Die Religiosität des Stundenbuches von Rilke: Ein Vortrag [Reprint 2019 ed.] 9783111556796, 9783111186412


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German Pages 47 [48] Year 1926

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Table of contents :
Vorbemerkung
Einleitung
I.
II.
III.
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Die Religiosität des Stundenbuches von Rilke: Ein Vortrag [Reprint 2019 ed.]
 9783111556796, 9783111186412

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Studien zur Geiilesgefchichte und Kultur Im Auftrage der Comenius-Gesellfchaft herausgegeben von Dr. Artur Buchenau -

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Die Religioiität des Stundenbuches von Rilke Ein Vortrag von

Eva Wernick

Berlin und Leipzig 1926

Verlag von Walter de Gruyter & Co. vormals G. J. Göfdien'fche Verlagshandlung / J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer / Karl J. Trübner / Veit & Comp.

Druck von Walter de Gruyter & Co., Berlin W 10

Meiner Mutter

Frau Emmy Wernick zum 18. März 1926

„An das Göttliche glauben die allein, die es felber find." (Hölderlin)

Vorbemerkung. Es erscheint nicht überflüssig zu betonen, daß es sich in diesen Blättern nicht um den K ü n s t l e r Rilke und nicht um das »Stundenbuch« als Werk der D i c h t u n g handelt, sondern allein um den homo religiosus und um das Bekenntnis seiner individuellen religiösen Erlebnisse und Einsichten, soweit es eben in diesem Buche Ausdruck gefunden hat. Es versteht sich daher von selbst, daß die folgende Betrachtung ausschließlich mit religionswissenschaftlichen, nicht aber auch mit literar-ästhetischen Kategorien arbeitet. Im übrigen ist sie auch in solcher Einschränkung nur ein erster Versuch, der sich in anbetracht seines Zweckes jeglichen Anspruches im s t r e n g fachwissenschaftlich-systematischen Sinne enthält. Ich hoffe, dieser Skizze in Kürze eine größere, rein religionsphilosophische und -historische Untersuchung über »Das Gottesproblem bei Rilke« folgen zu lassen, die auch die übrigen Werke von Rainer Maria Rilke einbezieht und genaue Begründungen für das hier Vorgelegte bietet. Das Wagnis, dieses noch so vorläufige Ergebnis meiner Bemühung um einen schwer zugänglichen Gegenstand einem weiteren Kreise anzubieten, unternehme ich nur auf Aufforderung und unter dem eben genannten Vorbehalt. Mit großer Freude aber nehme ich die Gelegenheit wahr, allen zu danken, denen ich in diesem Zusammenhange verpflichtet bin: dem Vorsitzenden der Comenius-Gesellschaft, Herrn Dr. A r t u r B u c h e n a u ; den Mitgliedern und Gästen der Gesellschaft vom 23. Februar und den Kritikern der Berliner Tageszeitungen (Berliner Börsen-Courier Nr. 97 v. 27. II. 26; Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 95 v. 26. II. 26; Der Tag Nr. 48 v. 25. II. 26 und Germania Nr. 93 v. 25. II. 26). Daran schließe ich die Bitte an die sachlich interessierten Leser, mir ihre kritische Stellungnahme zu dem Folgenden zugänglich zu machen. Charlottenburg Carmerstr. 18.

E. W.

Nach der Auffassung von Schleiermacher ist Religion »die wahre Magie der menschlichen Natur, das non plus ultra ihrer Größe«. Es wird damit also, ganz entgegengesetzt der materialistischmechanistischen Weltanschauungsposition, von deren Ausläufern wir ja alle noch betroffen sind, die Religion als die tiefste und äußerste aller Möglichkeiten des menschlichen Wesens aufgefaßt und als das wertmäßig Höchste, das menschlicher Geist zu gewinnen und zu leisten vermag. Von diesem Gesichtspunkte aus, der sich auf vielfältige Weise rechtfertigen läßt, ist die Frage zu beantworten, warum wir es wagen, heute und hier von religiösen Angelegenheiten zu sprechen, — was ja auch gegenwärtig noch manchem als eine gewisse Zumutung erscheinen mag. Es erledigt sich von hier aus die Auffassung derer von selbst, die vom Standpunkte eines mehr oder weniger umfassenden, ihnen selbst aber als fraglos gesichert erscheinenden Wissensbesitzes aus vermeinen: Religion sei doch jedenfalls etwas »Primitives« und »Überlebtes«, dem man höchstens noch eine erzieherische Bedeutung hinsichtlich der moralischen Bändigung des sogenannten »Volkes« zugestehen kann. Wenn wir aber — davon abgesehen — die andere Frage stellen, ob es unserer gegenwärtigen, in mannigfacher Weise höchst bedrängten und gefährdeten Lebenslage gemäß ist, daß wir uns in die schwierige und schwerwiegende Besinnung über die religiöse Problematik einlassen, so muß darauf erwidert werden: Die äußerste Not des äußeren Lebens, in der wir ja fast alle stehen, — die größtenteils wohl geradezu als tragisch empfundene außerordentliche Inanspruchnahme unserer Kräfte durch den Kampf um die bloßen materiellen Voraussetzungen unseres Daseins bedeuten für sehr viele kein Hindernis, sich mit »der Menschheit großen Gegenständen« zu beschäftigen, sondern im Gegenteil: die stärkste Aufforderung dazu. Nämlich für solche, denen es nicht genügt, bloß nicht zu unterliegen; die darum bemüht sind, sich nicht nur im ökonomischen, sondern auch im seelischen, im geistigen, im kulturellen Sinne auf-



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recht zu erhalten und zu steigern. Denen es darauf ankommt: ihr inneres Gleichgewicht wieder herzustellen, einen festen seelischen Punkt zu finden für die zerstreuende und verwirrende Mannigfaltigkeit ihres Erlebens, — und ein Ziel zu gewinnen, das dem Alltäglichen gegenüber höher liegt, und von dem aus alle ihre einzelnen Anstrengungen und Lebensnöte eine Sinnerfülltheit und eine Rechtfertigung erhalten. Von den im eigentlichen Sinne religiös Bewegten unter diesen haben viele ein besonders starkes seelisches Verhältnis gefunden zu R i l k e s »Stundenbuch«, diesem in seiner Totalität einzigartigen Dokument einer besonderen und wahrhaft genialen Frömmigkeit. Ich sage absichtlich nur: viele. Denn ebenso, wie mir die Behauptung als durchaus übertrieben erscheint, daß unsere Zeit sich als eine im eminenten Maße »religiöse« charakterisiert, ebenso muß ich auch die Meinung für sachlich ganz unbegründbar halten: daß sich schlechtweg jeder, weil und soweit er nur überhaupt religiös gestimmt ist, eben deshalb auch unbedingt von der eigentümlichen Religiosität des »Stundenbyches« unmittelbar angesprochen fühlen muß; daß sich jeder moderne religiöse Mensch von der darin bekundeten besonderen Weise der seelischen Haltung, der religiösen Erfahrung und der frömmigkeitsfundierten Stellungnahme nach außen in seinem eigensten Wesen ausgedeutet und geführt fühlen kann. Es gibt, wie überall, auch im Kreise des unzweifelhaft echten religiösen Lebens eine Mehrheit von verschieden bestimmten und gerichteten Typen, die sich charakterologisch und infolgedessen auch in ihren inneren Erfahrungen und in ihren äußeren Haltungnahmen streng voneinander unterscheidenI), — wenn sie auch natürlich ein letztes Einheitliches miteinander verknüpft. Um es mit einem Wort des StB selbst zu sagen: Denn jedem wird ein a n d r e r Gott erscheinen, bis sie erkennen, nah am Weinen, daß durch ihr meilenweites Meinen, durch ihr Vernehmen und Verneinen verschieden nur in hundert Seinen ein Gott wie eine Welle geht. (S. 25)

Man darf also gerechterweise nur sagen und erwarten, daß sich im »Stundenbuche«, — allerdings auf eine höchst repräsentative Art, — ausschließlich die religiös relevanten Tatsachen dargestellt finden, wie sie eben nur für einen besonderen Typus religiöser Einstellung wesentlich und charakteristisch sind. Nur dieses Eine in ') Den Grundriß einer solchen Typologie hoffe ich ebenfalls demnächst vorlegen zu können. Vgl. H e i n r i c h S c h o l z »Religionsphilosophie«, 2. Aufl. Berlin 1 9 2 3 ; ferner die Untersuchung des Phänomenologen K u r t S t a v e n h a g e n »Absolute Stellungnahmen"«. Verlag d. Philos, Akademie, Erlangen 1925.



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seinen Grundzügen herauszustellen, kann im folgenden versucht werden. Und ich kann nur hoffen, daß diejenigen von Ihnen, die sich nach Maßgabe ihrer anders bestimmten seelischen Organisation natürlicherweise nicht persönlich berührt fühlen können, es wenigstens unter psychologischem Gesichtspunkte für einigermaßen von Interesse halten, eine Seele von fremder Artung kennen zu lernen.

Die religiöse Sonderart des »Stundenbuches« ist nun selbstverständlich nicht etwas schlechthin und spontan Neues in der Geistesgeschichte. Sie ist, soweit unsere Kenntnis reicht, in ihren Grundmomenten auch im Abendlande vielfach vertreten gewesen und in der religiösen Literatur mannigfach bezeugt. Es geht, was den seelischen Grundstrom und verschiedene Einzelheiten anbetrifft, ein gerader Weg zu R i l k e : von einigen antiken Mysterien her über Empedokles, P i a t o n , P l o t i n und den Neuplatonismus zu Augustinus und zur mittelalterlichen M y s t i k , insbesondere zu Meister E c k e h a r t , — schließlich über Jakob Böhme und A n g e l u s Silesius zu F i c h t e s Religions- und Schellings Naturphilosophie und zum »magischen Idealismus« des N o v a l i s , überhaupt zum Erlebnis- und Gedankenkreise der Deutschen R o mantik. Einzelne Bezüge finden sich auch zu Goethe und zu S t e f a n George, trotz aller prinzipiellen Wesensfremdheit. Es kann natürlich nicht Aufgabe des geprochenen Wortes sein, diese geistige Verbundenheit R i l k e s nachzuweisen. Im übrigen bleibt selbstverständlich die inhaltliche und formale Originalität des Gesamtwerkes durch solche innere Verwandtschaft ganz unangetastet. Als Ganzes gesehen, verbinden sich im StB drei Kreise religiöser Tatbestände von ganz verschiedenem Sachgehalt: I. Der Inbegriff der r e l i g i ö s - m e t a p h y s i s c h e n , rein spekul a t i v - s y s t e m a t i s c h e n Momente; also gleichsam eine dichterisch gestaltete Theologie. Es ist ja wiederholt behauptet worden, man dürfe das StB nicht im dogmatischen Sinne theologisieren. Das ist aber doch nur mit Einschränkung anzuerkennen. Die Tatsachen sind doch da und müssen ehrlicherweise berücksichtigt werden. Und sie sind notwendig und folgerichtig da, denn Rilke kommt ebenso wenig wie sonst eine religiöse Persönlichkeit ohne alle theoretisch-spekulativen Momente des religiösen Denkens aus. Aber soviel ist richtig: daß das in dieser Hinsicht Vorhandene den Gehalt des StB auch



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nicht annähernd erschöpft, und daß es mithin ganz verfehlt wäre, wollte man die konstruktiv-theoretische Betrachtung bis zur theologie-süchtigen Prinzipienjägerei um jeden Preis übertreiben. II. Weiter kommt hinzu: die Schicht der verschiedenen religiösen E r l e b n i s - P h ä n o m e n e , der rein innerlich-religiösen Ereignisse in der Seele des gott-bewußten Subjektes; also derjenigen Elemente, die Schleiermacher und neuerdings Rudolf Otto bevorzugen, der Marburger Führer der Schule der ErlebnisTheologie, — und mit denen sich die Religionspsychologie hauptsächlich befaßt. III. Und schließlich besteht ein Kreis von Tatsachen, die das prakt i s c h e Leben, die mannigfachen A u ß e n b e z i e h u n g e n der religiös geführten Persönlichkeit betreffen und die besonderen Aufgaben, die dem homo religiosus im Sinne des StB für seinen Weg durch das Leben gestellt sind.

I. Die Erörterung der s p e k u l a t i v e n P a r t i e n ist nun freilich nicht ohne Schwierigkeit. Ich stelle sie also voran, soweit es geht (sie sind ja auch im s a c h l i c h e n Sinne das Prius, während z e i t l i c h für das Subjekt der Erlebnis-Komplex das Vorangehende ist!), muß sie aber später gelegentlich in Einzelheiten wieder aufnehmen und kann sie erst ganz am Schluß zu Ende führen. Es handelt sich um die Frage nach dem Wesen G o t t e s und nach seinem Verhältnis zur ^Velt und zum Menschen. Das StB bietet im Zusammenhang mit dem Worte »Gott« eine außerordentüche Fülle von Bezeichnungen, die einen zunächst verwirrt. Sieht man aber genauer hin, so entdeckt man in dieser Mannigfaltigkeit eine systematische Sinn-Ordnung, in der sich — nebenbei — die verschiedensten Probleme der Fach-Theologie in einer geradezu genialen Weise gelöst finden. Die Frage nach Gott wird im StB nicht einfach, sondern dreifach beantwortet, womit zugleich eine sehr interessante Variante des Trinitäts-Gedankens gegeben ist. i. Zunächst: Gott »an und für sich«, seinem »Wesen« nach ist der schlechthin »unbekannte Gott«. In diesem Betracht ist er, dem Sein wie dem So-Sein nach, das absolut Transzendente, das allem Irdischen vollkommen überlegen und unerreichbar ist. Insbesondere ist es keinem menschlichen Vermögen gegeben, Gott in seinem An-sich zu erfassen, — geschweige denn, es irgendwie adäquat zum Ausdruck zu bringen. Vor dieser radikalen Entzogen-



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heit, dem völligen Hinausliegen über alles Diesseitige, alles Empirische u n d Rationale, vor diesem vollendeten Sich-selbst-Vorbehalten des Eigenwesens versagt jeder Versuch der Bestimmung. Gott wird, was sein An-und-für-sich angeht, schlechthin von keiner Aussage getroffen. Man faßt ihn nicht, wenn man sagt: er ist; oder: er ist etwas; oder: er ist Nichts. Er ist nicht Geistiges und nicht Sinnliches,nicht Kraft nöch Stoff, nicht Seele noch Leben, nicht Person noch Sache. Er ist nicht Idee oder Vernunft oder Verstand; er ist weder Wille noch Tat; weder Logos noch Gesetz.. . . Und doch treffen ihn auch diese Verneinungen nicht. Denn er ist auch weder wesenlos noch leblos, weder Vernunft- noch kraftlos; er ist weder Nicht-Person noch Nicht-Geist usw. Auch die Verneinungen sind zugleich wieder zu verneinen, ohne daß aber damit auch nur ein Mindestes gewonnen wird. Ein alter Satz sagt: »Alles, was man von Gott aussagen kann, das ist er n i c h t ; zugleich aber ist er alles, was man von ihm aussagen kann, auch.« — Dies eben ist die Paradoxie des Transzendenten ! Man kann nur feststellen, daß Gott seinem An-sich nach für die begrenzte, sinnlich-kategoriale Organisation des menschlichen Bewußtseins schlechthin unergreifbar und unbegreifbar ist 1 ). Dieses unaufhebbar incommensurable Über-Seiende, das aller menschlichen Bemühung mit Ja und Nein, mit Behauptung und Absprechung trotzt, — das unzugänglich, unaussagbar und unausdenklich ist, läßt nur einen inhaltslosen, symbolischen Grenz-Ausdruck zu, der auch nicht mehr vermag, als lediglich auf Ihn hinzuzielen. Das ist die Bezeichnung, die schon die sog. »negative Theologie« der christlichen Frühzeit bevorzugte: »der n a m e n l o s e G o t t « . Man denkt an F a u s t s Worte: »Wer darf ihn nennen? Und wer bekennen: Ich glaub ihn? . . . Ich habe keinen Namen.« . . . In demselben Sinne spricht R u d o l f O t t o vom »Ganz-Anderen« 2). Er ist eben nur zu umschreiben als das reine Wesende überhaupt, das allem nur immer Bekannten gegenüber von radikaler Fremdheit ist, — nur eben ungefähr anzusetzen als: die in sich unterschiedslose Total-Einheit, die, zeitlos in ewiger 3) Stille in sich ruhend, alle Möglichkeiten in sich befaßt, und als der unendliche i) Inbegriff *) Vgl. A n g e l u s S i l e s i u s : »Die zarte Gottheit ist ein Nichts und Ü b e r - N i c h t s " . . . »Gott ist ein lauter Nichts; Ihn rührt kein Nun noch H i e r « . . . 2 ) R u d o l f O t t o »Das Heilige« 2 Bde. Bd. I 1924, 12. Aufl. Bd. I I 1923. Verlag Leop. Klotz, Gotha. 3) In zweifachem Sinne kommt Gott »Ewigkeit« zu: a b s o l u t im Sinne der Zeitlosigkeit, Zeitenthobenheit; r e l a t i v , in bezug auf die Welt, im Sinne des ImmerWährens, der unbegrenzten Dauer. •») Ebenso »unendlich«: absolut = transfinit; relativ = infinit.



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den harmonischen Zusammenschluß aller Gegensätze, die versöhnte Ganzheit aller Widersprüche darstellt. (Idee des Sv xai uäv und der »cioncidentia oppositorum« !) In diesem Sinne spricht auch die mittelalterliche M y s t i k von der »qualitätlosen Gottheit«, vom »Abgrund«, von der »Wüste«, • vom »Leeren« oder vom »Nichts« in Gott; so auch Ang. Silesius vom »ungeschaffenen Meer der bloßen Gottheit«. In diesem Sinne spricht der junge L u t h e r vom »Unolienbaren in Gott« und vom »deus absconditus« (im Unterschied von den »facies Dei relevata«; so auch das Stundenbuch !) und ist der Meinung, daß »der Deus ipse nicht nur ü b e r allem, sondern auch w i d e r allen captum humanuni« sei. So spricht K i e r k e g a a r d von der »unendlichen qualitativen Differenz zwischen Gott und Mensch«. Und neuerdings hat K a r l B a r t h seine »dialektische Theologie« auf der spekulativen Idee des unbekannt-transzendenten Gottes aufgebaut. *) Ein Wort von B a s i l i u s lautet schon: »Die Kenntnis des göttlichen Wesens besteht allein in der Einsicht von seiner Unbegreiflichkeit. « In derselben Weise entscheidet sich das Stundenbuch, wenn es heißt: »du dunkelnder Grund' (44), »du Land, nicht zu lichten« (43), »du bist der Wald der Widersprüche« (33), »du bist der große Rätselhafte, um den die Zeit in Zögern steht« (33), »du Ewiger« (56), »du bist der dunkle Unbewußte, von Ewigkeit zu Ewigkeit« (27) »du aber bist und bist und bist, umzittert von der Zeit « (45), »großes, dunkelndes Gewicht an mir und an der Welt« (31), »du Ding der Dinge« (17) (vgl. ens realissimum = Wesen aller Wesen). Und ebenso wenn von Gottes Unerreichbarkeit (22), von seiner unfaßbaren Tiefe (37), seiner Verborgenheit, seiner Zeitentferntheit, Schweigsamkeit und Einsamkeit (80) gesprochen wird. 2. Diese ganz entschlossen formulierte spekulative Idee der absoluten Transzendenz setzt einen strengen Dualismus zwischen Gott und Welt und Gott und Mensch. — Wenn es nun aber für den Menschen in seiner zeitverhafteten Seinsform auch keinen unmittelbaren Zugang zu der absoluten Wesenheit Gottes gibt, so bestehen doch einige Zusammenhänge, die eine gewisse Inbezugsetzung des menschlichen Bewußtseins mit dem Göttlichen ermöglichen, — die Gott für den Menschen wenigstens »betreffbar« machen. Sie gründen sich einmal in der Tatsache des Bestehens der Welt und zum anderen in der Tatsache der eigenen Existenz des Menschen, mit denen sowohl gewisse (seins- und sinnhafte) Ab1) »Der Römerbrief«. V e r l a g Chr. K a i s e r , München. 1924. Vgl. auch K a r l B a r t h »Das W o r t G o t t e s und die Theologie«. V e r l a g Chr. Kaiser, München. 1924.



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hängigkeiten als auch einige aktive Verbindungsmöglichkeiten mitgesetzt sind. Das V e r h ä l t n i s v o n W e l t zu G o t t wird im StB spekulativ als das der Schöpfung zum Schöpfer gefaßt: »die Natur, die du vergänglich s c h u f s t « (59). Und zwar schuf Gott die Welt aus Not, weil er die einsame Souveränität seines gegenstandslosen Nur-ErSelber-Seins nicht mehr ertrug: »Dir war das Nichts wie eine Wunde, da kühltest du sie mit der Welt« (29). Ein Gedanke, der sich in ähnlicher Fassung bei Jakob B ö h m e findet, — anders als bei S i l e s i u s , nach dem Gott die Welt im Spiel erschuf l ), nicht als einer, der des Anderen, des Partners und sei es auch des Gegners, bedarf.... Die Welt bleibt aber für Gott ein Inneres, — denn: »für ihn ist a l l e s i n n e n « (48) »die Dinge in dir« (44)

Durch diese Immanenz-Idee ist jedoch der Gedanke der Transzendenz n i c h t aufgehoben. — Man kann sich diese eigenartige Doppelheit der Prinzipien nur so verdeutlichen, daß man die Welt als Ganzes als eine gesonderte Sphäre im umschließenden All der absoluten Gottheit auffaßt. Zwischen beiden findet kein Übergang und keine Durchbrechung der Wesensgrenzen statt, sondern lediglich eine Art Wechselwirkung zwischen zwei selbständigen Größen aufeinander. — Damit ist auch der D u a l i s m u s nicht preisgegeben, und weder ist die Welt als Ganzes vergöttlicht noch die Gottheit in ihrer Totalität verweltlicht. Es handelt sich im StB weder um Pantheismus noch um Theopantismus. Die Welt ist nur insofern als göttlich anzusprechen, wenn und wo Gott auf sie einwirkt und sie gleichsam göttlich überlichtet. Und auch dort ist sie nicht etwa ein Stück göttlichen W e s e n s , sondern nur ein Produkt göttlicher Kraftwirkung, in dem sich etwas von Seiner Natur widerspiegelt. Das Verhältnis ist ähnlich zu denken, wie das des Künstlers zu seinem Werk, das er aus dem fremden und von ihm getrennt bleibenden Medium des Marmors herausgestaltet, und an dem sich etwas von seinem eigenen individuellen Wesen sinnlich darstellt, ohne daß doch damit Werk und Gestalter identisch würden. Und Gott ist im StB nicht nur m e h r , sondern auch prinzipiell etwas A n d e r e s als die Welt in ihrem aktualisierten Zustande. Also auch der Pan-entheismus kommt nicht in betracht. Das Wie des Schöpfungsvorganges und das Wie der Wechselbeziehung aufeinander ist freilich für uns während der Dauer des irdischen Seins-Stadiums ein undurchschaubares Geheimnis. Wir sind hier, — wie ja auch in den meisten Fällen der bloß irdischen »)

»Dies alles ist ein S p i e l , das sich die Gottheit macht: Sie hat die Kreatur um Ihretwilln erdacht.«



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Vorgänge — ganz allein auf das Daß, auf die Tatsächlichkeit angewiesen, die für uns in gewisser, später zu schildernder Weise erlebbar ist. 3. Ähnlich verhält es sich nun auch mit dem speziellen Verh ä l t n i s s e des Menschen zu Gott. Auch er, als ein Glied der Welt, ist Kreatur Gottes: »Gott spricht zu jedem nur, eh er ihn m a c h t « (42) »an jenem Tage, da du uns begannst« (20)

Aber der Mensch nimmt eine ausgezeichnete Stellung im Kosmos und in der metaphysischen Sinn-Ordnung ein, da er das höchste und feinste Gebilde ist, das aus Gottes Hand hervorging*), — da er mit besonderen, einzigartigen Fähigkeiten ausgestattet wurde, kraft deren ihm eine hervorragende und unvertretbare Rolle im kosmischen Plane bestimmt ist —, eine Rolle, wie sie programmatisch bezeichnet ist in den »Einsetzungsworten« Gottes, wie wir sagen können (S. 42—43). Den Inbegriff der besonderen, in der übrigen Natur nicht gegebenen Vermögen, die den einzigartigen Stand des spezifisch Menschlichen begründen, bezeichnen wir als »Seele«. Damit soll alles umfaßt sein, was wir im einzelnen Geist, Verstand, Vernunft, Gefühl und Wille nennen — einschließlich aller schöpferischen, gestaltenden, bildenden, aller spontan-produktiven Fähigkeiten des Menschen. Die Seele ist es, die den Menschen weit über alle sonstigen Wesen der Welt hinaushebt; und sie begründet sein besonders nahes und umfängliches Verwandtschaftsverhältnis zu Gott. In ihr hat sich Gott ein Gleichnis, ein Analogon im kleinen gesetzt. Der alte spekulative Gedanke der Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen ist im StB wieder aufgenommen; aber in einer recht differenzierten Weise. Nicht, daß der Mensch, so wie er in die Welt eintritt, bereits ein vollendet ausgeprägtes Nachbild des Schöpfers wäre, das keiner Entwicklung und vor allem keiner besonderen Leistung des Menschen mehr bedürfte. Mitgegeben ist vielmehr nur eine verborgene Vorform, eine Anlage, ein in die Tiefe der Seele eingesenkter Keim. Man hat von vornherein nicht mehr als eine Disposition zu einer begrenzten Verebenbildlichung, eine bloße Möglichkeit zur Ähnlichwerdung. Und es steht dem Menschen zur Wahl und zur Aufgabe, diese immanente Vorform zu der vollendeten Ausprägung zu bringen, die ihm bei Aufbietung aller Kräfte irdisch erreichbar ist. ") »daß ich D i r sehr v e r w a n d t bin — tausendfach« (56). Auch S i l e s i u s : »Ich bin Gotts Ander = E r ; in mir find E r allein, Was Ihm in Ewigkeit wird gleich und ähnlich sein.«



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Es bleiben also auch hier das Transzendenz-Prinzip, die Wesensgeschiedenheit und der Dualismus gewahrt. Und doch besteht dabei eine besonders innige Zuordnung. Der Mensch partizipiert kraft seines gott-entstammenden Seelenkernes irgendwie am Wesen Gottes trotz seiner substantialen Getrenntheit, ähnlich wie man als Kind kraft der übernommenen biologischen Erbmasse am Wesen der natürlichen Eltern partizipiert. Dieses Etwas von Gott her ist in jeder menschlichen Seele da, gleichviel wie umfänglich sie "sonst ist und gleichviel, ob sie schon darum weiß oder nicht. Gleichviel auch, ob sie sich seiner Ausbildung widmet oder nicht. Spürbar wird es jedenfalls für Jeden irgendwann einmal. Denn dieser mitgegebene Keim, in dem sich die H e r k u n f t der Seele von Gott, ihr Anteilhaben an ihm und ihre Anlage zu ihm hin bekunden, ist ja auch die bewegende Ursache der Strebung zu Gott hin, des dunklen Dranges und der Sehnsucht, des höheren Heimwehs und der Unruhe zu Gott, die A u g u s t i n u s meisterhaft geschildert hat. Von diesem Gott-Hunger, diesem sucherischen Verlangen nach dem »Eigentlichen« bleibt keine Seele im Ablauf ihres Lebens ausgeschlossen — auch die stumpfeste nicht. Und der Gottesfunke in ihrer Tiefe der sie unverlierbar auf Gott zurückbezieht, ist der Stachel zu solcher Bewegtheit. — Soviel zunächst über die religiöse Metaphysik des Stundenbuches. II. Der zweite Tatsachenkreis ist der der religiösen E r l e b n i s s e , in denen das Subjekt die Gottheit zwar nicht in ihrem Wesen, wohl aber in ihrer Kraftwirkung auf die Seele ergreift. Es ist diejenige Partie des StB, die allein als die im engeren Sinne »mystische« bezeichnet werden kann. Und es handelt sich hier vorzugsweise um einen Typus kontemplativer Mystik. Das Affektiv-Emotionale spielt nur sekundär bei der Wirkung des GottErlebens eine Rolle. Im übrigen handelt es sich nicht um WesensEinigung zwischen Gott und Mensch, also nicht um die unio mystica im strengen Sinne, sondern nur um Gott-Berührung, die das Transzendenz-Prinzip nicht durchbricht, sondern nach der Analogie des *) S t i m m e e i n e s j u n g e n B r u d e r s (S. 1 8 — 1 9 ) : »Ich habe auf einmal so viele Sinne, die alle anders« (in einer nicht-weltlichen Weise !) »durstig sind. Ich fühle mich an hundert Stellen schwellen und schmerzen. Aber am meisten m i t t e n i m H e r z e n . «



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mathematischen Verhältnisses zwischen Tangente und Kreis gedacht werden muß, in dem ja auch kein Identisch-Werden, nicht einmal ein partiales, gesetzt ist, sondern ausschließlich eine unendlich angenäherte Berührung in einem ausdehnungslosen Punkte. — Das frühe Stadium unseres irdischen Lebens charakterisiert sich durch die naive, zweifelsfreie Einigkeit des Erlebens, durch die vertrauensbegründete Schlichtheit und Einfachheit aller Lebensbeziehungen und durch die Dichtigkeit, Geschlossenheit, »innige Indifferenz« (Malte) der kindlichen Seele. Diese Ungebrochenheit, Sicherheit und Geborgenheit, diese stille, unbewußte Gefülltheit des Herzens sind es, die den Anblick echter Kinder so beglückend machen und die dem Erwachsenen eine wehmütige Sehnsucht wie nach einem verlorenen Paradiese, dem Stande der Unschuld und des unangetasteten Glücks, auslösen. (Viele der bedeutungsvollsten Gedichte Rilkes gelten ja gerade der »tiefen, versprechlichen Kindheit').) Dieser einstimmige Seelenzustand nimmt früher oder später mit einer oft schweren Krisis ein Ende. Es findet ein plötzlicher Einbruch statt, der die Einigkeit der Seele zersprengt und das innere Zentrum auflöst. Zweifel und Widerspruch zersetzen den Erschütterten. Er ist »des Lebens vielen Widersinnen« preisgegeben — dem L'ngenügen, dem Leiden, der Unruhe überliefert. Diese Unruhe, sie regt sich unbegriffen von innen her und erregt sich gegenüber dem Außen, das uns plötzlich als fremd, als überwältigend, nicht mehr beherrschbar, ja als feindlich entgegensteht. Mannigfaltigkeit, Zersplitterung und Verwirrung finden wir in uns und um uns. Wir fühlen uns verloren unter Verlorenen, Einzelheit unter lauter beziehungslosen Einzelheiten — hierhin und dorthin gezogen, versucht und verführt . . . Und allemal unbefriedigt und friedlos, auch durch gesteigerte Mühe und Betriebsamkeit nicht wieder zum Einklang und zur Ordnung kommend. Es ist der Zustand des antithetischen Bewußtseins, der Empörung des Ich gegen das Nicht-Ich, des revolutionären Pathos und der völligen Vertrauenslosigkeit . . . Die dennoch Fragen über Fragen, werbende und — liebende, an das Bestrittene und Gehaßte stellt, ohne eine Antwort, eine Hilfe, ein Genügen und eine Beruhigung finden zu können . . . Der Zustand, von dem es im StB heißt: »Icli war mir fremd wie irgend wer« — »Ich war zerstreut: an Widersacher in Stücken war verteilt mein Ich« (52)

J)

Außer in den 5 Gedichtbänden: »Elegien« I V ; V I I .

»Malte«; St. B. S. 89.

Vgl. auch H ö l d e r l i n

»Sonette an Orpheus« 61.

»Hyperion« 3. Brief.

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So, in der pessimistisch gestimmten Verhaftung an die (subjektive) Angst des Irdischen umgetrieben bis zur Erschöpfung, schweifend und suchend immer wieder vor das Nichts gestellt und vom stets erneuerten Drange zu neuen, mit Leiden und Verzweiflungen bezahlten vergeblichen Anstrengungen verführt, werden wir endlich zurückgeworfen in die große, bewußt sich verschließende Einsamkeit des eigenen Selbst. — Und dies eben ist die einzige Rettung: wenn es gelingt, die Einsamkeit im Sinne der Verlassenheit zu wandeln in die andere, in die produktive Einsamkeit der neuen seelischen Selbstgewißheit und Selbständigkeit, in der man dem Außen gegenüber Herrscher und Former ist *). Die Frage ist nun, wie diese Wandlung der inneren Stellungnahme und diese Klärung und Beruhigung des Bewußtseins bis zur schließlichen Gewinnung eines neuen Haltepunktes und einer neuen Einheit zwischen Seele und Welt auf einer höher hinauf reichenden und tiefer gegründeten Stufe erreicht werden kann. — Ein Dichter der Gegenwart Gustav Schüler bekennt: »An allen Wegen steht das Wunderbare«. — Wo findet sich dieses Wunderbare, die Seele von Grund auf Wandelnde auf dem Wege des Stundenbuches ? »In allem tiefsten Verzweifeln Ist höchstes Auferstehn«, heißt es bei Schüler weiter, der diese Auferstehung gegründet sieht in der Wiedergewinnung der Lebensbeziehung zu Gott: *) Genau gesehen handelt es sich um eine s i e b e n - s t u f i g e E i n s a m k e i t im StB. »sieben Seiten Einsamkeit« (44) (wie überhaupt die alte Mysterienzahl 7 auch sonst im StB. eine wichtige Rolle spielt ): 1. G e f ü h l d e r V e r l a s s e n h e i t , mit pessimistischem Akzent; Gefangenschaft in der Bangigkeit um seiner selbst willen, in der rein weltlich bedingten und nur ich-bezüglichen Angst des Irdischen. 2. F r e i w i l l i g e s S i c h - E n t h a l t e n v o n d e r W e l t ; Einkehr in die Tiefe des Ich; Zuflucht ins Inner-Seelische. 3. M y s t i s c h e E i n s a m k e i t des G o t t - E r l e b n i s s e s in der vollendeten »Abgeschiedenheit«; einschließlich der Scheu des Eingeweihten, der Zurückhaltung und des Schweigens vor dem Profanen. 4. Z u s t a n d d e r G o t t - E n t f e r n t h e i t , der »Gottes-Leere«, des Zurückgebliebenseins; Bangigkeit der Seele um Gottes willen; besonders stark als Einsamkeit des Leidens während der »Pilgerschaft« durch das Schicksal der Anderen. 5. E i n s a m k e i t des i n n e r s t e n I c h im p e r s ö n l i c h e n V e r h ä l t n i s zum Anderen, zum D u , — namentlich in der Eros-Beziehung. Undurchdringliche Individualitäts-Sphäre jeder Persönlichkeit; Einsamkeit des seelischen Vorbehaltsgebietes. 6. P r o d u k t i v e E i n s a m k e i t d e r R e i f e , der höchsten Seelenfülle und der vollkommenen, schöpferischen Selbständigkeit gegenüber dem Weltlichen. Einsamkeit der sich-selbst-besitzenden, gelassenen und abstand-haltenden Lebens-, Liebes-, und Leistungs-Meisterschaft. 7. T r a n s z e n d e n t e E i n - s a m k e i t der Einung mit dem Absoluten, des Heimfalls an die Gottheit beim Übergang über die Todeslinie; Einsamkeit des Allesin-Einem beim letzten Ringschlusse. 2



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»Alles 'Leben zittert nach dir hin, du, der Dinge dunkler Anbeginn — Alle Sehnsucht gräbt sich in dich e i n . . . immer tiefer, bis sie d u . . . «

So steht es auch mit dem Menschen des Stundenbuches. Der von der Welt Zurückgewiesene, fremd und unerfüllt Gelassene begreift: »Jetzt mußt du in dein Herz hinaus wie in die Ebene gehn... Die große Einsamkeit beginnt, — die Tage werden taub. Aus deinen Sinnen nimmt der Wind die Welt wie leeres Laub.« (51)

Die nichtigen, sinnlosen Sinnenbilder der Welt — wertlos und kein Genüge gebend, verflüchtigen sich. Es beginnt die Abkehr vom Schattenspiel des Draußen und die Versenkung der Seele in ihre eigenen Tiefen und Weiten. Die Flucht vor der Welt wird Zuflucht zum Ich, freiwillige Enthaltsamkeit von der widerspruchsvollen Vielheit des Sinnlichen zugunsten des Innerlich-Sinnhaften. Dies ist der Punkt der Lebensbewegung, in dem ein entscheidendes Erlebnis ohnegleichen ansetzt. »Denn nur dem E i n s a m e n wird o f f e n b a r t « (25) »Und bin ich lang vom Volk verlassen, so ist's: damit ich g r ö ß e r bin« (34) »Ich komme aus meinen Schwingen heim, mit denen ich m i c h v e r l o r Ich werde w i e d e r s t i l l und s c h l i c h t . E s senkte sich mein Angesicht zu besserem Gebet.« (35—36)

Dieses Still- und Schlichtwerden der Seele in der weltentrückten ünd ich-versunkenen Einsamkeit, das zu einem seelischen Ereignis von höchster Fruchtbarkeit führt, ist es auch, von dem Meister E c k e h a r t spricht in seiner Lehre von der »Abgeschiedenheit« und von der »Geburt Gottes« in der welt-ledigen Seele: »Halte dich abgeschieden von allen Menschen — bleibe ungetrübt von allen aufgenommenen Eindrücken —, mache dich frei von allem, was deinem Wesen eine fremde Zutat geben, dich ans Irdische verhaften und Kummer über dich bringen könnte — und richte dein Gemüt auf ein heilsames Schauen, bei welchem du Gott in Deinem Herzen trägst« (M. E. Ausgabe Büttner I, 67). »Der Menschen Wege sind mannigfach; der eine lebt so, der andere so. Wer aber zu dem höchsten Leben in dieser Zeitlichkeit gelangen will, für den ist Abgeschiedenheit das allerbeste. Denn sie reinigt die Seele, läutert das Gewissen, entzündet das Herz und erweckt den Geist . . . Sie scheidet das Kreatürliche ab und vereint die Seele mit Gott« (67).



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»Auf diese Weise hat die Seele einen heimlichen Zugang in die göttliche Natur, wo ihr alle (irdischen) Dinge zunichte werden« (65)'). Denn hier besteht nach E c k e h a r t die Beziehung notwendigen Aneinandergebundenseins zwischen Gott und Seele: »Je mehr der Mensch sich vom Geschöpf entfernt, desto mehr eilt ihm der Schöpfer zu« (67), in streng gesetzmäßiger Entsprechung. »Gott kann nicht in allen Herzen ganz nach seinem Willen wirken. Denn wenn er auch allmächtig ist, so kann er doch nur wirken, soweit er Bereitschaft vorfindet oder herstellt« (64). »Soll Gott in mein Herz schreiben in vollendeter Weise, so muß alles, was Dieses oder Jenes heißt, aus meinem Herzen fort . . . Denn Gottes geistiger Trost ist zart. Er will sich nur dem erbieten, der sinnlich faßbaren Trost verschmäht« (66). Dann aber kann Gott nicht umhin. Der des Irdischen ledige Geist »zwingt Gott zu sich« 1 ). Ganz ähnlich ist es auch im Stundenbuch. — So versteht sich das seltsame Bekenntnis: »Ich glaube an Nächte« (12), weil ja gerade dann die Abgeschiedenheit am vollkommensten ist. Und so heißt es: »In tiefen Nächten grab ich dich« (80). Denn: »wenn das Licht untergeht, so wird es Abend«, sagt E c k e h a r t . »Wenn alle Welt abfällt, so kommt die Seele in eine Ruhe. Gott aber bedarf nicht mehr, als daß man ihm ein ruhig Herze gebe«. Von hier aus gewinnet auch die vielen wundersamen, bis in die zartesten und verfließenden Feinheiten durchfühlten abendlichen Stimmungen in R i l k e s sonstigen Dichtungen einen tiefen, religiös-metaphysischen Sinn und Untergrund. So versteht sich denn auch die vielfältige Verwendung der Wörter »Dunkel« und »Dunkelheit« im StB. Ja, gerade das Symbolwort »dunkel« hat einen mehrfachen Sinn bei Rilke, der jedesmal in ganz eminent religiöse Tiefen trifft. Es sei hier nur ein kurzer, andeutender Überblick gegeben: 1. ist es das Symbolwort für die spezifisch m y s t i s c h e G e s a m t h a l t u n g der religiösen Person: für die vollkommene Abgeschiedenheit, Weltentferntheit, Sinnenabbiendung und Selbstversunkenheit der Seele, für ihre mystisch vorbereitete und empfängliche Innengestimmtheit. 2. bezeichnet es den heiligen B e z i r k , das adyton in der Seele, den innersten Innenpunkt — der sowohl der von Gott her") Ebenso S i l e s i u s : »Du mußt ganz lauter sein und stehn in einem Nun, Soll Gott in dir sich schaun und sänftiglichen ruhn.« -) Man vgl. vollständig: M e i s t e r E c k e h a r t »Von der Abgeschiedenheit«; »Anweisung zum schauenden Leben«; »Von der ewigen Geburt«; »Von der Vollendung der Seele« in »Schriften und Predigten« Herausg. v. H. Büttner Bd, I, Jena, Diederichs 1921. 2*



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stammende und gott-verwandtschaftsbegriindende Zentral-Kern der Persönlichkeit ist als auch die Stätte, an der das mystische Ereignis der Gott-Berührung stattfindet. 3. ist es das Ideogramm für die in der Erdenzeit unzugängliche c h t h o n i s c h e Sphäre der ursprünglichen Herkunft des Seelengrundes, für die Heimat im transzendenten Gottesbezirk: »Du Dunkelheit, aus der ich stamme« (12). 4. ist es das sakrale Zeichen für den schlechthin unergründbaren numinosen G e g e n s t a n d überhaupt, für das Untreffbare und Unerforschliche in Gott, das dem Menschen in seiner zeitverhafteten und grenzgebundenen Seinsform unbedingt verborgen und verwehrt ist; für Gott, sofern er das absolute Rätsel und Geheimnis selbst ist. In diesem Sinne heißt es im StB: »Du dunkelnder Grund«; »du Land, nicht zu lichten«; »Gott aber dunkelt tief«; »du bist der dunkle Unbewußte von Ewigkeit zu Ewigkeit«; »dein dunkles Sein«, »du dunkle Kraft« — auch: »du stumme Kraft«; und: »Mein Gott ist d u n k e l und wie ein Gewebe von hundert Wurzeln, welche s c h w e i g s a m trinken«... »Du Lied, das wir mit jedem S c h w e i g e n sangen, du d u n k l e s Netz, darin sich flüchtend die Gefühle f a n g e n « . . . (20) u. a.

(8)

5. ist es auch das Symbol-Wort für den e s o t e r i s c h e n B a n n , für die S c h w e i g e p f l i c h t des Gottangerührten und »Eingeweihten« — für die »heilige Scheu< r ); die übrigens in einem seltsam schwierigen Spannungsverhältnis steht zum gleichzeitig auferlegten dichterisch-prophetischen Drange nach Ausdruck, Mitteilung, Verkündung und Seelenführerschaft — von dem sich im StB gleichfalls sehr entschiedene Zeugnisse finden: z. B. »Laß mich den Mund der neuen Messiade, den Tönenden, den Täufer sein« (89). Die klassische Formulierung der Verschwiegenheitsforderung an den Eingeweihten findet sich bei H ö l d e r l i n : »Dem Sterblichen geziemt die Scham. Muß zwischen Tag und Nacht (!) einstmals ein Wahres erscheinen, dreifach u m s c h r e i b e du es, doch u n a u s g e s p r o c h e n auch, wie es da ist, ...

muß es bleiben.«

»Verderblicher denn Schwert und Feuer ist der Menschengeist, der g ö t t e r ä h n l i c h e , wenn er nicht s c h w e i g e n kann und sein G e h e i m n i s unaufgedeckt bewahren.« ») E s sind aber damit noch n i c h t a l l e Bedeutungen des Wortes in Rilkes Gesamtwerk genannt; vgl. ferner: »und dulde stumm, was w i r dir d u n k e l tun« ( S t B 20); u n d : »Blühn ist schön sein; doch wir wollen r e i f e n , und das heißt d u n k e l sein und sich bemühn.« (Neue Ged. I, 59)



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Und im Stundenbuche1) heißt es: »Es ist nichts andres denn ein Schweigen, Und der V e r s c h w i e g e n e ist der, Zu dem sich alle Dinge neigen, von seiner (Gottes) Stärke Strahlen schwer«. Silesius:

(53).

»Gott ist so über alls, daß man nicht sprechen kann; Drum betest du ihn auch mit Schweigen besser an.«

An den Hölderlin-Worten wird übrigens auch deutlich, wie sich die Antinomie zwischen Geheimnis-Bewahrung und VerkündungsGebot löst: nicht aussprechen, sondern umschreiben. Durch den Griff also nach dem Symbol, dem mehrdeutigen Zeichen mit dem teils offenkundigen, teils vorbehaltenen Sinngehalt, dessen eigentliche esoterisch-religiöse Tiefe erst und ausschließlich dem selbst Geweihten im Erlebnis erschlossen wird. So ist es denn in der Tat auch mit dem Stundenbuch. Es ist eine Sammlung sakraler Symbole von exklusivem religiösen Sinn, durch welche spezifische Seelenerlebnisse umschrieben werden, zu denen man einen eigentlichen Zugang erst durch eigene adäquate Erfahrungen findet. Die religiöse Magie der Dunkelheit und des Schweigens ist übrigens ein uralter Erlebnisbesitz der Menschheit. Man darf wohl behaupten, daß es überhaupt keine echte Religiosität der geläuterten und gesteigerten Innerlichkeit gibt, die nicht zu ihr irgendwelche wesentlichen Bezüge hätte. Bei T e r s t e e g e n heißt es: »Herr, rede du allein beim tiefsten Stillesein zu mir im Dunkeln«; und er bezeichnet Gott als »hohe Majestät, die du erhaben wohnst in stiller Ewigkeit, im dunklen Heiligtum«. So auch der liturgische Vers: »Heiliges S c h w e i g e n , aus S t i l l e geboren, Schleuse bist du der t i e f e r e n Flut.«

Erwähnt seien auch: der in manchen Gottesdiensten geübte »schweigende Dienst«, das »kultische Schweigen« und die dahingehenden Bemühungen namentlich von Rudolf O t t o in seinen Vorschlägen zur Erneuerung des evangelischen Gottesdienstes 2 ). — Kehren wir zum Stundenbuche zurück, sofern es in dieser Weise vom religiösen Grunderlebnisse Zeugnis ablegt: ' ) Vgl. auch R i l k e »Sonette« 16: » a l e . . . grüß ich, . . . die schon wußten, was Schweigen heißt«; 2) Vgl. R u d o l f O t t o » Das Heilige, Bd. I I , Aufsätze das Numinose betreffend.« S. 171 ff. Gotha 1923. Ders. »Zur Erneuerung und Ausgestaltung des Gottesdienstes.« Verlag A. Töpelmann, Gießen 1925.

22 »Wenn es nur einmal so g a n z s t i l l e wäre. Wenn das Zufällige und Ungefähre ') verstummte und das nachbarliche Lachen, wenn das Geräusch, das meine Sinne machen, mich nicht so sehr verhindert am Wachen — Dann könnte ich in einem tausendfachen Gedanken bis an deinen Hand dich denken und dich besitzen (nur ein Lächeln lang)« (9—10) »Bei Tag bist du das Hörensagen, das flüsternd um die vielen fließt; die S t i l l e nach dem Stundenschlagen, welche sich langsam wieder schließt. J e mehr der Tag mit immer schwächern Gebärden sich nach A b e n d neigt, je mehr bist du, mein G o t t . . . « (74) »Wer jetzt nicht seine Augen schließen kann, gewiß, daß eine Fülle von Gesichten in i h m nur wartet, bis die N a c h t begann, um sich in s e i n e m D u n k e l aufzurichten, Der ist vergangen wie ein alter M a n n « . . . (78)

Wem dies aber gelingt — wer in williger Hingabe in seine eigene Fülle, in sein eigenes tiefstes Schweigen hineinsinken kann, der erlebt: wie ein schwebendes Gefühl unendlichen Fromm-Seins, unfaßlichen Anders-Werdens, wie eine zarteste Stimmung überprofaner Festlichkeit 2 ) in ihm sich ausbreitet und über ihn durch das Dunkel hinauswächst in eine letzte Ferne 3); »Die Dämmerung, die Zärtlichkeit des Raumes, legt tausend Hände über tausend Scheitel, und unter ihnen w i r d d a s F r e m d e fromm«.

(46)

»Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden, in welchen meine Sinne sich vertiefen... Aus ihnen kommt mir Wissen, daß ich Raum zu einem z w e i t e n z e i t l o s b r e i t e n L e b e n 4) habe.« »Da gehen wie durch dunkle Gassen von Gott Gerüchte durch mein dunkles Blut«. (28)

(8)

Der so Bereitete darf an den Unbekannten und Unerlebten die Frage richten: »Hörst du mich nicht mit allen meinen Sinnen an dir branden ? Siehst du nicht meine Seele, wie sie dicht ") S i l e s i u s : »Der Zufall muß hinweg und aller falsche Schein: Du mußt ganz wesentlich und ungefärbet sein.« ') »Der drängt die Lärmenden aus dem Palast, wird a n d e r s f e s t l i c h « . . . (15) 3) Vgl. das Gedicht von C l e m e n s B r e n t a n o »Sprich aus der Ferne, heimliche W e l t « . . . und die »Hymnen an die Nacht« von N o v a l i s . 4) Idee der Metamorphose der Seele im Transzendenten (»zeitlos!«); Unsterblichkeit!



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vor dir in einem Kleid a u s S t i l l e steht?« (16) »Nur meine Sehnsucht ragt dir bis ans Kinn, und steht vor dir wie aller Engel größter: ein f r e m d e r , bleicher und n o c h u n e r l ö s t e r , Und hält dir seine Flügel hin«. (21)

Und der kann erfahren: daß Gott einem solchen Gebete »sehnender Liebe« sich neigt und den an die »Hymnen, die er schweigt« Verlorenen anrührt und erweckt: »Du, Nachbar G o t t , . . . Ich bin ganz nah. Nur eine schmale Wand ist zwischen uns, durch Z u f a l l ; . . . ein Rufen Deines oder meines Munds, und sie bricht ein, ganz ohne Lärm und Laut.« (9) »eine große K r a f t rührt sich in meiner Nachbarschaft« (12) »Ich fühle Dich. A n meiner Sinne Saum beginnst du z ö g e r n d . . . « (16) *)

Die Einsamkeit, so verstanden, ist also nicht ein negativer und etwa nur leidvoller und entbehrungsreicher Zustand, sondern im Gegenteil: eine höchst positive, wesentliche Verfassung und die unerläßliche Vorbedingung für alles höhere Leben überhaupt. Ohne diese Stufe ist gar kein eigentlicher Persönlichkeits-Wert gewinnbar. Ihr kommt daher ein ein geradezu ausschlaggebender Platz in der Rangordnung menschlichen Schicksals zu. Denn: nur so geschieht es, daß der vom Schöpfer herstammende und bisher verborgene Kern, der sich vorerst nur als unverstandener, ziellos-zentrifugaler »Drang« fühlbar gemacht hatte, daß dieser innerste Innenpunkt und unanschauliche Seelengrund zu voller Bewußtheit freigelegt wird, indem er in der »Abgeschiedenheit« der Ort der göttlichen Krafteinstrahlung, die Stätte des Berührungsereignisses wird. Dieses aliquid in anima, das »Fünklein« des E c k e h a r t , ungewußt immer gehabt, wird in der gott-empfänglichen Stille aufgeweckt, zur Erfahrung gebracht und zur Möglichkeit lebendigschöpferischer Entfaltung befreit. Was also in dem Augenblicke geschieht, den das ledige Gemüt als den fruchtbaren Moment der Gottberührung erlebt, ist — soweit sich dies rational fassen läßt — das plötzliche Innewerden seines !) vgl. R i l k e »Eleg.« I : »Stimmen. Stimmen. Höre, mein Herz, wie sonst nur Heilige hörten Nicht, daß du Gottes ertrügest die Stimme, bei weitem. Aber das Wehende höre, die ununterbrochene Nachricht, die a u s S t i l l e sich bildet.« —



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eigensten inneren Lebensgrundes I ), eines bisher verhüllten, geheimnisvollen Kraftbesitzes, — eines unvergleichlichen Erbes in seiner letzten persönlichen Tiefe, mit dem er, das vereinzelte Individuum, sich zugleich wunderbar zurückbezogen fühlt auf ein ÜberlegenEwiges 2 ), das seiner irdischen Existenz vorausliegt und sie bestimmend umfaßt. In diesem Augenblicke der vollendeten Selbstdurchdringung entdeckt die Seele zugleich ihre Zuordnung zum Transzendenten und vollzieht damit bewußt ihre Einfügung in einen metaphysischen Totalzusammenhang, dessen sie unbewußt von je teilhaftig war. — Das ist das »Wunder in den Wüsten, das A u s g e w a n d e r t e n geschieht« (47). Ein Wunder bleibt es, das vorgeht als ein »Übergroßes«. Denn das W i e dieses Vollzuges ist nur erlebbar. Man hat es; es stößt einem zu. Aber rational durchdringbar ist es nicht. Es ist ebensosehr ein Undurchdenkbares und Unmitteilbares, ein arrheton, wie der I n h a l t dieses momentanen Ereignisses, in dem Gott sich mit dem Ihm konformen »Eigentlichsten« der Seele berührt.. Es kann nur in seiner Tatsächlichkeit hingenommen werden, die als solche aber völlig deutlich und gewiß ist. Ebenso wie die Nachwirkungen dieser mystischen Erfahrung im Gemüt zwingend, unabweisbar und unleugbar sind. Denn dieses Bewußtwerden dessen, daß man ein Glied übergreifender und ewiger, alles Profane übersteigender Zusammenhänge ist und ein Erbe und Verwalter von Kräften, in denen sich in irdischen Maßen ein Göttliches nachbildlich wiederholt: das wirkt im Erlebnis-Augenblick erschütternd und bedeutet eine Umwandlung des Lebensgefühls und der inneren Haltung von Grund aus. Es bricht herein mit allen Schauern des Numinosen, als das »mysterium tremendum«, von dem Rudolf Otto spricht. Es überwältigt die Seele (»du aber kommst und gibst dich hin und f ä l l s t den Flüchtling an« (37)) und versetzt sie in die irrationale Angst des Göttlichen, in den »Gottesschrecken«, der weit unterschieden ist von dem, was wir als »Angst des Irdischen« kennen. Deshalb spricht R i l k e von »Gottes Thron, den ich in S c h a u ern schau« (41). Und darum heißt es, im Zusammenhang auch mit der Schweigepflicht 3): ')

»und wenn einmal d a s L i c h t in mir e n t b r e n n t , mit welchem m e i n e T i e f e dich erkennt« (9) *) »Du bist der Z w e i t e (meiner) Einsamkeit... und jeder Kreis, um dich gezogen, spannt (mir) den Z i r k e l a u s der Zeit.« (15) 3) Vgl. auch: »Denn dich v e r h ü l l e n unsre frommen Hände, so oft dich u n s e r e H e r z e n offen sehn«. (8)



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»Denn wer dich fühlt, kann sich mit dir nicht brüsten; er ist e r s c h r o c k e n , b a n g um d i c h und f l i e h t v o r a l l e n F r e m d e n , die dich merken müßten«. (47) »Und wer dich fühlte,... wird wie der Einzige auf Erden sein: ein Ausgestoßener und ein Vereinter, gesammelt und vergeudet doch zugleich...«

(72)

Erst allmählich gewöhnt sich der so Erschütterte an sein Neu-Sein; erst allmählich gewinnt er den Blick für die andere Seite im Verhältnisse Gottes zur Welt, die nicht Durchbruch, plötzlicher Überfall und Heimsuchung ist in gewalthaft erlebten Eingriffen, sondern die sich als leise, stetige und wachstumsfördernde Kraftaufstrahlung erweist. Von der es heißt: »Du hast so eine l e i s e A r t zu sein« (d. h. relativ, für Weltliches »da« zu sein !) »und jene, die dir laute Namen weihn, sind schon vergessen deiner Nachbarschaft.« (46) »Du willst die Welt nicht anders an dich halten, als so, mit dieser s a n f t e s t e n Gebärde«. (46) »Du hältst mich s e l t s a m z a r t « (31) »Ich danke dir, du tiefe Kraft, die i m m e r l e i s e r mit mir s c h a f f t . . . « (45) »Man kann sich so an dich gewöhnen... »du bist der L e i s e s t e von allen..« (32) —

Um eine Wissensaneignung um das »Wesen« Gottes handelt es sich also nicht. Das »Geheimnis«, mit dem ja überhaupt alle Religiosität steht und fällt, bleibt undurchdringlich; und seine Lösung wird auch nicht begehrt. Die Haltung dessen, der das e c h t e Gotteserlebnis gehabt hat, ist ganz anders, als die der beweisbemühten Rationalisten, der offenbarungsüchtigen Kleingläubigen, der schwankenden Skeptiker und der leugnenden Atheisten: »Ich will von dir keine Eitelkeit, die dich b e w e i s t . Ich weiß, daß die Zeit a n d e r s heißt als du.« (63) »Gerüchte gehn, die dich v e r m u t e n , und Z w e i f e l gehn, die dich verwischen. Die Trägen und die Träumerischen mißtrauen ihren eignen Gluten und wollen, daß die Berge bluten, denn eher glauben sie dich nicht. . . . Du könntest den Bergen die Adern aufschneiden als Zeichen eines großen Gerichts;



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aber dir liegt nichts an den H e i d e n . Du willst nicht streiten mit allen Listen und nicht suchen die Liebe des Lichts; denn dir liegt nichts an den C h r i s t e n . Dir liegt an den F r a g e n d e n nichts. Sanften Gesichts siehst du den T r a g e n d e n zu.« (62—63)

£r weiß, daß von Gott nur die gebilligt sind, die Ihm schöpferisch dienen I ). Nur die f ü r Ihn tragen, werden auch v o n ihm getragen. Er will ihn auch nicht »binden an Bild und Gebärde«. Denn das heißt: ihn versuchen. Und es heißt auch: trennende Mauern zwischen sich und Gott stellen. Die »schmale Wand« zwischen Gott und Mensch: »aus deinen Bildern ist sie aufgebaut«. »Wir bauen Bilder vor dir auf wie Wände, so daß schon tausend Mauern um Dich stehn.«

(8)

Und im Erkenntnissinne wäre es auch eine vergebliche Bemühung, da sich ja Gott darin auch nicht im mindesten einfangen und ausdrücken ließe: Man »stammelt« immer nur »Stücke seines alten Namens 2 )« (11). »Dasi zitterndste Bild, das mir meine Sinne erfinden, du würdest es blind durch dein einfaches Sein übertreiben«

(44)

Es gibt nur eine gültige und fruchtbare Möglichkeit, sich zu Gott zu stellen: »Ich will dich begreifen, wie dich die Erde b e g r e i f t . . . Mit m e i n e m R e i f e n reift dein Reich«. (63)

Sich durch sein ganzes Leben willig und wachsend hin zu wandeln und hin zu steigern zu Ihm; die eigene Person zu Seinem Herrschaftsgebiete zu machen; Seiner dadurch habhaft zu werden, indem man sich Ihm ähnlich gestaltet, indem man Ihn abbildlich in sich nacherzeugt durch Ausreifung des eigenen »höheren Selbst«. Dies führt zum dritten und letzten Teil: den Problemen der Lebensbewährung und der Beziehungen und Verpflichtungen der gottbewußten Persönlichkeit nach außen. — ') »Damit du unvergänglich die Natur, Die du vergänglich schufst, zurückempfängst: Alles wird ewig Die, welche bilden, sind w i e D u . Sie wollen Ewigkeit. Sie sagen: Stein, sei ewig. Und das heißt: sei dein I« (59—60). 2) S i l e s i u s : »Denkst du den Namen Gotts zu sprechen in der Zeit, Man spricht ihn auch nicht aus in einer Ewigkeit.«



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III. »Wenn man w i l l i g durch ein langes Leben nur das E i n e will...« ( N . G . I I , 110)

Das zunächst einmalige Erlebnis der Gottberührung genügt nicht. Es genügte auch nicht die noch so häufige bestätigende Wiederholung. Dies alles ist nur Voraussetzung; ein Anfang. Das Leben erschöpft sich ja nicht im Erlebnis. Dem Durchbruch der Seele zu sich selbst und zur persönlichen Gottbeziehung nach rückwärts muß die Durchsetzung und Behauptung des neugewordenen Menschen in der Praxis folgen: in erster Linie eben das eigene Wachsen, die eigene vollendete, gottgegründete Selbstgestaltung; weiterhin aber sein auf das Göttliche bezogener Dienst in und an der Welt J ). Das Gott-Erlebnis ist nicht selbstgenügsam. Es heiligt wohl, aber es rechtfertigt nicht für immer. Es weist wie ein Befehl nach vorwärts in das noch Ungegebene, in das Aufgegebene hinein und stellt hohe, äußerste Anforderungen an den Willen, an die Entscheidung und Entschiedenheit des von ihm betroffenen Menschen. Wer immer R i l k e den Vorwurf der »Vermönchung« des Lebens und des Quietismus macht, der übersieht völlig, daß es sich bei dem Stadium der »Abgeschiedenheit« — symbolisch: »des mönchischen Lebens« — , nur um eine Vorstufe handelt. Der übersieht gänzlich, wie außerordentlich dynamisch die Lebensanschauung des StB ist, das überall vom Werden und Sich-Bemühen, von Anstrengung, vom Reifen und vom fruchtbringenden Dienst spricht: »Du wirst nur m i t d e r T a t e r f a ß t , mit Händen nur erhellt.« (37) »dienend sich am Irdischen zu üben.« (72)

2)

Eine Stelle aus einem Briefe von R i l k e macht diese Haltung noch besonders deutlich: »Aber sich auf G o t t richten, kann keine andere Bewegung bedeuten, als sich auf die E r d e richten. Das Ziel der ganzen menschlichen Entwicklung ist, Gott und die Erde in demselben Gedanken denken zu können. Die L i e b e zum L e ben und die L i e b e zu G o t t muß zusammenfallen, anstatt wie jetzt verschiedene Tempel auf verschiedenen Anhöhen zu haben; man kann Gott nur anbeten, indem man das L e b e n zur V o l l •) Vgl.

Hölderlin:

»Wir sollen u n s e r n A d e l nicht verleugnen, den T r i e b i n u n s , das Ungebildete Zu bilden n a c h d e m G ö t t l i c h e n i n u n s . 3) Vgl. auch R i l k e »Eleg.« I X : » E r d e , du liebe, ich w i l l . . . Namenlos bin ich zu d i r e n t s c h l o s s e n . «



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k o m m e n h e i t lebt. Ihm immer höhere F o r m e n zu geben, einen immer reicheren Zusammenhang zwischen ihm und dem scheinbar Unbelebten herbeizuführen, dies heißt Gott schaffen; mit anderenWorten: Gott ins Leben hinabsinken oder das Leben zu Gott emporblühen lassen« (in E l l e n K e y »Seelen und Werke«, Berlin 1911, S. 219).— 1. Der unmittelbare Erfolg der Gottberührung nach dem Abklingen der Erschütterung durch das mysterium tremendum ist der Gewinn eines befriedeten Seelenzustandes, die Stimmung des Gesichertseins und der innerlichen Beheimatung: »So bin ich nur als Kind erwacht, so sicher im Vertraun«. (45)

Der einst klagte: »Ich war zerstreut, an Widersacher in Stücken war verteilt mein Ich,« der weiß sich jetzt gesammelt und geschlossen, zu einer neuen Einheit gelangt: »Jetzt bin ich wieder aufgebaut« . . .

(53)

Aber das alles kann wieder verloren gehen. Es k a n n dieser Zustand ein seliger, — er muß aber ein flüchtiger Moment im Erlebnisstrom des Menschen sein. Rein von sich aus vermag er keine Gewähr der Dauer zu bieten. Kein Augenblick, am wenigsten der schöne, verweilt, da in der Sphäre der Zeitlichkeit alles dem »Nimmer-Enden des Immer-Endens« (Natorp) unterworfen ist. Es kann der Mensch wieder völlig hineingerissen werden in die Bedrängnisse, die ihn früher bedroht und vielleicht überwältigt haben. Er kann in ihnen — trotz allem — auch gänzlich untergehen. Dem muß er sich aus eigener K r a f t mit äußerster Anspannung entgegenstemmen. Eine seelische Stabilität kann nur in der Form der steten Erneuerung gewonnen werden. Und dazu gehört Mut 1 ) und straffe Zucht; dazu gehört die heilige Entschlossenheit, das »höhere Herz, das sich quält« (Dostojewski), und der unbedingte Heroismus des Verewigungswillens. Das ist die erste religiöse Innen-Spannung: das ständig geforderte Ringen um Wiedergewinn des in der Gottbeziehung gegründeten Seelenfriedens. Und im Zusammenhange damit: wenn Gott ihn auch berührt hat, so bleibt Er doch damit nicht für alle Zeit in solcher unmittelbaren Nähe. »Und wenn dich einer in

der

N a c h t erfaßt,

so daß du kommen mußt in sein Gebet: Du bist der G a s t , der w i e d e r w e i t e r g e h t « . (80) »Wer kann dich halten, G o t t ? Denn d u b i s t von k e i n e s E i g e n t ü m e r s Hand gestört ...