Die Rechtsphilosophie des deutschen Idealismus: 9 (Schriften Zur Transzendentalphilosophie) 3787309675, 9783787309672

Mit dem vorliegenden Band wurde erstmalig eine Sammlung von Beiträgen in die Reihe Schriften zur Transzendentalphilosoph

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German Pages 176 Year 1989

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Die Rechtsphilosophie des deutschen Idealismus: 9 (Schriften Zur Transzendentalphilosophie)
 3787309675, 9783787309672

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Die Rechtsphilosophie des Deutschen Idealismus In Verbindung mit dem lstituto ltaliano per g li Stud i Filosofici herausgegeben von Vittorio Hösle

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DIE RECHTSPHILOSOPHIE DES DEUTSCHEN IDEALISMUS

SCHRIFTEN ZUR TRANSZENDENTALPHILOSOPHIE Herausgegeben von Gerhard Funke, Klaus Harnmacher, Reinhard Lauth BAND 9

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

DIE RECHTSPHILOSOPHIE DES DEUTSCHEN IDEALISMUS

In Verbindung mit dem Istituto Italiano per gli Studi Filosofici herausgegeben von Vittorio Hösle

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

I1n Digitaldruck »011 de111a11d« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprti11gliche11 Ausgabe ideutisches Exe111plar. Wir bitteu t1111 Verstäuduis für uu,·ermeidliche Ab,veichu11ge11 in der Ausstattuug, die der Eiuzelfertiguug geschuldet siud. \Veitere I11fonuatio11e11 uuter: w,v,v.111ei11er.de/bod.

Bibliographische Inforn1atio11 der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichuet diese Publikation iu der Deutscheu Natioualbibliographie; detaillierte bibliographische Dateu siud itu I11ter11et über abn1fbar. ISBN: 978-3-7873-0967-2 ISBN eBook: 978-3-7873-2848-2

© Felix !\,[einer Verlag G1nbH, Hainburg 1989. Alle Rechte vorbehalteu. Dies gilt auch für Ven·ielfältigungen, Übertragu11ge11, 11fikro,·erfihuu11ge11 uud die Ei11Speichen111g uud Verarbeitung iu elektronischen Syste111e11, soweit es uicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatteu. Gesaiutherstelluug: BoD, Norderstedt. Gedn1ckt auf alten1ngsbestä11digem Werkdn1ckpapier, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Priuted iu Germany. www.mei11e1·.de

Inhalt

Vorbemerkung . . .. . . .. . . . . .. .. . . . . .. . ... . . . .. . . . . . . . . .. . .. . . . .. . . .. . . .

VII

Vittorio Hösle Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vittorio Hösle Was darf und was soll der Staat bestrafen? Überlegungen im Anschluß an Fichtes und Hegels Straftheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Karl-Heinz Nusser Die Moralität in Hegels Rechtsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wolfgang Bartuschat Die Glückseligkeit und das Gute in Hegels Rechtsphilosophie .. . . . . .. . . .. . . .. . . . . .. . . .. . . .. . . . .. . .. . . . . .. . . . .. . .

77

Kurt Seelrnann Zurechnung als Deutung und Zuschreibung - Hegels »Recht der Objektivität« .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. . .. ..

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Stefan Srnid Moral bei Schelling und Hegel . .. .. . .. .. .. .. . .. .. . .. .. .. .. . .. ..

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Wolfgang Schild Hegels Lehre vom Notrecht . .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. . .. .

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Vorbemerkung der Herausgeber

Mit dem vorliegenden Band wird erstmalig eine Sammlung von Beiträgen in die Reihe Schriften zur Transzendentalphilosophie aufgenommen, deren thematischer Schwerpunkt nicht auf der systematischen Erörterung und Fortführung eines transzendentalphilosophischen Ansatzes liegt, sondern auf der kritischen Auseinandersetzung mit der idealistischen, insbesondere der hegelischen Rechtsphilosophie, die sich historisch als Antwort auf und Weiterführung der von Kant und Fichte erreichten Positionen verstand. Die Aufnahme des Bandes in diese Reihe trägt damit der Tatsache Rechnung, daß sich gerade auf dem Gebiet der Rechtsphilosophie die Differenz zwischen transzendentalphilosophi· scher und spekulativer Begründung besonders deutlich und faßbar zeigt, und zwar so, daß die Notwendigkeit und Fruchtbarkeit des transzendentalphilosophischen Ansatzes in einem neuen Licht erscheint. Dem Band soll ein weiterer folgen, der Fichtes Rechtsphilosophie in das Zentrum der Erörterung stellt und in dem auf die Resultate dieser Veröffentlichung Bezug genommen wird. Gerhard funke

Klaus Harnmacher

Reinhard Lauth

Vorwort

Die Rechtsphilosophie des deutschen Idealismus - also Kants, Fichtes, Schellings und Hegels - ist aus verschiedenen Gründen einer der Höhepunkte in der Geschichte philosophischer Besinnung auf das Recht. Die Überzeugung, daß das Recht seine Legitimität nur daraus beziehe, daß es einen bestimmten formal und material ausweisbaren Begriff von Gerechtigkeit verwirkliche, kennzeichnet den ganzen deutschen Idealismus. Sie weist ihn einerseits als Fortsetzung der naturrechtlichen Tradition der Griechen und Römer, des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus, setzt ihn andererseits vom Rechtspositivismus des späten 19. Jahrhunderts und frühen 20. Jahrhunderts ab, dessen verhängnisvolle Folgen in unserem Jahrhundert gerade in Deutschland nicht auf den Bereich der Theorie begrenzt gewesen sind: Kelsens positivistischer Formalismus und Schmitts ebenso leerer Dezisionismus sind die konsequent zu Ende gedachten komplementären Hälften einer Rechtsphilosophie, die jeden Bezug zum Begriff einer in der Vernunft gegründeten materialen Gerechtigkeit verloren hat. Andererseits unterscheidet sich die idealistische Rechtsphilosophie von der vorangegangenen naturrechtlichen Tradition in drei Punkten. 1. Begründungstheoretisch ist eine bis dahin (und seitdem) kaum je wieder erreichte Komplexität und Differenziertheit hervorzuheben. Die überpositiven Standards von Gerechtigkeit, die allein eine Kritik des faktischen Rechts ermöglichen können, werden nicht aus der Natur (und ebensowenig aus der Autorität eines heteronom gefaßten Gottes) bezogen - daß Soll-Sätze aus Ist-

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Sätzen nicht folgen, ist dem deutschen Idealismus mindestens ebenso klar wie Hume gewesen. Der naturalistische Fehlschluß wird vielmehr dadurch vermieden, daß als Basis des Rechts die apriorische, reflexive und unhintergehbare Struktur der Subjektivität (bzw., oft damit nicht befriedigend vermittelt, der Intersubjektivität) fungiert. 2. Dies hat inhaltlich zur Folge, daß das Recht als Verwirklichung von Freiheit verstanden werden kann. Wenn die Grundlage allen Rechts die Struktur von Subjektivität ist, dann ist Recht etwas, das sich - geltungstheoretisch, nicht genetisch - der autonomen Selbstgesetzgebung der Subjektivität verdankt. 3. Im deutschen Idealismus - d .h . insbesondere bei Hegel - gelingt die Integration der großen Entdeckung des 18. Jahrhunderts, der Kategorie der Geschichtlichkeit, in eine apriorische Rechtsphilosophie: Auch wenn das voll entfaltete Vernunftrecht eine höhere Stufe darstellt als frühere Formen des Rechts, so ist es doch geschichtlich notwendig durch diese Stufen vermittelt. Zudem wird im Lauf der Entwicklung des deutschen Idealismus immer mehr anerkannt, daß die Anpassung apriorischer Prinzipien an historische Rahmenbedingungen ein Moment der Kontingenz in das Recht einführt - und damit die Notwendigkeit seiner Positivierung. Ausgezeichnet ist die Rechtsphilosophie des deutschen Idealismus ferner durch ihre Konkretheit. Insbesondere Kant, Fichte und Hegel wollen es nicht bei abstrakten Prinzipien belassen, sondern die Sphären von Privat-, Straf- und öffentlichem Recht in ihrer Gänze philosophisch ausschöpfen. Die juristischen Kenntnisse der genannten Denker sind beeindruckend und in vergleichbarer Form nur von wenigen späteren Philosophen wieder erreicht worden. Ebendiese Vorzüge der idealistischen Rechtsphilosophie machen freilich auch ihre Schwierigkeit aus. Um die Texte dieser Bewegung adäquat zu verstehen, ist philosophisches und juristisches

Vorwort

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Wissen gleichermaßen erforderlich. In Anbetracht dessen stammen die Beiträge vorliegenden Bandes aus der F-eder sowohl von Juristen als auch von Philosophen. Die Abhandlungen gehen auf ein im März 1986 in Hamburg abgehaltenes Studienseminar zurück, das vom Istituto Italiano per gli Studi Filosofici zu Neapel sowie den Seminaren für Rechtsphilosophie bzw. für Strafecht und Kriminologie der Universität Hamburg organisiert wurde. Leiter des Seminars waren Michael Köhler und Kurt Seelmann. Zweck des Seminars war, einerseits italienische Stipendiaten in die Rechtsphilosophie des deutschen Idealismus einzuführen. Als günstig erwies sich dabei, daß von Fichte bis Hegel die wichtigsten Denker des eigentlichen deutschen Idealismus in den Vorträgen präsent waren, etwa auch der sonst im rechtsphilosophischen Zusammenhang stark vernachlässigte Schelling. Andererseits war ein interdisziplinärer Austausch zwischen Juristen (insbesondere Strafrechtlern) und Philosophen eine weitere Zielsetzung des Seminars. Schwerpunkte lagen dabei auf der Strafrechtsphilosophie des deutschen Idealismus und dem »Moralität«-Kapitel der »Grundlinien der Philosophie des Rechts« Hegels, in dem viele strafrechtlich relevante Kategorien erörtert werden. Bei allen Differenzen im Detail kamen die Teilnehmer der Tagung in der Überzeugung überein, daß die idealistische Rechtsphilosophie nicht bloß ein Gegenstand pietätvoller historischer Forschung sein darf, sondern daß sie ein Problemlösungspotential auch bei konkreten rechtsphilosophischen Fragen der Gegenwart bereitstellt, das sich kritisch anzueignen eine unverzichtbare Aufgabe auch und gerade für diejenigen ist, die in Jurisprudenz und Philosophie systematisch arbeiten. Zu erwähnen bleibt noch, daß von den Vorträgen des Studienseminars in diesem Band diejenigen von Ernst Amadeus ½blff und von Michael Köhler fehlen; derjenige von Michael Köhler ist unter dem Titel »Strafbegründung im konkreten Rechtsverhältnis. Die Aufhebung der abstrakten Straftheorie am Leitfaden der hegelschen Rechtsphilosophie« in der Festschrift für Karl Lackner, hrsg. von W Küper, Berlin 1987 erschienen.

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Vittorio Hösle Was d arf und was soll der Staat bestrafen? Überlegungen im Anschluß an Fich tes und Hegels Straftheorien*

Die Frage, was der Staat bestrafen darf und was er bestrafen soll, scheint mir aus verschiedenen Gründen von Interesse zu sein. In erster Linie kann sie eine gewisse rechtspolitische Aktualität beanspruchen: In den letzten zwanzig Jahren sind in zahlreichen europäischen Ländern Strafrechtsreformen durchgeführt worden, die gelegentlich mit großem eman zipatorisch en Pathos bestimmte bisher als Verbrechen oder Vergehen gelten de Taten sei es für nicht strafbar, sei es sogar für nicht rechtswidrig erklärt haben1; die Notwendigkeit weiterer Strafrechtsreformen wird in manchen Staaten zudem fürderhin diskutiert. Zu den Handlungen, die zumindest in einigen Längem entkriminalisiert wurden bzw. bei den en der Druck, sie zu entkriminalisieren, recht groß ist, zählt sehr Verschiedenes: Ich nenne n ur (Beihilfe und Anstiftung zum) Selbstmord, Tötu ng auf Verlangen, Gebrauch und auch Verkauf bestim mter Drogen, Abtreibung, Ehebruch, Inzest, Homosexualität, Sodomie, Verbreitung von Pornographie, Gotteslästerung, Beschimpfung religiöser Bekenntnisse. Nun ist es u nbestreitbar, daß ein Großteil der öffentlichen Diskussion ü ber diese Fragen2 un d gar manche dieser Reformen sinn voll und gut waren. • Ich möchte Herrn Prof. Dr. K. Seelmann für Gespräche und einen längeren Briefwechsel über die Frage dieses Vortrags danken; trotz - oder gerade wegen - mancher Differenzen bei der Beantwortung dieser Frage habe ich sehr viele Anregungen von ihm erhalten. 1 Gleichzeitig hat zumal auf dem Gebiet des Nebenstrafrechts eine nicht unbedenkliche Ausweitung staatlichen Strafens stattgefunden. 2 In der Bundesrepublik Deutschland hat die Debatte um eine Reform des Strafgesetzbuches vom 15.5.1871 - die schon im Kaiserreich und besonders in der Weimarer Republik lebhaft geführt wurde - einen lntensitätshöhepunkt in den 60er Jahren erreicht, als dem Amtlichen Entwurf eines neuen Strafge-

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Die Strafe ist ein so massiver Eingriff des Staates in die Freiheit des einzelnen, daß sie in einem Rechtsstaat sehr zu Recht einem hohen Begründungsdruck unterliegt. Der Staat (auch der demokratische) darf auf keinen Fall nach Belieben Straftatbestände kreieren. Schon auf intuitiver Ebene ist klar, daß es eine Sphäre gibt, die seiner Strafgewalt kategorisch entzogen ist und in die nur ein totalitärer Unrechtsstaat eingreifen kann. Darüber hinaus sollte der strafrechtliche Grundsatz »In dubio pro reo« nicht nur für die einzelne richterliche Subsumtion, sondern auch für die Entscheidung des Strafgesetzgebers gelten, ob er eine bestimmte Handlung kriminalisieren sollte oder nicht - wenn keine rationalen Gründe für die Bestrafung sprechen, sollte der Staat auf sie verzichten3. Zudem ist es auch bei Handlungen, die vom Staat gerechterweise pönalisiert werden können, keineswegs immer zweckmäßig, dies zu tun. Dennoch ist damit nicht gesagt, daß der rasche Entkriminalisierungsprozeß der letzten Jahre in seiner Gesamtheit zu begrüßen ist. Denn umgekehrt ist es intuitiv ebenso klar, daß es auch Fälle gibt, in denen ein Rechtsstaat strafen muß. Nach übereinstimmender Auffassung gibt es nicht nur Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat (status negativus), sondern auch positive Ansprüche (Status positivus), wie etwa auf den Schutz von Leben setzbuches von 1962 (E 1962) ein Alternativ-Entwurf entgegengesetzt wurde, dessen allgemeiner Teil Tübingen 1966, dessen besondere Teile Tübingen 1%8ff. erschienen sind (vorgelegt von J. Baumann u.a.). An Literatur aus dieser Zeit vgl. etwa: J. Baumann, Kleine Streitschriften zur Strafrechtsreform, Bielefeld 1965; ders., Weitere Streitschriften zur Strafrechtsreform, Bielefeld 1%9; ders. (Hrsg.), Programm für ein neues Strafgesetzbuch. Der Alternativ-Entwurf der Strafrechtslehrer, Frankfurt 1968; ders. (Hrsg.), Mißlingt die Strafrechtsreform> Der Bundestag zwischen Regierungsentwurf von 1%2 und Alternativ-Entwurf der Strafrechtslehrer von 1966, Neuwied/Berlin 1%9; L. Reinisch (Hrsg.), Die deutsche Strafrechtsreform, München 1967. Nach dem Inkrafttreten der durch die Gesetze zur Reform des Strafrechts veränderten neuen Fassung des StGB am 1.1.1975 ist die Diskussion a bgeflaut. 3 Ich stimme etwa E. Schmidhäuser durchaus darin zu, »daß w ir mit dem staatlichen Strafen so zurückhaltend wie möglich sein sollten« (Vrnn Sinn der Strafe, Göttingen 21971, 5).

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und Eigentum, und daraus resultiert eine Verpflichtung des Staates zur Strafe bestimmter Handlungen. 4 Ein Staat, der Blutrache zuläßt und diesbezüglich auf sein Recht zu strafen verzichtet, dürfte ebensowenig ein Rechtsstaat sein wie ein Staat, der religiöse Gesinnung verfolgt. Aber wo verläuft die Grenzlinie zwischen dem, was der Staat auf keinen Fall bestrafen darf, und dem, was er zu Recht bestraft, bzw. diejenige zwischen dem, was er zwar bestrafen darf, aber auf dessen Bestrafung er aus Zweckmäßigkeitsgründen verzichten kann, und dem, was er auf jeden Fall bestrafen soll? Diese Frage ist in der einleitend erwähnten Diskussion um die Notwendigkeit einzelner Strafrechtsreformen nur selten in wirklich grundsätzlicher Form gestellt worden, obgleich sie offenbar allen strafrechtspolitischen Einzelfragen zugrunde liegt. Daran mag die heutzutage verbreitete Abneigung gegenüber prinzipiellen Fragen schuld sein; solche - so hört man häufig - vermöchten und bräuchten auch nicht beantwortet zu werden, da die praktische Vernunft sich nur in konkreten Fällen bewähre. Aber gerade der Dissens bezüglich der Notwendigkeit oder auch nur Vertretbarkeit jener Reformen deutet darauf hin, daß die cpc.;6Vl]cnC, bei der Beantwortung dieser Fragen nicht hinreicht; und in der Tat ist offenkundig, daß eine intuitive, gefühlsmäßige Antwort zwar möglicherweise eine oc.;{}i) 66~u, eine richtige Meinung ist, daß sie aber nicht den Status einer begründeten richtigen Meinung und d.h. einer Erkenntnis beanspruchen kann, die auch für andere verbindlich ist. Eben diese Verbindlichkeit ist aber erforderlich, wenn es um rechtliche, insbesondere um strafrechtliche Normen geht. Denn ihnen wird jeder unterworfen, ob er ein formelles Einverständnis mit ihnen ausspricht oder nicht. Normen eines Vereins, 4

C. Jellinek erwähnt als fundamentales Moment des positiven Status zunächst das Recht, »den Richter im eigenen Interesse in Bewegung setzen zu können [.. .) v\lie unentwickelt dieser Rechtsschutz auch in vielen Staaten gewesen sein mag, er hat nirgends gänzlich gemangel t. « Erst an zweiter Stelle nennt Jellinek den »Anspruch auf Verwaltungstätigkeit des Staates im individuellen Interesse« (Allgemeine Staatslehre, Bad Homburg/Berlin/Zürich 31966, 420) .

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in den bzw. aus dem man nach Belieben ein- bzw. austreten kann, mögen auf rationale Nachvollziehbarkeit verzichten können, diejenigen eines mit Rechtszwang ausgestatteten Staates dürfen es nicht. Aber wie sollte jene Frage verbindlich beantwortet werden können? Sicher ist es nicht möglich, dies ad hoc und unvermittelt zu tun. Die Frage setzt vielmehr schon die Klärung und Beantwortung mancher Vorfragen voraus; darin liegt ihre Schwierigkeit, aber auch das theoretische Interesse, das sie - unabhängig von ihrer Aktualität - beanspruchen kann. Die Frage setzt zunächst einmal voraus, daß es - unabhängig von dem, was positiv gilt - Normen gibt, deren Geltungsgrund nicht die Faktizität ist. Ansonsten könnte es keine legitimen Grenzen der staatlichen Strafgewalt und des staatlichen Verzichts auf Strafe geben; alle irgendwie real existierenden, ja auch alle möglichen Rechtssysteme wären als gleichwertig anzuerkennen, und Termini wie »dürfen« und »sollen« (bezogen auf Recht und Staat) wären aus der Sprache zu streichen. Zweitens setzt jene Frage implizit voraus, daß es zwei verschiedene Arten von Normen gibt - rechtliche bzw. rnoralische, deren Verletzung staatlicher Sanktion unterliegt bzw. nicht unterliegt. Gäbe es nicht diese Differenzierung, wäre die Frage dieses Beitrags äquivalent mit der Frage: »Was ist moralisch verboten?«, was nach allgemeiner Auffassung nicht der Fall ist. Doch nicht nur präsupponiert eine Beantwortung jener Frageeine bestimmte Konzeption des Verhältnisses von Recht und Moral; da es der Staat ist, der straft, wird sich in einer Antwort auf jene Frage immer auch eine bestimmte Staatskonzeption ausdrücken. Da die Strafgewalt des Staates wohl diejenige Gewalt ist, die historisch wie begrifflich an seinem Anfang steht - in den meisten traditionellen Rechtsphilosophien ist die Notwendigkeit der Bestrafung von Rechtsbrüchen dasjenige Argument, das die Einführung des Staates motiviert -, ist ein Festlegen der Grenzen der Strafgewalt nicht ohne eine Wesensbestimmung des Staates möglich. Dies folgt außerdem unmittelbar daraus, daß Staat und Recht gewöhnlich als korrelative Begriffe gelten: Die Bestimmung

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der Grenze zwischen Recht und Moral enthält damit zugleich eine Definition des Staates. Und auch wenn man den Staat als Synthese von Recht und Moral konzipiert, gilt das Gesagte in modifizierter Form: Der Begriff des Staates ist auch in diesem Falle eine Funktion des Ortes, an dem jene Grenzlinie verläuft. Es ist nun eine Eigentümlichkeit der gegenwärtigen Philosophie, daß sie größerenteils nicht einmal versucht, auf die Frage nach der Grenzlinie zwischen Moral und Recht eine Antwort zu geben (die offenbar die Voraussetzung wäre für eine Beantwortung der Frage dieser Abhandlung)5. Das hängt primär damit zusammen, daß schon deren Voraussetzung - die Geltung von nicht bloß positiven Normen - im allgemeinen negiert wird6 . Aber selbst jene Richtung, die in der Gegenwart am energischsten an der Möglichkeit einer rationalen Begründung von Normen festhält - die Diskursethik -, hat das Problem jener Grenzlinie bisher noch gar nicht richtig thematisiert. So behandelt selbst A. Wellmer dort, wo er den Unterschied zwischen Recht und Moral erörtert?, in Wahrheit nur die Differenz zwischen positivem Recht und moralischen Normen; auf das Problem einer Abgrenzung des überpositiven Rechts - also des Natur- oder Vemunftrechts - von moralischen Geboten geht er hingegen kaum ein. In einer solchen Situation ist es nicht nur legitim, sondern unumgänglich, zur fundierten Beantwortung der Frage, was der Staat bestrafen dürfe und was er bestrafen solle, in systematischer Ab5

Als neuere Versuche von juristischer Seite seien hier etwa erwähnt E. vVinter, Ethik und Rechtswissenschaft, Berlin 1980 (zu Cohen) und H. Geddert, Recht und Moral, Berlin 1984. 6 In der Tat setzen normative Sätze (als not"'endige, jedoch nicht hinreichende Bedingung) eine nicht-hypothetische-, d.h. letztbegründete apriorische Erkenntnis voraus, und die Möglichkeit einer solchen wird in unserem fallibilistisch-empiristischen Zeitalter von den meisten philosophischen Strömungen bestritten. M.E. ist jedoch die Möglichkeit, ja Notwendigkeit letztbegründeter Erkenntnis unschwer zu beweisen; vgl. dazu meine Überlegungen in: Die Stellung von Hegels Philosophie des objektiven Geistes in seinem System und ihre Aporie (in: Ch. Jermann (Hrsg.), Anspruch und Leistung von Hegels Rechtsphilosophie, Stuttgart-Bad Cannstatt 1987, 11-53). 7 Ethik und Dialog, Frankfurt 1986, 114ff.

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sieht auf klassische Theorien der Philosophiegeschichte zum 'verhältnis von Recht und Moral zurückzugreifen. In der Tat gehört dieses Problem, auch wenn es in der Gegenwart vernachlässigt wird, spätestens seit dem Mittelalter zu den klassischen Fragen der praktischen Philosophie; in der Naturrechtslehre der frühen Neuzeit wird es ausführlich behandelt. Ein Höhepunkt in der Bestimmung dieses Verhältnisses, sowohl was das begründungstheoretische Niveau als auch was die materiale Differenziertheit angeht, ist nun in der klassischen deutschen Philosophie von Kant bis Hegel erreicht. Obgleich diese Strömung viele gemeinsame Momente hat, ist es bemerkenswert, daß sie, gerade was diese Verhältnisbestimmung angeht, zwei voneinander recht unterschiedliche Ansätze entwickelt hat - auf der einen Seite die Kantisch-Fichtesche Konzeption einer strengen Trennung von Legalität und Moralität, auf der anderen Seite d ie Hegelsche Theorie der Sittlichkeit als Synthese von abstraktem Recht und Moralität. Innerhalb dieser verschiedenen Konzeptionen fällt naturgemäß auch die Beantwortung der Frage nach den Grenzen staatlichen Strafens verschieden aus. Vereinfacht läßt sich sagen, daß Fichte (auf den ich mich hier beschränken will, während ich Kant übergehe) insgesamt eine liberale Konzeption vertritt, für die die Strafgewalt des Staates sehr enge Grenzen hat, während Hegel dem Staat - teils ausdrücklich, teils implizit - weitergehende Strafbefugnisse zuspricht. Doch gilt dies nicht durchgängig; es gibt einen Typ von Tatbeständen, deren Strafbarkeit von Fichte mit Nachdruck behauptet wird, während sie mit Hegels Bestimmungen inkompatibel sein dürfte. Im folgenden will ich zunächst Fichtes (1) und dann Hegels (II) Stellungnahmen zur Frage, was der Staat strafen dürfe bzw. solle, darstellen und auf ihre verschiedenen Prämissen zurückzuführen versuchen. Aus Raumgründen verzichte ich dabei auf eine Entwicklung des größeren Kontextes von Fichtes und Hegels Rechts- und Morallehre, ja selbst ihrer Begründungen der Gerechtigkeit der Strafe, die recht unterschiedlich ausfallen - Fichte vertritt eine Präventions-, Hegel (wie Kant) eine Vergeltungstheo-

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rieB. Ich will alsdann die zwischen Fichte und Hegel strittigen Punkte sowie einige in der gegenwärtigen Diskussion umstrittene Problemfälle nach einigen allgemeineren Gruppen ordnen und bei jeder einzelnen Gruppe, Fichtes und Hegels Argumente gegeneinander abwägend, eine Antwort auf die Frage vorschlagen, ob der Staat Tatbestände, die unter diese Gruppe fallen, bestrafen dürfe (bzw. sogar müsse) oder nicht. Da meine Überlegungen sich im Rahmen der Philosophie des deutschen Idealismus bewegen, ich auch als Nicht-Jurist die aktuelle strafrechtliche Diskussion der einzelnen Straftatbestände nicht überschaue und daher nur ganz gelegentlich juristische Sekundärliteratur zu den hier unter philosophischen Gesichtspunkten erörterten Problemfällen zitiere, versteht es sich von selbst, daß der Anspruch dieser meiner Uberlegungen nur ein beschränkter sein kann. Gänzlich überflüssig sind sie vielleicht trotzdem nicht.

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Fichtes Rechtsphilosophie zeichnet sich vor den früheren Rechtsphilosophien der Tradition, ja auch noch derjenigen Kants, durch den energischen Versuch aus, möglichst nichts unbegründet zu Jassen. Auf der Basis der Wissenschaftslehre - Fichtes Transzendentalphilosophie, deren begründungstheoretischer Vorzug gegenüber dem irreflexiven Kantischen Ansatz in ihrer Reflexivität liegt - will Fichte im ersten Hauptstück des ersten Teils seines 8

Ich habe mich dazu schon an anderer Stelle geäußert: Das abstrakte Recht (in: Ch. Jermann (Hrsg.), op. cit., 55-99). Zu Fichtes Straftheorie vgl. R. Zaczyk, Das Strafrecht in der Rechtslehre J. G. Fichtes, Berlin 1981. Wichtige Aktualisierungen von Hegels Stra ftheorie stellen die Abhandlungen von W. Schild (Die Aktualität des Hegelschen Strafbegriffes, in: E. Heintel (Hrsg.), Philosophische Elemente der Tradition des p olitischen Denkens, Wien/München 1979, 199- 233) und K. Seelmann (Hegels Straftheorie in seinen »Grundlinien der Philosophie des Rechts«, in: Juristische Schulung 1979, Heft 10, 687-691) dar. Von Seelmann vgl. neuerdings auch: Hegel und die Strafrechtsph ilosophie der Aufklärung, in: Ch. Jermann (H rsg.), op. cit., 227-237.

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ersten und grundlegenden rechtsphilosophischen Werkes, der »G rundlage des Naturrechts« von 1796/979, alles für den Rechtsbegriff Erforderliche a priori deduzieren. Ausgehend von seinem Prinzip, dem durch Selbstbezüglichkeit und Unhintergehbarkeit ausgezeichneten Ich, versucht Fichte zu beweisen, daß ein endliches Vernunftwesen eine Sinnenwelt außer sich setzen und sich ihr gegenüber eine freie Wirksamkeit zuschreiben müsse(§§ lf.); dies aber sei nur möglich, wenn e r auch andere endliche Vernunftwesen neben sich annehme (§ 3). Der Nerv von Fichtes Beweis, auf den jetzt nicht einzugehen ist 10, beruht darauf, daß ein endliches Selbstbewußtsein nur durch eine Aufforderung zu freier Wirksamkeit gelangen könne; eine solche sei aber nur durch ein anderes Ich denkbar. Das Verhältnis zwischen diesen freien Wesen müsse notwendig als Rechtsverhältnis konzipiert werden, d.h. konkret als Verhältnis wechselseitiger Anerkennung. Denn nur durch die Beschränkung der eigenen Freiheit im Hinblick auf ein anderes Ich könne das erste Ich vom anderen überhaupt als Ich, als Vernunftwesen erkannt werden; es sei aber dem Ich wesentlich, allen anderen Ichs zuzumuten, es als Ich anzuerkennen. Denn nur so - wenn die anderen in ihrer Wirkungssphäre blieben und die meine nicht störten - könne ich auch für die Zukunft darauf rechnen, daß ich meine Freiheit realisieren könne (§ 4). In den Corollaria am Ende von§ 4 legt Fichte großen Wert darauf, daß der so deduzierte Begriff des Rechts rticht aus dem

9 Ich beschränke mich hier auf die »Grundlage« und übergehe die ,,Rechtslehre« von 1812, deren Neuerungen gegenüber der ,,Grundlage« nicht die Frage betreffen, die in dieser Abhandlung thematisch ist. 10 Vgl. dazu C. K. Hunter, Der Interpersonalitätsbeweis in Fichtes früher angewandter praktischer Philosophie, rvteisenheim 1973. - Auch wenn es eine ungeheure Leistung Fichtes ist - etwa gegenüber Kant, aber letztlich gegenüber allen Denkern vor ihm -, das Desiderat einer transzendental philosophischen Begründung von Intersubjektivität erkannt zu haben, ist m.E. sein Beweis nicht schlüssig. Vgl. Verf., Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, 2 Bde., Hamburg 1987, S. 379f., Anm. 85. Auch Hegel - so die Hauptthesi? dieser meiner Arbeit - hat das Problem einer apriorischen Begründung von Intersubjektivität nicht gelöst.

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Sittengesetz gewonnen sei, ja in der scharfen Trennung des Rechtsbegriffs von demjenigen der Moral sieht er eine der wichtigsten Neuerungen seines Ansatzes (III lOf., 54 11). Zumal drei Unterschiede trennen nach ihm Recht und Moral. Erstens gelte das Rechtsgesetz nur hypothetisch, nicht - wie das Sittengesetz kategorisch (9f., 14, 86ff., 94). Es bestehe keine rechtliche Pflicht, in Gemeinschaft zu leben; entscheide man sich jedoch dafür, müsse man das Rechtsgesetz anerkennen. Das Rechtsgesetz - und damit kommen wir zu den materialen Unterschieden - erlaube zweitens nur, daß man sein Recht ausübe, während das Sittengesetz eine bestimmte Handlung gebiete (54; vgl. 96). Dieser Erlaubnischarakter des Rechts ist nach Fichte erforderlich, um das Phänomen adäquat zu verstehen, daß man zwar häufig ein Recht zu etwas habe, das Sittengesetz aber seine Ausübung verbiete ohne daß jenes Recht darum aufhöre, ein Recht zu sein. Der dritte Differenzpunkt schließlich besteht darin, daß das Recht nur ein äußeres Verhalten betreffe, unter keinen Umständen jedoch die innere Gesinnung, die ausschließlich Gegenstand der Moral sei. »Es ist daher nichtig von einem Rechte auf Denkfreiheit, Gewissensfreiheit, u.s.f. zu reden. Es giebt zu d iesen inneren Handlungen ein Vermögen und über sie Pflichten, aber keine Rechte.« (55; vgl. 112) Aus der Fichteschen Entwicklung des Begriffs des Rechts als »eines Verhältnisses zwischen Vernunftwesen« ergibt sich ferner, daß es kein Recht auf Naturobjekte gibt - bzw. nur dann, wenn dies die Beziehung zu einem Dritten tangiert. »Es ist nichtig, von einem Rechte auf die Natur, auf Grund und Boden, auf Thiere, u.s.f. zu reden. Die Vernunft hat über diese nur Gewalt, keinesweges ein Recht, denn es entsteht in dieser Beziehung die Frage gar nicht nach dem Rechte ... Nur wenn mit mir zugleich ein anderer auf dieselbe Sache bezogen wird, entsteht die Frage vom 11

Ich zitiere Fichte nach der Ausgabe seines Sohnes I. H. Fichte (v\lerke, 11 Bde., Berlin 1834-1846, Nachdruck Berlin 1971). Die römische Zahl bezeichnet d ie Band-, die arabische die Seitenzahl.

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Rechte auf die Sache, als eine abgekürzte Rede, statt der, wie sie eigentlich heissen sollte, vom Rechte auf den anderen, ihn vom Gebrauche d ieser Sache abzuschliessen. « (55) Ebensowenig kann es nach Fichte ein Rechtsverhältnis zwischen Vernunftwesen geben, deren Wirkungssphären radikal voneinander getrennt sind - also konkret zwischen Lebenden und Toten. »Man verkennt den Rechtsbegriff ganz, wenn man z.B. von den Rechten Längstverstorbener auf die Lebendigen redet. « (56) Nach einer Deduktion der Anwendbarkeit des Rechtsbegriffes im zweiten Hauptstück des ersten Teils der »Grundlage des Naturrechts«, in der es wesentlich um das Problem der Leiblichkeit geht, behandelt Fichte im dritten Hauptstück d ie eigentliche Rechtslehre. Diese ist dreigeteilt - in die Lehre vom Urrecht, vom Zwangsrecht und vom Staatsrecht. Die Dreiteilung ergibt sich daraus, daß es nicht genügt, die , Urrechte ,, d. h . d ie Rechte, die unmittelbar im Begriff der Person liegen (94), zu deduzieren; es muß auch dafür gesorg t sein, daß diese Rechte von allen respektiert werden. Möglichen Verletzern dieser Rechte gegenüber besteht ein Zwangsrecht - da Anerkennung wechselseitig ist, bin ich nicht zur Anerkennung derjenigen verbunden, die sich selbst nicht an das Recht halten. Ich habe ein Recht, gegen sie vorzugehen - eben das Zwangsrecht. Dieses besteht nach Fichte nicht nur bei realen, gerade geschehenen Rechtsbrüchen, sondern gegenüber allen denen, bei denen man mit einem Vorbehalt rechnen muß, das Rechtsgesetz zu verletzen. Aber wie kann man sicher sein, daß der andere diesen Vorbehalt nicht hat, zumal die innere Gesinnung etwas für den anderen Unzugängliches ist? »Ein Zwangsrecht überhaupt, als allgemeiner Begriff, lässt sich aus dem Rechtsgesetze ohne Mühe ableiten; aber so wie die Anwendung dieses Rechts gezeigt werden soll, verwickelt man sich in einen unauflöslichen Widerspruch; weil der Entscheidungsgrund einer solchen Anwendung in der Sinnenwelt gar nicht gegeben werden kann, sondern in dem Gewissen eines jeden beruht.« (99) Um über diesen Widerspruch hinwegzukommen, ist es nach Fichte unumgänglich, daß man auf die Möglichkeit, die Freiheit des

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anderen zu verletzen, real verzichtet und d.h. sich einem Dritten unterwirft, der mögliche Verletzungen bestraft. Gleichzeitig darf aber diese Unterwerfung nicht eine Aufgabe der eigenen Freiheitsrechte mit sich bringen, da sie ja nur um der Realisierung des Rechtsgesetzes willen geschieht. Die Unterwerfung muß daher mit der Bewahrung der Freiheit vereinbar sein - und das ist nur möglich gegenüber einem gerechten Gesetz, nicht gegenüber den wechselhaften Launen eines Individuums (104). Der Staat ist nun die Macht des Gesetzes, eine Macht, die erforderlich ist, um dem Gesetz Wirklichkeit zu verschaffen. Entscheidend für das Thema dieses Beitrags ist, daß das Zwangsrecht - aus dem die staatliche Strafgewalt ihre Rechtmäßigkeit bezieht - nur gilt gegenüber Verletzungen des Urrechts, und zwar bei jeder solchen Verletzung unweigerlich eintr itt. »Das Zwangsrecht hat seine Grenzen, die freiwillige Unterwerfung des Anderen unter das Rechtsgesetz ist diese Grenze; jeder Zwang über diese Grenze hinaus ist widerrechtlich. Dieser allgemeine Satz ist sogleich einleuchtend. Es ist nur, da wir ein reelles und kein bloss formales Naturrecht lehren, die Frage, ob und wie diese Grenze in der Anwendung sich finden und bestimmen lasse. Ein Zwangsrecht tritt nicht ein, es sey denn ein Urrecht verletzt worden; dann aber tritt es sicher ein, und so ist das Recht überhaupt in jedem bestimmten Falle erweislich.« (96) Aber was ist das Urrecht? Nach Fichte ist es »das absolute Recht der Person, in der Sinnenwelt nur Ursache zu sein (schlechthin nie Bewirktes)« (113). Konkret impliziert dies das Recht auf die Unantastbarkeit meines Leibes (in dem allein ich in der Sinnenwelt bin: 114) und auf die Fortdauer meines Einflusses in der Sinnenwelt, d.h. auf Eigentum (119). Gleichzeitig ist klar, daß ich aufgrund des Rechtsgesetzes meine Freiheit durch den Begriff der Freiheit des anderen beschränken muß. Ich darf daher erstens nicht fremde Leiber meinem Einfluß in der Sinnenwelt unterwerfen (123f.) und muß zweitens die Sphäre meiner Wirksamkeit begrenzen, um dem anderen ebenfalls eine Sphäre zu Jassen. Woran genau jeder einzelne Eigentum haben solle, ist nach Fichte nicht a priori auszumachen,

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sondern einem wechselseitigen Anerkennungsprozeß zu überlassen. Er besteht allerdings darauf, daß nach dem Vernunftrecht jeder von seiner Arbeit leben können müsse. »Sobald also jemand von seiner Arbeit nicht leben kann, ist ihm das, was schlechthin das Seinige ist, nicht gelassen, der Vertrag ist also in Absicht auf ihn völlig aufgehoben, und er ist von diesem Augenblicke an nicht mehr rechtlich verbunden irgend eines Menschen Eigenthum anzuerkennen. Damit nun diese Unsicherheit des Eigenthums durch ihn nicht eintrete, müssen alle von Rechtswegen, und zufolge des Bürgervertrages, abgeben von dem Ihrigen, bis er leben kann.« (213) Aus der Beziehung zwischen Urrecht und Zwangsrecht ergibt sich für Fichte auf die Frage dieser Abhandlung die klare Antwort, daß der Staat alle Verletzungen des Urrechts - und nur sie bestrafen darf. Was fällt genau darunter? Um zunächst im Bereich allgemeiner Bestimmungen zu bleiben, so können für Fichte nicht nur vorsätzliche, sondern auch »unbedachtsame« (fahrlässige) Handlungen Verletzungen des Urrech ts und insofern wohl auch strafbar sein. Seine Argumentation ist jedoch wenig befriedigend, da er von dem Problem der Schuld absieht und ausschließlich objektivistisch argumentiert: Auch durch fahrlässige Verletzungen des Urrechts könne Unsicherheit und Angstlichkeit entstehen (143ff.). Allerdings scheint Fichte später bei fahrlässigen Verletzungen nur Schadensersatz vorzusehen (263f.) - freilich finden sich die entsprechenden Ausführungen im Kapitel über die peinliche Gesetzgebung, so daß man den Eindruck hat, bei Fichte fehle ein klares Bewußtsein von den Unterschieden zwischen zivilund strafrechtlichem Unrecht12 . Während fahrlässige Handlungen immerhin thematisiert sind, vermißt man hingegen eine Stellungnahme zum Problem, ob und wann der Versuch einer strafbaren Handlung bestraft werden solle. Ausführlich ist dafür die Begründung der Strafbarkeit der Verletzung von »Polizei12

Mit Bezug auf III 153 moniert R. Zaczyk zu Recht, bei Fichte scheine »jede Rechtsverletzung strafwürdiges Unrecht« zu sein (op. cit., 90).

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gesetzen«, die die Möglichkeit der Verletzung eines anderen, seine Gefährung, verbieten (239ff.); Fichte denkt dabei an das, was heute Ordnungswidrigkeit heißt. Auffallend ist, daß Fichte zahllose Ordnungswidrigkeiten vorsieht - anders als im eigentlichen Strafrecht ist er im Polizeirecht absolut illiberal. Schließlich behandelt Fichte auch Taten aus Zorn oder Trunkenheit, deren Strafbarkeit er mit Nachdruck bejaht (268)13. Was die besonderen Straftatbestände angeht, so zählen dazu in erster Linie Delikte gegen Leib und Leben der Bürger (gegen deren absolutes Eigentum, wie Fichte schreibt: 270) sowie gegen deren staatlich anerkanntes Eigentum als die beiden Momente des Urrechts. Darüber hinaus sieht Fichte Delikte gegen d ie Ehre vor (246, 284), ohne daß jedoch dieser Begriff schon im Urrecht fundiert wäre. ferner sind nach Fichte Handlungen strafbar, die nicht gegen einzelne Personen gerichtet sind, aber doch gegen denjenigen, der d iese Personen schützt: den Staat. Dieser ist die einzige Institution, gegen die Fichte Straftatbestände vorsieht; ja, nach ihm sind auch Handlungen gegen Leib, Leben und Eigentum einer Person außerhalb von deren Haus mittelbar Handlungen gegen den Staat, der daher auch ohne Strafantrag tätig werden darf und muß (270). Unmittelbar gegen den Staat gerichtet sind Rebellion und Hochverrat (erstere durch Privatpersonen, letzterer durch Staatsorgane). Hochverrat kann auch durch Unterlassung geschehen: »Ob du dich der verliehenen Gewalt selbst zu Gewaltthätigkeiten bedienst, oder ob du durch die Nichtanwendung derselben die Gewaltthätigkeiten anderer verstattest, ist für uns dasselbe. In einem Falle, wie in dem anderen, werden wir unterdrückt.« (270f.) 13

Zwar sei die Entschuldigung, daß hier keine eigentlich vorsätzlichen Handlungen vorlägen, zu akzeptieren - »aber weit entfernt, dass sie vor einer vernünftigen Gesetzgebung das Vergehen mildern sollte, erschwert sie es; in dem Falle nemlich, dass dies ein gewöhnlicher Zustand des Beklagten sey.« In diesem Falle müsse er »seine Freiheit verlieren, bis man seiner Besserung sicher ist, oder ohne Barmherzigkeit ausgeschlossen werden• (268). Hier zeigt sich, daß Fichte die Strafe von Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht unterscheidet; innerhalb seiner (general- und spezial-)präventiven Straftheorie läuft die Strafe im Grunde auf derartige Maßregeln hinaus.

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Interessanterweise sieht jedoch Fichte nicht nur bei Staatsorganen, sondern auch bei Privatpersonen Unterlassungsdelikte vor, und zwar nennt er ausdrücklich unterlassene Hilfeleistung bei rechtswidrigen Angriffen (252) sowie Nichtanzeige schon geschehener Verbrechen (ohnehin durch die öffentlichen Ankläger, aber auch durch Privatpersonen: 249). Das könnte auf den ersten Blick der Fichteschen Trennung von Recht und Moral zu widersprechen scheinen; aber der Schein trügt. Fichte gibt nämlich als Differenzpunkt zwischen beiden nicht an, daß nur das Sittengesetz gebiete, das Rechtsgesetz jedoch verbiete, sondern daß das Sittengesetz gebiete, das Rechtsgesetz dagegen nur erlaube, d ie eigenen Rechte wahrzunehmen. Daraus folgt keineswegs, daß zur Sphäre des Verbotenen nur Handlungen, jedoch keine Unterlassungen gehören könnten. Konkret begründet Fichte seine Ansicht folgendermaßen: Wegen der Möglichkeit des Rechtsbruchs ist ein Eigentumsvertrag der Bürger, in dem diese sich über die Grenzen ihres Eigentums einigen, für die Realisierung des Rechts nicht hinreichend; als zweiter Schritt ist ein Schutzvertrag erforderlich, in dem die Bürger sich gegenseitig Schutz vor Ubergriffen versprechen. »Dieser zweite Vertrag ist dem ersten darin entgegengesetzt, dass der, in Absicht des Eigenthums des Anderen, bloss negative Wille positiv wird. Jeder verspricht n icht nur, wie im ersten Vertrage, sich selbst des Angriffs auf das Eigenthum eines Jeden zu enthalten, sondern noch überdies, es gegen den möglichen Angriff jedes Dritten ihm schützen zu helfen.« (198) Nun ist die Ungewißheit darüber, ob der andere diesen positiven Vertrag in Zukunft wirklich halten wird, nach Fichte der Grund, der zur Einführung des Staates führt; und es ist daher auch für ihn klar, daß es primär Pflicht der Staatsorgane ist, Angriffe gegen Leben und Eigentum eines Bürgers abzuwehren. Sind aber keine Ordnungskräfte zur Stelle, so tritt, gewissermaßen subsidiär, eine Rechtspflicht des einzelnen in Kraft, helfend einzugreifen - und zwar, so scheint es, auch wenn er dabei ein beträchtliches Risiko eingehen muß. »Denn alle Einzelne haben allen Einzelnen versprochen, sie zu schützen. Nun ist der Hülferuf die Ankündigung, dass

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eine Gefahr vorhanden sey, welcher der Stellvertreter der schützenden Macht, der Staat, nicht sogleich abhelfen kann. Jedem Einzelnen wird sonach durch einen Aufruf zur Hülfe nicht nur das Recht, sondern auch die Bürgerpflicht, unmittelbar zu schützen, wieder übertragen. Wem nachgewiesen werden kann, dass er den Ruf gehört und nicht herbeigeeilt, ist strafbar, denn er hat gegen den Bürgervertrag gehandelt; und die Gesetzgebung hat darauf Rücksicht zu nehmen. Diese Hülfe in der Noth ist nicht etwa nur Gewissens- und Christenpflicht; sie ist absolute Bürgerpflicht.« (252; vgl. X 597) Es scheint übrigens, daß für Fichte unterlassene Hilfeleistung nur bei rechtswidrigen Angriffen eines Dritten strafbar sein sollte; bei sonstigen Notlagen - etwa durch Naturkatastrophen - dürfte sie es wohl nicht sein, da sich ja der Schutzvertrag nicht auf solche Fälle erstreckt. Möglicherweise setzt jedoch Fichte eine Erweiterung in diesem Sinne voraus. Mit den bisher genannten Begehungs- und Unterlassungsdelikten gegen Leib, Eigentum und Ehre einer Person sowie gegen den Staat ist nach Fichte im wesentlichen das erschöpft, was der Staat strafen darf. Aber nicht einmal alles Genannte ist nach ihm ohne Ausnahme strafbar. Straflos müssen nach ihm ausgehen erstens Taten im Notwehrzustand - und zwar alles zur Selbstverteidigung Erforderliche, auch wenn es nicht im Verhältnis zum Angriff steht. So beharrt Fichte mit Nachdruck auf der bis heute im deutschen Strafrecht geltenden Konzeption, daß etwa gegen einen Dieb, der mit einer noch so kleinen Beute flieht, mit lebensgefährlichen Mitteln vorgegangen werden darf, wenn keine anderen Möglichkeiten bestehen, ihn dingfest zu machen (250f.; vgl. X 595f.) 14 . Zweitens sind nach Fichte nicht strafbar Taten, die begangen werden, um das eigene Leben zu retten, auch wenn man nicht angegriffen wurde - etwa das Herabstoßen eines anderen Schiffbrüchigen von einem Brett, das nur einen trägt. Solche Handlungen sind nach Fichte nicht rechtmäßig, aber auch 14

Dies soll auch moralisch zulässig, ja geboten sein: IV 307ff. Vgl. allerdings den Vorbehalt X 596.

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nicht strafbar, da die Grundvoraussetzung des Rechts - daß mehrere freie Wesen nebeneinander bestehen können - nicht erfüllt ist. Die entsprechende Situation ist »exemt von aller Rechtsgesetzgebung« (252 f.) . Während aber dies nur Ausnahmen zu sonst anerkannten Straftatbeständen sind - wir würden heute sagen: Rechtfertigungsbzw. Entschuldigungsgründe -, können nach Fichte prinzipiell nicht strafbar sein Handlungen, die weder gegen eine Person noch gegen den Staat gerichtet sind, mögen sie moralisch noch so verwerflich sein 1s. Dazu zählen manche Handlungen, die nicht nur zur Zeit Fichtes Straftatbestände waren, sondern es auch noch zu unserer Zeit sind, und es läßt sich schwerlich bestreiten, daß Fichtes diesbezügliche strafrechtspolitischen Forderungen auch für die meisten heutigen Ohren allzu radikal klingen. Hätte Fichte recht, wäre ein nicht unbeträchtlicher Teil selbst des aufgeklärtesten Strafgesetzbuches naturrechtswidrig. Zunächst verneint Fichte die Strafbarkeit von Handlungen, die gar nicht gegen Rechtss ubjekte gerichtet sind - also erstens von Handlungen gegen Tiere, die einem selbst gehören. Selbst die scheußlichste Tierquälerei darf nach Fichte grundsätzlich nicht bestraft werden, auch wenn sie zu Recht verachtet wird (279; vgl. 55). Zweitens sind Handlungen gegen Tote dazu zu rechnen - denn »die Todten haben keine Rechte« (258; vgl. 56). Zwar ist Fichte bezüglich des Problems der Gültigkeit von Testamenten der Ansicht, daß die Lebenden sich auf deren Gültigkeit einigen können - aber nur wenn sie wollen, denn der Wille der Toten verbindet sie zu nichts, so daß sie ebensogut auch darauf verzichten können (257ff.).

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Ohnehin strafrechtlich irrelevant ist für Fichte die Gesinnung, mit der Handlungen oder Unterlassungen geschehen. ,,Jeder hat nur auf die Legalität des Anderen, keinesweges auf seine Moralität Anspruch.• (140) Dennoch ist Fichte genötigt, dem Staate im Strafprozeß ein Recht auf die Untersuchung der Gesinnung zuzugestehen, da nur auf diese Weise festgestellt werden könne, ob eine Tat etwa Mord oder fahrlässige Tötung sei (264ff.). Die Gesinnung interessiert allerdings hier nur im Zusammenhang mit der Verletzung eines äußeren Rechtsguts.

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Analog wird man wohl im Sinne Fichtes das von ihm nicht ausd rücklich behandelte entsprechende strafrechtliche Problem lösen müssen - man könne etwa Leichenschändung als eigenen Straftatbestand aufführen, aber man könne sie ebensogut als Sachbeschädigung auffassen, die, wenn sie durch die rechtmäßigen Eigentümer oder mit ihrem Willen geschehe, evidenterweise nicht bestr aft werden dürfe. Aber nicht nur Tiere und Tote, auch Neugeborene (und a fortiori nascituri, von denen er allerdings nicht ausdrücklich spricht) sind drittens für Fichte keine Rechtssubjekte, so daß ihre Tötung vom Staat nicht verboten zu werden braucht. »In einigen alten Republiken, welche die zu grosse Vermehrung, besonders der privilegirten Klasse, der eigentlichen Bürgerschaft, zu fürchten hatten, war die Aussetzung der Kinder, vorzüglich der schwächlichen, sonach der mittelbare Kindermord, erlaubt. Sie zu befehlen, hat kein Staat das Recht, denn er darf nichts Unmoralisches, keine Sünde gegen die Natur, befehlen. Auch bloss die Erlaubnis durch ein ausdrückliches Gesetz ist immer unmoralisch, und der Staat entehrt dadurch sich und seine Bürger. Gegen die Verstattung durch das Stillschweigen des Gesetzes aber lässt aus Rechtsgrnden sich schlechterd ings nichts sagen, denn für die Moralität seiner Bürger hat der Staat keine positive Sorge; äussere Rechte aber haben neugeborne Kinder nur dadurch, dass der Staat ihr Leben garantirt, und dies ist er nur insofern schuldig, inwiefern die Möglichkeit seiner eigenen Erhaltung davon abhängt.« (361f.) Interessant ist, daß Fichte dem Selbsterhaltungssystem Staat zwar nicht um der an sich völlig rechtlosen Neugeborenen willen, wohl aber um seiner Perpetuierung willen das Recht zur Bestrafung des Kindermordes einräumt. Da, wie gesagt, dies Recht nicht einem besonderen Respekt für die Neugeborenen entspringt, folgt daraus implizit, daß der Staat um jenes Zweckes willen unter bestimmten Bedingungen (z.B. rapide Abnahme der Bevölkerung) auch manches andere bestrafen dürfte - etwa den Gebrauch von Kontrazeptiva, Homosexualität, ja Ehelosigkeit: Konsequenzen, die freilich Fichtes sonstigem strafrechtlichem Liberalismus diametral entgegengesetzt wären.

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Fichtes Weigerung, Neugeborene als Rechtssubjekte anzusehen, ergibt sich aus seinem vertrags- und anerkennungstheoretischen Ansatz: Da ein Neugeborener mit mir nicht kontrahieren, mich nicht schützen kann, hat er mir gegenüber keine Ansprüche. Allerdings dürfte nach diesem Argument die von Fichte immer wieder betonte völlige Rechtlosigkeit der Kinder gegenüber ihren Eltern sich bis zur Pubertät fortsetzen, da erst in ihr so etwas wie reflexives Selbstbewußtsein - die Voraussetzung für wahrhafte gegenseitige Anerkennung freier Subjekte - entsteht, ja vielleicht sogar noch darüber hinaus, da Fichte der Ansicht ist, daß Mündigkeit im rechtlichen Sinne nicht generell mit einem bestimmten Alter erreicht werde, sondern nur wenn die Eltern sie für erreicht hielten (364f.). Doch nicht nur Taten gegen Wesen, die keine Rechtssubjekte sind, sind nach Fichte nicht strafbar - auch Taten gegen Rechtssubjekte müssen straffrei ausgehen, wenn diese selbst damit einverstanden waren. »Volenti non fit iniuria« ist ein Satz, der nach Fichte zwar nicht für das öffentliche Recht, wohl aber für Verhältnisse zwischen Privatpersonen gilt (290). Daraus ergibt sich auch wenn Fichte dies nicht ausdrücklich sagt -, daß z.B. sittenwidrige Körperverletzung mit Einwilligung des Verletzten, aber selbst Tötung auf Verlangen, wenn sie als solche nachgewiesen werden kann, nicht bestraft werden dürfen. Zwar macht Fichte eine Einschränkung: »Auf öffentlichem Gebiete stehe ich immerfort unter dem Schutze und der Garantie des Staates. Jeder Angriff auf meine Person daselbst ist ein öffentliches Verbrechen; der Staat muss es amtsmässig, und ohne dass er dazu noch einer besonderen Klage bedürfe (ex officio), untersuchen und bestrafen, und die Privatpersonen können sich darüber nicht vergleichen.« (246f.; vgl. 270) Aber er betont mit Nachdruck, daß jedes Vergehen in der Privatsphäre des Hauses, deren Unverletzlichkeit für ihn fast absolut zu gelten hat, ein Antragsdelikt sein muß - mit der einzigen Ausnahme des Mordes, da der Ermordete ja nicht mehr klagen kann (243, 247ff.). Wenn Taten gegen andere mit deren Einverständnis nicht straf-

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bar sind, sind es a fortiori natürlich auch Taten gegen sich selbst nicht: Aus dem Erlaubnischarakter des Rechts folgt, daß jeder seine Rechte aufgeben darf (104). Der Staat kann daher gegen Selbstmord keine Gesetze machen (331; vgl. 293); auch Selbstverstümmelung dürfte nach Fichtes Prämissen nicht strafbar sein. Mit besonderem Nachdruck beharrt Fichte ferner darauf, daß, wenn schon jeder sein Leben aufgeben darf, er dies auch mit seiner Ehre tun darf. Daraus ergibt sich, daß der Staat z.B. gegen Taten freiwilliger sexueller Selbsterniedrigung keineswegs vorgehen darf (auch wenn er natürlich Notzucht als schweres Verbrechen bestrafen muß: 318f. ). »Der Staat kann sonach der Strenge nach ( ... ] gegen Hurerei und Ehebruch keine Gesetze machen, und keine Strafen darauf setzen.« (331; 332 entsprechend zum Konkubinat und 323f. zum Inzest) Zwar ist Fichte der Ansicht, daß etwa Prostitutionsverträge nichtig sind - aber das ist eine Frage des Zivil-, nicht des Strafrechts (332, 335). Immerhin versucht auch er, dem Staat die Möglichkeit einzuräumen, Prostituierte des Landes zu verweisen - freilich, wie er schreibt, »ohne Abbruch ihrer eben abgeleiteten Freiheit, mit ihrem Leibe vorzunehmen, was sie wollen«. Denn da in Fichtes Idealstaat jeder einen Beruf ausüben muß, so könnte die Prostituierte gezwungen werden, ihre Berufstätigkeit anzugeben. Da Fichte die Rechtsregel »Propriam turpitudinem confitenti non creditur« anerkennt, wäre aber jene Angabe »so gut, als ob sie kein Gewerbe angegeben hätte, und in dieser Rücksicht ist sie, wenn sie sich nicht eines anderen bedenkt, über die Grenze zu bringen.« Als Nebenberuf freilich sei Prostitution unbedingt zuzulassen (334f.). Nicht klar ist schließlich, ob Fichte ein Recht des einzelnen oder der Öffentlichkeit anerkennt, vor dem Anblick moralisch anstößiger Dinge bewahrt zu bleiben - ob, um konkrete Beispiele anzuführen, nach ihm Exhibitionismus, Erregung öffentlichen Ärgernisses usf. bestraft werden dürfen oder nicht. Seine Bemerkung, man hätte keineswegs ein Zwangsrecht gegen den, »der uns etwa in den uns beruhigenden Ueberzeugungen stört, oder durch sein unmoralisches Betragen uns ein Aergerniss giebt« (112), legt die Vermutung nahe, er hätte die Frage verneint.

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II Verglichen mit Fichtes insgesamt recht expliziten Äußerungen sind die Stellungnahmen Hegels zu der Frage, was der Staat strafen dürfe und was er strafen solle, ziemlich vage. Sie lassen sich auch nicht ohne weiteres aus allgemeinen Aussagen Hegels zum Unterschied von Recht und Moral deduzieren, und zwar wegen des äußerst komplexen Aufbaus von Hegels Rechtsphilosophie. So bestehen die »Grundlinien der Philosophie des Rechts« bekanntlich aus drei Teilen - dem »abstrakten Recht«, der »Moralität« und der »Sittlichkeit«. Der Ort des Staates ist in dieser Konzeption die »Sittlichkeit« - und nicht das »abstrakte Recht« -, weil der Staat Selbstzweck sei und als solcher nicht nur rechtliches, sondern auch moralisches Verhalten seiner Bürger voraussetze. Ein Staat aus klugen Teufeln 16, ein auf gegenseitigem Mißtrauen und absolutem Egoismus gebauter Staat17 ist nach Hegel nicht denkbar - allein auf der Basis eines streng rechtlichen Verhaltens im Sinne Kants und Fichtes könnte der Staat nicht bestehen. Dies bedeutet keineswegs, daß der Staat eine moralisch positive Gesinnung seiner Bürger erzwingen solle - es heißt nur, daß der Staat auf sie angewiesen ist und sie daher unterstützen und fördern sollte.18 Dennoch läßt sich auch nicht sagen, daß nach Hegel der Staat nur Verletzungen des abstrakten Rechts - des Pendants zu Fichtes Urrecht - bestrafen dürfe, obgleich Hegels Straftheorie im wesentlichen im Abschnitt »Das Unrecht« am Ende des »abstrakten Rechts« thematisch ist19 und obgleich Hegel die Gerech16

Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, B 61/A 60. Vgl. Fichte, III 244 und 273. 18 Überraschenderweise übergeht jedoch Hegel in den »Grundlinien« das Problem einer Erziehung der Staatsbürger zu bestimmten Werten mit Stillschweigen, während zumal der späte Fichte die Bedeutung einer staatlichen Erziehung sehr genau reflektiert hat. Vgl. dazu Verf., Der Staat (in: Ch. Jermann (Hrsg.), op. cit., 183-226). 19 §§ 82 ff., VII 172 ff. (Hegel wird zitiert nach der Ausgabe von E. Moldenhauer und K. M. Michel: Werke in zwanzig Bänden, Frankfurt 1969- 1971. Die rö mische Zahl bezeichnet die Band-, die arabische die Seitenzahl. Bei den 17

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tigkeit der Strafe mit ihrem Charakter begründet, zweiter Zwang gegenüber einem z,vang zu sein, der gegen Rechtssubjekte gerichtet ist (R. §§ 90ff., VII 178ff.). Daraus ergibt sich zwar, daß Verletzungen des Eigentums eines Rechtssubjekts strafbar sind (wobei zu Hegels Eigentumsbegriff auch der Leib, ja geistige Geschicklichkeiten gehören und für ihn anders als für Fichte auch Kinder Rechtssubjekte sind: § 175, VII 327f.)20; denn das Eigentum konstituiert die Sphäre der rechtlichen Wirklichkeit einer Person und ist daher die grundlegende Bestimmung des abstrakten Rechts. Aber daraus folgt nicht, daß nur Körper- und Eigentumsverletzungen strafbar sind21 . Denn da Hegel die einzelnen Normen des objektiven Geistes in einem logischen Ordnungszusammenhang entfalten will, kann er ganz unmöglich schon im »abstrakten Recht« etwaige Delikte gegen Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat behandeln, deren Begriffe er ja noch gar nicht deduziert hat. Aber dieses Stillschweigen bedeutet nicht, daß er der Ansicht wäre, solche Delikte dürften nicht bestraft werden. Im Gegenteil schreibt Hegel ausdrücklich: »Das Recht, dessen Verletzung das Verbrechen ist, hat zwar bis hierher nur erst die Ge-

»Grundlinien« und der »Enzyklopädie« wird außerdem die Paragraphenzahl angegeben . A bedeutet Anmerkung, Z Zusatz, hZ handschriftlicher Zusatz. Nur für in dieser Ausgabe nicht enthaltene Texte greife ich auf andere Ausgaben zurück.) Hinzukommen noch Ausführungen im Abschnitt über die bürgerliche Gesellschaft(§ 218 mit Z, VII 371 ff.); strafrechtlich relevante Kategorien finden sich aber auch im Teil über die Moralität und im Abschnitt über den Staat. 20 Das Strafmaß hat sich dabei nach dem Wert des verletzten Rechtsgutes zu richten . Vgl. § %, VII 183f.; § 101, VII 192ff. 21 Außerdem sind nicht alle Verletzungen des abstrakten Rechts strafbar: Anders als Fichte unterscheidet Hegel scharf zwischen zivil- und strafrechtlichem Unrecht. Im unbefal)genen (zivilrechtlichen) Unrecht liegt nach ihm nur ein negatives Urteil vor, das zwar ein einzelnes Recht verletzt, das Recht im allgemeinen jedoch anerkennt (§ 85, VII 175), während in Zwang und Verbrechen auch die Sphäre des Rechts als solchen in einem negativ-unendlichen Urteil negiert werde(§ 95, VII 181 f.; daraus ergibt sich nach Hegel, daß der Staat bei Verbrechen ex officio einschreiten muß: § 102 A mit Z, VII 197). Zwischen beide ordnet Hegel den Betrug als positiv-unendliches Urteil ein, dessen Strafbarkeit er ebenfalls bejaht (§ 88, VII 177 und § 89 Z, VII 178). - Zu Hegels Urteilslehre vgl. VI 324ff.; E. § 173 mit Z, VIII 324f.

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staltungen, die wir gesehen haben, das Verbrechen hiermit auch zunächst nur die auf diese Bestimmungen« - in einem handschriftlichen Zusatz fügt Hegel hinzu : »nämlich auf Eigentum, als in einzelnen Sachen - und auf Körper, Teile desselben, Leben« - »sich beziehende nähere Bedeutung. Aber das in diesen Formen Substantielle ist das Allgemeine, das in seiner weiteren Entv;icklung und Gestaltung dasselbe bleibt und daher ebenso dessen Verletzung, das Verbrechen, seinem Begriffe nach. Den besonderen, weiter bestimmten Inhalt, z. 8. in Meineid, Staatsverbrechen, Münz-, Wechselverfälschung usf., betrifft daher auch die im folgenden§ zu berücksichtigende Bestimmung.« (§ 95 A, VII 182) Eine Erörterung dessen, was nach Hegel der Staat strafen darf, kann also nicht am »abstrakten Recht« haltmachen. Sie hat freilich mit ihm zu beginnen. Was unterscheidet nun die Normen des abstrakten Rechts von denen der Moral? Schon in der sog. »Nürnberger Propädeutik« - im Abschnitt über den praktischen Geist der »Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse« (1808ff.) und in der »Rechts-, Pflichten- und Religionslehre für die Unterklasse« (1801ff.)- nennt Hegel zwei Unterschiede, die den beiden materialen Differenzpunkten Fichtes genau zu entsprechen scheinen: In der Moralität trete erstens das Moment der Subjektivität, der Gesinnung hinzu, während es im Recht nur um äußere Handlungen gehe; zweitens gälten in der Moralität auch positive Gebote, während das Recht nur Verbote kenne (IV 59, 61, 232f., 251ff.). Der erste Punkt ist zwischen Fichte und Hegel nicht kontrovers. Auch Hegel betont mit Nachdruck, daß der Staat unter keinen Umständen die Gesinnung bestrafen darf (§ 94 Z, VII 181; § 213 mit Z, VII 365 f. ); er darf auch nicht zu Handlungen - wie Religionsübungen - zwingen, die nur bei einer bestimmten innerlichen Einstellung einen Sinn geben(§ 94 hZ, VII 180; § 95 hZ, VII 182). Hegels zweiter Punkt dagegen unterscheidet sich durchaus von dem entsprechenden Fichtes. Nach Fichte hat das Recht zwar nur Erlaubnischarakter, aber daraus folgt, wie schon gesagt, nicht, daß das Recht nur aus Verboten bestehen

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könne. Hegel hingegen ist der Ansicht, daß sich aus der Abstraktheit des Rechtes, die nicht auf die Besonderheit des einzelnen moralischen Subjekts Rücksicht nimmt22, nicht nur dessen Erlaubnischarakter, sondern auch dessen Verbotsstruktur ergibt, und diese letzte Bestimmung ist es, die er für besonders wichtig hält. »In Beziehung auf die konkrete Handlung und moralische und sittliche Verhältnisse ist gegen deren weiteren Inhalt das abstrakte Recht nur eine Möglichkeit, die rechtliche Bestimmung daher nur eine Erlaubnis oder Befugnis. Die Notwendigkeit dieses Rechts beschränkt sich aus demselben Grunde seiner Abstraktion auf das Negative, die Persönlichkeit und das daraus folgende nicht zu verletzen. Es gibt daher nur Rechtsverbote, und die positive Form von Rechtsgeboten hat ihrem letzten Inhalte nach das Verbot zugrunde liegen.« (§ 38, VII 96f.; vgl. IV 234) Aus dem Gesagten scheint sich unmittelbar zu ergeben, daß es für Hegel keine Unterlassungsdelikte geben kann. »Es folgt hieraus, daß kein Mensch gezwungen werden kann als nur dazu, den Zwang, den er anderen angetan hat, aufzuheben.« (IV 233) freilich macht Hegel schon für das abstrakte Recht eine Einschränkung: Es gebe Rechtsgebote, die auf Rechtsverbote zurückführbar seien, so daß u.U. auch Unterlassungen strafbar sein könnten. So sei das Rechtsgebot »Du sollst den Vertrag halten« unter das Verbot »Du sollst das Eigentum eines anderen ungekränkt lassen« 22

Hierin liegt für Hegel ein weiterer Unterschied zwischen rechtlichen und moralischen Normen: Jene gelten allgemein, diese ergeben sich oft nur aus besonderen Eigenschaften, die ein anderer hat, und aus unserem besonderen Verhältnis zu ihm. »Die Pflichten gegen andere sind zuerst die Rechtspflichten, welche mit der Gesinnung, das Recht um des Rechts willen zu tun, verknüpft sein müssen. Die übrigen dieser Pflichten gründen sich auf die Gesinnung, die anderen nicht nur als abstrakte Person, sondern auch in ihrer Besonderheit sich selbst gleich zu halten, ihr Wohl und Wehe als das seinige zu betrachten und dies durch tätige Hilfe zu beweisen.,, (IV 267) »Welche Diensle wir anderen Menschen zu erweisen haben oder erweisen können, hängt von zufälligen Verhältnissen ab, in denen wir mit ihnen stehen, und von den besonderen Umständen, in denen wir uns selbst befinden. « (270) Zu diesen sowie anderen Differenzpunkten zwischen Recht und Moral bei Hegel vgl. die klärenden Ausführungen bei Ch.Jermann, Die Moralität (in: Ch. Jermann (Hrsg.), op. cit., 101-144).

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zu subsumieren, zumal nach Hegel das Eigentum schon mit dem Vertragsabschluß übergeht (IV 241; § 79, VII 162ff.)23. »Dies heißt nicht: du sollst dem anderen etwas Positives erweisen oder eine Veränderung in Umständen hervorbringen, sondern enthält nur die Unterlassung der Verletzung des Eigentums.« (IV 234f.; vgl. § 38 hZ, VII 97) Auf diese Weise ließe sich nun wohl auch die Strafbarkeit einiger der sog. unechten Unterlassungsdelikte (etwa bei Garantenstellung aufgrund eines Vertrags) begründen - aber wohlgemerkt: nur der unechten. Die Bestrafung echter unterlassener Hilfeleistung muß im Rahmen dieser Konzeption als staatliche Willkürmaßnahme erscheinen, zumal Hegel - als Gegner der Vertragstheorie - ja nicht wie Fichte einen eigenen Schutzvertrag der Bürger unterstellen kann. Allerdings ist mit dem bisher Gesagten das Problem der Unterlassungsdelikte bei Hegel noch nicht ausreichend behandelt. Hegel nimmt nämlich sehr wohl auch Unterlassungsdelikte an, die nicht auf Vertragsbrüche zurückzuführen sind - und zwar auf Ebene des Staates (sowie der Familie). Denn auch wenn er keinen eigenen Schutzvertrag a la Fichte postuliert, ist natürlich auch ihm klar, daß die Rechte des einzelnen, d ie er im »abstrakten Recht« entwickelt, nur im Staat wirklich sein können24 und daß kein Staat ohne positive Leistungen (nicht nur: ohne moralische Gesinnung) seiner Bürger bestehen kann. Am Anfang des Sittlichkeits- und dann nochmals des Staatskapitels beharrt Hegel daher auf der Korrelativität der Begriffe von Recht und Pflicht. 13

Zu dieser sowohl mit dem Allgemeinen Preußischen Landrecht als auch mit dem gegenwärtigen deutschen Zivilrecht in Widerspruch stehenden, wohl aber mit dem Code Napoleon konkordierenden Auffassung Hegels vgl. etwa J. Binder, Der obligatorische Vertrag im System der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Verhandlungen des dritten Hegelkongresses vom 19. bis 23. April 1933 in Rom, hrsg. von B. Wigersma, Tübingen/Haarlem 1934, 37-59. - Freilich wird Hegel nicht jeden Vertragsbruch für strafrechtliches Unrecht gehalten haben (v~l. Anm. 21). 4 Vgl.: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, hrsg. von G. Nicotin, Hamburg 1970, Nr. 318, S. 221 : »Es gibt nach ihm (sc. Hegel) überhaupt kein wahrhaftes, konkretes Recht außer dem Staate.« Ähnlich Fichte, II I 148 und X 499.

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Während man im abstrakten Rechte »das Recht und ein anderer die Pflicht gegen dasselbe« habe, habe »der Mensch [... ] durch das Sittliche insofern Rechte, als er Pflichten, und Pflichten, insofern er Rechte hat.« (§ 155, VII 304) »Jener Begriff von Vereinigung von Pflicht und Recht«, heißt es weiter, »ist eine der wichtigsten Bestimmungen und enthält d ie innere Stärke der Staaten. « (§ 261 A, VII 409) f reilich sind d ie Pflichten, die Hegel hier im Auge hat, Pflichten gegenüber dem Staat (bzw. der Familie), nicht wenigstens nicht unmittelbar - gegenüber dem Mitbürger. Sie reduzieren sich nach Hegel im wesentlichen auf die Abgabe von Steuern und die Ableistung des Militärdienstes(§ 299 mit Z, VII 466ff.; § 326, VII 494f.). Klar ist nun, daß Hegel die Bestrafung einer Verletzung dieser - nicht bloß moralischen - Gebote für legitim hält, obgleich in diesen Fällen kein ausdrücklicher Vertrag vorliegt (vgl. § 94 hZ, VII 180). Hegel schreibt: »Verletzung eines Vertrages durch Nichtleistung des Stipulierten oder der Rechtspflichten gegen die Familie, [den] Staat, durch Tun oder Unterlassen ist insofern erster Zwang oder wenigstens Gewalt, als ich ein Eigentum, das eines anderen ist, oder eine schuldige Leistung demselben vorenthalte oder entziehe.« (§ 93 A, VII 179) Interessant ist, daß Hegel auch Rechtspflichten gegen die Familie erwähnt - nach ihm erschöpfen sich die Institutionen, gegen die es Begehungs- und Unterlassungsdelikte gibt, offenbar nicht wie bei Fichte im Staat. Leicter führt Hegel keine konkreten Beispiele an; am nächstliegenden wäre, etwa an Verletzung der Unterhaltspflicht zu denken. Ich würde allerdings nicht ausschließen, daß sein lobender Verweis auf »die Gesetzgebungen christlicher Völker« im Zusammenhang mit seiner Polemik gegen das Konkubinat (§ 164, VII 317) eine implizite Zustimmung zur zeitgenössischen Bestrafung von Delikten wie Konkubinat, Ehebruch und besonders Inzest enthält, dessen Begriffswidrigkeit Hegel, anders als Fichte, mit Nachdruck vertritt (§ 168, VII 321 f.). An Hegels Rechtsbegriff ist noch ein Moment zu erörtern, in dem er sich von demjenigen Fichtes unterscheidet und das bedeutende strafrechtliche Konsequenzen hat. Es wurde schon ge-

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sagt, daß Hegel, statt wie Fichte auf den Erlaubnischarakter des Rechts, besonders auf dessen Verbotscharakter verweist - mit der Folge, daß er im Unterschied zu Fichte echte Unterlassungsdelikte schwerlich für strafbar gehalten haben kann. Hegels Antwort auf die Frage, was der Staat bestrafen darf, ist also in diesem Punkte res,riktiver. Anders verhält es sich jedoch, wenn man Hegels Stellungnahme zum Erlaubnischarakter des Rechts analysiert. Zwar 1Nird dieser von Hegel nicht negiert - natürlich ist auch er der Ansicht, daß man auf viele seiner Rechte verzichten kann, ja unter bestimmten Bedingungen dies aus höheren Gründen sogar tun soll. »Deshalb gibt die rechtliche Bestimmung eine Befugnis, aber es ist nicht absolut notwendig, daß ich mein Recht verfolge, weil es nur eine Seite des ganzen Verhältnisses ist. Möglichkeit ist nämlich Sein, das die Bedeutung hat, auch nicht zu sein.« (§ 37 Z, VII%) Hegel ist aber zugleich der Meinung, daß man nur bestimmte Rechte aufgeben kann, nicht die Rechtsfähigkeit als solche (§ 38 hZ, VII 97). Ich habe also nicht nur kein Recht, Rechte des anderen zu verletzen; ich darf auch nicht meine Rechtsfähigkeit zur Disposition stellen, sie etwa verkaufen. Ich soll nicht nur die anderen als Personen respektieren, sondern auch selbst eine Person sein, heißt es in Hegels Rechtsgebot(§ 36, VII 95). Deshalb hat der Vertrag eine unüberschreitbare Grenze an jenen unveräußerlichen Gütern, »welche meine eigenste Person und das allgemeine Wesen meines Selbstbewußtseins ausmachen, wie meine Persönlichkeit überhaupt, meine allgemeine Willensfreiheit, Sittlichkeit, Religion.«(§ 66, VII 141; vgl. IV 238f.) Hegels an Kant erinnernde Argumentation(§ 66 A, VII 141ff.) läßt sich überzeugend dahingehend rekonstruieren, daß ich meine Rechtsfähigkeit schon deswegen nicht aufgeben darf, weil sie ja das Prinzip nonnativer Kategorien wie etwa des Dürfens ist. Es ist widersprüchlich, jemandem das Recht zuzusprechen, alle seine Rechte zu entäußern dann könnte er nämlich auch nicht jenes Recht auf Entäußerung haben. (Der Einwand, er hätte dieses Recht eben vor der Entäußerung gehabt, aber nicht nachher, ist nicht stichhaltig; denn auch dann müßte im Augenblick der abgeschlossenen Entäußerung der

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ganze Rechtsakt als nichtig zusammenbrechen.) Aber nicht nur sind nach Hegel entsprechende Verträge zivilrechtlich nichtig; ihre Verwirklichung ist u.U. auch strafbar. »Auch das Recht zu leben ist unveräußerlich, d. i. für die Willkür. Es verkauft sich einer, zum Tode; - Geld für seine Familie oder sonstige Verwendung. - Der ihn kauft und tötet, verstümmelt, (ist) Mörder.«(§ 66 hZ, VII 144) Hegel lehnt also das Prinzip »Volenti non fit iniuria« ab; die Tötung eines anderen auch mit seinem Einverständnis darf und muß nach Hegel bestraft werden. Doch nicht nur alle Taten gegen Dritte mit deren Einwilligung, auch nicht alle Taten gegen sich sind nach Hegel rechtlich: Der einzelne hat kein Recht auf Selbstmord (§ 70 mit Z, VII lSlf.). Es ist klar, daß Hegel den Selbstmord nicht für bloß moralisch verwerflich hält; so gesteht er dem Staat das Recht zu, Gefangene gegen ihren Willen zwangszuernähren (§ 95 hZ, VII 182). Allerdings heißt das nicht notwendig, daß Hegel den Selbstmordversuch für strafbar gehalten hat - daß nicht jedes strafrechtliche Unrecht zu bestrafen ist, ist eine Konzeption, die gerade von Hegels Moralitätskapitel her zu begründen ist; zudem hat sich Hegel zum Problem, wann und wie der Versuch einer strafbaren Handlung bestraft werden sollte, nicht genauer geäußert25 . Doch will ich auf seine Lehre vom Notrecht(§ 127, Vll 239f.) - die große Affinitäten zur heutigen Konzeption des rechtfertigenden Notstandes hat26 - sowie auf seine Überlegungen zu Entschuldigungsgründen(§ 120, VII 225f.; § 132, VII 245ff.) nicht eingehen. Besonders letztere wären bei einer Entscheidung der 25

Vgl. den recht generischen Hinweis§ 118 A, VII 218f. und§ 119 Z, VII 225, wonach der Erfolg einer Handlung mitzuberücksichtigen sei. Analog vermißt man eine Äußerung Hegels zur Strafbarkeit fahrlässiger Handlungen, die von seinem Zurechnungsbegriff nicht erfaßt werden (vgl. K. Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, Leipzig 1927, 52; zu Hegels Zurechnungsbegriff neuerdings: W. Schild, Der strafrechtsdogmatische Begriff der Zurechnung in der Rechtsphilosophie Hegels, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 35 (1981), 445-476). freilich läßt sich auf der Basis von Hegels Ansatz die Strafbarkeit fahrlässiger Handlungen durchaus begründen; vgl. dazu M. Köhler, Die bewußte Fahrlässigkeit, Heidelberg 1982. 26 Vgl. dazu P. Bockelmann, Hegels Notstandslehre, Berlin/Leipzig 1935.

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Frage, ob Hegel die zu seiner Zeit im positiven Recht verbreitete Pönalisierung des Selbstmords gebilligt hat oder nicht27, heranzuziehen.

III

Abschließend will ich, von Fichte und Hegel ausgehend, eine Klassifizierung jener Fälle vorschlagen, bei denen es umstritten ist, ob ein Recht des Staates zu strafen besteht oder nicht, und eine provisorische Beantwortung versuchen. Ich sehe dabei ab von einer Erörterung der Grenzlinie zwischen zivil- und strafrechtlichem Unrecht, von einer Diskussion der Frage, bei welchen Straftaten Versuch und Fahrlässigkeit zu bestrafen seien, sowie von einer Behandlung gültiger Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe und beschränke mich auf die Analyse besonderer Straftatbestände. Zunächst einmal läßt sich ein Konsens zwischen Fichte und Hegel darin erkennen, daß beide Denker die moralische Gesinnung auf keinen Fall für strafbar halten, hingegen die Bestrafung von Delikten gegen Personen (Leben, Eigentum, Ehre28) und gegen die Institution des Staates als unproblematisch akzeptieren. Schon dieser Konsens ist ein Hinweis darauf, daß zumindest dieser kleinste gemeinsame Nenner beider Denker auch heute noch als vernünftig zu akzeptieren ist. Ohnehin dürfte zunächst einmal an ihrer gemeinsamen Voraussetzung, daß der Staat manches bestrafen muß, aber nicht alles bestrafen darf, kein ernstzunehmender Zweifel sein. \iVenn es fundamentale Menschenrechte gibt und sie nicht ein bloßer Wunsch bleiben sollen, dann muß der Staat als Macht des Rechts ihre Realität positiv auch gegenüber Verletzungen durch Dritte garantieren; diese Verletzungen müssen da27

Als Straftatbestand galten Selbstmord und Selbstverst ümmelung im Allgemeinen Preußischen Landrecht (II. Teil, 20. Titel, 11. Abschnitt, §§802- 805). 28 In den ,,Grundlinien« spricht Hegel nicht vo n 'krletzungen der Ehre (Beleidigungen usf.), wo hl aber in den ,,Jenaer Systementwürfen III« (Gesammelte Werke,( ... ) hrsg. von R. P. Horstmann, Hamburg 1976), 234, 236.

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her negativen Sanktionen unterworfen sein. Ebenso klar ist, daß ein Rechtsstaat nichts gebieten bzw. verbieten kann, was moralisch verboten bzw. geboten ist, ja im Grunde nicht einmal, was moralisch neutral ist 29. Moral und Recht gründen in der Vernunft; die Vernunft ist eine; die Welt der Normen muß daher in sich konsistent sein, so daß moralisch Illegitimes unter keinen Umständen rechtlich geboten sein und auch ein Zwang zu moralisch Neutralem nicht gerechtfertigt werden kann. Rechtliche Normen sind also eine echte Teilmenge der moralischen. Aber warum eine echte? Warum sollte denn der Staat nicht alles verbieten, was unmoralisch ist, warum sollte es überhaupt einen Unterschied zwischen Recht und Moral geben? Auch hier ist es rational begründbar, warum es eine solche Differenzierung geben muß. Würde jedes unmoralische Handeln von staatlichen Sanktionen bedroht, so wäre bei keiner Handlung mehr ersichtlich, ob sie aus Freiheit oder Angst geschähe; die Freiheit - in deren Begriff Recht wie Moral wurzeln - würde auf diese Weise vernichtet. Sicher darf vernünftige Freiheit nicht auf subjektive Willkürfreiheit reduziert werden; subjektiv zu verantwortende Entscheidungen sind aber ein notwendiges (wenn auch nicht hinreichendes) Moment von Freiheit, die andernfalls auch rational funktionierenden Apparaten zuzusprechen wäre. Aber was genau muß als nur moralisches Gebot angesehen werden? Es gibt zumindest eine Gruppe von Normen, bei denen es logisch widersprüchlich wäre, 29

Dagegen könnte eingewendet werden, Ordnungswidrigkeiten seien Verletzungen von bloß positiv-rechtlichen Best immungen, die keine moralische Grundlage hätten. Hier g ilt es jedoch zu unterscheiden: Natürlich gibt es keinen apriorischen moralischen Grund dafür, sich etwa für den Rechts- und gegen den Linksverkehr zu entscheiden; es gibt aber moralische Gründe dafür, das Leben anderer (und auch das eigene) nicht grundlos zu gefährden, und es ist empirisch nachweisbar, daß ein einheitlicher Straßenverkehr weniger Leben gefährdet als die totale Willkür. Es ist also sehr wohl rational einzusehen, daß in diesem Fall um eines übergeordneten Rechtsgutes willen von staatlichen Organen eine Entscheidung gefällt werden muß, die zu respektieren für jeden moralische Pflicht ist, o bgleich der materiale /11halt dieser Entscheidung auch anders hätte ausfallen können. S. dazu die überzeugenden Ausführungen bei E. Schmidhäuser, Einführung in das Strafrecht, Reinbek 1972, 293f.

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ihre Verletzung zu bestrafen - und zwar weil sie durch Zwang gerade ihren Sinn verlieren würden (ganz davon abgesehen, daß es nicht einmal möglich ist, sie zu erzwingen). Dazu gehört alles, was die innere Gesinnung betrifft30. Nicht nur ist es unmöglich, etwa entfremdete Gatten zur Liebe zueinander zu zwingen; eine solche erzwungene Liebe wäre auch keine Liebe mehr. Wohlgemerkt: Das heißt nicht, daß entsprechende Normen keine moralische Verbindlichkeit hätten; sie haben sie, und Individuen, die ohne Rechtfertigungsgrund ihnen zuwiderhandeln, sind verächtlich. Aber es sind eben notwendigerweise moralische, niemals rechtliche Normen. Man könnte hier einwenden, das eben Gesagte s ei zwar richtig, aber überflüssig: Denn da die Gesinnung etwas Inneres sei, könne man sowieso nie sicher feststellen, was jemand empfinde oder denke; insofern sei eine Verfolgung von Empfindungen oder Gedanken gar nicht möglich. (Fichte etwa scheint so zu argumentieren.) Dieser Einwand ist zutreffen d; es ist daher nötig, damit das Gesagte einen rechtlich anwendbaren Sinn erhält, hinzuzufügen, daß es Handlungen bzw. Unterlassungen g ibt, die ihren Wert nur haben, wenn sie aus einer freien inneren Gesinnung entspringen, und daß der Staat auch nicht zu derartigen Handlungen bzw. Unterlassungen zwingen darf - etwa zur Einnahme des Abendmahls, zur Teilnahme an f.eiern, die die Überlegenheit der eigenen Verfassung p reisen, zu irgendwelchen realen

30 Damit ist nicht gesagt, daß nur derartige Normen strafrechtlich irrelevant sein sollten; es würde die Ausbildung von Autonomie absolut behindern und wäre daher widerrechtlich -, wenn alle sonstigen unmoralischen Handlungen bestraft würden. Wohl aber scheint mir, daß nur jenes Kriterium wirklich ausnahmslos gilt. Denn das Unterscheidungsmerkmal, das Recht bestehe aus Verboten, die Moral aus Geboten, ist nicht allgemein gültig, und etwaige weitere Kriterien sind noch unschärfer. Auch wenn ihre Präzisierung durchaus möglich ist - sie soll unten versucht werden -, so bleiben doch fließende Grenzen, die dem Gesetzgeber einen gewissen Entscheidungsspielraum lassen. - Daß der Begriff des Sittengesetzes bzw. der guten Sitten nicht nur im Zivil- und Straf-, sondern auch im Verfassungsrecht (vgl. Art . 2 1 GG) eine Rolle spielt, ist Ausdruck dieser unscharfen Grenzen zwischen Recht und Moral.

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Liebeserweisen, zur Anknüpfung oder Fortsetzung einer Freundschaft. Hierher gehören auch spezifisch moralische Gebote, die aus besonderen intersubjektiven Beziehungen resultieren - man denke etwa an moralische Pflichten gegenüber Menschen, denen man geistig und moralisch viel verdankt, wie Verwandten, Freunden, Lehrern. Dankbarkeit ist ein offensichtliches Beispiel für eine bloß moralische Pflicht; der Sinn des Schenkens im Unterschied etwa zum Verkaufen ginge verloren, wenn zu ihr gezwungen werden könnte. Umgekehrt ist aber auch klar, daß dasjenige, in dem die Person ihre äußere Realität hat, durch das Strafrecht geschützt werden muß: ohnehin Leben und Gesundheit, die grundlegendsten aller Rechtsgüter, Selbstbestimmung als das, worin das Wesen der Person besteht31, sowie Eigentum und Vermögen, insofern nur diese ein planmäßiges und daher freies Handeln, eine Objektivierung des Subjekts in der Natur ermöglichen. Aber auch die Ehre ist ein zu Recht (wenn auch manchmal in übertriebener Form) vom Strafrecht geschütztes Gut: In ihr hat das Subjekt gleichsam seine intersubjektive Realität3 2, die für die Bewahrung seines Selbstbewußtseins ebenso unabdingbar ist wie das Eigentum für die Bewahrung seiner äußerlichen Unversehrtheit. Aber nicht nur Delikte gegen die Person (und a fortiori diejenigen gegen die öffentliche Ordnung, die zumindest potentiell immer eine Pluralität von Personen treffen), auch solche gegen den Staat (und a fortiori gegen die Völkergemeinschaft) sind evidenterweise zu bestrafen. Dies ergibt sich ohnehin, wenn man wie Hegel in dem Staat die höchste Realisierung des objektiven Geistes sieht, die daher ein Recht zur Selbstverteidigung haben muß; doch selbst wenn man wie Fichte im Staat nur ein Mittel erblickt, um Leben und Eigentum der Bürger zu schützen33, so ist klar, 31

In diesen Kontext sind wohl auch Delikte gegen die persönliche Lebensund Geheimsphäre einzuordnen. 32 Vgl. dazu Hegel, E. § 436, 10.226. Anders als Fichte hat Hegel diese Kategorie in seinem System explizit entwickelt und begründet. 33 Allerdings hat Fichte in der sog. »Staatslehre« von 1813, wenn auch von

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daß ein Angriff gegen ihn als den Garanten jener Güter mittelbar auch ein Angriff gegen die Privatpersonen ist. Nicht strittig kann ferner sein, daß der Staat nicht nur gegen ihn gerichtete Handlungen, sondern auch bestimmte Unterlassungen ihm gegenüber (etwa Steuerhinterziehung, Totalverweigerung) bestrafen muß - da er ohne seine Bürger nur eine Abstraktion ist, ist er auf ihre Leistungen notwendig angewiesen. Ebenso klar ist, daß der Staat als Garant des Rechts bestimmte Unterlassungen seiner Beamten, schon weil sie zumindest mittelbar Verletzungen der Rechte von Privatpersonen sind, bestrafen muß. Strittig zwischen Fichte und Hegel sind hingegen folgende Fälle: erstens bestimmte Unterlassungen im Verhalten zwischen Privatpersonen, deren Strafbarkeit von Fichte befürwortet, von Hegel negiert wird, und zweitens Delikte gegen Unmündige, gegen die Familie, gegen sich selbst, gegen andere mit ihrem Einverständnis, deren Strafbarkeit umgekehrt von Fichte bestritten, von Hegel bejaht wird. Hinzuzufügen wären folgende heute kontroverse Fälle, deren Strafbarkeit von Fichte und Hegel sei es nicht erörtert, sei es mehr oder weniger explizit negiert wird: Delikte gegen die Umwelt, gegen die Religion, gegen die Sexualmoral und gegen die Menschenwürde. Im folgenden will ich die genannten Fälle34, wenn auch nur sehr knapp, im einzelnen durchgehen. 1. Um mit den echten Unterlassungsdelikten zu beginnen, so ist zunächst einzuräumen, daß der Auffassung, nur Handlungen, nicht Unterlassungen könnten strafbar sein, ein Kern Wahrheit schon insofern zukommt, als häufig nur Verbote ausreichend bestimmt formuliert werden können; Bestimmtheit ist aber aus Gründen der Rechtssicherheit für ein Gesetz - anders als für ein einem moralischen Standpunkt aus, heftig gegen diese Konzeption polemisiert (IV 401ff.). 34 Ein großer Teil dieser problematischen Fälle hatte im E 1962 im Zweiten Abschnitt »Straftaten gegen die Sittenordnung« seinen Platz. Vgl. dazu etwa W. Schier, Sittliche Maßstäbe im Entwurf eines Strafgesetzbuches (1962), in: W. Reichert (Hrsg.), Sittenstrafrecht im Umbruch, Stuttgart 1968, 10-38.

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moralisches Gebot - unentbehrlich. Wann eine Verletzung des Verbotes »Du sollst nicht töten« vorliegt, ist unschwer auszumachen; nicht hingegen, wann eine Verletzung des Gebotes »Du sollst dem anderen Gutes erweisen« stattgefunden hat. Zudem ist evident, daß ein Verbot das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen im wesentlich geringerem Maße begrenzt als ein Gebot; es ist daher immer leichter, bei Verboten den staatlichen Zwang zu rechtfertigen als bei Geboten. Es ist ferner Hegel darin recht zu geben, daß moralische Gebote oft nur bei genauer Kenntnis der besonderen Individualität des anderen Sinn geben35, so daß sie nicht allgemein für das Verhalten beliebiger Rechtspersonen zueinander gelten können. Allerdings gibt es auch Gebote, die sehr wohl bestimmt und allgemein formuliert werden können etwa das Gebot der Hilfeleistung bei Unglücksfällen, wenn d ie eigene Hilfe erforderlich und zumutbar ist (vgl. StGB § 323c). Damit ist freilich nur gesagt, daß der Staat unterlassene Hilfeleistung bestrafen kann, ohne das Bestimmtheitsgebot zu verletzen - aber das ist nur notwendige, nicht hinreichende Bedingung für das Recht des Staates zu strafen. Darüber hinaus aber spricht m. E. folgendes für sein Recht, ja seine Pflicht, d ies zu tun: die Entwicklung des modernen Staates vom liberalen Rechts- zum leistenden Sozialstaat, eine Entwicklung, die bezeichnenderweise nicht von Hegel, wohl aber von Fichte antizipiert wurde. Im Sozialstaat hat jeder nicht nur das Recht auf Respektierung und Schutz von Leben und Eigentum durch den Staat; er hat auch ein Recht auf positive Leistungen des Staates, die ihm etwa ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Rechten aber korrelieren notwendig Pflichten. Gemäß den auch von Hegel anerkannten 35

Zahlreiche moralische Gebote sind ferner an die eigene Besonderheit geknüpft, über die man am sinnvollsten selber zu entscheiden hat : So bin ich, wenn ich bestimmte Fähigkeiten habe, ggf. moralisch verpflichtet, sie auszubilden, anderen damit zu helfen usf. Derartige Gebote können, da sie nicht für jeden gelten, prinzipiell nicht rechtlicher Natur sein; es wäre ungerecht, etwa Hochbegabten besondere Rechtspflichten aufzulasten, obgleich es durchaus angemessen ist, ihnen besondere moralische Pflichten zu unterstellen .

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Pflichten gegenüber dem Staat muß daher jeder Bürger Steuern für soziale Aufgaben des Staates, Sozialabgaben usf. zahlen; in Notsituationen - bei Krieg oder Naturkatastrophen - müssen die Bürger ferner durch Anordnungen, denen sie zu folgen haben, zum aktiven Schutz der Mitbürger eingesetzt werden können. In der Konsequenz dieser Entwicklung liegt nun eine Rechtspflicht zur konkreten Hilfeleistung dort, wo sie erforderlich und zumutbar ist: In jenen wenigen Fällen, in denen der Staat nicht unmittelbar zur Hand ist, fällt die sonst durch das Zahlen von Steuern an den Staat übertragene Pflicht zu positiven Leistungen gegenüber dem Bedürftigen wieder auf den einzelnen zurück. Dieser kann zwar nicht rechtlich verbunden sein, in einem Sozialstaat einem Erwerbslosen etwas zu geben - es ist gerechter und zweckmäßiger, daß dies die Sozialhilfe tut, weil allein auf diese Weise eine gewisse Gleichmäßigkeit der Leistungen gegenüber denjenigen garantiert ist, d ie ohne Schuld erwerbslos sind. Wo nur möglich, sind also Rechtspflichten an den Staat zu delegieren. Aber dort, wo rasche Hilfeleistung des einzelnen erforderlich ist, ergibt sich für jeden Anwesenden subsidiär wieder eine unmittelbare Rechtspflicht zu helfen. Man braucht dazu nicht einen eigenen Schutzvertrag zu postulieren - auch bei unechten Unterlassungsdelikten ist der Vertr ag ja nur eine Instanz, d ie die Garantenstellung und damit die Pflicht zum Eingreifen begründet. Gegenüber Eltern und Ehegatten etwa hat man eine Garantenstellung, ohne daß man eigens Verträge darüber abgeschlossen haben muß. Eine solche Stellung ergibt sich aus der Natur des entsprechenden Verhältnisses, ohne daß ein ausdrücklicher Konsens darüber erforderlich wäre, und man kann analog auch eine, natürlich schwächere, Rechtspflicht zur Hilfeleistung gegenüber allen Menschen konzipieren. freilich setzt eine solche Auffassung, um wirklich umfassend begründet werden zu können, eine intersubjektivitätstheoretische Fundierung schon des Rechtsbegriffs voraus, wie sie sich etwa bei Hegel nicht findet36_ 36

So faßt Hegel in der Einleitung zu den »Grundlinien• den Begriff des

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Demnach wäre auch das abstrakte Recht nicht bloß als negative Abgrenzung zwischen den einzelnen Subjekten zu verstehen, sondern auch schon als Sphäre (wenn auch abstrakter) positiver Bezugnahme. Nur auf der Basis einer solchen Konzeption ließe sich die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, ja der soziale Charakter eines wahrhaften Rechtsstaates begründen. A fortiori gilt das Recht des Staates, Unterlassungsdelikte zu bestrafen, bei Unterlassungen ihm gegenüber, die zwar nicht, wie etwa die Weigerung, Steuern zu zahlen, sein funktionieren ganz in Frage stellen würden, die aber doch seine Effizienz beträchtlich schmälern und zugleich bedeutende negative Folgen für den einzelnen Bürger haben würden: Ich denke an die Unterlassung der Anzeige eines geplanten schweren Verbrechens, die der Staat bestrafen sollte (vgl. StGB§ 138), bzw. eines schon geschehenen schweren Verbrechens, die der Staat bestrafen darf (mögliche Ausnahmen immer zugestanden)37. 2. Von den zwischen Fichte und Hegel kontroversen Begehungsdelikten sind intuitiv am unproblematischsten die Delikte gegen Unmündige. In der Gegenwart dürfte es nur wenige geben, die den Kindermord für naturrechtlich zulässig halten, während freilich das wesensverwandte Problem der Abtreibung heiß umstritten ist. Wichtig scheint mir zunächst einmal herauszustellen, aufgrund welcher Prämissen Fichte den Kindermord (und a fortiori freien v\lillens ohne jeden Bezug auf Intersubjektivität (vgl. nur §§Sff., VII 49ff. und dazu M. Theunissen, Die verdräng te Intersubjektivität in Hegels Philosophie des Rechts, in: D. Henrich/R.-P. Horstmann (Hrsg.), Hegels Philoso phie des Rechts, Stuttgart 1982, 317-381, 332). Auch Hegels Eigentumsbegriff geht davon aus, daß eine Subjekt-Objekt-Relation bestehen kö nne, die nicht schon durch Subjekt-Subjekt-Relationen vermittelt sei - eine Abstraktion, die wohl die grundlegendste Grenze des ganzen deutschen Idealismus ausmacht. Vgl. Anm. 10. 37 Die Strafbarkeit unterlassener Anzeige geplanter wie auch scho n geschehener Verbrechen (und zwar nicht nur durch Staatsbeamte, sondern auch durch Privatbürger) wird mit Nachdruck von Plato n in den »No moi« vertreten (z.B. 762d, 856f., 914a). Platon nimmt in diesem Werk auch eine Wahlpflicht (z.B. 756c, 764a) und eine Pflicht, als Zeuge aufzutreten, an (z.B. 936eff.).

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die Abtreibung) für rechtlich erlaubt halten muß: Aufgrund seines vertragstheoretischen Ansatzes kann er als Rechtssubjekte nur Wesen ansehen, die kontrahieren bzw. sich an Verträge halten können. Noch leichter scheint mir die rechtliche Unbedenklichkeit des Kindermordes auf der Basis einer Staatskonzeption begründbar zu sein, die den Staat nicht wie Fichte als normativ idealisierten, sondern wie Hobbes als aus einem egoistischen Interessenkalkül hervorgehenden Vertrag deutet: Das »Homo homini lupus« gilt nur zwischen Erwachsenen, und insofern ein Kind mich nicht töten kann, ist es mir nicht gleich und braucht nicht als Rechtssubjekt respektiert zu werden. Bei der Tötung eines Embryos oder eines Kindes durch die Eltern ist zudem der Rechtsfrieden nicht gefährdet: Mißlingt der Versuch, ist Rache vom Betroffenen nicht zu befürchten, gelingt er, ebensowenig, da das Kind noch in keinem über die Familie wesentlich hinausreichenden sozialen Kontext lebt. Optiert man aber - was auch durch andere Gründe nahegelegt wird - gegen eine vertragstheoretische Deutung des Staates, so hängt der Grundbegriff des Rechts - derjenige der Person - nicht von der Fähigkeit zu kontrahieren ab. Personalität ist etwa nach Hegel eine Eigenschaft, die dem Menschen als Repräsentanten der göttlichen Idee in der Realität unmittelbar zukommt, auch wenn sie erst im Staate garantierte Wirklichkeit hat. Aber was ist es genau, das allein dem Menschen und keinem anderen Organismus zukommt und das die ihm zugeschriebene metaphysische Qualität der Personalität begründet? Offenbar die Fähigkeit zur Reflexion auf sich, Ausdruck des absoluten reflexiven Prinzips. Beharrt man nun auf der Aktualität des Reflexionsvollzugs als des Grundes für Personalität, wird man nicht nur Embryonen und Neugeborenen, sondern auch Kindern bis etwa in die Pubertät Rechtssubjektivität absprechen müssen, ebenso Schwachsinnigen und in Koma Liegenden (ja im Grunde sogar Schlafenden)38 . Will man diese Konsequenzen vermeiden und 38

In unserem Jahrhundert ging - auf einer ähnlichen rechtsphilosophi-

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bedenkt man, daß das Wesen des Geistes dies ist, nicht schon fertig zu sein, sondern sich selbst erst zu dem zu machen, 1NaS er ist, scheint es unumgänglich, die individuelle Potentialität jenes Reflexionsvollzugs als Grund de r Personalität anzunehmen. Daraus folgt die Personalität des Neugeborenen, aber dann auch der befruchteten menschlichen Eizelle ab der Zeugung39 - denn es ist schlicht und einfach rational nicht einzusehen, warum die absolut entscheidende Qualität der Personalität gerade mit der Geburt, dem Ende des sechsten, des dritten Monats, der Nidation40 sehen Basis wie Fichte und mit ähnlicher Konsequenz wie dieser - der Philosoph J. Ebbinghaus davon aus, »daß niemand ein Lebensrecht besitze, der es nicht als ein bewußtes Mitglied der menschlichen Personengemeinschaft selbst geltend machen könne, also weder Kinder noch Geisteskranke. Auch gegen die Tötung von Kindern nach der Geburt sei vom Standpunkt des Menschenrechts nichts Grundsätzliches einzuwenden.« (R. Spaemann, Kein Recht auf Leben? (1974), jetzt in: P. Hoffacker/B. Steinschulte/P. -J. Fietz, Auf Leben und Tod, Bergisch Gladbach 1985, 71-97, 74f.) Dagegen sowie gegen die etwas gemäßigtere soziologisierende Auffassung, ein Lebensrecht setze eine aktuale Kommunikationsfähigkeit voraus, die ein Embryo noch nicht habe, s. die Ausführungen Spaemanns, dessen Beitrag in jeder Beziehung überzeugend ist. 39 Damit ist nicht gesagt, daß der nasciturus auch im zivilrechtlichen Sinne als Person gelten solle. Immerhin ist er nach BGB § 1923 II ab der Zeugung erbfähig. - Daß für den philosophischen Begriff der Person freilich die individuelle Potentialität des Reflexionsvollzugs die entscheidende H insicht ist, hat Ch. Jermann, Die Familie. Die bürgerliche Gesellschaft (in: Ch. Jermann (Hrsg.), op. cit., 145-182) mit Hegel und gegen Fichte überzeugend herausgearbeitet. Hegel spricht von den Kindern als ,,an sich Freie(n)« (§ 175, VII 327). - Geistig sehr schwer Behinderten und Greisen ab einem gewissen Senilitätsgrad ist wohl auch die Potentialität jenes Reflexionsvollzugs abzusprechen; hier ist an die Menschenwürde zu erinnern, an der jeder teilhat, der von Menschen abstammt und menschliches Antlitz trägt. 40 \bn der Bestrafung der Frühabtreibung durch Nidationshemmer (die Kontrazeptiva zu nennen eine ungeheuerliche Begriffsverwirrung ist) mag - wie in StGB§ 219d - aus pragmatischen Gründen abgesehen werden, da das Vorliegen einer Schwangerschaft in diesen Fällen nicht nachgewiesen werden kann; strafbar wäre somit immer nur der Versuch - eine Singularität im sonstigen Recht. Sinnvoll wäre höchstens ein Werbe- und Vertriebsverbot für Nidationshemmer. - Daß unter moralischen Gesichtspunkten die Verwendung von Nidationshemmern (anders als diejenige von Kontrazeptiva) venverflich ist, kann aufgrund der o.a. Argumente nicht ernsthaft bestritten werden. Der Hinweis darauf, »daß es bis zum Nidationsabschluß noch an individuiertem Leben fehlt«, da Mehrlingsbildung noch möglich ist (so etwa A. Eser in: A. Schönke/H. Schrö-

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oder einen anderen Moment eintreten soll, lauter Einschnitten, die keine absolute Zäsur wie die Befruchtung darstellen, sondern relativ beliebige Einschnitte in einem kontinuierlichen Prozeß sind. Hinweise darauf, daß erst ab einem bestimmten Zeitpunkt die Gehirntätigkeit des Embryos o.ä. beginne, sind bedeutungslos, wenn man einmal eingesehen hat, daß es nur auf Potentialität ankommen kann. Denn die Denkvollzüge auch eines Zweijährigen dürften denjenigen eines erwachsenen Schimpansen nicht wesentlich überlegen sein, so daß man auch in diesem Fall auf das Potentialitätsargument angewiesen bleibt; dieses greift aber auch im Fall der befruchteten menschlichen Eizelle. Und es versteht sich von selbst, daß eine solche Frage, bei der es um Leben oder Tod geht, nach logisch sauberen Argumenten zu entscheiden ist, nicht nach irgendwelchen noch so starken Bedürfnissen, die dann sekundär rationalisiert werden41 . Ist die Personalität des Embryo anerkannt, folgt die Strafbarkeit der Abtreibung (etwaige Rechtfertigungs- und Entschuldigungsder, Strafgesetzbuch-Kommentar, München 211982, Vorbern. §§ 218ff., RN 27, S. 1297), ändert daran nichts, sondern ist nur ein Zeugnis für das unauslöschliche Bedürfnis des mensch lichen Geistes nach Legitimation übl ichen Verhaltens - ein Bedürfnis, das sich freilich manchmal mit seltsamer Logik zufriedengibt: Denn es ist nicht einzusehen, warum die Tötung potentieller Zwillinge weniger verwerflich sein soll a ls die eines Embryo. (Durch Klonen wird zudem vielleicht einmal jeder Erwachsene die Möglichkeit zur weiteren Individualisierung durch Mehrlingsbildung haben.) 41 Das logisch inkonsistenteste, in seiner Widersprüchlichkeit schier unglaubliche Beispiel einer solchen sekundären Rationalisierung stellt die häufig zu hörende Argumentation irn Interesse des Embryos dar: Ein Kind habe ein Recht, gewollt zu sein, also dürfe ein Embryo, wenn nicht gewollt, abgetrieben werden . Wenn von einem Recht, gewollt zu sein, gesprochen wird, dann folgt a fortiori ein Recht auf Leben . Reflexionen ferner der Art, eine bestimmte Form menschlichen Lebens sei nicht lebenswert, stehen einem Menschen über einen anderen Menschen nicht zu . - Daß unerwünschte Kinder ein Problem sind, soll nicht bestritten werden; aber nicht alle Mittel, dieses Problem zu lösen, sind legitim. Legitime Mittel sind etwa die Verwendung von Kontrazeptiva und eine Erleichterung der Freigabe zur Adoption (zumal wenn man bedenkt, daß der moralisch keineswegs notwendig hochstehende vVunsch, leibliche Kinder zu haben, nicht vor Mitteln zurückschreckt, zu denen die Einfrierung und ggf. Tötung von Embryonen gehört).

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gründe in bestimmten Ausnahmesituationen zugestanden 42) unvermeidlich. Denn das Leben eines Rechtssubjekts ist ein zu hoher Wert, als daß etwa in Anbetracht des Selbstbestimmungsrechts der Schwangeren von einem Konflikt gleichwertiger Güter die Rede sein könnte. Das Selbstbestimmungsrecht hört dort auf, wo die Selbstbestimmung anderer Rechtssubjekte in toto negiert werd en so1143. Die Bestrafung der Abtreibung (und a fortiori der Kind estötung) ist daher als Pflicht des Rechtsstaates anzusehen 44 .

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Unproblematisch ist die mediz.inische Indikation. In diesem Fall ist die Abtreibung sogar gerechtfertigt: Denn das Leben eines aktualen Vernunftwesens steht höher als das eines potentiellen. Die kriminologische Indikation mag als rechtlicher (nicht als moralischer) Entschuldigungsgrund akzeptabel sein. ferner sind extreme Fälle denkbar (etwa Anenzephalie des Embryos), bei denen die eugenetische Indikation als Entschuldigungsgrund legitim sein mag; bei Behinderungen, die nicht das Menschsein als solches in Frage stellen, oder gar bei dem blo ßen Verdacht einer Behinderung ist sie es nicht. Die allgemeine Notlagen- (sog. soziale) Indikation ist in einem sozialen Rechtsstaat ein Skandal. 43 So das entscheidende Argument im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25.2.1975 zur sog. Fristenlösung: ,,Bei einer Orientierung an Art. 1 Abs. 1 GG muß die Entscheidung zugunsten des \brrangs des Lebensschutzes für die Leibesfrucht vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren fallen. Diese kann durch Schwangerschaft, Geburt und Kindeserziehung in manchen persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten beeinträchtigt sein. Das ungeborene Leben hingegen wird durch den Schwangerschaftsabbruch vernichtet.« (BVerfGE 39, 43) - Zu verfassungsrechtlichen Problemen im Zusammenhang mit dem Abtreibungsverbot vgl. H. Reis, Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes als Verfassungsproblem, Tübingen 1984. 44 Verzichten dürfte der Staat auf die Strafe allerhöchstens dann, wenn durch die Legalisierung die Zahl der Abtreibungen nachweislich sinken würde (wobei übrigens eine solche Argumentation eine general- oder spezialpräventive Begründung der Strafe voraussetzt). Aber selbst dann könnte eingewendet werden, daß sich der Staat durch die Zulassung von Abtreibungen etwa in staatlichen Kliniken sittlich beflecke und daß dies durch ein bloß quantitatives Aufrechnen von Leben nicht gerechtfertigt werden könne. Zudem ist es a priori äußerst unwahrscheinlich, daß eine sonst verbotene Handlungsweise durch Legalisierung zurückgeht; in einem säkularisierten Zeitalter, in dem eine überpositive Normeninstanz fehlt, bedeutet Legalisierung für das allgemeine Bewußtsein gewöhnlich auch Legitimierung (vgl. Anm. 68). Außerdem kann bei einer Legalisierung der Abtreibung auf Schwangere, die nicht wissen, ob sie abtreiben sollen, vom Partner usf. Druck dahingehend ausgeübt werden, abzutreiben.

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3. Nicht ohne Bezug zum eben erörterten Problem ist dasjenige der Delikte gegen die Natur. Ihre Strafbarkeit wird von Fichte ausdrücklich, von Hegel implizit verneint 45, ist allerdings heute im allgemeinen anerkannt. Aber wie ist sie zu begründen? Umproblematisch ist ihre Rechtfertigung dort, wo, wie bei vielen Umweltschutzdelikten, direkt oder indirekt Leben, Gesundheit und Eigentum von Personen betroffen sind. Nicht ganz so einfach ist eine Rechtfertigung dort, wo sich d ie negativen Folgen erst in einigen Generationen auswirken. Hier ist es unumgänglich, ein Recht (übrigens wohl auch eine moralische Pflicht) der Menschheit als solcher anzunehmen, sich als Gattung auch in der Zukunft zu erhalten. Darüber hinaus wird man zugestehen, daß das legitime Interesse der Menschheit an der Erhaltung der Umwelt letztere nicht bloß als Bedingung der Möglichkeit des eigenen physischen Überlebens betrifft. Auch ein theoretisches oder ästhetisches Interesse an der Vielfalt der Arten, an Naturschönheiten usf. ist als berechtigt anzuerkennen - selbs t der einfachste Organismus ist immer noch etwas unendlich Komplexeres als zubetonierter Boden. Allerdings wi rd man, soweit keine vitalen Interessen berührt sind, nur von einem Recht, nicht von einer Pflicht des Staates ausgehen, entsprechende Verbote zu erlassen. Sehr schwierig ist das Problem der Strafbarkeit von Handlungen, die gegen einzelne Tiere gerichtet sind, wie etwa sinnlose Tierquälerei. Sicher, ein Tier ist für die Philosophie keine Sache; Anorganisches und Organisches sind spezifisch unterschieden. Aber welches Rechtsgut wird durch Tierquälerei verletzt? Kein Mensch wird durch sie gefährdet, kein theoretisches Interesse durch sie gestört. An anderer Stelle 40 habe ich dahingehend argumentiert, daß solche Handlungen nur als ein Fall moralischer 45

Beim Hegelschüler C. L. Michelet heißt es explizit, nur öffentliche Tierq uälerei könne verboten werden - »als ein Verstoss gegen das eigene sittliche Gefühl des Thäters oder gegen das der Andern, nicht gegen das Thier selbst« (Naturrecht oder Rechts-Philosophie a ls die praktische Philosophie, 2 Bde., Berlin 1866, II 4). 46 Das abstrakte Recht, op. cit.

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Selbsterniedrigung (dazu s.u. unter 7a)) zu bestrafen seien, nicht als Verletzung der Rechte von Tieren, die es nicht gebe; denn es sei nur natürlich, daß Tiere litten, und man wolle ja nicht eine Pflicht des Staates annehmen, etwa eine Maus zu befreien, mit der eine Katze »spielt«. Ich gestehe gern, daß ich mit dieser Antwort emotional nicht zufrieden bin; aber ich kenne keine bessere. (Erwähnenswert, aber m.E. nicht überzeugend ist die Auffassung, daß die Empfindung, eine der ersten Stufen von Reflexivität im Reiche des Lebendigen, und erst recht die Vorformen von denkendem Bewußtsein, wie sie sich bei höheren Tieren finden, eine derart affirmative Struktur darstellten, daß der Staat sie vor ungerechtfertigten Verletzungen durch das potentiell grausamste Wesen, den Menschen, schützen dürfe. Von einem Schutz der Tiere voreinander sehe der Staat nur aus Gründen der Praktikabilität ab. )47 4. Daß von den Delikten gegen Institutionen die gegen den Staat strafbar sein müssen, folgt schon daraus, daß es der Staat ist, der u.a. durch die Strafe den Rechten der einzelnen Wirklichkeit verleiht. Umstritten ist jedoch, ob es - über die gewöhnliche Beleidigung hinaus - besondere Delikte gegen Religionsgesellschaften und zumal ob es Delikte gegen die Familie als Institution geben kann. Offenbar läßt sich diese Frage nur beantworten, wenn man den Stellenwert von Religion und Familie für den Staat geklärt hat. a) Wenn man - wie z.B. Hegel (R. § 270 A, VII 415ff.; E. § 552 A, X 355ff.) - der Ansicht ist, daß das Fundament des Rechts wie überhaupt des Normativen nur für wenige in der Philosophie, für die Mehrzahl der Menschen jedoch in der bzw., um genau zu sein, in einer Religion gelegt wird, dann dürfte ein be47

Interessant ist das Argument, Tierquälerei könne schon deswegen nicht bestraft werden, weil die Tötung von Tieren erlaubt sei. Dagegen ließe sich jedoch einwenden, daß erstens das Tier als nicht denkendes, sondern nur unmittelbar empfindendes Wesen etwas Al/gemeines wie sein Leben gar nicht wollen könne (vgl. Hegel, R. § 47 Z, VII 111), wohl aber zugefügten Schmerz spüre, und daß zweitens der Grausamkeit ein besonderer sittlicher Unwertgehalt zukomme.

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sonderer Schutz von Religionsgesellschaften legitim sein. Die aggressive und bloß polemische Verunglimpfung religiöser Bekenntnisse darf in diesem Sinne vom Staat als Angriff gegen die eigene Basis verfolgt werden. Allerdings ist klar, daß rationale Argumente gegen die Wahrheit bestimmter religiöser Dogmen unter keinen Umständen ein Straftatbestand sein können - schon weil es moralische Pflicht ist, Rationalität zu verbreiten - und daß in einer historischen Situation, in der die Religion ihre die Normen fundierende Funktion verloren hat, ein Recht des Staates, sie in besonderem Maße zu schützen, entfällt48. b) Während man durchaus der Ansicht sein kann, daß die Religion nur eine historische Erscheinung ist, deren Bedeutung für den Staat mit der Zeit notwendig geringer wird, ist eine entsprechende Auffassung bezüglich der Institution der Familie schwer nachzuvollziehen. Zu Recht hat Hegel in seiner Theorie des objektiven Geistes ihr als erster Institution der Sittlichkeit eine für den Staat konstitutive Bedeutung eingeräumt, während sie Fichte nur in einem Anhang der »G rundlage des Naturrechts« zu behandeln weiß. Die Bedeutung der Familie für den Staat resultiert zunächst einmal daraus, daß sie der Ort der Fortpflanzung der Menschen ist, an der der Staat als Selbsterhaltungssystem ein legitimes Interesse haben muß. Aber auch unabhängig von ihrer Bedeutung für die Kinderaufzucht ist die versittlichende Funktion kaum zu überschätzen, die in der Monogamie als einer Selbstbindung der Freiheit, als einer Entscheidung für eine lebenslange Gemeinschaft mit eine,n Menschen liegt (ganz abgesehen von der durch sie erreichten institutionellen Einbindung des Sexualtriebs)49 . Es 48

Möglich bleibt immer, Beschimpfungen zu verfolgen, d ie geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören (vgl. StGB§ 166) - geschütztes Rechtsgut ist aber dann nur letzterer, nicht die Religion als solche. - In einem pluralistischen Staat ist es zwingend, Relig ionsgesellschaften weltanschauliche Vereinigungen g leichzustellen. 49 Eine staatliche Anerkennung der Ehe als dualer Lebensgemeinschaft ist daher auch unabhängig von ihrer Erweiterung zur Familie sinnvoll. Dennoch dürfte klar sein, daß die Familie - und nicht so sehr die Ehe - für den Staat wichtig ist; jene sollte daher eher als diese etwa mit steuerpolitischen Mitteln gefördert werden.

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scheint mir daher evident, daß der Staat die in Zeiten des Werteverfalls besonders bedrohte Institution der Familie schützen darf und soll - und zwar ggf. auch mit strafrechtlichen Mitteln, wenn er auch zugegebenermaßen in einer Sphäre, in der mit Zwang fast nichts zu erreichen ist, möglichst vorsichtig mit ihnen umgehen sollte. Dennoch ist etwa Bigamie zu Recht ein Straftatbestand (vgl. StGB § 171), und es ist zwar wohl nicht sinnvoll, aber doch auch nicht geradezu naturrechtswidrigSO, wenn der Staat etwa den Ehebruch und die Anstiftung zu ihm zu Antmgsdelikten erklärt, wenn sie zur Auflösung einer Ehe geführt haben. (Offizialdelikte können sie nicht sein, weil nur der Ehepartner beurteilen kann, ob die Ehe wirklich durch den Ehebruch zerstört wurde.) Besonders wenn Kinder da sind, ist nicht nur das Leiden, sondern auch das Unrecht, das durch die Zerstörung einer Ehe zugefügt wird, wesentlich größer als dasjenige, das etwa in einer Beleidigung geschieht. 5. Bei den Sexualstraftaten51 ist die Strafbarkeit unproblematisch bei denjenigen, die ganz offenkundig die sexuelle Selbstbestimmung verletzen, also auf Gewalt beruhen, Abhängigkeiten ausnützen usf. Doch schon bei den Bestimmungen zum Schutze von Kindern und Jugendlichen läßt sich füglich fragen, ob wirklich vom Schutze der sexuellen Selbstbestimmung als ihrem Ziel die Rede sein kann, wenn auch von den Kindern und Jugendlichen gewollte sexuelle Handlungen pönalisiert werden. Dies wäre wohl nur dann 50

Allerdings könnte geltend gemacht werden, daß eine Ehe ja nicht nur durch einen Ehebruch im Sinne eines Geschlechtsverkehrs mit einem Dritten zerstört werde, sondern auch durch manches andere, was prinzipiell nicht strafrechtlich erfaßt werden könne, so daß eine Bestrafung nur des Ehebruchs im engeren Sinne des Wortes ungerecht sei. Vgl. W. Freiherr Ostman von der Leye, Zur Reform des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, Frankfurt/Berlin 1968, 65. 51 Die Behandlung von Sexualdelikten in einem eigenen Punkt hat nur pragmatische Gründe. Die umstrittensten, aber m.E. strafbaren Sexualdelikte lassen sich alle auf Straftaten gegen die Menschenwürde bzw. gegen sich bzw. gegen andere mit ihrem Einverständnis zurückführen; wegen ihres inhaltlichen Zusammenhangs düfte ihre separate Erörterung jedoch sinnvoll sein.

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zu bejahen, wenn derartige Handlungen Kinder und Jugendliche physisch oder psychisch gefährdeten und d.h. ihnen zumindest später - und zwar nicht nur in Ausnahmefällen - schadeten52. (Analoges gilt für das Verbot der Verbreitung von Pornographie, solange es nur mit Rücksicht auf den Jugendschutz gerechtfertigt wird.) Solange d ies nicht empirisch bewiesen ist, dürfte die Strafbarkeit in diesen Fällen schwerlich zu legitimieren sein - sofern Sozialschädlichkeit als einziges Kriteriu,n für die Strajlxirkeit einer Handlung giJt53. Leichter begründbar dürfte die Strafbarkeit hingegen sein, wenn in der Erhaltung der Keuschheit von Kindern und

Das ist sicher der Fall bei einem Beischlaf mit der Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft, aber nicht notwendig (d.h. bei Zugrundelegung eines ethisch möglichst wertneutralen Schadensbegriffs) bei anderen sexuellen Handlungen bzw. bei einem Beischlaf, bei dem jene Gefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschaltet ist. Hier könnte höchstens von abstrakten Gefährdungsdelikten die Rede sein, deren Strafbarkeit bekanntlich nicht unp roblematisch ist (vgl. Anm. 64). - Die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen zwei Formen von Beischlaf (mit bzw. ohne Empfängnismöglichkeit) ergibt sich u.a. aus der Entwicklung von Kontrazeptiva; sie ist im StGB nicht berücksichtigt (vgl. nur §§ 177 f.), obgleich sie unterschiedliche rechtliche Unwerturteile begründet. Vgl. unten zum Inzest. 53 Dieses Kriterium hat in der Diskussion um die Reform des Sexualstrafrechts in den 60er Jahren die entscheidende Rolle gespielt; vgl. etwa U. Klug, Rechtsphilosophische und rechtspolitische Probleme des Sexualstrafrechts (1963), jetzt in: U. K., Skeptische Rechtsphilosophie und humanes Strafrecht, 2 Bde., Berlin/Heidelberg/New York 1981, II 173-210; E.-W. Hanack, Zur Revision des Sexualstrafrechts in der Bundesrepublik, Reinbek 1969; E. vVahle, Zur Reform des Sexualstrafrechts, Frankfurt/Berlin 1969. Aber es erscheint zweifelhaft nicht nur, ob es tatsächlich ein sinnvolles Kriterium ist, sondern auch, ob mit ihm alle noch verbliebenen Sexualstraftatbestände kompatibel sind. Jedenfalls besteht das Problem in der Klärung des Begriffs »Schaden• . vVann liegt ein solcher vor? Nur bei physischen Verletzungen bzw. psychischem Unwohlsein> Oder kann man von Schäden auch sprechen, wenn ein Mensch in seiner ethischen Substanz gebrochen ist? Es ist interessant, daß - obgleich der XII I. Abschnitt des StGB nun nicht mehr den Titel •Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit«, sondern den Titel „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung« trägt - der Gesetzgeber nicht auf den Begriff der sittlichen Gefährdung verzichtet hat (vgl. § 184b; dagegen allerdings § 170d). Auch sexuelle Selbstbestimmung ist ein vager Begriff, je nachdem, ob man unter selbstbestimmten willkürliche oder nur wahrhaft autonome - und d.h. rationale und ethisch verant"'ortbare - Entscheidungen versteht. 52

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Jugendlichen ein Wert gesehen wird, dessen Relevanz diese noch nicht überschauen können - ein Wert, dessen Geltung aus der großen Bedeutung sexueller Selbstbeherrschung für die Herausbildung verantwortungsvoller Personalität54 sowie für das Bestehen der Monogamie folgt. Sexuelle Handlungen unter Erwachsenen ohne jede moralische Grundlage wird man freilich schwerlich bestrafen wollenSS, zumal über das Bestehen oder Nicht-Bestehen einer solchen Grundlage oft nur die Betroffenen entscheiden können; zudem ist um der Ausbildung verantwortlicher Autonomie willen gerade im erotischen Bereich ein juristisches Recht zur Unmoral innerhalb recht großzügiger Grenzen zuzugestehen. Auch bei den Delikten gegen die sog. natürliche Sexualmoral ist eine Strafbarkeit i.a. nicht zu legitimieren, da das sexuelle Verhalten der Mehrheit nicht schon normativ verbindlich ist und Gefühle keine Geltungsansprüche begründen können56. Um auf die Homosexualität einzugehen, so

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Wohl allein wegen dieses Zusammenhangs zwischen sexueller Selbstbeherrschung und Personalität kann ein Recht zur Bestrafung der Erregung öffentlichen Ärgernisses, des Zukommenlassens po rnographischer Schriften an jemanden ohne Aufforderung (vgl. StGB § 180 1 6) usf. bestehen; es ist sonst nicht einzusehen, warum die Erweckung sexueller Gefühle in einem anderen gegen dessen Willen eher bestraft werden sollte als etwa die Erregung sonstiger Bedürfnisse, wie sie durch jede Werbung geschieht. Auch die Belästigung durch exhibitionistische Handlungen dürfte, wertneutral betrachtet, nicht größer sein als die durch manches andere, das man täglich ertragen muß. 55 Das ändert nichts am moralischen Unwerturteil über Promiskuität, Konkubinat usf. Ohne wirkliche Liebe reduziert sich der Geschlechtsverkehr auf wechselseitige Instrumentalisierung; und wirkliche Liebe setzt - im Gegensatz zum Verliebtsein - Fähigkeit zur Bindung und Verantwortung voraus. Schön heißt es bei Fichte: »Sie geben sich einander auf immer, weil sie sich einander ganz geben.« (III 317) 56 Das rational nicht begründbare sittliche Gefühl der Mehrheit kann nie ein Rechtsgut sein, das der Staat durch Strafverfolgung anders Empfindender schützen darf. So mag es durchaus sein, daß etwa das sittliche Gefühl eines normalen Buren durch sexuelle Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen verletzt wird; ein entsprechendes Verbot ist nichtsdestoweniger absolut naturrechtswidrig. - Absurd ist es daher, daß etwa der Supreme Court der USA 1986 an der Strafbarkeit bestimmter sexueller Praktiken festhielt, die der Mehrheit abstoßend erscheinen mögen (Oralkoitus, Analkoitus) - zumal wenn man bedenkt, daß

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wäre die mit dieser oft verbundene Promiskuität nur zu bestrafen, wenn auch heterosexuelle Promiskuität bestraft würde57, und bei einer lebenslangen homosexuellen Partnerschaft muß man sogar zweifeln, ob sie auch nur moralisch verwerflich ist; jedenfalls ist rational nicht einzusehen, worin sie sich von einer bewußt kinderlos bleibenden Ehe unterscheidet58 . - Was den (im StGB zu den Straftaten gegen die Familie gerechneten) Inzest angeht, so dürfte seine moralische Minderwertigkeit außer Frage stehen: Die Liebe ist nur dann eine Tat der Freiheit, wenn sie aus dem durch unmittelbare Bindung gekennzeichneten Kreis der Familie heraustritt (vgl. Hegel, R. § 168, VII 321f.). (Höchstens bei einer frühen Trennung der Eltern von den Kindern bzw. der Geschwister voneinander mag er seine moralische Minderwertigkeit verlieren.) Ob der Inzest unter Erwachsenen deswegen auch schon bestraft werden sollte, ist freilich schwer zu entscheiden. Die jetzige Regelung im deutschen Strafrecht (StGB§ 173) ist jedenfalls denkbar unbefriedigend; denn es bleibt unklar, ob Strafgrund angebliche mögderselbe Supreme Court gleichzeitig die Fristenlösung bezüglich der Abtreibung durchgesetzt hat. 57 Ich sehe hier ganz davon ab, daß die Bestrafung nur der männlichen Homosexualität - trotz der entgegengesetzten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - einen flagranten Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darstellen dürfte. 58 Um eine kinderlose heterosexuelle Beziehung vor einer homosexuellen auszuzeichnen, käme höchstens der Rekurs auf die Lehre vom Wesensgegensatz zwischen Mann und Frau und ihre Komplementarität in Frage. Aber es dürfte klar sein, daß diese Lehre - aus der wohl notwendig folgt, daß etwa Frauen in Politik, Wissenschaft usf. nichts zu suchen haben - durch die Emanzipation der Frau in unserem Jahrhundert überholt ist und im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz steht. Naütrl ich gibt es Differenzen zwischen Mann und Frau, aber sie dürften nicht »wesentlicher« sein als die zwischen Weißen und Schwarzen usf. und sich im Lauf der Geschichte immer mehr abstumpfen. - Deswegen (und auch um die Promiskuität bei Homosexuellen einzudämmen) wäre zu erwägen, Ehen unter Gleichgeschlechtlichen zuzulassen. Von einer rechtlichen Pflicht, Kinder in die Welt zu setzen, könnte wohl auch bei rapider Abnahme der Bevölkerungszahl eines Staates nicht die Rede sein, weil die Zeugung eines Kindes moralisch etwa Liebe voraussetzt, die prinzipiell nicht zu erzwingen ist. Platons Auffassung, Ehelosigkeit sei mit Geld- und Ehrenstrafen zu ahnden (Nom . 774aff.), ist naturrechtswidrig.

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liehe genetische Gefahren für die Nachkommenschaft sind dann aber wäre der Inzest nur bei realer Empfängnismöglichkeit zu bestrafen59, und es handelte sich um ein Gefährdungsdelikt - oder der Wunsch, den Kern der Familie prinzipiell von sexuellen Beziehungen freizuhalten - dann aber kann nicht nur der Beischlaf strafbar sein und ist die Beschränkung auf leibliche Verwandte rational nicht einzusehen. - Während es auch beim Inzest immer noch um zwischenmenschliche Beziehungen geht, ist bei Sodomie der moralische Unwertgehalt so hoch, daß eine Bestrafung eher in Frage käme. Es ist jedenfalls wenig überzeugend, den Nachkommen nicht gefährdenden Inzest unter Erwachsenen unter Strafe zu stellen und die Sodomie straffrei zu lassen (wie im gegenwärtigen deutschen Strafrecht). Die Strafbarkeit der letzteren ergäbe sich aus ihrem Charakter, ein Akt der Aufgabe der eigenen Menschenwürde zu sein (s.u. unter 7a)). - Die Strafbarkeit von Leichenschändung als eines Delikts gegen die Menschenwürde ist zu bejahen. 6. Unter Delikten gegen die Menschenwürde verstehe ich Handlungen, die nicht gegen eine konkrete lebende Person gerichtet sind (auch nicht gegen sich selbst), sondern nur gegen etwas, das als Syrnbol des Menschen fungiert, und die dasjenige radikal in Frage stellen, was den innersten Wert des Menschen als Geistwesen ausmacht. Dazu zähle ich etwa die Herstellung und Verbreitung bestimmter sadistischer bzw. pornographischer Schriften, Abbildungen usf., in denen der Mensch im wesentlichen als Fleischmasse vorgeführt wird, die sei es in Stücke zu reißen ist, sei es im Non-Stop-Verfahren allen möglichen sexuellen Handlungen mit Menschen, Leichen und Tieren obliegt. Wird nun die Strafbarkeit der Verbreitung derartiger Machwerke durch Argumente begründet, die auf mögliche Gefahren für reale Menschen abzielen, so gerät man in arge Schwierigkeiten. Nicht nur würde es sich dann bloß um ein Gefährdungsdelikt handeln; es ist dar59 Vgl. Anm. 52.

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über hinaus zweifelsohne 1nöglich, sich einen Staat vorzustellen, in dem Person und Eigentum bestens geschützt sind, d ie Bürger gewissenhaft ihrer immer geringer werdenden Arbeit nachgehen und dann nachmittags und an den Feiertagen ihre Freizeit nicht mehr mit religiösen oder ästhetischen Tätigkeiten, sondern mit dem Anblick derartiger Werke und der Nachahmung des in ihnen Dargestellten an kreischenden Puppen, frischgehaltenen Leichen und Tieren verbringen. Zwar scheint es mir wahrscheinlich, daß auf die Dauer ein solcher Dualismus nicht aufrechtzuerhalten ist, daß der Anblick von Gewalt auch Gewalt gegenüber realen Personen begünstigt. Doch ist dies nicht a priori zu beweisen, und es ist auch nicht unbedingt zu wünschen, daß viele Staaten dadurch, daß sie diesen Zustand erreichen, empirischen Psychologen die Gelegenheit geben, diese Frage an ihnen näher zu untersuchen. Ein solcher Nachweis ist m.E. auch gar nicht erforderlich, um das Recht des Staates zu begründen, eine Entwicklung hin zu einem solchen Zustand (die im übrigen eine reale Gefahr sein dürfte) auch mit strafrechtlichen Mitteln zu erschweren. Denn ein solcher Zustand wäre, auch ohne konkrete Gefährdungen des einzelnen, auf jeden Fall gegen die Rechtsidee, auch wenn von Fichtes Staatsbegriff nichts gegen ihn einzuwenden sein dürfte. Einer Auffassung wie der Fichteschen liegen nominalistische Voru rteile zugrunde60; dagegen ist darauf zu beharren, daß eine Verletzung der Menschenwürde, auch ohne Auswirkungen auf reale Personen, die Verletzung eines zentralen Rechtsgutes ist, das keine bloße Fiktion, sondern durchaus eine reale Entität darstellt. Ja, auch der einzelne Mensch ist überhaupt nur Rechtssubjekt, weil er mehr als individuierte Materie ist, weil er an etwas Ideellem, eben der Menschenwürde, teilhat. Angriffe gegen dieses Ideelle, 60

Der Nominalismus ist sicher falsch, vernichtet er doch nicht nur die Möglichkeit einer vVissenschaft wie der Mathematik (ja letztlich jeder nomothetischen vVissenschaft), sondern auch sich selbst: Dem Satz »universalia sunt nomina« liegt nicht eine Analyse aller einzelnen Allgemeinbegriffe zugrunde, sondern er beansprucht notwendig, eine Wesensaussage über Universalien zu sein. Allein so läßt sich sein Allgemeinheitsanspruch begründen.

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den höchsten Punkt im Menschen, der seine konkrete personale Würde erst begründet, sind daher - wenn auch nicht notwendig empirisch, so doch begrifflich - immer auch Angriffe gegen den einzelnen Menschen selbst, mag sich dieser darüber Rechenschaft abgeben oder nicht. Wie der Mensch aus logischen Gründen nicht das Recht haben kann, seine eigene Rechtsfähigkeit aufzugeben, so hat er a fortiori auch nicht das Recht, das anzugreifen, was der Rechtsfähigkeit jedes Menschen zugrunde liegt. Dies aber geschieht dort, wo der Mensch auch nur in einer Darstellung ohne weiteren Sinn und Zweck zum Fleischklumpen oder Sexualobjekt degradiert wird. Auf diese Weise läßt sich auch, unabhängig von jeden Jenseitsvorstellungen, die Strafbarkeit bestimmter nicht rechtfertigbarer Handlungen gegen Leichen begründen. Eine Leiche ist sicher kein Rechtssubjekt - aber sie ist auch keine bloße Sache, sondern in noch höherem Maße als ein Bild Symbol dessen, was absolut Respekt gebietet, der personalen Würde des Menschen als eines Geistwesens61, 62_ 7a) Der Begriff der Menschenwürde erlaubt zu verstehen, wieso es auch Delikte gegen sich als Person geben kann. Wer sich selbst

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Allein der Begriff der Menschenwürde wäre auch in der Lage, ~in Verbot bestimmter Mischungen menschlichen und tierischen Erbguts zu legitimieren. Auf die schwierigen, mit den neuen biotechnischen Möglichkeiten verbundenen rechtsphilosophischen Probleme kann ich allerdings hier nicht eingehen. Auch das S. 40 erwähnte Recht der Menschheit, sich als Gattung zu erhalten, setzt zwar nicht gerade den Begriff der Menschenwürde, wohl aber eine Überwindung des Nominalismus voraus, für den nur einzelne reale Subjekte Rechte haben könnten. 62 In seiner tiefsinnigen Geschichtsphilosophie hat G. B. Vico Religion, Eheschließung und Bestattung als diejenigen Prinzipien der menschlichen Kultur herausgearbeitet, die diese nicht aufgeben könne, ohne aufzuhö ren, Kultur zu sein (Scienza Nuova, 3 1744, I. Buch, 3. Kapitel). Auf der Basis eines extrem individualistischen Standpunktes a la Fichte ist zwar ein Staat denkbar, in dem diese Prinzipien keine Rolle mehr spielen, aber Vico dürfte tiefer sehen als Fichte, wenn er einer solchen Kultur, die keine überindividuelle Instanz mehr respektiert, einen notwendigen Verfall vorhersagt.

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absolut erniedrigt, etwa in Sodomie und Tierquälerei sich selbst zum Tier macht, beleidigt damit mittelbar die Menschenwürde, an der auch er teilhat. Solche Handlungen zu bestrafen, ist daher nicht notwendig eine Willkürmaßnahme des Staates. Sicher muß es rechtlich erlaubt sein, gewisse unmoralische Handlungen zu begehen, die ja stets partielle Negationen der Menschenwürde darstellen; aber es kann n icht erlaubt sein, die eigene personale Würde total aufzugeben, sie - Hegelsch gesprochen - in einem negativ-unendlichen Urteil in ihrem Wesensgehalt preiszugeben, eben weil d iese Würde die Bedingung für die Anerkennung durch die anderen ist. Um von den anderen als Person behandelt zu werden, genügt es nach Hegels Rechtsgebot nicht, daß ich sie als Person behandle; ich muß auch selbst Person sein. Ein Mensch muß sich des Achtungsanspruchs, der ihm als Menschen im Unterschied zum Tier zukommt, mindestens insofern würdig erweisen, als er sich der tierischsten in seiner Natur angelegten Handlungen enthält. So hat der Staat m.E. nicht nur das Recht, z.B. sittenwidrige Körperverletzung mit Einwilligung des Verletzten zu bestrafen (vgl. StGB§ 226a); auch der Masochist, der sich etwa von einem Sadisten auspeitschen läßt, dürfte ohne weiteres bestraft werden63_ b) Die Pflicht, Person zu sein, betrifft nicht nur die personale Würde; sie betr ifft auch die Erhaltung der leiblichen Unversehrtheit, der Gesundheit. Es gibt kein Recht, die eigene Gesundheit durch Handlungen oder auch Unterlassungen (z.B. die Weigerung, einen Schutzhelm zu tragen, sich anzuschnallen usf.) zu zerstören bzw. auch nur in unverantwortlicher Weise zu gefährden; entsprechende Handlungen können als Vergehen bzw. als Ordnungwidrigkeiten bestraft werden64. Die Auffassung, daß ich 63

Hierin liegt auch das Recht des Staates begründet, etwa die Prostitiution zu verbieten oder zu erschweren. Ein totales Verbot dürfte freilich unzweckmäßig sein. 64 Natürlich sind bei bloßen Gefährdungen das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen (das bei Geboten evidenterweise noch stärker als bei Verboten eingeschränkt wird) und der Grad der Gefahr sorgsam gegeneinander abzuwä-

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ja d abei nur 1nir schade u nd daß dies niemand anderen etwas angehe, ist Folge einer solipsis tischen Abstraktion (ganz davon abgesehen, daß es nach dem Gesagten nicht einmal ein Recht dazu gibt, nur sich selbst zu schaden°5). Der Drogensüchtige

gen; es ist alles andere als meine Meinung, daß der Staat alles potentiell Gefährliche verbieten solle. Individuelle Selbstbestimmung ist ein hoher Wert, aus dem auch die Gemeinschaft ihre Kraft schöpft. - Was etwa das BtMG angeht, kann man durchaus der Ansicht sein, daß z.8. ein Haschischverbot nicht zu rechtfertigen sei, da dessen negative Wirkungen die des Alkohols nicht überträfen: so etwa E. A. Wolff in seinem hervorragenden Aufsatz »Das neuere Verständnis von Generalprävention und seine Tauglichkeit für eine Antwort auf Kriminalität« (in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 97 (1985), 786-830), 829. Freilich kann ich manchen seiner weiteren Ausführungen nicht folgen, so wenn er etwa eine Bekämpfung des Haschischs zwar nicht über das eigentliche Straf-, aber doch über das Ordnungswidrigkeitenrecht für legitim erklärt. Denn zwar muß der Begründungszwang bei der Bestrafung von Straftaten im engeren Sinne größer sein als bei derjenigen von Ordnungswidrigkeiten, und es ist an dem v\lesensunterschied zwischen beiden festzuhalten, den schon Fichte (III 239ff.) und Hegel (R. § 232ff., VII 383) herausgearbeitet haben und der durch das Vorhandensein von abstrakten Gefährdungsdelikten im StGB in Frage gestellt wird, wie v\lolff in Anschluß an A. Kaufmann bemängelt (828f.); aber auch die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ist staatlicher Zwang, der legitimiert werden muß, und es geht nicht an, problematische Straftatbestände, ntit deren Rechtfertigung man Schwierigkeiten hat, einfach als Ordnungswidrigkeiten zuzulassen. Denn auch hier bleibt die grundsätzliche Frage: Darf der Staat Handlungen, die nur einem selbst schaden, verbieten? Diese Frage wird von Wolff nicht klar beantwortet. Einerseits hält er das Argument, auch etwa Heroin zu nehmen gehöre zur Freiheit der Person, für nicht abwegig, andererseits versucht er, das entsprechende Verbot folgendermaßen zu legitimieren: Der Mensch könne allgemein seine Schwächen einrechnen und habe daher einen Anspruch darauf, in Phasen der Schwäche durch andere nicht in Versuchung geführt zu werden (829 f., Anm. 92). Diese Argumentation ist jedoch wenig überzeugend; denn mit ihr ließe sich bestens rechtfertigen, Personen Heroin zu verkaufen, die in einer nachweisbaren Phase der Stärke erklärt haben, sie hätten sich dafür entschieden, in Phasen der Schwäche allen Versuchungen nachzugehen. - Bei vielen Rauschgiften scheint ü_brigens nicht so sehr eine Gefährd ung der Gesundheit als Abhängigkeit das Ubel zu sein, das es zu bekämpfen gilt. 65 Die Möglichkeit von Rechtspflichten gegen sich wird häufig mit dem Argument verneint, Recht setze eine Pluralität von Personen voraus. Das ist insofern richtig, als ein Rechtsbruch immer nur von einem anderen bestraft werden kann; nur eine Mehrzahl von Personen kann also das Recht venvirklichen . Aber daraus folgt nicht die Unmöglichkeit von Rechtspflichten gegen sich.

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etwa gibt erstens ein schlechtes Beispiel und nimmt zweitens in einem Sozialstaat durchaus zu Recht - nach der Zerstörung seiner Gesundheit öffentliche Leistungen in Anspruch. Begren-

zung des Rechts, ,nit sich zu rnachen, was rnan wolle, und Sozialstaatsprinzip sind nur die zwei Seiten derselben Medaille. - Aber nicht nur belastet ein gesundheitliches Wrack Gesellschaft und Staat; es kann auch nicht den ihnen geschuldeten positiven Leistungen nachkommen. Zu Recht werden daher zumindest jene Selbstschädigungen bestraft, die in der ausdrücklichen Absicht geschehen, sich Pflichten gegenüber dem Staat zu entziehen - ich denke etwa an Wehrpflichtentziehung durch Selbstverstümmelung (vgl. StGB § 109). Aus dem Gesagten ergibt sich, daß auch der Selbstmord Unrecht ist (außer in bestimmten, seltenen Ausnahmefällen, etwa bei unheilbarer, schmerzlicher Krankheit, wo ihn vielleicht sogar der Respekt vor der Menschenwürde motivieren kann). Zwar ist auf die Bestrafung des Selbstmordversuchs immer zu verzichten - aber nicht weil hier kein Unrecht vorläge, sondern weil bei einer solchen Verzweiflungstat mit Schuldausschließungsgründen zu rechnen ist. Das Beharren darauf, daß Selbstmord Unrecht, wenn auch nicht strafbares Unrecht ist, ist nicht nur aus theoretischen Gründen wichtig. v\lenn man das m.E. logisch zwingende Akzessorietätsprinzip akzeptiert, dann ist allein auf d iese Weise die Strafbarkeit der Beihilfe und der Anstiftung zum Selbstmord zu rechtfertigen, die ich mit Nachdruck vertreten möchte00 . 8. Beihilfe und Anstiftung zum Selbstmord leiten über zum Pro-

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Vgl. dazu den hervorragenden Aufsatz von E. Schmidhäuser, Selbstmord und Beteiligung am Selbstmord in strafrechtlicher Sicht, in: Festschrift für H. Welzel, hrsg. von G. Stratenwerth, A. Kaufmann u.a., Berlin/ New York 19'74, 801-822. - Natürlich wäre es rechtstechnisch denkbar, nur Beihilfe und Anstiftung zum Selbstmord als Straftatbestand anzuführen, ohne den Selbstmord als solchen zu kriminalisieren (wie das etwa in Österreich der Fall ist); rechtsphilosophisch ist aber klar, daß Beihilfe und Anstiftung zu einer Handlung, zu der der Täter ein Recht hat, unter keinen Umständen bestraft werden dürfen.

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blem der Schädigung eines anderen mit dessen Einwilligung, das durch das eben Gesagte im Grunde schon gelöst ist. Wenn es unrechtlich ist, sich selbst zu töten, dann ist es a fortiori nicht zu erlauben, jemand anderen mit dessen Einwilligung zu töten (vorbehaltlich denkbarer Rechtfertigungsgründe in äußersten Ausnahmen), zu verstümmeln, seine Gesundheit sinnlos zu gefährden. Ebensowenig darf ich einen, der sich mir ohne äußeren Zwang sklavisch ergeben hat, seiner geistigen oder körperlichen Freiheit berauben. Sekten, die ihre Mitglieder - durchaus mit deren Zustimmung - einer geistigen Gehirnwäsche unterziehen, können daher verboten werden. Ebensowenig wie entsprechende Handlungen eines Kindes oder Schwachsinnigen, brauchen die Handlungen desjenigen, der seine Rechtsfähigkeit aufgibt, anerkannt zu werden; es gibt keinen legitimen Willen, sein verantwortliches Wollen aufzugeben und an andere zu delegieren°7 . Während bei demjenigen, der dies tut, allerdings Schuldausschließungsgründe anzunehmen sind, entfallen derartige Gründe in der Regel bei demjenigen, der die geistige Sklaverei anderer bewußt ausnützt, um daraus Profit zu ziehen. Die nun abgeschlossene Analyse der bezüglich der Frage, ob der Staat sie bestrafen dürfe oder nicht, umstrittensten Fälle hat bei der Mehrzahl ergeben, daß ein derartiges Recht des Staates besteht. Allerdings nur ein Recht - es ist nicht meine Ansicht, daß der Staat in d iesen Fällen immer strafen sollte. Bei Schädigung und Gefährdung der eigenen Gesundheit etwa sind versicherungsrechtliche Druckmittel sicher effizienter als strafrechtliche; und allgemein sollten repressive Maßnahmen durch präventive

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Auf staatsphilosophischer Ebene lautet der entsprechende Grundsatz, daß die legitimste Staatsform - die Demokratie - kein Recht hat, sich auf formaldemokratische Weise für ihre Selbstaufhebung zu entscheiden . - Nach der hier vertretenen Auffassung sind Vertrag bzw. Konsens abkünftige Kategorien gegenüber Person bzw. Staatsform; diese begründen die Geltung vo11 jenen und kön-

ne11 durch sie keineswegs sei es begründet, sei es aufgegeben werden.

Vittorio Hösle

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ergänzt und auf die Dauer soweit nur möglich durch sie ersetzt werden°8 . Dennoch meine ich, daß unter den genannten Fällen einige sind, bei denen eine Pflicht des Staates zur Strafe besteht. Das sind jene, bei denen durch ein entsprechendes Verbot Menschenleben gerettet werden können - das höchste und grundlegendste Rechtsgut, dessen Schutz absolute Pflicht des Staates ist, zumal sein Verlust irreversibel ist. Konkret zähle ich dazu bestimmte Fälle unterlassener Hilfeleistung sowie die unterlassene Anzeige geplanter schwerer Verbrechen, Abtreibung, Umweltschutzdelikte, die das Uberleben der Menschheit gefährden, Tötung auf Verlangen, Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord, Verkauf lebensgefährlicher Drogen. ferner würde ich eine Pflicht zur Strafe bei den schwersten der Delikte gegen die Menschenwürde erwägen, weil diese Delikte das, was d ie Grundlage allen Rechts ist, in Frage stellen - die Tatsache, daß der Mensch, bei allen seinen Schwächen, ein Geistwesen ist, das unter keinen Umständen auf etwas Animalisches zu reduzieren ist. Diese Überzeugung ist Fichte und Hegel gemeinsam. Nur Hegels Konzeption der Unaufgebbarkeit fundamentalster Rechte auch durch deren Träger liefert aber eine philosophische Grundlage, um dem Staat das Recht zuzusprechen, auch jene Delikte zu bestrafen, die zwar nicht unmittelbar gegen den Willen konkreter Einzelpersonen gerichtet sind, deren Straflosigkeit jedoch die 66

Allerdings ist auch zu bedenken, daß in einer pluralistischen Gesellschaft, in der kaum mehr eine Instanz übriggeblieben ist, die die Verbindlichkeit bestimmter v\lerte lehrt, die staatliche v\lertsetzung im Strafrecht immer größere Bedeutung gewinnt und eine immer notwendigere soziale Funktion ausübt. (So zu Recht W. Naucke, Tendenzen in der Strafrechtsentwicklung, Karlsruhe 1975, 45: »Der Besondere Teil (sc. des StGB) übernimmt die Grenzsetzungsfunktion, die bis dahin Herkommen, feststehende Verhaltensweisen zwischen den sozialen Gruppen, v\lirtschaftsusancen, berufsständische Gewohnheiten, Respekt oder Angst hatten (... )Der Besondere Teil wird (... )zum wichtigen Faktor im moralisch-politischen Haushalt dieses Staates.«) Diese Konsequenz ist zu bedauern - besser ist es allemal, wenn moralische Barrieren auch nur die Strafdrohung überflüssig machen -, aber es wäre ungerecht, zu übersehen, daß sie nicht ohne Not"•endigkeit aus der eben erwähnten \braussetzung folgt: Diese, nicht die Konsequenz, gilt es daher primär zu kritisieren.

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metaphysische Würde der Person auflösen muß, auf deren Schutz der Staat nicht verzichten kann, ohne seine eigene Legitimität zu untergraben.

Karl-Heinz Nusser Die Moralität in Hegels Rechtsphilosophie1

Hegels Rechtsphilosophie erhebt d en Anspruch, die klassische politische Philosophie unter den Bedingungen der modernen Zeit zu erneuern. Gleichermaßen beansprucht Hegel, mit seinem Entwurf die theoretisch am weitesten entwickelten Gestalten des modernen Naturrechts, d ie Theorien Kants und Fichtes, abzulösen. Bereits der Rahmentitel der Publikation der »Grundlinien der Philosophie des Rechts« »Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse« deutet diesen doppelten Bezug - wenn man vereinfachend »Staatswissenschaft« mit Wissenschaft von der Polis gleichsetzt - an. Der Sinn von »Naturrecht« ergibt sich im Hegelschen Verständnis nicht aus der Natur als solcher, sondern aus dem Geist; denn die Natur hat »keine Rechte«2 . Das Recht mufl auch für Hegel durch das Denken begründet werden. So kann Hegel an die formalen Vernunfttheorien Kants und Fichtes anknüpfen, um die Basis der Begründung des positiven Rechts zu erhalten. Die Moralität thematisiert somit Rechtfertigungsgründe, die vom positiven Recht zwar nicht formuliert, aber doch vorausgesetzt werden. Der Abschnitt Moralität in Hegels Rechtsphilosophie enthält dennoch keine Moralphilosophie; denn der Begriff der Moralität umfaßt sowohl das Recht als auch die Grenzen dieses Rechts einer Weltaneignung mit subjektiv-moralischen Gründen. Die Kritik an der praktischen Philosophie Kants und Fichtes gelingt Hegel durch die Einführung eines teleologisch be1

Die vorliegende schriftliche Fassung des Vortrags wurde gegenüber der mündlichen geringfügig verbessert. Der allgemein einführende Charakter, den der Vortrag aufgrund der Aufgabenstellung der Tagung hatte, wurde beibehalten. 2 Grundlinien der Philosophie des Rechts, ed. K. H. Illing, Bd 11, Vorrede; im folgenden zitiert mit bloßer Paragraphenangabe.

Die Moralität in Hegels Rechtsphilosophie

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stimmten Handlungsbegriffs, der sich in dieser Weise in den Philosophien Kants und Fichtes nicht findet. Die von diesen Philosophen vorgelegten Theorien der moralischen Selbstbestimmung werden von Hegel als Weisen der Weltaneignung durch das Subjekt begriffen. Die Moralität trägt bei Hegel ein Doppelgesicht. Ihre subjektive Wurzel führt - ebenso wie Kants Theorie - über die Naturrechtslehre von Hobbes hinaus. Dieselbe subjektive Beschränktheit führt jedoch potentiell zu einer Pluralität von Moralen, so daß Hegel die dem Staat zugrunde liegende Sittlichkeit nur als seiende, d. h. nicht als vom Individuum aus konstruierbare, begreifen kann. Die Vollendung der Moralität in der Sittlichkeit greift somit auf die den Widersprüchen der moralisierenden Subjekte immer schon vorausliegenden Formen der sittlichen Existenz zurück. Damit vollendet sich die Aufhebung der traditionellen Sozialvertr agstheorien, zu der Kant schon den ersten Schritt geliefert hatte3.

Recht und Moral bei Kant und Hegel Kants praktische Philosophie knüpft zwar an Hobbes' Sozialvertragstheorie an, aber sie überwindet diese auch. Bei Hobbes beruht der Sozialvertrag auf einer Regel der Natur, die uns sagt, was wir tun sollen, um unser Leben zu erhalten. 4 Die Vernünftigkeit, einer bürgerlichen 'vereinigung beizutreten, entspringt dem 3 Immer noch wichtig zum Verständnis des Abschnitts Moralität: M. Riedel, Natur und Freiheit in Hegels Rechtsphilosophie, und J. Derbolav, Hegels Theorie der Handlung; beide Aufsätze in: M. Riede! (Hrsg.), Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, Bd. 2, Frankfurt/Main 1975. • Th. Hobbes, Leviathan: »A law of nature, lex naturalis is a precept or general rule formed out by reason, by which a man is forbidden to do that, which is destructive of his life, or taketh away the means of preserving the same (116f.) (... ) that every man ought to endeavour peace (117) (...) that a man be willing, when others are so to, as far - forth, as for peace, and defence of himself he shall think it necessary, to lay down this right to all things (118)«, in: The English Work of Th . Hobbes, ed. \V Molesworth, Bd. III, S. 116ff.

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Karl-Heinz Nusser

natürlichen Selbsterhaltungswillen, dem wir dabei folgen. Im Naturzustand gibt es keine Qualität des Rechts. Kant folgt Hobbes darin, daß er den Sozialvertrag als konstruktives Modell zur Begründung des Rechtszustandes ansieht. Wie Hobbes sieht auch Kant im Naturzustand Leib, Leben und Eigentum des Menschen bedroht, weil die staatliche Sanktionsgewalt fehlt, d ie das Recht erzwingen kann. Kant ist jedoch der Auffassung, daß das Recht im Naturzustand aufgrund der Vernunft des Menschen schon erkennbar ist. Das Recht ist bei Kant ab ovo bereits ein Vernunft. recht. Deshalb gibt es für Kant eine doppelte Verpflichtung, dem pactum un.ion.is civilis zuzustimmen: einmal das Interesse des Naturwesens Mensch, Leben und Eigentum zu schützen; zum anderen aber ist es die Pflicht des Vernunftwesens Mensch, in den staatlichen Zustand einzutreten, weil dieser eine notwendige Bedingung des moralischen Handelns ist. Bei Kant ist deshalb das Prinzip der Legalität (das Zusammenbestehenkönnen der Willkürfreiheiten nach einem allgemeinen Gesetz) nicht nur der Ausd ruck eines mechanischen Naturgleichgewichts, sondern die Realität der praktischen Freiheit auf der Ebene der Legalität. Der Vertragsbruch (oder das Verbrechen) ist für Kant ein Widerspruch des vernünftigen Willens. Der Vertragsbruch, der unter dem Hobbes'schen Gesichtspunkt des natürlichen Interesses von Vorteil für das Individuum sein kann, ist für Kant ein Selbstwiderspruch der rechtlichen Vernunft, der auch unter moralischen Gesichtspunkten mißbilligt werden muß. Die Negation des Rechts zeigt, daß die legale Begründung des Rechts durch die Vernunft nochmals auf die moralische Freiheit bezogen ist. Dieser engere Zusammenhang von Moral und Recht wird jedoch bei der Einführung der Legalität nicht sichtbar. Kant trennt - wie auch Fichte - beide Bereiche streng voneinander. Im Gegensatz zu Kant beg ründet Hegel die Rechtswissenschaft unter der Voraussetzung, daß der einzelne Wille das Dasein der subjektiven Vernunft selbst ist (Enz. § 401). Der Rechtscharakter der Person, ihr Recht auf eine äußere Sphäre der Freiheit(§ 41) gründet darin, daß sie eine Repräsentanz der subjektiven Vernunft selbst ist. Bei Kant ist

Die Moralitä t in Hegels Re.:htsphilosophie

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dieser Aspekt in der Gesetzgebung der praktischen Vernunft zwar auch vorhanden, aber er wird durch die Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht nicht genügend klar zum Ausdruck gebracht. Der erste Teil der Rechtsphilosophie von Hegel setzt wie bei Kant - beim Recht der faktischen Person, ihrer »innerlichen Willkür«, ihren »Trieben« und Begierden an (§ 35), er bezieht jedoch d ie Freiheit der einzelnen Person nicht nur regulativ auf das kritische Vernunftprinzip - wie bei Kant -, sondern versteht die Person als die erst unmittelbare, aber durch die Entwicklung des Prinzips des Willens zu entfaltende sittliche Freiheit. An der Verletzung des Rechts durch das Verbrechen macht Hegel klar, daß das Zwangsrecht nicht nur dem besonderen Interesse des Staates an der Bestrafung des Unrechts entspringt wie Fichte meint -, sondern dem allgemeinen Willen als solchem. In der Bestrafung zeigt sich, daß der strafende Wille nicht Ausdruck eines besonderen Willens sein kann - wie dies z. 8. bei der Rache der Fall ist-, sondern das d ie Wiederherstellung des Rechts dem allgemeinen Willen selbst entsprechen muß. Die Wiederherstellung des Rechts durch die Bestrafung des Unrechts läßt sich nur begreifen, wenn der Rechtswille des Individuums nicht nur in partikularen Beziehungen steht, wie Z. 8. bei einem Vertrag oder bei der Rache, sondern auch in der allgemeinen und notwendigen Beziehung auf die Rechtsvernunft. Es mag strittig sein, und manche Kant-Interpreten würden wohl dafür eintreten5, daß auch bei Kant der Bereich der Legalität in der Moralität verwurzelt ist, unstrittig ist aber, daß d ieser Zusammenhang bei Hegel deutlicher zum Ausdruck kommt, weil dieser der systematischen Stellung seines Abschnitts »Moralität« in der Rechtsphilosophie die Aufgabe zuweist, den bloßen Eigentums- und Vertragswillen durch dessen innere Voraussetzungen zu komplettieren und ihn dadurch schließlich in den sittlichen Willen überzuführen. Im UnZ. B. J. Sehwartländer, Staatsbürgerliche und sittlich-institutionelle Menschenrechte, in: J. Sehwartländer (Hrsg.), Menschenre