben, plädierten vor allem die jüngeren westdeutschen Vertrauensratsmitglieder für einen freiwilligen Impuls zur Zusammenarbeit. Die Beiräte sollten selbst darüber entscheiden, welche institutionellen Formen sie zur Wahrung der gemeinsamen Verantwortung der Studentengemeinden in der DDR und in der Bundesrepublik für nötig hielten. In diesem Sinne waren letztlich auch die Beschlüsse des Vertrauensrates formuliert. Angesichts der Tatsache, dass die Studentengemeinden in der DDR und ihre Geschäftsstelle bereits seit langem in der Praxis eine ihrer Situation entsprechende Bezeichnung führten, bat der Vertrauensrat den westlichen Beirat, die Bezeichnung der Arbeit in seinem Verantwortungsbereich auf eine Änderung hin zu überprüfen. Die Funktion des Generalsekretärs, besonders gegenüber der WSCF, übertrug er – entgegen den vorhergehenden Überlegungen – „bis auf weiteres“ auf die Leiter der beiden Geschäftsstellen, die eng zusammenarbeiten sollten. Die beiden Beiräte wurden dazu aufgefordert, sich zu überlegen, wie dieser Beschluss im jeweiligen Bereich realisiert werden konnte. Desweiteren sollten die beiden mitteilen, in welcher Weise sie zukünftig die Berufung des Geschäftsstellenleiters in Übereinstimmung mit dem Vertrauensrat vornehmen wollten. Der dafür gewählte Modus war als Modell für andere gemeinsame Aufgaben gedacht. Es unterblieb jedoch die konkrete Bitte an den Beirat DDR, die Regelung der Kompetenzenabgrenzung zum Vertrauensrat in der Ordnung des Beirates West zu übernehmen. Der vorzeitig entmachtete Generalsekretär Rohrbach deutete diesen Verzicht, den Grad der Verbindlichkeit der gemeinsamen Verantwortung zu fixieren, dahingehend, dass der Vertrauensrat sich faktisch gegen diese Verbindlichkeit ausgesprochen und sich damit „selbst zu einem Gremium unverbindlichen Meinungs- und Erfahrungsaustausches gemacht“ habe256. „Damit fällt der Kern des vorgelegten Planes, zwei selbständige Bewegungen durch freiwillige – jederzeit revozierbare – Festlegung in ihren Ordnungen aneinander zu binden, in sich zusammen“, diagnostizierte Rohrbach nicht ohne Bitternis. Althausen hielt hingegen die „willenlosen“ Beschlüsse des Vertrauensrates von Vorteil für das weitere Vorgehen257. Denn nach seiner Einschätzung sahen eine Reihe der ostdeutschen Beiratsmit256 Rohrbach an westdeutsche Mitglieder des VR der ESGiD sowie an Falkenroth und nachrichtlich an die Mitglieder der Geschäftsstellen, 30.11.1966 (EZA BERLIN, 36/88/533). 257 Vgl. Schreiben von Uhde an Rohrbach vom 5.1.1967, in dem er über ein Gespräch mit Althausen berichtet (EZA BERLIN, 36/288).

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glieder im Vertrauensrat trotz seiner paritätischen Besetzung immer noch ein westlich orientiertes oder gar „gesteuertes“, d. h. die ESG in der DDR bevormundendes und deshalb unliebsames „Autoritätsinstrument“. Indem der Vertrauensrat seine Autorität in seinen Beschlüssen so ausdrücklich zur Diskussion bzw. Disposition gestellt habe, mache er ein Appellieren an die genannten Emotionen etwa von Seiten Gerhard Bassaraks unmöglich. Althausen hoffte daher im Beirat DDR auf eine Sachdiskussion, in der es gelang, die Leitbegriffe „gemeinsame Verantwortung“ und „gemeinsame Aufgaben“ so zu konkretisieren, dass die Notwendigkeit eines starken Vertrauensrates unabweisbar deutlich wurde. Zwei Tage nach der Vertrauensratssitzung, die weder eine klare Entscheidung für noch gegen eine Teilung gebracht hatte, machte Hertzsch seinen inoffiziellen „Antrittsbesuch“ in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen258. Zu einer offiziellen Kontaktaufnahme waren die Staatsvertreter nicht bereit gewesen, da daraus eine staatliche Anerkennung der Studentengemeinden und ihrer Arbeit hätte abgeleitet werden können. Hertzsch erklärte gegenüber Hans Weise und Hans Wilke, ihm gehe es darum, ein gutes Verhältnis zum Staat herzustellen. Seiner Vorstellung nach sollten die Studentengemeinden weder in die Opposition zum Staat gehen noch sich in ein Getto zurückziehen. Er versicherte, dass die ESG in der DDR organisatorisch und politisch unabhängig von der westdeutschen ESG arbeite. Für Weise und Wilke bewies diese Aussage jedoch, dass der neue Geschäftsstellenleiter „in Illusionen über das reale Kräfteverhältnis in dieser Institution gefangen ist.“ Hertzsch betonte in dem Gespräch auch, dass Begegnungen zwischen christlichen Studenten aus der DDR und der Bundesrepublik nach wie vor notwendig seien, weil in ihnen eine große Chance für die Einübung normaler Beziehungen zwischen Menschen aus beiden Bereichen liege. Im staatlichen Gesprächsprotokoll erklärte Wilke, dass Mittel und Wege gefunden werden müssten, Hertzschs „positive Grundhaltung auszubauen und ihn, soweit es in unserem Interesse liegt, zu unterstützen, ohne daß dabei eine Ausweitungstendenz der Studentengemeinde zugelassen wird.“259 Hertzsch selbst gewann in der Unterredung den Eindruck, dass die Gesprächslage verhärtet war und man in näherer Zukunft keine Zugeständnisse seitens des Staates zu erwarten hatte. Er glaubte jedoch, dass viel davon abhing, ob und wie er mit der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen im Gespräch bleiben konnte260. Dafür schien es ihm wichtig, jeden Anschein einer Abhängigkeit der Studentengemeinden in der DDR vom Westen zu vermeiden. Da der Vertrauensrat die Frage, wie verbindlich die Gemeinsamkeit zwischen den zukünftig zwei Bewegungen sein sollte, der Entscheidung der Beiräte überlassen hatte, war im Vorfeld von deren Sitzungen noch eine Einflussnahme in die eine oder andere 258 Vgl. Aktenvermerk von Wilke vom 1.12.1966 über das Gespräch mit Hertzsch am 29.11.1966 (BArch BERLIN, DO 4/586) und Uhde an Rohrbach, 8.12.1966 (EZA BERLIN, 36/288). 259 Aktenvermerk Wilkes vom 1.12. über das Gespräch mit Hertzsch am 29.11.1966 (BArch BERLIN, DO 4/586). 260 Uhde an Rohrbach, 8.12.1966 (EZA BERLIN, 36/288).

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Richtung möglich. Im Januar 1967 meldeten sich erstmals auch einzelne Studentengemeinden zur Einheitsfrage zu Wort. Die ESG Berlin empfahl, zwischen den Partnerschaftsbeziehungen der Gemeinden und der Frage der organisatorischen Einheit scharf zu unterscheiden. Letztere sollte notfalls aufgegeben werden, falls Nachteile für die Arbeit der ESG aus ihr erwuchsen261. Die westdeutschen Partnerreferenten plädierten Ende Januar ebenfalls für eine Aufteilung der Studentengemeinden und ließen sich dabei von friedens- und deutschlandpolitischen Überlegungen leiten262: Zwei selbstständige Studentengemeinden hätten die Chance, in den ideologisch und politisch getrennten Bereichen „Koexistenz“ zu praktizieren; denn nur eine Aufteilung würde unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass der Weg zur Entspannung in Deutschland von der Gegebenheit zweier deutscher Staaten ausgehen müsse. Damit erklärten die Partnerreferenten die Einwilligung in die Zweistaatlichkeit zur Voraussetzung für Entspannung. Die organisatorische Einheit der ESGiD, so klagten sie, könne in der gegenwärtigen politischen Lage nicht mehr vor „nationalistischen Mißverständnissen“ geschützt werden. Für die Aufgabe der ESG, Entspannung und Verständigung voranzutreiben, sei die Einheit ein „Hindernis“ geworden. Die Zugehörigkeit zu einer „ESG/DDR“ und einer „ESG/BRD“ könne hingegen den Studenten helfen, als bewusste Bürger ihres Staates einen Beitrag zum Abbau von Misstrauen und Feindschaft im geteilten Deutschland zu leisten. Auf Grund der Spannungen zwischen beiden deutschen Regierungen müsse die politische Arbeit der Studentengemeinden in „beiden Ländern“ allerdings eng aufeinander bezogen bleiben. Beide Studentengemeinden sollten daher die „Möglichkeit für verbindliche gemeinsame Entscheidungen“ schaffen, d. h. der Vertrauensrat sollte als „koordinierendes Gremium“ bestehen bleiben und dessen Beschlüsse von den Beiräten als „verbindliche Anregungen“ behandelt werden. Denn jede Seite brauche „gegebenenfalls die verbindliche Stellungnahme“ der anderen Seite, da beide im je eigenen Bereich der Gefahr des Konformismus ausgesetzt seien und nur durch wechselseitige Abstimmung feststellen könnten, was der politischen Entspannung nütze. Um sich gegen den Vorwurf politischer Einseitigkeit abzusichern, erklärten die hoch politisierten Partnerreferenten am Schluss ihrer Stellungnahme, dass ihre Empfehlung keine Befürwortung der marxistischen Weltanschauung oder des sozialistischen Gesellschaftssystems darstelle, denn die Meinungen darüber seien in den Studentengemeinden geteilt. Diese Versicherung schützte sie jedoch nicht vor Kritik. So hielt es die Heidelberger Studentengemeinde für fraglich, ob der Vertrauensrat, die Beiräte und die Partnerreferentenkonferenz tatsächlich die Meinung der Gemeinden repräsentierten263. Nach ihrem Eindruck waren diese Gremien mit Personen besetzt, die sich in ihren Entscheidungen vor allem durch ihre „linke politische Einstellung“ leiten ließen. Die Heidelberger selbst vertraten in der Einheitsfrage die Auffassung, dass die Zusammengehörigkeit in

261 Zitiert nach: A. NOACK, Studentengemeinden, S. 191. 262 Stellungnahme zur Frage der Einheit innerhalb der ESGiD (EZA BERLIN, 36/705). 263 R. Thoma an Uhde, 17.2.1967 (EZA BERLIN, 36/288).

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einer ESGiD den Studentengemeinden in der DDR einen Raum freihielt, innerhalb dessen sie ihren Auftrag als Gemeinde an einer Hochschule in der DDR besser erfüllen konnten264. Sie befürchteten auch, dass bei einer möglichen Trennung der ESGiD die gemeindlichen Impulse für die partnerschaftliche Arbeit allmählich aufhören könnten. Sie forderten daher, an der Einheit der ESGiD festzuhalten und lediglich einen zweiten Generalsekretär für die DDR zu bestellen. An den Vertrauensratsvorsitzenden richteten sie die Bitte, ihr Votum sowie die Meinung der Gemeinden in der DDR, die ihrer Auffassung nach nicht genug gehört worden waren, in die Strukturüberlegungen mit einzubeziehen. Die nächste Entscheidung in der Einheitsfrage fiel in Ost-Berlin. Im Anschluss an eine Vorbesprechung von Vertretern der Gesamtarbeit am 24. Februar265 tagte der Beirat DDR und verhandelte an seinem zweiten Sitzungstag in Anwesenheit von Krummacher die Strukturfragen266. Althausen erläuterte die Empfehlungen des Vertrauensrates und gab vorformulierte Beschlussanträge bekannt. Die sich anschließende Diskussion verlief zunächst kontrovers: Einerseits ging es um die Alternative einer eher grundsätzlichen und einer mehr pragmatischen Lösung der Strukturfrage, andererseits um die Frage einer verbindlichen oder unverbindlichen Regelung zukünftiger Gemeinsamkeit. Nachdem einige Änderungsvorschläge berücksichtigt wurden, stimmte der Beirat schließlich den Beschlussanträgen zu. Er nahm darin die Vertrauensratsbeschlüsse zur Funktion des Generalsekretärs zur Kenntnis und machte unkommentiert aus dem „bis auf weiteres“ eine Dauerregelung für die absehbare Zukunft. Er empfahl dem Vertrauensrat, die Wahl der beiden „Leiter der Geschäftsstellen“ durch die Beiräte von seiner Zustimmung abhängig zu machen. Zudem sollten beide Geschäftsstellenleiter dem Vertrauensrat Bericht über ihre Tätigkeit erstatten, zu der es gehörte, die „partnerschaftliche Arbeit zwischen den evangelischen Studentengemeinden in der DDR und in der BRD“ zu fördern und für regelmäßige „Konzile“ der Geschäftsstellenmitarbeiter zu sorgen. Bewusst sprach der Beirat nicht von zwei „Generalsekretären“, denn dieser für das DDR-Gebiet neue Titel hätte gegenüber dem Staat interpretiert werden müssen. Zudem wollte man ihn als Bezeichnung für die bisherige Funktion reserviert und auf „Eis gelegt“ sehen267. Hinsichtlich der Vertretung in der WSCF empfahl der Beirat, deren Generalsekretariat zu bitten, „von den Möglichkeiten für eine jeweils eigenständige Mitarbeit der Studentengemeinden in der BRD und DDR in der Ökumene weitestgehend Gebrauch zu machen“ und im 264 Reese an Schröter, 17.2.1967 (EZA BERLIN, 36/88/533). 265 Rohrbach an die Mitglieder des Beirates West, 6.3.1967 (EZA BERLIN, 87/96/887). 266 So das Protokoll der Sitzung des Beirates vom 25./26.2.1967 (EZA BERLIN, 141/99/98a). In einem Gespräch mit Hammer am 9.11.1967 erklärte Krummacher indes, er habe „Mitte April dieses Jahres als Gast zeitweise an einer Sitzung des Vertrauensrates der EStGiD teilgenommen und sich an dem Gespräch beteiligt“ (Vermerk von Hammer vom 9.11.1967, EZA BERLIN, 2/4339). 1967 fanden jedoch nur im Mai und im Dezember VR-Sitzungen statt, an denen laut Protokoll Krummacher nicht teilgenommen hatte. Auch der Inhalt des Gesprächs zwischen Krummacher und Hammer deutet darauf hin, dass Krummacher „Vertrauensrat“ mit „Beirat DDR“ und „April“ mit „Februar“ verwechselte. 267 Vgl. Rohrbach an Mitglieder des Beirates West, 6.3.1967 (EZA BERLIN, 87/96/887).

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Adressenverzeichnis des Weltbundes sowie bei Konferenzen unter Deutschland die „Abteilungen BRD und DDR“ aufzuführen268. Die Beiratsmitglieder wollte indes nicht, dass die Studentengemeinden in der DDR im Weltbund als eine in jeder Hinsicht völlig separate Bewegung geführt wurden. Schon gar nicht lag ihnen daran, dies „mit einer Demonstration zu verbinden.“269 Die genannten Beschlüsse machte der Beirat DDR von der Zustimmung des Vertrauensrates abhängig und leitete sie dem Beirat West zur Beratung zu. Damit wandte er die gültige Geschäftsordnung des Vertrauensrates an. Für sich selbst setzte er auf Vorschlag Althausens zunächst für ein Jahr einen geschäftsführenden Ausschuss ein, der die Beiratsordnung entsprechend der Beschlüsse des Vertrauensrates und des Beirates DDR überarbeiten und sich über aktuelle Fragen der Gesamtarbeit Gedanken machen sollte. Desweiteren beschloss er ein Schreiben an die Konferenz der Bischöfe in der DDR mit der Bitte, eines ihrer Mitglieder mit der Wahrnehmung der Verantwortung für die Studentenseelsorge zu beauftragen. Von „Trennung“ war in den Beschlüssen des Beirates DDR nicht die Rede. Durch die Aufgabe der gemeinsamen Exekutive und die neue Möglichkeit einer eigenständigen Mitarbeit in der Ökumene hatte sich die Gesamtarbeit der Studentengemeinden in der DDR jedoch weitestgehend verselbstständigt. Die zukünftigen Befugnisse des Vertrauensrates waren mit Ausnahme der Zustimmung zur Wahl der Geschäftsstellenleiter im Unklaren gelassen worden. Auch wurde kein Beschluss zu einer Namensänderung gefasst, obgleich der Beirat wünschte, dass die Bezeichnung ESGiD verschwand, die in der DDR ohnehin nur noch selten verwendet wurde. Für die Gesamtarbeit in der DDR wollte der Beirat bei der informellen Ausdrucksweise „Evangelische Studentengemeinde“ ohne Angabe des Bereiches bleiben270. Im Unterschied dazu wünschte die in Höchst versammelte Delegiertenkonferenz explizit eine Namensänderung, die einerseits der jeweiligen Existenzform der ESG in der Bundesrepublik und der DDR entsprechen, andererseits aber keine Abkehr von der partnerschaftlichen Zusammenarbeit bedeuten sollte271. Grundsätzlich befürworteten die Delegierten der westdeutschen Studentengemeinden in der Einheitsfrage alle Regelungen, die zu einer Klärung der gemeinsamen Aufgaben und zu einer Erleichterung der Arbeit der beiden Geschäftsstellenleiter führten. Sie waren der Auffassung, dass auch in Zukunft die Evangelischen Studentengemeinden in der Bundesrepublik und in der DDR in ihrer besonderen Verantwortung für Verständigung und Frieden in Deutschland partnerschaftlich zusammenarbeiten und Möglichkeiten für verbindliche gemeinsame Entscheidungen wahrnehmen sollten. Ausdrücklich baten sie Beirat und Vertrauensrat, vor einer endgültigen Entscheidung über die Einheit der ESGiD die Reaktionen der Gemeinden in der Bundesrepublik 268 Protokoll der Sitzung des Beirates vom 25./26.2.1967 (EZA BERLIN, 141/99/98a). 269 Vgl. Schreiben Rohrbachs an die Mitglieder des Beirates West vom 6.3.1967 (EZA BERLIN, 87/96/887). 270 Vgl. EBD. 271 Vertrauliche Anlage zum Protokoll der 16. o. DK der ESGiD (EZA BERLIN, 36/479).

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zu berücksichtigen. Die Stellungnahme der Partnerreferentenkonferenz hielten sie für „sachlich nicht richtig“272. Nach den Studenten meldeten sich auch die Studentenpfarrer zu Wort. Fast zeitgleich mit der EKD-Synode in Fürstenwalde und Spandau tagten Anfang April die ostdeutschen Studentenpfarrer in Buckow und ihre westdeutschen Amtskollegen in Bochum. Dabei setzten sie in der Einheitsfrage sowohl gegenüber der EKD als auch untereinander verschiedene Akzente. Die Studentenpfarrer aus der DDR empfahlen in ihrem Papier vom 4. April, dass bei den Partnertreffen wie auch sonst, „die organisatorischen Fragen so wenig wie möglich hochgespielt und nur so wichtig wie nötig genommen werden. Der gegenwärtige Stand der partnerschaftlichen Beziehungen und die Schritte nach den Beschlüssen des Beirates vom 26.2.1967 sollten ausreichen. Es darf auf keinen Fall eine spektakuläre Änderung von Beziehungen oder Funktionen erfolgen, weil dadurch in kirchlicher und außerkirchlicher Öffentlichkeit der umgekehrte Eindruck entstehen könnte, als sollte in Vermischung von kirchlichen und politischen Gesichtspunkten etwas stimuliert werden.“273

Hier wollte man offensichtlich eine offizielle Trennung der ESGiD im Sinne eines deutschlandpolitischen Votums und als Präzedenzfall für die von der Ost-CDU geforderte Trennung der ostdeutschen Kirchen von der EKD vermieden wissen. Ebensowenig aber sollte der Grad der verbleibenden Gemeinsamkeit, d. h. die Befugnisse des Vertrauensrates, fixiert werden. Die westdeutschen Gemeinden wurden gebeten, mehr Augenmerk auf die Situation der ostdeutschen Studentengemeinden zu haben und z. B. nicht ausdrücklich von „Organisation“ zu sprechen. Denn angesichts des Organisationsmonopols der FDJ durften die Studentengemeinden in der DDR eben dies nicht sein. Den ostdeutschen Studentenpfarrern ging es folglich vor allem um die Existenzsicherung der Studentengemeinden in der DDR274. Die westdeutschen Studentenpfarrer diskutierten zeitgleich die Strukturveränderungen in der ESG unter ganz anderen Gesichtspunkten275. Ihre Diskussion kreiste vor allem um die beiden Gemeinschaftsformen „ökumenisch“ und „national“. Sie wurden teils gegeneinander ausgespielt, teils miteinander verknüpft. Vor allem Reinhard Tietz, Studentenpfarrer an der Technischen Universität Berlin, plädierte dafür, der Verbindung zwischen den ost- und westdeutschen Studentengemeinden einen ökumenischen Charakter zu geben und sie nicht erneut „unter der Hand national bestimmt“ sein zu lassen. Von einem international besetzten Vertrauensrat versprach er sich „wegweisende ökumenische Bedeutung“. Andere Studentenpfarrer setzten dagegen, dass national nicht mit nationalistisch gleichgesetzt werden dürfe und es eine wesentliche Aufgabe sei, Gliedern der Studentengemeinde die spezifischen nationalen 272 Rohrbach an Studentenpfarrer in der Bundesrepublik und Berlin (West), 6.3.1967 (EZA BERLIN, 36/550). 273 Zitiert nach: A. NOACK, Studentengemeinden, S. 194. 274 So auch die These von A. NOACK, Studentengemeinden, S. 194. 275 Kurzprotokoll der Konferenz der Studentenpfarrer an Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen vom 3.–7.4.1967 in Bochum (EZA BERLIN, 36/88/537).

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Aufgaben der Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR deutlich zu machen. Einige Studentenpfarrer kritisierten „Ungereimtheiten“ in den Strukturplänen im Hinblick auf eine Aufteilung einerseits und dem Festhalten an der Gemeinschaft andererseits. Sie lehnten daher die Änderungspläne ganz ab. Die Vertreter der Geschäftsstelle verteidigten die Beschlüsse des Vertrauensrates und des Beirates DDR. In Abgrenzung zum Einheitsverständnis der EKD interpretierten sie die strukturellen Veränderungen der ESG mit folgenden Argumenten: Im Unterschied zu sonst üblichen „unverbindlichen ökumenischen Beziehungen“ werde es sich zwischen der „ESG in der BRD und ESG in der DDR“ um eine „verbindliche ökumenische Beziehung“ handeln. Zwei selbstständige Bewegungen verzichteten freiwillig auf einen Teil ihrer Souveränität zugunsten einer gemeinsam wahrzunehmenden Verantwortung für „Verständigung, Entkrampfung und Überwindung von Feindschaft zwischen beiden deutschen Staaten“. Rohrbach prägte dafür den Begriff einer „vorlaufende[n] Ökumene“. Im Unterschied zu der von Krummacher auf der EKD-Synode vertretenen Position verstanden die Geschäftsstellenmitarbeiter die Bewegung zur ökumenischen Einheit der Kirche nicht so, dass grundsätzlich jeder Zusammenschluss von Kirchen als ökumenischer Fortschritt gewertet wurde. Primäres Ziel war es ihrer Meinung nach, dass konfessionelle Trennungen zwischen Kirchen in einem gemeinsamen Verantwortungsbereich überwunden wurden, um gemeinsames Handeln in der Welt zu ermöglichen. Entsprechend deuteten sie die geplanten Strukturveränderungen: Ein Zusammenschluss auf der Ebene der DDR einerseits und der Bundesrepublik andererseits entspräche der Gegebenheit zweier Staaten als politischen Verantwortungsbereichen. Der Vertrauensrat hingegen korrespondiere dem gemeinsamen Verantwortungsbereich, der beiden Staaten durch die Geschichte und die gegenwärtige politische Situation gegeben sei. Die geplanten Änderungen – zwei Generalsekretäre, zwei Bewegungen, keine Studentengemeinde „in Deutschland“ mehr – würden „ihre praktischen Auswirkungen“ haben, „die auch beabsichtigt sind“, so versicherten die westdeutschen Geschäftsstellenvertreter und meinten damit offenkundig eine Signalwirkung in den kirchlichen und politischen Raum hinein. Als Letzter befasste sich der Beirat West mit den Strukturfragen. Laut Gertrud Grimme, Referentin in der Kirchenkanzlei der EKD für Fragen der Evangelischen Studentengemeinde, wurden bei dessen Sitzung Mitte April unterschiedliche Gründe für eine weitgehende Verselbstständigung der Arbeit in der Bundesrepublik und in der DDR vorgebracht276. Die einen wollten, ohne die Einheit der ESG aufzugeben, der Studentengemeinde in der DDR ein selbstständiges Agieren ermöglichen und sie von dem Verdacht befreien, von der Stuttgarter Geschäftsstelle gesteuert zu werden. Fast alle jüngeren Beiratsmitglieder äußerten dagegen auf der Sitzung ihr Misstrauen gegenüber der Bonner Deutschlandpolitik und ihren vermeintlichen Folgen für die Kirche. Der Wunsch, an einem gesamtkirchlichen Handeln festzuhalten, wurde von ihnen als Rest

276 Vermerk von Grimme vom 14.11.1967 über die Beratungen zur Einheit der ESG auf der Sitzung des Beirates West am 15./16.4.1967 (EZA BERLIN, 87/96/887).

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nationalen Denkens und als politisch unrealistisch eingestuft. Sie wollten stattdessen der Realität zweier deutscher Staaten Rechnung tragen. Gesamtkirchliches Handeln konnte für diese Vertreter der jüngeren Generation nur mehr ökumenisch begründet werden. Grimmes Hinweis auf die Fürstenwalder Erklärung als Ausdruck dafür, dass gerade die Christen in der DDR die Einheit der EKD nicht aufgeben wollten, wurde mit der Behauptung abgewiesen, die Studentengemeinde in der DDR distanziere sich ausdrücklich von dieser Erklärung. Auch ihr Einwand, der Beirat West sei im Begriff, „weder theologisch legitim noch politisch realistisch zu entscheiden“, da er zwar die Existenz zweier deutscher Staaten als Gegebenheit akzeptiere, nicht aber die bestehende Einheit der EKD, fand wenig Resonanz. Zuletzt bat die Oberkirchenrätin, rein pragmatisch nach einer Lösung zu suchen und jede prinzipielle Begründung politischer oder kirchlich-theologischer Art zu vermeiden. Diesem Wunsch wurde in den Beiratsbeschlüssen weitgehend, wenn auch nicht ganz, Rechnung getragen. „Um das Einheitsverständnis der ESG nicht unnötig zu kompromittieren und den DDR-Gemeinden ein Höchstmaß an ‚Unabhängigkeit‘ zu sichern“, stimmte der Beirat dem Vorschlag des Vertrauensrates zu, die Buchstaben „iD“ im bisherigen Namen zu streichen277. Die Gesamtarbeit der evangelischen Studentengemeinden im Bereich der Bundesrepublik und West-Berlins sollte mit dem Namen „Evangelische Studentengemeinde“ bezeichnet werden. Für den Stuttgarter Geschäftsstellenleiter wollte der Beirat den Titel „Generalsekretär“ beibehalten, da dieser bei Verhandlungen mit staatlichen und kirchlichen Stellen mehr Gewicht hatte. Mit der Übertragung der Befugnisse des früheren Generalsekretärs auf die beiden Geschäftsstellenleiter war er hingegen einverstanden. Die Berufung beider Geschäftsstellenleiter sollte von der Zustimmung des Vertrauensrates abhängig gemacht werden. Nur mit knapper Mehrheit fiel der Beschluss, dass in der Beiratsordnung der Passus, der dem Vertrauensrat ein Vetorecht gegenüber den Beiratsbeschlüssen zubilligte, beibehalten wurde. Im Übrigen wurde die Ordnung dem zuvor Beschlossenen angepasst. In Absatz I, 2b hieß es, dass der Beirat die Arbeit des Vertrauensrates dadurch unterstütze, dass er in seinen Beschlüssen seiner Verantwortung gegenüber der Studentengemeinde in der DDR gerecht zu werden versuche. Bezüglich der Vertretung beider Bewegungen im Weltbund wurde Folgendes beschlossen: „Der Beirat bittet den Vertrauensrat, die zuständigen Organe des Christlichen Studentenweltbundes zu bitten, der ESG in der DDR und der ESG in der BRD eine eigenständige Mitarbeit im Weltbund zu ermöglichen und auf den Konferenzen sowie in Adressenverzeichnissen und anderen Dokumenten beide Bewegungen so zu bezeichnen, daß sowohl ihre Zusammengehörigkeit wie ihre Selbständigkeit zum Ausdruck kommt.“

Trotz der vorsichtigen Formulierung der Beschlüsse wurden diese und insbesondere der Verzicht auf den Namen „Evangelische Studentengemeinde in Deutschland“ Gegenstand scharfer Kritik von Seiten Martin Fischers, der nominell noch Mitglied des Beirates West war278. Wie schon in seinem Brief an Schröter vom Januar 1965, in dem 277 Protokoll der Sitzung des Beirates West am 15./16.4.1967 (EZA BERLIN, 36/547). 278 Brief vom April 1967 (EZA BERLIN, 104/983).

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er dessen Ausführungen zur Einheit der ESGiD und zur Wiedervereinigung kritisiert hatte279, sprach der Berliner Theologe auch nunmehr von einem späten Sieg des Blockdenkens über das Brückenkonzept. Für ihn bedeutete die Einwilligung in die Zweistaatlichkeit im Namen des Friedens und damit der Verzicht auf die „geschichtliche und folglich – natürliche – Einheit“ Deutschlands eine Ablehnung von nationaler, politischer Verantwortung für den Ausgleich zwischen den Blöcken. Man täusche der Welt vor, auf diese Weise den Nationalismus überwunden zu haben, kritisierte Fischer die Vertreter einer vermeintlichen Entnationalisierung, denen er einen verengten politischen Horizont zuschrieb: „In Wirklichkeit melden sie sich für nationale Verantwortung je in ihrem Bereich ab und bereiten die nationalistischen Orgien vor, die unter der Decke sich längst abzeichnen. Sie machen die Erhaltung ihrer Ländchen zu Weltproblemen, mit denen sie die Welt in Atem halten, statt schon das Gesamtdeutsche provinziell zu finden angesichts der Probleme, die in Gemeinschaft von Ost und West gelöst werden müßten. Versöhnung findet gerade an den verfeindeten Teilen Deutschlands ihre Blockierung.“

Die Forderung, die Kirchen und Studentengemeinden in Deutschland sollten zukünftig eine „ökumenische“ Verbindung halten, hielt Fischer für einen Missbrauch des Wortes Ökumene. „Man schämt sich des natürlichen Kontaktes zu den Brüdern (die Älteren unter uns erinnere ich daran, eine wie große Last Ostkontakte in den letzten 20 Jahren im Westen oft waren), um sich die Gunst der politischen Funktionäre zu erhalten“, erklärte der ehemalige Vorsitzende des Beirates Ost bitter in Richtung der ostdeutschen Vertreter der Gesamtarbeit. Mit leicht drohendem Unterton fügte er hinzu: „Wenn unsere Verbundenheit tatsächlich nur eine ökumenische wäre, könnten wir uns z. B. für unsere Sorgepflicht jeweils andere Teile der Ökumene aussuchen und diese in das Verhältnis zu Nächsten aufrücken lassen, nachdem wir die natürliche Nächstenschaft nicht mehr beim Namen zu nennen wagen. Die Brüder in der DDR würden sich wundern, wenn dies wirklich mit allen Konsequenzen von denen durchgeführt würde, deren sie sich heute schämen, und deren Hilfe sie bisher in Anspruch genommen haben.“

Als vorbildhaft charakterisierte Fischer hingegen das Verhalten der EKD-Synode. Sie habe sich der „Verstaatskirchlichung“ dadurch widersetzt, dass sie „für Ost und West die gleichermaßen unpopuläre EKD festhielt“. Fischer sandte seine Stellungnahme auch an Ernst Wolf, Helmut Gollwitzer, Willem Visser ’t Hooft, Kurt Scharf und Martin Niemöller. Nach eigenen Angaben erhielt er von Wolf und Gollwitzer eine positive Reaktion, von Visser ’t Hooft und Scharf eine „leidenschaftlich positiv[e]“ und von Niemöller eine „unwirsch[e]“280. Angesichts der Kritik Fischers, einem ESG-Veteran und Hauptverantwortlichen für das Einheitsmemorandum von 1960, hielt die im Mai tagende westdeutsche Hochschulkommission der ESG eine breite Diskussion über die Einheitsfrage in den Ge279 Siehe Kap. 4.2.1. 280 Vgl. Fischer an den VR der ESGiD, 22.11.1967 (EZA BERLIN, 104/983).

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meinden für dringend erforderlich281. Um dafür die Grundlage zu schaffen, sollte Fischers Widersacher Schröter einen Kommentar zu den Strukturveränderungen schreiben. Zunächst aber fasste Ende Mai der Vertrauensrat seine endgültigen Beschlüsse282: Anstelle von „ESGiD“ hieß es nun „ESG“. Die Funktion des Generalsekretärs wurde zukünftig von den beiden Geschäftsstellenleitern wahrgenommen, die, „falls es nötig und wichtig“ war, den Titel Generalsekretär trugen. Die beiden Generalsekretäre erhielten den Auftrag, in einem Brief an das WSCF-Büro in Genf die neue Regelung der Vertretung der ESG zu erläutern: „Unter dem Begriff ‚Germany‘ werden ESG/DDR und ESG/BRD als selbständige Bewegungen genannt.“ Ferner machte sich der Vertrauensrat die Meinung des Beirates DDR zu Eigen, dass die Geschäftsstellenleiter und der Vertrauensrat die partnerschaftliche Arbeit fördern sollten. Um den ökumenischen Zielen der ESG auch institutionell Rechnung zu tragen und sich von jedem Verdacht nationaler Beweggründe für die Zusammenarbeit im Vertrauensrat freizusprechen, wurden auf Vorschlag des Beirates West zur nächsten Sitzung zwei Vertreter aus der Ökumene eingeladen. Nachdem sie sich zunächst darum bemüht hatten, mündlich Rücksprache mit dem Weltbundsekretär zu halten283, schrieben die beiden Geschäftsstellenleiter am 20. Juni auftragsgemäß an die WSCF284. Sie sprachen in ihrem Brief von zwei selbstständigen christlichen Studentenbewegungen in Deutschland, die einem gemeinsamen Vertrauensrat „gewisse Aufgaben und Befugnisse“ übertragen hatten. Insbesondere sollte der Vertrauensrat „die Verantwortung für das Zeugnis der Studentengemeinden im politischen Spannungsfeld zwischen den beiden deutschen Staaten tragen und Richtung gebende Weisungen für die Mitwirkung beider Bewegungen in der internationalen ökumenischen Arbeit erteilen.“ Unbeschadet der Funktionen des Vertrauensrates seien jedoch die Leitungsgremien beider Bewegungen autonom in ihren Entscheidungen, da sie dem Vertrauensrat dessen Befugnisse freiwillig übertragen hätten und folglich diese jederzeit widerrufen könnten. Beide Bewegungen verständen ihr Verhältnis zueinander „als verbindliche Form ökumenischer Verbundenheit“. Für die Beziehungen beider Bewegungen zum WSCF ergebe sich daraus, dass dieser es von nun an mit zwei Bewegungen zu tun habe, deren „Aims and Basis“ jedoch identisch mit denen der ESGiD seien. Konkret wurde der Weltbund um drei Dinge gebeten: Er sollte im Adressenverzeichnis unter „Germany“ die „German Democratic Republic Evangelische Studentengemeinde“ und die „German Federal Republic [sic!] Evangelische Studentengemeinde“ aufführen. In der Teilnehmerliste des Generalkomitees des WSCF sollten die deutschen Delegierten unter „Germany“ getrennt nach „Democratic Republic“ und „Federal Republic“ ohne den sonst üblichen Absatz zwischen den Delegationen verschiedener Bewegungen aufgeführt werden. Dieses Verfahren sollte auch bei allen sonstigen Teilneh281 Protokoll der Sitzung der Hochschulkommission der ESGiD am 19./20.5.1967 (EZA BERLIN, 36/1106). 282 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 26./27.5.1967 (EZA BERLIN, 36/1088). 283 Vgl. A. NOACK, Studentengemeinden, S. 196. 284 Abschrift der Übersetzung im EZA BERLIN, 104/983.

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merlisten von Konferenzen des Weltbundes angewandt werden. Obgleich die Delegationen vom gemeinsamen Vertrauensrat in ihrer Zusammensetzung genehmigt und von ihm maßgebliche Richtlinien erhalten würden, habe es der Weltbund auf Konferenzen offiziell mit zwei Delegationen zu tun, wie er es auch sonst mit zwei gesonderten Bewegungen zu tun habe, betonten Rohrbach und Hertzsch. Angesichts der unveränderten „Aims and Basis“ baten sie aber, dass kein Neuaufnahmeverfahren stattfände, sondern die beiden Bewegungen als zum WSCF gehörig betrachtet würden. In dem Brief der beiden Geschäftsstellenleiter und seinem Einerseits und Andererseits wurde noch einmal die schwierige Gemengelage zwischen Selbstständigkeit und Verbundenheit in den Teilungsbeschlüssen des Jahres 1967 überdeutlich. Nachdem die Beschlüsse gefasst waren, ging es in den Folgemonaten um die Frage, ob diese – wie von Krummacher und Hammer gewünscht – stillschweigend umgesetzt oder aber in die öffentliche Diskussion um die Einheit der EKD und die Anerkennung der DDR eingebracht wurden. Die Entscheidung in dieser Frage erfolgte vor dem Hintergrund zweier Ereignisse: eines gesellschaftlichen und eines kirchlichen. In der Bundesrepublik und vor allem in West-Berlin erreichten im Frühsommer 1967 die Studentenproteste, die sich zunächst gegen die Hochschul- und Studiensituation gerichtet hatten und später auf das gesamte „establishment“ zielten, ihren ersten konfliktualen Höhepunkt. Die studentischen Aktionen in West-Berlin nahmen ihren Ausgang von Demonstrationen anlässlich des Staatsbesuchs des Schahs von Persien und griffen von dort, vor allem nach der Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg, auf zahlreiche andere Groß- und Universitätsstädte über285. Die Studentengemeinden und allen voran die West-Berliner ESG sowie die West-Berliner Geschäftsstelle nahmen regen Anteil an den Geschehnissen. Sie solidarisierten sich mit der APO und sympathisierten mit dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), der nicht nur die Hochschulen, sondern zugleich auch die bestehende politische Ordnung „revolutionieren“ wollte. Sie druckten Flugblätter, organisierten Diskussionsveranstaltungen und Protestaktionen und stellten Räume für Vorträge und Diskussionen zur Verfügung286. Besonderes Engagement zeigte auch die im Oktober 1963 gegründete Hochschulkommission der ESGiD, die sich aus Studenten und Studentenpfarrern zusammensetzte. So veröffentlichte sie z. B. am 30. Juni 1967 unter dem Titel „Welches Gebot gilt in der Not?“ einen offenen Brief an die Studenten in der Bundesrepublik zur Notstandsgesetzgebung287. Ebenfalls Einfluss auf die Entscheidung, die Strukturveränderungen in der ESG öffentlich zu machen, hatte der Verlauf des Kirchentages im Juni 1967. Der Vortrag Wehners und die Diskussion um die Anerkennung der DDR im deutschlandpolitischen Forum hatten bei Vertretern der ESG den Willen zu deutschlandpolitischem 285 Vgl. KJ 94, 1967, S. 167f. 286 Vgl. J. JEZIOROWSKI, Studenten, S. 52ff. 287 Welches Gebot gilt in der Not? Offener Brief der Hochschulkommission der Evangelischen Studentengemeinden zu den Notstandsgesetzen. Manuskript zur Notstandsdebatte 1948–1967. Wuppertal-Barmen o. J.

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Handeln gestärkt. Dies führte einerseits zur Bildung des „Aktionskomitees Frieden mit der DDR“. Und es wurde andererseits zu einem Movens, die Teilungsbeschlüsse der ESG als Kontrapunkt zur Fürstenwalder Erklärung in die Öffentlichkeit zu tragen und deutschlandpolitisch auszudeuten. Die Hochschulkommission der ESG hielt die Entscheidungen des Vertrauensrates in der Teilungsfrage für inkonsequent288. Um die Einheitsdebatte auf der Gemeindeebene auch nach den Beschlüssen der Leitungsgremien weiter zu forcieren, versandte sie einen Brief an die Gemeinden, den Dieter Vogel entworfen hatte. Ein zweiter Brief, unterzeichnet von Klaus Uhde, war an den Vertrauensrat „ESG/ESG“ sowie an den Beirat „ESG“ – gemeint war der Beirat für die Bundesrepublik und West-Berlin – gerichtet. Darin wurde auf die vermeintlichen Inkonsequenzen hingewiesen289. Der neue Name „ESG“ bringe ohne Bereichsbezeichnungen nicht nur praktische Schwierigkeiten mit sich, sondern spiegle auch die wahren Intentionen der Strukturveränderungen nicht wider, so Uhde. Denn nach dem Verständnis der Hochschulkommission hatte der „neue“ Vertrauensrat darauf zu dringen, dass beide Bewegungen die Verantwortung in ihrem eigenen Staat ernst nahmen. Er selbst hingegen sollte durch seine neue Zusammensetzung „die internationale und ökumenische Verflechtung der beiden Bewegungen“ bewusst machen. Der Wechsel von „ESGiD“ in „ESG“ vermittle indes den Eindruck eines neuen gemeinsamen Namens für die Studentengemeinden in der Bundesrepublik und in der DDR. „ESG“ erscheine als eine die politische Situation transzendierende Größe, welche „die derzeitige politische Indifferenz der meisten Studentengemeinden widerspiegelt und sogar noch rechtfertigt.“ Die Hochschulkommission forderte daher eine Präzisierung der Beschlüsse. Wie die politische Dimension der Umstrukturierungsbeschlüsse der ESG-Gremien nach Meinung der Hochschulkommission in konkretes Handeln innerhalb und außerhalb der Gemeinden umgesetzt werden sollte, wurde aus einem Aktionsprogramm deutlich, das Vogel einen Tag nach der Sitzung als deren Ergebnis formulierte290. Danach sollte sowohl innerhalb als auch außerhalb der Studentengemeinden „Bewußtseinsbildung in Sachen Zweistaatlichkeit“ betrieben werden. Regionalkonferenzen hatten das Thema „Einheit-Zweiheit“ aufzugreifen und die politischen Implikationen der Strukturbeschlüsse zu verdeutlichen. Für bedenkenswert hielt man auch eine publizistische Auswertung des Kommentars, den Schröter zur Einheitsdebatte verfassen sollte. Die ASTA-Vertretungen wollte man daran erinnern, Verbindungen mit der FDJ zu suchen „ohne diskriminierende Einengung der möglichen Gesprächsthemen“. Auch die bundesdeutsche ESG würden sich die Freiheit nehmen müssen, mit staatlichen Organisationen der DDR zu sprechen. Die „Chance, die Eingleisigkeit von Gesprächen bloß innerhalb der Kirche zu überwinden, sollte wahrgenommen werden.“291 Den hoch politisierten westdeutschen und vor allem West-Berliner Vertretern 288 289 290 291

Protokoll der Hochschulkommission am 14./15.7.1967 (EZA BERLIN, 36/1106). Hochschulkommission an VR der ESGiD u. a., o. D., Abschrift (EZA BERLIN, 104/983). EZA BERLIN, 36/288. EBD.

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der Gesamtarbeit genügte demnach der Dialog mit den ostdeutschen Studentengemeinden, die man mit Ausnahme der Greifswalder, der Jenaer und der Leipziger als unpolitisch einstufte, nicht mehr. Als besonders wichtig erschien es Vogel, der zur gleichen Zeit führend an der Gründung des Aktionskomitees „Frieden mit der DDR“ beteiligt war, das Verhältnis der bundesdeutschen ESG zur DDR-Führung zu verbessern. Dieses sah er gestört durch das staatliche Misstrauen gegen jede gesamtkirchliche Arbeit in Deutschland infolge der Fürstenwalder Erklärung292. Solange in Berlin gemeinsame Tagungen von west- und ostdeutschen Studenten stattfänden, erklärte Vogel, und solange nicht verhindert werden könne, dass auf ihnen „politisch qualifizierte aber vor allem nichtqualifizierte Kritik an der DDR geübt“ werde, bestätige die bloße Existenz des Vertrauensrates das Misstrauen der staatlichen Stellen gegen die ESG. Damit war seiner Ansicht nach einer „Klarstellung der Ziele der ESG nach der Umstrukturierung in zwei selbständige Bewegungen“ bei den staatlichen Stellen enge Grenzen gesetzt. Der Berliner Obmann sah aber noch eine weitere Schwierigkeit für das Verhältnis der bundesdeutschen Studentengemeinde zu den staatlichen Stellen in der DDR. Er vermutete, dass die Ereignisse in West-Berlin auf die Universitäten in der DDR ausgestrahlt hatten. Das ZK der SED hatte auf seiner letzten Sitzung ausgiebig über die West-Berliner Studenten und über gewisse Unruhen an den DDR-Hochschulen beraten. Vogel glaubte, dass die Initiativen westdeutscher politischer Gruppen in Richtung DDR gegenwärtig deshalb mit Skepsis aufgenommen wurden, „weil von ihnen Impulse zu einer Demokratisierungs-Bewegung auch in der DDR ausgehen könnten.“ Die Strategie des West-Berliner Obmanns ging dahin, der DDR-Führung zu vermitteln, dass es sich bei der ESG in der Bundesrepublik um eine organisatorisch selbstständige, politisch engagierte „progressive“ Hochschulgruppe handelte293. Gerade bei der Arbeit zwischen Bundesrepublik und DDR sollte daher mehr als bisher die ESG in der Bundesrepublik und West-Berlin als offizielle Organisation in Erscheinung treten. Durch die Verwendung von „ESG-Briefköpfen“ im Ost-West-Verkehr sollten die Geschäftsstellen zu einer „größeren Öffentlichkeit und Offizialität der ESG’arbeit“ beitragen294. Drei Tage später zeigte sich Vogel zufrieden, dass ein Brief der Geschäftsstelle mit ESG-Briefkopf an das Informationszentrum „Haus des Lehrers“ in Ost-Berlin, in dem um die Einladung einer Gruppe von Ingenieurschülern aus Gummersbach zu einer Informationsveranstaltung im September in Ost-Berlin gebeten wurde, sofort und positiv beantwortet wurde295. Am gleichen Tag ließ Vogel auch den Telefonbucheintrag in „Evang. Studentengemeinde (BRD u. Bln.West)“ ändern296. Anfang September war Schröters Kommentar zu den Strukturveränderungen fertig; ein „Explosivpapier“, wie es in der Presse- und Informationsstelle der ESG in Stutt-

292 „Einige Informationen zum Verhältnis staatlicher Stellen der DDR zu ESG und anderen christlichen Organisationen (Stand vom 10.7.1967)“ (EZA BERLIN, 36/288). 293 EBD. 294 Von D. Vogel formuliertes Aktionsprogramm vom 16.7.1967 (EZA BERLIN, 36/288). 295 D. Vogel an Geschäftsstellenmitarbeiter in Stuttgart und Bonn, 19.7.1967 (EZA BERLIN, 36/288). 296 EBD.

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gart hieß297. Der Text wurde an die Delegierten aller westdeutschen Studentengemeinden zur internen Diskussion versandt; Hertzsch wollte den DDR-Gemeinden den Inhalt auf geeignete Weise zur Kenntnis geben298. Schröter begründete die Namens- und Strukturveränderung der ESG vor allem in Abgrenzung zu den Vorwürfen Fischers sowie dem Vorgehen der EKD in der Einheitsfrage299. Die Gestalt der Einheit der ESGiD sei zu einem Hindernis geworden, um Einheit praktizieren zu können. Daher habe man sich um eine „relativ bessere Form unserer gemeinsamen Arbeit als ESG in BRD und DDR“ bemüht und nicht, wie die EKD, die institutionelle Einheit zum Bekenntnis erklärt, gleichgültig ob damit die kirchliche Arbeit gefördert oder behindert werde. „Dialog und Partnerschaft“ könne man heute von der Ökumene besser lernen als von der EKD. Ebenfalls in Richtung EKD richtete Schröter die Frage, ob eine Kirche der Gefahr einer einseitigen politischen Parteinahme, der Selbstidentifikation oder der Fremdidentifikation mit dem politischen Träger des Namens Deutschland anders entgehen könne, als auf das Wort „Deutschland“ im eigenen Namen zu verzichten. Die „grosse Einheitsbewegung der EKD“, so hielt er Fischers Argument von der Brückenfunktion entgegen, habe „in Wahrheit nicht im Dienste einer Friedensfunktion der Kirche“ gestanden, „sondern war all die Jahre hindurch ein starker Anlass, im Westen politisch-offiziell und im Osten psychologisch-oppositionell an der Illusion einer Wiedervereinigung festzuhalten.“ Am Ende seines Kommentars wendete Schröter die Kritik Fischers, die Strukturveränderung der ESG deute auf eine politische Horizontverengung hin, ins Gegenteil: Die gemeinsame Aufgabe der neu strukturierten ESG sei gerade die „Entnationalisierung“, d. h. die „Entprovinzialisierung“ des allgemeinen Bewusstseins und Verhaltens der Deutschen. Darin liege eine der wichtigsten Friedensaufgaben der Zukunft. Auf der Konferenz der westdeutschen Studentenpfarrer vom 11. bis 15. September in Berlin-Spandau lag Schröters Kommentar vor und wurde von Vogel in einer Arbeitsgruppe erläutert300. Der Berliner Obmann betonte, dass es nicht um eine „pragmatische Strukturverbesserung“ ginge, wie man bei Schröter z. T. den Eindruck bekommen konnte, sondern „um eine neue Konzeption, die einen Modellcharakter intendiert“. Die Arbeitsgruppe kam zu dem Ergebnis, dass die apologetische Tendenz in dem Kommentar zurückgestellt und dafür die Konzeption deutlicher artikuliert werden müsse. Ferner sollten die Aufgaben der Gemeinden am Anfang stehen, der Begriff „Partnerschaft“ neu formuliert und die „Ökumenizität“ präziser gefasst werden. Die Konferenz stimmte dem zu und beauftragte einen Redaktionsausschuss301 zusammen mit Schröter eine Neufassung des Kommentars, eine besondere Information für die Kirchenleitungen sowie eine Presseerklärung zu erarbeiten. 297 298 299 300 301

Motzkau an D. Vogel, 4.9.1967 (EBD.). Rohrbach an Dietzfelbinger und Scharf, 7.11.1967 (EZA BERLIN, 2/4339). EZA BERLIN, 36/88/533. Protokoll (EZA BERLIN, 36/88/537). Ihm gehörten an: Tietz, Stöhr, Klemm, Aichelin, Jeziorowski und Rohrbach. Vgl. EBD.

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Die Formulierung der drei Schriftstücke, in die auch kritische Anmerkungen aus der DDR zum Schröter-Kommentar eingearbeitet wurden, fand Mitte Oktober in Stuttgart statt302. Am 20. Oktober legten der Beiratsvorsitzende Falkenroth und der Vertrauensratsvorsitzende Schröter dann den endgültigen Wortlaut fest. Gemeinsam mit dem Generalsekretär Rohrbach unterschrieben sie den Kommentar sowie den Brief an den Rat der EKD und die Kirchenleitungen. Acht Tage später waren Rohrbach und Tietz zu einem Gespräch bei Scharf303. Da der Bischof die drei Schriftstücke bereits erhalten, aber noch nicht gelesen hatte, referierte Rohrbach zunächst deren Inhalt304. In der Diskussion erwies sich Scharf als ein entschiedener Gegner der beschlossenen Änderungen, da er schwerwiegende Auswirkungen für die partnerschaftliche Zusammenarbeit der Gemeinden befürchtete. Er empfahl, zumindest den Vertrauensrat als zentrales und gemeinsames Leitungsinstrument zu erhalten, welches dann von sich aus gewisse Kompetenzen an die beiden Beiräte abtreten konnte. Den Einwand der beiden ESG-Vertreter, ein Festhalten an der ESGiD trage unweigerlich zur Verhärtung der politischen Fronten bei, wies Scharf zurück. Erstmals, so argumentierte der stellvertretende EKD-Vorsitzende, hätten in der Synode und im Rat der EKD diejenigen „eine Chance“, die wie er seit Jahren für eine echte Vermittlerrolle der EKD zwischen Ost und West plädierten. Darüber hinaus wisse er zuverlässig, dass „erstmals im Bereich der großen Politik der beiden deutschen Staaten Chancen einer Annäherung und Verständigung bestünden.“ Gerade jetzt dürfe man sich daher nicht „auseinanderdividieren“. Rohrbach, Tietz und Scharf fanden jedoch weder über die kirchliche noch die politische Lageeinschätzung einen Konsens. Sie beschlossen daher, dass die ganze Angelegenheit und insbesondere ihre Behandlung durch den Rat der EKD oder die „Konferenz der Kirchenführer“ am 10. oder 16. November zwischen Dietzfelbinger, Tietz und Aichelin erörtert werden sollte. Scharf ging davon aus, dass die Studentengemeinde in der Strukturfrage bis zu diesem Treffen nichts weiter unternehmen würde. Er forderte Rohrbach aber nicht explizit dazu auf, die Schriftstücke und insbesondere die Pressemitteilung zurückzuhalten305. Kommentar, Begleitbrief und Pressemitteilung gingen daher am 30. Oktober planmäßig an die Leitungen der Landeskirchen und Freikirchen in der Bundesrepublik und West-Berlin. Einen Tag später wurden Kommentar, Pressemitteilung sowie zur Kenntnisnahme auch der Brief an die Kirchenleitungen an die westdeutschen Studentengemeinden und Beiratsmitglieder versandt. Am gleichen Tag ging auch die 302 Vgl. Rohrbach an Dietzfelbinger und Scharf, 7.11.1967 (EZA BERLIN, 2/4339). 303 Das Gespräch war angesetzt worden aufgrund der Wahl von Tietz zum neuen Vorsitzenden der Studentenpfarrerkonferenz, der Bitte der Studentenpfarrer um eine Erklärung der Kirchenleitungen zum Krieg in Vietnam sowie der Lage in Berlin. Diese Themen wurden jedoch durch die aktuellen Strukturveränderungen an den Rand gedrängt. Vgl. Rohrbach an Dietzfelbinger und Scharf, 7.11.1967 (EZA BERLIN, 2/4339). 304 „Notizen aus dem Gedächtnis von dem Gespräch mit Bischof Scharf am 28.10.1967 in Berlin“ von Rohrbach vom 2.11.1967 (EZA BERLIN, 36/88/377). 305 Rohrbach an Delegierte, Vertrauensstudenten und Studentenpfarrer der ESGen in der Bundesrepublik und Berlin (West), 7.11.1967 (EZA BERLIN, 36/705).

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Pressemitteilung an 23 Zeitungen und Pressedienste mit der Sperrfrist „3.11. früh“ hinaus306. Der neue Kommentar war ausdrücklich nicht zur Veröffentlichung, sondern nur zur Information der Gemeinden bestimmt307. Er erläuterte in vier Abschnitten die Strukturveränderungen und deren Intentionen308. Dabei wurde betont, dass die Veränderungen keinen Bruch mit dem im Einheitsmemorandum von 1960 dokumentierten Selbstverständnis der ESG darstellten, sondern dessen konsequente Weiterentwicklung bedeuteten – eine Aussage, der Martin Fischer später heftigst widersprach309. Gleichzeitig wurde in dem Kommentar aber auch die Neuerung herausgestrichen: „Bildung zweier von einander unabhängiger Studentenbewegungen“, Einsetzung von zwei, den jeweiligen Beiräten verantwortlichen Generalsekretären. Besondere Hervorhebung erfuhr auch das neugewonnene, „tiefere Verständnis“ des „ökumenischen Charakters“ der Studentengemeinden, die „ökumenische Verbindlichkeit“. Hier folgte man der Argumentation, wie sie die Geschäftsstellenvertreter bereits auf der westdeutschen Studentenpfarrerkonferenz im April entwickelt hatten: Änderungen weltlichpolitischer Verantwortungsbereiche könnten der Bewegung zur Einheit der Christen und ihrer Kirchen neue Bereiche und Aufgaben zuweisen. Für die ökumenische Einheit der Studentengemeinde folge daraus, dass sie sowohl im Verantwortungsbereich Bundesrepublik Deutschland als auch in dem Verantwortungsbereich DDR nach einer „handlungsfähigen und glaubwürdigen Einheit“ zu streben habe. Dieses Streben finde seinen Ausdruck in einer sich ökumenisch verstehenden Studentengemeinde in der DDR einerseits und einer sich ebenso verstehenden Studentengemeinde in der Bundesrepublik andererseits. Insofern die Überwindung der spezifischen Spannung und Feindschaft zwischen den beiden deutschen Staaten „sich in einem Verantwortungsbereich besonderer Art vollziehen müsse“, sollten die beiden Studentenbewegungen dafür sorgen, dass auch für diese Aufgaben eine „leistungsfähige Struktur gemeinsamen Handelns“ bestehe. Als Ausdruck dieses Strebens wurde der Vertrauensrat verstanden. Wie von den Studentenpfarrern gewünscht, ging der neue Kommentar auch ausführlich auf die Schwerpunkte gemeinsamer Aufgaben und Verantwortung ein. Konkret nannte er vier: 1. Der partnerschaftliche und kritische Dialog könne die DDRGemeinden vor einem Rückzug aus der gesellschaftlichen Verantwortung und die westdeutschen Gemeinden vor einem Aufgehen in der politischen Arbeit bewahren. 2. Die gegenseitige Information und Kritik befähige die Studentengemeinden dazu, jeweils in ihrem Bereich für Verständigung und Entspannung einzutreten. 3. Im partnerschaftlichen Dialog sollten sie sich von der „Fixierung auf die sogenannte deutsche Frage und der daraus resultierenden Provinzialisierung“ befreien und ihre Aufmerksamkeit auf den Nord-Süd-Konflikt richten. 4. Da die Studentengemeinden „hinsicht306 Rohrbach an Dietzfelbinger und Scharf, 7.11.1967 (EZA BERLIN, 2/4339). 307 Rohrbach an Delegierte, Vertrauensstudenten und Studentenpfarrer der ESGen in der Bundesrepublik und Berlin (West), 7.11.1967 (EZA BERLIN, 36/705). 308 Exemplar im EZA BERLIN, 87/96/887. 309 Fischer an VR der ESGiD, 22.11.1967 (EZA BERLIN, 104/983).

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lich der politischen Realitäten“ andere Konsequenzen gezogen hätten als die EKD, könnten sie ihre „kritische Mitverantwortung für den Weg unserer Kirche und ihrer Gliederungen“ nur gemeinsam wahrnehmen. Im Begleitbrief an die westdeutschen Kirchenleitungen und den Rat der EKD wurde erklärt, dass die Studentengemeinden sich der Differenz zwischen den eigenen Entscheidungen und den Beschlüssen der Synode der EKD bewusst seien, dennoch aber weiterhin das Gespräch mit den Kirchenvertretern wünschten310. Die dem Brief ebenfalls anliegende Presseerklärung motivierten sie damit, dass ein ungewolltes Bekanntwerden der Beschlüsse „Missdeutungen Tür und Tor öffnen würde.“ Die Pressemitteilung begann mit der Nachricht an den Christlichen Studentenweltbund, dass nunmehr „die Evangelischen Studenten in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) und in der Deutschen Demokratischen Republik als zwei selbständige Bewegungen an die Stelle der bisherigen ‚Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland‘ traten.“311 In der anschließenden Begründung nahm man explizit auf die Fürstenwalder Erklärung und deren Verständnis von Einheit und Ökumene Bezug und wehrte eine Einstufung der eigenen, davon abweichenden Entscheidung als „unökumenische, opportunistische“ ab. Auf Grund der konkreten Aufgaben der Studentengemeinden im eigenen Bereich ebenso wie in „Mitteleuropa“, Ost- oder Westeuropa und in der „Dritten Welt“ habe institutionelle Einheit nicht „zum Selbstzweck“ werden dürfen. Die Ratsvorsitzenden Dietzfelbinger und Scharf erkannten die kirchenpolitische Brisanz dieser Presseerklärung und baten daher am 2. November Rohrbach, die Sperrfrist zu verlängern. Trotz Bedenken forderte der Generalsekretär daraufhin die Deutsche Presseagentur dazu auf, die Pressemitteilung bis zum 20. November zu sperren312. Am selben Tag schrieb auch der Münchener Oberkirchenrat Hermann Greifenstein an Rohrbach313. Das Beiratsmitglied erklärte, Kommentar und Presseerklärung gingen inhaltlich erheblich über das hinaus, was auf der Sitzung des Beirates West in Wuppertal beschlossen worden sei. Greifenstein bezeichnete die geplante Veröffentlichung der Beschlüsse zu diesem Zeitpunkt als ein „Politikum“ und eine Gefährdung jeglicher kirchlicher Ost-West-Kontakte. Die zweite Sperrfrist blieb ohne großen Erfolg, da die Nachricht die meisten Zeitungen erst nach Redaktionsschluss erreichte. So berichteten z. B. der „Evangelische Pressedienst“ und die „Stuttgarter Zeitung“ bereits am 2. und 3. November über die Teilungsbeschlüsse. Tags darauf kommentierte Karl-Alfred Odin den „Spaltungsbeschluß“ der ESGiD in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ als eine „einzige Absage an die Einheit der Kirche in Deutschland“. Zurecht vermutete er dahinter politische Motive: „Man will der Kirche die Deutschlandpolitik der Bundesregierung um die 310 EZA BERLIN, 36/705. 311 KJ 94, 1967, S. 176. 312 Rohrbach an Delegierte, Vertrauensstudenten und Studentenpfarrer der ESGen in der Bundesrepublik und Berlin (West), 7.11.1967 (EZA BERLIN, 36/705). 313 EZA BERLIN, 104/983.

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Ohren schlagen. Und man zeigte, daß man die Zwei-Staaten-Theorie ein Stückchen voranbringen kann.“ Odin ging jedoch davon aus, dass für die Kirche kein „Präzedenzfall“ entstanden war. Auch der Kommentator der „Welt“ wollte in den Beschlüssen der Studentengemeinden, für die er Verständnis aufbrachte, keinen Modellfall für die EKD sehen. Er hielt die „gesamtdeutschen kirchlichen Brücken“ für die einzigen, die noch trugen314. Rat und Synode der EKD hätten der sich daraus ergebenden Verantwortung im April Rechnung getragen, als sie sich unzweideutig zur Einheit der Kirche bekannten. Durch Leserbriefe315, Interviews316 und Rundfunkkommentare317 versuchten Vertreter der bundesdeutschen ESG ihre deutschlandpolitische Interpretation der Strukturveränderungen der Öffentlichkeit zu vermitteln. So erklärte Rohrbach im Süddeutschen Rundfunk: „Für die Studenten hier in der Bundesrepublik ist dieser Schritt sicherlich auch Ausdruck ihres Wunsches und ihres Willens, soweit es sein muß, auch gegen offizielle Stimmen in der Politik und in der Kirche, auf ihre Weise zu versuchen, einen Beitrag zu einer Entspannung zu leisten in einem Konflikt, der den Studenten – je länger, je mehr – eine Belastung zu sein scheint für die Handlungsfreiheit auch unseres Staates hier.“318

Die Presseerklärung der westdeutschen Studentengemeinden sowie deren Rezeption führten zu erheblichen Verstimmungen zwischen EKD und ESG. Hammer erklärte den Verantwortlichen in der Stuttgarter Geschäftsstelle, die Kirchenkanzlei könne in dem Pressetext der ESG nicht die Ausführung der ihr mitgeteilten Beschlüsse erkennen319. Man habe bislang nicht den Eindruck haben können, dass „derartig weitreichende und spektakuläre Maßnahmen ausgeführt werden sollten.“ Daher weise die Kirchenkanzlei zurück, solchen Schritten zugestimmt zu haben. Seine, Hammers, Zustimmung und beratende Beteiligung habe sich lediglich auf Regelungen bezogen, die sachlich dem entsprochen hätten, was die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland im Frühjahr 1967 für die Organe der EKD beschlossen hatte. Rechtlich sah der Kirchenkanzleipräsident zwischen der ESGiD und den nunmehr gebildeten „Korporationen“ keine Identität und drohte: „Die sich hieraus ergebenden Konsequenzen werden vermutlich weitreichend sein“. Auch Bischof Krummacher bezeichnete den Hinweis auf seine Zustimmung in den Schreiben der ESG als inhaltlich falsch320. Darüber hinaus hielt er die Meldung „zweier Bewegungen“ nach Genf sowie 314 „Brücken“, in: Die Welt, 6.11.1967, S. 2. 315 Falkenroth an FAZ, 5.11.1967. Abgedruckt in: FAZ, 8.11.1967, S. 10. 316 Interview mit Rohrbach im Kirchenfunk des Süddeutschen Rundfunks. Abschrift im EZA BERLIN, 2/4340. 317 „Kommentar zur Aufgabe der Einheit der ESGiD im Hess. Rundfunk, 2. Programm ‚Aus der Welt der Kirchen‘ am 7.11.1967 um 19.45 gesendet“. Abschrift im EZA BERLIN, 2/4340. 318 Interview mit Rohrbach im Kirchenfunk des Süddeutschen Rundfunks. Abschrift im EZA BERLIN, 2/4340. 319 Schreiben vom 8.11.1967 (EZA BERLIN, 104/983). 320 Vermerk von Hammer vom 9.11.1967 (EZA BERLIN, 2/4339).

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die Berufung von zwei „Generalsekretären“ für unvereinbar mit den Beschlüssen des Beirates DDR321. Laut Krummacher waren auch Althausen und Hertzsch über die Veröffentlichungen der westdeutschen Studentengemeinde „sehr bestürzt und erregt“ gewesen. Sie hätten ihm gegenüber betont, dass die Verantwortlichen für die Studentengemeinden in der DDR „wegen der Absicht, der Form und wegen des Zeitpunktes dieser Veröffentlichung nicht konsultiert worden“ seien. Sie würden einen solchen „Alleinvertretungsanspruch“ der Stuttgarter Geschäftsstelle mit Nachdruck zurückweisen. Tatsächlich war der Wortlaut der drei Schriftstücke sowie der Veröffentlichungstermin nicht mit den Vertretern der Gesamtarbeit in der DDR abgestimmt worden. Hertzsch erhielt erst auf der Geschäftsstellenbesprechung am 1. November davon Kenntnis322. Allerdings hatte Vogel, der den Ost-Berliner Geschäftsstellenleiter informieren sollte, am 25. Oktober Rohrbach versichert: „Da Hertzsch die Meinung vertritt, die Frage der Umstrukturierung sei eine reine BRD-Sache, hat er ganz bestimmt nichts gegen eine Publizierung. Im Gegenteil.“323 Tatsächlich wurde das interne Verhältnis zwischen den Vertretern der Gesamtarbeit in der DDR und in der Bundesrepublik durch die Vorfälle nicht dauerhaft getrübt. Rohrbach bedauerte gegenüber Hertzsch und Althausen schriftlich die „Missverständnisse bei der gegenseitigen Konsultation“324. Man habe geglaubt, das volle Einverständnis der ostdeutschen ESG-Vertreter für die Formulierung der Erklärung gehabt zu haben. Auch sei der kritisierte Ausdruck „zwei unabhängige Bewegungen“ bereits wörtlich in den gemeinsamen Briefen an den Weltbund enthalten gewesen. Rohrbach vermutete hinter „Koordinationspannen“ auch Kommunikationsschwierigkeiten innerhalb der DDR: Dort hätten nicht in allen Phasen die gemeinsamen Beschlüsse mit allen wichtigen ESG-Vertretern beraten werden können. Am 9. November antworteten Althausen und Hertzsch, sie hätten Rohrbachs Brief „mit Freude und Zustimmung erhalten“325. Das „Entsetzen“ habe sich nur auf einige Formulierungen bezogen, die im Blick auf die DDR-Situation inopportun waren: so der Ausdruck „Bewegung“, die Verwendung des Singulars „Studentengemeinde“ statt des Plurals sowie die Rede von den Studentengemeinden „in“ der Hochschule. Althausen und Hertzsch erklärten, dass nunmehr auch die ESG-Vertreter in der DDR die Kirchenleitungen und Gemeinden von den Beschlüssen in Kenntnis setzen wollten. Dies sollte in einer Weise geschehen, „die an der völligen Gemeinsamkeit unserer und Eurer Intentionen in dieser Sache keinen Zweifel läßt.“ Gleichzeitig waren Althausen und Hertzsch aber auch um Schadensbegrenzung gegenüber der Amtskirche bemüht, deren Schutz die Studentengemeinden in der DDR benötigten. Gegenüber den Oberkirchenräten Behm und Lewek von der Kir-

321 Krummacher sprach versehentlich vom „Vertrauensrat“. Vgl. Anm. 871. 322 Vgl. A. NOACK, Studentengemeinden, S. 201 und D. Vogel an Rohrbach, 25.10.1967 (EZA BERLIN, 36/288). 323 D. Vogel an Rohrbach, 25.10.1967 (EBD.). 324 EZA BERLIN, 141/99/89a. 325 EZA BERLIN, 87/96/887.

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chenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR verwiesen sie in einem Gespräch Mitte November darauf, dass das Protokoll über die Vertrauensratssitzung vom 26. und 27. Mai, in dem die entscheidende Formulierung „zwei getrennte Bewegungen“ vorkam, noch nicht genehmigt war326. Angesichts vieler Anfragen aufgrund der Änderung im Briefkopf der Stuttgarter Geschäftsstelle, so erklärten sie weiter, hätte man es dort für nötig erachtet, mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit zu treten. Die endgültige Fassung dieser Erklärung sei den ostdeutschen ESG-Vertretern nicht bekannt gewesen. Es habe aber inzwischen auf ihren Einspruch hin eine Überarbeitung stattgefunden. Der Vertrauensrat solle alle seine Funktionen behalten; es habe „hier nur ein Formulierungsfehler vorgelegen.“ Althausen und Hertzsch baten, die ganze Angelegenheit nicht hochzuspielen und keine Vertrauensstörung entstehen zu lassen. Mit der Bitte um Weiterleitung an Krummacher übergaben sie die Abschriften der betreffenden Beirats- und Vertrauensratsbeschlüsse sowie einen Brief, in dem die Beschlüsse interpretiert wurden:327 „In voller Übereinstimmung mit den Brüdern in der Bundesrepublik ging es bei unseren eingeleiteten Schritten einzig und allein darum, unseren gemeinsamen Auftrag in beiden deutschen Staaten noch wirksamer und konkreter wahrnehmen zu können. Für das geistliche Anliegen, das die Gemeinsamkeit des Auftrags unserer Studentengemeinden in Ost und West für uns darstellt, schien uns die Schaffung sinnvoller partnerschaftlicher Arbeitsstrukturen nur gut und förderlich. In brüderlicher Verbundenheit mit den Studentengemeinden in der Bundesrepublik haben wir nach Möglichkeiten gesucht, die Verantwortung jeweils für den eigenen Bereich, die gemeinsame Verantwortung und die Verantwortung des einen für den andern deutlich und wirksam werden zu lassen.“328

Zwei Tage später fand ein Gespräch mit Krummacher statt329. Darin versicherten Hertzsch und Althausen, dass die Studentengemeinden in der DDR eine „bürotechnische Regelung“ und nicht die Ablösung der ESGiD durch zwei getrennte „Bewegungen“ gewollt hatten. Hertzsch gab an, das Protokoll der Vertrauensratssitzung im Mai nicht gründlich gelesen zu haben, bevor er es freigab. Das Gleiche erklärte er im Hinblick auf den Brief an den WSCF, von dem er annahm, dass er die schriftliche Fixierung der „bürotechnischen“ Absprachen enthielt, die zuvor mündlich in Prag getroffen worden waren. Hertzsch erwog auf Grund der Versäumnisse seinen Rücktritt. Mitte November standen die Vorgänge in der Studentengemeinde auch auf der Tagesordnung des Rates und der Kirchenkonferenz330. Das Gespräch mit und über die Studentengemeinden war schon vor den November-Ereignissen aus Anlass der Studen326 Aktenvermerk von Behm, 14.11.1967 (EZA BERLIN, 104/983). 327 Ein Entwurf des Briefes findet sich im EZA BERLIN, 141/99/89a. 328 EBD. 329 Vgl. Bericht Krummachers auf der Kirchenkonferenz. Auszüge aus der Niederschrift über die Sitzung der Kirchenkonferenz am 16./17.11.1967 (EZA BERLIN, 104/97). 330 Vgl. „Erinnerungsprotokoll über die Verhandlungen betr. den Beschluß der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland zur künftigen Arbeit in zwei getrennten Bewegungen“ von Grimme (EZA BERLIN, 2/4340) sowie die Auszüge aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates am 15./17.11.1967 und der Kirchenkonferenz am 16./17.11.1967 (EBD., 104/983 und 104/97).

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tenunruhen geplant gewesen. Nun aber standen die Beschlüsse über die Neustrukturierung der ESG und deren Wirkung in der Öffentlichkeit im Mittelpunkt der Diskussion. Auf der Ratssitzung in Ost-Berlin erklärte Krummacher, in seiner Anwesenheit seien keine Beschlüsse gefasst worden, die auf eine Trennung der ESGiD in zwei Bewegungen hinausliefen. In West-Berlin führte der Rat ein längeres Gespräch mit Rohrbach und Schröter. Darin wurde von den Ratsmitgliedern nachdrücklich auf die negativen Auswirkungen der ESG-Maßnahmen auf die Einheit der EKD und das Verhältnis von EKD und Studentengemeinden verwiesen und eine Korrektur der öffentlichen Erklärungen als notwendig bezeichnet. Mehrere Ratsmitglieder sprachen von Vertrauensbruch, was Rohrbach entschieden zurückwies. Durch die jahrelange Mitarbeit von Oberkirchenrätin Conring im Vertrauensrat und im Beirat sowie die Teilnahme der Oberkirchenräte Greifenstein und Grimme an der Beiratssitzung im April habe eine laufende Verbindung zum Rat bestanden. Von den Ratsmitgliedern auf ihr Selbstverständnis hin angesprochen, bestritten Schröter und Rohrbach, dass sich die ESG auf dem Wege zu einer Verselbstständigung gegenüber der Kirche oder gar zu einer „Konventikelbildung“ sei. An den darauffolgenden Tagen befasste sich die Kirchenkonferenz in Ost- und West-Berlin mit der Angelegenheit. Am 16. November wurde in Ost-Berlin zunächst allgemein über die Politisierung der westdeutschen Studentengemeinden und dann über die Teilung der ESGiD gesprochen. Damit hatte man den Teilungsbeschluss bereits in den richtigen kausalen Kontext eingeordnet. Die Kirchenkonferenz sah in den DDR-Gemeinden die eigentlichen Leidtragenden der Situation. Hintergrund für diese Feststellung war ein Artikel von Eberhard Klages in der „Neuen Zeit“. Unter der Überschrift „Anachronistischer Segen“ hatte dieser über das Vorgehen der „westdeutschen Studentengemeinden“ frohlockt und es zu Angriffen gegen die EKD genutzt331. Ostdeutsche Kirchenvertreter baten daher, nun nicht auch kirchlicherseits die Trennung der Studentengemeinden und ihre Umstände hochzuspielen332. Auf der Kirchenkonferenz in Ost- und West-Berlin wurde eingeräumt, dass die Landeskirchen es versäumt hätten, die Verbindung zu den Studentenpfarrern und Studentengemeinden kontinuierlich zu pflegen. Dies wollte man fortan ändern und die kirchlich-gemeindlichen Wurzeln der Studentengemeinden wieder stärken – ein Vorhaben, das vor allem auf die westdeutschen Gemeinden zielte. Von amtskirchlicher Seite wurde nun das Gespräch gesucht: So beschloss der Rat eine Aussprache zwischen westdeutschen ESGVertretern und einzelnen Ratsmitgliedern und bat die Gliedkirchen, ebenfalls mit ihren Studentenpfarrern Verbindung aufzunehmen. Die Studentengemeinden waren aber nur bedingt kompromissbereit. Dies zeigte bereits der Entwurf für eine Stellungnahme zur Pressemitteilung vom 30. Oktober, die Tietz noch am Abend des 17. Novembers den Ratsmitgliedern überbrachte333. Ins331 NZ, Ausgabe B, 16.11.1967, S. 1f. 332 Protokoll von Behm über die Kirchenkonferenz in Ost-Berlin am 16.11.1967 (EZA BERLIN, 104/97). 333 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 15./17.11.1967 (EZA BERLIN, 104/983).

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besondere Scharf hatte darum gebeten und gehofft, die ESG würde darin erklären, dass sie prinzipiell keine andere Entscheidung als die Synode getroffen habe334. Dazu waren die ESG-Vertreter aber nicht bereit und versuchten einen Kompromiss zu finden. Rohrbach, Schröter, Falkenroth und Tietz hatten die Erklärung verfasst und über Vogel mit Althausen und Hertzsch abgestimmt. Sie versuchten darin die bleibende Gemeinsamkeit mit den ostdeutschen Studentengemeinden und das Verhältnis zur EKD deutlicher herauszustellen335. Der Ausdruck „getrennte Bewegungen“ wurde vermieden. Man bekannte sich mit der Synode von Fürstenwalde und Spandau zum Festhalten an der „Gemeinschaft“, sprach aber weiterhin von „zwei deutschen Staaten“ und der „ökumenischen Zusammengehörigkeit“ der ESG in den beiden deutschen Staaten. Dietzfelbinger bat daher Tietz, die Erklärung nicht zu veröffentlichen, sondern das Gespräch am 1. Dezember abzuwarten336. Im Kommuniqué des Rates hieß es lediglich, dass Gespräche mit den Studentengemeinden geführt worden seien und fortgesetzt würden. Ebenfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit nahmen zwei Gründerväter der ESGiD zu den Texten vom 30. Oktober Stellung. Reinold von Thadden schrieb an Rohrbach: „Mit Bewegung und zugleich lebhafter Zustimmung – weil dies seit langem meinen eigenen Überzeugungen entsprach – empfing ich vor zwei Tagen Ihre wohldurchdachten und sorgsam formulierten Darlegungen zum Thema einer neuen Struktur der Evangelischen Studentengemeinde. Das Neue fixiert ja im Grunde nur, was sich seit 12 Jahren immer deutlicher anbahnte und ganz offenbar dem Ratschluß unseres Gottes mit Seiner Gemeinde in beiden Hälften unseres Vaterlandes entspricht.“337

Martin Fischer hielt hingegen die Presseerklärung der ESG für eine „öffentliche Desavouierung der EKD-Entscheidung“ und sprach von „Verrat“338. Wiederum warf er der ESG vor, sie fördere mit ihrem Vorgehen die „Zweikirchlichkeit“ als Anerkennung der Zweistaatlichkeit und provoziere damit eine Abhängigkeit der Kirchen in der DDR vom Staat und staatlichen Subventionen. Schröter, so lautete sein Vorwurf, „bagatellisiere“ diese Entscheidung ebenso wie der kurzzeitige DCSV–Vorsitzende Karl Fezer 1933/34 die Einführung des Führerprinzips und des Arierparagrafen in der DCSV bagatellisiert habe. Öffentlich äußerte sich von kirchlicher Seite zunächst nur der Hamburger Landesbischof Hans-Otto Wölber zu dem Vorgehen der ESG339. Ende November warf 334 Rohrbach an D. Vogel, Tietz, M. Schröter und Falkenroth, 16.11.1967 (EZA BERLIN, 36/288). 335 Vgl. Rohrbach an westdeutsche Mitglieder des VR der ESGiD, geschäftsführenden Ausschuss des Beirates, Arbeitsausschuss der DK und Präsidium der SPK (West), 16.11.1967 (EZA BERLIN, 36/88/533). 336 Erinnerungsprotokoll von Grimme (EZA BERLIN, 2/4340) und Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates am 15./17.11.1967 (EBD.). 337 Wörtlich zitiert in: Rohrbach an westdeutsche Beiratsmitglieder, 8.11.1967 (EZA BERLIN, 36/547). 338 Schreiben Fischers an den VR, 22.11.1967 (EZA BERLIN, 104/983). Am 24.1.1968 schrieb Fischer an M. Schröter persönlich (EZA BERLIN, 606/124). 339 Im Februar 1968 nannte dann Präses Wilm auf der Teilsynode West der EKU die Entscheidung der ESG ein „ernstes Alarmzeichen“. Vgl. epd, 10.2.1968, S. 2.

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er vor der Synode in Hamburg den Studentengemeinden Illoyalität vor, da sie die leitenden kirchlichen Gremien nicht informiert hätten340. Wölber hielt es daher für fraglich, ob die Studentengemeinden noch ein Mandat der EKD oder ihrer Gliedkirchen besaßen. Möglicherweise, so der Bischof, hätten sie nicht einmal mehr ein Mandat der jungen evangelischen Generation auf den Universitäten, denn es sei ein „erheblicher Schrumpfungsprozeß der Studentengemeinden“ zu beobachten. „Schrumpfen sie, weil sie sich soweit ins Politische verströmen, oder fliehen sie aus der Schrumpfung in die Politik?“, spekulierte Wölber, der zur gleichen Zeit einer Politisierung der evangelischen Kirche generell den Kampf angesagt hatte. Auf derselben Synode distanzierte sich der Hamburger Studentenpfarrer Ulrich Finckh, selbst Mitglied des Beirates West der ESG, von den Erklärungen vom 30. Oktober und versicherte: „Wir haben weder die Kirche gespalten noch uns getrennt.“341 Man habe sich für die Arbeit in der Bundesrepublik und in der DDR nur die Freiheit gegeben, die in diesem schwierigen Bereich sachlich nötig und auch längst praktiziert worden sei. Kritische Worte kamen, wie nicht anders zu erwarten, von der Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher. In der Dezemberausgabe des gleichnamigen Mitteilungsblattes wurde von der „Spaltung der EKD durch die Studenten“ gesprochen342. Eine wohlwollende Kommentierung erhielten die Studentengemeinden und ihre Aufgliederung hingegen in der „Stimme der Gemeinde“343. Karl Linke sah in deren Entscheidung eine berechtigte Anfrage, ob es nicht bessere institutionelle Formen gäbe als die EKD, um den gemeinsamen Aufgaben der Christen in den beiden deutschen Staaten gerecht zu werden. Sowohl in den öffentlichen wie in den nichtöffentlichen Stellungnahmen wurde das Vorgehen der ESG zur Haltung der EKD in der Einheitsfrage in Bezug gesetzt, was von den Initiatoren der Erklärungen vom 30. Oktober auch intendiert gewesen war. Die jeweilige Einstellung zur Position der EKD bestimmte folglich auch das Urteil über die Entscheidungen der ESG. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass das MfS sowie das Amt des Staatssekretärs für Kirchenfragen die Aufteilung der ESGiD mit wohlwollender Aufmerksamkeit verfolgten344. Die Hauptabteilung XX/4 der Staatssicherheit informierte am 28. November Ulbricht ausführlich über „einige Einzelheiten im Zusammenhang mit der beabsichtigten Teilung der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) in zwei selbständige Gremien Westdeutschlands und der DDR“345. Sie vermutete, dass sich aus der Diskussion und Entwicklung innerhalb der ESG „eine Reihe positiver Faktoren“ ergeben würden: – „Die ‚Einheitskonzeption‘ der ‚EKiD‘ wird durch das Entstehen von zwei selbständigen Organisationen der ESG durchbrochen; 340 341 342 343 344 345

epd ZA, 30.11.1967, S. 6. Vgl. auch H. O. WÖLBER, Politisierung. epd ZA, 2.12.1967. Abschrift im EZA BERLIN, 2/4340. K. LINKE, Ärger mit den Studentengemeinden? In: Stimme 19, 1967, Sp. 715f. BArch BERLIN, DO 4/586. BStU BERLIN, MfS HA XX/4–1235.

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– die Existenz von zwei deutschen Staaten wird anerkannt; – der Bonner Alleinvertretungsanspruch wird als gegen die DDR gerichtet erkannt, wobei die Patenschaftsarbeit abgelehnt und eine Partnerschaft gefordert wird;

– als einziger Weg der Wiedervereinigung wird eine Verständigung auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung gefordert;

– die Beziehungen auf ökumenischer Ebene werden als richtig anerkannt, wobei eine Fortsetzung dieser Entwicklung gefordert wird.“346

Man war jedoch nur zum Teil mit der Entwicklung zufrieden, da sich diese nicht in allen Punkten nach den eigenen Vorstellungen vollzog. Nach Beobachtung des MfS existierten noch eine „Reihe indifferenter und negativer Auffassungen“ in den Studentengemeinden: – „Es wird zwar eine Unterscheidung zwischen Westdeutschland und Westberlin vorgenommen; beide bilden jedoch eine integrierende Einheit;

– im gleichen Sinne wird verschiedentlich eine Trennung zwischen der DDR und ihrer Hauptstadt vorgenommen;

– zukünftig soll auch ein sogen. gemeinsamer Vertrauensrat existieren, bestehend aus 6 Vertretern aus der DDR und 6 Vertretern aus Westdeutschland (Westberlin eingeschlossen);

– als Quelle der Kriegsgefahr wird allgemein die Spannung zwischen Ost und West bezeichnet. Negiert wird, daß der alleinige Ausgangspunkt für die Spannungen der westdeutsche Imperialismus ist; – es erfolgt keine eindeutige Verurteilung der Haltung der ‚EKiD‘ und keine eindeutige Abgrenzung der Meinungsverschiedenheiten zwischen der ‚EKiD‘ und der ESG.“347

Angesichts der kirchlichen Drohgebärden, den Studentengemeinden die finanziellen Zuwendungen zu streichen, bereitete sich die bundesdeutsche ESG sorgfältig auf die Gespräche mit dem Rat der EKD und den Leitungen der Landeskirchen vor. Am 23. und 24. November fand hierzu eine außerordentliche Sitzung in Hamburg statt, an der die westdeutschen Mitglieder des Vertrauensrates, der geschäftsführende Ausschuss des Beirates West, der Arbeitsausschuss der Delegiertenkonferenz sowie das Präsidium der Studentenpfarrerkonferenz West teilnahmen348. Das Resultat war eine von Rohrbach verfasste mehrseitige Selbstdarstellung der ESG, die als Arbeitsgrundlage für die zu führenden Gespräche in der Bundesrepublik gedacht war349. Sie beschränkte sich daher auf eine Beschreibung der westdeutschen Studentengemeinden. Auch konnte ihr Wortlaut aus Zeitgründen nicht mit den Vertretern der Studentengemeinden in der DDR abgesprochen werden. Im Text hieß es jedoch: „Die Partnerschaft mit ihnen steht hinter jedem Aspekt des Lebens der Studenten346 EBD. 347 EBD. 348 Rohrbach an westdeutsche VR-Mitglieder der ESGiD, geschäftsführender Ausschuss des Beirates, Arbeitsausschuss der DK und Präsidium der SPK (West), 16.11.1967 (EZA BERLIN, 36/88/533). 349 „Evangelische Studentengemeinde Geschäftsstelle für die Bundesrepublik und Berlin (West): Die evangelischen Studentengemeinden im Kontext von Kirche, Hochschule und Gesellschaft. Versuch einer Bestandsaufnahme im Jahre 1967“ (EZA BERLIN, 87/96/887).

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gemeinden in der BRD, auch dort, wo sie nicht ausdrücklich angesprochen wird.“350 Die westdeutschen Studentengemeinden wurden als Gemeinden junger erwachsener Christen in einem „besonders exponierten gesellschaftlichen Bereich“ charakterisiert und ausdrücklich nicht als eine spezialisierte Arbeit der Kirche analog zur Jugendarbeit verstanden. Damit sollten drohende Verkirchlichungstendenzen abgewehrt werden. Soweit die Studentengemeinden unter Bedingungen lebten, „die früher oder später für die Gesamtgesellschaft bestimmend sind“, hofften sie, „vorlaufend Erfahrungen für die Gesamtkirche sammeln und vermitteln zu können.“ Diesen Anspruch, eine protestantische Speerspitze zu bilden, hatten die Studentengemeinden sowohl im Bereich der „gesellschaftspolitischen Diakonie“ als auch in der Einheitsfrage. Zu letzterer wurde der Selbstdarstellung eine neue Erläuterung der Beschlüsse über die strukturelle Neuordnung beigelegt, die auf dem Hamburger Treffen verfasst worden war: „Die evangelischen Studentengemeinden in der BRD und in der DDR wissen sich gegenseitig partnerschaftlich verbunden und zum gemeinsamen Dienst berufen. Dieser Dienst schließt das christliche Zeugnis im besonderen politischen Spannungsfeld zwischen den beiden deutschen Staaten ein. In diesem Sinne haben die Studentengemeinden in Ost und West mit der Synode von Fürstenwalde und Spandau ‚gute Gründe, an der Gemeinschaft festzuhalten.‘ Diese Gemeinschaft zielt auf verbindliche Zusammenarbeit und schließt zugleich die Handlungsfähigkeit in den unterschiedlichen Situationen und Bereichen ein. Dementsprechend wurde der Christliche Studentenweltbund gebeten, sowohl der Zusammengehörigkeit wie der Selbständigkeit der evangelischen Studentengemeinden in BRD und DDR Rechnung zu tragen. Die evangelischen Studentengemeinden verstehen sich nach wie vor als Teil der evangelischen Christenheit in Deutschland und wissen sich mitverantwortlich für den Weg und die Entscheidungen der Kirche.“351

Mit dieser Erklärung wollte man den Kirchen entgegenkommen ohne die Strukturveränderungen zurückzunehmen. Ebenfalls in Vorbereitung des Gesprächs mit den Ratsvertretern baten Mitarbeiter der Stuttgarter Geschäftsstelle die Verantwortlichen des WSCF, schriftlich zu den Erklärungen vom 30. Oktober Stellung zu nehmen352. Mit Datum vom 29. November schrieben daraufhin der Generalsekretär Valdo Galland und der Vorsitzende Philip Potter an Falkenroth, Rohrbach und Schröter; ein Durchschlag ging an die „Evangelische Studentengemeinde in der Deutschen Demokratischen Republik“353. In dem Brief zeigten sich die beiden zuversichtlich, dass die Vertreter des WSCF auf ihrem Treffen im Januar 1968 die Beschlüsse der ESG billigen und als Vernunftsentscheidung 350 EBD. 351 Der Text ist enthalten in: „Die wichtigsten Daten in der Entwicklung von der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland zur Partnerschaft zwischen der ESG in der Bundesrepublik und der Studentengemeinde in der Deutschen Demokratischen Republik“, einer Zusammenstellung der Presse- und Informationsstelle der ESG vom 7.12.1967 (EZA BERLIN, 87/96/887). 352 Rohrbach an D. Vogel, 4.12.1967 (EZA BERLIN, 36/288). 353 Der Text findet sich in der deutschen Übersetzung im EZA BERLIN, 104/983.

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begrüßen würden. Nach Ansicht von Galland und Potter stimmten die Entscheidungen der ESG völlig mit den Überzeugungen und der Politik der WSCF überein: ganz da zu sein in der Situation, in die man von Gott gestellt werde. Die beiden teilten auch das Verständnis von Ökumene, das der Entscheidung der ESG zugrunde lag. Ihrer Ansicht nach hatte Ökumene nichts zu tun mit einer Einheit der Kirche, die nicht die harten Tatsachen des sozialen und politischen Lebens ernst nahm. Denn es gehe in erster Linie um das Zeugnis und den Dienst in und an der Welt, wenn es um die Einheit gehe. Diese könne nicht zum Selbstzweck gemacht werden, erklärten sie übereinstimmend mit der ESG in Richtung EKD. Galland und Potter hofften, dass die Partnerschaft der beiden Studentengemeinden dennoch ein Kommunikationskanal zwischen „Ost“ und „West“ bleibe. Besonders begrüßten sie die transnationale Ausrichtung der beiden Studentengemeinden, die ihre Bindung als Erinnerung an ihre globale Verantwortung verstehen wollten. Zum Abschluss drückten die beiden ihr Vertrauen aus, dass die Beschlüsse die Studentengemeinden in die Lage versetzen würden, zum Leben, zur Erneuerung und zur Mission ihrer Kirchen beizutragen. Die ESG erhielt somit in allen Punkten ihrer Entscheidung und deren Intentionen Rückendeckung von Seiten der WSCF. Rohrbach verlas den Brief auf der Sitzung am 1. Dezember in Hannover354. In dem von Bischof Lilje geleiteten Gespräch konkretisierten die EKD-Vertreter ihren Vorwurf: Die ESG habe nicht durch ihre neue Konstruktion, wohl aber durch die „nachgeschobene“ Begründung der EKD schweren Schaden zugeführt355. Welche Konsequenzen dies für die ESG habe würde, hielt man sich noch offen. Trotz der Drohungen blieben die Vertreter der Studentengemeinden bei ihrer Sicht der Dinge. Neu war jedoch der indirekte Hinweis von Martin Schröter, welcher Vorgang zur Entstehung von Kommentar und Presseerklärung beigetragen hatte: In der Kirche habe sich der Begriff „Einheit“, so Schröter, immer stärker mit dem Begriff „Deutschland“ verflochten. Der Vortrag von Herbert Wehner auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover sei als Zeichen für diese Verschiebung in der Öffentlichkeit zu werten356. Von daher rührte laut Schröter die Abwehr der Fürstenwalder Erklärung. Aufs Ganze gesehen blieb das Gespräch zwischen EKD- und ESG-Vertretern ergebnislos. Man einigte sich darauf, nichts an die Presse zu geben, bevor nicht der Rat von diesem Gespräch Kenntnis erhalten hatte und eventuelle weitere Gespräche stattgefunden hatten357.

354 Rohrbach an D. Vogel, 4.12.1967 (EZA BERLIN, 36/288). 355 Vermerk von Grimme vom 18.12.1967 über das Gespräch (EZA BERLIN, 2/4339). Von Seiten der EKD nahmen an der Sitzung teil: Greifenstein, Grimme, Hammer, Lilje, Niemeier, Smidt, Wilkens, Wilm. 356 Siehe oben. 357 Unter einen gewissen Handlungsdruck wurde die EKD von Seiten der Lutherischen Kirche im Hamburgischen Staate gesetzt. Mitte Dezember bat die dortige Kirchenleitung die EKD, die Abberufung von Rohrbach als Generalsekretär der ESG zu bewirken, sollte sich nicht seine Mitverantwortung als sehr gering herausstellen. Harm an Dietzfelbinger, 15.12.1967 (EZA BERLIN, 2/4339).

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Der Vertrauensrat der ESG klärte seine Position auf seiner Dezembersitzung358. Er genehmigte das Protokoll der Mai-Sitzung mit Ausnahme der „mißverständlichen Formulierung“ von den „zwei Bewegungen“. Der Brief von Hertzsch und Rohrbach an den WSCF vom 20. Juni wurde als sachgemäße Wiedergabe der Intention der eigenen Beschlüsse gewertet. Als solche hielt der Vertrauensrat fest: Man wollte die Verantwortung der Studentengemeinden in beiden deutschen Staaten so „effektiv wie nur möglich [. . .] verwirklichen“; dies habe zur „partnerschaftlichen Aufgliederung“ geführt, wobei sowohl die partnerschaftliche Gliederung als auch die gemeinsamen Aufgaben verbindliche Strukturen haben sollten. In der für die ESG gefährlichen Frage nach ihrer rechtlichen Identität erklärte er die Studentengemeinden in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen für identisch mit der ESGiD. Eine Klärung der Namensfrage (ESG/DDR, ESG/BRD), wie sie die Hochschulkommission in ihrem Brief gefordert hatte, wollte der Vertrauensrat zu diesem Zeitpunkt nicht herbeiführen. In den anstehenden Gesprächen zwischen Kirchenleitungen und Studentengemeinden bat er, zwei Entwicklungen zu verhindern: eine Änderung der engen gegenseitigen Zuordnung von Studentenpfarrer und Studentengemeinden sowie eine Einengung der Beweglichkeit der Studentengemeindearbeit und der Offenheit ihrer ökumenischen Strukturen im weiten Rahmen der Verantwortung der verfassten Kirchen. Im Gegenzug sollten die Studentengemeinden zukünftig die Kirchenleitungen intensiver über ihre Arbeit informieren. Weiterhin bat er die Gemeinden, bei den Verhandlungen mit den Kirchenleitungen sowohl Mitglieder des Vertrauensrates als auch der Geschäftsstellen zu beteiligen. Erich Hoffmann wurde beauftragt, den Gemeinden in der DDR in einem Brief die Position des Vertrauensrates zur Umstrukturierung und ihren Folgen mitzuteilen. In diesem Schreiben vom Advent 1967 deutete Hoffmann die Beschlüsse der leitenden Gremien sowohl pragmatisch als auch politisch. Er bezeichnete sie als „Beschlüsse zur praktischen Arbeitsweise der Geschäftsstellen“, die „einen effektiveren Dienst sowohl für die örtlichen Gemeinden wie in der ökumenischen Gemeinschaft des Christlichen Studentenweltbundes ermöglichen sollten.“359 Zugleich verwies er darauf, dass „rein organisatorische Entscheidungen“ nicht „ohne politische Aspekte getroffen“ werden konnten. Schon im Einheitsmemorandum sei der Gedanke maßgeblich gewesen, dass die Gemeinsamkeit der Studentengemeinden in Deutschland nur in dem Auftrag gegründet sein konnte, die „Versöhnung“ zwischen den „zerteilten Gewalten“ aus der „Glaubenskraft des Evangeliums“ dem Streben nach nationaler Einheit überzuordnen. Der Weg der Studentengemeinden sei der des Einübens in eine „partnerschaftliche, von gegenseitiger Mitverantwortung getragenen Zusammenarbeit, bei der die Eigenverantwortung in den politisch geteilten Bereichen voll übernommen werden muß.“ Anschließend ging Hoffmann auf den weltpolitischen Kontext ein, in den er die Entscheidungen der ESG gestellt wissen wollte: Eine Welt ohne Krieg sei nur möglich, wenn eine „kommende Weltgesellschaft die nicht mehr halt358 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 9./10.12.1967 (EZA BERLIN, 36/1088). 359 EZA BERLIN, 104/984.

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baren Strukturen der im Selbstbehauptungswillen konkurrierenden Gewalten heilend überwächst.“ Besonders die jungen Christen in Deutschland sah er in der Verantwortung, sich in ihren eigenen Strukturen praktisch in diese Aufgabe einzuüben. Die Geschäftsstellen seien, so Hoffmann, vom Vertrauensrat angewiesen worden, die Gemeinden über die Einzelheiten bei der Weiterentwicklung der Partnerschaft im vergangenen Jahr einschließlich der dabei begangenen Fehler zu informieren. Erst anhand dieser Informationen sollten sich die Gemeinden ein eigenes Urteil über die Strukturveränderungen und die Art ihres Vollzugs bilden. Rohrbach veröffentlichte zwischenzeitlich im „Radius“ unter dem Titel „Partnerschaft – nicht Patenschaft“ einen kurzen Artikel, in dem er die Erklärungen vom 30. Oktober erläuterte360. Anstelle von „zwei selbständige Bewegungen“ verwendete er nunmehr die Formulierung „zwei selbständige Partner“. Noch immer aber sprach er von den „beiden deutschen Staaten“, was Hoffmann tunlichst vermieden hatte. Analog zu den Gesprächen zwischen ESG und Rat in der Bundesrepublik hatten am 18. Dezember Althausen, Hertzsch und der Vorsitzende der Studentenpfarrerkonferenz in der DDR Schulz vor der Konferenz der Kirchenleitungen der DDR Rede und Antwort zu den Vorfällen zu stehen361. Sie bezeichneten dabei die Formulierungen „zwei Bewegungen“ im Protokoll der Vertrauensratssitzung als ein Missverständnis. Wie die westdeutschen Kirchenvertreter hielten auch die Mitglieder der KKL insbesondere die publizistische Behandlung der Strukturbeschlüsse durch die Studentengemeinden für kritikwürdig. Sie vermuteten dahinter vor allem den politischen Willen Schröters; Krummacher sprach in diesem Zusammenhang von „Amtsmißbrauch“. Der Bischof vertrat auch die Auffassung, dass als Gegenüber zur EKD künftig allenfalls der Vertrauensrat gelten könne. In einem Gespräch mit Hammer am 21. Dezember in Ost-Berlin bat er, dass die westlichen Ratsmitglieder und die Kirchenkanzlei sich um eine „sachgerechte Ordnung für die Zukunft“ bemühen sollten. Krummacher hielt es insbesondere für eine Aufgabe der Leitungen der Gliedkirchen, das Verhältnis zu ihren Studentengemeinden und Studentenpfarrern neu zu überdenken. Im Vorfeld eines weiteren Gesprächs zwischen Vertretern der westdeutschen ESG und der EKD nahmen Schröter, Hoffmann, Falkenroth und Rohrbach am 4. Januar 1968 zu der für die ESG und ihre finanzielle Basis heiklen Frage der rechtlichen Identität Stellung. Sie schien ihnen gegeben zu sein, da ihrer Ansicht nach lediglich der bisherige Name der Gesamtarbeit der evangelischen Studentengemeinden in der DDR und in der Bundesrepublik verändert und gewisse Funktionen in der Exekutive neu geregelt wurden. Als unverändert galten die (Grund-)Ordnung, die leitenden Institutionen (zwei Beiräte, ein Vertrauensrat) sowie die Empfänger und Verwendungszwecke von Beihilfen. Dennoch erwiesen sich bei dem Gespräch in der Kirchenkanzlei am 8. Januar die Verhandlungen über die rechtliche Stellung des Vertrauensrates und damit über die Frage des bevollmächtigten Verhandlungspartners auf der Ebene der 360 Der Artikel ist ebenfalls abgedruckt in: JK 29, 1968, S. 51f. 361 Vermerk von Hammer vom 5.1.1968 über ein Gespräch mit Krummacher am 21.12.1967 (EZA BERLIN, 2/4339).

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EKD als sehr schwierig362. Dies hatte zur Folge, dass Rohrbach und Schröter tags darauf einen Brief an die Ratsmitglieder verfassten363. Darin zitierten sie die Erklärung von Hamburg, die mit den DDR-Vertretern im Wortlaut abgesprochen worden war, als gemeinsame Willenserklärung der Studentengemeinden in der Bundesrepublik und der DDR. Darüber hinaus drückten sie explizit ihr Bedauern über die Vorgänge aus. Die Presseerklärung vom 30. Oktober habe kein öffentliches Abrücken der ESG von der EKD oder der Fürstenwalder Erklärung zum Ausdruck bringen sollen, hieß es. Man werfe der EKD keineswegs vor, sie halte an ihrer kirchlichen Einheit als Selbstzweck fest. Die ESG wisse sich vielmehr in der „Praxis der Zusammengehörigkeit wie der gegenseitigen Freigabe mit der Praxis innerhalb der EKD verbunden.“ Politische Motive für ihr Handeln stellten sie in Abrede. Abschließend baten sie den Rat und die Kirchenkanzlei der EKD, die Zusammenarbeit mit der ESG nicht abzubrechen. Aus Sorge um die finanzielle Existenz der ESG – die Kirchenkanzlei hatte unterdessen die Zahlung der im EKD-Haushalt zur Verfügung gestellten Mittel für die ESGiD eingestellt364 – waren ihre Vertreter der EKD verbal weit entgegengekommen. Dennoch hielten die Ratsmitglieder den Inhalt des Briefes nicht für ausreichend. Hammer wurde beauftragt, von den Studentengemeinden eine Klärung ihrer Rechtsverhältnisse zu fordern, d. h. eine Verankerung des Vertrauensrates als bevollmächtigtem Verhandlungspartner auf der Ebene der EKD in der Satzung365. Ende Februar tagte der Beirat DDR366. In seinen Beschlüssen war noch etwas von der Verstimmung zu spüren, die vom Vorgehen der westlichen ESG-Vertreter im Herbst 1967 herrührte. Die Beiratsmitglieder bedauerten, dass die Diskussion über die Beschlüsse deren eigentliche Intentionen oft verdeckt hatte, was sie u. a. auf die Wahl der Formulierung von „zwei unabhängigen selbständigen Bewegungen“ zurückführten. Sie baten daher den Beirat und die Geschäftsstelle in der Bundesrepublik bei allen noch anstehenden Beschlüssen darauf zu achten, dass „wir in der Partnerschaft des gemeinsamen Auftrags verbleiben und uns offen halten für neue Regelungen.“ Unter diesem Gesichtspunkt sollte der westliche Beirat nach eigenem Ermessen über die Bezeichnungen für die Gesamtarbeit in der Bundesrepublik entscheiden. In der DDR wollte man fortan folgende Formulierungen benutzen: „Beirat der Evangelischen Studentengemeinden in der DDR, Geschäftsstelle der Evangelischen Studentengemeinden in der DDR“. Kritisch äußerten sich die Beiratsmitglieder über den unzureichenden Kontakt zwischen den Geschäftsstellen in Ost- und West-Berlin. Denn der West-Berliner Obmann war gänzlich von den Aktivitäten der West-Berliner Studentengemeinden in der Studentenrevolte okkupiert und hatte darüber die Kontaktpflege nach Ost-Berlin vernachlässigt. Der Beirat bat daher die Stuttgarter Geschäftsstelle, die Arbeit des Mitarbeiterstabs der West-Berliner Geschäftsstelle so zu 362 Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 13./14./15.1.1968 (EZA BERLIN, 104/46 und 47). 363 EZA BERLIN, 36/88/387. 364 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 13./14.1.1968 (EZA BERLIN, 104/47). 365 Vgl. EBD. 366 Protokoll der Sitzung vom 24./25.2.1968 (EZA BERLIN, 141/99/98b).

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gestalten, dass die Verbindung der beiden Geschäftsstellen in Ost- und West-Berlin sowie die Mitarbeit bei den Partnertagungen kontinuierlich und wirksam wahrgenommen werden konnte. Anhaltende Verstimmung über das Vorgehen der westdeutschen ESG-Vertreter im Kontext der Strukturveränderungen herrschte z. T. auch noch in den Gemeinden. Bei einem Partnertreffen Anfang März kritisierten Vertreter der ESG Münster und der ESG Leipzig gleichermaßen die politische und theologische Begründung des Teilungsbeschlusses wie die als undemokratisch empfundene Verfahrensweise367. Insbesondere die Gemeinden in der DDR würden sich z. T. übergangen fühlen, hieß es. Auch im Zuge der Diskussion über die Neustrukturierung der Arbeit der ESG in der Bundesrepublik, die ab Frühjahr 1968 von der Delegiertenkonferenz in Gang gebracht worden war, wurde das Vorgehen in der Einheitsfrage als ein Beispiel für mangelnde Basisdemokratie in der ESG angeführt368. Die einzelnen Studentengemeinden hätten die tiefgreifenden Konsequenzen von Beschlüssen zu tragen, die sie nicht mitgefasst hatten, lautete die Kritik. Zwischenzeitlich änderte sich jedoch das Verhältnis zwischen dem Rat der EKD und der ESG. In ihrer Sitzung Mitte März stellten die Ratsmitglieder eine Verbesserung der Beziehungen fest, hielten es aber immer noch für notwendig, dass der Vertrauensrat und die Vertretung der EKD in diesem gestärkt wurden369. Hammer bat daher die Stuttgarter Geschäftsstelle der ESG, in der Satzung die Teilnahme eines Beauftragten des Rates als ständiger Gast an den Sitzungen des Vertrauensrates zu fixieren370. Ferner empfahl er, an der Klärung der rechtlichen Grundlagen der Evangelischen Studentengemeinden weiterzuarbeiten. Als besonders problematisch betrachtete es der Rat laut Hammer, dass mit dem Brief an den WSCF vom 20. Juni 1967 zum ersten Mal im Bereich der Ökumene zwei selbstständige, d. h. nach Bundesrepublik Deutschland und DDR getrennte Organisationen aus der „evangelischen Christenheit in Deutschland“ erschienen. Im Namen des Rates bat der Kanzleipräsident die ESG-Vertreter zu erwägen, ob in ökumenischen Gremien nicht anstelle der selbstständigen „movements“ der Vertrauensrat als Organ der Studentengemeinden in der Bundesrepublik und in der DDR genannt werden konnte. In der Folgezeit zeigte es sich jedoch, dass die ESG dem Rat nicht noch weiter entgegenzukommen gedachte. So wurde gegen die Stimme von Oberkirchenrätin Grimme auf der westlichen Beiratssitzung am 6. und 7. April für die Gesamtarbeit der ESG in der Bundesrepublik und West-Berlin folgende Bezeichnung beschlossen: „Evangelische Studentengemeinde in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West)“371.

367 Bericht über den Besuch der ESG Münster bei der ESG Leipzig während der Leipziger Frühjahrsmesse 1968 (BArch KOBLENZ, B 137/2293). 368 „Arbeitshilfe für die Diskussion über die Neustrukturierung der Gesamtarbeit der ESG“, verfasst von dem Mitglied der Neustrukturierungskommission Enno Lohmar (EZA BERLIN, 36/49). 369 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung am 14./15.3.1968 (EZA BERLIN, 104/983). 370 Brief vom 1.4.1968 (EZA BERLIN, 104/984). 371 Protokoll (EZA BERLIN, 36/547).

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Die ostdeutschen Studentengemeinden zeigten sich inzwischen ebenfalls wieder selbstbewusster. Daran hatte vor allem die weitere kirchenpolitische Entwicklung in der DDR ihren Anteil. So empfahl die Mitte April tagende Studentenpfarrerkonferenz in der DDR der KKL die „partnerschaftliche Aufgliederung“ der Studentengemeinden als Modell für die Veränderungen, die nach dem In-Kraft-Treten der neuen Verfassung der DDR auf gesamtkirchlicher Ebene vollzogen werden müssten372. Zugleich baten die Studentenpfarrer, in der zu erwartenden Vereinbarung zwischen Kirche und Staat die Existenz und spezielle Gestalt der Studentengemeinden abzusichern. Auch der scheidende Generalsekretär Rohrbach sah das Vorgehen der ESG durch die allgemeine Entwicklung bestätigt. In der Pressekonferenz anlässlich seines Ausscheidens bezeichnete er die ESG als „Vorläufer“ für eine künftige Entwicklung in der EKD. Gegenüber den Journalisten äußerte er die Hoffnung, dass auch die EKD ihre Strukturen verändern werde und zwar im Sinne ihrer „Friedensstudie“, die darauf ziele, verhärtete Fronten in Bewegung zu setzen. In einer neuen EKD-Struktur, so meinte er, sollte vor allem die Möglichkeit einer „Kooperation zwischen Deutschen aus West und Ost auch im staatlichen Bereich zum Ausdruck kommen.“373 Die letzte öffentliche Stellungnahme zu dem Teilungsprozess der Studentengemeinden und seinen Motiven kam von Martin Schröter, der zur gleichen Zeit als Mitunterzeichner der Thesenreihe „Frieden mit der DDR“ in Erscheinung trat. In einem Aufsatz von 1968 mit dem Titel: „Evangelische Studentengemeinden – in welchem Deutschland?“ räumte er offen ein, dass die Studentengemeinde mit der Streichung des „in Deutschland“ eine politische Entscheidung getroffen habe, „vielleicht sogar eine politische Parteinahme“374. Es habe sich um einen bewussten, politisch reflektierten Verzicht auf den in der politischen Auseinandersetzung besetzten Begriff „Deutschland“ gehandelt. Im Brief der ostdeutschen Studentenpfarrerkonferenz sowie in den Stellungnahmen von Rohrbach und Schröter wurden noch einmal die unterschiedlichen Akzente deutlich, welche die ost- und westdeutschen Studentengemeindevertreter im Teilungsprozess der ESGiD setzten. Während es den Studentengemeinden in der DDR vorrangig um ihre Verselbstständigung und damit letztlich um die Sicherung bzw. Ausweitung ihrer Handlungspielräume im SED-Staat ging, verbanden die westdeutschen ESG-Repräsentanten mit den Strukturveränderungen eindeutig deutschlandpolitische Absichten. Ursprung dieser unterschiedlichen Motivlage waren die divergierenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der beiden Studentengemeinden in den zwei deutschen Staaten. Beiden gemeinsam aber war der Wunsch, in ihrer jeweiligen „Situation“ und Gesellschaft präsent zu sein, ein theologischer Ansatz, der unter dem Stichwort „Pro-Existenz“ zumindest auf der Leitungsebene der west- und ostdeutschen Studentengemeinden weit verbreitet war. Anfang Mai beschäftigte sich noch einmal der Rat der EKD mit der Aufteilung der 372 EZA BERLIN, 104/984. Hertzsch übergab den Brief am 16.5.1968 Behm, der ihn an Krummacher sandte. 373 epd ZA, 31.5.1968, S. 1f. 374 M. SCHRÖTER, Studentengemeinde, S. 165.

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Studentengemeinden375. Bei diesen, so die Einschätzung, sei weiterhin „alles in Gärung“, u. a. gebe es Stimmen im Beirat West, die den Vertrauensrat abschaffen wollten. Der Rat beschloss, die Vorgänge aufmerksam zu beobachten. Zwei Wochen später tagte der Vertrauensrat in Berlin376. Von seiner Auflösung war dort nicht die Rede, jedoch erhielt er einen ökumenischen Charakter. Entsprechend eines Planes vom Jahresende 1966 wurden zukünftig drei Mitglieder aus der Ökumene eingeladen, die beratend an den Verhandlungen teilnehmen sollten. Damit wollte man dokumentieren, dass die Arbeit der ESG in jeder Hinsicht in einem ökumenischen und internationalen Zusammenhang erfolgte. Die Bitte des Rates, Hammer als ständigen Gast in den Vertrauensrat aufzunehmen, wurde von dessen Mitgliedern mit dem Argument abgelehnt, die Anwesenheit des Präsidenten der Kirchenkanzlei der EKD im Vertrauensrat gefährde die Studentengemeinden in der DDR. Im August begann der letzte Akt des Teilungsprozesses der Jahre 1966 bis 1968. Auf der Sitzung des Generalkomitees des WSCF in Otaniemi/Finnland wurde beschlossen, die Evangelische Studentengemeinde in der Bundesrepublik und Berlin (West) sowie die Evangelischen Studentengemeinden in der DDR als selbstständige „Student Christian Movements“ im Weltbund zu führen377. Das Sitzungsprotokoll enthielt eine Erklärung des neuen Generalsekretärs der ESG/BRD, Jürgen Hilke, in der es hieß, dass beide Studentengemeinden sich als selbstständige Bewegungen verstünden und zugleich ihren Willen zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit ausdrücklich erklärt hätten. Damit war der Übergang von der institutionellen Integration zur partnerschaftlichen Kooperation, der sowohl durch den Wunsch nach Selbstständigkeit als auch nach politischer Demonstration motiviert war, auf nationaler wie internationaler Ebene vollzogen. Soweit kam es in der Evangelischen Jugend in Deutschland nicht, auch wenn Ansätze dazu vorhanden waren. Im Gesamtkirchlichen Ausschuss wurde die im Herbst 1966 begonnene Diskussion über ein neues Selbstverständnis gesamtkirchlicher Jugendarbeit im April 1967 fortgesetzt, ohne dass ein alle befriedigendes Ergebnis erreicht wurde378. Einig war man sich darin, dass es bei der Definition des gesamtkirchlichen Verständnisses nicht um die nationale Einheit Deutschlands oder die organisatorische Einheit der AGEJD gehen konnte. Stattdessen war die Rede von der „verantwortlichen Solidarität“ mit der jeweiligen Gesellschaft einschließlich der „Fähigkeit zur kritischen Distanz“, vom Aushalten des Gegensatzes der Gesellschaftssysteme, der Auflösung ideologischer Verhärtungen und vom „Brückenbau“. Diese Brücken sollten zunächst zwischen denen gebaut werden, die bereits über Gemeinsamkeiten verfügten. Daher 375 Auszugsweise Abschrift aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 2./3.5.1968 (EZA BERLIN, 104/984). 376 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 18./19.5.1968 (EZA BERLIN, 141/99/89a). 377 Vgl. Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 7./8.12.1968 (EBD.) und Hilke an Hammer, 12.3.1969 (EZA BERLIN, 36/88/373). 378 Siehe Kap. 4.2.1. und Protokoll über die Sitzung des GKA der AGEJD am 17./18.4.1967 (Aaej HANNOVER, GKR).

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durften nach Ansicht des Ausschusses alle noch vorhandenen Bindungen, auch die organisatorische Einheit der EKD, nicht ohne Grund aufgegeben werden. Um das Selbstverständnis und die Aufgaben des Gesamtkirchlichen Ausschusses und Referenten weiter zu klären, wurde für September ein Gespräch mit dem Vorstand der AGEJD geplant. Der Gesamtkirchliche Referent Gäbler entwarf hierfür eine vertrauliche Vorlage, in der er eine grundlegende Reform gesamtkirchlicher Jugendarbeit vorschlug, die auf eine Deinstitutionalisierung zielte379. Er plädierte für eine Auflösung des nach dem Delegationsprinzip zusammengesetzten, fest institutionalisierten Gesamtkirchlichen Ausschusses. Da sich die Begegnungsarbeit eingespielt habe, gebe es für den Ausschuss keine aktuellen Aufgaben. Zudem hätten die östlichen Mitglieder stets ein Informationsdefizit, weil die Sitzungsprotokolle nicht in die DDR versandt werden konnten. Und nicht zuletzt würde die Arbeit des Ausschusses unter der unregelmäßigen Teilnahme der durch andere Aufgaben stark belasteten Mitglieder leiden. Gäbler empfahl, anstelle des ständigen Ausschusses Ad-hoc-Ausschüsse für zeitlich begrenzte Projekte einzusetzen. Ferner schlug er vor: halbjährliche Ost-West-Kurse für Begegnungsleiter; gemeinsame Arbeitsaufträge für die vorhandenen Arbeitstagungen der Gliederungen, der Referenten, der Ausschüsse sowie der Landes- und Stadtjugendkonferenzen und den entsprechenden Zusammenkünften in der DDR; regelmäßige Beratungen zwischen dem Vorstand der AGEJD und dem Geschäftsführenden Ausschuss der Jugendkammer Ost über die gesamtkirchliche Jugendarbeit und Grundsatzfragen. An der Stelle eines Gesamtkirchlichen Referenten wollte Gäbler festhalten, aber sein Aufgabenprofil verändern. Die Verwaltungsaufgaben im Rahmen der Begegnungsarbeit sollten reduziert werden; stattdessen würde der Referent zukünftig bei der politischen Bildungsarbeit der Bildungsabteilung der Geschäftsstelle mitarbeiten, soweit sie friedens- und deutschlandpolitische Fragestellungen betraf. Als ein Beispiel hierfür nannte Gäbler die Auswertung der Beteiligung am Aktionskomitee „Frieden mit der DDR“ für die Bildungsarbeit. Einen weiteren zukünftigen Schwerpunkt sah er in der Mitarbeit in der Ökumeneabteilung. Ziel dabei war es, ein ökumenisches Verständnis der gesamtkirchlichen Jugendarbeit zu profilieren und die gesamtkirchlichen Begegnungen zum Experimentierfeld der Ökumene werden zu lassen. Die Nähe von Gäblers Überlegungen zu den Entwicklungen innerhalb der ESG war unübersehbar: Die gesamtkirchliche Arbeit sollte noch stärker (links-)politisiert sowie als ökumenische Beziehung verstanden werden. Auf der Vorstandssitzung am 28. September machte sich der Vorsitzende des Gesamtkirchlichen Ausschusses, Pfarrer Eisenberg, Gäblers Vorschläge zu Eigen. Auch er meinte, dass die Mitte der fünfziger Jahre konzipierte, gesamtkirchliche Arbeit der EJD sowohl inhaltlich als auch strukturell neu durchdacht und der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation angepasst werden musste380. Der Vorstand stimmte den in der Vorlage aufgezählten Aufgaben des Gesamtkirchlichen Referats im Wesentlichen zu. 379 Gäbler an Vorstandsmitglieder, 19.9.1967 (Aaej HANNOVER, Arbeitsgemeinschaft Vorstandsprotokolle). 380 Protokoll der Vorstandssitzung am 28.9.1967 (EBD.).

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Seine Eingliederung in die Bildungsabteilung oder in die ökumenische Leitstelle hielt er jedoch für „verfrüht“, eine enge Zusammenarbeit mit beiden Stellen hingegen für unerlässlich. Längere Diskussionen gab es über die Funktion und Zusammensetzung des Gesamtkirchlichen Ausschusses. Sie führten letztlich zu dem Ergebnis, dass der Ausschuss in seiner bisherigen Zusammensetzung aufgelöst wurde. Eisenberg, Gäbler und Oswald Hanisch sollten einen Vorschlag für einen kleineren Ausschuss machen, der sich aus Ost- und Westteilnehmern zusammensetzte, aber nicht notwendigerweise auf dem Delegationsprinzip aufgebaut war. Aufgrund dieses Vorschlags würden dann fünf Mitglieder aus der Bundesrepublik für drei Jahre berufen werden, die erforderlichenfalls auch ohne Teilnehmer aus der DDR zusammentreten konnten. Der neue Ausschuss sollte den Vorstand in Fragen der gesamtkirchlichen Arbeit beraten, den Gesamtkirchlichen Referenten unterstützen und hinsichtlich der Ost-West-Begegnungsarbeit beratend tätig sein. Da Gäbler für Anfang 1968 sein Ausscheiden ankündigte, musste zudem ein neuer Gesamtkirchlicher Referent gesucht werden. Bei der Besetzung der fünf westdeutschen Mitglieder des neuen Gesamtkirchlichen Ausschusses kam es zu Dissonanzen zwischen Eisenberg, Gäbler und Hanisch. Letzterer, der Pionier der gesamtkirchlichen Arbeit in der EJD, lehnte es ab, dem Vorstand bis auf eine Ausnahme ausschließlich politisch links orientierte Kandidaten vorzuschlagen381. Eisenberg verwahrte sich zwar dagegen, dem Vorstand nach politischen oder parteilichen Gesichtspunkten Ausschussmitglieder zu empfehlen, bezeichnete es aber als ein Faktum, dass Personen, die in einem intensiven Kontakt mit der Evangelischen Jugend in der DDR standen, „ein stärkeres Gefälle zur Linken hin haben.“382 Von einem Ausschuss, der sich aus Ost- und Westteilnehmern zusammensetzte, war bei Eisenberg zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr die Rede. In seinem Mitteilungsschreiben über die Auflösung des bisherigen Ausschusses an dessen Mitglieder vom 31. Oktober wurde nur noch ein fünfköpfiger westdeutscher Ausschuss genannt. Und auch auf ostdeutscher Seite sprach niemand mehr von einem gemeinsamen Gremium. Ingeborg Becker teilte auf der Sitzung der Jugendkammer Ost am 27. November mit, dass der bisherige Gesamtkirchliche Ausschuss seinen Auftrag soweit als erfüllt ansehe, dass er ihn an die Jugendkammer zurückgebe383. Dem stimmte die Jugendkammer bei einer Enthaltung zu. Für die drei Aufgabengebiete: inhaltliche Gestaltung der Ost-WestBegegnungen, Betreuung der Publikationen (Arbeitsmaterialien für Ost-West-Begegnungen und deren Vorbereitung) und Stellungnahme zu aktuellen Fragen wurde jeweils eine Gruppe von drei bis sechs Personen benannt. Diese sollten der Jugendkammer Ost oder dem neugeschaffenen geschäftsführenden Ausschuss, der quasi als Vorstand für die Arbeitsgemeinschaft in der DDR fungierte, zuarbeiten. Auf der Sitzung der AGEJD Anfang Dezember in Wiesbaden berichtete die Geschäftsführerin Weisser indes, dass man an dem „gemeinsamen Ausschuß“ festhalten wolle. Er werde jedoch neu zusammengesetzt und solle die Möglichkeit erhalten, auch als „Westteil“ und „Ostteil“ zu 381 Hanisch an Eisenberg, 25.10.1967 (Aaej HANNOVER, GKR). 382 Eisenberg an Hanisch, 27.10.1967 (Aaej HANNOVER, GKA-Vorsitzende). 383 Protokoll der Jugendkammer Ost und AG-Sitzung am 27./28.11.1967 (EZA BERLIN, 138/4).

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arbeiten384. Der scheidende Gesamtkirchliche Referent Gäbler sprach in seiner „Schwerpunktplanung für das Jahr 1968“ wiederum nur vom „Gesamtkirchlichen Ausschuß in der BRD“ und notwendigen Beratungen über dessen Zusammenarbeit mit der Jugendkammer Ost385. Letztlich kam es 1968 jedoch weder zur Bildung eines gemeinsamen noch eines westdeutschen Gesamtkirchlichen Ausschusses. Mitte Januar 1968 stellte sich der neue Vorsitzende der Jugendkammer Ost, Hartmut Grüber, dem Rat der EKD vor386. Die Ratsmitglieder baten ihn dringend um einen engen Kontakt zwischen der Jugendkammer, dem Rat, der Kirchenkanzlei und der Konferenz der Kirchenleitungen, „um eine Parallele zu den Vorgängen in den Studentengemeinden zu vermeiden.“ Die Entwicklungen innerhalb der AGEJD im Laufe des Jahres 1968 sollten zeigen, dass derlei Befürchtungen des Rates nicht ganz unbegründet waren. Die AGEJD hatte seit Ende der fünfziger Jahre einen hauptamtlichen ökumenischen Referenten, der sie bei der Jugendabteilung des ÖRK vertrat. Seit Januar 1965 hatte dieses Amt Konrad Lübbert inne. Vom Jahr 1966 an beschäftigte auch die Jugendkammer Ost einen hauptamtlichen ökumenischen Referenten: Wolf Dietrich Gutsch. Die Zusammenarbeit zwischen beiden funktionierte reibungslos, zumal es Gutsch auch möglich war, europäische und internationale Tagungen des Weltkirchenrates im Ausland zu besuchen. Im Herbst 1967 nahmen beide an der Tagung der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) in Pörtschach/Österreich teil. Die KEK war in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre initiiert und 1964 institutionell gegründet worden, um die Kirchen in den verschiedenen europäischen Ländern mit ihren unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemen miteinander ins Gespräch zu bringen387. In einem Fernsehinterview setzte sich Lübbert in Pörtschach für die Anerkennung der DDR als zweiten deutschen Staat ein, was ihm heftige Kritik von Seiten der Leitungsgremien der AGEJD einbrachte388. Von den Delegierten der DDR wandten sich sowohl in der offiziellen Diskussion als auch in individuellen Gesprächen Landesjugendpfarrer Rolf-Dieter Günther, Christoph Hinz und Wolf Dietrich Gutsch gegen den Bonner Alleinvertretungsanspruch und sprachen sich für eine Anerkennung der DDR durch die KEK aus389. Auf der Konferenz sowie auf der vom ÖRK veranstalteten Sitzung der europäischen Nationalkorrespondenten in Wiener Neustadt tauchte die Frage auf, welcher der beiden Ökumenereferenten eigentlich wen vertrete390. Diese Frage wurde erneut akut, als für die Vollversammlung 384 Protokoll der Sitzung der AGEJD am 6.–8.12.1967 (EZA BERLIN, 2/1560). 385 Tätigkeitsbericht des GKA und des Gesamtkirchlichen Referenten der AGEJD für das Jahr 1967 (Aaej HANNOVER, GKR). 386 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 15.1.1968 (EZA BERLIN, 104/46). 387 Zur Entstehung der KEK vgl. KGMOBIL, Ökumene, S. 18–27. 388 Vgl. „Stellungnahme des Berliner Arbeitskreises des Aktionskomitees ‚Friede mit der DDR‘ zu den Vorgängen um Pfarrer Konrad Lübbert aus Stuttgart (Presseerklärung) Berlin, am 25.1.1968“ (EZA BERLIN, 36/88/376). 389 EI über die 5. Vollversammlung der KEK (‚Nyborg V‘) in der Zeit vom 29.9. bis 5.10.1967 in Pörtschach am Wörthersee/Österreich (BStU BERLIN, MfS HA XX/4–1235). 390 Zum Folgenden vgl. Weisser an Krüger, 11.6.1968 (EZA BERLIN, 2/1561).

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des Weltrates der Kirchen in Uppsala die Liste der Nationalkorrespondenten für die evangelische Jugendarbeit in den europäischen Ländern zu erstellen war. Im Februar 1968 befasste sich daher der Ökumenische Arbeitskreis der AGEJD mit der Problematik. Die Diskussion zeigte, dass man sich der gesamtkirchlichen Dimension der Thematik wohl bewusst war. Hanisch wies darauf hin, dass nur die Vorsitzenden der AGEJD und der Jugendkammer Ost in dieser Frage eine Entscheidung treffen könnten und nur der Rat der EKD sich zu ihr wirksam äußern könne. Der Vorsitzende des Ökumenischen Arbeitskreises Walter Arnold, der zugleich stellvertretender Vorsitzender der AGEJD war, versicherte, dass im Arbeitskreis keine Entscheidungen gefällt oder nur präjudiziert werden sollten. Er hielt es jedoch für notwendig, über geeignete Praktiken der gemeinsamen Arbeit nachzudenken. Die Meinung im Ökumenischen Arbeitskreis ging dahin, dass die beiden ökumenischen Referenten nicht vor- oder nachgeordnet, sondern in einer paritätischen Stellung tätig sein sollten. Zudem wurde dafür plädiert, beide als Nationalkorrespondenten gegenüber Genf anzusehen. Das Ergebnis der Sitzung wurde den Mitgliedern des Ökumenischen Ausschusses in der DDR und Hartmut Grüber in Ost-Berlin vorgetragen. Gutsch erklärte in dem Gespräch am 21. und 22. Februar, dass er nicht in der Lage sei, die evangelische Jugendarbeit in der Bundesrepublik zu vertreten und dass umgekehrt Lübbert nicht die evangelische Jugendarbeit in der DDR vertreten könne. Die Mehrheit des Gremiums vertrat die Auffassung, man sollte in dieser Frage flexibel sein, die Zusammenarbeit praktisch regeln, aber keine grundsätzliche, „ideologische Entscheidung“ treffen391. Die Vorstände der Jugendkammer Ost und der AGEJD sollten bei ihrem Treffen im Sommer die Angelegenheit erörtern. Die Geschäftsführerin der AGEJD, Elisabeth Weisser, die Bedenken gegen die Arbeit von zwei Nationalkorrespondenten hatte, wandte sich an Oberkirchenrat Hanfried Krüger vom Kirchlichen Außenamt der EKD, um ihn über die Überlegungen in der evangelischen Jugend zu informieren und zu erfahren, welche Regelung die EKD für ihre Nationalkorrespondenten getroffen hatte. Nach Auskunft Krügers trat die EKD nur mit einem Vertreter für die Bundesrepublik und die DDR gegenüber Genf auf. Diese Einheit sollte nicht nur für die EKD, sondern auch für die Untergliederung gelten392. Krügers Antwortschreiben lag dem Vorstand der AGEJD bei seinen Beratungen am 12. und 13. März vor. Der Vorstand kam zu dem Entschluss, angesichts der schwierigen Probleme, die mit der Frage der ökumenischen Vertretung verbunden waren, es bei der vom Ökumenischen Arbeitskreis vorgeschlagenen Regelung der praktischen Zusammenarbeit zu belassen. Eine grundsätzliche Klärung der Frage erschien ihm zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Das Thema sollte aber in dem Gespräch mit dem Vorstand der Jugendkammer Ost am 27. Juni weiter beraten werden. Zwischenzeitlich klärte jedoch Hartmut Grüber die Frage für seinen Bereich. In einem Brief an Lübbert vom 22. März schrieb er:

391 So Lübbert an Dreier, 11.4.1968 (EZA BERLIN, 36/88/376). 392 Vgl. EBD.

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„Wie wir in der mündlichen Besprechung vor genau vier Wochen ausgemacht hatten, sollte ich Ihnen als dem Vorsitzenden der Konferenz der Nationalkorrespondenten mitteilen, wer die Jugendarbeit der DDR vertritt. Nachdem der Sachverhalt noch einmal deutlich war, daß der Ökumene-Referent der Jugendkammer bzw. der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend automatisch die Aufgabe als Nationalkorrespondent übernimmt, habe ich dies sowohl dem geschäftsführenden Ausschuß der Arbeitsgemeinschaft als auch dem Vorsitzenden der ‚Konferenz der Kirchenleitungen in der Deutschen Demokratischen Republik‘, Herrn Bischof Dr. Krummacher, vorgelegt. Wir benennen somit als unseren Nationalkorrespondenten: Herrn Wolf-Dietrich Gutsch 112 Berlin Feldtmannstraße 120. Da ich nicht genau weiß, wem ich diese Benennung außerdem noch mitteilen muß, möchte ich Sie bitten, dies entweder selbst zu tun, oder mir die entsprechenden Stellen mitzuteilen.“393

Lübbert meldete daraufhin Mitte April Gutsch als Nationalkorrespondenten an die Jugendabteilung des ÖRK nach Genf mit der Bemerkung: „I personally think that it is a very good solution that to this question a decision was given.“394 Zuvor hatte er telefonisch das Einverständnis des Vorsitzenden der AGEJD, Karl-Heinz Neukamm, eingeholt. Mit der dadurch entstandenen Situation befasste sich der Vorstand der AGEJD auf seiner Sitzung am 9. Mai. Er kam zu der Einsicht, dass durch das Einschalten von Krummacher die Frage der Vertretung der Evangelischen Jugend Deutschlands beim ÖRK nicht mehr allein von den beiden Gremien der Jugendarbeit in der Bundesrepublik und der DDR geklärt werden könne, sondern dem Rat der EKD vorgelegt werden müsse. Zwischenzeitlich meldete der „Ökumenische Pressedienst“ am 25. April, dass Gutsch vom „Exekutivausschuß“ der AGEJD zum „National-Korrespondenten des Jugendreferates des Oekumenischen Rates der Kirchen in der DDR“ ernannt worden sei395. Gleichzeitig informierte Lübbert ESG-Vertreter über die Vorgänge396. Dort wollte man die Meldung von zwei Nationalkorrespondenten unter der Überschrift „Evangelische Jugend Deutschland jetzt in BRD und DDR getrennt“ in der Zeitschrift „Radius“ publik machen397. Entsprechend kündigte der Nachrichtendienst der ESG am 14. Mai an, dass im „Radius“ „eine Nachricht über die Trennung innerhalb der EJD in dem Bereich der BRD und der DDR“ veröffentlicht werde398. Daraufhin schrieb der Vorsitzende Neukamm am 24. Mai an Pfarrer Jürgen Jeziorowski, der für die Öffentlichkeitsarbeit der ESG verantwortlich war399. Es entspreche keineswegs den Tatsachen, so Neukamm, dass sich in der EJD eine ähnliche Entwicklung anbahne, wie sie sich in der ESG bereits vollzogen habe. Dazu lägen keinerlei Beschlüsse der zuständigen Gremien vor. Neukamm drohte, dass eine solche Nachricht „nur unheilvolle Entwicklungen herausfordern und heraufbeschwören und zu einer nicht absehbaren Belastung der Zusammenarbeit führen könnte“. Tatsache sei, so fuhr er fort, dass der 393 394 395 396 397 398 399

EZA BERLIN, 36/88/376. Lübbert an Nottingham, 11.4.1968 (EBD.) Vgl. Weisser an Krüger, 11.6.1968 (EZA BERLIN, 2/1561). Vgl. Notiz vom 24.4.1968 und Lübbert an Jeziorowski, 5.5.1968 (EZA BERLIN, 36/88/376). Artikelentwurf im EZA BERLIN, 36/88/376. Zitiert nach Weisser an Krüger, 11.6.1968 (EZA BERLIN, 2/1561). EZA BERLIN, 36/88/465.

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Vorsitzende der Jugendkammer Ost in einem Brief an den Ökumenischen Referenten der AGEJD einen eigenen Nationalkorrespondenten benannte. „Hier handelt es sich um einen einseitigen Vorgang, dessen Tatsachen wir nur konstatieren können“, erklärte der AGEJD-Vorsitzende. Diese briefliche Mitteilung sei von Lübbert nach Genf weitergegeben worden, da nach seiner Auskunft die Benennung eines Nationalkorrespondenten von dort verlangt worden sei. Um die Diskussion innerhalb der Evangelischen Jugend sowie die Beziehungen zur ESG nicht zu belasten, bat Neukamm Jeziorowski, die geplante Meldung zurückzuziehen. Dieser stellte daraufhin die Publikation des Artikels zurück, gab aber seinen Informanten Lübbert nicht preis400. Die EKD wurde am 14. Mai von Arnold und Weisser und am 24. Mai von Neukamm über die Vorgänge informiert401. Auf der Ratssitzung am 13. und 14. Juni berichtete Krüger, dass in Genf zwei Nationalkorrespondenten der AGEJD geführt würden, je einer für den Ost- und Westbereich der EKD. Der Rat erklärte dazu, „dass es grundsätzlich nur einen Nationalkorrespondenten gibt, aus praktischen Erwägungen jedoch zwei die Verbindung mit Genf wahrnehmen müssen.“402 Wie schon lange vereinbart, fand am 27. Juni das Gespräch „über die Gemeinsamkeit der evangelischen Jugendarbeit in Deutschland“ zwischen den Verantwortlichen für die evangelische Jugendarbeit in der Bundesrepublik und der DDR statt403. Darin wurde festgehalten, dass die Verschiedenheit der Situation in der Bundesrepublik und der DDR jeweils eigenverantwortliche Arbeit in selbstständigen Gremien erfordere. Explizit wurde von einer „AGEJD und AG im Bereich der DDR“ gesprochen. Dies wurde als keine neue Erkenntnis bewertet, sondern als lange geübte Praxis; es gehe nur um eine weitere Klärung. Einig war man sich darüber: „Selbständigkeit bedeutet nicht Trennung. Größtmögliche Gemeinsamkeit ist nötig, um Isolation zu vermeiden.“ Die Benennung zweier Nationalkorrespondenten wurde zur Kenntnis genommen und zugleich erklärt, dass beide Korrespondenten „nicht eigenverantwortliche Sprecher der für sie entsendenden Gremien“ seien. Beide seien auf einen engen Kontakt „mit den Arbeitsgemeinschaften untereinander“ angewiesen. Das Gespräch der ost- und westdeutschen Jugendvertreter fand zu einem Zeitpunkt statt, als im Raum der ostdeutschen Landeskirchen bereits intensiv über eine Neustrukturierung nachgedacht und der Weg zur Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR bereitet wurde. In diese Diskussion wollte man sich nunmehr auch von Seiten der Jugendarbeit durch „Initiativen“ einschalten. Die eigenen Überlegungen wurden jedoch von der gesamtkirchlichen Entwicklung überrollt. Für einen neuen „Modellfall“ war es zu spät.

400 Jeziorowski an Neukamm, 29.5.1968 (EZA BERLIN, 36/88/376). 401 Vgl. Weisser an Krüger, 11.6.1968 (EZA BERLIN, 2/1561). 402 Auszug aus dem Protokoll (EZA BERLIN, 2/1562). 403 Sitzungsteilnehmer waren: Grüber, Blauert, Hein, Lange, Mönch, von Schroetter, Arnold, Brunotte, Dummler, Hanisch, Lohrmann, Renner, Weisser. Vgl. Weissers „Zusammenfassung der Gespräche über die Gemeinsamkeit der evangelischen Jugendarbeit in Deutschland am 27. Juni 1968 in OstBerlin“, 1.7.1968 (Aaej HANNOVER, GS Vorstandsprotokolle Juni 1968–Aug. 1969).

DieFriedensaufgaben(1965–1968) ImZeichenderEntfremdung

4.3 Begegnungen im Zeichen der Entfremdung 4.3.1 Erste Versuche einer Politisierung der Begegnungen Nach beinahe drei Jahren der Vakanz konnte im April 1965 das Gesamtkirchliche Referat der AGEJD wieder besetzt werden. Der neue Stelleninhaber, der 27jährige Christoph Gäbler, brachte aus seiner vorherigen Tätigkeit im Landesjugendkonvent Hannover eigene Ost-West-Begegnungserfahrungen mit. Im Mittelpunkt seiner neuen Beschäftigung stand die beobachtende und beratende Begleitung der Begegnungsarbeit der AGEJD. Im Einzelnen umfasste dies die persönliche Kontaktpflege mit den beteiligten Stellen, die Mitarbeit an der inhaltlichen Gestaltung und Vorbereitung von Ost-West-Begegnungen, das Gespräch mit Begegnungsleitern und -teilnehmern, die Auseinandersetzung mit gesamtkirchlichen und gesamtdeutschen Fragestellungen, die Beobachtung der jugendpolitischen Entwicklung der EJD sowie Vortragsdienst und Verwaltungsarbeit1. Vor Ort in West-Berlin kümmerte sich die „Berliner Betreuungsstelle“ mit Sitz im Landesjugendpfarramt Berlin um die jungen Teilnehmer der Ost-West-Begegnungen sowie der Berlin-Informationsbesuche. Geleitet wurde sie seit 1960 im Nebenamt von Karl-Ernst Kleiner, Jugendwart im Landesjugendpfarramt. Wegen Arbeitsüberlastung beschränkte sich die Betreuung in West-Berlin in der Regel darauf, den Teilnehmern ein Quartier zu vermitteln, den Berlinbesuchsgruppen ein Programm zusammenzustellen und vor einigen Gruppen zu referieren2. In den Vorträgen wurde versucht, den westdeutschen Begegnungsteilnehmern einen Gesamtüberblick über die politische, wirtschaftliche und kirchliche Situation in der DDR und West-Berlin zu geben. Damit sollte verhindert werden, dass die jungen Erwachsenen von ihrer Begegnung mit einem einzelnen Pfarrer bzw. einer einzelnen Gemeinde ein zu einseitiges DDR-Bild mit nach Hause nahmen3. Ein weiterer Bestandteil der einführenden Erklärungen waren praktische Informationen zum Grenzübertritt. Quantitativ nahmen die Begegnungen auch 1965 weiter zu, während die Gruppenstärke bei den Informationsbesuchen leicht zurückging4. Im Laufe des Jahres fanden in Ost-Berlin 254 von der AGEJD geförderte Ost-West-Begegnungen statt5. Insgesamt trafen sich ungefähr 4.000 Jugendliche und junge Erwachsene aus der Bundesrepublik mit rund 6.000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus der DDR6. Die meisten 1 Vgl. Geschäftsführerbericht vom 10.9.1965 (Aaej HANNOVER, GKA). 2 Ab 1.4.1967 übernahm der Berliner Senat die Quartiervermittlung und die Programmaufstellung für die Besuchsgruppen nach West-Berlin. Vgl. Protokoll über die Sitzung des GKA der AGEJD am 17./18.4.1967 (Aaej HANNOVER, GKR). 3 Vgl. Bericht der Berlin-Betreuerstelle für 1965 (Aaej HANNOVER, GKA 22.2 Geschäftsführerberichte). 4 EBD. 5 Patenschaftsbeziehungen und die Ost-West-Begegnungen in Berlin 1965 (Aaej HANNOVER, GKR 1). 6 Vorlage des Referenten für die AGEJD am 26.11.1965 (EZA BERLIN, 2/1558).

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westdeutschen Gruppen kamen aus der westfälischen (43), der badischen (40) sowie der rheinischen (31) Landeskirche7. Auf Grund der geografischen Lage und der politischen Situation kam die überwiegende Mehrheit der Begegnungsgruppen auf ostdeutscher Seite aus Berlin-Brandenburg (152). Eine Reihe von Gemeinden in der Innenstadt von Ost-Berlin war mit Begegnungen geradezu überlaufen8. Da die Unterbringungsmöglichkeiten in beiden Teilen Berlins insbesondere an Festtagen vollständig erschöpft waren, wurden von westdeutscher Seite verstärkt private Einzelreisen in die DDR gefördert9. Bei diesen Besuchen konnten die Westdeutschen sehr viel unmittelbarer die Lebensbedingungen und Probleme ihrer Partner erleben als in der künstlichen Begegnungssituation in Ost-Berlin. Auch entfielen die täglichen Grenzübergänge, die eine intensive Begegnung erschwerten. 1965 wurden bereits 134 solcher Ost-West-Einzelbesuche über die AGEJD bezuschusst10. Die Zahl der tatsächlich durchgeführten Einzelreisen war aber weit höher, da viele Begegnungsleiter diese Fördermöglichkeit noch nicht kannten. Zurück in der Bundesrepublik hielten die Reisenden, die staatliche Zuschüsse über die AGEJD erhalten hatten, ihre Eindrücke in Berichten fest. Ihre Beobachtungen konzentrierten sich vor allem auf zwei Bereiche: auf die wirtschaftliche Lage der DDR-Bevölkerung und auf die kirchliche Situation. Der Lebensstandard der DDR-Bürger wurde 1965 als bescheiden, aber insgesamt gewachsen beschrieben. Das kirchliche Leben in der DDR kennzeichneten die meisten als zwar quantitativ rückläufig, aber qualitativ überwiegend gut. Das Gesprächsklima wurde von der Mehrzahl als offen empfunden. Für Gruppenreisen war es nach wie vor schwierig, Aufenthaltsgenehmigungen für die DDR zu erhalten. So konnten 1965 nur acht Gruppenbesuche mit insgesamt 79 Teilnehmern aus der Bundesrepublik stattfinden11. Bedingung für diese Reisen war es, dass Kontakte mit staatlichen Stellen der DDR stattfanden. Das „offizielle“ Besuchsprogramm wurde in der Regel mit dem Rat des jeweiligen Bezirks abgesprochen und enthielt zumeist den Besuch einer erweiterten Oberschule und ein politisches Gespräch mit Funktionären. Weitere Programmbestandteile konnten sein: der Besuch einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, eines Volkseigenen Betriebs, einer Gedenkstätte sowie kultureller Veranstaltungen. Die Kontaktaufnahme mit anderen Personen als den ausgesuchten Begleitern wurde nicht unterbunden. Die Leiter der Gruppenbegegnungen werteten die gesammelten Erfahrungen übereinstimmend als positiv12. Unsicherheit herrschte hingegen noch darüber, wie Zusammenkünfte mit FDJ7 Patenschaftsbeziehungen und die Ost-West-Begegnungen in Berlin 1965 (Aaej HANNOVER, GKR 1). 8 Vgl. Geschäftsführerbericht vom 10.9.1965 (Aaej HANNOVER, GKA 22.2 Geschäftsführerberichte). 9 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 11./12.5.1965 (PAEW) und am 19./20.10.1965 (Aaej HANNOVER, GKR 1). 10 Geschäftsführerbericht vom 10.9.1965 (Aaej HANNOVER, GKA). 11 Übersicht über die Ost-West-Besuche in der DDR vom 13.9.1966 (Aaej HANNOVER, GKR 1). 12 Auszüge aus Berichten über Ost-West-Begegnungen evangelischer Jugendgruppen 1964 und 1965 in der DDR (Aaej HANNOVER, GKA).

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Vertretern zu bewerten waren. Der Geschäftsführende Ausschuss des DBJR lehnte im März 1965 erneut offizielle Kontakte zur FDJ ab13. In der AGEJD sah man die Gefahr, von der FDJ instrumentalisiert zu werden, und mahnte zur Vorsicht14. Die Kontakte sollten zwar wahrgenommen werden, die Beteiligten sich aber der daraus resultierenden Verantwortung bewusst sein. Vor allem wurde empfohlen, mit Personen in Verbindung zu treten, die bereits Erfahrungen bei Begegnungen mit der FDJ gesammelt hatten. Dies waren im Bereich der AGEJD das Landesjugendpfarramt der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sowie der Hamburger CVJM. Beide wurden auch 1965 erneut auf diesem Gebiet aktiv. So empfing im Mai die landeskirchliche Jugend von Hessen und Nassau eine kleine Gruppe von FDJ-Vertretern und entsandte anschließend eine Beobachter-Delegation zu den Arbeiterfestspielen nach Frankfurt/Oder15. Da die Darmstädter loyal zur Bundesrepublik und ihrer Politik standen und eine publizistische Auswertung der Begegnungen nicht vorgesehen war, verloren die ostdeutschen Gesprächspartner aber zunehmend das Interesse. Eine von der evangelischen Jugend Darmstadt gemeinsam mit der Naturfreundejugend durchgeführte Fahrt nach Buchenwald verlief für die FDJ gleichfalls enttäuschend, weil die jungen Bundesbürger sich weigerten, das System der DDR zu befürworten und es stattdessen kritisierten. Der Kontakt brach daraufhin ab. Im Spätsommer des Jahres lud der Generalsekretär des Hamburger CVJM, Gerhard Weber, 24 Mitglieder einer ostdeutschen Delegation ein, die bei einem Treffen in Oberhausen im August von der Polizei wegen des Verdachts, Ziele verfassungsfeindlicher und verbotener Organe zu fördern, verhaftet und in die DDR abgeschoben worden waren16. In seinem Einladungstelegramm versicherte Weber: „Unsere Demokratie ist besser, als Ihr denkt – Gespräche sind auch ohne Polizeimaßnahmen möglich.“17 Nach der Bundestagswahl im September 1965 erklärte der Leiter der Oberhausen-Delegation, das Mitglied des Zentralrats der FDJ Eckhard Netzmann, in einem Brief an Weber die grundsätzliche Bereitschaft zu Gesprächen mit „jungen Menschen, die dem Frieden und der Verständigung beider deutscher Staaten dienen“18. Im Dezember fand daraufhin in Magdeburg ein Vorgespräch statt. In Hamburg sprachen sich derweil Innensenator Heinz Ruhnau (SPD) und sein Vorgänger Helmut Schmidt laut Presseberichten für die Begegnung aus. Der Besuch sollte ihrer Ansicht nach den jungen DDR-Teilnehmern ermöglichen, sich ein anderes Bild von der Bundesrepublik zu machen, als es die DDR-Propaganda vermittelte. Das Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen sah die geplante Begegnung weniger positiv und lehnte einen Antrag des CVJM auf Zuschüsse für die gesamtdeutsche Begegnung ab, so dass der Verband die Kosten alleine aufbringen musste19. Der Zen13 Vgl. zur so genannten „Naumburger Erklärung“ vom 8.3.1965: W. R. KRABBE, Deutschland, S. 112. 14 Protokoll über die Sitzung der AGEJD am 25./26.11.1965 (EZA BERLIN, 2/1558). 15 W. R. KRABBE, Deutschland, S. 128. 16 Vgl. EBD., S. 127. 17 Zitiert nach: Vorbereitung einer FDJ-Delegation auf ihren Besuch beim CVJM Hamburg, 11.1.1966 (SAPMO-BArch BERLIN, DY 24/1561/II). 18 Zitiert nach: EBD. 19 Vgl. JK 27, 1966, S. 159.

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tralrat der FDJ zeigte sich hingegen von der Einladung des Hamburger CVJM begeistert, bot sie doch den FDJ-Vertretern die Möglichkeit, „vor einem größeren Kreis westdeutscher Jugendlicher und Mitgliedern und Funktionären westdeutscher Arbeiterjugendorganisationen unsere konstruktive Politik darzulegen.“20 Die Delegationsmitglieder wurden sorgfältig ausgewählt und vorbereitet. Ihr gehörten in der Westarbeit erfahrene Funktionäre der FDJ und des FDGB, junge Arbeiter, Wissenschaftler und Abgeordnete sowie junge Staats- und Wirtschaftsfunktionäre an. Die „Grundlinie“ für ihr Auftreten wurde bestimmt durch das 11. Plenum des ZK der SED sowie Ulbrichts Neujahrsbotschaft. Die ostdeutschen Teilnehmer sollten „die konstruktive Politik der DDR für Frieden, Entspannung und Verständigung“ in den Mittelpunkt der Diskussion stellen und die „Auseinandersetzung mit der sozialreaktionären, antidemokratischen, friedensgefährdenden und antinationalen Politik der Bonner Regierung“ führen21. Vertreter von Presse, Rundfunk und Fernsehen aus der DDR hatten für die aktuelle politische Berichterstattung über die Begegnung und die vom Zentralrat der FDJ zusätzlich geplanten Veranstaltungen zu sorgen. So vorbereitet reiste die DDR-Delegation im Januar zu dem Treffen nach Hamburg, das unter dem Oberthema „Jugend in Ost und West – haben wir noch Gemeinsamkeiten?“ stand. Auf der öffentlichen Diskussionsveranstaltung am 28. Januar, die unter starker Beachtung von Presse und Fernsehen stattfand, hielt Netzmann vor ca. 450 Zuhörern einen Vortrag, in dem er sich ganz an die vom FDJ-Zentralrat vorgegebene Linie hielt. Heinz-Georg Binder, zu diesem Zeitpunkt Präsident des Europäischen Jugendrates22, ging in seinem Referat nicht auf Netzmanns politische Polemik ein, sondern versuchte stattdessen die noch wenigen verbliebenen Gemeinsamkeiten zwischen Ost- und Westdeutschland zu nennen23. Am Ende des Vortrages sprach er sich für gesamtdeutsche Gespräche aus, damit Sorge dafür getragen werde, „daß wir die politische Gegnerschaft in einer Weise austragen, die nicht in der Katastrophe endet.“24 Den Referaten von Netzmann und Binder folgte eine Diskussion, in der die Meinungen äußerst hart aufeinander stießen. An den beiden Folgetagen fand ein gesamtdeutsches Seminar mit rund 80 geladenen Teilnehmern aus verschiedenen Hamburger Jugendorganisationen statt. In drei Arbeitsgruppen diskutierte man über „Jugend – Frieden – Wiedervereinigung“, „Jugend – Demokratie – Mitbestimmung“ und „Jugend – Bildung – technische Revolution“. In der abschließenden Plenumssitzung betonte Weber die Bedeutung von gesamtdeutschen Gesprächen und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass in der Bundesrepublik eine Änderung der Staatsschutzbestimmungen verwirklicht werde, damit die Begegnungen erleichtert würden. An die DDR richtete er die Mahnung, dass es

20 EBD. 21 EBD. 22 Der Council of European National Youth Committees wurde 1963 als Plattform der nationalen Jugendkomitees für Verhandlungen mit der Europäischen Union und dem Europäischen Rat gegründet. 23 Vgl. den Bericht über die Begegnung in: JK 27, 1966, S. 157ff. 24 EBD., S. 157.

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künftig auch möglich sein müsse, Glieder der Jungen Gemeinde in die Bundesrepublik einzuladen. Weber wie Netzmann setzten sich für die Fortsetzung der Begegnungen ein. Während in der „Jungen Kirche“ das Hamburger Treffen positiv dargestellt wurde, charakterisierte es das Ost-Büro der SPD als einen Reinfall für den CVJM. Die Gastgeber, welche die Begegnung „von der menschlichen Seite“ her angegangen wären, hätten sich von der ostdeutschen Delegation den Vorwurf der Indolenz und Naivität gefallen lassen müssen25. Zu einer Gegeneinladung in die DDR, auf die der CVJM Hamburg gehofft hatte, kam es nicht. Neben solchen Experimenten mit FDJ-Vertretern konzentrierte sich der Ost-WestKontakt der westdeutschen evangelischen Jugend auch weiterhin auf die Begegnung mit der Jungen Gemeinde. Diese Treffen zwischen jungen Christen aus den beiden deutschen Staaten fanden 1965 zunehmend auch in so genannten „Drittländern“ statt. Gäbler qualifizierte die Begegnungen in osteuropäischen Staaten als intensiv und als Hilfe für die Teilnehmer aus der DDR zur Bewältigung ihrer eigenen Situation26. Der Gesamtkirchliche Ausschuss befürwortete daraufhin die Treffen im Ausland bei „besonders qualifizierten Begegnungsgruppen“ und sah deren Förderung vor. Ringhandt, der Vorsitzende der Jugendkammer Ost, hatte jedoch grundsätzliche Einwendungen gegen Ost-West-Begegnungen in Drittländern27. Der Vorstand der AGEJD28 und später auch der Gesamtkirchliche Ausschuss29 machten sich Ringhandts Position zu Eigen, so dass entsprechende Förderanträge künftig abgelehnt wurden. Eine Bezuschussung solcher Treffen war 1965/66 offiziell auch nicht möglich, da die ostdeutschen Teilnehmer für das betreffende Gastland kein Gruppenvisum erhielten. Und dem Gesamtkirchlichen Ausschuss erschien es nicht verantwortbar, dass die DDR-Teilnehmer die Gastfreundschaft missbrauchten, indem sie mit Einzelvisen einreisten, um sich dann als Gruppe mit Partnern aus der Bundesrepublik zu treffen30. Die Regel blieben somit die Begegnungen in Ost-Berlin. Um deren Qualität zu kontrollieren und sich zugleich über die Situation in der DDR zu informieren, werteten sowohl Gäbler als auch Kleiner die schriftlichen und mündlichen Berichte der westdeutschen Begegnungsleiter und -teilnehmer aus. Nach diesen Berichten war 1965 in der evangelischen Jugend in der DDR das Bestreben vorhanden, zu einem positiveren Verhältnis zu ihrem Staat und seinen Vertretern zu finden31. Zugleich wurde aber auch Resignation festgestellt, die aus dem mangelnden Erfolg solcher Bemühungen resultierte. Weiter beobachteten die westdeutschen Begegnungsteilnehmer, dass sich die Skepsis ihrer ostdeutschen Partner gegenüber der Bundesrepublik verstärkt hatte32. Gefördert wurde diese durch die ostdeutsche Propaganda sowie kriti25 26 27 28 29 30 31 32

Vgl. W. R. KRABBE, Deutschland, S. 127. Protokoll über die Sitzung des GKA der AGEJD am 19./20.10.1965 (Aaej HANNOVER, GKR 1). Arbeitsbericht des Geschäftsführers des GKA vom 1.8.1965–31.7.1966 (Aaej HANNOVER, GKR). EBD. Protokoll über die Sitzung des GKA der AGEJD vom 14.–16.3.1966 (Aaej HANNOVER, GKR 1). EBD. Vgl. Bericht der Berlin-Betreuerstelle für das Jahr 1965 (Aaej HANNOVER, GKA). Vgl. EBD.

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sche westdeutsche Rundfunk- und Fernsehsendungen. Konnten diese Bilder nicht durch Selbstanschauung am bundesdeutschen Alltag überprüft werden, so war es hingegen den westdeutschen Teilnehmern möglich, bei den Begegnungen in Ost-Berlin ihre bisherigen Vorstellungen von der DDR mit ihren Eindrücken vor Ort zu vergleichen. Viele fuhren mit der Einsicht zurück, ihr bislang durch die bundesdeutschen Medien vermitteltes DDR-Bild differenzieren zu müssen33. Wie die Einzelreisenden in die DDR hatten auch die Leiter und Teilnehmer von Ost-West-Begegnungen in OstBerlin den Eindruck, dass sich das Klima in der DDR 1965 weiter liberalisiert hatte. Gesprochen und gearbeitet wurde während der Treffen in diesem Jahr u. a. über folgende Themen: „Ausbildungsfragen in der DDR“, „Freizügigkeit und Berufswahl in der DDR“, „Probleme um Kirchentreue und Staatstreue in der DDR“, „Die Neuordnung des Gesetzes der Schwangerschaftsunterbrechung“, „Die kirchliche Versorgung der in neuen Wohngebieten zusammengeballten Menschen“, „Die Düsseldorfer Bücherverbrennung“, „Die moderne Theologie“, „Die EKD-Denkschrift zur Vertriebenenfrage“, „Sexualität des Menschen“, „Das Gespräch des Christen mit dem Marxisten“, „Mein Weg ins Christsein in meiner Umwelt“, „Heimat, Volk und Vaterland“, „Wie steht der Christ in der BRD zum Sozialismus?“, „Wie steht es mit dem politischen Engagement des Christen in der BRD?“, „Die Lage der Kirche in Ost und West“, „Bericht vom Kirchentag in Köln“, „Die Predigtmöglichkeit in Ost und West“, „Der Mensch der Zukunft und die Hoffnung der Christen“, „Kybernetik“, „Unsere eine Kirche in unserem geteilten Volk“, „Das Problem der Hoffnung aus philosophischer und theologischer Sicht“, „Schöpfung, Wunder und Auferstehung“, „Freiheit und Verantwortung des Christen“34.

Einer Versachlichung der Gespräche über Ost-West-Fragen kam zugute, dass erstmals auch einzelne Ausländer an den Treffen teilnahmen. Auf Grund der guten Erfahrungen damit sprach sich der Gesamtkirchliche Ausschuss für eine noch stärkere Teilnahme von ausländischen Jugendlichen an den Begegnungen aus35. Der Gesamtkirchliche Referent, der auch für die programmatische Begleitung der Begegnungsarbeit zuständig war, stellte jedoch bei seiner Auswertung der Berichte für das Jahr 1965 Mängel sowohl bei der Zusammensetzung der Gruppen als auch bei der inhaltlichen Gestaltung der Treffen fest36. Viele der Begegnungen führten nach seiner Einschätzung nicht zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der Situation in den beiden deutschen Staaten. Auch bei den Begegnungsleitern selbst regte sich Unzufriedenheit. Sie äußerten den Wunsch nach besseren Vorbereitungsmöglichkeiten für die Treffen sowie nach geeignetem Arbeitsmaterial für deren inhaltliche Gestaltung37. Im Auftrag des Gesamtkirchlichen Ausschusses formulierte Gäbler daher Vor33 Auszüge aus den Berichten über Ost-West-Begegnungen evangelischer Jugendgruppen 1965 in Berlin, zusammengestellt von Gäbler unter dem Datum vom 1.4.1966 (EZA BERLIN, 2/1558). 34 EBD. 35 Protokoll über die Sitzung des GKA der AGEJD am 19./20.10.1965 (Aaej HANNOVER, GKR 1). 36 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 11./12.5.1965 (PAEW). 37 Auszüge aus den Berichten über Ost-West-Begegnungen evangelischer Jugendgruppen 1965 in Berlin, zusammengestellt von Gäbler am 1.4.1966 (EZA BERLIN, 2/1558).

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schläge für eine Verbesserung der Ost-West-Begegnungen38. Auf der Grundlage von Empfehlungen, die ihm Begegnungsleiter gaben39, überarbeitete er die bisherigen „Hinweise für gesamtkirchliche Begegnungen der Evangelischen Jugend in Berlin“. Die Neufassung wurde am 20. Oktober vom Gesamtkirchlichen Ausschuss mit einigen Änderungen genehmigt40 und am 10. November an die Leiter von Ost-West-Begegnungen versandt41. Der Schwerpunkt der aktualisierten Hinweise lag auf der Vorbereitung der Treffen. Von jedem Begegnungsleiter wurde verlangt, dass er selbst schon einmal an einem Ost-West-Treffen teilgenommen hatte. Zur inhaltlichen Vorbereitung erhielt jeder Leiter zukünftig mit dem Bewilligungsbescheid ein Exemplar der von der AGEJD herausgegebenen Handreichung „Christ und Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik“42. Darüber hinaus bekam er Literaturhinweise zum Thema Marxismus sowie zur Lage in der Bundesrepublik, deren Zusammensetzung aber nicht unbedingt ausgewogen war. Zur Auseinandersetzung mit dem Marxismus waren es Werke von Joseph Hromádka, Günter Jacob, Helmut Gollwitzer, Wolf Dieter Marsch, Erich Thier und eine Dokumentensammlung zur Jugendpolitik der SED von Siegfried Dübel. Zur bundesdeutschen Situation wurden ihm genannt: Müller-Gangloffs „Mit der Teilung leben“, die Ost-Denkschrift der EKD sowie der Jugendbericht des Bundesministeriums für Familie und Jugend von 1965. Die Begegnungsteilnehmer erhielten die Empfehlung, in den Wochen vor ihrer Reise Zeitungen, Rundfunkund Fernsehsendungen der DDR zur Kenntnis zu nehmen. Ebenso sollten sie sich gründlich über die kulturelle, politische und kirchliche Situation in der Bundesrepublik informieren. Als Modelle für die Gestaltung der Begegnungen lagen den „Hinweisen“ verschiedene Ablaufpläne bei: 1. für eine fünftägige Ost-West-Begegnung mit einer Jungen Gemeinde aus Ost-Berlin einschließlich zweier Aufenthaltstage in OstBerlin mit Information, Erfahrungsaustausch und persönlichen Gesprächen; 2. für eine Ost-West-Begegnung mit einer Jungen Gemeinde aus der DDR von gleicher Länge und mit gleichem Programm und 3. für ein Ost-West-Begegnungsseminar einschließlich vier Aufenthaltstagen in Ost-Berlin mit Referaten und Arbeitsgruppen zu einem Sachthema. Mit der Einführung von längeren Ost-West-Begegnungsseminaren, höheren Zuschüssen für diese Seminare sowie der Möglichkeit, auch Geld für die Vorbereitungsreise des Begegnungsleiters nach Berlin zu erhalten, wollte der Gesamtkirchliche Ausschuss einen Anreiz zur Qualifizierung des Begegnungsprogramms schaffen43. Die verschiedenen Formen der Beihilfen und deren Voraussetzungen waren in den neu überarbeiteten „Richtlinien für Ost-West-Begegnungen“ enthalten, die 38 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 11./12.5.1965 (PAEW). 39 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 19./20.10.1965 (Aaej HANNOVER, GKR 1). 40 EBD. 41 Schreiben von Gäbler (Aaej HANNOVER, GKR 1). 42 Die Fassung von 1964 wurde durch ein Einlageblatt mit dem Gesetz über die Baueinheiten in der DDR und einer Übersicht über das Jugendgesetz der DDR ergänzt. Vgl. Auszug aus dem Vorstandsprotokoll vom 13./14.5.1965 (Aaej HANNOVER, GKA). Im Dezember 1968 erschien dann eine völlig überarbeitete Neuauflage. 43 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 11./12.5.1965 (PAEW).

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ab 1. Januar 1966 in Kraft traten44. Darin war u. a. festgelegt, dass die Teilnehmer von Begegnungen und Seminaren über 18 Jahre alt sein sollten und sich ein Wochenende oder zwei Abende auf die Begegnung vorbereiten mussten. Auf Grund der politischen Situation waren Jugendliche aus West-Berlin von der Teilnahme an einer Ost-West-Begegnung ausgeschlossen. Um deren isolierte Lage zu verbessern, bemühte sich der Gesamtkirchliche Ausschuss, sie zumindest indirekt am Ost-West-Kontakt partizipieren zu lassen. Zu diesem Zweck berichteten westdeutsche Begegnungsleiter bei den monatlichen Arbeitsrüsten der West-Berliner Gruppenleiter über ihre frischen Eindrücke von der Begegnung sowie über die Situation der ostdeutschen Landeskirchen45. Anlässlich der Landesjugendpfarrerkonferenzen in Berlin erzählten Landesjugendpfarrer in den 13 West-Berliner Kirchenkreisen über ihre Erfahrungen in Ost-Berlin. Ferner wurden westdeutsche Referenten, die bei Begegnungstreffen in Ost-Berlin sprachen, auch in West-Berlin eingesetzt. All diese Maßnahmen sollten bewirken, dass der Westteil der geteilten Stadt nicht länger nur als „Schlafsaal“ für die Begegnungen in Ost-Berlin fungierte. In der ESGiD begann das Begegnungsjahr 1965 mit westdeutscher, politisch links geprägter Partnerschaftstheorie. Martin Schröter hielt auf der Partnerreferentenkonferenz in Höchst sein Referat über „Partnerschaft innerhalb der ESGiD“46. Seiner Ansicht nach musste Partnerschaftsarbeit auf zwei Ebenen stattfinden: einerseits im politischen Engagement der Gemeinde im eigenen Bereich, andererseits in der Begegnung. Zur politischen Arbeit zählte Schröter die Auseinandersetzung mit allgemeinpolitischen und spezifischen Ost-West-Fragen sowie das Bemühen um Kontakte in die DSSR und nach Polen, aber auch zu staatlichen Organisationen in der DDR. Wo eine solche allgemeine politische Arbeit nicht geschah, hing seiner Auffassung nach die Partnerschaftsarbeit „in der Luft“ und stand in der Gefahr, „emotionalisiert“, „nationalisiert“ oder „privatisiert“ zu werden47. Für die Begegnungen selbst gab Schröter vier Empfehlungen ab: Sie sollten theologisch vertieft werden, politische Konturen gewinnen, auf einem intensiven Informationsaustausch basieren und der gegenseitigen Kritik und Hilfe in aktuellen Fragen dienen. Neben dem Vortrag von Schröter und einem Informationsreferat von Klaus-Dieter Mende über das „Hochschulwesen in der DDR“ sah das Tagungsprogramm in Höchst vier Arbeitsgruppen vor. Die erste Gruppe erarbeitete Themenvorschläge für Partnertreffen48. Ihre Mitglieder forderten, dass zukünftig nicht mehr solche Themen ausgeklammert werden sollten, bei denen die Unterschiede zwischen den ost- und westdeutschen Gemeinden und ihres gesellschaftlichen Umfelds stärker zum Ausdruck kamen als die Gemeinsamkeiten. Als 44 Aaej HANNOVER, GKR 1. 45 Protokoll der Sitzung des GKA der AGEJD am 11./12.5.1965 (PAEW). 46 Abdruck in: G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 240–250. Zu den deutschland- und kirchenpolitischen Teilen des Referates s. o. Kap. 4.2.1. 47 G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 249. 48 Protokoll der Arbeitsgruppe I. Abdruck in: Arbeitshilfe für Vertrauensstudenten 1965 (EZA BERLIN, 36/705).

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Die Friedensaufgaben (1965–1968)

mögliche Themen für Treffen wurden genannt: „Die Stellung des Studentenpfarrers in der Gemeinde“, „Soziale Probleme des Studentseins“, „Theologische Unterweisung“, „Studentengemeinde – Fachstudium – Hochschule“, „Bildungssysteme“, „Formen des Atheismus“, „Autonomie der Kunst“. Eine zweite Arbeitsgruppe machte sich Gedanken über die Vorbereitung und Durchführung eines Treffens in Berlin49. Wichtig erschien ihnen: eine gleiche Teilnehmerzahl aus beiden deutschen Staaten, eine Tagungsdauer zwischen drei und fünf Tagen, ausreichend Zeit für die gemeinsame Arbeit und die gegenseitige Information, mindestens eine gemeinsame Bibelarbeit sowie eine retro- und prospektive Schlussbesprechung. Die dritte Arbeitsgruppe reflektierte über die Aufgaben des Partnerschaftsreferenten in der Gemeinde und entwarf einen umfangreichen Aufgabenkatalog50. Er umfasste: die Information der eigenen Studentengemeinde über die Partnergemeinde und die Situation in der DDR; die Vermittlung von Briefkontakten; die Unterstützung des individuellen Paketversands; die Vorbereitung des Treffens in der Gemeinde; die Kontaktpflege mit den westdeutschen Gemeinden des Partnerrings; die Organisation der Fürbittgottesdienste. Eine vierte Arbeitsgruppe beschrieb die „Konsequenzen der partnerschaftlichen Beziehungen für das politische Zeugnis der Gemeinden.“51 Sie plädierten dafür, bei den Treffen vorrangig DDR-Themen zu besprechen. Um sinnvolle Gespräche mit den ostdeutschen Gemeinden führen zu können, müssten sich die Gemeinden in der Bundesrepublik aber intensiv über die gesellschaftlichen Verhältnisse in Ostdeutschland informieren. Nach den Treffen sollten sie ihr erworbenes Wissen und ihre Erfahrungen im Hochschulbereich weitergeben und falschen Vorstellungen über die DDR entgegentreten. Die Arbeitsgruppe empfahl ihnen, dabei zu betonen, „daß sie nicht im Sinne der Bundesregierung für Deutschland sprechen können und wollen, wohl aber für Deutschland im Sinne des Abbaus von Ideologien.“ Ferner wurde ihnen geraten, sich den gesellschaftlichen Aufgaben zu stellen, deren Wahrnehmung ihnen das Gesellschaftssystem der Bundesrepublik bot. Die Arbeitsgruppe unterstützte folglich die Absicht von Schröter, die Studentengemeinden und ihre Partnerarbeit weiter zu politisieren. Um die in Höchst entwickelte Partnerschaftstheorie in die Gemeinden zu tragen, wurden die Referate und Arbeitsgruppenprotokolle als „Arbeitshilfe für Vertrauensstudenten“ sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR vervielfältigt und verteilt. Als eine Art „Muster-Partnertreffen“ fand an Pfingsten 1965 eine „Kleine Arbeitskonferenz“ mit je zwölf Studenten aus der Bundesrepublik und der DDR zum Thema „Die Verantwortung des Christen in der Gesellschaft“ statt52. Die Tagung begann mit einem theologischen Grundsatzreferat des Darmstädter Studentenpfarrers Stöhr. Tags darauf trugen je ein ost- und ein westdeutscher Referent vor. Carl Ordnung von der 49 Protokoll der Arbeitsgruppe II (EBD.). 50 Protokoll der Arbeitsgruppe III (EBD.). 51 Protokoll der Arbeitsgruppe IV (EBD.). 52 Bericht Wintermanns über „Partnerschaft der Gemeinden“ auf der DK der ESGiD am 26.2.–2.3.1966 (EZA BERLIN, 36/479).

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Ost-CDU sprach über „Christliche Existenz im sozialistischen Staat“. Der Berliner Soziologe Gerhard Grohs redete zu dem Thema „Der Verantwortungsspielraum des Einzelnen im Kräftefeld der Verbände“. Der Schwerpunkt der Tagung lag aber auf Gruppengesprächen, die nach Aussage von Teilnehmern bei ihnen zu einem Umdenken führten53. Gesprochen wurde über die Themen: „I. Information und Bewußtseinsbildung (Öffentliche Meinung, Möglichkeiten einer Beurteilung der politischen Lage usw.) II. Praktische und ideologische Koexistenz im politischen Bereich (sowohl im Kommunismus als auch im ‚Pluralismus‘) III. Praktische Möglichkeiten des politischen Handelns (Mittel, Erfolg, Wirksamkeit).“54

Die ost- und westdeutschen Vertreter der Gesamtarbeit zeigten sich über den Verlauf der Partnertreffen in Ost-Berlin im Jahr 1965 zufrieden. Die Qualität der Treffen habe zugenommen, sie seien vermehrt thematisch ausgerichtet55. Auch der Berliner Obmann Bernd Wintermann, Student an der FU Berlin, hielt in seinen „Anmerkungen zu den Berichten über Partnerschaftstreffen“ fest, dass die Bemühungen um eine stärkere Behandlung von Themen, welche die Ost-West-Problematik miteinbezogen, allmählich Wirkung zeigten56. Auf fast allen Treffen wurde bereits in der Themenstellung auf die politische Situation Bezug genommen. Insbesondere das „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungswesen“ vom 25. Februar 1965 wurde breit diskutiert. Es waren allerdings vornehmlich die westdeutschen Gemeinden, die auf eine Behandlung politischer Themen drängten. Die meisten DDR-Gemeinden nahmen an den Diskussionen eher passiv teil. Sie hatten in ihrem gesellschaftlichen Umfeld bislang keine Erfahrungen darin sammeln können, offen über politische Fragen zu diskutieren. In einigen ostdeutschen Gemeinden wuchs aber im Laufe des Jahres 1965 das Interesse an politischen Fragestellungen und die Bereitschaft zu politischem Engagement im Rahmen der Möglichkeiten, die ihnen das System bot57. Von den ostdeutschen Vertretern der Gesamtarbeit wurde diese Entwicklung gefördert, u. a. durch die Weitergabe von Arbeitsmaterial zur Situation in Vietnam. Wintermann machte in seinem Bericht auf ein weiteres Problem in der Partnerschaftsarbeit aufmerksam: Infolge der täglichen Fahrten und Kontrollen war die Zeit, die für die Treffen in Ost-Berlin zur Verfügung stand, zu kurz. Daher versuchten mehr und mehr Gemeinden, eine Aufenthaltsgenehmigung für die Stadt ihrer Partnergemeinde zu bekommen. Dort konnten sie auch den DDR-Alltag besser kennen lernen, der sich deutlich von der spezifischen Atmosphäre Ost-Berlins unterschied. Andere Gemeinden versuchten, nach Leipzig zur Messe oder nach Rostock zur Ostseewoche zu fahren. Mehr und mehr Treffen fanden auch im „sozialistischen Ausland“ statt. Ähnlich wie bei der Evangelischen Jugend fürchteten jedoch die ostdeutschen Vertre53 Bericht Glöckners für den Beirat Ost am 19./20.2.1966 (EZA BERLIN, 141/99/98a). 54 Vgl. Wintermann an Bessel, 24.5.1965 (EZA BERLIN, 36/288). 55 Vgl. Glöckners Bericht für den Beirat am 27./28.2.1965 (EZA BERLIN, 141/99/98a) und Rohrbach an W. Giesen, 2.11.1965 (EZA BERLIN, 36/549). 56 Abdruck in: G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 258f. 57 Bericht Glöckners für den Beirat Ost am 19./20.2.1966 (EZA BERLIN, 141/99/98a).

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ter der Gesamtarbeit, dass die DDR-Regierung den Studentengemeinden die Begegnungen in Ungarn oder in der DSSR „eines Tages übel anrechnen könnte.“58 Auch sie hatten vor, 1966 diese Treffen zu stoppen. Die osteuropäischen Staaten waren aber nicht nur die „Drittländer“ für deutschdeutsche Partnerschaftstreffen. Einige wenige westdeutsche Studentengemeinden – Heidelberg, Darmstadt, Oldenburg, Düsseldorf, Stuttgart – verfügten auch über kontinuierliche Gesprächskontakte in die DSSR, Polen, Ungarn und Jugoslawien59. In diesen Gesprächen wurden fast ausschließlich politische Themen behandelt, die Teilung Deutschlands als Thema aber nach Möglichkeit ausgeklammert. Ebenso wie in der Evangelischen Jugend gab es auch in der ESGiD vereinzelt Kontakte mit der FDJ. Der Berliner Obmann verwies diesbezüglich auf die Möglichkeit, über Fachschaften oder Wohnheime Verbindungen aufzunehmen60. Es sollte jedoch sichergestellt werden, dass bei eventuellen Besuchen auch eine ostdeutsche Studentengemeinde aufgesucht werden konnte. Kontakte zur FDJ und anderen staatlichen Einrichtungen der DDR blieben auch im Folgejahr ein Thema innerhalb der ESGiD. Mitte Februar kam die Partnerreferentenkonferenz zu dem Schluss, dass ein Gespräch zwischen Christen allein nicht mehr ausreiche. Es müsse auch eine Auseinandersetzung mit Marxisten und Humanisten geführt werden. Dabei drohten jedoch Konflikte mit der bundesdeutschen Justiz. Die Delegiertenkonferenz beschloss daher im März, den Rechtsausschuss des Bundestages zu bitten, bei der anstehenden Reform des Strafrechts und der erneuten Diskussion um einen Zeitungs- und Informationsaustausch der Bundesrepublik mit der DDR Vorschläge zu erarbeiten, die dem freien Informations- und Meinungsaustausch in Deutschland nicht im Wege standen61. In der AGEJD zeigte man sich 1966 gleichfalls offener für Kontakte mit der FDJ, dem FDGB, der Nationalen Front und anderen staatlichen Organisationen der DDR. Dies entsprach einem allgemeinen Trend, der sich 1966 und 1967 in den bundesdeutschen Jugend- und Studentenorganisationen abzeichnete62. Bei einer Reihe von Jugendverbänden und -institutionen wurde die Naumburger Erklärung des DBJR schrittweise revidiert oder negiert. Vorreiter waren hier Stadtjugendringe, „Die Falken“, Jungdemokraten, Gewerkschaftsjugend sowie Kommunalorganisationen konfessioneller Jugend wie etwa der Hamburger CVJM. Der Hauptimpuls für die neue Bewegung in der Frage offizieller Kontakte rührte von dem geplanten Redneraustausch zwischen SPD und SED her63. Hinzu kam die Unzufriedenheit der Jugendlichen und Studierenden mit der bundesdeutschen Deutschlandpolitik der zurückliegenden Jahre. In der AGEJD erklärte eine Arbeitsgruppe aus Begegnungsleitern im April, dass gemein58 Reinhard Glöckner: Bericht für den VR der ESGiD, 20.11.1965 (EZA BERLIN, 36/86/86). 59 Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 2./3.5.1965 (EZA BERLIN, 36/547). 60 Protokoll der DK der ESGiD am 27.2.–3.3.1965 (EZA BERLIN, 36/385). 61 Protokoll der DK der ESGiD am 26.2.–2.3.1966 (EZA BERLIN, 36/479). 62 Vgl. eine Ausarbeitung vom Archiv für Gesamtdeutsche Fragen vom 9.1.1968 zu „Offizielle und halboffizielle Kontakte. Jugend und Studenten. Zeitraum 1966/1967“ (BArch KOBLENZ, B 137/2291). 63 Siehe Kap. 4.1.3.

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same Veranstaltungen mit der FDJ nicht mehr grundsätzlich abzulehnen seien. Auch bei Reisen in die DDR sollte zukünftig nicht mehr nur das Gespräch mit Christen, sondern auch mit Funktionären gesucht werden. Die Begegnungsleiter hielten dies für eine Voraussetzung, um die sozialistische Umwelt des christlichen Begegnungspartners verstehen zu lernen. Diese Auffassungen wurden auf einem Ost-West-Begegnungsleiterkurs geäußert, den das Gesamtkirchliche Referat vom 25. bis 30. April in der Sozialakademie Friedewalde veranstaltete64. In dem vom BMG mit finanzierten Kurs wurden 27 überwiegend hauptamtliche Mitarbeiter in der Jugendarbeit durch mehrere Vorträge über die „Erziehung in Ost und West“ informiert. Vorrangig diente der Kurs jedoch dem gegenseitigen Austausch über organisatorische und inhaltliche Fragen der Begegnungsarbeit. Unter anderem diskutierten die Teilnehmer über die Wirkung der Begegnungen65. Neben der „christlichen Bruderschaft“ wurde die politische Bedeutung der Kontakte hervorgehoben. Während in früheren Jahren damit die Stärkung eines gesamtdeutschen Bewusstseins gemeint war, sahen die Kursteilnehmer nun in den Gesprächen während der Begegnungen eine Hilfe für den Einzelnen, sich in seiner gesellschaftlichen Umwelt zu verorten. „Der Drang nach dem Westen“ werde durch die sachliche Auseinandersetzung mit aktuellen Problemen abgebaut. „Abbau von Emotionen und Sentiments. Gefühle und unqualifiziertes Geschwätz sind nicht tragfähig für Begegnungen und Partnerschaften“, so umschrieb Jürgen Eisenberg, Vorsitzender des Gesamtkirchlichen Ausschusses, mit drastischen Worten den Wunsch der Arbeitsgruppe, die Begegnungsarbeit zu entemotionalisieren. Äußerst problematisch war die Stellvertreterrolle, die den westdeutschen Begegnungsteilnehmern im Arbeitsgruppenbericht zugeschrieben wurde: „Es gehört zur christlichen Verantwortung, stellvertretend für die DDR-Jugendlichen (und -Erwachsenen) politische und philosophische Probleme zu durchdenken. Auch Fragen der kirchlichen Praxis (z. B. Taufe, Konfirmation, Gottesdienst). Es zeigt sich, daß die ständige Konfrontierung mit den Fragen die DDR-Bürger müde macht. Darum stellvertretende Arbeit durch uns, stellvertretende Verhandlungen mit Staatsfunktionären der DDR.“

Auch auf der Sitzung des Gesamtkirchlichen Ausschusses im September in Ost-Berlin ging es um die politische Bedeutung der Begegnungen. Die Ausschussmitglieder bezeichneten es als Aufgabe der Christen in Deutschland, sich im Bewusstsein der gemeinsamen historisch-moralischen Verantwortung für den Abbau von Ideologien in Mitteleuropa einzusetzen. Die Begegnungen zwischen jungen Christen aus der Bundesrepublik und aus der DDR konnten ihrer Ansicht nach diesen Auftrag aber nur beschränkt wahrnehmen. Denn viele junge Christen in der DDR, so lautete der Vorwurf, führten ein Gettodasein, waren „ideologische Außenposten der BRD“ und folglich keine loyalen Bürger ihres Staates. Eine weitere Schwierigkeit sah man in dem 64 Vertrauliches Protokoll über den Ost-West-Begegnungsleiterkurs der AGEJD vom 25.–30.4.1966 in der Sozialakademie Friedewald einschließlich 6 Anlagen (Aaej HANNOVER, GKA-Aktionen). 65 Anlage V: Arbeitsgruppenberichte (Aaej HANNOVER, GKA-Aktionen).

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unpolitischen Verhalten junger Christen in der Bundesrepublik. Als einen ersten Schritt in die richtige Richtung werteten es die ost- und westdeutschen Ausschussmitglieder, dass bei Begegnungen zukünftig beide Seiten politische Lageberichte geben sollten. Als zweiter Schritt wurde vorgeschlagen, bei den Begegnungen die Probleme zwischen den beiden deutschen Staaten gemeinsam mit politisch Engagierten aus Ostund Westdeutschland zu besprechen. Für das laufende Begegnungsjahr 1966 kamen diese im Spätsommer geäußerten Vorschläge zu spät, um noch wirksam werden zu können. Bewährt hatten sich dagegen bereits, so zeigen die Begegnungsberichte, die im Vorjahr beschlossenen Neuerungen: Differenzierung nach Ost-West-Begegnungen und -Seminaren, Einführung von Vorbereitungsabenden, Finanzierung von Vorbereitungsreisen, Festlegung einer Höchstteilnehmerzahl, Einführung eines Mindestalters für die Teilnahme sowie einer Mindestdauer der Begegnung. Insgesamt trafen sich in diesem Jahr 4.009 westdeutsche mit 4.873 ostdeutschen jungen Christen in Ost-Berlin. Zudem reisten 27 Gruppen mit 375 Teilnehmern und 94 Einzelpersonen in die DDR66. Die Gesamtteilnehmerzahl von 9.351 war damit die höchste seit Einführung des Passgesetzes im Dezember 195767. Gegenüber dem Vorjahr war hauptsächlich die Zahl der Gruppenbesuche in der DDR, vor allem während der Leipziger Messe, stark angestiegen. Der Gesamtkirchliche Ausschuss gab daher zukünftig eigene „Richtlinien“ und „Hinweise“ für diese Besuche heraus68. Die Begegnungen in Ost-Berlin waren in der zweiten Jahreshälfte, d. h. nach Absage des SPD-SED-Redneraustauschs durch die SED, größtenteils durch strenge Gepäckkontrollen an der Grenze stark behindert worden69. Den Begegnungsleitern wurde daher ab Mitte Oktober dringend geraten, nach Möglichkeit keine Geschenke mehr mit nach Ost-Berlin zu nehmen, da nicht nur die Wareneinfuhr durch organisierte Gruppen, sondern auch durch einzelne Personen zu Schwierigkeiten führten. Bei den Sachthemen, die während der Begegnungen und Begegnungsseminare behandelt wurden, dominierten 1966 theologische Fragestellungen; besonders die so genannte „moderne Theologie“ wurde thematisiert70. Dabei lief der Informationsfluss eindeutig von West nach Ost. Die ostdeutschen Begegnungspartner zeigten sich an der Thematik zwar interessiert, aber uninformiert und überwiegend auch misstrauisch. Für diese Haltung waren u. a. zwei äußere Umstände verantwortlich: Zum einen konnten sich die ostdeutschen Christen zumeist (noch) nicht durch eigene Lektüre mit den neuen Positionen vertraut machen, da die Bücher in der DDR nicht ausreichend vorhanden waren. Zum anderen konnte die „moderne Theologie“ zur Belas66 Von der AGEJD geförderte Ost-West-Begegnungen 1955–1967. Anlage zum Tätigkeitsbericht des GKA und des Gesamtkirchlichen Referenten der AGEJD für das Jahr 1967 (Aaej HANNOVER, GKR). 67 Vgl. EBD. 68 Vgl. Richtlinien und Hinweise vom 25.1.1967 (Aaej HANNOVER, GKR). 69 Vertraulicher Arbeitsbericht des Geschäftsführers des GKA vom 1.8.1966–28.2.1967 (EBD.). 70 Vgl. Zusammenstellung der Sachthemen von Ost-West-Begegnungsseminaren, Stand 22.4.1966 (Aaej HANNOVER, GKR 1) und vertrauliche und anonymisierte Auszüge aus den Berichten über Begegnungen in der DDR und in Berlin 1966, Stand April 1967 (EZA BERLIN, 2/1560).

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tung für das Gespräch zwischen Christen und staatlichen Funktionären werden, da die Ost-Presse diese theologischen Positionen als Bestätigung für ihre eigene, ablehnende Haltung gegenüber christlichen Glaubensinhalten präsentierte. Neben den Fragen einer zeitgemäßen Schriftauslegung standen vor allem zwei weitere Themen im Mittelpunkt der Ost-West-Begegnungen: neue Gottesdienstformen und – noch immer – die Konfirmation. Dauerthemen waren auch Fragen und Methoden der Jugendarbeit. Dabei wurde oftmals die Auffassung vertreten, dass sich die inneren Probleme der Jugendarbeit in Ost- und Westdeutschland glichen, in der DDR aber noch die äußeren Beschränkungen hinzukämen. Auch der Atheismus und das Gespräch mit Atheisten waren mehrfach verhandelte Themen. Bei den politischen Seminarthemen dominierte die – teils kritische – Diskussion über die Ostdenkschrift sowie das von Müller-Gangloff inspirierte Thema „Mit der Teilung leben“. Aktuelle politische Gesprächsstoffe waren das 11. Plenum des ZK der SED und seine kulturpolitischen Folgen, der geplante Redneraustausch zwischen SPD und SED, Fragen der Bildungspolitik und die Wehrdienstverweigerung. Wie schon im Vorjahr beobachteten die westdeutschen Begegnungsteilnehmer bei vielen ihrer ostdeutschen Partner ein wachsendes DDR-Bewusstsein. Jene identifizierten sich mit den wirtschaftlichen und sozialen Leistungen ihres Staates, nicht aber mit der herrschenden Ideologie. Bei einigen wenigen ostdeutschen Christen nahmen die westdeutschen Besucher auch eine wachsende Bereitschaft zu gesellschaftlichem Engagement wahr, verbunden mit der Hoffnung, etwas ändern zu können. Andere Begegnungsteilnehmer aus der DDR glaubten hingegen nicht an eine Reformfähigkeit des Sozialismus. Mehrfach wurde bei den jungen Christen politisches Desinteresse beobachtet, z. T. als Folge von Resignation. Verwundert zeigten sich die westdeutschen Begegnungsteilnehmer, dass einige ihrer ostdeutschen Partner Gespräche mit Funktionären ablehnten. Die jungen Christen aus der DDR begründeten ihre Position damit, dass die Funktionäre nicht wirklich an einem Gespräch mit der Jungen Gemeinde interessiert seien und dass deren Argumentation „unwahrhaftig“ sei. Auch der Wunsch westdeutscher Jugendlicher, selbst mit Partei- und Staatsvertretern zusammenzukommen, wurde mehrfach von den ostdeutschen Partnern abgelehnt. Die Auseinandersetzung mit der Ostdenkschrift der EKD gab 1966 den Impuls für Besuchsreisen in Ostblockstaaten. Als Beitrag der evangelischen Jugend zu einer Verständigung mit den östlichen Nachbarn empfahl der Gesamtkirchliche Ausschuss auf seiner Märzsitzung, dass von ostdeutscher Seite zunächst Einzelbesuche und Besuche in kleinen Gruppen in Ungarn und der DSSR stattfinden sollten71. Für ihre Vorbereitung erstellte ein Unterausschuss des Ökumenischen Arbeitskreises in der DDR eine Handreichung. Umgekehrt sollten kleine Gruppen aus den anderen Ostblockstaaten in die DDR zu Rüstzeiten und in Familien eingeladen werden. Den westdeutschen Jugendlichen und Jugendvertretern wurde empfohlen, über vorhandene touristische Unternehmungen in Ostblockstaaten ökumenische Kontakte aufzubauen. Deutsch71 Vertrauliches Sitzungsprotokoll des GKA der AGEJD vom 14.–16.3.1966 (Aaej HANNOVER, GKR 1).

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deutsche Begegnungen in Drittländern wurden hingegen weiterhin abgelehnt. Eine Ausnahme bildeten die Treffen von Ost- mit Westberlinern in Prag.

4.3.2 Partnerschaftsarbeit in der Krise Als 1967 in der ESGiD der Entschluss zur Umstrukturierung in zwei selbstständige Bewegungen fiel, sollte dies nach Ansicht der Verantwortlichen nicht das Ende der Partnerschaftsarbeit bedeuten72. Deren aktueller Zustand wurde jedoch von den Vertretern der Gesamtarbeit in beiden deutschen Staaten als desolat beschrieben. Im Mai 1967 bezeichnete die ostdeutsche Studentenpfarrerkonferenz die partnerschaftliche Arbeit als eine „gemeinsame Verlegenheit, die man durchhalten müsse.“73 Tonimaria de Boor, Mitarbeiterin in der Ost-Berliner Geschäftsstelle, entwickelte auf der Vertrauensratssitzung im selben Monat ein ähnlich düsteres Bild74. Sie sprach sogar von der „Unverantwortbarkeit“ der partnerschaftlichen Praxis. Die Partnerschaftstheorie, wie sie vom Vertrauensrat in den zurückliegenden Jahren entworfen worden war, hatte zum Ärger der Leitungsebene im deutsch-deutschen Alltag nur mäßigen Niederschlag gefunden. De Boor beklagte, dass auf den Partnertagungen ein Gefälle zu beobachten war, das von vornherein das Gespräch gleichwertiger Partner erschwerte bzw. verhinderte. Die Tagungsteilnehmer aus der DDR würden noch immer die Bundesbürger um deren „große Möglichkeiten“ beneiden und ihre eigene Situation beklagen. Sie seien weder in der Lage, sachlich über die Situation in der DDR zu informieren, noch hätten sie Übung im Diskutieren. Den Grund hierfür sah de Boor nicht im Gesellschaftssystem der DDR, sondern u. a. in der mangelnden Bereitschaft der Glieder der ostdeutschen Studentengemeinden, Verantwortung an der Hochschule bzw. in der Gesellschaft zu übernehmen. Die Studentengemeinde war nach ihrer Einschätzung in vielen Fällen noch immer ein Bereich außerhalb der Hochschule, in den Studenten sich vor den gesellschaftlichen Fragen flüchten konnten. Diesen Sachverhalt bewertete sie ebenso eindeutig negativ wie den Umstand, dass den Partnertagungen von den Beteiligten mehr eine zwischenmenschliche denn eine politische Bedeutung zugeschrieben wurde. Die Studenten würden nach dem Verbindenden suchen und die Tagungen mehr als Bestätigung denn als Aufgabe verstehen, kritisierte de Boor. Von „partnerschaftlichen Beziehungen als Korrektiv“, wie es das Memorandum „Einheit in partnerschaftlichen Beziehungen“ von 1964 gefordert hatte, konnte ihrer Einschätzung nach auf ostdeutscher Seite nicht die Rede sein. Auch von den im Frühjahr 1965 vom Vertrauensrat formulierten Aufgaben für die partnerschaftliche Arbeit – Informationsaustausch, Dialog mit den Marxisten und über den Marxismus, Kampf gegen die „Wiedervereinigungsideologie“, Friedensarbeit, Kontakte in die sozialistischen Länder – waren nur wenige in Angriff genommen worden. 72 Anlage zum Protokoll der Sitzung des Beirates vom 25./26.2.1967 (EZA BERLIN, 141/99/98a). 73 Zitiert nach: Protokoll der Sitzung des VR der ESGiD am 26./27.5.1967 (EZA BERLIN, 36/1088). 74 EBD.

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Angesichts dieser negativen Zustandsbeschreibung der partnerschaftlichen Arbeit forderte der Vertrauensrat die Geschäftsstellen dazu auf, sich zukünftig noch stärker in die Partnerschaftsarbeit einzuschalten. Ihre Mitarbeiter sollten durch die Studentenpfarrer rechtzeitig über Termin, Ort und Thema der Begegnungstagungen informiert werden und selbst daran teilnehmen. Sie sollten die gegenwärtige Zuordnung der Partnergemeinden überprüfen75 und überlegen, ob und wie eine regionale Zusammenarbeit der Studentengemeinden in der DDR für die Zukunft der partnerschaftlichen Arbeit mit Gemeinden aus der Bundesrepublik durchführbar und sinnvoll war. Die DDR-Geschäftsstelle wurde gebeten, eine Tagung für diejenigen Studenten vorzubereiten, die in den einzelnen DDR-Gemeinden für die partnerschaftliche Arbeit zuständig waren. In der Bundesrepublik fanden solche Konferenzen bereits seit mehreren Jahren statt. Für die Vorbereitung der Partnertreffen erhielten die westdeutschen Partnerreferenten zudem so genannte „Arbeitshilfen“ mit Texten und Literaturhinweisen. Im Rundbrief zur „Arbeitshilfe III“, die im Juli 1967 versandt wurde, warb der Berlin-Referent Dieter Vogel nachdrücklich für eine gute Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und den Geschäftsstellen auf dem Gebiet der Partnerarbeit76. Dass diese Zusammenarbeit vor allem einer weiteren Politisierung der Partnerarbeit dienen sollte, wurde durch den Inhalt des Rundbriefes und der „Arbeitshilfe“ deutlich. Letztere umfasste Informationen und Anregungen für die politische Arbeit in den Gemeinden. Neben einem Referat von Martin Stöhr über „Das politische Zeugnis der christlichen Gemeinde“ enthielt sie „Stimmen aus der Kirche in der DDR“ mit Texten von KlausPeter Hertzsch, Wolf-Dietrich Gutsch und Ilsegret Fink sowie eine ausführliche Literaturliste zur Situation in der DDR. Mit Hilfe der Texte und Literaturhinweise sollten die westdeutschen Begegnungsteilnehmer in die Lage versetzt werden, die Handlungsspielräume der ostdeutschen Christen richtig einzuschätzen. Denn auf den Partnertreffen der letzten Monate hatte es hitzige Diskussionen darüber gegeben, ob und wie die christlichen Studenten in der DDR gesellschaftliche und politische Verantwortung wahrnehmen konnten. Die Bilanz über die partnerschaftliche Arbeit, die Vogel nach Abschluss des Begegnungsjahres 1967 zog, war gemischt77. Die Zahlen stagnierten. Wie auch in den Vorjahren trafen sich ca. 1.000 Gemeindeglieder aus beiden deutschen Staaten in OstBerlin. Die Treffen enthielten zumeist folgende Programmpunkte: Gemeindebericht, Gottesdienst, Andacht, Theaterbesuch, private Gespräche, Informationsstunde zu aktuellen Fragen, Diskussion eines Sachthemas. Laut Vogel verfolgten fast alle Gemeinden die Tendenz zur „Versachlichung“ der Begegnungen, wie sie seit einigen Jahren von den Vertretern der Gesamtarbeit angeregt wurde. Dennoch sah der Berlin-Refe75 Das Ergebnis war die Aufstellung des „Partnerrings“ vom 28.1.1968, die sich geringfügig von der Aufstellung der Patengemeinden von 1955 unterschied (vgl. Kap. 1.3.2). Abdruck in: G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 307. 76 Rundbrief zur Arbeitshilfe III von D. Vogel, 10.7.1967 (EZA BERLIN, 36/288). 77 Bericht des Berlin-Referats vom 15.2.1968 (EZA BERLIN, 36/289).

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rent dem Ausbau der Partnertreffen zu Arbeitstagungen Grenzen gesetzt. Diese waren zum einen in der Struktur der Tagungen begründet, die nur wenig Zeit für eine intensive Arbeit an Sachthemen ließ. Zum anderen waren die Erwartungshaltungen der Teilnehmer verschieden, je nachdem, ob sie erstmals oder bereits wiederholt an Tagungen in Ost-Berlin teilnahmen. Einige Gemeinden hatten jedoch laut Vogel die vom Vertrauensrat und der Hochschulkommission langfristig angeregte Arbeit an thematischen Schwerpunkten – ESG im Kontext der Kirchen beider deutscher Staaten, Ökumene, Marxismus-Diskussion – aufgegriffen. Die Gemeinden in Greifswald und Leipzig waren dabei, gemeinsam mit ihren westlichen Partnergemeinden Modelle zukünftiger Partnerarbeit zu entwickeln. Sie wollten die Partnerarbeit stärker in den Gemeinden verankern und daher in Arbeitskreisen die Themen der Begegnungen vorbesprechen. Auf einem Partnertreffen zwischen Gliedern der ESG Münster und der ESG Leipzig im Mai wurden zwei politische Themen behandelt: Brasilien als Modellfall der Entwicklungshilfe und die Lage in Deutschland78. Mit dem ersten, für die Partnerarbeit neuartigen Thema sollte den Leipziger Studenten Gelegenheit gegeben werden, die Probleme der Entwicklungshilfe und -politik aus westdeutscher Sicht kennen zu lernen. Umgekehrt stellten die westdeutschen Teilnehmer zu ihrer Überraschung fest, dass auch in der DDR eine Reihe von Büchern zu diesem Thema erschienen waren. In einem Referat zum zweiten Thema versuchte ein Mitglied der ESG Leipzig, den westdeutschen Teilnehmern einen Einblick in die Bewusstseinslage der DDR-Bevölkerung zu geben. Die dabei gebrauchte politische Begrifflichkeit, wie sie sich in der DDR entwickelte hatte, führte bei den westdeutschen Zuhörern zu Verständnisschwierigkeiten. Diesem Umstand wollte man zukünftig bei der Vorbereitung der westdeutschen Teilnehmer Rechnung tragen. Das Treffen zwischen den Studentengemeinden aus Münster und Leipzig war aber eine Ausnahme. Denn als auffälligste Erscheinung der partnerschaftlichen Arbeit im Jahr 1967 bezeichnete Vogel in seiner Bilanz die Enttäuschung einer ganzen Reihe von Studenten und Gemeinden aus der Bundesrepublik über den „unpolitischen, uninteressanten“ Charakter der herkömmlichen Partnertreffen. Der selbst hoch politisierte Berlin-Referent warnte in diesem Zusammenhang allerdings davor, „politische Effektivität“ zum einzigen Maßstab für die Partnerarbeit werden zu lassen und das eigene politische Engagement unreflektiert auf die DDR-Verhältnisse zu übertragen. Was den ostdeutschen Gemeinden nicht möglich war, sollten die westdeutschen Gemeinden in Angriff nehmen und somit eine Vorreiterrolle spielen. Entsprechend schlug Vogel vor, die partnerschaftliche Arbeit mit den Gemeinden in der DDR durch Kontakte mit der FDJ und anderen staatlichen Stellen der DDR zu ergänzen79. Er stellte zutreffend fest, dass die Studentengemeinden in der DDR eigene Gespräche mit der FDJ oder überhaupt die Möglichkeit des Dialogs zwischen Christen und Marxisten in der DDR skeptisch betrachteten. Nach seinem Eindruck erwarteten aber die ostdeut78 Bericht über das Patentreffen in Berlin mit der ESG Leipzig 26.–28.5.1967 (BArch KOBLENZ, B 137/2292). 79 D. Vogel an Rohrbach, 18.5.1967 (EZA BERLIN, 36/288).

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schen Studentengemeinden, dass die Gemeinden in der Bundesrepublik auf diesem Gebiet die ersten Schritte machten. Vogel hielt die Zeit hierzu für günstig. Die FDJ hatte auf ihrem Pfingsttreffen 1967 erklärt, mit allen denjenigen politischen Kräfte zusammenzuarbeiten, die eine positive Einstellung zur Zweistaatlichkeit erkennen ließen. Nach Vogels Einschätzung war somit eine Kontaktpflege möglich, falls einzelne westdeutsche Gemeinden bzw. Gruppen in den Gemeinden dazu bereit waren, als Vorleistung für ein Gespräch sich öffentlich gegen den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik und für die Anerkennung der DDR auszusprechen. Die Hochschulkommission der ESG in der Bundesrepublik zeigte sich etwas zurückhaltender in dieser Frage. Sie sah in der ESG nicht unbedingt den richtigen Partner für derartige Kontakte. Vielmehr sollten die Vertreter der Studentengemeinden in den Allgemeinen Studentenausschüssen daraufhin wirken, dass Kontaktaufnahmen zu staatlichen Einrichtungen in der DDR erfolgten. Selbst wollte man sich um so genannte „Dreieckkontakte“ zwischen der FDJ sowie den Studentengemeinden in der Bundesrepublik und in der DDR bemühen80. Der Ausbau der Kontakte zur FDJ war nur einer der Vorschläge, die Dieter Vogel für eine neu strukturierte Partnerschaft nach der Aufteilung in zwei Bewegungen formulierte. Zum Abschluss seines Berliner Jahres legte er dem im April 1968 tagenden Beirat West „Anmerkungen zur gemeinsamen Arbeit der ESG in der DDR und der ESG in der Bundesrepublik“ vor81, die er zuvor mit Generalsekretär Rohrbach abgeklärt hatte82. Er sprach darin von den Krisensymptomen der herkömmlichen Partnerarbeit und diagnostizierte eine Auseinanderentwicklung zwischen den Gemeinden in der DDR und denen in der Bundesrepublik. Dabei zeigte er einen wachen Blick für die Disparität, nicht aber für deren Ursachen. Laut Vogel verstanden sich die westdeutschen Gemeinden nicht mehr als eine geschlossene Gruppe neben der Hochschule, sondern hatten sich in Theorie und Praxis verstärkt allgemeinpolitischen und hochschulpolitischen Fragen zugewandt. Diese Politisierung versuchten sie auch auf die Partnerschaft zu übertragen. In der DDR habe sich die ESG hingegen als „religiöse Gegengruppe“ zur FDJ betätigt und sich vornehmlich mit religiösen Themen befasst. Ihre enge strukturelle Bindung an die Arbeit der Landeskirchen sowie das „scheinbare Monopol der FDJ in gesellschaftlicher Betätigung“ erschwerte nach Vogels Einschätzung eine Politisierung der Partnerarbeit. Als Resultat der unterschiedlichen Entwicklung der Studentengemeinden in beiden deutschen Staaten standen sich nunmehr, so der Berlin-Referent, „Experimentierfreudigkeit, Optimismus, die Hoffnung auf Veränderung der Stagnation in Kirche und Staat“ auf westdeutscher Seite und „Resignation und eine pessimistischere Haltung“ auf ostdeutscher Seite gegenüber. In den Gemeinden der Bundesrepublik werde gesellschaftskritisch, in den DDR-Gemeinden hingegen in ausschließlich persönlichen Kategorien gedacht. Es fehle dort an Distanz zu subjektiven Lebenserfahrungen so80 Protokoll der Hochschulkommission am 14./15.7.1967 (EZA BERLIN, 36/1106). 81 EZA BERLIN, 36/705. 82 Rohrbach an D. Vogel, 27.3.1968 (EZA BERLIN, 36/289).

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wie an dem Bewusstsein für politische Zusammenhänge. Man verharre in kritischer Ohnmacht gegenüber Staat und Gesellschaft. Die Klage über eine Auseinanderentwicklung der Studentengemeinden in Ost- und Westdeutschland war nicht neu, sondern wurde seit Mitte der sechziger Jahre immer wieder einmal in den ESG-Gremien geäußert. Sie war aber auch nicht gegenstandslos. Denn die Wege aus der gemeinsamen bekenntniskirchlichen Vergangenheit hatten auf Grund der divergierenden gesellschaftlichen Kontexte in unterschiedliche Richtungen geführt. Dies setzte schon früh ein, war dann aber vor allem in den sechziger Jahren nicht mehr zu übersehen. Die westdeutschen Studentengemeinden verstanden sich zu diesem Zeitpunkt, wie Vogel richtig erkannt hatte, nicht mehr als externe Gruppen neben der Hochschule, sondern öffneten sich in die „Gesellschaft der Universität“ und beschäftigten sich regelmäßig mit allgemeinen Hochschulfragen. Neben diesen standen Fragen der militärischen und sozialen Friedenssicherung in globaler Perspektive im Zentrum ihres politischen Engagements. Konjunktur hatte auch die „Einübung demokratischer Spielregeln angesichts verfestigter autoritärer Lebensformen“83. Die Studentengemeinden arbeiteten mit anderen, zumeist politisch linken Hochschulgruppen zusammen und waren in den universitären Selbstverwaltungsgremien vertreten. Die Lebens- und Studiensituation der Glieder der Studentengemeinden in der DDR unterschied sich davon deutlich. Ihr Studium war stark verschult und ließ wenig Raum für weitere Aktivitäten. Die ostdeutschen Studentengemeinden verstanden sich als Sammlung der christlichen Studenten am Hochschulort84. Auf Grund des Monopols der FDJ standen sie außerhalb der Hochschulen und galten als „Lebensäußerung der Kirche“. Die Hochschul- und Kirchenpolitik des SED-Staates hatte eine weitere Verkirchlichung der Studentengemeinden in der DDR erzwungen und ihre Zugehörigkeit zum protestantischen Milieu in der DDR verfestigt85. Ein Engagement in Hochschulfragen fehlte fast völlig und war als Gruppe auch nicht möglich. Trotz gezielter Förderung von Seiten der Ost-Berliner Geschäftsstelle86 wurde nur von wenigen Studentengemeinden versucht, Möglichkeiten politischen Engagements in der DDR zu erkunden. In ihrer theologischen Ausrichtung waren die Studentengemeinden in der DDR insgesamt traditioneller und konservativer als ihre westdeutschen Partner. Die Bibelarbeit hatte einen deutlich höheren Stellenwert. Neue theologische Ansätze aus dem Westen drangen nur langsam in die ostdeutschen Gemeinden vor und erfassten zunächst nur einzelne Gruppen. 83 Vgl. Studienmaterial für das Gespräch der Bischofskonferenz der VELKD mit Studentenpfarrern im Januar 1965, erarbeitet durch die Studentenpfarrerkonferenzen im Herbst 1964 (EZA BERLIN, 141/99/114a). 84 Reinhard Glöckner: Bericht für den VR der ESGiD am 20.11.1965 (EZA BERLIN, 36/86/86); Protokoll über die Sitzung des VR der ESGiD am 20./21.11.1965 (EZA BERLIN, 141/99/89a). 85 Der milieutheoretische Ansatz wurde von C. KLESSMANN in die Forschung zum DDR-Protestantismus eingebracht. Vgl. DERS., Beharrungskraft; DERS., Sozialgeschichte; DERS., Kontinuitäten. Einen knappen Überblick über Möglichkeiten und Grenzen des milieutheoretischen Ansatzes in diesem Forschungsfeld gibt D. POLLACK, Soziale Rolle, S. 81f. 86 Vgl. Bericht von Glöckner für den Beirat DDR am 19./20.2.1966 (EZA BERLIN, 141/99/98a).

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Die hier beschriebene politisch-kulturelle und theologische Entfremdung sowie die Divergenz in der Organisationsstruktur zwischen den Studentengemeinden in beiden deutschen Staaten wurden insbesondere dort zu einem wachsenden Problem, wo die partnerschaftlichen Beziehungen der ESG konkretisiert wurden: bei den Partnertreffen. Dort trafen die Gegensätze frontal aufeinander. Eine weitere Ursache für die Krise der Partnerarbeit der ESG sah Dieter Vogel in der Entwicklung der Nachkriegszeit. Auch dabei blendete er die repressive Kirchenpolitik der SED als den die Entwicklung prägenden Faktor komplett aus. Die Entscheidung der Kirchen in der DDR, am volkskirchlichen Modell „bürgerlich-nationaler Herkunft“ festzuhalten, hatte laut Vogel ihre „Verbannung ins kirchliche Ghetto“ gefördert. Nach wie vor lege sie jeder kirchlichen Arbeit im Sinne „kritischer Mitarbeit“ in Staat und Gesellschaft der DDR starke Hindernisse in den Weg. Auf der anderen Seite rücke die kritiklose Übernahme des westlichen Gesellschaftsmodells und der westdeutschen „Anschlußpolitik“ durch die Kirchen in der Bundesrepublik jede gesamtkirchliche Arbeit in die Nähe der „ideologischen Unterwanderung“ der Christen in der DDR im Sinne eines westdeutschen Antikommunismus. Noch heute müssten westdeutsche Studenten unter der „Einheitspolitik der EKiD“ leiden und mit der Hypothek nach Ost-Berlin fahren, „Bannerträger eines christlich-firmierenden Antikommunismus und Alleinvertretungsanspruchs zu sein“. Vogel gab der Partnerarbeit der ESG nur dann eine Zukunft, wenn die Studentengemeinden die kirchliche Nachkriegsentwicklung, den Antikommunismus in der Kirche und die „Einheitspolitik“ der EKD, aufarbeiteten. Um hier voranzukommen, hatte er bereits Anfang April die Partnerreferenten dazu aufgefordert, an einer ESG-Studie zum Thema „Die EKiD als politischer Faktor im Spannungsfeld zwischen beiden deutschen Staaten“ mitzuarbeiten87. Der Beschluss zu einer solchen Studienarbeit war auf einem ESG-Mitarbeiterkongress in Höchst Anfang März gefallen. Seine „Anmerkungen“ beendete Vogel mit der Aufforderung, die ESG müsse sich und anderen klarmachen, was sie mit der gemeinsamen Arbeit in der DDR und in der Bundesrepublik erreichen und was sie nicht erreichen wolle. „Ein Beitrag zum Frieden kann nur dann geleistet werden, wenn die bestehenden Verhältnisse nicht akzeptiert, sondern kritisiert werden“, so lautete Vogels Schlussplädoyer im Duktus der Studentenbewegung. Das Papier des Berlin-Referenten wurde auf der Sitzung des Beirates für die Bundesrepublik heftig diskutiert88. Insbesondere die Oberkirchenräte Grimme und Greifenstein empörten sich über die darin enthaltenen Angriffe auf die EKD89. Ebenso wie bei den Studentengemeinden fand auch bei der Evangelischen Jugend in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre eine verstärkte Politisierung der Begegnungsarbeit statt, die vornehmlich von den hauptamtlichen Mitarbeitern vorangetrieben 87 Schreiben vom 5.4.1968 (EZA BERLIN, 36/705). 88 Protokoll des Beirates der ESG in der BRD und Berlin (West) am 6./7.4.1968 (EZA BERLIN, 36/547). 89 Vgl. handschriftliche Notiz auf dem Geschäftsstellen-Exemplar der „Anmerkungen“ (EZA BERLIN, 36/705).

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wurde. Anfang 1967 klagte der Gesamtkirchliche Referent Gäbler über die inhaltliche Gestaltung der Begegnungen und forderte ein aktuelles Konzept für die gesamtkirchliche Jugendarbeit90. Die auf der Sitzung des Gesamtkirchlichen Ausschusses im Herbst 1966 erarbeiteten Ansätze – Aufzeigen von Verantwortungszusammenhängen, gegenseitige Freigabe in dem jeweiligen gesellschaftlichen Bereich, gegenseitige Korrektur, Entgiftung der politischen Atmosphäre91 – sollten konkretisiert werden. Nach Gäbler bot sich hierfür das gemeinsame Arbeitsprojekt „Frieden als Thema der Evangelischen Jugendarbeit“ an, das auf einer Sitzung der AGEJD im Februar 1967 beschlossen worden war. Gedacht war an eine Analyse der friedensgefährdenden und friedensfördernden Faktoren der bisherigen gesamtkirchlichen Jugendarbeit sowie der Erziehung in Ost- und Westdeutschland. Ferner sollte untersucht werden, ob eine gemeinsame Willensbildung in der Friedensfrage möglich und wünschenswert war. Gäbler formulierte einen ganzen Katalog von politischen Themen und Fragen, die innerhalb der Evangelischen Jugend in beiden deutschen Staaten strittig waren: „1. Unter uns besteht Einigkeit, daß Deutschland nicht wieder Auslöser eines Krieges werden darf; unter uns besteht keine Einigkeit, was wir als Christen für den Frieden in Deutschland tun können. 2. Unter uns besteht Einigkeit, daß wir den Krieg verloren haben und zu Opfern bereit sein müssen; unter uns besteht keine Einigkeit, ob wir bereit sein müssen, auf die Gebiete jenseits der Oder-Neiße zu verzichten. 3. Unter uns besteht Einigkeit, daß die Wiedervereinigungspolitik der BRD uns keinen Schritt vorangebracht hat; unter uns besteht keine Einigkeit, ob die BRD den Alleinvertretungsanspruch aufgeben und die DDR anerkennen soll. 4. Unter uns besteht Einigkeit, daß eine Annäherung der beiden Gesellschaftssysteme wünschenswert ist; unter uns besteht keine Einigkeit, ob die BRD auf eine Wiedervereinigung durch Anschluß der DDR an die BRD, auf das Mitverfügungsrecht über Atomwaffen und den latenten Bürgerkrieg gegen die DDR verzichten soll. 5. Unter uns besteht Einigkeit, daß der Antikommunismus verurteilt werden muß; unter uns besteht keine Einigkeit, ob das Verbot der KPD aufgehoben werden soll. 6. Unter uns besteht Einigkeit, daß Konflikte zwischen Ost und West nicht eliminiert, sondern ausgetragen werden müssen; unter uns besteht keine Einigkeit, ob der Bundesjugendring Gespräche mit der FDJ führen soll. 7. Unter uns besteht Einigkeit, daß der Dialog zwischen Marxisten und Christen in der DSSR sinnvoll ist; unter uns besteht keine Einigkeit, ob wir Christen mit Marxisten und Kommunisten in der DDR und der BRD sprechen sollen. 8. Unter uns besteht Einigkeit, daß möglichst viele Begegnungen zwischen Menschen aus der DDR und BRD stattfinden; unter uns besteht keine Einigkeit, ob Christen aus der DDR an einer Begegnung in der BRD teilnehmen sollen. 9. Es besteht Einigkeit, daß politische Fragen bei Begegnungen besprochen werden sollen; es besteht keine Einigkeit, ob sich Christen in der DDR politisch engagieren dürfen. 10. Unter uns besteht Einigkeit, daß sich Christen in der BRD loyal zum Staat verhalten sollen; 90 Vertraulicher Arbeitsbericht des Geschäftsführers des GKA 1.8.1966–28.2.1967 (Aaej HANNOVER, GKA). 91 S. o. Kap. 4.2.1.

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unter uns besteht keine Einigkeit, ob sich Christen in der DDR loyal zu ihrem Staat verhalten sollen.“92

Nach Gäblers Auffassung mussten bei den Begegnungen die genannten Probleme angesprochen und die verschiedenen Argumente dargelegt werden. Als weitere Anregung für die inhaltliche Gestaltung der Begegnungen erstellte der Gesamtkirchliche Referent eine ausführliche Literaturliste93 zu den Themen: „Das Friedenszeugnis junger Christen“, „Deutschlandfrage“, „Deutsche Demokratische Republik“, „Marxismus und Christentum“, „Zum Schußwaffengebrauch durch Grenzsoldaten der NVA“, „Möglichkeiten einer Strategie des internationalen Friedens“. Zum Thema „Deutschlandfrage“ hatte Gäbler nur solche Publikationen angegeben, die für eine Neuorientierung der bundesdeutschen Deutschlandpolitik plädierten, darunter Arbeiten von Wilhelm Wolfgang Schütz, Theo Sommer, Erich Müller-Gangloff und Peter Bender. Um zu erfahren, wie die Begegnungsleiter zu Fragen der „innerdeutschen Beziehungen“ standen, startete die AGEJD im Herbst 1967 eine Repräsentativuntersuchung94. Es handelte sich dabei um eine Vergleichsuntersuchung zu der Umfrage, die vom Institut für angewandte Sozialwissenschaften (infas) im November und Dezember 1966 unter 1.602 Bundesbürgern durchgeführt worden war95. Jene hatte ergeben, dass nach dem Abbau der in der Bundesrepublik lange Zeit vorherrschenden Angst vor östlicher Aggression die westdeutsche Öffentlichkeit sich Mitte der sechziger Jahre offen für unkonventionelle Deutschland-Initiativen zeigte, sofern sie die Grundlagen der Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik nicht in Frage stellten. Die AGEJD wollte durch ihre im September und Oktober 1967 durchgeführte Umfrage unter den Begegnungsleitern erfahren, ob und gegebenenfalls wie sich die Vorstellungen und Interessen der „Multiplikatoren“ in der Ost-West-Arbeit von denen des Bevölkerungsdurchschnitts unterschieden. Für den dafür verwandten Fragebogen wurden die infas-Fragen um einige Fragen zu den Einstellungen zur EKD und zur gesamtkirchlichen Jugendarbeit ergänzt. Von den 323 Fragebögen, die an alle Mitglieder des Gesamtkirchlichen Ausschusses, an alle Leiter der Jugendwerke und Landesjugendpfarrämter sowie an alle Begegnungsleiter, die 1966 und 1967 eine Begegnung in Berlin oder in der DDR geleitet hatten, versandt worden waren, wurden 153 (47,4 %) ausgefüllt zurückgesandt96. Die befragten Ost-West-Begegnungsleiter waren mehrheitlich (57 %) unter 35 Jahre alt. 63 % von ihnen waren hauptamtlich in der Jugendarbeit beschäftigt, 13 % waren 92 EBD. 93 Richtlinien, Hinweise und Formblätter für Ost-West-Begegnungen und Ost-West-Begegnungsseminare in Berlin der AGEJD für 1967 (Aaej HANNOVER, GKR). 94 Auswertung vom April 1968, die am 29.4.1968 von Weisser an die Leiter der kirchlichen und freikirchlichen Jugendwerke, die Landesjugendpfarrer, die Mitglieder des GKA und die Ost-West-Begegnungsleiter gesandt wurde (Aaej HANNOVER, Referat Materialien). 95 Vgl. EBD. 96 EBD.

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nebenamtlich und 21 % ehrenamtlich tätig. 40 % der Befragten rechneten sich theologisch zur „Modernen Theologie“, 14 % zur Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ und 45 % ordneten sich keiner der beiden theologischen Richtungen zu. Die Zahl der SPD-Anhänger (43 %) unter den Begegnungsleitern war über-, die Zahl der CDU-Anhänger (14 %) unterrepräsentiert. 28 % rechneten sich keiner Partei zu. Fast jeder zweite Begegnungsleiter (46 %) besaß in der DDR Verwandte, in der westdeutschen Bevölkerung aber nur jeder vierte (26 %). Noch deutlicher als bei der Allgemeinbevölkerung zeigte sich bei den Begegnungsleitern, dass persönliche Kontakte nach Ostdeutschland zu einem höheren Kenntnisstand über die DDR führten. Zu einem Vergleich aufgefordert, hielten die Begegnungsleiter sowohl den Bereich von Aus- und Fortbildung als auch die sportlichen Leistungen in der DDR für besser als in der Bundesrepublik. Bei der Versorgung mit Konsumgütern und der Vorsorge für Alter und Krankheit sahen sie hingegen die Bundesrepublik vorne. Auf gängige Klischees über die DDR befragt, lehnten die Begegnungsleiter auf der Grundlage ihrer persönlichen Erfahrungen diese deutlich häufiger ab als die Gesamtbevölkerung. Auf die Frage nach den territorialen Vorstellungen von der Wiedervereinigung nannten 85 % der Begegnungsleiter die Gebiete der Bundesrepublik, der DDR und Berlin. Diese räumlich reduzierten Wiedervereinigungswünsche fanden sich 1966 auch bei immerhin 57 % der bundesdeutschen Bevölkerung. Dennoch war die weitaus höhere Zahl derer, die sich unter den evangelischen Jugendleitern für einen Verzicht auf die Oder-Neiße-Gebiete, das Sudetenland und Ostpreußen aussprachen, bemerkenswert. Denn unter ihnen befanden sich 3 % mehr Heimatvertriebene als unter den von infas Befragten. Die sozialliberale Ost- und Deutschlandpolitik der siebziger Jahre konnte somit in diesen Kreisen auf erhöhte Resonanz stoßen. Nur noch 33 % der Begegnungsleiter – gegenüber 29 % der Gesamtbevölkerung – hielten die Wiedervereinigung für die wichtigste Aufgabe der Politik. Hinsichtlich der zeitlichen Dimension waren sie pessimistischer als die Bevölkerung: nur 18 % hielten die Wiedervereinigung in den nächsten zehn Jahren für möglich (Gesamtbevölkerung: 47 %). Deutlich klafften auch die Meinungen in der Frage auseinander, ob man die Teilung für einen unerträglichen Zustand halte. Letzteres war nur bei 3 % der Jugendleiter der Fall (Gesamtbevölkerung: 26 %). Die Schuld für verpasste Chancen in der Wiedervereinigungsfrage gaben zwei Fünftel der Bevölkerung und ein Viertel der Begegnungsleiter dem „Osten“. Eine fast ebenso große Gruppe der Bevölkerung (39 %) und jeder dritte Begegnungsleiter (33 %) war der Meinung, „der Westen“ könne von einer Mitschuld nicht freigesprochen werden. Weitere 10 % der Bundesbürger und immerhin fast zwei Fünftel der Leiter (38 %) machten allein den Westen verantwortlich. Die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung (58 %) und fast alle Begegnungsleiter (89 %) hielten eine politische Entspannung zwischen der DDR und der Bundesrepublik in der Zukunft für möglich. Auf die Fragen nach den Zugeständnissen für die Wiedervereinigung antworteten die Begegnungsleiter gegenläufig zur Gesamtbevölkerung. Drei Fünftel der evangelischen Jugendvertreter (69 %) waren für die Anerkennung der DDR, um der Wieder-

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vereinigung näher zu kommen, während unter der Gesamtbevölkerung 58 % dagegen waren. Ebenso war die überwiegende Mehrheit der Begegnungsleiter für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze (78 %), während nur jeder dritte Bundesbürger zu dieser Konzession bereit war. Deutliche Unterschiede zeigten sich auch bei der Bereitschaft, nach einer Wiedervereinigung die „Errungenschaften der DDR auf sozialem Gebiet“ beizubehalten: 73 % der Begegnungsleiter waren dafür, unter der Gesamtbevölkerung waren es nur 41 %. Bei der Frage nach der Zulassung der KPD in der Bundesrepublik klafften die Meinungen ebenfalls auseinander: 85 % der Begegnungsleiter, aber nur 37 % der Gesamtbevölkerung stimmten ihr als Zugeständnis für die Wiedervereinigung zu. Bei den politischen Konzepten zur Überwindung der Teilung hielten weder die Bevölkerung noch die Begegnungsleiter eine Politik der Härte für aussichtsreich. Die Begegnungsleiter versprachen sich am meisten von einer Politik der Anerkennung der DDR (58 %). Die Mehrheit der Gesamtbevölkerung (59 %) setzte hingegen auf eine Politik der kleinen Schritte ohne rechtliche Anerkennung der DDR, für die sich nur 10 % aussprachen. Den Schlüssel für die Wiedervereinigung sah jedoch die Mehrheit der Begegnungsleiter und Bundesbürger in Moskau liegen. Nach Meinung fast aller Bundesbürger und Begegnungsleiter hatte die Sowjetunion jedoch kein Interesse an der Wiedervereinigung. Auch das Engagement der westlichen Bündnispartner wurde angezweifelt. Ein wirkliches Wiedervereinigungsinteresse wurde nur der Bundesrepublik zugesprochen. Allerdings waren weitaus mehr Begegnungsleiter als Bundesbürger (30 % : 12 %) der Ansicht, dass die DDR auch an der Überwindung der Teilung interessiert war. Für die verschiedenen Möglichkeiten einer Annäherung zwischen den beiden deutschen Staaten (wirtschaftliche Zusammenarbeit, Teilnahme der DDR-Mannschaft an den Olympischen Spielen 1972, Passierscheine für die Zonenrandgebiete) erwiesen sich die Begegnungsleiter insgesamt offener und optimistischer als die Gesamtbevölkerung. Im eigenen Bereich sprach sich allerdings nur knapp mehr als die Hälfte der Begegnungsleiter (59 %) für Gespräche zwischen der Evangelischen Jugend und der FDJ aus. Hingegen waren 75 % für Kontakte zwischen anderen Jugendorganisationen und der FDJ. Besonders aufgeschlossen zeigten sich die Begegnungsleiter für Schritte der Großmächte, die zu einer Entspannung in Mitteleuropa und damit auch zu einer Entspannung zwischen den beiden deutschen Staaten beitragen konnten. Mehrheitlich (85 %) erwarteten sie von einer Abrüstung auch Schritte zur Beendigung der deutschen Teilung; die Aussichten dafür wurden jedoch nicht besonders optimistisch beurteilt. Fast alle Begegnungsleiter (99 %) hätten eine Einigung zwischen der USA und der UdSSR begrüßt – auch wenn die Abrüstung ohne Zustimmung Deutschlands zustande käme (92 %). Vier Fünftel (81 %) der Jugendmitarbeiter hielten eine Einigung von Washington und Moskau in der Deutschlandfrage für wünschenswert, doch fast die Hälfte (48 %) schloss eine Einigung der beiden Großmächte ohne ein deutsches Zutun aus. Gäbler zog aus den Umfrageergebnissen zu den „gesamtdeutschen Vorstellungen“ konkrete Schlussfolgerungen für die Arbeit der AGEJD, die deutlich von seiner eigenen (deutschland-)politischen Position bestimmt waren. So sollte die Evangelische Jugend:

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– dafür sorgen, dass im Bundesjugendring sowie in den Landes- und Kreisjugendringen Wege zur Annäherung zwischen den beiden deutschen Staaten diskutiert wurden;

– die Bezugsbedingungen von DDR-Literatur publik machen sowie im jugendpolitischen Bereich und in der Öffentlichkeit für den freien Verkauf von DDR-Literatur eintreten;

– die Ost-West-Begegnungen bewusst und planmäßig in ihre jugendpolitische Bildungsarbeit einbeziehen;

– sich öffentlich für die territoriale Reduktion der Wiedervereinigungsforderung aussprechen;

– zur öffentlichen Meinungsbildung in der Frage politischer Zugeständnisse für die Wiedervereinigung – einschließlich der Anerkennung der DDR – beitragen;

– alle sich bietenden Gelegenheiten einer wirtschaftlichen und sportlichen Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten fördern und z. B. zusammen mit anderen Jugendorganisationen dafür eintreten, dass der Sportaustausch durch politische Vorbehalte der Bundesrepublik nicht blockiert wurde; – selbst Gespräche mit der FDJ führen.

Die AGEJD befragte ihre westdeutschen Begegnungsleiter aber auch nach deren gesamtkirchlichen Vorstellungen. Für fast alle (92 %) gab es eine Einheit der evangelischen Christen in Deutschland. Zu den Hauptgründen für diese Einheit zählten für sie: der gemeinsame Glaube (33 %), die Existenz der EKD (23 %), das gemeinsame Bekenntnis (14 %), die organisatorische Einheit (12 %), die geschichtliche Verbundenheit (11 %), die persönlichen Kontakte und Begegnungen (10 %). Das kirchlich-religiöse Motiv dominierte demnach. Nur selten genannt wurden: die ökumenische Verbundenheit (4 %), das gemeinsame Abendmahl und die Taufe (2 %), die Fürstenwalder Erklärung (2 %) und die gegenseitige finanzielle Hilfe (1 %). Mehr als die Hälfte der Befragten (58 %) sah in der EKD den angemessenen Ausdruck für die kirchliche Einheit; 39 % waren gegenteiliger Ansicht. Auf die Frage nach den Gründen für die Einheit der EKD wurden genannt, wobei Mehrfachnennungen möglich waren: die geistliche und ökumenische Einheit (81 %), die organisatorische Einheit (57 %), die geschichtlichen Gemeinsamkeiten (51 %), die theologische Übereinstimmung (36 %). Fast alle Begegnungsleiter (95 %) befürworteten die volle Abendmahlsgemeinschaft innerhalb der EKD. Zur Intensivierung der Zusammenarbeit der „Evangelischen Kirchen der BRD und der DDR“ schlugen sie eine Vielzahl von Maßnahmen vor. Dazu zählten: vermehrte Kontakte auf allen Ebenen, gemeinsame öffentliche Erklärungen, gemeinsame Fürbitte, Mitarbeiteraustausch, Neuwahl des Ratsvorsitzenden, Abschaffung der Landeskirchen, Betonung der Verantwortung füreinander, Distanznahme der Kirche zum „System“ der Bundesrepublik, stärkeres Engagement der EKD auf gesellschaftspolitischem Gebiet, Gespräche mit der DDR-Regierung, Anerkennung der DDR. Auf die Frage, ob es eine Einheit der Evangelischen Jugend in Deutschland gebe, antworteten 64 % mit Ja und 34 % mit Nein. Die Befürworter nannten als Zeichen für die Einheit der Evangelischen Jugend: die Jugendkammer, die AGEJD, die persönlichen Begegnungen, die organisatorische, geistige und geistliche Zusammengehörigkeit, die gleiche Zielsetzung, den gemeinsamen Glauben, das gemeinsame Bekenntnis und das gemeinsame Zeichen (Kreuz auf der Weltkugel). Auf die schwierige Frage, worin sich

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die Einheit der EKD von der Einheit der EJD unterscheide, antworteten nur drei Fünftel. Von diesen sah jeder fünfte Befragte keinen Unterschied. Die anderen nannten folgende Unterscheidungsmerkmale: die EJD kenne keine organisatorische Einheit; die EJD unterscheide sich in der Struktur der Zusammenarbeit und in der Form der Organisation; die EJD praktiziere Einheit; die EJD sei eine Arbeitsgemeinschaft; die EJD sei unpolitisch; die EJD bestehe aus der landeskirchlichen und freikirchlichen Jugend; die EJD kenne keine Leitung wie die EKD. Zur Intensivierung der Zusammenarbeit der Evangelischen Jugend in beiden deutschen Staaten wurden dieselben Vorschläge gemacht wie zur Intensivierung der Zusammengehörigkeit der EKD. Darüber hinaus wurden vorgeschlagen: das Studium an DDR-Universitäten, gemeinsame Freizeiten in Ostblockstaaten, Gespräche zwischen den hauptamtlichen Mitarbeitern. Nach ihren Motiven befragt, warum sie Ost-West-Begegnungen durchführten, nannten die Jugendleiter: den Wunsch nach Kontakten (36 %), nach Information (21 %), nach Aufrechterhaltung der Verbindung (19 %), nach grenzübergreifender Verständigung (17 %), nach Förderung kirchlicher Einheit (16 %), nach geistlichem Austausch (15 %), nach Gesprächen (10 %). Die kirchlich-theologischen Motive spielten demnach eine sekundäre Rolle. Nach Ansicht der Befragten verbanden die Begegnungsleiter und -teilnehmer aus der Bundesrepublik und der DDR mit den Ost-WestBegegnungen den Wunsch nach persönlichen Kontakten, nach gegenseitiger Information, nach geistlichem Austausch, nach Horizonterweiterung, nach gegenseitiger Korrektur, nach besserem gegenseitigen Verstehen, nach einem offenen Gespräch. Nicht zuletzt spielte auch die Neugierde eine Rolle. Der Wunsch nach finanzieller Unterstützung war im Vergleich zu früheren Jahren und angesichts des gestiegenen Lebensstandards in der DDR in den Hintergrund getreten. Bei der Frage nach der Reihenfolge der wichtigsten Programmpunkte für eine Ost-West-Begegnung wurden am häufigsten genannt: 1. persönliche Gespräche, 2. Bibelarbeit, 3. Information über politische Fragen, 4. Erfahrungsaustausch über die Jugendarbeit, 5. Gottesdienste, 6. kulturelle Veranstaltungen, 7. Besichtigungen von Sehenswürdigkeiten. Obgleich die von ihm als besonders wichtig herausgestellte Arbeit über politische Fragen nur an dritter Stelle in der Gunst der Begegnungsleiter stand, wertete Gäbler das Ergebnis der Befragung zur Begegnungsarbeit als Bestätigung des bisher von Gesamtkirchlichem Ausschuss und Referenten eingeschlagenen Weges. Eine wichtige Informationsquelle über den Stand der Begegnungsarbeit waren die sachlichen Berichte, welche die Begegnungsleiter über die durchgeführten Veranstaltungen an das Gesamtkirchliche Referat zu senden hatten. Dort wurden sie ausgewertet und eine Zusammenfassung erstellt, die weder Namens- noch Ortsangaben enthielt. Diese gingen an das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, das die Begegnungen – wie auch die materiellen Hilfeleistungen der AGEJD für die Junge Gemeinde in der DDR – noch immer finanziell bezuschusste97. Vertreter des Bundes97 Im Rechnungsjahr 1965 erhielt die AGEJD vom BMG für ihre „gesamtdeutschen Aufgaben“ (gesamtdeutsche Jugendbegegnungen, Verwaltung, Beschaffung von Einrichtungsgegenständen für Ju-

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ministeriums konnten vor Ort in Stuttgart auch unmittelbar in die Einzelberichte Einblick nehmen98. Das Bundesministerium wertete seinerseits die zusammenfassenden Sachberichte des Gesamtkirchlichen Referenten für sich aus, gab die gewonnenen Erkenntnisse jedoch nicht an die Öffentlichkeit. Im Jahr 1967 kam es über die Gestalt der Berichte zu einer Auseinandersetzung zwischen der AGEJD und dem Ministerium. Die AGEJD lehnte es mit Erfolg ab, detaillierte Angaben über Vorträge und Diskussionen zu machen und die Namen der Referenten zu nennen99. Sie argumentierte, dass andernfalls das bestehende Vertrauensverhältnis zwischen den Begegnungsteilnehmern gestört werde und die ostdeutschen Jugendlichen in ihrem eigenen, wohlverstandenen Interesse zu äußerster Zurückhaltung veranlasst würden. Nach den anonymisierten Berichten verliefen die Begegnungen 1967 ohne nennenswerte Verständigungsschwierigkeiten100. Ihr inhaltlicher Schwerpunkt lag beim Thema „Frieden“, das im selben Jahr auch im Zentrum des Deutschen Evangelischen Kirchentages stand. Ein weiteres, mehrfach behandeltes Sachthema war die Frage der Sexualethik und -pädagogik. Als aktuelles kirchliches Thema dominierte im Jahr des Reformationsjubiläums das Lutherbild. Dabei kritisierten westdeutsche Begegnungsteilnehmer ihre ostdeutschen Partner, dass diese die Anfragen des Marxismus an das kirchliche Lutherbild als tagespolitische Manipulation deuteten und sich nicht auf die dahinter stehenden Fragen an die Sozialethik einließen. Beim Informationsaustausch über politische Fragen ging es um den Vietnamkrieg, den Krieg im Nahen Osten, den Zuwachs der NPD in der Bundesrepublik, die westdeutsche Wirtschaftskrise, die Große Koalition, den Atomwaffensperrvertrag, die Anerkennung der DDR, Wehrdienst und Wehrdienstverweigerung sowie um die westdeutsche Studentenbewegung. Bei einer der Begegnungen spitzte sich die Diskussion auf die Frage zu: Wünschen die ostdeutschen Jugendlichen, dass ihr Staat von der Bundesrepublik anerkannt wird? Die Hälfte der Teilnehmer aus der DDR wollte diese Frage nicht beantworten und verwies dabei auf ihre mangelnden politischen Kenntnisse. Ein Viertel setzte sich leidenschaftlich für die Anerkennung ein und ein Viertel lehnte sie ebenso leidenschaftlich ab. In der Zusammenfassung der Berichte für das Ministerium hieß es hingegen: gendheime, Buchversand, Beihilfen für kirchliche Mitarbeiter, Paket- und Päckchenversand, Industriewaren, Beihilfen für die Junge Gemeinde) aus den Haushaltstiteln 600 und 606: 2.621.188,09 DM; im Rechnungsjahr 1966: 2.665.745,67 DM, darunter 480.000,00 DM für Begegnungen; im Rechnungsjahr 1967: 2.527.936,89 DM, darunter 378.436,89 DM für Begegnungen. Vgl. Niederschrift der Vorprüfungsstelle des BMG vom 26.4.1968 über die örtliche Prüfung bei der AGEJD am 25.–29.3.1968 (BArch KOBLENZ, B 137/4820) und Niederschrift vom 22.4.1968 von OAR Sauer über das Ergebnis örtlicher Erhebungen bei der AGEJD (EBD.). 98 Vgl. Referat II 1 an Referat I 5, 13.5.1968 (BArch KOBLENZ, B 137/4820). 99 Dummler an BMG, 23.3.1967 (Aaej HANNOVER, Korrespondenz mit Ministerien in Bonn). 100 Vgl. Sachlicher Bericht über die Ost-West-Begegnungen und Ost-West-Begegnungsseminare der AGEJD für die Zeit vom 1.1.–31.3.1967/Sachlicher Bericht über die Ost-West-Gruppenbesuche der AGEJD für die Zeit vom 1.1.–31.3.1967 in der DDR (EZA BERLIN, 2/1560); dito für das 2.–4. Quartal 1967 (Aaej HANNOVER, GKR); Auszüge aus Berichten über Ost-West-Begegnungen in Berlin, über Ost-West-Begegnungsseminare in Berlin, über Ost-West-Gruppenreisen in die DDR 2.–4. Quartal 1967 (EBD.).

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„Auf beiden Seiten mehren sich die Stimmen für die Anerkennung der DDR. Zumindest in latenter Weise berührte diese Frage alle Begegnungen.“ Die „Auszüge aus Berichten“ belegen jedoch diese Aussage nicht. In Diskussionen über die Alternative Wehrdienst oder Ersatzdienst formulierten ostdeutsche Teilnehmer den Vorwurf, die jungen Männer in der Bundesrepublik nähmen die Frage des Wehrdienstes zu leicht. Wenig bis gar kein Verständnis zeigten die Ostdeutschen für die „Linkstendenzen“ unter den westdeutschen Teilnehmern sowie für die Anliegen der West-Berliner Studentenbewegung. Die meisten kommentierten: „Sollen sie doch zu uns herüberkommen, dann werden ihnen die Augen schon aufgehen.“ An kirchlichen Themen wurden besprochen: der Kirchentag und die Auseinandersetzungen mit der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Fragen der „modernen Theologie“, die Ostdenkschrift, die Einheit der EKD, neue Gottesdienstformen, Methoden der Jugendarbeit. In Zahlen sah das Begegnungsjahr 1967 wie folgt aus: An den 198 Begegnungen in Ost-Berlin nahmen 2.588 westdeutsche und 3.027 ostdeutsche Jugendliche sowie haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter der Jugendarbeit teil; 31 Gruppen mit insgesamt 384 Mitgliedern und 71 Einzelpersonen fuhren in die DDR101. Damit machten sie 1967 40 % aller vom BMG geförderten Jugendbegegnungen aus; von den westdeutschen Begegnungsteilnehmern stellten sie sogar 61 %102. Die übrigen Begegnungen wurden in erster Linie von Mitgliedern der ESGiD und der katholischen Jugendund Studentenschaft getragen. Nicht-konfessionelle Gruppen wie der Sozialdemokratische Hochschulbund, Die Falken oder die Gewerkschaftsjugend pflegten z. T. Kontakte aus eigenen Mitteln. Trotz der noch immer hohen Begegnungszahlen innerhalb der Evangelischen Jugend waren diese jedoch im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken. Die Zahl der westdeutschen Teilnehmer an Begegnungen und Begegnungsseminaren in Ost-Berlin war 1967 um 35 % zurückgegangen, die der ostdeutschen Teilnehmer um 38 %. Erstmalig seit dem Passgesetz vom Dezember 1957 war damit eine rückläufige Tendenz festzustellen. Gäbler sah die Hauptursachen darin, dass die meisten jüngeren AGEJDMitarbeiter weder Verwandte und Bekannte in der DDR hatten, noch wussten, dass die AGEJD überhaupt Ost-West-Begegnungen förderte103. Er empfahl, dass zukünftig mehr Mitarbeiter als bisher die Möglichkeit erhalten sollten, an Begegnungen bzw. Begegnungskursen teilzunehmen, damit sie anschließend eine Begegnung leiten konnten104. Als weitere Gründe für den Rückgang nannte er: die Zunahme des allge101 Anlage zum Tätigkeitsbericht des GKA und des Gesamtkirchlichen Referenten der AGEJD für das Jahr 1967 (Aaej HANNOVER, GKR). 102 1967 wurden vom BMG ca. 750 Einzel- und Gruppenbegegnungen mit ca. 5.000 Teilnehmern aus der Bundesrepublik und ca. 15.000 Teilnehmern aus der DDR finanziell gefördert. Vgl. Bericht des Referats II 11 an den Staatssekretär, 31.7.1968 (BArch KOBLENZ, B 137/2291). 103 Tätigkeitsbericht des GKA und des Gesamtkirchlichen Referenten der AGEJD für das Jahr 1967 (Aaej HANNOVER, GKR). 104 Vgl. EBD. und „Schlussfolgerungen“ in der Auswertung der Umfrage unter Begegnungsleitern vom

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meinen Jugendtourismus ins Ausland sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR; die Intensivierung der internationalen Begegnungen mit Jugendlichen aus den Ostblockstaaten bzw. Frankreichs; gemeinsame Urlaube in Drittländern; die Abnahme der Begegnungshäufigkeit; Begegnungsmüdigkeit durch gegenseitige Entfremdung; Finanzierungsschwierigkeiten für den Partner aus der DDR; höhere Anforderungen an die Vorbereitung und Durchführung von Ost-West-Begegnungen seit 1966105. Waldemar Ritter, der im Januar 1968 die Leitung des Jugend- und Studentenreferats im BMG übernahm, sah noch einen anderen Grund106. Wegen der mittelfristigen Finanzplanung und der Umorganisation im BMG wurden erst im August 1967 die Bewilligungsbescheide versandt, so dass die AGEJD im ersten Halbjahr zahlreiche Begegnungsvorhaben absagen musste. Da dieser Umstand für das Folgejahr aber nicht mehr zutraf, die westdeutschen Teilnehmerzahlen aber auf dem niedrigeren Niveau blieben, konnte dies nicht die primäre Ursache für den Rückgang sein. Man hat es hier vielmehr mit einem multikausalen Vorgang zu tun. Im Jahr 1968 stagnierte zwar die Zahl der westdeutschen Teilnehmer von Begegnungen in Ost-Berlin, die der ostdeutschen Teilnehmer stieg aber wieder um 23 % an. Die Anzahl der Begegnungen in Ost-Berlin stieg sogar deutlich an (53 %), d. h. man traf sich in kleineren Gruppen. Während die Kontrollen beim Übergang in der ersten Jahreshälfte relativ reibungslos verliefen, wurden sie nach dem Einmarsch der Warschauer Paktstaaten in die DSSR verschärft. In ca. 18 % der Berichte wurde auf Verhöre hingewiesen. Insgesamt reisten 986 Westdeutsche zwischen 18 und 25 Jahren zu 78 Ost-West-Begegnungen und 1.575 zu 120 Ost-West-Begegnungsseminaren nach OstBerlin. 307 Glieder der AGEJD fuhren in 27 Gruppen in die DDR, 78 Personen reisten allein, wobei die DDR-Fahrten überwiegend in die Zeit der Leipziger Messe fielen107. Auf ostdeutscher Seite nahmen insgesamt 3.734 Personen an Begegnungen teil. Damit stellte die AGEJD bei den vom BMG geförderten westdeutschen Begegnungsteilnehmern einen Anteil von 58 %, bei den ostdeutschen Begegnungsteilnehmern von 45 %108. Für ihre gesamtdeutschen Begegnungen erhielt die AGEJD 1968 vom Bund eine zweckgebundene Zuweisung von 423.764,86 DM109. Dazu kamen 21.041,42 DM von der EKD sowie 247.361,00 DM aus Eigenmitteln der Träger der Begegnungen und

April 1968, die am 29.4.1968 an die Leiter der kirchlichen und freikirchlichen Jugendwerke u. a. gesandt wurde (Aaej HANNOVER, Referat Materialien). 105 Tätigkeitsbericht des GKA und des Gesamtkirchlichen Referenten der AGEJD für das Jahr 1967 (Aaej HANNOVER, GKR). 106 Ritter an Dellingshausen, 13.5.1968 (BArch KOBLENZ, B 137/4820). 107 Vgl. Sachlicher Bericht über die Ost-West-Begegnungen – Ost-West-Begegnungsseminare in Berlin – Ost-West-Gruppenreisen und Ost-West-Einzelreisen in die DDR der AGEJD, Stuttgart, Berichtszeitraum: 1.1.1968– ca. 31.5.1968; dito, Berichtszeitraum: 1.6.–31.12.1968 (Aaej HANNOVER, Zusammenfassende Sachberichte). 108 Vgl. die vom BMG zusammengestellten Begegnungs- und Teilnehmerzahlen bei gesamtdeutschen Jugendbegegnungen im Rechnungsjahr 1968 (BArch KOBLENZ, B 137/2294). 109 Vorläufiger/berichtigter Wirtschaftsplan für das Rechnungsjahr 1970/1969 vom 11.9.1969 (Aaej HANNOVER, 1969 BMB).

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aus Teilnehmerbeiträgen. Demnach wurde fast die Hälfte (47 %) der Unkosten für die gesamtdeutschen Begegnungen aus staatlichen Mitteln finanziert. Auch 1968 setzte sich bei den Begegnungen der Trend zu einer Politisierung der Gesprächsthemen fort. Die Diskussionen über aktuelle politische Fragen, die zumeist sachlich, gelegentlich aber auch hart geführt wurden, drehten sich vorrangig um drei Themen. Dazu zählte die neue DDR-Verfassung. Vor allem kirchliche Mitarbeiter aus der DDR äußerten hier ihre Sorge, dass es zur Einschränkung kirchlicher Rechte kommen würde. Ein zentrales Thema war auch die Lage in der DSSR vor und nach der Intervention. Die Atmosphäre und die Gespräche der Begegnungen, die nach der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings stattfanden, waren wesentlich von diesem Ereignis geprägt. Viele Begegnungsteilnehmer hielten sich nun bei der Behandlung politischer Themen auffallend zurück. Einige äußerten sogar den Wunsch, dass während der Begegnung ausschließlich über kirchliche Themen diskutiert wurde. Der dritte, wichtige Gesprächsgegenstand der Begegnungen waren die Studentenunruhen in der Bundesrepublik. Die DDR-Teilnehmer brachten nur wenig Verständnis für die Ereignisse an den westdeutschen Hochschulen und die Radikalisierung der studentischen Linken auf; zum Teil verurteilten sie diese als Missbrauch von Freiheit. In den Arbeitsgruppen und Diskussionen ergaben sich oft Schwierigkeiten, die aus dem Zusammenprall von sozialistischen Theoriengebäuden bundesdeutscher Teilnehmer mit den negativen existenziellen Erfahrungen von DDR-Teilnehmern im real existierenden Sozialismus resultierten. Das Thema „Anerkennung der DDR“ spielte keine zentrale Rolle in den Diskussionen. Nur in einigen Berichten wurde von beiden Partnern das Alleinvertretungsrecht der Bundesrepublik kritisiert und die Anerkennung der DDR gefordert. Bei den Diskussionen über kirchenpolitische Fragen ging es oftmals um die kirchliche Standortsuche in der DDR und in der Bundesrepublik. Viele Gruppen kamen zu dem Ergebnis, dass sich die Kirche hier wie dort den gesellschaftlichen und politischen Problemen der Zeit stellen musste. Die Kontakte unter den Teilnehmern wurden allgemein als gut bezeichnet, jedoch hatte der Enthusiasmus früherer Jahre einer gewissen Nüchternheit Platz gemacht. Zum Teil war auch Begegnungsmüdigkeit zu spüren. Trotzdem wurde in fast allen Berichten für die Weiterführung der Begegnungsarbeit plädiert. Viele der Begegnungsleiter forderten eine kritische Analyse der bisherigen Begegnungen, um anhand der Ergebnisse und auf Grund „der sich abzeichnenden Veränderungen der gesellschaftlichen, politischen und kirchlichen Situation zu einer neueren und eventuell auch wirkungsvolleren Begegnungsarbeit zu kommen.“ In der ESG hatten Überlegungen, die Partnerarbeit neu zu konzipieren, schon 1967 eine wichtige Rolle gespielt. Auch im Folgejahr ließen die Vorstöße der Vertreter der Gesamtarbeit in dieser Sache nicht nach. In einem Rundschreiben vom Herbst 1968 sprach der neue Berlin-Referent, der Medizinstudent Martin Lange, von der „Misere“ der partnerschaftlichen Arbeit110. Nach der Betreuung von ungefähr 40 Treffen in Ost110 Lange an Pohlmann u. a., 6.10.1968 (EZA BERLIN, 36/289).

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Berlin111 hatte er den Eindruck, dass die Funktion der Partnerarbeit und ihr Stellenwert im Gemeindeleben in den Studentengemeinden der beiden deutschen Staaten differierten. In der DDR beschäftigten sich die Gemeinden während des Semesters intensiv mit dem Thema des bevorstehenden Partnertreffens und stellten anschließend auf dem Treffen die Ergebnisse ihrer Arbeit zur Diskussion. In der Bundesrepublik kümmerte sich hingegen die einzelne Gemeinde nicht in ihrer Gesamtheit um die Partner in der DDR. Ihre Rolle beschränkte sich zumeist auf die Finanzierung der Berlinreise von Einzelpersonen. Ein Bewusstsein der Partnerschaft und die Vorstellung von gemeinsamen Aufgaben waren laut Lange nicht existent. Dieses vom Berlin-Referenten beobachtete Phänomen hatte mit dem Differenzierungsprozess in den bundesdeutschen Studentengemeinden zu tun. Die offene, plurale Gesellschaft der Bundesrepublik bot ihnen eine Vielfalt an Möglichkeiten des gesellschafts- und sozialpolitischen Engagements, die in der entdifferenzierten DDR-Gesellschaft nicht vorhanden waren. Lange sah allerdings eine andere Ursache für das unterschiedliche Engagement der west- und ostdeutschen Studentengemeinden in der Partnerarbeit, die jedoch mit der Zuvorgenannten zusammenhing. Seiner Einschätzung nach waren die „tendenziell westorientierten“ Gemeinden in der DDR aufgrund ihrer „Überwinterungsstrategie“ für die „mit Sicherheit nicht DDR-orientierten“ bundesdeutschen Studentengemeinden als Partner uninteressant geworden und wurden nicht als „emanzipierter Partner“ anerkannt. Lange, selbst ein Aktivist in der Studentenbewegung, führte dies auf das teilweise „elitäre Bewußtsein“ vieler westdeutscher ESG-Mitglieder zurück, die sich in der APO engagierten. Um hier Abhilfe zu schaffen, schlug der Berlin-Referent vor, auf Partnertreffen solche Themen zu diskutieren, bei denen für alle an der Diskussion Beteiligten „die Übertragbarkeit der theoretischen Ergebnisse in praktische Prozesse“ möglich war. Seine Themenvorschläge dokumentierten indes seine Absicht, die Linkspolitisierung der westdeutschen Studentengemeinden auf die Partnerarbeit zu übertragen. Als Beispiele nannte er folgende fünf Themen: – die Auseinandersetzung mit theoretischen sozialistischen Texten mit dem Ziel, dass sich

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die ostdeutschen Studenten aus ihrer ambivalenten Haltung gegenüber ihrer Gesellschaft lösten; wissenschaftstheoretische Diskussionen; die Auseinandersetzung mit der „Theologie der Befreiung“; die Analyse der bundesdeutschen Gesellschaft und der bundesdeutschen Politik, um die „emotionale Anhänglichkeit“ der DDR-Studenten an westliche Gesellschaftsformen abzubauen und den bundesdeutschen Studenten ihren gesellschaftlichen Kontext klar werden zu lassen; Diskussionen über die DDR im Stil der Analysen von Werner Hofmann, Jürgen Habermas und Herbert Marcuse, um die ostdeutschen Studentengemeinden zur Erkenntnis des eigenen Kontextes und der eigenen Aufgaben und Möglichkeiten zu führen und unter den bundesdeutschen Studenten eine Versachlichung der DDR-Diskussion zu erreichen.

111 Arbeitsbericht des Berlinreferenten April 1968–Jan. 1969. Anlage zum Protokoll der DK der ESGiD am 17.–23.2.1969 (EZA BERLIN, 36/479).

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Zur Umsetzung dieses Themenkatalogs schlug Lange vor, statt der bisherigen „kontemplativ[en]“ Partnertreffen in Ost-Berlin Seminare abzuhalten, zu denen eine oder mehrere west- und ostdeutsche Gemeinden eingeladen wurden, die sich gut vorzubereiten hatten. Die Initiative sollte zunächst bei den DDR-Gemeinden liegen, da sie nach Langes Auffassung den Treffen höhere Bedeutung zumaßen. Auf der Sitzung des Arbeitsausschusses der Delegiertenkonferenz Ende Oktober wurde Langes Vorschlag, gemeinsame Seminare von ost- und westdeutschen Gemeinden zu veranstalten, in denen vor allem eine gründliche Auseinandersetzung mit den Grundlagen des Marxismus erfolgen sollte, angenommen. Erst auf diese Weise, so die einhellige Meinung, werde eine Kritik der gesellschaftlichen Praxis in der DDR für beide Teilnehmergruppen von einer „fundierten sozialistischen Basis“ her möglich und die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis qualifizierbar. Auch der Amerikaner Keith Chamberlain, zu dieser Zeit ausländischer Studiensekretär in der Geschäftsstelle der ESG in West-Berlin, formulierte in seinem Rechenschaftsbericht Vorschläge für eine Reform der Partnerarbeit112, in denen die ostdeutschen Studenten zu Objekten neomarxistischer Schulung wurden. Denn wie Lange war auch Chamberlain der Auffassung, dass die Partnerbeziehungen unter dem falschen Bewusstsein der DDR-Studenten litten. Über Jahre hinweg hätten sie sich nicht ausreichend mit ihrer eigenen Gesellschaftsform auseinandergesetzt. Ein Großteil der Studenten hätte die eigene Situation mit vornehmlich westlichen Kategorien – vor allem einem westlich-parlamentarischen Demokratieverständnis – zu kritisieren versucht. Chamberlain versprach sich hier Abhilfe durch Kontakte von ostdeutschen Gemeinden mit Studenten aus dem sozialistischen Ausland. Die Studentengemeinden in der DDR waren für den Amerikaner allerdings nicht nur Objekte seiner Kritik. Gegenüber den westdeutschen Gemeinden, ihrer starken Politisierung und theologischen Ambivalenz, offerierte er ihnen eine Korrektivaufgabe. Sie sollten jene beharrlich nach der theologischen Relevanz der Praxis der Studentengemeinden in der Bundesrepublik befragen. Chamberlain wollte somit die theologischen Unterschiede zwischen den Gemeinden in beiden deutschen Staaten konstruktiv nutzen. Der Ost-Berliner Geschäftsstellenleiter Klaus-Peter Hertzsch ging in seiner Zwischenbilanz nach zwei Jahren Arbeit gleichfalls kritisch auf die Partnerschaft zwischen den ost- und westdeutschen Gemeinden ein113. Er schlug vor, sie zukünftig als Möglichkeit zum verantwortlichen Sachgespräch „im Interesse des Friedens in Europa und des Beitrags der Christen dazu“ zu praktizieren. Zu den studentischen Arbeitstagungen sollte immer weniger unter dem Gesichtspunkt der Partnergemeinden eingeladen werden und immer mehr nach dem Gesichtspunkt von Sachinteressen und Sachkenntnis unter den Studenten aller Gemeinden. Ein derartiger Vorschlag wurde in den Folgejahren noch mehrmals sowohl von ost- als auch von westdeutscher Seite formuliert. Zum Teil war er als Ergänzung des jahrzehntelang

112 Vgl. G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 97. 113 Zwischenbilanz auf der Sitzung des Beirates DDR am 9./10.12.1968 (EZA BERLIN, 104/984).

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praktizierten Prinzips der Partnergemeindetreffen gedacht, zum Teil als dessen Ablösung, zu der es aber nicht kam114. Die Diskussionen um die „Krise“ der Partnerarbeit und die Überlegungen zu ihrer Reform zogen sich in den west- und ostdeutschen Gremien der ESG bis in das zweite Drittel der siebziger Jahre hinein115. Die Fortführung der Partnerarbeit wurde dabei von beiden Seiten nie in Frage gestellt, jedoch ihr gesellschaftspolitischer Ertrag als gering eingeschätzt. Daher sollten Grundlagen und Gestalt der Partnertreffen sowie die Auswahlkriterien für ihre (ostdeutschen) Teilnehmer verändert werden. Im Kontext der prosozialistischen Option des christlichen Studentenweltbundes während der späten sechziger und der siebziger Jahre verfolgten die Geschäftsstellen und Gremien der Studentengemeinde in West- und Ostdeutschland auch weiterhin die Entnationalisierung und Linkspolitisierung der Partnerarbeit.

114 NOACK verweist auf den Versuch von Skladny, die Partnerbeziehungen zwischen den einzelnen Studentengemeinden ganz in Konferenzen der Gesamtarbeit „aufzuheben“. Vgl. A. NOACK, Feindobjekt, S. 318. Von westdeutscher Seite wurde die Einführung von Seminaren, die in ihrer Zusammensetzung vom Partnergemeindeprinzip abrückten, von dem so genannten 2. Berliner Team vorgeschlagen, das 1969 speziell für die Reform der Partnerarbeit eingesetzt wurde. Vgl. Martin Lange: Analyse der partnerschaftlichen Beziehungen zwischen ESG’n in der BRD und der DDR, 26.10.1969. Abdruck in: G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 260–263, hier S. 262f. 115 Vgl. zur Diskussion in der DDR: A. NOACK, Studentengemeinden, S. 210–220; zur Debatte in der Bundesrepublik: G. SOMMER, Grenzüberschreitungen, S. 110–127.

Zusammenfassung

4.4 Zusammenfassung Für die EKD wurde im Laufe der sechziger Jahre der Spagat zwischen Ost und West immer schwieriger. Die gefährdete Kircheneinheit zwang sie einerseits zu politischer Zurückhaltung, andererseits verstärkte sich innerhalb der ostdeutschen Kirchen der Wille, in ihrer „Situation“ und Gesellschaft präsent zu sein, während im Westen die (Links-)Politisierung sowie der Streit darüber innerhalb der Kirche noch einmal zunahm. Das veränderte kirchliche Gesellschaftsverhalten war Ausdruck des sukzessiven Modernisierungsprozesses innerhalb des deutschen Protestantismus und des Einflusses ökumenischer Entwicklungen im Bereich der Sozialethik; die Rahmenbedingungen und Spielräume dafür waren in beiden deutschen Teilstaaten diametral verschieden. Und auch die gesellschaftspolitischen Fragen und Probleme, welche die jeweilige kirchliche Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen und zu denen man sich äußern wollte, waren oft andere oder ungleichzeitige. Ein gemeinsames kirchliches Thema wiederum, der Umgang mit der NS-Vergangenheit, war tief in die Beziehungs- und Abgrenzungsgeschichte der beiden deutschen Staaten eingebettet. So versuchten SED-Vertreter 1965, den 20. Jahrestag des Kriegsendes dafür zu nutzen, sowohl die ostdeutschen Landeskirchen untereinander zu differenzieren als auch den Gegensatz zwischen den östlichen Gliedkirchen und der „revanchistischen“ EKD zu vertiefen. Um diesen Absichten zu begegnen, wurde ein gemeinsames EKD-Wort verabschiedet. Dessen Entstehungsgeschichte wiederum zeigte, wie schwer es war, angesichts der deutsch-deutschen Spaltung der Erinnerung sowie des Konflikts um die „Vergangenheitsbewältigung“ innerhalb der Bundesrepublik einen für beide Teile Deutschlands zutreffenden Bußruf zu formulieren. Das gemeinsame Wort betonte schließlich den Versöhnungsgedanken, der sich auch auf das politische Leben im geteilten Deutschland auswirken sollte. Frieden und der auf ihn zielende Vorgang der Versöhnung waren seit Mitte der sechziger Jahre Leitidee und Leitlinie deutschland- und ostpolitischer Initiativen im protestantischen Bereich. Die Wertgrößen „Volk“, „Nation“ und „Vaterland“ traten hinter ihnen zurück und erfuhren im ost- und westdeutschen Protestantismus unter differierenden politisch-gesellschaftlichen Bedingungen eine je kontextgebundene Pazifizierung bzw. Demokratisierung. In den ostdeutschen Kirchen lag der Schwerpunkt auf einer Befriedung des Nationalbewusstseins, denn im „Friedensstaat“ DDR konnte man sich, ohne die Machtfrage zu stellen, auf den Frieden berufen, nicht aber auf die Demokratie. So erfolgte die „Entzauberung“ des Vaterlandbegriffs vornehmlich in Stellungnahmen zu Friedens- und Wehrdienstfragen, wie etwa in der Handreichung „Zum Friedensdienst der Kirche“ von 1965. Darin distanzierten sich die Kirchen von ihrer nationalprotestantischen Vergangenheit, sie wehrten sich aber auch gegen einen aggressiven DDR-Patriotismus, wie ihn zu dieser Zeit die Staats- und Parteispitze mit Hilfe einer Hasspropaganda gegen deklarierte Vaterlandsfeinde, insbesondere die

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Bundesrepublik, auszubilden versuchte. Dasselbe Wort offenbarte aber auch einen kirchlichen Ost-West-Gegensatz in der Wehrdienstfrage, da sich in den DDR-Kirchen kontextgebunden pazifistische Tendenzen durchsetzten. Eine gemeinsame EKDHandreichung zu diesem Themengebiet war daher nicht mehr möglich. Mit der Bevorzugung der Wehrdienstverweigerung provozierten die ostdeutschen Kirchen aber zugleich auch den SED-Staat, der den Dienst in der NVA als „Friedensdienst“ propagierte. Die EKD wagte derweil mit ihrer Ostdenkschrift einen ostpolitischen Vorstoß mit deutschlandpolitischen Rückwirkungen. Die Denkschrift entstand unter Beratung und Zustimmung der ostdeutschen Gliedkirchen, zielte aber auf Grund der in Ostund Westdeutschland erheblich differierenden Vertriebenen-/Umsiedler- und Ostpolitik in erster Linie auf die Bundesrepublik. Dort brachte sie und ihr Appell zur Versöhnung mit dem polnischen Volk Bewegung in erstarrte politische Positionen und ebnete damit der „neuen Ostpolitik“ der sozial-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Brandt den Weg. Sie befreite die Frage der Ostgebiete von einer exklusiv nationalen Perspektive und forcierte die Entflechtung der Problemkreise Wiedervereinigung und Oder-Neiße-Grenze. Der geografische Bedeutungsgehalt des Begriffs „Deutschland“ reduzierte sich auf die beiden deutschen Staaten. Die Ostdenkschrift und die Debatte um Schuld und Versöhnung wurden überdies zu Katalysatoren der im westdeutschen Mehrheitsprotestantismus vollzogenen Neubestimmung des Nationalen und der Neuformung eines protestantischen Nationalbewusstseins. Denn die Frage des Umgangs mit der NS-Vergangenheit und ihren moralischen und territorialen Folgen war zentral für die Formulierung normativer Vorstellungen nationaler Identität im Nachkriegsdeutschland. Die Anfänge der Auseinandersetzungen um Inhalt und Stellenwert der Größen Volk, Nation und Vaterland und damit nach dem nationalen Bewusstsein und der kollektiven Identität liegen jedoch in der Zeit vor der Denkschrift. Dabei handelte es sich um zwei Diskussionsstränge, die miteinander verwoben waren: Erstens die politische Diskussion über ein neues, (gesamt-)deutsches Nationalbewusstsein oder ein bundesdeutsches Staatsbewusstsein der Westdeutschen, die von prominenten Protestanten wie Thielicke und Gerstenmaier angestoßen worden war und an der sich protestantische Wissenschaftler und Publizisten kontrovers beteiligten. Dahinter standen – grob gesprochen – zwei unterschiedliche Konzepte der Selbstdefinition der Nation: der ethnisch-kulturelle und der staatlich-politische Nationsbegriff. Zweitens der innerkirchliche Streit um eine Wiederaufwertung der Ordnungsgröße „Vaterland“ in der evangelischen Kirche. Darin lehnte eine Gruppe nationalistischer Protestanten die Reflexion deutscher Identität vom Schuld- und Gerichtsgedanken her vehement ab, bezog sich in Reaktion auf den Pluralismus der Moderne auf Volk und Nation als ein festes, einheitsstiftendes und nicht hinterfragbares Fundament und warf der evangelischen Kirche und dem sie bestimmenden „Linksprotestantismus“ einen „Abfall vom Vaterland“ vor. Die Diskussion um „Volk, Nation und Vaterland“ im westdeutschen Protestantismus während der sechziger Jahre hatte vielfältige Bezugsgrößen: die nationalsozialistische Vergangenheit, den gesellschaftlichen Wandel, den demokratischen Rechtsstaat, die deutsche Teilung, die Aussöhnung mit Osteuro-

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pa, die europäische Integration, die Globalisierung, die Entkolonialisierung und den Weltfrieden. Sie führte weder im kirchlichen noch im politischen Raum zu einem völligen Konsens über die Vorstellungen, die hinter diesen Referenzgrößen standen, noch über ihren Stellenwert. Jedoch zeichneten sich Tendenzen ab, die auf einen Paradigmenwechsel hinweisen, der 1945 eingeleitet wurde und Ende der sechziger Jahre im Kontext der allgemeinen Ablösung alter Traditionsbestände eine deutliche Beschleunigung erfuhr: Volk, Nation und Vaterland waren in der Vorstellungswelt der westdeutschen Protestanten insgesamt säkularer und sekundärer geworden. Die Staatsnation wurde hinsichtlich ihrer Binnenordnung demokratischer und pluraler sowie im Hinblick auf ihre Außenbeziehungen pazifistischer gedacht. Nationalkonservative Positionen mit ihrem bedenklichen Irrationalismus und politischen Romantizismus konnten in der evangelischen Kirche keine Deutungshoheit mehr erlangen. Diese Entwicklung hat indes in der wissenschaftlichen Theologie keine ausreichende Begleitung gefunden. Mitte der sechziger Jahre wuchs die Kritik im protestantischen Raum an der Bonner Deutschlandpolitik im Zeichen des Alleinvertretungsanspruchs und der HallsteinDoktrin. Unter dem Einfluss der Ökumene wechselten dabei die Kausalbezüge in der argumentativen Verklammerung von Frieden und Einheit in der Deutschlandfrage: Die Wiederherstellung deutscher Einheit wurde nunmehr als eine langfristige Folge der europäischen Entspannung gedacht und nicht mehr als deren Voraussetzung. Manche Protestanten gingen noch einen Schritt weiter und sahen in der Anerkennung der Zweistaatlichkeit die Voraussetzung für die Friedenssicherung und ein Zeichen der Wahrnehmung einer „gemeinsamen Verantwortung“. Die kontinuierlichen Auseinandersetzungen im Nachkriegsprotestantismus um die deutschlandpolitischen Konsequenzen aus der schuldhaften Vergangenheit drehten sich nunmehr um die Kausalverbindung von Schuldfrage und einem Verzicht auf staatliche Wiedervereinigung. Zunächst erfolgten Vor- und Anstöße seitens einzelner Protestanten. 1965 veröffentlichte Müller-Gangloff sein provokatives Buch „Mit der Teilung leben“. Darin setzte er seine Hoffnungen auf die Generation der Zwanzigjährigen, deren Erfahrungshorizont das geteilte Deutschland war, und forderte einen politischen Bewusstseinswandel weg von einer gesamtdeutschen Wiedervereinigungsrhetorik und hin zu der „gemeindeutschen“ Friedensaufgabe, die den Abschied vom Nationalstaatsdenken des 19. Jahrhunderts und die Einwilligung in die deutsche Teilung erfordere. Nicht mehr die Wiederherstellung nationalstaatlicher Einheit unter bewusstem Souveränitätsverzicht sollte den Frieden sichern, sondern die Existenzsicherung der DDR und Einwilligung in die Teilung. Müller-Gangloff brach ein Tabu, um ein neues zu etablieren: Aus dem Tabu, die Wiedervereinigungsforderung aufzugeben, wurde das Tabu, die Wiedervereinigung zu fordern. Die vor dem Hintergrund bedrohter kirchlicher Einheit stattfindende kirchliche Diskussion um neue Wege in der Deutschlandpolitik, die Bestandteil einer deutschlandpolitischen Debatte in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit war, erreichte 1967 einen Höhepunkt. Zu Beginn des Jahres nutzten kirchenleitende Persönlichkei-

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ten – nach 1964 und 1965 – erneut das Instrument des offenen deutsch-deutschen Briefwechsels, um zu Fragen der Deutschlandpolitik Stellung zu nehmen. Jänicke und Scharf versuchten, indem sie zur Hallsteindoktrin sowie zum Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik vorsichtig auf Distanz gingen und eine übergangsweise Konföderation der beiden deutschen Staaten befürworteten, die EKD von dem Vorwurf zu befreien, sie stütze mit ihrer Einheit die westdeutsche Deutschlandpolitik. Auf dem Kirchentag in Hannover stritten sich Müller-Gangloff und Herbert Wehner über den Grad der deutschlandpolitischen Wende. Die Mehrzahl der Zuhörer teilte Wehners vorsichtige Vorschläge zu einer Normalisierung der deutsch-deutschen Beziehungen im Kontext einer europäischen Entspannungspolitik und mit dem Fernziel einer Wiedervereinigung. Müller-Gangloff forderte hingegen die klare Absage an den Alleinvertretungsanspruch sowie die Anerkennung der DDR und fand damit bei linkspolitisierten jüngeren Protestanten großen Zuspruch, die für „Frieden mit der DDR“ plädierten. Diese deutschlandpolitische Haltung der jüngeren Generation bestätigte sich in einer repräsentativen Umfrage der AGEJD unter bundesdeutschen OstWest-Begegnungsleitern im Herbst 1967. Sowohl in der Deutschland- als auch in der Ostpolitik waren sie zu größeren politischen Zugeständnissen an die DDR und die osteuropäischen Staaten bereit. In einer Befragung unter ostdeutschen Kirchenmitarbeitern und Gemeindegliedern Anfang 1968 hielten sich Befürworter und Gegner einer kirchlichen Unterstützung der Anerkennungsforderung der DDR etwa die Waage, wobei sich vor allem die jüngere, aber auch die mittlere Generation für einen Einsatz der Kirche zugunsten der Anerkennung aussprach. Krummacher votierte in einem Interview im Februar 1968 im Namen der „Christen“ in der DDR für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR. In ihrem Brief aus Lehnin wählten die ostdeutschen Bischöfe hingegen umschreibende Formulierungen, die eher auf eine staatsrechtliche denn eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR hinausliefen. Ihre Hoffnungen richteten sich auf eine geordnete Zusammenarbeit und Annäherung der beiden deutschen Staaten mit dem Ziel der Friedenssicherung und der Verbesserung der humanitären Situation im geteilten Deutschland. Im März 1968 leistete die EKD dann mit ihrer Studie über die „Friedensaufgaben der Deutschen“ einen konzeptionellen Beitrag zur westdeutschen Diskussion um Neuansätze in der Deutschlandpolitik. Der von Protestanten aus beiden Teilstaaten erarbeitete Text relativierte die deutsche Frage, indem er sie in den Zusammenhang der globalen militärischen und sozialen Friedenssicherung sowie der europäischen Integration einordnete. Der souveräne Nationalstaat wurde als normative Größe verworfen und die Nationen nicht mehr als Schöpfungsordnungen, sondern als historische Größen verstanden. Die Autoren unternahmen den Versuch, die gesamtdeutsche Identität durch eine Entemotionalisierung, Pazifizierung und Demokratisierung des deutschen Nationalbewusstseins neu zu formen. Das Nationalbewusstsein sollte sich zukünftig auf gemeinsame Grundwerte sowie auf gemeinsame Aufgaben, die sich aus diesen Grundwerten ergaben, beziehen. Als höchster Grundwert der deutschen Nation galt – dem Willen der ostdeutschen Mitautoren folgend – der Frieden, als zentrale, identitätsstiftende, gemeinsame Aufgabe die Friedensförderung. Das Fernziel dieser

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so definierten Nation sollte keine nationalstaatliche Wiedervereinigung mehr sein, sondern die Neukonstituierung einer ihrer historischen Verantwortung bewussten „politischen Gemeinschaft“ der Deutschen als friedensfördernder Schritt. Damit wurde der Tabubruch, die Anerkennung einer dauerhaften Teilung, vermieden. Während des langen Weges zur neuen „politischen Gemeinschaft“ ging man von der Existenz zweier deutscher Staaten aus, deren Verhältnis sich vom Gegeneinander über das geregelte Nebeneinander zum konstruktiven Miteinander entwickeln sollte. In der Friedensstudie konnten zum letzten Mal für lange Zeit die äußeren und inneren Grenzen gesamtkirchlichen Redens erkundet werden. Eine gemeinsame Sprache wurde dabei teilweise nur um den Preis begrifflicher Ambivalenzen gefunden. Eine Wertung der beiden divergierenden Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme und ihrer Legitimation blieb ausgespart. Wegweisend für die Zukunft aber war, dass in der Studie in einer neuen Weise von der Nation, ihren gemeinsamen Grundwerten und gemeinsamen Friedensaufgaben gesprochen wurde. Somit nahm sie nicht nur durch ihre schwierige gesamtdeutsche Entstehungsgeschichte, sondern auch inhaltlich die späteren „Konsultationen“ und deren Ergebnisse vorweg. Die Vorstellung von einer historisch-moralischen Identität der Deutschen als Verantwortungsgemeinschaft behielt fortan im gesamtdeutschen Protestantismus die Deutungshoheit. Anders als die Ostdenkschrift erzielte die Friedensstudie mit ihrer Empfehlung, die Teilung als längerfristigen Zustand zu akzeptieren und politische Beziehungen zur DDR aufzunehmen, keine tabubrechende Wirkung mehr. Aufgrund ihrer interpretationsfähigen Formulierungen sorgte sie selbst im Bundeskanzleramt, wo man aus Angst vor einer deutschlandpolitischen Störaktion der EKD die Entstehung der Studie misstrauisch verfolgt hatte, nicht für große Aufregung. Besonders wohlwollende Aufnahme fand sie hingegen bei der SPD, mit deren deutschlandpolitischem Kurs sie in weiten Teilen übereinstimmte. In der DDR konnte die Studie nur innerkirchlich verbreitet und in der sekundären Öffentlichkeit der Bundesrepublik diskutiert werden. Die SED reagierte nervös auf sie. Denn mit ihrem Festhalten an der einen deutschen Nation, vor allem auch im Sinne einer historischen Schuld- und Verantwortungsgemeinschaft, stand sie im Widerspruch zur neuen deutschlandpolitischen Linie der SED, die allmählich Kurs auf die „sozialistische Nation“ nahm. Da in der Friedensstudie den nationalen gegenüber den ideologischen Bindungen Vorrang eingeräumt wurde, musste der Versuch, mit der Studie die innerdeutsche Lage zu entkrampfen, ohne positive Rückwirkung auf die Kirchenpolitik der DDR bleiben. Diese steuerte seit 1966/67 auch expressis verbis auf eine Trennung der gesamtdeutschen EKD zu. Angesichts des innerdeutschen Konflikts und der Kirchenpolitik der DDR, aber auch des internationalen Entspannungsprozesses und der friedens- und sozialethischen Tendenzen in der Ökumene kam die Diskussion um Erhalt und Gestalt gesamtdeutscher Kirchenstrukturen im protestantischen Raum nicht mehr zur Ruhe. Dabei wuchsen auch innerkirchlich sowohl die Zweifel an der Einheit als auch die Angriffe auf die Einheit. Im Selbstverständigungsprozess als gesamtdeutsche kirchliche Gemeinschaft reichte das Interpretationsspektrum von rein theologischen bis zu überwiegend politischen Begründungen institutioneller Kircheneinheit. Letztere waren

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vor allem in der ESGiD vorzufinden, die 1965 im Kampf gegen die „Wiedervereinigungsideologie“ eine weitere „Links“-Politisierung ihrer Einheit vornahm, die als „Entideologisierung“ verstanden wurde. Im selben Jahr grenzte der Ratsvorsitzende Scharf auf der EKD-Synode die gesamtdeutsche Kircheneinheit dezidiert von westdeutschen Wiedervereinigungsvorstellungen ab und zog damit einen endgültigen Schlussstrich unter die Ära Dibelius. Scharf war zutiefst davon überzeugt, dass die EKD eine Brückenfunktion zwischen den beiden antagonistischen Teilstaaten und Blöcken wahrzunehmen hatte. Ihm ging es nicht um eine völlige Entpolitisierung der Ost-West-Gemeinschaft der EKD, sondern vielmehr um deren Befreiung von politischen Fremdzuschreibungen, die einstmals auch Selbstbeschreibungen waren. In der Ära Scharf setzte sich das friedenspolitische Brückenkonzept endgültig gegen das nationalpolitische Klammerkonzept durch, ein Deutungsmuster wurde durch ein anderes ausgetauscht. Zwischen 1965 und 1967 nahmen die staatlichen Behinderungen gesamtdeutscher Kircheneinheit dennoch zu. Öffentlich geschah dies unter dem Grundsatz: die Normalisierung der Beziehungen zwischen den Kirchen in beiden deutschen Staaten setzt die Normalisierung der Beziehungen der beiden deutschen Staaten voraus. Die evangelische Presse in der DDR durfte keine Verlautbarungen der EKD mehr drucken, der Evangelische Nachrichtendienst Ost musste sich umbenennen, die Wahl Scharfs zum Bischof der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg wurde vom Staat ignoriert, die Ost-Ausgabe des Amtsblattes der EKD verlor ihre Lizenz, westdeutsche Kirchenvertreter konnten nicht mehr nach Ost-Berlin einreisen, der Staat ordnete Pressekampagnen gegen Scharf und die EKD an und förderte innerkirchliche Einheitsgegner. Parallel zu den Abgrenzungsmaßnahmen zur Abwehr „ideologischer Diversion“ verlief der staatliche Differenzierungsprozess zwischen und innerhalb der ostdeutschen Landeskirchen. Als die Staats- und Parteispitze um den Jahreswechsel 1966/67 in der Deutschlandpolitik einen konsequenten Abgrenzungskurs einschlug, wurde die Kirchenpolitik darauf abgestimmt und mit der These von der Selbstzerstörung der gesamtdeutschen Kirche Kurs auf die endgültige Spaltung der EKD genommen. Das öffentliche Signal zum Sturm auf die gesamtdeutsche EKD kam von der Ost-CDU. Die Kirchen antworteten mit Demonstrationen der Einheit und Einigkeit der EKD. Um die Unabhängigkeit der Kirche gegenüber dem Staat zu wahren, musste eine politisch motivierte Ausrichtung der kirchlichen Organisationsform an der staatlichen Gestaltung verweigert werden. Die einzelnen Kirchenführer setzten jedoch in ihrer Argumentation zugunsten der kirchlichen Ost-West-Gemeinschaft unterschiedliche Akzente, zumal eine gemeinsame theologische Studie zur Einheit der EKD nicht vorlag. Druck und Drohungen von außen ließen Krummacher in seiner emphatischen Rede auf der Fürstenwalder Teilsynode im Festhalten an der „Einheit und Gemeinschaft“ der EKD eine Frage des Glaubensgehorsams sehen. Angesichts der Behauptung, die westdeutschen und ostdeutschen Kirchen und Christen dürften nicht mehr gemeinsam genannt werden, galt der von politischer Seite geführte Angriff nach Krummachers Auffassung auch der „Gemeinschaft im Glauben“. Ohne wie Krummacher die Frage institutioneller Kircheneinheit zur Bekenntnisfrage werden zu lassen,

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wurde auch in der überwiegend von Schönherr formulierten und von beiden Synodenteilen angenommenen Fürstenwalder Erklärung der aus politischen Gründen geforderten Trennung und Abgrenzung der ostdeutschen Landeskirchen von der EKD eine spezifisch kirchlich-theologische Sicht der Gemeinschaft in der EKD entgegengestellt. Dabei wurde auch erklärt, dass gemeinsame Einrichtungen in der Leitung der kirchlichen Gemeinschaft dienten. Nach der Fürstenwalder Synode verstärkte sich vor allem in der Bundesrepublik die innerkirchliche Diskussion über die Motive, die Kosten und den Nutzen institutioneller Kircheneinheit. Die Kritikpunkte lauteten: Belastung für die ostdeutschen Christen, Opferung der Funktionsfähigkeit kirchlicher Organe, Verwechslung von theologischen mit politischen Argumenten, Zwang zur Rücksichtnahme. Ein Beispiel für letzteres war die westliche Zurückhaltung in der Bewertung der Erbe-Aneignung durch die DDR anlässlich der Reformationsfeiern 1967. In der kirchlichen Praxis versuchte man die Eigenständigkeit in der Einheit zu organisieren. Die Tagungen der Kirchenkonferenz in zwei Teilen erhielten nun eine Rechtsgrundlage. Das Experiment der Parallelsynoden gelang 1965 nur um den Preis einer Entpolitisierung. 1966 wurde die Zahl der Ratsmitglieder von 12 auf 15 erhöht, damit bei getrennten Beratungen der Ratsmitglieder jeder Teil auch für sich über eine entsprechend breite Beratungsbasis verfügte. Im April 1967 wurden die Betheler Gesetze im Sinne einer Regionalisierung modifiziert. Die Wahl eines politisch bislang kaum hervorgetretenen Bischofs – Hermann Dietzfelbinger – zum neuen Ratsvorsitzenden, die vor allem von den ostdeutschen Synodalen betrieben worden war, verband sich mit der Hoffnung, den östlichen Gliedkirchen ihre Zugehörigkeit zur EKD zu erleichtern und vor politischen Missdeutungen zu schützen. Angestoßen durch ein Einreiseverbot ihres Generalsekretärs in die DDR machte die ESGiD im Mai 1967 den letzten Schritt zur Auflösung ihrer organisatorischen Einheit. Sie schaffte das Amt eines gemeinsamen Generalsekretärs ab, strich den Namensbestandteil „in Deutschland“, sah eine internationale Besetzung ihres Vertrauensrates vor, teilte sich in zwei selbstständige Bewegungen und ließ sich als solche fortan bei der WSCF führen. Damit erschienen im Bereich der Ökumene erstmals zwei nach Bundesrepublik Deutschland und DDR getrennte Organisationen aus der „evangelischen Christenheit in Deutschland“. Die ESGiD-Vertreter aus beiden Bereichen verstanden ihre „partnerschaftliche Aufgliederung“, d. h. den Übergang von der institutionellen Einheit zur partnerschaftlichen Kooperation, von Anfang an als modellhaft für die EKD. Den Funktionsträgern der ESG in der DDR ging es bei den Strukturveränderungen vornehmlich um mehr Selbstständigkeit, die zu einem besseren Verhältnis zu den staatlichen Stellen und damit zur Sicherung bzw. Ausweitung der eigenen Handlungspielräume führen sollte. Bei den stark linkspolitisierten Vertretern der Gesamtarbeit in der Bundesrepublik stand hingegen ein von entspannungs- und deutschlandpolitischen Überlegungen geprägter Entnationalisierungswillen im Vordergrund. Sie wollten sich mit dem Verzicht auf eine nationale Organisationsform vom Verdacht einer nationalstaatlichen Klammerfunktion befreien und zukünftig im geteilten Deutschland ausschließlich „verbindliche ökumenische

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Beziehungen“ pflegen. Die Publikation der Trennungsbeschlüsse im Oktober 1967 war von den westdeutschen Funktionsträgern als deutschlandpolitisches Votum zugunsten der Anerkennung der DDR und als Kontrapunkt zur Fürstenwalder Erklärung gedacht. Es sollte ein Präzedenzfall geschaffen werden. Dies führte zwangsläufig zu heftigen Reaktionen seitens der EKD, die sich in ihrem Einheitskurs desavouiert sah. Mit einer sukzessiven Aufteilung der ESGiD ohne öffentliches Aufsehen waren verantwortliche ost- und westdeutsche Kirchenvertreter im Frühstadium der Strukturüberlegungen hingegen einverstanden gewesen. Das im Teilungsprozess aufscheinende Entnationalisierungskonzept der ESG erfuhr von einigen ihr nahe stehenden Theologen der Vorkriegsgeneration harsche Kritik. Im Disput mit der „Vätergeneration“ ging es um zwei unterschiedliche Möglichkeiten, aus einer historisch-moralisch fundierten nationalen Identität (kirchen-)politische Konsequenzen zu ziehen. Für die Älteren lag im Nationalen und Gesamtkirchlichen die Chance zu einer „Ent-Ideologisierung“. Diese linksnationalen Protestanten sahen in der Einwilligung in die staatliche und kirchliche Teilung im Namen des Friedens einen späten Sieg der Blockpolitik und eine Ablehnung nationaler politischer Verantwortung für den Ost-West-Ausgleich. Sie konnten den Dritte-WegKonzepten der Nachkriegsgeneration, die jeglichen nationalen Gehalt verloren hatten, nicht folgen. Diese jüngere Generation strebte danach, die Bezugsgröße Nation mit der Weltgesellschaft auszutauschen und eine postnationale Identität zu entwickeln. Trennungstendenzen existierten auch innerhalb der Evangelischen Jugend, obgleich noch bei einer Umfrage unter westdeutschen Ost-West-Begegnungsleitern im Herbst 1967 zwei Drittel der Befragten die Einheit der Evangelischen Jugend Deutschlands bejahten. Dennoch wurde im September 1967 der gesamtkirchliche Ausschuss aufgelöst und die deutsch-deutsche Jugendarbeit fortan durch von einander unabhängige Gremien auf ost- und westdeutscher Seite betreut. Im März 1968 meldete der Vorsitzende der Jugendkammer Ost dem Ökumenischen Referenten der AGEJD einen eigenen Nationalkorrespondenten für die DDR, worüber im April die Jugendabteilung des ÖRK informiert wurde. Eine publizistische Auswertung dieser Vorgänge wurde aber verhindert und so konnten sie seitens der EKD als pragmatische und nicht grundsätzliche Entscheidung gedeutet werden. In der Begegnungsarbeit experimentierten AGEJD und ESGiD in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre verstärkt mit Kontakten zu FDJ-Vertretern. Dabei waren sie sich der Gefahr einer Instrumentalisierung durch die DDR-Staatsjugend bewusst, konnten ihr aber dennoch nicht immer entgehen. Neu hinzu kamen auch Begegnungen von Jugend- und Studentengruppen in so genannten „Drittländern“, die jedoch um des Legalitätskurses willen von den Verantwortlichen in der DDR nicht befürwortet wurden, da sie Konflikte mit dem Staat befürchteten. Sowohl im Jugend- als auch im Studentenbereich bemühten sich die Funktionsträger, mit Hilfe von Partnerschaftstheorie und Modellbegegnungen entgegen den Intentionen der Begegnungsteilnehmer die deutsch-deutschen Treffen zu entemotionalisieren, entnationalisieren und entprivatisieren. Die Begegnungen sollten nicht mehr der Stärkung eines gesamtdeutschen Bewusstseins dienen, sondern durch den kontrastiven Dialog eine bewusste

Zusammenfassung

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Verortung in der jeweiligen Gesellschaft unterstützen. Der hohe Politisierungsgrad der west- und ostdeutschen ESG- und AGEJD-Repräsentanten sowie der westdeutschen Gemeinden führte die gesamtdeutsche Begegnungsarbeit in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in die Krise. Auf der Leitungsebene sah man hingegen die Krisenursache im unpolitischen Verhalten und in der anhaltenden Westorientierung der meisten ostdeutschen Gemeinden. Nach westdeutscher Diagnose standen sich Experimentierfreude, Optimismus, politischer und kirchlicher Veränderungswille auf westdeutscher Seite und politische Resignation, engere Kirchenbindung sowie traditionellere Frömmigkeit auf ostdeutscher Seite gegenüber. Damit zeigte man mehr Realitätssinn bei der Beschreibung der Symptome der Entfremdung in den kirchenpolitischen und politischen Positionen sowie in den Frömmigkeitsformen als bei der Suche nach ihren Ursachen. Denn diese lagen in den völlig unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Spielräumen für christliche Studenten- und Jugendarbeit und christlich motiviertes politisches Engagement im liberal-demokratischen westdeutschen Verfassungsstaat und seiner pluralen Gesellschaft einerseits und dem Weltanschauungsstaat der DDR mit seinem totalitären Steuerungs- und Kontrollanspruch andererseits. Die politischkulturelle und theologische Entfremdung sowie die unterschiedliche Organisationsstruktur der Jungen Gemeinde und der Studentengemeinden in beiden deutschen Staaten wurden insbesondere dort zu einem wachsenden Problem, wo die partnerschaftlichen Beziehungen konkretisiert wurden: bei den Partnertreffen. Das Interesse unter den westdeutschen Studenten und Jugendlichen an den Treffen ging vorübergehend zurück. Gerade die politisch Engagierten unter ihnen verloren ihre ostdeutschen Partnergemeinden zeitweise aus dem Blickfeld und konzentrierten sich im Zuge der Studentenbewegung stärker auf neomarxistische Theorien und entwicklungspolitische Fragestellungen. Bei den noch stattfindenden Begegnungen trafen die Gegensätze zum Teil frontal aufeinander. So brachten Begegnungsteilnehmer aus der DDR nur wenig Verständnis für die Ereignisse an den westdeutschen Hochschulen und die Radikalisierung der studentischen Linken auf; zum Teil verurteilten sie diese als Missbrauch von Freiheit. In den Arbeitsgruppen und Diskussionen prallten die sozialistischen Theoriegebäude bundesdeutscher Teilnehmer mit den negativen existenziellen Erfahrungen von DDR-Teilnehmern im real existierenden Sozialismus aufeinander. Denn während man sich auf den Leitungsebenen der evangelischen Studenten- und Jugendarbeit in der Sozialismusdebatte zusammenfand, wirkte die Linkspolitisierung der westdeutschen Jugendlichen und Studenten bei den Begegnungen mit ihren ostdeutschen Partnern eher als Barriere. Die Diskussion um die „Krise“ der Partnerarbeit und die Überlegungen zu ihrer Reform zogen sich in den Gremien der ESG bis in das zweite Drittel der siebziger Jahre hinein. Im Kontext der prosozialistischen Option des christlichen Studentenweltbundes während der späten sechziger und der siebziger Jahre verfolgten die ost- und westdeutschen Leitungsgremien der Studentengemeinden auch weiterhin die Entnationalisierung und Linkspolitisierung der Partnerarbeit.

AufdemWegzur„besonderenGemeinschaft“(1967–1969/70)

5. Auf dem Weg zur „besonderen Gemeinschaft“ der Evangelischen Christenheit in zwei deutschen Staaten mit Beziehungen „von besonderer Art“ (1967–1969/70) DieFormationsphasedesBundes

5.1 Die Formationsphase des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR Auf der EKD-Synode in Fürstenwalde hatten die ostdeutschen Gliedkirchen im April 1967 noch einmal die Reihen geschlossen und trotz vorhandener Verselbstständigungstendenzen auch die organisatorische Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland im Zeichen der kirchlichen Autonomie gegen den Anspruch des Staates, der Kirche ihre innere Ordnung vorzuschreiben, emphatisch verteidigt. Mit der neuen Verfassung der DDR sowie stetigem politischen Druck erreichte die SED jedoch bereits zwei Jahre später den Durchbruch zu ihrem kirchenpolitischen Hauptziel der sechziger Jahre, der rechtlich-juristischen Trennung der ostdeutschen Landeskirchen von der EKD. Bereits im Juni 1967 empfahl Gerald Götting den evangelischen Kirchen eindringlich, sich ein Gremium zu schaffen, das bei der Formulierung der künftigen rechtlichen Stellung der Kirchen in der neuen Verfassung dem Staat als verantwortlicher Partner gegenüberstehen könne1. Daraufhin setzte die KKL Ende des Monats einen entsprechenden Ausschuss ein2. Am 21. Juli wurde Staatssekretär Seigewasser mitgeteilt, dass Albrecht Schönherr, seit dem 5. Januar 1967 Verwalter des Bischofsamtes in der Ost-Region der berlin-brandenburgischen Kirche, und Kurt Johannes, stellvertretender Vorsitzender der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, beauftragt worden waren, von Seiten der Kirche die Verfassungsfragen mit dem Staat zu verhandeln. Krummacher kam als Verhandlungspartner nicht in Frage, da er staatlicherseits nicht als Sprecher der Kirchen in der DDR anerkannt wurde. Ende September trat dann der Verfassungsausschuss der KKL in der DDR zusammen, ohne dass ein Vertreter der Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR dazu gebeten worden war3. Nach Beratungen mit dem kirchlichen Verfassungsausschuss schrieb Schönherr am 13. Januar 1968 an Seigewasser und versuchte ihn davon zu überzeugen, dass mit den alten Verfassungsbestimmungen bislang „das Verhältnis der Kirchen zur sozialistischen Umwelt positiv entwickelt werden“ konnte. Die Kir1 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 645f. 2 Vgl. C. DIETRICH, Gründung, S. 31. 3 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 647.

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chen und die „christlichen Bürger“ würden daher hoffen, dass auch in dem neuen Verfassungsentwurf folgende „Grundsatzprinzipien“ enthalten seien: „1. Das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche; 2. das Prinzip der Glaubens- und Gewissensfreiheit und der ungestörten Religionsausübung, auch durch Diakonie und Unterweisung; 3. die Bestätigung des Status der Kirchen und ihrer Untergliederung als rechtsfähiger juristischer Personen, denen selbständige Regelung ihrer inneren Angelegenheiten, Selbstfinanzierung durch das Heranziehen ihrer Mitglieder zu finanziellen Leistungen und ihr bisheriger Besitzstand garantiert bleibt.“4

Ebenfalls am 13. Januar 1968 klagte Hermann Kunst vor dem westlichen Teil des Rates der EKD über die Kommunikationsdefizite zwischen den Ratsmitgliedern in Ost- und Westdeutschland5. Angesichts der nur noch indirekten Verbindungsmöglichkeiten wusste man im Westen immer weniger über die Überlegungen und Entschlüsse der östlichen Mitglieder. Unklarheit herrschte im Westen auch über die kirchenpolitische Strategie der DDR-Regierung. „In diesem Zusammenhang“, so mahnte Kunst, „bedürfte es auch dringend der Überlegung, ob die theologische und politische Aussage von Fürstenwalde ausreichend sei, um der DDR gegenüber an dem Postulat der Einheit der EKD festhalten zu können. Offen sei die Frage, welche Möglichkeiten die DDR-Regierung sähe, der EKD Schwierigkeiten zu bereiten. Ebenso sei ungewiss, mit welchem Nachdruck die DDR die Trennung zwischen EKD-Ost und EKD-West zu betreiben beabsichtige. Zur Zeit sähe es so aus, daß das Gesetz des Handelns der Kirche aus der Hand genommen sei. Dies ginge auf keinen Fall so weiter. Man müsse klar wissen, was man kirchlicherseits anstreben ggf. durchsetzen wolle. Dazu gehöre besonders für die westlichen Ratsmitglieder die Überlegung, welche Ratschläge im Einzelfall den östlichen Brüdern gegeben werden müßten. Die Frage sei nun, wie dieses Ziel einer klareren Konzeption zu erreichen sei.“6

Die westlichen Ratsmitglieder wussten darauf keine Antwort zu geben. Sie waren sich lediglich darin einig, dass jede Kontaktmöglichkeit genutzt werden musste und sie selbst zukünftig intensiver über die Probleme der Kirchen in der DDR informiert werden sollten. Den Zweifel, ob die Fürstenwalder Erklärung ausreiche, die institutionelle Einheit der EKD zu verteidigen, teilte auch der Vizepräsident der Kirchenkanzlei Niemeier. In der Erklärung waren zwar politische Motivationen dezidiert zurückgewiesen worden, aber die dort geltend gemachten theologisch-ekklesiologischen Argumente reichten seiner Ansicht nach nicht aus, um die bestehende Einheit zwingend zu begründen. In seinem Referat auf der Klausurtagung des (westlichen) Rates formulierte Niemeier die „ernste Sorge“, die man sich um die EKD, „um ihre Einheit und Gemeinschaft, um ihren tragenden Grund und um die vollmächtige und wirksame Ausrichtung des ihr aufgetragenen Dienstes im Zeugnis des Wortes und des Dienstes“ angesichts ihrer Infragestellung von außen und innen machen müsse7. In seinem Referat wurde deut4 5 6 7

Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 34. Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 13./14.1.1968 (EZA BERLIN, 104/47). EBD. Protokoll der Klausurtagung des Rates der EKD vom 10.–15.1.1968 (EZA BERLIN, 2/1817).

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lich, wie vielfach der Begriff der kirchlichen Einheit im Jahre 1968 besetzt und wie umstritten die Einheit in allen ihren Bedeutungsvarianten war. In der EKD selbst standen sich die verschiedensten Vorstellungen und Meinungen über ihre Gestalt, Ordnung und Aufgaben teilweise schroff gegenüber. Die einen sahen in ihr die lange erkämpfte Organisationsgestalt des deutschen Protestantismus reformatorischer Herkunft und Prägung, bejahten sie und hielten an ihrer Einheit fest. Die anderen sahen die Einheit als schon längst nicht mehr vorhanden an und waren bereit, sich für die Auflösung des noch verbliebenen Restbestandes auszusprechen. In linksprotestantischen Kreisen in der Bundesrepublik musste sich die EKD den Vorwurf gefallen lassen, das „trojanische Pferd für prokommunistische Propaganda“ zu sein. Für die einen war sie ein föderalistisches Gebilde, dem nur die Bedeutung zukam, die ihm die Gliedkirchen jeweils konzedierten. Andere verstanden die EKD als Kirche im eigentlichen Sinne des Wortes; wieder andere meinten, sie sei auf dem Wege von einem Kirchenbund zu einer Art „Bundeskirche“. Den einen erschienen die Bekenntnisunterschiede nicht mehr als unüberwindbare Hürde, die anderen waren der Überzeugung, dass der Dissens der Bekenntnisse nicht in einem Konsens aufgehoben werden konnte. Ein Teil der Protestanten begrüßte es, dass sich die EKD zu gesellschaftlichen Fragen äußerte, ein anderer sprach sich gegen ein solches Engagement aus. Angesichts der Vielfalt der Gegensätze und Meinungen mahnte Niemeier vor dem Rat eine gründliche theologische Reflexion über fünf Themenfelder an: 1. die Ost-West-„Einheit“ der EKD und eine über die Fürstenwalder Erklärung hinausgehende Begründung für sie; 2. die „Gemeinschaft“ der EKD und die Tatsache, dass die VELKD noch nicht Gliedkirche der EKD war; 3. die Abendmahlsgemeinschaft in der EKD und die Empfehlung der Zweiten Kommission für das Abendmahlsgespräch8; 4. den Komplex „Theologie und Verkündigung“ und die verhärteten Gegensätze in diesem Bereich; 5. das interkonfessionelle Gespräch zwischen lutherischen und reformierten Theologen9. In seiner Aussprache bemühte sich der Rat um eine Klärung der Frage nach einer theologisch und juristisch bestimmten Einheit der Gliedkirchen in der EKD. Hinsichtlich der theologisch bestimmten Einheit herrschte auch im Rat kein Konsens über die Bedeutung der Bekenntnisverschiedenheit und die Möglichkeit einer Abendmahlsgemeinschaft innerhalb der EKD. Auffällig aber war, dass in der Ratsdiskussion die Frage der institutionalisierten kirchlichen Ost-West-Gemeinschaft hinter die Frage nach der konfessionellen Einheit in der EKD vollkommen zurücktrat. Die grenzübergreifende institutionelle Kirchengemeinschaft aber war seit der Veröffentlichung des Entwurfs der neuen DDR-Verfassung am 31. Januar 1968 höchst gefährdet. Denn als Berichterstatter der Verfassungskommission vor der Volkskammer erklärte Ulbricht unmissverständlich:

8 Vgl. KJ 95, 1968, S. 7–15. 9 Hierzu waren schon 1967 zwischen der VELKD, dem Reformierten Bund und der EKU Lehrgespräche vereinbart worden, nachdem derartige lutherisch-reformierte Lehrgespräche bereits auf ökumenischer Ebene und in den USA begonnen hatten.

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„Den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften gewährleistet der Verfassungsentwurf eine gute, aber auch die einzig mögliche Plattform der weiteren Entwicklung ihrer Beziehungen zum sozialistischen Staat. [. . .] Der Verfassungsentwurf zeigt jenen kirchenleitenden Kreisen in der DDR, die hin und wieder versuchen, politischen Weisungen der westdeutschen Militärkirche nachzukommen, die Unzulässigkeit solcher Abhängigkeiten. Unser Verfassungsentwurf schiebt solchen Bestrebungen und Spekulationen einen Riegel vor.“10

Die Beanspruchung der ostdeutschen Kirchen für die Abgrenzungspolitik der DDR sollte nunmehr eine verfassungsrechtliche Basis erhalten. In seinen die Kirchen betreffenden Aussagen unterschied sich der Entwurf gravierend von der Verfassung von 1949. Das Verhältnis von Staat und Kirche war statt wie bislang in acht Artikeln nurmehr in einem knappen Art. 38 (später Art. 39) beschrieben. Danach hatte jeder Bürger das Recht, „sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben.“ In Absatz 2 hieß es, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaften „ihre Angelegenheiten und ihre Tätigkeit in Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen Bestimmungen der Deutschen Demokratischen Republik zu ordnen und durchzuführen“ hatten11. Nach der Veröffentlichung des Verfassungsentwurfs wurde im Rahmen der allgemeinen Volksaussprache auch über den Kirchenartikel diskutiert. Für die SED bestand die spezifische kirchenpolitische Aufgabenstellung der Verfassungsdiskussion darin, zum einen Kirchen und Christen klar zu machen, dass die realsozialistische DDR das Betätigungsfeld der ostdeutschen Kirchen darstellte, und zum anderen, die Verselbstständigung der ostdeutschen gegenüber den westdeutschen Kirchen zu fördern12. Entsprechend instruierte Seigewasser am 12. Februar die Teilnehmer eines vom ZK der SED verantworteten Lehrganges aller für Kirchenfragen Zuständigen aus den örtlichen Partei- und Staatsorganen. Er erklärte ihnen: „Gesamtdeutsche Kirchenaktivität bedeutet objektiv, die Kirchen in der DDR so in die Hand zu bekommen, daß sie gegebenenfalls als 5. Kolonne gegen den sozialistischen Staat wirksam werden können, im allgemeinen aber als ein latentes Unruhe-Zentrum mit dem Charakter einer politischen Opposition tätig sind. Es ist ein ideologisches Problem, den Geistlichen und kirchlichen Amtsträgern in der DDR diese Zusammenhänge bis ins Letzte hinein klar zu machen und sie zu überzeugen, daß das Festhalten an der gesamtdeutschen Einheit der Kirchen in der DDR über Staatsgrenzen hinaus objektiv auf die Schädigung der Interessen unserer Republik und damit unserer Menschen hinausläuft.“13

Aus Seigewassers Äußerungen wurde deutlich, dass die SED die Herauslösung der ostdeutschen Gliedkirchen aus der EKD nicht administrativ erzwingen, sondern auf dem Wege „politisch-ideologischer Überzeugungsarbeit“ erreichen wollte. Dazu diente auch der öffentliche „Meinungsaustausch“, der während der Verfassungsdiskussion 10 „Die Verfassung des sozialistischen Staates deutscher Nation und seine Gesellschaft“. In: NZ, 1.2.1968, S. 1–6, hier S. 3. 11 Zitiert nach: KJ 95, 1968, S. 167. 12 Vgl. H. DOHLE, Grundzüge, S. 26. 13 „Grundsätzliche Probleme der Staatspolitik in Kirchenfragen unter besonderer Berücksichtigung der Schwerpunktaufgaben des Jahres 1968“ (Auszüge). Abdruck in: GRÜNDUNG, S. 53–62.

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zwischen Staats- und Parteivertretern einerseits und Vertretern der Thüringer Landeskirche andererseits geführt wurde. Die Thüringer Kirchenvertreter hatten dabei die Tendenz, die neuen Verfassungsbestimmungen extensiv auszulegen und staatliche Zusagen in dieser Richtung zu unterstreichen14. Dies wurde sowohl bei einem Interview Mitzenheims mit der „Neuen Zeit“ am 4. Februar15 als auch bei einer Begegnung in Tabarz zwischen Seigewasser und anderen Staats- und Parteivertretern mit Persönlichkeiten der Thüringer Landeskirche am 7. Februar deutlich16. Der Staatssekretär für Kirchenfragen hob in Tabarz ohne Widerspruch zu ernten die „Schutzfunktion“ hervor, die dem Art. 38,2 bei der „Abwehr Bonner Infiltrationsversuche“ zukomme17. Einen Tag später erklärte Götting vor dem Hauptvorstand der Ost-CDU, dass der neue Verfassungsentwurf den von Westdeutschland beeinflussten Kirchenleitungen in der DDR endgültig die Veranlassung dazu gebe, „die Konsequenzen aus ihrer Verantwortung in unserem sozialistischen Staat zu ziehen. Das bedeutet aber auch im Interesse der Kirche selbst die Notwendigkeit der Absage an die westdeutschen NATO-Kirchen“18. Zu einer solchen expliziten Absage war Krummacher in seiner „persönlichen Stellungnahme“ zum Verfassungsentwurf im „ENA“ vom 14. Februar nicht bereit19. Allerdings hielt der seit Fürstenwalde in staatliche Ungnade gefallene Bischof zehn Monate nach der Erklärung zur Einheit der EKD „kirchliche Selbständigkeit“ und „brüderliche Gemeinschaft des christlichen Glaubens, die über alle staatlichen Grenzen hinweg lebendig ist“, für sehr wohl vereinbar und relativierte damit zugleich die spezifische Verbindung der Kirchen in Ost- und Westdeutschland20. Im Brief der sieben evangelischen Bischöfe aus Lehnin wurde die Problematik der kirchlichen Ost-West-Einheit hingegen vollkommen ausgespart21. Ohne die Verfassung als Ganzes in Frage zu stellen, baten die Bischöfe darin den Staatsratsvorsitzenden, die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die bisherigen Rechte der Kirche wieder explizit in diese aufzunehmen. Sowohl der Bischofsbrief als auch das Krummacher-Interview waren Gesprächsgegenstand auf der Kirchenkonferenz der EKD, die am 29. Februar in Ost-Berlin stattfand22. Der Diskussionsverlauf zeigte, dass in der Beurteilung der Lage und der Aufgabe der Kirche innerhalb der Kirchenkonferenz eine erhebliche Variationsbreite existierte. Noch immer wurde aber von allen versichert, „dass, so sehr die Situation in Ost und West beide Teile zu selbständigen Entscheidungen zwingt, das Wissen voneinander und die Gemeinschaft miteinander für alle von unaufgebbarem Wert ist.“ Noch am selben Tag aber versetzte Mitzenheim auf einer Bürgervertreterkonferenz 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Vgl. KJ 95, 1968, S. 171. Vgl. EBD., S. 171f. Vgl. EBD., S. 173f. EBD., S. 174. BUND, S. 111. Zur deutschlandpolitischen Dimension dieser Erklärung s. o. Kap. 4.1.3. BUND, S. 112. Abdruck des Briefes in: KJ 95, 1967, S. 181f. Zur politischen Dimension des Briefes s. o. Kap. 4.1.3. Auszug aus dem Protokoll (EZA BERLIN, 2/2474).

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in Weimar der gesamtdeutschen Kirchenorganisation einen nachhaltigen Schlag. Im Gesprächsbeitrag zu einer Rede Ulbrichts erklärte er: „Die Glieder unserer Kirche sind Bürger unserer Deutschen Demokratischen Republik. Die Gemeinden und Kirchen, die Anstalten und Werke der evangelischen Kirche sind Organismen und Einrichtungen auf dem Boden der Deutschen Demokratischen Republik, und sie wissen sich zur Beachtung der Gesetze unseres Staates bei der Gestaltung ihrer eigenen Strukturen und Ordnungen verpflichtet. Die Staatsgrenzen der Deutschen Demokratischen Republik bilden auch die Grenze für die kirchlichen Organisationsmöglichkeiten.“23

Ulbricht griff diese Aussage auf und deutete sie im Sinne der politisch motivierten Forderung von SED und Ost-CDU nach der Übereinstimmung von Staats- und Kirchengrenzen: „Ich stimme mit Herrn Landesbischof Mitzenheim völlig überein, daß die Staatsgrenze der DDR die Grenze für die kirchliche Organisation darstellt, was diese nicht hindert, ihre ökumenische Gemeinschaft im Weltkirchenrat und in ähnlichen Institutionen wahrzunehmen. Wir sind allein gegen Einflüsse der westdeutschen Militärkirche. Da aber die Christen der DDR kein Bedürfnis haben, mit der westdeutschen Militärkirche Beziehungen zu pflegen, brauche ich mich dazu nicht zu äußern. Diese Frage ist für uns geklärt.“24

Der amtliche Verfassungskommentar der DDR von 1969 ging dann ebenfalls von einer Deckungsgleichheit kirchlicher und staatlicher Grenzen aus und zitierte dazu Mitzenheim25. Zunächst aber wurden die Äußerungen des Thüringer Bischofs über das „Neue Deutschland“ und die „Neue Zeit“ publik gemacht; die westdeutsche Presse reagierte darauf mit besorgten Äußerungen über die bedrohte kirchliche Einheit26. Die Haltung der kirchlichen Verantwortungsträger in der DDR zur rechtlich-organisatorischen Einheit der EKD respektive zur Selbstständigkeit der ostdeutschen Kirchen hatte sich offenkundig seit der Fürstenwalder Erklärung zunehmend differenziert. Doch wie stand es um die Stimmung an der kirchlichen Basis? Anhaltspunkte für das Meinungsbild unter den kirchlichen Mitarbeitern und den Gemeindegliedern gibt eine Umfrage, die im Januar und Februar 1968 unter 116 Gemeindepfarrern, Theologen, kirchlichen Mitarbeitern und Gemeindegliedern im gesamten Gebiet der DDR durchgeführt wurde27. Olav Lingner, Oberkonsistorialrat der Kirchenkanzlei der EKU, Sepp Schelz, der Leiter des Evangelischen Publizistischen Zentrums Berlin, sowie der Journalist Reinhard Henkys hatten die Fragen ausgearbeitet; der Theologiestudent Michael Krille, der kirchlicherseits mit der Vorbereitung des Reformationsjubiläums beauftragt war, hatte die Befragung in der DDR übernommen28. Ziel der Umfrage war 23 Zitiert nach: KJ 95, 1968, S. 177. 24 EBD., 178. 25 Vgl. K. SORGENICHT, Verfassung, S. 173. 26 Vgl. z. B. „Bedrohte Einheit“. In: Die Welt, Ausgabe D, 4.3.1968, S. 2. 27 Da die Befragung auf Grund der politischen Umstände nicht nach den strengen Maßstäben einer repräsentativen wissenschaftlichen Umfrage durchgeführt werden konnte, wird sie hier vornehmlich qualitativ ausgewertet. Die detaillierten Umfrageergebnisse finden sich in PARH. 28 Interview Henkys 22.6.1999.

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es, Informationen und Meinungen zur allgemeinen Situation der Kirchen in der DDR sowie zu aktuellen Problemen zu erhalten. Drei Fragen bezogen sich auch auf die grenzübergreifende Einheit der EKD: „3. Was halten sie von der Ost-West-Einheit der EKD: Ist ihre Bewahrung und Festigung noch sinnvoll, sollen dafür ggf. Opfer gebracht werden, oder ist sie gleichgültig oder nicht besonders wichtig, oder gar schädlich für den Auftrag der Kirche? 4. Bei negativer Antwort zu drei: Welche Alternativen sind nötig oder möglich? 5. Bei positiver Antwort zu drei: Welche Funktionen soll die EKD als grenzübergreifende Kirchengemeinschaft in Deutschland wahrnehmen, welche nicht? Welche Funktionen erfüllt sie gegenwärtig tatsächlich?“29

Bei der Beantwortung der Frage drei stellten die Interviewer bei den Befragten allgemein eine große Unsicherheit fest. Letztlich stimmten 55 Personen für ein Festhalten an der EKD, 59 dagegen und 2 waren unentschieden. Unter den Ja-Stimmen war eine unsichere, unter den Nein-Stimmen waren acht unsichere. Zieht man die Antworten der 14 befragten Ost-Berliner ab, so verstärkt sich die Tendenz gegen das Festhalten an der EKD. Denn die im Osten der geteilten Stadt Lebenden hatten mit einer deutlichen Mehrheit für die Beibehaltung der kirchlichen Einheit gestimmt. Die Erfahrung von Einheit und Trennung waren für sie in ihrem Alltagsleben präsenter: durch den täglichen Anblick der Mauer und ihrer inhumanen Auswirkungen, durch die Gliedschaft in einer zwar regionalisierten, aber doch noch gemeinsamen Landeskirche, durch die häufigeren Westkontakte. In der berlin-brandenburgischen Kirche waren denn auch die Widerstände auf kirchenleitender Ebene gegen eine Abtrennung von der EKD am stärksten. Unter den verschiedenen Altersgruppen waren die Pro- und Contra-Stimmen gleichmäßig verteilt. Erstaunlicherweise aber sprachen sich zwei Drittel der befragten ESG-Glieder für eine Fortdauer der Ost-West-Einheit der EKD aus. Bei den Berufsgruppen waren es die Theologen und die Pfarrer, die etwas stärker zu einer „juristischen“ Verselbstständigung neigten. Die Mehrzahl derer, die ein Festhalten an der grenzübergreifenden Einheit ablehnten, begründete dies pragmatisch: die Trennung sei de facto bereits vollzogen. Alternativen zum Festhalten an der rechtlich-organisatorischen Einheit der EKD wurden zumeist erst im Laufe der Diskussion deutlich. Die Mehrheit der Befragten sprach sich für eine engere Zusammenarbeit, oft auch für einen Zusammenschluss der ostdeutschen Landeskirchen aus. Hier konnte folglich die spätere Bundesgründung auf positive Resonanz treffen. Mehrfach wurde auch eine intensivere Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche gewünscht. Einige plädierten für ein stärkeres Eingehen der ostdeutschen Kirchen auf die Situation in der DDR. Aber auch solche, die für die Weiterexistenz der EKD votierten, nannten Reformvorschläge. Auf der anderen Seite wollten auch die meisten Befürworter einer rechtlichen Trennung einen engen Kontakt zwischen den ost- und westdeutschen Kirchen aufrechterhalten sehen. Insgesamt gibt das Umfrageergebnis die Tendenz wieder, dass 29 PARH.

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unter ostdeutschen Christen die Unsicherheit gewachsen war, ob die organisatorische Einheit der EKD erhalten werden sollte. Die kirchliche Entwicklung der Folgemonate verlief dann in Richtung eines Zusammenschlusses der ostdeutschen Landeskirchen und zugleich weg von der gesamtdeutschen EKD. In diesem multikausalen Prozess30 gab es unter den kirchlichen Verantwortungsträgern in der DDR sowohl beschleunigende als auch retardierende Kräfte. Und auch die Motive und Argumente der kirchlichen Befürworter und Gegner waren vielfältig und wechselten zudem phasenweise oder situativ. Der Prozess der Bundgründung lässt somit keine einfachen Erklärungen und Schuldzuweisungen zu, sondern bedarf einer sorgfältigen Darstellung und Analyse. Einen ersten Impuls zum Ausbau der Eigenständigkeit der DDR-Kirchen hatte bewusst oder unbewusst im Februar 1968 Krummacher mit seinem „ENA“-Interview zum Verfassungsentwurf gegeben, in dem er erklärte: „Unsere evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik sind eigenverantwortlich in ihrem Bereich.“31. Drei Tage später schrieb ihm Manfred Stolpe, seit 1962 Leiter der Geschäftsstelle der KKL in der DDR, dass zur Sicherung der Einheit und Handlungsfähigkeit der EKD vor allem eine gewisse Selbstständigkeit und eine engere Zusammenarbeit der Landeskirchen in der DDR erforderlich sei32. Er schlug vor, eine regionale Synode der EKD einzuberufen, um ein „Kirchengesetz über die Zusammenarbeit der Ev. Kirchen in der DDR“ zu beschließen. Das neu geschaffene Teilorgan der EKD sollte dann selbstständig gesamtkirchliche Funktionen im Bereich der DDR wahrnehmen. Unabhängig von Stolpe beantragten im Februar neun ostdeutsche Synodale, noch im März eine „Regionalsynode der EKD innerhalb der DDR“ einzuberufen, „damit die vom Verfassungsentwurf der DDR für die Zukunft der Gemeinschaft der evangelischen Landeskirchen aufgeworfenen Fragen beraten werden können.“33 Der Hauptinitiator, der Dozent am Naumburger Katechetischen Oberseminar Konrad von Rabenau, vertrat die Auffassung, dass es für die ostdeutschen Kirchen an der Zeit sei, eine neue Gestalt der Gemeinsamkeit zu suchen34. Er plädierte dafür, das Handeln der KKL „verbindlicher“ zu machen und ihm eine synodale Basis und damit Gesetzgebungskompetenz zu geben. Um ein Auseinanderfallen der ostdeutschen Landeskirchen zu verhindern, müsse man sich auch um die Einbindung der Thüringer Landeskirche bemühen, betonte Rabenau. Prominente Mitunterzeichner des Antrages waren die beiden zukünftigen Landesbischöfe Werner Krusche und Ingo Braecklein35. Der 30 A. NOACK sprach 1989 davon, dass der Bund seine Entstehung einem Bündel ganz unterschiedlicher Motive und Strömungen verdanke. (DERS., Dauerregen, S. 13). Vgl. D. POLLACK, Kirche, S. 224. 31 BUND, S. 112. 32 Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 189f. 33 EZA BERLIN, 104/46. 34 Vgl. seine Aussagen vor der Konsultativgruppe am 11.3.1968. Aktenvermerk von Behm (EZA BERLIN, 104/46). 35 Braecklein wurde vom MfS als IM „Ingo“ geführt. Am 6.12.1989 wurde der Vorgang „gelöscht“. Vgl. C. VOLLNHALS, Abteilung, S. 91. – Die übrigen Unterzeichner waren: Heinrich Schiele, Konrad von Rabenau, Walter Münker, Wilhelm Koch, Erwin Hinz, Friedrich Zilz und Gotthard Neumann.

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Antrag der Synodalen wurde von 45 Pfarrern aus der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen unterstützt36. Ende Februar beriet der Rat in Ost-Berlin über diesen Antrag37. Nach intensivem Meinungsaustausch entschied er, zunächst eine „Konsultativgruppe“ zu bilden, die sich zügig mit allen anstehenden Fragen befassen und „praktikable Lösungen für Ost und West“ vorbereiten sollte. Westdeutsche Vertreter konnten daran mit beratender Funktion teilnehmen38. Die erste Sitzung dieser Gruppe fand am 11. März unter starker westdeutscher Beteiligung statt39. Hans-Jürgen Behm von der Kirchenkanzlei für die Gliedkirchen in der DDR gab zu Beginn die Leitlinie vor, dass laut Intention des Rates in den anstehenden Fragen nur ein gemeinsames Handeln möglich sei. Nicht ohne Eigeninteresse und doch zu Recht fragte Stolpe, ob das Nebeneinander von EKD und EKD-Kanzlei einerseits und KKL und deren Geschäftsstelle andererseits nicht zu einer „Entleerung“ der EKD in der DDR geführt habe. Die Mitglieder der Konsultativgruppe lehnten jedoch eine Vereinigung der beiden Dienststellen ab. Präsident Hammer verdeutlichte die Position der EKD in der Einheitsfrage: Man müsse bei den in Fürstenwalde gemachten Aussagen bleiben und die Funktionsfähigkeit der EKD erhalten; eine freiwillige Selbstaufgabe komme nicht in Frage, allenfalls eine „zwangsweise Aufspaltung“. Hammer empfahl allerdings darüber nachzudenken, was schon jetzt vorbereitet werden konnte für den Fall, dass es zu einer zwangsweisen Aufspaltung der EKD kommen sollte. Im anschließenden Gespräch wurde deutlich, dass ein eventueller Neuansatz in der DDR nicht von der KKL ausgehen konnte. Ausgangsbasis sollte vielmehr die EKD-Grundordnung sein, mit der Ergänzung des Gesetzes vom 4. April 1967. Die Kirchenkanzlei in Hannover wurde beauftragt, bis zur nächsten Sitzung Entwürfe zu erarbeiten, „die die derzeitigen Notwendigkeiten aufzeigen 1) betr. Rat 2) betr. Kirchenkonferenz [. . .] 3) betr. Synode, Möglichkeiten der Regionalsynoden“. Die Berliner Kirchenkanzlei sollte eine Aufstellung der notwendigen Schritte erarbeiten, falls es von Staats wegen zu einer Spaltung der EKD kommen sollte. Die Einberufung einer ostdeutschen Regionalsynode wurde von den Anwesenden nicht ausgeschlossen. Tags darauf versuchte Stolpe, Krummacher davon zu überzeugen, dass der Rat der EKD eine neue Geschäftsordnung beschließen müsse40. Der Rat sollte auf der Grundlage der Fürstenwalder Gesetze bestimmte Mitglieder ermächtigen, die Funktionen des Rates selbstständig für den jeweiligen Bereich wahrzunehmen, falls dies auf den regionalen Tagungen notwendig würde. Der „Regionalrat-Ost“ würde sich selbst eine Geschäftsordnung geben, die auch die Namensfrage der Ostregion der EKD beant36 Schreiben vom 28.2.1968 (EZA BERLIN, 104/46). 37 Niederschrift über die Sitzung am 28.2.1968 (EBD.). Aus dem Westen konnte Ernst Wilm teilnehmen. 38 Lingner an Hammer, 1.3.1968 (EZA BERLIN, 4/22). 39 Aktenvermerk von Behm betr. Sitzung der Konsultativgruppe am 11.3.1968 (EZA BERLIN, 104/46). An der Sitzung nahmen teil: Behm, Benn, Frank, Hammer, von Harling, Heidler, von Heyl, Hildebrandt, Johannes, Knaut, Küntscher, Lewek, Lingner, von Rabenau, Schönherr, Stolpe, Wätzel. 40 Vgl. A. MÄKINEN, Amt, S. 190f.

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worten sollte. Stolpe schlug den Namen „Evangelische Kirchen in der DDR“ vor. Der Regionalrat-Ost würde keine eigenständige Funktion haben, sondern gemeinsam mit der KKL oder der Bischofskonferenz tagen. Zeitgleich mit Stolpes Brief sprach die KKL in Gegenwart von Hammer über die Zukunft der kirchlichen Ost-West-Einheit41. Dabei hob Krummacher mit bemerkenswerter Akzentverlagerung aus seiner Fürstenwalder Rede die Aussage hervor, dass Einheit nicht Uniformität bedeute. Im März fand die Diskussion um die neue DDR-Verfassung ein abruptes Ende. Von den seit Dezember 1967 an die Verfassungskommission gerichteten 11.243 Zuschriften, waren allein 6.806 von den Kirchen und ihren Mitgliedern gekommen42. Insgesamt 7.070 der Zuschriften betrafen den Kirchenartikel. Am 26. März legte die Verfassungskommission der Volkskammer den Entwurf in einer revidierten Fassung vor. Die Gewährung der Gewissens- und Glaubensfreiheit war nun explizit in der Verfassung verankert (Art. 20). Die Kirchenparagrafen aus der Verfassung von 1949 mit ihren detaillierten staatskirchenrechtlichen Gewährleistungen blieben aber gestrichen43. Die Kirchen in der DDR waren dadurch verfassungsrechtlich nicht mehr Körperschaften des öffentlichen Rechts, ihr Rechtsstatus blieb vielmehr offen. Die Selbstständigkeit der kirchlichen Ordnung und der Rechtsschutz für das kirchliche Leben waren nicht mehr garantiert. Jegliche kirchliche Tätigkeit war vielmehr an die Verfassung und die darin enthaltene Führungsrolle der SED gebunden. Der sehr allgemein gehaltene und daher umso besser ideologisch instrumentalisierbare Art. 39,2 lautete nunmehr: „Die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften ordnen ihre Angelegenheiten und üben ihre Tätigkeit aus in Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen Bestimmungen der Deutschen Demokratischen Republik. Näheres kann durch Vereinbarungen geregelt werden.“44 Durch den ersten Satz musste eine die staatlichen Grenzen übergreifende Organisation wie die EKD in die Illegalität geraten. Durch den zweiten Satz waren die Kirchen fortan noch mehr vom Entgegenkommen des Staates bei Verhandlungen abhängig. Gemäß der Differenzierungstaktik hieß es im Bericht der Verfassungskommission, die Änderungen in Art. 20 und 39 seien auf Anregung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Thüringen und ihres Bischofs zustande gekommen. Damit wurde signalisiert, dass nur Mitzenheim ein staatliches Eingehen auf kirchliche Wünsche bewirken konnte. Die Volksabstimmung über die Verfassung war für den 6. April festgesetzt. In ihrem Vorfeld forderte Mitzenheim in einem Interview mit der „Neuen Zeit“ die „christlichen Mitbürger“ auf, zur Verfassung Ja zu sagen.45 Beim Volksentscheid stimmten dann 94,49 % der Teilnehmer für den Entwurf. Alle Bischöfe hatten von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht und 41 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, 1969–1990, S. 21. 42 Vgl. „9. Bericht einer Sachverständigengruppe bei der Verfassungskommission über die zum Verfassungsentwurf eingegangenen Zuschriften im Zeitraum vom 22.–28.3.1968, zugleich letzter und abschließender Bericht dieser Gruppe.“ Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 37–47. 43 Zur verfassungsrechtlichen Stellung religiös gebundener Bürger sowie der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der DDR-Verfassung vom 6.4.1969 vgl. H. KREMSER, Rechtsstatus, S. 45–58. 44 Zitiert nach: KJ 95, 1968, S. 191. 45 NZ, 31.3.1968, S. 1f.

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auch 90 % der Pfarrer hatten ihre Stimmen abgegeben46; laut Seigewasser waren darunter allerdings zahlreiche Nein-Stimmen47. In derselben Information an Verner berichtete der Staatssekretär auch, dass Schönherr und Lotz miteinander über die Möglichkeit gesprochen hätten, einen „Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik“ zu schaffen48. Seigewasser war der Auffassung, dass eine derartige Gründung staatlicherseits gefördert werden sollte, sofern die für den Bund infrage kommenden leitenden kirchlichen Amtsträger ihre Mitgliedschaft im Rat der EKD niederlegten. Denn darin sah er einen „weitere[n] Schlag gegen die Alleinvertretungsanmaßung des Bonner Regimes und der von ihr abhängigen westdeutschen Kirchenleitungen“49. Der Staatssekretär wollte diesbezüglich Einzelgespräche mit Mitzenheim, Schönherr, Krummacher und anderen Bischöfen führen. Zwei Tage nach dem Volksentscheid trafen sich auf Einladung von Krummacher die Mitglieder des Rates der EKD in der DDR und die leitenden Geistlichen der östlichen Kirchen zu einer Weichen stellenden Besprechung, an der auch Hammer teilnahm50. Da man davon ausging, dass seitens der Regierung die Frage der Vereinbarungen nach Art. 39,2 bald aufgegriffen würde, sollte ein verhandlungsfähiges Gremium geschaffen werden, das auch von der Regierung als solches anerkannt wurde. Die Landeskirchen waren sich darin einig, dass der Abschluss von Einzelvereinbarungen zwischen den Bezirken und den einzelnen Landeskirchen zugunsten einer Gesamtvereinbarung vermieden werden musste. Von verschiedenen Teilnehmern wurde betont, dass ein „Notstand“ vorlag und daher die Bildung eines solchen Verhandlungsgremiums „keine Preisgabe von Fürstenwalde“ darstellte. Dissens herrschte jedoch darüber, von welcher Grundlage aus ein solches Gremium zu bilden war. Art. 21,2 der Grundordnung der EKD51 allein wurde nicht als tragfähige Basis angesehen. Der KKL aber fehlte als Vereinigung von Kirchenleitungen das synodale Element. In diesem Kontext wurde an den Antrag der ostdeutschen Synodalen erinnert, eine Regionalsynode Ost einzuberufen und eine stärkere Gemeinschaft der acht Gliedkirchen in der DDR zu schaffen. Es müsse eine „Neuordnung“ gefunden werden, die diesem Wunsch Rechnung trage. Denn jede Neuordnung, so wurde argumentiert, die nicht auf die Regionalsynode in der DDR Bezug nahm, sei schon im Ansatz fehlerhaft. Der „Geburtsfehler“ der Kirchenkonferenz, der Regionalsynode und des Rates, die alle noch mit westdeutscher Beteiligung gewählt worden waren, könne nicht „als unüberwindlich gelten.“ Offen blieb aber die Frage, ob die einzelnen Landessynoden gehört 46 Vgl. R. F. GOECKEL, Kirche, S. 95. 47 Information des StfK vom 11.4.1968 an Verner. Vgl. H. DOHLE, Grundzüge, S. 37. 48 Zitiert nach: C. DIETRICH, Gründung, S. 29, Anm. 26. 49 EBD., S. 30. 50 Aktenvermerk von Behm vom 9.4.1968 (EZA BERLIN, 104/46). 51 „Der Zusammenschluss, die Neubildung und die Auflösung von Gliedkirchen erfolgt im Benehmen mit der Evangelischen Kirche in Deutschland. Das gleiche gilt, wenn sich Gliedkirchen ohne Aufgabe ihres rechtlichen Bestandes innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammenschliessen.“ Zitiert nach: PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 529.

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werden müssten, falls ganz neue Formen der Zusammenarbeit geschaffen werden sollten. Unter dem Eindruck, dass nach außen und nach innen Eile geboten sei, mündete die Diskussion in zwei Beschlüssen: 1. Die Konsultativgruppe wurde beauftragt, zwei Modelle zu erarbeiten: In Modell A sollten im Rahmen der EKD die bestehenden Organe neu und aktionsfähig geordnet sein. Mit Modell B sollte eine Grundlage für eine „Neuformierung der acht Gliedkirchen in der DDR“ vorgelegt werden. 2. Eine zweite Gruppe hatte einen Entwurf für eine Vereinbarung mit dem Staat vorzubereiten. Beide Gruppen mussten bis zum 18. Mai ihre Vorschläge vorlegen. Am 10. April erschien in den „Evangelischen Kommentaren“ ein Interview mit Präsident Hammer, das unmittelbar vor dem Volksentscheid über die DDR-Verfassung und der Sitzung des erweiterten Rates geführt worden war52. Hammer wurde darin auf das so genannte „Zwillingskirchen-Modell“ angesprochen. Der Begriff war schon auf der Synodaltagung 1967 aufgetaucht und hatte dort das Konzept einer konsequent durchgeführten regionalen Gliederung der EKD in paritätische Kirchengebiete in Ost und West bezeichnet. Hammer hielt den Begriff für nicht sehr glücklich, räumte jedoch ein, dass man offen sein müsse für „weitergehende Lösungen“, die zweifelsfrei erkennen ließen, dass keine „ungeistliche gegenseitige Bindung von irgendeiner Seite in Anspruch genommen werden kann.“53 In derselben Ausgabe der „Evangelischen Kommentare“ wurde am Ende eines ungezeichneten Redaktionsartikels die Überführung der EKD in eine „Zwillingskirche“ nach dem Prinzip „Lockerung ohne Loslösung“ ausführlich erörtert54. Es wurde die Ansicht vertreten, dass die bisherige organisatorische Gestalt der Ost-West-Einheit der EKD den Kirchen, Gemeinden und Christen in der DDR nicht dasjenige Maß an Unabhängigkeit und Selbstständigkeit gab, das sie unter den aktuellen Bedingungen benötigten, um „ihrem Auftrag und Dienst in ihrer Umgebung voll gerecht zu werden.“55 Der anonyme Verfasser plädierte dafür, aus „Gründen der Geschichte und der Zukunft“ an der EKD und ihrer Grundordnung, die „einen ökumenischen Fortschritt“ darstelle, festzuhalten. In ihrem Rahmen sollte es jedoch nicht nur eine regionale Synode, sondern auch eine von dieser zu wählende regionale Kirchenleitung geben, die für die Gliedkirchen der EKD in der DDR selbstständig sprechen und handeln konnte. Ein solcher Rat der EKD in der DDR, der auch einen entsprechend bevollmächtigten Vorsitzenden haben sollte, würde die KKL möglicherweise ersetzen können. Nur mit einer derartigen Lösung lasse sich vermeiden, dass die Gemeinschaft der Kirchen in der DDR unter dem Druck von außen auseinander falle und „jede Landeskirche der in der DDR verfaßten sozialistischen Gesellschaft gegenübersteht – was einen verhängnisvollen Rückfall in einen kirchlichen Provinzialismus und einer Sterilisierung des Öffentlichkeitsauftrages der Kirche gleichkommen würde.“ Die Querverbindungen zwischen den beiden „EKD-Zwillingen“, der „Evangelischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland“ 52 53 54 55

Politische Grenzen und kirchliche Gemeinschaft. In: EvKo 1, 1968, S. 177ff. EBD., S. 225. Das Tabu der Einheit. In: EvKo 1, 1968, S. 180–186. EBD., S. 186.

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und der „Evangelischen Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik“, sollten aktiv gestaltet, d. h. es sollte so viel wie möglich gemeinsam verhandelt und beschlossen werden. Mit dem Artikel und dem Interview gaben die westdeutschen „Evangelischen Kommentare“ ungewollt dem ostdeutschen Staat und der Thüringer Kirchenleitung die Waffen in die Hand, um jede auf der Grundordnung der EKD fußende regionale Lösung im Keim zu ersticken56. Angesichts der losgetretenen Agitationswelle war der gewünschte Zusammenschluss der ostdeutschen Kirchen nun nur noch als Akt der Verselbstständigung und Absonderung der östlichen Gliedkirchen von der EKD zu erreichen, auch wenn man dies kirchlicherseits z. T. zunächst nicht wahrhaben oder offen aussprechen wollte. Am 16. April traf sich die Konsultativgruppe, um Modelle zu erarbeiten, die dem Rat und der Bischofskonferenz im Mai vorlegt werden konnten57. Die Vorschläge reichten von lediglich ergänzenden Bestimmungen für den Rat der EKD bis hin zu einer Ordnung für einen Zusammenschluss sämtlicher Gliedkirchen in der DDR. Hammer legte den Anwesenden einen Entwurf über Ausführungsbestimmungen zum „Kirchengesetz über Tagungen der Synode und der Kirchenkonferenz der EKD in besonderen Fällen“ vom 4. April 1967 und den Entwurf „Beschluß über die Wahrnehmung der Aufgaben und Befugnisse des Rates der EKD“ vor. Beide Vorlagen wurden mit der Begründung, dass sie allein in die Kompetenz des Rates fielen, nicht zum Gegenstand der Beratung gemacht. Sie entsprachen insofern Modell A, da versucht wurde, unter Wahrung der Rechtskontinuität praktikable Lösungen zu schaffen, die den Vorwurf einer westdeutschen Beeinflussung entkräfteten. Die Teilnehmer hielten es jedoch für erforderlich, auch ein Modell B zu erarbeiten. Darin sollte der Versuch unternommen werden, zu „neuen praktikablen Lösungen der Situation“ zu kommen, damit die Kirchen in der DDR in die Lage versetzt wurden, ein eigenes Verhandlungsgremium gegenüber dem Staat zu bilden. Ein von der Kirchenkanzlei vorbereiteter Entwurf für Modell B wurde nach kurzer Beratung als nicht praktikabel abgelehnt. Ebenso verwarf die Konsultativgruppe den Gedanken, lediglich die Geschäftsordnung der KKL auszubauen. Der Vorschlag der Kirchenkanzlei in Hannover, eine Satzung der „Evangelischen Kirche in der DDR“ analog der Grundordnung der EKD vorzulegen, wurde lediglich als Material für eine spätere Satzung bezeichnet und nicht im Einzelnen besprochen. Trotz ausgedehnter Diskussion konnte sich die Konsultativgruppe auf keine Linie einigen58. Franz Reinhold Hildebrandt argumentierte, dass eine Absonderung der Gliedkirchen der EKD in der DDR, die er strikt ablehnte, das eigentliche Problem nicht lösen würde. Denn solange die Gliedkirchen in ihren Grundordnungen noch die Gliedschaft in der EKD erklärten, würde der Staat weiterhin Anstoß daran nehmen. Demgegenüber betonte Braecklein, der geistliche Stellvertreter und Vertraute 56 Vgl. Gespräch zwischen Wilkens und Krummacher am 12.9.1968 (EZA BERLIN, 650/95/37). 57 Aktenvermerk von Behm vom 17.4.1968 (EZA BERLIN, 104/46). 58 Vgl. Aktennotiz über die Sitzung am 16.4.1968 vom 22.4.1968 (EZA BERLIN, 4/22).

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von Landesbischof Mitzenheim, dass niemand die Absicht habe, die Gliedschaft in der EKD aufzugeben. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen werde aber keiner Strukturveränderung zustimmen, mit der nicht nach außen die Unabhängigkeit der Gliedkirchen in der DDR vom Westen deutlich gemacht werden könne. Ohne über die Grundsatzfrage, ob eine Verselbstständigung der Gliedkirchen in der DDR sinnvoll sei oder nicht, zu entscheiden, wurde am Ende der Sitzung auf ein Votum von Schönherr und einen Vorschlag von Stolpe hin folgender Beschluss gefasst: „Die Konsultativgruppe wird dem Rat und evtl. auch den Bischöfen als Modell B folgenden Vorschlag machen: Die Landeskirchen in der DDR fassen nachfolgenden gleichlautenden Beschluß: 1. Die ev. Landeskirchen in der DDR schließen sich zur Ev. Kirche in der DDR zusammen. 2. Die Ev. Kirche in der DDR ist ein Bund lutherischer und unierter Kirchen mit gemeinsamer Rechtsvertretung. Ihre Ziele sind die volle Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft sowie das Zusammenwachsen im gemeinsamen Zeugnis und Dienst. 3. Bis zur Erarbeitung einer Ordnung wird als vertretungsberechtigtes Organ ein vorläufiger Ausschuß, in den jede Landeskirche zwei Vertreter entsendet, gebildet. Dieser Ausschuß wählt einen Vorsitzenden und einen stellvertretenden Vorsitzenden. 4. Der vorläufige Ausschuß soll bis zum 1.1.1969 unter synodaler Beteiligung die Ordnung der Ev. Kirche in der DDR erarbeiten. 2. Dieser Beschluß ist zunächst geheim zu halten. Lediglich die Vorsitzenden der Kirchenleitungen können vertraulich informiert werden. 3. Die Frage der Enklaven bedarf einer baldigen Lösung. 4. Die Frage, ob im Oktober die Synode der EKD durchgeführt werden kann, kann noch nicht endgültig entschieden werden, im allgemeinen besteht mehr die Neigung, sie zu verschieben.“59

Damit waren bereits sehr konkret Gestalt und Ziel der „Evangelischen Kirche in der DDR“ benannt: sie sollte ein Kirchenbund sein, der zu einer Kirche zusammenwachsen wollte. Als treibende Kraft in diese Richtung hatte sich Schönherr erwiesen, wobei Stolpe auf dessen Linie eingeschwenkt war. Zeitlich parallel zur Konsultativgruppe tagte in Berlin die Studentenpfarrerkonferenz der ESG in der DDR. Ihr Ergebnis war ein Brief an die KKL, in dem die „partnerschaftliche Aufgliederung“ der ESGiD von 1967 als „Modellhilfe“ für die anstehenden Diskussionen über die Einheit der EKD empfohlen wurde60. „Partnerschaft“ meine den Zusammenhalt und das Gegenüber „beider deutscher Gliedbewegungen“. Sie zeige sich im Austausch von Informationen, in der konstruktiven Kritik und der brüderlichen Beratung. Dennoch würden Fragen des je eigenen Bereichs selbstständig entschieden. Bei der „partnerschaftlichen Aufgliederung“, so resümierten die Studentenpfarrer, bleibe „die Identität mit der vorherigen Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland unter veränderten Strukturen erhalten.“ Über eine Reaktion der KKL 59 Aktenvermerk von Behm vom 17.4.1968 (EZA BERLIN, 104/46). 60 EZA BERLIN, 104/984.

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auf dieses Schreiben ist nichts bekannt, doch sollte der Begriff „partnerschaftlich“ in der weiteren Diskussion um das Verhältnis von Bund und EKD eine wichtige Rolle spielen. Auf Wunsch von Schönherr fand am 22. April ein Gespräch zwischen ihm und Seigewasser statt61. Darin entwickelte er dem Staatssekretär seine Pläne für einen „Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR“, „um auch von ihm einen wohlmeinenden Rat zu erhalten.“ Im staatlichen Protokoll hieß es zu diesem Gesprächspunkt: „[Er plädierte für] ein selbstständiges Organ, völlig unabhängig von der EKD, unter Beibehaltung des Status der Landeskirchen in der DDR [. . .] Die Frage ist, wie der notwendige Schlußstrich zu ziehen ist. Ob dazu eine Regionalsynode Ost einberufen wird, die die organisatorische Trennung erklärt, müßte geprüft werden. Niemand dürfe aber den Versuch machen, die EKD ins Spiel zu bringen. Die Kirchen in der DDR müßten sich eigene Organe einschließlich der eigenen Synode schaffen [. . .] Die kirchlichen Organe [. . .] müßten die Beendigung der EKD-Zugehörigkeit bekanntgeben und einen ‚Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR‘ schaffen. Die Organe, die sogenannten gesamtdeutschen Charakter tragen, wie die Kirchenkanzlei der EKD, EKU und der VELKD, müßten aufhören zu existieren. Auch hier sind neue Organe durch diesen ‚Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR‘ zu schaffen, denen die Leiter dieser Institutionen nicht mehr angehören. [. . .] Um jetzt den Vorstellungen, daß die EKD in der DDR nicht mehr existiert, konkrete Gestalt zu geben, wäre es nötig, daß die Landeskirchen ein vorbereitendes repräsentatives Gremium (aus je einer Landeskirche zwei Vertreter) bilden, daraus einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter dieses 16-Mann-Gremiums wählen, die eine Kirchenverfassung vorbereiten und dem Staat für Verhandlungen zur Verfügung stehen [. . .] Das Gremium müßte weiterhin festlegen, bis wann diese Verfassung stehen muß, daß eine Synode zu bilden ist – ein Konvent der Landeskirchen –, wo alle Kirchen vertreten sind, die für ihre Kirche sprechen. Aus der Synode heraus müßte ein Ausschuß [. . .] gewählt werden, der sich eine eigene Exekutive schafft und die Vielzahl der Dienststellen der Kirchen in der DDR reduziert.“62

Seigewasser hielt dies für „kühne Gedanken“. Ihm war vor allem wichtig, dass im Ergebnis die ostdeutschen Kirchen sowohl in der DDR als auch innerhalb der Ökumene ein „selbständiges organisatorisches Gebilde ohne westdeutsche Bevormundung und Einflußnahme“ darstellten. Noch aber waren Krummacher und andere Mitglieder der KKL bestrebt, eine Kompromisslösung zu finden, d. h. einen Zusammenschluss der Kirchen in der DDR ohne Preisgabe der EKD. Krummacher arbeitete einen Beschlussentwurf über Organe der evangelischen Kirchen in der DDR aus63, den allein die in Ostdeutschland wohnhaften Mitglieder des Rates der EKD verabschieden sollten. Er sah eine strikte Regionalisierung aller Organe der EKD vor. Damit sollte einerseits sichergestellt werden, dass die Einrichtungen der EKD im Bereich der DDR als solche funktionsfähig blieben und andererseits der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die DDR-Behörden die

61 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 668ff. 62 Zitiert nach: EBD., S. 668f. 63 EZA BERLIN, 104/47.

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EKD nicht anerkannten und mit ihren Organen nicht verhandelten. Die „Synode der Evangelischen Kirche in der DDR“, die „Kirchenkonferenz der Evangelischen Kirche in der DDR“, der „Rat der Evangelischen Kirche in der DDR“ und die „Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in der DDR“ waren rechtlich gesehen keine neuen Organe, sondern es handelte sich lediglich um eine besondere Bezeichnung von Teilorganen der Gesamt-EKD. Der Entwurf enthielt darüber hinaus auch eine Empfehlung des Rates an die Gliedkirchen, einen gemeinsamen Ausschuss einzusetzen, der unter der Verantwortung des Rates und der leitenden Geistlichen nach Möglichkeit bis zum 1. Januar 1969 eine Ordnung „für die engere kirchliche Gemeinschaft einer ‚Evangelischen Kirche in der DDR‘“ zu erstellen hatte. Auch Präsident Johannes wollte, dass der Rat in eigener Verantwortung tätig wurde64. Eine Verbindung von Modell A und B, wie in Krummachers Entwurf, hielt er aber nicht für möglich. Ihm schwebte ein gesonderter Beschluss vor, in dem zugleich das Junktim des aktuellen Modells B – die Bildung eines Verhandlungsgremiums und die Bildung eines Ausschusses zur Erarbeitung einer Satzung der „Evangelischen Kirche in der DDR“ – aufgelöst wurde. Der Rat sollte den Gliedkirchen und leitenden Geistlichen folgendes empfehlen: Erstens die Einsetzung eines Gremiums aus drei bis vier Männern zur Wahrnehmung der Verhandlungen mit den staatlichen Stellen; zweitens die Bildung eines Ausschusses aus Mitgliedern des Rates, der Kirchenkonferenz und der Synode, der die Satzung der Evangelischen Kirche in der DDR vorzubereiten hatte. In Abstimmung mit der Kirchenkanzlei – Berliner Stelle legte Krummacher schließlich folgendes weitere Verfahren fest65: Der Rat würde am 2. und 3. Mai die Beschlüsse über die Regionalisierung von Rat, Kirchenkonferenz und Synode fassen, die jedoch zunächst weder veröffentlicht noch ausgeführt werden sollten. Über den Wert dieser Beschlüsse würde am 18. Mai in Anwesenheit ostdeutscher Kirchenvertreter auf der erweiterten Ratssitzung diskutiert werden. Vom Ergebnis dieser Besprechung wollte man das weitere Vorgehen abhängig machen. Auf der Ratssitzung Anfang Mai fand mit Hilfe von Hammer und Harling zwischen den in Ost-Berlin und den in West-Berlin tagenden Ratsmitgliedern ein intensiver Meinungsaustausch über die künftige Ordnung der EKD statt66. Die Ratsmitglieder aus der DDR versicherten, dass es sich bei den strukturellen Überlegungen „nicht nur“ – wie wohl zum Teil von den westlichen Ratsmitgliedern vermutet – um eine „Reaktion“ auf staatliche Wünsche handelte. Die Beratungen der Konsultativgruppe hätten deutlich gemacht, dass die Ansätze zu einer Neuordnung der Verhältnisse zwischen Ost und West aus dem innerkirchlichen Raum stammten. Teilweise würden sehr weitgehende Umstrukturierungen erwogen, die fast einer Auflösung der EKD nahe kämen. Die östlichen Ratsmitglieder wollten hingegen auf jeden Fall die Kontinuität der EKD 64 Aktennotiz Behms für Krummacher über eine Besprechung mit Johannes am 23.4.1968 (EZA BERLIN, 104/47). Vgl. Johannes an Behm, 25.4.1968. Paraphrasiert bei: G. BESIER, SED-Staat, S. 670. 65 Vermerk Lingner an Scharf, 24.4.1968 (EZA BERLIN, 104/47). 66 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD (Ost) am 2./3.5.1968 (EBD.).

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bewahren, zugleich aber auch den Weg offen halten zu einer „wirklichen geistlichen Gemeinschaft“ der Gliedkirchen in der DDR. Kritik übten sie an den Artikeln in den „Evangelischen Kommentaren“, die zu sehr Einblick in die internen Überlegungen der verantwortlichen Gremien gaben und bereits die zu erwartenden Reaktionen auf staatlicher Seite hervorgerufen hatten. Sie waren daher nicht sicher, ob die von ihnen vorgeschlagene Regelung die Zustimmung der leitenden Geistlichen am 18. Mai finden würde. Der Rat sollte ihrer Ansicht nach aber auf jeden Fall aktiv werden, um nicht „in Abhängigkeit von anderen Stellen und Strömungen zu geraten.“ Die langen Beratungen der Ratsmitglieder in Ost- und West-Berlin führten schließlich zu folgendem Resultat: Der Gesamtrat verabschiedete einstimmig die „Ausführungsbestimmungen zum Kirchengesetz über Tagungen der Synode und der Kirchenkonferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland in besonderen Fällen vom 4. April 1967“67 und den „Beschluß über die Wahrnehmung der Aufgaben und Befugnisse des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland“68. Auf Wunsch der westlichen Ratsmitglieder sollte Dietzfelbinger in einem Schreiben an Krummacher ihre Bedenken gegen weitergehende Beschlüsse der östlichen Ratsmitglieder darlegen. Darüber hinaus wurde eine Aussprache mit dem Ratsmitglied Riedel in Aussicht genommen, der in „geistlicher Verantwortung nachdrücklich“ mit den Ratsmitgliedern in der DDR sprechen sollte69. Vorbehaltlich, dass sie noch infolge des Briefes und der Aussprache ihre Entscheidungen revidierten, fassten die östlichen Ratsmitglieder zwei Beschlüsse: 1. „Beschluß über den Rat und die Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik“ sowie 2. „Beschlüsse über die Synode und die Kirchenkonferenz der Evangelischen Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik“70. Krummacher wurde beauftragt, die leitenden Geistlichen in der DDR über die Ratsbeschlüsse und ihre Motive zu informieren. Der Rat wollte den Bischöfen vorschlagen, eine kleine Verhandlungskommission zur Beratung von Vereinbarungen mit dem Staat zu bestimmen. Ihr sollte das Material des am 8. April gegründeten „Vereinbarungsausschusses“ zur Verfügung gestellt werden, der seine Arbeit inzwischen abgeschlossen hatte. Falls die Kirchen die getroffenen Regelungen als nicht ausreichend empfinden würden, konnte als letzte Möglichkeit Folgendes angeboten werden: Berufung eines Ausschusses, der sich aus Mitgliedern der EKD-Synode, der Kirchenkonferenz und des Rates zusammensetzte. Dieser Ausschuss sollte ohne terminlichen Druck eine „Satzung der Evangelischen Kirche in der DDR“ ausarbeiten, die sich im Rahmen der Grundordnung der EKD hielt. Diese Satzung musste dann von der regionalen Tagung der EKD-Synode und von den einzelnen Landessynoden

67 Anlage 1 (EBD.). Die Ausführungsbestimmungen wurden erst im Herbst 1968 im Amtsblatt der EKD veröffentlicht. Abdruck in: KJ 95, 1968, S. 218ff. 68 Anlage 2 (EZA BERLIN, 104/47). Dieser Beschluss wurde nicht im Amtsblatt der EKD veröffentlicht. Er wird paraphrasiert in: KJ 95, 1968, S. 220. 69 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD (West) am 2./3.5.1968 in Berlin (EZA BERLIN, 104/47). 70 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD (Ost) am 2./3.5.1968 (EBD.).

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bestätigt werden. Von den westlichen Ratsmitgliedern wurde dieser Weg als ultima ratio bezeichnet, da er die Gefahr des Auseinanderfallens der EKD in sich barg. Die ostdeutschen Ratsmitglieder hielten dem entgegen, dass das Festhalten an der Kontinuität der EKD zum Auftrag dieses Ausschusses gehören würde, und dass der Rat von Anfang an beteiligt wäre. Dietzfelbinger sprach in seinem Brief an Krummacher vom 7. Mai, mit dem er sich auch an alle Ratsmitglieder sowie die Kirchenleitungen wandte, von dem Wunsch, „die Verbundenheit in der Freiheit aufrecht“ zu erhalten71. Zur Begründung verwies er auf die „brüderliche Gemeinschaft des Glaubens“ und die gemeinsame Geschichte in der EKD „von Eisenach 1948 bis hin zu Fürstenwalde 1967“. Er berichtete über die Befürchtungen der westlichen Ratsmitglieder, die Entwicklung führe zur Trennung der EKD. Weiter machte er auf die bestehenden juristischen Bedenken aufmerksam, dass der „Beschluß über die Wahrnehmung der Aufgaben und Befugnisse des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland“ keine ausreichende rechtliche Basis für die beabsichtigten Beschlüsse über die Organe der Evangelischen Kirche in der DDR darstelle. In Anspielung auf die materiellen Hilfeleistungen der Westkirchen erklärte der Ratsvorsitzende: „Ich bitte es brüderlich aufzunehmen, daß wir über die Folgerungen besorgt sind, auch im Blick auf die Rückwirkungen, die bei uns eintreten könnten. Wir fürchten, daß manchen Aktivitäten der Gemeinschaft der Boden bis ins Rechtliche hinein entzogen werden könnte. Organisatorische Gemeinschaft hat eben doch ihre große Bedeutung, je nachdem ob sie vorhanden ist oder ob sie preisgegeben wird.“

Am Ende seines Briefes verwies er auf die Möglichkeiten, die Art. 21,2 der Grundordnung der EKD bot. Sie sollten in gemeinsamer Beratung mit den westlichen Ratsmitgliedern erwogen werden. Dietzfelbinger bezeichnete seine Äußerungen als „brüderlichen Rat“ und „dringende Bitte“. Diese Wortwahl sowie der gesamte Briefinhalt bezeugen, dass die EKD zu diesem Zeitpunkt noch versuchte, mit ‚sanftem‘ Druck Einfluss auf die Entwicklung zu nehmen. Entsprechend wies auch Riedel die östlichen Ratsmitglieder im direkten Gespräch noch einmal sehr nachdrücklich auf die möglichen Konsequenzen ihrer Beschlüsse hin72: Sie hätten Auswirkungen in „geistlicher Hinsicht, doch auch andere Folgen bis hin in die Hilfe des Westens für den Osten seien nicht auszuschließen.“ Die Charakterisierung der Beziehungen als „ökumenische Verbundenheit“ reiche nicht aus. Die EKD sei mehr, hier seien Kirchen „aufeinander angewiesen und müßten auch unter Nöten aneinander festhalten.“ Man müsse zudem bedenken, dass Mitzenheim mit seiner Haltung auch in seiner eigenen Kirche auf Widerstand treffe. Krummacher konterte, dass gerade der Westen immer wieder dazu gemahnt habe, Mitzenheim in der Gemeinschaft der Kirchen zu halten. Erneut unterstrich er, dass die Überlegungen der östlichen Ratsmitglieder nicht primär von der Sorge um bessere Möglichkeiten bei eventuellen Verhandlungen mit dem Staat be71 EZA BERLIN, 104/47. 72 Niederschrift für die Beratung der Ratsmitglieder am 10.5.1968 (EZA BERLIN, 104/47).

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stimmt seien. Sie bewege vielmehr der Gedanke, innerkirchlich ihre Verantwortung für eine adäquate Ordnung nicht voll wahrzunehmen, so dass ihnen bei einer nicht auszuschließenden „Aktion“ der Vorwurf der Inaktivität gemacht werden könnte. Wenn nur Beschluss 1 und 2 gefasst würden, bestehe die Gefahr, dass die Organe der EKD im Ernstfall handlungsunfähig würden und sich neue Organe bildeten, die namentlich den Rat und die Kirchenkanzlei lahmlegten, so dass es dadurch zu einer Aufspaltung der EKD käme. In der Aussprache wurden sich Riedel und die östlichen Ratsmitglieder darüber einig, dass eine Regelung gefunden werden musste, der beide Seiten zustimmen konnten. Ein Bruch oder auch nur eine Verstimmung zwischen Ost und West wollte man in der aktuellen Situation tunlichst vermeiden. Es sollte daher noch andere Lösungen geprüft werden, etwa in der Namensfrage der Austausch des anstößigen Singulars „Evangelische Kirche in der DDR“ durch den Plural „evangelische Kirchen in der DDR“. Auf jeden Fall wollte man erreichen, dass am 18. Mai die Tür für weitere Überlegungen offen blieb. Dafür wurde eine relativ schwache Position des Rates bei dieser Sitzung in Kauf genommen. Im Ergebnis gaben die östlichen Ratsmitglieder den westlichen Bedenken nach und so wurde folgendes vereinbart: – Der Rat gibt die Beschlüsse 1 und 2 bekannt. Die weiteren Beschlüsse werden sistiert. – Es wird mitgeteilt, dass auf Grund von Beschluss 2 eingehende Überlegungen über weiterführende Regelungen stattfinden, die noch zu keinen abschließenden Entscheidungen geführt haben. – Der Rat empfiehlt im Hinblick auf eventuell bevorstehende Verhandlungen die Bereitstellung einer kirchlichen Verhandlungskommission, die dem Rat und den leitenden Geistlichen zugeordnet wird. Ihr sollten Schönherr, Johannes, Braecklein, Jänicke und vielleicht auch Juergensohn angehören. – Der Rat wird mit Rücksicht auf Punkt 2 die Aussetzung der Wahl der beiden Vorsitzenden der KKL am 6. Juni empfehlen. – Der Rat bevollmächtigt Olav Lingner bei Dietzfelbinger und Hammer anzufragen, ob zwischen Persönlichkeiten, die den westlichen Ratsmitgliedern nahestehen, und Vertretern der östlichen Kirchen Gespräche stattfinden sollten, um dem Rat für seine Sitzung am 13. und 14. Juni neue Vorschläge vorlegen zu können. Dabei müssten alle Möglichkeiten durchberaten werden.

Krummacher war über dieses Resultat enttäuscht, denn er hatte gehofft, mit einer schnellen Lösung die Einheit der EKD retten und gleichzeitig funktionierende Strukturen im Osten aufbauen zu können. Er sah eine große Chance vertan73. Auf der Sitzung des so genannten Erweiterten Rates am 18. Mai ließ er sich diese Enttäuschung aber nicht anmerken und berichtete über den Stand der bisherigen Beratungen74. Die Konsultativgruppe habe entsprechend ihrem Auftrag die beiden Modelle A und B 73 Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 196. 74 Protokoll über die Sitzung des so genannten Erweiterten Rates am 18.5.1968 in der Auguststraße (EZA BERLIN, 4/22). Neben diesem Verlaufsprotokoll existiert eine kürzere Niederschrift von Behm (EBD., 104/47). Sitzungsteilnehmer waren Behm, von Brück, Figur, Fränkel, Hammer, Hildebrandt, Jänicke, Johannes, Krummacher, Lingner, Lundbeck, Mitzenheim, Müller, Schönherr, Wätzel.

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durchdacht und sich dabei besonders mit Modell B als dem Alternativvorschlag befasst. Der Rat der EKD habe seinerseits im Sinne von Modell A zwei Beschlüsse gefasst, in deren Folge nun eine klare regionale Gliederung mit selbstständiger Verantwortung unter Wahrung der Rechtskontinuität der EKD existiere. Mitzenheim und Schönherr widersprachen ihm in diesem Punkt und wollten die vier Ratsmitglieder im Bereich der DDR nicht als Organ der EKD für die DDR anerkennen. Sie begründeten dies damit, dass in Fürstenwalde ein Gesamtrat und nicht Regionalräte gewählt worden seien. Sonst wäre die Wahl personell anders ausgefallen. Damit argumentierten sie nicht nur formal-juristisch, sondern auch inhaltlich. Mitzenheim kritisierte überdies den Artikel und das Interview in den „Evangelischen Kommentaren“. Er sah in ihnen einen Bruch der Vertraulichkeit der Verhandlungen, was jedoch nicht zutraf, da beide vor den gemeinsamen Beratungen über Strukturveränderungen entstanden waren. Krummacher versuchte daraufhin zu retten, was zu retten war und erläuterte die Empfehlung des Rates hinsichtlich Modell B: Anstelle des von der Konsultativgruppe vorgeschlagenen einen Ausschusses sollten zwei Gremien gebildet werden. Ein kleines und aktionsfähiges Gremium für Verhandlungen und ein Gremium für Fragen der Neuordnung der Gemeinschaft der acht Gliedkirchen, in dem diese vertreten waren. Das Verhandlungsgremium sollte möglichst schnell gebildet werden. Eine „Neuordnung“ mit dem Ziel einer „geistliche[n] und faktische[n] Stärkung der Gemeinschaft“ müsse hingegen gründlich beraten werden. Krummacher wollte damit verhindern, dass in dieser Frage ein schneller Beschluss gefasst wurde, wie er von der Konsultativgruppe vorgeschlagen worden war. Die anschließende Aussprache konzentrierte sich auf Fragen der Gemeinschaft der acht Gliedkirchen in der DDR. Die Mehrheit der Voten ging dahin, dass die Verbundenheit der Kirchen in der DDR deutlicher ausgedrückt werden sollte. Schönherr sprach von der faktisch bereits vorhandenen Bindung, die stärker sei als die in der Grundordnung der EKD vorgesehene. Entgegen früherer Äußerungen vertrat er auf der Sitzung die Ansicht, dass die neu zu schaffende Ordnung sowohl die Rechtskontinuität der EKD als auch die Eigenständigkeit und die Verbundenheit der ostdeutschen Kirchen zum Ausdruck bringen müsse. Über die Art des Zusammenschlusses der Kirchen in der DDR bestand unter den Anwesenden kein Konsens. Während Schönherr einen Neuzusammenschluss anstrebte, der ekklesiologisch „einen Schritt nach vorne“ bedeutete, präferierte Mitzenheim den Ausbau der KKL und damit einen eher lockeren Zusammenschluss, der ihm seinen Sonderweg im Staat-Kirche-Verhältnis sicherte. Hinsichtlich der zu schaffenden Gremien für die Verhandlungen mit dem Staat und für die Vorbereitung einer neuen Ordnung bestand er darauf, dass die Ausschüsse ohne jede Beteiligung von EKD-Organen gebildet werden sollten. Nach langer Diskussion wurde die Einrichtung je einer Verhandlungskommission und einer Strukturkommission beschlossen. Für die Verhandlungskommission wurden benannt: Schönherr, Johannes, Jänicke und ein Vertreter Thüringens, der von der dortigen Kirchenleitung ausgewählt werden sollte. Die Federführung hatte Schönherr. Die ostdeutschen Kirchenleitungen wurden gebeten, diese Beschlüsse zu bestätigen und ihre Vertreter für die Strukturkommission zu nominieren. Die kirchlichen Zusammenschlüsse EKD, EKU und VELKD wurden nicht aufgefordert, Kom-

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missionsmitglieder zu benennen. Ebenfalls war nicht vorgesehen, dass westdeutsche Kirchenvertreter beratend oder als Gäste an den Strukturverhandlungen teilnahmen. Die Beschlüsse sollten bis zur nächsten Sitzung vertraulich bleiben, was sich als Illusion herausstellte. Das MfS kam sogar in Besitz einer Durchschrift des Sitzungsprotokolls75. Am 29. Mai wurde Ulbricht vom MfS ausführlich über „geplante Strukturveränderungen der ‚Evangelischen Kirche in Deutschland‘“ informiert76. Bis zum 5. Juni hatten alle Landeskirchen in der DDR der Bildung der beiden Kommissionen zugestimmt und die Nominierungen für die Strukturkommission vorgenommen77. Die Strukturkommission setzte sich zusammen aus den Mitgliedern der Verhandlungskommission (Schönherr, Jänicke, Johannes, Braecklein) sowie Fleischhack (Kirchenprovinz Sachsen), Müller (Anhalt), Wendelin (Sachsen), Ringhandt (Berlin-Brandenburg), Rudolf Lotz (Thüringen), Beste (Mecklenburg) und Woelcke (Greifswald). Durch das landeskirchliche Nominierungsrecht waren Vertreter unterschiedlicher theologischer Richtungen in die Kommission gelangt. Stolpe wurde der Strukturkommission als Geschäftsführer mit beratender Stimme beigeordnet, ohne dass man damit die Frage der gesamtkirchlichen Dienststellen präjudizieren wollte. Als Aufgaben der beiden Kommissionen wurden festgehalten: Die Strukturkommission hatte bis spätestens Jahresende „Vorschläge für die Neuordnung der Gemeinschaft der 8 Landeskirchen in der DDR zur Beschlußfassung durch die Kirchen zu erarbeiten, ohne daß dabei deren Rechtsbestand oder Rechtsverpflichtungen aufgegeben werden.“ Die Verhandlungskommission wurde für den Fall eingesetzt, dass die Regierung „Vereinbarungen“ entsprechend Art. 39,2 der Verfassung treffen wollte. Schönherr sollte Staatssekretär Seigewasser über die Beschlüsse informieren und gemeinsam mit von Brück und Braecklein eine Presseerklärung über die Berufung der beiden Kommissionen formulieren. Mit dem Pressetext wollte man den Gemeinden den Eindruck vermitteln, dass die Kirchenleitungen in diesen dringenden Angelegenheiten nicht untätig waren. Die Erklärung erschien als Verlautbarung der Kirchenleitungen der evangelischen Landeskirchen in der DDR im „ENA“78. Zur Aufgabe der Strukturkommission hieß es darin, sie solle „die seit langem anstehende Frage prüfen, wie die unter den Kirchen der DDR bestehende Arbeits- und Zeugnisgemeinschaft intensiviert werden“ könne. Die DDR-Verfassung wurde in der Verlautbarung weder als Ursache noch als Anstoß für die Strukturüberlegungen erwähnt. Die westlichen Ratsmitglieder zeigten sich Mitte Juni darüber bestürzt, welchen Weg die Kirchen in der DDR seit dem 8. April eingeschlagen hatten79. Über Hammer teilten sie den ostdeutschen Mitgliedern ihre Fragen und Mahnungen mit: 75 BStU BERLIN, MfS ZAIG 1501. 76 EBD. 77 Niederschrift über die Sitzung der leitenden Geistlichen der Gliedkirchen in der DDR und der östlichen Ratsmitglieder am 5.6.1968 (EZA BERLIN, 104/47). 78 Abdruck in: KJ 95, 1968, S. 228. 79 Niederschrift (Ost) über die Sitzung des Rates der EKD am 13./14.6.1968 (EZA BERLIN, 104/47) und Auszug aus der Niederschrift (West) über die Sitzung des Rates der EKD am 13./14.6.1968 in Berlin (EBD., 104/48).

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„Entsteht hier nicht die Gefahr des Auseinanderbrechens der EKD? Z. B. ist die EKD und sind die Brüder aus dem Westen weder in der Verhandlungskommission noch vor allem in der Strukturkommission vertreten, auch die Kirchenkanzlei ist durch die Berufung von Konsistorialrat Stolpe zum Sekretär der Kommission ausgeschaltet. Sind hier wirklich alle Konsequenzen bedacht worden? Wie wird es mit der Kirche von Berlin-Brandenburg? [. . .] Hat man auch alle Rechtsfragen mitbedacht? Z. B. ist entgegen anders lautenden Auskünften auch die Hilfe des Westens für den Osten gefährdet, einmal entstehen hier rechtliche Probleme, vor allem aber dürfte es nicht leicht sein, die Bereitschaft zur Hilfe in den westlichen Kirchen und Gemeinden wachzuhalten, wenn es zu einer Trennung kommen sollte. Man dürfe doch auch die Folgen für das Diakonische Werk nicht außer Betracht lassen. Der Westen begrüßt das Vorwärtsweisende hin zu einer größeren Gemeinschaft, das in den östlichen Bemühungen deutlich würde. Aber er warnt vor einem Überschwang. Wenn hier etwa ein kirchenpolitischer Druck auf den Westen ausgeübt werden sollte, könnte das Ergebnis auch negativ sein und eher zu einer Verhärtung der Gegensätze führen. Der Westen will an der Gemeinschaft der EKD auf jeden Fall festhalten. Sollte es trotzdem zu einem Auseinanderbrechen der EKD kommen, liegt es nicht an ihm. Eine Neuregelung sollte nicht ohne synodale Beteiligung erfolgen. Allein eine oekumenische Gemeinschaft der Kirche bedeutete einen Rückschritt gegenüber dem Bestehenden. Der Osten sollte sich auch von der Frage der ‚Vereinbarungen‘ nicht zu sehr beeinflussen lassen, diese Frage sollte auf Zeit gelegt werden, selbst wenn Thüringen dann Sondervereinbarungen abschließen sollte.“80

Die Ratsmitglieder in der DDR waren daraufhin um Abwiegelung bemüht. „Der Verdacht des Westens, vom Osten abgeschrieben zu sein, sei unberechtigt“, erklärte Krummacher. Die Gesamtkirche werde gehört werden, die Rechtskontinuität solle nach dem Willen aller gewahrt bleiben, keiner „wolle einen Ausmarsch aus der EKD“. Die Zusammensetzung der Kommissionen erklärte er damit, dass der „Makel der Fremdbestimmung“ vermieden werden sollte. Krummacher argumentierte gegenüber den westlichen Ratsmitgliedern vornehmlich mit der Zwangssituation, in der sich die Kirchen in der DDR – und auch er selbst – befanden. Im Westen schätze man die Frage der staatlichen Reaktion falsch ein. Der Staat vermeide zwar spektakuläre Maßnahmen, lege dafür aber „Daumenschrauben“ an. Als Beispiel nannte Krummacher, dass Noth und er auf Grund ihrer Mitgliedschaft im Rat der EKD keine Ausreisegenehmigung für die Weltkirchenkonferenz in Uppsala im Juli erhielten. Um weitere, in ihren Augen unnötige Anstöße zu vermeiden, beschlossen die Ratsmitglieder in der DDR, die „Kirchenkanzlei für die Gliedkirchen in der DDR“ in „Evangelische Kirchenkanzlei“ umzubenennen. Neben der Kritik im Rat gab es in der Bundesrepublik auch einzelne protestantische Stimmen, die sich positiv zu den Vorgängen in den evangelischen Landeskirchen in der DDR äußerten und sie als Reformprozess deuteten. Die „Unbeweglichkeit des Territorialkirchentums und die Unbelehrbarkeit des traditionellen Konfessionalismus seien die härtesten Barrieren für eine Mobilisierung und Erneuerung der Kirche“, erklärte im Juni der evangelische Publizist Eberhard Stammler in einer Hörfunksen-

80 Niederschrift (Ost) über die Sitzung des Rates der EKD am 13./14.6.1968 (EZA BERLIN, 104/47).

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dung81. Die Initiative der ostdeutschen Landeskirchen zu einem engeren Zusammenschluss bezeichnete er als „ein erregendes Beispiel für die Lebendigkeit kirchlicher Entscheidung“ und hoffte, „dass dieser Funke auch in unser verkrustetes Kirchenwesen überspringt“. In den Kirchen der DDR habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass in einem säkularisierten Staat die „Ideologie der Volkskirche“ nicht mehr durchzuhalten sei. Stattdessen müsse die Kirche „neue bewegliche Strukturen“ finden, um in der sozialistischen Gesellschaft ihrem Auftrag gerecht werden zu können. Angesichts dieser Aufgabenstellung würden die Konfessionsunterschiede uninteressant. An ihrer Stelle würden sich „neue Fraktionen“ bilden, „die ihre Profile etwa im Verhältnis zur biblischen Tradition oder zum sozialistischen Gesellschaftsbild fänden.“ Durch diese Entwicklung wurde nach Stammlers Auffassung auch die bisherige Struktur der EKD ernsthaft in Frage gestellt. Künftig müsse von der EKD die „Form der Kooperation“ eingeübt werden. In diesem Zusammenhang meinte der Publizist, durch die aktuellen Vorgänge werde deutlich, dass der „Wunschtraum, die EKD sei Garant für die kommende Wiedervereinigung, ausgeträumt sei.“ Doch die Vorgänge in den evangelischen Kirchen in der DDR waren eben nicht primär eine Aktion mit dem Ziel, neue kirchliche Strukturen zu schaffen, sondern eine Reaktion auf die staatliche Kirchenpolitik. Dabei versuchte man sich allerdings kirchlicherseits durch initiatives Handeln, noch so viel Freiraum wie möglich zu verschaffen. Am 16. Juni wurde nach längerer Pause erstmals wieder ein politischer Angriff auf die Zugehörigkeit der ostdeutschen Landeskirchen zur EKD geführt. Die „Neue Zeit“ polemisierte in einem Leitartikel dagegen, dass die Kirchenkanzlei in Hannover die „freien und unabhängigen evangelischen Kirchen in der DDR immer noch zu ihrem innerkirchlichen Dienstbereich“ rechnete, obwohl dieser „gesamtdeutschen Repräsentationsanmaßung der westdeutschen EKD durch die neue DDR-Verfassung für immer ein staatsrechtlicher Riegel vorgeschoben“ worden sei82. Den Anlass zu dieser Unmutsäußerung hatte Präsident Hammer geliefert, der auf einer Tagung in West-Berlin erklärt hatte, man müsse akzeptieren, dass auf Dauer die Kirche nicht in das Verfassungsbild einer sozialistischen Gesellschaft passe. Am 24. Juni fasste Seigewasser in einer Aktennotiz die Eindrücke zusammen, die er in seinen Gesprächen mit Mitzenheim, Lotz, Schönherr und Jacob während der Monate Mai und Juni über „Fragen einer selbständigen, von der westdeutschen EKD unabhängigen Kirche in der DDR“ gesammelt hatte83. Seiner realistischen Einschätzung nach suchten alle seine Gesprächspartner nach organisatorischen Lösungen für die Kirchen in der DDR, die ihnen den „Ausweg aus der Sackgasse von Fürstenwalde“, so zitierte er Schönherr, ermöglichten. Mitzenheim und Lotz seien sich darüber im Klaren, dass der von einigen Kirchenleitungen angestrebte „Bund der evang. Kirche in der DDR“ eine für die Thüringer Kirche gefährliche Problematik enthielt. Bisher konnten die Thüringer gegen Beschlüsse der KKL ihr Veto einlegen, so dass sie danach 81 Vgl. JK 29, 1968, S. 432. 82 Eberhard Klages: Notwendiges Umdenken. In: NZ, 16.6.1968, S. 1f., hier S. 1. 83 BStU BERLIN, DY 30/IV A2/14/10. Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 59ff.

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nicht an sie gebunden waren. Mit der Schaffung eines zentralistisch orientierten Bundes wäre diese föderative kirchliche Möglichkeit beseitigt. Deshalb träten Mitzenheim und Lotz zunächst für die Beibehaltung des loseren „Konferenz“-Gedankens ein. Allerdings sollte die neue KKL institutionell völlig unabhängig vom Rat der EKD sein. Lotz wolle die EKD-Synode einfach einschlafen lassen, um sich nicht mit dem Odium der Spaltung der EKD zu belasten. Mitzenheim folge ihm in dieser Absicht. Schönherr dagegen habe ihm gegenüber in zwei Gesprächen zum Ausdruck gebracht, dass er nach Wegen suche, um die Fürstenwalder „Fehl-Entscheidung“ zu korrigieren. Generalsuperintendent Jacob gehe in seiner Beurteilung der EKD-Problematik weit über Schönherr hinaus. Für ihn sei klar, dass die Kirche in der DDR als Kirche in der sozialistischen Gesellschaft völlig andere Aufgaben habe als die Kirche Westdeutschlands. Die EKD-Problematik sei ihm heute aus dieser Grundüberlegung kein Anlass zum „Demonstrationsbekenntnis“. Seigewasser schloss aus dem Inhalt der Gespräche, dass eine einflussreiche Gruppe von Kirchenleitungsmitgliedern außerhalb Thüringens „den ernsthaften Versuch unternimmt, sich mit dem Staat zu arrangieren“. Außerdem ging er davon aus, dass auch Gegner dieser Gruppe in kirchenleitenden Gremien wie Hildebrandt und Fränkel „die Realität der sozialistischen Verfassung richtig einschätzten“ und deshalb versuchten, die „Tricks der westdeutschen Zentrale der EKD (Zwillingskirche – vermeintlich selbständige Regionalsynoden Westdeutschland – DDR)“ als Lösung zu empfehlen. Nach Ansicht des Staatssekretärs für Kirchenfragen sollte das Verhalten von Staat und Partei in Gesprächen und später in eventuellen Verhandlungen konsequent auf eine organisatorische, „d. h. auch rechtlich selbständige Kirche in der DDR (praktisch: selbständige Landeskirchen der DDR) gerichtet sein.“84 Da auch Schönherr sich darüber im Klaren sei, dass Dienststellen der EKD bzw. der EKU heute ihre Berechtigung in der DDR verloren hätten, sollte von Staatsund Parteiseite stetig auf die Auflösung dieser Stellen gedrängt werden. Auch könne erwartet werden, dass die in der DDR wohnhaften Mitglieder des Rates der EKD auf die Ausübung ihrer Funktionen verzichteten. Ohne Berücksichtigung dieser „normalen Forderungen“ durch die Kirchen in der DDR hätten Verhandlungen über Vereinbarungen konkreter Art nach Art. 39,2 keinen Sinn. Damit formulierte Seigewasser in seiner Aktennotiz, die u. a. an den Vorsitzenden des Ministerrates und die Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED ging, ein Junktim, das wenig später kirchenpolitisch zum Tragen kommen sollte. Noch aber war man auf kirchlicher Seite nicht bereit, diesen „normalen Forderungen“ nachzukommen. Am 26. Juni wandten sich Krummacher und Noth mit einem Schreiben an den Staatssekretär. Darin lehnten sie das Angebot Seigewassers, ihnen werde als Delegierte der Kirchen aus der DDR die Ausreisegenehmigung nach Uppsala erteilt, wenn sie zuvor auf die Ausübung ihrer Funktionen als Ratsmitglieder der EKD durch eine schriftliche Erklärung verzichten würden, ab85. Zu Recht wiesen sie darauf

84 EBD., S. 61. 85 EZA BERLIN, 4/22.

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hin, dass sie andernfalls vor ihren Gemeinden nicht mehr glaubhaft wären. Weiter argumentierten sie gegenüber dem Staatssekretär, dass, wenn die Beratungen über eine Neugestaltung der Zusammenarbeit der Kirchen in der DDR und ihr Verhältnis zum Staat zu einem befriedigenden Ergebnis führen sollten, sie ihre Tätigkeit als Ratsmitglieder wegen der „notwendigen Rechtskontinuität aus kirchenrechtlichen, organisatorischen und nicht zuletzt geistlichen Gründen“ nicht ohne weiteres beenden konnten. Sie wollten kein kirchliches und rechtliches Vakuum verantworten. Krummacher und Noth versuchten den Staatssekretär davon zu überzeugen, dass durch rechtskräftige Beschlüsse die Funktionen der in der DDR wohnhaften Ratsmitglieder von den Funktionen der Ratsmitglieder in der Bundesrepublik so eindeutig getrennt worden seien, dass eine Einwirkung von außerhalb des DDR-Staatsgebietes auf die innerkirchliche Tätigkeit nicht möglich sei. Anfang August kam es nach acht Jahren zu einem Wechsel an der Spitze der KKL. Mitzenheim hatte im Juni erreicht, dass die Wahl trotz der anstehenden Strukturveränderungen nicht verschoben wurde. Krummacher, der bereit gewesen war, sein Amt bis zum Abschluss der Neuordnung auszuüben, verstand dies als Misstrauensvotum und lehnte es daraufhin ab, erneut zu kandidieren. Er schlug stattdessen Noth als Vorsitzenden und Schönherr als seinen Stellvertreter vor. Nach Abschluss der strukturellen Veränderungen sollte dann Schönherr den Vorsitz übernehmen86. Am 1. August weigerte sich dann auch Noth, für den Vorsitz zu kandidieren und ließ sich stattdessen zum Stellvertreter wählen. Vorsitzender wurde daraufhin der mecklenburgische Bischof Beste. Am gleichen Tag traf sich der Rat der EKD in Ost- und West-Berlin87. Im Westteil der Stadt berichtete der Ratsvorsitzende ausführlich über die Gespräche, die während der Weltkirchenkonferenz in Uppsala zwischen westlichen Ratsmitgliedern und Vertretern der ostdeutschen Gliedkirchen über die Pläne der Neuordnung stattgefunden hatten. Die Ratsmitglieder waren entsetzt darüber, dass unter den kirchlichen Verantwortungsträgern in der DDR, insbesondere zwischen Schönherr und Beste, so wenig Einigkeit bestand. Auf Ost-Berliner Seite berichtete Krummacher, dass die Strukturkommission die diffizile Frage nach dem zukünftigen Verhältnis von EKD und „Bund der Evangelischen Landeskirchen in der DDR“ noch gar nicht angegangen war. Hier bestand auf allen Seiten noch große Unklarheit. Fest stand für die östlichen Ratsmitglieder, dass die Strukturkommission von ihnen und den Kirchenleitungen in der DDR berufen worden war und allein gegenüber diesem Kreis und nicht der KKL rechenschaftspflichtig war. Mit dem Ergebnis hatten sich die einzelnen Kirchenleitungen und die Landessynoden zu befassen. In der Frage, ob die östliche Teilsynode der EKD im Oktober zusammentreten sollte, entschieden sich die ostdeutschen Ratsmitglieder dafür, dass keine regionale Tagung gemäß Kirchengesetz vom 4. April 1967, sondern – wie vom Präsidium der Synode empfohlen – vom 2. bis 4. Oktober 1968

86 Vgl. A. MÄKINEN, Mann, S. 200. 87 Niederschrift (Ost) über die Sitzung der Ratsmitglieder am 1.8.1968 (EZA BERLIN, 104/48).

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in Halle eine geschlossene „Informationstagung“ über die Strukturfragen stattfinden sollte. Eine regionale Tagung (Ost), wie sie für den 6. bis 10. Oktober parallel zur regionalen Tagung (West) geplant gewesen war und für die sich die westlichen Ratsmitglieder ausgesprochen hatten, wurde für einen späteren Termin ins Auge gefasst. Derweil plante die Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED das weitere kirchenpolitische Vorgehen. In einer Vorlage für den für Kirchenfragen zuständigen ZKSekretär Paul Verner vom 5. August88 formulierte sie sechs konkrete Vorschläge: 1. Förderung des Differenzierungsprozesses unter den kirchenleitenden Kräften; 2. Unterstützung aller Unabhängigkeitsbestrebungen der Kirchen in der DDR von der EKD; 3. Sorge für den Erhalt der landeskirchlichen Organisationsform, da das Kräfteverhältnis in den ostdeutschen Kirchen gegenwärtig bei einem Zusammenschluss keine Gewähr für eine vollständige Trennung von der EKD gab; 4. Bestimmung der Leitungen der Landeskirchen zu legitimen Verhandlungspartnern des Staates; 5. Gespräche des Staatssekretärs für Kirchenfragen mit Mitzenheim, Lotz, Braecklein, Schönherr, Müller und Jacob auf „dieser Linie“; 6. Polemisierung gegen das „Zwillingskirchen-Modell“ in der Presse der Ost-CDU, um es damit als Alternative auszuschalten; 7. Ausarbeitung eines Memorandums durch „progressive“ Theologieprofessoren über die Notwendigkeit einer vollständigen Abtrennung der Kirchen in der DDR von der EKD, das in kirchlichen Kreisen in beiden deutschen Staaten eingesetzt werden sollte.

Mit dieser Vorlage schloss sich die Arbeitsgruppe der Meinung von Seigewasser an, der ebenfalls auf die landeskirchliche Organisationsform und auf die Thüringer Kirche setzte. Denn nicht ein Zusammenschluss der ostdeutschen Kirchen war das Ziel der SED-Kirchenpolitik, sondern die Trennung der ostdeutschen Kirchen von der EKD; diese glaubte man über die Landeskirchenstrategie sicherer erreichen zu können. Im kirchlichen Raum gingen die Planungen zu einem engeren Zusammenschluss der ostdeutschen Landeskirchen äußerst zügig voran. Bereits am 3. September 1968 einigten sich die anwesenden Mitglieder der Strukturkommission unter Vorsitz Schönherrs einstimmig auf den Entwurf einer „Ordnung für einen Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik“. Die Ordnung war ein Kompromissprodukt: Die Synode hatte nicht die Stellung, wie sie von den Befürwortern einer synodalen Mitarbeit und Kontrolle der KKL gewünscht worden war. Auch die Institutionalisierung einer Kirchengemeinschaft in der DDR ging nicht weiter, als was bisher in der EKD erreicht worden war. Im Unterschied zum Grundsatzbeschluss der Konsultativgruppe lautete der erste Artikel der Ordnung nunmehr: „(1) Ziel des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR ist, die diesen Kirchen vorgegebene Gemeinschaft und ihre in der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR geübte Kooperation zu vertiefen. 88 „Zu einigen neuen Tendenzen und Bestrebungen in den evangelischen Kirchen der Deutschen Demokratischen Republik“. Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 61–66.

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(2) Der Bund strebt unbeschadet der bekenntnisbedingten und rechtlichen Selbständigkeit seiner Gliedkirchen an, in der Einheit und Gemeinsamkeit des christlichen Zeugnisses und Dienstes gemäß dem Auftrag des Herrn Jesus Christus zusammenzuwachsen. (3) Mit seinen Gliedkirchen bejaht der Bund die von der ersten Bekenntnissynode in Barmen getroffenen Entscheidungen. Er ruft die Gliedkirchen zum Hören auf das Zeugnis der Brüder. Er hilft ihnen zur gemeinsamen Abwehr kirchenzerstörender Irrlehren.“89

Seiner Ordnung nach war der geplante Bund verfassungsrechtlich gesehen weder eine Weiterführung einer regionalen Gliederung der EKD noch ein Ausbau der KKL, sondern die Neugründung eines voll ausgebauten Kirchenbundes. Strukturell lag er zwischen einer zentralistischen Evangelischen Kirche in der DDR und einer lockeren Arbeitsgemeinschaft der in der DDR gelegenen Landeskirchen. Ein Novum waren die vorgesehenen sechs bis acht Kommissionen, in denen die eigentliche Arbeit an den gemeinsamen Fragestellungen zu leisten war. Ihnen sollten Sachverständige aus allen Landeskirchen, Theologen und Nichttheologen, angehören. Die Sekretäre der Kommissionen wurden von ihren Landeskirchen beurlaubt und bildeten zusammen das Sekretariat des Bundes. Bei dieser Konstruktion hatte die Struktur des ÖRK in Genf Vorbildfunktion gehabt90. Zum Verhältnis des Bundes zur EKD, die in der gesamten Ordnung namentlich nicht erwähnt wurde, enthielt der Entwurf in Artikel 4, in dem die Aufgaben des Bundes beschrieben wurden, unter Absatz 4 den einen Satz: „In der Mitverantwortung für die ganze evangelische Christenheit in Deutschland wirkt der Bund an Entscheidungen, die alle evangelischen Kirchen in Deutschland berühren, durch seine Organe mit.“91 Weiter wurde die „Aufgabe“ des Bundes einer Mitverantwortung für die ganze evangelische Christenheit in Deutschland, d. h. alle evangelischen Christen in beiden deutschen Staaten, nicht konkretisiert. Um die Intentionen der Ordnung und das zukünftige Verhältnis von EKD und Bund zu erläutern, war dem Ordnungsentwurf ein Begleitwort beigelegt92. Darin wurde die Gründung des Bundes primär theologisch motiviert. Die Landeskirchen seien einander durch das „gemeinsame Zeugnis, zu dem sie in den vergangenen Jahren herausgefordert wurden“, näher gekommen, als dies die bisherigen Zusammenschlüsse ausdrückten. Zudem seien sie durch die Entwicklung zu Minderheitskirchen in einer nichtchristlichen Umwelt zu stärkerer Konzentration und Koordinierung ihrer Arbeit genötigt. Erst zuletzt wurde darauf hingewiesen, dass die neue DDR-Verfassung es im Hinblick auf Art. 39,2 als wünschenswert erscheinen ließ, dass die „Kirchen der DDR“ dem Staat gegenüber einheitlich auftraten. Im Anschluss wurde begründet, warum die bisherigen Zusammenschlüsse die anstehenden Aufgaben nicht erfüllen konnten: Die KKL sei eine lose Arbeitsgemeinschaft der Kirchenleitungen auf der Basis einer Geschäftsordnung ohne synodale Mitwirkung. Die

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Abdruck der Ordnung in: KJ 95, 1968, S. 229–234, hier S. 229. A. SCHÖNHERR, Zeit, S. 255. KJ 95, 1968, S. 230. Exemplar in: EZA BERLIN, 4/22. Teilabdruck in: KJ 95, 1968, S. 233f.

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Leitungsorgane der EKD seien nicht mehr oder nur noch in sehr beschränkter Weise in der Lage, ihren Aufgaben nachzukommen. Die „bestehende geistliche Einheit“ aber könne auch auf andere Weise ausgedrückt werden als durch die gemeinsame Grundordnung und den gemeinsamen Namen. Man habe es als schmerzliche Tatsache erkennen müssen, dass in der „politischen Kampfsituation an der Nahtstelle zweier Gesellschaftsordnungen“ und besonders angesichts der neuen „Verfassungswirklichkeit“ in der DDR die gemeinsame Leitungstätigkeit der EKD unmöglich gemacht worden sei. In diesem Zusammenhang wurde ein Satz aus der Fürstenwalder Erklärung zitiert, der die Bundesgründung nicht als ein Abrücken von ihr erscheinen ließ: „Wir werden uns soweit freizugeben haben, daß wir unserem Auftrag in dem Teil Deutschlands, in dem wir leben, gerecht werden.“ Man definierte es als Ziel, eine Form für den Zusammenschluss der Landeskirchen in der DDR zu finden, die es ermöglichte, einerseits dem „Auftrag der Kirche in diesem Raum in voller Unabhängigkeit so glaubwürdig und verantwortlich wie möglich“ nachzukommen und andererseits die „geistliche Bindung“, in der die Kirchen in der DDR mit den Kirchen in der Bundesrepublik standen, so weit wie möglich festzuhalten und auszudrücken. „Geistliche Gemeinschaft“ dürfe dabei nicht mit „rein geistiger“ Gemeinschaft verwechselt werden. Sie umfasse und intendiere nach biblischer Überzeugung auch „Leibhaftigkeit“. Zu diesen zählte man gemeinsame Beratungen und gegenseitige Hilfeleistungen. Nach dem Verständnis der Strukturkommission leitete sich der neue Zusammenschluss aus der Initiative der acht Landeskirchen ab; er war nach außen hin unabhängig wie sie und beanspruchte denselben Rechtsstatus wie sie. Gegenüber der bisherigen KKL wurde durch die Beibehaltung des Namens für ein bestimmtes Organ des Bundes eine gewisse Kontinuität gewahrt. In den letzten Abschnitten des Begleitwortes – die wohlweislich nicht im Kirchlichen Jahrbuch 1968 abgedruckt wurden – bot man noch eine EKD-freundliche Lesart der Bundesordnung an. Der neue Zusammenschluss leite sich zwar nicht von der EKD im Ganzen oder von einer Region der EKD ab, die „bestehende Verbundenheit“ mit der EKD, die als „geistliche Bindung“ weiterhin festgehalten werde, sei im Text der Bundesordnung aber dadurch bezeugt, dass dieser sich nach Wortlaut und Sinn soweit wie möglich an die Grundordnung der EKD anschließe. Die neue Gemeinschaft könne als „Zusammenschluß“ im Sinn von Art. 21,2 der Grundordnung der EKD verstanden werden, ohne ihre Existenz von diesem Artikel herzuleiten. Die rechtliche Kontinuität mit der EKD sollte wie folgt verstanden werden: Die EKD sei durch die Regionalordnung in einen Ost- und in einen Westteil mit je selbstständiger Verantwortung gegliedert. Der Bund bilde einen selbstständigen Zusammenschluss innerhalb der EKD. Er sei mit der „Ostregion der EKD“ räumlich identisch. Die EKD solle durch ihre zuständigen Organe anerkennen, dass ihre Funktionen nunmehr durch die Organe des Bundes ausgeübt würden und sie darum auf die Tätigkeit eigener Organe in der Ostregion verzichten könne. Ebenso könne sie ihre Rechte und Pflichten an den Bund übertragen. Erstrebenswert sei zudem eine möglichst weitgehende Zusammenlegung der bestehenden gesamtkirchlichen Kanzleien in der DDR unter der Verantwortung des Bundes.

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Das Beschlussverfahren der Ordnung hatte die Strukturkommission exakt geplant93: Ordnungsentwurf und Begleitbrief gingen den Mitgliedern der Strukturkommission, den ostdeutschen Ratsmitgliedern der EKD sowie den leitenden Geistlichen der östlichen Landeskirchen zu. Letztere wurden darum gebeten, Vorgespräche mit ihren Kirchenleitungen zu führen. Man hoffte, auf diese Weise während der Bischofskonferenz am 19. September sowohl das Votum der leitenden Geistlichen als auch das Ergebnis der ersten Vorbesprechungen innerhalb der Landeskirchen zu erfahren. Die Bischofskonferenz sollte dann beschließen, die Entwürfe zur verbindlichen Stellungnahme an die ostdeutschen Kirchenleitungen weiterzugeben. Diese mussten ihre Erklärungen vor der Informationstagung im Oktober abgegeben haben. Eine Diskussion der Bundesordnung auf der Tagung der EKD-Synodalen wurde weder ausgeschlossen noch zwingend vorgesehen. Die Strukturkommission hatte dann die vorliegenden Änderungsvorschläge der Kirchenleitungen in die Entwürfe einzuarbeiten. Zuletzt mussten die Landessynoden die Ordnung und das Begleitwort beschließen. Parallel zu diesem Verfahren wollte man den Ost- und Westteil des Rates der EKD bitten, insbesondere zu dem Begleitwort ein Votum abzugeben. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob sich die Organe der EKD (Ost) in der Neuordnung wiederfanden und gegebenenfalls ihre Rechte und Pflichten auf die Bundesorgane übertragen konnten. Lingner wurde beauftragt, Dietzfelbinger, Wilm, Scharf und Hammer je ein Exemplar der Entwürfe auszuhändigen und deren Voten anlässlich der Ratstagung am 19. September den östlichen Ratsmitgliedern mitzuteilen94. Einen Tag später würden die Entwürfe den westlichen Ratsmitgliedern vorgelegt werden. Das Thema durfte aber nicht auf der Tagesordnung der Sitzung erscheinen und die Entwürfe mussten nach der Diskussion wieder eingesammelt werden. Lingner sollte am Nachmittag des 20. September die Meinung der westlichen Ratsmitglieder in Ost-Berlin bekannt geben. Bereits einen Tag nach der Sitzung der Strukturkommission informierte Schönherr in einem Gespräch Seigewasser darüber, dass der Bund an die Stelle der bisherigen „Ost-EKD“ treten würde95. Die EKD müsste auf ihre Rechte und Pflichten gegenüber den DDR-Kirchen verzichten. Der Bund übernehme auch die bisherigen Rechtsträgerschaften der EKD im Hinblick auf die Vermögenswerte, Gebäude und sonstigen Einrichtungen. Es werde keine Leitungsfunktion und Tätigkeit der EKD mehr geben. Mit den westdeutschen Kirchen sollte zukünftig nur noch über Ausbildungsfragen, Angelegenheiten der inneren Mission, das Gesangbuch und theologische Fragen verhandelt werden und zwar in dem Sinne, so Schönherr laut Aktenvermerk, „wie das in der Ökumene auch mit anderen Kirchen üblich sei.“ Seigewasser wies ihn darauf hin, dass es auf die „absolute Trennung von EKD-Gremien“ ankomme. Es müsse klare Erklärungen geben, dass die DDR-Vertreter aus dem Rat und der Synode der EKD 93 Von Schönherr dargelegt auf dem Treffen mit den Dienststellenleitern am 4.9.1968 (EZA BERLIN, 650/95/37). 94 Vgl. Lingner an Hammer, 6.9.1968 (EZA BERLIN, 4/22). 95 Aktenvermerk Weises vom 5.9. über ein Gespräch am 4.9.1968 (BStU BERLIN, MfS AP 21369/92).

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ausschieden. „. . . wir sind hellhörig durch die Erklärungen vom Westen hinsichtlich der ‚Zwillingskirche‘. Das würde zur Verhandlungsunmöglichkeit führen“, machte der Staatssekretär die staatliche Position deutlich. Am selben Tag wie den Staatssekretär informierten Schönherr, Stolpe und Krummacher die Leitungen der Dienststellen von EKD, EKU und VELKD über das Ergebnis der abschließenden Beratungen der Strukturkommission96. Für die VELKD erklärte Heidler, dass man aufgrund der Umstände zu einer klaren regionalen Lösung kommen und dabei in der Rechtskontinuität bleiben müsse. Die VELKD würde sich „im Prinzip“ in dem neuen Bund wiedererkennen und ihm zustimmen, da nichts über die Weiterexistenz der VELKD und der EKU nach Gründung des Bundes ausgesagt sei. Eine Aufnahme der Kanzlei der VELKD als eine Abteilung in das neu zu bildende Sekretariat des Bundes lehnte er jedoch strikt ab. Hildebrandt, Präsident der Kirchenkanzlei der EKU, sprach sich zwar für einen engeren Zusammenschluss der Kirchen in der DDR und für eine selbstständige Vertretung der acht östlichen Gliedkirchen gegenüber dem Staat aus, das Schwergewicht seiner Argumentation lag jedoch auf der Wahrung der Einheit mit den westdeutschen Kirchen. Er plädierte daher für eine Überarbeitung des Begleitwortes. Behm zeigte sich als Vertreter der EKD „sehr bedrückt über die vorgelegte Arbeit“. Er kritisierte, dass es laut Ordnungsentwurf kein Organ mehr geben sollte, das verantwortlich für die ganze evangelische Christenheit in Deutschland etwas sagen konnte. Die „Leibhaftigkeit einer Gemeinschaft zwischen Ost und West“, wie sie im Begleitwort angesprochen wurde, konnte er an keiner Stelle der Ordnung finden. Was bisher an Gemeinschaft vorhanden war, sah er in Frage gestellt. Für ihn war klar, dass die Ordnung zusammen mit dem Begleitwort zur OstWest-Spaltung der EKD führte. Krummacher zeigte sich enttäuscht von der Ordnung. Sie hatte keinen ekklesiologischen Fortschritt gebracht, da die Landeskirchen und die überregionalen kirchlichen Zusammenschlüsse auf ihrer Selbstständigkeit beharrten. Resigniert erklärte er: „Nun zahlen wir einen teuren Kaufpreis, nur weil der Staat uns zwingt. Und er zwingt uns grausam. Die Ratsmitglieder (Ost) haben eine Schlinge um den Hals. Ich weiß nicht, wie man den Kopf herausziehen kann. Ich weiß besonders nicht, ob ich es gewissensmäßig verantworten kann, mein Mandat als Ratsmitglied in andere Hände zu legen.“97

Trotz seiner Enttäuschung sah er aber keine wirkliche Alternative zur Bundesgründung. Er, Heidler, Stolpe und Schönherr betonten die durch die neue Verfassung gegebene Zwangslage: Würde kirchlicherseits nichts „in eigener Freiheit“ unternommen, käme die gesamte Verantwortung für das kirchliche Leben in der DDR „von Staats wegen“ auf die Landeskirchen zu. Entsprechend setzten sich die nachfolgenden kirchlichen Reaktionen aus dem Westen vor allem mit dieser Argumentation auseinander. In einem Gespräch mit Wilkens am 12. September versuchte Krummacher seinen 96 Protokoll (EZA BERLIN, 650/95/37). 97 EBD.

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westdeutschen Gesprächspartner in der EKD-Frage zu beruhigen98. Er betonte, dass das Begleitschreiben zwar von der Strukturkommission beschlossen, aber nur von zwei Personen verfasst und nicht im Einzelnen durchgesprochen worden sei. Ihm komme nicht das gleiche Gewicht zu wie dem Ordnungsentwurf. Praktisch habe die Strukturkommission für die EKD-Frage keine Lösung vorgesehen, sondern „den Ball an den Rat der EKD zurückgespielt.“ Krummacher war sich mit Schönherr darin einig, dass zuerst der Kirchenbund gegründet und seine Organe gebildet werden mussten, bevor über die Zukunft von Rat, Synode und Kanzlei der EKD in der DDR entschieden wurde. Der Meinungsbildungsprozess sollte aber bereits einsetzen. Laut Krummacher wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand eine überzeugende Lösung für die Regelung des Verhältnisses zur EKD bzw. für die Zukunft der „Ostregion“ der EKD. Dietzfelbinger teilte Lingner bei einem Gespräch in Alassio am 15. September seine Eindrücke von den beiden Entwürfen mit99. Als Ratsvorsitzender war es ihm allerdings nicht möglich, ohne Rücksprache mit den Ratsmitgliedern eine offizielle Einschätzung der Entwürfe abzugeben. Da die Grundordnung der EKD tangiert wurde, schien es ihm überhaupt fraglich, ob der Rat (West) in dieser Angelegenheit ein verantwortliches Votum abgeben konnte, ohne eine Entscheidung der Synode herbeigeführt zu haben. Persönlich konnte Dietzfelbinger nicht nachvollziehen, wie man den Satz im Begleitschreiben „Wir wollen nicht aus der EKD ausscheiden“ ernst nehmen konnte und zugleich die volle Unabhängigkeit anstrebte. Art. 4,4 hielt er für zu unbestimmt. Allerdings konnte und durfte man seiner Auffassung nach die ostdeutschen Kirchen nicht zwingen, in der EKD zu bleiben; ein „Trennungsstrich“ müsse allerdings „allein von ihnen vollzogen und verantwortet werden.“ Was die EKD dazu sage oder tue, könne immer nur eine Antwort, eine Reaktion sein. Zuletzt stellte Dietzfelbinger die berechtigte Frage, ob die Kirchenleitungen in der DDR in ausreichendem Kontakt mit ihren Pfarrern ständen und diese die neuen Pläne kannten und billigten. Zwei Tage später gab Präsident Hammer schriftlich seine persönliche Stellungnahme zum Ordnungsentwurf und Begleitbrief ab100. Darin zählte er eine Vielzahl von rechtlichen Bedenken auf. In bitterem Ton äußerte er sich zu der im Begleitschreiben zukünftig in Aussicht gestellten „gemeinsame[n] Beratung“ zwischen ost- und westdeutschen Kirchen: Wenn unter dieser ein Vorgehen wie bei der Entstehung der Bundesordnung verstanden werden solle, könne damit nur „ein äußerst reduziertes Verständnis des Wortsinnes verbunden werden“. In seinen „abschließenden Bemerkungen“ nannte es Hammer eine Illusion zu meinen, dass man sich mit der Bundesgründung vor staatlichen Eingriffen bewahren könne. Nur eine völlige Abtrennung der einzelnen Gliedkirchen von der EKD würde „allenfalls für eine kurze Übergangszeit noch honoriert werden.“ Unter diesen Umständen hielt er „Zwischenlösungen“ für unnötig und „geistlich schädlich“, da sie den Zustand lediglich verschleiern würden. Man sollte am Bestehenden festhalten, bis es einem „aus der Hand geschlagen“ 98 Gesprächsnotiz von Wilkens (EZA BERLIN, 650/95/37). 99 Notiz von Lingner (EZA BERLIN, 4/22). 100 EZA BERLIN, 104/48.

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würde. Nachdem der Staatssekretär für Kirchenfragen bereits über das Ergebnis der Arbeiten der Strukturkommission informiert war, kam diese Haltung allerdings kaum noch infrage. Am 19. und 20. September tagte der Rat der EKD. Auf der Westseite stießen der Ordnungsentwurf und das Begleitwort auf Ablehnung101. Die Ratsmitglieder hielten derartig weitgehende Strukturveränderungen zu einem Zeitpunkt, zu dem noch keine tatsächliche Nötigung von Seiten des Staates vorlag, für nicht notwendig und rieten dazu, abzuwarten und „Schubladengesetze“ vorzubereiten. Denn die neue Ordnung statuierte, so erkannten die westlichen Ratsmitglieder richtig, nicht nur eine „Nothütte“ innerhalb der EKD, sondern eine neue Kirche. In der Konsequenz führte sie zum Ende der EKD als gesamtdeutsche Kirchenorganisation. Hammer kritisierte insbesondere das Begleitwort sehr scharf: „Es sei unredlich, wenn es von Festhalten an der EKD spreche, zum Mindesten undeutlich. Die Rechtskontinuität sei auf diesem Wege nicht zu wahren, die Berufung auf Barmen ist nicht möglich, man kann eher sagen, daß hier contra Barmen gehandelt würde, das Gleiche gilt gegenüber der Erklärung von Fürstenwalde.“102

Lingner und Wilm gaben diese ablehnenden Meinungen am Nachmittag des 19. September an die östlichen Ratsmitglieder weiter, unter denen der Ordnungsentwurf und das Begleitwort kontrovers diskutiert wurden103. Der anwesende Schönherr verteidigte die Entwürfe als „Notordnung“. Der Ausgangspunkt für den Ordnungsentwurf sei der Wunsch gewesen, eine gemeinsame Vertretung für die Kirchen in der DDR zu schaffen, die vom Staat als solche akzeptiert werde. Die Einheit der EKD könne nicht mehr auf dem Wege gemeinsamer Leitungsorgane festgehalten werden. Der Staat wolle die Möglichkeit beseitigt sehen, dass außerhalb der DDR liegende Organe in diese hineinwirken konnten; für ihn handle es sich um eine Frage der Souveränität. Eine „freie Partnerschaft“ mit den westdeutschen Kirchen werde hingegen staatlicherseits akzeptiert. Schönherr führte damit den Begriff der „Partnerschaft“ für die Beschreibung des zukünftigen Verhältnisses zwischen ost- und westdeutschen Kirchen ein. In den Studentengemeinden war diese Bezeichnung zur Verhältnisbestimmung zwischen ost- und westdeutschen Gemeinden schon seit Jahren im Gebrauch; 1967/68 hatte man dann die organisatorische Aufteilung als „partnerschaftliche Aufgliederung“ bezeichnet. In der Ratssitzung wurde allerdings ohne Ergebnis darüber debattiert, inwieweit der Begriff die von allen gewollte „leibhafte Gemeinschaft“ mit der EKD auszudrücken vermochte. Schönherr verteidigte den Ordnungsentwurf jedoch nicht nur mit der äußeren Zwangslage der Kirchen, sondern auch mit den innerkirchlichen Reformwünschen. Mit dem Bund solle die bisherige Einheit der Kirchen vertieft werden; der Wille zu101 Vgl. Bericht darüber von Wilm und Lingner vor den östlichen Ratsmitgliedern am Nachmittag des 19.9. Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 19./20.9.1968 (EZA BERLIN, 104/48). Vgl. auch Scharf an ostdeutsche Ratsmitglieder, 25.9.1968 (EBD.). 102 EBD. 103 Vgl. das ausführliche Protokoll der Sitzung des Rates der EKD (Ost) am 19.9.1968 (EZA BERLIN, 4/22).

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sammenzuwachsen werde in der Ordnung eindeutig zum Ausdruck gebracht. Zwar habe sich eine Abendmahlsgemeinschaft nicht verwirklichen lassen, aber die offene Kommunion sei ausdrücklich konstatiert. Ebenso existiere Kanzelgemeinschaft. Schönherr verteidigte auch die Schaffung einer Bundessynode: Man habe nicht bei der KKL stehen bleiben, sondern etwas Festeres schaffen wollen. Als Gegner der vorliegenden Entwürfe traten das EKD-Ratsmitglied Wätzel und der EKU-Kirchenkanzleipräsident Hildebrandt auf. Wätzel kritisierte die Motivierung der Bundesgründung und sah in den angeführten positiven Beweggründen bloße Vorwände. In Wahrheit gehe es um eine vom Staat erzwungene Notgemeinschaft. Diese „brennende Not“ lasse die Ordnung und das Begleitwort aber nicht erkennen. Zu Recht wies er darauf hin, dass die Behauptung des Begleitwortes, die Initiative zur Bildung der Strukturkommission sei allein von den acht Landeskirchen ausgegangen, falsch war. Wätzel hielt den „Kaufpreis der Neuordnung“ für zu hoch, wenn dafür die Einheit der EKD aufgegeben werden musste. Hildebrandt sah in der Bundesordnung und dem Begleitwort das Ende der EKD. Er riet stattdessen zur „Zweigleisigkeit“: Die engere Zusammenarbeit der Kirchen in der DDR, die er ebenfalls wollte, müsse pragmatisch angegangen werden. Eine Ordnung könne erst am Ende einer langen Entwicklung stehen und nicht an ihrem Anfang. Die EKD müsse mit Ost- und Westorganen bestehen bleiben, die gemeinsam und regional agieren konnten. Krummacher, Figur und Noth nahmen eine vermittelnde Haltung ein und argumentierten kirchenpolitisch. Sie sahen den Handlungsbedarf, eine Vertretung zu schaffen, die vom Staat als Gesprächspartner anerkannt wurde. Ein weiteres Abwarten, wie es die westlichen Ratsmitglieder empfohlen hatten, führte ihrer Ansicht nach zum Ende der Gemeinschaft der Gliedkirchen in der DDR und zum Sieg des Staates. Ratlos zeigten sie sich in der Frage, wie gleichzeitig an der Einheit der EKD festgehalten werden konnte, was sie nachhaltig wollten. Am Morgen des 20. September trafen sich noch einmal die westlichen Ratsmitglieder104. Noch immer lehnten sie insbesondere das Begleitwort ab und baten daher Scharf, in einem Schreiben ihren Standpunkt darzulegen105. Die Kirchenkanzlei erhielt den Auftrag, einen „Gegenentwurf“ zum Ordnungsentwurf zu erarbeiten. Der Braunschweiger Landesbischof Gerhardt Heintze, Ernst-Viktor Benn sowie Heinrich Riedel wurden gebeten, mit den Kirchenvertretern in der DDR Gespräche zu führen. Die ostdeutschen Ratsmitglieder legten hingegen ihr weiteres Vorgehen auf der Nachmittagssitzung des 20. September fest: Es sah eine Kirchenkonferenz in Halle, auf der die leitenden Geistlichen mit der EKD-Problematik vertraut gemacht werden sollten, sowie eine außerordentliche Ratssitzung am 11. Oktober vor. Auf der Sitzung der KKL am selben Tag wurde verabredet, dass die Kirchenleitungen bis zum 15. November ihre Stellungnahmen zur Vorlage der Strukturkommission schriftlich der Geschäftsstelle übersenden sollten106. Diese Entscheidung wich insofern 104 Auszug aus dem Protokoll der Ratssitzung vom 19./20.9.1968 (EZA BERLIN, 2/2474). 105 Scharf an ostdeutsche Ratsmitglieder, 25.9.1968 (EZA BERLIN, 104/48). 106 Niederschrift über die Sitzung (EZA BERLIN, 102/13).

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vom Zeitplan der Strukturkommission ab, als der Abgabetermin für die Stellungnahmen nun nicht mehr vor der Informationstagung in Halle lag. Über die Tagung in Halle fand am 24. September ein Gespräch zwischen Präses Figur und Seigewasser statt107. Der Staatssekretär wollte darüber informiert werden, in welchem Verhältnis die Informationstagung zu der zeitlich anschließenden Regionaltagung (West) der EKD in Berlin-Spandau stand. Figur versicherte, dass es sich bei der Tagung in Halle nicht um eine ordentliche Regionalsynode der östlichen Gliedkirchen handelte, sondern lediglich um eine Informationstagung über die Arbeit der Strukturkommission und die Weltkirchenkonferenz in Uppsala. Seigewasser erklärte daraufhin, das Recht, Synodale zu einer Informationstagung zusammenzurufen, werde staatlicherseits nicht bestritten. Ebenfalls am 24. September befassten sich die Referenten der Kirchenkanzlei der EKD in Hannover noch einmal intensiv mit der kirchlichen Ost-West-Lage108. Sie rieten zu einer sehr pragmatischen Handhabung der Gesamtsituation mit dem Ziel, soviel kirchliche Ost-West-Gemeinschaft wie möglich zu erhalten. Wilkens fasste die Empfehlungen in sieben Punkten zusammen: – Die Situation und die weitere Entwicklung sollte soweit wie möglich offengehalten werden;

– Die Organe der EKD sollten keine ablehnende Stellungnahme zu den Entwicklungen im

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kirchlichen Zusammenschluss der Gliedkirchen abgeben, um nicht in die Verlegenheit einer prinzipiellen und programmatischen Begründung zu kommen; Die Bemühungen, die Ordnung des Bundes auf das Minimum einer Notordnung zurückzuführen, sollten fortgesetzt werden; Die Landeskirchen in der DDR sollten bei ihrer Beschlussfassung über eine, wie auch immer geartete, Ordnung eines neuen Bundes auf ein erklärendes „Begleitwort“ verzichten, um Festlegungen zu vermeiden; Es sollte eine vertrauliche Konzeption hinsichtlich des Verhältnisses des Bundes zur EKD entwickelt werden, die folgende Punkte berücksichtigte: Fortführung der Zugehörigkeit der Gliedkirchen in der DDR zur EKD nach den in diesen Gliedkirchen geltenden Verfassungsbestimmungen, Fortbestand der Organe der EKD und Fortsetzung ihrer Arbeit, Fortführung der Kooperation von Kammern, Ausschüssen und kirchlichen Werken im Rahmen der Möglichkeiten; Es müsse sich zeigen, wieviel an kirchlicher Gemeinschaft der EKD auf diesem praktischen Wege erhalten werden könne; Angesichts der absehbaren Entwicklung, dass der neue engere Zusammenschluss der Gliedkirchen in der DDR gegenüber der EKD ein immer größeres Gewicht bekommen würde, sollten alle Möglichkeiten persönlicher Verbindungen wahrgenommen werden.

Diese Überlegungen gingen den westlichen Ratsmitgliedern sowie Benn, Heintze und Riedel zu109. 107 So Figur in seiner Eröffnungsrede der Informationstagung in Halle (EZA BERLIN, 4/22). 108 Vermerk von Wilkens vom 24.9.1968 (EZA BERLIN, 650/95/37). 109 Schreiben Hammers vom 30.9.1968 (EZA BERLIN, 4/19).

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Scharf schrieb am 25. September den angekündigten Brief an das östliche Teilkollegium und wiederholte darin die wesentlichen Bedenken der westlichen Ratsmitglieder. Tags darauf sandte Behm einen von der Kirchenkanzlei erarbeiteten „Alternativentwurf einer Ordnung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik“ an Krummacher110. Der Alternativvorschlag folgte vier Gesichtspunkten: 1. Er trug dem Wunsch der östlichen Gliedkirchen nach einem engeren Zusammenschluss und einem kirchlichen Zusammenwachsen Rechnung. 2. Er schuf eine selbstständige und unabhängige Rechtsvertretung der östlichen Gliedkirchen. 3. Es wurde keine perfekte Kirchenverfassung geschaffen, die nicht mehr den Charakter einer auf Grund der Zwangssituation im Bereich der DDR erforderlich gewordenen Notordnung hätte erkennen lassen. 4. Es wurde deutlich gemacht, dass kein Bund außerhalb oder anstelle der EKD gegründet wurde111. Bei der Annahme dieses Alternativentwurfs hätte die Frage der künftigen Entwicklung der Arbeit der EKD-Organe den jeweils gegebenen Möglichkeiten angepasst werden können. Behm bat Krummacher um Nachricht, in welcher Weise der Alternativentwurf in Halle zum Tragen kommen konnte. Vom 2. bis 5. Oktober hielt die Ost-CDU ihren 12. Parteitag in Erfurt. In dessen Vorfeld und Verlauf kam es zu einigen programmatischen Äußerungen, aus denen deutlich wurde, welche Konsequenzen die Kirchen nach dem Willen der Kirchenpolitiker des Staates und der Ost-CDU aus der neuen Verfassung für ihre Organisationsform und ihr Selbstverständnis ziehen sollten. Über die innerkirchlichen Pläne zu einem festeren Zusammenschluss der ostdeutschen Landeskirchen war die Ost-CDU bereits seit April 1968 u. a. durch Gespräche Manfred Stolpes mit Gerhard Quast von der Kirchenabteilung beim Hauptvorstand der Ost-CDU informiert112. Zu Beginn des CDU-Parteitages veröffentlichte die „Neue Zeit“ einen Aufsatz von Seigewasser, in dem dieser die staatliche Kirchenpolitik explizit als Funktion der allgemeinen Staatspolitik kennzeichnete: „Diese [die Staatspolitik in Kirchenfragen, C. L.] kann und darf – trotz mancher Spezifika – nur als untrennbarer Bestandteil der allgemeinen Staatspolitik gewertet werden. Sie muß deshalb auf ihrem Gebiet, dem ständigen Auftrag der sozialistischen Verfassung folgend, Verhältnisse schaffen, die unserer Gesamtpolitik zur vollen Entfaltung der sozialistischen Menschengemeinschaft entsprechen.“113 110 EZA BERLIN, 104/48. Am 30.9. sandte Hammer den Entwurf auch an die westlichen Ratsmitglieder sowie Benn, Heintze und Riedel (EBD., 2/2474). 111 Vgl. auch die dem Entwurf beiliegende „Begründung“ (EZA BERLIN, 104/48). 112 Vgl. GRÜNDUNG, S. 16–21. Quast war zugleich seit 1955 IM des MfS. Vgl. H. WENTKER, Abteilung, S. 181. In einem Aktenvermerk Quasts über ein Gespräch mit Stolpe vom 3.4.1968 hieß es: „Stolpe teilte mit, daß es auf zentraler Ebene Diskussionen darüber gegeben habe unter ausdrücklichem Hinweis auf Mitzenheim, ob für die Evangelischen Kirchen nicht zweckmäßig sei, offizielle Beziehungen zur CDU zu unterhalten. Krummacher habe eine solche Haltung vertreten und ihn (Stolpe) persönlich beauftragt, möglichst enge Kontakte zu mir herzustellen.“ Abdruck in: GRÜNDUNG, S. 63. 113 H. Seigewasser: Die gemeinsame humanistische Verantwortung verbindet uns alle. Ein Wort, das zum Programm wurde. In: NZ, 2.10.1968, S. 7.

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Dazu gehörten einerseits die „korrekte[n] und vertrauensvolle[n] Beziehungen der Kirchen zum Staat“ und andererseits die „Bereitschaft des sozialistischen Staates, den Geistlichen und den Kirchenleitungen mit gutem Rat zu helfen, wenn sie alte anachronistisch gewordene Abhängigkeiten überwinden und eindeutig die Position der Kirche im Sozialismus beziehen wollen.“ Die CDU hatte nach Ansicht von Seigewasser hier bereits gute „politisch-ideologische Überzeugungsarbeit“ geleistet. Vorsichtig formuliert, aber doch deutlich vernehmbar enthielt der Artikel damit die Aufforderung an die Landeskirchen in der DDR, auf Grund der neuen Staatsverfassung die organisatorische und geistige Trennung von der EKD zu vollziehen. Im Gegenzug konnten sie mit dem Wohlwollen des Staates rechnen. Nach der Stellungnahme des Staatssekretärs übernahm die Ost-CDU wie schon zuvor den Part, bei der „Überzeugungsarbeit“ die schärfere Gangart einzuschlagen. Ihr Vorsitzender Götting polemisierte in seinem Parteitagsreferat gegen die „Militärkirche“ und deren „Zwillingskirchen-Modell“, lobte Mitzenheims Kurs und erklärte, in welche Richtung die kirchliche Entwicklung zu gehen hatte: „Als Ausdruck des Wunsches realistisch denkender Männer der Kirchen, die kirchlichen Ordnungen in Übereinstimmung mit unserer sozialistischen Verfassungswirklichkeit zu gestalten, werten wir alle Bemühungen, die Eigenständigkeit der evangelischen Landeskirchen in der DDR zu festigen, das Verantwortungsbewußtsein und die Selbständigkeit ihrer Bischöfe und Leitungen zu erhöhen und den Einfluß der westdeutschen EKD endgültig auszuschalten. [. . .] Eine entschiedene Absage an die westdeutsche Militärkirche und an alle Bevormundungsversuche der westdeutschen EKD ist deshalb von großer Bedeutung für die Zukunft unserer Landeskirchen“114.

Der Thüringer Oberkirchenrat Gerhard Lotz, Mitglied des Hauptvorstandes der CDU, Abgeordneter in der Volkskammer und IM des MfS, bestätigte in seinem Diskussionsbeitrag vor dem Parteitag diese Aussagen aus kirchlicher Perspektive115. Er erklärte aber auch, um was es ihm nicht ging: um die Forderung nach einer geistigen und geistlichen Isolierung der Kirchen in der DDR. Die „selbständigen Kirchen in der DDR“ würden bereits aktiv in der ökumenischen Arbeit stehen, wie die Kirchenkonferenzen 1966 in Genf und 1968 in Uppsala bewiesen hätten. Es gehe auch nicht darum, „die geistliche Kommunikation zwischen den Kirchen in der DDR und in der Bundesrepublik zu diffamieren.“116 Lotz sprach von einer „spezifischen Gemeinschaft“, welche die ost- und westdeutschen Kirchen nach ihrer organisatorisch-rechtlichen Trennung verbinde und die über „ein ökumenisches Bruderschaftsverhältnis“ hinausgehe. Er nannte dabei die gemeinsame Arbeit an der Bibelrevision und am Evangelischen Kirchengesangbuch, die liturgische und theologische Kooperation sowie die wissenschaftliche Kommunikation. Auf der Linie der staatlichen Kirchenpolitik und im Interesse des Thüringer Sonderweges äußerte er sich zurückhaltend gegenüber den Plänen zum Zusammenschluss der ostdeutschen Kirchen. 114 Teilabdruck des Referats in: KJ 95, 1968, S. 209ff., hier S. 209f. 115 Abdruck in: EBD., S. 212ff. 116 EBD., S. 213.

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Nicht zufällig fielen diese kirchenpolitischen Äußerungen zeitlich parallel zur nicht öffentlichen Informationstagung der östlichen EKD-Synodalen vom 2. bis 4. Oktober in Halle. Auf ihr trat das ganze Spektrum der kirchlichen Meinungen zur Bundesgründung zutage. Dabei wurde deutlich, dass unter den ostdeutschen Kirchenrepräsentanten in dieser Frage keineswegs Einigkeit herrschte. Figur eröffnete die Tagung mit einer längeren Rede, in der er geschickt einen Bogen von Eisenach über Fürstenwalde bis zur Gegenwart schlug117. Im zwanzigsten Jahr des Bestehens der EKD sah er viel Grund zur Dankbarkeit für die Gemeinsamkeit mit „den Brüdern jenseits der Grenze“. Von der Fürstenwalder Erklärung sei daher auch bislang kein Synodaler abgerückt. Es gelte jedoch zu definieren, was das dort geäußerte „freigeben“ in der Gegenwart konkret bedeute. Hinsichtlich der laufenden Strukturüberlegungen unterschied Figur nun zwischen einem „äußeren Anlaß“ und einem „inneren Grund“: „Aber die Frage, wie das Zeugnis und der Dienst heute und hier besser auszurichten sei und gemeinsam auszurichten sei, ist eben doch längst gestellt und ich meine, daß eine bessere und vollkommenere Antwort auch längst fällig ist. Das ist der innere Grund neben dem äußeren Anlaß der Verfassung, der innere Grund für die Überlegungen, die wir anzustellen haben.“

Als Aufgabe der Informationstagung bezeichnete es Figur, einen Bewusstseinsprozess in Gang zu setzen, damit die Kirchenleitungen und die Landessynoden zu übereinstimmenden Beschlüssen kommen könnten. Dabei müsse die schwierige Frage beantwortet werden, in welches Verhältnis das, „was nun zu geschehen hat“, zu setzen war zu „dem[,] was gewesen ist und bis zur Stunde noch ist, nämlich die eine Evangelische Kirche in Deutschland“. Sollte ein stärkerer Zusammenschluss der ostdeutschen Kirchen zu einem Fort- und nicht zu einem Rückschritt führen, was er folglich nicht ausschloss, so musste nach Figurs persönlicher Meinung zudem die Lösung von zwei Problemkreisen zumindest anvisiert werden: die konfessionellen Gegensätze und die „absolute Autarkie“ der Landeskirchen. Im Anschluss an Figur führten die beiden Mitglieder der Strukturkommission Siegfried Ringhandt und Kurt Johannes in den Ordnungsentwurf ein. Dabei versuchten sie bereits vor der Plenaraussprache alle bislang an dem Entwurf geäußerte Kritik zu entkräften118. Ringhandt vertrat glaubwürdig das Reformargument. Zur Präambel erklärte er, der Ausdruck „In Wahrnehmung der Ihnen gegebenen Freiheit“ sei eine Bezugnahme auf Art. 21,2 der Grundordnung der EKD und auf die Fürstenwalder Erklärung, die von der gegenseitigen Freigabe gesprochen hatte. Im Grunde gehe es bei der Bildung des Bundes um die Zustimmung zu einer Kirchenreform. Gegenüber der EKD bestehe ein Unbehagen, weil sie ihr Ziel, das kirchliche Zusammenwachsen, nicht erreicht habe. Zu Art. 4,4 führte Ringhandt aus, diese Formulierung ziele nicht auf den Abschied von der EKD, sondern enthalte 117 Abschrift im EZA BERLIN, 4/22. 118 Vgl. Bericht über die Verhandlungen der „Informationstagung“ der Synodalen der EKD (Ost) in Halle vom 2.–4.10.1968 auf der Grundlage von Berichten von Figur, Hildebrandt, Behm und Lewek am 4.10.1968 (EZA BERLIN, 650/95/37).

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ein „Bekenntnis“ zu ihr und ihrer Gemeinschaft und verpflichte den Bund diese Gemeinschaft mit der EKD ernst zu nehmen. Er wies darauf hin, dass es nicht zum Auftrag der Strukturkommission gehört habe, sich über das Verhältnis der EKD zum Bund verantwortlich zu äußern. Die Kommission halte allerdings ein Nebeneinander von Organen des Bundes und der EKD für nicht möglich; wenn aber die Organe des Bundes die Aufgaben der Organe der EKD übernähmen und weiterführten, so würde „die Sache der EKD“ bestehen bleiben können. Nach einer ersten, kontroversen Aussprache im Plenum trafen sich die östlichen Ratsmitglieder zu einer kurzen Sitzung, in der sie beschlossen, den Alternativentwurf der Kirchenkanzlei den Synodalen nicht zur Kenntnis zu geben119. Stattdessen sollte Wätzel die Gedanken des Alternativvorschlages im Plenum vortragen, sich dabei allerdings vornehmlich auf die Frage der Nomenklatur beschränken. Weiterhin wurde beschlossen, das von den westlichen Ratsmitgliedern besonders kritisierte „Begleitwort“ zum Ordnungsentwurf der Strukturkommission den Synodalen nicht als Arbeitspapier auszuhändigen. Als Begründung wurde angeführt, es sei durch mündliche Ausführungen auf der Tagung überholt und ersetzt. Bei der Fortsetzung der Plenaraussprache am 3. Oktober äußerten sich verschiedene Synodale zu der Grundsatzfrage des Verhältnisses des Bundes zur EKD120. Superintendent Reinhard Steinlein, Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg, erwies sich dabei als einer der schärfsten Kritiker der Arbeit der Strukturkommission121. Ihm ging es darum, dass die Kirche gegenüber dem Staat keine Konzessionen machte; sie durfte sich nicht vom Staat diktieren lassen, wen dieser als Verhandlungspartner anerkannte oder nicht. Die Verhandlungskommission war seiner Ansicht nach zu früh gebildet worden und hätte personell nicht mit der Strukturkommission verklammert werden sollen. Steinlein wies darauf hin, dass die Verfassung das alte Recht nicht außer Kraft gesetzt habe. Weiter hielt er es für fraglich, ob die Kirche überhaupt ein Interesse an Verhandlungen mit dem Staat hatte. Wenn der Staat die EKD für verfassungswidrig halten sollte, so sei es seine Sache, dies ausdrücklich festzustellen. Dann habe die Kirche eine Trennung zu „erleiden“. An der in Fürstenwalde eingenommenen Position sollte unbedingt festgehalten werden. Für vorbildlich hielt Steinlein das geschlossene Verhalten der katholischen Kirche. In die Defensive gedrängt verteidigte Konrad von Rabenau die vorgelegte Arbeit der Strukturkommission als Notfallinstrument: Die Kirche müsse sich auf den „Kampfesfall“ einrichten. Im Grunde sei schon jetzt deutlich, dass man am Ende angelangt sei. Seinen eigenen ursprünglichen Vorschlag hielt er durch die Ereignisse für überholt; auch eine Regionalsynode der EKD hätte nun nicht mehr die Möglichkeit, den Zusammenschluss der Kirchen in der DDR zu einem Bund zu legalisieren. Dies müsse von den 119 Niederschrift über die Sitzung der östlichen Ratsmitglieder am 2.10.1968 in Halle (EZA BERLIN, 104/48). 120 Vgl. Bericht über die Verhandlungen der „Informationstagung“ am 4.10.1968 (EZA BERLIN, 650/95/37). 121 Vgl. hierzu auch dessen Buch „Die gottlosen Jahre“, S. 80–83.

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Landeskirchen aus geschehen. Die Bezugnahme auf Art. 21,2 der Grundordnung der EKD hielt er nur für einen Notbehelf, die EKD müsse abgelöst, ihre Auflösung ausgesprochen und insoweit die Aussagen von Fürstenwalde aufgegeben werden. Zur Unterstützung dieser Position teilte Schönherr mit, dass der Staat den Kirchenbund nicht anerkennen werde, falls die EKD weiter bestehen bleibe. Beste berichtete, dass der Staatsekretär ihm in einem Gespräch am 19. September erklärt habe, dass ein fester Bund der Kirchen in der DDR nicht im Interesse des Staates läge. Die Konferenz der Kirchenleitungen in der DDR könne dagegen anerkannt werden. Die Beziehungen zum Westen müssten rein ökumenischen Charakter haben. Mit der letztgenannten Forderung bezweckte der Staat, dass durch die Kirchen der Auslandsstatus der Bundesrepublik anerkannt wurde. Zum Ordnungsentwurf meinte der Lutheraner Beste, es dürfe keine Einheitskirche angestrebt werden. Er schlug vor, dass EKU und VELKD in einer Art Arbeitsgemeinschaft zusammentraten und die gemeinsamen Aufgaben koordinierten. Polemisch, aber Teile der Diskussion zutreffend charakterisierend fragte die Synodale Irene Blumenthal, „ob es in der Kirche wichtiger sei zu erfahren, was der Herr Staatssekretär meine, als das, was der Herr Christus sagt.“ In ihren Augen ließen sich die Bundbefürworter zu sehr auf die Handlungsbedingungen des SED-Systems ein. Krummacher unterstrich vor den Synodalen, dass die Initiative zur Arbeit der Strukturkommission vom Rat der EKD ausgegangen sei. Bund und EKD stünden einander nicht gegenüber: „Wir sind in der EKD, wir sind frei und zugleich gebunden. Wir halten an ihr fest“, erklärte der Impulsgeber für die Fürstenwalder Erklärung. Er verwahrte sich gegen die Behauptung, die EKD sei in ihrer Effektivität ausgehöhlt. Ihm lag daran, dass die „Selbstherrlichkeit der einzelnen Landeskirchen“ – gemeint war natürlich Thüringen – gebremst wurde. Johannes plädierte dafür, zunächst kleine, praktische Schritte zu unternehmen, bevor eine perfekte Ordnung vorgelegt werde. Der Rostocker Professor Konrad Weiß sprach sich gleichfalls für ein schrittweises Vorgehen aus. Man könne mit der Bildung von Kommissionen beginnen. Diese schlössen die Weiterexistenz der Organe der EKD nicht aus. Ähnlich äußerte sich Hildebrandt. Art. 4,4 des Ordnungsentwurfs hielt er für zu undeutlich; Fürstenwalde müsse festgehalten werden. „Wenn es die EKD nicht mehr gibt, dann ist ein Teil unseres Christseins verloren gegangen“, erklärte er nicht ohne Pathos. Superintendent Wendelin und einige andere Synodalen erkundigten sich nach Meinungsäußerungen aus dem Westbereich der EKD. Das Plenum setzte zwei Ausschüsse ein: Ausschuss I sollte den Ordnungsentwurf prüfen, Ausschuss II der Frage nach der Verklammerung des Bundes mit der EKD sowie der Frage nach dem Verhältnis des Bundes zum Staat nachgehen. Die Grundsatzdebatte wurde in Ausschuss I fortgeführt. Man überlegte, wie der Weg der „kleinen Schritte“ aussehen konnte, beispielsweise in einer Stärkung der KKL. Kirchenpräsident Müller hielt indes die Bildung einer Bundessynode für notwendig, da die EKDSynode nicht mehr tagen konnte. Der Leipziger Missionsdirektor August Kimme war der Auffassung, dass das Wesentliche auf der Ebene der Landeskirchen geschehen müsse. Dies war auch die Ansicht Mitzenheims, der eineinhalb Tage später vom Par-

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teitag der Ost-CDU kam und die Bundespläne zu bremsen versuchte. Er wies auf das ekklesiologische Problem des Bundes hin. Die bekenntnismäßige Selbstständigkeit der Landeskirchen müsse gewahrt bleiben. Es sei besser, den Zusammenschluss der Kirchen in der DDR nicht „Bund“, sondern „Arbeitsgemeinschaft“ zu nennen. In der weiteren Diskussion ging es um das Verhältnis der Arbeit der Kommissionen und der EKD-Ausschüsse. Eine Doppelbesetzung hielt man für untunlich. Die Kommissionen müssten sich den speziellen Fragen der DDR widmen. Daneben könnten die Ausschüsse der EKD weiterarbeiten. Auch in Ausschuss II wurden die Grundsatzfragen weiter erörtert. Weiß kritisierte die widersprüchliche Argumentation der Bundbefürworter: Die Notwendigkeit des Bundes werde damit begründet, dass die EKD nicht funktioniere. Unklar sei aber, ob die Funktionsunfähigkeit der EKD auf staatlichen Zwang oder auf innerkirchliche Gründe zurückzuführen war. Schönherr argumentierte im Ausschuss betont ekklesiologisch: weder die staatliche Forderung noch die Verfassung seien der letzte Grund für die Schaffung des Bundes. Vielmehr sei einfach die Zeit für ein Landeskirchentum vorbei. Die KKL und die Organe der EKD hätten sich nicht als brauchbare Instrumente für die kirchliche Zusammenarbeit erwiesen. Die Regionalordnung der EKD aber könne nur eine Übergangslösung darstellen. Man müsse heute kirchliche Organe schaffen, die größtmögliche Effektivität garantierten. Die Frage, vor der man gegenwärtig stehe, sei eine andere als die, vor der man in Fürstenwalde gestanden habe. Trotzdem bleibe man bei der Position von Fürstenwalde: Wir gehören zusammen. Das werde auch in der Ordnung zum Ausdruck gebracht. Die Alternative Landeskirchentum oder Einheitskirche hielt er für falsch. Die richtige Alternative laute: Landeskirchentum oder sachgemäße Aufgliederung der Aufgaben. Von seiner innerkirchlichen Reformargumentation abweichend wies Ringhandt noch auf die Registrierungsverordnung hin, die bei den Beratungen der Strukturkommission eine Rolle gespielt habe. Diese Verordnung vom 9. November 1967 verlangte von allen Vereinigungen eine Registrierung, die sie jedoch nur erhielten, wenn „ihr Charakter und ihre Zielstellung den Grundsätzen der sozialistischen Gesellschaftsordnung“ entsprachen, sie „zur Befriedigung geistig-kultureller oder anderer gesellschaftlicher Bedürfnisse“ beitrugen und nicht den gesetzlichen Bestimmungen zuwiderliefen.122. Gleichzeitig bedurfte die Mitgliedschaft von Bürgern und Vereinigungen der DDR in „internationalen Organisationen sowie in Organisationen, die außerhalb der Deutschen Demokratischen Republik ihren Sitz haben, und die Zusammenarbeit mit diesen“ der Zustimmung des zuständigen zentralen staatlichen Organs123. Ringhandt war der Auffassung, dass aufgrund dieser Verordnung die EKDSynodalen in Halle illegal versammelt seien. Hildebrandt und Krummacher widersprachen. Sie hielten die Versammlung durch die Verfassung gedeckt. Der Greifswalder Bischof sah in der Handhabung der Registrierungsverordnung keine juristische, sondern eine Machtfrage. Zum Ordnungsentwurf erklärte Krummacher, dass, falls er so verabschiedet werde, das Ja zur EKD nur noch ein „platonisches“ bleibe. Er bejahte die beiden 122 Verordnung zur Registrierung von Vereinigungen. In: Gesetzblatt, S. 861. 123 EBD., S. 862.

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Ziele, eine Vertretung der Kirchen gegenüber dem Staat zu schaffen und den Kirchen in der DDR das Zusammenwachsen zu ermöglichen. Es müsse aber eine „theologische, geistige und materielle Partnerschaft in geordneter Weise mit den westlichen Gliedkirchen“ sichergestellt werden. Magdalena Kupfer, Dozentin am Evangelisch-lutherischen Diakonenhaus Moritzburg und eine der schärfsten Gegnerinnen des Ordnungsentwurfs, fragte, wie man sich fühlen solle, wenn man der Fürstenwalder Erklärung zugestimmt habe und nun der vorgelegten Ordnung zustimmen solle. Fürstenwalde sei nicht ungeschehen zu machen. Zudem könne der Bund vom Staat noch mehr angefochten werden als die EKD. Ein gemeinsames kirchliches Handeln müsse wachsen und könne nicht administrativ herbeigeführt werden. Schönherr hielt dagegen, dass die EKD vom Staat nicht verboten, aber ausgetrocknet werde. Darum gebe es jetzt keine Alternativen und auch keine Zeit mehr. Der Vizepräsident des Evangelischen Konsistoriums in Greifswald, Willy Woelke, hielt wiederum die Zeit noch nicht reif für so abschließende Ordnungen und sprach sich dafür aus, wie Hildebrandt vorgeschlagen hatte, eine kirchliche Gemeinschaft in der DDR zunächst zu praktizieren und dann erst zu kodifizieren. Als Ergebnis der Diskussion wurden die zwei konträren Grundkonzeptionen fixiert: 1. Der vorgelegte Ordnungsentwurf, 2. Eine regionale Aufgliederung der EKD und ein Weg der „kleinen Schritte“, d. h. vor der Verabschiedung einer Bundesordnung sollte die Einheit der Kirchen in der DDR zunächst praktiziert und zugleich darüber nachgedacht werden, wie an der Einheit der EKD festgehalten werden konnte. Abschließend wurde Schönherr zu dem entscheidenden Punkt befragt: Ob er den Ordnungsentwurf so verstehe, dass mit seiner Verabschiedung die Organe der EKD „eingehen, auslaufen, aufhören zu bestehen, aufgegeben werden“. Schönherr bejahte dies und stellte folgende Kausalfolgen auf: Der EKD sage ab, wer beibehalten wolle, was ist; an der EKD halte fest, wer den Bund wolle. Rabenau, Fränkel und Ringhandt stimmten dieser Aussage zu. Die anschließende Abstimmung über die Frage, wer dem Ordnungsentwurf auch dann zustimme, wenn als Folge der Praktizierung des Bundes das Auslaufen der Organe der EKD für nötig gehalten wurde, erbrachte 5 Ja-Stimmen und 12 Nein-Stimmen. Die fünfte Ja-Stimme stammte von Werner Krusche. Die Vertreter der Strukturkommission blieben bei ihrer Meinung, man müsse den Entwurf so annehmen, wie er von Schönherr interpretiert wurde. Der Ausschuss sprach sich daraufhin bei drei Enthaltungen für folgende Empfehlung an das Plenum aus: „Die Informationstagung empfiehlt dem Rat der EKD, an der Ordnung eines Bundes, wie sie vorgelegt wurde, weiterarbeiten zu lassen und zu prüfen, wie der Prozeß der Bildung eines solchen Bundes eingeleitet werden kann, ohne dass darüber die Gemeinschaft der EKD aufgegeben wird“124.

Auf der Plenarsitzung wurde diese Empfehlung bei fünf Enthaltungen angenommen125. In seinem Ausschussbericht hatte Propst Johannes Richter die Kernfrage so 124 Anlage zum Bericht (EZA BERLIN, 650/95/37). Abdruck in: KJ 95, 1968, S. 229. Hervorhebung C. L. 125 Vgl. Bericht über die Verhandlungen der „Informationstagung“ (EZA BERLIN, 650/95/37).

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formuliert: „Wollen wir mit dem Bund EKD bleiben oder als Bund EKD sein“. Das Plenum sprach sich für folgendes Vorgehen aus: 1. Stärkung der Konferenz der Kirchenleitungen, 2. Bildung von Kommissionen, 3. Entgegennahme eines Erfahrungsberichts auf einer Informationstagung der Synode EKD (Ost). Über den Ausschuss I berichtete Superintendent Friedrich Zilz. Es wurden einige Änderungen in der Ordnung vorgeschlagen, von denen einzelne auf den Alternativentwurf der Kirchenkanzlei zurückgingen: die Bestimmungen über die Bildung von „Kommissionen“, der Satz, dass sich die einzelnen Kirchen „ohne Aufgabe ihres rechtlichen Bestandes“ zu einem Bund zusammenschlössen sowie der Austausch der Begriffe „Synode“ und „Gliedkirche“ durch „Kirchenversammlung“ und „Mitgliedskirche“126. Mit letzterem sollte terminologisch die Möglichkeit geschaffen werden, dass die EKD-Organe in der DDR weiter existieren konnten. Für Art. 4,4 wurde folgender Wortlaut vorgeschlagen: „Der Bund hat die Aufgabe, die Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland zu fördern. Er wirkt an Fragen, die alle evangelischen Kirchen in Deutschland berühren, durch seine Organe mit.“127 Dem Rat der EKD (Ost) schlug das Plenum folgendes Verfahren vor: Die Leitungen der Kirchen in der DDR sollten ihr Votum zum Ordnungsentwurf bis zum 15. November abgeben. Diese Voten hatte der Rat zusammen mit einem neuen Auftrag an die Strukturkommission weiterzugeben. Auf der Informationstagung der EKD-Synode (Ost) im Frühjahr sollte geprüft werden, ob ein Textentwurf einer Ordnung für die Landessynoden erarbeitet werden könne. Präses Figur brachte in seinem Schlusswort das Ergebnis auf den Punkt: Die Strukturkommission „hatte Federn lassen müssen“; der Weg, der möglicherweise gegangen werden müsse, sei weiter als man zunächst geglaubt habe. Auf der Informationstagung hatte sich gezeigt, dass der Wille unter den Synodalen, die Gemeinschaft in der EKD zu erhalten, sehr viel stärker ausgeprägt war als in der Strukturkommission. Im Anschluss an die Informationstagung kam in Halle die Kirchenkonferenz zusammen. Die östlichen Ratsmitglieder gaben dort die Empfehlungen der Synodalen an die Kirchenleitungen weiter und baten um deren Berücksichtigung bei den Beratungen128. Am 8. Oktober versandte die Kirchenkanzlei eine entsprechend den Hallenser Empfehlungen korrigierte zweite Auflage des Ordnungsentwurfs an die Kirchenleitungen. Die Ost-CDU wurde einen Tag später durch Stolpe über den für sie wenig befriedigenden Verlauf der Informationstagung informiert129. Vom 6. bis 11. Oktober fand in Berlin-Spandau die erste regionale Synodaltagung West der EKD nach dem im April 1967 beschlossenen Kirchengesetz statt. Auf einer

126 Vgl. „Gegenüberstellung des ursprünglichen Entwurfes der ‚Ordnung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR‘ und der von der Informationstagung gewünschten Änderungen“ (EZA BERLIN, 2/2474). Vgl. auch G. BESIER, SED-Staat, S. 694f. 127 Zitiert nach: EBD. 128 Vgl. Entwurf von Behm: „Bemerkungen zu dem Schreiben von Herrn Landesbischof D. Dr. Mitzenheim betreffend Weiterarbeit der Strukturkommission vom 17. Oktober 1968“ (EZA BERLIN, 104/48). 129 Aktenvermerk von Quast vom 10.10.1968 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII/013/3252).

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Sitzung am Vortag waren die westlichen Ratsmitglieder zu der Auffassung gelangt, dass die Synode zu einer Äußerung kommen sollte, in der das Festhalten an der Gemeinschaft innerhalb der EKD und das „Leiden“ über jede Verminderung dieser Gemeinschaft betont würde130. Obwohl es nicht auf der Tagesordnung stand, zog sich das Thema der gefährdeten EKD-Einheit durch die Beratungen der Synodaltagung; in zwei nichtöffentlichen Plenarsitzungen und im synodalen Berichtsausschuss wurde darüber verhandelt. Als strittig galt, ob eine westliche Regionaltagung das Recht hatte, dazu ein öffentliches Wort zu sagen, und wenn ja, wie es formuliert sein musste, damit es nicht wie eine Einmischung wirkte und damit den Kirchen im Bereich der DDR zusätzliche Schwierigkeiten bereitete. Am 11. Oktober beschloss die Synode ohne Diskussion bei drei Stimmenthaltungen eine an die evangelischen Christen in Ost- und Westdeutschland gerichtete, eher zurückhaltende „Erklärung zur Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland“131. Darin wurde der Kurs des Westteils der EKD in der Frage der Absonderung der ostdeutschen Kirchen mit den Sätzen gekennzeichnet: „Wir danken für die Gemeinschaft, die Gott uns geschenkt hat. Die Einheit unserer Kirche ist in Freiheit gewachsen. Jede Gefährdung dieser Einheit können wir nur erleiden.“ Zugleich billigte man den ostdeutschen Kirchen kirchlich-theologische Motive für ihre Strukturüberlegungen zu: „Wir wissen, daß die Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik nach Mitteln und Wegen suchen, ihren Dienst in den Gegebenheiten ihrer Situation auftragsgemäß und wirkungsvoll auszurichten.“ Dabei wurden Parallelen zu Strukturreformüberlegungen in der Bundesrepublik gezogen. Die Vorwürfe von Seigewasser und Götting, die westdeutschen Kirchen seien politisch abhängig und würden die ostdeutschen Kirchen bevormunden, wurden ohne Namensnennung zurückgewiesen. Der Rat hatte die Erklärung bereits auf seiner Sitzung am 10. Oktober zustimmend zur Kenntnis genommen und seine eigene Strategie dahingehend formuliert, „daß die Situation nach Möglichkeit offengehalten werden und daß angesichts der Wandlungsmöglichkeiten in den Verhältnissen dieser Welt ein langer Atem bewahrt werden sollte.“132 Dietzfelbinger unterstrich in einer Erklärung vor dem Plenum noch einmal den kirchlich-theologischen Impuls der Strukturüberlegungen in der DDR. Die Gemeinschaft in der Evangelischen Kirche in Deutschland beschrieb er als „nicht auf menschliche, vorläufige Faktoren und Voraussetzungen allein, sondern auf Gottes Wort und Sakrament, auf Glaube und Liebe gegründet“133. In einem ausführlichen Interview, das die „Welt am Sonntag“ am 13. Oktober veröffentlichte, erläuterte Dietzfelbinger dann einem größeren Publikum die Haltung der EKD in der Frage der kirchlichen Ost-West-Einheit134. Die erste regionale Tagung der Synode der EKD in der Bundesrepublik war aber nicht primär von der Sorge um den Erhalt der gesamtdeutschen EKD geprägt. Im 130 131 132 133 134

Auszug aus dem Protokoll (EZA BERLIN, 2/2474). Abdruck in: KJ 95, 1968, S. 95f. Niederschrift über die Sitzung am 10.10.1968 (EZA BERLIN, 2/1773). KJ 95, 1968, S. 235. Abdruck im KJ 95, 1968, S. 235f.

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Vordergrund standen vielmehr die Forderung nach einer Globalisierung der Perspektive und die Hoffnung auf einen globalen Wandel. Unter dem Thema „Die Zukunft der Kirche und die Zukunft der Welt“ wurde über „Entwicklungsprobleme zur Weltgesellschaft“, „Strukturprobleme der Industriegesellschaft“ und „Die Weltverantwortung der Kirche in einem revolutionären Zeitalter“ referiert und diskutiert135. Dabei wurde eine gewisse Bilanz der großen ökumenischen Versammlungen seit Neu-Delhi 1961 gezogen, das Ergebnis theologisch geprüft und nach den Auswirkungen für das eigene kirchliche Leben gefragt. Eine besondere Herausforderung stellte die auf der Weltkirchenkonferenz in Genf 1966 proklamierte „Theologie der Revolution“ dar, die auf einer zugespitzten und von marxistischen Gedanken nicht unbeeinflussten Interpretation der Reich-Gottes-Botschaft des Neuen Testaments basierte136. Die EKD-Synode setzte ihren eigenen Schwerpunkt bei der Entwicklungspolitik und fasste hierzu einige weit reichende Beschlüsse. Zusätzlich okkupierte die „Revolte der Jugend“ in der Bundesrepublik, die bis unmittelbar in die Synode hinein wirkte, die Aufmerksamkeit der Synodalen. Im direkten Anschluss an die Synode kamen in Ost-Berlin die östlichen Ratsmitglieder zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, an der auch Figur, Fränkel, Johannes, Lingner, Wilm sowie „drei weitere Berater“ teilnahmen137. Bei letzteren handelte es sich um die bereits am 20. September von den westlichen Ratsmitgliedern mit der Führung der weiteren Gespräche Beauftragten Heintze, Riedel und Benn. Auf der Ratssitzung in Spandau am 10. Oktober waren diese als „Besuchergruppe“ bezeichnet und angewiesen worden, die Gesichtspunkte des Westens einzubringen, die vor allem darauf hinausliefen, „die Situation nach Möglichkeit offen“ zu halten138. Die Sitzungsteilnehmer in Ost-Berlin begrüßten das Wort der Regionalsynode zur kirchlichen OstWest-Situation und bezeichneten es in seiner „würdigen Zurückhaltung“ als „sehr hilfreich“139. Wätzel legte anschließend den Entwurf einer Erklärung der östlichen Ratsmitglieder vor, in dem diese sich gegen die von Götting und Seigewasser anlässlich des CDU-Parteitages erhobenen Vorwürfe westlicher Einflussnahme verwahrten140. Die Erklärung wurde jedoch mit der Begründung, man wolle die Wirkung des Spandauer Wortes nicht beeinträchtigen, nicht verabschiedet. Anstatt einer öffentlichen Stellungnahme sollte mit Mitzenheim ein Gespräch über seine eigene und die Rolle von Lotz in Erfurt geführt werden. Hauptverhandlungsgegenstand der Ratssitzung aber war der Ordnungsentwurf. Auf diesbezügliche Fragen aus der Bundesrepublik wurde als einmütige Meinung aller Gliedkirchen in der DDR wiedergegeben, dass 135 BERLIN-SPANDAU 1968. 136 Vgl. C. WALTHER, Christentum, S. 63. 137 Niederschrift von Behm vom 12.10.1968 und Bericht von Lingner (?) auf der Grundlage einer stenographischen Mitschrift (EZA BERLIN, 104/48 und 4/19). 138 Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Rates am 10.10.1968 (EZA BERLIN, 2/2474). 139 Auf Wunsch des Rates wurde das Wort am 11.10.1968 von der Kirchenkanzlei an die EKD-Synodalen, die Kirchenleitungen und Ratsmitglieder in der DDR versandt. 140 Anlage zur Niederschrift über die a.o. Sitzung der Ratsmitglieder in der DDR am 11.10.1968 (EZA BERLIN, 104/48).

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keiner daran denke, aus den landeskirchlichen Verfassungen die Bestimmungen zu streichen, dass sie Gliedkirchen der EKD waren. Die Anwesenden sprachen sich dafür aus, dass der Ordnungsentwurf in der in Halle veränderten Fassung eventuell auch unter Streichung von Art. 4,4 und Art. 5,1a141 angenommen werde und die EKD-Organe bis auf weiteres stillschweigend weiterarbeiten könnten. Kirchenkanzlei und Geschäftsstelle sollten sich vereinigen und eine EKD-Abteilung einrichten. Die Kommissionen hatten sich ausschließlich mit DDR-Fragen zu beschäftigen. Das Mandat der Ratsmitglieder und der Synodalen würde in Kraft bleiben, funktionierende Gremien weiterarbeiten. Die Landeskirchen sollten ihre EKD-Synodalen auch als ihre Mitglieder in die Kirchenversammlung entsenden. Im Falle einer absoluten Kommunikationssperre wäre dann eine neue Situation gegeben, auf die man neu zu reagieren hätte. Eine legale Übertragung von Befugnissen der EKD auf den Bund wurde ausgeschlossen. Ebenso eingehend wie kontrovers wurde auf der Ratssitzung über die Bedeutung von Art. 4,4 gesprochen. Die einen sahen insbesondere in der in Halle veränderten Fassung des Artikels die Tendenz zur Ablösung der EKD durch den Bund und wollten ihn daher gestrichen haben. Andere befürchteten, dass eine Streichung des Artikels die mögliche Funktion des Bundes als „Auffangstellung“ verhindern bzw. sehr erschweren würde, falls die Organe der EKD zum Erliegen kämen. In jedem Falle hielt man eine verbindliche Interpretation und auch Überprüfung des Artikelwortlautes für notwendig. Das Gleiche galt für Art. 5,1. Das Gesetzgebungsrecht sollte der Kirchenversammlung erhalten bleiben, zunächst beschränkt als Recht für den Beschluss von Gesetzen, die nur die Kirchen in der DDR betrafen, später aber auch als „Auffangstellung“. Die gut funktionierende Arbeit des Diakonischen Rates und der Diakonischen Konferenz sollte durch die Ordnung nicht tangiert werden. Das weitere Verfahren dachten sich die Sitzungsteilnehmer wie folgt: Die Landeskirchen hatten bis zum 15. November schriftlich zum Ordnungsentwurf in der in Halle abgeänderten Fassung gegenüber dem Rat Stellung zu nehmen. Rat und Bischöfe beauftragten anschließend die Strukturkommission, aufgrund der vermutlich weit auseinander gehenden Voten einen neuen Entwurf vorzulegen. Der überarbeitete Entwurf sollte dann, ehe er an die Landeskirchen zur Beschlussfassung durch ihre Synoden gelangte, noch einmal einer Informationstagung der EKD-Synodalen vorgelegt werden. Sie selbst wollten ihre Beratungen in gleicher Besetzung fortführen, sobald die Voten der Kirchen vorlagen. Die östlichen Ratsmitglieder würden sich zuvor am 2. Dezember zu einer Sonderberatung treffen. Einig waren sich die Sitzungsteilnehmer darüber, dass der ganze Fragekomplex nicht Gegenstand der Beratung der KKL am 10. Dezember sein sollte. Von einer offiziellen Einberufung der für den 6. und 7. November geplanten Kirchenkonferenz wollte man absehen. Denn für eine Beratung der anstehenden Fragen des Ost-West-Verhältnisses war es zu diesem Zeitpunkt zu früh, da die Kirchen in der DDR bis dahin ihre Überlegungen nicht abgeschlossen hatten und 141 „Artikel 5 (1) Der Bund kann gesetzliche Bestimmungen mit Wirkung für die Gliedkirchen erlassen a) für Sachgebiete, die bereits gesamtkirchlich geregelt waren“. KJ 95, 1968, S. 230.

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somit der Vorwurf westlicher Beeinflussung gemacht werden konnte. Zudem befürchteten sie bei einer offiziellen Einberufung der Kirchenkonferenz ein Einreiseverbot für wichtige westliche Kirchenvertreter sowie das Bekanntwerden aller Überlegungen bei staatlichen Stellen. Stattdessen sollten bis zu sechs Vertreter der KirchenkonferenzWest zu einem Treffen mit den östlichen Ratsmitgliedern am 7. November eingeladen werden. Seit Mitte 1968 beobachtete auch das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen die kirchliche Lage in der DDR nach Erlass der neuen Verfassung. In einer Ausarbeitung für das Auswärtige Amt, das Bundesinnenministerium und das Bundeskanzleramt wurde im Juli folgende Einschätzung gegeben: „Zusammenfassend ist zu sagen, daß man aufgrund der neuen Verfassungsvorschriften nicht nur mit der Fortsetzung, sondern sogar mit der Verschärfung der bisherigen Kirchenpolitik der SED-Machthaber wird rechnen müssen. An die Stelle der Zugehörigkeit zu den Religionsgemeinschaften in Westdeutschland soll die Integration in den SED-Staat und die Eliminierung der Eigenständigkeit treten. Man wird damit rechnen müssen, daß das Regime – wahrscheinlich nicht in einem Akt, sondern schrittweise – zupacken und eine Strukturveränderung durchsetzen wird, je nachdem ihm die Zeit gekommen zu sein scheint.“142

Am 27. September informierte der Direktor des Diakonischen Werkes Ludwig Geißel das BMG über die Strukturdiskussion in den östlichen Gliedkirchen der EKD143. Er unterstrich, dass in jedem Fall die finanzielle und materielle Unterstützung der ostdeutschen Kirchen von der Bundesrepublik her fortgesetzt werden müsste. 1968 waren DM 48,9 Millionen für den Warentransfer und DM 6 Millionen für Valuta-Mark transferiert worden144. Von den DM 48,9 Millionen stammten DM 24 Millionen aus Eigenmitteln der EKD. Geißel ging davon aus, dass die DDR-Behörden weiteren Unterstützungsleistungen keine Schwierigkeiten bereiten würden, da er für 1969 bereits die Lieferverträge in der bisherigen Höhe abschließen und Zusatzprogramme vereinbaren konnte. Seiner Verhandlungsposition kam dabei zugute, dass er nicht als Beauftragter der EKD, sondern der westdeutschen Landeskirchen in der DDR „akkreditiert“ war. In dieser Eigenschaft konnte er auch zukünftig in der DDR verhandeln. Im BMG wurde den Vorgängen in den ostdeutschen Kirchen eine erhebliche politische Bedeutung zugemessen. Staatssekretär Günter Wetzel führte daher Mitte Oktober ein orientierendes Gespräch mit Hermann Kunst145. Der Beauftragte des Rates erklärte darin, 142 Ausarbeitung des BMG zur Stellung der Kirchen nach der neuen DDR-Verfassung (Juli 1968) i.A. von Staatssekretär Günter Wetzel gefertigt (BArch KOBLENZ, B 137/7848). 143 Vorlage zur Besprechung mit Bischof Kunst vom 1.10.1968 von Referat I 7 (BArch KOBLENZ, 137/16649). 144 Vgl. Vermerk des Referats I 7 des BMB vom 13.11.1969 (BArch KOBLENZ, 137/16646). L. GEISSEL, Unterhändler, S. 471f. nennt für den Transfer im Jahr 1968 die Zahl 45.948.632,37 DM und für die Valuta 6.061.236,98 DM. 145 Vermerk des Referats II 1 vom 17.10.1968 über die Besprechung des Staatssekretärs mit Bischof Kunst (BArch KOBLENZ, B 137/16649).

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dass „die EKiD“ gegen eine Teilung sei und sich dabei nicht von politischen, sondern von kirchlichen Motiven leiten lasse. Dazu zählte er eine wechselseitige Abhängigkeit der Kirchen in beiden Teilen Deutschlands: Die Kirchen in der DDR könnten ohne die finanzielle Hilfe des Westens kaum existieren; die Kirchen in der Bundesrepublik hingegen bräuchten insbesondere auf theologischem Gebiet neue Ansätze aus den Kirchen in der DDR – an welche er dabei dachte, ist nicht überliefert. Laut Kunst wollten auch die ostdeutschen Kirchen die Einheit bewahren. Sie wüssten aber nicht, welche Rechtsform dafür gefunden werden konnte, zumal der Staat selbst nicht klar zum Ausdruck bringe, was er wolle. Die EKD taktiere auf Zeit ohne Gewissheit auf Erfolg. Die westlichen Gliedkirchen der EKD hätten nicht die Absicht, auf die Kirchen in der DDR Druck auszuüben, um deren Absonderung zu verhindern. Sie täten dies in klarer Einsicht in die Gegebenheiten, obwohl sie wüssten, dass das Kirchenvolk in der DDR – wie sich bei der Informationstagung in Halle bewiesen habe – einen anderen Standpunkt einnähme als die ostdeutschen Kirchenleitungen. Im Hinblick auf den Zusammenhang, der zwischen diesen kirchlichen Entscheidungen und der Situation des geteilten Deutschlands bestand, unterstrich Kunst gegenüber dem Staatssekretär, dass man „natürlich auch im kirchlichen Bereich zwischen patriotischen Motivationen und christlichen Angelegenheiten einen Trennungsstrich nur schwer ziehen könne.“ In seinem Gespräch mit dem Staatssekretär wies Kunst auch auf die Nervosität hin, die in der DDR-Regierung seit den Prager Ereignissen herrschte. Da die Kirchen in der DDR den einzigen Raum darstellten, in dem frei gesprochen werden konnte, sah die Regierung in ihnen einen Sammlungsort des Widerstandes, so Kunsts Einschätzung. Tatsächlich hatten die möglichen und wirklichen Reaktionen im kirchlichen Raum auf die militärische Niederschlagung des reformsozialistischen Versuchs in der DSSR die staatlichen Kräfte in Aufregung versetzt146. Am 17. Oktober gab die Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED an Verner eine umfangreiche Information über die Lage der Kirchen in der DDR nach dem 21. August 1968147. Diese sei, so lautete das Urteil, „durch eine verstärkte Aktivität reaktionärer Kirchenkräfte und eine relativ breite politische Verwirrung unter kirchlichen Amtsträgern gekennzeichnet.“148 Der „westdeutschen EKD“ wurde ein „aktive[r] Anteil an der ideologischen Vorbereitung konterrevolutionärer Aktionen in der DSSR“ und „bei der Verleumdung der Hilfsmaßnahmen vom 21. August“ unterstellt. Als Indiz hierfür galt ein Treffen zwischen Schönherr und Scharf im August in der DSSR. Daneben machte man „offene Provokationen“ bei kirchenleitenden Kräften in der DDR – allen voran in Berlin-Brandenburg – sowie eine „verdeckte, schleichende politisch-ideologische gegnerische Tätigkeit“ „in reaktionären Kreisen der Kirche“ „unter dem Deckmantel einer Scheinloyalität gegenüber staatlichen Organen und gesellschaftlichen Kräften“ aus. Die Arbeitsgruppe zog aus ihren Analysen u. a. folgende Schlussfolgerung: 146 Zu den kirchlichen Reaktionen auf die Niederschlagung des Prager Frühlings s. o. Kap. 4.1.4. 147 Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 66–71. 148 EBD., S. 66.

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„Ausgehend von der differenzierten Haltung kirchlicher Kreise zu den Maßnahmen vom 21. August ist es erforderlich, den politischen Standort der verschiedenen Gremien und Gruppierungen, ihre Ziele und ihre Entwicklung sorgfältig einzuschätzen und zu werten. Das unterschiedliche Verhalten der Leitungen der evangelischen Landeskirchen wird durch die staatlichen Organe und gesellschaftlichen Kräfte zum Anlaß der Vertiefung des Differenzierungsprozesses genommen. [. . .] Nach dem Scheitern der militant-antisozialistischen Konzeption, wie sie 1967 auf der DDR-Teilsynode in Fürstenwalde/Spree entwickelt wurde, und für deren Verwirklichung das politische Handeln der Bischöfe Krummacher und Fränkel charakteristisch ist, treten nunmehr solche kirchenleitende Personen in den Vordergrund, die von einer flexibleren Position aus operieren, die den politischen Realitäten scheinbar mehr Rechnung tragen, um den EKD-Einfluß auf die Landeskirchen in der DDR in neuen Formen aufrecht zu erhalten. Als Repräsentanten dieser politischen Linie muß man den Berlin-Brandenburgischen Bischofsverwalter D. Schönherr betrachten. Das erfordert in der praktischpolitischen Auseinandersetzung, die Stoßrichtung gegen diese flexibleren Formen der EKDPolitik und ihre Vertreter zu richten.“149

Durch die Ereignisse nach dem 21. August sah man sich in der Strategie, die innerkirchliche Differenzierung zu fördern und einem Zusammenschluss der Landeskirchen als einer neuen Form der EKD-Einflussnahme zu misstrauen, bestätigt. Seigewasser gab folgerichtig am 17. Oktober eine Handlungsanweisung an die Räte der Bezirke, in der als kirchenpolitisches Ziel fixiert wurde, die Lösung der acht Landeskirchen in der DDR von der EKD zu erreichen, ihren Zusammenschluss hingegen zu verhindern150. So wurde Schönherr beargwöhnt und Mitzenheim gefördert. Elf Tage später sandte der Staatssekretär ein in seiner Dienststelle ausgearbeitetes vertrauliches „Material“ an Götting151. Darin hieß es, dass mit den neuen Strukturüberlegungen, deren Ursprung ein politischer, nicht ein kirchlicher sei, scheinbar die politischen Realitäten anerkannt werden sollten, tatsächlich aber günstigere Voraussetzungen geschaffen würden, diese Realitäten zu ändern. Mit Hilfe der Landeskirchen der DDR sollte „ideologische Diversion“ im Sinne der „friedensgefährdenden Bonner Ostpolitik“ betrieben werden. Bei dem Versuch, eine neue Struktur zu schaffen, gebe man sich den Anschein, als wolle man der DDR entgegenkommen und dem Wunsch „realistisch denkender Kräfte“ in den Landeskirchen nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit entsprechen. In Wirklichkeit gehe es aber darum, die Landeskirchen in der DDR „sagen wir auf geschicktere Art zu bevormunden und zu manipulieren.“ Das Streben nach einer zentral geleiteten Kirchenorganisation habe das Ziel, die Möglichkeiten staatlicher Differenzierung zwischen den Landeskirchen einzuschränken. Die Mitarbeiter bestätigten daher die von ihrem Staatssekretär und auch der Arbeitsgruppe Kirchenfragen bereits im Juni und August formulierte Position. „Das Prinzip der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Landeskirchen sowohl gegenüber der westdeutschen Kirchenleitung wie gegenüber dem beabsichtigten ‚Bund der Evangelischen Landeskirchen der DDR‘ ist der Standpunkt, von dem aus die Auseinandersetzung 149 EBD., S. 71. 150 Vgl. EBD., S. 21f. 151 ACDP ST. AUGUSTIN, VII/013/3050.

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mit den dargelegten Bestrebungen geführt werden muß“. Seigewasser empfahl Götting, das „Material“ auch Gerhard Quast zur Kenntnis zu geben. Quast, zugleich IM des MfS, kritisierte dann in einem Gespräch mit Stolpe Ende Oktober die „massive Intervention der EKD“ in den Prozess der Bundesbildung. Als ein Indiz hierfür nannte er das Rundschreiben der Kirchenkanzlei an die Gliedkirchen in der DDR vom 8. Oktober, in dem die Unterordnung der Arbeit der Strukturkommission unter den Rat und die Kirchenkanzlei der EKD gefordert werde152. Stolpe verwies in seiner Antwort auf die „unentschiedene und schwankende Haltung“ Krummachers, der „Angst habe, überfahren zu werden“, und „deshalb versuche, über den Rumpfrat und die Kirchenkanzlei in der DDR die Strukturkommission enger an sich zu binden.“153 Gegen den Inhalt des Briefs der Kirchenkanzlei hatte bereits am 17. Oktober Mitzenheim Einspruch erhoben. In einem Schreiben an Stolpe als Leiter der Geschäftsstelle der KKL erklärte er, die Strukturkommission sei nicht vom Rat, sondern von der KKL eingesetzt und die Kirchenleitungen würden ihre Stellungnahme zum Ordnungsentwurf auch nicht an den Rat senden, sondern an die Geschäftsstelle der KKL154. Wenn in der Weise des Rundschreibens der Kirchenkanzlei weiter verfahren werde, drohte Mitzenheim, könne das Bemühen, eine Form der Zusammenarbeit der evangelischen Kirchen in der DDR zu finden, ganz eingestellt werden. Denn die ursprüngliche Intention sei gewesen, dass diese Zusammenarbeit weder von der EKD abhängig sei noch in ihrer Entstehung irgendwie von der EKD und ihren Organen beeinflusst werde. Behm sah daraufhin die ganze Arbeit der Strukturkommission in Gefahr: Mitzenheim wolle jede Verbindung mit der EKD und ihren Organen lösen und betrachte schon jetzt den Rat als nicht mehr existent155. Behm verlangte von Stolpe, die Landeskirchen sollten ihre Stellungnahmen zum Ordnungsentwurf nicht der Geschäftsstelle, sondern der Evangelischen Kirchenkanzlei – als dem zuständigen Büro für die von der EKD eingesetzte Strukturkommission – zusenden156. Stolpe schlug stattdessen Beste und Schönherr vor, künftig folgenden Briefkopf zu verwenden: „‚Konsistorialrat Stolpe, Sekretär der Strukturkommission‘ mit Hilfe der Geschäftsstelle“. Die beiden Bischöfe waren einverstanden157. Noch kurz bevor die acht Kirchenleitungen ihre Stellungnahmen zum Entwurf der Bundesordnung abgaben, wurden Mitte Oktober zwei Alternativvorschläge formuliert. Der Theologische Ausschuss der Synode der Kirchenprovinz Sachsen verabschiedete am 21. Oktober ein Votum an die Kirchenleitungen zur Arbeit an dem Entwurf der Strukturkommission158. In diesem wurde ein Weg vorgeschlagen, der mehrere Faktoren vereinen sollte: Die kirchliche Ost-West-Gemeinschaft zu retten, die Eigen-

152 153 154 155 156 157 158

Vgl. den Aktenvermerk von Quast vom 1.11.1968. Abdruck in: GRÜNDUNG, S. 78. EBD., S. 79. EZA BERLIN, 4/22. Behm an Krummacher, 21.10.1968 (EZA BERLIN, 104/48). Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 696. Vgl. EBD., S. 696f. EZA BERLIN, 104/49.

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ständigkeit im Bereich DDR und im Bereich Bundesrepublik zu sichern, die kirchliche Einheit innerhalb dieser Bereiche zu vertiefen und die kirchliche Unabhängigkeit gegenüber dem Staat zu wahren. Die Konstruktion, die hierfür vorgeschlagen wurde, hatte Ähnlichkeit mit der Lösung, die bei den Evangelischen Studentengemeinden gefunden worden war, aber auch mit dem politischen Modell einer „Konföderation“. Der Ausschuss empfahl, dass die Gliedkirchen der EKD ihre „geistlich-leibliche Einheit“ in neuen Rechtsformen gestalteten. Die evangelischen Landeskirchen in der Bundesrepublik und in der DDR sollten sich je zu einem selbstständigen Bund zusammenschließen, die durch paritätisch besetzte Organe in freier Zusammenarbeit die bleibende Gemeinschaft laufend realisieren und vertiefen würden. Ziel war die volle Abendmahlsgemeinschaft zwischen den in diesen Bünden zusammengeschlossenen Landeskirchen und der Beitritt der evangelischen Freikirchen zu den Bünden. Auch Präses Figur machte noch vor der Abstimmung über den Entwurf der Bundesordnung einen alternativen Vorschlag159. Er nannte dafür gleich vier Motive: Erstens sei in Halle ein Unbehagen gegenüber dem Entwurf der Strukturkommission offenkundig gewesen; zweitens stehe man nicht mehr unter Zugzwang, da der neue Vorsitzende der KKL, Bischof Beste, vom Staat als Gesprächspartner akzeptiert werde; drittens könne man das Zusammenwachsen der Kirchen auch ohne eine neue Ordnung fördern; und viertens habe ein Bund aller Landeskirchen wenig Aussicht, solange Mitzenheim amtiere. Figur schlug daher vor, die KKL neu zu formieren und zu straffen. Der fehlende synodale Unterbau sollte durch eine Konferenz der Landessynoden mit 60 Mitgliedern gebildet werden. Von dieser Konferenz könnten Mitglieder in die KKL entsandt werden. Daneben würden die EKD-Organe bestehen bleiben und im Rahmen des Möglichen weiterarbeiten. Die Regionalsynode Ost würde staatlicherseits vermutlich nur als Informations- und Arbeitssynode erlaubt werden. Die Selbstständigkeit der regionalen Ratsteile könnte durch zweiseitige Feststellungsbeschlüsse noch erhärtet werden. Die gesamtkirchlichen Dienststellen, Kammern und Ausschüsse sollten allmählich zusammenwachsen. Nach Ablauf der EKD-Legislaturperiode könnte man dann „in größerer innerer Freiheit“ weitergehende Schritte hinsichtlich eines rechtlichen Zusammenschlusses tun. Figur sandte seine Überlegungen an Krummacher, Schönherr und Behm. Ab Ende Oktober gingen bei Stolpe die Stellungnahmen der Landeskirchen zum Ordnungsentwurf ein. In seinem Schreiben vom 31. Oktober bezeichnete der Thüringer Landeskirchenrat Mitzenheims Brief vom 17. des Monats als Teil seiner Stellungnahme160. Weiter erklärte er, dass vor der Inkraftsetzung der Ordnung des Bundes dessen künftiges Verhältnis zur EKD eindeutig geklärt werden müsse. Er ging dabei von folgenden Voraussetzungen aus: Der Plan, einen „Bund der evangelischen Kirchen in der DDR“ zu schließen und diesem Bund eine Ordnung zu geben, war in Angriff genommen worden, weil die Organe der EKD nicht mehr funktionsfähig waren und

159 Figur an Krummacher, 22.10.1968 (EZA BERLIN, 104/48). 160 EZA BERLIN, 104/49.

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weil es erforderlich erschien, eine von der EKD unabhängige gemeinsame Vertretung der evangelischen Kirchen in der DDR zu bilden. Daher musste nach Auffassung des Kirchenrates die neue Ordnung „originär“ in einer Absprache zwischen den evangelischen Kirchen in der DDR begründet sein. Sie durfte nicht „auf EKD-Recht fußen“ und bedurfte „keiner Legalisierung, Genehmigung oder sonst irgendwie eingekleideten Billigung durch die Organe der EKD.“ Konkreten Klärungsbedarf im Vorfeld der Bundesgründung sah die Kirchenleitung hinsichtlich der Ost-Berliner Kirchenkanzlei, dem laufenden Mandat der östlichen Ratsmitglieder, zukünftigen regionalen Tagungen der EKD-Synode in der DDR, der Neuwahl von EKD-Synodalen in der DDR, der Neuwahl des Rates der EKD, der Kollekten für die EKD und des Status der kirchlichen Enklaven. Bezüglich Art. 4,4 beantragte der Landeskirchenrat, die ursprüngliche Fassung wiederherzustellen. Die Tendenz des Schreibens war eindeutig staatskonform und zielte klar gegen die EKD. Bischof Fränkel sandte am 4. November die Stellungnahme der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebiets an die Geschäftsstelle und eine Abschrift an die Kirchenkanzlei161. Die Kirchenleitung stimmte der Intention eines engeren Zusammenschlusses der Gliedkirchen in der DDR zu, verlangte aber, dass an der Gemeinschaft innerhalb der EKD „unbeschadet etwa notwendiger Strukturveränderungen“ festgehalten wurde und es bei der in den Grundordnungen vorgesehenen Bestimmungen über die Gliedschaft der Kirchen in der EKD blieb. Der anhaltische Landeskirchenrat schrieb am 6. November an die Geschäftsstelle162. Er stimmte dem Ordnungsentwurf zu und votierte bei Art. 4,4 für die Fassung von Halle. Die sächsische Kirchenleitung verlangte in ihrem Schreiben vom 9. November eine klare Stellungnahme zu der Frage, in welchem Verhältnis die Organe der EKD, soweit sie in der DDR tätig waren, zu den in dem Entwurf vorgesehenen Organen des Bundes standen163. Sie selbst war zu der „fast übereinstimmenden“ Auffassung gelangt, dass Art. 4,4 des Entwurfs so auszulegen war, dass eine künftige Tätigkeit der Organe des Bundes ein paralleles Weiterarbeiten von Organen der EKD im Bereich der DDR ausschloss. Die Frage, ob und in welcher Weise eine Überleitung der von den Organen der EKD zugewiesenen Aufgaben auf die neuen Organe des Bundes zu erfolgen hatte, ließ man aber offen. Die sächsische Kirchenleitung hoffte allerdings, dass „Begegnungen und gemeinsame Ausschußarbeit von östlichen und westlichen kirchlichen Vertretern weitergeführt“ würden. Hinsichtlich Art. 4,4 gab sie der Fassung der Strukturkommission den Vorzug. Mit dem Wort „Mitverantwortung“ werde deutlicher zum Ausdruck gebracht, dass die Kirchen zumindest die „geistige und geistliche Gemeinschaft“ zum Tragen bringen wollten. Als expliziten Wunsch formulierte die sächsische Kirchenleitung, dass in einer noch zu bestimmenden Weise zum Ausdruck gebracht werden müsse, dass „der Weg zu dieser neuen Ordnung sich infolge von Umständen 161 EBD. 162 EBD. 163 EBD.

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notwendig macht, denen die Gliedkirchen sich nicht entziehen können.“ Dieser Hinweis richtete sich an die westlichen Gliedkirchen. Die Evangelische Landeskirche Greifswald nahm am 14. November Stellung164. Für Artikel 4,4 wurde eine Neufassung vorgeschlagen: „Zu den Aufgaben des Bundes gehört es, die Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland zu fördern. Er wirkt an Fragen, die alle evangelischen Kirchen in Deutschland berühren, mit.“ Da der Bund mehrere Aufgaben habe, sei die Fassung im zweiten Entwurf: „Der Bund hat die Aufgabe“ missverständlich. Den Zusatz „durch seine Organe“ hielt man für überflüssig; auch könnte er einschränkend verstanden werden, weil die Mitwirkung auch durch das Sekretariat, durch Kommissionen usw. wahrgenommen werden könnte. Die Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen schlug in ihrem Schreiben vom 15. November vor, dass Art. 4,4 folgenden Wortlaut haben sollte: „Die spezifische Gemeinschaft in der evangelischen Christenheit in Deutschland erhält und fördert der Bund in partnerschaftlicher Freiheit durch gemeinsame Beratung und gegenseitige Hilfeleistung.“165 Mit diesem Vorschlag wollte die Kirchenleitung nach eigenen Angaben zur Klärung des Verhältnisses zwischen Bund und EKD beitragen. Die Verwendung des Begriffs „spezifische Gemeinschaft“, der von Lotz stammte, ließ darauf schließen, dass man nicht mehr von einer Einheit in der EKD und damit von einem Nebeneinander von Organen des Bundes und der EKD in der DDR ausging. Hier wurde auch erstmals die Bezeichnung „partnerschaftliche Freiheit“ zur Aufnahme in den Artikel vorgeschlagen. Die provinzsächsische Kirchenleitung fügte ihrer Stellungnahme das Votum des Theologischen Ausschusses ihrer Synode vom 21. Oktober bei, zu dem sie sich selbst noch nicht geäußert hatte. Der mecklenburgische Oberkirchenrat wertete es in seinem Schreiben vom 18. November positiv, dass die evangelischen Kirchen in der DDR zur Bildung einer „im Zeugnis und im Handeln sichtbarer werdenden Gemeinschaft“ entschlossen waren. Seiner Ansicht nach kam es dabei jedoch weniger auf eine gemeinsame Ordnung als auf den Willen der einzelnen Landeskirchen an, „zueinander zu stehen und gemeinsam zu handeln.“ Er wies darauf hin, dass die evangelischen Kirchen in der DDR Gliedkirchen der EKD seien und dass daher zunächst das künftige Verhältnis zur EKD und ihren Organen geregelt werden müsse166. Er selbst empfahl eine Verfestigung der KKL und eine stärkere Zusammenarbeit von EKU und VELKD im Bereich der DDR, d. h. keine eigenständige Synode. Der Beschluss der Regionalkirchenleitung Ost der Evangelischen Kirche in BerlinBrandenburg wurde in einem Brief von Stolpe der KKL und nicht der Strukturkommission mitgeteilt, was ihm später die Kritik der Kirchenleitung eintrug167. Laut dieses Briefes bejahte die Kirchenleitung den Ordnungsentwurf unter der Bedingung, dass 164 EBD. 165 EBD. 166 EBD. 167 Lingner (?) an Scharf: Vertraulicher Zusatzvermerk zum Bericht über die Sitzung der Kirchenleitung-Ost vom 6.12.1968 (EZA BERLIN, 650/95/37).

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die bisher zuständigen Organe der EKD im Bereich der Region Ost (Synode und Rat) ihre Funktionen nach Inkrafttreten der Ordnung des Bundes nicht mehr wahrnahmen. Für die Präambel schlug sie eine Fassung vor, in der faktisch das Scheitern der EKD in der DDR konstatiert wurde: „Die evangelischen Kirchen in der DDR sind durch ihre Gliedschaft in der EKiD miteinander verbunden, die in ihren Grundordnungen festgelegt ist. Nachdem die Organe, in denen die Gemeinschaft der EKD sichtbar geworden ist, durch die gegenwärtigen politischen und rechtlichen Bedingungen ihre Funktion nicht mehr ausreichend wahrnehmen können, schließen sich die evangelischen Kirchen in der DDR zur Wahrnehmung ihrer Gemeinschaft zum Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik zusammen.“

Für Art. 4,4 wurde empfohlen, darin beide deutschen Staaten zu benennen: „In der Mitverantwortung für die ganze evangelische Christenheit in der DDR und in der BRD wirkt der Bund an Entscheidungen, die alle evangelischen Kirchen in Deutschland berühren, durch seine Organe mit.“168 Die Kirchenleitung interpretierte am 6. Dezember ihren Beschluss dahingehend, dass die Forderung nach einer Beendigung der Arbeit der EKD-Organe nach Arbeitsaufnahme durch die neu zu schaffenden Organe des Bundes keine politisch motivierte Absage an die EKD darstellen sollte. Man wollte damit im Gegenteil sicherstellen, dass der neue Kirchenbund die Aufgaben der EKD in geänderter Form fortsetzen konnte. Ein Nebeneinander der neu zu bildenden und der bisherigen Organe rücke hingegen den geplanten Kirchenbund in das Licht eines Konkurrenz- oder Gegenunternehmens zur EKD169. Alle acht Landeskirchen hatten sich somit prinzipiell positiv zum Plan eines engeren Zusammenschlusses der Kirchen in der DDR gestellt, auch wenn es über dessen Umsetzung unterschiedliche Meinungen gab. Gleichzeitig waren sie sich einig, dass die Gemeinschaft der Christen in Deutschland erhalten bleiben sollte. In den Ansichten über die Art und Weise, wie dies geschehen sollte, gab es indes eine deutliche Variationsbreite. Darüber hinaus enthielten die Stellungnahmen insgesamt 118 Änderungsvorschläge zum Ordnungsentwurf, jedoch nur 16 von inhaltlicher Bedeutung. Das MfS war über die Schreiben der Kirchenleitungen bestens informiert und gab sein Wissen am 28. November an Ulbricht weiter170. Zeitlich parallel zu den Stellungnahmen tagten sechs der acht ostdeutschen Landessynoden. In allen fünf Bischofsberichten – in der mecklenburgischen Landessynode wurde nur im Frühjahr berichtet – wurde das Thema „Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR“ (BEK) kurz angeschnitten171. Die Bischöfe hoben zumeist her168 Vgl. Synopse der Stellungnahmen der Kirchen zu den Artikeln des Entwurfs der Ordnung des BEK in der DDR (EBD.). 169 Lingner (?) an Scharf: Vertraulicher Zusatzvermerk zum Bericht über die Sitzung der Kirchenleitung-Ost vom 6.12.1968 (EBD.). 170 EI „über Meinungen und Verlautbarungen in leitenden evangelischen Kirchenkreisen der DDR im Zusammenhang mit Strukturfragen“ (BStU BERLIN, MfS HA XX/4–1233). 171 Vgl. „Die DDR-Bischöfe zu Kirchenbund und EKD“. In: epd-Vertraulich, 27.11.1968, S. 4–8 (PARH).

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vor, dass es um eine Vertiefung der inneren Gemeinschaft der evangelischen Kirchen in der DDR gehe, die auch organisatorisch verwirklicht werden müsse. Das zukünftige Verhältnis zur EKD wurde nur zum Teil angesprochen. Beschwichtigend erklärte Schönherr auf der berlin-brandenburgischen Regionalsynode Ost, „daß es keine Absage an die Kirchen in Westdeutschland bedeutet, mit denen wir in der Gemeinschaft der EKiD zusammen sind, wenn sich die Kirchen in der DDR Organe gemeinsamer Vertretung schaffen.“172 Krummacher wählte vor der Greifswalder Synode in Züssow eine ähnliche Formulierung, sprach allerdings von der „Gemeinschaft mit den Kirchen, mit denen wir in der EKD zusammengeschlossen sind.“ Er hob aber auch hervor, dass der Beschluss über die geplante Bundesordnung nur dann glaubwürdig sei, wenn keinerlei Einfluss von außen auf die selbstständigen Entscheidungen der Landeskirchen genommen werde. Bischof Jänicke nannte vor der Synode in Magdeburg die EKD nicht explizit, bezog sich jedoch auf seinen vorjährigen Synodalbericht, in dem er dies ausdrücklich getan hatte. Als Vorbild für eine Verbindung von Gemeinschaft und Selbstständigkeit nannte er die Lösung, welche die Studentengemeinden gefunden hatten. Kirchenpräsident Müller erwähnte in seinem Gesamtbericht vor der anhaltischen Synode in Dessau die EKD nicht. Im Zusammenhang mit dem Kirchenbund sagte er: „An der besonderen Glaubensverbundenheit der evangelischen Kirchen in Deutschland, die sich in brüderlicher Beratung und gegenseitiger Hilfe äußert, wird festgehalten.“173 Der Präses der anhaltischen Synode, Gerhard Rudolf Kootz, stellte in geschlossener Sitzung den Antrag, die Mitarbeit in der EKD praktisch aufzugeben174. Die Landeskirche sollte zukünftig keine Vertreter mehr zu einer EKD-Synode senden. An der Ordnung des Bundes müsse ohne Beteiligung der EKD weitergearbeitet werden. Der Antrag stieß aber auf so wenig Resonanz, dass er gar nicht erst zur Abstimmung gestellt wurde. Ende November schufen die lutherischen Kirchen durch eine Aufteilung der VELKD Tatsachen. Vom 28. bis zum 30. November fand in Freiberg (Sachsen) die regionale Tagung (Ost) der Generalsynode der VELKD unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der ursprüngliche Tagungstermin im Juni war u. a. deshalb verschoben worden, weil man die Ergebnisse der Arbeit der Strukturkommission abwarten wollte. Zuvor hatte Seigewasser Präses Braecklein deutlich gemacht, dass das Verhältnis zu den westdeutschen Kirchen geklärt werden müsse und die Übernahme westdeutscher Kirchengesetze für Kirchen in der DDR nicht möglich sei175. In der Ostregion der VELKD wurden allerdings bereits seit Februar 1968 Überlegungen über eine eventuell erforderliche Teilung der VELKD angestellt176. Im Juli wurde ein Entwurf zu einem „Kirchengesetz über

172 Zitiert nach: EBD., S. 4. 173 EBD. 174 Information von Behm auf der Sitzung des Rates der EKD (Ost) am 2.12.1968. Vgl. Bericht über die Sitzung (EZA BERLIN, 2/1784). 175 Hans Wilke: Information zur Bildung einer Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in der DDR, 18.12.1968 (BArch BERLIN, DO 4/4883). 176 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, 1969–1990, S. 30.

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die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik“ erarbeitet und Anfang September der VELKD-Kirchenleitung West vorgestellt. Nach langer Aussprache billigte sie den Entwurf als „wohl unvermeidlich“177. Am selben Tag beschloss die regionale VELKD-Kirchenleitung Ost, den Gesetzesentwurf der östlichen Regionaltagung der Generalsynode vorzulegen. Diese verabschiedete am 30. November in Freiberg das Kirchengesetz178. Es sah vor, dass die VELK in der DDR aus den lutherischen Landeskirchen von Sachsen, Thüringen und Mecklenburg bestand, dass die bisherigen Regionalorgane der VELKD die volle Rechtsstellung selbstständiger Organe erhielten und dass die Verfassung, die Kirchengesetze und die Ordnungen der VELKD in „sinngemäßer Anwendung“ geltendes Recht der VELK in der DDR blieben. Die Regionalsynode begründete in einem Beschluss vom gleichen Tag diesen Schritt kirchenpolitisch und theologisch: Mit der institutionellen Selbstständigkeit trage man der staatlich-politischen Situation Rechnung, die eine Rechtseinheit der VELKD wie bisher nicht zulasse. Die Synode gehe diesen Weg, „um in der Lage, in die Gott seine Gemeinde geführt hat, den Dienst zu leisten, der ihr vom Herrn der Kirche aufgetragen ist.“179 Einer Intensivierung der Verbindung mit den anderen evangelischen Kirchen in der DDR stand man positiv gegenüber. Im Hinblick auf das Verhältnis zu den westdeutschen lutherischen Kirchen versicherte die Regionalsynode: „Sie sagt sich von den übrigen Gliedkirchen der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands nicht los. Sie will auch künftig, so gut das möglich ist, die Gemeinschaft des Glaubens und des Dienstes festhalten.“180 Neben Bekenntnis, Sprache und Geschichte blieb auch die Verfassungsurkunde gemeinsam. Die Organe der VELKD hatten allerdings in der DDR keinerlei Kompetenzen mehr. Die rechtliche Voraussetzung für die Verselbstständigung des östlichen Teils der VELKD wurde durch das „Kirchengesetz zur Änderung verfassungsrechtlicher Bestimmungen der VELKD“ geschaffen, das auf der west- und der ostdeutschen Regionaltagung der lutherischen Generalsynode verabschiedet wurde und rückwirkend ab 1. Juli 1968 in Kraft trat181. Es schuf außer einer personellen Verstärkung der Generalsynode und der Kirchenleitung die Grundlage für Verfassungsänderungen auch auf regionaler Basis. Der Akt der völligen rechtlichen Verselbstständigung der VELK in der DDR fand seine Entsprechung darin, dass sich der westliche Teil der VELKD auf der Tagung der westlichen Region der Lutherischen Generalsynode vom 4. bis 8. Mai 1969 durch das Kirchengesetz vom 6. Mai 1969 unter dem alten Namen als besonderer, lutherischer gliedkirchlicher Zusammenschluss neu konstituierte. Begleitende Entschließungen betonten auch hier, dass die organisatorische Trennung mit dem Ziel geschehe, die geistliche Gemeinschaft zu festigen182.

177 Zitat aus der Niederschrift über die Sitzung am 2.9.1968. Zitiert nach: EBD. 178 Abdruck in: KJ 95, 1968, S. 249ff. 179 EBD., S. 251. 180 EBD., S. 250. 181 Vgl. EBD., S. 249. Die westliche regionale Tagung der Lutherischen Generalsynode hatte bereits vom 12.–15.5.1968 in Bückeburg stattgefunden. 182 Vgl. M. HECKEL, Vereinigung, S. 59.

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Mit der Entscheidung von Freiberg wurden die von einigen gehegten Hoffnungen, VELKD und EKU in den Kirchenbund zu integrieren und zu einer vollen Kirchengemeinschaft zu kommen, weiter gedämpft. Der Alleingang der lutherischen Kirchen, insbesondere zu diesem frühen Zeitpunkt, stieß daher zum Teil auf Unmut183. Mit einer Presseverlautbarung über die erste Sitzung der neuen Kirchenleitung der VELK in der DDR am 11. Dezember184 und einer Stellungnahme des Lutherischen Kirchenamts der VELKD in Hannover vom 13. Dezember versuchten die Lutheraner, dieser Kritik zu begegnen. Aus Hannover wurde verlautbart, es handle sich nicht um eine „Blockbildung der Lutheraner“185. Die Freiberger Entscheidung füge sich vielmehr in die Pläne des Kirchenbundes ein, „die von Anfang an nicht auf eine Einheitskirche hinzielten.“ In der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen hielt man die Bildung der VELK in der DDR für das Ergebnis des eigenen „konsequenten Wirken[s] und der klaren kirchenpolitischen Konzeption zur Zurückweisung der westdeutschen Alleinvertretungsanmaßung“. Die Überzeugungsarbeit der Mitarbeiter der Dienststelle habe „zu einer tieferen Erkenntnis der Richtigkeit unserer Position bei einer Reihe leitender Vertreter der Kirche“ geführt, „die es in Zukunft zu vertiefen und auszubauen gilt, um die Loslösung aller evangelischen Kirchen in der DDR von der westdeutschen EKiD zu forcieren und den noch bestehenden westdeutschen Einfluß auf die VELKDDR praktisch auszuschalten.“186 Im Laufe des Dezembers werteten sowohl die östlichen Mitglieder des Rates der EKD, die Bischofskonferenz als auch die KKL die Stellungnahmen der acht Kirchenleitungen zum Entwurf der Bundesordnung aus und beschlossen ihr weiteres Vorgehen. Die Ratsmitglieder in der DDR waren sich darin einig, dass die Bildung eines Bundes von den ostdeutschen Kirchen bejaht wurde und an seiner Ordnung weiter gearbeitet werden sollte. Entgegen ihrer Haltung vom Oktober stimmten sie nun auch der in den meisten Stellungnahmen enthaltenen Tendenz, dass es in der DDR auf Dauer kein Nebeneinander von Organen des Bundes und der EKD geben konnte, grundsätzlich zu187. Strittig aber waren Zeitpunkt und Modalitäten der Übertragung der Funktionen bzw. der Überleitung der Verantwortung von den EKD-Organen auf die Organe des Bundes. Hier spielten vor allem rechtliche Probleme eine Rolle. In der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR und in der KKL herrschte Konsens darüber, dass der Bund gebildet werden sollte. Man beraumte eine gemeinsame Beratung der Strukturkommission und der leitenden Geistlichen an, um über noch anstehende Grundsatzfragen sprechen zu können188. Danach sollte die Strukturkommission einen überarbeiteten Entwurf vorlegen.

183 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 12./13.12.1968 (EZA BERLIN, 104/49). 184 Vgl. KJ 95, 1968, S. 253. 185 Abdruck in: EBD., S. 251f. 186 Hans Wilke: Information zur Bildung einer VELK in der DDR, 18.12.1968 (BArch BERLIN, DO 4/4883). 187 Bericht über die Sitzung des Rates der EKD (Ost) am 2.12.1968 (EZA BERLIN, 2/1784). 188 Niederschrift über die Sitzung der KKL der DDR am 10.12.1968 (EZA BERLIN, 102/13).

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Am 12. und 13. Dezember tagten in Ost- und West-Berlin die Mitglieder des Rates der EKD aus den östlichen und aus den westlichen Gliedkirchen. Die westlichen Ratsmitglieder diskutierten über ihr weiteres Verhalten gegenüber den ostdeutschen Kirchen189. Dietzfelbinger und Hammer schlugen vor, den Gliedkirchen in der DDR konkrete Fragen vorzulegen, durch deren Beantwortung das zukünftige Verhältnis zwischen der ostdeutschen „Neugründung“ und der EKD – ihren Teil-Organen und Amtsstellen in der DDR, ihren Organen und Amtsstellen in der Bundesrepublik sowie ihren westlichen Gliedkirchen – präzise geklärt würde. Bereits in einer schriftlichen Vorlage hatte der Kirchenamtspräsident den westlichen Ratsmitgliedern empfohlen, „harte Rückfragen“ zu stellen und erste Überlegungen zum weiteren Weg „post festum foederationis“ einzuleiten190. Der Rat bezeichnete dies aber als „nicht richtig“191. Einige Ratsmitglieder erachteten es allerdings als schädlich für die EKD, die Dinge einfach treiben zu lassen. Der geplante Bund ließ ihrer Ansicht nach für eine Tätigkeit der EKD-Organe keinen Raum mehr. Das Zustandekommen des neuen Zusammenschlusses bedeute praktisch das Ende der EKD. Diese Konsequenz sollte den östlichen Kirchen deutlich gemacht werden. Es dürfe keine „Vogel-Strauss-Politik“ betrieben und „nicht aus Mitleid ein milder Weg gegangen werden.“ Wolle man den östlichen Kirchen helfen, so müsse man ihnen raten, sich von der EKD zu distanzieren. Andere Ratsmitglieder warnten davor, den Kirchen in der DDR die Auswirkung der Neugründung „in ultimativer Form vorzuhalten.“ Auf diesem Wege könnten die letzten Möglichkeiten des Zusammenbleibens zerstört werden. Sie sahen die EKD noch nicht am Ende und glaubten, dass das Festhalten an vorhandenen Rechtsformen sich noch als hilfreich erweisen könnte. Daher empfahlen sie, das Verhältnis des Bundes zur EKD wenigstens für eine Übergangszeit in der Schwebe zu lassen. Der „Schwebezustand“ könne durch Überleitungsvereinbarungen geregelt werden. Am Ende der Diskussion wies der Rat die Kirchenkanzlei zu prüfen an, ob der Ratsvorsitzende sich mit einem Brief zu Fragen des Verhältnisses des geplanten Bundes zur EKD an die östlichen Ratsmitglieder bzw. die östlichen Gliedkirchen wenden sollte. Weiter sollte die Kirchenkanzlei gemeinsam mit zwei „Besuchern“ Überlegungen zur praktischen Gestaltung der von den ostdeutschen Kirchen gewünschten „Partnerschaft“ anstellen. An der Sitzung der östlichen Ratsmitglieder nahmen mehrere westdeutsche „Berater“ sowie zeitweilig Präses Wilm teil192. Auf der Tagesordnung standen das OstWest-Verhältnis und die laufenden Strukturüberlegungen in den DDR-Kirchen. Die östlichen Ratsmitglieder nannten als momentanen Konsens aller leitenden Geistlichen in der DDR: „a) Alle Kirchen bejahen den Bund. Sie sehen nur die Alternative: Bund oder völliger Partikularismus der Landeskirchen. 189 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 12./13.12.1968 (EZA BERLIN, 2/1773). 190 „Zum Tagesordnungspunkt: Bericht zur Lage“ (EZA BERLIN, 104/49). 191 So die handschriftliche Notiz Hammers auf einem an Behm vertraulich weitergereichten Exemplar seines Papiers (EBD.). 192 Niederschrift über die Sitzung des Rates am 12./13.12.1968 (EBD.).

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b) Keine der Kirchen denkt daran, aus ihren Verfassungen die Erwähnung ihrer Zugehörigkeit zur EKD zu streichen, selbst, wenn entsprechende Forderungen seitens staatlicher Stellen gestellt werden sollten. Die Kirchen bejahen die Gemeinschaft in der EKD. Die Kirchen wollen keine Revolte gegen die EKD. c) Die Kirchen sind der Meinung, daß die Einheit der EKD als Rechtseinheit in der bisherigen Form nicht durchgehalten werden kann. Es sei die Aufgabe, neue Formen einer leiblichen Gemeinschaft der EKD zu suchen. d) Alle Kirchen sind der Ansicht, daß auf die Dauer ein Nebeneinander von Organen der EKD und des Bundes zu einer Aushöhlung des Bundes oder der EKD führen würde. e) Alle Kirchen sind der Ansicht, daß auf keinen Fall ein Vakuum eintreten darf. An einer Überleitung von Zuständigkeiten der EKD auf den Bund kann erst gedacht werden, wenn die Organe des Bundes gebildet, die entsprechenden personellen Fragen ohne Einwirkung außerkirchlicher Stellen gelöst sind, der Bund effektiv geworden ist und eine bessere Wirkungsmöglichkeit verspricht, als es die EKD zur Zeit kann. f) Sollte die Bildung des Bundes durch den Staat gehindert oder durch massive Einwirkungen in eine Richtung getrieben werden, die von den Kirchen nicht verantwortet werden kann, werden die Kirchen auf die bestehende Regionalordnung der EKD zurückgreifen, selbst wenn noch größere Behinderungen auftreten sollten. Die Kirchen sind sich der Gefährlichkeit der Situation voll bewußt. Zwar ist zu unterscheiden zwischen der Propaganda in der DDR-Presse – namentlich der CDU-Presse – und dem, was der Staat wirklich tun wird. Aber massive Versuche einer Einwirkung von außen sind nicht auszuschließen. Die Kirchen sind entschlossen, ihnen gemeinsam zu begegnen.“

Die anwesenden westlichen Vertreter äußerten sich sehr zurückhaltend. Sie respektierten das Bemühen, die Gemeinschaft in der EKD unter neuen Formen zu erhalten und sahen auch die großen Schwierigkeiten, die dabei auftreten konnten. Die Überlegungen, die hinsichtlich einer eventuellen Überleitung von Zuständigkeiten der EKD auf den Bund anzustellen waren, sollten auf einer Ratssitzung weiter beraten werden. Von nun an wollte man zwischen der Arbeit an der Bundesordnung und der Klärung des Verhältnisses von BEK und EKD strikt trennen. Ersteres gehörte in die Verantwortung der leitenden Geistlichen und der Strukturkommission, letzteres in die des gesamten Rates der EKD. An der Durchführung einer zweiten Informationstagung der EKD-Synodalen vom 7. bis 9. März 1969 in Magdeburg hielt man jedoch fest. Hinsichtlich der Frage, ob seitens der westlichen Gliedkirchen analoge Schritte, etwa die Bildung eines „Bundes der Kirchen in der BR“, erfolgen sollten, wurde übereinstimmend zu großer Zurückhaltung geraten. Auf keinen Fall sollte der Entwicklung vorgegriffen werden. „Der Vorgang der Bildung eines Bundes stellt auch ein ‚Erleiden‘, s. Spandau 1968, dar“, hieß es in dem von Behm verfassten Sitzungsprotokoll. Einen neuen Brief des Ratsvorsitzenden hielten die Ratsmitglieder in der DDR zum gegenwärtigen Zeitpunkt für nicht hilfreich. Das Jahr 1969 begann mit einem weiteren Interview Mitzenheims mit der „Neuen Zeit“193. Es war Bestandteil der kirchenpolitischen Propaganda im 20. Jubiläumsjahr 193 KJ 96, 1969, S. 192–195. Vgl. auch Mitzenheims Äußerungen bei einer Begegnung des Staatssekretärs Seigewasser mit dem thüringischen Landeskirchenrat am 9.1.1969. Abdruck in: EBD., S. 196.

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der DDR, die auf eine Identifizierung der Christen mit ihrem sozialistischen Staat zielte. Dazu gehörte auch die Anerkennung der Existenz von zwei deutschen Staaten durch die evangelischen Kirchen in der DDR in Form ihrer Organisationsstrukturen. Ein solcher Schritt wurde zur Voraussetzung für die weitere inhaltliche Gestaltung des Staat-Kirchen-Verhältnisses gemacht194. Auf Anfrage von Hermann Kalb bekräftigte der Bischof in dem Interview noch einmal seine Position, dass die Staatsgrenzen der DDR als „Grenzen eines souveränen Staates“ auch für die Kirchen zu gelten hatten. Neben dem staatsrechtlichen nannte Mitzenheim dieses Mal auch einen „kirchlichseelsorgerlichen“ sowie einen ökumenischen Aspekt seines Grundsatzes. So plädierte er nachhaltig für eine kontextbezogene Verkündigung, die wiederum eine adäquate Organisationsform verlange. Und er betonte erstmals die Bedeutung einer unabhängigen Kirche in der DDR für die Ökumene. Diese könne ihre spezifischen Erfahrungen „einer Kirche im Sozialismus“ in die Ökumenische Bewegung einbringen und damit sowohl das theologische Gespräch als auch das Engagement für militärischen und sozialen Frieden anregen. Als bleibende Gemeinsamkeiten mit dem „Protestantismus in Westdeutschland“ nannte der Bischof die Verbundenheit im Glauben, in der Fürbitte und in der Diakonie, das geschichtliche Erbe sowie „das Gebot zu einer zeitgemäßen Konkretion des Friedensauftrages des Evangeliums“195. Auch in der gemeinsamen Beratung der Strukturkommission und der leitenden Geistlichen am 7. Januar ging es um die zukünftige Definition der kirchlichen OstWest-Gemeinschaft196. Die Teilnehmer tendierten bei Art. 4,4 zur ursprünglichen Fassung. Bei ihrer Weiterarbeit sollte die Strukturkommission aber noch folgende Formulierungsvorschläge prüfen: 1. „Die spezifische Gemeinschaft in der evangelischen Christenheit in Deutschland erhält und fördert der Bund in partnerschaftlicher Freiheit durch gemeinsame Beratung und gegenseitige Hilfeleistung.“ (Vorschlag der Magdeburger Kirchenleitung), 2. „In der Mitverantwortung für die geschichtliche Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland wirkt der Bund an Entscheidungen für alle evangelischen Kirchen in der DDR und in der BRD durch seine Organe mit.“ (Vorschlag von Beste), 3. „Der Bund bekennt sich zu der besonderen Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland. In der Mitverantwortung für diese Gemeinschaft wirkt der Bund an Entscheidungen, die alle evangelischen Kirchen in der DDR und in der BRD gemeinsam berühren, durch seine Organe mit.“

Der letzte Vorschlag stammte von Ringhandt, der damit den Begriff der „besonderen Gemeinschaft“ und das Bekenntnis zu ihr in die Diskussion einbrachte. Geprägt hatte ihn allerdings Konrad von Rabenau im September 1968197. Am selben Tag formulierte Seigewasser vor einer von der CDU organisierten Kon194 Vgl. H. DOHLE, Grundzüge, S. 54f. 195 KJ 96, 1969, S. 195. 196 Vermerk „Betrifft: Entwurf einer Ordnung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR“ (EZA BERLIN, 104/49). 197 Vgl. C. DIETRICH, Gründung, S. 30.

Die Formationsphase des Bundes

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ferenz theologischer Hochschullehrer die Kernfrage der kirchlichen Strukturdiskussion aus staatlicher Sicht: „In der Strukturdebatte geht es um die Grundfrage, entweder Kirche im sozialistischen Staat zu sein oder sich des politischen Mißbrauchs des Glaubens, des Verstoßes gegen die politische Vernunft und die Verfassung der DDR schuldig zu machen, wenn an der Einheit der EKD festgehalten werden soll.“198

Mit diesen deutlichen Worten versuchte der Staatssekretär auf propagandistischem Wege den innerkirchlichen Prozess zu beeinflussen, der Anfang des Jahres an Tempo zunahm. Entsprechend erhöhte sich auch die zeitliche Abfolge der Propagandaveranstaltungen. So erklärte Seigewasser auf der traditionell zu Jahresbeginn stattfindenden Begegnung mit Mitzenheim und der Thüringer Kirchenleitung in Eisenach am Modellfall Thüringen, unter welchen Voraussetzungen die evangelischen Kirchen ihre Beziehungen zum Staat verbessern könnten: Erstens durch eine „umfassende Bejahung“ der sozialistischen Verfassung und zweitens durch die Zurückweisung „jegliche[r] kirchliche[r] Bevormundungsversuche aus dem westdeutschen Staat“199. Im Jubiläumsjahr der DDR wurde von den evangelischen Kirchen eine politisch-gesellschaftliche Standortbestimmung gefordert. Mitte Januar befasste sich in Berlin ein Kreis von „für gesamtkirchliche Aufgaben“ verantwortlichen Mitarbeitern mit der Frage des künftigen Verhältnisses der Organe der EKD zum BEK200. Grundlage war ein von der Kirchenkanzlei in Berlin erstellter Fragenkatalog zu den „Überleitungsproblemen“201. Diese betrafen die Zukunft des Rates und der Synode, die Erhaltung der gesamtkirchlichen Arbeit auf theologischem und kirchlichem Gebiet sowie der gesamtkirchlichen Arbeit außerhalb der unmittelbaren Verantwortung des Rates und der Kirchenkanzlei, das Verhältnis von Bund und „EKD-West“, die Zusammenarbeit der einzelnen Dienststellen sowie Finanzfragen. Neben den Einzelfragen ging es vor allem auch um die grundsätzliche Frage des Zeitpunkts und des Modus der Überleitung. Die Beteiligten tendierten dazu, die „EKDOst“ und den BEK noch eine Zeit lang nebeneinander bestehen zu lassen. Der Bund sollte sukzessive die Aufgaben der EKD übernehmen. Die Organe der EKD in der DDR würden entsprechend ihrer Legislaturperiode auslaufen. In der Frage, in welcher Weise die „Partnerschaft“ zwischen den Gliedkirchen der EKD in der DDR und in der Bundesrepublik zukünftig geordnet werden sollte, gingen die Meinungen auseinander. Die einen wollten keine schriftliche Fixierung des Modus der Zusammenarbeit nach Art. 4,4 der Kirchenbundesordnung, sondern hielten interne Absprachen für ausreichend. Die Kontakte sollten je nach Bedarf, aber auch in einem bestimmten zeitlichen Turnus hergestellt werden. Ein Mitglied im Sekretariat des Bundes hätte die Verantwortung für die Aufrechterhaltung und Gestaltung dieser Kontakte zu über198 199 200 201

Zitiert nach: H. DOHLE, Grundzüge, S. 61. Zitiert nach: KJ 96, 1969, S. 195. Niederschrift von Lewek vom 20.1.1969 (EZA BERLIN, 104/49). EZA BERLIN, 650/95/37.

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nehmen. Die anderen vertraten die Auffassung, dass die „spezifische Gemeinschaft“ der Gliedkirchen der EKD auch einen offiziellen rechtlichen Ausdruck finden musste. Eine nicht wenigstens minimal institutionell geordnete Partnerschaft sahen sie in der Gefahr, auf die Dauer einzuschlafen. Der Vorstand des Bundes und der Rat der „EKDWest“ sollten in Durchführung von Art. 4,4 eine vertragliche Vereinbarung treffen. Auch die Berufung eines ständigen „Verbindungsausschusses“ wurde erwogen. Ausdrücklich betonte man, dass die Aktivitäten der EKD in der DDR im Blick auf die Erhaltung und Festigung der Gemeinschaft mit den evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik erhalten bleiben müssten. An der bisherigen Praxis gegenüber der Ökumene sollte nicht gerührt werden. Eine Doppelmitgliedschaft des Bundes insgesamt und der einzelnen Gliedkirchen beim ÖRK wollte man zu diesem Zeitpunkt nicht anstreben. Bei der Zusammensetzung von Delegationen sollte eine Abstimmung zwischen dem Rat der „EKD-West“ und dem Vorstand der KKL erfolgen. Das Ergebnis der Sitzung wurde dem Rat für seine Zusammenkunft am 30. Januar übergeben.

Übergangzur„besonderenGemeinschaft“ Beziehungen„vonbesondeArt“(1967–1969/70) rer

5.2 Der Übergang von der rechtlich-organisatorischen Einheit zur „besonderen Gemeinschaft“ Im Januar 1969 trug Albrecht Schönherr in Absprache mit der Strukturkommission und den leitenden Geistlichen der östlichen Landeskirchen die konkreten Pläne zur Bildung des BEK erstmals in die Öffentlichkeit. Bis zu diesem Zeitpunkt war von kirchenamtlicher Seite lediglich die Bildung der Strukturkommission im Juni 1968 bekannt gegeben worden. Auf den Herbsttagungen der Landessynoden hatten die Kirchenleitungen nur in allgemeinen Äußerungen über das Vorhaben und den Stand der Beratungen berichtet1. In der EKD-Frage waren die Auskünfte noch vager gewesen. Der Text des damals bereits fertig gestellten Entwurfs der Bundesordnung war in den meisten Landessynoden den Synodalen nicht zur Kenntnis gegeben worden. Noch geringer war der Wissensstand unter Pfarrern und Gemeinden, da die kirchliche Presse in der DDR in ihrer Synoden-Berichterstattung das EKD-Thema nicht oder nur in Andeutungen erwähnen konnte. So erfuhr das Kirchenvolk in der DDR erst Mitte Januar durch Schönherr Einzelheiten über den Plan zur Bildung des BEK. Schönherr erklärte Jahre später, man habe die Öffentlichkeit deshalb so spät informiert, um dem Staat möglichst wenig Gelegenheit zu geben, sich einzumischen2. Im Gegensatz zur Bevölkerung aber war der Staat sehr früh über das MfS sowie über direkte Gespräche mit Kirchenvertretern über die Planungen zum Kirchenbund unterrichtet und hatte somit jede Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Gleich zu Beginn seines Interviews im „ENA“ vom 15. Januar bemühte sich Schönherr darum, gewisse Befürchtungen in den ostdeutschen Kirchen auszuräumen3. So versicherte er, dass mit dem Bund weder eine zentralistische „Superkirche“ noch eine „neue Union“ gegründet würde. Eine kirchliche Neugliederung sowie die Überwindung konfessioneller Unterschiede seien jedoch langfristige Ziele des Bundes. Das Profil der Bundesordnung sah er bestimmt durch das Programm: „Zusammenwachsen durch Zusammenarbeit“, wobei die Kommissionen eine wichtige Rolle spielen sollten. Auf die Frage nach den Gründen für die Kirchenbundbildung antwortete Schönherr mit der bereits von Figur auf der Informationstagung in Halle eingeführten Unterscheidung zwischen „Ursache“ („dem Willen der Kirche, ihre Gemeinschaft, die sich schon lange in wichtigen Fragen bewährt hat, besser als bisher auszudrücken“) und „Anlaß“ („das neue Verfassungsrecht der DDR“)4. In der Frage der organisatorischen Einheit der evangelischen Kirchen in Deutschland schloss er sich „unter den gegebenen Bedingungen, daß nämlich zwischen der DDR und der BRD nicht eine beliebige Staatsgrenze, sondern die Grenze 1 Vgl. epd-Vertraulich 6/1969, S. 3 (PARH). 2 A. SCHÖNHERR, Zeit, S. 254. 3 Abdruck des Interviews in: KJ 95, 1968, S. 237–243. Ein erster Abdruck in der Bundesrepublik erfolgte am 17.1.1969 im epd-Vertraulich (PARH). 4 KJ 95, 1968, S. 241.

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zweier antagonistischer Gesellschaftsordnungen verläuft“, explizit der Aussage von Mitzenheim an, dass Staatsgrenzen auch die Grenzen der kirchlichen Organisationsmöglichkeiten darstellten5. Schönherr verstand diese Aussage als die Beschreibung eines faktisch gegebenen Zustandes; bereits jetzt seien die Organe der EKD gemeinsam nicht mehr funktionsfähig. Auch theologisch bestritt er der EKD ihre weitere Daseinsberechtigung in der DDR: „Kirchliche Organe sollen dem Zeugnis der Kirche dienen. Wenn sie das nicht mehr können, müssen sie verändert werden. Das Zeugnis hat den Vorrang vor der Organisation. Und wir werden alle Hände voll zu tun haben, das Zeugnis zu finden, mit dem wir den Menschen in unserer sozialistischen Umwelt das Evangelium auszurichten haben.“6

Schönherr war der Auffassung, dass nach der Wahl der Bundessynode und der Bildung seiner Leitungsorgane die bisherigen EKD-Organe ihre Verantwortung für die ostdeutschen Kirchen nicht mehr wahrnehmen konnten. Der Sprecher der Strukturkommission nannte damit unmissverständlich die Substitution der EKD im DDR-Bereich als Konsequenz der Kirchenbundesgründung. Gleichzeitig versicherte er, dass es nicht um die „Aufkündigung kirchlicher Gemeinschaft“ gehe7. Schönherr unterschied zwischen der primären Verbundenheit aller christlichen Kirchen, und einer sekundären geschichtlichen Verbundenheit einzelner Kirchen; ersteres begründe die ökumenische Bewegung, letzteres in Deutschland den Willen zur „spezifischen Gemeinschaft“. Die ost- und westdeutschen Kirchen verbinde eine gemeinsame Geschichte. Zu deren gemeinschaftsstiftenden bekenntnishaften Äußerungen zählte er die Barmer Theologische Erklärung, das Stuttgarter Schuldbekenntnis, das Darmstädter Wort und das Friedenswort der Synode 1950 in Weißensee. Diese Auswahl zeigte deutlich, auf welche Bestandteile gemeinsamer Geschichte man künftig von ostdeutscher Seite her zurückgreifen wollte. Als konkrete Zeichen der geschichtlichen Verbundenheit in der kirchlichen Praxis nannte Schönherr das gemeinsame evangelische Kirchengesangbuch und die revidierte Bibelübersetzung. Als Probleme, die noch gemeinsam gelöst werden sollten, erwähnte er im Unterschied zu den aufgezählten Fixpunkten vergangener Gemeinschaft ausschließlich innerkirchliche Fragen: die Tauf- und Abendmahlsfrage, die Fragen der Autorität der Bibel, die Frage des geistlichen Amtes. Das Interview wurde von einigen Kirchenblättern in der DDR im Wortlaut abgedruckt und in anderen ausführlich referiert. In der Bundesrepublik sorgten Schönherrs Äußerungen für eine erste Welle publizistischer Beachtung der Vorgänge in den DDR-Kirchen. In fast allen größeren Presseorganen erschienen Berichte und Kommentare, in denen zumeist Verständnis für die Entscheidung der ostdeutschen Kirchen gezeigt wurde8. Von Seiten des Rates erklärte Dietzfelbinger am 20. Januar, die Kirchen in der DDR hätten schon bisher innerhalb der Ordnung der EKD ihre kirchlichen 5 6 7 8

EBD., S. 242. EBD. EBD. Vgl. epd ZA, 24.1.1969, S. 6f.

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Entscheidungen frei gefällt. So müsse man auch jetzt den von ihnen eingeschlagenen Weg „respektieren“, könne aber Schönherrs Ankündigung, dass mit der Konstituierung der Organe des Bundes die Organe der EKD in der DDR nicht mehr arbeiten sollten, „nur mit Schmerzen“ hören9. Erwin Wilkens kommentierte das Interview im Rias dahingehend, dass nunmehr kein Zweifel mehr daran aufkommen könne, dass der neue Kirchenbund in der DDR sich als „Neugründung“ verstand und „jede Art kirchenorganisatorischer und verfassungsrechtlicher Gemeinschaft mit den westdeutschen Kirchen“ ausschloss10. Seigewasser hielt hingegen Schönherrs Aussagen in diesem Punkt gerade nicht für ausreichend deutlich. Denn sein erklärtes kirchenpolitisches Ziel für 1969 lautete: Verselbstständigung der evangelischen Kirchen in der DDR. Unter dieser Prämisse kam für ihn nun auch die Gründung eines Kirchenbundes in Frage, sofern er föderal strukturiert war. In einem Gespräch mit Schönherr und Stolpe am 21. Januar machte er deutlich, dass eine Verständigung mit dem Staat über Einzelfragen der geplanten Strukturveränderung nur erfolgen könne, wenn eine „endgültige, konsequente Loslösung der Kirchen der DDR von der EKD nachgewiesen“ würde11. Dazu müssten die Mandate der Ratsmitglieder der EKD in der DDR niedergelegt sowie die EKD-Synode Ost und die Kirchenkanzlei der EKD in Berlin aufgelöst werden. Als Vertreter zukünftiger kirchlicher Organe würde der Staat nur solche akzeptieren, „die sich eindeutig im Sinne der sozialistischen Verfassung betätigen, und sich nicht so illoyal verhielten, wie z. B. Fränkel.“12 Zudem musste das „Problem“ der berlin-brandenburgischen Kirche in gleicher Weise wie die EKD-Frage gelöst werden. Um den staatlichen Forderungen Nachdruck zu verleihen, verwies Seigewasser darauf, dass der Staat ja noch immer die Landeskirchen als Verhandlungspartner habe. Schönherr versuchte, laut staatlichem Protokoll, sich bei der Beantwortung der einzelnen Fragen nicht festzulegen. In der „Neuen Zeit“ wurde Schönherrs Interview entsprechend der kirchenpolitischen Linie der Ost-CDU ausgewertet. Sie titelte am 25. Januar: „Absage an ‚EKD-Organe‘. D. Schönherr stimmt Grundsatz D. Mitzenheims zu“. Bei der Mehrheit der Pfarrer, Theologen, Gemeindekirchenräte und Synodalen schien die Ost-CDU mit ihrer Propaganda „in Auswertung der Aussagen des 12. Parteitages der CDU und in Vorbereitung des 20. Jahrestages der DDR“ jedoch noch nicht so weit gekommen zu sein. In einem Überblick der Abteilung Kirchenfragen über die kirchenpolitische Arbeit der CDU-Vorstände wurde resümiert, dass der innerkirchliche Differenzierungsprozess zur EKD-Frage zwar vorangetrieben wurde, aber noch eine „kontinuierliche und beharrliche politische Überzeugungsarbeit zu leisten“ sei13. Für das Festhalten an der EKD brachten die Pfarrer laut Ost-CDU unterschiedliche Argumente vor: die „Klam-

9 KJ 95, 1968, S. 243. 10 Abdruck in: EBD., S. 244. 11 Abdruck des Aktenvermerks von Fitzner in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 71–74. Vgl. auch Vermerk von Stolpe vom 24.1.1969 über das Gespräch (EZA BERLIN, 102/67). 12 EBD., S. 73. 13 Bericht vom 27.1.1969 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII-013–2161).

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mer- oder Brückenfunktion“ zwischen den beiden deutschen Staaten, der gemeinsame Glaube, die historischen Bindungen, das Stigma der Kirchenspaltung, die materielle Unterstützung durch die westlichen Kirchen. Über die Kirchenbundgründung wurde laut Aussage der Bezirkssekretariate der Ost-CDU in kirchlichen Kreisen relativ wenig diskutiert. Zahlreiche Pfarrer träten zwar für eine organisatorische Trennung, „aber ohne inhaltliche politische Konsequenzen“ ein. Ziel der kirchenpolitischen Arbeit der Ost-CDU war es aber, „eine klare Absage an die ‚EKD‘ zu erreichen.“ Der Bericht schloss mit der Prognose: „Die weitere Entwicklung des staatsbürgerlichen Denkens bei kirchlichen Amtsträgern wird wesentlich davon abhängen, wie diese Aufgabe gelöst wird“14. Ende Januar diskutierte der Rat der EKD die Lage des „Ost-West-Verhältnisses“ nach den Vorgängen der vorausgegangenen Wochen. Dietzfelbinger und Wilm rechneten damit, dass der BEK in der DDR gebildet wurde und seine Organe ab September funktionsfähig waren. Der Rat beschloss, selbst nicht aktiv zu werden und behielt damit den eingeschlagenen Kurs des laissez faire laissez aller bei. Auch die westlichen Gliedkirchen sollten nichts unternehmen, sondern den ostdeutschen Gliedkirchen die zu unternehmenden rechtlichen Schritte überlassen. Hinsichtlich der „spezifischen Gemeinschaft“ zwischen östlichen und westlichen Gliedkirchen sah der Rat allerdings weiteren Klärungsbedarf. Es sollte überlegt werden, „wie – unter Wahrung der Bezeichnung EKD – den Realitäten Rechnung getragen und die spezifische Gemeinschaft praktikabel gemacht werden kann.“15 Öffentlich nahm der Ratsvorsitzende in einem Interview mit dem „epd“ am 30. Januar zu der neuen Lage Stellung. Wiederum plädierte er dafür, in der noch verbleibenden Gemeinschaft „einen langen Atem zu bewahren.“ Auf die Frage, ob es auch im westlichen Teil der EKD zu Strukturveränderungen und zur Gründung eines „Bundes der Evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik“ kommen würde, erklärte Dietzfelbinger, man wolle „nichts vorwegnehmen.“16 Das Schönherr-Interview hatte aber nicht nur in westdeutschen Kirchenkreisen für Aufregung gesorgt. Auch in der DDR gab es Widerspruch. Lothar Kreyssig kündigte an, er werde den Fakten, die durch Schönherr geschaffen seien, Fakten entgegensetzen17. Am 5. Februar kritisierte Hildebrandt in einem elfseitigen Brief an Schönherr die Bundesordnung, deren Entstehung und das „ENA“- Interview18. Er warf dem Vorsitzenden der Strukturkommission vor, die Vorbereitung des Kirchenbundes ohne jede Information und Diskussion im Stil überholter Kabinettspolitik betrieben zu haben. Überdies seien die vorhandenen und verantwortlichen Organe der EKD ungenügend beteiligt worden. Vor allem kritisierte Hildebrandt den Widerspruch zwischen

14 EBD. 15 Auszug aus der Niederschrift über die Ratssitzung am 29.–31.1.1969 (EZA BERLIN, 104/50). 16 epd ZA, 30.1.1969, S. 1f. und epd-Dok. 7/1969. 17 So zitiert ihn Schönherr im Brief an Hildebrandt, 14.2.1969 (BStU BERLIN, MfS AIM 2834/88, Teil II, Bd. 3). 18 Vgl. epd-Vertraulich 6/1969, S. 3f. (PARH).

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der Fürstenwalder Erklärung, die im Wesentlichen von Schönherr selbst formuliert worden war, und dem aktuellen Interview, in welchem die antagonistischen Gesellschaftsordnungen beiderseits der Grenze zur Ursache für das Ziehen von Kirchengrenzen gemacht wurden. Weiterhin warf er Schönherr eine „Spiritualisierung der Gemeinschaft der EKD“ vor, da dieser sie auf rein binnenkirchliche Fragen beschränken wollte. Zuletzt stellte der Kirchenkanzleipräsident im Blick auf die Barmer Theologische Erklärung vorwurfsvoll die Frage nach der theologischen Relevanz kirchlicher Organe in Zeiten der Anfechtung. Für Hildebrandt, einem Akteur des „Kirchenkampfes“ in der NS-Zeit, war die DDR der zweite totalitäre Staat in seinem Leben, gegenüber dessen Ansprüchen die Kirche sich zu widersetzen hatte. Er behielt seine Kritik an Schönherrs Kurs nicht für sich, sondern machte seinen Brief einem Kreis von Freunden und leitenden Kirchenvertretern zugänglich. Einen Tag später schuf die Strukturkommission aber bereits weitere Fakten. Sie verabschiedete eine neue Fassung des Entwurfs einer Ordnung des BEK in der DDR19. Die wichtigste Änderung betraf Art. 4,4. Er lautete nun: „Der Bund bekennt sich zu der besonderen Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland. In der Mitverantwortung für diese Gemeinschaft nimmt der Bund Aufgaben, die alle evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam betreffen, in partnerschaftlicher Freiheit durch seine Organe wahr.“20

In seiner endgültigen Fassung enthielt er die Aussage, dass die Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland schon vor ihrer Institutionalisierung in der EKD bestanden hatte, wie dies im Art. 1,2 der Grundordnung der EKD zum Ausdruck kam, und dass sie auch nach der Bundesgründung weiter bestand21. Der starke Ausdruck des „Bekennen“ machte deutlich, dass man von dieser Gemeinschaft nicht abrücken würde. Sie sollte zukünftig aber nicht mehr in der EKD „sichtbar“ werden, sondern als „besondere Gemeinschaft“ in der verbindlichen, aber freien Kooperation selbstständiger Partner. Dies setzte voraus, dass die Zuständigkeit der Organe der EKD auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkt wurde und dass die Organe des Kirchenbundes die bisherigen EKD-Zuständigkeiten in der DDR wahrnahmen. Die Bundesorgane sollten dann auch von ostdeutscher Seite her für die Wahrnehmung der grenzübergreifenden gemeinsamen „Aufgaben“ – nicht mehr „Entscheidungen“, wie in der ursprünglichen Fassung – zuständig sein. Diese Aufgaben wurden inhaltlich nicht begrenzt. Seigewasser und die Ost-CDU setzten am 10. Februar ihre kirchenpolitische Agitation fort. Inhalt und Schärfe ihrer Aussagen ließen darauf schließen, dass sie die neue Fassung des Art. 4,4 bereits kannten und befürchteten, dass mit ihr der Bund quasi durch die Hintertür erneut in die EKD integriert werden sollte. Noch aber konn19 Vgl. epd-Vertraulich 6/1969 (PARH). 20 Abdruck der Ordnung in: KJ 96, 1969, S. 256–261, hier S. 257. 21 Vgl. BUND, S. 22f.

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ten sie auf die anstehende Entscheidung der Bischöfe und Landessynodalen Einfluss nehmen, was sie auch versuchten. In seinem Referat auf der Tagung des Präsidiums des Hauptvorstandes der Ost-CDU „mit christlichen Persönlichkeiten“ in Halle beschrieb der Staatssekretär die organisatorisch-juristische Verselbstständigung der Landeskirchen in der DDR als zwingende Konsequenz aus der politischen und kirchengeschichtlichen Entwicklung seit Gründung der DDR22. Er warnte vor „strukturpolitische[n] Manipulationen“ und „Lavieren“. Es sei „aussichtslos, es beiden Seiten recht machen zu wollen, den Imperialisten in Bonn und den Sozialisten in der DDR.“23 Inzwischen sei, so behauptete er, auch die Mehrheit der kirchlichen Amtsträger „vom Ende der politischen Konzeption der EKD ebenso überzeugt [. . .] wie vom Ende der gesamtdeutschen Konzeption des Bonner Regimes selbst.“24 Dass es mit der juristischen Trennung von den Kirchen in der Bundesrepublik nicht getan war, sondern auch eine „politische“ verlangt wurde, machte auch Götting deutlich. Er billigte zwar in seinem Vortrag auf derselben Veranstaltung den Kirchen zu, dass mit der bevorstehenden Bundesgründung dem Text der neuen DDR-Verfassung „von der strukturellen Seite her“ genüge getan wurde. Gleichzeitig erklärte er aber, dass die „definitive Trennung“ von den westdeutschen Kirchen auch die „völlige Überwindung der politischen und geistigen Einflüsse bedingt, mit deren Hilfe westdeutsche Kirchenleitungen noch immer manche kirchliche Kreise in der DDR unter ihrer Vormundschaft zu halten suchen.“25 Die Kirchen in der DDR müssten auch „gesellschaftliche Konsequenzen aus der Verfassungswirklichkeit unserer sozialistischen Republik“ ziehen. Sowohl Seigewasser als auch Götting sprachen sich in ihren Referaten in Halle nicht mehr gegen einen Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR aus. Der Weg zur Gründung des Bundes war damit politisch freigegeben worden. Der Staat hatte die Bundesgründung zeitweise nicht gewollt, nun aber, da sie nur noch gewaltsam hätte aufgehalten werden können, gedachte er so viele Vorteile aus ihr zu ziehen wie möglich. So wurde deutlich gemacht, dass der Bund vom Staat nur um den Preis einer rechtlichen und einer politischen Trennung von der EKD anerkannt werden würde. Der Kirchenbund hatte sich in den politisch-ideologischen Antagonismus der beiden deutschen Staaten einzuordnen, d. h. er sollte jeder Gemeinschaft mit den westlichen Landeskirchen eine förmliche Absage erteilen und sich mit den gesellschaftlichen und politischen Grundlagen der DDR identifizieren. Seit Schönherrs Interview wurde unter ostdeutschen Pfarrern und Gemeindegliedern Unmut wegen des geplanten Kirchenbundes und der Beendigung der aktiven EKD-Mitgliedschaft der östlichen Landeskirchen laut26. Ein Motiv hierfür war der

22 Abdruck in: GRÜNDUNG, S. 135–143. 23 EBD., S. 142. 24 EBD., S. 143. 25 EBD., S. 145. Ähnlich auch Propst Dietrich Scheidung vom Bund evangelischer Pfarrer in der DDR in einem Referat in der AG „Christliche Kreise“ beim Nationalrat der Nationalen Front in Berlin Ende Februar 1969. Auszüge aus dem Referat in: BUND, S. 145f. 26 Vgl. epd-Vertraulich 6/1969 (PARH), S. 3.

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Protest gegen die verspätete und unzureichende Information. Zum anderen fragte man sich, wie der Kirchenbund und das organisatorische Ende der EKD in der DDR mit der Fürstenwalder Erklärung in Einklang gebracht werden konnte. Diese Frage rührte an die kirchliche Glaubwürdigkeit. Auch gab es das Misstrauen, dass die Bischöfe die Kirchen auf Staatskurs bringen könnten. Dem Kritiker im kirchenleitenden Amt, Hildebrandt, antwortete Schönherr am 14. Februar, er stehe nach wie vor zu den Aussagen von Fürstenwalde. Er habe aber dazu sowie auch zu den Inhalten einer zukünftigen Gemeinschaft nicht mehr sagen können, da sonst das Interview der Zensur zum Opfer gefallen wäre. Schönherr verwies aber nicht nur auf sein taktisches Vorgehen, sondern markierte auch einen Unterschied zwischen der Situation vom April 1967 und der aktuellen kirchlichen Lage: „Damals wurde uns zugemutet, die Gemeinschaft mit den Brüdern in der B[undes]R[epublik] aufzuheben, weil sie uns ‚freie DDR-Kirchen‘ diskriminieren würden. Wir haben, ebenso wie es in meinem I.[nterview] geschah, die Gemeinschaft festgehalten und bekräftigt. Heute geht es darum, die Gemeinschaft auf eine [sic!] unter heutigen, inzwischen veränderten Verhältnissen zu praktizieren. Damals haben wir Verleumdungen, moralische Anwürfe, Agitation und Propaganda zurückgewiesen, die uns veranlassen sollten, uns von den Brüdern im Westen loszusagen. Wir haben das nicht getan. Wir haben damals im Hintergrund noch eine EKD-Ordnung gehabt, die dieser Einheit ‚dienen‘ konnte. Heute ist die EKD-Ordnung durch Inkrafttreten der neuen Verfassung derart infrage gestellt, daß sie der Einheit kaum noch dienen, sie vielmehr höchst zu gefährden in der Lage ist. Wir müssen der Einheit mit einer anderen Ordnung dienen. Das ist die eine Alternative, vor der wir stehen. Die andere hat Br[uder]. K.[rummacher] genannt: Entweder schließen unsere Landeskirchen den Bund, oder sie werden rettungslos auseinanderdividiert.“27

Hildebrandt warf er vor, keinen Ausweg aufzuzeigen, mit seiner Kritik aber die Zustimmung der Synoden zur Gründung des Bundes gefährdet zu haben. Da auch Hildebrandt seinen Brief einer begrenzten Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte, bat Schönherr den Präsidenten seine Antwort ebenfalls diesem Personenkreis zukommen zu lassen. Hildebrandt tat dies mit einem Anschreiben vom 24. Februar, in dem er noch einmal appellierte, auch wenn die Praktizierung der „sichtbaren“ Gemeinschaft der EKD außerordentlich schwer wäre und noch schwerer werden könnte, sie doch zu erhalten. Er war sich sicher, dass es dafür immer wieder Möglichkeiten geben würde. Hildebrandt schloss mit der Aufforderung: „wir wollten lieber alles erleiden, als uns in dieser Frage zu eigenen negativen Entschlüssen drängen zu lassen“28. Damit hatte er die verbleibende Alternative genannt. Die Bundesgründung war jedoch nicht mehr aufzuhalten. Am 27. Februar stimmte die Bischofskonferenz der überarbeiteten Fassung des Ordnungsentwurfs mit kleinen Änderungen zu29. In der Bundesrepublik vermittelten derweil die alten Vorkämpfer kirchlicher OstWest-Einheit Beckmann und Scharf der Öffentlichkeit ihre Lesart der bevorstehenden 27 Kopie des Briefes im BStU BERLIN, Bln AIM 2834/88 Teil II Bd. 3. 28 EBD. 29 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, S. 702.

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Bundesgründung sowie der bisherigen und zukünftigen Gemeinschaft der Kirchen in Deutschland. Beckmann forderte in einem „epd“-Interview vom 24. Februar, dass die EKD auch nach der unter staatlichem und politischem Druck erfolgten de-facto-Aufhebung der Rechtsgemeinschaft zwischen den Landeskirchen in der Bundesrepublik und in der DDR nicht den Anspruch aufgeben dürfe, Evangelische Kirche für ganz Deutschland zu sein30. Die Kirche habe keine Veranlassung, sich dem Diktat Ost-Berlins zu fügen. An den Verhältnissen würde sich ohnehin nichts ändern, auch wenn die EKD ihren Namen preisgäbe. So wie es eine „Bundesrepublik Deutschland“ gebe, könnte es in Zukunft auch eine „Evangelische Kirche in Deutschland“ geben, ohne dass damit die Frage nach der Grenze aufgeworfen werden müsste. Scharf deutete in seinem epd-Interview vom 4. März die Bezeichnung Evangelische Kirche in Deutschland als eine rein geografische Bezeichnung des Gesamtgebiets, für das der gemeinsame kirchliche Auftrag gelten sollte; der Name impliziere weder ein Festhalten an „nationalen Werten der Vergangenheit“ noch einen „Vorgriff auf eine nationalstaatliche Wiedervereinigung“31. Bei der Gründung des BEK handelte es sich laut Scharf um eine „neue Form der Organisation, den bestehenbleibenden Auftrag in der gegenwärtigen Situation wirksamer wahrzunehmen.“ Auf die Frage, ob er der Bildung des geplanten BEK in der DDR zustimme, antwortete Scharf: „Ich halte einen solchen Zusammenschluß für nötig, und zwar nicht nur aus Gründen, die mit der neuen DDR-Verfassung in Zusammenhang stehen, sondern ich begrüße ihn auch deshalb, weil die Kirche in dieser Form ihre Aufgabe an den Menschen in der DDR besser wird erfüllen können.“ Damit motivierte er seine Haltung zur Bundesgründung sowohl kirchenpolitisch, als auch theologisch. Für die verbleibende EKD erklärte ihr stellvertretender Ratsvorsitzender, dass man nicht beabsichtige, „vom Westen oder von der Bundesrepublik her für ganz Deutschland kirchliche Rechte [zu] beanspruchen.“ Man wolle aber verschiedene Aufgaben und Leistungen, zu denen die „ganze evangelische Christenheit in Deutschland“ verpflichtet sei, soweit als irgend möglich weiter miteinander erfüllen. Damit hatte er eine wenn auch sehr vage Interpretation des Art. 4,4 der Bundesordnung aus westlicher Sicht gegeben. Die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR diskutierte am 5. März noch einmal äußerst kontrovers über Art. 4,432. Gerhard Lotz beantragte, ihn zu streichen. Er erinnerte daran, dass die Formel von der „spezifischen Gemeinschaft“ von ihm stammte. Seiner Auffassung nach handelte es sich dabei um einen „meta-juristischen Begriff“, der einen „vorgegebenen geistig-geistlichen Sachverhalt“ bezeichnete, der nicht durch ein Kirchengesetz oder eine Bundesordnung beschrieben oder begründet werden konnte33. Seinem juristischen Gehalt nach sah er Art. 4,4 für „über-

30 epd ZA, 24.2.1969, S. 1. 31 epd ZA, 4.3.1969, S. 8f. 32 Vgl. Niederschrift (EZA BERLIN, 102/13) sowie eine weitere Niederschrift, auf die U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 85f. ohne Quellennachweis zurückgreift und die in Auszügen abgedruckt ist in: G. BESIER, Pfarrer, S. 22f. 33 Hier und im Folgenden zitiert nach: G. BESIER, Pfarrer, S. 22.

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flüssig“ an. Vor allem aber hielt Lotz den Absatz für „politisch und innerkirchlich schädlich“, da er zum einen die bestärke, die den Bund als „Krypto-EKD“ diffamierten und zu zerschlagen beabsichtigten, zum anderen diejenigen, die nur eine „in der Durststrecke modifizierte EKD“ wollten34. Mit seiner Forderung nach Streichung des Artikels wollte Lotz nach eigenen Angaben vermeiden, dass in die Bundesordnung etwas hineinkam, was „bundesfeindlich“ interpretiert werden konnte. Als Alternative zur völligen Streichung schlug er schließlich noch vor, folgende Passage in die Überleitungsbestimmungen am Schluss der Ordnung aufzunehmen, d. h. nicht in die Aufzählung der Aufgaben des Bundes: „Durch das Inkrafttreten dieser Ordnung erlöschen Aufgaben und Zuständigkeiten der Organe und Amtsstellen der EKD für den Bereich der Gliedkirchen in der DDR. Unbeschadet der vollen kirchenrechtlichen Selbständigkeit in Organisation, Rechtsetzung und Verwaltung bejahen der Bund und seine Gliedkirchen die vorgegebene besondere Gemeinschaft mit allen evangelischen Kirchen in beiden deutschen Staaten und wissen sich unbeschadet der juristisch-organisatorischen Trennung ihnen insbesonders in der theologischen Arbeit, in Forschung und Lehre, in Verkündigung und Gebet verbunden.“35

Wie nicht anders zu erwarten, unterstützte Mitzenheim den Vorschlag von Lotz. Bischof Fränkel billigte, ohne inhaltlich Stellung zu nehmen, Lotz die ernsthafte Sorge zu, dass in Art. 4,4 die Stelle lag, von der aus der Staat den ganzen Bundesplan anfechten konnte. Die übrigen Konferenzteilnehmer äußerten sich inhaltlich ablehnend. Ringhandt begründete das Festhalten an Art. 4,4 damit, dass sich die evangelischen Kirchen in der DDR ebenfalls als „eine geschichtlich gewordene Kirche und als Teil der evangelischen Christenheit in Deutschland“ verstehen wollten und verstanden36. Die deutlichsten Worte gegen Lotz’ Vorstoß fand Krusche: „Nach dem Vorschlag von Lotz zu verfahren wäre ein Verrat an allem, was wir auszurichten haben. Mit dieser Lossage von den westdeutschen Kirchen täten wir dasselbe wie die Deutschen Christen, die sich von den Juden-Christen lossagten. Schon jetzt hört man in den Landeskirchen den Vorwurf, daß wir mit dem Kirchenbundplan einer DC-Ideologie Gestalt gäben. Mit dem Artikel 4,4 steht und fällt die ganze Ordnung.“37

Nicht zu Unrecht ging man in den Kirchenleitungen davon aus, dass die Landessynoden einer Bundesordnung ohne Art. 4,4 nicht zustimmen würden. Stolpe plädierte dafür, den Art. 4,4 als Ausdruck des „Anspruch[s] auf Mitsprache in gesamtkirchlichen Dingen“ gegenüber den staatlichen Stellen zu verteidigen38. Er selbst war dagegen, den Artikel zu streichen, hielt aber eine Veränderung des Wortlauts für möglich. Mit Ausnahme von Thüringen stimmten letztlich aber alle sowohl gegen eine Streichung des Artikels als auch gegen den Alternativvorschlag. Die KKL verabschiedete 34 35 36 37 38

Zitiert nach: Niederschrift (EZA BERLIN, 102/13). Zitiert nach: G. BESIER, Pfarrer, S. 22. Zitiert nach: U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 86. EBD. Zitiert nach: G. BESIER, Pfarrer, S. 22.

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den Entwurf der Bundesordnung mit drei kleineren Änderungen und beauftragte den Vorsitzenden, ihn den Kirchenleitungen zur Beschlussfassung zuzuleiten. Tags darauf bat Mitzenheim darum, im Protokoll der Sitzung namentlich zu erwähnen, wer für und wer gegen den Artikel 4,4 gestimmt hatte. Er befürchtete, dass am Wortlaut des Artikels der ganze Bund scheitern könnte39. Nur drei Tage später folgte in der „Neuen Zeit“ die bislang schärfste öffentliche Polemik gegen die geplante Pflege einer besonderen kirchlichen Gemeinschaft. Trebs bezeichnete es als eine „unerträgliche Vorstellung“, dass „verdeckte Kräfte“ einer Manipulierung von der Bundesrepublik in den kirchlichen Bereich der DDR hinein weiter laufen könnten40. Den Begriff der „spezifischen Gemeinschaft“ interpretierte er als Verantwortung der Kirchen in der DDR dafür, „daß sich die Kirchen und Gemeinden in der Bundesrepublik von Neonazismus und Revanchismus befreien können.“ Trebs Artikel erschien zeitlich parallel zur zweiten Informationstagung der ostdeutschen EKD-Synodalen41. Vom 6. bis 9. März sollten die Synodalen in Magdeburg noch einmal Gelegenheit haben, zum Ordnungsentwurf Stellung zu nehmen. Mitzenheim und Braecklein nahmen nicht teil, die Thüringer Synodalen waren jedoch anwesend. In einem einführenden Referat motivierte Schönherr die Bundesgründung u. a. damit, dass bis 1967 die EKD nur politisch angegriffen worden war, danach sei sie als juristische Form durch die Registrierungsverordnung vom November 1967 und die Verfassung vom April 1968 staatskirchenrechtlich infrage gestellt worden. Er plädierte dafür, zwischen der juristisch-organisatorischen Form der EKD einerseits und dem Begriff EKD als sichtbaren Ausdruck der Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland andererseits zu unterscheiden. Unter dieser Voraussetzung könnten die in den Grundordnungen der Landeskirchen enthaltenen Formulierungen, welche die Zugehörigkeit zur EKD feststellten, erhalten und dem Staat gegenüber verteidigt werden. Art. 4,4 interpretierte Schönherr als Ausdruck dafür, dass der Bund die Verpflichtung ernst nehme, in der Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland zu bleiben und sie aktiv zu pflegen, auch wenn dies nicht mehr durch gemeinsame Organe geschehen könne. In der Aussprache zu Schönherrs Referat tauchten erneut kritische Stimmen auf. In der unterschiedlich motivierten Kritik ging es um das Selbstverständnis und die Aufgabe der Tagenden, um die mangelnde Information der Synodalen über die Strukturüberlegungen, um die Frage der Ost-WestKommunikation, um die Glaubwürdigkeit des Handelns nach Fürstenwalde sowie um das Interview Schönherrs im „ENA“. Konrad von Rabenau und das provinzsächsische Kirchenleitungsmitglied Erwin Hinz plädierten dafür, die Informationstagung in eine beschlussfähige Regionaltagung umzuwandeln, damit diese dann den Landessynoden die Annahme des Bundes empfehlen konnte. Skeptisch bis ablehnend gegenüber der 39 Aktenvermerk von Pabst, 6.3.1969 (EZA BERLIN, 102/13). 40 Hier und im Folgenden zitiert nach: epd ZA, 10.3.1969, S. 5. 41 Vgl. zum Folgenden: Zusammenfassung verschiedener Berichte (Krummacher, Hildebrandt, Behm, Lewek, Johannes, Rabenau, Figur) über die Informationstagung der EKD-Synode in Magdeburg von Lingner (EZA BERLIN, 4/23) und epd-Vertraulich 10/1969 (PARH).

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Bundesgründung äußerten sich erneut Weiß, Steinlein, Hildebrandt und von Brück. Weiß war sich sicher, dass ohne die politischen Pressionen keiner an die Schaffung einer „Bundeskirche“ gedacht hätte, und widersprach damit Figurs und Schönherrs Argumentationsführung. Während Steinlein grundsätzlich gegen die Bundesgründung war, wollte Hildebrandt nicht, dass der Zusammenschluss der Kirchen blockiert wurde, doch durfte der Bund seiner Ansicht nach die EKD auf keinen Fall ersetzen. Einige Synodalen fragten nach, ob die Bundesgründung ausreichend mit den westdeutschen Kirchenvertretern abgestimmt worden sei. Andere wollten Schönherrs Ausführungen, dass sich die staatskirchenrechtliche Lage verändert hätte, nicht zustimmen. Die Beantwortung der kritischen Anfragen übernahmen im Wesentlichen Schönherr, Johannes, Krummacher und Fränkel. Sie betonten, dass die Informationstagung nur zu einer Meinungsbildung und nicht zu einem ordentlichen Beschluss führen dürfe. Damit wollte man den „Geburtsfehler“ verhindern, dass der Bund mit Hilfe von EKD-Organen zustande kam. Die vier versicherten, dass an der Klärung des Verhältnisses von EKD und Bund bereits gearbeitet würde. Der Westen sei unterrichtet und habe den ostdeutschen Kirchenvertretern den Weg zum verantwortlichen Handeln freigegeben. Man müsse nun schnell auf den Bund zugehen, da dieser zwar bereits politisch angegriffen, aber noch nicht durch die staatliche Gesetzgebung in Frage gestellt werde. Der Bund müsse existieren und funktionieren, bevor die politischen Kräfte, die gegen ihn und das Konzept der mit seiner Hilfe fortzuführenden geistlichen Gemeinschaft mit den westlichen Kirchen wären, mobilisiert seien. Die Äußerungen von Seigewasser und Götting in Halle hatten demnach bei einigen Kirchenvertretern zu dem Eindruck geführt, mit der Bundesgründung unter Zeitdruck zu stehen. Damit verfügten sie über ein Argument gegen die bei der letzten Informationstagung geforderte Vorgehensweise in „kleinen Schritten“. Zur Überleitungsfrage hieß es, die Organe der EKD (Ost) könnten ihre Tätigkeit erst nach klaren Absprachen mit den Organen des Bundes einstellen. Im Anschluss an die allgemeine Aussprache bereiteten zwei Ausschüsse eine Entschließung vor. Das erste Ausschuss kam zu folgendem Ergebnis: Der Bund dürfe nur dann zustande kommen, wenn alle acht Kirchen in der DDR ihm zustimmten; Art. 4,4 sollte in der vorliegenden Fassung beibehalten werden; an der Beratung über die Modalitäten, wie die Aufgaben von den Organen der EKD (Ost) auf die Organe des Bundes übertragen werden, sollten Synodale beteiligt werden. Der zweite Ausschuss kam zu diesem Ergebnis: Den westlichen Gliedkirchen sollte nicht empfohlen werden, parallel zur Entwicklung in der DDR einen Bund der Kirchen in der Bundesrepublik zu gründen. Zur Zielsetzung des Bundes müsste es explizit gehören, dass er frei von jeder ideologischen Bindung und frei „von Haß gegen den Westen“ arbeiten wolle. Damit empfahl der Ausschuss eine deutliche Absage an die von Seigewasser und Götting in Halle gestellten Forderungen. Weiter wurde vorgeschlagen, dass die Übergangsregelung von Aufgaben der EKD auf den Bund durch einen Synodalausschuss vorbereitet werden sollte. Und nicht zuletzt riet der Ausschuss dazu, dass in den Grundordnungen der Kirchen in der DDR die Zugehörigkeit zur EKD erhalten bleiben müsste. Nach längerer Diskussion darüber, ob überhaupt eine Entschließung verabschiedet werden sollte, stimmten die Synodalen schließlich mit 26 gegen 7 Stim-

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men bei 2 Enthaltungen folgendem Text zu, der den kleinsten gemeinsamen Nenner wiedergab: „Die in Magdeburg zur Informationstagung versammelten Synodalen der EKD aus den Gliedkirchen in der DDR haben sich mit den Motiven und Zielen der Ordnung eines Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR eingehend befaßt. Sie sehen im Bund eine Möglichkeit, die Gemeinschaft des Zeugnisses und Dienstes der in ihm zusammengeschlossenen Kirchen zu vertiefen. Sie erkennen, daß seine Ordnung die Fortführung des der Kirche aufgetragenen Christusdienstes der Versöhnung in zwei entgegengesetzten Gesellschaftsordnungen, wie er in der Erklärung von Fürstenwalde als unaufgebbar bezeugt wurde, nicht aus- sondern einschließt. Sie sehen daher keine Veranlassung, der Bildung des Bundes zu widersprechen.“42

Den Kritikern der Bundesgründung war es wichtig, dass die Fürstenwalder Erklärung in der Stellungnahme explizit genannt wurde. Art. 4,4 in der Bundesordnung deuteten sie als Zeichen, dass die evangelischen Kirchen sich nicht in den Antagonismus der beiden deutschen Staaten einordnen wollten, wie dies von staatlicher Seite gefordert wurde und wie sich auch Schönherrs Aussagen im „ENA“-Interview deuten ließen. Stattdessen sah man die kirchliche Aufgabe weiterhin im Versöhnungsdienst. Die inhaltliche Kontinuität mit den Aussagen von Fürstenwalde schien damit gewahrt. Diese Einverständniserklärung der ostdeutschen EKD-Synodalen mit der Bundesgründung trotz aller Vorbehalte spielte für die Akzeptanz des Bundes bei seinen bisherigen Gegnern in den Landeskirchen eine nicht unwesentliche Rolle. Nicht zum Zuge kam in Magdeburg eine Entschließung, die auf Weisung von Präses Figur von der Kirchenkanzlei in Ost-Berlin vorbereitet worden war43. Drei ihrer fünf Punkte lasen sich wie eine scharfe Stellungnahme zu den Äußerungen von Seigewasser und Götting in Halle: „3) Die Gründung des Bundes kann nach unserer Auffassung entgegen anderslautenden öffentlichen Erklärungen verantwortlicher politischer Stellen auf keinen Fall eine Absage an die mit uns im Glauben und in der Liebe verbundenen westdeutschen Kirchen und Gemeinden bedeuten. 4) Unabhängig davon, ob die Evangelische Kirche in Deutschland in ihrer derzeitigen Form als Rechtseinheit aufrecht erhalten wird, sind wir uns einig in dem Willen, die Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland, wie sie in der EKD sichtbar geworden ist, aufrecht zu erhalten und dafür auch neue Formen zu suchen. 5) Wir lehnen jeden Versuch, die jeweilige Gesellschaftsordnung zur Herrin über den Christusdienst zu machen, ab. Darum werden wir es nicht zulassen, daß das Verhältnis zwischen den Kirchen in der DDR und zu den Kirchen in der BRD als ein Teilaspekt der derzeitigen politischen Auseinandersetzung angesehen wird. Die gewachsene Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland muß ihren Auftrag, ihrerseits Spannungen abzutragen und Versöhnung zu schaffen, auch in Zukunft wahrnehmen.“

42 EZA BERLIN, 4/23. Abdruck in: KJ 96, 1969, S. 235. 43 EZA BERLIN, 4/23.

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Des Weiteren hatte Figur die Kirchenkanzlei beauftragt, eine Vorlage über den Rechtsstatus der EKD-Synodalen zu erarbeiten. Darin wurde erklärt, dass die Zukunft der EKD-Organe in der DDR auch nach der Bundesgründung zunächst noch offen gehalten werden müsste. Sowohl der Entwurf der Entschließung als auch der Entwurf der Vorlage wurde den Synodalen aber weder mündlich noch schriftlich vorgelegt. Das gleiche Schicksal teilte eine Erklärung der EKD-Synodalen Magdalena Kupfer. Kupfer hatte aus Krankheitsgründen nicht an der Tagung teilnehmen können und daher Figur gebeten, eine Erklärung zu ihrer Mandatsniederlegung zu verlesen. Darin führte sie fünf Motive für ihren Schritt an: 1. Für die Gründung des Bundes bestehe keine innere Notwendigkeit. Die in Fürstenwalde beschlossenen Gesetze würden als Grundlage für eine engere geistliche und organisatorische Zusammenarbeit der evangelischen Kirchen in der DDR ausreichen. 2. Auf der Grundlage dieser Gesetze hätte sich durch entsprechende kirchliche Übereinkommen die Regionalsynode Ost erweitern, die bestehenden Kommissionen vermehren und die KKL als leitendes Gremium verbreitern lassen. 3. Bei dem von Schönherr in seinem „ENA“-Interview genannten „Anlaß“ handele es sich in Wahrheit um die „Ursache zur Grablegung der EKD Ost“, die von der Kirche selbst vollzogen werde, obwohl man noch in Fürstenwalde auch die organisatorische Gemeinsamkeit mit den westdeutschen Kirchen aus geistlichen Gründen für unaufgebbar erklärt habe. 4. Es widerspreche dem Sinn der Ökumene, bestehende kirchliche Gemeinschaften aufgrund von außen an die Kirche herangetragener Beschlüsse an Territorialgrenzen scheitern zu lassen. 5. „Wenn das am grünlichen Holze passiert, was soll am dürrer werdenden geschehen?“44

Figur unterließ die Verlesung der Erklärung, da seiner Auffassung nach alle darin enthaltenen Argumente bereits in der Diskussion genannt worden waren. Kupfer bezeichnete die Bundesgründung noch Jahrzehnte später als „geistlichen Verrat“45. Nach der Informationstagung in Magdeburg erhielten die Synodalpräsidenten der ostdeutschen Landeskirchen die Bundesordnung mit der Bitte, zwischen März und Mai die Zustimmung ihrer jeweiligen Synoden herbeizuführen. Während dieser Phase gingen auf kirchlicher und staatlicher Seite die Überlegungen und Aktivitäten hinsichtlich Art. 4,4 weiter. Am 13. März diskutierte ein gesamtdeutsch zusammengesetzter „Beraterkreis“ über mögliche Absprachen zwischen der EKD und dem Bund zur Praktizierung von Art. 4,446. Als Gesprächsgrundlage diente der Entwurf einer Übereinkunft zwischen dem Vorstand der KKL und dem Rat der EKD, den die Kirchenkanzlei erarbeitet hatte47. Er sah die Bildung eines „Verbindungsausschusses“ aus je 44 Zitiert nach: G. BESIER, SED-Staat, S. 705. 45 Zitiert nach U. AUGUST, Kupfer, S. 190. 46 Niederschrift von Behm über die Sitzung (EZA BERLIN, 104/50). Anwesend waren Krummacher, Noth, Lundbeck, Wilm, Heintze, Riedel, Johannes, Lewek, Hafa, Behm, Schober, von Brück und Bosinski. 47 EZA BERLIN, 4/23.

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vier Vertretern beider Seiten vor. Als dessen Aufgaben wurden bezeichnet: „a) eine verantwortliche und geordnete, gegenseitige Beratung und Information über alle die Kirchen in beiden Teilen Deutschlands bewegenden Fragen zu gewährleisten, b) die Arbeit der gemeinsamen Ausschüsse [. . .] zu überwachen, ihre Ergebnisse entgegenzunehmen und Vorschläge über deren Verwendung zu erarbeiten.“ Die bei der EKD bestehenden gesamtkirchlichen Kammern, Kommissionen und Ausschüsse sollten ihre Arbeit mit derselben personellen Besetzung als gemeinsame Ausschüsse fortführen. Sowohl bei der Kirchenkanzlei der EKD als auch im Sekretariat des Bundes sollte eine ständige Kontaktstelle zur Aufrechterhaltung der Verbindung eingerichtet werden. In der Aussprache wurde der Entwurf in der vorgelegten Fassung verworfen. Die schriftliche Fixierung einer solchen Vereinbarung erschien einigen zu riskant, da sie nicht geheim bleiben konnte und damit den ganzen Plan gefährdete. An dem Gedanken, dass sich bevollmächtigte Vertreter beider Seiten nach klarer gegenseitiger Absprache zu regelmäßigen Begegnungen trafen, wollte man jedoch festhalten. Um den Anschein zu vermeiden, es würde ein neues Leitungsgremien geschaffen, sollten jedoch zwei selbstständige Ausschüsse lediglich gemeinsame Sitzungen durchführen. Für die Umarbeitung des Entwurfs wurde der Leitsatz ausgegeben: „So verbindlich wie möglich, so locker wie nötig.“ Auf der Sitzung am 28. April legte die Kirchenkanzlei dann ein neues Papier vor, in dem versucht wurde, an einer Regelung der gemeinsamen Arbeit von EKD und Bund festzuhalten, jedoch ohne deren Institutionalisierung in einem Verbindungsausschuss48. Figur, Johannes und Noth sahen aber auch in einem solchen Papier eine Gefährdung des Bundes und rieten von einer schriftlichen Fixierung der gemeinsamen Arbeit grundsätzlich ab: Eine wie auch immer geartete Vereinbarung zwischen Bund und EKD widerspräche der Interpretation von Art. 4,4, wie sie von den kirchlichen Verantwortungsträgern in der DDR den Staatsvertretern gegeben worden war. Lingner wertete diese Aussage ein paar Tage später in einem Brief an Hammer als Symptom: die ostdeutschen Kirchenvertreter würden inzwischen bei allen Entscheidungen des kirchlichen Bereichs nach den Reaktionen des Staates fragen und seien nicht mehr frei, die kirchlichen Angelegenheiten allein nach kirchlichen Gesichtspunkten zu ordnen49. Er befürchtete, dass gegen die spätere Praktizierung der „besonderen Gemeinschaft“ dieselben Bedenken erhoben würden wie bereits jetzt gegen eine schriftliche Vereinbarung. Auf der Sitzung Ende April hatten die ostdeutschen Gesprächsteilnehmer allerdings auch noch damit argumentiert, dass eine schriftliche Fixierung unnötig sei, da beide Seiten eine Zusammenarbeit wollten. Der berechtigte Einwand der Kirchenkanzlei, dass bald neue Personen verantwortliche Ämter übernehmen würden und darum klare Verpflichtungen auch für die Zukunft geschaffen werden müssten, wurde als nicht gravierend angesehen. Entsprechend votierten auch die ostdeutschen Ratsmitglieder gegen eine schriftliche Fixierung der Praktizierung von Art. 4,4 auf oberster Ebene50. Sie wollten stattdessen die Gemeinschaft praktizie48 Niederschrift von Behm über die Sitzung (EZA BERLIN, 104/50). 49 Brief vom 8.5.1969 (EZA BERLIN, 4/19). 50 Protokoll der Sitzung der östlichen Ratsmitglieder am 29.5.1969. Zitiert nach: Vortragsnotiz von

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ren und dadurch eine starke Tradition entstehen lassen, die auch den bevorstehenden Wechsel in den leitenden Ämtern überstehen würde. Der Widerwille der ostdeutschen Kirchenvertreter gegen eine schriftliche Fixierung der Gestalt der „besonderen Gemeinschaft“ hatte seine Ursache in den Angriffen, die gegen Art. 4,4 von Staats- und Parteiseite geführt wurden. Den Staatsvertretern fehlte in dem Artikel eine klare und politisch verwertbare Absage an die EKD und deren Zuständigkeit auf dem Territorium der DDR sowie eine Beschränkung auf die rein „geistliche Gemeinschaft“. Öl in die staatliche Propagandamaschinerie schüttete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, in deren Ausgabe vom 20. März zu lesen war: „Die Evangelische Kirche wird künftig in der DDR keine Rechte mehr wahrnehmen. Ihre Funktion dort wird ruhen, da die acht Landeskirchen sich neben dem festen Haus, das die EKD nach wie vor im übergeordneten Sinne bildet, eine Baracke errichtet haben, die genügend Schutz vor allzu großem Frost bildet, in der man für längere Zeit überwintern kann. Nicht mehr, aber auch nicht weniger sollte mit dem Bund Evangelischer Kirchen in der DDR bewirkt werden.“

Tags darauf fand in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen eine Unterredung zwischen Hauptabteilungsleiter Weise und Oberkirchenrat Pabst statt51, in der Weise sibyllinisch erklärte, an Art. 4,4 der Bundesordnung würden sich in Zukunft „die Geister scheiden“. Die Staatsorgane sähen der Entwicklung gelassen entgegen und würden gegebenenfalls mit jeder Landeskirche einzeln verhandeln. Zwei Tage später griff die „Neue Zeit“ Beckmann und Scharf auf Grund ihrer Interviews im „epd“ an und forderte von den ostdeutschen Kirchenvertretern eine konkrete politische Scheidung und kritische Distanz gegenüber den westdeutschen Kirchenrepräsentanten52. Kurz darauf ersuchte der staatsnahe Bund Evangelischer Pfarrer in der DDR die ostdeutschen Bischöfe in einem Brief, den die Teilnehmer des Evangelischen Pfarrertages in Berlin zugleich als Tagungsmaterial erhielten, um Klarstellung von Art. 4,453. In Richtung der Reforminteressierten in den ostdeutschen Kirchen hieß es darin: „Die Befreiung der Kirche aus falschen Bindungen [. . .] ist theologisch und kirchlich vor allem so zu sehen, daß sie den Weg innerer Erneuerung frei macht.“54 Am 7. April eröffnete Paul Verner einen einwöchigen Lehrgang für hauptamtlich kirchenpolitisch Verantwortliche aus dem SED-Parteiapparat und dem Staatsapparat aller 15 Bezirke der DDR mit einem Vortrag, in dem er mit viel Pathos die Vision einer „sozialistischen Menschengemeinschaft“ entwickelte, in der auch die Christen ihren festen Platz finden würden55. Als zwei Teile derselben langfristigen kirchenpolitischen Aufgabenstellung bezeichnete es Verner, einerseits die kirchlich gebundenen Kreise einschließlich Hammer zu Punkt 14 der TO der Sitzung des Rates der EKD am 21./22.7.1969 (EZA BERLIN, 650/95/38). 51 Aktenvermerk von Pabst (EZA BERLIN, 104/50). 52 Vgl. epd ZA, 26.3.1969, S. 2. 53 Abdruck in: KJ 96, 1969, S. 271ff. 54 EBD., S. 272. 55 Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 74–95.

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der Amtsträger für die „Friedenspolitik“ der DDR zu gewinnen und sie in die Gestaltung der sozialistischen Gesellschaftsordnung einzubeziehen und andererseits den Einfluss der Kirchen und Religionsgemeinschaften einzuengen. Zur bevorstehenden Gründung des BEK äußerte er sich eher skeptisch. Er hielt die Bundesordnung für das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den „progressiven“ Kräften (Thüringer Landeskirche, Weißenseer Arbeitskreis, Pfarrerbund, Sächsische Bruderschaft), dem Kreis um Schönherr sowie einer „reaktionären“ Gruppe (Krummacher, Fränkel, Figur). Den „reaktionären“ kirchlichen Kräften gehe es darum, mit dem Bund „die Möglichkeiten des Taktierens mit den Kirchen Westdeutschlands zu erhalten, als Bund den staatlichen Organen in größerer Geschlossenheit entgegentreten zu können, die fortschrittlichen Kräfte in den Kirchen der DDR durch den Bund zu bremsen und zu fesseln und schließlich darum, zu gegebener Zeit als Bund zu vorteilhaften Vereinbarungen mit dem Staat entsprechend Artikel 39/2 der Verfassung zu kommen.“56

Die Forderungen der „antisozialistischen Kräfte“ kämen in Art. 4,4 klar zum Ausdruck. Aus seiner Analyse ergab sich laut Verner für Staat und Partei eine klare kirchenpolitische Taktik: Um zu demonstrieren, dass der Staat weiterhin die Landeskirchen als die legitime Form kirchlicher Organisation betrachtete, würden die Räte der Bezirke anstehende Fragen auch zukünftig mit den landeskirchlichen Organen regeln. Offensiv sollte dagegen angegangen werden, „daß der Bund zur modifizierten Form der Manipulierung der Landeskirchen der DDR durch die westdeutsche EKD und Militärkirche wird.“57 Die künftigen BEK-Vertreter könnten nur dann mit einem guten Verhältnis zum Staat rechnen, wenn sie dafür sorgten, dass der Status des Bundes und seine praktische Tätigkeit „in volle Übereinstimmung mit der Verfassung der DDR gebracht werden“58. Verner bezeichnete es als Aufgabe aller auf dem kirchenpolitischen Gebiet tätigen Genossen, „die progressiven Kräfte in den Kirchen hinsichtlich der vollen Respektierung der Verfassung durch die kirchenleitenden Organe zu fördern, und, wo vorhanden, Illusionen darüber zu beseitigen, als sei mit dem Bund eine den Verfassungsnormen und den politischen und gesellschaftlichen Realitäten entsprechende Lösung schon gefunden. Jenen Kreisen in den Kirchenleitungen jedoch, die das Ziel verfolgen, mit dem Bund ihre bisherige Politik des Einvernehmens mit der EKD fortsetzen zu können, müssen wir die Realitäten klarmachen, verlangen, daß eine klare Trennung gegenüber der westdeutschen EKD herbeigeführt wird, die Synodalen dieser Organisation ihre Ämter als Synodale niederlegen und Einrichtungen der westdeutschen EKD auf dem Boden der DDR keine Berechtigung haben. Es ist auch angebracht, unsererseits die kirchlichen Amtsträger und Theologen objektiv über diese Fragen zu informieren, wobei wir den Hauptstoß vor allem gegen die widerrechtliche Einmischung westdeutscher Kreise in die Angelegenheiten der Landeskirchen der DDR, als Ausdruck der Bonner Alleinvertretungsanmaßung richten.“59 56 57 58 59

EBD., S. 91. EBD., S. 92f. EBD., S. 93. EBD., S. 93.

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Damit war die kirchenpolitische Leitlinie des Staats- und Parteiapparates für die Bundesgründung formuliert: Sie sollte nicht verhindert, aber die innerkirchlichen Entscheidungsprozesse in die von der SED gewünschte Richtung vorangetrieben werden. Die agitatorische Stoßrichtung ging mit alten Parolen Richtung Westen, ihr eigentliches Ziel aber war eine Identifizierung der ostdeutschen Landeskirchen oder auch des Bundes mit den „politischen und gesellschaftlichen Realitäten“ der DDR. Am 17. April stimmten die Kirchenpolitiker von SED und Ost-CDU ihre gemeinsame Linie ab60. Zwischen Willi Barth, Rudi Bellmann und Eberhard Hüttner von der Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED sowie Gerhard Quast von der Abteilung Kirchenfragen beim Hauptvorstand der Ost-CDU herrschte Konsens darüber, dass sich die Orientierung auf die Landeskirchen bewährt und zu einer zunehmenden Differenzierung innerhalb und zwischen den einzelnen Kirchen geführt hatte. Auch war man sich einig, dass ein Bund, dem nicht alle Landeskirchen in der DDR angehörten und der keine klare Trennung von der EKD vollzog, den Prinzipien der DDR-Verfassung widersprach und daher nicht anerkannt werden konnte. Die Frage der staatlichen Anerkennung des Bundes oder seiner Ablehnung sollte jedoch nicht Gegenstand der Auseinandersetzung mit kirchlichen Kräften sein, d. h. man wollte sie sich noch offen halten. In ihren öffentlichen Stellungnahmen würden die SED- und CDU-Kirchenpolitiker weiterhin die konsequente Trennung von der EKD fordern. Durch „objektive Information“ der kirchlichen Amtsträger und Synodalen sollte gewährleistet werden, dass auf den Landessynoden die Auseinandersetzung über Art. 4,4 weitergeführt und die Forderung erhoben wurde, in der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und in der EKU ebenfalls klare Verhältnisse zu schaffen, d. h. eine eindeutige Abgrenzung von deren Westteilen. Begleitet von den Angriffen auf die „besondere Gemeinschaft“ seitens der OstCDU, der Nationalen Front und des Bundes Evangelischer Pfarrer in der DDR tagten zwischen März und Mai die acht Landessynoden in der DDR. Den Anfang machte vom 15. bis 19. März die Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens61. Ein großer Teil der Synodalen war zuvor von politischen Funktionären persönlich zur Ablehnung des Art. 4,4 aufgefordert worden. Zudem lagen der Synode rund 70 Eingaben vor, u. a. von den Christlichen Arbeitskreisen der Nationalen Front, die im Wortlaut oft übereinstimmten und Proteste gegen Art. 4,4 enthielten. Nach Beratungen in nicht öffentlichen Ausschusssitzungen und einer ausführlichen Begründung der Bundesordnung in öffentlicher Sitzung wurde diese in zweiter Lesung mit 57 Ja-Stimmen und 3 Enthaltungen angenommen. In einem Wort an die Gemeinden informierte die Synode über Entstehung und Inhalt der Bundesordnung62. Bei der Interpretation von Art. 4,4 hielt sie sich an Schönherrs Ausführungen in seinem „ENA“-Interview. 60 Aktenvermerk von Quast vom 18.4.1969 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII/013/2164). 61 Vgl. Bericht von OLKR Loschke auf der erweiterten Referentenbesprechung am 26.3.1969 in Berlin (EZA BERLIN, 104/50). 62 Abdruck in: KJ 96, 1969, S. 244ff.

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Vom 19. bis 23. März fand in Schwerin die mecklenburgische Landessynode statt63. Auch hier hatte es zuvor Aktionen gegen Art. 4,4 gegeben. In einem Rundschreiben an alle Synodalen sprach sich Karl Kleinschmidt für den Bund, aber gegen Art. 4,4 aus. Oberkirchenratspräsident Müller wurde von einem Ratsmitglied des Bezirks Schwerin aufgesucht, der in scharfer Form gegen Art. 4,4 Stellung nahm und ihn als nicht vereinbar mit Art. 39,2 der Verfassung bezeichnete. Landesbischof Beste charakterisierte vor der Synode Art. 4,4 als das Ergebnis eines innerkirchlichen Kompromisses64. Zur Überraschung vieler regte sich auf der Tagung selbst keine grundsätzliche Opposition gegen die Auswirkungen der Bundesgründung auf das kirchliche OstWest-Verhältnis65. Scharfe Kritik wurde indes an der Informationspolitik von Bischof und Oberkirchenrat geübt. Eine heftige Diskussion entstand auch über die Frage, ob es nicht möglich gewesen wäre, in der Bundesordnung eine engere kirchliche Gemeinschaft der Kirchen in der DDR festzulegen. In dritter Lesung stimmte die Synode schließlich der Ordnung des Bundes mit 43 Ja-Stimmen bei 3 Enthaltungen zu. Auf der Görlitzer Landessynode war das Stimmenverhältnis 60 Ja- zu 10 NeinStimmen und 2 Enthaltungen. Zuvor hatte Bischof Fränkel am 21. März im Rahmen einer öffentlichen Gemeindeversammlung den Kirchenbundplan begründet66. Dabei sprach er von dem Schmerz über die Diffamierung der westdeutschen Kirchen als politisch hörig und solidarisierte sich mit ihnen. Zur „besonderen Gemeinschaft“ erklärte er: „Diese Gemeinschaft aber ist keine platonische, sondern eine leibhaftige, die uns die bindende Verpflichtung zu partnerschaftlicher Zusammenarbeit in allen uns gemeinsam aufgegebenen Fragen auferlegt.“67 Obgleich sich Fränkel mit dieser Ausdeutung von Art. 4,4 am weitesten vorgewagt hatte, wurde ihm während der nichtöffentlichen Verhandlungen der Synode ein rein taktisches Verhalten unter Verleugnung früherer Grundsätze vorgeworfen68. Im Hinblick auf die wochenlange Verleumdungspropaganda lokaler Funktionäre gegen Fränkel stellten sich die Synodalen jedoch hinter ihn und baten Seigewasser schriftlich darum, ihren Bischof vor dieser Kampagne zu schützen. Auf der außerordentlichen Tagung der Synode der Kirchenprovinz Sachsen am 12. und 13. April spielte die EKD-Frage eine größere Rolle als bei den anderen Synoden. Zu Beginn hielt Bischof Krusche, selbst Mitglied der Strukturkommission, eine Einführung in „die theologische und die praktische Sachproblematik“ des BEK und seiner Ordnung. Dieser Text wurde in späteren Jahren immer wieder herangezogen, wenn es darum ging, auf Ursachen und Anlässe der Bundesgründung zu verweisen69. Krusche kannte aus eigener Erfahrung den kirchlichen „Westen“ und den kirchlichen 63 Vgl. Bericht von Kirchenrat Schrill auf der erweiterten Referentenbesprechung am 26.3.1969 in Berlin (EZA BERLIN, 104/50). 64 Auszug aus der Rede Bestes im KJ 96, 1969, S. 246ff. 65 Vgl. epd-Vertraulich 11/1969, S. 4f. (PARH). 66 Teilabdruck in: KJ 96, 1969, S. 248f. 67 EBD., S. 249. 68 Vgl. epd-Vertraulich 11/1969, S. 5 (PARH). 69 Vgl. u. a. NACH-DENKEN, S. 104, S. 133–143.

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„Osten“. 1917 geboren, war er in Sachsen aufgewachsen, hatte seine theologische Ausbildung aber überwiegend in Westdeutschland erhalten und den „Kirchenkampf“ der Jahre 1952/53 in der DDR nicht miterlebt. 1954 entschied er sich, auf Grund des Pfarrermangels in der DDR nach Sachsen zurückzukehren. Nach Jahren im Pfarramt wurde er 1958 Studiendirektor des sächsischen Predigerseminars in Lückendorf bei Zittau und 1966 Dozent am theologischen Seminar der Leipziger Karl-Marx-Universität. Von 1963 bis 1966 leitete er die „Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Strukturfragen der Gemeinde in der DDR“70. Vor der Synode nannte Krusche drei Gründe für die geplante Bildung des BEK, einen inneren und zwei äußere: 1. „Die Notwendigkeit einer engeren, wirkungsvolleren und gezielteren Zusammenarbeit der evangelischen Kirchen im Staatsbereich der DDR“, 2. „Die Behinderung der EKD-Organe an der Wahrnehmung ihrer Funktionen“, 3. „Die durch die Verfassung der DDR entstandene neue rechtliche Situation“71.

In seiner theologischen Argumentation verwies Krusche darauf, dass die ostdeutschen Gliedkirchen der EKD in ihrem Staatsbereich „ihr Zeugnis und ihren Dienst“ in einer gesellschaftlichen und politischen Umwelt auszurichten hatten, die sich fundamental von der in der Bundesrepublik unterschied. In ihrem spezifischen Kontext seien sie vor ganz eigene Fragen und Aufgaben gestellt. Um dieses „eigengearteten Auftrages willen“ bestände für die ostdeutschen Kirchen die „Notwendigkeit“, in engeren Kontakt zu treten. Diese intensivere Zusammenarbeit der acht Landeskirchen sei weder durch die KKL noch durch die EKD zu leisten. Der KKL fehle die rechtliche Kompetenz einer Kirchenleitung sowie ein synodales Gegenüber. Die EKD-Organe seien in der Wahrnehmung ihrer Funktionen behindert und außerdem auch „strukturmäßig“ nicht mehr dazu in der Lage, die spezifischen Aufgaben in der DDR wahrzunehmen. Den inneren Grund bezeichnete Krusche – ähnlich wie vor ihm Figur und Schönherr – als den eigentlichen, denn nur er war ein theologischer. In den beiden anderen Gründen sah Krusche lediglich Anlässe zur Bildung des Bundes, allerdings mit Auswirkungen auf Zeitpunkt, Zeitplan und Gestalt. Auch ohne die Nötigung von außen, argumentierte der Bischof, wäre es auf Grund der inneren Notwendigkeit, „um das von ihnen in dem vorgegebenen Lebensraum der DDR auszurichtenden Zeugnisses und Dienstes willen“72, zu einem Zusammenschluss der acht Landeskirchen gekommen, „aber die Nötigung verdringlichte die Notwendigkeit und verengte zugleich den Spielraum für mögliche Lösungen.“73 In der gegenwärtigen Situation stehe man vor der Alternative, „daß unsere Kirchen entweder den Bund eingehen müssen oder hoffnungslos auseinanderdividiert werden.“74 Ausführlich äußerte sich der Bischof auch zum Verhältnis von Bund und EKD. Hier 70 71 72 73 74

Siehe weiter unten. Abdruck in KJ 96, 1969, S. 235–243. EBD., S. 238. EBD. EBD., S. 243.

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argumentierte er kirchenpolitisch und theologisch. Krusche verlangte, dass zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland als Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland einerseits und deren Rechts- und Organisationsgestalt andererseits unterschieden werde. Auf der Grundlage einer solchen Differenzierung konnte nach Krusches Auffassung nicht pauschalisierend von einer Preisgabe der EKD gesprochen werden. Denn an der „durch gemeinsame Anfechtung, Not, Schuld, Vergebung und Segnung gewachsenen, von Gott geschenkten und erhaltenen Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland und in diesem Sinne an der Evangelischen Kirche in Deutschland“ sollte festgehalten werden, auch wenn diese unter dem Druck der politischen Realitäten und um der „Ausrichtung unseres Dienstes in der DDR willen“ in anderen organisatorischen Formen praktiziert werden musste als bisher. Da die Gemeinschaft über die Staatsgrenze hinweg von politischer Seite angegriffen würde, bedürfte es des ausdrücklichen „Bekenntnisses“ zu der „besonderen“ – d. h. die ökumenischen Beziehungen zu anderen Kirchen aufgrund der gemeinsamen Geschichte an Intensität übersteigenden – Gemeinschaft. So wie man in Fürstenwalde angesichts ihrer staatlichen Infragestellung bekenntnishaft an der Einheit der EKD festgehalten hatte, bekannte man sich nun zu der „besonderen Gemeinschaft“. Diese Korrespondenz zwischen Fürstenwalde und Art. 4,4 war offenkundig, auch wenn sie Krusche nicht ansprach, und sie war offenbar auch notwendig, um die Zustimmung der Landeskirchen zur Bundesordnung zu erhalten. Art. 4,4 mache deutlich, so fuhr Krusche fort, dass es sich nicht nur um eine spirituelle Gemeinschaft oder, wie es in einer 17-seitigen kritischen „Gemeinsamen Stellungnahme zur Frage der Einheit der EKD und des Bundes evangelischer Kirchen in der DDR“ des Pfarrkonvents Pritzwalk geheißen hatte, „literarische“ bzw. „Briefgemeinschaft“ handeln sollte75. Vielmehr seien die rechtlich selbstständigen und unabhängigen Organe des Bundes berechtigt und verpflichtet, mit den Organen der Gliedkirchen in der Bundesrepublik gemeinsame Aufgaben anzugreifen. In deutlichen Worten gegen so genannte „progressive“ Stimmen in der Kirche lehnte Krusche jede „ideologische Begründung“ für die rechtliche und organisatorische Verselbstständigung der Gliedkirchen der EKD in der DDR ab. Andernfalls würde es sich, so der Bischof, um den status confessionis handeln; dann wäre die Bundesgründung die Preisgabe der Bruderschaft und damit die Verleugnung von Jesus Christus. In Richtung Staat erklärte Krusche, dass die Kirchen in der DDR mit der organisatorischen Verselbstständigung „an die äußerste Grenze des ihnen Möglichen gegangen“ waren76. Jede darüber hinausgehende Forderung würde eine „Kirchenkampfsituation heraufbeschwören.“ Damit hatte er die Grenze kirchlichen 75 Eine Abschrift von Krusches harschem Antwortschreiben an den Pfarrkonvent Pritzwalk vom 31.3.1969 findet sich im BStU BERLIN, Bln. AIM 2834/88 Teil II Bd. 3. Der Pfarrkonvent hatte Kritik geübt an der „schuldhaften“ und „einseitigen“ Aufkündigung der Einheit der EKD, der Definition der zukünftigen Gemeinschaft der Kirchen in Deutschland in Schönherrs ENA-Interview, am „Alleingang“ Schönherrs, an einer spezifischen Bonhoeffer- und Barth-Rezeption, an einem kirchlichen Sicherheitsbedürfnis, am „Verrat“ an der Fürstenwalder Erklärung sowie an der kirchlichen „Geheimdiplomatie“. 76 KJ 96, 1969, S. 241.

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Entgegenkommens gegenüber staatlichen Forderungen markiert, gleichzeitig aber auch eine solche vorausgegangene kirchliche Anpassungsleistung eingestanden. Die Strukturkommission sei der Überzeugung gewesen, so fuhr Krusche fort, dass sich die „bestehende und festzuhaltende Gemeinschaft der evangelischen Kirchen in Deutschland“ auch dann erhalten ließe, wenn die staatlichen Gesetze respektiert und neue funktionsfähige Organe gebildet würden. Das Bekenntnis von Fürstenwalde sei daher nicht „verraten“ worden. Zwar habe man in Fürstenwalde noch erklärt, dass gemeinsame Einrichtungen in der Leitung der Einheit und dem Auftrag dienten, doch sei man damals verfassungsrechtlich noch in einer anderen Lage gewesen. Seit Inkrafttreten der neuen DDR-Verfassung könnte die Ordnung gemeinsamer Organe diesen Dienst für die Einheit und die Ausrichtung des Auftrages nicht mehr leisten, sondern gefährdete ihn eher. Organe aber hätten dem Auftrag zu dienen. Könnten sie dies nicht mehr leisten, seien sie zu verändern. Dies sei mit der Bundesgründung vorgesehen, so formulierte es Krusche im Sinne der in der DDR laufenden kirchlichen Strukturdiskussion. Die Synodalen folgten der Darlegung ihres Bischofs, dass die bisherige Form der Gemeinschaft in der EKD nicht durchgehalten werden konnte, aber die organisatorische Änderung dazu dienen sollte, die Gemeinschaft auch weiterhin zu ermöglichen. Sie stimmten der Ordnung in zweiter Lesung mit 101 Ja-, 5 Nein-Stimmen und 8 Enthaltungen zu. In ihrem Wort an die Gemeinden betonten sie die geistlichen Gründe für die Bundesbildung und wehrten mögliche Opportunismusvorwürfe ab77. Die Praktizierung der „besonderen Gemeinschaft“ wurde als Versöhnungsdienst interpretiert und explizit als Modell verstanden, wie über Staats- und Systemgrenzen hinweg Zusammenarbeit „in partnerschaftlicher Freiheit“ möglich sei. Von der Bitte an die westdeutschen Kirchen, sich analog zu den östlichen Gliedkirchen neu zu formieren, nahmen die Synodalen mit dem Hinweis Abstand, man wolle nicht in den Westbereich hinein regieren78. Mitte April wandte sich erstmals ein DDR-Politiker öffentlich an die noch bevorstehenden östlichen Synoden. Gerald Götting sagte auf einer Hauptvorstandssitzung der Ost-CDU, die Landessynoden müssten sich darüber im Klaren sein, dass jedes Festhalten an so genannten „gesamtdeutschen Bindungen“ unweigerlich den Vertretern der „westdeutschen Militärkirche“ in die Hände arbeite79. Auch mit seinen übrigen Äußerungen bewegte sich Götting ganz auf der zwischen SED und Ost-CDU vereinbarten Argumentationslinie. Dies taten auch die Staatsvertreter, die den anhaltischen Synodalen im Vorfeld ihrer Synode einen Besuch abstatteten80. Auf der Synode selbst, die vom 18. bis 20. April in Dessau stattfand, erhielt die Bundesordnung 31

77 Abdruck EBD., S. 243. 78 Lingner: Berichte über den Verlauf der Synoden verschiedener Kirchen auf der Ratssitzung der EKU am 6.5.1969 (EZA BERLIN, 4/23). 79 Hier und im Folgenden zitiert nach: epd ZA, 15.4.1969, S. 2. 80 Lingner: Berichte über den Verlauf der Synoden verschiedener Kirchen auf der Ratssitzung der EKU am 6.5.1969 (EZA BERLIN, 4/23).

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Ja-Stimmen – bei 2 Nein-Stimmen und einer Enthaltung. Die Landessynode der Evangelischen Landeskirche Greifswald gab auf ihrer Tagung am 3. und 4. Mai der Kirchenbundesordnung mit allen Stimmen bei 6 Enthaltungen ihr Plazet. In den kontroversen Verhandlungen der Regionalsynode Ost der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg am 3. und 4. Mai spiegelte sich die besondere Situation dieser Kirche an der Nahtstelle von Ost- und Westdeutschland wider. Drei Gruppen standen der Bundesordnung kritisch gegenüber81: Die größte Gruppe, um Reinhard Steinlein, kritisierte das kirchliche Nachgeben gegenüber dem sozialistischen, kirchenfeindlichen Staat. Eine zweite Gruppe um den Berliner Rechtsanwalt und „Unionsfreund“ Clemens de Maizière griff die Bundesordnung von „links“ an und verlangte eine klare politische Absage an die EKD. Eine dritte Gruppe hatte Einwände gegen einzelne Bestimmungen der Ordnung, die sie aber als so gravierend erachtete, dass sie ihre kritische Distanz zur Bundesgründung zunächst nicht aufgeben wollte. Bischofsamtsverwalter Schönherr begründete im Auftrag der Kirchenleitung den Zustimmungsantrag in einem Referat82. Er nannte zwei Hauptgesichtspunkte für die Notwendigkeit, den Bund zu schließen: 1. Der Bund ermögliche eine bessere Gemeinschaft und Zusammenarbeit der Landeskirchen in der DDR. 2. Der Bund mache deutlich, dass diese Gemeinschaft und Zusammenarbeit in eigenständiger Verantwortung erfolge. In seinen Ausführungen verkehrte Schönherr den theologischen Legitimierungszwang von organisatorischer Einheit und Trennung und stellte die Synode vor die Alternative: „Entweder halten wir daran fest, daß die bestehende Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland ihren sichtbaren Ausdruck weiterhin in den Organen der EKiD findet. Wir müßten die Entscheidung fällen, wenn zwingend gemacht werden könnte, daß der von unserem Herrn gebotene Glaubensgehorsam es so verlangte. Dann wäre es nicht entscheidend, daß die Organe der EKiD kaum noch gemeinsam arbeiten können und daß sie in der Gefahr sind, staatsrechtlich für illegal erklärt zu werden. Oder die Entscheidung wird anders gefällt: Man sieht die Notwendigkeit, aus Gründen des Glaubens an der EKiD festzuhalten, nicht gegeben. Sie war ein möglicher Ausdruck der Verantwortung der Kirche, für die Ausrichtung ihres Dienstes zu sorgen. Wird in eben dieser Verantwortung festgestellt, daß die bisherige Organisationsform ihre Aufgabe nicht mehr oder nur noch sehr unvollkommen erfüllen kann, muß eine andere Form gefunden werden. Das ist weder willkürlich, noch heißt es, die Ordnung der Kirche ‚dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen oder politischen Überzeugung zu überlassen‘ (Barmen III). Denn es geht nicht um irgendwelche Anpassungen oder gar um billigen Opportunismus, sondern um die sehr verantwortliche Entscheidung, mit welcher Art von Institution und mit welchen Organen dem Christus-Auftrag der Kirchen nach unserer Überzeugung am besten zu dienen sei.“83

Die Kirchenleitung hatte sich für den letzteren Weg entschieden. Sie versicherte, dass sie damit die „bestehende Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutsch81 EBD. 82 Abdruck in: KJ 96, 1969, S. 250–254. 83 EBD., S. 252f.

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land“ nicht aufkündige. Diese Gemeinschaft, die ja laut Grundordnung der EKD schon vor ihrer institutionellen Form bestand84, sollte in neuer Weise fortgeführt werden, an die Stelle von „Verklammerung durch juristisch-institutionelle Bindungen“ sollte „die Begegnung freier, voneinander unabhängiger Partner“ treten85. Die Kirchenleitung bat daher die Synode, die Ordnung des BEK für den Bereich der Regionalsynode Ost zu beschließen und dem Vorsitzenden der Kirchenleitung die Vollmacht zu erteilen, die Bundesordnung zu unterzeichnen. Für diesen Beschluss bedurfte es nach Ansicht der Kirchenleitung keiner Zweidrittelmehrheit, da mit ihm keine Änderung der Grundordnung verbunden war. Auf diese Weise sollten drei Dinge vermieden werden: erstens an einer eventuell nicht zustande kommenden Zweidrittelmehrheit zu scheitern; zweitens bereits zu diesem Zeitpunkt Fragen nach den Folgen der Bundesgründung für die Einheit der berlin-brandenburgischen Kirche beantworten zu müssen; drittens die Zustimmung der Synode der Westregion einholen zu müssen und damit den Kirchenbund in den Augen des Staates zu diskreditieren. Zwischen der ersten und zweiten Abstimmung über die Bundesordnung beauftragte die Synode die Kirchenleitung, gemeinsam mit dem Ständigen Ordnungsausschuss die Frage des Selbstverständnisses der berlin-brandenburgischen Kirche bald zu klären86. Nach Eintritt in die zweite Lesung gab Schönherr noch eine persönliche Stellungnahme ab87, mit der er auf Seigewassers Hinweis reagierte, dass Art. 4,4 nur dann ausreiche, wenn eine klare Zäsur zwischen den Organen des Bundes und den Organen der EKD in der Bundesrepublik geschaffen würde88. Schönherr äußerte vor der Synode den Wunsch, dass die nunmehr freie Partnerschaft in der „besonderen Gemeinschaft“ auch durch eine Neuformierung der westlichen Kirchen zum Ausdruck komme. Mit der neuen Struktur müsse klar gestellt werden, dass es im Westen keinen Alleinvertretungsanspruch für den gesamten Bereich der bisherigen EKD mehr gebe. Zudem verlangte Schönherr, dass der Rat der EKD (Ost) und die Synode der EKD (Ost) ihre Kompetenzen an den Bund überleiteten. Und auch die Vertretung des Bundes in der Ökumene sollte in nächster Zukunft geregelt werden, da sie laut Schönherr nicht mehr über das Kirchliche Außenamt der EKD erfolgen konnte. In der zweiten Lesung stimmte die Regionalsynode dem Beschluss über die Ordnung des BEK mit 105 Jabei 43-Nein-Stimmen und 6 Enthaltungen zu. Dass nicht noch mehr Synodale der Bundesordnung ihre Zustimmung verweigerten, lag sicher an der scharfen staatlichen Propaganda gegen Art. 4,4, die manchen Bundesgegner doch noch für die Ordnung hatte stimmen lassen. War dies einerseits das schlechteste Ergebnis für die Bundesordnung auf einer Synode, so war andererseits die Regionalsynode von Berlin-Bran84 In Art. 1,2 der GO der EKD hieß es: „In der Evangelischen Kirche in Deutschland wird die bestehende Gemeinschaft der deutschen evangelischen Christenheit sichtbar“(PROTOKOLLE, Bd. 2, S. 524). 85 KJ 96, 1969, S. 253. 86 BUND, S. 156f. 87 Lingner: Berichte über den Verlauf der Synoden verschiedener Kirchen auf der Ratssitzung der EKU am 6.5.1969 (EZA BERLIN, 4/23). 88 Schönherr hatte auf der Sitzung des Rates der EKU am 6.5.1969 über seine Gespräche mit Seigewasser berichtet. Vgl. EBD.

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denburg auch die einzige ostdeutsche Landessynode, die in einem Wort an die evangelischen Landeskirchen in der Bundesrepublik den Wunsch äußerte, dass diese sich gleichfalls zu einer dem Bund entsprechenden Ordnung zusammenschlössen und damit faktisch die alte EKD auflösten89. Hier hatte Schönherrs Drängen Erfolg gezeigt. Neben dem Wort an die westlichen Landeskirchen verabschiedete die Regionalsynode Ost auch ein Wort an die Gemeinden, in dem sie die „besondere Gemeinschaft“ der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland bejahte, „die in einer gemeinsamen Geschichte von Anfechtung und Schuld, Vergebung und Segnung, brüderlicher Hilfeleistung und gegenseitiger kritischer Befragung gewachsen ist“. Ähnlich wie die Magdeburger Synode wies auch sie ihr den Versöhnungsdienst „im Spannungsfeld entgegengesetzter Gesellschaftsordnungen“ zu. In ihrem Gespräch am 17. April hatten sich die Kirchenpolitiker von SED und Ost-CDU für die Thüringer Synode ein klares Ziel gesetzt: „Es ist notwendig, daß die bevorstehende Synode in Thüringen ein besonderes Profil erhält und zu einem Vertrauensbeweis für Landesbischof Mitzenheim wird. Dabei muß besonders die Kritik gegen Artikel 4/4 trotz der generellen Zustimmung zum Entwurf deutlich werden.“90 Mit Verlauf und Ergebnis der Synode, die vom 2. bis 5. Mai in Eisenach tagte, konnten die vier nicht ganz zufrieden sein. Denn das Plenum diskutierte durchaus kontrovers über Art. 4,4 und konnte sich nicht zu einer einschränkenden Interpretation des Artikels entschließen; stattdessen wurde es als Aufgabe der Bundessynode bezeichnet, sich verbindlich zu dem Artikel zu äußern91. Für die Bundesordnung votierten die Synodalen hingegen geschlossen. Ebenso stimmten sie mit verfassungsändernder Mehrheit einem Antrag ihres Rechtsausschusses zu, die Thüringer EKD-Synodalen und ihre Stellvertreter von ihrem Mandat zu entpflichten92. Mit diesem, gleich umgesetzten Beschluss wich die Thüringer Kirche von der Absicht der übrigen ostdeutschen Landeskirchen ab, die Mandate erst nach der Bildung des Kirchenbundes gemeinsam niederzulegen. Der Beschluss wurde von manchen EKD-Synodalen aus Thüringen jedoch dahingehend ausgelegt, dass die „Entpflichtung“ erst mit dem tatsächlichen Ende der EKD-Synode rechtswirksam werde93. Um die Ergebnisse der nicht öffentlich tagenden Synode der Öffentlichkeit in einer CDU-Interpretation mitzuteilen, wurde am 11. Mai in der „Neuen Zeit“ ein Gespräch zwischen Kalb, Mitzenheim, Gerhard Lotz und Synodalpräsident Rudolf Lotz veröffentlicht94. Dort wurden die Beschlüsse der Synode als klare Absage an die EKD gedeutet. Gerhard Lotz erklärte:

89 BUND, S. 156. Sieben Wochen später überwies die West-Berliner Regionalsynode einen Antrag, die EKD innerhalb der Bundesrepublik solle durch einen Kirchenbund entsprechend dem in der DDR ersetzt werden und mit diesem in partnerschaftlichen Kontakt treten, an den Ständigen Ordnungsausschuss. Vgl. epd ZA, 23.6.1969, S. 2. 90 Aktenvermerk von Quast vom 18.4.1969 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII/013/2164). 91 Vgl. epd-Vertraulich, 17/1969, S. 6 (PARH). 92 BUND, S. 157. 93 Vgl. epd-Vertraulich 17/1969, S. 7 (PARH). 94 Abdruck im KJ 96, 1969, S. 268–271.

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„Selbstverständlich geht es nicht um die Errichtung eines Notquartiers, es geht auch nicht um eine Neuformierung innerhalb der EKD, sondern es geht um eine eindeutige Auflösung der rechtlichen Strukturen, die früher einmal die Kirchen in der DDR und in Westdeutschland verbanden [. . .] Es gibt keine Thüringer Synodalen der EKD mehr. Ich glaube mit dieser Entscheidung unserer Synode ist eine eindeutige Antwort auch auf alle die westdeutschen Spekulationen erteilt, die nur von einem Ruhen, oder einem Einfrieren der EKD und ihrer Organe im Bereich der DDR gesprochen haben.“95

Des Weiteren wurde betont, dass der Bund die Selbstständigkeit der Landeskirchen in keiner Weise einschränke und dass auch in Zukunft Verhandlungen mit den staatlichen Organen von der landeskirchlichen Ebene aus geführt werden könnten. Auch sollten weiterhin landeskirchliche Amtsträger zu politischen Fragen Stellung nehmen können. Mit dieser Äußerung reagierte Mitzenheim auf eine Eingabe der Thüringer Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft an die Synode, in der über öffentliche Äußerungen kirchlicher Amtsträger zu politischen Tagesfragen ohne vorherige Absprache mit Amtsbrüdern geklagt wurde. Ausführlich wiederholte Rudolf Lotz in dem Zeitungsgespräch auch noch einmal die restriktive Auslegung von Art. 4,4, wonach es sich bei den „gemeinsamen Aufgaben“ ausschließlich um theologische und geistliche Fragen handelte, die bei klarer juristisch-organisatorischer Trennung mit den Kirchen und Christen in der Bundesrepublik gemeinsam bearbeitet werden konnten. Und er fuhr fort: „Soviel steht fest: alle Ausschüsse – und auch im Plenum der Synode wurde dem nicht widersprochen – sind der Ansicht, daß baldigst eine authentische offizielle Stellungnahme von kirchlicher Seite zu diesem Artikel erforderlich ist. Die neugewählten Synodalen für die Synode des Bundes sind dringend gebeten worden, eine eindeutige Klärung, wie dieser Artikel auszulegen und anzuwenden sei, zu verlangen und an einer solchen Klärung mitzuarbeiten.“96

Damit wurden in dem Gespräch von den Kirchenvertretern alle Wünsche, die man staatlicherseits an die Synodaltagung gestellt hatte, nachträglich erfüllt. Hier hatte IM Gerhard Lotz doch noch erfolgreiche Arbeit geleistet. Nach Abschluss der Landessynoden konnte die Gründung des BEK in der DDR in ihren letzten Akt gehen. Zunächst aber wurde auf allen Seiten die kirchenpolitische Entwicklung ausgewertet. Am 29. Mai fasste Hermann Kunst für die westlichen Ratsmitglieder den aktuellen Lagestand zusammen:97 Die Regierung der DDR wisse, dass der Bund konstituiert werde und überlege, ihn unter Umständen als einen Fortschritt und als mögliches Instrument des Staat-Kirchen-Verhältnisses zu verstehen. Öffentlich werde der Staat zwar Art. 4,4 immer wieder als verfassungswidrig anprangern, er werde aber nichts dagegen unternehmen, sondern lediglich die Handhabung des Artikels genau kontrollieren. Gegen eine Zusammenarbeit im geistlichen Bereich werde 95 EBD., S. 269. 96 EBD., S. 270. 97 „Bericht zur Lage“ (EZA BERLIN, 742/3).

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er keine Bedenken erheben, sehr heftig aber gegen alles auftreten, was thematisch zur Kammer für öffentliche Verantwortung gehöre. Das Gleiche gelte für sozialkritische Überlegungen. Der Staat torpediere jeglichen Dialog von Christen und Marxisten, da er fürchte, durch solche Unternehmungen könne ein Erosionsprozess wie in der DSSR gefördert werden. Eine Praktizierung von Art. 4,4 im politischen Bereich werde die DDR-Regierung auf keinen Fall erlauben und ein Zuwiderhandeln nicht hinnehmen. Kunst sprach diese Warnung so deutlich aus, um den Ratsmitgliedern klar zu machen, welcher Gefahr sie unter Umständen bei einer weiteren Kooperation der Kammern deren Mitglieder aussetzten. Auch im Staats- und Parteiapparat wurde die Lage analysiert. Am 2. Juni trafen sich Götting, Bellmann, Weise und Quast zu einer kirchenpolitischen Aussprache bei Staatssekretär Seigewasser98. Bellmann bezeichnete die im Rahmen der Differenzierungsarbeit bei der Vorbereitung und Durchführung der Landessynoden erreichten Ergebnisse als „maximal“. Man schlage daher in einer Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED vor, den Bund zur Kenntnis zu nehmen und ihn als Ausgangspunkt für weitere Differenzierung innerhalb und zwischen den einzelnen Kirchenleitungen zu benutzen. Für ihr weiteres Vorgehen legten die fünf folgende Schritte fest: Es sollte mit allen Mitteln auf eine Interpretation von Art. 4,4 durch die Bundessynode entsprechend des Interviews in der „Neuen Zeit“ vom 11. Mai gedrängt werden. Von einer Streichung war nicht mehr die Rede. Man hatte offensichtlich eingesehen, dass die Kirchen um ihrer Glaubwürdigkeit willen dazu unter keinen Umständen bereit waren. Im Hinblick auf Berlin-Brandenburg wollte man allerdings bei der Forderung nach einer klaren Trennung der Ostregion von West-Berlin bleiben. Auch sollten die ostdeutschen Ratsmitglieder weiter darauf hingewiesen werden, dass die EKD-Ratsmitgliedschaft mit dem Bund unvereinbar sei. In Thüringen wollte man Kirchenrat Walter Saft als Bischofsnachfolger aufbauen, da Braecklein nach seinem Auftreten auf der Synode für die Kirchenpolitiker aus ihren Überlegungen um die Bischofsnachfolge ausschied. Einen Tag nach diesem Gespräch der Kirchenpolitiker von SED und CDU ließ sich Quast von Stolpe über das weitere kirchliche Vorgehen und die laufenden Personalüberlegungen informieren99. Hinsichtlich Art. 4,4 soll Stolpe in diesem Gespräch geäußert haben, dass die Bundessynode die thüringische Interpretation akzeptieren werde. Unter dem Vorsitz von Beste tagte am 10. Juni letztmals die alte KKL100. Die bevollmächtigten Vertreter der acht Landeskirchen unterzeichneten die Bundesordnung101, beriefen zehn Bundessynodale und kündigten die konstituierende Synode des Bundes für den 10. bis 15. September an102. Zu einer harten Auseinandersetzung kam es über

98 Niederschrift über das Gespräch, 3.6.1969 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII/013/2164). 99 Aktenvermerk von Quast, 5.6.1969 (EBD.). Ein weiteres Gespräch fand am 26.6.1969 statt. Vgl. Aktenvermerk von Quast, 26.6.1969 (EBD.). 100 Niederschrift über die Sitzung in Schwerin (EZA BERLIN, 102/13). 101 Der Wortlaut der Ordnung ist abgedruckt in: BUND, S. 33. 102 Vgl. Verlautbarung der KKL vom 10.6.1969 in: BUND, S. 158.

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das Interview der Thüringer Kirchenvertreter in der „Neuen Zeit“103. Ringhandt bezeichnete seinen Inhalt als einen „Vertrauensbruch gegenüber den Brüdern im Westen“. Öffentlich, d. h. durch Schreiben an die Gemeindekirchenräte mit Abkündigungsempfehlung, wurde dem Inhalt des Interviews von Seiten der KKL aber nicht widersprochen. Dies war einer von zehn Kritikpunkten, die Johannes Hamel am 29. Juni in einem Brief an seine Kirchenleitung und das Propstkollegium benannte. Insgesamt bezeichnete Hamel den Weg in den BEK als eine „verhängnisvolle Fehlentscheidung, vergleichbar der Gründung der DEK 1933.“104 Bischof Beste informierte den EKD-Ratsvorsitzenden Dietzfelbinger erst am 30. Juni offiziell über die Inkraftsetzung der Bundesordnung und äußerte dabei die Vermutung, „daß der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland bestimmte Folgerungen ziehen wird.“105 Drei Wochen später legten die westlichen Ratsmitglieder anhand von Vorschlägen, die Hammer schriftlich und mündlich formuliert hatte106, ihr weiteres Vorgehen fest: In der Öffentlichkeit wollten sie sich zunächst nur dahingehend äußern, dass der Rat vom Inkrafttreten der Ordnung des Bundes Kenntnis genommen habe107. Zum Verhältnis zwischen EKD, Bund und ÖRK sollte sich zuerst der Bund äußern. Ein besonderes Problem stellte die Frage dar, ob nun auch ein Bund der evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik gegründet werden sollte. Die Ratsmitglieder hielten sie nur im Kontext der übergeordneten Frage nach der künftigen Gestalt der EKD für beantwortbar und gaben als Grundlage für eine Entscheidung je ein rechtliches und ein theologisches Gutachten in Auftrag108. Hammer hatte in seinem Ratsvortrag gegen die Gründung eines westdeutschen Bundes argumentiert. Zum aktuellen Zeitpunkt rechnete er bei einer solchen Gründung nicht mit ekklesiologischen Fortschritten gegenüber der erreichten Verfassungswirklichkeit der EKD, sondern eher mit Rückschritten. Eine Auflösung der EKD war seiner Ansicht nach mit großen und langwierigen rechtlichen Schwierigkeiten verbunden, die in keinem Verhältnis zum Wert einer etwaigen Neugründung standen. Zudem glaubte er nicht, dass ein neu gegründeter westlicher Bund von dem ostdeutschen Vorwurf der „Alleinvertretungsanmaßung“ verschont werden würde. Als weiteres Argument führte er an, dass in den Ordnungen der östlichen Kirchen die Bestimmungen über die Gliedschaft in der EKD nicht gestrichen waren. Damit sah er eine ambivalente Rechtslage gegeben, der nicht vom Westen aus jeglicher Boden entzogen werden sollte. In der Frage der Überleitung von Rechten und Pflichten von der EKD auf den Bund rieten die westlichen Ratsmitglieder dringend dazu, von Einzelvereinbarungen und 103 EI vom 10.6.1969 über die KKL am 10.6.1969 (BStU BERLIN, MfS HA XX/4–1233). 104 Abschrift (EZA BERLIN, 650/95/102). Abdruck in voller Länge bei G. BESIER, SED-Staat, 1969–1990, S. 37f. 105 Abdruck des Schreibens in: KJ 96, 1969, S. 255. 106 Walter Hammer: Vortragsnotiz zu Punkt 14 der TO für die Sitzung des Rates der EKD am 21./22.7.1969 in Stuttgart (EZA BERLIN, 650/95/38). 107 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 21./22.7.1969 (EZA BERLIN, 2/1773). 108 Um das rechtliche Gutachten wurde Scheuner gebeten. Von einem theologischen Gutachten war später nicht mehr die Rede.

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Erklärungen der EKD-Organe in der DDR Abstand zu nehmen und sich auf einen Grundsatzbeschluss der Bundessynode zu den Überleitungsfragen zu beschränken. Der Ratsausschuss, der für die Regelung der Überleitungsfragen bereits am 26. Juni eingesetzt worden war, beschäftigte sich daher Anfang August mit folgendem Entwurf eines solchen Grundsatzbeschlusses: „1) Der Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik übernimmt die Verpflichtungen, die der Evangelischen Kirche in Deutschland in vermögensrechtlicher und dienstrechtlicher Hinsicht im Bereich der Deutschen Demokratischen Republik bisher oblagen, mit Wirkung vom 1. Oktober 1969. Er tritt auch in die übrigen Rechte und Pflichten ein, die der Evangelischen Kirche in Deutschland im Bereich der Deutschen Demokratischen Republik zustehen. Die Konferenz der Kirchenleitungen des Bundes, vertreten durch ihren Vorstand, wird ermächtigt, die hierfür erforderlichen Einzelregelungen zu treffen. 2) Mit der Annahme dieses Beschlusses haben die Organe der EKD (Synode, Rat, Kirchenkonferenz) für die Evangelischen Kirchen in der DDR keine Funktionen mehr wahrzunehmen. An ihre Stelle treten die Organe des Bundes.“109

Der Beschluss hatte mehrere Funktionen: – Er ermöglichte es, von klaren rechtlichen Vereinbarungen zwischen der EKD und dem Bund in allen Rechts- und Finanzangelegenheiten abzusehen.

– Er stellte eine Inanspruchnahme der Rechte und Pflichten durch den Bund dar, wodurch ein „EKD-Geburtsfehler“ in Gestalt der Übertragung von Rechten und Pflichten der EKD auf den Bund vermieden wurde110. Der Bund nahm sich seine Kompetenzen durch einen „quasi-revolutionären Akt“, ohne dass die Organe der EKD hierbei mitwirkten, freilich auch keinen Widerstand dagegen leisteten. Mit einem Grundsatzbeschluss der Bundessynode wäre der Bund in allen Angelegenheiten der EKD handlungsfähig. – Weiter entband er Rat und Synode der EKD davon, die Einstellung der Arbeit der Organe der EKD in der DDR öffentlich festzustellen. Den einzelnen Mitgliedern von Rat und Synode blieb es freigestellt, für ihre Person zu erklären, dass sie ihr Mandat niederlegten.

Die östlichen Ratsmitglieder folgten jedoch nicht dem Appell ihrer westlichen Ratskollegen, sondern entwarfen auf ihrer letzten Sitzung Ende August neben einem Grundsatzbeschluss der Bundessynode auch eine „Vereinbarung“ zwischen dem Rat der EKD im Bereich der DDR und dem Vorstand des BEK, eine Erklärung der ostdeutschen Ratsmitglieder sowie einen Brief von Präses Figur an die ostdeutschen Synodalen der EKD111. Der Ratsvorsitzende sowie die Kirchenkanzlei in Hannover ließen daraufhin mündlich ihre „großen Sorgen“ über die Entwürfe übermitteln112. Die Be109 Abschrift eines Aktenvermerks über die Sitzung am 4.8.1969, an der Johannes, Woelke, Lingner und Behm teilnahmen (EZA Berlin, 4/23). 110 Vgl. hierzu Vortragsnotiz von Hammer zu Punkt 14 der TO für die Sitzung des Rates der EKD am 21./22.7.1969 (EZA BERLIN, 650/95/38). 111 Niederschrift von Behm über die Sitzung der östlichen Ratsmitglieder am 26.8.1969 sowie Bericht von Lingner über die Sitzung (EZA BERLIN, 650/95/102 und 38). Alle drei Textentwürfe EBD. 650/95/38. 112 Vermerk von Behm betr. Übergabe von Rechten der EKD an den Bund vom 4.9.1969 (EZA BERLIN, 4/23).

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denken richteten sich gegen Passagen der „Vereinbarung“, der Erklärung der Ratsmitglieder und in Figurs Brief: Aus den „Vereinbarungen“ sollten aus rechtlichen Gründen die Passagen über den Verzicht der EKD auf Kollekten und Umlagen im Gebiet der DDR und die Bevollmächtigung von Kurt Johannes und Willy Woelke zur Vereinbarung notwendiger Einzelregelungen gestrichen werden. Im Entwurf der Erklärung der Ratsmitglieder wollte man den Eindruck vermieden wissen, der Bund habe die Verantwortung für die Gemeinschaft der Gliedkirchen in der DDR von der EKD „übernommen“, d. h. er sei an die Stelle der EKD getreten, was zwar faktisch aber nicht rechtlich der Fall war. Ähnliche Kritik wurde am Schreiben von Präses Figur geübt, wo man explizit eingefügt wissen wollte, dass die Synode des Bundes nur „die der Synode der EKD in ihren regionalen Tagungen (Ost) obliegenden Aufgaben“ aufnahm. Krummacher reagierte auf die Änderungsvorschläge mit der Bemerkung, der „Westen“ vertrete einen „formal-juristischen Standpunkt“. Er sehe den Bund nur als „Gegenüber“, demgegenüber es Rechte zu wahren galt. Die östlichen Ratsmitglieder hingegen sähen in dem Bund den „Partner“, dem sie die Arbeit erleichtern wollten, damit er „wirklich kirchlich“ handeln konnte113. Trotz dieser Kritik wurden letztlich aber fast alle Änderungswünsche des Rates in der Endfassung der Erklärungen berücksichtigt. Auf ihrer allerletzten Sitzung hatten die östlichen Ratsmitglieder der EKD auch über die Zukunft der gesamtkirchlichen Ausschüsse und Kammern gesprochen und schließlich für deren Weiterarbeit plädiert114. Gleichzeitig votierten sie aber gegen die Publikation der Ergebnisse eines gesamtdeutsch besetzten Theologischen Unterausschusses der Kammer für öffentliche Verantwortung115, der von 1966 bis 1969 zum Thema „Kriegsverhütung und Friedenssicherung“ gearbeitet hatte. Der von der Kammer geplante Sammelband sollte in einem einführenden Bericht auf den gesamtdeutschen Entstehungszusammenhang hinweisen. Für den Textteil waren vorgesehen: 1. die Referate, die im Unterausschuss von ost- und westdeutschen Theologen gehalten wurden; 2. die gemeinsam erarbeitete Thesenreihe „Der Friedensdienst der Christen“, in der zum Stand der Diskussion über Friedensethik, zu offen gebliebenen Fragen und zu zukünftigen theologischen Aufgaben Stellung genommen wurde. Die beiden letzten Thesen der Reihe („Seelsorge an Wehrpflichtigen“, „Ausbau der Friedensdienste“) waren ganz auf die Situation in der Bundesrepublik zugeschnitten. Sie vermieden bei der theologisch-ethischen Beurteilung des Wehrdienstes bzw. des Wehrersatzdienstes, die als zwei Formen des Friedensdienstes verstanden wurden, jede Akzentverschiebung zugunsten der einen oder anderen Seite. Die Thesenreihe wurde von den westlichen Kammermitgliedern allein verantwortet. Es hatte sich gezeigt, dass gemeinsam keine konkreten Aussagen mehr möglich waren. Um den gesamtkirchlichen Charakter 113 Vermerk von Behm über ein Gespräch mit Krummacher am 6.9.1969 in Greifswald (EBD.). 114 Niederschrift von Behm über die Sitzung der östlichen Ratsmitglieder am 26.8.1969 sowie Bericht von Lingner über die Sitzung (EZA BERLIN, 650/95/102 und 38). 115 Ihm gehörten an: Danielsmeyer, Falcke, Klemm, Locher, Pflugk, Putz, Verwiebe, Voigt (EZA BERLIN, 2/1357).

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der geplanten Veröffentlichung dennoch zu wahren, sollte 3. die Handreichung der KKL für Seelsorge an Wehrpflichtigen „Zum Friedensdienst der Kirche“ von 1965 als Gegenstück aufgenommen werden116. Dafür sprach, dass die Verfasser der Handreichung an der Thesenreihe und durch Referate an der Publikation wesentlich beteiligt waren. Während die ostdeutschen Ausschussmitglieder mit dem Abdruck der Handreichung einverstanden waren117, lehnten ihn die östlichen Ratsmitglieder ab. Sie befürchteten, dass das Erscheinen des geplanten Sammelbandes und vor allem der Abdruck der Handreichung nicht nur die einzelnen östlichen Ausschussmitglieder gefährdeten, sondern auch die ganze kirchliche Partnerschaft zwischen Ost und West. Art. 4,4 sollte nicht gleich mit einem der „heißesten Eisen“ praktiziert werden118. Es sollten daher weder die Handreichung noch die Referate der ostdeutschen Theologen abgedruckt werden und auch nicht erwähnt werden, dass es sich bei den Thesen um eine Gemeinschaftsarbeit von Ost und West handelte119. Auf staatlicher Seite nutzte man die Phase zwischen der Inkraftsetzung der Bundesordnung und der Tagung der konstituierenden Synode, um auf die weitere kirchliche Entwicklung Einfluss zu nehmen. So erklärte Seigewasser am 17. Juli Stolpe, unter welchen Voraussetzungen der Staat bereit sei, Kontakte mit dem Bund aufzunehmen120. Er verlangte, dass die ostdeutschen Ratsmitglieder und Synodalen der EKD ihre Mandate niederlegten, der Ostteil der berlin-brandenburgischen Kirche vollständig verselbstständigt und die Situation der EKU geklärt wurde. Diese Forderungen waren auch in einer Vorlage „Über die Bildung eines Bundes der Evangelischen Landeskirchen in der DDR und die weiteren Maßnahmen“ enthalten, der das Politbüro des ZK der SED am 25. Juli zustimmte121. Darin wurde zudem verlangt, dass in der Bundesordnung eine eindeutige Trennung von der EKD fixiert wurde und in Ost-Berlin keine Dienststellen der EKD mehr tätig waren. Um diese Ziele zu erreichen, sah die Vorlage folgende Maßnahmen vor: Der Staat sollte auch weiterhin in den Landeskirchen seine Gesprächspartner sehen; einige Theologieprofessoren würden veranlasst werden, eine Erklärung für die Bundessynode auszuarbeiten, die „unter kirchenpolitischen und theologischen Aspekten unsere Verfassungsposition unterstützt.“ Zudem wollte man die Tagung anlässlich der fünften Wiederkehr des Wartburg-Gespräches am 19. August 1969 „zur Darlegung des staatlichen Standpunktes in der Frage des Bundes“ nutzen. Mit dieser von langer Hand geplanten Festveranstaltung versuchte der Staat, noch einmal gezielt auf die Diskussion um das Selbstverständnis des entstehenden Bundes Einfluss zu nehmen. 116 117 118 119 120

Niederschrift über die Sitzung der KföV am 28.2./1.3.1969 (EZA BERLIN, 2/93/935). Vermerk über die Sitzung der KföV am 8.5.1969 in Ost-Berlin (EZA BERLIN, 2/93/936). So Krummacher. Bericht von Lingner über die Sitzung (EZA BERLIN, 650/95/38). Vgl. auch Vermerk von Lingner vom 10.10.1969 (EZA BERLIN, 2/93/936). Aktenvermerk von Quast vom 22.7.1969 über ein Gespräch mit Flint am 21.7.1969 (ACDP ST. AUGUSTIN, VII/013/2164). 121 Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des ZK der SED 29/69 vom 25.7.1969 (BArch BERLIN, DY 30/J IV 2/2/1237). Der Bericht und eine Auswahl der Maßnahmen wurden den 1. Sekretären der Bezirksleitungen und den Vorsitzenden der Räte der Bezirke als vertrauliche Verschlusssache übersandt.

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„Repräsentanten der demokratischen Öffentlichkeit“ sowie circa 80 Teilnehmer aus den Landeskirchen von Thüringen, Mecklenburg und Anhalt zelebrierten hier den Grundsatz von der „gemeinsamen humanistischen Verantwortung“122. Mitzenheim hielt eine Grußansprache, in der er die Kontinuität der gemeinsamen Verantwortung von Marxisten und Christen beim sozialistischen Aufbau betonte. Seigewasser verlangte in seinem Grundsatzreferat nun öffentlich, dass sich der Bund „kirchenorganisatorisch, kirchenrechtlich und geistig“ von der EKD trennen musste123. Er nannte alle vom Politbüro beschlossenen Forderungen an den Bund, selbstverständlich ohne diesen Beschluss selbst zu erwähnen. Am Ende der Veranstaltung verabschiedeten die Teilnehmer einen Brief an Ulbricht, in dem sie dankbar feststellten, dass das Bewusstsein der gemeinsamen humanistischen Verantwortung mehr und mehr leitendes Motiv des politischen und gesellschaftlichen Handelns aller DDR-Bürger geworden sei. Ulbricht antwortete am 20. August mit einem Schreiben an Mitzenheim, um die „progressiven“ Kräfte in den Kirchen zu stützen124. Die Zeitungen in der DDR berichteten ausführlich über die Veranstaltung auf der Wartburg. Der Nationalrat der Nationalen Front verbreitete die Vorträge als Broschüre in großer Stückzahl unter kirchlichen Mitarbeitern125. Auch in einigen Kirchenblättern in der DDR erschienen Darstellungen und Kommentierungen. Der Chefredakteur der „Mecklenburgischen Kirchenzeitung“ Werner Schnoor las in seinem Kommentar aus Seigewassers Äußerungen ein Angebot an die Kirchen heraus: „Aus den Ausführungen, die Staatssekretär Seigewasser in seiner Rede auf der Wartburg machte, entnehmen wir insbesondere, daß unser Staat es mit einer Kirche zu tun haben möchte, die nunmehr auch in spezieller kirchenrechtlicher Hinsicht ihre Angelegenheiten unabhängig, in eigener Verantwortung und mit selbständigen Organen ordnet. Auf dieser Basis würden gute Beziehungen zwischen Staat und Kirche keine Illusion sein, sondern die Entwicklung der Beziehungen könnte sich als positiv erweisen.“126

Vom 10. bis 14. September fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit die erste Tagung der ersten Synode des BEK in Potsdam-Hermannswerder statt. Nur ungefähr ein Viertel ihrer Mitglieder hatte auch schon der Synode der EKD angehört127. Mit einem Durchschnittsalter von 44,5 Jahren waren die 60 Synodalen auffallend jung – in der Synode der EKD betrug zur gleichen Zeit der Anteil der unter 45jährigen nur 7,5 %128. Die Synodalen aus der mittleren und jüngeren Generation bestimmten auch die thematische Ausrichtung der Bundestagung. Für sie standen Fragen der Strukturveränderung der Kirche und ihres Dienstes in der DDR im Zentrum129. Viele von ihnen 122 Vgl. KJ 96, 1969, S. 201–211. 123 EBD., S. 208. 124 EBD., S. 212. 125 Vgl. SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 24. 126 KJ 96, 1969, S. 213. 127 Vgl. EBD., S. 261. 128 Vgl. epd ZA, 14.5.1969, S. 2. 129 Vgl. Richtlinienbeschluss der Bundessynode. Abdruck in: BUND, S. 164f. und epd-Vertraulich 26/1969, S. 2 (PARH).

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hatten Anteil an einer Strukturdiskussion, die schon Anfang der sechziger Jahre in kirchlichen Kreisen der DDR begonnen hatte130. Diese setzte bei der zunehmenden Entkirchlichung in der säkularistischen Gesellschaft der DDR an und verband sich mit Überlegungen, die aus der Ökumene kamen und vom Sendungsauftrag der Kirche (missio) im Horizont der Verheißung des Heils für die Welt als ihrem Wesensmerkmal ausgingen. Einzelne aus der DDR hatten auch aktiv an den ökumenischen Strukturdebatten teilgenommen131. Auf Empfehlung des ÖRK war bereits 1963 eine „Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Strukturfragen der Gemeinde in der DDR“ (ÖkAG) gebildet worden, der anfangs 18, später 24 Mitglieder angehörten. Vorsitzende waren Werner Krusche und Johannes Hamel (später Pfarrer Dietrich Mendt), Sekretär war Johannes Althausen. Die ÖkAG war die erste selbstständige theologische Arbeitsgruppe der DDR, die innerhalb eines ökumenischen Studienprogrammes tätig wurde. Vornehmlich über sie erfolgte in den DDR-Kirchen die Rezeption der Ergebnisse der nordamerikanischen und der westeuropäischen Arbeitsgruppe des Studienprogramms über die missionarischen Strukturen der Gemeinde und deren Reaktionen auf den westlichen Prozess der Modernisierung und Säkularisierung. Sowohl im Schlussbericht der westeuropäischen Arbeitsgruppe „Die Kirche für andere im Ringen um Strukturen missionarischer Gemeinden“ als auch im „Zwischenbericht“ der ÖkAG von 1966 wurde die Säkularisierung nicht nur als Herausforderung für die Kirchen, sondern auch in ihrem Wesen als gesellschaftliche Differenzierung beschrieben132. Als Reaktion auf die veränderte gesellschaftliche Situation wurde in beiden Texten gefordert, die kirchlichen Strukturen dem spezifischen Kontext entsprechend auszurichten, damit dem kirchlichen Auftrag der Verkündigung und Seelsorge besser entsprochen werden konnte. Dies setzte eine empirische Bestandsaufnahme und Situationserkundung voraus. Am Kirchenbund interessierte diese Kirchenvertreter mittleren und jüngeren Alters vornehmlich, wie man in ihm mit dem Ziel einer Neustrukturierung der Kirche entsprechend gesellschaftlicher Gegebenheiten wirksam arbeiten konnte. So bildeten die beiden ersten Absätze von Art. 1 der Bundesordnung – Vertiefung der Zusammenarbeit der Landeskirchen, Zusammenwachsen in der Einheit und Gemeinsamkeit des christlichen Zeugnisses und Dienstes – das eigentliche Thema der Synode. Im „Richtlinienbeschluß der Bundessynode“ kamen die Intentionen dieser Synodalen deutlich zum Ausdruck133. Hier war von der „Intensivierung der evangelisatorisch-missionarischen Aktivität“ die Rede, die „gemeinsame theologische Arbeit an den Grundlinien der Verkündigung des Evangeliums in der gegebenen geschichtlichen Situation“ und eine „soziologische Fragestellungen einschließende Situationsanalyse“ erfordere. Fragen nach dem Verhältnis zwischen den ost- und westdeutschen Kirchen standen 130 Zur Diskussion in Sachsen vgl. P. BEIER, Gemeinde, S. 103–123. 131 Zu dieser Debatte vgl. W. RATZMANN, Gemeinde, S. 191–204; M. HASPEL, Protestantismus, S. 110–116. 132 Vgl. M. HASPEL, Protestantismus, S. 120ff. 133 Abdruck in: GRÜNDUNG, S. 164f.

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für viele der neuen Synodalen nicht im Zentrum ihres Interesses. Die gemeinsamen Erinnerungen an den „Kirchenkampf“ in der NS-Zeit und die Gemeinsamkeiten der ersten Nachkriegsjahre waren für sie Geschichte. Von der EKD als kirchlicher Gemeinschaft zwischen Ost und West versprachen sie sich zumeist keine Hilfe mehr für die Erfüllung der Anforderungen und Aufgaben in der DDR134. Im Anschluss an die Synode kritisierte Bischof Fränkel, selbst Geburtsjahrgang 1909, dass bei den jungen Synodalen die Wirklichkeit der Gemeinschaft der EKD verblasst sei; ihre Vorstellungen davon seien von der staatlichen Propaganda geformt135. Folglich hätten sie kaum Verständnis für die Situation der ostdeutschen Ratsmitglieder der EKD und das komplizierte Verfahren der Synode gezeigt. Die Synode war zur Klärung der rechtlichen und organisatorischen Selbstständigkeit in sechs Schritten vorgegangen: 1. Ankündigung des Präses der Synode, dass die Organe der EKD eine Erklärung abgeben werden, wenn die Synode ihrerseits eine Erklärung hinsichtlich der Weiterführung der früheren Aufgaben der EKD abgeben würde; 2. entsprechender Beschluss der Synode; 3. Verlesung der Schreiben der ostdeutschen Mitglieder des Rates der EKD; 4. Erklärung der ostdeutschen Mitglieder des Rates der EKD über das Erlöschen ihrer Funktion; 5. Information über das Schreiben des Präses der EKD-Synode über die Erledigung der Funktion der Synodalen; 6. Schlussansprache des Präses der Synode.

Alles verlief nach Plan. Die Synodalen stimmten der Beschlussvorlage des Überleitungsausschusses einstimmig und ohne Diskussion zu136. Darin erklärte die Synode, dass der Bund „nach Maßgabe seiner Ordnung die bisher der EKD im Bereich der DDR obliegenden, vermögensrechtlichen und dienstrechtlichen Verpflichtungen“ übernahm137. Indem die Synode bestimmte Rechte und Verpflichtungen der EKD für den Bund übernahm, schuf sie – wie in Vorbereitungsgesprächen vereinbart – die Voraussetzung dafür, dass die ostdeutschen Ratsmitglieder ihrerseits eine Überleitungserklärung und anschließend ihren Rücktritt unterschreiben konnten. Der Präses der Synode, Ingo Braecklein, verlas in der Schlusssitzung die beiden Erklärungen. In der ersten hieß es, dass die EKD dem Bund ihr gesamtes in der DDR liegendes Vermögen einschließlich des Inventars der Kirchenkanzlei „überträgt“, die Evangelische Kirchenkanzlei mit dem 30. September 1969 aufgelöst werde und dass Johannes und Woelke „durch Beschluss vom 26.8.1969“ beauftragt worden waren, Einzelregelungen zur Durchführung, Ausführung und Ergänzung der Erklärung mit dem Bund zu vereinbaren. Die Verzichtserklärung der EKD auf die gesamtkirchlichen Kollekten und gliedkirchlichen Umlagen war auf Wunsch des Rates der EKD doch noch gestrichen worden. In der zweiten verlesenen Erklärung wurde von den ostdeutschen Ratsmit134 135 136 137

Vgl. E. WILKENS, EKD, S. 217. Fränkel gegenüber Lingner. Vermerk von Lingner vom 11.10.1969 (EZA BERLIN, 650/95/102). epd-Vertraulich 26/1969, S. 7 (PARH). KJ 96, 1969, S. 273.

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gliedern „festgestellt“, dass ihre „Funktion“ und „Tätigkeit“ als Mitglieder des Rates der EKD beendet waren. Beide Erklärungen gingen mit einem Anschreiben am 14. September an den Ratsvorsitzenden der EKD. Darin hieß es zur zweiten Erklärung, sie sei den ostdeutschen Ratsmitgliedern „unerhört schwer gefallen; aber sie war für den gemeinsamen Dienst der Gliedkirchen in der DDR unerläßlich. Sie ist uns etwas erleichtert durch die Tatsache, daß die Synode des Bundes am Art. 4,4 seiner Ordnung festhält.“138 Braecklein unterrichtete die Synode auch über das Schreiben von Präses Figur an die EKD-Synodalen im Bereich der DDR, in dem „vom Präsidium der regionalen Synodaltagung (Ost)“– ebenfalls entsprechend passivisch formuliert – „festgestellt“ wurde, dass die „Funktion“ und „Tätigkeit“ der Synodalen „ihr Ende gefunden haben.“ Die synodale Verantwortung für die Gemeinschaft der acht Gliedkirchen in der DDR läge nunmehr bei der Synode des BEK. Ein Beschluss zur Änderung oder Interpretation von Art. 4,4 wurde von der Synode nicht gefasst, obgleich im Vorfeld Staats- und Parteivertreter mit einem Drittel der Synodalen sowie mit Noth, Schönherr und Beste diesbezüglich Gespräche geführt hatten139. Auch in einigen von der SED und Ost-CDU bestellten Schreiben, die u. a. zahlreiche Hochschullehrer und verschiedene Theologische Fakultäten an Beste gerichtet hatten140, war ein solcher Beschluss gefordert worden. Die Eingaben wurden aber nur in einem Unterausschuss des Richtlinienausschusses der Synode verlesen. Neben den Forderungen bzgl. Art. 4,4 enthielten sie auch die Bitte, dass die Bundessynode die EKU und die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg auffordern sollte, sich von ihren Westteilen zu trennen. Weiter wurde dafür plädiert, dass der Kirchenbund die Fürstenwalder Erklärung für ungültig erklären sollte, um seine Glaubwürdigkeit als eine auf dem Boden der DDR-Verfassung stehende Organisation zu unterstreichen. Kein Mitglied des Synodalausschusses machte sich jedoch zum Fürsprecher dieser Forderungen, auch nicht die Thüringer Synodalen. Als Ergebnis hielt der Ausschuss fest, dass der Art. 4,4 keiner Interpretation bedürfe141: Er sei klar abgefasst, die in ihm zum Ausdruck gebrachte Absicht sei unaufgebbar und eine Interpretation der Synode könnte der künftigen Praxis Grenzen setzen. Auf die Ausführungen von Seigewasser und die Frage nach dem Verhältnis zu den westdeutschen Schwesterkirchen reagierte die Synode letztlich in pragmatischer Weise: Sie gab keine Interpretation von Art. 4,4, verzichtete aber auch darauf, an die westdeutschen Kirchen eine Grußadresse zu richten. Diese korrespondierende, doppelte Unterlassung erfolgte fast ohne Diskussion142. Fränkel bedauerte jedoch nach der Tagung, dass die Synode zu dem verzerrten Bild der Kirchen in der Bundesrepublik in den staatlichen Publikationen geschwiegen hatte143. Er mutmaßte, ob es einen geheimen Zusammenhang zwischen dem Schweigen der Synode zu den unwahren Be-

138 139 140 141 142 143

EBD., S. 274. H. DOHLE, Grundzüge, S. 72. Vgl. G. BESIER, Nebenbühne, S. 218. Vgl. Vermerk Lingners vom 11.10.1969 (EZA BERLIN, 650/95/102). EBD. Fränkel gegenüber Lingner. EBD.

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richten über die westdeutschen Kirchen und der Zurückhaltung der Thüringer Synodalen in den Diskussionen um Art. 4,4 gegeben hatte. Ganz ohne eine Stellungnahme zu Art. 4,4 ging die Synode dennoch nicht zu Ende. In seinem Schlusswort ging Präses Braecklein ausführlich auf ihn ein und bat die Synodalen, „im Auge zu behalten, was wir bei der Begründung des Bundes versucht haben, im Artikel 4 auszusprechen. Wir haben ausgesprochen, daß wir durch die Gesetzgebung des Staates, in dem wir nach Gottes Ratschluß leben, genötigt sind, die organisierte Verbindung, wie wir sie geschenkt bekommen hatten, nicht mehr ausführen zu können und darum eine selbständige Organisation schaffen zu müssen. Wir haben darin zum Ausdruck gebracht, daß bei aller Annahme der Lage, in die wir gebracht worden sind, wir das, was in diesem Artikel etwa mit dem Stichwort spezifische Gemeinschaft bezeichnet wird, weder aufkündigen noch aufgeben, noch in irgendeiner Weise anzweifeln wollen. Wir sind als Deutsche evangelischen Glaubens durch Sprache, Geschichte und Bekenntnis in einer anderen Gemeinschaft, als sie uns etwa mit den Kirchen gleichen Bekenntnisses in der Ökumene gegeben ist. Und wir können in [sic!] Art. 4, ich spreche hier als Mitglied der Strukturkommission, nur so ehrlicher Weise interpretieren, daß es uns ernst war mit der Selbständigkeit des Organs des Bundes, daß wir aber ebenso leidenschaftlich daran festhalten, daß die Gemeinschaft des Dienstes, des Glaubens, der theologischen Arbeit, die uns mit den Kirchen und auch anderen Evangelischen des deutschen Vaterlandes verbindet, erhalten werden, daß wir nur darum bitten können, daß diese Gemeinschaft immer mehr in uns gefestigt und vertieft wird.“144

Braeckleins Interpretation von Art. 4,4 unterschied sich insofern von der offiziellen thüringischen Lesart, dass er die Gemeinschaft des Dienstes, an der festgehalten werden sollte, in den Vordergrund stellte. In der „Mitteilung für öffentliche Berichterstattung“, die von kirchlicher Seite über den Verlauf der Synodaltagung und ihre Ergebnisse informierte, waren diese Aussagen Braeckleins jedoch nicht enthalten145. Im Anschluss an die Synodaltagung trat am 15. September die neu gebildete Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR zu ihrer ersten Sitzung zusammen und wählte Schönherr, den Architekten des Bundes, zu ihrem Vorsitzenden und Stolpe zum Generalsekretär des BEK146. Die Konferenz beschloss, dass nach dem Erlöschen der Aufgaben und Zuständigkeiten der EKD im Bereich der DDR die bestehenden Kammern und ähnlichen Einrichtungen unter ausschließlicher Verantwortung des Bundes als von der Konferenz eingesetzte Ausschüsse weiterarbeiten sollten, bis eine endgültige Arbeitsregelung dieser Gremien festgelegt wurde147. Der Leiter des Sekretariats wurde beauftragt, die erst zum 30. September zur Auflösung anstehende Evangelische Kirchenkanzlei sofort im Namen des Bundes „in Besitz zu nehmen“, was kurz darauf erfolgte. Die Loslösung der ostdeutschen Kirchen von der EKD und ihr Zusammenschluss 144 145 146 147

KJ 96, 1969, S. 264. EBD., S. 261ff. Verlautbarung über die Vorstandswahl der KKL vom 15.9.1969. Abdruck in: BUND, S. 169f. epd-Vertraulich 26/1969, S. 8 (PARH).

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im BEK war 1969 auch das zentrale Thema bei den Ost-West-Begegnungen der evangelischen Jugend148. Die Meinungen tendierten dahin, den neuen Kirchenbund zu bejahen oder ihn zumindest als eine Notwendigkeit anzuerkennen. Vereinzelt wurde aber auch kritisiert, dass es sich um einen übereilten Entschluss gehandelt habe und die Gemeinden und einzelnen Synoden „überfahren“ worden seien. Über das zukünftige Verhältnis von Kirchenbund und Staat herrschte große Unsicherheit. Ebenso war man sich darüber unklar, wie die Verbundenheit der Christen in beiden deutschen Staaten zukünftig Gestalt gewinnen sollte. In vielen Gesprächen versicherten die Teilnehmer einander, dass lediglich eine rein organisatorische Trennung stattgefunden habe und von einer geistigen Trennung der Kirchen in Ost und West nicht gesprochen werden konnte. Andere sahen jedoch eine Auseinanderentwicklung zwischen den Kirchen in beiden Teilen Deutschlands und bedauerten dies. Einzelne befürchteten auch eine „innere Trennung der Christen“. Für den Bereich der evangelischen Jugend wünschten sich die ost- und westdeutschen Jugendlichen einhellig, dass die Begegnungsarbeit fortgeführt wurde. Im Jahr der Bundesgründung selbst hatten die Begegnungen quantitativ nicht etwa ab, sondern zugenommen, so dass insgesamt 3.475 westdeutsche junge Erwachsene und Mitarbeiter aus der Jugendarbeit an 317 Begegnungen teilgenommen hatten149. Völliges Desinteresse herrschte unter den Begegnungsteilnehmern gegenüber der Zukunft der EKD nach der Verselbstständigung der ostdeutschen Gliedkirchen. Keiner der Berichte ging darauf ein. Die EKD stand nach Abschluss der Bundesgründung aber vor der Aufgabe, die neue Situation zu interpretieren und auf sie zu reagieren. Die kirchenrechtliche Lage war nicht eindeutig, es gab vielmehr drei Möglichkeiten der Interpretation: 1. die völlige Abtrennung der bisherigen östlichen Gliedkirchen ohne jeden Rechtsbezug auf die EKD; 2. der Verbleib der östlichen Gliedkirchen in einer Lage, in der sich die Lösung vom institutionellen Zusammenhang mit den westlichen Gliedkirchen noch innerhalb der Ordnung der EKD hielt, deren latente Fortgeltung nur regional reduziert war; 3. die Selbstständigkeit des neuen Bundes der östlichen Gliedkirchen in rechtlicher Hinsicht, die aber nicht ausschloss, dass er in einer engeren geistlichen und geschichtlichen Gemeinschaft mit den Kirchen der Bundesrepublik verblieb, die keine volle Auflösung aller Bindungen bewirkte.

Ulrich Scheuner riet in seinem vom Rat der EKD angeforderten „Bericht über die rechtliche Bedeutung der Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik für die Evangelische Kirche in Deutschland“ 148 Vgl. Auszug aus dem Sachlichen Bericht über die Ost-West-Begegnungen und Ost-West-Begegnungsseminare in Berlin, Ost-West-Gruppenbesuche und Ost-West-Einzelbesuche in der DDR der AGEJD, Berichtszeitraum: 1.1.–30.6.1969 (EZA BERLIN, 650/95/53); Sachlicher Bericht [. . .], Berichtszeitraum: 1.7.–31.12.1969 (Aaej HANNOVER, Zusammenfassende Sachberichte 1966–1974). 149 Sachlicher Bericht [. . .], Berichtszeitraum: 1.7.–31.12.1969 (EBD.).

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vom 25. September zur dritten Lagebeurteilung150. Danach war die Gründung des Bundes der Vollzug einer aus eigener Ableitung erfolgten Verselbstständigung der Kirchen in der DDR, die das verfassungsrechtlich-organisatorische Band zur EKD gelöst hatten. Die EKD war in ihrem Fortbestand nicht berührt, nur hörte faktisch deren Möglichkeit zum Handeln innerhalb der DDR auf. Aber sie bestand als solche in einem räumlich begrenzten Rahmen – Bundesrepublik und Berlin (West) – fort. Laut Scheuner ließ diese Lösung manche rechtliche Folgerungen im Unklaren. Indem es sich bei der Bundesgründung nicht um eine Lostrennung, sondern um eine Neubildung handelte, war der Bestand gewisser, wenn auch nicht mehr institutionell-organisatorisch verdeutlichter Bande mit der EKD denkbar. Der Bonner Hochschuljurist hielt es aber nicht für ratsam, diesen Punkt in der gegenwärtigen Situation in allen Details klären zu wollen und empfahl, diese Fragen vorerst auf sich beruhen zu lassen. Dagegen mussten nach Scheuners Auffassung die Konsequenzen der organisatorischen Neubildung vom Westen aus offen gezogen werden, indem – dem Vorbild der VELKD folgend – der Fortfall aller Wirksamkeit der Grundordnung oder jedenfalls der Organe der EKD im Bereich der DDR kirchengesetzlich festgestellt wurde. Der Wortlaut eines solchen Gesetzes sollte nicht mehr enthalten als die Erklärung, dass sich die Wirksamkeit aller Organe der EKD nunmehr auf den Bereich der anzuführenden westlichen Gliedkirchen und die mit ihnen in Verbindung stehenden Auslandsgemeinden beschränkte. Von einem Fortbestand rechtlicher Bande zu den ostdeutschen Kirchen sollte in Erklärungen und Äußerungen nicht die Rede sein. Hier hatte man sich mit der Aufnahme des Gehalts von Art. 4,4 in vorsichtiger Form zu begnügen und die nähere geistliche und geschichtliche Verbundenheit zu betonen. In jedem Fall sollten laut Scheuner jedoch folgende Punkte geklärt werden: Erstens musste eine klare Anerkennung der organisatorischen Selbstständigkeit des Kirchenbundes erfolgen, um diesem seine Position gegenüber dem Staat zu erleichtern. Zweitens musste eine offene Selbstbeschränkung der EKD und ihrer Organe auf den westlichen Bereich erfolgen. Dieser Akt hatte zugleich klarzustellen, dass damit die Organe der EKD im Westen dort die volle selbstständige Verfügung über den Bestand, die Grundordnung und die bestehenden Rechtsvorschriften erlangten. Diese Organe sollten fortan allein in der Gesetzgebung zu entscheiden haben und für die westlichen Gliedkirchen die Organe der Grundordnung darstellen. Das schloss auch die Befugnis zu Grundordnungsänderungen ein. Für eine baldige Bereinigung der Grundordnung, welche die bisherigen Regelungen, soweit sie sich auf den Bereich der DDR bezogen, entfernte oder ersetzte, sah Scheuner keine Notwendigkeit, da in ihr die Gliedkirchen nicht einzeln aufgeführt waren. Dort, wo der Ausdruck „Evangelische Kirche in Deutschland“ auftauchte, sollte er zukünftig in der gegebenen territorialen Beschränkung verstanden werden. Drittens sollte der Rat angesichts der Dringlichkeit der Lage alsbald eine Stellungnahme abgeben, die den vorläufigen Status insoweit klärte, als es einerseits für die Handlungsfähigkeit der westlichen Organe, andererseits für die Erleichterung der Lage der Kirchen in der DDR notwendig war. Scheuner empfahl dem 150 EZA BERLIN, 4/23.

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Rat, darin seine Selbstbeschränkung auszusprechen, die weiteren rechtlichen Fragen aber offen zu lassen. Unter keinen Umständen sollte der Gedanke aufkommen, dass die EKD genötigt war, ihren Rechtsbestand zu ändern oder dass an ihre Stelle eine neue auf den Westen begrenzte Vereinigung der Gliedkirchen treten sollte. In der Bundesrepublik waren derlei Überlegungen und Forderungen bereits publiziert worden151. Nach Auffassung von Scheuner wurde dies aber auf ostdeutscher Seite nicht erwartet und würde alle Fragen nur erschweren. Ebenso schien es ihm – trotz der Bitte von ostdeutscher Seite – nicht für ratsam, sich auf umfassende rechtliche Abmachungen zur Überleitung einzulassen. Diese brachten laut Scheuner nur die Gefahr mit sich, dass die Kirchen der DDR mit einer ‚Herleitung‘ aus der EKD belastet würden. Die Fortsetzung der Hilfeleistungen, die bisher namentlich auf finanziellem Gebiet möglich waren, sollte durch die Veränderung nicht berührt werden. Ebensowenig sollte es zur Beeinträchtigung von persönlichen Kontakten kommen. Gegenüber der Ökumene konnte die EKD laut Scheuner nicht mehr als Vertretung der Kirchen in der DDR auftreten. Sie sollte zu gegebener Zeit dem ÖRK mitteilen, dass diese Kirchen nunmehr durch ihren Bund vertreten würden. Scheuner rechnete auch mit Trennungen bei den eng mit den Kirchen verbundenen kirchlichen Werken. Auch für sie sollte gelten, dass der Fortbestand der Einrichtungen nicht berührt, ihre Wirksamkeit aber auf den Westen beschränkt wurde. Die westlichen Mitglieder des Rates der EKD folgten den Empfehlungen von Scheuner152. Die „volle rechtliche Würdigung der Vorgänge“ hielt man zu diesem Zeitpunkt für „weder möglich noch notwendig“. Die einzelnen Ratsmitglieder sollten sich in der Öffentlichkeit zurückhaltend zu den rechtlichen Konsequenzen der Bundesgründung äußern und auf jeden Fall die Anwendung staatsrechtlicher Begriffe vermeiden. In seiner offiziellen Stellungnahme zur Kirchenbundgründung konstatierte der Rat, dass der „neugegründete“ BEK seine Organe gebildet und die Verantwortung für die Gemeinschaft der acht Gliedkirchen der EKD in der DDR übernommen hatte153. Weiter nahm er den Inhalt der Erklärungen der ostdeutschen Ratsmitglieder und des Präsidiums der regionalen Tagung der Synode der EKD im Bereich der DDR zur Kenntnis. Er erklärte, dass die westlichen Ratsmitglieder die von den Kirchen in der DDR getroffenen Entscheidungen „respektierten“, d. h. von den dadurch geschaffenen Tatsachen ausgingen. „Respektierung“ wurde in der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Absonderung der ostdeutschen Gliedkirchen durch die EKD zum kirchenpolitischen und verfassungsrechtlichen Zentralbegriff154. Die westlichen Mitglieder des Rates stellten fest, dass sie nunmehr als Rat der EKD die in der Grundordnung der EKD festgelegten Aufgaben des Rates „für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West)“ wahrnahmen. Weitere in diesem Zusammenhang erforderliche Maßnahmen der Ordnung für den Bereich der westlichen Gliedkirchen 151 152 153 154

Vgl. Klaus Scholder: Das Ende der EKD. In: EvKo 2, 1969, S. 311. Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 25./26.9.1969 (EZA BERLIN, 2/1773). Abdruck in: KJ 96, 1969, S. 5f. Vgl. M. HECKEL, Vereinigung, S. 48.

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der EKD zu treffen, wurde der nächsten Tagung der Synode vorbehalten. Der Rat selbst erklärte noch, dass er zwar „äußere Formen“ für zerbrochen, die „Gemeinsamkeit der Verantwortung für das Zeugnis und den Dienst der Kirche“ aber als weiterhin bestehend betrachtete. Die Leitungen der westlichen Gliedkirchen der EKD wurden von Dietzfelbinger in einem vertraulichen Schreiben über die Entwicklung der zurückliegenden Monate informiert155. Der Ratsvorsitzende betonte darin, dass die Ordnung des Bundes und die Wahl seiner Organe ohne die rechtliche Mitwirkung der Organe der EKD zustande gekommen waren. Die Position des Rates in dem Prozess beschrieb Dietzfelbinger als eine bewusst passive: „Der Rat hat diese Entwicklung mit Schmerz, aber in Respektierung der Lage der Brüder und in Achtung ihrer Freiheit begleitet. Er konnte und durfte sie nach Lage der Dinge nur geschehen lassen.“ Die Tatsache, dass die Bundesgründung vonseiten der EKD nicht in rechtlich relevanter Weise mitgestaltet worden war, wurde später für die von der (Rest-)EKD aus der Bundesgründung gezogenen rechtlichen Konsequenzen von zentraler Bedeutung. Am 9. Oktober brachte die „ENA“ unter der Überschrift „Die Lage in der westdeutschen EKD“ einen Bericht über die Sitzung und Erklärung des Rates der EKD. Zuvor war seit Jahren nicht mehr über Erklärungen des Rates berichtet worden. Bezugnehmend auf ein Interview von Erwin Wilkens erklärte sie es für „befremdlich“, dass der Rat es trotz der neuen Sachlage und deren Respektierung „nicht für vordringlich“ hielt, den Namen „Evangelische Kirche in Deutschland“ durch eine Bezeichnung auszutauschen, in der die Beschränkung des Wirkungsbereiches auf die Bundesrepublik und West-Berlin Ausdruck fand156. In einem kritischen Schreiben an den Chefredakteur Günter Lorenz verwahrte sich daraufhin Wilkens gegen Verdächtigungen im Sinne eines fortdauernden kirchlichen Alleinvertretungsanspruches157. Eine Namensänderung, so argumentierte er, könne keine kurzfristig zu treffende Maßnahme sein. Sie müsse im Zusammenhang mit anstehenden tiefgreifenden Strukturveränderungen in der EKD gesehen werden, deren Notwendigkeit aber nur indirekt mit der Gründung des BEK zusammenhänge. Eine schnelle Änderung des Namens allein würde die langfristigen Aufgaben einer Strukturveränderung der EKD eher verdecken und verhindern als fördern. Auch der Vorstand der KKL erklärte sich gegenüber der „ENA“ mit derartigen Meldungen nicht einverstanden158. Die entstehende „besondere Gemeinschaft“ sollte nicht gleich atmosphärisch gestört werden. Für die SED war die offizielle Erklärung des Rates der EKD zur Bundesgründung neuer Anlass für Kritik. Die Beibehaltung des gesamtdeutschen Namens sowie das Festhalten an der kirchenrechtlichen Einheit mit „den evangelischen Kirchen des besonderen Territoriums Westberlin“ standen nach Ansicht der Arbeitsgruppe Kirchen155 Schreiben vom 6.10.1969 (EZA BERLIN, 650/95/102). 156 Vgl. epd ZA, 16.10.1969, S. 4. 157 Schreiben vom 27.10.1969 (EZA BERLIN, 4/19). 158 Protokoll über die Sitzung des Vorstandes der KKL der Evangelischen Kirchen in der DDR mit der Beratergruppe des Rates der EKD (West) am 15.12.1969 (EZA BERLIN, 4/67).

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fragen „in deutlichem Widerspruch zu den Realitäten.“159 Die Gründung des BEK selbst und seine erste Synode wurden von Staats- und Parteiseite jedoch als ein Teilerfolg gewertet. Bereits am 16. September berichtete das „Neue Deutschland“ frei von Polemik über die konstituierende Bundessynode160. In einem Leitartikel der „Neuen Zeit“ vom 20. September wurde Braeckleins Interpretation von Art. 4,4 lobend erwähnt und als identisch mit Lotz’ Alternativentwurf bezeichnet161. Der Autor gab sich zuversichtlich, dass die Diskussion über eine gültige Interpretation des Artikels in der Kirche fortgesetzt werden würde. Damit wurde offenkundig, dass die Ost-CDU die Auseinandersetzung um die Deutung der „besonderen Gemeinschaft“ noch nicht für beendet hielt. Das kam auch in einer Information der Abteilung Kirchenfragen beim Hauptvorstand der Ost-CDU vom 23. September zum Ausdruck. Darin hieß es über die erste Bundessynode, dass sie der Hauptforderung, eine klare Trennung von der EKD herbeizuführen, gerecht geworden sei162. Jedoch wollte man sich mit der rechtlich-organisatorischen Loslösung nicht zufrieden geben. Es wurde als eine bleibende Aufgabe der Ost-CDU und der Arbeitsgruppen „Christliche Kreise“ der Nationalen Front betrachtet, allen kirchlichen Amtsträgern noch stärker „Hilfe in diesem Prozeß der Neuorientierung und politischen Bewußtseinsbildung“ zu geben. Für besonders notwendig hielt man in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung mit der Konvergenztheorie, der „Politik des dritten Weges“, der „Nord-Süd-Theorie“ und „anderen Varianten der ‚Neuen Bonner Ostpolitik‘“. Der Kampf gegen westliche „Infiltrationsversuche“ dauerte folglich an. Am 25. September empfing Seigewasser die leitenden Männer des Bundes Schönherr, Braecklein und Stolpe und entsprach damit deren Bitte um einen Antrittsbesuch163. Kirchen- und Staatsvertreter zeigten sich in der Unterredung laut staatlichem Protokoll einig, die „besondere Gemeinschaft“ als rein „geistliche Gemeinschaft“ im Sinne theologischer Fragestellungen bei gleichzeitiger völliger „politisch-ideologischer Lösung von der EKD“ auszulegen. Seigewasser erklärte, dass die „Beendigung der EKD-Periode [. . .] günstige Voraussetzungen für eine positive Entwicklung des Bundes“ schaffe. Als noch offene Probleme nannte er jedoch die Haltung von kirchlichen Amtsträgern wie Bischof Krusche – dem man „Sozialdemokratismus“ vorwarf164 – sowie die Teilung der Kirche in Berlin-Brandenburg und der gesamtdeutschen EKU. Schönherr sprach hingegen die Situation in der Ökumene an und versicherte, dass der Bund zukünftig die ostdeutschen Kirchen vertreten werde. Am Ende der Unterredung bat er um einen Empfang des ganzen Kirchenbundvorstandes

159 Einschätzung der ersten Synode des BEK in der DDR durch die AG Kirchenfragen im ZK der SED am 20.10.1969. Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 108–112, hier S. 110. 160 BUND, S. 170f. 161 EBD. 162 ACDP ST. AUGUSTIN, VII/013/3252. 163 Aktennotiz von Seigewasser über das Gespräch. Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 112–115. 164 Vgl. R. F. GOECKEL, Kirche, S. 168f.

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und damit um die regierungsamtliche Anerkennung des BEK. Insgesamt war das Gespräch ein Musterbeispiel taktischen Verhaltens auf beiden Seiten. Der Staat wollte zunächst keine offiziellen Beziehungen zum Bund aufnehmen. Am 20. Oktober übermittelte die Arbeitsgruppe Kirchenfragen dem Politbüro und dem Sekretariat des ZK der SED ihre „Einschätzung“ der ersten Bundessynode165. Ihr Gesamturteil lautete, dass mit deren Entscheidungen „eine kirchenpolitische Entwicklung gegen den Willen der EKD-Führung durchgesetzt wurde, die als ein erster Schritt zur Respektierung der gesellschaftlichen und politischen Realitäten durch die evangelischen Kirchen der DDR gewertet werden kann.“166 Die „konsequente Klärung“ der Fragen: Änderung von Art. 4,4, Trennung der Evangelischen Kirche in BerlinBrandenburg von ihrem Westteil, Teilung der gesamtdeutschen EKU, habe das Kräfteverhältnis in der Synode „noch nicht“ zugelassen167. Kritisch wurde bemerkt, dass „eine inhaltliche Orientierung des Bundes auf die gesellschaftlichen und politischen Realitäten der DDR nur in Ansätzen auf der Synode sichtbar“ geworden war168. Positiv erwähnte man in dieser Hinsicht nur Braecklein und Schönherr: Der Präses hatte die Kirchen gewarnt, sich auf eine Antihaltung gegen den Sozialismus festzulegen, der Vorsitzende der KKL hatte festgestellt, dass der kirchliche Dienst an den Menschen in einer sozialistischen Gesellschaft zu erfolgen habe. Weitgehend zufrieden zeigte man sich auf SED-Seite mit den kirchlichen Personalentscheidungen, da „die reaktionären Kräfte zurückgedrängt wurden.“169 Noch aber waren nicht alle kirchenpolitischen Forderungen des Staates erfüllt und folglich die Voraussetzungen „für eine Respektierung der Bundesorgane als autorisierte Vertretung der Landeskirchen“ nicht gegeben170. Die Räte der Bezirke sollten weiterhin mit den einzelnen Landeskirchen verhandeln und das Delegieren von landeskirchlichen Zuständigkeiten an Bundesorgane verhindern. Der kirchenpolitische Maßnahmenkatalog für die Folgezeit war umfangreich und sah vor: – die Trennung von EKU und berlin-brandenburgischer Kirche zu fordern; – zentralistischen Tendenzen im Bund entgegenzuwirken, d. h. dessen Machtzuwachs zu verhindern;

– an der Veränderung des Kräfteverhältnisses in der KKL und der Bundessynode zu arbeiten, d. h. Einfluss auf kirchliche Personalentscheidungen zu nehmen;

– das Auftreten der DDR-Kirchen in der Ökumene als selbstständige und unabhängige Vertretung zu fördern;

– gewährleisten, dass durch die Gründung des Bundes keinerlei Ausweitung der kirchlichen Tätigkeit erfolgte und die Gesetze eingehalten wurden;

– den „Westdrall“ in der kirchlich-theologischen Arbeit (kirchliches Verlagswesen, theologische Lehre und Forschung, kirchliche Kulturarbeit, Kongresse usw.) zurückzudrängen; 165 166 167 168 169 170

Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 108–112. EBD., S. 110. EBD., S. 109. EBD. EBD., S. 110. EBD.

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– die „politisch-ideologische Auseinandersetzung mit der westdeutschen Militärkirche und dem System des politischen Klerikalismus“ verstärkt fortzusetzen.

Der Bund sollte folglich nur auf ökumenischer Ebene gefördert werden. Denn die ökumenischen Ambitionen des Bundes erschienen der SED nützlich für ihr Streben nach internationalen Kontakten und völkerrechtlicher Anerkennung der DDR. Um zu vermeiden, dass die EKD in der Ökumene weiterhin als Dachorganisation auch der ostdeutschen Kirchen fungieren konnte, forderte man, dass der Bund in der Ökumene gleichberechtigt neben der EKD anerkannt wurde. Das galt aber vorerst nur für den ÖRK. Entsprechend bat Willi Barth im Februar 1970 das Staatsamt für Kirchenfragen in Prag, die Taktik der SED, den BEK zu schwächen, dadurch zu unterstützen, dass die Evangelischen Kirchen der DSSR ihre Kontakte zu den Landeskirchen in der DDR fortsetzen, aber keine ökumenischen Beziehungen zum BEK aufnehmen sollten. In seinem Kurzvortrag während der Beratung mit dem Staatsamt für Kirchenfragen ging Barth auch auf die geheimen Gründe für die vorläufige Nichtanerkennung des BEK ein171. So sahen die staatlichen Kirchenpolitiker in der Bundesgründung keine Garantie dafür, dass die Zusammenarbeit mit den „reaktionären Kräften in der westdeutschen und westberliner Kirche“ aufhörte. Die Möglichkeit der Tagespassierscheine in Berlin bot noch immer Chancen für eine Zusammenarbeit. Weiterhin bestünde auch die „Möglichkeit der Korrumpierung“ von kirchenleitenden Kräften in der DDR mit ökonomischen Mitteln. Zudem gäbe es im Bund noch starke Kräfte, die ihn nur gegründet hätten, um auf diese Weise unverdächtiger und effektiver gegen die sozialistische Entwicklung in der DDR zu arbeiten. Diese hofften, als Bund stärkeren Druck auf den Staat ausüben zu können, um entsprechende Vorteile für die Kirche zu erreichen; sie glaubten zudem, den Staat daran hindern zu können, zwischen den Landeskirchen zu differenzieren. Auf das kirchenpolitische Instrument, sich den kirchlichen Gesprächspartner selbst aussuchen zu können und damit die einzelnen Landeskirchen gegeneinander auszuspielen, wollten die SED-Kirchenpolitiker zunächst aber nur ungern verzichten. Allerdings verlor man durch den Rücktritt Mitzenheims im Frühjahr 1970 den bisherigen kirchlichen Hauptpartner bei dieser Strategie. Bereits zehn Tage nach der ersten Bundessynode hatte die SED in einer bis dahin in der Parteigeschichte noch nicht dagewesenen Weise ihre Kirchenpolitik durch eine programmatische Rede von Hermann Matern am 25. September vor dem Hauptvorstand und weiteren Funktionären der CDU präzisiert. Das Politbüromitglied erklärte, dass es in der SED qualitative Entwicklungen ihres Verhältnisses zu Religion und Kirche gäbe. Weltanschauliche Uniformierung, Nivellierung und Dirigismus seien abzulehnen. Die Mitwirkung der Gläubigen wurde deutlicher als bisher als „ein bündnispolitischer Vorgang bei Respektierung ihrer Identität beschrieben“172. Christen und 171 Abdruck in: EBD., S. 115–118. 172 H. DOHLE, Grundzüge, S. 75. Die Rede Materns ist abgedruckt in: KJ 96, 1969, S. 214–227.

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Kirchen in der DDR sollte damit ihre Standortbestimmung in der sozialistischen DDR leichter gemacht werden. Dass der BEK sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg zu einer Neubestimmung des kirchlichen Standorts befand, zeigt u. a. die Tatsache, dass er anläßlich des am 7. Oktober zu begehenden 20. Jahrestages der DDR seinen Gliedkirchen einen Fürbittetext für die Gottesdienste am 5. Oktober empfahl173. An das Staatsjubiläum knüpfte auch ein von mehreren evangelischen Sonntagsblättern veröffentlichter Beitrag an, der Überlegungen eines Kreises kirchlicher Publizisten zur christlichen Mitverantwortung in der Gesellschaft zusammenfasste174. Darin wurde die gesellschaftliche Verantwortung der Christen prinzipiell bejaht und aus den drei Artikeln des Glaubensbekenntnisses begründet. Bischof Krusche nahm den 20. Jahrestag zum Anlass, sich in seinem Bericht vor der provinzsächsischen Landessynode am 15. November eingehend zur „Kirche im sozialistischen Staat“ zu äußern. Dabei interpretierte er die „gemeinsame humanistische Verantwortung“ von Christen und Marxisten mit den Worten: „Gemeint darf aber sein eine gemeinsame Verantwortung für den Menschen auch von einer durchaus verschiedenen Auffassung vom Menschen aus.“175 In seinem Bericht ging Krusche auch noch einmal auf die Bundesgründung ein und motivierte sie nun dezidiert theologisch. Er deutete sie als „Eingehen auf eine Herausforderung des Evangeliums“ und definierte sie vor allem als Chance zur Gestaltung von etwas Neuem und zur Annahme der Gesellschaft. Die evangelischen Kirchen in der DDR hätten mit der Bildung des BEK das „Opfer“ gebracht, die organisatorischrechtliche Gestalt, in der die „Gemeinschaft der evangelischen Kirchen in Deutschland“ bislang existiert habe, aufzugeben, „um ihren Auftrag der Ausrichtung des Evangeliums in ihrer spezifischen gesellschaftlichen Situation besser erfüllen zu können.“176 Dieser Preis sei nur dann nicht zu hoch gewesen, wenn die ostdeutschen Kirchen „die damit gegebene Chance gemeinsamen Zeugnisses und Dienstes voll nützen.“177 In der ersten Bundessynode sah Krusche einen ermutigenden Anfang in diese Richtung. Bezugnehmend auf die ökumenische Strukturdebatte erklärte er, dass sich kirchliche Strukturen an der gesellschaftlichen Situation auszurichten hatten: „Strukturüberlegungen in der Kirche ergeben sich mit Notwendigkeit von ihrem Auftrag – von ihrer Sendung mit dem Evangelium – her. Mission ist also ‚Strukturprinzip‘ der Kirche. Mission – Teilnahme der Kirche an der Sendungsbewegung Gottes – ist immer Zuwendung zur Welt in deren jeweilige – und durchaus unterschiedliche – gesellschaftliche Situationen. Die Kirche kann sich diese Situationen nicht selbst aussuchen. Wenn sie gehorsam ist, wird sie ihre konkrete Lage annehmen als Bewährungsraum für ihren Glauben und als Auftragsfeld für ihren Dienst.“178

173 174 175 176 177 178

Text in: KJ 96, 1969, S. 165. Vgl. epd ZA, 3.10.1969, S. 1. GRÜNDUNG, S. 181. EBD., S. 175. EBD. EBD., S. 178.

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Johannes Hamel nutzte die Aussprache über den Bischofsbericht, um mit kritischem Blick auf östliche und westliche Entwicklungen der Synode seine Definition von Art. 4,4 vorzutragen179. Danach sollte das „lebendige Miteinander“ der ost- und westdeutschen Kirchen beide vor der Versuchung einer „‚geographisch‘ bestimmten Theologie“ bewahren. Besonders wichtig war für Hamel der Hinweis, dass die Christen in den beiden deutschen Staaten nicht nur im Glauben verbunden waren, sondern als Deutsche eine gemeinsame politische Verantwortung trugen. Als solche sollten sie einen deutschen Beitrag für eine europäische Friedensordnung leisten. Von dieser gemeinsamen Verantwortung konnte nach Hamels Überzeugung die Deutschen niemand befreien. „Es gibt keine bundesdeutsche und keine DDR-Nation. Sondern die deutsche Nation ist nach ihrem Friedensbeitrag gefragt“, erklärte der Mitautor der Friedensstudie von 1968 in sprachlicher und inhaltlicher Korrespondenz zu Willy Brandts Regierungserklärung180. Welche Politik in Bonn gemacht werde, habe auch unmittelbare Auswirkungen auf die Menschen in der DDR und umgekehrt. Diese gemeinsame Verantwortung hätten die deutschen Christen bislang innerhalb der EKD wahrzunehmen versucht; sie müssten sie nunmehr im Rahmen von Art. 4,4 wahrnehmen. Hamel deutete die „besondere Gemeinschaft“ demnach im Sinne einer „Verantwortungsgemeinschaft“, ein Begriff, den der Journalist Reinhard Henkys seit 1970 gebrauchte181. Ähnliche Interpretationen von Art. 4,4 hatte es schon im April und Mai 1969 in den Stellungnahmen der Synoden der beiden EKU-Kirchen in der Kirchenprovinz Sachsen und Berlin-Brandenburg (Ost) gegeben. Dort war vom notwendigen „Versöhnungsdienst“ gesprochen worden. Die Fortführung dieses Versöhnungsdienstes hatten wiederum die ostdeutschen EKDSynodalen im März 1969 zur Voraussetzung ihrer Zustimmung zur Bundesgründung gemacht. Damit aber war eine politisch-gesellschaftliche Aufgabe angesprochen, die weit über die „geistliche Gemeinschaft“ hinausging. Der Prozess der rechtlichen Verselbstständigung der ostdeutschen Kirchen war mit der Bundessynode noch nicht abgeschlossen. Denn die Gründung des Kirchenbundes war nicht durch den Austritt seiner Gliedkirchen aus der EKD erfolgt, der in der Grundordnung als Möglichkeit auch gar nicht vorgesehen war182. Vielmehr hatten die östlichen Mandatsträger der EKD vor oder während der konstituierenden Bundessynode erklärt, dass ihre Funktion und Tätigkeit nun beendet seien, und damit die EKD in der DDR faktisch zum Erlöschen gebracht. Dabei war zunächst daran gedacht worden, dass die Landeskirchen eine Art latente Mitgliedschaft in der EKD behalten sollten, indem sie die Bestimmungen ihrer Kirchenverfassungen über die Zugehörigkeit zur EKD nicht veränderten. Am 22. November 1969 kam es aber auf der Sitzung der KKL zu einer Auseinandersetzung über eventuelle Änderungen in den Grundordnun-

179 Aus der Aussprache über den Bischofsbericht in öffentlicher Sitzung der Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Halle/S. am 16.11.1969. Nachträgliche Aufzeichnung anhand des Manuskripts am 20.11.1969 durch den Redner (EZA BERLIN, 4/67). 180 Siehe hierzu weiter unten. 181 Vgl. BUND, S. 20 und R. HENKYS, Partnerschaft, S. 75. 182 Vgl. R. Henkys in: BUND, S. 26.

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gen der Landeskirchen im Sinne einer Annullierung der Mitgliedschaft in der EKD183. Die Thüringer Kirchenleitung hatte ihren Synodalen bereits den entsprechenden Entwurf eines Gesetzes zur Verfassungsänderung zugesandt. Begründet wurde dies damit, dass im Zusammenhang mit der Neuwahl des Bischofs eine Verfassungsänderung notwendig war, da die Grundordnung bei einer Bischofswahl vorsah, dass über die Bestellung des Vorsitzenden von gliedkirchlichen Leitungen mit dem Rat der EKD Fühlung aufgenommen wurde (Art. 11)184. Trotz dieses Alleinganges entschieden sich die Mitglieder des Vorstandes gegen einen Bruch mit der Thüringer Kirche. Stattdessen wurde auf Antrag von Lotz folgende Entschließung entworfen: „Mit der Annahme der Ordnung des Bundes durch die Synode der Landeskirchen und der Konstituierung der Organe des Bundes sind die evangelischen Kirchen in der DDR nicht mehr Gliedkirchen der ‚Evangelischen Kirche in Deutschland‘. Dem trägt auch die Erklärung des Rats der ‚EKD‘ in der Bundesrepublik vom 26.9.1969 zutreffend Rechnung. Es ist folgerichtig, daß bei künftigen Gesetzgebungsakten die Gliedkirchen des Bundes diese veränderte Rechtslage berücksichtigen, die Nomenklatur ihrer bestehenden Ordnungen und Gesetze überprüfen und von Fall zu Fall in der geeigneten Form berichtigen. Die Konferenz hält auch einen generellen Feststellungsbeschluß einer Gliedkirche für möglich.“185

Der letzte Satz war ein Zugeständnis an die Ostregion der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, da diese von sich aus keinem Veränderungsgesetz zustimmen, sondern nur eine Verlautbarung für den Bereich der Regionalsynode Ost beschließen konnte. Obgleich von verschiedenen ostdeutschen Kirchenvertretern in den Monaten zuvor noch mit Nachdruck erklärt worden war, dass die verfassungsmäßige Verankerung und Zugehörigkeit der Kirchen in der DDR zur EKD nicht aufgegeben würde, stimmte die KKL der Vorlage bei vier Stimmenthaltungen und einer Gegenstimme zu. Die Nein-Stimme stammte von Krusche, der die Zugehörigkeitserklärungen zur EKD in den Verfassungen als Aufrechterhaltung der geistlichen Gemeinschaft interpretierte. Am 7. Dezember beschloss die Thüringer Landessynode als erste eine Änderung ihrer Kirchenverfassung, mit der die Mitgliedschaft in der EKD erlosch und die Zugehörigkeit zum BEK festgelegt wurde. Auch die anderen ostdeutschen Landeskirchen strichen – soweit vorhanden – die Hinweise auf ihre Zugehörigkeit zur EKD im Laufe der Jahre 1970 und 1971 aus ihren Verfassungen und ersetzten sie durch ihre Mitgliedschaft als Gliedkirche des BEK. In zeitlichem Abstand dazu wurden in den Kirchenverfassungen der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebiets und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens in den Jahren 1971 und 1972 die Pflege der „besonderen Gemeinschaft“ mit den anderen Landeskirchen in Deutschland als Auftrag in die Landeskirchenverfassung übernommen186. 183 Vgl. „Information über die Tagung der ‚Konferenz der Kirchenleitungen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR‘ am 22.11. in Berlin“ (BStU BERLIN, MfS HA XX/4–1233). 184 So Braecklein auf der Sitzung des Vorstandes der KKL der Evangelischen Kirchen in der DDR mit der Beratergruppe des Rates der EKD (West) am 15.12.1969 (EZA BERLIN, 4/67). 185 Zitiert nach: EBD. 186 Vgl. M. HECKEL, Vereinigung, S. 42f.

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Bei den Studentengemeinden wurde Ende 1969 die letzte institutionelle gesamtdeutsche Verbindung gekappt. Bereits Anfang des Jahres waren mehrere Mitglieder skeptisch gewesen, ob der neue Vertrauensrat „denn wirklich schon seinen Arbeitsplatz und seine Funktion im Leben der Studentengemeinden zwischen Ost und West gefunden hat.“187 Auf einem Konzil in Ost-Berlin am 23. November kamen schließlich die Mitarbeiter der ost- und westdeutschen Geschäftsstellen überein, den Vertrauensrat in der bisherigen Form aufzulösen188. Als gesamtdeutsches Beschlussgremium schien er nicht mehr notwendig und war er auch nicht mehr gewollt. Die Tatsache, dass von der Existenz des gesamtdeutschen Vertrauensrates sowohl kirchliche als auch staatliche Gelder abhingen, wollten insbesondere die ostdeutschen Mitarbeiter nicht als zwingendes Argument für sein Fortbestehen anerkennen. Im Februar 1970 empfahl dann der Geschäftsführende Ausschuss dem Beirat der ESG in der DDR, die Verweise auf den Vertrauensrat in der Beiratsordnung zu streichen und dessen bisherige Funktion im Bereich der Ökumene für die Evangelischen Studentengemeinden in der DDR selbst wahrzunehmen189. Der Beirat bestätigte daraufhin Ende Februar die erfolgte Auflösung des Vertrauensrates durch eine Änderung seiner eigenen Ordnung190. Der „Vertrauensrat“ war damit im Vergleich zu den Beschlüssen des Jahres 1967 ohne jegliches öffentliches Aufsehen von der gesamtdeutschen Bühne verschwunden. Bei der AGEJD wurde 1969 anstelle eines neuen Gesamtkirchlichen Ausschusses191 ein Ost-West-Arbeitskreis eingerichtet. Alle seit Anfang 1968 geführten Gespräche hatten zu dem Ergebnis geführt, dass die Neugründung eines gesamtdeutsch zusammengesetzten Gesamtkirchlichen Ausschusses „nicht empfehlenswert und auch angesichts der besonderen Lage DDR – BRD nicht wünschenswert sei.“192 Im April 1969 wurde ein „Beauftragter der AGEJD für Ost-West-Begegnungsarbeit“ eingesetzt und Landesjugendpfarrer Jürgen Eisenberg für diese Funktion gewonnen193. Für die Vorstandssitzung Ende Mai erarbeitete Eisenberg zusammen mit einer kleinen Arbeitsgruppe eine Vorlage, in der die Begegnungsarbeit inhaltlich motiviert und ein Konzept für ihre Organisation entworfen wurde. Zu einem Zeitpunkt, als die „besondere Gemeinschaft“ zwischen ost- und westdeutschen Kirchen rein geistlich begründet wurde, hatte die Motivation der Ost-West-Begegnungsarbeit der AGEJD in der Vorlage durchaus politischen Charakter. Die Begegnungen sollten dem Ziel dienen,

187 Hilke an M. Schröter, 17.4.1969 (EZA BERLIN, 141/99/89a). 188 Vgl. Aktenvermerk des Stuttgarter Geschäftsstellenmitarbeiters Wöbbeking vom 25.11.1969 über das Konzil in Ost-Berlin am 23.11.1969 (EZA BERLIN, 36/88/533). 189 Protokoll der Sitzung des Geschäftsführenden Ausschusses vom 14.2.1970 (EZA BERLIN, 141/98b). 190 Vgl. A. NOACK, Studentengemeinden, S. 208. 191 Zur Auflösung des alten GKA s. o. 4.2.3. 192 Vgl. Notiz der Sachbearbeiterin im GKR Brigitte Dadhe „Zur Frage des Ausschusses im Gesamtkirchlichen Referat“ vom 15.1.1969 (Aaej HANNOVER, GS Vorstandsprotokolle Nr. 124–133). 193 Vgl. die Vorlage von Eisenberg vom 20.5.1969 für die Vorstandssitzung am 27.5.1969 (EBD.).

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„ideologische Verklemmungen und romantische Einheitsvorstellungen abzubauen, miteinander sachlich arbeiten zu wollen und einen Bewußtmachungsprozeß einzuleiten, der beiden Partnern verantwortbare und realisierbare Wege in die Zukunft aufzeigt.“194

Im Zentrum der Sacharbeit hatten Friedensfragen in deutscher, europäischer und globaler Perspektive zu stehen. Einen weiteren Schwerpunkt wollte man bei den Erfahrungen und Problemen christlicher Existenz in verschiedenen Gesellschaftssystemen setzen. Die zu behandelnden Themen sollten erkennen lassen, „daß gegenseitiges Verstehen ermöglicht wird, Zukunftsaspekte für Frieden eröffnet werden und gemeinsam – je nach Ost und West getrennte – Aktionen in Gang gesetzt werden können.“ Um dem Verdacht einer national verengten Perspektive zu entgehen, wurde die Begegnungstätigkeit „junger Christen aus Ost und West“ explizit als „besondere[r] Teilaspekt“ der ökumenischen Aktivitäten der evangelischen Jugend bezeichnet: „Die Begegnungsarbeit ist also auch eine ökumenisch relevante Arbeit.“ Um bewusstseinsbildend wirken zu können, sollten die „Begegnungsseminare“ thematisch und didaktisch nachprüfbaren Maßstäben standhalten. Für die Qualifizierung der Begegnungsarbeit waren die Stuttgarter Geschäftsstelle und ein einzurichtender kleiner Arbeitskreis vorgesehen. Als Kontaktperson in der DDR wurde der hauptamtliche ökumenische Referent der „DDR-Jugendkammer“ vorgeschlagen. Als Briefkopf sollte der des ökumenischen Referats der AGEJD mit dem Untertitel „Arbeitskreis OstWest“ verwendet werden. Auch hier wollte man offensichtlich alle gesamtdeutschen Spuren verwischen und dies nicht nur aus Rücksichtnahme auf den ostdeutschen Partner. Auf seiner Sitzung im August stimmte der Vorstand dem in Details noch einmal überarbeiteten Konzept des Arbeitskreises für Ost-West-Begegnungen einschließlich der darin enthaltenen Vorschläge für seine sieben Mitglieder zu195. Während im Jugend- und Studentenbereich gesamtdeutsch besetzte Organe aufgelöst und deutsch-deutsche Begegnungen ökumenisch umgedeutet wurden, unternahmen EKD und BEK ihre ersten Schritte zur Praktizierung der „besonderen Gemeinschaft“. Auf ihrer letzten Sitzung am 26. August sprachen sich die östlichen Ratsmitglieder der EKD dafür aus, eine Gruppe bevollmächtigter Gesprächspartner des BEK zu bilden, die in regelmäßigen Abständen mit Vertretern des Rates der EKD Verbindung hielt196. Zudem hofften sie, dass die „westliche Beratergruppe“ auch in Zukunft als Kontaktstelle für den Bund zur Verfügung stand. Gleich auf seiner ersten Sitzung beschloss auch der Vorstand der KKL ein positives Signal in Richtung Westen. Er beauftragte Stolpe, dem Rat der EKD die Bitte zu übermitteln, er möge Bevollmächtigte ernennen, die in Ost-Berlin zu gemeinsamen Sitzungen mit dem Vorstand zusammenkamen197. Die ersten Sitzungen sollten bereits im November und Dezember stattfinden. Der Vorstand versicherte, dass es ihm mit der „praktizierten und geord194 EBD. 195 Protokoll über die Sitzung des Vorstandes der AGEJD am 7.8.1969 (EBD.). 196 Niederschrift von Behm über die Sitzung der östlichen Ratsmitglieder am 26.8.1969 sowie Bericht von Lingner über die Sitzung (EZA BERLIN, 650/95/102 und 38). 197 Vermerk von Lingner vom 11.10.1969 (EZA BERLIN, 4/67).

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neten Partnerschaft“ im Rahmen von Art. 4,4 ernst sei und bat den Rat der EKD, „ein möglicherweise bestehendes Mißtrauen gegenüber dem Bund“ zurückzustellen. Am 9. Oktober wurde auf der Referentenbesprechung in der Kirchenkanzlei in Hannover festgelegt, dass die bisherige Besuchergruppe, aus der Benn und Riedel ausschieden, um zwei neue Mitglieder ergänzt werden sollte198. Die Gruppe würde aber nicht den Status von Bevollmächtigten haben und nur ein Provisorium darstellen. Als endgültige Lösung hatte man im Auge, den Kontakt zwischen dem BEK und der EKD zwischen zwei gleichberechtigten Partnern zu pflegen, d. h. es sollten sich die Mitglieder des Vorstandes der KKL mit Mitgliedern des Rates der EKD treffen. Dies setze jedoch den Wegfall der Einreisebeschränkungen für alle Ratsmitglieder voraus, so die Referenten, da andernfalls die „Grenzfähigkeit“ ein wichtiges Kriterium für künftige Ratswahlen darstelle. Der Rat stimmte dem Vorschlag der Kirchenkanzlei zu: anstelle „Bevollmächtigter“ wurde eine „beauftragte Besuchergruppe“ entsandt, die um Oberkirchenrat Otto Schmitz aus Bielefeld und Vizepräsident Armin Füllkrug aus Kassel ergänzt wurde199. Die Gruppe erhielt keinen besonderen Namen und wurde zur Vermeidung politischer Schwierigkeiten in der DDR nicht institutionalisiert200. Sie war bevollmächtigt, die vorgesehenen Gespräche in partnerschaftlicher Verbindung im Rahmen von Art. 4,4 zu führen. Für konkrete Absprachen bedurfte sie einer besonderen Bevollmächtigung durch den Rat. Die Gruppe hatte vor allem einen Informationsauftrag: Sie sollte den Kirchenbund über die Vorgänge in der EKD und umgekehrt den Rat der EKD über die Ereignisse im Bereich des Bundes unterrichten. Dazu erhielten sie die Niederschriften über die Sitzungen des Rates und wurden im Einzelfall zu Ratssitzungen hinzugezogen. Zur Aufgabe der Gruppe gehörte auch die Erledigung von „besonderen Aufträgen“ des Rates, die nicht näher definiert wurden. Mitte Dezember fand die erste gemeinsame Sitzung des Vorstandes der KKL mit der „Beratergruppe“ des Rates der EKD statt, auf der drei strittige Themen zur Sprache kamen: die künftige Nennung in der Mitgliederliste des ÖRK, die Namensgebung der EKD und die Streichung der Gliedschaft der ostdeutschen Kirchen in der EKD aus deren Verfassungen201. Der zuletzt genannte Punkt wurde zur ersten Zerreißprobe für die „besondere Gemeinschaft“. Die westdeutschen „Berater“ erklärten, dass der Rat der EKD in dieser Sache hätte unbedingt unterrichtet werden müssen. Nehme man Art. 4,4 ernst, so handle es sich bei dieser Frage zweifellos um eine Angelegenheit aller Christen in beiden Teilen Deutschland. Bei einigen kirchenleitenden Personen in der Bundesrepublik sei der Eindruck erweckt worden, dass die Verantwortlichen des BEK gegenüber dem Rat der EKD „mit verdeckten Karten spielen wollten.“ So hatte die EKD von dem

198 EBD. 199 Vertraulicher Anhang zum Protokoll der Sitzung des Rates der EKD am 22.–24.10.1969 (EZA BERLIN, 2/1773). 200 Vgl. Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD vom 20.–23.4.1970 (EZA BERLIN, 4/67) und Auszug aus dem Protokoll über die Sitzung des Vorstandes der KKL der Evangelischen Kirchen in der DDR und der vom Rat der EKD entsandten Beratergruppe am 2.2.1970 (EBD.). 201 Protokoll der Sitzung am 14.12.1969 (EZA BERLIN, 4/67).

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wichtigen Beschluss der Thüringer Synode lediglich durch Pressemeldungen erfahren. Die westdeutsche Beratergruppe ließ sich dann aber vom Vorstand der KKL davon überzeugen, dass der Beschluss vom 22. November „nicht leichtfertig“ gefasst worden war. Dennoch erklärte der Rat der EKD im Januar 1970, dass das Verhältnis der einzelnen Gliedkirchen in der DDR zur EKD rechtlich weiterhin offen bleibe, da die Grundordnung keinen Austritt aus der EKD vorsehe202. Auch die diesbezüglichen Beschlüsse der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen hatten nach dieser Rechtsauffassung mehr deklamatorischen Charakter als rechtliche Relevanz. Das Kollegium der Kirchenkanzlei hielt es darüber hinaus für erforderlich, dass die KKL ausdrücklich erklärte, dass die Interpretation der Erklärung des Rates der EKD vom 26. September 1969 in dem Beschluss der Konferenz vom 22. November 1969 unzutreffend war203. Denn die Zugehörigkeit der östlichen Gliedkirchen zur EKD sei durch die Ratserklärung nicht in Zweifel gezogen worden. Die KKL meinte jedoch, keinen Dissens zwischen der Erklärung des Rates und ihrer Erklärung erkennen zu können204. Daraufhin ließ man die Angelegenheit auf sich beruhen. Eine weitere frühe Probe der „besonderen Gemeinschaft“ war die Publikation „Der Friedensdienst der Christen“. Im November 1969 hatte der Vorstand des Bundes keine Bedenken mehr, dass die Thesenreihe zusammen mit den ostdeutschen Referaten publiziert wurde. Er setzte allerdings voraus, dass die Veröffentlichung nicht in der Verantwortung des Bundes erfolgte und dass die Handreichung „Zum Friedensdienst der Kirche“ von 1965 nicht abgedruckt wurde205. Wegen der offenen Situation bezüglich einer Zusammenarbeit der Kammer für öffentliche Verantwortung mit entsprechenden Einrichtungen im Bund – dem zukünftigen Ausschuss „Kirche und Gesellschaft“ – empfahl der Kammervorsitzende Ludwig Raiser indes, die Veröffentlichung des Bandes noch einige Monate zurückzustellen206. Sollte sich in der Zwischenzeit eine neue Zusammenarbeit abzeichnen, so könnte an eine gemeinsame Veröffentlichung gedacht werden. Andernfalls müsste sie von der Kammer der EKD für öffentliche Verantwortung getragen werden. Auf Grund der aktuellen Diskussion über Wehrdienstverweigerung im westdeutschen Protestantismus wurde daraufhin zunächst im Dezember 1969 die Thesenreihe veröffentlicht207, die der Rat der EKD freigegeben hatte208. Im Herbst 1970 erschien dann auch der Sammelband, der nun von Werner Danielsmeyer als dem Vorsitzenden des Unterausschusses herausgegeben wurde209. Er enthielt neben der von der Kammer verantworteten Thesenreihe die Referate von 202 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD vom 14.–16.1.1970 (EZA BERLIN, 4/20). 203 Kirchenkanzlei – Berliner Stelle an Sekretariat des BEK, 17.4.1970 (EZA BERLIN, 4/296). 204 Stolpe an Lingner, 22.5.1970 (EBD.). 205 Niederschrift über die Sitzung der KföV am 14./15.11.1969 (EZA BERLIN, 2/93/936). 206 EBD. 207 Vgl. KJ 96, 1969, S. 70–87. 208 Auszug aus der Niederschrift der Sitzung des Rates der EKD am 27./28.11.1969 (EZA BERLIN, 2/93/981). 209 W. DANIELSMEYER, Friedensdienst.

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Heino Falcke und Harald Hegermann unter deren Namen sowie ohne Namensnennung die Thesen „Was können wir für den Frieden tun?“ von Gottfried Voigt. Die Handreichung der KKL war nicht abgedruckt. Die Ost-West-Entstehungsgeschichte der Thesenreihe wurde von Danielsmeyer nur vage angedeutet, denn seit Antritt der sozialliberalen Bundesregierung reagierten die Vertreter des Staats- und Parteiapparates der DDR noch ablehnender gegenüber allen „innerdeutschen Beziehungen“, wie die früheren „gesamtdeutschen Beziehungen“ unter der neuen Bundesregierung genannt wurden. Der neue Bundeskanzler Willy Brandt hatte sich in seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 ausführlich zur Deutschlandpolitik geäußert. Unter anderem erklärte er: „Aufgabe der praktischen Politik in den jetzt vor uns liegenden Jahren ist es, die Einheit der Nation dadurch zu wahren, daß das Verhältnis zwischen den Teilen Deutschlands aus der gegenwärtigen Verkrampfung gelöst wird. Die Deutschen sind nicht nur durch ihre Sprache und ihre Geschichte – mit ihrem Glanz und Elend – verbunden; wir sind alle in Deutschland zu Hause. Wir haben auch noch gemeinsame Aufgaben und gemeinsame Verantwortung: für den Frieden unter uns und in Europa. 20 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR müssen wir ein weiteres Auseinanderleben der deutschen Nation verhindern, also versuchen, über ein geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander zu kommen. Dies ist nicht nur ein deutsches Interesse, denn es hat seine Bedeutung auch für den Frieden in Europa und für das Ost-West-Verhältnis. [. . .] Die Bundesregierung setzt die im Dezember 1966 durch Bundeskanzler Kiesinger und seine Regierung eingeleitete Politik fort und bietet dem Minister der DDR erneut Verhandlungen beiderseits ohne Diskriminierung auf der Ebene der Regierungen an, die zu vertraglich vereinbarter Zusammenarbeit führen sollen. Eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesregierung kann nicht in Betracht kommen. Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland; ihre Beziehungen zueinander können nur von besonderer Art sein.“210

In diesen Passagen der Regierungserklärung gab es manche Überschneidung mit Gedanken und Formulierungen, wie sie die Friedensstudie der Kammer für Öffentliche Verantwortung vom März 1968 enthalten hatte211, deren Mitautor, Erhard Eppler, 1969 in Brandts Kabinett Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde. Auch ähnelte die Kennzeichnung der deutsch-deutschen Beziehungen als solche „von besonderer Art“ doch sehr der Formulierung von der „besonderen Gemeinschaft“ in Art. 4,4 der Bundesordnung. Viele Protestanten setzten denn auch große Hoffnungen auf die sozialliberale Ost- und Deutschlandpolitik. Das zeigte sich u. a. bei den Begegnungen im evangelischen Jugendbereich212. Stichworte wie „Entkrampfung“, „Entspannung“, „erträglicher Ausgleich“, „Erleichterungen im DDR-BRD-Verhältnis“ und „neue Impulse“ in den Begegnungsberichten kennzeichneten nicht nur die Hoffnun210 REGIERUNGSERKLÄRUNGEN, S. 251–281, hier S. 253f. 211 Siehe Kap. 4.1.1. 212 Sachlicher Bericht über die Ost-West-Begegnungen und Ost-West-Begegnungsseminare in Berlin, Ost-West-Gruppenbesuche und Ost-West-Einzelbesuche in der DDR, Berichtszeitraum: 1.7.–31.12.1969 (Aaej HANNOVER, Zusammenfassende Sachberichte 1966–1974).

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gen der übergroßen Mehrzahl der bundesdeutschen Teilnehmer, sondern gerade auch der DDR-Teilnehmer. In seinem Bericht zur Lage der Nation am 14. Januar explizierte Brandt seine Neubestimmung des Nationsverständnisses. Dabei rückte er die „Bewußtseinsnation“ der Deutschen gegenüber den traditionellen Vorstellungen von Staatsnation und Kulturnation in den Vordergrund213, indem er erklärte: „Im Begriff der Nation sind geschichtliche Wirklichkeit und politischer Wille vereint. Nation umfaßt und bedeutet mehr als gemeinsame Sprache und Kultur, als Staat und Gesellschaftsordnung. Die Nation gründet sich auf das fortdauernde Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen eines Volkes.“214

In diesem Sinne werde es, soweit voraussehbar, immer eine deutsche Nation geben. Das Selbstbestimmungsrecht aller Deutschen gründe sich auf dieses Bewusstsein und den politischen Willen zur Einheit der Nation. Wie und wann die Selbstbestimmung zu verwirklichen sei, werde die Geschichte entscheiden. Bis dahin ging Brandt von der Existenz von zwei deutschen Staaten innerhalb einer deutschen Nation aus, deren Beziehungen von „besonderer Art“ waren, d. h. nicht solche zwischen zwei souveränen Subjekten des Völkerrechts. Im Zeichen der Abgrenzung polemisierte Ulbricht massiv gegen Brandts Rede von der Nation und gab Schritt für Schritt die These von der einen deutschen Nation auf. Er nannte die DDR einen „sozialistischen deutschen Nationalstaat“, dem die Bundesrepublik als „kapitalistischer NATO-Staat“ gegenüberstehe215. Im Dezember 1970 übernahm er dann Breschnews neue Sprachregelung von der Herausbildung einer „sozialistischen Nation“ in der DDR. Vor allem aber rückte er nun noch stärker die Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung ins Zentrum der innerdeutschen Auseinandersetzung. Dabei kamen der Staats- und Parteiführung auch propagandistisch verwertbare Äußerungen von Kirchenvertretern zupass. So berichtete das „Neue Deutschland“ über einen Neujahrsempfang des Rates in Frankfurt (Oder), auf dem Schönherr sich für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR ausgesprochen haben soll216. Außerdem habe der Vorstandsvorsitzende des BEK dafür plädiert, dass die DDR die Möglichkeit erhalte, auch dort an der Lösung internationaler Probleme mitzuwirken, wo sie bisher noch ausgeschlossen war, also die von der Staats- und Parteiführung angestrebte Aufnahme in internationale Organisationen erhielt. Am 10. Februar veröffentlichte das „Neue Deutschland“ ein Grußschreiben Mitzenheims an das Präsidium der Ost-CDU, in dem der Bischof erklärte, die DDR habe einen „unverzichtba213 Vgl. M. GLAAB, Deutschlandpolitik, S. 62. Das Konzept von der „Bewußtseinsnation“ wurde während der sechziger Jahre vor allem von Carlo Schmid vertreten. Er war der Auffassung: „Erst dann werden wir Deutsche zur Nation gelangt sein, wenn wir begriffen haben, daß Nation eine Wertgemeinschaft darstellt und daß sie nur insoweit Nation ist, als sie sich als solche versteht und als solche gewollt wird.“ C. SCHMID, Nationalbewußtsein, S. 299. 214 BERICHT zur Lage, S. 172. 215 W. ULBRICHT, Erklärung, S. 181. 216 Gespräch mit kirchlichen Amtsträgern. In: ND, 14.1.1970, S. 2.

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ren Anspruch“ auf normale völkerrechtliche Beziehungen zu allen Staaten einschließlich der Bundesrepublik217. Im Kampf um die internationale Anerkennung konnten der Staats- und Parteiführung auch die ökumenischen Aktivitäten des BEK von Nutzen sein, ein Sachverhalt, der letztlich auch mit ausschlaggebend für die im Februar 1971 schließlich erfolgte offizielle Anerkennung des Bundes durch den Staat war. Schönherr hatte das Interesse des Staates an den ökumenischen Beziehungen des Bundes schon früh erkannt und nutzte es gezielt für das Erreichen der staatlichen Anerkennung. Bereits im Dezember 1968 äußerte er gegenüber Lingner: „Wir müssen weiterhin versuchen, ökumenisch interessant zu werden. Der Besuch der englischen Gruppe im Dezember war außerordentlich hilfreich. Der Staat war sehr an diesem Besuch interessiert. Er hat sich auch unserer Forderung gebeugt, die Gruppe in das Kirchengebiet Görlitz reisen zu lassen. Für den Staat werden wir nur dann ein interessanter Partner, wenn wir etwas aufzuweisen haben. Aus diesem Grunde haben wir das Ziel, möglichst rasch Erfolge aufweisen zu können.“218

Für den ÖRK kam die Gründung des BEK nicht überraschend, da er über seine Kontakte zur EKD vorinformiert worden war219. Am 25. September 1969 gratulierte Generalsekretär Blake Schönherr zur Wahl zum Vorstandsvorsitzenden und lud ihn zu einem Gespräch über die Zukunft der ökumenischen Beziehungen der ostdeutschen Kirchen nach Genf ein. Die Verhandlungen wurden notwendig, da die fünf Gliedkirchen, die der EKU angehörten, bislang nur über die EKD Mitgliedskirchen des ÖRK waren. Die drei lutherischen Gliedkirchen gehörten hingegen bereits unmittelbar dem ÖRK an, allerdings hatte die Generalsynode der VELKD 1949 erklärt, dass sie sich im ÖRK durch Vermittlung des Rates der EKD vertreten lasse. Eine offizielle Delegation des Bundes, bestehend aus Schönherr, Noth und Braecklein, folgte dieser Einladung vom 28. bis 30. Januar 1970, nachdem ein früherer Termin aufgrund der Verweigerung einer Ausreisegenehmigung für Bischof Noth abgesagt worden war220. Der Bund sah sich zu einer sofortigen Kontaktaufnahme mit dem ÖRK auch durch seine Verfassung verpflichtet, nach der es zu seinen Aufgaben gehörte, „die Mitarbeit seiner Mitgliedskirchen in der Ökumene zu fördern und zu koordinieren.“ Über die Verhandlungen gab der BEK ein Kommuniqué heraus221. Danach wurde in den Gesprächen explizit festgestellt, dass die evangelischen Kirchen in der DDR dem ÖRK seit seiner Gründung 1948 angehörten und es gegenwärtig allein darum gehe, „dieser bestehenden Mitgliedschaft den angemessenen Ausdruck zu geben.“222 Die BEK-Delegation erklärte, dass die Kirchen in der DDR aufgrund ihrer Verfassung die Mitarbeit im ÖRK nicht mehr durch die EKD, sondern durch das Sekretariat des BEK wahrzunehmen wünsch217 218 219 220 221 222

Vgl. epd ZA, 10.2.1970, S. 2. Vermerk von Lingner vom 13.1.1969 (EZA BERLIN, 4/464). Vgl. A. BOYENS, Ökumenischer Rat, S. 153. Vgl. Bericht der KKL für die Synodaltagung des BEK vom 26.–29.6.1970. In: KJ 97, 1970, S. 297. Kommuniqué über einen DDR-Besuch in Genf vom 30.1.1970. Abdruck in: BUND, S. 189f. EBD., S. 190.

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ten. Die endgültige Entscheidung über die Art und Weise der Mitgliedschaft konnte indes erst durch den Zentralausschuss des ÖRK anläßlich seiner Sitzung im Januar 1971 gefällt werden223. Aber bereits am 9. und 10. Februar 1970 besuchten leitende Mitarbeiter des ÖRK Ost-Berlin und führten mit der KKL und weiteren Kirchenrepräsentanten Gespräche, in denen deutlich wurde, dass man in Genf eine direkte Zusammenarbeit mit den ostdeutschen Kirchen begrüßte und so schnell wie möglich realisieren wollte. In einer gemeinsamen Verlautbarung über den Besuch wurde erklärt, dass alle Genfer Mitarbeiter einen „direkten und unmittelbaren Beitrag“ aus dem BEK für ihre Arbeitsgebiete erwarteten224. Die KKL besprach auf ihrer Sitzung in Anwesenheit der Genfer Gäste die zukünftigen ökumenischen Aktivitäten des Bundes und unterstrich deren Bedeutung und besonderes Profil. Man versicherte, dass die Ergebnisse von Arbeitsvorhaben innerhalb des BEK für die Gemeinschaft der Weltchristenheit umso fruchtbarer sein würden, je stärker in ihnen die spezifischen Verhältnisse in der DDR berücksichtigt wurden. Ihre Situation als Kirchen in einer sozialistischen Umwelt fordere geradezu zu einem „eigenständigen Beitrag“ heraus. Mit dieser Pressemitteilung sollte laut Stolpe deutlich gemacht werden, dass mit den Verhandlungen in Genf und den Vereinbarungen in Berlin auch die ökumenische Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der evangelischen Kirchen in der DDR verwirklicht war225. Nun standen im staatlichen Forderungskatalog nur noch die Trennung der EKU und die Aufspaltung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg aus. Zeitgleich mit dem ökumenischen Besuch hielt Gerald Götting auf einer Tagung des Präsidiums des Hauptvorstandes der Ost-CDU am 9. Februar in Leipzig ein Referat, in dem er ausführlich auf die kirchenpolitischen Erwartungen an die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg einging226. 14 Tage zuvor hatte Stolpe in einem Gespräch mit Quast geäußert, dass es den „um eine echte Lösung bemühten Kräften eine Hilfe“ wäre, wenn auf der Veranstaltung in Leipzig eindeutig maximale Forderungen im Hinblick auf EKU und Berlin-Brandenburg gestellt würden, man aber bereit wäre, in Kauf zu nehmen, dass vorerst nur minimale Lösungen herauskämen. Stolpe bezeichnete in dem Gespräch Scharf als den „entschiedensten Gegner“ jeder weiteren Ver223 Im Januar 1971 nahm der ZA des ÖRK die „Regelung“ zur Kenntnis, dass in Zukunft in der Mitgliedskirchenliste „auf Ersuchen der deutschen Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates die bisher unter dem Titel ‚Evangelische Kirche in Deutschland‘ erschienenen“ Kirchen in Zukunft „getrennt aufgeführt“ würden, entweder unter der Überschrift „Bundesrepublik Deutschland“ oder unter der Überschrift „Deutsche Demokratische Republik“. Vgl. A. BOYENS, Rat, S. 155. Am 29.6.1971 entschied das Sekretariat des ZK der SED, den erforderlichen Betrag in Valuta-Mark bereitzustellen, damit die Kirchen in der DDR in der Lage waren, ihre Mitgliedsbeiträge in den weltkirchlichen Gremien selbst zu begleichen, ohne auf finanzielle Leistungen der westdeutschen Kirchen angewiesen zu sein. Vgl. H. DOHLE, Grundzüge, S. 86. 224 Abdruck in: BUND, S. 190f. 225 Aktenvermerk von Quast über ein Gespräch mit Stolpe am 23.1.1970. Abdruck in: GRÜNDUNG, S. 114–117, hier S. 117. Zum Verhältnis der DDR-Kirchen zur KEK vgl. den Bericht der KKL für die Bundessynode 1970. Abdruck in: KJ 97, 1970, S. 297f. 226 In Auszügen abgedruckt in: BUND, S. 191–196.

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selbstständigung in Berlin-Brandenburg sowie „aller Bestrebungen um die Selbständigkeit der Evangelischen Kirchen in der DDR.“227 Auf der Regionalsynode West im Dezember hatte Scharf erklärt, dass man die „besondere Gemeinschaft“ in der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg nicht aufgeben werde. Allerdings wolle man sich „freigeben“, selbst da, wo die Grundordnung betroffen war, um „jeweils in unterschiedlicher Gesellschafts- und Staatsordnung dem Evangelium die größtmögliche Wirksamkeit zu eröffnen.“ Scharf folgte damit der theologischen Argumentation von Schönherr, war aber nicht willens, daraus die Notwendigkeit einer völligen Aufspaltung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg abzuleiten. In einem Radiointerview hatte er zudem erklärt: „Wir sind der Meinung, daß der Geist auch über politische und ideologische Grenzen hinweg der gleiche sein kann, daß er Verbindung hält und daß er auch eine Wirklichkeit bedeutet, die einen gestalthaften Ausdruck findet“228. Mit diesen Worten hatte sich Scharf die Kirchenpolitiker von SED und Ost-CDU erneut zum Feind gemacht. In seinem Referat im Februar erklärte Götting, dass sowohl die Ordnung der Kirche in Berlin-Brandenburg als auch die der EKU im Widerspruch zur Verfassung der DDR stünden und die Bemühungen des Bundes und einzelner Landeskirchen um Entwicklung „vertrauensvoller Beziehungen“ zum Staat belasteten. Geschickt verknüpfte er die Auflösung der beiden letzten gesamtdeutschen Kirchenorganisationen mit der Frage der staatlichen Anerkennung des Bundes. Der CDU-Vorsitzende konzentrierte sich in seiner Rede vor allem auf die Forderungen an die Kirche in Berlin-Brandenburg, deren Regionalsynode Ost als Nächste tagte. Sie müsse sich in Ordnung, Leitung und Verwaltung klar von der „Westberliner Kirche“ trennen und alle Bestimmungen aus ihrer Grundordnung und der Notverordnung streichen, die die Zugehörigkeit zur EKD und zur EKU betrafen. Der Staat würde diesbezüglich nicht administrativ eingreifen, hoffe aber, dass die Kirchen der Verantwortung für ihr Handeln gerecht würden. Mit viel Polemik bedachte Götting den Berliner Bischof. Am Beispiel der „Frontstadt-Losungen“ Scharfs werde deutlich, dass es für die evangelischen Kirchen in der DDR nicht nur um eine klare rechtliche und organisatorische Scheidung von „Westberliner und westdeutschen Gremien der NATO-Kirchen“ gehe, sondern um die „politisch-geistige Überwindung aller Tendenzen, die der imperialistischen Ideologie direkt oder indirekt verhaftet sind und sich für die sogenannte ‚neue Ostpolitik‘ Bonns mißbrauchen lassen. Es geht um eine bewußte Neuorientierung.“229 In den evangelischen Kirchen in der DDR müsse eine „Neubesinnung“ stattfinden auf die Verantwortung, „die die Kirchen in der sozialistischen Gesellschaft für Dienst und Zeugnis in ihrem eigenen Bereich, aber auch gegenüber der Ökumene tragen.“230 Sie sollten „von den segensreichen Möglichkeiten christlicher Existenz und Aktivität im Sozia227 Aktenvermerk von Quast über ein Gespräch mit Stolpe am 23.1.1970. Abdruck in: GRÜNDUNG, S. 114–117, hier S. 116. 228 KJ 97, 1970, S. 252. 229 BUND, S. 194. 230 EBD., S. 195.

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lismus [. . .] künden und damit der Ökumene neue Impulse [. . .] verleihen.“231 Sie sollten sich dafür einsetzen, dass die „Souveränität und Gleichberechtigung der DDR und die Unumstößlichkeit der Grenzen in Europa mit völkerrechtlicher Verbindlichkeit anerkannt“ würden232. In seinem Gespräch mit Quast soll Stolpe dazu geraten haben, in den Referaten ausführlich auf „die Probleme der Verantwortung und bewußten politischen Orientierung der Kirchen in der DDR“ einzugehen233. Vom 6. bis 10. März tagte die Regionalsynode Ost der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Hier musste es sich zeigen, wie man der politischen Forderung nach vollständiger Trennung in Organisation und Jurisdiktion zwischen der Ost- und Westregion begegnen wollte. Im Vorfeld der Synode war von Staatsseite die „politisch-ideologische Einflußnahme“ auf kirchliche Amtsträger verstärkt worden, um die innerkirchlichen Widersprüche in dieser Frage zu vertiefen234. Als Folge davon lagen der Synode mehrere Eingaben von kirchlichen Gruppierungen und Einzelpersonen vor, in denen von der Synode klare Entscheidungen hinsichtlich der organisatorischen und rechtlichen Verselbstständigung des auf dem Territorium der DDR liegenden Kirchengebiets gefordert wurden. In dem von Schönherr vorgetragenen Bericht der Kirchenleitung hieß es zu der Frage der kirchlichen Gemeinschaft zwischen Ost- und Westdeutschland, dass die Verhältnisse in beiden Teilen Deutschlands politisch und soziologisch so verschieden seien, dass der Weg für eine je eigenständige Entwicklung der Grundordnung freigegeben werden müsse, sofern die Änderungen dem Vorspruch der Grundordnung über Schrift und Bekenntnis und den Grundsätzen über Amt und Gemeinde nicht widersprachen235. „Vorspruch“ und „Grundsätze“ sollten die fortdauernde Einheit der berlin-brandenburgischen Kirche verfassungsmäßig bezeugen. Nach der „Notverordnung“ konnten bislang Änderungen nur im Zusammenwirken beider Regionalsynoden vorgenommen werden, worin der Staat eine verfassungswidrige Verzahnung mit West-Berlin sah. Dies sollte nun laut Schönherr aufgrund der verfassungsrechtlichen Lage und kirchlicher Bedürfnisse geändert werden. Kontextadäquate kirchliche Strukturreformen könnten nun angegangen werden. Weiter schlug die Kirchenleitung zwei Feststellungsbeschlüsse vor, welche die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der östlichen Regionalorgane unterstrichen und klarstellten, dass die berlin-brandenburgische Kirche im Bereich der Regionalsynode Ost dem BEK und nicht mehr der EKD angehörte. Die Synode wurde darüber hinaus gebeten, den Auftrag für eine Neuformulierung des Bischofswahlgesetzes zu geben, um für die Zeit nach dem Ausscheiden Scharfs vorbereitet zu sein. In Anspielung auf 231 EBD., S. 196. 232 EBD., S. 195. 233 Aktenvermerk von Quast über ein Gespräch mit Stolpe am 23.1.1970. Abdruck in: GRÜNDUNG, S. 117. 234 Vgl. Information der AG Kirchenfragen an die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED vom 17.3.1970 über die Synode. Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 122–125, hier S. 123. Vgl. auch Konzeption zur Einflußnahme auf die Frühjahrssynode der EKiBB (6.–10.3.1970). Abdruck in: GRÜNDUNG, S. 121–125. 235 KJ 97, 1970, S. 257.

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die Polemik von Götting und der „Neuen Zeit“ gegen Scharf erklärte die Kirchenleitung, sie sei zu staatsbürgerlicher Loyalität bereit, nicht aber dazu, die brüderliche Gemeinschaft, „die der Ausdruck der tiefen Verbundenheit im Heiligen Geist ist“, infrage zu stellen236. Wie diese Gemeinschaft jedoch zukünftig praktiziert werden sollte, darüber schwieg sie sich aus. Obgleich die Anträge der Kirchenleitung, die einen Mittelweg zwischen völliger Trennung und Erhalt der Einheit verfolgten, den einen Synodalen zu weit und den anderen nicht weit genug gingen, folgte ihnen die Synode nach hitziger Debatte letztlich in allen Punkten. Sie verabschiedete eine „Entschliessung zur Selbständigkeit bei der Änderung der Grundordnung“, eine „Erklärung zum Status des Ostbereiches der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg“, einen „Beschluß zur Überprüfung der Grundordnung und des Bischofswahlgesetzes“ sowie eine „Erklärung über das Verhältnis zum DDR-Kirchenbund und zur EKD“237. In letzterer wurde der Auftrag bestätigt, Grundordnung und Kirchengesetze, die sich auf die EKD bezogen, an den entsprechenden Stellen nicht nur neu zu interpretieren, sondern im Wortlaut zu ändern. Die Synode dankte in einem weiteren Beschluss ihrem „Bruder Bischof Scharf für sein Verständnis für die uns auf dieser Synodaltagung bewegenden Fragen“238. Damit bezog sie sich einseitig auf Scharfs Äußerung in einem „epd“-Interview vom 19. Februar 1970, in dem er erklärt hatte, „daß die im März zusammentretende östliche Synode auch mein Verständnis hat, wenn sie aus ihrer bestehenden Zugehörigkeit zum Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR Konsequenzen für ihre eigene Organisation zieht.“239 In einem korrespondierenden Beschluss dankte die Synode aber auch „ihrem Verwalter des Bischofsamtes, Herrn Bischof D. Schönherr“ für seinen Dienst und für die „erneute Übernahme der bischöflichen Funktionen“. Die Verleihung der Anrede „Bischof“ an Schönherr hatte die Ost-Berliner Kirchenleitung schon vor der Synode vorgenommen, da Schönherr zum Vorsitzenden der KKL des BEK und damit auch zum Vorsitzenden des Bischofskonvents gewählt worden war. Vermutlich wollte man aber auch seine Stellung in der Ökumene damit stärken240. Die Kirchenpolitiker der SED und der Ost-CDU werteten die Beschlüsse vom März 1970 als „erste Schritte“, bei denen die Kirche in Berlin-Brandenburg aber nicht stehen bleiben dürfe241. Das tat sie dann auch nicht, doch kam es entgegen dem Wunsch der SED nie zu einer endgültigen Aufkündigung der Einheit der berlin-brandenburgischen Kirche242. 236 EBD. 237 Alle abgedruckt in: EBD., S. 260f. 238 Zitiert nach: EBD., S. 260. 239 epd ZA, 21.2.1970, S. 7. 240 Vgl. A. SCHÖNHERR, Regionalisierung, S. 165. 241 Vgl. „Erste Schritte der Klärung. Beschlüsse der Synode der Berlin-Brandenburger Kirche“. In: NZ, 12.3.1970, S. 1f.; Information der AG Kirchenfragen an die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED vom 17.3.1970 über die Synode. Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 123. 242 1972 wurde einem weiteren „Anerkennungsdesiderat“ Genüge getan und ein zweites Bischofsamt für das östliche Kirchengebiet geschaffen (vgl. G. MAU, Regionalisierung, S. 214f.). Zur Entwicklung

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Im Bereich der evangelischen Jugend wurde hingegen im März 1970 der definitive Schlussstrich unter die gesamtdeutsche Organisationsform gezogen. Am 14. März beschloss die KKL die Einrichtung eines Ausschusses Kirchliche Jugendarbeit243. Dieser hatte die Konferenz auf dem Gebiet der kirchlichen Jugendarbeit zu beraten, Studienarbeit zu leisten, die Jugendarbeit zu koordinieren und sie zu repräsentieren. Auf Initiative von Hartmut Grüber stellte der Ausschuss explizit fest, dass mit seiner Konstituierung die Tätigkeit der Jugendkammer Ost beendet war. Die verschiedenen Arbeitsgebiete der Jugendarbeit in der DDR wurden aber erst in einem längeren Prozess dem Ausschuss zugeordnet. In der Bundesrepublik nannte sich die AGEJD 1972 in Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West e. V. (aej) um. Im Mai 1970 musste die Synode der EKD die Konsequenzen aus der Loslösung der ostdeutschen Kirchen ziehen. Bereits im Vorfeld war mit dem Vorstand der KKL über die geplante Synodalerklärung beraten worden244. Dabei hatten die Vertreter des Bundes darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit offizieller Beziehungen zwischen BEK und EKD von der eindeutigen Gleichberechtigung zwischen beiden abhängen würde. Jede Erklärung der EKD, die vermuten ließ, dass eine heimliche Rechtsklammer zwischen den Kirchen in der DDR und den Kirchen in der Bundesrepublik verblieb, würde in den Augen der staatlichen Vertreter die Gleichberechtigung der Partner ausschließen. Dem Vorstand der KKL war daher wichtig, dass eine eindeutige Begrenzung der Zuständigkeit der EKD auf den Bereich der Bundesrepublik und Westberlin erfolgte. Deshalb sollte die Synode auch als EKD-Synode tagen und ihre Mitgliederzahl auf die in der Grundordnung vorgeschriebene Zahl ergänzen245. Die westlichen Synodalen wurden vom 10. bis 15. Mai zur „regionalen Tagung (West)“ der Synode der EKD nach Stuttgart einberufen. Ursprünglich war West-Berlin als Tagungsort vorgesehen gewesen. Noch im Juli 1969 hatte der Rat erklärt, dass durch ein Abweichen von Berlin als Tagungsort die gerade vollzogene „Trennung der EKD“ zu stark betont würde246. Schon Anfang August hatten aber ostdeutsche Kirchenvertreter von West-Berlin abgeraten247. So entschied sich das Präsidium der Synode für Stuttgart als Tagungsort. Dorthin war auch der Vorsitzende der KKL eingeladen worder Jahre 1971 bis 1973 vgl. auch R. F. GOECKEL, Kirche, S. 189–193, S. 231f. Am 20.11.1978 beschloss die Regionalsynode Ost die veränderte Grundordnung der EKiBB-Ost. Sie stellte den Vorspruch von Schrift und Bekenntnis und die Grundsätze über Amt und Gemeinde unverändert an den Anfang und bekannte sich so zur Einheit der EKiBB. Sie bestimmte in Art. 81,5: „Der Bischof hat vornehmlich die Aufgabe, die Gemeinsamkeit im Bereich der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg zu fördern. Mit dem Bischof der andern Region hält er brüderliche Verbindung.“ Vgl. A. SCHÖNHERR, Regionalisierung, S. 168. Zur Entwicklung der beiden Regionen bis 1990 vgl. W. RADATZ/F. WINTER, Einheit. 243 Vgl. hierzu und zum Folgenden F. DORGERLOH, Geschichte, S. 162f. 244 Vermerk von Lingner vom 18.3.1970 (EZA BERLIN, 4/67). 245 Niederschrift über die Sitzung des Vorstandes der KKL der Evangelischen Kirchen in der DDR und der vom Rat der EKD entsandten Gruppe am 27.4.1970 (EZA BERLIN, 4/293). 246 Niederschrift der Sitzung des Rates der EKD am 21./22.7.1969 (EZA BERLIN, 2/1773). 247 Vermerk vom 5.8.1969 über die Sitzung am 4.8.1969 zu den Überleitungsproblemen (EZA BERLIN, 650/95/38).

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den. Er musste jedoch absagen, da Sondierungen bei den staatlichen Stellen ergeben hatten, dass mit einer Ausreisegenehmigung nicht zu rechnen war248. Grundsätzlich teilte aber der Vorstand des BEK die Auffassung, dass die Wahrnehmung der gemeinsamen Verantwortung durch gegenseitigen Besuch der Synodaltagungen unterstrichen werden sollte. Im Auftrag der KKL sandten Braecklein und Schönherr ein Grußtelegramm an die in Stuttgart Versammelten. Diese standen vor der Aufgabe, für sich die rechtlichen Folgerungen aus der Bundesgründung zu ziehen. Sie taten es in der vom Rat der EKD begonnenen Weise, indem sie die faktische Abtrennung durch den einseitigen und eigenmächtigen Lösungsakt der östlichen Gliedkirchen „respektierten“, aber keine Verfassungsänderung vornahmen und auch keine rechtliche Anerkennung des BEK vollzogen249. Sie gingen vom Fortbestand und der Identität der EKD aus, d. h. es kam weder zu ihrer Auflösung noch Aufteilung. In einer gemeinsamen „Erklärung“250 mit der Kirchenkonferenz (West) zur Gründung des BEK und zur Rechtslage in der EKD nahm die Synode die Stellungnahme des Rates vom 26. September 1969 wörtlich auf und führte sie weiter251. Sie bestätigte die Grundordnung der EKD als Rechtsgrundlage für die im Bereich der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) gelegenen Gliedkirchen und „erklärt[e]“ sich zur „Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland“, die ihre Aufgaben und Befugnisse nach Maßgabe des geltenden Rechts für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) wahrnahm. Im letzten Absatz bekannten sich Rat, Kirchenkonferenz und Synode wie der Bund in seinem Art. 4,4 und in enger Anlehnung an dessen Wortlaut zu der „besonderen Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland“: „In der Mitverantwortung für diese Gemeinschaft nehmen sie die Aufgaben, die sich daraus ergeben, für ihren Bereich in freier Partnerschaft mit dem Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik wahr.“252 Auf eine völlig spiegelbildliche Formulierung zu Art. 4,4 hatte man verzichtet, da die Kirchenpolitiker von SED und Ost-CDU diese als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR-Kirchen hätten verstehen können. In die Grundordnung der EKD wurde das Bekenntnis zur „besonderen Gemeinschaft“ erst 1984 im Zusammenhang mit anderen Änderungen aufgenommen253. Dort wurde es allerdings nicht unter den „Aufgaben“, sondern bereits unter den „Grundbestimmungen“ aufgeführt254.

248 Vgl. Schönherr an Puttfarcken, 20.4.1970. Abdruck in: STUTTGART 1970, S. 41f. 249 Diese Vorgehensweise ermöglichte 1990/91 eine Vereinigung der Kirchen in Rechtskontinuität zur bestehenden Verfassungslage. Vgl. M. HECKEL, Vereinigung, S. 80–105. 250 M. Heckel weist darauf hin, dass die EKD-Organe bewusst die Form der „Erklärung“ und nicht des Kirchengesetzes gewählt hätten, um unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass man nicht an Verfassungsänderungen bzw. darüber hinausgehende Verfassungsumgestaltungen dachte. Vgl. EBD., S. 57. 251 Abdruck in: STUTTGART 1970, S. 287f. 252 EBD., S. 288. 253 GO der EKD in der Fassung des Kirchengesetzes zur Änderung der GO vom 14.6.1984. Abdruck in: ABlEKD vom 15.7.1984. 254 Vgl. P. KRASKE, Gemeinschaft, S. 50.

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Im Mai 1970 aber war mit der „Erklärung“ der Organe der EKD die Rechtsfrage geklärt und damit auch der Weg frei für kirchliche Strukturreformen. Denn auch im Westen waren kirchliche Reformaufgaben lange zurückgestellt worden, um nicht durch Verfassungsdiskussionen mittelbar die gesamtdeutsche Einheit der EKD ins Wanken zu bringen255. Die Gründung des Bundes beschleunigte nun die Reformgespräche sowohl über organisatorische Veränderungen angesichts des Zuwachses an gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben als auch über eine Vertiefung der Gemeinschaft der Kirchen in theologischer Hinsicht256. Mit der „Entschliessung zum künftigen Weg der Evangelischen Kirche in Deutschland“ setzte die Synode einen Ausschuss für Struktur- und Verfassungsfragen ein257. Kurt Scharf bat jedoch ausdrücklich, bei dem kirchlichen Reformprozess in Westdeutschland „die partnerschaftliche kirchliche Bindung in den andern Teil Deutschlands hinüber nicht aus dem Blick zu verlieren.“258 Den Erklärungen und Beschlüssen der Synode waren insgesamt vier vorbereitende Regionaltagungen der westlichen Synodalen sowie Diskussionen auf der Synode selbst vorausgegangen. Kontrovers diskutiert wurde über die Frage, ob nicht das Ende der EKD festgestellt bzw. die Synode aufgelöst werden sollte, um einen klaren Schnitt zu machen. Vor allem auf kirchenleitender Ebene sah man hierzu aber keine rechtliche Notwendigkeit, da mit der eigenmächtigen Loslösung der ostdeutschen Gliedkirchen keine der in der Grundordnung genannten Grundlagen der EKD verloren gegangen war. Anstelle einer Auflösung und Neukonstituierung wurde eine Begrenzung des Geltungsbereiches der EKD für ausreichend erachtet. Gegen eine Auflösung der EKD sprach auch, dass dadurch die anstehenden Reformen vermutlich nicht gefördert, sondern verzögert worden wären259. Die EKD wäre zunächst wieder in die einzelnen Landeskirchen auseinander gefallen und das Bemühen um Gemeinschaft hätte von vorne anfangen müssen. Ein rechtliches Problem bestand allerdings darin, dass der Regionalsynode West zur Beschlussfähigkeit der Gesamtsynode eine Stimme fehlte. Hans Puttfarcken war der Ansicht, dass in dem Augenblick, in dem die Regionalsynode sich als Synode der EKD nach Maßgabe der Grundordnung verstand, sie ihre Handlungsfähigkeit verlor. Aufgrund dieser juristischen Bedenken legte er einige Wochen vor der Synode seine Ämter als Präses und Synodaler nieder260. Um zu weiterführenden Beschlüssen kommen zu können, setzte sich die Synode jedoch über diese rechtlichen Bedenken hinweg. Neben den strittigen Rechtsfragen gab es eine Reihe von Kontroversen, die sich aus einer unterschiedlichen Bewertung der kirchenpolitischen und politischen Situation ergaben. So forderte der Bonner Theologieprofessor Walter Kreck, die EKD solle ein 255 S. o. Kap. 4.2.1; R. WEEBER, Reform, S. 29. 256 Der 1970 ausgebrochene Reformeifer in der EKD hatte neben der Ost-West-Entwicklung auch noch andere Antriebsmomente. Vgl. hierzu E. WILKENS, EKD, S. 218. Zu den Gründen für die Verfassungsreform vgl. EKD STRUKTUR- UND VERFASSUNGSREFORM, S. 10f. 257 Abdruck in: STUTTGART 1970, S. 290ff. Zum weiteren Verlauf der Reformbemühungen vgl. EKD STRUKTUR- UND VERFASSUNGSREFORM; P. BEIER, Kirchwerdung, S. 21–150. 258 STUTTGART 1970, S. 12. 259 Vgl. EBD., S. 83 und S. 167. 260 Vgl. KJ 97, 1970, S. 4.

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Schuldeingeständnis ablegen. Sie hätte sich seit 1948 als „nationale Klammer“ verstanden und Illusionen hingegeben und sei daher an der gegenwärtigen Situation „mitschuldig geworden“261. Eine solche Erklärung zur Eigenverantwortung der EKD für die Aufspaltung der evangelischen Christen in Deutschland wollte jedoch keiner der anderen Synodalen abgeben. Kurt Scharf erklärte dazu: „Wir wollen die Kirchen drüben nicht belasten, wir wollen auch den Vorgang einer Verständigung zwischen den Staaten in keiner Weise belasten, aber wir können nicht Schuld bekennen, wo Schuld nicht vorliegt, und dürfen nicht Ziele als erstrebenswert bezeichnen, die wir bedauern.“262 Manche Synodale störten sich hingegen an einem „resignierenden“ bzw. „elegischen Unterton“ der Erklärung zur Gründung des BEK und vermissten die Betonung der Chancen eines Neubeginns263. Durch den Absatz: „Die Gründung des Bundes bedeutet einen tiefen und folgenschweren Einschnitt in der über hundertjährigen Geschichte des Zusammenschlusses der evangelischen Kirchen in Deutschland. Dankbar ist des Dienstes zu gedenken, den die Evangelische Kirche in Deutschland an der inneren und äußeren Gemeinschaft ihrer Gliedkirchen in beiden Teilen Deutschlands getan hat. Äußere Formen dieser Gemeinschaft sind zerbrochen. Die Gemeinschaft der Verantwortung für das Zeugnis und den Dienst der Kirche bleiben bestehen“264,

bekomme die Erklärung „emotionale Züge“, „die der Situation nicht mehr entsprechen“, kritisierte der Synodale Karl-Heinz Sohn, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Bonn265. In einem anderen Absatz der Erklärung sah Sohn die Fortgeltung der bestehenden Grundordnung postuliert und damit einen, „wenn auch beschränkten, Vertretungsanspruch, den wir gegenüber dem Kirchenbund ‚drüben‘ zum Ausdruck bringen.“ Und er fuhr fort: „Mir scheint die Vorlage immer noch von der Fiktion auszugehen, daß doch am Tage X es wieder zu einer Vereinigung beider Kirchen kommen könnte.“266 Um den Verdacht eines Vertretungsanspruchs abzuwehren, beantragte der Synodale Gustav Jäger, Oberstudiendirektor in Stuttgart, das Verb „respektieren“ durch das Verb „akzeptieren“ zu ersetzen, was jedoch abgelehnt wurde267. Umstritten war auf der Synode auch, ob alle die durch Funktionsniederlegung entstandenen Vakanzen im Rat sofort wieder aufgefüllt werden sollten. Widerspruch kam von zwei West-Berliner Synodalen. Superintendent Rieger plädierte für eine erneute Symbolik der „leeren Stühle“. Es sollte ein Zeichen der „Trauer“ und „Verbundenheit“ gesetzt und zugleich vermieden werden, dass zu einem Zeitpunkt, zu dem die DDR den BEK noch nicht anerkannte, dieser von Seiten der EKD legitimiert wurde268. Hein261 262 263 264 265 266 267 268

STUTTGART 1970, S. 57. Vgl. EBD., S. 76. EBD., S. 175f. EBD., S. 287. EBD., S. 175. EBD. EBD., S. 176f. EBD., S. 196.

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rich Vogel verwies darauf, dass bei einer Auffüllung auf 15 Mitglieder die Synode mit dem Anspruch auftrete, „die Gesamtsynode der Evangelischen Kirche in Deutschland zu sein, nicht nur Funktionen wahrzunehmen, sondern im vollen und ganzen Sinne die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland darzustellen.“ Dies wollte er nicht und plädierte dafür, „in Hoffnung eine Tür offen[zu]halten.“269 Andere Synodale, wie Bischof Heintze, warnten jedoch davor, dass dieses Zeichen sowohl bei den staatlichen Stellen der DDR als auch beim BEK selbst missverstanden würde und die „besondere Gemeinschaft“ gefährdete270. Auch die Mehrheit der Synode wollte keine Politik der leeren Stühle, mit der offen gelassen wurde, ob die rechtliche Trennung wieder rückgängig zu machen war oder dies zumindest angestrebt werden sollte. Die Tür, die Vogel hatte offen lassen wollen, schien nach dem Eindruck der meisten Synodalen für die Zeit, die sie zu überschauen vermochten, verschlossen worden zu sein. Dass Synode und Kirchenkonferenz sich dann doch darauf beschränkten, den Rat nur auf 12 anstelle der möglichen 15 Mitglieder aufzufüllen lag daran, dass die 43 neuen Synodalen auf der nächsten Synode die Möglichkeit erhalten sollten, drei weitere Ratsmitglieder zu wählen271. Denn hinsichtlich der Vakanzen bei den Synodalen hatte man sich dafür entschieden, bei der Zahl von 120 Synodalen zu bleiben, die Zahl der von den westlichen Gliedkirchen zu wählenden Synodalen entsprechend zu erhöhen und Ergänzungswahlen für die restliche Dauer der Amtszeit der Vierten Synode durchzuführen272. Ein anderer strittiger Punkt war die Frage der Namensgebung für die (Rest-)EKD. Der Vorstand der KKL hatte um eine Änderung gebeten, da er es für die „Zusammengehörigkeit zwischen Ost und West“ für „dienlicher“ hielt, wenn das Wort „Deutschland“ in der EKD „interpretiert“ werde, zum Beispiel als „EKD (BR)“. Dies würde nach seiner Sicht der Dinge das „Zusammenkommen des Rates mit den Organen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR“ ermöglichen, d. h. den Erhalt von Einreise- und Ausreisegenehmigungen erleichtern273. In der Bundesrepublik hatte das „Aktionsforum Kirchenreform“, ein Zusammenschluss von 30 Reformgruppen, im Vorfeld der Synode die Aufgabe des Namens EKD gefordert, um „jeden Schein eines Alleinvertretungs-Anspruches zu vermeiden.“274 Auf der Synode plädierten Synodale, darunter Bischof Heinrich Meyer, für einen Verzicht auf die Bezeichnung „Evangelische Kirche in Deutschland“. Sie argumentierten, das Festhalten an dem Namen fördere Missverständnisse im Sinne einer „kirchlichen Hallstein-Doktrin“ und spreche „keinerlei Realitäten mehr an“275. Der jetzt in der Bundesrepublik fortbestehenden 269 EBD., S. 197f. 270 EBD., S. 199f. 271 STUTTGART 1970, S. 199 und S. 201f. 272 Kirchengesetz über die Verteilung der von den Gliedkirchen zu wählenden Mitglieder der Synode der EKD. Abdruck in: EBD., S. 288f. 273 Vgl. Protokoll über die Sitzung des Vorstandes der KKL mit der Beratergruppe des Rates der EKD (West) am 15.12.1969 (EZA BERLIN, 4/67). 274 epd ZA, 4.5.1970, S. 5. 275 So Meyer. In: STUTTGART 1970, S. 69f.

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EKD könnte unterstellt werden, sie nähme nach wie vor für sich in Anspruch, Kompetenzen für ganz Deutschland auszuüben. Die Befürworter eines Beibehaltens des Namens argumentierten mit der Wahrung der Tradition sowie mit der Tatsache, dass auch die SED „Deutschland“ in ihrem Namen führte. Scharf bezeichnete eine Preisgabe des Namens EKD als Anachronismus im Blick auf die gesamtökumenische Entwicklung, die auf Kirchengemeinschaft über politische Grenzen hinweg ziele276. Da sich Befürworter und Gegner einer Namensänderung ungefähr die Waage hielten, bekam der Ausschuss für Struktur- und Verfassungsfragen der Synode den Auftrag, auf der nächsten Tagung einen Lösungsvorschlag zu präsentieren. Dazu kam es jedoch nicht mehr. Besonders laut wurde die Forderung nach einschneidenden Konsequenzen aus der Gründung des BEK von kritischen Gruppen am Rande der Synode gestellt. Diese überwiegend jugendlichen Christen bezweifelten in ihrem die Synode kritisch begleitenden Organ „PRO TEST“277, ob im Alten etwas Neues entstehen konnte. Sie forderten daher, die Rest-EKD aufzulösen, den Namen „Evangelische Kirche in Deutschland“ zu streichen, stattdessen von der „Evangelischen Kirche in Westdeutschland“ zu sprechen und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung in Auftrag zu geben. Ihr Ziel war eine grundlegende Neuordnung des Verhältnisses von landes- und bundeskirchlichen Gremien und eine strukturelle Demokratisierung der Kirche auf allen Ebenen278. Die „Neue Zeit“ bezeichnete in ihrem Kommentar zur Synode die EKD-Führung als „unbelehrbar“279. Ihre Polemik gegen den angeblichen Annexionismus der westdeutschen EKD verband das Ost-CDU-Organ mit der Aufforderung an die ostdeutschen Synodalen der EKU, bei ihrer kommenden Tagung „jeglichen ‚gesamtdeutschen‘ Sirenenklängen [zu] widerstehen“ und eine klare organisatorische Verselbstständigung der EKU in der DDR zu beschließen. Für den Notfall hatte der Rat der EKU bereits am 1. Oktober 1968 eine Regionalordnung sowie eine Verordnung über Sektionen des Rates verabschiedet und durch eine Änderungsverordnung vom 2. Februar 1970 ergänzt280. Mit ihnen war der Weg für Regionalsynoden eröffnet worden, die je für ihren Bereich die Aufgaben und Befugnisse wahrnahmen, die nach der Ordnung der EKU der Synode zustanden. Damit wurde u. a. möglich, bereits rechtsgültige gemeinsame Kirchengesetze und Verordnungen der EKU für den regionalen Bereich zu ändern. Für den Rat wurde die Möglichkeit geschaffen, fakultativ auch in Sektionen zu arbeiten und dort über Angelegenheiten ihres Bereiches in eigener Verantwortung zu entscheiden. Bislang tagte der Rat aber gemeinsam in Ost-Berlin. Anstelle der West-Berliner Mitglieder sowie Beckmanns, dem die Einreise verweigert wurde, nahmen Stellvertreter an den Sitzungen teil. Für den Erhalt dieser 276 EBD., S. 76. 277 Vorbereitet wurde das Informationsblatt von der ESG in der Bundesrepublik und Berlin (West) und der „Kritischen Kirche“. Vgl. epd ZA, 4.5.1970, S. 2. 278 Vgl. STUTTGART 1970, S. 104 und KJ 97, 1970, S. 16. 279 Vgl. epd ZA, 19.5.1970, S. 6. 280 Abdruck der Regionalordnung der EKU und der Verordnung über Sektionen des Rates vom 1.10.1968 i. d. F. vom 3.2.1970 in: KJ 97, 1970, S. 269f.

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Praxis und generell der EKU als gesamtdeutscher Organisation setzte sich verstärkt Kirchenkanzleipräsident Hildebrandt ein281. Vor allem auf sein Drängen hin hatte sich der Rat im Oktober 1968 und im Februar 1970 gegen die beiden anderen Möglichkeiten ausgesprochen: Die Auflösung der bestehenden EKU in zwei getrennte Kirchen oder die Schaffung einer Regionalordnung nach dem Vorbild der Kirche in Berlin-Brandenburg. Die meisten Stimmen tendierten für einen Erhalt des Status quo und die Möglichkeit zu selbstständigem Handeln im Bedarfsfall282. Unterstützt wurde Hildebrandt von den Ratsmitgliedern aus dem Ostbereich Koch, Ringhandt und Lahr283. Mit ihnen stimmten die westlichen Ratsmitglieder Thimme, Danielsmeyer, Immer, Quaas und Locher. Sie hatten während der Verhandlungen nachdrücklich darauf hingewiesen, dass es nach einer vollständigen Regionalisierung längerfristig nur noch eine EKU (Ost) geben würde. Denn die rheinische und die westfälische Kirche waren so eng miteinander verbunden, z. B. durch gemeinsame Kirchenleitungssitzungen, dass sie keine EKU (West) benötigten. Schwierig konnte es hingegen für die Kirche in Berlin-Brandenburg (West) werden. Die östlichen Regionalisierungsgegner plädierten für einen widerständigen Kurs: Die EKU dürfe nicht „auf einen kleinen Fingerzeig unmaßgeblicher staatlicher Äußerungen“ preisgegeben werden. Die Befürworter der strikten Regionalisierung – Schönherr, Krummacher, Krusche und Martin Müller – argumentierten, dass die EKU nach der Entwicklung in der EKD, der VELKD und dem in Aussicht genommenen Weg der Kirche in Berlin-Brandenburg unter Zugzwang stehe. Sie glaubten nicht, dass die Synodalen für den Versuch, die Einheit der EKU weiter zu praktizieren, Verständnis zeigen würden. Im Mai und Juni 1970 trat die EKU-Synode dann erstmalig zu örtlich und zeitlich getrennten Regionaltagungen zusammen. Im Vorfeld der Regionalsynode Ost meldeten sich staatliche sowie „progressive“ kirchliche Stimmen zu Wort, um ihre Erwartungen an die Synode zu formulieren. So wurde z. B. bei einem Theologengespräch mit Seigewasser anlässlich des 25. Jahrestages der Befreiung unter Berufung auf das Erbe der Bekennenden Kirche in der EKU die Anerkennung der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges auch im kirchenorganisatorischen Bereich verlangt und eine „eigenständige EKU in der DDR“ gefordert284. Eine Auflösung des Ostteils der EKU zugunsten des BEK war indes nicht erwünscht. Es fehle sonst in der DDR das reale Gegenüber zu den lutherischen Kirchen, lautete die Argumentation der „progressiven“ Theologen. Der Staat wiederum wollte keine Auflösung der konfessionellen Zusammenschlüsse, um ein weiteres Erstarken des Kirchenbundes zu verhindern285. Dank einer 281 Vgl. u. a. Berichtsprotokoll über die Sitzung des Rates der EKU am 6.8.1968 (EZA BERLIN, 4/22). 282 Vgl. Bericht Lingners über die kirchliche Situation in einem Schreiben an die „Beratergruppe“, 23.1.1970 (EZA BERLIN, 4/67). 283 Vermerk von Lingner über die Sitzung des Rates der EKU am 2./3.2.1970 (EBD.). 284 Vgl. Eberhard Klages: Eine eigenständige EKU in der DDR! Theologengespräch mit Hans Seigewasser vor dem 25. Jahrestag der Befreiung. In: NZ, 1.5.1970, S. 6. 285 Vgl. Information der AG Kirchenfragen an die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED vom 18.6.1970 über die EKU-Synode in Magdeburg vom 22.–24.5.1970. Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 125–128, hier S. 125.

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„gezielten ideologischen Arbeit“ von Staats- und Parteikräften unter Synodalen und anderen kirchlichen Amtsträgern erreichten die EKU-Synode in Magdeburg auch einige offene Briefe und Eingaben, in denen die Verselbstständigung des östlichen Teils der EKU gefordert wurde286. In seinem Bericht an die Synode verteidigte Fränkel die Einheit der EKU und damit die bisherigen Entscheidungen des Rates. Dabei versuchte er deutlich zu machen, dass die Gründe, die für eine Trennung der EKD und der VELKD gesprochen hatten, für die EKU nicht zutrafen287. Der Bischof betonte, dass die Ost-West-Trennung von EKD und VELKD nicht bedeuten könne, dass die Kirche prinzipiell die staatliche Verfassung als letztgültige Norm für Gestalt und Ordnung der Kirche anerkenne. Da die Mehrheit der Gliedkirchen der EKU im Bereich der DDR läge, könne bei ihr auch der Verdacht der „Überfremdung“ durch den Westen nicht greifen. Zudem habe sich die gesamtdeutsche EKU gerade in der Nachkriegszeit stets um ein konkretes Zeugnis bemüht. Auch die Macht der Botschaft von der Versöhnung konnte nach Fränkels Auffassung gegenwärtig nur unter Wahrung der Einheit sichtbar gemacht werden. In der Aussprache im Plenum wurde allerdings deutlich, dass sich die Synode über die Zukunft der EKU nicht einig war288. Martin Müller, Schönherr und Krummacher sprachen sich für eine Verselbstständigung der Ostregion der EKU aus und argumentierten in erster Linie mit der Existenz und Zukunft des Bundes. Als entschiedener Gegner einer Teilung der EKU bezeichnete Johannes Hamel das Argument, die Eigenständigkeit gegenüber dem Westen müsse sicher gestellt werden, als vorgeschoben: In der EKU habe es niemals ein „Hörigkeitsverhältnis gegeben, es sei denn, daß man die große bedingungslose Hilfe, die die Brüder des Westens gegeben haben, als ‚Angestelltengehalt‘ betrachtet.“289 Hamel sah die evangelischen Kirchen im Begriff, in einen Ost-West-Antagonismus zu verfallen. Er verwies auf die Dringlichkeit, mit der die westlichen Ratsmitglieder der EKU gebeten hatten, das Handeln der DDR-Regierung abzuwarten und keine weiteren Strukturveränderungen zu beschließen. Auch Siegfried Ringhandt, einer der Väter des BEK, warnte die EKU-Synode vor opportunistischen Lösungen. Für ihn war die EKU die einzige Kirche, die bislang dem Sog des „Freund-Feind-Denkens“ widerstanden hatte und die daher als Einheit erhalten bleiben musste. Am Ende der Tagung stand ein Kompromiss: Die Regionalsynode Ost beschloss, dass die EKU erhalten bleiben sollte, eine Weiterarbeit an den Fragen der Regionalisierung und der Neugestaltung der Ordnung jedoch notwendig sei. Hierzu wurde von der Synode ein Ausschuss eingesetzt, der bis zum 1. März 1971 Ergebnisse vorlegen musste. Aufgabe des Rates war es, festzustellen, ob und in welcher Weise die Regionalsynode West sich an dieser Arbeit beteiligen konnte. Anstelle des vom Be-

286 EBD., S. 125f. 287 KJ 97, 1970, S. 273–276 und epd ZA, 25.5.1970, S. 2. 288 Vgl. zum Folgenden die sehr ausführliche und präzise „Information über die Tagung der Synode der ‚Evangelischen Kirche der Union‘ (EKU) vom 22. bis 24. Mai 1970 in Magdeburg, Pfeiffersche Stiftungen“, vom 16.6.1970, die u. a. an Verner und Barth ging (BStU BERLIN, MfS ZAIG 1820). 289 EBD.

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richtsausschuss vorgeschlagenen Satzes „Wir halten fest an der Einheit der Evangelischen Kirche der Union und bekennen uns zum Grundartikel ihrer Ordnung [. . .]“ verabschiedeten die Synodalen eine Formulierung, die eine größere Offenheit für strukturelle Entwicklungsmöglichkeiten ließ: „Die EKU soll erhalten bleiben und nicht aufgegeben werden. Wir bekennen uns zum Grundartikel ihrer Ordnung [. . .]“290. Damit hatte man sich auf den Erhalt des spezifischen kirchlich-theologischen Gehalts der Union festgelegt, nicht aber auf bestimmte Rechtsformen hinsichtlich des Ost-West-Verhältnisses. Das Ergebnis blieb mehrdeutig, eine klare Entscheidung wurde zugunsten einer sich anschließenden Ausschussarbeit aufgeschoben291. Auf Ost-CDU-Seite wurde das Synodalergebnis vom Mai 1970 „als erster Schritt zur rechtlichen und organisatorischen Verselbständigung der EKU in der DDR“ bezeichnet, dem um der Glaubwürdigkeit des ganzen BEK willen weitere folgen müssten292. Die Arbeitsgruppe Kirchenfragen freute sich über die geschwächte Position der „reaktionären Kräfte“ auf der Synode und plante weitere Maßnahmen, um den Prozess der Verselbstständigung der EKU Ost zu forcieren293. Da fünf der acht Landeskirchen der DDR der Union angehörten, war die Teilung der EKU für die Kirchenpolitiker von CDU und SED von besonderem Interesse. Denn was in der EKU geschah, konnte für die organisatorische Selbstständigkeit des BEK und damit für die staatliche Kirchenpolitik zur Belastung werden294. Die Regionalsynode West der EKU machte sich auf ihrer Tagung Mitte Juni den Beschluss der Regionalsynode Ost mit seinem Ja zum Erhalt der EKU unbeschadet ihrer Regionalisierung zu Eigen295. Zuvor hatten Beckmann und Wilm von der Magdeburger Synode berichtet und deren Votum als eindeutige Zurückweisung der Verselbstständigung einer EKU in der DDR gedeutet296. Um die Deutung von Einheits- bzw. Trennungsbekundungen ging es auch auf der

290 KJ 97, 1970, S. 277. Vgl. auch „Information“ des MfS vom 16.6.1970 (BStU BERLIN, MfS ZAIG 1820). 291 Vgl. KJ 97, 1970, S. 277. Erst 1972 entschied sich die EKU zu einer konsequenten Regionalisierung. Sie wurde in die beiden Kirchengebiete in der DDR und in der Bundesrepublik mit einem je eigenen Bereich und folglich jeweils eigenen Bereichssynoden, -räten und -kanzleien aufgegliedert, die selbstständige Entscheidungsbefugnisse für ihren Bereich im Rahmen der Grundartikel der Grundordnung der EKU erhielten. Entscheidungen, die für beide Bereiche gelten sollten, erforderten übereinstimmende Beschlüsse. Vgl. R. F. GOECKEL, Kirche, S. 186ff.; den Weg der EKU „zur Bereichsgliederung unter politischem Zwang“ zwischen 1969 und 1972 beschreibt als Zeitzeuge F. WINTER, Kirche, S. 141–159. 292 „Dem ersten Schritt müssen weitere folgen! Zu den Ergebnissen der Magdeburger EKU-Synodaltagung.“ In: NZ, 6.6.1970, S. 5. 293 Information der AG Kirchenfragen an die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED vom 18.6.1970 über die EKU-Synode in Magdeburg vom 22.–24.5.1970. Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 127f. 294 Vgl. H. DOHLE, Grundzüge, S. 90. 295 Beschluss der Synode betr. den künftigen Weg der EKU vom 16.6.1970. In: VERHANDLUNGEN Synode EKU 1970, S. 215. 296 EBD., S. 48.

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ebenfalls im Juni tagenden Regionalsynode West der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Bischof Scharf nutzte seinen Rechenschaftsbericht dazu, die Begründungen und Formulierungen von einigen Beschlüssen der EKD-Synode in Stuttgart zu kritisieren und erwies sich dabei ein weiteres Mal als unabhängig denkender Kirchenvertreter. So lehnte er es ab, aus Rücksicht auf die Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Bundesregierung, obgleich er sie politisch befürwortete, die Trennung der ost- und westdeutschen Kirchen gutzuheißen297. Er hielt jedoch auch nichts davon, eine regionale Gliederung der Kirche lediglich deshalb abzulehnen, um nicht staatlichen Forderungen nachzugeben: „Eine sachgerechte kirchliche Entscheidung muß sich auch frei halten von Trotzreaktionen gegenüber dem Staat“298. Das theologische Leitmotiv kirchlicher Ost-West-Einheit sah Scharf noch immer in der Überwindung staatlicher Grenzen durch die grenzüberschreitende Botschaft des Evangeliums. Er war nach wie vor davon überzeugt, dass ein Festhalten an der institutionellen Gestalt der Kirche über Grenzen hinweg besser dazu befähigte, dem zwischenstaatlichen Frieden und der menschlichen Versöhnung zu dienen. Diesem Umstand sah er in den Beschlüssen der EKD-Synode zur Rechtsgestalt nicht eindeutig genug Rechnung getragen. Synode und Rat der EKU hatten sich hingegen nach Scharfs Auffassung „in einer großartigen Unbefangenheit“ zu ihrer Vergangenheit, zu den Thesen 3 und 4 der Barmer Erklärung – die in den Grundartikeln der EKU zitiert wurde – und zum Auftrag christlicher Kirchen in der gegenwärtigen Ökumene gestellt und bekannt. Die EKU habe ihre Gemeinschaft neu proklamiert und praktiziert. Die berlin-brandenburgische Kirche wiederum hatte laut Scharf eine wichtige Funktion, sowohl im Blick auf die Praktizierung der „besonderen Gemeinschaft“ als auch als „Testfall“ für die EKU. Denn sie war im Ostteil dem Kirchenbund und im Westteil der EKD zugeordnet und zugleich Gliedkirche der EKU. Sie selbst, so zählte Scharf auf, sei verbunden durch Geschichte und Bekenntnis, durch eine besondere Ausprägung der Union seit 1608, durch besondere Gemeindeordnungen, durch ihren spezifischen Charakter als eine Stadt-Land-Kirche und durch ihre neue ökumenische Bedeutung als Kirche in einer politisch geteilten Stadt. Laut ihrem Bischof nahm die Kirche in Berlin-Brandenburg „in ihren beiden Regionalsynoden die besondere Gemeinschaft der Berlin-Brandenburgischen Kirche in partnerschaftlicher Freiheit wahr und bleibt als Kirche in Berlin-Brandenburg erhalten.“299 Diese Feststellung, die verbale Anleihen an Art. 4,4 machte, ging wörtlich in den Beschluss der Regionalsynode West vom 20. Juni ein. In diesem hieß es auch, dass das „Kirchengesetz über die Änderung der Grundordnung durch die Regionalen Synoden“, dessen Inkraftsetzung die Regionalsynode Ost von der Zustimmung der Regionalsynode West abhängig gemacht hatte, der Erleichterung der Arbeit beider Synoden diente300. Man konnte nun in Ost und West der Situation 297 298 299 300

Vgl. epd ZA, 20.6.1970, S. 2. EBD. KJ 97, 1970, S. 262. EBD., S. 258.

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entsprechende Strukturreformen vornehmen301. Dem Beschluss und der Zustimmung zu dem „Freigabegesetz“ war im Plenum aber eine heftige Auseinandersetzung vorausgegangen302. Nach Ansicht von Superintendent Julius Rieger bedeutete das Gesetz einen Rückschritt. Zu einem Zeitpunkt, da sich die Bundesregierung um eine Verbesserung des Ost-West-Verhältnisses und die Wiederherstellung von Verbindungen bemühe, bleibe die Kirche „hinter der hohen Politik“ zurück, erklärte Rieger, der in dem Gesetz einen „Freibrief zur Trennung“ sah. Superintendent Reinhold George forderte die Kirche auf, nicht „kleinmütig an sogenannten Realitäten“ zu kleben, sondern an der „Utopie der Einheit“ festzuhalten. Er bezweifelte, dass wirklich staatlicher Druck die östliche Regionalsynode zur Annahme dieser Vorlage veranlasst hatte. Einige Synodalen machten ihre Zustimmung zu dem Kirchengesetz von dem interpretierenden Beschluss abhängig und betonten, man müsse den Verdacht entkräften, dass die Verabschiedung des Gesetzes ein Ausdruck von Resignation sei303. Kurz nach der Regionalsynode West der Berlin-Brandenburgischen Kirche und von deren Verlauf stark belastet, begann in Potsdam-Hermannswerder die zweite Tagung der Synode des BEK. Im Vorfeld hatten Seigewasser und die Ost-CDU ihre Erwartungen an die Synode deutlich gemacht. Der Staatssekretär vermittelte Schönherr in zwei Gesprächen die staatlichen Wünsche: Der Bund hatte erstens seine volle Selbstständigkeit sicherzustellen und alle Einmischungsversuche westdeutscher bzw. West-Berliner kirchlicher Kreise und den „Mißbrauch“ von Art. 4,4 zurückzuweisen. Er hatte zweitens seine Stellung zur Ordnung der DDR zu präzisieren und in seiner Arbeit die sozialistische Verfassung zu respektieren. Drittens durfte der föderative Charakter des Bundes nicht ausgehöhlt werden304. Die „Neue Zeit“ verlangte am 24. Juni von Schönherr eine „unmißverständliche Antwort“ auf die Stellungnahme der jüngsten WestBerliner Regionalsynode und auf die Äußerungen von Scharf, man könne die institutionelle Gestalt der Kirche über Grenzen hinweg festhalten305. Friedrich Kind, Präsidiumsmitglied des CDU-Hauptvorstandes und Vorsitzender des CDU-Bezirksverbandes Potsdam, warf in der „Neuen Zeit“ vom 25. Juni dem BEK vor, er hätte mit seinem Art. 4,4 den Anlass zu Spekulationen über seine organisatorische Unabhängigkeit gegeben. Auf mehreren westdeutschen und West-Berliner Synodaltagungen wäre immer wieder das Bestreben offenkundig gewesen, mit Art. 4,4 den Fortbestand einer „Bonn-synchronen Kircheneinheit“ zu rechtfertigen306. Er berief sich dabei auf eine Vorlage für die Regionalsynode West der EKD im Mai. In dieser „rechtlichen Begründung“ für den Entwurf des Synodalbeschlusses zur Bundesgründung hatte es

301 Vgl. A. SCHÖNHERR, Regionalisierung, S. 163. 302 Vgl. epd ZA, 20.6.1970, S. 2. 303 epd ZA, 22.6.1970, S. 2. 304 Vgl. Information der AG Kirchenfragen an die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED vom 9.7.1970. Abdruck in: SED UND KIRCHE, Bd. 2, S. 129f. 305 Vgl. Eberhard Klages: Wer schweigt, stimmt zu. In: NZ, 24.6.1970, S. 2. 306 Friedrich Kind: Unerläßliche Klärung. In: NZ, 25.6.1970, S. 1f.

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zu der Frage, ob die EKD nach dem Ausscheiden der ostdeutschen Gliedkirchen noch bestehe, geheißen: „Voraussetzung für den Bestand der EKD kann nach ihrem Selbstverständnis im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 Satz 1 der Grundordnung nur die ‚bestehende Gemeinschaft der deutschen evangelischen Christenheit‘ sein. Diese Gemeinschaft ist durch die Gründung des Kirchenbundes in der DDR keineswegs in Frage gestellt, sondern sie wird in Artikel 4 Absatz 4 der Ordnung des Bundes ausdrücklich wie folgt bejaht [. . .]“307.

In der Interpretation von Kind gab damit Art. 4,4 die „letzte Begründung für den Fortbestand einer ‚gesamtdeutschen EKD‘“ ab308. Und aus anderen, insbesondere von Scharf getätigten Äußerungen schloss er, dass die „besondere Gemeinschaft“ „kryptoorganisatorisch“ gemeint sei. Mit Hinweis auf diese „Interpretationen“ verlangte Kind von der Bundessynode einzugestehen, dass Art. 4,4 ein Fehler war. Drohend erklärte er: „all seine [des Bundes, C. L.] innerkirchliche Aktivitäten wären umsonst, wenn der Kirchenbund nicht deutlich zu erkennen gibt, wo er steht: in der Wirklichkeit unserer sozialistischen Gesellschaft oder aber im Nebel der Bonner ‚Ostpolitik‘. Tertium non datur! [. . .] Wir erwarten eine unmißverständliche Entscheidung!“309

Neben dieser publizistischen Aufforderung erreichten die Bundessynode sieben Eingaben „progressiver“ kirchlicher Persönlichkeiten und Gruppierungen, die eine Streichung oder eine Interpretation von Art. 4,4 forderten310. Überdies wurde verlangt, dass sich die Synode namentlich von Scharf distanzierte311. Der Rechtsausschuss der Synode hielt jedoch die Behandlung der Eingaben im Plenum für nicht notwendig. Er verwies auf die Erklärung von Synode und Kirchenkonferenz der EKD vom 15. Mai und auf den Absatz 5 des ersten Jahresberichts der KKL vor der Bundessynode. Die KKL interpretierte dort die EKD-Erklärung dahingehend, dass damit die „vorhandene organisatorische Trennung“ ebenso „klar anerkannt“ worden wäre wie die weiterbestehende „geistliche Gemeinschaft“. Von einer Anerkennung im Rechtssinne war allerdings in der EKD-Erklärung nicht die Rede gewesen, sondern lediglich von einem „respektieren“. Die KKL äußerte zudem die Hoffnung, dass der EKD-Ausschuss für Struktur- und Verfassungsfragen einen Namen fände, „der Mißdeutungen der zwischen uns bestehenden Gemeinschaft so weit wie möglich ausschließt.“312 Damit sie nicht selbst zu „Mißdeutungen“ Anlass gab, betonte die KKL, dass mit der Annahme der Bundesordnung durch die Landessynoden und die Konstituierung der Bundesorgane die evangelischen Kirchen in der DDR nicht mehr Gliedkirchen der EKD wa307 VERHANDLUNGEN Synode EKD 1970, S. 277. 308 F. Kind: Unerläßliche Klärung. In: NZ, 25.6.1970, S. 2. 309 EBD., S. 224. 310 Vgl. H. DOHLE, Grundzüge, Anmerkungen, S. 23. 311 Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Vorstandes der KKL der Evangelischen Kirchen in der DDR und der Beratergruppe des Rates der EKD vom 2.7.1970 (EZA BERLIN, 4/293). 312 Zitiert nach: KJ 97, 1970, S. 248.

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ren. Und um aus dem „Nebel“ der sozialliberalen Ost- und Deutschlandpolitik herauszutreten, gab die KKL noch einmal eine offizielle Begründung für die Formierung des Bundes. Sie nannte dabei theologische und deutschlandpolitische Gründe, die eng miteinander verwoben wurden, auch wenn das theologische Motiv Priorität erhielt: „Zwei deutsche Staaten in zwei verschiedenen Gesellschaftssystemen: das erforderte organisatorische Unabhängigkeit der Kirchen nicht nur aus Gründen der Staatsraison, sondern vor allem wegen des Dienstes, der sich auf beiden Seiten verschieden gestalten muß.“313 Zu ihrer eigenen Standort- und Zielbestimmung hieß es in der Stellungnahme der Synode zum Bericht der Konferenz: „Der Bund wird sich als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft von Kirchen in der sozialistischen Gesellschaft der DDR bewähren müssen.“314 Die Auftragsbestimmung des Bundes wurde mit den Stichworten umschrieben: „Umkehr zu Gott“, „Hinwendung zum Nächsten“, „Verzicht auf Privilegien“, die der „Darmstädter Erklärung“ sowie der Theologie Dietrich Bonhoeffers entlehnt waren. Diese theologische Positionierung und Profilierung des Bundes fand auf den Folgesynoden ihre Fortsetzung315. Zu Art. 4,4 erklärte die KKL in Potsdam, ohne den Artikel zu nennen, dass aus der organisatorischen Einheit Partnerschaft geworden sei, die sicher auch „Spannungen, unbequeme und besorgte Fragen“ mit sich brächte – Erfahrungen, die man trotz der kurzen Zeit bereits beiderseits gemacht hatte. Weiter hieß es hierzu: „Aber wir leben mit den Christen in der Bundesrepublik und der ganzen Ökumene in der einen Gemeinschaft des Glaubens zusammen, die wir weder selbst gemacht haben, noch die von selbst gewachsen ist: Sie ist ein Werk des Heiligen Geistes und darum unzerstörbar. Es wird viel darauf ankommen, daß sich diese Gemeinschaft im Heiligen Geiste im Dienste der Versöhnung und der sozialen Gerechtigkeit als wirklich und wirksam erweist.“316

Dies konnte als Gleichstellung der innerdeutschen mit den ökumenischen Beziehungen verstanden werden. Zur bisherigen Praxis der „geistlichen Gemeinschaft“ zwischen BEK und „den Kirchen der EKiD“ seit der letzten Bundessynode wusste die KKL zu berichten, dass „in Abständen theologische Sachfragen“ besprochen worden waren317. Damit unterstrich sie ihre Bereitschaft zu einer engen Auslegung von Art. 4,4. Die Aussagen der KKL wurden durch einen Beschluss der Synode bekräftigt. Darin kam kein einziges Mal der Begriff „besondere Gemeinschaft“ vor, es wurde ausschließlich von der „geistlichen Gemeinschaft“ gesprochen. Die Synode erklärte, mit der Aussage des Konferenzberichts, dass „die nunmehr vorhandene organisatorische Trennung ebenso klar anerkannt [ist, C. L.] wie die weiterbestehende geistliche Gemeinschaft“, wäre „die einzig legitime Interpretation“ von Art. 4,4 gegeben worden318. Weiter hieß es: 313 Zitiert nach: EBD., S. 236. 314 Zitiert nach: EBD., S. 301. 315 Zur theologischen Kontextualisierung des Bundes vgl. W. THUMSER, Kirche; M. HASPEL, Protestantismus, S. 126–165. 316 KJ 97, 1970, S. 236. 317 EBD., S. 248. 318 EBD., S. 249.

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„Wir weisen alle Versuche zurück, die bestehende geistliche Gemeinschaft zu entleeren oder sie so zu interpretieren, daß dadurch die organisatorisch-rechtliche und institutionelle Selbständigkeit des Bundes in Frage gestellt wird. Es ist allein Sache des Bundes, verbindliche Aussagen über Selbstverständnis und Auftrag des Bundes der Ev. Kirchen in der DDR zu machen.“319

Dieser Beschluss trug deutlich den Charakter einer Gratwanderung: Der Bund hatte, wie es von Staat und Ost-CDU gefordert worden war, ohne Namensnennungen westdeutschen Aussagen eine Absage erteilt, die Zweifel an der Selbstständigkeit des Bundes aufkommen ließen. Gleichzeitig hatte er sich aber auch gegen die politischen Zumutungen gewandt, den Art. 4,4 zu streichen oder durch eine politisch-ideologische Erklärung zu interpretieren320. Denn zu einer expliziten, politisch-ideologischen Absage an die EKD und damit zur Aufkündigung der geistlichen Gemeinschaft fand sich der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR trotz einigem Entgegenkommen gegenüber dem sozialistischen Staat auch zu diesem Zeitpunkt nicht bereit.

319 EBD. 320 Vgl. BUND, S. 212.

Beziehungen„vonbesondeArt“(1967–1969/70) Zusammenfassung rer

5.3 Zusammenfassung Im Zuge ihrer allgemeinen Abgrenzungs- und Anerkennungspolitik forcierte die DDRFührung seit 1967 die vollständige Trennung der ostdeutschen Kirchen von der EKD. Denn allein die Existenz der gesamtdeutschen Kirchenorganisation wurde in der Phase der Abgrenzung als Unterstützung des Alleinvertretungsanspruchs der Bundesregierung gewertet, auch wenn Kirchenvertreter die Einheit rein geistlich legitimierten. Den Durchbruch zu ihrem kirchenpolitischen Ziel erreichte die SED mit Hilfe staatsrechtlicher Änderungen: dem Gesetz über die Staatsbürgerschaft der DDR, der Registrierungsverordnung und schließlich der neuen DDR-Verfassung. Die SED wollte jedoch die Kirchen in der DDR nicht öffentlich mit einem staatlichen Gewaltakt zur Aufgabe ihrer Gliedschaft in der EKD zwingen und damit eine Kirchenkampfsituation provozieren. Die Kirchen selbst sollten aus der neuen Verfassung für ihre Organisationsform und ihr Selbstverständnis Konsequenzen ziehen, indem sie ihre Grenzen mit den Staatsgrenzen zur Deckung brachten und sich als Kirchen im Sozialismus definierten. Eine finanzielle Unabhängigkeit vom Westen wurde allerdings nicht von ihnen verlangt. Mit Hilfe geheimer Gesprächspolitik und öffentlicher Propaganda versuchten die Kirchenpolitiker von SED und Ost-CDU, den innerkirchlichen Entscheidungsprozess in die von ihnen gewünschte Richtung voranzutreiben und die Kirchen zu einer organisatorisch-rechtlichen Trennung und theologisch-programmatischen Absage von der EKD zu bewegen. Insbesondere im Jahr des 20jährigen Staatsjubiläums war die SED-Führung um die Förderung eines Staatsbewusstseins innerhalb der kirchlich gebundenen DDR-Bevölkerung bemüht und verlangte daher von den Kirchen eine klare politischgesellschaftliche Positionsbestimmung. Die agitatorische Stoßrichtung ging weiterhin gegen den Westen, ihr eigentliches Ziel aber war eine Identifizierung der ostdeutschen Landeskirchen oder auch des Bundes mit den „politischen und gesellschaftlichen Realitäten“ der DDR. Erneut übernahm die Ost-CDU den Part, bei der „politischideologischen Überzeugungsarbeit“ öffentlich die schärfere Gangart einzuschlagen. Das Verhältnis der DDR-Kirchenpolitiker zum Bund war während dessen Konstituierungs- und Etablierungsphase davon abhängig, wie sein Nutzen für die kirchen- und deutschlandpolitischen Ziele der SED jeweils eingeschätzt wurde. Die Drohung seiner Nichtanerkennung diente vornehmlich als Instrument zur Durchsetzung weiterer kirchenpolitischer Forderungen. Generell setzte man jedoch noch stärker auf die Differenzierungspolitik mit Hilfe der Landeskirchenstrategie denn auf eine straffere Organisation der Kirche, deren gesellschaftlichen Einfluss die SED zurückdrängen wollte. An der kirchlichen Basis in der DDR herrschte Anfang 1968 Unsicherheit darüber, ob die institutionelle Ost-West-Einheit in der EKD erhalten werden sollte; Befürworter und Gegner hielten sich annähernd die Waage. Hinter dieser Unsicherheit stand auf der einen Seite Gleichgültigkeit gegenüber der ohnehin kaum noch wahrnehmbaren institutionellen Kircheneinheit, auf der anderen Seite aber auch das diffuse Ge-

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fühl der Zusammengehörigkeit, das sich als resistent erwies gegenüber den Unterschieden in den Lebensbezügen. Anlässlich der staatlichen Verfassungsentwicklung kamen dann aus den Reihen der östlichen EKD-Synodalen und der ostdeutschen Kirchenadministration Impulse zu einer stärkeren Verselbstständigung der ostdeutschen Kirchen in der Rechtskontinuität der EKD. So wurde schließlich ein Prozess in Gang gesetzt, der primär auf den Ausbau der Selbstständigkeit gegenüber der EKD sowie die engere Zusammenarbeit und die Intensivierung der geistlichen Gemeinschaft der ostdeutschen Kirchen zielte, letztlich aber doch zur Neugründung eines voll ausgebauten Kirchenbundes in der DDR und zum – vorübergehenden – Ende der EKD als gesamtdeutsche Kirchenorganisation führte. Zu den Befürwortern einer Bundesgründung und schließlich auch der Auflösung der EKD-Organe in der DDR zählten Schönherr, Stolpe und Krusche. Insbesondere Schönherr und Stolpe gewannen in dieser Zeit, nicht zuletzt durch ihre Gesprächskontakte zu Staats- und Parteivertretern, deutlich an Einfluss auf die kirchliche Entwicklung. Gegner einer Kirchentrennung waren u. a. Hildebrandt, Steinlein, Kupfer und Weiß. Krummacher nahm eine vermittelnde Position ein; er hoffte noch lange, alles miteinander verbinden zu können: Selbstständigkeit und Einheit, Verbesserung des Verhältnisses der ostdeutschen Kirchen zum Staat und Erhalt der Verbindung der ostdeutschen Kirchen mit der EKD. Mitzenheim, der in dieser Phase gänzlich unter dem Einfluss von Gerhard Lotz stand, votierte für die Trennung von der EKD, nicht aber für einen engen Zusammenschluss der ostdeutschen Landeskirchen, der den Thüringer Sonderweg gefährdete. Die Beweggründe und Argumente der kirchlichen Befürworter und Gegner waren vielfältig und wechselten überdies im Zuge der innerkirchlichen und politischen Entwicklung. Auch politische Überlegungen und das Bewusstsein von der unabsehbaren Dauer deutscher Zweistaatlichkeit sowie der Eindruck einer Konsolidierung der DDR spielten eine entscheidende Rolle, obgleich sie von den Protagonisten nur selten angeführt wurden. Lediglich Mitzenheim argumentierte mehrfach (deutschland-)politisch; punktuell tat es auch Schönherr, jedoch überwog bei ihm eindeutig die theologische und kirchenpolitische Argumentationsführung. Die kirchlichen Verantwortungsträger führten zum einen kirchenpolitisch-pragmatische, d. h. auf die tatsächliche bzw. vermutete staatliche Kirchenpolitik reagierende und auf die Verbesserung der Lage der Kirche in der DDR zielende Begründungen an; zum anderen nannten sie theologische Motive, d. h. vorrangig auf die Verkündigungssituation in der DDR und auf innerkirchliche Reformen zielende. Nicht selten gingen kirchenpolitische und theologische Begründungen auch ineinander über bzw. wurden beide von ein und derselben Person vertreten. Während in der Formationsphase in den internen Gesprächen eher kirchenpolitische Argumentationen dominierten, traten in der Vollzugsphase des Bundes in den öffentlichen Erklärungen theologische Argumente in den Vordergrund. Doch welche Beweggründe auch angeführt wurden, es war offenkundig, dass die Kirchen auf eine durch den Staat herbeigeführte Zwangslage reagierten1. Auch das theologische

1 Zutreffend charakterisiert D. POLLACK den auf die Kirchen ausgeübten staatlichen Druck und den

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Argumentieren zeigte sich von dieser Situation abhängig. Zum Kanon der Argumente der Befürworter eines von der EKD unabhängigen Kirchenbundes zählten: – die durch die Verfassung der DDR entstandene, neue rechtliche Situation; – die Notwendigkeit einer staatlicherseits als verfassungskonform akzeptierten gesamtkirchlichen Vertretung;

– der Wille, sich das Gesetz des Handelns nicht vom Staat aus der Hand nehmen zu lassen; – die Stärkung des Zusammenhalts der ostdeutschen Landeskirchen zur Abwehr der Differenzierungspolitik der SED; die Suche nach einem modus vivendi im Staat-Kirche-Verhältnis; die massive staatliche Behinderung der Handlungsfähigkeit der EKD-Organe in der DDR; der Wunsch nach kirchlicher Eigenständigkeit; das Verlangen nach einer eigenen Synode und damit auch nach synodaler Kontrolle der KKL; – die Hoffnung auf Überwindung landeskirchlicher Autarkie und eine engere und effektivere Zusammenarbeit der ostdeutschen Landeskirchen; – der mit europa- und weltweiten ökumenischen Bestrebungen parallel laufende Wunsch nach einer Überwindung der konfessionellen Gegensätze und einer engeren geistlichen Gemeinschaft als sie bisher in der EKD erreicht worden war; – und schließlich der Wille zur Neustrukturierung der Kirche entsprechend des spezifischen gesellschaftlichen Kontextes, um den kirchlichen Auftrag der Verkündigung und Seelsorge in der sie umgebenden sozialistischen Wirklichkeit konkreter wahrnehmen zu können.

– – – –

Das letztgenannte Motiv, das auch von Diskussionen in der Ökumene beeinflusst war und entsprechend auf ökumenischer Seite auf viel Verständnis stieß, leitete vor allem die mittlere und jüngere Generation ostdeutscher Kirchenvertreter. Sie waren dann auch in der neuen Bundessynode sehr stark vertreten. Für sie standen Fragen der Strukturveränderung der Kirche und ihres Dienstes in der DDR im Zentrum, für deren Beantwortung sie sich von Seiten der EKD als kirchlicher Gemeinschaft zwischen Ost und West zumeist keine Hilfe mehr versprachen. Unter ihnen bestand eine größere Bereitschaft, die institutionellen gesamtdeutschen Bindungen zu kappen. Das generationelle Gefüge spielte bei der Gewichtung der Trennungsmotive eine Rolle, reicht jedoch als Erklärungsmuster nicht aus. Denn auch bruderschaftliche Vertreter der älteren Generation, wie der Architekt des Bundes Schönherr, wollten ihre ekklesiologischen Reformvorstellungen um- und durchsetzen und nahmen dafür die äußere Zwangslage zum Anlass. Die verabschiedete Bundesordnung war aber letztlich aus innerkirchlichen und politischen Gründen ein Kompromissprodukt und enthielt in einigen Reformfragen nur Saat auf Hoffnung. Die Gegner einer Loslösung von der EKD sahen in der Unterscheidung zwischen äußerem politischen Anlass und innerem theologischen Grund, wie sie Figur, Schönherr und Krusche vornahmen, eine sinnstiftende, theologische Ummäntelung kirchlicher Konzessionen an den Staat. Ihnen ging es – in Fortführung der kirchlichen Linie Versuch der Kirchen, diesem Druck zu entkommen, als die „hinreichende Bedingung“ der kirchlichen Trennung. Vgl. DERS., Kirche, S. 229.

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der fünfziger Jahre – um eine konsequente Wahrung der Unabhängigkeit der Kirche gegenüber Forderungen des Staats- und Parteiapparates. Das Eintreten für die Eigenständigkeit der Kirche stellte für sie ein verpflichtendes Erbe der NS-Zeit dar. Theologisch beriefen sie sich auf die Barmer Theologische Erklärung, die „Zehn Artikel“ und die Fürstenwalder Erklärung. In ihren Augen ließen sich die Befürworter eines EKD-unabhängigen Bundes zu sehr auf die Handlungsbedingungen des SED-Systems ein. Allerdings musste auch den resistenten Kirchenvertretern seit den Erfahrungen mit dem Konflikt um die Jugendweihe klar sein, dass die Kirche für eine erfolgreiche Konfrontation mit dem Staat nicht mehr ausreichenden Rückhalt in der zunehmend entkirchlichten Bevölkerung der DDR besaß. Für viele Opponenten einer kirchlichen Trennung spielte auch der Versöhnungsauftrag der grenzübergreifenden EKD eine wichtige Rolle. Sie wollten vermeiden, dass sich die evangelischen Kirchen in den Antagonismus der beiden deutschen Staaten einordneten. Im Ergebnis plädierten sie mehrheitlich für eine regionale Aufgliederung der EKD und ein Zusammenwachsen der ostdeutschen Kirchen in „kleinen Schritten“. Das breite Spektrum der Meinungen innerhalb der ostdeutschen Kirchen zur Bundesgründung und zur Loslösung von der EKD kam vor allem auf den beiden nichtöffentlichen Informationstagungen der östlichen EKD-Synodalen zutage. Die östlichen Teile der EKD-Organe wurden jedoch aus dem Entscheidungsprozess über die Bundesgründung zunehmend hinausgedrängt, auch um den „Geburtsfehler“ zu vermeiden, dass der Bund mit EKD-Hilfe zustande kam und auf Grund dessen vom Staat nicht anerkannt werden würde. Der multikausale Prozess der Bundesgründung entwickelte, einmal in Gang gesetzt, eine gewisse Eigendynamik. Die Kirchenvertreter sahen sich in einem Wettlauf mit der Zeit und versuchten durch initiatives Handeln, noch so viel kirchlichen Freiraum wie möglich zu schaffen. Bereits im Dezember 1968 war die Entscheidung zur Neugründung von kirchenleitender Seite definitiv gefallen. Die kirchliche Öffentlichkeit erfuhr von den konkreten Plänen zur Bildung des Kirchenbundes und zur Beendigung der aktiven EKD-Mitgliedschaft der östlichen Landeskirchen erst im Januar 1969. Der im Anschluss artikulierte Unmut unter ostdeutschen Pfarrern und Gemeinden richtete sich vornehmlich gegen die verspätete und unzureichende Information. Vielen war zudem fraglich, wie die Gründung des Kirchenbundes und das organisatorische Ende der EKD in der DDR mit der Fürstenwalder Erklärung in Einklang gebracht werden konnte. Auch gab es an der kirchlichen Basis mitunter Misstrauen, dass die Bischöfe die Kirchen „auf Staatskurs“ bringen könnten. Mit dem Argument, der Bund müsse gegründet werden, bevor der Staat ihn verhindere, wurde der Konstituierungsprozess jedoch beschleunigt und im Juni 1969 abgeschlossen. Alternativvorschläge, die sich teilweise an der partnerschaftlichen Aufteilung der ESG orientierten, hatten keine Chance mehr. Die westlichen Funktionsträger der EKD lehnten die Neugründung eines Kirchenbundes in der DDR zwar ab, ließen sie aber ohne öffentliche Interventionen geschehen. Intern sprachen sie sich deutlich gegen eine Selbstaufgabe der gesamtdeutschen Kircheneinheit aus. Die Trennung durfte in ihren Augen nur infolge äußeren Zwangs

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„erlitten“ werden – eine Position, die auch ostdeutsche Bundgegner vertraten und die in den Erfahrungen aus der Zeit des „Kirchenkampfes“ in der NS-Zeit wurzelte. Eine positive Argumentation für den Erhalt der EKD fiel jedoch auch auf westlicher Seite aus folgenden Gründen schwer: – Die Kirchen in den beiden deutschen Staaten hatten sich aufgrund der politischen Umstände und der Kommunikationsdefizite zwangsläufig auseinander entwickelt;

– die Möglichkeiten der Zusammenarbeit waren aufgrund der äußeren Behinderungen gering;

– die eingeschränkte Handlungs- und Reformfähigkeit auf beiden Seiten hatten einen Reformstau entstehen lassen;

– mit der inneren geistlichen Einheit der EKD war man nicht so weit gekommen, wie es sich manche erhofft hatten;

– eine gründliche theologische Auseinandersetzung mit der Einheit der EKD, auf die man nun hätte zugreifen können, lag nicht vor.

Dennoch lehnten die westlichen EKD-Repräsentanten jegliche Verantwortung für ein institutionelles Auseinanderbrechen der gesamtdeutschen EKD ab und wurden daher nicht in rechtlich relevanter Weise aktiv, auch nicht im Hinblick auf die eigene Zukunft. Und dennoch beeinflusste westliches Handeln bzw. Nicht-Handeln den Prozess der Bundesgründung. Mit dem Artikel und dem Interview über das „Zwillingskirchen-Modell“ gaben die westdeutschen „Evangelischen Kommentare“ ungewollt den Vertretern des ostdeutschen Staats- und Parteiapparates sowie der Thüringer Kirchenleitung die Waffen in die Hand, um mit Hilfe öffentlicher Polemik eine auf der Grundordnung der EKD fußende regionale Lösung als Alternative auszuschalten. Im Mai 1968 bremste der Rat den Versuch seiner östlichen Mitglieder, mit einer schnellen umfassenden Regionalisierung die Einheit der EKD zu erhalten und gleichzeitig funktionierende Strukturen im Osten aufzubauen. Bis zuletzt rieten westliche EKD-Vertreter dazu, die Ordnung des Bundes auf das Minimum einer Notordnung zurückzuführen, so dass kein Bund außerhalb oder anstelle der EKD entstehen würde. Soweit es ging, sollten Festlegungen vermieden und auf Zeit taktiert werden. Sie übten auf die ostdeutschen Kirchen jedoch keinen offenen Druck aus. In der Öffentlichkeit betonten Rat, Synode und kirchliche Amtsträger das Festhalten an der Gemeinschaft innerhalb der EKD und das „Leiden“ über jede Verminderung dieser Gemeinschaft, vermieden aber Äußerungen, die als Einmischung in den Gründungsprozess des BEK gedeutet werden konnten. Zugleich billigten sie den ostdeutschen Kirchen theologische Motive für ihre Strukturüberlegungen zu. Im Übrigen war die Aufmerksamkeit der westlichen Regionalsynode ebenso wie die der evangelischen Publizistik von anderen Themen okkupiert, vor allem von der „Dritte-Welt“-Problematik und der Studentenrevolte. Erst nach Schönherrs Interview im Januar 1969 kam es in der Bundesrepublik zu einer ersten Welle publizistischer Beachtung der Vorgänge in den DDR-Kirchen, wobei eine verständnisvolle Haltung gegenüber der Entscheidung der ostdeutschen Kirchenvertreter überwog. Besondere Schwierigkeiten bei der Bundesgründung machte bis zuletzt die Klärung

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des zukünftigen Verhältnisses der Organe von BEK und EKD. Lange waren Zeitpunkt und Modalitäten der Übertragung von Rechten und Pflichten strittig. Letztlich erfolgte die sofortige Substitution der EKD im DDR-Bereich durch den Kirchenbund. Das Argument, der Staat werde den Bund nicht anerkennen, solange in der DDR EKDOrgane tätig blieben, wurde als zwingend angesehen. Mit Hilfe eines komplizierten Überleitungsverfahrens wurde ein „EKD-Geburtsfehler“ des Bundes vermieden und dessen rechtliche und organisatorische Selbstständigkeit dokumentiert. Damit schien 1969 – im Jahr des Machtwechsels in Bonn, des zwanzigsten Jahrestages der DDR und damit der deutschen Zweistaatlichkeit – die Geschichte der EKD als gesamtdeutsche Institution zu Ende zu sein. Die (Rest-)EKD stand nach Abschluss der Bundesgründung vor der Aufgabe, die neue Situation zu interpretieren und auf sie zu reagieren. Die kirchenrechtliche Lage war nicht eindeutig und die Bewertung der Situation durch die westlichen EKD-Vertreter schwankte zwischen Trauer über das Verlorene und Hoffnung auf einen Neuanfang. Rat, Synode und Kirchenkonferenz entschieden sich dafür, die faktische Abtrennung durch den einseitigen und eigenmächtigen Lösungsakt der östlichen Gliedkirchen zu „respektieren“, aber keine Verfassungsänderung vorzunehmen und auch keine rechtliche Anerkennung des BEK zu vollziehen. Sie gingen vom Fortbestand und der Identität der EKD aus und beschränkten lediglich ihre Aufgaben und Befugnisse auf den Bereich der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin. Mehrere Gründe hatten gegen eine Auflösung der EKD und eine parallele Neukonstituierung eines Bundes der westdeutschen Landeskirchen gesprochen: – von einer westlichen Bundesgründung wurden keine ekklesiologischen Fortschritte, son-

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dern eher Rückschritte gegenüber der erreichten Verfassungswirklichkeit der EKD erwartet; anstehende Strukturreformen wären nur verzögert worden; auch einen neu gegründeten westlichen Bund hätte vermutlich das ostdeutsche Verdikt der „Alleinvertretungsanmaßung“ getroffen; nur die berlin-brandenburgische Regionalsynode Ost hatte eine westliche Bundesgründung empfohlen; es bestand keine rechtliche Notwendigkeit zu einem solchen Schritt.

Auch der Name EKD wurde beibehalten, obgleich der Vorstand der KKL, kirchliche Reformgruppen sowie einige westdeutsche EKD-Synodale um eine Änderung gebeten hatten, da sie politische Missdeutungen verhindern wollten. Von seinen Befürwortern wurde der Erhalt des Namens mit der Wahrung der Tradition und dem ökumenischen Zug der Zeit begründet. Die Mehrzahl der EKD-Synodalen glaubte allerdings nicht mehr daran, dass noch zu ihren Lebzeiten die rechtliche Abtrennung der ostdeutschen Landeskirchen wieder rückgängig gemacht werden würde. Was von der gesamtdeutschen EKD zurück blieb, war die „besondere Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland“. Ihre Fixierung in Art. 4,4 der Ordnung des Bundes machte vielen, wenn nicht den meisten ostdeutschen Kirchenvertretern die Zustimmung zu dieser und damit zur Aufgabe der institutionellen Ein-

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heit in der EKD erst möglich. Auch um ihrer eigenen Glaubwürdigkeit willen wollten sie die besondere geistliche Gemeinschaft und die besondere historische Verbundenheit, die über ökumenische Beziehungen hinausgingen, mit den Christen und Kirchen in der Bundesrepublik erhalten wissen. Die evangelischen Kirchen sollten an ihrem Versöhnungsdienst im geteilten Deutschland, d. h. an ihrer historisch-moralischen „Verantwortungsgemeinschaft“ festhalten. Die Entstehungsgeschichte des Artikels war schwierig und von kirchlichen Auseinandersetzungen und politischen Angriffen bestimmt. SED und Ost-CDU, die durch die kirchlichen Reaktionen auf die militärische Niederschlagung des reformsozialistischen Versuchs in der DSSR aufgeschreckt waren, sahen in ihm eine versteckte Fortsetzung der EKD und damit der „ideologischen Diversion“. Innerkirchlich war die Formulierung des Artikels zum einen mit der Frage verknüpft, ob eine künftige Tätigkeit der Bundesorgane ein paralleles Weiterarbeiten von EKD-Organen im Bereich der DDR ausschloss. Zum anderen verband sich mit ihr die Überlegung, ob der Staat unter diesen Umständen den neuen Bund anerkennen würde. In seiner endgültigen Fassung, die im Wesentlichen auf Siegfried Ringhandt zurückging, enthielt Artikel 4,4 die Aussage, dass die Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland schon vor ihrer Institutionalisierung in der EKD bestanden hatte und auch nach der Bundesgründung weiter bestand. Der starke Ausdruck „sich bekennen“ verdeutlichte, dass die Kirchen in der DDR von dieser Gemeinschaft nicht abrücken würden. Sie sollte zukünftig aber nicht mehr in der EKD „sichtbar“ werden, sondern als „besondere Gemeinschaft“ in der verbindlichen, aber freien Kooperation zweier selbstständiger Partner praktiziert werden. Wichtig war den ostdeutschen Kirchen, dass in Art. 4,4 die gemeinsamen Aufgaben inhaltlich nicht begrenzt wurden und der Modus seiner Praktizierung nicht fixiert wurde. Die Grenzen wurden jedoch zukünftig durch die politische Situation sowie deren jeweilige kirchliche Interpretation gesetzt.

Ausblick Ausblick

Ausblick „In der ursprünglichen Kraft der Versöhnung Mitstifter einer Friedensordnung zu werden, in einer Dienstgemeinschaft Dasein als Fürsein zu verstehen, ist auch im Ganzen die neue, nationale Bestimmung, für die wir in der Katastrophe aufbehalten worden sind. Wir werden dieser Berufung zu neuer, sinnhafter Existenz nur in den Realitäten eben dieser Katastrophe als einer Gewissensfrage an uns oder überhaupt nicht inne. [. . .] Was an dem Geschichtsgebilde Deutschland mehr war als nationaler Mythos, ist auf dem Trümmerberg des restlosen Einsturzes und durch den radikalen Zwiespalt im nachwachsenden Leben hindurch heute noch nicht auszumachen. Die Entfremdung der Teile wächst. Was an Artung, Sprache, Geschichte unleugbar gemeinsam geblieben ist, scheint weithin ins Unbewusste abzusinken. Aber die Liebe ist in der Tiefe lebendig geblieben und macht aus den beschämend geringen Verbindungsmöglichkeiten unbeirrt und unermüdlich, was sie kann. Wie unscheinbar und doch verheissungsvoll ist diese in der Beugung unter das verdiente Verhängnis beharrlich sich aufsammelnde Hoffnung neben den Regungen vergangenen Nationalbewusstseins. Aber Hoffnung worauf? Nicht auf eine dem untilgbaren Restbestand allmählich entwachsende Wiedervereinigung. Das wäre zu billig. Vielmehr ist in der lebensgefährlichen Teilung selbst das Angebot einer neuen, sinnhaften Existenz als Nation verborgen [. . .] Denn in der Schicksalsfrage nach der Überwindung der ideologischen Feindseligkeit wird der Sache nach eine Aufgabe unabweisbar, der wir uns – die Christen unter uns zumal – allzu lange entzogen haben: Bessere soziale Gerechtigkeit für alle. [. . .] Wenn wir nicht zuerst die Freiheit des nachbarlichen Umganges mit uns selbst gewinnen, bleiben wir im Provinzialismus unserer nationalen Problematik und im ideologischen Zwiespalt der reichen Völker gefangen, in dem sie vor der herannahenden Hungerkatastrophe der Menschheit waffenstarrend in monumentaler Unfruchtbarkeit verharren. Ohne diesen für uns vor anderen gewissensandringlichen, nächsten Schritt in eine lebensnotwendige Friedensordnung können wir heute nicht auf einer Gemeinsamkeit bestehen, die wir zuerst durch eigene Schuld verwirkt haben. Aus der gleichen Verantwortung füreinander und für alle können wir auf das unveräusserliche Menschenrecht einer endlichen Selbstbestimmung nicht verzichten. Aber niemand kann und wird uns hindern, ohne Untreue gegenüber unseren Weggenossen und Bündnisverpflichtungen füreinander da zu sein, unterwertige Coexistenz in Proexistenz zu verwandeln und eben darin Selbstbestimmung als Beitrag zu einer Ethik der Mitmenschlichkeit zu ergreifen.“

Mit diesen Worten, gesprochen unter dem pathetischen Titel „Das Herz der Väter für die Söhne. Dankgabe an eine Synode“ und als Abschrift vom Ministerium für Staatssicherheit gleich zweimal zu den Akten genommen1, verließ 25 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Mai 1970 mit Lothar Kreyssig ein Protagonist die kirchliche Bühne, der wie wenige deutsche Protestanten für die Verbindung von Schuldanerkennung, Versöhnung und nationale Identität stand und damit auch für theologische Geschichtsdeutung als Sinngebung. 1 BStU MfS ZAIG 1820 und MfS AP 20983/92.

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Als führendes Mitglied der Bekennenden Kirche und aktiver Gegner der „Euthanasie“ zählte Kreyssig zu den Vertretern des „besseren Deutschlands“ und machte doch die Schuld der Deutschen und ihre Sühne zu seinem Lebensthema – nicht nur durch die Gründung der „Aktion Sühnezeichen“. Lange Jahre bestimmte er als Mitglied des Rates der EKD, als Vizepräsident (Ost) des Kirchentages sowie als Präses der EKU gesamtdeutsche evangelische Kirchengeschichte mit: Anfang 1951 unternahm er im Kontext des Grotewohl-Briefes durch einen Besuch bei Adenauer einen deutschlandpolitischen Vermittlungsversuch. Beim Gespräch zwischen Vertretern der Bundesregierung und der EKD im November desselben Jahres warnte er den Bundeskanzler, den „echten historischen Moment“ für eine Wiedervereinigung nicht aus sicherheitspolitischen Überlegungen zu verpassen. Wenige Tage nach dem 17. Juni 1953 schlug er dem sowjetischen Hohen Kommissar vor, eine baldige deutsche Wiedervereinigung durch die Absetzung der SED-Regierung vorzubereiten. Im Oktober 1953 votierte er für eine Regelung der Militärseelsorge durch die Gesamt-EKD. 1956 stand er im Zentrum einer Gruppe von Vertretern aus Kirche und Politik, die einen „legalen Staatsstreich“ mit dem Ziel der Wiedervereinigung planten. Im Juli 1958 erklärte Kreyssig, das Staat-KircheKommuniqué nicht mitverantworten zu können. Ende November 1960 übermittelte er dem DDR-Ministerpräsident die Stellungnahme der EKU zu der anhaltenden Fluchtbewegung aus der DDR. Im Februar 1961 äußerte er auf der EKD-Synode den Wunsch, dass beide deutsche Regierungen die Auslieferung Eichmanns verlangen und ein gemeinsames Sondergericht bilden sollten. Im Juni 1963 hielt er gegen den erklärten Willen des Staates als Präses an Berlin als Tagungsort der EKU-Synode fest. Im Januar 1964 forderte er im Zusammenhang mit dem Passierscheinabkommen das Primat der humanitären Anliegen vor politischen Statusfragen. Im Februar 1968 votierte er gegen die erste Fassung des Bischofbriefes zur DDR-Verfassung. Ein Jahr später kritisierte er Schönherrs Vorgehen bei der Bundgründung. Der gelernte Jurist Kreyssig war nicht der prototypische Kirchenvertreter seiner Zeit, und doch spiegeln sich in seinen Aktivitäten und den Reaktionen auf sie wichtige Aspekte des kirchlichen Einheitsverständnisses und protestantischer Nationsvorstellungen im Wandel zwischen 1945 und 1969: Schon 1956 hatte Kreyssig auf der EKD-Synode die Teilung Deutschlands metahistorisch als „Ineinander von Gericht und Gnade“ gedeutet2. Angesichts des Gerichtscharakters der Teilung konnte die Wiedervereinigung seiner Auffassung nach nicht mit nationalistischem Pathos oder als Rechtsanspruch gefordert, sondern nur als göttliche „Begnadigung“ erhofft werden. Die Überwindung der Teilung religiösmoralisch begründend, forderte er von den Deutschen und von der EKD, sich nicht „am Kreuz vorbeizudrücken“ und den ihnen „zugedachten Sinn einer Aufgabe“ (die „im Weltanschauungsgegensatz gestellte Frage in sich als Ganzes [zu] bewältigen“) nicht zu verfehlen3. Einen Verzicht auf die Wiedervereinigung als Beitrag der Deutschen zum europäischen Frieden lehnte Kreyssig entschieden ab: „Dieses Urteil, liebe 2 BERLIN 1956, S. 55–59, hier S. 56. 3 EBD., S. 57.

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europäische Brüder, haben wir in unserem an Gott gebundenen Gewissen nicht empfangen.“4 In seinen geschichtstheologischen Deutungen aus dem Jahr 1970, die noch immer von den Begriffen „Gericht“ und „Gnade“ bestimmt waren, spielte hingegen in Anpassung an die weltpolitische Entwicklung die Wiederherstellung staatlicher Einheit keine erhebliche Rolle mehr. Das Deutungs- und Sinnstiftungsmuster war mit der sich verstetigenden deutschen Teilung transformiert worden. Auch wenn Kreyssig die deutsche Frage für die ferne Zukunft offen ließ, ging er in der Gegenwart von zwei „souveränen Staaten“ aus5. So wie er schon früher die noch als vorübergehend gedachte deutsche Teilung sinngebend als Ausgangspunkt einer besonderen deutschen Sendung deutete, tat er dies nun in seinem „Vermächtnis“ erneut. Damit wollte er sie, auch in ihrer nun unabsehbaren Dauer, erträglich machen. An der einen deutschen Nation hielt er fest und definierte sie im Koordinatenkreuz von NS-Vergangenheit und deutsch-deutscher Konfrontation nach ethischen Kategorien. Trutz Rendtorff hat diese Identität, die sich auf die historisch-moralisch definierte deutsche Nation bezog, welche ihre faktische staatliche Teilung integrierte, einmal treffend „Nationalität höherer Ordnung“6 genannt. Sie hatte, wie die Untersuchung gezeigt hat, im gesamtdeutschen Protestantismus eine Pflanz- und Pflegestätte. Mit diesem Nationsverständnis in Verbindung stehend waren Kreyssigs Abschiedsworte zugleich von der Hoffnung auf die sozialliberale Ost- und Deutschlandpolitik, auf den „Wandel durch Annäherung“ und auf Entspannung getragen. Sie dokumentierten damit die wachsende „Sozialdemokratisierung“ des west- wie ostdeutschen Protestantismus, die über die Annäherung in den fünfziger Jahren deutlich hinausging und – wie gezeigt wurde –während der sechziger Jahre vornehmlich im Kontext der Deutschland- und Friedenspolitik erfolgte7. Kreyssigs Hinweis auf die „soziale Gerechtigkeit“ verweist auf ein weiteres deutschdeutsches und „reformsozialistisch“-christliches Annäherungsfeld, das sich seit den sechziger Jahren auftat. Und auch in einem anderen Aspekt war seine Rede ein Zeitdokument: Sie war bestimmt von der sich seit den sechziger Jahren durchsetzenden globalen Perspektive, die sich auf die Sicherung des Weltfriedens und die Bekämpfung des Hungers in der „Dritten Welt“ richtete. In dieser Zeit traten in der Wahrnehmung evangelischer Christen die nationalen Fragen hinter den globalen Problemen deutlich zurück. Dabei rückte allerdings auch im ostdeutschen Protestantismus die Einforderung individueller Menschenrechte vor Ort teilweise in den Hintergrund, bei Kreyssig weniger, bei anderen ostdeutschen Kirchenvertretern deutlich mehr.

4 EBD., S. 58. 5 L. Kreyssig, Herz (BStU MfS ZAIG 1820). 6 T. RENDTORFF, Protestantismus, S. 436. 7 Der Begriff „Sozialdemokratisierung“ der evangelischen Kirche wird hier nicht im pejorativen Sinne gebraucht, wie dies vor allem bei M. J. INACKER, Kirche, der Fall ist, der sich jedoch stärker auf die siebziger und achtziger Jahre bezieht und damit eine kirchliche Annäherung an SPD und SED beschreibt.

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Kreyssigs Vorstellung von der „Schuld- und Schicksalsgemeinschaft, in der wir eine besondere Verantwortung haben“8, findet sich wieder in der Interpretation der „besonderen Gemeinschaft“ der evangelischen Christen in Deutschland sowie der deutschen Nation als „Verantwortungsgemeinschaft“, die in den späten siebziger und während der achtziger Jahre im ost- wie westdeutschen Protestantismus deutungsdominant wurde. Sie ist nicht mit der Kollektivschuldthese gleichzusetzen; jedoch waren die Verbrechen der NS-Zeit der einzige historische Bezugspunkt einer so verstandenen gesamtdeutschen Identität. Bezogen auf die deutsche Nation konnten sich mit ihr zwei Antworten auf die „deutsche Frage“ als Frage nach der zukünftigen politischen Organisation Gesamtdeutschlands verbinden: sie konnte offen gelassen werden oder durch die Existenz von zwei deutschen Staaten als beantwortet gelten. Das erste gemeinsame Wort von EKD und BEK über die gesamtdeutsche historisch-moralische Verantwortung für den europäischen Entspannungsprozess erschien erst im Jahr 1979. Denn nach dem Antritt der sozialliberalen Bundesregierung und Brandts Kennzeichnung der deutsch-deutschen Beziehungen als solche „von besonderer Art“ verstärkten die Machthaber in der DDR ihre innerdeutsche Abgrenzung noch einmal. Zurecht vermuteten sie, dass auch viele Protestanten in der DDR große Hoffnungen auf den Weg der sozialliberalen Bundesregierung setzten, über eine neue Ostpolitik zu einer neuen Deutschlandpolitik zu gelangen, die, ohne das Ziel der deutschen Einheit aufzugeben, auf einen pragmatischen Umgang mit der Realität der deutschen Teilung zielte9. Daher blieb der Staatsapparat auch nach dem Ende der gesamtdeutschen Kirchenorganisation im kirchlichen Bereich besonders hellhörig hinsichtlich potenzieller westlicher „Infiltrationsversuche“. Die ostdeutschen Kirchen trugen dem bei ihren ersten Versuchen, die „besondere Gemeinschaft“ zu praktizieren, durch betont vorsichtiges Verhalten Rechnung. Es gab aber auch noch andere Gründe, warum es zunächst zu keinen gemeinsamen öffentlichen Erklärungen von Bund und EKD zu politisch-ethischen Fragen kam: Der Bund konzentrierte sich in seinen Anfangsjahren auf seine theologisch-konzeptionelle Standortbestimmung in der sozialistischen Gesellschaft der DDR und seine eigenständige Profilierung in der Ökumene. Im ökumenischen Bereich gab es dann anlässlich des Antirassismus-Programms des ÖRK auch die ersten öffentlich wahrnehmbaren kirchlichen Ost-West-Differenzen. Folglich wurde in den ersten Jahren nach der organisatorischen Trennung zunächst die „geistliche Gemeinschaft“ gepflegt. Für den allgemeinen Informations- und Erfahrungsaustausch sorgte die informelle Beratergruppe10; ab 1973 wurden gegenseitig offizielle Vertreter zu den Synoden entsandt; von 1976 an kam es zu Besuchen und Gegenbesuchen der Vorsitzenden der Kirchenbünde. Ununterbrochen blieb der Fi-

8 „Entwurf zu einer Entschließung der Synode über ‚Die eine Kirche im getrennten Volk‘“, 1956 (EZA BERLIN, 614/40). 9 Zur Affinität des gesamtdeutschen Protestantismus zur sozialliberalen Deutschlandpolitik Anfang der siebziger Jahre vgl. F. HARTWEG, Kirche, S. 462–465. 10 Vgl. W. HAMMER, Konsultationen, S. 21; demnächst auch: Anke Silomon: Theorie und Praxis der „besonderen Gemeinschaft“.

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nanztransfer in West-Ost-Richtung, so dass in der DDR trotz niedriger Mitgliederzahlen weiterhin großkirchliche Strukturen und damit auch ein breites „Dach“ für die späteren oppositionellen Gruppen erhalten werden konnten. Im Rahmen des jeweils Möglichen wurden Kontakte auf der Ebene der konfessionellen Zusammenschlüsse, der Landeskirchen, der kirchlichen Werke und Einrichtungen weiter gepflegt. Ebenso bestanden die Gemeindekontakte fort und entwickelten sich immer stärker von Paten- zu Partnerschaften11. Im Jugend- und Studentenbereich gingen, vom MfS stark überwacht, die Begegnungen weiter12. All dies geschah außerhalb des Rampenlichts, wodurch in der Öffentlichkeit der Eindruck vermieden wurde, die Kirchen unterliefen demonstrativ die Abgrenzungspolitik der DDR. Die Tatsache der Kontakte zwischen Christen in beiden deutschen Staaten blieb aber dennoch weiterhin ein wichtiger Faktor beim Erhalt gesamtdeutschen Bewusstseins. Seit dem letzten Drittel der siebziger Jahre begann die DDR-Führung die ostdeutschen Kirchenleitungen und ihre innerdeutschen Beziehungen als einen friedenspolitischen Faktor zu betrachten. Mit staatlichem Einverständnis pflegten fortan Kirchenvertreter aus der DDR Kontakte zu westdeutschen Politikern, die wiederum an solchen Beziehungen stark interessiert waren. Hohe ostdeutsche Kirchenrepräsentanten konnten in der Bundesrepublik Vorträge halten und die kirchlichen Zeitschriften in der DDR durften darüber berichten. Insgesamt war es den ost- und westdeutschen Kirchen von nun an möglich, ihre „besondere Gemeinschaft“ in stärkerem Maße auch öffentlich zu leben. Das offizielle Gespräch des Staatssekretärs für Kirchenfragen, Klaus Gysi, mit dem Ratsvorsitzenden der EKD, Eduard Lohse, sowie mit Albrecht Schönherr am 17. März 1980 wurde von Seiten des Bundes als „Plazet der Regierung“ für den Kontakt der Kirchen und „einer besonderen Verantwortung der Kirchen in den beiden deutschen Staaten“ gedeutet13. Trotz dieses Plazets betrachtete die SED die Praktizierung der „besonderen Gemeinschaft“ kritisch, da sie der Durchsetzung ihres Konzepts einer sozialistischen Nation zuwiderlief. In einer Studie aus der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen von 1980 wurde beklagt, dass das „gesamtkirchlich statt gesamtdeutsch deklarierte Zusammengehörigkeitsgefühl“ den „Bewußtseinsprozeß der Herausbildung des sozialistischen Nationalbewußtseins“ verlangsame und einer „gesamtdeutsch-nationalistischen Ideologie“ sowie der „Politik des Offenhaltens der deutschen Frage“ den Boden bereite14. Die von der SED Anfang der siebziger Jahre in 11 Vgl. hierzu demnächst K. KLAS, Kirchenpartnerschaften im geteilten Deutschland am Beispiel der Landeskirchen Württemberg und Thüringen. 12 Vgl. A. NOACK, Opposition, S. 87; F. DORGERLOH, Geschichte, S. 266. Auf der Ebene der Gesamtarbeit der ESG in der DDR wurden die Partnertreffen während der siebziger Jahre jedoch sehr kritisch beurteilt. Vgl. A. NOACK, Studentengemeinden, S. 210–220. 13 Bischof Schönherr, zitiert nach KJ 107, 1980, S. 375. 14 Horst Hartwig/Wolfgang Münchow: Disposition. Thema: Die Beziehungen zwischen den evangelischen Kirchen in der BRD und der DDR – der Einfluß der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auf den Bund Evangelischer Kirchen (BEK) – Modifizierungen in der Politik der EKD gegenüber den Kirchen in der DDR unter den Bedingungen des veränderten Kräfteverhältnisses und des

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Reaktion auf die sozialliberale Ost- und Deutschlandpolitik sowie als Folge von bündnispolitischen Zwängen konstruierte „sozialistische Nation“ als einer „Klassennation“15 blieb aber nicht wegen der deutsch-deutschen Kirchenbeziehungen ein „ideologischer Kretin“16. Die Bürger der DDR entwickelten im Zuge der internationalen Anerkennung der DDR zwar ein gewisses Staatsbewusstsein, eine Art „mißmutige Akzeptanz“ ihres Staates17, ein sozialistisches Nationalbewusstsein existierte unter ihnen – mit Ausnahme der engeren SED-Kreise – jedoch nicht18. Die SED hielt an der Zwei-Nationen-These bis 1989 fest, jedoch war sie während der achtziger Jahre kaum noch in der öffentlichen Diskussion präsent. Die seit Ende der siebziger Jahre von Bund und EKD veröffentlichten gemeinsamen Stellungnahmen widersprachen der historischen Konstruktion einer „sozialistischen Nation“ sowie der ausschließlichen Aneignung von humanistischen, „fortschrittlichen“ Traditionen der deutschen Geschichte durch die DDR. Sie förderten zwar eine Art entstaatlichte nationale Identität, diese baute aber auf der gemeinsamen deutschen Geschichte auf und implizierte gemeinsame Aufgaben. Im August 1979 veröffentlichten EKD und Bund aus Anlass des 40. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkrieges ein gemeinsames „Wort zum Frieden“19. An der „Nahtstelle zweier Weltsysteme“ bekannten sie sich im gemeinsamen Bewusstsein der gemeinsamen geschichtlichen Schuld erneut zu ihrer gemeinsamen besonderen Verantwortung für den Frieden – ein Leitgedanke, der, wie in Kapitel 4 gezeigt wurde, bereits die in ihren Entstehungsumständen und ihrem Inhalt nach wegweisende Studie „Die Friedensaufgaben der Deutschen“ von 1968 durchzogen hatte. In allen nachfolgenden gemeinsamen Worten, gesprochen anlässlich politischer oder kirchlicher Gedenktage, wurde die „Haftungs-, Verantwortungs- und Hoffnungsgemeinschaft“20 hervorgehoben. Die Stellungnahmen wurden fortan von der 1980 gegründeten und paritätisch besetzten Konsultationsgruppe vorbereitet21. Sie diskutierte vornehmlich friedensethische Fragen, in denen sich der Konsens mitunter als nur noch sehr schmal erwies. In den getrennt und gemeinsam geführten Friedensdiskussionen der achtziger Jahre tauchten Differenzen auf, die sich in den gemeinsamen Worten aber nur verklausuliert widerspiegelten. Im März 1983 forderte die Theologische Studienabteilung des Bundes in einer Studie eine neue Sicherheitspartnerschaft in Europa, für die vor allem auch die zwei deutschen Staaten sowie die beiden autonomen deutschen Kirchenbünde eintreten sollten22. Aufgabe der DDR und der Bundesrepublik war es danach, in einem längeren Prozess die Kampfes um die Durchsetzung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz in den Beziehungen zwischen den deutschen Staaten (BArch BERLIN, DO 4/4883). 15 Vgl. S. MEUSCHEL, Legitimation, S. 274–283. 16 C. KLESSMANN, Staaten, S. 478. 17 EBD. 18 W. WEIDENFELD, Nation, S. 575. 19 KJ 106, 1979, S. 448f. 20 A. SCHÖNHERR, Gemeinschaft, S. 560. 21 Zur Arbeit der Konsultationsgruppe vgl. W. HAMMER, Konsultationen. 22 SICHERHEITSPARTNERSCHAFT.

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völlige Normalisierung ihrer Beziehungen zu erreichen, einschließlich der Anerkennung der vollen beiderseitigen Souveränität im Sinne des Völkerrechts. Obgleich eine Reihe prominenter Protestanten aus Ost und West auch in der Bundesrepublik zur Unterstützung des Sicherheitskonzeptes des Bundes aufrief, stieß dieses in der EKD und ihren Gliedkirchen auf geteilte Meinungen. Zwar wurde das Prinzip der gemeinsamen Sicherheit übernommen, die damit verbundene Forderung, das Wiedervereinigungsgebot sowie den Anspruch aller Deutschen auf die Staatsbürgerschaft der Bundesrepublik aus dem Grundgesetz zu streichen, aber mehrheitlich abgelehnt. Damit entstand der Eindruck, dass die Zweistaatlichkeit von ostdeutschen Kirchenvertretern unter dem Primat der Friedenssicherung stärker als endgültig empfunden wurde als von westdeutschen kirchlichen Amtsträgern. Wie sich dies auf Gemeindeebene verhielt, ist bislang unerforscht. 1983 war aber nicht nur ein Jahr des friedenspolitischen Nachdenkens und Protestes im Kontext der westdeutschen Nachrüstungsdebatte, es war in beiden deutschen Staaten und Kirchenbünden zugleich das mit einer Vielzahl von Veranstaltungen begangene Lutherjahr23. Trotz Kooperation zwischen Staat und Kirche bei den Feierlichkeiten in der DDR versuchte man sich kirchlicherseits in Ost und West doch aus dem Streit um das historische Erbe weitgehend herauszuhalten. Man betonte die Gemeinsamkeit im Verständnis des Evangeliums, in der Aktualisierung Luthers als Lehrer der Kirche und Zeuge von Gottes Gericht und Barmherzigkeit. Hier und da schienen bei den Äußerungen aber auch die Auseinandersetzungen über den politischen Dienst der Kirche in gegensätzlichen politischen Systemen durch. Die EKD bestimmte erst relativ spät ihre theologische Position zu dem sie umgebenden politischen „System“, der liberal-demokratischen Staatsordnung der Bundesrepublik. In der 1985 erschienenen Denkschrift „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie – Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe“24 drückte sich dann das neue Staats- und Politikverständnis aus, wie es unter den evangelischen Christen in Westdeutschland seit 1945 allmählich gewachsen war. Der demokratische Staat wurde in dem Text nicht als identisch mit seinen Institutionen und Amtsträgern gesehen, sondern als Angelegenheit aller Bürger, die zur aktiven Mitgestaltung aufgefordert wurden. Die in der Denkschrift enthaltene Zustimmung zur freiheitlichen Demokratie im Sinne des Grundgesetzes erfolgte im schwierigen Kontext der deutschen Zweistaatlichkeit und der „besonderen Gemeinschaft“ mit dem BEK. Aus dessen Kreisen kam dann auch die kritische Anfrage, ob es theologisch zulässig sei, sich so grundsätzlich mit einer konkreten Staatsform zu identifizieren. Problematisch für die „besondere Gemeinschaft“ war die Denkschrift auch insofern, als durch sie ein Beitrag geleistet wurde „zur Bildung einer westdeutschen Identität im Kontext der Wertvorstellungen der westlichen Allianz, parallel zu den gleichzeitigen Bemühungen, an die Stelle des diskreditierten und faktisch halbierten Nationalismus einen ‚Verfassungs-

23 Vgl. KJ 110, 1983, S. 3–214. 24 epd-Dok. 44/1985. Ausführlich zur Denkschrift: C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 377–401.

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patriotismus‘ (Habermas) zu setzen.“25 Hierfür wurden in der Diskussion über die Bedeutung von Volk und Nation für die Deutschen und ihr politisches Bewusstsein im westdeutschen Protestantismus während der zweiten Hälfte der sechziger Jahre die entscheidenden Weichen gestellt, wie die vorliegende Studie gezeigt hat. Vom selben Jahr 1985 an gehörten „Deutsche Gespräche“ bzw. „Deutsche Dialoge“ zur Deutschland- und Friedenspolitik zum Programm des Deutschen Evangelischen Kirchentags, an denen sich kirchliche und später auch politische Referenten aus der DDR beteiligten26. In diesen Diskussionen blieb die staatliche Einheit jenseits des vom Status quo begrenzten Vorstellungshorizontes. Vielmehr wurde der Wunsch nach deutscher Einheit zumeist als friedensgefährdend eingestuft. Der Friedens- und der Einheitsdiskurs waren noch immer miteinander verbunden, doch war aus Gustav Heinemanns Forderung aus den fünfziger Jahren nach Frieden durch Wiedervereinigung nun die Forderung nach Frieden durch Tabuisierung der staatlichen Wiedervereinigung geworden. Noch auf dem Kirchentag im Juni 1989 in West-Berlin, an dem erstmals wieder viele DDR-Bürger teilnehmen konnten, plädierten ostdeutsche Kirchenvertreter nicht für eine Wiederherstellung staatlicher Einheit, sondern für ein Europäisches Haus mit „zwei deutschen Zimmern“27 und „Schiebetüren“28. Allerdings tauchte auch in der Bürgerrechtsbewegung der DDR bis zum Herbst 1989 die staatliche Einheit als Diskussionsgegenstand so gut wie nicht auf. Dort hielt man die nationale Frage in ihrem traditionellen Sinne ebenfalls für erledigt. Der Nationalstaat war außerhalb des Erwartungshorizontes. Nach der „friedlichen Revolution“ von 1989, die keine „protestantische Revolution“29 war, standen die deutschen Protestanten nach 1948 und 1969 ein weiteres Mal vor der Frage nach dem Verhältnis von Staats- und Kirchengrenzen, d. h. sie hatten auf historisch-politische Ereignisse zu reagieren. Denn seit November 1989 wurde auf den zahlreichen Demonstrationen immer häufiger die Forderung nach einer Wiedervereinigung laut. Als die DDR wirtschaftlich und politisch am Boden lag, kam der „nationale Impuls mit seiner sozialen Dimension“ zum Durchbruch30. Die meisten kirchlichen Stimmen in Ost und West äußerten sich im November und Dezember zurückhaltend zur Möglichkeit einer staatlichen Vereinigung. Einige ostdeutsche Kirchenvertreter unterzeichneten den Appell „Für unser Land“ vom 26. November31, der klar für eine sozialistische Alternative zur Bundesrepublik plädierte. Eine Presseerklärung des Bundes vom 7. Dezember rief zur Dankbarkeit für die „neuen guten Mög25 M. GRESCHAT, Bilanz, S. 25. In der breiten Öffentlichkeit machte den Begriff „Verfassungspatriotismus“ 1979 erstmals Dolf Sternberger bekannt. Einen Überblick über die Debatte bietet J. GEBHARDT, Verfassungspatriotismus. 26 Zur Deutschlandpolitik auf den Kirchentagen in den siebziger und achtziger Jahren vgl. allgemein: C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 315–327. 27 W. KRUSCHE, Kirche, S. 156. 28 KiSo 4, 1989, S. 152. 29 G. REIN, Revolution. 30 C. KLESSMANN, Staaten, S. 478. 31 KJ 116, 1989, S. 213.

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lichkeiten der Gemeinsamkeit“ auf und warnte zugleich vor „nationaler Euphorie“32. Die im Januar 1990 in Loccum versammelten Vertreter von Bund und EKD, die auf einer bereits länger geplanten Klausurtagung über die „besondere Gemeinschaft“ reflektierten, wollten jedoch – nach kontroverser Diskussion – beides überwunden sehen: die staatliche wie die kirchliche Trennung. Das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit der Deutschen, das man in der Zeit der Teilung gepflegt habe, sei für die Kirchen eine wichtige Grundlage ihres gemeinsamen Wirkens, erklärten die Kirchenvertreter. Für ihr doppeltes Einheitspostulat erfuhr die „Loccumer Erklärung“33 viel Zustimmung. Es fehlte aber auch nicht an scharfer Kritik, sowohl hinsichtlich des Ziels einer Wiedervereinigung als auch der als undemokratisch attackierten Verfahrensweise. In der „Berliner Erklärung“34 plädierten am 9. Februar prominente linke Protestanten aus Ost und West dafür, dass sich die über die Ost-West-Spaltung hinweg reichende „besondere Gemeinschaft“ der evangelischen Kirchen im stellvertretenden Aushalten der noch bestehenden Trennungen um des Zusammenwachsens Europas in Frieden und Gerechtigkeit willen bewähren solle. Nur so könne „die Emotionalisierung des Nationalen, die sich in der deutschen Geschichte schon mehrmals verhängnisvoll ausgewirkt hat, kritisch aufgearbeitet werden“35. In Kenntnis des kirchlichen Einheitsverständnisses und protestantischer Nationsvorstellungen der sechziger Jahre klingen beide Positionen sehr vertraut. Und wieder einmal wurden innerprotestantische Gegensätze mobilisiert, die sich nicht mit der Ost-West-Teilung deckten. Auf den gesellschaftlichen Diskurs konnten sie jedoch keinen bestimmenden Einfluss mehr nehmen36. Die staatliche Einheit in einem demokratisch legitimierten nationalen Staat kam, auch wenn sie nach Ansicht vieler Protestanten zu schnell erfolgte37. Sachlich motivierte Bedenken oder Verharren in a(nti)nationaler Verweigerungshaltung erwiesen sich als unzeitgemäß in einer Phase des völligen Umbruchs, des Drängens der ostdeutschen Bevölkerung nach rascher Einheit und der – angesichts internationaler Rahmenbedingungen – schnell erforderlichen Grundentscheidungen. Der Weg zur kirchlichen Vereinigung war etwas länger als zur staatlichen und im Verfahren ähnlich kompliziert wie der in Kapitel 5 dargestellte Trennungsprozess Ende der sechziger Jahre38. Nach intensiven Diskussionen, in denen die Sorgen der ostdeutschen Kirchen vor Vereinnahmung und Verlust von Identität eine wichtige Rolle spielten, erfolgte im Juni 1991 ohne große Feierlichkeiten eine Wiederherstellung des vor 1969 bestehenden Verhältnisses der DDR-Landeskirchen zur EKD durch eine Neuver32 M. FALKENAU, Kundgebungen, S. 368. 33 KJ 117/118, 1990/91, S. 183f. 34 Ebd., S. 188–192. 35 Ulrich Duchrow, Heino Falcke, Joachim Garstecki, Konrad Raiser, Berlin, Erklärung von Christen aus beiden deutschen Staaten, in: epd-Dok. 12/1990, S. 17. 36 Vgl. H. RUDDIES, Protestantismus, S. 224. 37 Zum Themenkomplex evangelische Kirche und staatliche Wiedervereinigung vgl. W.-D. HAUSCHILD, Veränderungen, S. 181–237. 38 Zum kirchlichen Einigungsprozess vgl. EBD., S. 238–375.

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einigung. Im Vormonat waren bereits die unterschiedlichen kirchlichen Jugendarbeitsbereiche in der ehemaligen DDR durch Aufnahme in die Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugend in der Bundesrepublik Deutschland Teil der „Gesamtstruktur kirchlicher Jugendarbeit“ geworden39. Bei den Evangelischen Studentengemeinden wurde erst im Oktober 1992 die Gesamtarbeit aus beiden Bereichen wieder zusammengeführt40. Dabei bemühte man sich, die verschiedenen historischen Erfahrungen strukturell und inhaltlich zu berücksichtigen41. Nach Vollzug der staatlichen Wieder- und der kirchlichen Neuvereinigung blieben Fragen und Aufgaben zurück. Das öffentliche und wissenschaftliche Nachdenken über eine Definition der deutschen Nation und deutscher Identität nach 1989/90 sowie die Suche nach dem Selbstverständnis der „Berliner Republik“ im Kontext eines supranationalen Integrationsprozesses hält bis heute an. Auch wird es noch lange intensiver Anstrengungen bedürfen, um die politische, soziale und mentalkulturelle Ost-WestSpaltung, die sowohl auf die historische Teilung als auch auf die „Vereinigungskrise“42 zurückzuführen ist, zu überwinden. Im kirchlichen Bereich konnte nach Jahren der Trennung äußere ebenfalls noch nicht „innere Einheit“ bedeuten. Zusätzlich belastet wurde die innerkirchliche Vereinigung und gesamtkirchliche Selbstverständigung durch die – im Kern notwendigen – öffentlichen Auseinandersetzungen um „Stasiverstrickung“ und „Kumpanei“ zwischen Kirchen und SED-Staat43. Es wurde deutlich, dass die Staatssicherheit insbesondere nach 1970 mit ihren Infiltrationen bis hinauf in kirchenleitende Kreise Erfolg hatte. Im binnenkirchlichen Raum wirkte der Streit um die „Schuld“ der Kirchen in der DDR quer zur Ost-West-Linie sowohl spaltend als auch solidarisierend44. Aber auch jenseits und nach der „Stasidebatte“ gestaltet sich das kirchliche „Zusammenwachsen“ nicht einfach. Denn schon in die Geschichte der mehrheitlich gewollten und so gut es ging auch gelebten kirchlichen Einheit bis 1969 war, wie in der vorliegenden Studie gezeigt wurde, eine Geschichte der Entfremdung eingelagert, die sich – wenn auch nie linear – bis 1989 fortsetzte: Es entwickelten sich Unterschiede in den Frömmigkeitsformen, die schon bei den Begegnungen im Bereich der Studentengemeinden und der evangelischen Jugend während der sechziger Jahre zu Irritationen führten. Es kam zu Differenzen im Kirchenverständnis, wobei die divergierenden ekklesiologischen Vorstellungen – staatsfreie, deprivilegierte Minderheitskirche contra Volkskirche in einer pluralistischen Gesellschaft mit partnerschaftlichem Staat-Kirche-Verhältnis – vor allem seit Ende der sechziger Jahre eine trennende Bedeutung gewannen. Und auch die präferierten Gesellschaftsbilder ent39 Da viele Strukturen nicht miteinander kompatibel waren, ging der Übergang nicht überall leicht vonstatten. Vgl. F. DORGERLOH, Geschichte, S. 288–291, Zitat S. 288. 40 Vgl. ansätze & kontakt 9/1992. 41 Vgl. H.-G. KLATT, Studentengemeinden, S. 523. 42 Vgl. J. KOCKA, Vereinigungskrise. 43 Zu den Debatten aus kirchlicher Sicht: H. SCHULTZE, Stasi-Belastungen. Vgl. auch: M. BEYER, Stasi-Debatte. 44 Die „Stasidebatte“ und ihre Folgen für das Selbstverständnis und die Glaubwürdigkeit der Kirche wurden auf der EKD-Synode im November 1992 thematisiert. Vgl. KIRCHE im geteilten Deutschland.

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wickelten sich auf Grund der unterschiedlichen Kontextbedingungen tendenziell auseinander45. Es blieben aber Gemeinsamkeiten etwa in agendarischen Formen und Gottesdienstpraxis, kirchlicher Kunst, Musik und Architektur46. Es blieb die Überzeugung von der gemeinsamen historisch-moralischen Verantwortung für den europäischen Entspannungsprozess. Und es blieb der vielfache schriftliche und mündliche, dienstliche und private Austausch auf allen kirchlichen Ebenen, so dass die Entwicklung der Kirchen in Ost- und Westdeutschland in einem, wenn auch durch die äußeren Bedingungen eingeschränkten grenzüberschreitenden Kommunikationszusammenhang verlief, in dem Konsens- und Dissenslinien sich eben nicht immer mit der innerdeutschen Grenze deckten. Einheit und Teilung, Gemeinsamkeit und Differenz ergaben in den Jahren seit 1945 eine diffizile Gemengelage, deren Nachwirkungen noch heute im Alltag erfahrbar sind.

45 Vgl. hierzu den pointierten Beitrag von F. W. GRAF, Kirchen. 46 Auf die Gemeinsamkeiten verweist K. NOWAK, Religion, S. 178.

Quellen-undLiteraturverzeichnis ArchivalischeQuellen

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Archivalische Quellen Archiv der Evangelischen Akademie Arnoldshain (AEAA) Tagungsakten 335 Archiv der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugend in der Bundesrepublik Deutschland, Hannover (Aaej Hannover) Ordner (Ordneraufschriften): Gesamtkirchliches Referat Gesamtkirchliches Referat 1 Gesamtkirchlicher Ausschuss Geschäftsführung 1950–1964 GKA 15, 15.1 Ordnung, 15.2 Mitglieder, 15.3 Einladungen, 15.4 Tagesordnungen, 15.5 Beschlüsse, 15.6 Verlautbarungen, 15.7 Protokolle Protokolle GKA Nr. 1 und Nr. 7 GKA-Aktionen, 18. 1955–1966, 18.1 Kurs, 18.2 Tagung GKA, Überschüssige Vervielfältigungen, 22.2 Geschäftsführerberichte, 22.3 Sonstige Vervielfältigungen GKA-Vorsitzende, 16 17 GKA-Mitglieder 12 BJP – Berichte 1.1.1961–31.12.1961 Ost-West-Begegnungen in Berlin 2. Ausfertigung OW Referate 1968–1969 Zusammenfassende Sachberichte 1966–1974 Referat Materialien, 15. Juli 1960, 23, VIII Manfred Müller, Ost-West HG, Korrespondenz mit Ministerien in Bonn 1961–1968 1968 BMG 1969 BMB Industriewaren 1966 1965 Beihilfen, 1966 Junge Gemeinde, 1967, 1.1.1965–31.12.1965, 1968 Jugendkammer Ost, 4, 1957–1967, Archiv, Ost-West-Referat Arbeitsgemeinschaft, Vorstandsprotokolle, Nov. 1964–Dez. 1967 GS Vorstandsprotokolle, Nr. 102–123, Jan. 1966–Mai 1968 GS Vorstandsprotokolle Nr. 124–133, Juni 1968–Aug. 1969 1969–1971 Referentenbesprechung Landesjugendpfarrerkonferenzen

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Hans Herrmann II Hans Herrmann III Hans Herrmann IV Hans Herrmann VI Hans Herrmann VIII Archiv der sozialen Demokratie Bonn (AdsD Bonn) Nachlass Heinemann Teil II, Mappe 0490 Archiv für Christlich-Demokratische Politik St. Augustin (ACDP St. Augustin) Zentralbestand Ost-CDU VII/010/3252, VII/013/2142, VII/013/2161, VII/013/2164, VII/013/3050, VII/013/3252, VII/013/3495 Im Besitz von Prof. Dr. Rudolf Smend (junior), Göttingen (NL Smend) Nachlass Rudolf Smend Bundesarchiv – Hauptdienststelle, Koblenz (BArch Koblenz) Bestand B 136: Bundeskanzleramt 2130, 6633, 6718 Bestand B 137: Ministerium für gesamtdeutsche Fragen 1766, 1938, 1940, 2291, 2292, 2293, 2294, 4820, 7847, 7848, 16262, 16649, 16708 N 1287: Nachlass Ludwig Raiser 41, 42 N 1439: Nachlass Otto Dibelius 3, 4, 8, 9, 10 Bundesarchiv – Abteilung DDR, Berlin (BArch Berlin) Bestand DO 4 Staatssekretär für Kirchenfragen: 317, 422, 586, 769, 2524, 2550, 2669, 4883, 5818 Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Berlin (BStU Berlin) Personenakten: MfS AIM 3654/71 Bd. 5 Bln. AIM 2834/88 Teil II, Bd. 2–3 MfS AOP 2492/75 Bd. 1–3 MfS AP 10667/92 MfS AP 11318/92 MfS AP 11329/92 MfS AP 12889/92 Bd. 4 MfS AP 20985/92

Archivalische Quellen

941

MfS AP 21369/92 MfS AS 170/61, Bd. I/1 Sachakten: MfS HA XX/4–332 MfS HA XX/4–1233 MfS HA XX/4–1235 MfS HA XX/4–3233 MfS ZAIG 627 MfS ZAIG 1096 MfS ZAIG 1501 MfS ZAIG 1820 Evangelisches Zentralarchiv, Berlin (EZA Berlin) Bestand 2: Kirchenkanzlei der EKD 63, 1084, 1110, 1118, 1232, 1345, 1349, 1345, 1350, 1351, 1353, 1354, 1357, 1358, 1359, 1360, 1361, 1362, 1363, 1364, 1365, 1366, 1377, 1486, 1489, 1491, 1492, 1495, 1550, 1554, 1555, 1556, 1558, 1560, 1561, 1562, 1773, 1784, 1792, 1793, 1794, 1795, 1796, 1797, 1808, 1810, 1817, 1852, 2107, 2474, 2531, 4339, 4340, 5001, 5003, 5004, 5008, 93/981 Bestand 4: Kirchenkanzlei der EKD – Berliner Stelle 19, 22, 67, 122, 138, 293, 448, 456, 464, 495, 496 Bestand 6: Kirchliches Außenamt der EKD 85/1521 Bestand 7: Evangelischer Oberkirchenrat 2107 Bestand 36: Evangelische Studentengemeinden 33, 35, 47, 49, 53, 62, 82, 85, 86, 87, 89, 162, 163, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 210, 211, 212, 252, 254, 280, 282, 288, 289, 297, 300, 301, 315, 316, 320, 330, 337, 339, 378, 382, 383, 384, 385, 386, 393, 395, 409, 477, 479, 545, 546, 547, 549, 550, 704, 705, 1087, 1088, 1095, 1100, 1106, 1115, 1117, 1118, 1119, 1120, 86/86, 86/93, 88/373, 88/376, 88/377, 88/387, 88/376, 88/533, 88/537, 89/4 Bestand 87: Bevollmächtigter des Rates der EKD am Sitz der Bundesrepublik Deutschland 96/70,1, 96/70,2, 96/438, 96/441, 96/445, 96/446, 96/447, 96/529, 96/666, 96/885, 96/887, 87/958, 96/993, 96/994, 96/997 Bestand 102: Geschäftsstelle der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR 10, 11, 13, 18, 33, 41, 67, 331 Bestand 104: Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR 38, 39, 40, 41, 43, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 57, 58, 59, 60, 65, 70, 75, 76, 97, 99, 100, 101, 108, 117, 118, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 543, 595, 596, 597, 978, 980, 982, 983, 984 Bestand 107: Kirchenkanzlei der EKU – Nebenstelle Ost 34, 37 Bestand 138: Jugendkammer Ost der Kirchenkanzlei der EKD – Berliner Stelle 4 Bestand 141: Evangelische Studentengemeinden in der DDR 99/89a, 99/89b, 99/90a, 99/98a, 99/114a, 99/128b

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Bestand 603: Nachlass Otto Dibelius B 27 Bestand 606: Nachlass Martin Fischer 78, 86, 100, 121, 124 Bestand 609: Nachlass Franz Reinhold Hildebrandt 96/11, 96/45, 96/46, 96/47, 96/54, 96/55, 96/56, 96/91, 96/92, 96/111 Bestand 614: Nachlass Lothar Kreyssig 2, 40 Bestand 636: Nachlass Heinz Gefaeller 7 Bd. 1, 35 Bestand 650: Nachlass Erwin Wilkens 95/2, 95/23, 95/36, 95/37, 95/38, 95/102 Bestand 742: Nachlass Hermann Kunst 3, 399, 514 Landeskirchliches Archiv Nürnberg (LKA Nürnberg) Personen XXXVI: Nachlass Landesbischof D. Meiser (Meiser): 139, 140, 142, 162, Mappe I, 11, Mappe A Privatarchiv Reinhard Henkys, Luckenwalde (PARH) Informationsberichte von Reinhard Henkys an den WDR, 1964–1966 epd-Vertraulich. Hg. von der epd-Zentralredaktion Frankfurt/M. (Informationsdienst zur persönlichen Unterrichtung), Jg. 1968, 1969 Gelber Brief. Hg. von der epd-Zentralredaktion (vertraulicher Rundbrief für die Mitglieder der epd-Konferenz), 1966, 1967 Privatarchiv Eberhard Warns, Bielefeld (PAEW) Protokolle des GKA der AGEJD (Das Material wurde mir durch Ingo Holzapfel zur Verfügung gestellt.) Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Berlin (SAPMO-BArch, Berlin) Bestand DY 24 Freie Deutsche Jugend DY 24/1561/II Bestand DY 30/IV 2/14: ZK der SED Teilbestand Kirchenfragen Arbeitsgruppe Kirchenfragen 1946–1962 2, 134, 135 Bestand DY 30/IV A2/14: ZK der SED Teilbestand Kirchenfragen Arbeitsgruppe Kirchenfragen 1963–1971 27 Bestand DY 30/J IV 2/2: Protokolle der Sitzungen des Politbüros der SED 1237 Bestand DY 30/J IV 2/3: Protokolle der Sitzungen des Sekretariats des Zentralkomitees der SED 865

Mündliche und schriftliche Auskünfte Bestand NY 4090: NL Otto Grotewohl 458

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MündlicheundschriftlicheAuskünfte

2. Mündliche und schriftliche Auskünfte Mündliche Auskünfte Johannes Hamel (Gräfelfing, 14.4.1999) Reinhard Henkys (Luckenwalde, 22.6.1999) Christa Lewek (Berlin, 7.10.1999) Schriftliche Auskünfte Johannes Althausen (Berlin, 28.12.2002) Walter Hammer (Bremen, 19.11.1999, 30.3.2000) Martin Kramer (Magdeburg, 21.3.2000, 24.07.2002) Friedrich Winter (Berlin, 20.3.2000)

UnveröffentlichteLiteratur

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Abkürzungen Abkürzungen

Abkürzungen Abg. ADN AG AGEJD AOP AP APO APU ASTA BJP BK BKA BMB BMG CCIA CFK CVJM DBJR DCSV DDP DEK DEKT DK DNVP dpa DVP EAiD EAK E. I. EJD EKD EKHN EKiBB EKiR EKU EkvW ENA eno EOK

Abgeordneter Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst Arbeitsgruppe Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend Deutschlands Archivierter Operativer Vorgang Allgemeine Personenablage Außerparlamentarische Opposition Altpreußische Union Allgemeiner Studentenausschuss Bundesjugendplan Bekennende Kirche Bundeskanzleramt Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen Commission of the Churches on International Affairs (Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten, KKIA) Christliche Friedenskonferenz Christlicher Verein Junger Männer Deutscher Bundesjugendring Deutsche Christliche Studenten-Vereinigung Deutsche Demokratische Partei Deutsche Evangelische Kirche Deutscher Evangelischer Kirchentag Delegiertenkonferenz Deutschnationale Volkspartei Deutsche Presseagentur Deutsche Volkspartei Evangelische Akademikerschaft in Deutschland Evangelischer Arbeitskreis der CDU/CSU Einzelinformation Evangelische Jugend Deutschlands Evangelische Kirche in Deutschland Evangelische Kirche in Hessen und Nassau Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg Evangelische Kirche im Rheinland Evangelische Kirche der Union Evangelische Kirche von Westfalen Evangelischer Nachrichtendienst in der Deutschen Demokratischen Republik Evangelischer Nachrichtendienst Ost Evangelischer Oberkirchenrat

Abkürzungen epd ESG ESGiD EVG FDGB FDJ GI GKA GKR GO GVP HA HICOG IM IMV KEK KföV KKL Komintern Kons. KPdSU KPÖ KPS KR LDPD LJP LKA LPG LWB MdB MdL MfS na. NATO ND NL NVA NZ ÖkAG ÖRK OKR OKonsR OLKR Pfr. Präs. RM SBZ

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Evangelischer Pressedienst Evangelische Studentengemeinde Evangelische Studentengemeinde in Deutschland Europäische Verteidigungsgemeinschaft Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Gesellschaftlicher Informant Gesamtkirchlicher Ausschuss Gesamtkirchliches Referat Grundordnung Gesamtdeutsche Volkspartei Hauptabteilung High Commissioner for Germany Inoffizieller Mitarbeiter Inoffizieller Mitarbeiter zur Vorgangsbearbeitung Konferenz Europäischer Kirchen Kammer für öffentliche Verantwortung Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (in der DDR) Kommunistische Internationale Konsistorial Kommunistische Partei der Sowjetunion Kommunistische Partei Österreichs Kirchenprovinz Sachsen Kirchenrat Liberal-Demokratische Partei Deutschlands Landesjugendpfarrer Landeskirchenamt Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Lutherischer Weltbund Mitglied des Bundestages Mitglied des Landtages Ministerium für Staatssicherheit der DDR nebenamtlich North Atlantic Treaty Organization Neues Deutschland Nachlass Nationale Volksarmee Neue Zeit Ökumenische Arbeitsgemeinschaft (für Strukturfragen der Gemeinde in der DDR) Ökumenischer Rat der Kirchen Oberkirchenrat Oberkonsistorialrat Oberlandeskirchenrat Pfarrer Präsident Reichsmark Sowjetische Besatzungszone

978 SED SMAD StfK Sup. TO UPI VELK(D) VKL Vors. VR VV WEU WSCF württ. YMCA ZA ZAIG ZK

Abkürzungen Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Militäradministration Staatssekretär für Kirchenfragen Superintendent Tagesordnung United Press International Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche (Deutschlands) Vorläufige Kirchenleitung Vorsitzender Vertrauensrat Vollversammlung Westeuropäische Union World Student Christian Federation württembergisch Young Men’s Christian Association Zentralausschuss Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe Zentralkomitee

Die Abkürzungen von Zeitungen und Zeitschriften in den Fußnoten folgen, soweit sie hier nicht aufgeführt sind, Siegfried M. Schwertner: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Berlin, New York 21992.

Personenregister Personenregister

Personenregister mit biografischen Angaben1 ABENDROTH, Wolfgang 647f. geb. 1906, gest. 1985, 1950–72 Prof. für Wiss. Politik Marburg. ADENAUER, Konrad 94, 106, 111–115, 117ff., 121f., 126, 131ff., 135ff., 139–143, 148, 150f., 168ff., 173ff., 180, 186f., 189, 195f., 212–215, 220–223, 230, 236, 239, 241f., 262, 270ff., 283, 286, 441f., 467, 929 geb. 1876, gest. 1967, 1949–63 Bundeskanzler, 1950–66 Bundesvors. der CDU. ADLER, Elisabeth 183f., 320, 611, 619f., 622f., 625, 646, 652ff. geb. 1926, gest. 1997, 1951–56 Reisesekretärin der ESGiD, 1957–59 Studienleiterin an der Ev. Akademie Berlin-Brandenburg, 1959–64 Europasekretärin, Sekretärin der Politischen Kommission, 1963 stellv. Generalsekretärin des WSCF Genf, 1965–67 Studienleiterin, 1967–87 Leiterin der Ev. Akademie Berlin-Brandenburg. ADOLPH, Walter Artur 451 geb. 1902, gest. 1975, 1961–69 Generalvikar Berlin. AFHELDT, Horst 604 geb. 1924, 1960–70 Geschäftsführer der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler. AHLERS, Conrad 590 geb. 1922, gest. 1980, 1966–69 stellv. Leiter des Bundespresseamtes. AICHELIN, Helmut 657, 709, 723f. geb. 1924, 1960–70 Studentenpfr. Tübingen, 1966 Vors. der Studentenpfarrerkonferenz der ESGiD. ALBERTZ, Heinrich 111, 229, 236, 452 geb. 1915, gest. 1993, 1948–51 Minister für Flüchtlingswesen Niedersachsen, 1951–55 Minister für Soziales u. Gesundheit ebd., 1955–59 Senatsdirektor beim Senator für Volksbildung Berlin, 1959–61 Senatsdirektor u. Chef der Senatskanzlei ebd., 1961–66 Senator für Inneres, 1963 stellv., 1966/67 Regierender Bürgermeister von Berlin. ALTHAUS, Paul 30 geb. 1888, gest. 1966, 1925–56 Prof. für Systematische u. Neutestamentliche Theologie Erlangen. ALTHAUSEN, Johannes 419, 657, 706–711, 713f., 728f., 731, 737, 882 geb. 1929, 1951/52 Reisevikar der ESG in der DDR, 1953 Verhaftung, 1954 Pfr., 1957–74 Mitglied der Leitung der Berliner Mission u. des Ökumenisch-Missionarischen Amtes bzw. Zentrums, 1959–74 Dezernent für Südafrika, 1962–74 Direktor des Ökumenischen Instituts Berlin (DDR), seit 1963 Mitglied im VR der ESGiD, seit 1966 Vors. des Beirates DDR, 1966 Dr. theol., Mitglied des Weißenseer Arbeitskreises, 1968–75 Mitglied zweier Arbeitsausschüsse des ÖRK. 1 Der Umfang der biografischen Angaben richtet sich nach der Rolle der jeweiligen Person im vorliegenden Band. Zumeist erfolgt lediglich die Angabe der Lebensdaten und der Funktion(en) zum Zeitpunkt der Erwähnung.

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ALTMANN, Rüdiger 606 geb. 1922, gest. 2000, 1963–78 stellv. Hauptgeschäftsführer beim Deutschen Industrie- u. Handelstag Bonn. ANDLER, Erich 163, 255, 258, 292, 339, 397 geb. 1894, gest. 1969, 1926 Pfr. Schönfeld/Lübbenau, 1929 Buckow/Märkische Schweiz, seit 1934 Mitarbeiter im Bruderrat der BK, Kreispfr. der BK, Verhaftungen, Redeverbot, 1940–45 Soldat, 1945 Theol. Referent im Konsistorium Berlin Brandenburg, 1946–63 OKonsR ebd., 1950–58 Vors. der Jugendkammer Ost der EKD, 1958–60 stellv. KonsPräs. ANZ, Johannes 128, 445 geb. 1906, gest. 2003, 1949–57 OKonsR Magdeburg, 1955–61 Synodaler der EKD. ARETIN, Karl Otmar Freiherr von 547 geb. 1923, seit 1964 Prof. für Zeitgeschichte Darmstadt, 1968–94 auch Direktor der Abteilung für Universalgeschichte am Institut für Europäische Geschichte Mainz. ARNDT, Ernst Moritz 26 geb. 1769, gest. 1860, politischer Schriftsteller. ARNOLD, Walter 745, 747 geb. 1929, gest. 1994, 1964–73 Generalsekretär des CVJM Kassel, seit 1966 Vors. des Ökumenischen Arbeitskreises der AGEJD, 1967–72 stellv. Vors. der AGEJD. ASMUSSEN, Hans 36, 39, 47, 53f., 58f., 62ff., 66, 71, 76, 85, 291 geb. 1898, gest. 1968, 1923 Pfr. Diakonissenanstalt Flensburg, 1925 Albersdorf, 1932 Altona, 1933 suspendiert, 1934 i. R. versetzt, mehrfach inhaftiert, 1934 Mitglied des Reichsbruderrates, 1936 Gründer u. Leiter der Kirchl. Hochschule Berlin, 1936 Pfr. Berlin-Lichterfelde, 1943 Schwäbisch Gmünd, 1945–48 Präs. der Kirchenkanzlei der EKD, 1948–55 Propst Kiel. AUTENRIETH, Heinz 281 geb. 1906, gest. 1984, Ministerialdirigent Stuttgart, stellv. Mitglied des Landeskirchenausschusses der württembergischen Landeskirche. AXEN, Hermann 121 geb. 1916, gest. 1992, seit 1950 Mitglied, 1950–53 Sekretär des ZK der SED. BAERSCH, Georg 153 Rechtsanwalt Luckenwalde, 1945–50 Leiter des Rentamts Blankenburg. BÄUMLER, Christof 417f. geb. 1927, gest. 1996, 1958–61 Bezirksjugendpfr. München, seit 1961 Geschäftsführer der Studienarbeit der EJD u. bis 1970 Leiter des Ev. Studienzentrums Josefstal. BAHR, Egon 453, 621 geb. 1922, 1960–66 Leiter des Presse- u. Informationsamtes des Landes Berlin, 1967–69 Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt Bonn. BANNACH, Horst 48, 140, 182f., 197, 199, 305, 505 geb. 1912, gest. 1980, 1938/39 Reisesekretär der DCSV Berlin, danach im Studentenamt der BK der APU, Sekretär beim preuß. Bruderrat als illegaler Vikar, 1941 Soldat, 1945 Studentenpfr. Hamburg, 1947–54 Generalsekretär der ESGiD, 1955–72 Generalsekretär der EAiD. BARTELS, Christoph 274, 347 geb. 1936, 1957/58 studentischer Obmann in der Geschäftsstelle der ESGiD, 1962–65 Ökumenereferent der ESGiD, Pfr. Hildesheim, seit 1966 Referent für Berufsfragen bei der EAiD. BARTH, Karl 21, 30, 32, 52, 58, 68ff., 91, 115, 149, 209, 212, 264, 270, 310, 414, 432, 561f., 669, 870 geb. 1886, gest. 1968, 1911–21 Pfr. Safenwil/Schweiz, 1921 a. o. Prof. für Reformierte Theologie

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Göttingen, 1925 Prof. für Dogmatik Münster, 1930–35 Prof. Bonn, bis 1934 Mitglied des Reichsbruderrats, 1935 i. R. versetzt, 1935–62 Prof. für Systematische Theologie Basel. BARTH, Willi 220, 234, 281, 405, 586, 683, 867, 892, 914 geb. 1899, gest. 1988, 1954–77 Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED. BARZEL, Rainer 452, 606, 639 geb. 1924, 1962/63 Minister für gesamtdeutsche Fragen, 1963 stellv., 1964–73 Vors. der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. BASSARAK, Gerhard 312, 335, 392, 399, 472f., 481ff., 486f., 656, 691, 711 geb. 1918, 1934 Mitglied der BK, 1937–45 Soldat, 1953–57 Reisesekretär der ESG in der DDR, Studentenpfr. Ost-Berlin, 1957–66 Studienleiter an der Ev. Akademie Berlin-Brandenburg, 1958 Gründungs- u. Leitungsmitglied des Weißenseer Arbeitskreises, 1959–89 Redakteur der „Zeichen der Zeit“, Mitglied des Friedensrats der DDR, seit 1959 Mitarbeiter, 1963–76 Internationaler Sekretär, 1978 Vizepräsident der CFK, 1967 Prof. für Ökumenische Theologie Halle, 1969–83 Prof. für Ökumenik Ost-Berlin. BAUER, Walter 166, 236, 239f., 408, 604f., 629 geb. 1901, gest. 1968, 1938–68 Unternehmer, 1946–48 Mitglied des Wirtschaftsrats des Länderrats, 1949–68 Synodaler der EKD, 1949–51 u. 1956–57 Mitglied des Verwaltungsrats des Hilfswerks der EKD, 1957–68 Mitglied der Diakonischen Konferenz u. des Diakonischen Rates der EKD. BECKER, Hellmut 434 geb. 1913, 1945–63 Rechtsanwalt Kreßbronn. BECKER, Ingeborg 202, 254, 340, 416, 495, 675, 743 geb. 1910, gest. 1983, seit 1935 Mitarbeiterin im Burckhardthaus Berlin, 1951–63 Direktorin des Burckhardthauses Ost-Berlin, 1955–66 Mitglied der Kirchenleitung der EKiBB, 1960–67 Mitglied des GKA der AGEJD, 1961–69 Synodale der EKD, 1964–73 Ephora Sprachenkonvikt Ost-Berlin. BECKMANN, Joachim 69, 73, 138, 233, 241, 243, 296, 321, 400, 404, 434, 454, 469, 477, 556, 559, 571, 604, 857f., 865, 912, 915 geb. 1901, gest. 1987, Theologiestudium Marburg, Tübingen, Münster, Göttingen, 1923 Dr. theol., 1926–28 Pfr. Wiesbaden, 1928–33 Seelsorger westfälische Frauenhilfsorganisation Soest, 1933–48 Pfr. Düsseldorf, seit 1933 führendes Mitglied der BK, seit 1945 Mitglied der rheinischen Kirchenleitung, 1948–58 deren stellv. Leiter, 1948 OKR, theol. Dirigent des LKA, 1946–51 Dozent Wuppertal, 1949–55 Synodaler der EKD, seit 1951 Prof. für Systematische u. Praktische Theologie Wuppertal, 1958–71 Präses der EKiR, 1960–63 Ratsvors. der EKU, seit 1963 Beauftragter des Rates der EKD für Fragen der Kriegsdienstverweigerung. BEHM, Hans-Jürgen 166, 201, 269, 328, 380, 384ff., 392f., 401, 403–406, 410, 426f., 429f., 440f., 483, 487, 491, 521f., 536, 585, 604, 608–611, 622f., 625f., 629, 631, 643f., 652f., 664f., 689f., 696, 728, 730, 740, 797f., 800, 802f., 805, 808, 819, 824, 826, 831, 833, 838f., 843, 846f., 860, 863f., 876f., 879, 897 geb. 1913, gest. 1994, 1955–69 Referent der Kirchenkanzlei der EKD – Berliner Stelle, 1966 Vertreter im Referat für Studentenseelsorge u. Studentengemeinden in der DDR u. Groß-Berlin, 1969–78 Referent im Sekretariat des BEK. BEHR, Arthur 605 1966 Vors. der Delegiertenkonferenz der ESGiD. BELL, George 116 geb. 1883, gest. 1958, 1929–58 Bischof von Chichester, 1948–54 Vors. im ZK des ÖRK.

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BELLMANN, Rudi 281, 867, 876 geb. 1919, 1955–69 Mitarbeiter, 1969–77 stellv. Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED. BENDER, Julius 305 geb. 1893, gest. 1966, 1946–64 badischer Landesbischof. BENDER, Peter 578, 769 geb. 1923, Journalist und Publizist. BENJAMIN, Hilde 247 geb. 1902, gest. 1989, 1953–67 Justizministerin der DDR. BENN, Ernst-Viktor 39, 96, 798, 822ff., 833, 898 geb. 1898, gest. 1990, 1945–49 stellv., 1949–52 Leiter der Kirchenkanzlei der EKD – Berliner Stelle u. Vizepräs. der Kirchenkanzlei der EKD, 1952 Präs. des LKA Hannover, seit 1953 Justitiar, später Abteilungsleiter bei den rheinischen Stahlwerken Essen, 1967/68 komm. jur. Dirigent bei der Kirchenkanzlei der EKU Berlin, 1969 na. jur. Mitglied ebd. BERG, Christian 166, 282ff. geb. 1908, gest. 1990, 1933 Pfr. Boizenburg, 1934 Basse, 1937 Haifa, 1939 Kirchheim/Teck, 1945 Mitarbeit im Zentralbüro des Hilfswerks der EKD, Stuttgart, 1946 stellv. Generalsekretär ebd., 1947 Generalsekretär, 1949–61 Leiter des Zentralbüros Ost des Hilfswerks der EKD, 1962–71 Direktor der Gossner Mission. BERIJA, Lawrenti Pawlowitsch 164 geb. 1899, gest. 1953, ab 1946 Stellv. Ministerpräsident u. Mitglied des Politbüros, Chef des KGB, 1953 Sturz und Hinrichtung. BERNDT, Günther 565, 590f., 650 geb. 1932, 1959–69 als Pfr. in verschiedenen Bereichen tätig, u. a. braunschweigischer LJP, 1969–78 Studienleiter u. Direktor der Ev. Akademie Berlin, Mitarbeiter der CFK. BESSEL, Wolfgang 757 BESTE, Niklot 41, 74f., 117, 320, 383, 403, 406, 410, 440, 447, 456, 596, 688, 699, 810, 814, 828, 838f., 848, 868, 876f., 884 geb. 1901, gest. 1987, 1924 Dr. phil., 1929 Pfr. Benthen, 1932 Pfr. für Volksmission Schwerin, 1933–45 Pfr. Neubukow/Kr. Bad Doberan, 1933 Leiter des Pfarrernotbundes Mecklenburg, 1934 Vors. des Landesbruderrates Mecklenburg, 1936 Mitglied des Reichsbruderrates, 1945 komm. Mitglied des mecklenburgischen OKR Schwerin, 1946–71 mecklenburgischer Landesbischof, 1947–48 Mitglied des Lutherrates, 1948–68 Mitglied der Kirchenleitung des VELKD, 1947–57 Mitglied des Exekutivkomitees des LWB, 1961–67 Mitglied im Rat der EKD, 1968/69 Vors. der KKL, 1968–71 Leitender Bischof der VELKDDR. BETHKE, Hildburg 260 geb. 1931, seit 1972 Prof. für Allgemeine Erziehungswissenschaft Frankfurt/M. BICKHARDT, Jürgen 307ff., 311 1960 studentischer Obmann Geschäftsstelle der ESGiD Stuttgart, Mitglied des VR der ESGiD. BIELA, Gebhard von 274 geb. 1935, Pfarrer und Superintendent Halberstadt. BIEBER, Alfred 508f. gest. 2003, Landesjugendwart Darmstadt. BIERMANN, Gisela 675 seit 1963 Mitarbeiterin in der Zentrale der Arbeitsgemeinschaft der Mädchenbibelkreise, 1964–67 Mitglied des GKA der AGEJD.

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BINDER, Heinz-Georg 418, 422, 546, 574, 751 geb. 1929, 1954–57 Vikar/Hilfsprediger im Jugendpfarramt, 1957–60 Pfr. Hamburg, 1956/57, 1960/61 Vors. des Landesjugendrings Hamburg, 1960/61 stellv. Vors., 1961–63 Vors. des DBJR, 1961–64 Jugendpolitischer Referent der EJD u. Geschäftsführer des Jugendpolitischen Ausschusses der EJD, 1961–64 Redakteur, 1964–66 Chefredakteur der „Jungen Stimme“, 1963–67 Vors. des Council of European National Youth Committees, 1966–71 Pfr. für Öffentlichkeitsarbeit Bremen. BISMARCK, Klaus von 227, 236, 239f., 243, 321, 325, 329, 434, 575 geb. 1912, gest. 1997, 1945 Leiter des Jugendamtes Herford, 1946 Mitgründer des Jugendhofes Vlotho, 1949–61 Leiter des Sozialamtes der EKvW Haus Villigst, 1955 Präs. des DEKT, 1955–67 EKD-Synodaler, 1961–76 Intendant des WDR, seit 1961 Mitglied im ZA des ÖRK, 1963/64 Vors. der ARD. BISMARCK, Philipp von 590 geb. 1913, 1967–71 Präs. der Industrie- u. Handelskammer Hannover, Verbandspolitiker im Bund der Vertriebenen. BITTNER, Gerhard 557 geb. 1912, 1947–77 Leiter der Presse- u. Rundfunkstelle beim Landeskirchenrat Hamburg, seit 1949 Chefredakteur epd-Landesdienst Nord. BLAKE, Eugene Carson 902 geb. 1906, gest. 1985, 1966–72 Generalsekretär des ÖRK. BLAUERT, Heinz 418, 747 geb. 1920, 1960–69 Direktor des Burckhardthauses Ost-Berlin, Mitglied der Jugendkammer Ost. BLÜCHER, Franz 239 geb. 1896, gest. 1959, 1953–57 Bundesminister für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit. BLUMENTHAL, Elke 309, 312 1960 Studentin Halle, Mitglied des VR der ESGiD. BLUMENTHAL, Irene 828 geb. 1913, Chefärztin im Städtischen Krankenhaus Berlin-Lichterfelde, 1968/69 Synodale der EKD, 1969–81 Synodale des BEK, 1969–73 Mitglied der KKL. BOCHINGER, Erich 492 geb. 1928, 1960–65 Studentenpfr. Schwäbisch Gmünd. BÖHM, Hans 37, 166 geb. 1899, gest. 1962, seit 1945 Propst Kölln-Stadt, na. Referent im EOK Berlin u. im Konsistorium Berlin-Brandenburg, 1949–59 Geistlicher Leiter des Konsistoriums Abteilung Berlin. BÖHME, Wolfgang 305 geb. 1919, 1948–58 Studentenpfr. Frankfurt/M., seit 1959 Pfr. an der Ev. Akademie Bad Boll. BÖTTCHER, Gerd 491 BONHOEFFER, Dietrich 305, 415, 501, 524, 870, 919 geb. 1906, gest. 1945, 1931–33 Studentenpfr. u. Priv. Doz. für Systematische Theologie Berlin, 1933 Pfarrer London, 1935–40 Leiter des BK-Predigerseminars in Pommern. BOOR, Tonimaria de 396, 762 seit 1962 Mitglied des VR der ESGiD, 1966 Mitarbeiterin der Ost-Berliner Geschäftsstelle der ESGiD. BOOTH, Alan R. 466ff. geb. 1902, Pfr. der Methodistischen Kirche von Irland, Exekutivsekretär der CCIA London.

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BOSINSKI, Gerhard 863 geb. 1911, gest. 1985, 1968–76 Leiter des Diakonischen Werkes der Ev. Kirchen in der DDR. BOSSE, Günter 348 1958 Mitglied der ESG Hannover. BOSSE, Hans 625 geb. 1938, 1968/69 wiss. Mitarbeiter bei der Kirchenkanzlei der EKD. BRAECKLEIN, Ingo 411, 516, 797, 802, 808, 810, 815, 843, 860, 876, 883ff., 890f., 902 geb. 1906, gest. 2001, 1935 Pfr. Allendorf u. Schwarzburg, Mitglied des „Wittenberger Bundes“, 1939–45 Soldat, brit. Gefangenschaft, 1945 Pfr. Allendorf, 1948–50 Saalfeld, 1950–78 Mitglied der Thüringer Synode, 1950–59 Sup. Weimar, seit 1953 auch Verwaltung der Superintendentur Blankenhain, 1959–70 OKR Eisenach, 1961–68 Synodaler der EKD, 1963 geistlicher Stellver. des Landesbischofs, 1967 Vizepräs. der Generalsynode der VELKD, 1968 Präs. der Generalsynode der VELK in der DDR, 1969 Präses der Synode des BEK, 1969 Mitglied des Vorstands der KKL, 1970–78 Thüringer Landesbischof. BRANDES, Werner 500, 502 1963/64 stud. Obmann der ESGiD. BRANDT, Willy 449, 453, 485, 492, 528, 578, 623, 631, 640f., 782, 894, 900f., 931 geb. 1913, gest. 1992, 1957–66 Regierender Bürgermeister von Berlin, 1964–87 SPD-Vors., 1966–69 Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten u. Vizekanzler, 1969–74 Bundeskanzler. BRAUN, Walter 166 geb. 1892, gest. 1973, seit 1947 Generalsup. der Kurmark mit Sitz in Potsdam. BRAUN, Joachim Freiherr von 610 geb. 1905, gest. 1974, 1951–74 geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Göttinger Arbeitskreises Ostdeutscher Wissenschaftler. BRECHT, Bertolt 501 geb. 1898, gest. 1956, deutscher Dichter. BRENTANO, Heinrich von 221 geb. 1904, gest. 1964, 1955–61 Bundesaußenminister. BRESCHNEW, Leonid Iljitsch 901 geb. 1906, gest. 1982, ab 1964 1. Sekretär u. ab 1966 Generalsekretär des ZK der KPdSU. BRÖLSCH, Werner 292, 339–342 geb. 1910, 1947–59 LJP Bremen, 1956–59 Leiter der Landesstelle Bremen der Schülerbibelkreise der EJD u. Schatzmeister der EJD, 1956–59 Vors. des GKA der AGEJD, 1956–58 Vors. der Landesjugendpfarrerkonferenz. BRÜCK, Ulrich von 808, 810, 861, 863 geb. 1914, gest. 1999, 1950–64 1. Vereinsgeistlicher der Inneren Mission, Leiter des Landeskirchl. Amtes für Innere Mission, Bevollmächtigter für das Hilfswerk u. a. o. Mitglied des LKA Dresden, 1959–65 Synodaler der EKD, seit 1965 Dezernent für Ökumene im LKA Dresden, 1968–80 OLKR ebd., seit 1969 Stellv. des Landesbischofs, 1969–80 Synodaler des BEK. BRUNOTTE, Heinz 96, 98, 174, 188, 242, 265, 381f., 384ff., 403f., 406ff., 410, 440, 479, 481 geb. 1896, gest. 1984, 1925 Pfr. Münchenhagen, 1927 Hoyershausen/Kr. Alfeld, 1936–45 OKonsR in der Kirchenkanzlei der DEK Berlin, 1946 OLKR im LKA Hannover, 1949–65 Präs. der Kirchenkanzlei der EKD, zugleich Präs. des Luth. Kirchenamts der VELKD. BRUNOTTE, Wilhelm 675, 747 1962–68 Direktor des Burckhardthauses u. der Weiblichen Jugend Deutschlands, 1966 Mitglied des GKA der AGEJD, 1967–69 Mitglied des Vorstands der AGEJD.

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BÜRKLE, Horst 312 geb. 1925, 1956–59 Pressereferent der ESGiD, 1959–65 Studienleiter an der Missionsakademie Hamburg, 1960–63 Mitglied des VR der ESGiD, seit 1968 Prof. für Religions- und Missionswissenschaft München. BURCKHARDT, Wolfgang 506 BUSCH, Johannes 202 geb. 1905, gest. 1956, 1945–56 westfälischer LJP, seit 1946 Mitglied der Jugendkammer der EKD, 1949–55 Synodaler der EKD. BUWITT, Gerd 204 1955 Landesjugendwart Berlin-Neukölln. CARSTENS, Karl 636 geb. 1914, gest. 1992, 1968–70 Staatssekretär im Bundeskanzleramt. CASALIS, Georges 588 geb. 1917, gest. 1987, 1948–70 Mitglied der CFK, zeitweise deren Vizepräs., 1960–73 Prof. Faculté libre de Théologie Protestant Paris. CASPARSON 395 1962 ostdeutsches Mitglied der Kommission des VR der ESGiD. CHAMBERLAIN, Keith 779 Theologiestudium Berlin, Basel, Zürich, 1960 Mitglied des VR der ESGiD, Studentenpfr. Berkley, Kalifornien, 1965/66 Studiensekretär der Geschäftsstelle der ESGiD in West-Berlin, Mitarbeiter des Frontier Study and Service Projektes des WSCF. CHRUSCHTSCHOW, Nikita 220, 277, 285f., 330, 452 geb. 1894, gest. 1971, 1939–64 Mitglied des Politbüros der KPdSU, 1949 Sekretär des ZK der KPdSU Moskau, 1953 1. Sekretär des ZK der KPdSU, 1958 Ministerpräs., 1964 durch das ZK der KPdSU vom Amt des Staats- u. Parteichefs enthoben. CHURCHILL, Winston 164 geb. 1874, gest. 1965, 1940–45 u. 1951–55 britischer Premierminister. CIHÁK, Jaroslav 482 geb. 1921, ab 1954 Pfr. Jeseník, ab 1961 Sekretär der CFK. CLAY, Lucius D. 57 geb. 1897, gest. 1978, 1945 stellv. Militärgouverneur der amerik. Besatzungszone, 1947–49 Militärgouverneur, 1961–63 Sonderbeauftragter für Berlin-Fragen. COLLINS, John 96 geb. 1905, gest. 1982, 1948–81 Domherr an der St. Paul’s Cathedral London, seit 1948 Chairman der Christian Action. CONRAD, Jobst 305 geb. 1918, 1958/59 Pfr. an der Ev. Akademie Bad Boll. CONRING, Gesa 396, 421, 730 geb. 1926, gest. 1996, 1959–66 theol. Referentin in der Kirchenkanzlei der EKD. CORNIDES, Wilhelm 606 1945 Gründer u. langjähriger Hg. des „Europa-Archivs“. COUDENHOVE-KALERGI, Richard 224 geb. 1894, gest. 1972, Schriftsteller, 1923–72 Präs. der Paneuropa-Union, seit 1947 Generalsekretär der Europäischen Parlamentarier-Union. DAHDE, Brigitte 896 1968/69 Sachbearbeiterin im Gesamtkirchl. Referat der AGEJD, 1970 Geschäftsführerin des Arbeitskreises für Ost-West-Begegnungen der AGEJD.

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DAHLEM, Franz 121 geb. 1892, gest. 1981, 1949–53 Mitglied des Politbüros u. Sekretär des ZK der SED. DAHM, Ulrich 495, 675f. Pfr., 1962–67 Mitglied des GKA der AGEJD als Vertreter der Christl. Pfadfinderschaft Deutschlands. DANIELSMEYER, Werner 568, 604, 625, 879, 899f., 913 geb. 1910, gest. 1985, seit 1938 Pfr. Marten (Dortmund), 1957 Ephorus im Predigerseminar Soest, 1964 OKR, Vors. des Ständigen politischen Ausschusses der Landessynode der EKvW, Mitglied der KföV der EKD. DEHLER, Thomas 228, 286, 523 geb. 1897, gest. 1967, 1949–67 MdB, 1949–53 Bundesjustizminister, 1953–57 FDP-Fraktionsvors., 1954–57 FDP-Vors., 1960–67 Bundestagsvizepräs. DEHMEL, Artur 159 geb. 1907, gest. 1956, seit 1953 Sup. Vlotho. DELLINGSHAUSEN 776 DETTLOFF, Werner 675 LJP Oldenburg, 1966 Mitglied des GKA der AGEJD. DIBELIUS, Otto 21, 36–41, 46, 55, 59, 61, 64f., 74–81, 88ff., 92, 100ff., 107f., 112, 116f., 119, 121ff., 133–136, 138–145, 151–157, 160ff., 165f., 168, 174, 176, 178f., 206, 209f., 214, 222, 225, 227, 230f., 235, 239, 242–248, 257, 261f., 265ff., 289ff., 295, 299, 303, 318–321, 325f., 350, 355, 359, 372, 375, 379, 381, 387f., 397, 399f., 464ff., 558, 572, 609, 661, 667f., 786 geb. 1880, gest. 1967, 1899–1904 Theologiestudium Berlin, 1902 Dr. phil., 1906 Lic. theol., 1906 Hilfsprediger Guben, 1907–09 Archidiakonus Crossen/Oder, 1909/10 Pfr. Danzig, 1911–15 Oberpfr. Lauenburg, 1915–25 Pfr. Berlin-Schöneberg, 1918 na. Geschäftsführer des VR beim EOK, 1918/19 Geschäftsführer des VR der APU, 1921 na. Mitglied des EOK Berlin (OKonsR), 1925–33 Generalsup. der Kurmark, 1933 Zwangspensionierung, 1933/34 Kurpastor San Remo, seit 1934 ständiger Mitarbeiter im berlin-brandenburgischen Bruderrat, mehrfach inhaftiert, Redeverbote, 1936 Mitglied der Verfassungskammer der VKL II, 1936 Mitglied im Kuratorium der Kirchl. Hochschule Berlin, Mitglied der Kirchenleitung der EKiBB, 1937 Mitglied des Rates der Ev. Kirche der APU, Verhaftung, Prozess, Freispruch, öffentliches Redeverbot, 1945 Vors. des Gesamtverbandes der Inneren Mission Berlin, 1945–66 Bischof der EKiBB, 1945 Mitbegründer der CDU, 1945–51 Präs. des EOK Berlin, 1945–60 Vors. der Kirchl. Ostkonferenz, 1948 Mitglied im ZA des ÖRK, 1949–61 Vors. der Rates der EKD, 1954–61 Mitglied im Präsidium des ÖRK. DIECKMANN, Johannes 120, 122, 142, 147, 180, 230f., 236f., 281, 324, 431, 448f., 472, 475 geb. 1893, gest. 1969, 1948–50 Minister für Justiz u. stellv. Ministerpräs. Sachsen, 1950–69 Volkskammerpräs., seit 1960 einer der stellv. Staatsratsvors., seit 1950 Mitglied des Präsidiums des Nationalrats der Nationalen Front. DIEM, Hermann 67, 69, 73, 274, 604f., 609ff., 622 geb. 1900, gest. 1975, 1934–56 Pfr. Ebersbach, 1937 stellv. Vors. des württ. Landesbruderrats, 1939 u. 1943 Soldat, Kriegsgefangenschaft, 1955 a. o., 1957–64 Prof. für Systematische Theologie Tübingen, 1964–68 Prof. für Kirchenordnung ebd., 1964/65 Rektor der Universität ebd. DIETZE, Constantin von 228, 231, 242 geb. 1891, gest. 1973, Soldat, 1937–61 Prof. für Agrarpolitik, Außenhandel u. Sozialethik Freiburg/Br., 1949–55 Mitglied u. 1955–61 Präses der Synode der EKD.

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DIETZFELBINGER, Hermann 48, 231, 305, 592, 628, 631, 637, 696, 698, 700, 702, 704f., 708, 723–726, 731, 735, 787, 806ff., 818, 820, 832, 846, 852, 854, 877, 889 geb. 1908, gest. 1984, 1935 Pfr. Rüdenhausen, 1939 theol. Hilfsreferent im Landeskirchenrat München, 1940 Studentenpfr., Lazarettseelsorger, Mitarbeit beim Kreisdekanat Bayreuth, 1945 Rektor des Predigerseminars Nürnberg, 1946 Vors. der Konferenz der Studentenpfr., 1949–55 Synodaler der EKD, 1953 Rektor der Diakonissenanstalt Neuendettelsau, 1955–75 bayerischer Landesbischof, 1967–73 Ratsvors. der EKD. DÖNHOFF, Marion Gräfin 638 geb. 1909, gest. 2002, Journalistin, ab 1972 Hg. von „Die Zeit“. DOHLE, Horst 532, 673 geb. 1935, 1965–69 wiss. Mitarbeiter in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen. DREIER, Hartmut 709, 745 1966–69 Ökumenereferent der ESGiD, 1969–77 Studentenpfr. Bochum. DUBCEK, Alexander 595 geb. 1921, gest. 1992, 1968 1. Sekretär des ZK der KSC, 1969 Entmachtung. DUCHROW, Ulrich 936 geb. 1935, ab 1984 Prof. für Systematische Theologie und Sozialethik Heidelberg. DÜBEL, Siegfried 754 Psychologe. DÜRRENMATT, Friedrich 189 geb. 1921, gest. 1990, Schweizer Schriftsteller. DUMMLER, Karl 747, 774 geb. 1921, Mitglied des württ. EOK, Referent für Haushalts- u. Finanzwesen, 1962 OKR, 1963–72 Mitglied des Vorstands u. bis 1970 Schatzmeister der EJD. EBERT, Friedrich 448f. geb. 1894, gest. 1979, seit 1949 Mitglied des Politbüros des ZK der SED, 1948–67 Oberbürgermeister von Berlin, 1950–63 u. seit 1971 stellv. Volkskammerpräs. EGGERT, Oskar 606 Bundessprecher der Landsmannschaft Pommern EGGERATH, Werner 246, 260, 303f., 323 geb. 1900, gest. 1977, 1947–52 Ministerpräs. Thüringen, 1952–1954 Staatssekretär beim Ministerpräs. der DDR, 1954–57 Botschafter Rumänien, 1957–60 Staatssekretär für Kirchenfragen, seit 1961 freier Schriftsteller. EHLERS, Hermann 120ff., 128, 133, 142f., 146ff., 150, 160, 180 geb. 1904, gest. 1954, Dr. jur., 1930–33 in der Reichsleitung des Bunds Deutscher Bibelkreise, 1931 Justitiar der Notgemeinschaft der Inneren Mission/Berlin, 1931/32 in der Justizverwaltung Berlin u. Frankfurt/M., 1933 Mitglied des Bruderrats der APU, 1933/34 in der Kommunalverwaltung Berlin, seit 1934 Mitglied der BK, Entlassung aus dem Justizdienst, 1934–36 jur. Hilfsarbeiter, 1935 Leitung des Bruderrates der Ev. Kirche der APU, 1937 Ausscheiden aus dem Bruderrat, Richter Berlin, Inhaftierung, 1939 Entlassung, Anwaltsvertreter Berlin, 1940–45 Soldat, 1945–50 OKR Oldenburg, 1946 Rundfunkbeauftragter der EKD, seit 1946 Vors. des Disziplinarhofes der EKD, 1946–50 Bevollmächtigter für das Hilfswerk, seit 1949 MdB (CDU), seit 1949 Synodaler der EKD, seit 1950 Bundestagspräs., seit 1952 Vors. des Ev. Arbeitskreises in der CDU, 1952 Wahl zum stellv. Parteivors. der CDU. EHLERT, Barbara 355, 391, 395 1960/61 West-Berliner Obfrau der ESGiD.

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EICHMANN, Adolf 929 geb. 1906, gest. 1962, SS-Obersturmbannführer. EISENBERG, Jürgen 417, 675ff., 742f., 759, 896 geb. 1928, 1960 Gründungsmitglied u. Vors. der Ev. Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer, 1961–70 LJP Kurhessen Waldeck, 1962 stellv. Vors. des Jugendpolitischen Ausschusses der AGEJD, 1962–67 Vors. des GKA der AGEJD. EISENHOWER, Dwight D. 285 geb. 1890, gest. 1969, 1952–61 Präsident der USA. EISLER, Gerhart 577 geb. 1897, gest. 1968, seit 1962 Vors. des Staatlichen Rundfunkkomittees der DDR, 1967 Wahl ins ZK der SED. EITEL, Fritz 509 geb. 1924, gest. 1988, 1959–69 Jugendpfr. der EKHN u. Vors. der Ev. Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer Darmstadt. ELFERS, Heinrich 357 1960 Mitglied der Hamburger ESG. EPPLER, Erhard 609ff., 617–632, 635, 900 geb. 1926, 1943–45 Soldat, 1951 Dr. phil., 1953–61 Lehrer Schwenningen, Mitbegründer der GVP, 1955 Austritt aus der GVP, 1956 Eintritt in die SPD, 1961–76 MdB, 1967/68 außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, 1968–84 Synodaler der EKD, 1968–74 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. ERDMANN, Karl Dietrich 590 geb. 1910, gest. 1990, 1953–78 Prof. für Mittlere u. Neuere Geschichte u. Direktor des Historischen Seminars Kiel, 1966/67 Rektor der Universität Kiel. ERDMANN, Martin 153, 565 geb. 1896, gest. 1977, 1947–65 braunschweigischer Landesbischof. ERHARD, Ludwig 442, 444, 454–457, 459, 485, 548, 555, 576, 578 geb. 1897, gest. 1977, 1963–66 Bundeskanzler. ERLER, Fritz 186, 523 geb. 1913, gest. 1967, seit 1949 MdB, seit 1956 Mitglied des Parteivorstandes der SPD, seit 1957 stellv. Fraktionsvors., seit 1964 Fraktionsvors. ERNST, Norbert 549, 675 geb. 1934, seit 1960 Pfr. Gersdorf, 1966 Mitglied des GKA der AGEJD. ESCHE, Friedrich Wilhelm 202, 204 LJP der Ev. Kirche Kurhessen-Waldeck, 1955 Geschäftsführer des GKA der AGEJD. ESCHENBURG, Theodor 606 geb. 1904, gest. 1999, 1952–73 Prof. für Wissenschaftliche Politik Tübingen. EVERTZ, Alexander 550f., 554, 558–561, 568, 642 geb. 1906, 1937 Pfr. Zeulen, Entlassung, Mitglied der BK, 1941–45 Soldat, Pfr. Darmstadt, seit 1955 Pfr. Dortmund, 1966 Mitbegründer der „Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher“. FALCKE, Heino 533, 535, 605, 625, 879, 900, 936 geb. 1929, 1963–73 Rektor des Predigerseminars der EKU Gnadau. FALKENROTH, Arnold 706, 724, 727, 731, 734, 737 geb. 1928, Studentenpfr. Wuppertal, Lektor für Hebräisch Kirchl. Hochschule ebd., seit 1962 Leiter des Ausbildungszweiges für Pastoren im Südamerika-Dienst beim Seminar der Rheinischen Missionsgesellschaft, 1964–68 Vors. des Beirates West der ESGiD, seit 1966 Ephorus Kirchl. Hochschule Wuppertal.

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FAST, Heinold 590 geb. 1929, 1957–92 Pfr. der Mennonitengemeinden in Emden, Norden, Gronau u. Leer. FECHNER, Helmuth 554 FENGLER, Gisela 418 geb. 1923, 1947–63 Beauftragte für Landjugendarbeit, 1963–74 Direktorin des Burckhardthauses, Geschäftsführerin der Jugendkammer Ost, Mitglied des GKA der AGEJD. FEURICH, Walter 442ff., 691 geb. 1922, gest. 1981, 1947 Pressebeauftragter im LKA Dresden, 1948–71 Pfr. Dresden, 1949 Mitglied des Bruderrats der BK, 1955–61 Mitglied der Kammer für soziale Ordnung der EKD, 1961–81 Vors. der Kirchl. Bruderschaft Sachsens, seit 1961 Mitglied des Friedensrats der DDR, 1965–73 Mitglied des Regionalausschusses der CFK für die DDR. FEUSER, Günter 201 Generalsekretär des Heimatlosenlagerdienstes, 1954 Geschäftsführer des Sozialausschusses, 1958 Sprecher der AGEJD im Geschäftsführenden Ausschuss des DBJR, Mitglied des Bundeskuratoriums für Jugendfragen. FEYERABEND, Stefan 312 Politikwissenschaftler aus Hamburg-Großflottbek, 1960 Mitglied des VR der ESGiD. FEZER, Karl 731 geb. 1891, gest. 1960, 1930–56 Prof. für Praktische Theologie Tübingen, 1933/34 Vors. der DCSV, 1934 Rektor der Universität Tübingen, 1945 vorübergehende Amtsenthebung. FICHTE, Johann Gottlieb 26 geb. 1762, gest. 1814, Philosoph. FIGUR, Fritz 380, 397, 429f., 665, 682, 685, 689, 808, 822f., 826, 831, 833, 839, 851, 860–864, 866, 869, 878f., 884, 923 geb. 1904, gest. 1991, seit 1930 Pfr. Berlin, Mitglied des Pfarrernotbundes, Divisionspfr., 1947–69 Sup. Oberspree, Pfr. Berlin-Köpenick, 1955 Vizepräses, 1959 Präses der Provinzialsynode Berlin-Brandenburg, 1959 Mitglied der Kirchenleitung, 1961–63 Vorsitz der regionalen Kirchenleitung Ost der EKiBB, 1965–69 Vizepräses der Synode der EKD, 1966/67 Wahrnehmung bischöflicher Aufgaben in der Region Ost, 1966/67 Präs. des DEKT (Bereich DDR). FILD, Horst 495 Pfr., seit 1959 Reichswart des CVJM, 1962 Mitglied des GKA der AGEJD. FINCKE, Eberhard 549, 675 geb. 1935, seit 1966 Stadtjugendpfr. Braunschweig. FINCKH, Ulrich 732 geb. 1927, seit 1957 Pfr. Mettenheim, 1963–70 Studentenpfr. Hamburg. FINK, Heinrich 487 geb. 1935, 1966 Leiter der Jugendkommission der CFK, 1965–69 Habil. Aspirant, 1969–79 Dozent, seit 1979 Professor für Praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin. FINK, Ilsegret 763 Mitarbeiterin in der Geschäftsstelle der ESG in Ost-Berlin, Pfarrerin in Berlin. FISCHER, Martin 48, 149f., 187, 189, 212, 264, 268, 312f., 326f., 351, 354, 391, 399, 419f., 486, 502, 656, 681, 689f., 717ff., 723, 725, 731 geb. 1911, gest. 1982, Theologiestudium Greifswald, Berlin, Halle, illegaler Vikar, dann Pfr. der BK, 1935–38 Reisesekretär der DCSV, seit 1936 Leiter des Theologiestudentenamtes der VKL der BK, 1937–45 Leiter der Studentenarbeit der BK, Mitbegründer der Kirchl. Hochschule Berlin, 1945 Dozent ebd., 1945–55 Ephorus ebd., seit 1947 Vors. des Beirates Ost der ESGiD, seit 1948 stellv. Vors. des VR der ESGiD, 1950–70 Prof. für Praktische Theologie Kirchl. Hoch-

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schule Berlin, 1957 Mitinitiator des Weißenseer Arbeitskreises, 1963/64 Vors. des Beirates West der ESGiD, 1967–79 Mitglied der Kirchenleitung der EKiBB (West), 1970–75 Präs. der Kirchenkanzlei der EKU (West). (Schumann-)FITZNER, Elfriede 835 geb. 1920, ab 1966 Abteilungsleiterin für Rechts- u. Grundsatzfragen beim Staatssekretär für Kirchenfragen. FLEISCHHACK, Heinz 810 geb. 1913, 1958–78 Propst zu Magdeburg und Stellvertreter des Bischofs. FLIEGENSCHNEE, Gottfried 355f. geb. 1937, Theologiestudium in Berlin und Wien, ab 1963 Pfarrer in Stainz. FLINT, Fritz 405, 532, 880 geb. 1917, 1960–77 stellv. Staatssekretär für Kirchenfragen. FLOTOW, H. von 200 FORCK, Gottfried 259 geb. 1923, gest. 1996, 1954–59 Studentenpfr. Ost-Berlin. FRÄNKEL, Hans-Joachim 268f., 287, 328, 476, 596, 599, 601, 660, 687, 697, 704, 808, 813, 830, 833, 837, 840, 853, 859, 861, 866, 868, 883 geb. 1909, gest. 1996, 1936 Pfr. der BK Schlesien, Gestapo-Haft, 1940/41 Soldat, 1943–45 Pfr. Breslau, 1945 Mitglied der schlesischen Kirchenleitung, Ausweisung aus dem polnischen Teil Schlesiens, 1947 Umsiedlung nach Görlitz, 1951 OKonsR, Stellvertreter des schlesischen Bischofs, 1964–79 Bischof von Schlesien (ab 1968: Ev. Kirche des Görlitzer Kirchengebietes), 1969–72 Vors. des Rates der EKU im Bereich der DDR. FRANCKE, August Hermann 475 geb. 1663, gest. 1727, Theologe, Gründer der „Franckeschen Stiftungen“. FRANK, Johannes 798 geb. 1929, gest. 1983, ab 1963 Justitiar Kirchenamt VELKD, ab 1970 Präsident des LKA Hannover. FRANKE, Egon 640 geb. 1913, gest. 1995, 1964–73 Mitglied des Präsidiums der SPD, seit 1967 Vors. des Gesamtdeutschen Ausschusses im Bundestag, stellv. Fraktionsvors., 1969–82 Minister für innerdeutsche Beziehungen. FREUDENBERG, Adolf 58 geb. 1894, gest. 1977, 1939–47 Sekretär des ökumenischen Komitees für Flüchtlingsdienst beim ÖRK London u. Genf, bis 1947 Leiter der Flüchtlingshilfe ebd. FREYGANG, Peter 591 Mitarbeiter beim Christl. Friedensdienst Berlin. FRICK, Robert 268, 279, 604 geb. 1901, gest. 1990, Lic. theol. u. Studieninspektor am Predigerseminar Wittenberg, 1928 Pfr. Bad Saarow, 1931–39 Dozent Bethel, 1940 Vertretung Lobetal, 1943 Kriegsdienst im Betheler Reservelazarett, 1945–49 Dozent Bethel, bis 1960 Leiter der Diakonissenanstalt Kaiserswerth, Mitglied im Öffentlichkeitsausschuss der EKiR u. der EKU. FRICKE, Otto 166, 426 geb. 1902, gest. 1955, 1947–50 OKR, Mitglied der Kirchenleitung der EKHN. FRIEDENSBURG, Ferdinand 281 geb. 1886, gest. 1972, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

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FRIEDLAENDER, Ernst 223f., 227 geb. 1895, gest. 1973, 1946–50 Redakteur u. stellv. Chefredakteur der „Zeit“, danach freier Publizist, 1954–57 Präs. der Europa-Union. FRIELINGHAUS, Dieter 442ff., 484f., 691 geb. 1928, ref. Pfr. Dresden u. Bergholz, Moderator der reformierten Gemeinden in der DDR, Mitglied der Kirchenleitung der EKiBB, Mitglied des CFK-Regionalausschusses der DDR u. des Weißenseer Arbeitskreises, Mitglied des Deutschen Friedensrates u. der christlichen Arbeitskreise der Nationalen Front. FRITZ, Reinhold 675 geb. 1930, seit 1965 LJP Sachsen, 1966 Mitglied des GKA der AGEJD. FUCHS, Emil 362 geb. 1874, gest. 1971, religiöser Sozialist, ab 1949 Professor für Systematische Theologie und und Religionsphilosophie, Begründer und bis 1958 Leiter des Religionssoziologischen Instituts Leipzig. FÜHR, Fritz 265, 281, 296f., 303, 317, 380, 399, 405f., 410f., 448ff., 491 geb. 1904, gest. 1963, 1923–27 Theologiestudium Halle, Marburg, 1927 Vikar Halle, Halberstadt, 1930 Pfr. Berga, 1933 Mitglied von Pfarrernotbund u. BK, 1940–45 Soldat, 1946 Sup. Nordhausen, 1947 Propst Südharz, 1951–62 Synodaler der EKD, 1955–62 Vizepräses der Synode der EKD, 1956–62 Generalsup. Berlin. FÜLLKRUG, Armin 889 geb. 1914, gest. 2001, 1960–80 Richter am Oberlandesgericht Frankfurt/M., 1962–78 Ständiger Vertreter des Bischofs im LKA der EKHN, seit 1969 Mitglied der „Beratergruppe“ des Rates der EKD. FÜSSEL 197 1956 Schatzmeister des ESGiD. FUNCKE, Liselotte 604, 625 geb. 1918, 1944–69 Abteilungsleiterin u. Prokuristin bei Funcke & Hueck Hagen, seit 1961 Mitglied der KföV der EKD, 1961–79 MdB, seit 1964 im Bundesvorstand u. seit 1968 im Präsidium der FDP. GABLENTZ, Otto Heinrich von der 127, 166 geb. 1898, gest. 1972, 1948–55 Abteilungsleiter Deutsche Hochschule für Politik Berlin, 1949–61 Mitglied der KföV der EKD. GÄBLER, Christoph 590f., 648, 675, 742ff., 748, 752ff., 768f., 771, 773, 775 geb. 1937, 1965–68 Gesamtkirchl. Referent bei der AGEJD Stuttgart, ab 1969 Lehrer Hamburg. GAHL, Christoph 591 Journalist Berlin. GALLAND, Valdo 734f. Waldenser Pfr. aus Uruguay, 1960–68 Generalsekretär des WSCF. GARSTECKI, Joachim 936 geb. 1942, 1974–90 Referent für Friedensfragen in der Theologischen Studienabteilung des BEK. GAULLE, Charles de 542 geb. 1890, gest. 1970, 1958–69 Staatspräsident Frankreichs. GAUS, Günter 581 geb. 1929, Journalist, 1966 Moderator und Leiter des TV-Nachrichtenmagazins „report“.

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GEFAELLER, Heinz 329, 387 geb. 1904, gest. 1987, 1945–56 Mitglied der Kirchenkanzlei der EKU, 1956–69 Leiter der Berliner Abteilung im BMG. GEISSEL, Ludwig 191, 248f., 452, 678, 835 geb. 1916, gest. 2000, ab 1947 in der Außenstelle Hamburg des Zentralbüros des Hilfswerks der EKD, 1950–55 Leitung ders., seit 1955 Hauptgeschäftsführer im Zentralbüro Stuttgart des Hilfswerks, Abteilung Nothilfe, 1957–82 Direktor im Diakonischen Werk, zuständig für die Bereiche Finanzen, Nothilfe, Verwaltung, seit 1958 Bevollmächtigter der westdeutschen Landeskirchen bei der Regierung der DDR. GEORGE, Reinhold 917 geb. 1913, gest. 1997, 1966 Mitbegründer der Ev. Sammlung Berlin, 1969–82 Sup. Kirchenkreis Schöneberg, Synodaler der EKiBB. GERHARDT, Paul 475 geb. 1607 Gräfenhainichen, gest. 1676 Lübben, Pfr. u. Liederdichter. GERLACH, Paul 365 GERSTENMAIER, Eugen 62, 111, 143f., 212, 222f., 239, 284, 286, 318, 408f., 436, 441–445, 472, 475, 539ff., 544, 548, 552, 559, 665, 698, 782 geb. 1906, gest. 1986, 1921–29 kaufmännischer Angestellter, 1930–35 Studium der Philosophie, Literaturwissenschaften u. Theologie Tübingen, Zürich, Rostock, 1934 Haft, Dr. theol., Lic., D., 1936 theol. Hilfsarbeiter im Kirchl. Außenamt der DEK Berlin, 1937 Priv. Doz. Berlin, Verweigerung der Lehrerlaubnis aus politischen Gründen, 1942 KonsR im Kirchl. Außenamt, 1944/45 Haft, 1945–51 Leiter des Hilfswerks der EKD, 1947 OKR, 1949–73 Synodaler der EKD, 1949–69 MdB (CDU), 1954–69 Bundestagspräs. GEYER, Fritz 155 geb. 1888, gest. 1966, 1950–56 Chef der Regierungskanzlei bzw. Leiter des Büros des Präsidiums des Ministerrates der DDR. GIERSCH, Martin 202, 246, 339 geb. 1909, gest. 1969, 1954–57 Studentenpfr. Weimar, seit 1957 Pfr. Blankenheim, 1957 Verhaftung. GIESEN, Heinrich 145, 160, 180, 327, 335, 757 geb. 1910, gest. 1972, 1938 Studentenpfr. Bonn, 1947 Köln, 1950–61 Generalsekretär des DEKT, danach Direktor der Berliner Stadtmission. GIRNUS, Elsa 418 Mitarbeiterin der ev. Landjugendarbeit in der DDR, 1963 Mitglied der Jugendkammer Ost. GLÖCKNER, Reinhard 421, 487, 501f., 657, 706–709, 757f., 766 geb. 1933, 1963–74 Leiter der Geschäftsstelle der ESG in der DDR. GLOEGE, Gerhard 148, 265 geb. 1901, gest. 1970, seit 1946 Propst Erfurt, Prof. für Systematische Theologie Jena, 1949–61 Synodaler der EKD, 1961–68 Prof. Bonn. GOEBBELS, Joseph 173 geb. 1897, gest. 1945, 1933–45 Reichsminister für Volksaufklärung und Progaganda. GÖTTING, Gerald 440, 537, 577, 671, 685–688, 702–705, 790, 794, 832f., 837f., 856, 861f., 871, 876, 903f., 906 geb. 1923, 1949–66 Generalsekretär der Ost-CDU, 1960–89 stellv. Vors. des Staatsrates der DDR, 1966–89 Vors. der Ost-CDU, 1969–76 Volkskammerpräs., danach bis 1989 stellv. Präs.

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GOGARTEN, Friedrich 30 geb. 1887, gest. 1967, 1931–35 Prof. Breslau, 1935–1955 Prof. für Systematische Theologie Göttingen. GOLDSCHMIDT, Dietrich 306, 396, 604 geb. 1914, gest. 1998, 1961 Prof. Kirchl. Hochschule Berlin, 1963 Honorarprof., Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, seit 1957 Mitglied des VR der ESGiD, seit 1962 Mitglied der KföV der EKD. GOLLWITZER, Helmut 110, 173, 187, 212, 222, 239, 242, 265, 267, 286, 322, 327, 454, 469, 562, 581, 676, 718, 754, 825 geb. 1908, gest. 1993, Theologiestudium München, Erlangen, Jena, Bonn, Basel, 1936 Referententätigkeit beim thüringischen u. altpreuß. Bruderrat der BK, 1937 Lic. theol., Dozent am Burckhardthaus, 1938 Pfr. Berlin-Dahlem, Dozent Kirchl. Hochschule Berlin, 1940 Redeverbot, Ausweisung aus Berlin, 1940–49 Soldat, Kriegsgefangenschaft, 1950–57 Prof. für Systematische Theologie Bonn, 1957–75 Lehrstuhl für Ev. Theologie FU Berlin, zeitweise Lehrauftrag an der Kirchl. Hochschule. GOMULKA, Wladyslaw 248 geb. 1905, gest. 1982, 1956–70 1. Sekretär des ZK u. Mitglied des Politbüros der Poln. Arbeiterpartei. GRADL, Johann Baptist 566, 590 geb. 1904, gest. 1988, 1957–80 MdB (CDU), lange Zeit Vors. des Gesamtdeutschen Ausschusses/Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen u. deutschlandpolitischer Sprecher der CDU, 1965/66 Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge u. Kriegsgeschädigte, 1966 Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen. GRAUHEDING, Erich 240, 245 geb. 1911, gest. 2000, 1952–58 OKR u. leitender Jurist in der Kirchenkanzlei der EKD – Berliner Stelle. GREIFENSTEIN, Hermann 726, 730, 735, 767 geb. 1912, gest. 1988, 1939–52 Gemeinde- u. Studentenpfr. Erlangen, seit 1952 Dekan u. Pfr. Regensburg, 1960 KR, 1962–80 OKR im LKA, Mitglied der bayerischen Kirchenleitung, 1967 Mitglied des Beirates West der ESGiD. GRENGEL, Christa 487, 505, 657 geb. 1939, Dr. theol., 1963–66 im Reisedienst der ESGiD/Ost-Berliner Geschäftsstelle, 1966–70 Vikariat Eberswalde, Predigerseminar Gnadau, Pastorin Berlin, seit 1970 Referentin im Sekretariat des BEK. GRIMME, Adolf 68 geb. 1889, gest. 1963, seit 1918 SPD-Mitglied, religiöser Sozialist, 1946 Volksbildungsminister Hannover, seit 1947 Kultusminister ebd., Mitglied des Zonenbeirates der brit. Zone. GRIMME, Gertrud 716f., 729ff., 735, 739, 767 geb. 1909, Pfarrerin der BK, Tätigkeit in Großhagen, u. a. im Jugendpfarramt u. in der Inneren Mission, 1946 Einrichtung von Lehrgängen für die Aus-, Fort- u. Weiterbildung von Katecheten u. Religionslehrern im Regierungsbezirk Arnsberg, seit 1949 Ausbildung von Volksschullehrern in Ev. Unterweisung, bis 1965 Vikarin Villigst, danach Pastorin ebd., 1966–74 OKRin in der Kirchenkanzlei der EKD Hannover. GROHS, Gerhard 757 geb. 1929, 1965/66 Gastdozent Leicester/England, 1966/67 Priv. Doz. Berlin, 1967–69 Seniorlecturer Dar-es-Salaam/Tanzania, 1969–75 Prof. für Soziologie FU Berlin.

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GROSSER, Alfred 547 geb. 1925, 1948–67 Generalsekretär des Französischen Komitees für Austausch mit dem neuen Deutschland, 1955–92 Prof. für Politische Wissenschaften Paris. GROTEWOHL, Otto 114, 118–122, 130f., 133ff., 137, 151f., 154f., 161ff., 176, 179, 214, 226, 240, 248, 253, 261f., 287f., 323, 373, 929 geb. 1894, gest. 1964, 1949–64 Ministerpräs. bzw. Vors. des Ministerrates der DDR, 1960–64 stellv. Vors. des Staatsrates der DDR. GROTH, Karl 551 Amtsrat im niedersächsischen Sozialministerium. GRÜBER, Hartmut 744f., 907 geb. 1924, gest. 1997, 1951 Kreisjugendpfr. Oranienburg, 1952–89 Pfr. Hohenbruch, 1968–70 Vors. der Jugendkammer Ost, seit 1969 Synodaler des BEK, 1969/73 Mitglied der KKL. GRÜBER, Heinrich 62, 74f., 98, 101f., 105, 120ff., 133, 142, 147, 152ff., 160, 167f., 176, 188ff., 190, 221f., 225, 231, 236, 240, 245, 248, 261, 295, 328, 456, 458, 629 geb. 1891, gest. 1975, 1915–18 Soldat, 1920–25 Pfr. Dortmund, 1925 2. Anstaltsgeistlicher der Düsseltaler Anstalten u. Leiter der Teilanstalten Alt-Düsseltal u. Zoppenbrück, 1926–33 Direktor des kirchl. Erziehungsheims Waldhof bei Templin, 1927–33 Aufbau von 28 Lagern des Freiwilligen Arbeitsdienstes, 1934–45 Pfr. Berlin, Mitglied der BK, seit 1935 na. Pfr. für die Niederländische Gemeinde Berlin, 1936 Beginn von Hilfsaktionen für jüdische Mitbürger, 1937 erste Inhaftierung, 1938–40 Gründer u. Leiter der Hilfsstelle für nichtarische Christen, 1940–43 Haft im KZ Sachsenhausen u. Dachau, April/Mai 1945 Bürgermeister Berlin-Kaulsdorf, anschließend stellv. Leiter des Beirates für kirchl. Angelegenheiten beim Magistrat von Groß-Berlin, Propst zu Ost-Berlin u. Pfr. von St. Marien u. St. Nicolai, Mitglied der Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg, Bevollmächtigter des Ev. Hilfswerks für die SBZ, Präs. der Bahnhofsmission, stellv. Vors. der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, 1949–58 Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Regierung der DDR, 1952–57 Mitglied des Diakonischen Beirats der EKD. GRÜNBAUM, Kurt 232, 247 geb. 1892, gest. 1982, 1945–47 Regierungsdirektor im brandenburgischen Finanzministerium u. Volksbildungsministerium, Mitglied der Ost-CDU, 1947 Dienstentlassung u. Verhaftung, 1948–50 Domkurator Brandenburg, 1950–52 Leiter der Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen bei der Regierung der DDR, 1953/54 OKonsR Berlin-Brandenburg, zugleich Mitarbeiter der Kirchenkanzlei der EKD, 1953 Verhaftung, 1954–58 KonsPräs. Magdeburg, 1957 Gefängnis, 1961–71 Mitglied der Kirchenkanzlei der EKU Ost-Berlin. GÜNTHER, Rolf-Dieter 417f., 675, 744 geb. 1933, 1963–75 LJP Mark Brandenburg, Mitglied des GKA der AGEJD, 1968/69 Mitglied der KföV der EKD, seit 1969 Synodaler des BEK. GUNDERT, Wilhelm 403, 672 geb. 1915, 1956–80 KR bzw. OKR in der Kirchenkanzlei der EKD. GUTSCH, Wolf-Dietrich 418, 487, 652ff., 675f., 744ff., 763 geb. 1931, gest. 1981, 1953–55 Katechet beim Erziehungsausschuss Berlin-Lichtenberg, seit 1955 Mitarbeiter der Gossner Mission in der DDR für ökumenische Aufbaulager, 1964–67 beratendes Mitglied des GKA der AGEJD, seit 1967 Ökumenereferent der Jugendkammer Ost, 1968 Mitbegründer des Ökumenischen Jugendrates in Europa, 1969–75 Vors. der Internationalen Jugendkommission der CFK, ab 1971 Leiter des Ökumenischen Jugenddienstes der Kommission Kirchl. Jugendarbeit des BEK.

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GUTTENBERG, Karl Theodor Freiherr von u. zu 620f. geb. 1921, gest. 1972, 1957–72 MdB, seit 1963 im CSU-Parteivorstand, 1967–69 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeskanzleramt. GYSI, Klaus 932 geb. 1912, gest. 1999, 1979–88 Staatssekretär für Kirchenfragen. HAASE, Christoph 395 1962 Mitarbeiter der Geschäftsstelle der ESGiD in Ost-Berlin. HABERMAS, Jürgen 778, 935 geb. 1929, 1964–71 Prof. für Philosophie u. Soziologie Frankfurt/M. HAFA, Herwig 863 geb. 1910, Dr. theol., OKR in der Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR. HAGEMEYER, Werner 397, 429f., 601 geb. 1902, gest. 1969, 1961–67 Amtierender KonsPräs. Berlin-Brandenburg (Ostregion). HAHN, Hugo 38, 75, 78, 88, 117, 119, 136, 139 geb. 1886, gest. 1957, 1910 Pfr. Nissi/Estland, 1919 Worbis, 1927 Leipzig, 1930–38 Dresden, zugleich Sup. Dresden-Land, 1933 Leiter des Pfarrernotbundes Sachsen u. seines Bruderrates, 1934 Vors. des sächsischen Bruderrates, Mitglied des Reichsbruderrates, 1934/35 Verhaftung, vorübergehende Absetzung, seit 1936 Vertreter der sächsischen BK im Lutherrat, 1938 Ausweisung aus Sachsen, 1938–47 Vikar Stuttgart, 1947–53 sächsischer Landesbischof, 1945–54 Mitglied des Rates der EKD. HALFMANN, Wilhelm 221 geb. 1896, gest. 1964, 1947–64 Vors. der Kirchenleitung der Ev.-Luth. Landeskirche SchleswigHolstein, Mitglied der KföV der EKD. HALLSTEIN, Walter 221, 423 geb. 1901, gest. 1982, 1951–58 Staatssekretär im Auswärtigen Amt. HAMEL, Johannes 188, 225, 243, 251, 255, 257f., 264f., 287, 314, 354, 415, 501f., 520f., 530f., 596f., 601, 603ff., 609–612, 614–617, 619f., 622f., 635, 646, 877, 882, 894, 914 geb. 1911, gest. 2002, 1930–35 Theologiestudium Tübingen, Königsberg, Halle, 1935–38 Reisesekretär der DCSV, 1936 Adjunkt am Auslandsseminar der BK Ilsenburg Harz, 1938 Studentenamtsleiter der BK Halle, seit 1939 Hilfsprediger Beckwitz, Kayna u. Heuckewalde, 1941/42 Arbeitsdienst, 1942–46 Soldat, amerik. Gefangenschaft, Lagerpfr. Florenz u. Pisa, 1946–55 Studentenpfr. Halle, 1953 Verhaftung, 1951–73 Synodaler der Ev. Kirche der KPS u. der Synode der EKU, zugleich ständiges beratendes Mitglied der Kirchenleitung der KPS Magdeburg, 1955–76 Dozent für Praktische Theologie am Katechetischen Oberseminar Naumburg/S. HAMMER, Walter 190, 624, 628f., 635f., 689f., 707f., 713, 720, 727, 735, 737ff., 741, 798–802, 805, 808, 812, 818, 820f., 823f., 846, 864f., 877f. geb. 1924, gest. 2000, 1954–58 Kirchenbeamter der Bremischen Ev. Kirche, seit 1958 Finanzreferent der EKU Berlin, gleichzeitig na. Finanzreferent der Berliner Stelle der Kirchenkanzlei der EKD, seit 1964 zugleich na. Leiter ders., 1966–89 Leiter der Kirchenkanzlei/des Kirchenamtes der EKD. HAMMERSTEIN, Franz von 454 geb. 1921, 1957–65 Leiter der Industriejugend im Ev. Sozialpfarramt Berlin. HAMPEL 347 1958 Regierungsrätin im BMG. HANISCH, Oswald 43f., 46, 202, 339, 341, 492, 495, 499, 743, 745, 747 geb. 1904, gest. 1981, Gauwart der Schüler-Bibelkränzchen Berlin SW, Diplomingenieur, 1943–45 Soldat, sowjet. Kriegsgefangenenschaft, 1945–74 komm. Jugendpfr. Berlin, Referent

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im Landesjugendpfarramt Berlin, Kirchenverwaltungsrat, 1945/46 kirchl. Vertreter im Zentralen Jugendausschuss, 1946–48 im FDJ Zentralrat, seit 1946 Mitglied der Jugendkammer der EKD, 1947–53 Schriftleiter der „Stafette“, 1950–63 Geschäftsführer der Jugendkammer Ost, 1954–67 Mitglied des GKA der AGEJD. HARLING, Otto von 624, 798, 805 geb. 1909, gest. 1993, 1946–74 Referent in der Kirchenkanzlei der EKD, seit 1950 OKR, bis 1964 Geschäftsführer der KföV der EKD. HARM, Wolf 735 geb. 1905, gest. 2000, Vizepräs. des Kirchenrats der Luth. Kirche im Hamburgischen Staate. HARNACK, Adolf von 29 geb. 1851, gest. 1930, liberaler Universitätstheologe. HARTENSTEIN, Karl Wilhelm 118f., 135f., 145 geb. 1894, gest. 1952, 1941–52 Prälat des Sprengels Stuttgart, 1943–52 Stellv. des württ. Landesbischofs, 1949–52 Mitglied des Rates der EKD. HASSEL, Kai-Uwe von 432 geb. 1913, 1954–62 Ministerpräs. Schleswig-Holstein, 1956–69 stellv. Bundesvors. der CDU. HAUG, Martin 112, 403, 410, 426, 457, 672 geb. 1895, gest. 1983, 1926–30 Pfr. Tübingen, 1930–35 Studienrat im Seminar Urach, 1935 Direktor des Ev. Pfarrseminars Stuttgart, Mitglied im EOK Stuttgart, 1943 OKR, 1946 Prälat u. stellv. Landesbischof, 1948–62 württ. Landesbischof, 1952–67 Mitglied des Rates der EKD. HAUSMANN, Paulander 657f. 1963–66 Studienreferent der ESGiD, 1966 Leiter der Geschäftsstelle des Arbeitskreises für Mission u. ökumenische Beziehungen in der ESGiD. HAVEMANN, Robert 507 geb. 1910, gest. 1982, Prof. u. Direktor des Physikalisch-Chemischen Instituts der HumboldtUniversität, seit 1960 zugleich Leiter der Arbeitsstelle für Photochemie an der Deutschen Akademie der Wissenschaften, seit 1961 Korrespondierendes Mitglied ebd., 1964 Ausschluss aus der SED, fristlose Entlassung durch die Humboldt-Universität, 1966 Entlassung durch die DAW. HECK, Bruno 547, 620 geb. 1917, gest. 1989, 1962–68 Bundesminister für Familie und Jugend (CDU). HEERMANN, Johann 551 geb. 1585, gest. 1647, Pfarrer, Liederdichter. HEGERMANN, Harald 900 geb. 1922, gest. 2004, 1959–63 wiss. Assistent Theol. Fakultät Halle, 1963–69 Pfr. Röblingen, Dozent Leipzig, seit 1969 Prof. für Neues Testament München. HEIDE, Astrid 505 1964 studentische Mitarbeiterin in der Berliner Geschäftsstelle der ESGiD. HEIDENFELD, Konrad Hüttel von 184 geb. 1930, 1961–67 Pfr. Leuna, 1967–72 Studentenpfr. Leipzig. HEIDLER, Fritz 268f., 426, 798, 819 geb. 1908, gest. 1988, seit 1952 im Luth. Kirchenamt der VELKD, seit 1956 als OKR, seit 1962 Geschäftsführer des Nationalkomitees des LWB in der DDR, 1968–75 Leiter des Luth. Kirchenamtes der VELK in der DDR. HEIDTMANN, Günter 600, 602 geb. 1912, gest. 1970, 1955–67 Landespressepfr. der EKiR u. Chefredakteur der „Kirche in der Zeit“, 1968–70 Chefredakteur der „Evangelischen Kommentare“.

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HEIGERT, Hans 547f. geb. 1925, 1961–69 Chefredakteur des Fernsehens beim Bayerischen Rundfunk, 1969 leitender Redakteur der „Süddeutsche Zeitung“, 1970–84 Vors. der Chefredaktion. HEIN 418 1963 Mitglied der Jugendkammer Ost. HEINEMANN, Gustav 21, 64, 77, 99f., 103f., 106f., 110–114, 119, 121, 125, 127, 134, 138ff., 143, 146f., 154, 168ff., 174, 189, 212f., 237, 239, 243, 262, 264, 271, 318, 404, 407f., 410, 442, 484, 617, 656, 667, 935 geb. 1899, gest. 1976, 1917/18 Soldat, 1921 Dr. rer. pol., 1926–28 Rechtsanwalt Essen, 1928–36 Justitiar u. Prokurist Rheinische Stahlwerke Essen, 1929 Dr. jur., 1930 Beitritt zum Christl.-Sozialen Volksdienst, 1933–48 Presbyter Essen, 1933–39 Dozent für Berg- u. Wirtschaftsrecht Köln, seit 1934 Mitarbeit in der BK, 1936–49 Vorstandsmitglied Rheinische Stahlwerke Essen, 1936–50 Vors. CVJM Essen, 1945 Bürgermeister von Essen, 1945 Mitbegründer der CDU Essen u. im Rheinland, 1945–62 Mitglied der Leitung der EKiR, 1945–67 Mitglied des Rates der EKD, 1946–49 gewählter Oberbürgermeister Essen, 1947–50 MdL Nordrhein-Westfalen, 1947/48 Justizminister Nordrhein-Westfalen, 1948 Präs. der Kirchenversammlung Eisenach, 1948–61 Mitglied der CCIA, 1949–67 Synodaler der EKD, 1949/50 Bundesinnenminister, danach Rechtsanwalt u. Notar, 1949–55 Präses der Synode der EKD, 1951 Mitbegründer der Notgemeinschaft für den Frieden Europas, 1952 Austritt aus der CDU, Mitbegründer der GVP, 1957–69 MdB (SPD), 1958–69 Mitglied des SPD-Parteivorstandes, 1966–69 Bundesjustizminister, 1969–74 Bundespräs. HEINTZE, Gerhard 822ff., 833, 863 geb. 1912, 1946–50 Missionsinspektor Hermannsburg, 1950–57 Studiendirektor des Predigerseminars Erichsburg bzw. Hildesheim, 1957–61 Sup. Hildesheim, 1961–65 Landessup., 1965–82 braunschweigischer Landesbischof. HEISELER, Bernt von 554, 556, 562, 564 geb. 1907, gest. 1969, Schriftsteller, 1966 Mitbegründer der „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“. HEISENBERG, Werner 434 geb. 1901, gest. 1976, Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik und Astrophysik München. HELBICH, Hans-Martin 200ff., 449f., 452, 454f. geb. 1906, gest. 1975, 1943–56 LJP Bayern, 1947–56 Mitglied der Jugendkammer der EKD, 1953–56 Vors. der Landesjugendpfarrerkonferenz, 1954–56 Vors. des GKA der AGEJD, 1956–61 Dekan Coburg, seit 1961 Generalsup. West-Berlin, 1966 Domprediger u. Vors. des Domkirchenkollegiums (West), seit 1966 Mitglied der Kirchenleitung Berlin Brandenburg. HELD, Heinrich 53, 64f., 79, 134, 138, 140 geb. 1897, gest. 1957, 1930–49 Pfr. Essen-Rüttenscheid, 1933 Mitbegründer der rheinischen BK, 1933/34 Gründung der Freien Ev. Synode, 1934 führendes Mitglied der BK, 1934 vorübergehende Amtsenthebung, Verhaftungen, Reichsredeverbot, Mitglied im rheinischen Bruderrat, Bruderrat u. Rat der Ev. Kirche der APU u. zeitweise Vors. im Bruderrat der APU, 1945–49 Mitglied des Rates der EKD, 1946 Sup. u. OKR Essen, 1948–57 Präses der EKiR. HEMPEL, Johannes 706 geb. 1929, 1963–67 Studentenpfr. Leipzig. HEMPRICH, Herbert 225, 237 geb. 1913, gest. 1985, 1947–58 jur. Dezernent im Ev. Konsistorium Magdeburg, zuletzt OKonsR.

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HENKYS, Reinhard 24, 383, 452, 455f., 522ff., 557f., 573, 638f., 665–668, 672, 674, 678f., 682, 693, 698, 704f., 795, 894 geb. 1928, 1953–55 Redakteur bei „Der Kurier“, 1955–60 beim epd-Rheinland, 1960–63 in der epd-Zentralredaktion, Bethel, seit 1961 Reisekorrespondent, 1964–71 in der epd-Zentralredaktion, Berlin. HERDER, Johann Gottfried 25 geb. 1744, gest. 1803, Theologe u. Philosoph. HERMES 418 1963 Mitglied der Jugendkammer der EKD. HERNTEICH, Elisabeth 506f. 1964 in der Hamburger ESG. HERNTRICH, Volkmar 94, 112, 139 geb. 1908, gest. 1958, 1932 Pfr. u. Universitätsdozent Kiel, 1934 Entzug der Lehrbefugnis, dann Dozent Theol. Schule Bethel, 1940 Leiter des Burckhardt-Hauses Berlin-Dahlem, 1946 Mitglied der Jugendkammer der EKD, 1946 Hauptpfr. Hamburg, Leiter der Alsterdorfer Anstalten, 1948 OKR, 1949–58 Mitglied des Rates der EKD, 1956–58 Hamburger Landesbischof. HERRMANN, Hans 383, 390, 488 geb. 1907, 1934 Pfr. Sulzfeld, 1946–55 LJP Baden, seit 1955 Direktor des Ev. Seminars für Wohlfahrtspflege u. Gemeindedienst Freiburg/Br., 1961–67 Vors. der AGEJD, 1968–76 Hauptgeschäftsführer des Diakonischen Werks Baden. HERRSCHAFT, Horst 350 HERTENSTEIN, Wilhelm 339f., 383, 389f., 495, 675 geb. 1912, 1956–63 LJP Baden, 1957 Mitglied, 1959–62 Vors., bis 1967 wieder Mitglied des GKA der AGEJD, seit 1961 Vors. der Landesjugendpfarrerkonferenz, Mitglied im Vorstand der AGEJD, seit 1966 Dekan Pforzheim. HERTZSCH, Klaus-Peter 706f., 709, 711, 720, 723, 728f., 731, 736f., 740, 763, 779 geb. 1930, 1957–59 Studieninspektor Theologenkonvikt Jena, 1959–66 Studentenpfr. Jena, 1966–68 Leiter der Geschäftsstelle der ESG in Ost-Berlin, ab 1969 Prof. für Praktische Theologie Jena. HEUNER, Fritz 193 geb. 1891, gest. 1962, Sup. Dortmund, 1945–61 na. Mitglied der Kirchenleitung der EKvW, seit 1950 Vors. des Sonderausschusses der EKD. HEUSS, Theodor 125, 131, 160, 195, 239 geb. 1884, gest. 1963, 1949–59 Bundespräs. HEYL, Cornelius Adalbert Freiherr von 631, 798 geb. 1933, 1961–70 Referent für Sozialethik u. Gesellschaftspolitik in der Kirchenkanzlei der EKD, Außenstelle Bonn. HEYL, Wolfgang 691 geb. 1921, 1966 Sekretär des Hauptvorstandes der Ost-CDU. HIGGINS, Marguerite 102f. geb. 1920, gest. 1966, seit 1947 Leiterin des Berliner Büros der „New York Herald Tribune“. HILDEBRAND, Walter 44ff. geb. 1892, gest. 1975, seit 1946 Referent für Jugendarbeit beim Ev. Bischof von Berlin, 1946–50 Vors. der Jugendkammer Ost, seit 1946 Mitglied der Jugendkammer der EKD, 1947 OKR, 1948–60 Sup. des Kirchenkreises Zehlendorf.

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HILDEBRANDT, Franz Reinhold 23, 166f., 175, 198, 223, 227f., 230f., 236, 265, 268, 279–284, 297, 321ff., 325, 327ff., 404, 429f., 454, 468, 479f., 521, 530, 596, 601, 604f., 609ff., 619, 622f., 625, 631, 646, 660, 689, 798, 802, 808, 813, 819, 822, 826, 828ff., 854f., 857, 860f., 913, 922 geb. 1906, gest. 1991, Theologiestudium Königsberg, Tübingen, Berlin, 1932 Hilfspfr. Saberau, seit 1933 Pfr. Goldap, Mitglied des Rates der ostpreuß. Bekenntnissynode u. des Bruderrates der APU, 1946–52 Pfr. u. Propst Halberstadt u. Quedlinburg, 1952–73 Präs. der Kirchenkanzlei der EKU. HILKE, Jürgen 505ff., 657, 659, 741, 896 geb. 1936, 1959/60 Hochschulreferent der ESGiD Bonn, 1963–66 Fachschulreferent u. Referent für hochschulpolitische Fragen der ESGiD, 1968–73 Generalsekretär der ESG. HINTZENSTERN, Herbert von 689 HINZ, Christoph 309, 360, 744 geb. 1928, gest. 1991, 1958 Studentenpfr. Halle, 1963 Pfr. Merseburg, 1967 Rektor Pastoralkolleg Gnadau. HINZ, Erwin 797, 860 Soziologe, 1953–61 Studienleiter an der Ev. Akademie der KPS, 1966 Mitglied der Kirchenleitung der Ev. Kirche der KPS. HIRSCH, Emanuel 30 geb. 1888, gest. 1972, 1936–45 Prof. für Systematische Theologie Göttingen. HIRTE 657 1964/65 Mitglied des VR der ESGiD. HITLER, Adolf 308 geb. 1889, gest. 1945, Führer der NSDAP, 1933–45 Reichskanzler. HÖPNER, Thomas 362f. 1961 Mitglied des VR der ESGiD. HÖSCH, Lienhard 395f. HOFFMANN, Erich 309–314, 396, 601, 657f., 736f. geb. 1904, gest. 1989, 1948–58 a. o. Prof. für Landwirtschaftliche Betriebslehre, Agrarwesen u. Ernährungswirtschaft Halle, 1958 Abberufung aus seinen Universitätsfunktionen, danach Anstellung ohne Lehrauftrag an der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR, 1960–72 Mitglied der Kirchenleitung der Ev. Kirche der KPS, 1961–67 Synodaler der EKD, 1964–68 Vors. des VR der ESGiD. HOFFMANN, Georg 281 1958 Professor in Halle. HOFMANN, Bernhard 166 geb. 1889, gest. 1954, 1947–54 KonsPräs. Magdeburg, Mitglied der KföV der EKD. HOFMANN, Volker 395 1962 studentisches Mitglied des VR der ESGiD. HOFMANN, Werner 778 geb. 1922, gest. 1969, 1966–69 Prof. für Soziologie Marburg. HOLBORN, Hajo 68 gest. 1969, 1934–69 Professor für Geschichte Yale University. HONECKER, Erich 158 geb. 1912, gest. 1994, 1946–55 Vors. der FDJ. HORNIG, Ernst 328 geb. 1894, gest. 1976, 1951–64 Bischof der Ev. Kirche von Schlesien u. Vors. der Kirchenleitung.

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HOWE, Günter 334 geb. 1908, gest. 1968, seit 1954 Lehrauftrag für Grenzfragen von Theologie u. Naturwissenschaft an der Theol. Fakultät Heidelberg, seit 1958 Mitarbeiter der FEST. HROMADKA, Josef 432, 469, 473–483, 485, 754 geb. 1889, gest. 1969, 1920–28 a. o. Prof., seit 1928 Prof. für Systematische Theologie an der Prager Ev.-Theol. Hus-Fakultät, 1939 Flucht vor der Gestapo nach Genf, Gastprofessur Princeton/New Jersey, seit 1947 Lehrtätigkeit an der Hus- bzw. Comenius-Fakultät Prag, 1948–68 Mitglied des ZA des ÖRK, seit 1951 Mitglied des Weltfriedensrates, 1957 Gründer der CFK, 1958–69 ihr Präs. HRUSA 472 Mitarbeiter im Ministerium für Kultur u. Schulwesen der DSSR, Hauptabteilung Kirchenfragen. HÜHNE, Werner 383, 522ff., 573, 665ff., 672 Redakteur beim WDR, Vors. des Publizistischen Ausschusses u. Publizistischen Arbeitskreises beim DEKT. HÜTTNER, Eberhard 867 geb. 1924, gest. 1981, Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED. IBER, Gerhard 492 Dr. theol., Studentenpfr. Mannheim. IMMER, Karl 581, 913 geb. 1916, gest. 1984, 1945 Pfr. Duisburg-Neudorf, seit 1958 na. Mitglied der Kirchenleitung der EKiR, 1966 stellv. Vors. der Regionalkonferenz der CFK in der Bundesrepublik Deutschland, seit 1968 OKR im LKA der EKiR, Mitglied des Rates der EKU. IWAND, Hans Joachim 63, 67–70, 72, 107f., 110, 129, 138, 176, 208, 212, 221, 242, 469 geb. 1899, gest. 1960, 1924 Lic. theol., 1926–33 Leiter des Lutherheims Königsberg, 1934 Prof. am Herder-Institut Riga, 1935 Entzug der Lehrbefugnis, 1935–37 Direktor des Predigerseminars der ostpreuß. Bekenntnissynode Blöstau, 1936 im Reichsbruderrat der BK, 1937 Dozent Sammelvikariat Dortmund, Reichsredeverbot, 1937 Schutzhaft, Pfarrverweser u. Pfr. Dortmund, 1938/39 Gestapohaft, Schreib- u. Publikationsverbot, 1945 Prof. für Systematische Theologie Göttingen, seit 1952 Prof. Bonn, 1958 Mitbegründer der CFK. JACOB, Günter 129, 166, 222ff., 227, 231f., 236, 239f., 257, 265, 281, 284, 286, 291, 302, 369, 397, 400, 415, 418, 440, 457f., 473, 483, 520, 523, 575, 592f., 608, 647, 667f., 678, 754, 812f., 815 geb. 1906, gest. 1993, 1924–29 Theologiestudium Tübingen, Berlin, Marburg, 1929 Lic. theol., 1931 Hilfspfr. Körlin, 1932 Pfr. Noßdorf bei Forst, 1933 Mitbegründer des Pfarrernotbundes, Mitglied des Provinzialbruderrates der BK Berlin-Brandenburg, 1937 U- u. Gestapo-Haft, Redeverbot, unter Polizeiaufsicht, 1939–45 Soldat, Kriegsgefangenschaft, 1945 Pfr. der Kirchl. Nothilfe Marburg, Generalsup. 1946–49 der Neumark u. der Niederlausitz Lübben, 1949–72 Cottbus, 1963–67 Verwalter des Bischofsamts der Ostregion der EKiBB. JACOBI, Gerhard 72, 148, 280 geb. 1891, gest. 1971, 1933–39 Präses der BK Berlin, 1934 Mitglied des Reichsbruderrates, 1939–40 Soldat, 1945 Sup. des Kreises Charlottenburg, 1946 Generalsup. Berlin, 1954–67 Bischof von Oldenburg. JACOBS, Manfred 571 geb. 1928, gest. 1994, 1969–71 Dozent für Kirchen- und Dogmengeschichte Hamburg. JÄGER, Gustav 910 Oberstudiendirektor Stuttgart, Synodaler der EKD.

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JÄNICKE, Johannes 404, 444–447, 518, 530, 533, 583f., 586, 592, 596, 601f., 688, 702–705, 784, 808ff., 843 geb. 1900, gest. 1979, Soldat, 1918–23 Theologiestudium Berlin, Basel, 1923 Vikar Berlin, 1926–29 Pfr. Luckenwalde, 1929–35 Halle, seit 1934 Mitglied des Pfarrernotbundes u. der BK, 1935–47 Pfr. Palmnicken, 1940–43 Leiter des ostpreuß. Bruderrates der BK, 1939–45 Soldat, 1947 Pfr. Berlin-Schlachtensee, 1947–49 komm. Leiter des Burckhardthauses Berlin-Dahlem, 1949–55 Ev. Propst Halle/Merseburg, 1955–68 Bischof der Ev. Kirche der KPS, 1962–66 stellv. Vors. des Rates der EKU. JAHN, Friedrich Ludwig 26 geb. 1778, gest. 1852, Begründer der deutschen Turnbewegung. JAHN, Rudi (Rudolf) 123 geb. 1906, gest. 1990, 1949–52 Ministerpräs. Brandenburg. JAHNKE, Siegrid 395 JASPERS, Karl 307f. geb. 1883, gest. 1969, 1922–37, 1945–61 Professor für Philosophie Heidelberg. JERMOLAJEW, W. A. 89 geb. 1910, für kirchl. Angelegenheiten zuständiger Offizier der SMAD. JEZIOROWSKI, Jürgen 723, 746f. geb. 1936, gest. 2004, 1962–67 Pfr. Weilheim/Obb., 1967–69 Pressereferent der ESGiD, 1969–98 OKR im Lutherischen Kirchenamt. JOHANNES, Kurt 429f., 790, 798, 805, 808ff., 826, 828, 853, 860f., 863f., 878f., 883 geb. 1905, gest. 1981, 1949 jur. Referent Kirchenamtsstelle Dresden, seit 1950 KR, 1955–67 Synodaler der EKD, 1959 OLKR im LKA Dresden, 1960–75 Präs. des LKA, stellv. Vors. der Kirchenleitung, seit 1969 Synodaler des BEK u. Mitglied im Vorstand der KKL. JOHNSEN, Hartmut 603f. 1966 KonsR, Mitglied der Kirchenkanzlei der EKU. JUERGENSOHN, Gerhard 808 geb. 1911, gest. 1996, ab 1964 OKonsR Görlitz, ab 1969 Mitglied des Vorstandes der KKL. JUNG, Georg 442 Weingutsbesitzer Ebernburg/Pfalz, seit 1955 Vizepräs. der Landessynode der Pfalz, 1961–67 Synodaler der EKD. JUNGK, Robert 602 geb. 1913, gest. 1994, Zukunftsforscher, Publizist. KÄHLER, Ernst 395f., 419 geb. 1914, gest. 1991, 1950–54 Lehrauftrag Halle,1952 Dozent am Katechetischen Oberseminar Naumburg/S., seit 1954 Prof. für Kirchengeschichte Greifswald, 1963/64 Vors. des VR der ESGiD. KAHUDA, Frantisek 471 geb. 1911, gest. 1987, 1956–63 Minister für Unterricht u. Kultur der Tschechoslowakei. KAISER, Jakob 98f., 125, 194, 229f. geb. 1888, gest. 1961, 1932/33 Reichstagsabg. (Zentrum), 1936/38 Haft, Mitglied der Widerstandsbewegung um Beck u. Goerdeler, 1945 Mitbegründer der CDU Berlin u. der SBZ, 1945–47 1. Vors., 1946–49 Stadtverordneter von Groß-Berlin, 1947 Absetzung als Parteivors., 1948/49 West-Berliner Vertreter im Parlamentarischen Rat Bonn, 1949–57 MdB u. Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, 1950–61 Vors. der Exil-CDU, 1950–58 stellv. Vors. der CDU.

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Personenregister

KALB, Hermann 237, 690, 848, 874 geb. 1924, 1950–90 Abg. der Volkskammer (CDU), 1961–71 Chefredakteur der „Neuen Zeit“, 1960–89 Mitglied des Präsidiums des Hauptvorstandes der CDU, 1966–69 Mitglied des Präsidiums der Volkskammer. KALLENBACH, Hans 229 geb. 1907, gest. 1981, 1945–72 Direktor der Ev. Akademie in Hessen u. Nassau. KATLOVSKI 465 Bischof der slowakisch-lutherischen Kirche. KELLER 657 1965 Mitglied des VR der ESGiD. KENNEDY, John F. 546 geb. 1917, gest. 1963, 1961–63 Präsident der USA. KERTZSCHER, Günter 578, 671, 698f. geb. 1913, 1955–83 Redakteur bzw. stellv. Chefredakteur des „Neuen Deutschlands“, 1954–58 Abg. der Volkskammer, seit 1957 Mitglied des Präsidiums. KIEP, Walther Leisler 610, 630 geb. 1926, 1965–76 MdB (CDU), 1965–69 Vors. des Entwicklungshilfe-Ausschusses im Bundestag, Mitglied der KföV der EKD. KIESINGER, Kurt Georg 583, 588, 620f., 631, 636, 638, 645, 654, 684, 698, 900 geb. 1904, gest. 1988, 1958–66 Ministerpräs. von Baden-Württemberg, 1966–69 Bundeskanzler, 1967–71 CDU-Vors. KIMME, August 828 geb. 1912, 1960–81 Leiter der Evangelisch-Lutherischen Mission zu Leipzig. KIND, Friedrich 917f. geb. 1928, 1952–90 Vors. des Bezirksverbandes Potsdam der CDU, 1952–89 Mitglied des CDUHauptvorstandes, 1960–77 auch des Präsidiums des Hauptvorstandes, 1952–54, 1958–90 Abg. der Volkskammer. KLAGES, Eberhard 409, 583, 646, 690, 699, 730, 812 geb. 1930, Redakteur der „Neuen Zeit“, Mitglied der Ost-CDU. KLAIBER, Manfred 195 geb. 1903, gest. 1981, 1949–57 Chef des Bundespräsidialamtes. KLEIN 657 1965 Mitglied des VR der ESGiD. KLEINER, Karl-Ernst 675, 748, 752 Jugendwart, seit 1959 Leiter der Berliner Betreuungsstelle im Landesjugendpfarramt Berlin, 1966–68 Mitglied des GKA der AGEJD. KLEINSCHMIDT, Karl 220, 285, 382, 684, 691, 868 geb. 1902, gest. 1978, 1945–68 Domprediger Schwerin, 1946 Eintritt in die SED, 1946–52 Mitglied der mecklenburgischen Landessynode, 1950–54 Abg. der Volkskammer, seit 1958 Vorstandsmitglied des Bundes Ev. Pfr. in der DDR, 1961–73 Mitglied des DDR-Regionalausschusses der CFK. KLEMM, Hermann 166, 221, 225, 265, 520f., 604, 723, 879 geb. 1904, gest. 1983, 1949–61 Synodaler der EKD, 1951–73 Sup. u. Dompfr. Meissen. KLEPIKOW 165 Gardeoberst, 1953 Sowjet. Stadtkommandant in Görlitz. KLEWITZ, Siegfried 247 geb. 1888, gest. 1970, 1946–58 OKonsR Magdeburg.

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KLOPPENBURG, Heinz 468, 471, 477, 483, 581, 600, 652 geb. 1903, gest. 1986, 1945–53 OKR u. ständiger Vertreter des Bischofs Oldenburg, 1947–50 Sekretär beim ÖRK (Flüchtlingsabteilung), einstweiliger Ruhestand, 1953–61 Synodalbeauftragter der Kreissynode Dortmund für katechetische u. soziologische Fragen, 1961–70 Beauftragter der Vereinigten Kirchenkreise Dortmund für soziologische Fragen, 1953–78 Hg. der „Jungen Kirche“. KNAUT, Walther 225, 227–230, 798 geb. 1914, gest. 1999, Dr. jur. Göttingen, Rechtsanwalt Calbe/Saale, Mitglied der Synode und der Kirchenleitung der KPS, Rechtsanwalt u. Notar Dortmund, Synodaler der EKD, 1968–79 leitender Jurist u. stellv. Leiter der Kirchenkanzlei der EKU (West). KNOBLOCH, Eva 625 1967 wiss. Mitarbeiterin im Religionssoziologischen Institut der Kirchl. Hochschule Berlin. KNOSPE, Gottfried 268, 281, 431, 438, 468 geb. 1901, gest. 1965, 1945 OLKR, Mitglied der VKL Sachsens, 1950–65 OLKR im Ev.-Luth. LKA Sachsen, seit 1960 Mitglied des Theologischen Sonderausschusses der EKD, 1961–69 Synodaler der EKD. KNOTHE, Klaus 364 KOCH, Hilmar 403, 406, 440, 631 geb. 1926, 1957 KR, dann OKR, seit 1972 stellv. Leiter des Kirchl. Außenamt bzw. der Hauptabteilung Ökumene u. Ausländerarbeit der EKD. KOCH, Wilhelm 797, 913 geb. 1903, gest. 1989, 1959 KonsR, 1965 OKonsR im Konsistorium Magdeburg, 1966–71 KonsPräs., Mitglied der Kirchenleitung, Synodaler der EKD, Mitglied im Rat der EKU, seit 1969 Mitglied der KKL. KOHLHAAS, Fritz 492 geb. 1904, Studentenpfr. Esslingen, 1959–62 Oberstudienrat, 1962–72 Prof. für Praktische Theologie Esslingen. KOHNSTAMM, Max 590 geb. 1914, Vizepräs. des Action Committee for the United States of Europe, Präsent der European Community Institute for University Studies, Brüssel. KOLESNITSCHENKO, Iwan Sosonowitsch 84 geb. 1907, gest. 1984, sowjet. Generalmajor, 1945–49 Chef der sowjet. Militäradministration in Thüringen für die Zivilverwaltung, 1949–50 Vertreter der Sowjet. Kontrollkommission in Deutschland. KOOTZ, Gerhard 843 geb. 1914, gest. 2000, Bücherrevisor, Steuerberater, 1963–70 Präses der anhaltischen Synode, seit 1969 Synodaler des BEK. KORBER, Horst 452, 457ff. geb. 1927, gest. 1981, 1963–67 Senatsrat in der Berliner Senatskanzlei. KOTTE, Erich 42 geb. 1886, gest. 1961, 1945 Leiter des LKA Dresden, 1946–57 Präs. ebd. KRÄMER, Erwin 181f. 1946–49 Studentenpfr. Bonn, 1949 Dozent, seit 1954 Leiter des Sozialpädagogischen Seminars Dortmund. KRAMER, Martin 477 geb. 1933, 1962/63 persönlicher Referent von Bischof Jänicke, 1962–70 na. Studentenpfr. Mag-

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deburg, 1963–74 Pfr. Magdeburg-Salbke, 1966–72 Mitglied, seit 1969 Vors. des Beirates der ESG in der DDR, 1969–80 Synodaler des BEK, 1969–77 Mitglied des Vorstands der KKL. KRAMP, Willy 128 geb. 1909, gest. 1986, Mitbegründer des DEKT, 1950–57 Leiter des Ev. Studienwerks, freier Schriftsteller. KRAUTWIG, Carl 388, 606 geb. 1904, gest. 1981, 1953–63 Ministerialdirektor im Bundesministerium für Wirtschaft, 1964–68 Staatssekretär im BMG, 1965–69 Bevollmächtigter der Bundesrepublik Deutschland im Bundeshaus Berlin. KRECK, Walter 909 geb. 1908, gest. 2002, 1946 Prof. theol. Seminar Herborn, 1952–73 Prof. für Systematische Theologie Bonn. KREITER, Joachim 495 Mitglied der Konferenz der LJP, 1962 Mitglied der GKA der AGEJD. KREYSSIG, Lothar 23, 88, 98, 103, 105, 112, 119f., 135, 139, 166, 214, 221, 223, 225, 227–231, 233–236, 238, 241, 263, 281, 287, 294, 304f., 318f., 369, 412, 454, 596, 601, 854, 928–931 geb. 1898, gest. 1986, 1916 Soldat, 1923 Dr. jur., seit 1926 Landgericht Chemnitz, seit 1928 Landgerichtsrat, 1934–36 Mitglied des Landesbruderrat der BK Sachsen, 1935 Präses der sächsischen Bekenntnissynode der APU, 1937 Versetzung an das Vormundschaftsgericht Brandenburg, 1940 Anzeige gegen Reichsleiter Bouhler wegen Tötung Geisteskranker, Beurlaubung vom Dienst, 1942 Versetzung in den Ruhestand, Landwirt Hohenferchesar, 1946 KonsPräs. Magdeburg, 1947–64 Präses der Provinzialsynode, 1949–61 Mitglied des Rates der EKD, 1949–58 Vizepräs. (Ost) des DEKT, Gründer der Ev. Akademie der Ev. Kirche der KPS, 1952 Leitung der Kirchenkanzlei der APU, 1952–70 Synodalpräses der EKU, 1957 Gründer der Aktionsgemeinschaft für die Hungernden, 1958 Gründer der Aktion Sühnezeichen. KREYSSIG, Peter 199, 259, 293ff., 306, 309, 312, 314f., 320, 347, 349, 355, 360f., 364, 392f. geb. 1924, 1950–55 Mitarbeiter in der Geschäftsstelle der ESGiD Stuttgart, 1955–62 Generalsekretär der ESGiD, danach Pfr. Stuttgart. KRILLE, Michael 795 Kirchenhistoriker. KRÜGER, Hanfried 465, 744–747 geb. 1914, gest. 1998, 1943–51 Pfr. Lauenstein, 1951–53 KR LKA Hannover, seit 1953 OKR Kirchl. Außenamt der EKD. KRÜGER, Margarete 418 Geschäftsführerin des Ev. Mädchenpfadfinderbundes des Burckhardthauses, 1963 Mitarbeiterin in der Geschäftsstelle der AGEJD Stuttgart. KRUMMACHER, Friedrich-Wilhelm 155, 166, 221, 225, 227, 236, 239f., 245, 251, 263ff., 268, 281, 288, 303f., 318, 320f., 323, 328, 362, 380, 383, 385f., 396, 401, 403, 405, 409f., 416, 419, 421, 430, 438–441, 447, 456, 459, 462, 464, 466ff., 476, 479f., 483, 487, 491, 518, 532, 534, 536, 572f., 583, 596ff., 604, 629, 631, 657–660, 662, 664f., 667, 669f., 678, 687, 690ff., 694, 696, 698ff., 704, 707f., 713, 716, 720, 727–730, 737, 740, 746, 784, 786, 790, 794, 797–800, 802, 804–808, 811, 813f., 819f., 822, 824, 828f., 837ff., 843, 857, 860f., 863, 866, 879f., 913f., 922 geb. 1901, gest. 1974, 1919–22 Theologiestudium Berlin, Tübingen, Greifswald, 1923–25 Vikar Neuruppin, Hilfsprediger Berlin,1926–28 Provinzvikar Kurmark, 1927 Dr. theol., 1928–33 Pfr. Essen-Werden, seit 1933 Mitarbeiter im Kirchenbundesamt bzw. der Kirchenkanzlei der DEK, 1934–39 KR, dann OKR, später OKonsR Kirchl. Außenamt, seit 1939 Lazarett- bzw. Divisionspfr., 1943–45 sowjet. Kriegsgefangenschaft, ab 1944 Mitarbeit im Nationalkomitee „Freies

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Deutschland“, Mitglied in dessen Arbeitskreis für kirchl. Fragen, 1945–52 in Kontakt mit den Sowjetbehörden, seit 1945 Pfr. Berlin-Weißensee, Sup. Berlin-Land, na. OKonsR in der Kirchenkanzlei der EKD – Berliner Stelle, 1946–55 Generalsup. Berlin (Sprengel II), 1947–49 Präsidialratsmitglied des Kulturbundes, 1955–72 pommerscher Bischof, 1960–68 Vors. der KKL, 1961–69 Mitglied des Rates der EKD, Mitglied der CCIA des ÖRK. KRUSCHE, Peter 417 geb. 1924, gest. 2000, 1956–62 LJP Nürnberg, Mitglied in der Jugendkammer der EKD, 1962– 67 Dekan Coburg, 1967–83 Prof. für Praktische Theologie München. KRUSCHE, Werner 797, 830, 859, 868–871, 882, 890, 893, 895, 913, 922f. geb. 1917, Soldat, seit 1943 Theologiestudium Leipzig, Heidelberg, Göttingen, Basel, Bethel, 1949–54 wiss. Assistent Heidelberg, 1953 Dr. theol., 1954 Pfr. Dresden, 1958–66 Studiendirektor Predigerseminar Lückendorf, 1966–68 Dozent Theol. Seminar Leipzig, 1968–83 Bischof der KPS. KÜLZ, Helmut R. 122 geb. 1903, gest. 1985, 1948–53 Ministerialdirektor Verwaltung für Wirtschaft Frankfurt/M. bzw. Bundeswirtschaftsministerium. KÜNNETH, Walter 71, 95f., 109, 149f., 221, 236 geb. 1901, gest. 1997, 1926 Dozent, seit 1932 Leiter der Apologetischen Centrale im Evangelischen Johannesstift Berlin-Spandau, 1930 Priv. Doz. Berlin, 1937 Entzug der Lehrbefugnis, Rede- u. Schreibverbot, 1938 Pfr. Starnberg, 1944 Dekan Erlangen, 1946–53 Honorarprof., 1953–69 Prof. für Systematische Theologie u. Christl. Sozialethik Erlangen. KÜNTSCHER, Barbara 798 geb. 1933, 1958–98 Juristin in der Kirchenkanzlei der EKU, 1969–90 Juristin im Sekretariat des BEK, KonsRin. KUHN, Bernd 418 1962–65 Geschäftsführer der Mittelstelle für Werk u. Feier der AGEJD, danach Jugendpfr. des Bundes Ev.-Freikirchl. Gemeinden. KUHRAU, Eberhard 395 geb. 1931, 1959–63 Pressereferent der ESGiD, danach Redakteur bei WDR u. ARD. KUNST, Hermann 23, 101, 132, 142, 159, 180, 186, 196, 221, 227, 239, 241, 243, 248f., 266, 276, 282, 296, 326f., 387f., 400, 408, 451f., 454, 457, 459f., 523, 529, 572, 580, 583f., 606, 631, 636, 641, 665, 667, 678, 791, 835f., 875f. geb. 1907, gest. 1999, Banklehre, Theologiestudium Marburg, Berlin, Münster, 1932–39 Pfr. Herford, 1939/40 Divisionspfr. Polen u. Frankreich, 1940 Sup. Herford., 1941 Vertretung von Präses Koch in der Leitung der Kirchenprovinz Westfalen, 1943–45 Wehrmachtspfr. Russland, 1945 OKonsR, Mitglied der westfälischen Kirchenleitung u. bis 1949 Leiter des LKA Bielefeld, 1950–77 Bevollmächtigter des Rates der EKD am Sitz der Bundesrepublik Deutschland, 1956–72 na. Militärbischof. KUPFER, Magdalene 830, 863, 922 geb. 1910, 1946–50 MdL (CDU) Sachsen, 1949/50 Regierungsrätin, Leiterin des Frauenstrafgefängnisses Leipzig-Kleinmeusdorf, 1950 CDU-Austritt, 1951–76 Dozentin am Ev.-luth. Diakonenhaus Moritzburg, 1967–69 Synodale der EKD. KUPISCH, Karl 326f., 571 geb. 1903, gest. 1982, 1934–56 Schuldienst, 1946 Dozent, seit 1954 Prof. Kirchl. Hochschule Berlin, 1959–61 Rektor ebd., Synodaler der EKU.

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KUTZNER 160 1953 Oberregierungsrat im Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge u. Kriegsgeschädigte. LAHR, Horst 596, 913 geb. 1913, Pfr. Brumby, seit 1951 Lehrbeauftragter Kirchl. Oberseminar Naumburg/S., 1963–78 Generalsup. Potsdam, stellv. Mitglied im Rat der EKU. LANGE, Fritz 252 geb. 1898, gest. 1981, 1954–58 Minister für Volksbildung. LANGE, Martin 777–780 1968/69 Berlinreferent der ESGiD. LANGE, Martin 675, 747 geb. 1932, 1962–69 Jugendpastor der Evangelisch-methodistischen Kirche. LANGER, Irmgard 395 LANGNER, Albrecht 571 geb. 1928, 1962–71 wiss. Referent Katholische Sozialwissenschaftliche Zentralstelle Mönchengladbach. LAU, Franz 41f. geb. 1907, gest. 1973, 1932–39 Pfr. der BK Regis-Breitingen, 1936–38 auch Studiendirektor Predigerseminar Lückendorf, 1939 Pfr. Dresden, 1945–47 Landesup., 1947–72 Prof. für Kirchengeschichte Leipzig. LAUK, Helmut 253ff., 258, 291f., 300f., 315f., 333f., 338ff., 342, 344ff., 348f., 353f., 364f., 367, 383, 390, 489f. geb. 1920, gest. 1962, Jurist, 1956–62 Geschäftsführer des GKA der AGEJD. LEBERECHT, Klaus-Peter 357 LEHR, Robert 160 geb. 1883, gest. 1956, 1950–53 Bundesinnenminister. LEMMER, Ernst 227, 229, 384 geb. 1898, gest. 1970, 1946/47 2. Vors. der CDU, 1947 von der SMAD abgesetzt, 1949–56 Chefredakteur von „Der Kurier“ West-Berlin, 1950–61 stellv. Vors., danach Vors. der Exil-CDU, 1956/57 Bundesminister für Post- u. Fernmeldewesen, 1957–62 für gesamtdeutsche Fragen. LENZ, Otto 134, 137 geb. 1903, gest. 1957, 1951–53 Staatssekretär im Bundeskanzleramt. LEOPOLD, Gerd 495 1962 Mitglied des Landesjugendkonvents u. des GKA der AGEJD. LEWEK, Christa 405, 609, 611, 619, 622f., 629, 631, 728, 798, 826, 860, 869 geb. 1927, 1951/52 wiss. Assistentin Leipzig, 1952–57 Hauptreferentin in der Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen, danach persönliche Referentin von Nuschke, 1959 Austritt aus der Ost-CDU, 1958–69 Kirchenrätin bzw. OKRin in der Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR, 1969–88 OKRin u. stellv. Leiterin des Sekretariats des BEK. LEWERENZ, Hildegard 604 Rechtsanwältin, Präs. der mecklenburgischen Landessynode. LILJE, Hanns 33, 75, 85, 88, 90, 92, 94, 105, 110, 112, 119, 130, 139f., 147f., 180, 186, 253, 262, 265, 279, 305, 318, 320f., 326, 379, 383, 410, 424, 464, 466, 479f., 483, 546, 583f., 629, 637, 696, 735 geb. 1899, gest. 1977, 1917/18 Kriegsdienst, 1919–22 Studium der Theologie u. Kunstgeschichte Göttingen, Leipzig, 1922–24 Predigerseminar Loccum, 1925–27 Studentenpfr. Hannover, 1927–35 Generalsekretär der DCSV, 1928 Mitglied des Exekutivkomitees der WSCF, 1932–35

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Vizepräs. ebd., 1932 Dr. theol., 1935–45 Generalsekretär des Luth. Weltkonvents, 1944/45 Gestapohaft, Mitwirkung beim Aufbau des Bayerischen Mütterdienstes Stein, 1945 OLKR Hannover, 1945–57 Präs. des Centralausschusses für Innere Mission, 1945–73 Mitglied des Rates der EKD, 1947–71 hannoverscher Landesbischof, 1949–67 stellv. Vors. des Rates der EKD, 1952–57 Präs. des LWB, 1955–69 Leitender Bischof der VELKD, seit 1968 im Präsidium des ÖRK. LINGNER, Olav 631, 670, 795, 798, 805, 808, 818, 820f., 833, 841f., 860, 864, 871, 873, 878ff., 883f., 897, 899, 902, 907, 913 geb. 1924, gest. 1993, 1961–65 Pfr. Hamburg, seit 1965 KonsR in der Kirchenkanzlei der EKU, seit 1967 Referent der EKU in der Kirchenkanzlei der EKD – Berliner Stelle, 1970–86 OKR, Leiter der Berliner Stelle, 1970–85 Geschäftsführer (West) der „Beratergruppe“. LINKE, Karl 732 geb. 1909, 1962–74 Prof. Predigerseminar Friedberg. LINZ, Manfred 697 geb. 1927, Redakteur beim NDR Hannover. LIST, Wilhelm 60 geb. 1880, gest. 1971, ab 1940 Generalfeldmarschall der Reichswehr, 1948 in den Nürnberger Prozessen zu lebenslanger Haft verurteilt, 1953 Haftentlassung. LITTELL, Franklin H. 182 geb. 1917, seit 1949 Officer for Religious Affairs in Deutschland, 1953–58 Direktor der FranzLieber-Stiftung Bonn-Bad Godesberg. LOCHER, Benjamin 553, 604, 607, 689, 695, 879, 913 geb. 1909, 1946–58 Pfr. Elberfeld, 1958–78 Direktor am Seminar für Kirchendienst Düsseldorf, 1955–78 Synodaler der EKD, Mitglied der KföV der EKD, Mitglied des Rates der EKU. LÖBE, Paul 227 geb. 1875, gest. 1967, 1920–32 Reichstagspräs., 1949–53 Vertreter Berlins im Bundestag, seit 1954 Präs. des Kuratoriums „Unteilbares Deutschland“. LOHMAR, Enno 793 LOHRMANN, Walter 747 1965–70 Bundespfr. des Deutschen Verbands der Jugendbünde für Entschiedenes Christentum. LOHSE, Eduard 932 geb. 1924, 1971–88 hannoverscher Landesbischof, 1979–85 Vors. des Rates der EKD. LORENZ, Friedebert 327 geb. 1910, gest. 1997, 1955–59 Leiter der Geschäftsstelle der Ev. Kirche der KPS des DEKT, 1962–66 Studienleiter des Präsidialbüros des DEKT. LORENZ, Günter 889 geb. 1927, 1958–90 Chefredakteur des ENO/der ENA. LOSCHKE, Siegfried 867 OLKR Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen, Mitglied der Kirchenleitung ebd. LOTZ, Gerhard 246, 386, 401, 447, 577, 800, 812f., 815, 825, 833, 841, 885f., 874f., 890, 895, 922 geb. 1911, gest. 1981, seit 1938 Kirchenjurist in der ELKiTh, 1942–46 Soldat, Kriegsgefangenschaft, 1946–76 OKR, Leiter der Rechtsabteilung des Landeskirchenrats Eisenach, 1948–76 stellv. Vors. des Landeskirchenrats, Synodaler der EKD, 1956–76 Mitglied des CDU-Hauptvorstandes, Mitglied u. seit 1965 Vizepräs. des Friedensrates der DDR, seit 1958 im „Weimarer Arbeitskreis“ u. in der CFK aktiv, 1967–76 Abg. der Volkskammer, 1969–76 Mitglied der KKL.

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LOTZ, Rudolf 810, 874f. geb. 1901, gest. 1973, Rechtsanwalt, Notar u. Stadtrat Eisenach, 1954–72 Präses der Synode der ELKiTh, 1955–67 Mitglied des Präsidiums der Synode der EKD. LUDZ, Peter 606f. geb. 1931, gest. 1979, seit 1963 Wissenschaftlicher, später Akademischer Rat u. Abteilungsleiter am Institut für Politische Wissenschaften, Berlin, 1967–69 Prof. für Politikwissenschaft FU Berlin, 1967/68 Mitglied der Wissenschaftlichen Beratungskommission beim Berliner Senat. LÜBBERT, Konrad 591, 684, 744–747 geb. 1932, gest. 1999, 1965–68 Ökumenereferent der AGEJD, 1968–73 Leiter des Internationalen Freundschaftsheimes Bückeburg. LUNDBECK, Elisabeth 629, 631, 808, 863 geb. 1926, Diakonisse des Eisenacher Mutterhauses, 1964–90 Oberin des Stifts „Bethlehem“ Ludwigslust, 1967–69 Mitglied des Rates der EKD. LUTHER, Martin 432, 475, 550, 560, 702, 704f. geb. 1483, gest. 1546, deutscher Reformator. MAGER, Reimer 88, 94, 97, 112, 119, 139, 162, 243, 281, 322f., 328, 383, 403, 406, 410, 440 geb. 1906, gest. 1966, Weber, 1931 Landesgeschäftsführer des Gesamtverbandes Christl. Gewerkschaften Deutschlands für Sachsen, 1934 Landesgeschäftsführer der Bekennenden Ev.Luth. Kirche Sachsens u. Mitglied des Landesbruderrates, Mitglied des Widerstandskreises um Jacob Kaiser, mehrfach verhaftet, Soldat, Kriegsgefangenschaft, 1945–66 Mitglied der sächsischen Kirchenleitung, bis 1948 stellv. Landesvors. der CDU Sachsen, 1946–48 Mitgl. der Stadtverordnetenversammlung Dresden u. Sprecher der CDU-Fraktion, seit 1948 Präs. der sächsischen Landessynode, 1949–66 Mitglied des Rates der EKD, 1961–66 Präs. des DEKT (Bereich DDR). MAIZIERE, Clemens de 872 geb. 1906, gest. 1980, Rechtsanwalt, Mitglied der Ost-CDU, Synodaler der EKiBB. MARCUSE, Herbert 778 geb. 1898, gest. 1979, 1965 Prof. für politische Wissenschaften San Diego, Honorarprof. FU Berlin. MARGULL, Hans Jochen 182 geb. 1925, gest. 1982, bis 1955 Mitarbeiter in der Stuttgarter Geschäftsstelle der ESGiD, ab 1967 Prof. für Missionswissenschaft Hamburg. MARON, Karl 226, 234, 243f. geb. 1903, gest. 1975, 1950–55 Chef der Deutschen Volkspolizei u. stellv. Minister des Innern, seit 1954 Mitglied des ZK der SED, 1955–63 Minister des Innern. MARQUARDT, Friedrich-Wilhelm 347, 432 geb. 1928, gest. 2002, 1957–63 Studentenpfr. FU Berlin. MARSCH, Wolf-Dieter 754 geb. 1928, gest. 1972, 1958–62 Studienleiter an der Ev. Akademie Berlin, 1962–69 Prof. für Systematische Theologie Kirchl. Hochschule Wuppertal. MARX, Karl 271, 511 geb. 1818, gest. 1883, Philosoph und Nationalökonom. MATERN, Hermann 892 geb. 1893, gest. 1971, 1950–71 Mitglied des Politbüros des ZK der SED. MAURY, Philippe 357 geb. 1916, gest. 1967, 1949–61 Generalsekretär der WSCF.

Personenregister

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MCCLOY, John Jay 107, 112, 132, 214 geb. 1895, gest. 1989, 1945–47 Leiter der Civil Affairs Division der Vereinigten Generalstäbe, 1947–49 Weltbankpräs., 1949–52 Militärgouverneur u. Hoher Kommissar in Deutschland. MEDER, Walter 281 geb. 1904, seit 1953 Direktor der Rechtsabteilung des Osteuropa-Instituts an der FU Berlin. MEHL, Hans Peter 331f. 1956 Geschäftsführer des GKA der EJD, danach Hauptgeschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft des Jugendaufbauwerkes. MEHNERT, Klaus 638 geb. 1906, gest. 1984, 1961–72 Prof. u. Direktor des Instituts für politische Wissenschaft Aachen. MEIMEL 281 MEINECKE, Friedrich 617 geb. 1862, gest. 1954, Historiker, 1914–32 Prof. an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. MEINZOLT, Hans 84f. geb. 1887, gest. 1967, 1947–59 Präs. der bayerischen Landessynode, 1948 Mitglied des Ausschusses zur Erarbeitung der GO der EKD, 1949–61 Synodaler der EKD. MEISER, Hans 23, 35, 53, 59f., 77, 79, 83, 112, 119, 134, 136 geb. 1881, gest. 1956, 1899–1904 Theologiestudium München, Erlangen, Berlin, Halle, 1904/05 Militärdienst, 1905–09 Vikariat Weiden/Oberpfalz, Haßfurt u. Würzburg, 1911–15 Vereinsgeistlicher des Landesvereins für Innere Mission Nürnberg, seit 1915 Pfr. München, 1917 zugleich Vorstand der Münchener Diakonissenanstalt, 1920 Pfr. München-Sendling, 1922 Leiter des Predigerseminars Nürnberg, seit 1928 OKR im LKA München, 1933–55 bayerischer Landesbischof, 1934–36 Mitglied des Reichsbruderrates, 1936 Gründungsmitglied des Rates der Ev.-Luth. Kirche Deutschlands, 1938 dessen Vors., 1947 Mitglied des LWB, 1948 Vors. der Vorläufigen Leitung der VELKD, 1949–55 Leitender Bischof der VELKD, 1945–55 Mitglied des Rates der EKD. MENDE, Erich 228, 452, 459f., 755 geb. 1916, gest. 1998, 1949–70 MdB (FDP), 1960–67 Bundesvors. der FDP, 1963–66 Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen u. Vizekanzler. MENDE, Klaus-Dieter 502, 606 Mitarbeiter in der Geschäftsstelle der ESGiD in Westberlin. MENDT, Dietrich 359, 419, 882 geb. 1926, 1951/52 Obmann der ESG, 1954 Pfr. Lückendorf, 1955 Dresden mit Dienstleistung wie zuvor u. als Studieninspektor am Predigerseminar Lückendorf, ab 1958 mit Dienstleistung in Taucha u. als Studentenpfr. Leipzig, 1963 Pfr. Karl-Marx-Stadt, Vors. des Beirates DDR u. des VR der ESGiD, seit 1969 Mitglied der KKL. MENER, Hans 395f MENZEL, Eberhard 608 geb. 1911, gest. 1979, Prof. für Staats- u. Völkerrecht Kiel, Direktor des Instituts für Internationales Recht. MERZYN, Friedrich 247 geb. 1904, gest. 1991, 1945–65 OKR in der Kirchenkanzlei der EKD Hannover. MESSLIN, Harald 396 Pfarrer Jena. METZGER, Ludwig 180, 604f., 622, 625 geb. 1902, gest. 1993, 1949–73 Synodaler der EKD, 1951–53 hessischer Minister für Erziehung

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u. Volksbildung, 1953–69 MdB (SPD), 1958–70 Mitglied des Europa-Parlaments, zeitweilig dessen 1. Vizepräs., Mitglied der KföV der EKD. MEYER, Heinrich 911 geb. 1904, gest. 1978, 1956–72 Bischof von Lübeck. MEYER, Klaus 686 OKR, Mitglied des anhaltischen Landeskirchenrats. MIELKE, Erich 680 geb. 1907, gest. 2000, 1957–89 Minister für Staatssicherheit. MISCHKE, Lothar 102 Berliner Chefredakteur des Nordwestdeutschen Runkfunks. MISCHNICK, Wolfgang 640 geb. 1921, gest. 2002, 1968–91 Vors. der FDP-Bundestagsfraktion. MITZENHEIM, Moritz 11, 37, 74f., 86, 103, 111, 117, 147, 165, 221, 245f., 263, 278, 303f., 320, 323, 327, 358, 382, 386, 401, 405, 411, 415, 430, 446f., 448f., 483f., 486, 519, 522, 532, 534f., 577ff. 596f., 651, 661, 677, 689, 699, 794f., 799f., 803, 807ff., 812–815, 824f., 828, 831, 833, 837ff., 847ff., 852f., 859f., 874f., 881, 892, 901, 922 geb. 1891, gest. 1977, 1911–14 Theologiestudium Leipzig, Heidelberg, Berlin, Jena, 1914–16 Pfarrvikar Grabe bei Saalfeld, 1917–29 Diakonus Saalfeld, 1929–45 Pfr. Eisenach, 1936 Mitglied, 1943 amt. Vors. der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft, 1945 Vors. des neu gebildeten Thüringer Landeskirchenrats mit dem Titel „Landesoberpfr.“, 1947–70 Thüringer Landesbischof, 1955–61 Mitglied des Rates der EKD. MOCHALSKI, Herbert 113, 138, 141, 170, 260, 275, 357, 581 geb. 1910, gest. 1992, 1936 Pfr. der BK Schlesien, 1937 Ausweisung aus Schlesien, später Haft, 1937/38 Mitarbeiter der VKL II, Pfr. in Schönberg u. Berlin-Dahlem, 1945 pfarramtliche Kriegsaushilfe Leutkirch, 1945–51 Referent in der Kirchenkanzlei der EKD, 1948–51 Geschäftsführer des Bruderrates der EKD, 1951–61 Studentenpfr. Darmstadt, 1953–57 Mitglied im GVPBundesvorstand, Inhaber des STIMME-Verlages u. Chefredakteur der „Stimme der Gemeinde“. MÖNCH, Ulrich 747 geb. 1930, 1962–70 LJP Thüringen. MÖNCH 682 Vors. des Rates des Bezirkes Frankfurt/O. MOLOTOW, Wjatscheslaw M. 175 geb. 1890, gest. 1986, 1939–49, 1953–56 sowjet. Außenminister. MORGENROTH, Ilse 366 MOTZKAU, Wolfgang 723 geb. 1946, 1967/68 na. Hochschulreferent der ESGiD. MÜLLER, Eberhard 47f., 134, 136, 140, 212, 229, 236f., 305 geb. 1906, gest. 1989, 1931/32 Parochialvikar Baiersbronn, Leiter des Erlanger DCSV-Kreises, 1934 Pfr., 1935–38 Generalsekretär der DCSV, 1935–38 Generalsekretär des Reichsausschusses der Ev. Woche, 1938–42 Studentenpfr. Tübingen, 1942 Militärpfr., 1945–72 Leiter der Ev. Akademie Bad Boll, 1947–72 Vors. des Leiterkreises der Ev. Akademien, Synodaler der EKD, stellv. Vors. des Altfreundeverbandes der ESGiD, Mitbegründer des Kronberger Kreises, 1961–79 Vors. der Kammer für Soziale Ordnung der EKD. MÜLLER, Hanfried 679, 681 geb. 1925, 1964–90 Prof. für Systematische Theologie Humboldt-Universität Berlin, langjährig

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Synodaler der Fakultät bzw. der Sektion Theologie in der Synode von Berlin-Brandenburg u. der EKU, Mitglied des Friedensrates der DDR. MÜLLER, Ludolf 162, 178f. geb. 1882, gest. 1959, 1947–55 Bischof der KPS. MÜLLER, Manfred 42, 128, 135, 140, 159, 166, 197, 254 geb. 1903, gest. 1987, 1929–32 Landeswart der schwäbischen Schülerbibelkreise, 1932–34 Studienassessor, Entlassung wegen regimekritischer Äußerungen, 1934–36 württ. Landesjugendwart, 1936–48 württ. LJP, 1939–45 Vors. der Jugendkammer der BK/Landesjugendpfarrerkonferenz, 1946–61 Vors. der Jugendkammer der EKD, 1946–69 württ. OKR, 1949–61 Vors. der AGEJD. MÜLLER, Martin 686, 688, 697, 808, 810, 815, 828, 843, 868, 913f. geb. 1903, gest. 1989, ab 1928 Pfarrer in der anhaltischen Kirche, 1933 Leiter des anhaltischen Landesbruderrats, Sanitätsdienst, Kriegsgefangenschaft, 1945 Mitglied des Ev. Landeskirchenrates Anhalt, 1961–70 anhaltischer Kirchenpräs. MÜLLER, Siegfried 395 1962 Patenreferent des Landesverbandes Baden in der EAiD. MÜLLER-GANGLOFF, Erich 12, 229, 301, 454, 574f., 586, 590ff., 648, 754, 761, 769, 783f. geb. 1907, gest. 1980, Studium der Geschichte u. Germanistik, 1931 Dr. phil. Marburg, Bibliothekarslaufbahn, schriftstellerische Tätigkeit, seit 1940 Soldat, amerik. Kriegsgefangenschaft, 1952–70 Leiter der Ev. Akademie Berlin, 1958 Mitbegründer der „Aktion Sühnezeichen“. MÜLLER-SCHÖLL, Albrecht 418 geb. 1927, gest. 1997, 1954–69 Redakteur von „Die Junge Stimme“, 1954–64 Geschäftsführer des Sozialausschusses der AGEJD. MÜLLER-STREISAND, Rosemarie 485 geb. 1923, 1963 a. o. Prof., 1969–83 Prof. für Kirchengeschichte Humboldt-Universität Berlin. MÜNKER, Walter 797 geb. 1913, 1967–78 Propst zu Halle u. Merseburg. MUNSCHEID, Dietrich Detmar 485 geb. 1911, 1938–54 Pfr. Oberhausen, 1954–81 Sup. ebd., Vors. des Ausschusses für öffentliche Fragen der Landessynode der EKiR. NATTLAND, Hans 492 Studentenpfr. Kettwig. NETZMANN, Eckhard 750ff. geb. 1938, 1963–67 Mitglied des Zentralrats der FDJ. NEUKAMM, Karl-Heinz 746f. geb. 1929, 1962–67 LJP Bayern u. Beauftragter der VELKD für Jugendarbeit, 1967–72 Vors. der AGEJD, 1967–84 Rektor der Diakonissenanstalt Rummelsberg, Vors. des Diakonischen Werkes Bayern. NEUMANN, Gotthard 797 geb. 1902, gest. 1972, 1934–41, 1953–67 Professor für Ur- und Frühgeschichte Jena, bis 1969 Synodaler der EKD. NIEMEIER, Gottfried 188, 221f., 225, 285, 289ff., 410, 482f., 520, 735, 791f. geb. 1906, gest. 1984, 1953–73 OKR in der Kirchenkanzlei der EKD, Geschäftsführer der KföV der EKD, seit 1965 Vizepräs. der Kirchenkanzlei.

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NIEMÖLLER, Martin 21, 31, 36, 52f., 57f., 70, 73, 76, 78, 83, 88, 90, 94, 98, 102–110, 112–119, 125f., 131f., 134, 138ff., 143–146, 160f., 163, 169–174, 177, 189, 207, 212f., 215f., 220, 326ff., 399, 432, 469, 471, 485, 656, 700, 718 geb. 1892, gest. 1984, 1912–18 Marineoffizier, 1919 Landwirtschaftslehre, 1919–23 Theologiestudium Münster, 1924 Geschäftsführer der Inneren Mission Münster, 1931 Pfr. Berlin Dahlem, 1933 führendes Mitglied der BK, 1937 Verhaftung, 1938–45 Häftling in den KZs Sachsenhausen u. Dachau, 1945–55 Mitglied des Rates der EKD u. Leiter des Kirchl. Außenamtes, 1947–64 Präs. der EKHN, 1961–68 einer der Präs. des ÖKR. NIESEL, Wilhelm 53, 79, 119, 136, 145, 168, 174, 402f., 406, 440, 672 geb. 1903, gest. 1988, 1930 Lic. theol. u. Hilfsprediger Wittenberg, 1930–34 Elberfeld u. Studieninspektor im Predigerseminar ebd., 1934 Mitglied des Rates der APU, 1935–40 Dozent für Systematische Theologie Kirchl. Hochschule Berlin, 1940 Ausweisung aus Berlin, Hilfsprediger Breslau, Reichsredeverbot, 1943–46 Pfarrverweser Reelkirchen, 1946–68 Dozent für Systematische Theologie Kirchl. Hochschule Wuppertal, 1946–73 Präses u. Moderator des Reformierten Bundes, 1945–72 Mitglied des Rates der EKD, Mitglied des ZA des ÖRK, 1964–70 Präs. des Ref. Weltbundes. NOLDE, Frederick 461f., 464–469 geb. 1899, gest. 1972, 1925–28 Gemeindepfr. u. Lehrbeauftragter Philadelphia, seit 1928 wiss. Tätigkeit, 1946 Direktor der CCIA des LWB u. des ÖRK, 1948–69 Beigeordneter Generalsekretär des ÖRK. NORDEN, Albert 626 geb. 1904, gest. 1982, 1955–81 Mitglied u. Sekretär des ZK der SED, 1955–67 Leiter der Agitations-Kommission beim Politbüros, 1958–81 Mitglied des Politbüros, 1960–79 Leiter der Westkommission beim Politbüro. NOTH, Gottfried 165, 188, 239f., 323, 385, 405, 468, 479f., 596, 626, 629, 631, 687, 702, 811, 813f., 822, 863f., 884, 902 geb. 1905, gest. 1971, Theologiestudium Leipzig u. Erlangen, 1930 Dr. theol., 1930–32 Hilfsgeistlicher Diakonissenanstalt Dresden, 1932–42 Pfr. Zethau, 1942–44 Dresden, Mitarbeit im Landesbruderrat der BK, 1944/45 Sanitätssoldat, Gefangenschaft, 1945 komm. OKR im LKA Dresden, 1950 Dezernent, 1953–71 sächsischer Landesbischof, 1953–68 Mitglied der Kirchenleitung der VELKD, 1953–71 Mitglied des ZA des ÖRK, 1968/69 Mitglied des Rates der EKD, 1962–71 stellv. Vors. der KKL. NOTTINGHAM, William 746 NUSCHKE, Otto 101, 116, 153f., 179f., 231, 236f., 240, 243 geb. 1883, gest. 1957, seit 1910 Generalsekretär der Fortschrittlichen Volkspartei Kassel, 1918 Mitbegründer der DDP, 1920/21 stellv. Vors. ihres Parteivorstandes, Mitglied der Nationalversammlung u. bis 1933 Abg. des Preuß. Landtages, 1931–33 Reichsgeschäftsführer der DDP bzw. Deutschen Staatspartei, seit 1933 Landwirt, Aktivitäten im Widerstand, mehrfach verhaftet, 1945 Mitbegründer der Ost-CDU, Verlagsleiter der „Neuen Zeit“, 1946/47 Mitglied des Parteivorstandes, seit 1948 Vors. der CDU, 1949–57 stellv. Ministerpräs. bzw. Stellv. des Vors. des Ministerrates der DDR, u. a. verantwortlich für die Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen. ODIN, Karl-Alfred 698, 726f. geb. 1922, gest. 1992, 1961–89 Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. OEHLMANN, Kurt 202 1955 LJP Sachsen, 1955 Mitglied des GKA der AGEJD, Sup. Berlin Weißensee.

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OELSNER, Karl 551 Oberlandesgerichtsrat a. D. OHLY, Hans 285 OHNESORG, Benno 720 geb. 1940, gest. 1967, Student der Romanistik und Germanistik, Mitglied der ESG. ONDRA, Jaroslav 472, 475f., 479f., 588 geb. 1925, 1951 Pfr. Zruc, 1955–67 Prag-Kobylisy, 1960–69 Generalsekretär der CFK. ORDNUNG, Carl 440, 475, 586f., 756 geb. 1927, 1957 Redakteur der „Neuen Zeit“, 1958–90 Mitarbeiter des Hauptvorstandes der Ost-CDU, zeitweise Leiter der Abteilung Kirchenfragen, 1962–90 Sekretär des Regionalausschusses der CFK in der DDR. ORPHAL, Helmut 259, 293, 295, 304ff., 309, 312, 315, 354, 357, 360, 364, 391ff., 395, 477, 492 geb. 1926, 1944/45 Arbeitsdienst, Soldat, amerik. Kriegsgefangenschaft, Landarbeiter, 1946–50 Theologiestudium Halle u. Bonn, 1950/51 Vikariat Wernigerode, 1951/52 Kandidat Predigerseminar Wittenberg, 1952–57 Pfr. Kayna bei Zeitz, 1957–63 Leiter der Geschäftsstelle der ESG in der DDR, 1963–70 Pfr. Magdeburg, 1970–91 Pfr. Marienkirche Berlin. OSTERLOH, Edo 221 geb. 1909, gest. 1964, 1954–56 Ministerialdirektor im Bundesministerium für Familienfragen, Mitglied der KföV der EKD. OTHMER, Ekkehard 366, 539 OTTO, Hans-Jürgen 500 PABST, Walter 629, 644, 860, 865 geb. 1912, gest. 1999, seit 1964 OKR im Kirchenamt der VELKD Berlin u. ökumenischer Beauftragter der ev. Bischöfe in der DDR, gleichzeitig Referent in der Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR u. stellv. Leiter der Geschäftsstelle der KKL, 1969–78 stellv. Leiter des Sekretariats des BEK. PANNENBERG, Wolfhart 529, 541f. geb. 1928, 1961–67 Prof. u. Seminardirektor Mainz, 1967–94 Prof. für Systematische Theologie München. PETERSMANN, Werner 551f., 554, 564f., 642f. geb. 1901, gest. 1988, 1925–27 Predigerseminar USA, 1925 Hilfsgeistlicher New York, 1927 Pfr. Marburg, 1928 Eden, 1927–32 Assistenzprof. St. Louis/USA, 1932 Pfr. Schweinsberg, 1934 Pfr. Breslau, 1935 Gauobmann der Deutschen Christen Schlesiens, 1938 Leiter der Reichsbewegung „Deutsche Christen“/Luther-Deutsche, 1940 Kriegspfr., 1945–49 sowjet. Kriegsgefangenschaft, 1950–53 Flüchtlingspfr. Hannover, 1953–69 Pfr. Hannover. PETTELKAU, Egon 297, 303 geb. 1907, gest. 1961, seit 1954 Mitarbeiter der Kirchenkanzlei der EKU, seit 1958 Vizepräs., Leiter der Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR. PFLEIDERER, Karl-Georg 150, 236 geb. 1899, gest. 1957, 1949–55 MdB (FDP), 1955–57 Deutscher Botschafter Jugoslawien. PFLUGK, Heinz-Friedrich 520f., 625, 879 geb. 1903, gest. 1989, 1947 Landessup. Rostock, 1965 Mitglied der KföV der EKD, 1961–71 Mitglied im Präsidium-Ost des DEKT. PICHT, Georg 434, 560, 565, 567 geb. 1913, gest. 1982, 1958–82 Leiter der Forschungsstätte der Ev. Studiengemeinschaft Heidelberg, seit 1965 Prof. für Religionsphilosophie Heidelberg.

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PIECK, Wilhelm 100f., 117, 126, 131, 144 geb. 1876, gest. 1960, 1949–60 Präsident der DDR. PLESSNER, Helmuth 547 geb. 1892, gest. 1985, 1951–63 Prof. für Soziologie u. Philosophie Göttingen. POHL, Inge 499f., 502 1963/64 Obfrau in der Berliner Geschäftsstelle der ESGiD. POHLMANN, Ekkehard 500, 777 1963/64 Hochschulreferent der ESGiD Bonn, 1968/69 Mitglied des VR der ESGiD. POTTER, Philip Alford 734f. geb. 1921, 1960–68 Präs. der WSCF. PUNGE, Manfred 652ff. geb. 1931, seit 1966 Studienleiter an der Ev. Akademie Berlin-Brandenburg. PUTTFARCKEN, Hans 402f., 407f., 672, 908f. geb. 1902, gest. 1971, seit 1946 Leiter der Personalabteilung im hessischen Justizministerium, zuletzt Ministerialdirigent, 1950–68 Synodaler von Hessen u. Nassau, Mitglied der Kirchenleitung, 1961–70 Präses der Synode der EKD, 1961–70 Mitglied des Rates der EKD. PUTZ, Eduard 166, 188, 233, 604, 625, 629, 879 geb. 1907, gest. 1990, 1935–53 Pfr. Fürth, 1949–73 Synodaler der EKD, Mitglied der KföV der EKD, 1954 Dekan Erlangen, 1958–72 KR. QUAAS, Ludwig 913 geb. 1908, theol. Mitglied bzw. Dirigent im LKA der EKiR, OKR, Mitglied im Rat der EKU. QUAST, Gerhard 645, 824, 831, 838, 867, 874, 876, 880, 903ff. geb. 1931, 1955 Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen, 1957 Hauptreferent für Sach- u. Rechtsfragen Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, 1960 persönlicher Referent Göttings, 1965–75 Leiter der Abteilung Kirchenfragen beim Hauptvorstand der Ost-CDU. RABENAU, Eitel-Friedrich von 72 geb. 1884, gest. 1959, 1923–54 Pfr. Berlin-Schöneberg, Mitbegründer des Pfarrernotbundes u. der BK, Mitglied des Berliner u. altpreuß. Bruderrates, Dozent für Praktische Theologie Kirchl. Hochschule Berlin. RABENAU, Konrad von 797f., 827, 830, 848, 860 geb. 1924, Pfr., Dozent für Altes Testament Kirchl. Oberseminar Naumburg/S., ab 1972 OKR in der Kirchenkanzlei der EKU Bereich DDR u. Referent im Sekretariat des BEK. RADMANN, Martin 578 geb. 1931, ab 1955 Mitarbeiter des Deutschlandsenders, 1958 Eintritt in die SED. RAHMEL, Max 225 geb. 1904, 1950 Pfr. u. Sup. Calau, Vors. des Öffentlichkeitsausschusses der Synode der EKiBB. RAISER, Konrad 936 geb. 1938, 1983–92 Prof. für Systematische Theologie und Ökumenik Bochum, ab 1992 Generalsekretär des ÖRK. RAISER, Ludwig 196, 221, 223, 280, 301f., 408, 434, 536, 552f., 563f., 582–585, 604ff., 611, 622, 624f., 628–632, 660, 662, 683, 697, 899 geb. 1904, gest. 1980, 1923–27 Studium der Rechts- und Staatswissenschaften München, Genf, Berlin, 1927–33 wiss. Assistent am Kaiser Wilhelm-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht Berlin, 1931 Dr. jur., 1933 Habilitation, Lehrverbot, 1935–37 Volontär Magdeburger Versicherungsgruppe, 1937–43 stellv. Vorstandsmitglied Magdeburger Rückversicherungsgesellschaft, 1942 Prof. für bürgerliches Recht Straßburg, 1943–45 Soldat, ab 1945 Prof. für Bürgerliches, Wirtschafts- u. Handelsrecht Göttingen, 1948–50 Rektor der Universität Göt-

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tingen, 1949–73 Synodaler der EKD, 1951–55 Präs. der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 1955–73 Prof. für Bürgerliches, Wirtschafts- u. Handelsrecht Tübingen, 1956–71 Vors. der KföV der EKD, 1961–65 Vors. des Wissenschaftsrates, 1968/69 Rektor Universität Tübingen, 1970–73 Präses der Synode der EKD. RANKE, Hansjürg 92, 94, 96ff., 151, 397 geb. 1904, gest. 1987, 1946 Sachbearbeiter für Nachkriegsfragen Kirchenkanzlei der EKD Schwäbisch-Gmünd, 1950 OKR Außenstelle Bonn, 1955 Sozialreferent Kirchenkanzlei der EKD Hannover, 1960–71 Berlin-Brandenburgischer KonsPräs. RAPACKI, Adam 272ff. geb. 1909, gest. 1970, 1956–68 polnischer Außenminister. RASKER, Albert 485 geb. 1906, gest. 1990, seit 1954 Prof. Theol. Fakultät Leiden, Vors. der Kommission „Friede u. Deutschlandfrage“ der CFK. RAU, Heinrich 248 geb. 1899, gest. 1961, 1955–61 Minister für Außenhandel u. Innerdeutschen Handel der DDR. REES, Elfan 468f. geb. 1906, ab 1952 CCIA-Vertreter für Europa, Genf. REESE, Günter 713 1967 Studentenpfr. Heidelberg. REISGIES, Hans-Jürgen 395 RENNER, Ulrich 747 geb. 1928, 1961–69 LJP Hannover, 1967–69 Mitglied des Vorstands der AGEJD. REYMANN, Friedrich-Günther 304 geb. 1916, 1953 Kreisjugendpfr. Berlin-Kaulsdorf. RICHTER, Johannes 268f., 830 geb. 1903, gest. 1991, ab 1953 Propst Halberstadt u. Quedlinburg, 1961–67 Synodaler der EKD. RIEDEL, Heinrich 403, 406, 410, 440, 683, 806ff., 822ff., 833, 863, 898 geb. 1903, gest. 1989, 1934–43 bayerischer LJP, 1943 Dekan Kulmbach, 1947–72 OKR München, 1955–72 Mitglied des Rates der EKD, 1958–71 Vors. des Diakonischen Rates. RIEGER, Julius 910, 917 geb. 1901, gest. 1984, 1953–69 Sup. Berlin-Schöneberg, 1963–72 Mitglied der Kirchenleitung der EKiBB (West-Berlin), 1967–73 Synodaler der EKD. RIESSBECK, Friedrich 354 geb. 1927, 1958–62 Pfr. im LKA München. RINGHANDT, Siegfried 225, 281, 391, 399, 416, 418f., 493, 595f., 611, 619, 622f., 625, 646, 696, 752, 810, 826, 829f., 848, 859, 877, 913f., 927 geb. 1906, gest. 1991, 1927–32 Theologiestudium, seit 1933 Mitglied der BK, 1935 u. 1937 Verhaftungen, 1940 Pfarrer Betsche, 1940–45 Soldat, brit. Kriegsgefangenschaft, 1945 Pfarrer Illmersdorf, 1946 Sup. Seelow, 1950–71 Mitglied der Kirchenleitung der EKiBB, 1958–60 Leiter des Weißenseer Arbeitskreises, 1959–62 Studentenpfr. Humboldt-Universität Berlin, seit 1962 Geistlicher Abteilungsleiter des Konsistoriums Berlin-Brandenburg, 1962–68 Vors. der Jugendkammer Ost, 1966–71 Propst. RITTER, Gerhard 76f., 79ff., 94–98, 181, 188, 206, 210, 216 geb. 1888, gest. 1967, Studium München, Leipzig, Heidelberg, Berlin, 1911 Dr. phil. Heidelberg, 1912–15 Lehrer Kassel u. Magdeburg, 1915–18 Soldat, seit 1919 Beamter der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, 1921–24 Priv. Doz. für Neuere Geschichte, 1924 Prof. Hamburg,

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1925–56 Prof. für Geschichte Freiburg/Br., Mitglied der BK, 1944/45 wegen Zugehörigkeit zum Widerstand in Haft, seit 1949 Mitglied der KföV der EKD. RITTER, Helmut 492 geb. 1935, Studentenpfr. Regensburg, seit 1967 Gemeinde- u. Studentenpfr. München. RITTER, Waldemar 776 geb. 1933, seit 1968 Leiter des Jugend- u. Studentenreferates im BMG. ROCH 501 ROHRBACH, Heinrich-Constantin (Heiko) 379, 391f., 395, 397, 419f., 492, 495, 502, 648, 657, 706–711, 713–716, 720, 723–728, 730f., 733–738, 740, 757, 764f. geb. 1928, Theologiestudium Tübingen, Göttingen, New York, Studium der Gruppenpädagogik Minnesota, 1952–55 in der Jugendabteilung des ÖRK, Genf, 1955/56 Vikariat Jeinsen, 1956–58 Ev. Akademie Bad Boll, 1958–62 Referent für Ingenieur- u. Höhere Fachschulen in der ESGiD, Stuttgart, 1962–68 Generalsekretär der ESGiD, seit 1968 Direktor der Ev. Weiblichen Jugend, Burckhardthaus, Gelnhausen. ROMBERG, Walter 652ff. geb. 1928, 1954–65 wiss. Mitarbeiter am Institut für Reine Mathematik der DAW, 1965–78 Chefredakteur „Zentralblätter für Mathematik“ ebd. ROTERBERG, Reinhold 383, 452, 455f., 666 Redakteur beim WDR. RUHNAU, Heinz 750 geb. 1929, 1965–73 Innensenator Hamburg, 1966–74 stellv. SPD-Vors. ebd. SÄUBERLICH, Gerhard 273 geb. 1901, gest. 1959, ab 1945 Mitglied des Thüringer Landeskirchenrates, OKR, Visitator für den Aufsichtsbezirk Ost (Gera), ab 1949 Leiter des Gemeindedienstes. SAFT, Walter 876 geb. 1923, 1964–68 Leiter des Predigerseminars Eisenach, 1969 Rektor des Pastoralkollegs ebd. SALM, Karl 554 Oberlandesgerichtsrat Freiburg/Br., 1966 Mitbegründer der „Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher“. SAUER 774 1968 Oberamtsrat in der Abteilung I 5 des BMG. SCHÄFFER, Fritz 195 geb. 1888, gest. 1967, 1945 Mitbegründer der CSU, 1949–57 Bundesfinanzminister. SCHALCK-GOLODKOWSKI, Alexander 678 geb. 1932, 1966–89 Leiter des Bereichs Kommerzielle Koordinierung im Ministerium für Außen- u. Innerdeutschen Handel der DDR. SCHANZE, Wolfgang 268 geb. 1897, gest. 1972, 1946–67 Thüringer OKR, Visitator des Aufsichtsbezirks Mitte (Weimar). SCHARF, Kurt 72, 101, 125, 127, 227, 231, 236f., 247, 272, 279, 281–284, 297, 321–324, 326f., 376, 379–383, 387, 397, 399f., 408ff., 412f., 424, 426, 442, 451, 454–457, 459, 466, 476–483, 487, 514, 524, 529, 534ff., 572ff., 581–586, 604f., 628, 637, 656, 660–663, 667–670, 672, 678f., 681f., 684, 689, 691, 696, 708, 718, 723–726, 731, 784, 786, 805, 818, 821f., 824, 836, 841f., 857f., 865, 903–906, 909f., 912, 916, 918 geb. 1902, gest. 1990, 1921–25 Theologiestudium Tübingen, Jena, Halle, 1925–27 Vikariat Berlin-Dahlem, 1928–33 Pfr. Friesack, 1933–45 Pfr. Sachsenhausen, 1935 Präses der BK in der Mark Brandenburg, 1938 Vors. der Konferenz der Landesbruderräte der BK, wiederh. Haft, Schreib- u. Rede- sowie Aufenthaltsverbote für verschiedene Gebiete im Osten Deutschlands,

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1941–45 Soldat, amerik. Kriegsgefangenschaft, 1945–61 Propst von Brandenburg, seit 1951 mit Sitz in Ost-Berlin, 1955–57 stellv. Vors., 1957–60 Vors, 1960–66 stellv. Vors. des Rates der EKU, 1961–67 Vors., 1967–73 stellv. Vors. des Rates der EKD, 1966–76 Bischof der EKiBB, seit 1972 nur für West-Berlin zuständig. SCHARNWEBER, Gustav 395 geb. 1910, gest. 1981, 1951–66 Studentenpfarrer Rostock. SCHAUF, Magdalene 350 SCHEFFLER, Hans-Ulrich 159 geb. 1922, seit 1953 Pfr. in der Flüchtlings-Seelsorge, danach Kreisjugendpfr. Kölln Stadt. SCHEGGET, Bert ter 420f. Niederländischer Theologe, 1963/64 Studiensekretär in der Geschäftsstelle der ESGiD WestBerlin. SCHEIB, Lothar 347f. 1958 Studentischer Obmann in der Geschäftsstelle der ESGiD West-Berlin. SCHEIDUNG, Dietrich 856 geb. 1912, Propst Boizenburg/Elbe. SCHELZ, Sepp 558, 573, 580, 678, 686, 795 geb. 1917, gest. 1986, 1952/53 im Bundesvorstand der GVP, Chefredakteur der „Westdeutschen Rundschau“, 1964–71 Leiter des Ev. Publizistischen Zentrums Berlin. SCHEUNER, Ulrich 279, 463–468, 605, 621, 877, 886–888 geb. 1903, gest. 1981, Jurastudium München, Münster, 1925 Dr. jur., 1928 Referent im Institut für Völkerrecht Berlin, 1930–33 Priv. Doz. Berlin, 1933 Prof. Jena, 1940 Göttingen, 1941 Straßburg, 1941–45 Soldat, 1947–49 Mitarbeiter im Zentralbüro des Hilfswerks der EKD Assenheim, 1948–50 Lehrauftrag Stuttgart, 1950–69 Prof. für öffentliches Recht Bonn, Mitarbeiter der CCIA. SCHEVEN, Karl von 111 geb. 1882, gest. 1954, 1946–54 Generalsup. mit Amtsbezeichnung Bischof der Ev. Kirche in Pommern. SCHIELE, Heinrich 797 Arzt Naumburg, Mitglied der Kirchenleitung der KPS, bis 1969 Synodaler der EKD. SCHIOTZ, Fredrik 669 geb. 1901, gest. 1989, 1963–70 Präs. des LWB. SCHLEIERMACHER, Friedrich 26 geb. 1768 Breslau, gest. 1834 Berlin, Theologe, Pädagoge, Philosoph. SCHLIMP, Carl-Hans 307 1960 studentischer Obmann ESGiD Geschäftsstelle Ost-Berlin, Mitglied des VR der ESGiD. SCHLIPPE, Gunnar von 349 geb. 1927, 1955–64 Pfr. Dortmund, 1964–68 Studentenpfr. Münster. SCHMAUCH, Werner 362, 469f., 476, 483 geb. 1905, gest. 1964, 1933–50 Pfr. Groß-Weigelsdorf, 1938–45 Dezernent für theol. Ausbildung Schlesien, 1945–50 Dekan von Niederschlesien, Mitglied des Bruderrates der EKD, 1948–50 KR Greifswald, 1950–52 Leiter des Sprachenkonvikts Berlin, 1952–54 Dozent für Neues Testament Humboldt-Universität Berlin, 1954 a. o. Prof. Greifswald, 1958–64 Prof. für Neues Testament ebd., seit 1961 Vors. des CFK-Regionalausschusses in der DDR. SCHMID, Carlo 523, 901 geb. 1896, gest. 1979, 1949–66 Bundestagsvizepräs.

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SCHMIDT, Helmut 640, 750 geb. 1918, 1961–65 Hamburger Innensenator, 1967–69 Vors. der SPD-Bundestagsfraktion, 1968–83 stellv. SPD-Vors. SCHMIDT, Wilhelm 360, 395 geb. 1929, 1958–64 Studentenpfr. Göttingen, danach Redakteur beim Deutschlandfunk Köln. SCHMIDT, Wolfgang 366 SCHMITT, Gerhard 406, 410, 440, 468 geb. 1909, OKR Luth. Kirchenamt Ost-Berlin, 1964–74 Generalsup. Berlin (Ost). SCHMITZ, Otto 898 OKR, Theol. Mitglied der Kirchenleitung der EKvW, seit 1969 Mitglied der „Beratergruppe“ des Rates der EKD. SCHMUTZLER, Siegfried 246, 259f., 294, 337, 339 geb. 1915, 1952 Hilfspfr. Panitzsch, 1953 Pfr. Dresden, Studieninspektor Predigerseminar Lückendorf, 1954 Pfr. Leipzig, Studentenpfr. Leipzig, 1957 Verhaftung u. Verurteilung, 1958–61 Haft Torgau, danach Pfr. Dresden, theologisch-pädagogischer Berater im LKA Dresden. SCHNEKENBURGER, Hubert 606, 620, 636 geb. 1922, Mitarbeiter im BMG. SCHNOOR, Werner 881 geb. 1909, gest. 1991, 1958–77 Chefredakteur der Mecklenburgischen Kirchenzeitung u. des Kirchl. Amtsblattes. SCHOBER, Theodor 863 geb. 1918, 1963–84 Präs. des Diakonischen Werkes der EKD. SCHÖNHERR, Albrecht 399, 411, 415, 468, 473, 483, 487, 516, 593, 596f., 601, 608, 611, 619, 622f., 625f., 646, 680ff., 693f., 699, 787, 790, 798, 800, 803f., 808ff., 812–815, 818–822, 828ff., 836–839, 843, 851–857, 860f., 866f., 869f., 872ff., 884f., 890f., 901f., 904ff., 908, 913f., 917, 922f., 925, 929, 932 geb. 1911, 1929–33 Theologiestudium Tübingen, Berlin, ab 1933 Vikar, danach Prädikant Berlin u. Potsdam, 1935/36 Predigerseminar Finkenwalde, 1938–40 Pfr. Brüssow, 1940–46 Soldat, brit. Kriegsgefangenschaft, zeitweise Lagerpfr., seit 1946 Pfr. Brandenburg/H. u. Sup. des Kirchenkreises Brandenburg/H., 1951–62 Leiter bzw. Direktor des Predigerseminars Brandenburg/H., 1958 Mitbegründer des Weißenseer Arbeitskreises, seit 1963 Generalsup. Sprengel Eberswalde, 1964–66 komm. Leiter des DDR-Regionalausschusses der CFK,seit 1967 Verwalter des Bischofsamtes im Bereich der Regionalsynode Ost der EKiBB, 1969–81 Vors. der KKL, 1970 Erhalt des Bischofstitels, 1972–81 Bischof der EKiBB (Ost). SCHOKKING, Jan Juriaan 571 Honorarprof. für Politische Wissenschaft, bis 1962 an der Universität Köln. SCHRILL 868 KR Schwerin. SCHRÖDER, Alfred 202, 495 geb. 1910, gest. 1991, 1954–63 LJP Berlin, Mitglied des GKA der AGEJD. SCHRÖDER, Gerhard 454, 639, 670 geb. 1910, gest. 1989, 1955–78 Vors. des Ev. Arbeitskreises der CDU/CSU, 1961–66 Bundesaußenminister, 1966–69 Bundesverteidigungsminister. SCHRÖTER, Martin 297, 306f., 362, 395f., 487, 581, 587, 648, 655–659, 709, 713, 717, 719, 721–724, 730f., 734f., 737f., 740, 755f., 896 geb. 1918, 1937–45 Soldat, Theologiestudium Heidelberg, 1950–52 Vikariat, 1952–56 Pfr. Baden, 1956–65 Studentenpfr. Heidelberg, seit 1958 Mitglied des VR der ESGiD, 1961–64 Vors.

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der Studentenpfarrerkonferenz, 1964–70 Vors. des VR der ESGiD, seit 1965 Leiter des Mädchenwerks der EkvW, seit 1967 im Vorstand der Regionalkonferenz der CFK in der Bundesrepublik Deutschland. SCHRÖTER, Waldemar 112, 178f. geb. 1901, gest. 1986, seit 1946 Mitglied des anhaltischen Landeskirchenrates, 1948 Kreisoberpfr. Bernburg, 1949 Pfr. Dessau, 1950–61 Vors. des Landeskirchenrates, anhaltischer Kirchenpräs., seit 1962 Pfr. Plötzin. SCHROETTER, Brigitte von 418, 747 Geschäftsführerin der Mittelstelle Werk u. Feier (Ost), Mitglied der Jugendkammer Ost. SCHÜTZ, Wilhelm Wolfgang 229ff., 235f., 238, 259, 621, 628, 642, 648, 769 geb. 1911, gest. 2002, 1941–51 Londoner Korrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“, 1951–57 politischer Berater des Bundesministers Jakob Kaiser, 1954–72 geschäftsführender Vors. des Kuratoriums „Unteilbares Deutschland“, seit 1969 im Beraterkreis von Bundeskanzler Willy Brandt. SCHULTZ, Hans Jürgen 697 geb. 1928, Lektor des Kreuz-Verlages, Leiter der Kirchenfunkabteilung beim Süddeutschen Rundfunk, Mitglied des Präsidiums des DEKT. SCHULZ, Hans 202, 340, 418, 495 Landesjugendwart Berlin, Mitglied des GKA der AGEJD. SCHULZ, Hansjürgen 362, 697, 737 geb. 1931, gest. 1990, Studentenpfr. Greifswald, Leiter der Studentenseelsorge der Pommerschen Ev. Kirche, 1966/67 Vors. der Studentenpfarrerkonferenz der ESGiD, 1968 Mitglied des VR der ESGiD, seit 1969 Synodaler des BEK. SCHULZ, Walter 340 geb. 1925, 1956–65 LJP Mecklenburg, 1957 im GKA der AGEJD. SCHUMACHER, Kurt 113, 122 geb. 1895, gest. 1952, 1946–52 Parteivors. der SPD. SCHUR, Peter 364 1960/61 Bonner Hochschulreferent der ESGiD. SCHWANECKE, Friedrich 398, 559 geb. 1927, gest. 1995, 1962–72 leitender Redakteur von „Der Weg“. SCHWARZHAUPT, Elisabeth 222, 604, 620, 625, 628f. geb. 1901, gest. 1986, 1936 jur. Mitarbeiterin, später OKonsRin in der Kirchenkanzlei der DEK Berlin, 1945 Kirchenkanzlei der EKD, 1948–58 Kirchl. Außenamt der EKD Frankfurt/M., OKRin, 1953–69 MdB (CDU), 1961–66 Bundesministerin für Gesundheitswesen, Mitglied der KföV der EKD. SCHWEITZER, Albert 270 geb. 1875, gest. 1965, Theologe und Arzt. SCHWEITZER, Wolfgang 238, 480, 581 geb. 1916, 1946–52 Sekretär in der Studienabteilung des ÖRK Genf, 1951–55 Priv. Doz. Heidelberg, 1955–80 Prof. für Systematische Theologie Kirchl. Hochschule Bethel. SEEBERG, Axel 578 geb. 1904, gest. 1986, 1954–72 Chefredakteur des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblattes“. SEIDOWSKY, Hans-Joachim 472 geb. 1932, 1957–61 Mitarbeiter in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, Mitarbeiter, später Leiter des „Instituts Wandlitz“ des MfS.

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SEIGEWASSER, Hans 317, 323f., 380f., 399, 404f., 430, 439, 457f., 463, 467, 471, 475, 491, 532, 534, 572, 644, 651, 659, 681f., 686, 690, 699, 790, 793f., 800, 804, 810, 812f., 815, 818, 824f., 832f., 837f., 843, 847ff., 853, 855f., 861f., 868, 873, 876, 880f., 884, 891, 913, 917 geb. 1905, gest. 1979, 1932 KPD-Mitglied, 1933 Verhaftung, 1934–45 Zuchthaus u. KZ, 1945/46 Mitarbeiter des ZK der KPD, 1946–50 des Parteivorstands bzw. ZK der SED, 1950–79 Volkskammerabg., 1950–53 stellv. Vors., 1953–70 Präsidiumsmitglied des Nationalen Rates der Nationalen Front, 1953–59 Vors. von dessen Büro, 1959/60 1. Sekretär des Berliner Bezirksausschusses u. Vizepräs. des Nationalrates, 1960–79 Staatssekretär für Kirchenfragen. SEMJONOW, Wladimir Semjonowitsch 136f., 165f. geb. 1911, gest. 1992, 1945 stellv., 1946–53 politischer Berater der Sowjet. Kontrollkommission, 1953 Hoher Kommissar Berlin. SIMON, Helmut 274, 562 geb. 1922, 1953–58 Richter Landesgericht Düsseldorf, 1956–60 Vors. der Kirchl. Bruderschaft im Rheinland, dann Vors. des Arbeitskreises der Kirchl. Bruderschaften, 1958/59 wiss. Hilfsarbeiter BGH Karlsruhe, Mitglied des Atomausschusses sowie der Kammer für Soziale Ordnung der EKD, 1960–65 Richter Oberlandesgericht Düsseldorf, 1965–70 Richter BGH. SIMON, Kurt 360 SKLADNY, Udo 780 1968–73 Leiter der Geschäftsstelle der ESG in der DDR. SMEND, Rudolf 79, 139, 402 geb. 1882, gest. 1975, 1909 a. o. Prof. Greifswald, 1911 Prof. Tübingen, 1915 Bonn, 1922 Berlin, 1935–50 Göttingen, 1945/46 Rektor ebd., 1945–55 Mitglied des Rates der EKD, 1946–69 Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts Göttingen. SMIDT, Udo 296, 403, 406, 410, 440, 672, 735 geb. 1900, gest. 1978, 1925–30 Pfr. Rysum, 1928–34 Reichswart der BK, Mitglied der Reichsjugendkammer, 1934–51 Pfr. Wesermünde-Lehe u. LJP der Ev.-Ref. Kirche NW, 1946–49 Mitglied der Jugendkammer der EKD, 1951–58 Studiendirektor des Ref. Predigerseminars Elberfeld, 1958–70 Landessup. Detmold, 1961–70 Mitglied des Rates der EKD. SÖHNGEN, Oskar 388 geb. 1900, gest. 1983, 1952–69 Geistl. Vizepräs. der Kirchenkanzlei der EKU, seit 1961 Leiter der Dienststelle der Kirchenkanzlei der EKU West-Berlin. SOHN, Karl-Heinz 910 geb. 1928, 1967 Prof. für Volkswirtschaftslehre Sozialakademie Düsseldorf, 1969–74 Staatssekretär Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1967–79 Synodaler der EKD. SOKOLOWSKI, Wassilij D. 82 geb. 1897, gest. 1968, 1946–49 Oberbefehlshaber der sowjet. Besatzungskräfte in der SBZ u. Oberster Chef der SMAD. SOMMER, Frank 640 geb. 1940, 1964–69 stellv., dann Vorstandssprecher der SPD Bonn. SOMMER, Theo 506, 578, 769 geb. 1930, seit 1958 politischer Redakteur der „Zeit“. SONTHEIMER, Kurt 547, 565, 571 geb. 1928, 1960–62 Prof. PH Osnabrück, 1962–69 Prof. für Politische Wissenschaft FU Berlin, 1968–83 Präsidiumsmitglied, 1973–75 Präs. des DEKT, 1969–93 Prof. München. SPIEGEL-SCHMIDT, Friedrich 560f. geb. 1912, 1958–69 Pfarrer Berchtesgaden, ab 1969 München, Prodekan.

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SPOO, Eckart 638 geb. 1936, Redakteur der „Frankfurter Rundschau“. SPRINGER, Axel 452 geb. 1912, gest. 1985, Verleger. STAA, Friedrich Wilhelm von 159 geb. 1911, gest. 1984, 1952 KR der EKD, 1954–56 OKR, Referent für Jugendarbeit. STALIN, Jossif 136, 141, 144, 164, 330 geb. 1879, gest. 1953, seit 1922 Generalsekretär des ZK der KPdSU, seit 1941 Vors. des Rates der Volkskommissare u. Volkskommissar für Verteidigung, seit 1946 Vors. des Ministerrates. STAMMLER, Eberhard 203, 390f., 495, 508, 544, 547ff., 638, 697, 811f. geb. 1915, gest. 2004, 1934–38 Theologiestudium Tübingen, 1938 Pfr. Blaubeuren, 1941–45 Soldat, Kriegsgefangenschaft, 1947–49 Redakteur des „Sonntagsblatts“ Hamburg, 1949 Stadtjugendpfr. Stuttgart, 1950–55 Pressereferent der AGEJD, 1952–64 Chefredakteur der „Jungen Stimme“, 1956–58 stellv. Vors., 1958–67 Vors. des Jugendpolitischen Ausschusses der AGEJD, Mitglied des Beirats für Innere Führung der Bundeswehr, 1957/58 Soziologiestudium Heidelberg, 1958–72 CDU-Mitglied, 1964/65 stellv. Chefredakteur von „Christ u. Welt“, 1965–70 freier Publizist. STANFIELD, B. M. 284 Prof., Porto Rico, USA. STANGE, Jürgen 451f., 460 Rechtsanwalt, West-Berliner „Rechtsschutzstelle“. STAPEL, Wilhelm 30 geb. 1882, gest. 1954, Schriftsteller, Publizist. STARK, Wilhelm 451 STEINIGER, Peter Alfons 485 geb. 1904, gest. 1980, 1950–70 Prof. für Völkerrecht Humboldt-Universität Berlin. STEINLEIN, Reinhard 593, 827, 861, 872, 922 geb. 1919, 1946 Pfr. Fürstenwalde, 1951 KonsR Berlin-Brandenburg, 1955–78 Mitglied der Kirchenleitung der EKiBB, 1956–69 Sup. Finsterwalde, 1961–67 Synodaler der EKD, 1962–70 Sup. Doberlug-Sonnenwalde, seit 1969 Synodaler des BEK, 1970–84 Sup. Nauen. STEMPEL, Hans 136, 140, 221, 296, 473 geb. 1894, gest. 1970, 1934–46 Pfr. Landau, 1946 theol. Referent im Landeskirchenrat Speyer, 1948–64 Präs. der pfälzischen Landeskirche. STOECKER, Adolf 28, 55 geb. 1835, gest. 1909, evangelischer Pfarrer und Politiker. STÖHR, Martin 364, 487, 586, 723, 756, 763 geb. 1932, Pfr. Wiesbaden-Amöneburg, 1961–69 Studentenpfr. Darmstadt. STOLPE, Manfred 401, 533, 665, 797ff., 803, 810f., 819, 824, 831, 838f., 841, 853, 859, 876, 880, 885, 890, 897, 899, 903ff., 922 geb. 1936, 1955–59 Jurastudium Jena, 1959–62 Referendar der EKU, seit 1963 persönlicher Referent des Vors. der Kirchenleitung (Region Ost) der EKiBB, seit 1964 KonsR im Konsistorium Berlin-Brandenburg, 1962–69 Leiter der Geschäftsstelle der KKL, 1969 OKonsR, 1969–81 Leiter des Sekretariats des BEK. STOLTENBERG, Gerhard 639 geb. 1928, gest. 2001, 1965–69 Bundesminister für Wissenschaft u. Forschung (CDU). STOPH, Willi 243, 449, 457, 578, 588, 592 geb. 1914, gest. 1999, 1950–89 Mitglied, 1950–53 Sekretär des ZK der SED, 1953–89 Mitglied

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des Politbüros, 1952–55 Minister des Innern, 1954–62 stellv. Vors. des Ministerrates, 1956–60 Minister für Nationale Verteidigung, 1962–64 stellv. Vors. des Ministerrats, 1963/64 Mitglied des Staatsrates, 1964–73 Vors. des Ministerrates. STRACHOTTA, Fritz Günter 675 geb. 1913, 1961–68 Stadtjugendpfr. Ost-Berlin, 1963–67 Mitglied des GKA der AGEJD. STRATENWERTH, Gerhard 138 geb. 1898, gest. 1988, 1948–66 Vizepräs. des Kirchl. Außenamtes der EKD. STRAUSS, Franz Josef 242, 492, 621, 654, 684, 698 geb. 1915, gest. 1988, 1952–61 stellv. Vors., danach Vors. der CSU, 1953–55 Minister für Sonderaufgaben, 1955/56 für Atomfragen, 1956–62 für Verteidigung, 1966–69 Finanzminister. STRAUSS, Walter 180 geb. 1900, gest. 1976, 1949–62 Staatssekretär im Bundesjustizministerium. STRECK 153 Kirchenamtmann im LKA der Braunschweigischen ev.-luth. Landeskirche. STREIT, Josef 451, 460 geb. 1911, gest. 1987, 1961–86 Generalstaatsanwalt der DDR. STROH, Hans 305, 396, 420 geb. 1908, gest. 1989, 1946–51 Studentenpfr. Tübingen, 1951–64 Studienleiter an der Ev. Akademie Bad Boll, 1962–64 Vors. des VR der ESGiD, 1964–74 Leiter des Pastoralkollegs Freudenstadt. SUCKER, Wilhelm 296 geb. 1905, gest. 1968, 1949 Gründer u. Leiter des Konfessionskundlichen Instituts der EKD, ab 1950 Mitglied der Kirchenleitung Hessen-Nassau. TANNERT, Werner 396, 419, 657 geb. 1923, gest. 1978, 1956–60 Pfr. Frohburg, 1960–66 Pfr. u. Studentenpfr. Dresden, seit 1962 Mitglied des VR der ESGiD, 1966–69 Studiendirektor Predigerseminar Lückendorf. TERPITZ, Werner 199 1955 stud. jur., ESGiD-Hochschulreferent Bonn. THADDEN-TRIEGLAFF, Reinold von 48, 92, 126, 140, 160, 166, 170, 180, 223, 229, 243, 290, 305, 392f., 395f., 657, 731 geb. 1891, gest. 1976, Jurastudium Paris, Leipzig, München, Greifswald, Rittergutsbesitzer auf Trieglaff u. Gruchow, bis 1920 im pommerschen Kommunaldienst, 1920 Dr. jur., bis 1928 Jurist im Verwaltungsdienst, bis 1933 preuß. Landtagsabg. (DNVP), Mitglied des Kreistages von Greifenberg u. stellv. Landrat, 1928–38 Vors. der DCSV, seit 1929 Vizepräs. der pommerschen Provinzsynode u. Mitglied der Preuß. Generalsynode Berlin, seit 1934 Mitglied der BK u. Präses der pommerschen Bekenntnissynode, Gefängnis, 1936–39 u. seit 1946 Vizepräs. der WSCF, 1941–46 Soldat, sowjet. Kriegsgefangenschaft, 1946–48 im Stab des ÖRK Genf, 1946–51 Vors. des VR der ESGiD, danach dessen Präsident, 1948 Vizepräsident des ZA des ÖRK, 1949–64 Präs., 1964–76 Ehrenpräs. des DEKT, 1951–67 Synodaler der EKD. THEDIECK, Franz 195, 248, 445 geb. 1900, gest. 1995, 1949–64 Staatssekretär im BMG. THEISSING, Heinrich 669 geb. 1917, gest. 1988, seit 1965 Domkapitular, 1967–70 Generalvikar Berlin. THIELICKE, Helmut 52, 67, 69, 265, 326, 329, 432f., 538f., 541, 782 geb. 1908, gest. 1986, Theologie- u. Philosophiestudium Greifswald, Marburg, Erlangen, Bonn, 1936 Habilitation, Priv. Doz. für Systematische Theologie Erlangen, Professurvertretung Heidelberg, Vertreter der BK, nach Absetzung 1940 Pfarrverweser Ravensburg, seit 1940 Rede-,

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Schreib- u. Reiseverbot, 1942–45 Leiter des Theol. Amtes der württ. Landeskirche, seit 1945 Prof. für Systematik, Religionsphilosophie, Sozialethik Tübingen, 1954–74 Prof. Hamburg. THIER, Erich 754 geb. 1902, seit 1954 Studienleiter an der Ev. Sozialakademie Friedewald. THIMME, Hans 913 geb. 1909, 1969–77 westfälischer Präses, Mitglied des Rates der EKU. THOMA, Johannes 340, 495 1962 Jugendwart der Methodistenkirche, Mitglied des GKA der AGEJD 1962. THOMA, Rolf 712 Studiensekretär in der Geschäftsstelle der ESGiD Stuttgart, danach Referent im Generalsekretariat der EAiD ebd. TIETZ, Reinhard 487, 501, 715, 723f., 730f. geb. 1932, 1964 Hilfsprediger bei der ESG TU Berlin, 1965 komm. Pfarr-Verweser, seit 1966 Studentenpfr. ebd., 1968–70 Vors. der Studentenpfarrerkonferenz der ESG, Leiter des Amtes für Industrie- u. Sozialarbeit der EKiBB. TILGNER, Wolfgang 571 Pfarrer des westfälischen Landeskirche. TILLICH, Paul 563, 566, 625 geb. 1886, gest. 1965, deutsch-amerikanischer ev. Theologe und Religionsphilosoph. TILLMANNS, Robert 62, 92, 98, 166, 174f., 188 geb. 1896, gest. 1955, 1945–49 Generalsekretär des Hilfswerks der EKD, Leiter des Zentralbüros Ost, 1949–55 MdB (CDU), 1949–55 Vors. der KföV der EKD, 1953–55 Bundesminister für Sonderaufgaben. TISCH, Harry 596f. geb. 1927, gest. 1995, 1961–75 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Rostock, 1963–89 Mitglied des ZK der SED. TOEPLITZ, Heinrich 685ff. geb. 1914, 1966–89 stellv. Vors. der CDU, 1960–86 Präs. des Obersten Gerichts der DDR. TREBLIN, Heinrich 561 geb. 1911, 1936/37 Leiter des Büros der Schlesischen BK Breslau, 1940–45 Soldat, 1946/47 Pfr. Breslau, 1947–53 Pfr. u. Kreissynodalvikar Niesky, 1954–56 Pfr. Heppenheim, 1956–74 Alzey, 1959–67 Leiter der Kirchl. Bruderschaft Hessen-Nassau II. TREBS, Herbert 621, 690, 860 geb. 1925, 1963–76 Abg. der Volkskammer (CDU), 1967–90 Prof. für Ökumenische Theologie Humboldt-Universität Berlin. TROELTSCH, Ernst 29 geb. 1865, gest. 1923, Theologe u. Philosoph. TRUMAN, Harry S. 152 geb. 1884, gest. 1972, 1945–52 Präsident der USA. TSCHICHE, Hans-Jochen 476f. geb. 1929, 1956–75 Hilfsprediger bzw. Pfr. Meßdorf. TSCHUIKOW, Wassili J. 136f., 214 geb. 1900, gest. 1982, 1949–53 Oberkommandierender der Sowjet. Streitkräfte in Deutschland und Vorsitzender der Sowjet. Kontrollkommission. UECKERT, Ilse 418 geb. 1927, 1955–64 Geschäftsführerin der Jugendkammer u. der EJD, 1969–72 Mitglied im Vorstand der AGEJD.

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UHDE, Klaus 659, 675, 706f., 710ff., 721 1966/67 Mitarbeiter in der Geschäftsstelle der ESGiD West-Berlin, 1968 Mitarbeiter in der Hochschulkommission der ESGiD. ULBRICHT, Walter 89, 143, 165, 244, 252, 255, 282f., 316f., 323, 379, 416, 436, 438, 440, 442–448, 450, 458, 467f., 474f., 484ff., 491, 578, 585, 599, 627, 661, 671, 677, 682f., 698f., 732, 751, 792, 795, 810, 842, 881, 901 geb. 1893, gest. 1973, 1953–71 1. Sekretär des ZK der SED, danach SED-Vors., 1960–71 Vors. des Nationalen Verteidigungsrates u. bis 1973 Vors. des Staatsrates der DDR. ULOTH, Friedrich 347 VERNER, Paul 678, 684, 686, 815, 836, 865, 914 geb. 1911, gest. 1986, 1950–53 Sekretär des ZK der SED, 1953–58 Leiter der Westabteilung des ZK der SED, seit 1958 erneut Sekretär des ZK der SED, bis 1984 verantwortlich für Kirchenfragen, 1959–71 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin, 1958–63 Kandidat, 1963–84 Mitglied des Politbüros des ZK der SED. VERWIEBE, Walter 520, 879 geb. 1908, ab 1952 Propst Erfurt, 1955–61 Synodaler der EKD, seit 1965 Mitglied der KföV der EKD. VETÖ, Lájos 465 Bischof der lutherischen Kirche in Ungarn. VISSER ’T HOOFT, Willem 93, 110, 116, 319, 411, 463, 669, 718 geb. 1900, gest. 1985, 1924–31 Mitarbeiter im Weltsekretariat der YMCA, seit 1932 Generalsekretär der WSCF, seit 1938 Generalsekretär des Vorläufigen Ausschusses, 1948–66 Generalsekretär des ÖRK Genf, seit 1968 Ehrenpräs. des ÖRK. VÖLGER, Willy 362 geb. 1893, gest. 1968, Sozialethiker Greifswald. VOGEL, Bernhard 586f. geb. 1932, 1965–67 MdB (CDU), 1967–76 Minister für Unterricht u. Kultus Rheinland-Pfalz. VOGEL, Dieter 591, 648, 721ff., 728, 731, 734f., 763–767 geb. 1942, 1967 Studentischer Obmann der ESGiD, West-Berlin, 1970 Mitglied des VR der ESG in der Bundesrepublik Deutschland u. West-Berlin, 1973 Dr. phil. FU Berlin, Lehrer. VOGEL, Heinrich 127, 232, 239, 270, 273, 326f., 441, 449, 455f., 458, 469, 485, 911 geb. 1902, gest. 1989, Theologiestudium Berlin, Jena, 1928 Pfr. u. Gefängnisseelsorger Oderberg, 1932 Pfr. Dobbrikow, seit 1934 Mitglied der Reichs- u. Preuß. Synode der BK, Gefängnis, 1937–41 Dozent u. Leiter Kirchl. Hochschule Berlin, 1941 Schreibverbot, 1946–72 Prof. für Systematische Theologie Kirchl. Hochschule Berlin, 1946–73 auch Humboldt-Universität Berlin, 1949–73 Synodaler der EKD. VOGEL, Wolfgang 451f., 459f. geb. 1925, seit 1954 Rechtsanwalt Berlin, seit 1962 betraut mit der Lösung humanitärer Fragen im Ost-West-Konflikt. VOIGT, Gottfried 268f., 426, 520, 879, 900 geb. 1914, 1950–58 Studiendirektor am Predigerseminar Lückendorf, seit 1958 Studiendirektor des Predigerseminars St. Pauli Leipzig, Mitglied der Synode u. der KföV der EKD, 1966–79 Dozent am Theologischen Seminar Leipzig. VRIES, Gerhard de 359 WÄTZEL, Paul 626, 629, 631, 798, 808, 822, 827, 833 geb. 1916, gest. 1978, 1946–53 Pfr. Halle, seit 1953 Ephorus des Predigerseminars Wittenberg,

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Mitglied der Kirchenleitung der KPS, Synodaler der EKD, seit 1967 in der Kirchenkanzlei der EKU, 1967–69 Mitglied des Rates der EKD, seit 1969 OKonsR, Referent im Sekretariat des BEK. WALDMANN, Heinz 202, 340 geb. 1916, 1951–58 Provinzialjugendpfr. Naumburg/S., seit 1958 Pfr. Naumburg. WALTER, Christian 396, 675 Diplomingenieur Dresden, seit 1962 Mitglied des VR der ESGiD. WALZ, Hans Hermann 542, 566f. geb. 1914, gest. 1998, 1945 Mitarbeiter in der Ev. Akademie Bad Boll, 1949 Sekretär in der Studienabteilung des ÖRK, 1952–54 stellv. Direktor des Ökumenischen Instituts Bossey, 1954–81 Generalsekretär des DEKT. WANDEL, Paul 220 geb. 1905, gest. 1995, 1953–57 Sekretär für Kultur u. Erziehung des ZK der SED. WANTULA, Andrzej 465 Bischof der evangelisch-augsburgischen Kirche in Polen. WARMERS, Erich 562f. geb. 1925, gest. 2000, 1960–71 Pfr. für Volksmission u. Sozialarbeit Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig, Leiter des Öffentlichkeitsdienstes ebd. WARNS, Eberhard 417 geb. 1927, 1954–69 Landesbeauftragter f. Schulwochenarbeit in Westfalen, 1958–66 Mitglied des GKA der AGEJD, 1969–80 Pfr. Soest. WEBER, Gerhard 508, 750ff. geb. 1932, Generalsekretär des Hamburger CVJM, Geschäftsführer des CVJM-Reisedienstes, seit 1974 Vors. der Gesellschaft Bundesrepublik Deutschland/UdSSR Hamburg. WEDEL, Reymar von 408, 451, 458 geb. 1926, 1954–69 jur. Mitglied der Kirchenleitung der EKiBB, 1957–69 KonsR Berlin, seit 1970 freier Anwalt, Justiziar u. Synodaler der EKiBB. WEEBER, Rudolf 629 geb. 1906, gest. 1988, 1949–73 jur. Stellv. des würrt. Landesbischofs, 1967–73 Mitglied des Rates der EKD. WEHNER, Herbert 581f., 590, 621, 631, 641, 690, 698, 720, 735, 784 geb. 1906, gest. 1990, 1949–83 MdB, 1949–66 Vors. des Ausschusses für Gesamtdeutsche u. Berliner Fragen, 1958–73 stellv. SPD-Vors., 1966–69 Minister für gesamtdeutsche Fragen, 1969–83 Fraktionsvors. der SPD. WEISE, Hans 470, 533, 644, 711, 818, 876 geb. 1917, 1953–57 Mitarbeiter im Sektor bzw. in der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED, 1957–82 Hauptabteilungsleiter in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen. WEISS, Konrad 828f., 861, 922 geb. 1907, gest. 1979, 1948–72 Prof. für Neues Testament Rostock, 1961–69 Synodaler der EKD. WEISSER, Elisabeth 417f., 495, 497, 743–747, 769 geb. 1920, gest. 1973, 1951–68 (Haupt-)Geschäftsführerin der AGEJD, 1968 Mitarbeiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung. WEIZSÄCKER, Carl Friedrich von 434, 606, 675 geb. 1912, 1957–69 Prof. u. Direktor des Philosophischen Seminars Hamburg. WEIZSÄCKER, Richard von 575ff., 593, 604f., 609–614, 619f., 622–627, 629–632, 636 geb. 1920, 1939–45 Soldat, 1945–50 Studium der Rechtswissenschaften u. Geschichte Göttingen, 1950–53 wiss. Hilfskraft beim Bergbau der Mannesmann AG Gelsenkirchen, 1953–56

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Mitglied der Rechtsabteilung, 1957 Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung der Mannesmann AG Düsseldorf, 1954 CDU-Eintritt, 1955 Dr. jur., 1958–62 Geschäftsleiter des Bankhauses Waldthausen & Co Essen u. Düsseldorf, 1962–66 Geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens C. H. Böhringer Ingelheim am Rhein, 1962–64 Präsidiumsmitglied, 1964–70 Präs. des DEKT, 1966–84 im Bundesvorstand der CDU, 1968–75 im ZA des ÖRK, 1969–81 MdB, 1969–84 Mitglied der Synode u. des Rates der EKD. WENDELIN, Gerhart 818, 828 geb. 1912, gest. 1984, 1959–75 Pfr. u. Sup. Dresden-Stadt, 1955–69 Synodaler der EKD. WENDLAND, Heinz Dietrich 542f., 571 geb. 1900, gest. 1992, 1937–55 Prof. Kiel, 1939–49 Soldat, Kriegsgefangenschaft, 1955–68 Prof. Münster, 1961–68 Synodaler der EKD. WENDT, Erich 452, 457ff. geb. 1902, gest. 1965, 1957–65 DDR-Staatssekretär für die Koordinierung der Arbeit nach Westberlin. WESCHKE, Manfred 501 WESSEL, Helene 138 geb. 1889, gest. 1969, 1949–51 Vorsitzende der Zentrumspartei, 1952 Mitbegründerin der GVP. WESTRICK, Ludger 606 geb. 1894, gest. 1990, 1964–66 Bundesminister für besondere Aufgaben. WETZEL, Günter 835 geb. 1922, 1968–71 Staatssekretär im BMG/BMB. WEYER, Adam 650, 674f. geb. 1928, gest. 1995, 1961–67 Reichswart der Schülerbibelkreise, 1968–70 Vors. des Ev. Jugendzentrum Höchst/Odenwald, 1968/69 Vors. des Jugendpolitischen Ausschusses der AGEJD, seit 1970 Prof. Duisburg, Fachbereich Ev. Theologie u. ihre Didaktik. WILHELMI, Hans 408 geb. 1899, gest. 1970, 1946–70 Präses der Synode der EKHN, Aufsichtsratsvors. Maschinenfabrik Turner AG, Oberursel, u. Deutsche Vereinigte Schuhmaschinen-GmbH, Frankfurt/M., 1955–67 Synodaler der EKD, 1957–69 MdB (CDU). WILKE, Hans 711, 843, 845 geb. 1932, seit 1958 Referent für Jugend u. Theol. Fakultäten in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen. WILKENS, Erwin 23, 268, 379, 382, 384f., 398, 402, 415, 427–431, 434, 441, 454, 468, 487, 521f., 524, 536, 557, 571, 573, 584f., 603–606, 617, 621f., 624, 627–630, 632, 635, 660, 672, 689, 690, 697, 735, 802, 819, 823, 853, 889 geb. 1914, gest. 2000, 1933–38 Theologiestudium Münster, Tübingen, Göttingen, Mitglied der BK, 1941 Hilfsgeistlicher Hannover, Soldat, 1945–47 Pfr. Hannover u. Vöhrum-Eixe, 1951–64 theol. Referent u. Leiter der Pressestelle im Kirchenamt der VELKD, 1964–74 Referent für Öffentlichkeitsarbeit in der Kirchenkanzlei u. Geschäftsführer der KföV der EKD. WILLMANN, Heinz 138 geb. 1906, gest. 1991, 1950–66 Sekretär, später Generalsekretär des Deutschen Friedenskomitees bzw. Friedensrates WILM, Ernst 110, 112, 133f., 138, 140, 147, 169f., 185f., 198, 212, 221, 225, 278, 280, 296, 303, 321, 400, 403, 406f., 440, 454f., 457, 471, 473, 477, 479f., 483f., 557, 583f., 601f., 629, 631, 701, 705, 731, 735, 818, 821, 833, 846, 855, 863, 915 geb. 1901, gest. 1989, 1919–24 Theologiestudium Bethel, Tübingen, Greifswald, Halle, 1927 Pfr. Freistatt, 1928 Bethel, 1929 Lüdenscheid, 1931–48 Mennighüffen, Pfr. der BK Westfalen,

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1942 verhaftet, KZ Dachau, 1945 Soldat, sowjet. Kriegsgefangenschaft, 1946 Synodalassessor Herford, 1948–68 westfälischer Präses, 1949–73 Synodaler u. 1957–73 Mitglied im Rat der EKD, 1969–73 Mitglied von dessen „Beratergruppe“. WINTER, Friedrich 297–300 geb. 1927, 1954–60 Studentenpfr. Greifswald, 1960–64 Sup. Grimmen, 1964–1973 Dozent für Praktische Theologie Sprachenkonvikt Ost-Berlin. WINTERMANN, Bernd 657, 756f. geb. 1943, 1965 Berliner Obmann in der Geschäftsstelle der ESGiD, 1972 Dr. phil, danach Gymnasiallehrer. WINZER, Otto 449 geb. 1902, gest. 1975, 1959–65 Staatssekretär u. 1. Stellv. des Außenministers der DDR. WIRTH, Günter 684 geb. 1929, 1960–89 Mitglied des CDU-Hauptvorstandes, 1964–70 Cheflektor im Union Verlag Berlin. WISCHMANN, Adolf 403, 410, 464 geb. 1908, gest. 1983, 1956–74 Leiter des Kirchl. Außenamtes der EKD. WISSING 460 WITTRAM, Reinhard 181 geb. 1902, gest. 1973, ab 1955 Prof. für Mittlere, Neuere u. Osteuropäische Geschichte Göttingen. WÖBBEKING, Gerhard 890 1969/70 Mitarbeiter in der Geschäftsstelle der ESG Stuttgart. WÖLBER, Hans-Otto 456, 629, 637, 696, 698, 731f. geb. 1913, gest. 1989, 1945 LJP Hamburg, Beauftragter für Jugendarbeit der EKD, 1956 Hauptpastor Hamburg, 1959–64 Stellv. des Bischofs, 1964–83 Hamburger Bischof, seit 1961 Synodaler der EKD, 1969–75 Leitender Bischof der VELKD. WOELKE, Willy 385, 810, 830, 878f., 883 geb. 1905, gest. 1976, 1947 OKonsR Greifswald, 1950 ständiger Vertreter des Vors. des Greifswalder Konsistoriums, 1958–72 Vizepräs. ebd. WOLF, Ernst 73, 571, 718 geb. 1902, gest. 1971, 1945–57 Prof. für Kirchengeschichte Göttingen, seit 1957 Prof. für Systematische Theologie ebd. WOLFF, Reinhart 591f. geb. 1939, 1962/63 na. Hochschulreferent der ESGiD, seit 1977 Prof. Alice Salomon Fachhochschule für Sozialarbeit u. Sozialpädagogik Berlin. WONNEBERGER, Erhard 340, 495 geb. 1914, 1956–65 LJP Sachsen, Mitglied des GKA der AGEJD. WÜSTEMANN, Adolf 59 geb. 1901, gest. 1965, 1945–62 Bischof der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck. WULF, Petra 495 Mitarbeiterin der Mädchenbibelkreise, 1962 Mitglied des GKA der AGEJD. WURM, Theophil 25, 35ff., 41, 53, 55, 57, 59ff., 66, 75–78, 84f., 143, 206 geb. 1868, gest. 1953, Theologiestudium Tübingen, 1899–1901 Pfr. Ev. Gesellschaft Stuttgart, 1901 geschäftsführender Sekretär ebd. u. Leiter der Stadtmission, seit 1913 Pfr. Ravensburg, 1920 MdL (DNVP) Württemberg, 1920–27 Dekan Reutlingen, 1927–29 Prälat Heilbronn, 1929–49 württ. Kirchenpräs. (seit 1933 Titel „Landesbischof“), seit 1934 führendes Mitglied

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der BK, 1936 Gründungsmitglied des Rates der Ev.-Luth. Kirche Deutschlands, seit 1941 führend im „Kirchlichen Einigungswerk“, 1945–49 Vors. des Rates der EKD. ZAHN, Friedrich von 197, 266, 445, 477, 529 geb. 1902, 1949–67 BMG, dort 1949–64 Leiter des Referats I 4 bzw. (ab 1958) I 6 (Kultur- und volkspolitische Fragen, ab 1953: Kultur, Jugend, Sport, Frauenfragen, ab 1954: Kultur- und Volkstumsfragen, ab 1958: Kulturelle Angelegenheiten), 1958–66 (bis 1964 zusätzlich) Leiter der Unterabteilung I B (Kulturfragen, Betreuungsmaßnahmen), 1966–67 Leiter der Abteilung II (SBZ, Ostgebiete, Förderung des gesamtdeutschen Gedankens, ab 1967: Politik, Öffentlichkeitsarbeit). ZAHRNT, Heinz 182 geb. 1915, 1946–50 Studentenpfr. Kiel, 1950–73 theol. Chefredakteur des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblattes“. ZEEK, Alex 395 ZIAK, Andrej 480 geb. 1924, Theologe der Evangelischen Kirche in der Slowakei A. B. ZILLESSEN, Horst 571 Referent für Politische Wissenschaft im Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD Bochum, Prof. für Umweltpolitik und Umweltplanung Oldenburg. ZILZ, Friedrich 797, 831 Sup. Jena, 1961–69 Synodaler der EKD, danach des BEK. ZIMMERMANN, Walter 265, 468 geb. 1902, gest. 1972, 1945 KR, seit 1946 OKR in der Kirchenkanzlei der EKD – Berliner Stelle, 1949–70 Vizepräs. des Luth. Kirchenamtes. ZIMMERMANN, Wolf-Dieter 39, 679 geb. 1911, 1954–76 Prov.-Pfr., Leiter des Ev. Rundfunkdienstes der EKiBB. ZINKE, Johannes 451 geb. 1903, gest. 1968, 1946–68 Leiter der Hauptvertretung Berlin des Deutschen Caritasverbandes, 1952–68 Leiter des Commissariats der Fuldaer Bischofskonferenz Berlin. ZINZENDORF, Nikolaus Ludwig Graf von 475 geb. 1700, gest. 1760, luth.-pietistischer Theologe.