135 102 20MB
German Pages 190 Year 1983
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 65
Die rechtliche Stellung des Kapitäns auf deutschen Seeschiffen unter besonderer Berücksichtigung der historischen Entwicklung
Von
Dieter Hanses
Duncker & Humblot · Berlin
DIJETER HANSES Die rechtliche Stellung dee Kapitäne auf deutschen Seeschiffen unter besonderer Berücksichtigung der historischen Entwicklung
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 65
Die rechtliche Stellung des Kapitäns auf deutschen Seeschiffen unter besonderer Berücksichtigung der historischen Entwicklung
Von Kapitän Dr. jur. Dieter Hanses
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Hanses, Dieter: Die rechtliche Stellung des Kapitäns auf deutschen Seeschiffen unter besonderer Berücksichtigung der historischen E n t w i c k l u n g / von Dieter Hanses. — B e r l i n : Duncker u n d Humblot, 1983. (Schriften zum Sozial- u n d Arbeitsrecht ; Bd. 65) I S B N 3-428-05349-4 N E : GT
Alle Rechte vorbehalten © 1983 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1983 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 05849 4
Für Conny und Kai
Vorwort Die vorliegende Arbeit baut einerseits auf praktische Erfahrungen des Autors als Schiffsoffizier und Inhaber des Patentes Kapitän auf Großer Fahrt und andererseits auf der bislang unveröffentlichten Examensarbeit der einstufigen Juristenausbildung i n Bremen (1979) auf, die i m wesentlichen dem Streikrecht der Schiffsleitung gewidmet ist. Es erscheint dem Autor wichtig, die Stellung des Kapitäns historisch zu untersuchen, weil dessen heutige rechtliche Stellung ohne den historischen Hintergrund nur schwer verständlich ist. Die historische Untersuchung berücksichtigt sowohl die ökonomischen Aspekte der deutschen Seeschiffahrt (Aufbau und Wiederaufbau der Handelsflotten) als auch die durch diese Einflüsse hervorgerufenen Veränderungen der rechtlichen Stellung des Kapitäns. Der Autor hofft, daß diese Arbeit sowohl den Praktikern i n der Seeschiffahrt als auch den Juristen, die mit Fragen des Seearbeitsrechts zu tun haben, wesentliche Fragen beantwortet oder ihnen zumindest bei der Lösung von Rechtsproblemen Hilfestellung gibt. Für die Anregung zur vorliegenden Untersuchung dankt der Autor dem Richter am Arbeitsgericht Bremerhaven, Herrn Dr. H. Menke. Gleichfalls gilt sein Dank den Gutachtern, den Herren Prof. Dr. Hagen Lichtenberg und Prof. Dr. J. Α. E. Meyer sowie Herrn Prof. Dr. R. Dubischar, von denen er durch Gespräche wertvolle Hinweise und A n regungen erhalten hat. Zu Dank ist er auch Herrn Lieberum für die freundliche Hilfe bei der Literaturbeschaffung verpflichtet. Frau Hanz hat i n vorbildlicher Weise das Manuskript betreut, dafür gebührt ihr der besondere Dank des Autors. Die Arbeit hat dem Promotionsausschuß Dr. jur. der Universität Bremen vorgelegen. Das Kolloquium hat am 09. Juni 1982 stattgefunden. Der Autor dankt weiterhin Herrn Ministerialrat a. D. Prof. Dr. J. Broermann für die schnelle Bearbeitung und Bereitschaft, diese Arbeit i n die Schriftenreihe zum Sozial- und Arbeitsrecht aufzunehmen. Bremen, i m Juni 1982 Dieter
Hanses
Inhaltsverzeichnis Erster Teil Einleitung Zweiter
17
Teil
Die Seeschiffahrt vom Altertum bis 1945 1. Geschichtliches 1.1. Vorbemerkung
21 21 21
2. Die Seeschiffahrt i m A l t e r t u m
21
3. Die Seeschiffahrt i m Mittelalter
22
3.1. I n den Seegebieten des Mittelmeeres
22
3.2. I n Nordeuropa
25
4. Die Seeschiffahrt seit Ausgang des Mittelalters bis 1945
31
4.1. Vorbemerkung
31
4.2. Das Preußische Allgemeine Landrecht
31
4.3. Kodifikationen des Seerechts u n d die Entwicklung des Seehandels i m 19. Jahrhundert
32
4.3.1. Vorbemerkung
32
4.3.2. Die Entwicklung des Seehandels i m 19. Jahrhundert
32
4.3.3. Die Subventionspolitik unter Bismarck
36
4.3.4. Die Kolonialpolitik unter Bismarck
38
4.4. Die Entwicklung des von den Hansestädten ausgehenden H a n dels, insbesondere des Bremens
39
4.4.1. Vorbemerkung
39
4.4.2. Die Entwicklung des bremischen Seehandels
40
5. Die Rechtsbeziehungen zwischen K a p i t ä n u n d Reeder i n den Hansestädten u m 1850
42
6. Das hansische Seerecht von 1614
43
nsverzeichnis
10
6.1. Rechtsnatur des Anstellungsvertrages zwischen Reeder (Schiffsfreunden) u n d K a p i t ä n (Schiffer)
43
6.2. Das Recht auf „ F ü h r u n g "
44
6.3. Haftung des Kapitäns (Schiffers)
44
6.4. Ergebnis
45
7. Normenanalyse der Bremer Seemannsordnung von 1852
45
7.1. Vorbemerkung
45
7.2. Die Bremer Seemannsordnung von 1852
46
7.2.1. Anwendungsbereich der Seemannsordnung auf den K a pitän
48
7.2.2. Zwischenergebnis
48
7.2.3. Die Arbeitgeber- und disziplinarische Stellung des K a p i täns
49
7.2.4. Vergleich zwischen der Seemannsordnung u n d einer Fabrikordnung
50
7.2.5. V o n den Rechten der Schiffsmannschaft
50
7.2.6. Ausschließliche Zuständigkeit bremischer Behörden u n d Gerichte bei Streitigkeiten auf bremischen Schiffen
51
7.2.7. Zusammenfassung
54
8. Die Rechtsstellung des Kapitäns nach hanseatischem Recht u m die M i t t e des 19. Jahrhunderts
54
9. Die Rechtsbeziehungen zwischen Reeder u n d K a p i t ä n u n d die H a f tungsregeln des A D H G B
56
9.1. Vorbemerkung
56
9.2. Das Vertragsverhältnis zwischen Reeder u n d K a p i t ä n
56
9.2.1. Vermischung von Gesellschaftsrecht u n d Arbeitsrecht
57
9.2.2. K e i n Recht auf „ F ü h r u n g " mehr
57
9.2.3. Veränderung der sozialen Stellung des Kapitäns
58
9.2.4. Mandatum, Werkvertrag, Dienstmiete
59
9.2.5. Jederzeitige Entlassung des Kapitäns
62
9.2.6. Ergebnis
66
10. Die Erweiterung der Vertragshaftung schränkte Reederhaftung
des Kapitäns u n d die be66
10.1. Vorbemerkung
66
10.2. Die Erweiterung der Vertragshaftung des Kapitäns
67
10.2.1. Verletzung der Vertragspflichten (Fallgruppen)
67
10.2.2. Zusammenfassung
69
nsverzeichnis 10.3. Gründe, die zur Erweiterung der Vertragshaftung des Kapitäns führten
70
10.4. Gegenüberstellung von L a n d - u n d Seefrachtvertrag
72
10.4.1. Der Landfrachtvertrag 10.4.2. Rechte des Absenders, Frachtführers fängers
73 u n d des
Emp74
10.4.3. Das Seefrachtgeschäft i n Gegenüberstellung zum L a n d frachtgeschäft
76
10.4.4. Ergebnis
77
10.4.5. Erfordernisse des Verkehrs
77
10.4.6. Das Konnossement
78
10.4.7. Keine Ausweitung der Vertragshaftung des Kapitäns . .
80
10.5. Die beschränkte Reederhaftung
80
10.5.1. Der Begriff „fortune de mer"
86
10.5.2. Die wirtschaftliche Situation der Beteiligten bei einem Totalverlust
86
10.5.3. Keine Haftung des Reeders m i t der Kaskoversicherungssumme
87
10.5.4. Beschränkte Reederhaftung zu Lasten des Kapitäns
..
88
10.5.5. Argumente, die unbeschränkte Kapitänshaftung nachträglich zu begründen
90
11. Die Rechtsstellung des Kapitäns nach der Seemannsordnung v o m I.3.1873
92
II.1. Vorbemerkung
92
11.2. Die Rechtsstellung des Kapitäns u n d die der Seeleute nach der Seemannsordnung v o m 1.3.1873
93
11.3. Disziplinar- u n d Strafbestimmungen
95
11.4. Ahndungen bei Mißbrauch der Disziplinargewalt Kapitän
durch den 96
11.5. Zusammenfassung
97
12. Die Arbeits- u n d Lebensbedingungen i n der Seefahrt i m letzten D r i t t e l des 19. Jahrhunderts
97
13. Die Seemannsordnung von 1903
99
13.1. Keine Lockerungen der Disziplinar- u n d Straf Vorschriften
100
14. Die Rechtsnatur der Schiffsgewalt
100
14.1. Vorbemerkung 14.2. Der rechtswissenschaftliche Schiffsgewalt
100 Streit über die Rechtsnatur
der 101
12
nsverzeichnis 14.3. Höhepunkt der Kontroverse
104
14.4. Durchsetzung des öffentlich-rechtlichen Instituts Schiffsgewalt 105 15. Tarifliche Regelungen des Kapitänsarbeitsrechts
106
15.1. Vorbemerkung
106
15.2. Anstellungsbedingungen f ü r die Kapitäne der deutschen Seeschiffe v o m 12. 4.1924 107 15.3. Anstellungsbedingungen für Kapitäne der deutschen Seeschiffe v o m 20.10.1931 109 16. Veränderungen der Rechtsstellung des Kapitäns unter nationalsozialistischer Herrschaft 111 Dritter
Teil
Die Seeschiffahrt in der Bundesrepublik Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart
113
1. Der Aufbau der deutschen Handelsflotte nach dem 2. Weltkrieg
113
2. Die Stellung des Kapitäns von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart 117 3. Die ersten Tarifregelungen nach 1945
118
4. Entstehung des Seemannsgesetzes
118
4.1. Stellungnahme des „Verbandes Deutscher „Deutschen nautischen Vereins v o n 1868" 4.1.1. Funktioneller Arbeitgeberbegriff
Reeder"
und
des 119 120
4.2. Stellungnahme des Senators f ü r Häfen, Schiffahrt u n d Verkehr v o m 20. 4.1956 122 4.3. K r i t i k des Verfassers
123
4.4. Begründung des Gesetzgebers
124
4.5. Ergebnis
125
5. Die arbeitsrechtliche Stellung des Kapitäns nach dem Seemannsgesetz u n d den Tarifverträgen 126 5.1. Vorbemerkung
126
5.2. Die Tarifverträge u n d das Seemannsgesetz sowie andere, f ü r das Arbeitsverhältnis des Kapitäns geltende, Vorschriften 127 5.3. Zusammenfassung
129
5.4. K a p i t ä n s - M T V u n d - H T V
129
nsverzeichnis 6. Die Rechtsnatur des Anstellungsvertrages
131
6.1. Die Meinung H. Seiters
131
6.2. Der K a p i t ä n als leitender Angestellter
132
6.3. Die Schiffsleitung (Kapitän, 1. Offizier, 1. Ingenieur)
137
6.4. Die Stellung u n d Aufgabe des 1. Offiziers u n d des 1. Ingenieurs 138 6.4.1. Der 1. Offizier
138
6.4.2. Der 1. Ingenieur
139
6.5. Verhältnis des Kapitäns zum 1. Offizier u n d 1. Ingenieur
139
6.6. Ergebnis
140
7. Die handelsrechtliche Stellung des Kapitäns, insbesondere seine Haftung 140 7.1. Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung
140
7.2. Haftungsfreistellungsanspruch des Kapitäns durch den Verfrachter 141 7.2.1. Gefahrengeneigte A r b e i t
141
7.2.2. Rechtsprechung des B G H zum Freistellungsanspruch des Schiffsführers 142 7.3. Fallgruppen, nach denen der K a p i t ä n zur Haftung herangezogen werden k a n n 142 7.3.1. Anstellungsvertrag
142
7.3.2. Haftung gemäß § 823 B G B
143
7.3.3. Schadensersatz durch den Reeder
143
7.3.4. Vertragliche Haftungsbeschränkung des Reeders
143
7.3.5. Chartervertrag u n d Stückgutvertrag
143
7.3.6. Die Parteien des Charter- u n d Stückgutvertrages
144
7.3.7. Gegenüber Reisenden
146
7.3.8. Gegenüber der übrigen Schiffsbesatzung
146
7.3.9. Gegenüber den Ladungsbeteiligten
146
7.3.10. Unterschiedliche H a f t u n g beim Stückgüter- u n d Chartervertrag 147 7.3.11. Die Himalaya-Klausel
149
7.4. Das Brüsseler Übereinkommen v o m 10. Oktober 1957 u n d das Seerechtsänderungsgesetz v o m 21. 6.1972 149 7.4.1. Anwendungsschwierigkeiten des § 487 H G B auf den K a pitän 150
14
nsverzeichnis 7.4.2. Die Entscheidungen des B G H v o m 27.2.1964 u n d v o m 26.11.1979 152 7.4.3. Beseitigung der unbeschränkten Kapitänshaftung die Rechtsprechung des B G H
durch
8. Die öffentlich-rechtliche Stellung des Kapitäns 8.1. Vorbemerkung
154 154 154
8.2. Hoheitsgewalt des Flaggenstaates; Flaggenführung 8.2.1. Außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer
155 155
8.3. Die Schiffsgewalt des Kapitäns (Hausrecht, Große Haverei, Befugnisse gegenüber Reisenden) 157 8.3.1. Der eigentliche K e r n der öffentlich-rechtlichen Befugnisse des Kapitäns 160 8.3.2. Das Anordnungsrecht des Kapitäns gemäß § 106 Abs. 2—6 SeemG 160 8.3.3. Beliehener i m Sinne des Verwaltungsrechts 8.3.4. Verpflichtungen i m Bereich des Personenstandswesens 8.4. Ergebnis
161 . . 161 162
9. Das Streikrecht des Kapitäns
162
9.1. K r i t i k an der Auffassung Seiters
163
9.2. Keine Suspendierung der öffentlich-rechtlichen Funktionen des Kapitäns durch Streik 166 9.3. Zusammenfassung u n d Ergebnis
167
10. Rationalisierungsmaßnahmen i n der deutschen Seeschiffahrt
167
11. Die integrierte Schiffsbesatzung
170
12. Das 18-Mann-Schiff
171
13. Das Schiff der Z u k u n f t
172
14. Zusammenfassung
174 Vierter
Teil
Schlußbetrachtung
175
Literaturverzeichnis
177
Anlagen
183
Abkürzungsverzeichnis a. A . abw. AFG ADHGB a. M. AOG AP
anderer Ansicht abweichend Arbeitsförderungsgesetz Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch anderer Meinung Gesetz zur Ordnung der nationalen A r b e i t Arbeitsrechtliche Praxis. Nachschlagewerk des B u n desarbeitsgerichts, Loseblattsammlung, München und B e r l i n A r b e i t u n d Recht, Zeitschrift für Arbeitsrechtspraxis Allgemeiner T e i l
ArbuR AT
= =
BAG BAGE
= =
BB Bek. BetrVG BGB BGBl. I oder I I BGH BGHZ BSchG
= = = = = = = =
BRD BRT BT BTDrS BUrlG
= = = = =
Bundesarbeitsgericht Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Band und Seite) Der Betriebsberater Bekanntmachung Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt T e i l I oder I I Bundesgerichtshof Entscheidung des Bundesgerichtshofes i n Zivilsachen Gesetz betreffend die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt (Binnenschiffahrtsgesetz) Bundesrepublik Deutschland Bruttoregistertonnen Besonderer T e i l Bundestagsdrucksache (Wahlperiode u n d Seite) Bundesurlaubsgesetz
DAG DB DGB d. h. DVO
= = = = =
Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Der Betrieb (Jahr u n d Seite) Deutscher Gewerkschaftsbund das heißt Durchführungsverordnung
E GB GB EGHGB Einf. Einl.
= = = =
Einführungsgesetz zum B G B Einführungsgesetz zum H G B Einführung Einleitung
F. FlaggRG
= =
Fassung Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe (Flaggenrechtsgesetz)
GewO ggf.
= =
Gewerbeordnung gegebenenfalls
Hansa HGB
= =
Zeitschrift f ü r Schiffahrt, Schiffbau, Hafen Handelsgesetzbuch
16 h. L. HTV i. d. F. i. V. m.
Abkürzungsverzeichnis = = = =
herrschende Lehre Heuertarifvertrag f ü r die deutsche Seeschiffahrt i n der Fassung i n Verbindung m i t
KSchG Komm.
=
Kündigungsschutzgesetz Kommentar
lfd. Nr.
=
laufende Nummer
MDR MitnVerpflichtgG m. E. MTV
=
—
= = =
NJW n. F. N Z f. A R
—
ÖTV
—
PreußALR
=
= =
RdA Rdnr. RegE
—
RG RGBl. RGZ Rspr. RVO
=
SAE SchBesO SchRegO SchiffsRegG SeemG SeemO SeeStrO (SStrO) SSchStrO StGB StrandgsO
= =
= = = = —
=
= = = = = = = =
Monatszeitschrift f ü r Deutsches Recht Gesetz betreffend die Verpflichtung der K a u f f a h r teischiffe zur M i t n a h m e heimzuschaffender Seeleute meines Erachtens Manteltarifvertrag f ü r die deutsche Seeschiffahrt Neue Juristische Wochenschrift neue Fassung Neue Zeitschrift f ü r Arbeitsrecht Gewerkschaft Verkehr
öffentliche
Dienste, Transport
und
Allgemeines Landrecht f ü r die preußischen Staaten Recht der A r b e i t Randnummer E n t w u r f eines Betriebsverfassungsgesetzes (Entwurf der Bundesregierung, B T D r S VI/1786) Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidung des Reichsgerichtes i n Zivilsachen Rechtsprechung Reichsversicherungsordnung Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Verordnung über die Besetzung der K a u f f a h r t e i schiffe m i t Kapitänen u n d Schiffsoffizieren (Schiffsbesetzungsordnung) Schiffsregisterordnung Schiffsregistergesetz Seemannsgesetz Seemannsordnung Seestraßenordnung Seeschiff ahrtsstraßenordnung Strafgesetzbuch Strandungsordnung
=
Tarifvertrag Tarifschiedsgericht f ü r die deutsche Seeschiffahrt
U W (See)
=
Unfallverhütungsvorschriften (See)
VO
=
Verordnung
TV TSchG
zit. ζ. T.
=
—
=
zitiert zum T e i l
Erster Teil
Einleitung I n dieser Arbeit soll die rechtliche Stellung des Kapitäns auf deutschen Handelsschiffen untersucht werden, die berechtigt sind, die deutsche Flagge zu führen. Hierunter fallen die Schiffe der Küstenfahrt, der Mittleren Fahrt und die der Großen Fahrt. Durch die Begrenzung auf die seegängigen Schiffe werden diejenigen der Binnenschiffahrt ausgeschlossen. Die historische Entwicklung der rechtlichen Stellung des Kapitäns, von den Anfängen der Seeschiffahrt bis i n die Gegenwart, steht i m Mittelpunkt der Untersuchungen dieser Arbeit. I m A l t e r t u m und i m Mittelalter war das Interesse der jeweiligen Staaten an der Seeschiffahrt gering. Aus dem A l t e r t u m sind nur einige wenige handelsrechtliche Rechtssätze römisch-rechtlichen Ursprungs überliefert. I m Mittelalter lassen sich zwar vereinzelt staatliche Gesetzgebungswerke feststellen, die seerechtliche Materien regeln, etwa die Seemannsordnung Jakobs I. von Arragonien aus dem Jahre 1258, jedoch hatte die Rechtsprechung der großen Seegerichte (Oleron, Damme, Barcelona) eine weitaus größere praktische Bedeutung. Diese Gerichte setzten — unter Berufung auf anerkannte Rechtsgrundsätze — die Regeln, nach denen sie entschieden, selbst; die Rechtssprüche wurden niedergeschrieben und gesammelt. Diese Sammlungen genossen hohe Autorität und bildeten die Rechtsquelle für weitere Entscheidungen; die Rechtsprechung beruhte also auf Präjudizien. Die ζ. T. abstrakt formulierten Rechtssprüche bildeten so allmählich normative Ordnungen, die sogar von den Seegerichten anderer Länder übernommen wurden. Selbst den Bedürfnissen der Hanse genügte prinzipiell dieses von den Rules dOleron stark beeinflußte Seerecht; allerdings nahm sie zwischen 1364—1614 immer wieder durch Beschlüsse (die sog. Hanserezesse) auf den Inhalt des Seerechts Einfluß. I n der Neuzeit steigt m i t der Ausweitung des Handels das Engagement aller an der Seefahrt beteiligten Staaten i n der Regelung des Seerechts auf allen Gebieten. Von diesen Regelungen wurden das hansische Seerecht von 1614 und die Bremer Seemannsordnung von 1852 i m H i n Hanses 2
18
I. Teil: Einleitung
blick auf die Rechtsstellung des Kapitäns untersucht. Die inhaltliche Rechtfertigung für diese Beschränkung liegt darin, daß die Hansestädte das A D H G B i n den einschlägigen Abschnitten entscheidend beeinflußten. Das A D H G B aber, dessen Seerecht i m Wege der Partikulargesetzgebung nach 1862 allmählich i n allen deutschen Ländern eingeführt wurde 1 , hat die Rechtsstellung des Kapitäns bis heute nachhaltig geprägt. Insbesondere die erweiterte Vertragshaftung des Kapitäns, die durch das A D H G B eingeführt wurde, w i r d eingehend untersucht, weil diese Regelung bis heute die Anerkennung des Kapitäns als Arbeitnehmer erschwert. Die Rechtsstellung des Kapitäns w i r d aber nicht nur durch das Handelsrecht, das dessen Beziehung zum Reeder und zu den Ladungsbeteiligten regelt, bestimmt, sondern maßgeblich auch durch die Seemannsordnungen, die vordergründig das Verhältnis zwischen Kapitän und Mannschaft regeln, i m K e r n aber die Arbeitskraft der Seeleute für den Reeder — eben über die starke Stellung des Kapitäns — verfügbar machen. I n den Seemannsordnungen von 1873 und 1903 schlagen einerseits die wirtschaftlichen Interessen der Reeder ungehemmt durch. Andererseits zeigt sich i n diesen beiden Gesetzeswerken das Engagement des Staates i n der Handelsschiffahrt, die für den sich entfaltenden Imperialismus eine Funktion hat. U m diese Zusammenhänge zu verdeutlichen, w i r d die Entwicklung des Seehandels i n die Untersuchung mit einbezogen. Konkret bezogen auf die Rechtsstellung des Kapitäns, die ohne Einbeziehung seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Position nicht zu vertreten ist, zeigt sich eine Orientierung h i n zum Militärischen, zum möglichen Kommandanten eines Hilfskreuzers i m Kriegsfall. Der wissenschaftliche Streit um die Schiffsgewalt, ein i n keinem Gesetz verwendeter Begriff, sondern eine juristische Konstruktion, spiegelt diese Tendenz wider. Zwar hat der Ausgang der beiden Weltkriege diese Tendenz gebrochen, jedoch ist die Diskussion u m die Schiffsgewalt auch unter der Geltung des Seemannsgesetzes von 1958 nicht abgebrochen, und die sog. öffentlich-rechtliche Stellung des Kapitäns w i r d ζ. B. als Argument gegen dessen Streikrecht verwandt. Die historisch bedingte — auch juristische — Fixierung auf den Kapitän als „Führer des Schiffes" (§ 2 Abs. 1 SeemG) birgt die Gefahr i n sich, daß man die neue Entwicklung vom allein verantwortlichen Kapitän, dem „Master under God" zur kollektiven Schiffsleitung, dem i m angelsächsischen Sprachraum sog. management of the ship, rechtlich nicht zutreffend erfaßt. Es ist längst nicht mehr richtig, sämtliche Leitungsfunktionen, die auf einem seegängigen Handelsschiff wahrzunehmen sind, dem Kapitän zuzuschreiben, wie es beispielsweise Seiter macht, wenn er ausführt: „Der Kapitän übt i n weit höherem Maß als sonstige leitende Angestellte Arbeitgeberfunktionen aus, und zwar 1
Vgl. Wagner, Handbuch des Seerechts, 1. Bd., Leipzig 1884, S. 90 ff.
I . Teil: Einleitung
19
kraft Gesetzes 2." Die i n der Tat i m wesentlichen am Kapitän orientierten gesetzlichen Vorschriften i n der Bundesrepublik Deutschland über den „Führer des Schiffes" können die reale Arbeitsteilung an Bord bei der Leitung des Schiffes nicht aufheben, die es rechtfertigt, mindestens den 1. Offizier und den 1. Ingenieur — als Leiter von Dienstzweigen — m i t zur Schiffsleitung zu zählen 3 . Technik und Elektronik sind derartig kompliziert geworden, daß sie nur noch von Spezialisten bedient werden können. Deswegen ist i m modernen Schiffsbetrieb die Hierarchie dem Teamwork gewichen und der Kapitän viel mehr Koordinator als umfassend kompetenter „Master under God". Schließlich kann die Untersuchung nicht an einem i n den letzten Jahren die Schiffsentwicklung geradezu bestimmenden Phänomen vorbeigehen; gemeint ist das genormte oder typisierte Schiff, das — als Container-Frachter konzipiert — i n jedem m i t entsprechendem Ladegeschirr ausgestatteten Hafen be- oder entladen werden kann, bei dem keine besondere Rücksicht auf die jeweilige Ladung oder die jeweiligen Ladungsteile genommen werden muß oder kann, weil alles Erforderliche bereits bei der Befrachtung der Container — außerhalb des Schiffes und ohne Zusammenhang m i t dessen Beladung — getan w i r d oder getan werden muß und bei dem der für die Be- oder Entladung zuständige Offizier i m wesentlichen nur noch das Gewicht des jeweiligen Containers für die ausreichende Stabilität des Schiffes berücksichtigen muß. Die Typisierung oder Standardisierung des Schiffes als Träger genormter Lasten ist nur eine Komponente des „Schiffs der Zukunft". Die andere ist die Reduzierung der Besatzung auf 18 oder zukünftig sogar nur 12 Mann, ein Vorgang, der nur dann wenigstens prinzipiell möglich sein wird, ohne daß Schiff, Besatzung und Ladung tendenziell gefährdet werden, wenn das Qualifikationsniveau sowohl der Schiffsleitung als auch der Besatzung grundlegend verändert wird. I n dieser Arbeit ist nicht die gesamte, die Schiffsbesatzung mitumfassende Problematik zu erörtern, sondern für die Themenstellung reicht es aus, wenn diese allein auf die Schiffsleitung bezogen wird. Der Problemkreis kann i n der Einleitung nur angedeutet werden: Es ist keine Utopie, sondern das erklärte Ziel der Reeder, die Rationalisierung derartig voranzutreiben, daß die gegenwärtig noch bestehende Aufgliederung i n die Dienstzweige „Deck" und „Technik", deren jeweilige Leiter der 1. Offizier und der 1. Ingenieur sind, künftig entfällt. 2 Seiter, Arbeitskampfparität u. Übermaßverbot, Düsseldorf, F r a n k f u r t o. J. (1979), S. 66, Hervorhebung von mir. 3 Vgl. hierzu meine wissenschaftliche Arbeit i m Abschlußverfahren der einstufigen Bremer Juristenausbildung, unveröffentl. Manuskript, Bremen 1979, S. 4 ff. 2*
20
I. Teil: Einleitung
Voraussetzung dafür ist, daß die zukünftige Ausbildung der Schiffsoffiziere beide Zweige gleichermaßen umfaßt, diese also doppelt qualifiziert sein werden. Dann w i r d es möglich sein, daß der 1. Offizier sowohl dem Dienstzweig „Deck" als auch dem Dienstzweig „Technik" vorsteht. Das aber kann für die Funktionsbestimmung des Kapitäns nicht ohne Folgen bleiben. Besteht gegenwärtig die Funktion des Kapitäns nicht mehr i n der abstrakten „Führung des Schiffes", sondern i n der Koordination der i m übrigen selbständigen Funktionen, so w i r d sich einerseits diese Koordinationsfunktion weiter ausbilden, und andererseits w i r d es nicht ausbleiben, daß der Kapitän i n der drastisch verkleinerten Schiffsleitung klar umrissene Dienstleistungen zu erbringen haben wird, bei deren Erfüllung er nicht oder jedenfalls i n nicht nennenswertem Umfang auf Unterstützung durch andere Besatzungsmitglieder w i r d zurückgreifen können. Anders ausgedrückt: Die Rationalisierung i n der Seeschiffahrt w i r d es m i t sich bringen, daß auch der Kapitän „Schichtdienst" zu verrichten haben wird, bei dem i h m dann die navigatorische und technische Leitung des Schiffes obliegen w i r d ; bei dieser konkreten Dienstleistung w i r d er sowohl auf persönlichen Service (beispielsweise durch den Steward), als auch auf die sachliche Zuarbeit etwa durch einen weiteren wachhabenden nautisch-technischen Offizier verzichten müssen. Das Recht w i r d dem Umstand Rechnung zu tragen haben, daß das Schiff der Zukunft ebensowenig „individuell" sein wird, wie es heute schon das Passagier- oder Frachtflugzeug ist. Die Schiffsbesatzung und Leitung w i r d sich der eines Flugzeuges angleichen. I m wesentlichen gleichartig und gleichwertig ausgebildete, hochqualifizierte Fachleute werden zukünftig das Schiff von einem Hafen zum anderen befördern, dort auf ein anderes überwechseln und i n einem dritten Hafen wieder ein anderes — gleichartiges — Schiff übernehmen, wenn es die Interessen der Reederei erfordern. Unter diesen Gesichtspunkten bleibt für die historisch gewachsene Rolle des „Führers eines Schiffes" kein Raum mehr. Die an dieses überholte B i l d anknüpfenden Rechtsregeln und -ansichten, z.B. über die erweiterte, prinzipiell unbegrenzte Haftung des Kapitäns und das grundsätzliche Streikverbot, können keinen Bestand haben. Die Rechtsprechung trägt diesem Umstand bereits, wenn auch zögernd, Rechnung, und die ideologischen Verspätungen i m Bewußtsein der heutigen Kapitäne werden entweder noch i n dieser Generation aufbrechen oder aber m i t ihr von einer neuen, anders ausgebildeten, ihre tatsächlichen A u f gaben rational reflektierenden Generation abgelöst werden.
Zweiter Teil
Die Seeschiffahrt vom Altertum bis 1945 1. Geschichtliches 1.1. Vorbemerkung
Historisch gesehen, läßt sich die Entwicklung der Seeschiffahrt und die des Seerechts i n drei Zeitabschnitte einteilen: 1. Die Seeschiffahrt i m Altertum, 2. die Seeschiffahrt i m Mittelalter i n den Seegebieten des Mittelmeeres und i n Nordeuropa, 3. die Seeschiffahrt seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart i n Deutschland. Dabei ist die letzte Zeitspanne allerdings noch mehrfach zu untergliedern, denn der Anfangszeitpunkt knüpft allein an die technische Entwicklung der Seeschiffe, insbesondere die Einführung der Dampfschiffe an, dabei bleiben Ausweitung des Handels und immense Vergrößerungen der Flotten fast aller seefahrenden Nationen noch außer acht. Hierauf w i r d später i n einzelnen Kapiteln eingegangen werden. 2. Die Seeschiffahrt im Altertum Über das Seerecht des Altertums und der frühen K u l t u r e n fehlen weitgehend schriftliche Überlieferungen. Die Vorläuferin der Seefahrt war die Binnenfahrt. Flüsse boten den schwimmenden Geräten, die Personen und Güter tragen konnten, die leichteste Möglichkeit, Transporte durchzuführen. Nachdem man erkannt hatte, daß sich Schiffe unter Rudereinrichtungen durch Strömung und Wind m i t Hilfe von Segeln bewegen ließen, wagte man sich auf das offene Meer, teils u m durch räuberische Eroberungen Beute zu machen, teils u m Handel zu treiben. Das rettende Ufer bzw. die Küste war i n Sichtweite und die Seefahrt dauerte nur kurze Zeit; für die Schiffsinsassen bedurfte es aus vorgenannten Gründen keiner Über- oder Unterordnung 1 . 1
Vgl. Wagner, Handbuch des Seerechts, Leipzig 1884, S. 25.
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
Die Römer betrieben die Seeschiffahrt m i t Sklaven. A u f diesen Schiffen war, soweit sie Güter transportierten, eine Hierarchie nicht notwendig. Die Sklaven unterstanden der „potestas dominica" des Reeders (Gewalt des Hausvaters), die auf dem Eigentum an Schiff und Mensch beruhte. Es erübrigte sich die Schaffung eines besonderen rechtlichen Instituts, das die Stellung des Reeders und des Schiffsführers zur unfreien Schiffsbesatzung regelte 2 . Handelsrechtlich haben einige Rechtsgebilde nach dem Zusammenbruch des römischen Imperiums ihren Fortbestand gehabt: a) fenus nauticum (Dig. 22.2; Cod. 4.33) Seedarlehen, i m A D H G B i m A r t . 701 als uneigentliche Bodmerei geregelt. Das Seedarlehen ist durch moderne Kreditformen der Schiffshypothek verdrängt worden 8 . b) rectum nautarum (Dig. 4,9) Haftung des Schiffsführers, auch bei Zufall, für Verlust und Beschädigung der Ladung. Freizeichnung wurde nur bei Nachweis durch höhere Gewalt anerkannt. Eine Milderung der Haftung erfolgte erst durch das HGB (1897). c) lex Rhodia de iactu (Dig. 14,2) Vorsätzliche Aufopferung von Teilen des Schiffes und der Ladung zur Errettung aus einer gemeinsamen Gefahr (Ladungswurf). Die Beteiligten (Ladungseigentümer, Reeder) tragen gemeinsam und anteilig diesen Schaden. Dieser Grundsatz findet sich heute noch i n allen Seerechten, i m HGB i n §§ 700 ff. geregelt 4 . 3. Die Seeschiffahrt im Mittelalter 3.1. I n den Seegebieten des Mittelmeeres
Die Seeschiffahrt i m Mittelalter i m Mittelmeer, i m Westen und Norden Europas, war weitgehend genossenschaftlich organisiert. Schiffseigentümer, Ladungsinteressent, Kaufmann und Seemann waren identisch, d.h., sie begleiteten ihre Waren selbst über das Meer zu den Märkten 5 . 2 Herding, Die Machtbefugnisse des Kapitäns auf deutschen Kauffahrteischiffen, Diss. H a m b u r g 1938, S. 8. 3 Griechischen Ursprungs, vgl. Käser, Römisches Privatrecht, München, B e r l i n 1964, S. 3. 4 Griechischen Ursprungs, vgl. Käser, S. 3. 5 Weber, Die Schiffsgewalt des Kapitäns u n d ihre geschichtlichen G r u n d lagen, Tübingen 1907, S. 36 ff.; Becker, Wandlungen i n der Stellung des Kapitäns, Kommandobrücke 1960, S. 243; Wagner, S. 5; Geffken, Seeleutestreik und Hafenarbeiterboykott, M a r b u r g 1979, S. 23 ff.
3. Die Seeschiffahrt i m Mittelalter
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I m Mittelmeerraum gab es neben dem rein genossenschaftlichen Seerecht von Amalfi® noch die Seerechte von Pisa, Venedig und Genua, die sich vom Seerecht von A m a l f i insofern unterschieden, als a) i n Pisa die Schiffsbesatzung von der Genossenschaft der Ladungsbeteiligten angeworben und abhängig war 7 , b) i n Venedig die Besatzung der Genossenschaft von Reedern und Ladungsinteressenten gegenüberstand 8 , c) schließlich i n Genua die Besatzung vom Reeder angeworben war und i n einem Abhängigkeitsverhältnis zum Reeder stand®. Das letztere nähert sich dem heutigen Heuervertrag zwischen Reeder und Besatzung. Bei allen Stadtrepubliken ist jedoch von der hervorgehobenen Stellung des Kapitäns noch keine Rede, vielmehr kommt ihm nur die Funktion des Ersten unter Gleichen zu. Höchstes Organ ist der Schiffsrat der Schiffsgenossen 10. Ende des 13. Jahrhunderts entstand eine systematische Darstellung des Seerechts, das „Consulat del Mar". Grundlage dieses Werkes ist die reichhaltige Rechtsprechung des Seegerichtes zu Barcelona 11 . Das „Consulat del Mar" verbreitete sich rasch über den gesamten Mittelmeerraum. Jacob I. von Arragonien erließ i m Jahre 1258 eine Seemannsordnung 12 . Gemäß dieser Seemannsordnung hatte sich ein Schiff 4—8 Tage vor Beginn einer Reise mit einer Obrigkeit zu versehen. Aus der Mitte der Schiffsinsassen waren zwei „proceres" zu wählen; die „proceres" ihrerseits wählten wiederum aus den Schiffsinsassen bei kleineren Schiffen zwei „ligna", bei größeren Schiffen fünf „naves" aus, die mit den „proceres" einen sieben- bzw. viergliedrigen Ausschuß bildeten 13 . Dieser Ausschuß war für die Dauer der Reise die Obrigkeit an Bord. Die übrigen Schiffsinsassen, wie auch alle m i t ihnen i n Berührung tretenden Barceloneser Bürger, schuldeten diesem Gremium Gehorsam. β Das Seerecht von Amalfi, die sog. Tabula Amalphitona, stammt aus dem 11. Jahrhundert; Näheres bei Wagner, S. 62, 63. 7 Vgl. Wagner, S. 63, 64 (Das Seerecht von Pisa, i m Jahre 1081 erstmals geschrieben, Verbreitung i m Westen, insbesondere i n Marseilles). 8 Vgl. Monnerjahn, Das Arbeitsverhältnis i n der deutschen Seeschiffahrt, Stuttgart 1964, S. 10 m. w . Nachw. 9 Vgl. Monnerjahn, S. 10; Weber, S. 64, 65. 10 Über die Stellung des „nauclerus", siehe Herding, Die Machtbefugnisse des Kapitäns . . . Diss. H a m b u r g 1938, S. 9. 11 Schaps ! Abraham, S. 6, Rdn. 10; Wagner, S. 40 ff.; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, H a m b u r g 1947, S. 19. 12 Vgl. Weber, S. 71 m. w. Nachw. 13 Weber, S. 71.
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
Das Seerecht von Ancona regelte die Schiffsgewalt noch ausführlicher 14 . I n diesem Seerecht aus dem Jahre 1397 w i r d zwischen Seereisen innerhalb und außerhalb der Grenzen des Adriatischen Meeres unterschieden. Schiffe, die innerhalb der Grenzen des Adriatischen Meeres Reisen unternahmen, hatten sich m i t keiner besonderen Obrigkeit zu versehen, augenscheinlich wohl deshalb nicht, weil ein Eingriff der Seebehörden durch Anrufung der Ladungsinteressenten jederzeit und schnell genug durchführbar war. Schiffe, die Seereisen über die Grenzen des Adriatischen Meeres unternehmen wollten, hatten sich m i t einer besonderen Obrigkeit zu versehen. Die Seebehörde von Ancona ernannte aus dem Kreise der Ladungsinteressenten einen Konsul. Der Konsul leistete einen Eid, daß er „sein A m t treu und ohne A r g versehen und Recht gemäß den Seegesetzen sprechen werde". Aus dem Kreis der Ladungsinteressenten wurden zwei weitere Beisitzer gewählt. Dieses Gremium übte für die Dauer der Seereise über alle Schiffsinsassen die Gerichtsbarkeit i n erster Instanz aus. Die Urteile dieses Gremiums wurden, sofern innerhalb der zulässigen Frist keine Berufung — die eine aufschiebende Wirkung hatte — eingelegt wurde, vollstreckt. Urteile dieses Spruchkörpers hatten wirtschaftliche Einbußen der Verurteilten zur Folge. Gleichfalls war der Konsul berechtigt, zur Aufrechterhaltung seiner Autorität sofort einzutreibende Geldstrafen zu verhängen. Der Staat trieb notfalls, zur Unterstützung der Autorität des Konsuls, die durch Urteil ergangenen Geldstrafen ein. Bei Streitgegenständen von geringem Wert wurde ein Spruchkörper aus dem Kapitän, dem Offizier des Vor- und Achterdecks und aus drei weiteren ad hoc ernannten unparteiischen Schiffsinsassen gebildet (Schiffsrat). Einrichtungen dieser A r t gab es i m Gebiet des gesamten Mittelmeeres; diese sind erst i m 16. Jahrhundert nicht mehr anzutreffen 15 . Weber meint 1 6 , daß die Ernennung des Konsuls den Zweck verfolgte, die Interessen der Kaufleute wahrzunehmen. Man hielt den Kapitän für nicht vertrauenswürdig genug, neben den Interessen des Reeders auch die des Ladungsinteressenten ausreichend wahrzunehmen. Gründe, die zum Untergang dieser Einrichtungen geführt haben — so meint Weber —, lägen neben den fehlenden Zwangsmitteln zur Durchführung der getroffenen Entscheidungen auch i n der Abhängigkeit der Schiffsbesatzung vom Kapitän, die der von der Seebehörde mitgesandte Beamte nicht auflösen konnte. Der Kapitän stellte sich naturgemäß nur dann i n den Dienst des Schiffskonsuls, wenn dies i n seinem Interesse bzw. i m Interesse des Reeders lag. Auch die vom Staat angedrohten Strafen hätten nur eine teilweise Unterordnung erreichen können 17 . 14 15 16
Vgl. Weber, S. 71 ff. m. w . Nachw. Vgl. Weber, S. 71 m. w . Nachw. Vgl. Weber, S. 75.
3. Die Seeschiffahrt i m Mittelalter
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3.2. I n Nordeuropa
I n Nordeuropa verlief zu Anfang die Entwicklung der Seefahrt ähnlich wie i m Mittelmeer. Auch hier war die Schiffahrt genossenschaftlich organisiert. Als technischer Leiter hatte der Kapitän die Funktion des Ersten unter Gleichen. Alle Entscheidungen über Schiff und Ladung traf als höchstes Organ an Bord der Schiffsrat der Schiffsgenossen 18. Das Seerecht von Oleron — Rules dOleron, eine Spruchsammlung des dort ansässigen Seegerichts 19 —, gilt als das älteste Seerecht i m Westen und Norden Europas. Diese Insel, an der Atlantikküste vor Bordeaux gelegen, war durch ihre Verbindung zum Mittelmeer zur Zeit der Kreuzzüge ein bedeutender Seeumschlagsplatz 20 . Die Rules dOleron gelten als Markstein i n der Geschichte des Seerechts 21 . I n diesen Spruchsammlungen fand sich eine Wiedergabe der damaligen Handelsbräuche, die man i n Ermangelung einer Seerechtsgesetzgebung anwandte. Das Seerecht von Oleron verbreitete sich rasch, veränderte und verdrängte die bis dahin geltenden partikularen Seerechte 22. I n England wurden sie auf Anordnung Richards I. übersetzt und fanden als Edikt beim „Court of A d m i r a l i t y " besondere Beachtung und wurden bald das anerkannte Rechtsbuch i n Schiffahrtssachen 23 . I n Frankreich wurden die Rules dOleron durch Verordnung 1364 bestätigt 24 . Von den Rules 17
Weber, S. 75. Becker, Wandlungen i n der Stellung des Kapitäns, i n : Die Kommandobrücke 1960, S. 243 ff. 19 A . M . Krüger, Ursprung u n d Wurzeln der Rules d'Oleron, Diss. K i e l 1968. Nach K r ü g e r ist die Entstehungszeit der Rules d O l e r o n 1268; S. 71. Er versucht i n seiner A r b e i t Herkunftsort u n d Wesen der Rules ausfindig zu machen. E r k o m m t zu der Annahme, daß die Rules nicht eine „Spruchsammlung des Seegerichts der Insel Oleron" darstellen, obwohl alle K a p i t e l dieser Rules m i t dem Satz: „ U n d das ist das U r t e i l i n diesem F a l l " , enden. V i e l mehr sei auf eine normannische Gestaltung unter englischem Einfluß zu schließen (S. 114). Gerechtfertigt scheint diese Annahme, w e i l zur Zeit der Entstehung die Insel Oleron auf der Grenze des Machtbereichs zwischen England u n d Frankreich lag, sie auch kein Seegericht beherbergte, sondern Rechtstreitigkeiten i n Seesachen vor den ordentlichen Gerichtshof kamen (S. 106). Weiterhin läßt auch die Beweislastregelung der Rules — nicht der Kläger hat zu beweisen, sondern der Beklagte sich durch E i d u n d Zeugen zu entlasten — auf germanischen Ursprung schließen (S. 93) ; so auch Wagner, S. 43, „ I n h a l t l i c h sei die Rechtsquelle (Rules)" vielmehr als rein germanisch zu bezeichnen. 20 Colombos, Internationales Seerecht, München, B e r l i n 1963, S. 20; Wagner, S. 43. 21 Colombos, S. 20. 22 Vgl. Wagner, S. 67 ff. m. w. Nachw. 23 Vgl. Colombos, S. 20. 24 Colombos, S. 20. 18
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
dOleron wurden 24 A r t i k e l ins Flämische übersetzt und vom Seegerichtshof von Damme rezipiert 25 . Die Stellung des Kapitäns ist zwar hervorgehoben, jedoch ist er noch fest i n die genossenschaftliche Schiffsgemeinschaft eingebunden 26 , wobei die handelsrechtliche Seite allein maßgebend ist. Weber führt dazu aus 27 , so vorteilhaft dies auch für den Seehandel gewesen wäre, so sehr habe es zu einer Verdunkelung der staatsrechtlichen Natur der Schiffsgewalt geführt. I m „Konsulat der See" als auch i n den Rules dOleron sei von keinem i n der territorialen Staatsgewalt wurzelnden Institut die Rede, vielmehr erscheine sie als eine außerhalb allen Zusammenhanges mit anderen Gewalten stehende und privaten Interessen dienende Herrschaft des Schiffsführers über seine Leute. Der Staat bringe der Schiffsgewalt nur geringes Interesse entgegen, ... handelsrechtliche Gesichtspunkte beherrschten seine gesamte maritime Gesetzgebung, und i m weiteren Verlauf des Mittelalters bis zum 19. Jahrhundert bilde sich allmählich fast derselbe Zustand heraus, den man an deutschen Küsten vorfände: Mangel einer staatsrechtlichen Durchbildung der Schiffsgewalt bei einseitiger Bevorzugung alles Privatrechtlichen 28. Eine derart rückwärts gerichtete K r i t i k w i r d nur verständlich, wenn man die Entstehungszeit der Arbeit von Otto Weber (1907) und seine i n dem Werk vertretene Tendenz berücksichtigt, nämlich die Schiffsgewalt als Ausfluß staatlicher Gewalt zu konzipieren. Diese Auffassung Webers w i r d i m folgenden Zitat ganz deutlich; wegen der Bedeutung dieser zentralen Analyse für die vorliegende Arbeit soll es wörtlich wiedergegeben werden 2 9 : „ V o n diesem Gesichtspunkt aus erscheint die Schiffsgewalt i n i h r e m ganzen Umfang als eine neue Form der Staatsgewalt, i n der diese Fähigkeit erlangt, sich über Territorialgrenzen auszudehnen u n d bis i n die entlegendsten Gegenden der Erde zu reichen. Sie stellt damit einen weiteren Schritt dar auf dem Wege zu einem hohen Ziele, dem der moderne Staat immer bewußter zustrebt: Durchführung von Schutz u n d Aufsicht über die Staatsangehörigen auch außer Landes, Organisation aller, ohne U n t e r schied des Aufenthaltsortes, unter berufenen Vertretern der heimischen Staatsgewalt u n d (zu diesem Zweck) Überziehung der ganzen Erde m i t 25
Wagner, S. 44; Colombos, S. 20. „ U n d w e n n es so ist, daß der K a p i t ä n einen seiner Matrosen schlägt, soll dieser den ersten Schlag m i t der Faust oder der Hand abwarten, u n d w e n n er i h n mehr schlägt, soll er sich verteidigen. U n d w e n n der Matrose den K a p i t ä n zuerst schlägt, soll er 100 Sous verlieren oder die Faust nach der W a h l des Matrosen." (Art. X I I , 15—25), Rules d'Oleron, vollständig abgedruckt i m Anhang bei Krüger. 27 Weber, S. 76, 77. 28 Hervorhebung von mir. 29 Weber, S. 32. 29
3. Die Seeschiffahrt i m Mittelalter
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einem Netz von Bezirken der äußeren Verwaltung. Ergänzend t r i t t die Schiffsgewalt als Repräsentation der Gewalt des Reiches auf der freien See neben die Konsulargewalt, die Vertreterin des Reiches i m fremden Lande, w i e diese ein vielverheißendes Werkzeug staatlicher Machtentfaltung jenseits der Grenzsteine."
Historisch ist die K r i t i k Webers an den Rules dOleron aus dem 14. Jahrhundert verfehlt. Wie er selbst anerkennt, handelt es sich bei den Rules u m eine private Kompilation von Regeln zur Erleichterung des Geschäftsverkehrs unter den am Seehandel Beteiligten. A n einer staatlichen Einflußnahme hierauf bestand bei den Beteiligten keinerlei Interesse, und die erst erstarkende königliche Zentralgewalt war ihrerseits an einer Einflußnahme auf den Seeverkehr und Seehandel nicht interessiert 80 . Seit Gründung der Hanse, die sich i n ihrer Blütezeit über Europa erstreckte, war Brügge eines der Haupthandelszentren. Der Handel m i t dem Ostseeraum war beträchtlich. Gleichzeitig mit dem Handel fand auch das Seerecht von Damme eine schnelle Verbreitung. I m 15. Jahrhundert führten Kaufleute von Wisby Rechtsregeln ein, welche als das „Seerecht von Wisby" oder als das „Gothländische Wasserrecht" bekannt wurden. Das „Wisbysche Seerecht" war, wie auch das Dammesche Seerecht, von den Rules dOleron stark beeinflußt 31 und gewohnheitsrechtlich i m Nord- und Ostseeraum anerkannt 82 . Dieses gemeinsame Recht aller Hansestädte ist von Zeit zu Zeit durch Rezesse83 abgeändert und angepaßt worden, zuletzt i m Jahre 161434. Die großen Entdeckungen des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts begannen, den Handel weltweit auszudehnen. Die Navigationstechnik wurde verfeinert, die Schiffe wurden größer und schneller. Die erhebliche Ausweitung des Seehandels erforderte zahl30
Vgl. Ploetz, Auszug aus der Geschichte, 27. Aufl., Würzburg 1968, S. 656. Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 19; ausführlich dazu Wagner, S. 68 ff. 32 Prüßmann, Seehandelsrecht, München 1968, S. 5; S chaps / Abraham, S. 6, Anm. 11. 33 Protokollierte Beschlüsse der Hanse von 1369 bis 1614. 34 Rezess von 1614: „Der ehrbaren Hansestädte Schiff Ordnung u n d Seerecht, deren sich ihre Bürger, sonderlich die Schiff reedere, Befrachters, Schiffsvolk u n d Schiffer zu verhalten, von neuem übersehen u n d gebessert und unter gewisse T i t u l außgeteilet." Der erste E n t w u r f wurde am 6. J u n i 1591 auf dem Hansetag i n Lübeck vorgelegt. Die Hansestädte Köln, Bremen, Buxtehude, Lüneburg, Hamburg, Wismar u n d Stralsund hatten Abgeordnete zu diesem Hansetag beordert. Die Verhandlungen zogen sich bis zur endgültigen Verabschiedung bis 1614 hin. Dieser Rezess enthält auf den S. 3—76 den Text, daran folgend von S. 77—248 einen Kommentar; vgl. von Kaltenborn, Grundsätze des p r a k tischen Europäischen Seerechts, Bd. 1, B e r l i n 1851, S. 27. 31
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I I . T e i l : Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
reiche Schiffsneubauten, die i n kurzer Zeit nur m i t erheblichem Kapital finanziert werden konnten. Dies aber war bei den großen Handelshäusern schneller gewachsen als bei den Schiffern und Schiffsbesatzungen m i t der Folge, daß die Handelshäuser Eigentümer der Seeschiffe wurden. Die Kaufleute begleiteten ihre Waren nicht länger 35 . E i n weiteres Motiv dafür sieht Wagner 36 i m Aufkommen des Versicherungsgeschäfts, welches i m 15. Jahrhundert schon eine wirtschaftliche Bedeutung gehabt hat. Die Warenversicherung ist dabei anfangs von höherer Bedeutung als die der Kaskoversicherung 37 . Kapitäne und Besatzungen wurden infolge dieses Prozesses zu reinen Lohnempfängern 38 . Aus verschiedenen Gründen, von denen das erhebliche Risiko des Schiffsverlustes wohl der gewichtigste gewesen ist, erwarben die Kaufleute zunächst nicht das Eigentum an einem Schiff jeweils für sich allein, sondern wurden m i t anderen zusammen Partenreeder. Selbständige Reedereien gab es zu dieser Zeit noch nicht; bis i n die Anfänge des 19. Jahrhunderts blieben Handels- und Schiffahrtsunternehmen identisch, die Abspaltung des Transportbereiches vom eigentlichen Handel ist noch nicht erfolgt 39 . Diese Entwicklung beendet einerseits die genossenschaftliche Form der Seeschiffahrt und macht Besatzungsmitglieder und Schiffsführer zu Arbeitnehmern des Reeders / Kaufmanns und führt andererseits zu einer Stärkung der Stellung des Kapitäns, der nunmehr zum Vertreter sowohl des Schiffseigentümers als auch des m i t diesem nicht notwendig identischen Wareneigentümers wird 4 0 . Die rechtliche Entwicklung hielt m i t der wirtschaftlichen nicht ohne weiteres Schritt; letzte Spuren genossenschaftlicher Strukturen der Seeschiffahrt wie die „Führung" oder die sogenannte Reiseheuer w u r den erst m i t dem 5. Buch des Handelsgesetzbuches vom 24. 6. 1861 abgeschafft 41 . Die stärkere Stellung des Kapitäns, die sich aus der Übernahme von Arbeitgeberfunktionen vom Kaufmann / Reeder ableitete, schlug sich auch i m sozialen Bereich i n der Seeschiffahrt nieder. Unterschiedliche Bezahlung der Seeleute, Differenzierung von Schiffer, Steuermann und übriger Besatzung, schlechtere Unterbringung und Verpflegung der 35
Wagner, S. 23. Wagner, S. 24. 37 Wagner, S. 24. 38 Vgl. Becker, S. 243; Geffken, S. 26. 39 W. Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft i m 19. Jahrh. u n d i m Anfang des 20. Jahrh., 4. Aufl., B e r l i n 1919, S. 263. 40 Vgl. Becker, S. 243; Geffken, S. 26 m. w . Nachw. 41 Vgl. Geffken, S. 28. 36
3. Die Seeschiffahrt i m Mittelalter
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Mannschaft 42 führten seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts zu immer häufigeren Auseinandersetzungen zwischen Schiffern und Reedern einerseits und den Schiffsbesatzungen andererseits 43 . Klagen über Meuterei und Gehorsamsverweigerung, insbesondere i m Ausland und auf hoher See, wurden zahlreich 44 . Schon frühzeitig waren die Seestädte bemüht, die Verhältnisse an Bord zu regeln und insbesondere die Schiffe ihrer Aufsicht zu unterstellen. So hat Hamburg i n A r t . 26 des Statuts von 1270 die Pflicht zur Flaggenführung für hamburgische Schiffe eingeführt, wobei einem Schiffsführer bei Verstoß gegen die Pflicht zum Führen des „roten Flügers" eine Geldbuße auferlegt wurde 4 5 . Dieser ersten Dokumentierung der Staatsaufsicht folgten weitere: gesetzliche Höhe der Heuerbeträge, Rettungsmaßregeln, die der Schiffer bei Seenot zu befolgen hatte, die Bestrafung von schweren an Bord begangenen Vergehen durch den Staat und verschiedene Seemannsordnungen 46 . Waren zu Anfang die Ahndungen des Staates milde 4 7 , so wurden bald strengere Bestimmungen erlassen. So ergeht i n der lübischen Seemannsordnung von 1325 ein Desertionsverbot mit dem Zusatz der Brandmarkung des Delinquenten 48 . I m Hanserezess von 1378 erfährt das Desertionsverbot eine vermögensrechtliche Verschärfung: Rückzahlung der bis zum Tag der Tat verdienten Heuer; Ausgleichszahlung für die empfangene Verpflegung und, als wohl höchste Erschwernis, das Dienstverbot auf allen hansischen Schiffen 49 . I m gleichen Rezess w i r d die Autorität des Kapitäns durch Gesetz entscheidend gefestigt 50 . Einige Zeit später führte die Hanse die unbedingte Gehorsamspflicht der Schiffsleute ein 5 1 und versuchte, u m jeden Preis den Widerstand der 42
S. 19.
Giese, Kleine Geschichte der deutschen Handelsschiffahrt, B e r l i n 1967,
43 Kleinfeldt, Das Koalitionswesen i n der Seeschiffahrt. Eine Untersuchung über die Koalitionsverhältnisse der deutschen Seeleute, Diss. Hamburg 1923, S. 32. 44 Geffken, S. 26 m. w . Nachw. 45 Weber, S. 52; Horstmann, V o r - u n d Frühgeschichte des europäischen Flaggenwesens, S. 68; Die Flagge, od. Flüger, ist eine Toppflagge; gem. § 27 des Lübecker Seerechts von 1299 erging eine fast identische Anordnung zur Flaggenführung, vgl. Horstmann, S. 131 m. w . Nachw. 48 Weber, S. 53; Becker, i n : A r b e i t u n d Recht, 1955, S. 97. 47 Das Lübecker Statut von 1290 verlangt v o n dem Dienstunlustigen n u r die Rückgabe von Heuer u n d Führung; Weber, S. 50 m. w . Nachw. 48 Weber, S. 50. 49 Weitere Sanktionen: Heuerverlust u n d Aussperrung f ü r den Bereich der Hanse treffen auch den, der seinen Dienstpflichten erweislich nicht nachgekommen ist (Art. 3), u n d den, der sich weigert, seinen Schiffsführer bei Hilfeleistung f ü r ein i n Seenot befindliches anderes Schiff u n d bei Bergung von dessen Ladung zu unterstützen (Art. 4—5). 50 Weber, S. 50.
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
einfachen Schiffsbesatzung zu brechen 52 . M i t Recht bezeichnet Kleinfeldt Meutereien als „Koalitionen" i n den ersten Anfängen 53 . Bei diesen Meutereien handelt es sich nämlich u m eine einfache Arbeitseinstellung mit dem Ziel der Lohnaufbesserung und keineswegs um einen „ A u f stand", wie heute das Wort Meuterei interpretiert wird. Besonders unangenehm für Reeder und Kaufleute war es allerdings, wenn diese Arbeitsniederlegungen i m Ausland oder auf hoher See durchgeführt wurden 5 4 . M i t Recht folgert Geffken hieraus, daß die ersten gegen Meuterei angewandten Rechtsvorschriften sich gegen Streiks oder streikähnliche Widerstandsformen der Seeleute gerichtet hätten 55 . Gemäß der Ordinanzie von 1407 steht auf Desertion die Todesstrafe, die fortan lange Zeit bestehen bleibt 5 6 . Diese Gesetze erweitern die Machtbefugnisse des Kaptiäns gegenüber der übrigen Besatzung erheblich. Die Rechte des Schiffsrates — einer genossenschaftlichen Institution, bestehend aus von der Besatzung ausgewählten Vertrauensleuten — wurden nach und nach eingeschränkt und verschwinden bald darauf ganz 57 . Die engsten Vertrauten des Kapitäns werden die Schiffsoffiziere; der Schiffsrat w i r d zum aristokratischen Gebilde 58 . Den Befehlen des Kapitäns — auch widerrechtlichen — ist unbedingt Folge zu leisten. Der Kapitän ist nicht mehr verpflichtet, wie früher, sämtliche Besatzungsmitglieder als Zeugen und Eideshelfer bei Gericht vorzuführen; die Zahl w i r d auf zwei oder drei Besatzungsmitglieder begrenzt 59 . Vom Ende des 16. Jahrhunderts an beschleunigt sich die Entwicklung des sozialen Abstiegs des einfachen Besatzungsmitglieds immer mehr, der eine immer stärker werdende Stellung des Kapitäns als Stellver51 Vgl. Vogel, Kurze Geschichte der deutschen Hanse, i n : B l a t t X I der Pfingstblätter des Hansischen Geschichtsvereins, München, Leipzig 1915, S. 442; Kleinfeldt, Das Koalitionswesen i n der Seeschiffahrt, Eine U n t e r suchung über die Koalitionsverhältnisse der deutschen Seeleute, Diss. H a m burg 1923, S. 32. 52 Vgl. Geffken, S. 27 m. w. Nachw. 53 Kleinfeldt, S. 26. 54 Kleinfeldt, S. 27; Vogel, S. 442. 55 Geffken, S. 27. 58 Weber, S. 50. 57 Weber, S. 51; Herding, S. 11; Ruttmann, Die Rechtsstellung des Schiffsoffiziers auf deutschen Kauffahrteischiffen, Diss. H a m b u r g 1930, S. 62. 58 Vgl. Wagner, S. 344. 69 Vgl. Weber, S. 51. Diese Eideshelfer waren notwendig, u m die V e r k l a gung durchzuführen; sie diente der A u f k l ä r u n g von Vorfällen, die während der Reise das Schiff oder die Ladung beeinträchtigt (beschädigt) hatten; sog. Reinigung neben der Entlastung des Kapitäns gegenüber Ansprüchen D r i t ter; heute i n den §§ 522—525 des H G B geregelt.
4. Die Seeschiffahrt seit Ausgang des Mittelalters bis 1945
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treter des Reeders gegenübersteht 60 . I m hansischen Seerecht von 1614 gibt es keine Bestimmung mehr über die Einberufung des Schiffsrates 61 . 4. Die Seeschiffahrt seit Ausgang des Mittelalters bis 1945 4.1. Vorbemerkung
Die Stellung des Kapitäns war i m 18. Jahrhundert bis i n die jüngste Vergangenheit patriarchalisch-absolutistisch 62 . Der Kapitän allein übt die Herrschaft über das Schiff aus, die Besatzung ist seiner Entscheidungsbefugnis unterworfen. Der Sprachgebrauch „Master next God", „seul maître après dieu", trifft, wenn auch vielleicht überspitzt, seine hervorgehobene Position an Bord des ihm anvertrauten Schiffes. Diese Position w i r d durch die i m Heimathafen geltenden Gesetze besonders geschützt. M i t Geffken kann man von einer militär-ähnlichen Disziplinargewalt sprechen 63 . 4.2. Das Preußische Allgemeine Landrecht
Der zunehmende Handelsverkehr des 17. und 18. Jahrhunderts führte dazu, daß sich der Staat der Regelung von Seerechtsfragen m i t erhöhtem Interesse zuwandte. So hat Preußen mit seinem Seerecht von 1721 die Befugnisse des Schiffers (Kapitäns) auf Kauffahrteischiffen geregelt. Der Kapitän war hiernach befugt, die ungehorsamen Schiffsleute genügend zu bestrafen 64 . Das „Preußische Allgemeine Landrecht" von 1794 bestimmt, daß das „Schiffsvolk gegenüber dem Schiffer i m gleichen Verhältnis stehe wie das Gesinde an Land gegenüber der Dienstherrschaft". I n Anlehnung an die Auffassungen über die Stellung des Leibeigenen zum Großgrundbesitzer wurde dem Kapitän eine Disziplinargewalt über das Schiffsvolk eingeräumt, wie der Herr sie über das Gesinde besaß65. Gemäß einer allerhöchsten Cabinettsorder vom 18. November 1832 wurde verfügt: „Schiffsleuten auf preußischen Seeschiffen, welche nach anderen Weltteilen segeln, w i r d der Schiffsdienst auf den von ihnen zu leistenden Militärdienst angerechnet." V. Kaufmanns Vgl. Weber, S. 51. Monnerjahn, S. 13. 62 Becker, S. 243. 63 Geffken, S. 28. 64 v. S ahme, Einleitung zum Seerecht des Königreichs Preußen, Königsberg 1747, S. 174; so werden als Strafen „ v o n der Rahe fallen lassen und K i e l holen lassen" genannt. 65 Becker, S. 243. 61
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folgert zu Recht daraus 66 , daß dem Kapitän neben privatrechtlichen auch öffentlich-rechtliche Befugnisse zustanden, und er verweist darauf, daß die Verpflichtung des Kapitäns, Verbrecher zu verhaften, Todesfälle i m Tagebuch einzutragen, Protokolle über Straftaten an Bord anzufertigen und bei Testamentserrichtungen mitzuwirken, darauf hindeutet, daß der Schiffer bereits nach den Bestimmungen des Preußischen Allgemeinen Landrechts als Vertreter des Staates auf hoher See tätig wurde 6 7 . 4.3. Kodifikationen des Seerechts und die Entwicklung des Seehandels im 19. Jahrhundert
4.3.1. Vorbemerkung I n der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts folgen Kodifikationen des Seerechts i n rascher Folge. Sie sind Ausdruck sowohl des i n dieser Zeitspanne gewaltig anwachsenden Welthandels und damit Hand i n Hand gehender politischen Entwicklung zum Imperialismus als auch der rapiden technischen Entwicklung des Schiffsbaus. I n knapp 70 Jahren, zwischen 1850 und 1920, verdrängt der maschinengetriebene Dampfer aus Stahl das hölzerne und später stählerne Segelschiff nahezu vollkommen. Der Seeverkehr w i r d damit völlig umstrukturiert; die lange, nicht genau planbare Reisezeit verkürzt sich i n diesem Zeitraum immer schneller auf einen Bruchteil der Fahrzeiten der Segelschiffe, und die Liegezeiten reduzieren sich durch moderne Hafenanlagen und technisches Lade- bzw. Löschgerät. Während die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung i n den Staaten des deutschen Bundes und i n Europa hier als bekannt vorausgesetzt werden muß, soll die Ausdehnung des Seehandels eingehender dargestellt werden, damit die seerechtlichen Regelungen zwischen 1850 und 1902 auf diesem Hintergrund interpretiert und analysiert werden können. 4.3.2. Die Entwicklung
des Seehandels im 19. Jahrhundert
Die deutsche Seeschiffahrt hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts i m wesentlichen dieselbe Form, die sich schon am Ausgang des Mittelalters ausgebildet hatte. Die Reederei hatte sich entweder i m Anschluß an den Handel als kaufmännisches Nebengewerbe entwickelt oder wurde, wo sie unbedingt selbständig war, i n der Rechtsform kapitalistischer ββ
v. Kaufmanns, Die öffentlich-rechtlichen Machtbefugnisse des Kapitäns gegenüber der Schiffsmannschaft u n d den Passagieren . . . , Diss. Hamburg 1931, S. 7. 67 v. Kaufmanns, S. 9.
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Gemeinschafts- oder Partenreedereien betrieben. U m 1830 gab es nur sehr wenige selbständige Reedereien; die Regel war schon i m 16. Jahrhundert, daß Handelshäuser ein oder mehrere Schiffe besaßen und daß mit diesen nur deren eigener Handel abgewickelt wurde; lediglich i n Bremen war die selbständige Reederei schon stärker entwickelt 6 8 . Die technische Entwicklung, die i n den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts die ersten für den Überseehandel leistungsfähigen Dampfschiffe hervorbrachte 69 , bewirkte eine grundlegende Veränderung auch i n der Organisation des Seehandels, allerdings i n einem sehr langsamen Prozeß. Die Handelshäuser konnten aus eigenen Mitteln den Bau dieser Schiffe nicht mehr finanzieren, und i m Verlauf der nächsten Jahrzehnte erweist sich auch die Finanzkraft der Hansestädte nicht mehr als ausreichend für derartige Projekte. Es entstehen Großreedereien, die als Aktiengesellschaften organisiert werden 70 . Diese Ausweitung ist nur auf dem Hintergrund der Entwicklung der nationalen Wirtschaften zu einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft zu verstehen. I m internationalen Vergleich war England u m die Mitte des 19. Jahrhunderts die wirtschaftlich absolut dominierende Macht. Neben England spielten Frankreich und die USA eine Rolle zweiten Ranges; Deutschland hatte — nicht zuletzt infolge der politischen Zersplitterung — nur eine geringe Bedeutung. Nach Schätzungen betrug der Wert der Ein- und Ausfuhr Englands Anfang der fünfziger Jahre i m vorigen Jahrhundert schon 5—6 Milliarden Mark jährlich; für Frankreich und die USA sind die entsprechenden Zahlen 2—2,5 Milliarden; für Deutschland 2,1 M i l l i a r den 71 . Die englische Handelsflotte umfaßte i m Jahre 1850 etwas über 3,1 M i l l . Registertonnen, die französische 0,8 Millionen. Die verschiedenen an Nord- und Ostsee grenzenden deutschen Staaten wiesen 0,5 bis 0,6 Millionen Registertonnen aus, wovon auf Preußen 0,21 und die Hansestädte 0,13 Millionen entfielen 72 . Daß dieser Schiffsraum auch nicht entfernt für den wachsenden Handelsverkehr der deutschen Länder ausreichte, liegt auf der Hand. Die i n diesem Bereich zu erwartenden Gewinne bewogen das deutsche Kapital alsbald, die organisatorischen Voraussetzungen für eine Konkurrenz mit England zu schaffen. 88
Vgl. Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 262. Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 204, m i t Text über die Dampfschiff ahrt. 70 Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft, S. 264; Schwärzler, Die F o r t b i l dung des Rechts der Seeschiffahrt unter dem Einfluß technischer, wirtschaftlicher u n d sozialer Neuerungen, Diss. K i e l 1937, S. 5. 71 P. Arndt, Die Weltwirtschaft i n den Jahrzehnten u m 1900, i n : Paul Herre (Hrsg.), Weltgeschichte der neusten Zeit, 1. Teil, B e r l i n 1925, S. 399. 72 P. Arndt, S. 399. 69
Hanses 3
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1847 wurde die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) gegründet, die Personen- und Frachtverkehr von Hamburg nach New York betrieb, und zwar von 1847 bis 1855 mit Segelschiffen, seit 1855 aber bereits mit Dampfern 73 . Zehn Jahre später entsteht ebenfalls als Aktiengesellschaft i n Bremen der Norddeutsche Lloyd, der bereits wenige Monate nach seiner Gründung, nämlich i m Sommer 1859, den ersten Überseedampfer, die „Bremen", m i t 3000 BRT und Platz für 570 Passagiere einsetzte 74 . Die Entwicklung der deutschen Seeschiffahrt wurde wesentlich durch die Auswanderungsbewegung begünstigt; von den Dimensionen dieses „stärksten und lohnendsten Export(s)" 75 geben diese Zahlen einen Eindruck: 1852 gingen 143 000 deutsche Auswanderer i n die USA, 1854, nach Bekanntwerden der Goldfunde i n Kalifornien, 200 000, 1853 verließen 296 Schiffe die Weser mit Reiseziel nach Nordamerika, 1854 382, i m selben Jahr fuhren 147 Schiffe von Hamburg i n die Vereinigten Staaten. Wenn die Zahlen der Auswanderung auch schwankten, lassen doch die Angaben für einzelne Jahre i n den folgenden Jahrzehnten erkennen, daß diese Konjunktur i m Seeverkehr anhielt: 1868 — 66 000
1872 — 80 000 1880 — 80 000 1887 — 99 0007e Die Auswandererschiffe waren nicht etwa Passagierdampfer mit Kajüten, sondern die Menschen wurden i n sogenannten Zwischendecks auf großen, kaum abgeteilten und nach Geschlechtern getrennten Flächen befördert. I m übrigen Schiffsraum führten die Schiffe Güter mit. A u f der Fahrt von Nordamerika nach den deutschen Häfen nahmen die Schiffe Rückwanderer mit. Der übrige freie Raum wurde mit Stückgut beladen. Der Aufschwung des deutschen Seehandels verlief i n den ersten Jahren nach 1850 langsam, aber kontinuierlich, ab etwa 1870 schneller und ab 1890 und bis zum Beginn des ersten Weltkrieges rasant. Hatte der Nettoraumgehalt der deutschen Seeschiffe 1850 rund eine halbe M i l l i o n Tonnen betragen, wurde die erste M i l l i o n etwa 1870 erreicht 77 . Für die nächsten Jahrzehnte ergaben sich folgende Zahlen: 73 Leckebusch, S. 186, Brockhaus Enzyklopädie, 17. Aufl., 8. Bd., Stichwort: H a m b u r g - A m e r i k a Linie. 74 Entholt, Die Hansestädte Hamburg, Bremen u n d Lübeck, i n : Die deutsche Wirtschaft u n d ihre Führer, Gotha 1928, S. 200/201. 75 So Entholt, S. 199 ohne Anführungsstriche. 78 Entholt, S. 199.
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Segelschiffe
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Dampfschiffe Register-Tonnen netto
1891 1901 1914
693 000 525 000 428 000
724 000 1 348 000 2 832 000 78
Die zweite M i l l i o n wurde also 30 Jahre nach der ersten erreicht, die 3. M i l l i o n aber schon 13 Jahre nach der zweiten erheblich überschritten. Die deutsche Entwicklung ist i m Zusammenhang m i t der gesamten Entfaltung des Welthandels zu sehen. Dabei geriet Deutschland auf fast allen Gebieten der Wirtschaft i n eine immer schärfere Konkurrenz zu England. Der englische Schiffsraum stieg von 1,7 Millionen Tonnen i m Jahr 1800 auf 3.1 Millionen Tonnen i m Jahr 1850 auf 9.2 Millionen Tonnen i m Jahr 1900 und 11,9 Millionen Tonnen i m Jahr 1912. Vergleicht man damit die deutschen Zahlen, so ist zwar die Ausgangssituation der deutschen Staaten ungleich ungünstiger; aber schon die Ausweitung der Tonnage i n den fünfzig Jahren zwischen 1850 und 1900 zeigt eine für England ungünstige Relation. Der englische Schiffsraum verdreifacht sich, während die deutsche Tonnage sich vervierfacht. Bedrohlich w i r d die Entwicklung aber zwischen 1900 und 1914: Der Anstieg i n England beträgt 130 °/o, der der deutschen Tonnage fast 175 °/o; bei einer isolierten Betrachtung der Jahre 1912 bis 1914 sind die Verhältnisse für England sogar noch ungünstiger 79 . Zwar herrscht die englische Flagge kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges noch immer entschieden vor, und i n absoluten Zahlen bestand noch ein weiter Abstand. Aber der Abstand war kleiner, die Entwicklung i n England langsamer, i n Deutschland erheblich schneller geworden, und Deutschland war nunmehr der zweitwichtigste Seehandelsstaat der Welt. Für das Jahr 1912 gibt A r n d t diese Rangfolge an 8 0 : 77 Genau: 1871, Segelschiffe 900 000 Tonnen, Dampfschiffe 82 000 Tonnen, Sombart, Wirtschaftsleben, S. 282. 78 Sombart, Wirtschaftsleben, S. 282. 79 Sombart, Wirtschaftsleben, S. 282. 80 Arndt, S. 415. Die geringfügigen Abweichungen von den Zahlen Sombarts dürften auf unterschiedlichen Vermessungen des Schiffsraums beruhen. 2*
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Segler
I m Jahre 1912 England Deutschland Nordamerika V.St. Norwegen Frankreich Rußland Japan Italien
Dampfer
11,4 1,0 0,4 2,6 1,3 1,4 0,6 1,0 0,5 0,9 0,5 0,5 0,2 0,8 0,3 0,7 i n M i l l i o n e n Netto-Registertonnen
Zusammen 12,4 3,0 2,7 1,6 1,4 1,0 1,0 1,0
Fragt man sich nach den Ursachen der überproportional schnellen Ausweitung der deutschen Tonnage i n den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts, so stößt man sogleich auf die neuerwachten überseeischen Interessen des deutschen Kapitals, die sich m i t den zuvor genannten Faktoren verbanden. Nach Überwindung der Depression von 1873 entstanden bei den deutschen Großbanken Projekte, die sich mit der Gründung deutscher Banken i n überseeischen Gebieten befaßten. Zunächst muß te die „Deutsche Bank", die auf rein privatwirtschaftlicher Ebene operiert hatte, i n Ostasien und Lateinamerika Mißerfolge hinnehmen. A b 1883 ergriffen dann Reeder, Bankiers vornehmlich, aber nicht ausschließlich aus den deutschen Seestädten, und Handelskammern — publizistisch unterstützt durch namhafte Wirtschaftszeitungen — die Initiative zur Gründung einer deutschen Überseebank mit staatlicher Rückendeckung. Bismarck wurde mit diesen Plänen 1884 vertraut gemacht, wollte sich aber, weil i h m die sogleich zu behandelnde staatliche Subventionierung von Dampferlinien näher lag, zunächst nicht engagieren. Später — 1886 — nahm die Regierung — durch das von Bismarcks Sohn Herbert geleitete Auswärtige A m t — maßgeblichen Einfluß auf die Verwirklichung dieser Pläne, die auch zur Gründung der „Deutschen Überseebank" und der „Deutsch-Asiatischen Bank" führten. M i t H. U. Wehler w i r d man davon ausgehen können, daß diese Pläne von der Absicht der Banken getragen waren, sich von der Vorherrschaft des Londoner Geldmarktes zu befreien und die finanziellen Transaktionen des deutschen Überseehandels selbst zu kontrollieren 8 1 . 4.3.3. Die Subventionspolitik
unter
Bismarck
Die staatliche Subventionierung von Dampferlinien nach überseeischen Gebieten war i n deutschen Wirtschaftskreisen seit 1872 i m Gespräch. Zur Begründung dieser Forderung führten u. a. der Generalpostmeister 81
Wehler, Bismarck u n d der Imperialismus, S. 235 ff., S. 238 m i t Nachw.
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v. Stephan und der deutsche Gesandte i n China, v. Brandt, an, daß nur regelmäßig verkehrende, staatlich unterstützte Linien i n der Lage wären, die Konkurrenz mit Großbritannien, Amerika und Frankreich durchzuhalten. Bismarck griff diese Anregung 1881 auf und trug sie mit einer Denkschrift an den Reichstag heran, i n der er für die Pläne insbesondere mit dem erneuerten französischen Gesetz zur Unterstützung der Handelsmarine, aber auch mit dem Subventionswesen anderer Staaten argumentierte. Dieser ersten Denkschrift folgten schnell weitere. I n der dritten — ebenfalls aus dem Jahr 1881 — wurde eingeräumt, daß vielleicht zuerst kein Gewinn gemacht würde, aber „Dampferlinien können nicht bloß m i t Rücksicht auf den gegenwärtigen Verkehr, sondern vornehmlich i n Vorbereitung des zukünftigen . . . ins Leben gerufen werden", um der „Gesamtheit des deutschen Handels und damit der deutschen Volkswirtschaft zugute" zu kommen. „Die natürlichen Verhältnisse weisen aber auf die Notwendigkeit des Eingreifens derjenigen Macht hin, der vermöge ihrer über der Masse der vergänglichen Einzelinteressen befindlichen Stellung die Wahrnehmung der bleibenden und zukünftigen Interessen der Gesamtheit obliegt 82 ." Die wechselhafte Entstehungsgeschichte dieses Subventionsgesetzes braucht hier nicht i m einzelnen nachgezeichnet werden 83 . Nach heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen dem Linksliberalismus und den Interessenverbänden der Industrie und des Handels, i n denen der Bremer Reeder H. H. Meier (Norddeutscher Lloyd) als besonders geschickter Lobbyist für das Vorhaben u. a. bei Bismarck direkt intervenierte, fand die Vorlage i n dritter Fassung schließlich am 23. März 1885 eine parlamentarische Mehrheit aus konservativen und national-liberalen Abgeordneten. Das Gesetz sah vor, daß fünfzehn Jahre lang die Australien- und die Ostasien-Linien mit 4,4 Millionen Mark unterstützt werden sollten. Bei der Ausführung des Gesetzes konnte der „Norddeutsche Lloyd" die Früchte der Bemühungen H. H. Meiers ernten. Nachdem schon am 28. A p r i l 1885 die Generalversammlung der Lloyd-Aktionäre i n klarer Erkenntnis der bevorstehenden Erteilung des Zuschlages das Kapital um 15 Millionen erhöht hatte, u m für die kommende Entwicklung gerüstet zu sein, wurde der Vertrag zwischen dem Reich und dem „ L l o y d " Anfang J u l i von Bismarck und H. H. Meier unterzeichnet und i m November vom Reichstag gebilligt. Der „ L l o y d " verpflichtete sich darin, gegen eine jährliche Subvention von 4,4 Millionen Mark innerhalb von 18 Monaten den Betrieb auf den beiden Hauptlinien mit je 13 Fahrten i m Jahr und auf 82 83
Nachweis bei Wehler, S. 242; Fn. 15. Vgl. hierzu Wehler, S. 239 ff.
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einer Nebenlinie mit 26 Fahrten aufzunehmen. Von den fünfzehn vorgesehenen Dampfern durften neun aus der Atlantikflotte übernommen, die sechs neuen Schiffe mußten „auf deutschen Werften und tunlichst unter Verwendung deutschen Materials gebaut werden" 8 4 . Nach etwa acht relativ verlustreichen Jahren begannen sich die Unternehmen für den „Norddeutschen Lloyd" zu rentieren, und seit 1894 stieg der Gewinn bei allen beteiligten Unternehmen — u. a. der Bremer Vulcan-Werft — ständig. Wehler faßt das Ergebnis der Dampfersubventionspolitik folgendermaßen zusammen: „Zehn Jahre nach den letzten Reichstagsdebatten begannen sich Bismarcks langfristige Erwartungen zu bestätigen: die Ostasienlinie vor allem trug zur Steigerung der deutschen Ausfuhr bei, verdrängte den lange Zeit maßgeblichen englischen Zwischenhandel und erfüllte die ihr zugedachten Aufgaben. Der Bau moderner Dampfer auf deutschen Werften wurde entscheidend vorangetrieben. M i t dem Aufstieg des „ L l o y d " rückte Bremerhaven zu einem der führenden europäischen Häfen empor, wurde Bremen ein fast gleichwertiger Rivale Hamburgs. Vom Standpunkt der nationalwirtschaftlichen Expansion und Förderung der deutschen Volkswirtschaft, und von ihm war die Regierung Bismarck i n erster Linie ausgegangen, erwies sich diese Maßnahme der von Bismarck inaugurierten deutschen Überseepolitik als Erfolg." Das i n der politischen Diskussion u m die Dampfersubvention zutage tretende starke Engagement Bismarcks und der Reichsregierung, also des Staates, ist auch i m Zusammenhang mit einer Änderung der Auffassung des Reichskanzlers zur Kolonialfrage zu sehen. 4.3.4. Die Kolonialpolitik
unter Bismarck
Die historische Forschung hat festgestellt, daß sich Bismarck bis zum Beginn der 1880er Jahre nicht nur immer wieder dagegen ausgesprochen hatte, daß das Reich Kolonien erwerbe 85 , sondern auch entsprechende Vorhaben der Wirtschaft zurückgewiesen hatte. Finanzielle und politische Erwägungen scheinen sich dabei gegenseitig bedingt zu haben. Als Lewis Baare, einer der führenden Männer der Reichsindustrie, 1881 die Erwerbung Formosas vorschlug, gab i h m Bismarck zur Antwort, „solange das Reich finanziell nicht konsolidiert sei, dürfe man an so teure Unternehmungen nicht denken. Direkte Kolonien können w i r nicht verwalten, nur Kompagnien unterstützen" 86 . 84 85 88
Wehler, S. 255. Wehler, S. 412; Lothar Gall , S. 617. Zitiert bei Wehler, S. 428.
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I m Frühjahr 1881 stellt er seine Auffassung wiederum mit folgenden Worten klar: „Solange ich Reichskanzler bin, treiben w i r keine Kolonialpolitik. W i r haben eine Flotte 8 7 , die nicht fahren kann, und w i r dürfen keine verwundbaren Punkte i n fernen Weltteilen haben, die den Franzosen als Beute zufallen, sobald es losgeht 88 ." Über die Ursachen der Ende 1883/Anfang 1884 zu beobachtenden Änderung der Reichspolitik werden sehr unterschiedliche Auffassungen i n der Literatur vertreten 89 . Für die Untersuchung genügt die Feststellung, daß sich das deutsche Reich von diesem Zeitpunkt an auch unmittelbar politisch i n überseeischen Gebieten engagiert, der bisher über die „Unterstützung von Kompagnien" betriebene Imperialismus sich nunmehr auch unmittelbar politisch betätigt 9 0 . Wirtschaftlich haben die ab 1884 erworbenen Kolonien bis zu ihrem faktischen Verlust bei Beginn des ersten Weltkriegs keine Bedeutung erlangt; die Investitionsphase war 1914 gerade erst beendet. Togo ausgenommen, waren die deutschen afrikanischen Kolonien auf Zuschüsse des Reichs angewiesen, die sich bis 1914 auf ca. 50 Millionen Pfund Sterling belaufen hatten. Der wirtschaftliche Ertrag war i n diesem Zeitraum gering, und der Anteil des Kolonialhandels am gesamten deutschen Überseehandel betrug zwischen 1904 und 1913 nur 0,5 %>. I m Rahmen dieser Untersuchung kommt der Kolonialfrage nur i n sofern Bedeutung zu, als die imperialistische Politik Deutschlands bis zum ersten Weltkrieg ihren Niederschlag auch i m Seerecht i m weiten Sinne und speziell i n der Ausgestaltung der Rechtsstellung des Kapitäns und der Seeleute findet.
4.4. Die Entwicklung des von den Hansestädten ausgehenden Handels, insbesondere des Bremens
4Λ.1. Vorbemerkung Nach dieser notwendigen summarischen Darstellung des deutschen Seehandels allgemein bis zum Beginn des ersten Weltkrieges soll jetzt die Entwicklung des von den Hansestädten ausgehenden Handels genauer betrachtet werden. Von den Hansestädten ist nämlich ein maßgeblicher Einfluß auf die Seemannsordnungen von 1873 und 1903 ausgegangen; ζ. T. sind rechtliche Regelungen aus Gesetzen der 87 88 89 90
Gemeint ist nach dem Zusammenhang: Kriegsflotte. Zitiert bei Gall, S. 617. Überblick bei Wehler, S. 412 ff.; Gall, S. 619 ff. Näheres hierzu bei Wehler, S. 429 f.
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Hansestädte übernommen worden, ζ. T. prägten Denkschriften, an deren Abfassung Bremer und Hamburger Reeder und Kaufleute maßgeblich beteiligt waren, den Inhalt der Gesetze. Die Einwirkung der wirtschaftlichen Interessen des „Norddeutschen Lloyds" auf die Handelspolitik des Reiches hat das Dampfersubventionsgesetz beispielhaft gezeigt. Von den „hanseatischen Vorgängern" der Seemannsordnung von 1872 soll nur die bremische von 1852 auf die Rechtstellung des Käpitäns nun näher untersucht werden, weil i n der Gleichheit der Interessenlage der am Seehandel beteiligten Städte m i t wesentlichen Abweichungen nicht zu rechnen ist und die wirtschaftliche Macht Bremens der Hamburgs i n dem hier ausschlaggebenden Zeitraum jedenfalls nicht nachstand, während Lübeck und andere Ostseehäfen mit diesen beiden Städten überhaupt nicht zu vergleichen sind 91 . Der Ausgangspunkt war die Verteilung der europäischen Handelsflotte u m 185092. Es hatte sich gezeigt, daß von der geringfügigen Kapazität der Länder des deutschen Bundes (0,5—0,6 Millionen Registertonnen) wiederum nur 0,13 Millionen auf die Hansestädte entfielen. 4.4.2. Die Entwicklung
des bremischen Seehandels
Die Entwicklung des bremischen Seehandels stellt sich wie folgt dar: Die bremische Handelsflotte umfaßte 93 : 1778 1796 1806 1814 1817
119 Schiffe 132 Schiffe 172 Schiffe 112 Schiffe 133 Schiffe
zu ca. zu ca. zu ca. zu ca. zu ca.
10 000 14 439 18 887 11 796 14 406
Lasten Lasten Lasten Lasten Lasten.
Danach sank der Schiffsbestand bis 1825 auf 99 Schiffe zu insgesamt 9764 Lasten. Erst 1832 war wieder die Tonnenzahl von 1799 erreicht. A b etwa 1840 ist ein stetiger Aufwärtstrend zu beobachten: 1840 212 Schiffe, 1841 232 Schiffe mit unbekannter Tonnenzahl, ohne Küstenfahrer. Eine andere Berechnung weist den Anteil bremischer Schiffe am Bremen-Handel aus 94 : 91 Vgl. die Darstellung Lübecks i n „Die deutsche Wirtschaft Führer", Bd. V, S. 247. 92 Vgl. S. 33. 93 Entholt, S. 155. 94 Entholt, S. 156.
und
ihre
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1830 verkehren zwischen Bremen und USA 5 /7 amerikanische und 2 h bremische, 1835 verkehren zwischen Bremen und USA V7 amerikanische und 4/7 bremische, 1840 verkehren zwischen Bremen und USA Vs amerikanische und 4/s bremische Schiffe. A m 1. Januar 1846 lagen 42 bremische Seeschiffe i m Hafen, 7 Schiffe auf Reede segelfertig, 11 wurden erwartet, 168 bremische Seeschiffe befanden sich weltweit auf Reisen. „Das waren die Kräfte, m i t denen die bremische Reederei i n eine neue Periode ihrer Geschichte eintrat 9 5 ." Diese neue Periode war nicht eine der bremischen Reedereien und auch nicht des bremischen Handels, Handwerks und Gewerbes, sondern eine allgemeine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs i n den Staaten des deutschen Bundes am Ausgang der 1840er Jahre. I n diesem Zeitraum begannen sich die technischen Errungenschaften, die vom Ende des 18. Jahrhunderts an Landwirtschaft (Justus von Liebig), Industrie (Dampfmaschine) und Handel (Eisenbahn, Dampfschiffe) revolutioniert hatten, auszuwirken. Die i n den 1830er Jahren vorgeformten Marktorganisationen (Zollverein) und Außenhandelsverbindungen bewiesen jetzt ihre Notwendigkeit und Nützlichkeit. I m Rahmen eines weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungsprozesses, den die Senkung der englischen Kornzölle von 1846 ausgelöst und die amerikanischen und europäischen Eisenbahnbauten vorangetrieben hatten, wurden i n Deutschland i m Boom zwischen 1850 und 1857 die ersten deutschen Banken gegründet; i m selben Zeitraum entstehen i n Deutschland 119 Aktiengesellschaften 96 . Dieser Entwicklungsprozeß sparte auch Bremen nicht aus. Allerdings sind hier Besonderheiten zu berücksichtigen, die auf der dominierenden Rolle der Kaufmannschaft beruhten. Bremen hatte sich dem Zollverein nicht angeschlossen, weil dieser den Interessen der Kaufleute und Reeder widersprach 97 . Infolgedessen gerieten Handwerk und Industrie Bremens i n eine immer ungünstigere Lage. Die Bremer Produkte (u. a Zigarren) waren ebensowenig abzusetzen, wie die der Handwerker, die ihre Leistungen am Stadtrand nicht anbieten konnten, weil erhebliche Zölle auf die Preise geschlagen wurden. 95
Entholt, S. 157. Vgl. PloetZy Auszug aus der Geschichte, S. 376/377. 97 Vgl. die Wiedergabe der Argumente der Kaufmannschaft bei S. 171. 96
Entholt,
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Der Seehandel dagegen blühte infolge des weltweiten wirtschaftlichen Aufschwungs auf, denn Ein- und Ausfuhr der Waren fielen nicht unter den Zolltarif 9 8 . Erst 1856 Schloß Bremen mit dem Zollverein einen Vertrag, der den anderen Wirtschaftszweigen eine gewisse Verbesserung brachte; aber der Widerstand des von der Kaufmannschaft beherrschten Senats gegen den Zollanschluß hielt über die Reichsgründung bis zum Jahre 1885 an, und vollzogen wurde dieser erst 188899. Die starken Impulse, die der bremische Handel am Ausgang der 1840er Jahre erhielt, w i r k t e n sich voll erst i n den fünfziger und sechziger Jahren aus, jedoch zeichnete sich für die führenden Kaufleute und Reeder etwa ab 1847 deutlich ab, daß die nächsten zehn Jahre darüber entscheiden würden, ob Bremen eine Welthandelsstadt werden würde 1 0 0 . Das Aufblühen des Handels w i r k t e sich auf die Reedereien aus, wenn auch die Vergrößerung des Handelsvolumens nicht zwangsläufig eine Vermehrung der Schiffsräume bedeutete, und die vermehrte Tonnage unter Bremer Flagge mußte nicht zwingend von Bremer Kaufleuten i n vollem Umfang i n Anspruch genommen werden. Die noch vielfach anzutreffende Identität von Kaufmann und Reeder führte aber dazu, daß das Engagement i n der Reederei zu einem vorrangigen Interesse der politisch ausschlaggebenden Kaufmannschaft wurde 1 0 1 . Dies schlug sich dann i n der „Obrigkeitliche(n) Verordnung, die Pflichten und Rechte der auf bremischen Seeschiffen fahrenden Seeleute, und die Musterrolle betreffend" vom 15. November 1852102 nieder, auf die weiter noch einzugehen sein wird. Zunächst soll jedoch das Rechtsverhältnis zwischen Kapitän und Reeder behandelt werden.
5. Die Rechtsbeziehungen zwischen Kapitän und Reeder in den Hansestädten um 1850 Es ist bereits dargelegt worden, daß historisch nicht nur Kaufmann und Reeder identisch sein können, sondern auch der Kapitän. Derartige Identitäten finden sich noch i n der Mitte des 19. Jahrhunderts 98
Entholt, S. 271. Entholt, S. 182. 100 Vgl. Entholt, S. 166. 101 Vgl. Entholt, S. 197 ff. 102 Belegstelle, Bremer Staatsarchiv, Bremer Gesetzesblattsammlung 1852, No. X X X . 99
6. Das hansische Seerecht von 1614
43
und halten sich als Identität von Heeder und Kapitän i n der Küstenschiffahrt bis zur Gegenwart 103 . Beim Zusammenfallen von Schiffseigner- und Schiffsführerstellung ist der Kapitän selbständiger Unternehmer; Rechtsfragen aus dem Verhältnis Reeder — Kapitän stellen sich insofern nicht. Aber schon i n der beginnenden Neuzeit werden wegen der Verteuerung des Schiffsbaus infolge der ständigen Vergrößerung der Schiffe Einzelreeder immer seltener; an ihre Stelle treten Partenreeder, von denen einer der Kapitän sein kann. Jetzt treten Rechtsfragen i m Verhältnis zwischen den übrigen Partenreedern und dem Partenreeder Kapitän auf, denn aus dem Partenreederverhältnis ergibt sich unmittelbar noch nichts für die Frage, was zwischen solchen Reedern gelten soll, von denen der eine zugleich die Funktion des Kapitäns auf dem gemeinsamen Schiff erfüllt.
6. Das hansische Seerecht von 1614 I n den Hansestädten gelten für die Rechtsverhältnisse — mit Ausnahme der Zeit der napoleonischen Besetzung — bis zum Inkrafttreten des A D H G B für den Norddeutschen Bund vom 12. 8.1869 die hanseatische Seerechtskodifikationen von 1614 mit dem Titel „Der Ehrbaren Hansestädte Schiffsordnung und Seerecht, deren sich ihre Bürger sonderlich die Schiffsreedere, Befrachter, Schiffsvolk und Schiffer zu verhalten, von neuem übersehen und gebessert und unter gewisse T i t u l auf geteilet" 1 0 4 . 6.1. Rechtsnatur des Anstellungsvertrages zwischen Reeder (Schiffsfreunden) und Kapitän (Schiffer)
Der zweite T i t u l handelt „Von der Schiffsfreund und der Reeder Macht i n Annehmung und Beurlaubung des Schiffers". Für den Inhalt des Vertrages zwischen den Schiffsfreunden, d. h., den Partenreedern oder Kapitalgebern und Reedern einerseits und den Kapitänen andererseits w i r d nur eine formale Regel aufgestellt: „Reeder und Schiffsfreunde haben mit den Schiffern (d. h. den Kapitänen) bei deren erster Einstellung klare Verabredungen zu treffen und ihnen einen amtlichen Eid abzunehmen, jede nur mögliche Wirrnis zu vermeiden." (2. T i t u l Nr. 3) I n Nr. 4 desselben Tituls ist die Konstellation geregelt, daß der Schiffer zugleich Schiffsfreund ist. Verstößt er i n dieser doppelten Eigenschaft „gegen irgendeine Ordnung", so haben die übrigen Freunde 103 104
Vgl. Brauckmüller, Der K a p i t ä n als Angestellter, Diss. K i e l 1934, S. 1. Hrsg. i n Lübeck 1614.
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das Recht, ihn zu beurlauben oder abzusetzen. „Wieviel er dann von seinem A n t e i l ausgezahlt bekommt, soll von Unparteiischen festgesetzt werden..." Aus diesen Vorschriften folgt, daß der Inhalt des Vertrages Gegenstand freier Übereinkunft war, soweit sich nicht aus dem dritten T i t u l („Von des Schiffers Ampt") und dem zwölften T t i u l („Von der Schiffer Rechnung") besondere Verpflichtungen des Kapitäns bei der Führung des Schiffes und zur Rechtslegung nach Heimkehr des Schiffes ergaben; Dauer des Dienstverhältnisses, Höhe der Heuer und sonstige Arbeitsbedingungen wurden frei ausgehandelt. 6.2. Das Recht auf „Führung"
Die Seerechtskodifikation von 1614 kannte noch das historische Recht der Seeleute, Güter auf eigene Rechnung mitzuführen und zu verkaufen, die sogenannte „Führung". Dieses Recht war für die Schiffsbesatzung i m dreizehnten T i t u l geregelt. Für den Kapitän war das Recht auf Führung anscheinend selbstverständlich und kommt i m Gesetzestext nur mittelbar zum Ausdruck. 6.3. Haftung des Kapitäns (Schiffers)
I m zehnten Titul, der von der Verteilung der Schäden handelt, die „durch Schuldt, Ungeratt oder Unglück an den Schiffen sich ergeben", werden unter Nr. 2 Zusammenstöße i m Hafen und auf Reede behandelt. I n einem solchen Fall „muß der Schiffer, durch dessen Unvorsichtigkeit oder Vorsatz das Unglück eingetreten ist, den durch ihn hervorgerufenen Schaden aus eigener Tasche bezahlen, soweit seine Güter
reichen"
105
.
Der Sinn dieser Regelung ergibt sich erst aus dem Zusammenhang mit dem nächsten Satz: „ K a n n er das Geld für den Schadensersatz nicht aufbringen, so muß das Schiff und damit der Eigner desselben den Schaden tragen; die Güter aber bleiben frei." Wenn man nicht davon ausgeht, daß der hanseatische Gesetzgeber i n einer Vorschrift das Wort Güter i n zweierlei Bedeutung verwandt hat, liegt i n den Worten „soweit seine Güter reichen" eine Haftungsbeschränkung zugunsten des Kapitäns. Dieser soll für den Schaden nur bis zur Höhe des Werts seiner an Bord befindlichen Güter, seiner „Führung", haften. Die anderen, den Befrachtern gehörenden Güter dagegen werden nicht zur Abdeckung des Schadens herangezogen. Wenn ein Schaden am 105
Hervorhebung von mir.
7. Normenanalyse der Bremer Seemannsordnung von 1852
45
Schiff einschließlich des Untergangs des Schiffes aus den Gütern des Kapitäns wenigstens zu einem erheblichen Teil abgedeckt werden konnte, anders hätte diese Vorschrift überhaupt keinen Sinn, mußte die „Führung" des Kapitäns i n der Regel erheblich sein. 6.4. Ergebnis
Für die Frage der Rechtsstellung des Kapitäns aufgrund der Seerechtskodifikation von 1614 ergibt sich folgendes: Sofern die Kapitäne Mitreeder sind, stehen sie i n einem Rechtsverhältnis, das Dienstvertrag und Gesellschaftsvertrag nicht sorgfältig auseinanderhält; ein Verstoß gegen irgendeine „Ordnung", also sowohl das Dienstverhältnis als auch das Gesellschaftsverhältnis als „Schiffsfreund" berechtigt die anderen Partner zur „Absetzung" und zum Ausschluß aus der Gesellschaft. Sind die Kapitäne nicht auch zugleich Mitreeder, so stehen sie nur i n einem Dienstverhältnis zu dem Reeder oder den Reedern. Infolge des Rechts zur „Führung" — das auch dem Mitreeder/Kapitän zusteht — sind sie zugleich Unternehmer. Der Unternehmer-Anteil hat eine erhebliche Bedeutung, wie sich aus der Haftungsregelung i m T i t u l 10 Nr. 2 ergibt. Der weiteren Entwicklung gerade dieses Doppelcharakters der Kapitänsstellung w i r d bei der Untersuchung der entsprechenden Vorschriften des A D H G B und i m HGB unter dem Gesichtspunkt nachzugehen sein, inwieweit durch den Verlust des unternehmerischen Anteils das Substrat für die Haftung des Kapitäns entfällt, die Rechtsnormen über die Haftung aber dem Inhalt nach unverändert fortbestehen.
7. Normenanalyse der Bremer Seemannsordnung von 1852 7.1. Vorbemerkung
Die Verordnung beginnt mit einer das damals verfassungsrechtlich vorgeschriebene Verfahren bei Gesetzgebungsakten grob beschreibenden Formel, aus der sich ergibt, daß „der Senat sich m i t der Bürgerschaft wegen gesetzlicher Bestimmungen über die Pflichten und Rechte der auf bremischen Seeschiffen fahrenden Seeleute, und die Musterrolle betreffend, vereinbart hat". Über Ablauf und Inhalt der Verhandlungen, die zu dieser Verordnung geführt haben, ließen sich i m Staatsarchiv jedoch keine Urkunden auffinden 108 . 10e Schon Segger, der eine rein historische A r b e i t vorgelegt hat, beruft sich nirgends auf Materialien zu dieser Verordnung, sondern behandelt allein den Text der Normen, vgl. Segger, S. 120 ff.
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
Die Verordnung muß daher aus sich heraus auf dem dargestellten gesellschaftspolitischen Hintergrund interpretiert werden. M i t Recht hebt Segger 107 hervor, daß die bremische Verordnung von 1852 i m Gegensatz zu allen älteren die Seeschiffahrt betreffenden Gesetzeswerke der Hansestädte nur „summarische Dinge" behandelt; die älteren Gesetze hatten neben „seemännischen Dingen" immer auch handels- und gesellschaftsrechtliche Gegenstände und regelten daneben noch schiffsbaurechtliche Gegenstände 108 . Die von Segger so bezeichneten „summarischen Dinge" sind ihrem Inhalt nach i m wesentlichen eine sehr ausdifferenzierte Kodifizierung der Pflichten und Rechte aus dem Heuervertrag, zum großen Teil verbunden mit scharfen strafrechtlichen Sanktionen. 7.2. Die Bremer Seemannsordnung von 1852
Die Verordnung ist allgemein gegliedert i n den Teil A „von den gegen Monatsgage fahrenden Seeleuten" und den nur zwei Paragraphen umfassenden Teil Β „Von denjenigen Seeleuten, welche nicht gegen Monatsgage fahren"; diese beiden Vorschriften, die §§ 74 und 75, regeln i m wesentlichen die analoge Anwendung der Vorschriften des Teils A. Der Teil A gliedert sich wiederum i n I., II. und I I I . Abschnitt I handelt „Von den Pflichten des Captains und der Mannschaft" und umfaßt die §§ 1—46; i m Abschnitt II., §§ 47—65, ist „Von den Rechten der Schiffsmannschaft" die Rede. Der I I I . Abschnitt, §§ 66—73, überschrieben mit „Allgemeine Bestimmungen" soll i m Kern die Beachtung der Verordnung auch i m Ausland und die ausschließliche Rechtsprechung der bremischen Gerichte und Behörden bei allen an Bord und i m Ausland auftretenden Konflikten sichern, §§ 66—68. Außerdem w i r d eine Beweisregel aufgestellt, die dem ordnungsgemäß geführten Schiffsjournal volle Beweiskraft „wider die Mannschaft und jeden Einzelnen" beilegt, § 70, und es w i r d geregelt, wie die v e r w i r k ten Strafen und „confiscirten Gegenstände" zu verwenden sind, § 71. Das Kernstück der Verordnung sind demnach die von den Pflichten des Kapitäns und der Mannschaft handeinen §§ 1—46, die allein nach der Zahl der ihnen gewidmeten Paragraphen i m Verhältnis von etwa 3 : 1 zu den Regelungen über die Rechte der Schiffsmannschaft stehen. Terminologisch fällt auf, daß i n der Überschrift des Abschnitts I von den Pflichten des Kapitäns und der Mannschaft, i n der des A b 107 S. 120. los Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung der hanseatischen Seerechtskodifikation von 1614 bei Segger, S. 57 ff., insbesondere S. 58, 58a.
7. Normenanalyse der Bremer Seemannsordnung von 1852
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schnitts I I aber nur von den Rechten der Mannschaft die Rede ist. Die i n der Überschrift des Abschnitts I angedeutete Gegenüberstellung von Kapitän und Mannschaft ist keine sprachliche Ungenauigkeit, sondern vom Gesetzgeber beabsichtigt, wie sich aus der Präambel des Teils A ergibt. Dort heißt es: „Hinsichtlich der Stellung des Capitains eines bremischen Seeschiffs u n d der auf demselben gegen Monatsgage fahrenden Schiffsmannschaft, d . h . der Schiffsofficiere u n d des gesammten Schiffsvolks bis zum Jungen einschließlich, u n d jedes Einzelnen derselben ohne Unterschied des Ranges, sowie hinsichtlich der denselben obliegenden Pflichten u n d ihnen zustehenden Rechte dienen folgende gesetzliche Bestimmungen, Vorschriften u n d Verfügungen zur Richtschnur."
Danach verläuft also die Trennungslinie zwischen dem Kapitän einerseits und den Schiffsoffizieren und dem gesamten Schiffsvolk bis zum Schiffsjungen andererseits; Schiffsoffiziere und alle Seeleute werden m i t dem Begriff Schiffsmannschaft bezeichnet. Die hierin zum Ausdruck kommende Hervorhebung der Rechtsstellung des Kapitäns war schon i n den Vorgängern der Verordnung von 1852 angelegt. So war der „dritte T i t u l " der hanseatischen Seerechtskodifikation von 1614 überschrieben „Von des Schiffers A m p t " ; der „zweite T i t u l " handelte „Von der Schiffsfreund und der Reeder Macht i n Annehmung und Beurlaubung der Schiffer", regelte aber auch die Rechte des Kapitäns gegenüber Schiffsfreunden (Teilhabern) und Reedern 109 . Demgegenüber lautete der vierte T i t u l : „Von des Schiff s volcks Auf f nehmung und Ampts-Gebühr" ; dort waren sowohl Rechte als auch Pflichten der Mannschaft — mit Ausnahme des Kapitäns — geregelt. Ist also die Gegenüberstellung von Kapitän und Schiffsvolk i n den Kodifikationen — entsprechend der dargestellten Auseinanderentwicklung der sozialen Stellung des Schiffsführers und der Besatzung — schon älteren Ursprungs, so deutet sich doch i n der bremischen Verordnung insofern eine qualitative Veränderung an, die i n den Seemannsordnungen von 1873 und 1903 noch weiter geführt wird. Die Rechtsstellung des Kapitäns gegenüber dem Reeder und den Ladungsinteressenten w i r d i n der Verordnung überhaupt nicht mehr geregelt, weder unter den Pflichten noch unter den Rechten; i n § 11 Abs. 2 findet sich lediglich noch ein Hinweis darauf, daß solche Rechtsverhältnisse außerhalb der Verordnung bestehen: „Alles dies jedoch vorbehaltlich der Verbindlichkeiten des Captains und der Rheder gegeneinander und gegen Dritte, namentlich gegen die Befrachter, welche durch vorstehende Vorschrift nicht geändert werden sollen." I m übrigen richten sich von den straf bewehrten Normen nur diejenigen auch gegen den Kapitän, die i n der heutigen Gesetzessprache schwerste 109
Vgl. Segger, S. 59.
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
Verbrechen und Vergehen unter Strafe stellen, nämlich die §§ 33—35. I n diesen Vorschriften werden die absichtliche oder grobfahrlässige Gefährdung von Schiff, Mannschaft, Passagieren oder Ladung (§ 33) und die Begehung dieser Tat durch absichtliche oder grobfahrlässige Unterlassung (§ 34) unter hohe Strafandrohung gestellt, und i n § 35 werden die Nebenstrafen von der Konfiszierung aller Güter bis zum Berufsverbot geregelt. 7.2.1. Anwendungsbereich der Seemannsordnung
auf den
Kapitän
Wichtig für den Zusammenhang dieser Arbeit ist nun, auf welche Weise der Anwendungsbereich auf den Kapitän erstreckt wird. Nach § 36 finden die Vorschriften der §§ 33, 34 und 35 auch auf den Kapitän Anwendung. Daraus könnte aber der Schluß gezogen werden, daß alle anderen Paragraphen dieses Abschnitts für den Kapitän nicht gelten sollen. Eine solche Folgerung geht aber zu weit; die Stellung des § 36 i m Gesamtgefüge des Abschnitts I begrenzt formal dessen Wirkung auf die vorangehenden Normen. Daß der Gesetzgeber eine solche ausdrückliche Erstreckung auf den Kapitän überhaupt für notwendig hielt, zeigt an, daß i m allgemeinen nicht von einer Geltung der Normen für den Schiffsführer auszugehen ist. Dies bestätigt eine inhaltliche Prüfung der Paragraphen des Abschnitts I. I n fast allen Vorschriften ist der Kapitän zur Geltendmachung der normierten Pflichten berechtigt, kann also nicht auch Schuldner sein; wo Verbote aufgestellt werden, kann der Kapitän sich von ihnen dispensieren (§§ 12, 13, 18, 19, 20), ist den Verboten also nicht unterworfen. Lediglich das Verbot, „Contrebande oder sonstige verbotene Waren m i t sich zu führen", § 15, richtet sich nach dem Wortlaut an „jeden". Auch nach dem Sinn w i r d der Kapitän von dieser Norm miterfaßt; gerade der Kapitän hat, weit mehr als jedes Besatzungsmitglied, die tatsächliche Möglichkeit, durch Übernahme von Konterbande oder unter gesetzliche Ein- oder Ausfuhrverbote fallende Waren — vor allem i n fremden Häfen — das Schiff zu gefährden. 7.2.2. Zwischenergebnis Faßt man an dieser Stelle das Ergebnis der Untersuchung vorläufig zusammen, so ergibt sich, daß die i n Teil A Abschnitt I normierten Vorschriften fast ausschließlich Pflichten der Schiffsmannschaft beinhalten, zu der auch die Offiziere rechnen; der Kapitän t r i t t nur nominell i n der Überschrift des Abschnitts als Träger von Pflichten i n Erscheinung. Dem Inhalt nach regelt Abschnitt I das Verhältnis von Schiffsmannschaft zu Kapitän und zwar i n der Weise, daß der Kapitän
7. Normenanalyse der Bremer Seemannsordnung von 1852
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der Berechtigte, die Mitglieder der Mannschaft aber die Verpflichteten sind. 7.2.3. Die Arbeitgeber- und disziplinarische Stellung des Kapitäns Die derart herausgehobene Stellung des Kapitäns w i r d auch durch die inhaltliche Analyse der Paragraphen dieses Abschnittes bestätigt. Nur zu einem Teil beziehen sich die Pflichten der Mannschaft auf die konkrete Arbeitsleistung i m Hafen und auf See, §§ 2—6, 9, 11, 38, 40; zu einem wesentlichen Teil handelt es sich u m disziplinarische Vorschriften, die das Leben an Bord oder i m Hafen betreffen und m i t der eigentlichen Arbeitsleistung — wenn überhaupt — i m mittelbaren Zusammenhang stehen. So kann der Kapitän die Mannschaft zum Gottesdienst „beordern", § 10, die Seeleute dürfen Besuch „fremder Personen" ohne Erlaubnis des Kapitäns nicht empfangen, dürfen ohne Erlaubnis nicht „irgend etwas", § 13, schon gar nicht „Branntwein und sonstige geistige Getränke" an Bord bringen, § 14. Entsprechendes gilt für das Von-Bord-Bringen, § 19, und der Kapitän ist berechtigt, „jederzeit die Sachen der Mannschaft nachzusehen, eine Untersuchung, der sich jeder zu unterwerfen" hat, § 17. Der Landgang oder der Besuch eines anderen Schiffes ist nur mit Erlaubnis des Kapitäns zulässig, und selbst bei Urlaub darf der Seemann nicht „länger als bis Sonnenuntergang oder nach aufgesetzter Wache wegbleiben", § 20. Der Kapitän darf den Seemann, der „vom Schiff entweicht (desertiert), wo er (ihn) auch trifft, m i t Hilfe der Landesbehörden verhaften und wieder an Bord bringen lassen, auch die Effecten derjenigen, welche i n Verdacht einer beabsichtigten Entweichung stehen, zur Verhütung derselben i n Verwahrung nehmen", §§ 21, 22. A u f den Begriff bringt § 7 die Rechtsstellung der Seeleute gegenüber dem Kapitän: „Sobald die Mannschaft den Dienst auf dem Schiffe angetreten hat, ist sie der Disciplin des Captains u n d der Officiere unterworfen u n d verbunden, allen Anweisungen derselben i n Betreff des Schiffsdienstes ohne Widerrede pünktlich Folge zu leisten, hat dagegen von dem Captain u n d den Officieren eine ordentliche u n d angemessene Behandlung u n d Gewährung aller i h r zugesicherten Vorteile zu erwarten."
Nach allem ist der Kapitän also nicht nur Arbeitgeber — wenn er als Reeder zugleich Vertragspartner der Seeleute ist, oder dessen Vertreter, wenn er m i t dem Reeder nicht identisch ist —, sondern Disziplinarvorgesetzter.
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7.2.4. Vergleich zwischen der Seemannsordnung und einer Fabrikordnung Allerdings sind disziplinarische Befugnisse des Arbeitgebers oder Vorgesetzten i m 19. Jahrhundert nichts Ungewöhnliches; so finden sich zahlreiche den Verpflichtungen der Seeleute entsprechende Regelungen, ζ. B. über die jederzeitige Kontrolle, über das Verlassen der Fabrik, das friedliche Verhalten i m Betrieb und das Benehmen gegenüber den „Aufsehern" auch i n der Fabrikordnung der Baumwollspinnerei Straub & Söhne i n Altenstadt 1 1 0 . Der entscheidende Unterschied zwischen solchen Fabrikordnungen und der hier abgehandelten „Obrigkeitlichen Verordnung" liegt jedoch darin, daß die Fabrikordnungen nur kraft Unterwerfung der Arbeiter unter diese galten, die Fabrikordnungen samt ihrer privatrechtlichen Strafdrohungen also Bestandteil des Arbeitsvertrages 111 ; i n der bremischen Verordnung dagegen derartige Verhaltensregeln hoheitlich gesetzt und mit staatlichen Strafsanktionen bewehrt wurden. Allerdings enthält der Anhang zu der Verordnung vom 15. November 1852 eine standardisierte Musterrolle, die unter I. 3 die vertragliche „freiwillige" Unterwerfung der Seeleute unter „alle darin enthaltenen Vorschriften, Verfügungen und Strafbestimmungen" vorsah. Ob hiermit lediglich die Sicherung der Kenntnisnahme beabsichtigt oder ob sich der bremische Senat der Verbindlichkeit seiner Verordnung nicht sicher war, kann hier dahingestellt bleiben; entscheidend für diese Untersuchung ist, daß die Disziplinargewalt des Kapitäns hoheitlich begründet war. Diese Ausgestaltung der Rechtsstellung des Kapitäns war — gemessen an der Entwicklung des Arbeitsvertragsrechts für Arbeitsvertragsverhältnisse an Land — unzeitgemäß, denn i n der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich i n Deutschland die Vorstellung von der rein privatrechtlichen Natur des Arbeitsvertrages durch, mit der Folge, daß auch die Zuwiderhandlungen ausschließlich zivilrechtlich sanktioniert wurden 1 1 2 ; die Entwicklung dieser rechtlichen Benachteiligung der Seeleute w i r d i n den Untersuchungen der Seemannsordnungen des Deutschen Reichs weiter zu verfolgen sein. 7.2.5. Von den Rechten der Schiffsmannschaft Der zweite Abschnitt von Teil A „Von den Rechten der Schiffsmannschaft" ist für die Frage nach der Rechtsstellung des Kapitäns wenig 110 Z i t i e r t i n : Jürgen Kuczynski, Darstellung der Lage der Arbeiter Deutschland von 1849 bis 1870, Ostberlin 1962, S. 196 ff. i n v g l . s. 27 der zitierten Fabrikordnung. 112
Näheres hierzu bei Geffken, S. 29.
in
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ergiebig. Die §§ 47 ff. enthalten i m wesentlichen eingehende Vorschriften über die Verpflegung der Mannschaft, § 49, über die Ansprüche der Seeleute bei der Entlassung, §§ 50 ff., und längerem Auslandsaufenthalt, § 56, so wie bei Erkrankung, §§ 57 ff., und über die A b wicklung des Nachlasses beim Tode eines Seemanns, §§62 ff. I n § 49 Abs. 5 ist geregelt, daß gegen den Kapitän, der das Schiff nicht ausreichend verproviantiert „von den competenten bremischen Behörden im bremischen Staatsgebiet — und zwar sowohl von Amtswegen oder Einzelner derselben eine Untersuchung eingeleitet oder veranlaßt, und eine nach dem Grade seiner Verschuldung oder gar bösen Absicht zu bemessende Bestrafung verfügt oder bewirkt, dabei auch der Mannschaft eine nach dem Verhältnis der unrechtmäßig erlittenen Verkürzung oder Beeinträchtigung verkürzende Vergütung zuerkannt werde". Der Hintergrund der ausführlichen Regelung des Verpflegungswesens, dem die Verordnung den längsten Paragraphen widmet (ca. IV2 Seiten), ist die katastrophale Versorgung der Seeleute zur damaligen Zeit 1 1 8 ; offenbar spielten die Kapitäne hierbei selbst durch „Verkürzung der Rationen oder . . . Änderung hinsichtlich der Wahl der Speisen" eine unrühmliche Rolle (vgl. § 49 Abs. 4). Für die Arbeit von Bedeutung ist jedoch nicht der Inhalt der Verpflegungsregelungen, sondern die i m Gesetzestext selbst hervorgehobenen Passagen über die Alleinzuständigkeit der bremischen Behörden zur Untersuchung und Verfolgung solcher Verstöße des Kapitäns. I m 2. Teil von Abs. 5 w i r d dieser Gesichtspunkt noch einmal hervorgehoben: „Eine solche Untersuchung, Bestrafung und Vergütung kann und darf jedoch von der Mannschaft einzig und allein bei den competenten bremischen Behörden i m bremischen Staatsgebiete beantragt werden, vorbehältlich indessen der i m § 67 dieses Gesetzes den Consuln ertheilten Befugnis, geeigneten Falls vorläufig einzuschreiten und Streitigkeiten vorläufig zu entscheiden." 7.2.6. Ausschließliche Zuständigkeit bremischer Behörden und Gerichte bei Streitigkeiten auf bremischen Schiffen Die Freie Hansestadt Bremen behält sich also die Zuständigkeit für Verfahren zur Behebung von Konflikten auf bremischen Schiffen auch i n fremden Häfen, also i m Ausland vor. Keine fremde Staatsgewalt soll sich m i t Auseinandersetzungen auf bremischen Schiffen befassen. Damit ist bereits zur Analyse des Abschnitts I I I von Teil A der Verordnung vom 15. November 1852 übergeleitet. Zweck der §§ 66 ff. ist 118
4Φ
Vgl. Geffken, S. 32 ff., 34 m. w . Nachw.
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i m wesentlichen, die Mitglieder der Schiffsbesatzung daran zu hindern, eine andere als die bremische Gerichtsbarkeit anzurufen. Nach § 66 Abs. 1 darf niemand „Streitigkeiten m i t dem Captain oder einem sonstigen Vorgesetzten vor anderen als den Bremischen i m bremischen Freistaat bestehenden 114, Gerichten und Behörden geltend machen und zwar bei „Verlust seiner guthabenden Gage und Austilgung aus der Liste der bremischen Seefahrer". Der Abs. 2 schreibt vor, jeder habe „ i n allen seinen Dienst betreffenden Fällen ohne irgend eine Einwendung vor diesen bremischen Gerichten und Behörden sich zu stellen und Hecht zu nehmen und endlich nach dieser Verordnung und der Musterrolle, als dem von i h m eingegangenen Contracte, aller Orten wo es auch sein mag, sich zu richten und demselben und den darin enthaltenen Bestimmungen und angedrohten Strafen unbedingt zu unterwerfen". Von diesem Grundsatz läßt § 67 für die Mannschaft die Ausnahme zu, „ i n Fällen, die keinen Aufschub leiden", i n fremden Häfen die Hilfe des bremischen Konsuls, wo dieser fehlt, des Konsuls einer anderen freien Hansestadt und wo ein solcher fehlt, des Konsuls eines „der übrigen deutschen Bundesstaaten" i n Anspruch zu nehmen. Dem Kapitän dagegen w i r d diese Befugnis „jederzeit" eingeräumt. Die Entscheidung des Konsuls soll „vorläufig" gelten, die endgültige Entscheidung kann nur ein bremisches Gericht oder eine bremische Behörde treffen, § 67 Abs. 2. Die Vorschriften des § 49 Abs. 4 und Abs. 5 sowie die §§ 66 ff. verfolgen den Zweck, die Zuständigkeit der bremischen Behörden und Gerichte für sämtliche Rechtsstreitigkeiten an Bord bremischer Schiffe zu begründen, wo immer diese sich befinden. Nach der auch i n der Mitte des vorherigen Jahrhunderts längst geltenden völkerrechtlichen Lehre von der Staatssouveränität endete die bremische Souveränität an den Grenzen des Staatsgebietes der Freien Hansestadt. Handelsschiffe wurden nie und werden auch heute nicht als Staatsgebiet des Staates behandelt, dessen Flagge sie führen; sie genießen keine Immunität und sind daher nicht nur dem materiellen Recht, sondern auch der Jurisdiktion, also der vollen Hoheitsgewalt des Hafenstaates unterworfen 1 1 5 . Nach Völkerrecht konnten sich daher die bremischen Seeleute an die Behörden und Gerichte i n den Hafenstädten wenden, welche die bremischen Schiffe anliefen. Da bremisches Recht Völkerrecht nicht brechen konnte und völkerrechtliche Verträge über die Nichtanrufung ausländischer Gerichte mit den jeweiligen Küstenstaaten nicht i n Betracht kamen 1 1 6 , schlug Bremen den Weg über 114 Hervorhebung i m Gesetzestext. us v g l . Dahm, Völkerrecht, Bd. I. o. O. o. J. (Stuttgart), S. 638. 116
Auch heute gibt es derartige Verträge nicht; vgl. aber das Recht zur
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das — heute so genannte — internationale Arbeitsrecht ein. Abgesehen davon, daß der Kapitän gegebenenfalls die tatsächliche Möglichkeit hatte, die Seeleute mit Gewalt an der Anrufung ausländischer Gerichte zu hindern, nämlich über das Verbot, an Land zu gehen, § 20. Für die Frage nach der Rechtsstellung des Kapitäns ist wesentlich, daß die Verordnung vom 15. November 1852 die bremischen Handelsschiffe auf dem Weg über die arbeitsvertragliche Unterwerfung der Seeleute allein unter bremisches Recht praktisch zu schwimmenden Gebietsteilen Bremens macht, auf denen der Kapitän eine sehr weitgehende Kompetenz zur Regelung aller Streitigkeiten unter Mannschaftsmitgliedern und zwischen der Mannschaft oder einzelnen Besatzungsmitgliedern und dem Kapitän selbst besitzt. Darüber hinaus stärkt die Verordnung die prozessuale Stellung des Kapitäns so sehr, daß das Obsiegen eines Mannschaftsmitgliedes i n einem Rechtsstreit mit dem Kapitän kaum denkbar ist. Nach § 70 hat der Kapitän „alle Strafen oder sonstigen Verfügungen gegen die Mannschaft oder einzelne Seeleute genau ins Schiffsjournal einzutragen; ist dies geschehen, so liefern die damit übereinstimmenden eidlichen Zeugnisse des Captains und eines der Officiere einen vollständigen 117 Beweis wider die Mannschaft und jeden Einzelnen". Hier liegt eine Wurzel für die später — unter Geltung der Seemannsordnung von 1873 und 1903 — i n der Literatur herrschend werdende Auffassung von der öffentlich-rechtlichen Natur der Schiffsgewalt des Kapitäns. Ist der Kapitän der alleinige Garant des für die Seeleute geltenden bremischen Rechts, so liegt es nahe, diese Stellung als öffentlich-rechtliche zu bestimmen. Die ökonomischen und rechtlichen Erwägungen, die der Verordnung vom 15. November 1852, insbesondere den Vorschriften von Teil A Abschnitt I I I zugrunde lagen, sind offenkundig. Senat und Bürgerschaft hatten eine „Seemannsordnung" erlassen, die den Interessen der Kaufleute und Reeder optimal entsprach. Die rechtliche Lage der Seeleute war gegenüber dem älteren Recht verschlechtert worden. Ohne Übertreibung kann man sagen, daß die Seeleute den Belangen von Schiff und Ladung gänzlich untergeordnet worden waren, ohne Arbeitszeitschutz (§ 9), ohne Schutz der Individualsphäre (§§ 17 ff.) dastanden, ständig gegenwärtig sein mußten, ihre Heuer ganz oder zum Teil zu verlieren und zum unbedingten Einsatz ihres Lebens bei feindlichen Angriffen oder „Seegefahren" verpflichtet waren, § 38. Es war für die Reeder und Kaufleute geradezu zwingend, die Wahrung ihrer durch Verhaftung von Personal an Bord von Handelsschiffen, den Anhang zur Haager Kodifikations-Konferenz von 1930, A r t . 8, Abs. 2; Dahm, S. 638, Fn. 19. 117 Hervorhebung von mir.
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die Verordnung derart geschützten Interessen auch i m Hinblick auf den Rechtsschutz selbst i n der Hand zu behalten, also jede ausländische Gerichtsbarkeit auszuschließen. Wenige Jahrzehnte später w i r d diese hier noch offenkundige Interessenlage durch Formeln nationalistischer Prägung verdunkelt. Das Handelsschiff w i r d — wenn auch nicht nach Völkerrecht — Teil des Staatsgebietes des deutschen Reiches, auf dem gerade i m Ausland deutsches Recht uneingeschränkt gelten müsse. 7.2.7. Zusammenfassung Faßt man die Analyse der bremischen Verordnung vom 15. November 1852 hinsichtlich der Rechtsstellung des Kapitäns zusammen, so ergibt sich folgendes: Das Rechtsverhältnis zwischen Kapitän und Reeder w i r d nicht geregelt, w i r d als außerhalb der Verordnung bestehend vorausgesetzt. Der Kapitän w i r d deutlich von der übrigen Mannschaft einschließlich der Schiffsoffiziere abgehoben und ist Disziplinarvorgesetzter der Mannschaft m i t nahezu unbeschränkten Kompetenzen. Da die Anrufung auswärtiger Gerichte und Behörden von Seiten der Mannschaft ausgeschlossen ist, steht dem Kapitän das — nur durch die kaum praktikable, weil von der Erlaubnis des Kapitäns zum Verlassen des Schiffes abhängige Möglichkeit zur Anrufung des Konsuls eingeschränkte — Recht zur vorläufigen Regelung aller Konflikte an Bord unter Mannschaftsmitgliedern und zwischen Seeleuten und dem Kapitän selbst zu. Bei der endgültigen Entscheidung — soweit die Seeleute überhaupt Gerichte und Behörden der Freien Hansestadt unter Umständen viele Monate nach der Auseinandersetzung anrufen — hat der Kapitän einen derartigen Beweisvorteil, daß mit einem Obsiegen der Seeleute nicht zu rechnen ist, § 70. Die derart starke Stellung des Kapitäns macht ihn sowohl zum Garanten für die Wahrung der unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen der Reeder und Kaufleute als auch zum Garanten des bremischen Seearbeitsrechts und damit eines Teils der bremischen Rechtsordnung i m Ausland. 8. Die Rechtsstellung des Kapitäns nach hanseatischem Recht um die Mitte des 19. Jahrhunderts Die Rechtsstellung des Kapitäns nach dem hanseatischen Recht stellt sich u m die Mitte des 19. Jahrhunderts folgendermaßen dar: Für die Rechtsbeziehungen zwischen Kapitän und Reeder gilt noch die hanseatische Seerechtskodifikation von 1614. Hierin sind zwar die seemänni-
8. Rechtsstellung d. Kapt. nach hanseatischem Recht M i t t e d. 19. Jhs.
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sehen Pflichten des Kapitäns sehr ausführlich geregelt, jedoch ist das Arbeitsrechtsverhältnis inhaltlich nicht normiert. Weder über die Höhe der Kapitänsheuer, noch über die Zahlungsmodalitäten, noch über sonstige Arbeitsbedingungen finden sich Rechtsvorschriften. Die U r sache hierfür liegt darin, daß der Kapitän i n der Regel noch Mitreeder ist. Seine Rechtsstellung als Gesellschafter überlagert diejenige des Arbeitnehmers. Verstöße auch gegen Kapitänspflichten gegenüber den Mitreedern werden gesellschaftlich geahndet, T i t u l 2, Nr. 3. Der Kapitän ist aber auch — unabhängig von seinem Status als Mitreeder — Unternehmer. I h m steht das Recht der „Führung" zu, der Mitnahme von Waren zum Verkauf auf eigene Rechnung. Die „Führung" muß jedenfalls zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der hanseatischen Seerechtskodifikation erheblich gewesen sein, vgl. T i t u l 10, Nr. 2; i m konkreten Fall hat sie der vertraglichen Vereinbarung zwischen Reeder oder Reedern und Kapitänen unterlegen und w i r d auch von der Stellung des Kapitäns als Mitreeder beeinflußt gewesen sein. Die Kapitänshaftung knüpft i m praktisch wichtigsten Fall, der Haftung für Schäden durch verschuldeten Zusammenstoß i m Hafen oder auf der Reede, an das Recht zur „Führung" an. Die Rechtsstellung des Kapitäns gegenüber der Mannschaft w i r d i n Bremen durch die Verordnung vom 15. November 1852 i m Verhältnis zur Seerechtskodifikation von 1614 erheblich gestärkt. Der weitgehenden Rechtlosstellung der Mannschaft entspricht die umfassende Disziplinargewalt des Kapitäns, der durch den Ausschluß aller auswärtigen Gerichtsbarkeit und die rechtlich gesicherte Möglichkeit, die Mannschaft an der Anrufung auch der Konsuln i n fremden Häfen zu hindern, das Alleinentscheidungsrecht hat bei sämtlichen Konflikten innerhalb der Mannschaft oder zwischen der Mannschaft und einzelnen Seeleuten. Die inhaltliche Kontrolle seiner Entscheidungen durch die bremischen Behörden und Gerichte w i r d entscheidend durch einen von der Mannschaft nicht auszuräumenden Beweisvorteil des Kapitäns entwertet. Die durch das Arbeitsrechtsstatut der Mannschaft begründete Rechtsstellung des Kapitäns macht diesen praktisch zum Vertreter der bremischen Staatsgewalt gegenüber der Mannschaft i n allen auswärtigen Häfen und auf See.
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
9. Die Rechtsbeziehungen zwischen Reeder und Kapitän und die Haftungsregeln des ADHGB 9.1. Vorbemerkung
Die eingangs dargestellte stürmische Entwicklung der Seeschifffahrt schlägt sich alsbald i n Bestrebungen zur Reform der Rechtsgrundlagen nieder. Zunächst soll die Rechtsstellung des Kapitäns nach dem ADHGB dargestellt werden. Dabei w i r d vom Vertrag zwischen Kapitän und Reeder ausgegangen; sodann werden die Beziehungen des Kapitäns zu den Ladungsbeteiligten und Reiseinteressenten untersucht. Das Verhältnis von Kapitän und Mannschaft, das i m 5. Buch des A D H G B unter dem 4. Titel „Von der Schiffsmannschaft", Art. 528—556, geregelt war, w i r d i m Zusammenhang m i t der ersten für alle deutschen Staaten geltenden Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 abgehandelt; aufgrund dieses Gesetzes wurde das Recht der Schiffsbesatzung dem ADHGB wieder ausgegliedert. Bei dieser Erörterung werden auch die Unterschiede zwischen den Regelungen des A D H G B und der Seemannsordnung behandelt. 9.2. Das Vertragsverhältnis zwischen Reeder und Kapitän
Das Rechtsverhältnis des i m A D H G B noch Schiffer genannten Kapitäns ist i m 5. Buch unter dem 3. Titel „Von dem Schiffer" i n den A r t i k e l n 478—527 geregelt. Ebenso wie i n der zuvor abgehandelten Seerechtskodifikation von 1614 ist das schuldrechtliche Verhältnis zwischen Reeder und Schiffer nur unvollkommen normiert. Von den Pflichten des Reeders gegenüber dem Kapitän ist i n den 49 Artikeln, die dem Schiffer gewidmet sind, überhaupt nicht die Rede. Heuer und alle sonstigen Arbeitsbedingungen sind also der freien Vereinbarung zwischen Kapitän und Reeder überlassen. Lediglich das Kündigungsrecht des Reeders wurde i n Form einer zwingenden Vorschrift zu Lasten des Kapitäns normiert. Nach Art. 515 kann der Kapitän, selbst wenn das Gegenteil vereinbart ist 118, vom Reeder jederzeit entlassen werden, „jedoch unbeschadet seiner Entschädigungsansprüche". Die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere die wachsende Konzentration i n der Reederei und die steigenden Kosten für die eisernen Dampfer der Linienfahrt, hatte es nahezu ausgeschlossen, daß der Kapitän i n der Großen Fahrt noch die M i t t e l aufbringen konnte, einen Schiffsanteil zu erwerben; der eine Strang seiner Doppelstellung als 118
Hervorhebung von m i r .
9. Rechtsbeziehungen zwischen Reeder u n d K a p i t ä n nach A D H G B
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Unternehmer und Arbeitnehmer war also gekappt. Dagegen überwog i n der Küstenschiffahrt noch der Reeder/Kapitän, sei es als Alleineigentümer des Schiffes, sei es als Partenreeder. Als Alleineigentümer warf der Reeder/Kapitän keine arbeitsrechtlichen Probleme auf; für den Mitreeder/Kapitän beließ es das A D H G B i n Art. 522 i m wesentlichen bei der Rechtslage, welche die Seerechtskodifikation von 1614 i m 2. T i t u l Nr. 4 geschaffen hatte. A r t . 522 lautete: „Die Schiffspart, m i t welcher der Schiffer auf Grund einer m i t den übrigen Rhedern getroffenen Vereinbarung als Mitrheder auf dem Schiff beteiligt ist, muß i m Falle seiner unfreiwilligen Entlassung auf sein Verlangen von den Mitrhedern gegen Auszahlung der durch Sachverständige zu bestimmenden Schätzungswertes übernommen werden. Dieses Recht des Schiffers erlischt, w e n n er die E r k l ä r u n g davon Gebrauch zu machen, ohne G r u n d verzögert."
9.2.1. Vermischung von Gesellschaftsrecht
und Arbeitsrecht
Die Vermischung von Gesellschaftsrecht und Arbeitsrecht ist also beibehalten worden. Allerdings ist die Rechtsstellung des Kapitäns insofern verbessert worden, als er wegen einer zur Entlassung als Kapitän gegen seinen Willen führenden Auseinandersetzung mit seinen Arbeitgebern/Mitreedern nicht von diesen aus der Partenreederei ausgeschlossen werden, sondern nur auf eigenen Wunsch aus der Gesellschaft ausscheiden kann. Dagegen w i r d der zweite Strang der Stellung des Kapitäns als Unternehmer, das Recht auf „Führung", das infolge der Rationalisierung und Konzentration des Güterverkehrs schon erheblich an Bedeutung verloren hatte, auch juristisch zerstört. Die hanseatische Seerechtskodifikation von 1614 galt nur für die Hansestädte. 9.2.2. Kein Recht auf „Führung"
mehr
I n anderen seefahrenden Staaten mit neuerem Seerecht war das Recht auf die „Führung" um die Mitte des 19. Jahrhunderts seit längerem entfallen. I n seinen „Grundsätzen des praktischen Europäischen Seerechts . . . m i t Rücksicht auf alle wichtigeren Partikularrechte, namentlich der Norddeutschen Seestaaten, besonders Preußens und der Hansestädte . . . " geht v. Kaltenborn davon aus, daß „nach den neueren Seerechten" weder der Kapitän noch die Besatzung „irgend eine Whaare i n das Schiff laden dürfen, ohne besondere Erlaubnis der Rheder und ohne Fracht dafür zu zahlen; doch kann 119 dies i m Heuercontracte anders bestimmt werden" 1 2 0 . Er belegt seine Ansicht mit 119 120
Hervorhebung bei v. Kaltenborn. ν . Kaltenborn, S. 205 unter 7.
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
A r t . 410 des holländischen Seerechts, A r t . 251 des französischen und Teil II, Titel 8, § 1595 ALR. Man w i r d annehmen müssen, daß diese „neueren" Seerechte auch Auswirkungen auf die Lage i n den anderen seefahrenden Staaten gehabt haben werden und zwar derart, daß die „Führung" allmählich überall vertraglich — unter Umständen stillschweigend — abgeschafft worden war. v. Kaltenborn jedenfalls spricht 1851 von der „Führung" nur noch i m Imperfekt. Direkt anschließend an das oben wiedergegebene Zitat heißt es: „Sonst war das anders und nannte man die von dem Seemanne i n der Regel nur für eigene Rechnung verladenen Güter: Führung, wozu jeder ein Recht hatte und wofür er keine Pacht zahlte." Nach Art. 514 darf der Kapitän ohne Einwilligung des Reeders für eigene Rechnung keine Güter verladen. Handelt er dieser Bestimmung zuwider, so muß er dem Reeder die höchste am Abladungsort zur Abladungszeit für solche Güter bedungene Fracht erstatten, unbeschadet des Rechts des Reeders, einen erweislich höheren Schaden geltend zu machen. Ein Recht des Kapitäns auf „Führung" besteht also nicht mehr. Das entsprechende Interesse des Kapitäns w i r d dem Interesse des Reeders an der unbeschränkten Verfügung über den Laderaum auch rechtlich hintenangestellt. Aufgrund des A r t . 514 bleibt dem Kapitän nur die Möglichkeit, m i t dem Reeder einen entsprechenden Vertrag abzuschließen, wozu der Reeder bei dieser Rechtslage entweder nur gegen Zugeständnisse des Kapitäns bei den Arbeitsbedingungen oder unmittelbar gegen Zahlung von Fracht bereit gewesen sein dürfte, und das auch nur, wenn sich der Schiffsraum anders nicht verwerten ließ. Die heute noch bestehende Möglichkeit, daß der Kapitän, die Offiziere und die Seeleute i n ihren Kajüten Gegenstände für den eigenen Gebrauch oder für enge Freunde mitbringen, ist der wirtschaftliche Rest der alten „Führung". 9.2.3. Veränderung
der sozialen Stellung des Kapitäns
Die Bestimmung der Rechtsnatur des Vertrages zwischen Kapitän und Reeder nach dem A D H G B i n der zeitgenössischen Literatur spiegelt die veränderte soziale Stellung des Kapitäns wieder. v. Kaltenborn hatte i n seinen „Grundsätzen des praktischen Europäischen Seerechts" 1851 noch erklärt: „Das Verhältnis zwischen Schiffer 1 2 1 u n d K a p i t ä n ist durchaus e i g e n t ü m licher u n d einzig aus dem Wesen des Seeverkehrs zu erklärender Natur. 121
Richtig ist Schiffsherr, jedenfalls k a n n nach dem Sinnzusammenhang nur der Reeder gemeint sein; vgl. v. Kaltenborn, S. 145.
9.
echtsbeziehungen zwischen Reeder u n d K a p i t ä n nach A D H G B
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Es ist nicht bloss Dienstmiethe (locatio conductio operarum), obwohl deren Grundsätze bei Beurtheilung vieler Seiten des Verhältnisses, namentlich i n Bezug auf die dem K a p i t ä n obliegende L e i t u n g u n d F ü h r u n g des Schiffes angewandt werden müssen, sondern zugleich ein Mandatsverhältniss 122 ziemlich umfassender A r t , indem der Schiffer bei seiner Anstellung ein Mandat übernimmt dahin, alle i n Bezug auf das Schiff u n d die damit i n Verbindung stehenden Verhältnisse vorkommenden Angelegenheiten der Rhederei zu besorgen u n d als der Bevollmächtigte zur tüchtigen u n d möglichst nutzbaren A n w e n d u n g des Schiffes überall aufzutreten, sowie i h r Interesse i n allen diesen Beziehungen wahrzunehmen. Dieses Mandatsverhältnis ist namentlich da von ausgedehnter A r t , w o dies jetzt zumeist der F a l l ist, dem Schiffer zugleich die Geschäfte des Supercargo oder Cargadeur übertragen sind u n d er m i t h i n zugleich als Beauftragter der Ablader aufzutreten hat, doch auch i n dieser Beziehung mehr i m Namen u n d durch directe oder indirecte V e r m i t t l u n g des Rheders. Das Verhältniss ist ein Verhältniss ganz besonderen Vertrauens. Der Rheder setzt auf die Rechtlichkeit u n d Gewissenhaftigkeit des Schiffers einen großen T h e i l seines Vermögens. Desshalb w i r d das Verhältniss streng vor dem Gesetze zu beurtheilen sein u n d ist auch nach allen Seerechten desshalb der Schiffer zur Anwendung der größten Sorgfalt i n allen seinen auf das Schiff bezüglichen Handlungen u n d Geschäften verpflichtet; er soll hier überall w i e ein ordentlicher Hausvater die Angelegenheiten seiner Patrone besorgen " 9.2.4. Mandatum,
Werkvertrag,
Dienstmiete
F ü r v . K a l t e n b o r n i s t das R e c h t s v e r h ä l t n i s des K a p i t ä n s z u m Reeder also n i c h t e i n d e u t i g z u b e s t i m m e n . Es s o l l n i c h t n u r D i e n s t m i e t e , s o n d e r n auch M a n d a t sein. Diese K o m b i n a t i o n i s t u n g e w ö h n l i c h , d e n n beide R e c h t s i n s t i t u t e bezeichnen j e w e i l s Gegensätzliches. D i e g e m e i n rechtliche l o c a t i o c o n d u c t i o o p e r a r u m w a r d i e e n t g e l t l i c h e M i e t e v o n D i e n s t e n , entsprach e t w a d e m D i e n s t v e r t r a g des B G B . D a g e g e n w a r W e s e n s m e r k m a l des m a n d a t u m gerade dessen U n e n t g e l t l i c h k e i t 1 2 3 . D i e auch b e i m M a n d a t zulässige G e w ä h r u n g eines H o n o r a r s b i l d e t e k e i n e Gegenleistung, w a r also n i c h t B e z a h l u n g , s o n d e r n Zeichen d e r A n erkennung, Entschädigung f ü r Auslagen, Leistung v o n U n t e r h a l t f ü r D a u e r d e r Geschäftsbesorgung 1 2 4 . Das M a n d a t e n t s p r a c h d e r sozialen L a g e des K a p i t ä n s u n d s o w o h l seinen Interessen als auch d e n e n d e r M i t r e e d e r solange, w i e d e r K a p i t ä n selbst M i t r e e d e r , also U n t e r n e h m e r w a r , d e r seinen eigenen u n d d e n Interessen seiner M i t g e s e l l s c h a f t e r d u r c h d i e S c h i f f s f ü h r u n g eine besondere L e i s t u n g erbrachte, i m ü b r i g e n aber v o m G e w i n n aus d e n g e m e i n s a m g e m a c h t e n Geschäften u n d d e m d e r F ü h r u n g lebte. 122
Hervorhebung von m i r . mandatum nisi graticitum n u l l u m est. 124 Vgl. Engelmann, i n : Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch . . . 7./8. Aufl., München u n d B e r l i n 1912, § 662 A n m . 2c m. Nachw.; vgl. Käser, Römisches Privatrecht, S. 175. 123
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M i t dem Zurückgehen der Unternehmerstellung des Kapitäns, mit der „wirtschaftliche(n) Abwärtsbewegung des Kapitäns von der früheren ertragreichen Mitunternehmerstellung zum bloßen Angestellten", erweist sich das Mandat als nicht mehr der wirtschaftlichen Lage des typischen Kapitäns entsprechend. Gemäß der allmählichen Entwicklung vom Reeder/Kapitän zum Kapitän, die sich über Jahrzehnte hinzieht, verändert sich die rechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses langsam. Dabei spielen Fehleinschätzungen der wirklichen Lage des durchschnittlichen Kapitäns ebenso eine Rolle wie tatsächliche Beobachtungen, daß nämlich Kapitäne — wenn auch nur noch i n der K ü stenschiffahrt — immer noch Reeder oder Mitreeder sind. So geht Boyens i n dem u m die Jahrhundertwende führenden Werk „Das Deutsche Seerecht" von 1897 noch von folgender Situation aus: „Der Führer eines Schiffs . . . kann alleiniger Eigentümer des Schiffs, oder Eigentümer einer Schiffspart, oder bloß Angestellter des Reeders oder der Reederei sein. Die Regel ist die, daß der Schiffer Eigentümer einer Schiffspart, also Mitreeder ist. 1 2 5 " Daß die Annahme für die Große Fahrt zu dieser Zeit unrealistisch ist, wurde bereits dargelegt. Gleichwohl bestimmen derartige Vorstellungen nicht nur die rechtswissenschaftliche Einordnung des Rechtsverhältnisses zwischen Kapitän und Reeder, sondern auch dessen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber sowohl des A D H G B als auch des HGB; das w i r d noch näher darzulegen sein. Nach Inkrafttreten des A D H G B war die rechtswissenschaftliche Charakterisierung des Rechtsverhältnisses zwischen Reeder und Kapitän umstritten — dies entsprach der zwiespältigen gesetzlichen Ausgestaltung. Rudolf Wagner vertrat die Auffassung, dieser Vertrag könne zwar ein gewöhnlicher Dienstvertrag sein, „soweit aber auf Grund desselben dem Schiffer die Führung eines bestimmten Schiffes zugesichert wird, gilt der Vertrag als Mandatsverhältnis, und es kann daher der Schiffer vom Rheder jederzeit entlassen werden (Art. 515 ADHGB). Gleichgültig ist es übrigens, ob der Schiffer Mitrheder ist oder an den Erträgnissen des Rhedereigeschäfts als Gesellschafter theilnimmt, die Entlassung kann auch i n diesen Fällen jederzeit durch die Mayorität der Mitrheder erfolgen; wenn dem Schiffer freilich mehr als die Hälfte des Schiffes gehört, ist sie wider seinem Willen unausführbar . . . 1 2 e " Lewis hält dagegen den Vertrag zwischen dem Reeder und Schiffer für ein Dienstverhältnis, „welches regelmäßig als locatio conductio operarum erscheint; ausnahmsweise als locatio conductio operis, wenn 125 Emil Boyens, Das Deutsche Seerecht, 1. Bd., Leipzig 1897, A r t . 478 A D H G B (§ 511 HGB) A n m . 1, S. 308, Hervorhebung von mir. 126 Handbuch des Seerechts, 1. Bd., Leipzig 1884, S. 242.
9. Rechtsbeziehungen zwischen Reeder u n d K a p i t ä n nach A D H G B
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der Schiffer für eine bestimmte Reise oder ein bestimmtes Unternehmen angestellt ist" 1 2 7 . Das Mandat w i r d also als Rechtsfigur nicht mehr zur Erklärung der Rechtsnatur herangezogen. Die Rechtsauffassung Wagners ist historisch bedingt, rechtsdogmatisch aber so widersprüchlich, daß sie ohne Erklärungswert für die Konzeption des Rechts des Kapitäns i m A D H G B bleibt. Dunkel bleibt, wieso der Vertrag des Kapitäns zwar ein Dienstvertrag sein kann, aber ein Mandat sein soll, wenn dem Kapitän die Führung eines bestimmten Schiffes zugesichert wird. Ein Mandat ist, wie schon ausgeführt wurde, prinzipiell unentgeltlich, und es kommt nur ein Honorar i n Betracht. Die Zusicherung des Reeders an den Kapitän, dieser solle ein bestimmtes Schiff führen, steht aber i n keinem Zusammenhang m i t der Frage der Entgeltlichkeit. Ein Kapitän, der ein bestimmtes Schiff für eine konkrete Aufgabe, ζ. B. eine oder mehrere genau bezeichnete Reisen übertragen bekommt, hat deswegen keinen Anlaß, auf Abgeltung seiner Leistung zu verzichten und sich m i t einem Honorar zu begnügen. Richtig kann eine solche am Rande erwähnte Konstellation nur als locatio conductio operis, also als Werkvertrag, eingeordnet werden, aufgrund dessen der Kapitän dann kein Arbeitsentgelt, sondern einen Werklohn erhält 1 2 8 . Auch Wagners Argument mit Art. 515 A D H G B ist i n der Form nicht stichhaltig. A r t . 515 lautet: „Der Schiffer kann, selbst w e n n das Gegenteil vereinbart ist, jederzeit von dem Reeder entlassen werden, jedoch unbeschadet seiner Entschädigungsansprüche."
Das Gesetz differenziert i n A r t . 515 gerade nicht nach Dienstvertrag und Zusicherung der Führung eines bestimmten Schiffes, sondern läßt die jederzeitige Kündigung bei beiden Rechtsverhältnissen zu, auch wenn etwas anderes vereinbart ist. 127 Lewis, i n : Endemann (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Handels — See — u n d Wechselrechts, 4. Bd., 1. Abt., Das Seerecht, Leipzig 1884, S. 89. — I n dem 1883 erschienenen Werk, Das Deutsche Seerecht, E i n Kommentar zum F ü n f ten Buch des A D H G B . . . 1. Band, bezieht Lewis zur Rechtsnatur indirekt Stellung: „Die Regel ist die, daß der K a p i t ä n Eigentümer des Schiffs . . . oder einer Schiffspart, oder weder das eine noch das Andere, sondern bloß Angestellter des Rheders . . . sei. Die Regel ist die, daß der K a p i t ä n Eigentümer einer Part, also Mitrheder ist. Indess w i r d hier durch sein Verhältnis als Schiffsführer, abgesehen von der Bestimmung des A r t . 522 nicht alterirt. Das H G B hat lediglich den Schiffer als Angestellten des Rheders i m Sinne . . . " , A r t . 478 A n m . 1, S. 106. 128 Vgl. Lewis, i n : Endemann (Hrsg.), Handbuch, S. 89.
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9.2.5. Jederzeitige Entlassung des Kapitäns Richtig ist dagegen, daß das Recht jederzeitiger Entlassung i m Rechtsinstitut des Mandants unbeschränkt und unverzichtbar 129 war, also ebenso zwingend wie i n A r t . 515 ADHGB. I m Recht des Mandats, das sich ja nicht auf das Rechtsverhältnis des Kapitäns allein bezog, hat die Regelung ihren Sinn. Das Mandat beruht auf dem Vertrauen des Mandanten zum Mandatar, und wenn dieses aus irgend einem Grund, den keiner der beiden zu vertreten haben muß, auf Seiten des Mandanten entfällt, muß dieser das Rechtsverhältnis sogleich beenden können. Das war i n den Beziehungen zwischen Reeder und Reeder — Kapitän eine allen Interessen entsprechende Regelung, denn auch der Kapitän war durch seine Mitreeder-Stellung noch ausreichend geschützt. Dieser Schutz entfällt jedoch, wenn der Kapitän nicht mehr Mitreeder, sondern nur noch Angestellter des Reeders ist. Wenn die — nur durch die Entschädigungsregel geringfügig gemilderte — Zulässigkeit auch willkürlicher Entlassung 130 gleichwohl i m ADHGB beibehalten wird, kann dies einmal auf mangelnder Klarheit bei den am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten über Herkunft und früheren Sinn dieser Regelung beruhen, zum anderen aber auch auf einer Veränderung des sozialen Kräfteverhältnisses zwischen Reedern und Kapitänen, die sich i m Gesetzgebungsverfahren ausgewirkt hat. Hinzukommen müßte dann aber jedenfalls ein gegenwartsbezogenes Interesse der Reeder, das die weitergehende Rechtsstellung des Kapitäns neu zu rechtfertigen vermag. Die „Protokolle der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buches" bestätigen diese Hypothesen ebenso wie die zeitgenössische rechtswissenschaftliche Literatur. Die Gesamtkommission, der österreichische und preußische Regierungsentwürfe als Material vorlagen, bestand aus zwanzig Mitgliedern, deren Bindung an bestimmte Interessen nicht ohne weiteres erkennbar ist. I n der Eröffnungssitzung vom 26. A p r i l 1858 hob der Präsident, der österreichische Handelsgerichtspräsident Ritter von Raule, hervor, „daß die Conferenz so zahlreich m i t sachkundigen Mitgliedern beschickt sei, daß i n dem durch diese Beschickung manifestierten Interesse eine sichere Bürgschaft für das Gelingen der angestrebten Vereinigung liege" 1 3 1 . Ausweislich dieses Protokolls waren sechs Mitglieder hohe Richter, eines ein Ministerialbeamter, zwei Professoren. Bei neun Mitgliedern deuten die Berufsbezeichnungen bzw. deren Fehlen i n 129 Vgl. Dernburg, Pandekten, Bd. 2 § 374; Winscheid-Kipp, Bd. 2, S. 805; Käser, Römisches Privatrecht, S. 175. 130 v g l Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 188. 181 Protokolle, S. 1475.
Pandekten,
9. Rechtsbeziehungen zwischen Reeder u n d K a p i t ä n nach A D H G B
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Verbindung m i t den entsendenden Bundesstaaten klar auf eine Interessenvertretung der Reeder 132 . Unklar ist die Funktion des vierten österreichischen Abgeordneten, Johann Ritter von Sartorio, Triest. Den Interessen der Kapitäne könnte der Berufsbezeichnung nach der preußische Abgeordnete Albrecht nahegestanden haben, der als „Navigations-Schuldirektor aus Danzig" ausgewiesen ist. Die dargestellte Besetzung wechselte i m Lauf der Beratungen. A n den für die Frage der Entlassung des Kapitäns entscheidenden Sitzungen nahmen achtzehn Mitglieder teil, von denen mindestens sieben als dem Reeder nahestehend zu bezeichnen sind, ferner wahrscheinlich statt des verhinderten Navigations-Schuldirektors ein Kapitän 1 3 3 . I n den Verhandlungen über den A r t . 435 Abs. 1 des preußischen Entwurfs, der m i t dem A r t . 515 A D H G B inhaltlich insofern übereinstimmt, als i n beiden Regelungen dem Reeder die Befugnis zur jederzeitigen Entlassung des Kapitäns eingeräumt wird 1 3 4 , stellte sich ohne größere Diskussion Einigkeit darüber her, „daß derselbe auch dann Anwendung zu finden habe, wenn das Recht der Entlassung i m Dienstvertrage ausgeschlossen und es wurde der Antrag, dies ausdrücklich i m Gesetz zu sagen, einstimmig genehmigt. I m übrigen wurde m i t Rücksicht darauf, daß der Schiffer dem Wesen seiner rechtlichen Stellung nach Mandatar des Rheders sei und daß das i m A r t . 435 dem Rheder eingeräumte Recht wegen der hochwichtigen Interessen, die er i n die Hände des Schiffers zu legen gezwungen sei, unentbehrlich erscheine, Absatz 1 nicht beanstandet . . , 1 3 5 " Offenkundig war die Unabdingbarkeit des unbeschränkten K ü n d i gungsrechts des Reeders i m Referentenentwurf nicht beabsichtigt. Die Begründung für die ohne Gegenwehr der Betroffenen vorgenommene Verschlechterung zu deren Lasten vermengt die ungenaue Bestimmung der Rechtsnatur des Vertrages zwischen Kapitän und Reeder („dem Wesen seiner rechtlichen Stellung nach Mandatar des Rheders") m i t der unpräzisen Beschreibung angeblich schützenswerter Interessen der Reeder( „hochwichtige Interessen"). 132 Preußen: Rahm, preußischer Commerzienrath aus Stettin; Mecklenburg Schwerin: Dr. Mann, Syndikus aus Rostock; Lübeck: Dr. Asher. Bremen: Dr. H. G. Heineken, Senator u n d Direktor des Handelsgerichts zu Bremen; Klugkist, M i t g l i e d der Handelskammer u n d des Handelsgerichts zu Bremen. » Hamburg: Dr. A . Halle, vormals Präses des Handelsgerichts zu Hamburg; Ad. J. Hertz, Nicolaus H u d t w a l k e r , beide Hamburg. 133 Protokoll, S. 1921. 134 A r t . 435 Abs. 1 des preußischen Entwurfs lautete: Der Schiffer k a n n jederzeit v o m Reeder entlassen werden, unbeschadet seiner Entschädigungsansprüche. 135 Protokoll, S. 1930, Hervorhebung von mir.
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Inhaltlich wurde das Kündigungsrecht des Reeders erst bei den folgenden A r t i k e l n des Entwurfs diskutiert. Dabei ging es u m die Frage, ob und unter welchen Umständen auch noch die Entschädigungspflicht des Reeders entfallen sollte. I n dieser Auseinandersetzung wurden alle Verbesserungsvorschläge zugunsten des Kapitäns von der an diesem Tage mit elf Mitgliedern besetzten Kommission m i t beachtlichen Mehrheiten zurückgewiesen 186 . I n dieser Diskussion zeigt sich nun, daß die Mitglieder das Rechtsverhältnis zwischen Kapitän und Reeder anders bestimmten als bei der Beratung des A r t . 435. Offenbar hatte die Mehrheit der Kommission m i t einer Analogie zur Dienstmiete argumentiert, um Änderungsvorschläge abzulehnen. Darauf erwiderten andere Kommissionsmitglieder: „Die Analogie von der civilrechtlichen Dienstmiethe sei nicht m i t Recht als durchweg maßgebend angesehen worden. Das Dienstverhältnis des für eine bestimmte Reise bestellten Schiffers sei keine blosse locatio conductio operarum, sondern weit mehr noch eine locatio conductio operis, der Schiffer werde zu einem Unternehmen bestellt." Unabhängig vom Zusammenhang dieser Debatte — die Rechtsnatur des Vertrages zwischen Kapitän und Reeder ist i m übrigen i n der einleitenden Diskussion des dem Schiffer gewidmeten Titels nicht berührt worden — beweist diese Belegstelle, daß die gesamte Kommission sich über die prinzipielle Einordnung dieses Vertragsverhältnisses als locatio conductio operarum i m klaren war; nicht die Gegenüberstellung mandat u m — locatio conductio operarum, sondern die Abgrenzung von Dienstvertrag und Werkvertrag war i n Grenzfällen kontrovers. A n einer anderen Stelle der Diskussion u m das Recht des Reeders, den Kapitän zu entlassen, w i r d der Zweck des A r t . 435 noch einmal aufgegriffen. Dabei zeigt sich ebenfalls, daß die Kommission i n ihrer Gesamtheit den Vertrag zwischen Reeder und Kapitän als Dienstvertrag charakterisiert: „ . . . Daß der Contrahent, der die Dienste eines anderen gemiethet habe, nicht schuldig sei, von den Diensten Gebrauch zu machen, w e n n er n u r seinen vertragsmäßigen Obligenheiten genüge, folge schon aus dem b ü r gerlichen Rechte. Wenn also A r t . 435 nichts anderes sagen sollte, so hätte es seiner Aufnahme gar nicht bedurft. Die Absicht des A r t . 435 gehe aber ohne Zweifel dahin, einen besonderen seerechtlichen Satz allgemein zu statuiren, den Rheder wegen der großen Interessen, die er dem Schiffer anvertrauen müsse, besser als andere Contrahenten zu stellen, u n d i h n 136 Das Protokoll weist Mehrheiten von 8 : 3 , 10 : 1 u n d 7 :4 bei den wichtigsten P u n k t e n aus. Diese Abstimmungsergebnisse lassen Rückschlüsse auf die MehrheitsVerhältnisse auch i n der vollbesetzten Kommission zu; andernfalls hätten die Vertreter der an diesem Tage i n der Minderheit befindlichen Interessen die Kommission beschlußunfähig gemacht; Protokolle, S. 1936.
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wenigstens zum Theile seiner vertragsmäßigen Leistungen i m Falle der vorzeitigen Entlassung des Schiffers zu entheben, w e i l sonst sein Recht der Entlassung illusorisch w ü r d e . . . 1 8 7 . " K u r z darauf w u r d e vorgetragen: „ I n Abordnung des auf unbestimmte Zeit angenommenen Schiffers zu einer bestimmten Reise liege nämlich nicht ein ganz neuer auf diese Reise gerichteter Contrakt vor, sondern n u r die Ausführung des auf Ruf u n d Widerruf geschlossenen Dienstvertrags, eine Disposition des Rheders über die im Dienstvertrage i h m zur Verfügung gestellte Thätigkeit des Schiffers 1 3 8 ." V o n e i n e m W i d e r s p r u c h gegen diese o f f e n b a r v o n V e r t r e t e r n d e r Interessen d e r Reeder j e d e n f a l l s auch g e ä u ß e r t e n Rechtsauffassung u n d v o n e i n e r B e r u f u n g a u f das M a n d a t f i n d e t sich i m P r o t o k o l l nichts. D a m i t steht fest, daß d i e E i n f ü h r u n g des M a n d a t s i n d i e A u s e i n a n d e r setzung k e i n e B e r u f u n g a u f eine rechtliche P o s i t i o n , s o n d e r n n u r e i n u n juristisches „ W e s e n s a r g u m e n t " w a r , das eingesetzt w u r d e , u m d e n „ b e r e c h t i g t e n " Interessen d e r Reeder z u m D u r c h b r u c h z u v e r h e l f e n . Diese Interessen w e r d e n i n d e r L i t e r a t u r u n t e r A n k n ü p f u n g a n v e r s p r e n g t i n d e n P r o t o k o l l e n z u f i n d e n d e Ä u ß e r u n g e n später z u „ ö f f e n t lichen" überhöht. „ W e n n der Reeder (beziehentlich die Reedermehrheit) durch Vertrag überhaupt oder für gewisse Zeit, sich des Rechtes aus A r t . 515 begeben wollte, obwohl der Schiffer nicht Ausrüster ist, so würde dem Reeder f ü r die Dauer desselben der Besitz des Schiffs geradezu verloren gehen, was dem Begriff des Reeders widerspricht u n d er w ü r d e i n der E r f ü l l u n g der öffentlichrechtlichen Pflichten, die der Reedereibetrieb m i t sich bringt, von dem guten W i l l e n oder der Fähigkeit des Schiffers abhängig sein. Wer einen Schiffer anstellt, weiß häufig, bevor er i h n i n der Praxis erprobt, nicht, w i e w e i t er f ü r seinen Posten tauglich ist. Die Prüfung als Schiffer gibt keine Gewähr, daß der Geprüfte jedes Schiff ordnungsmäßig führen k a n n u n d w i l l . Erweist er sich später nach dem Ermessen des Reeders als untauglich, so erfordert es also schon das öffentliche Interesse (Sicherheit von Gut u n d Leben, E r f ü l l u n g der Unfallverhütungsvorschriften, der Auswanderergesetze, die zum T e i l auch den Reeder verpflichten), daß i h m die Möglichkeit gegeben sein muß, sofort Wandel zu schaffen. Wer sich durch Vertrag dieses Rechtes begiebt, w ü r d e diese Pflichten nicht erfüllen können u n d die Sicherheit des Verkehrs w ü r d e darunter leiden. Deshalb ist A r t . 515 zwingendes Gesetz u n d jeder entgegenstehende Vertrag u n gültig139." D u r c h diese A u s f ü h r u n g e n w i r d d i e N o t w e n d i g k e i t eines Rechts selbst z u r w i l l k ü r l i c h e n K ü n d i g u n g d u r c h d e n Reeder ebenso w e n i g ü b e r z e u g e n d w i e d u r c h d e n B e z u g a u f das W e s e n des V e r t r a g e s als 137 138 139
Protokolle, S. 1944. Protokolle, S. 1945. Boyens, Das Deutsche Seerecht, 1. Bd., A r t . 515, A n m . 2.
Hanses 5
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Mandat. Jede der von Boyens angestellten Erwägungen würde, wenn ein beweisbarer Verstoß des Kapitäns gegen gesetzliche oder vertragliche Pflichten vorläge, eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Durch A r t . 515 aber w i r d dem Reeder die Notwendigkeit, einen Vorwurf zu beweisen oder auch nur zu substantieren, abgenommen. 9.2.6. Ergebnis Die Prüfung der Rechtsnatur des Vertrages zwischen Kapitän und Reeder zeigt also, daß es sich um einen Dienstvertrag, unter besonderen Umständen u m einen Werkvertrag, handelt, bei dessen gesetzgeberischer Ausgestaltung wesentliche Elemente des Mandats übernommen wurden, ohne daß dafür eine andere Rechtfertigung als die Bevorzugung der Interessen des Reeders zu Lasten des Kapitäns gefunden werden kann. I m nächsten Kapitel soll geprüft werden, inwiefern sich die hier nachgewiesene Interessenabwägung zu Lasten des Kapitäns auch bei den Regelungen über die Haftung des Kapitäns niederschlägt. Dabei ist zunächst die Haftung gegenüber dem Reeder (Art. 478) und sodann die Haftung gegenüber der Schiffsbesatzung und den Schiffsgläubigern (Art. 479) zu prüfen. Der Haftung des Kapitäns sind sodann die Vorschriften über die Haftung des Reeders gegenüberzustellen.
10. Die Erweiterung der Vertragshaftung des Kapitäns und die beschränkte Reederhaftung 10.1. Vorbemerkung
I m nächsten Kapitel soll untersucht werden, inwiefern sich die hier nachgewiesene grundsätzliche Interessenabwägung zu Lasten des Kapitäns auch i n den Vorschriften über dessen Haftung niederschlägt. Dabei ist sowohl die Haftung des Kapitäns gegenüber dem Reeder (Art. 478), als auch gegenüber den Ladungsinteressenten, den Reisenden, gegenüber der Schiffsbesatzung und den Schiffsgläubigern (Art. 479) zu prüfen. Die Haftung des Kapitäns gegenüber diesen Dritten, also gegenüber dem oben genannten Personenkreis m i t Ausnahme des Reeders, ist ohne die Haftung des Reeders und deren Beschränkung nicht zu verstehen. Überdies sind Kapitäns- und Reederhaftung über die Seeversicherung seit deren voller Entfaltung durch die rechtliche Möglichkeit des Rückgriffs der Versicherung des Reeders auf den Kapitän und — i n neuester Zeit — durch einen etwa bestehenden Freistellungsanspruch des Kapitäns gegenüber dem Reeder aus gefahrengeneigter
10. Die Erweiterung der Vertragshaftung des Kapitäns
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Arbeit miteinander verzahnt; ein Freistellungsanspruch des Kapitäns gegenüber dem Reeder unterläuft dessen Haftungsbeschränkung gegenüber Dritten, wodurch eine Parallelität der Interessen von Kapitän und Reeder an einer wirksamen Beschränkung der Haftung auch des Kapitäns begründet wird. Unter diesen Gesichtspunkten ist es erforderlich, auch die Haftung des Reeders zu behandeln, ohne daß es jedoch notwendig wird, dieser ein eigenes Kapital zu widmen. 10.2. Die Erweiterung der Vertragshaftung des Kapitäns
Nach A r t . 478 A D H G B ist der Führer des Schiffes (Schiffskapitän, Schiffer) verpflichtet, bei allen Dienstverrichtungen, namentlich bei der Erfüllung der von i h m auszuführenden Verträge, die Sorgfalt eines ordentlichen Schiffers anzuwenden. Er haftet für jeden durch sein Verschulden entstandenen Schaden, insbesondere für jeden Schaden, welcher aus der Verletzung der i n diesem und den folgenden Titeln i h m auferlegten Pflichten entsteht. Diese Norm, die durch die Aufzählung von Pflichten i n den A r t . 480—484 A D H G B inhaltlich ergänzt wird, regelt die Vertragshaftung des Kapitäns allein gegenüber dem Reeder aus dem Dienstvertrag. Sie stellt Sorgfaltspflichten des Kapitäns auf, deren tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Verletzung die Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz nach sich zieht. Diese Vorschrift ist inhaltlich bis heute unverändert geblieben; der § 511 HGB entspricht bis auf unbedeutende sprachliche Änderungen dem A r t . 478 ADHGB. Deswegen kann die Auslegung, die § 511 HGB gegenwärtig i n Literatur und Rechtsprechung erfährt, auch für die Bestimmung des Inhalts von A r t . 478 A D H G B jedenfalls insofern herangezogen werden, als i n der zeitgenössischen Literatur dieselben Probleme — wenn auch wenig entfaltet — angesprochen werden. Wagner kommentiert i m Jahre 1884 die Vorschrift überzeugend und i n weitgehender Übereinstimmung mit dem fast 100 Jahre jüngeren „Seerecht" von Abraham. Nach Wagner ersetzt der „Haftungsmaßstab der Sorgfalt eines ordentlichen Schiffers . . . die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über den zu prästierenden Grad der culpa . . . " 10.2.1. Verletzung der Vertragspflichten
(Fallgruppen)
Wie Abraham für die Gegenwart nimmt Wagner an, allgemeine Grundsätze darüber, „wann die Sorgfalt eines ordentlichen Schiffers angewendet worden ist und wann nicht", ließen sich zwar nicht aufstellen, jedoch bedeuteten Verstöße des Kapitäns gegen i h m durch Gesetz 5*
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auferlegte Pflichten regelmäßig ein Verschulden des Schiffers 140 . I m übrigen komme es auf die Anschauungen der Seefahrenden an, ob eine Handlung oder Unterlassung schuldhaft sei oder nicht. I n der Literatur sind die Situationen, i n denen ein Kapitän seine Vertragspflichten verletzen kann, i n Fallgruppen zusammengefaßt worden, die von der Führung des Schiffes, also der nautischen Leitung, und allen damit zusammenhängenden administrativen Leistungen 141 über die Sorge für die i h m anvertrauten Rechtsgüter und die Erfüllung 1 4 2 vertraglicher Verpflichtungen gegen den Reeder 143 bis zur rechtsgeschäftlichen und gerichtlichen Vertretung des Reeders 144 und der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen 1 4 5 reichen. Hierbei handelt es sich nicht etwa u m theoretische Überlegungen, sondern u m die Systematisierung von Fällen, welche die Rechtsprechung schon früh beschäftigten. Zum Problemkreis der nautischen Leitung gehören ζ. B. die Pflicht zur Annahme von Lotsen, wo Lotsenzwang besteht; aber auch i m Nichtannehmen von Lotsen i m sog. Lotsenfahrwasser, wo eine solche Verpflichtung nicht besteht, kann ein Verschulden des Kapitäns gesehen werden 1 4 6 . Die Sorgfaltspflicht für die i h m anvertrauten Rechtsgüter verletzt der Kapitän, wenn er beispielsweise nicht persönlich darauf achtet, daß sein Schiff nach Vollendung der Reise ausreichend gereinigt wird. N i m m t eine Kaffeeladung Petroleumgeruch und -geschmack an, so spricht der erste Anschein dafür, daß der Kapitän dieser Verpflichtung nach Beendigung der vorangegangenen Reise nicht genügt hat 1 4 7 . Entsprechendes gilt, wenn Ladung infolge nicht sachgerechter Stauung beschädigt wird, wobei nicht sachgerecht die Verladung zu schwerer Güter auf leichten ist 1 4 8 . Zur Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen gegenüber dem Reeder gehören die Einhaltung der Vollmacht, außer i m Notfall, und die Befolgung von Weisungen des Reeders 149 . Diese Pflicht verletzt der Kapi140
Wagner, Handbuch des Seerechts, Leipzig 1884, S. 371. Schahs l Abraham, § 511 Rdn. 3. 142 Schabs / Abraham, § 511 Rdn. 4. 143 Schabs / Abraham, § 511 Rdn. 5. 144 Schabs / Abraham, § 511 Rdn. 6. 145 Schabs / Abraham, § 511 Rdn. 7. 14e Schabs / Abraham, § 511 Rdn. 3. 147 Ygi Paul Abraham, Die hanseatische Rechtsprechung auf dem Gebiete des Handels-, Versicherungs-, Wechsel- u. Seerecht, 2. Bd. Seerecht, H a m burg 1901, S. 21 m. Nachw. 141
148 149
Paul Abraham, Paul Abraham,
S. 22. S. 20.
10. Die Erweiterung der Vertragshaftung des Kapitäns
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tän, wenn er das Schiff m i t i m Ausland beschafftem Material reparieren läßt, obwohl der Reeder eigenes schicken wollte 1 5 0 . Ein zum Schadensersatz verpflichtendes schuldhaftes Verhalten des Kapitäns bei der rechtsgeschäftlichen Vertretung des Reeders ist darin gesehen worden, daß jener ein Konnossement falsch datierte 1 5 1 oder die Ladung ohne alle erforderlichen Begleitpapiere mitnimmt. öffentlich-rechtliche Verpflichtungen verletzt der Kapitän ζ. B., wenn er ausläuft, ohne die Seetüchtigkeit i n vollem Umfang überprüft zu haben. Seeuntüchtigkeit aber w i r d bereits bejaht, wenn das Füllrohr eines Tanks beschädigt ist oder die Pumpen infolge mangelnder Reinigung des Schiffes verstopfen 152 . Dieser Katalog von Handlungen oder Unterlassungen des Kapitäns, die diesen zum Schadensersatz gegenüber dem Reeder verpflichten, enthält nur Beispiele aus der Rechtsprechung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, berücksichtigt also noch nicht die technische und rechtliche Entwicklung der letzten rund 90 Jahre. Er könnte i n jeder Sparte u m zahlreiche Beispiele erweitert werden; dies erscheint indessen entbehrlich, weil nur ein plastischer Eindruck vom Verantwortungsbereich des Kapitäns nach Art. 478, 480 ff. A D H G B vermittelt werden sollte 153 . Diese vertragliche Haftung des Kapitäns gegenüber dem Reeder dehnt Art. 479 ADHGB nun aus auf Befrachter, Ablader und Ladungsempfänger, auf den Reisenden, die Schiffsbesatzung und auf denjenigen Schiffsgläubiger, dessen Forderung aus einem Kreditgeschäft (Art. 497) entstanden ist, insbesondere auf den Bodmereigläubiger. Nach Art. 479 Abs. 2 A D H G B w i r d der Schiffer dadurch, daß er auf Anweisung des Reeders gehandelt hat, diesen Dritten gegenüber von der Haftung nicht befreit, und gemäß Abs. 3 w i r d durch eine solche Anweisung auch der Reeder persönlich verpflichtet, wenn er bei deren Erteilung von dem Sachverhalt unterrichtet war. Auch Art. 479 A D H G B gilt als § 512 HGB bis heute unverändert weiter. 10.2.2. Zusammenfassung Faßt man die Einstandspflicht des Kapitäns nach Art. 478, 479 A D H G B zusammen, so ergibt sich: Der Kapitän haftet als Erstschuldner, nicht etwa nach dem gemäß §§ 485 ff. HGB i n Anspruch genommenen Reeder, und zwar mit seinem ganzen Vermögen i n Höhe des vollen Schadens 150 151 152 153
Paul Abraham, S. 20. Paul Abraham, S. 20, 21. Paul Abraham, S. 21. Weitere Beispiele bei Paul Abraham,
S. 20 ff., 98 f., 185.
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nicht nur gegenüber seinem Vertragspartner, dem Reeder, sondern auch den i n A r t . 479 genannten Personen, selbst dann, wenn er auf Anweisung des Reeders gehandelt hat. Damit ist die Haftung des Kapitäns weitaus strenger 154 als die des Reeders; auf die Reederhaftung ist sogleich näher einzugehen. Zunächst ist zu klären, wieso A r t . 479 A D H G B durch Schaffung eines gesetzlichen Schuldverhältnisses die Vertragshaftung des Kapitäns so erheblich ausdehnt. 10.3. Gründe, die zur Erweiterung der Vertragshaftung des Kapitäns führten
Der „Commission zur Berathung eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches" lagen als Materialien zwei Entwürfe vor, der österreichische und der preußische. Nach dem österreichischen Entwurf aus dem Jahre 1848155 haftete der Schiffer nur dem Reeder für die Erfüllung seiner Pflichten (§§ 19—21). Ausdrücklich bestimmte der Entwurf, daß der Reeder unbeschränkt für Verbindlichkeiten hafte, die der Kapitän i m Rahmen seiner gesetzlich umschriebenen Vollmacht (§ 16) eingegangen war (§ 17), und nach § 18 sollte die Reederei „auf die gleiche Weise dritten Personen auch für die vernachlässigte Verwahrung der dem Schiffer . . . übergebenen Sachen und für jeden anderen durch Verschulden der Schiffsmannschaft i n ihrem Dienste verursachten Schaden" haften. Der den Beratungen der Kommission vorrangig zugrunde gelegte preußische Entwurf, der seinerseits auf jahrelangen umfassenden legislatorischen Vorarbeiten unter Einbeziehung des schwedisch-pommerschen Seerechts, des niederländischen HGB und der hanseatischen Regelungen beruhte, dehnte durch A r t . 433 die vertragliche Haftung des Kapitäns aus: „Der Schiffer haftet nicht n u r dem Reeder, sondern auch dem Ablader u n d Ladungsempfänger f ü r jeden durch sein Verschulden beim Einladen, bei der F ü h r u n g des Schiffes oder beim Löschen entstandenen Schaden."
Bei Beginn der Beratungen über die Rechtstellung des Kapitäns konnte die Kommission also von dessen erweiterter vertraglicher Haftung ausgehen. Es ist nun zu untersuchen, welche Gründe für die Einführung einer solchen ungewöhnlichen Regelung erörtert wurden. Der „Dritte Titel" des preußischen Entwurfs, der „vom Schiffer" handelt, wurde seit der 211. Sitzung vom 30. 6.1858 an beraten. Anders 164 155
Vgl. Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 185. Vgl. Wagner, Handbuch des Seerechts, S. 90.
10. Die Erweiterung der Vertragshaftung des Kapitäns
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als bei der Erörterung der Rechtstellung des Reeders nach dem 2. Titel (Art. 393—410), bei der Grundsatzdebatten über die Interessenlage der deutschen Reeder, insbesondere an einer Haftungsbeschränkung, geführt wurden 1 5 6 , begannen die Diskussionen über den Schiffer sogleich mit der Einzelberatung der A r t i k e l des Entwurfes. I n der 230. Sitzung vom 4.10.1858 wurden die A r t . 432 und 433 des preußischen Entwurfs diskutiert. Bei der Behandlung des oben wiedergegebenen Art. 433 beantragte der Referent der Kommission sofort, statt dessen einen anderen Text aufzunehmen: „Der Schiffer ist verpflichtet, beim Einladen, bei der F ü h r u n g des Schiffes u n d beim Löschen den Fleiß u n d die Sorgfalt eines ordentlichen Schiffers anzuwenden. Er haftet nicht n u r dem Rheder, sondern auch dem Ablader, Ladungsempfänger, dem Schiff smanne u n d Passagiere f ü r jeden durch sein Verschulden entstandenen Schaden 1 5 7 ."
Zur Begründung dieses Vorschlages wurde ausgeführt, zunächst sei festzulegen, „welchen Grad der Sorgfalt der Schiffer bei Ausführung seiner Obliegenheiten zu prästieren habe". Die Zivilgesetze hätten den Grad der culpa verschieden bestimmt, weswegen es „unthunlich" scheine, einen gewissen Grad der culpa zu bezeichnen. Sodann wurde die Frage aufgeworfen, „wem der Schiffer diese culpa zu prästieren schuldig sei" m. a. W., wem gegenüber er hafte. „ A n u n d f ü r sich stehe der Schiffer zwar n u r m i t dem Rheder i n contraktlichen Beziehungen, u n d habe also auch eigentlich n u r diesem gegenüber wegen Verschuldens i n dieser Beziehung Rede zu stehen. Indessen sei f ü r das Seerecht eine ähnliche Bestimmung, w i e sie f ü r die Landfracht i n A r t . 379 des Entwurfes i n zweiter Lesung eine Stelle gefunden habe, noch unentbehrlicher, weshalb es sich empfehle, einstweilen den beantragten zweiten Absatz auszunehmen, w e n n auch das nähere hierüber bis zur Lehre v o m Frachtgeschäfte vorbehalten bleiben müsse."
Die zutreffende Feststellung des Referenten, daß der Kapitän nur m i t dem Reeder vertragliche Beziehungen habe und folglich auch nur diesem vertraglich hafte, bleibt also folgenlos. Verwiesen w i r d auf die Notwendigkeit dieser Haftungsausdehnung, die sich angeblich bei der Regelung der Landfracht herausgestellt habe, und eine genaue Ausgestaltung soll i n der Lehre vom Frachtgeschäft, d. h. i n diesem Zusammenhang: beim Seefrachtgeschäft, vorgenommen werden.
15« V g l # Protokolle der 189. Sitzung (19. 5.1858) S. 1572 ff., der 191. Sitzung (26. 5.1858) S. 1585 ff., der 192. Sitzung (28. 5.1858) S. 1600. 157 Protokolle, S. 1928.
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945 10.4. Gegenüberstellung von Land- und Seefrachtvertrag
I m folgenden werden die entsprechenden Vorschriften i n den verschiedenen Fassungen der Entwürfe der Kommission zu überprüfen sein. Die die Beratung entscheidende Diskussion über die Haftung des Kapitäns fand am 4. Oktober 1858 statt 1 5 8 . Z u diesem Zeitpunkt lagen die Beratungen über das Landfrachtgeschäft i m Rahmen der zweiten Lesung schon einige Monate zurück und hatten hinsichtlich des i n der Sitzung vom 4. 10. 1858 i n Bezug genommenen A r t . 379 zu folgendem Ergebnis geführt: „Der i m Frachtbriefe bezeichnete Empfänger ist befugt, die Rechte gegen den Frachtführer nach Maßgabe des Frachtbriefes geltend zu machen. Z u dem Ende steht i h m ein Klagerecht zu, mag er dasselbe i n eigenem Interesse oder i m Interesse eines d r i t t e n Berechtigten ausüben. Insoweit jedoch der Frachtführer die Anweisungen des Absenders zu befolgen hat (Art. 377), k a n n er sich hierauf auch dem Empfänger gegenüber berufen. Haben Zwischenspediteure oder Zwischenfrachtführer das Gut m i t dem Frachtbriefe zum Weitertransport übernommen, so können der Absender u n d der Empfänger, welche i n dem Frachtbriefe bezeichnet sind, gegen die Zwischenspediteure u n d Zwischenfrachtführer, soweit deren Verbindlichkeit nach Maaßgabe des Frachtbriefes reicht, unmittelbar klagen, ohne dass es einer Klagabtretung bedarf. Durch Annahme der Waare u n d des Frachtbriefes w i r d der Empfänger verpflichtet, dem Frachtführer nach Maaßgabe des Frachtbriefes Zahlung zu leisten."
Diese Vorschrift räumte dem Empfänger des Gutes also die Befugnis ein, gegen den Frachtführer, m i t dem er nicht i n einer Vertragsbeziehung stand, die Rechte „nach Maßgabe des Frachtbriefs" geltend zu machen. Bereits i n den Beratungen i m Rahmen der 2. Lesung waren die i m Verhältnis Absender — Frachtführer — Empfänger rechtlich zu regelnden Interessen sämtlich benannt worden; vor allem war es darum gegangen, dem Empfänger nach A n k u n f t des Gutes eigene Rechte gegen den Frachtführer zu geben, ohne den Absender zu frühzeitig seiner vertraglichen Rechte gegen den Frachtführer zu berauben. Allerdings sind noch rechtstechnische Unklarheiten i m Hinblick auf die Rechtsnatur des Frachtbriefes und den Umfang der Rechte des Empfängers bestehen geblieben. Die hier entscheidende Frage, ob der Frachtführer dem Empfänger auch für verspätete Auslieferung und Beschädigung des Gutes haften sollte, war bejaht worden; dies hatte sich aber i n der Formulierung „nach Maßgabe des Frachtbriefes" nur unvollständig niedergeschlagen. Festzuhalten ist, daß über die Ausdehnung der Haf158
Protokolle, S. 1921 ff., 1928.
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tung des Frachtführers aus dem Frachtvertrag auf den Empfänger i n der Kommission Einigkeit bestand. Der Landfrachtvertrag wurde i n der 3. Lesung, i n der sich die Kommission mit den Erinnerungen, welche von den Hohen Regierungen gegen den Entwurf . . . des Handelsgesetzbuches (zweite Lesung) erhoben worden sind", auseinandersetzte, noch einmal gründlich beraten. Insbesondere die Frage der Inanspruchnahme des Frachtführers durch den Empfänger war Gegenstand langer Diskussionen und zahlreicher Abänderungsanträge, durch welche die grundsätzliche Einigkeit i n der zweiten Lesung zum Ausdruck gebracht werden sollte. Diskutiert wurde u. a., ob A r t . 379 i n der Frage der 2. Lesung dem Empfänger mit der Formulierung „nach Maßgabe des Frachtbriefes" nicht nur einen Anspruch auf „Übergabe der Güter — gleichviel ob gut oder schlecht" — einräume und dieser „wegen Beschädigung derselben einen Anspruch nicht erheben könne" 1 5 9 . 10.4.1. Der Landfrachtvertrag Nach einer Klarstellung der Rechtsnatur des Frachtbriefes, der i m Gegensatz zum Ladeschein als reines Beweismittel konzipiert wurde, hielt es die Kommission für richtig, die Anspruchsgrundlage, aufgrund deren der Empfänger sich an den Verfrachter sollte halten können, deutlich zu bezeichnen, nämlich den Frachtvertrag. I n der 572. Sitzung vom 18. Januar 1861 erhielt A r t . 379 m i t 12 : 1 Stimmen i m wesentlichen die Fassung des später Gesetz gewordenen Art. 405 ADHGB 1 6 0 . A r t . 405 A D H G B hat folgenden Wortlaut: „Nach A n k u n f t des Frachtführers am Ort der Ablieferung ist der i m Frachtbrief bezeichnete Empfänger berechtigt, die durch den Frachtvertrag begründeten Rechte gegen E r f ü l l u n g der Verpflichtungen, w i e sie der Frachtbrief ergiebt, i n eigenem Namen gegen den Frachtführer geltend zu machen, sei es, daß er hierbei i n eigenem oder fremdem Interesse handle; er ist insbesondere berechtigt, den Frachtführer aus Übergabe des Frachtbriefes u n d Auslieferung des Gutes zu belangen, sofern nicht der Absender demselben vor Ausstellung der Klage eine nach Maaßgabe des A r t . 402 noch zulässige Anweisung gegeben hat."
Der § 435 HGB i n der heute geltenden Fassung entspricht bis auf redaktionelle Veränderungen dem A r t . 405 ADHGB. Damit war klargestellt, daß dem Empfänger alle Rechte aus dem Frachtvertrag zustehen sollten, also nicht nur die aus dem Frachtbrief hervorgehenden, so daß m i t dieser Formulierung feststand, daß der 159 160
Protokolle, S. 4757. Protokolle, S. 4758.
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Empfänger auch Ansprüche aus Versäumung der Lieferfrist und wegen Beschädigung des Gutes gegen den Frachtführer sollte geltend machen können 161 . Die Ausdehnung der Vertragshaftung des Frachtführers auf den nicht mit i h m i n vertraglichen Beziehungen stehenden Empfänger war auf diese Weise zweifelsfrei hergestellt. Für diese Untersuchung kommt es darauf an, festzustellen, ob der Zweck dieser Regelung i m Recht des Landfrachtvertrages auch die Ausdehnung der Haftung des Kapitäns zu begründen vermag. Die wesentlichen Erwägungen dafür, dem Empfänger eines Gutes i m Landfrachtverkehr durch Gesetz einen vertraglichen Anspruch gegen den Frachtführer einzuräumen, waren die Bedürfnisse des Verkehrs. A m deutlichsten kam dies i n der 570. Sitzung vom 14.1.1861 zum Ausdruck 1 6 2 . Auf der einen Seite sollte das berechtigte Interesse des A b senders, der den Frachtvertrag mit dem Frachtführer abgeschlossen hatte, an der Aufrechterhaltung seiner Dispositionsbefugnis über das versandte Gut gewahrt werden. Mehrere Handelskammern, so wurde referiert, hätten sich dafür ausgesprochen, „das Recht des Absenders, dem Frachtführer spätere Anweisungen wegen Rückgabe des Gutes oder Auslieferung an einen anderen als den i m Frachtbrief bezeichneten Empfänger zu geben, bis zur Ubergabe der Güter selbst für fortdauernd (zu erklären) . . . da der A k t der Übergabe des Frachtbriefes als ein ganz indifferenter erscheine und Alles darauf ankomme, ob der Empfänger schon i n die Lage versetzt worden sei, ausschließlich über die Güter verfügen zu können oder nicht" 1 6 3 . 10.4.2. Rechte des Absenders, Frachtführers
und des Empfängers
Dem Absender sollte also das Recht erhalten bleiben, auf zwischenzeitlich eintretende Störungen des Rechtsverhältnisses zwischen i h m und dem Empfänger oder bei Gefahr für die Befriedigung seiner Forderungen gegen den Empfänger aus dem Vertrag, etwa durch zutagetretenden Vermögensverfall bei diesem, durch Anhalten oder Umlenken des Gutes zu reagieren. Dieses Interesse wurde derart gegen das des Empfängers abgegrenzt, daß prinzipiell bei A n k u n f t des Frachtführers am Ort der Ablieferung der Empfänger zur Geltendmachung der A n sprüche aus Frachtvertrag befugt sein sollte, wenn nicht i m letzten Augenblick, nämlich vor Übergabe des Frachtbriefes an den Empfänger, noch eine anderslautende Weisung des Absenders beim Frachtführer eingegangen wäre, Art. 405 letzter Halbsatz i. V. m. A r t . 402 ADHGB. 181 162 163
Protokolle, S. 4758. Protokolle, S. 4726 ff. Protokolle, S. 4731.
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M i t dieser Regelung war auch das Interesse des Frachtführers an der Klarstellung seiner Verpflichtungen gegenüber dem Absender und gegenüber dem Empfänger gewahrt; er darf den Frachtbrief dem Empfänger aushändigen, wenn auch das Gut am Ort der Ablieferung angekommen ist, und er hat Weisungen des Absenders so lange zu beachten, bis er zulässigerweise den Frachtbrief dem Empfänger ausgehändigt hat 1 6 4 . Aber auch sein Interesse an der Befriedigung seiner Forderung aus dem Frachtvertrag war damit gewahrt. Bis zur Ablieferung des Gutes — längstens bis zu drei Tagen nach der Ablieferung — steht ihm ein Pfandrecht an dem Gute zu, Art. 409, und die Ablieferung an den Empfänger erfolgt Zug u m Zug gegen Bezahlung der Fracht und der Kosten, Art. 405 ADHGB. Die Einräumung eines eigenen Rechts aus dem Frachtvertrag zugunsten des Empfängers wurde ebenfalls als ein dringendes Bedürfnis des Verkehrs bezeichnet. „Die bloße Präsentation einer Vollmacht des A b senders genüge nicht, denn so oft ein Empfänger gegen den Frachtführer klagend auftrete, welche der Letztere m i t der Behauptung, das Mandat sei durch den Tod des Absenders und dgl. erloschen, oder der Empfänger habe i n der That noch keinen Auftrag von dem Absender, sich der Güter anzunehmen, Gehör finden müssen . . . 1 6 5 ." Der Gefahr unübersehbarer, etwa mehrfacher Inanspruchnahme durch Absender und Empfänger sei der Frachtführer nicht ausgesetzt, da durch Annahme des Gutes und Bezahlung der Fracht alle Ansprüche aus dem Frachtvertrag gemäß A r t . 381 Abs. 1 des Entwurfs des A D H G B nach der 2. Lesung erlöschen 168 . Angesichts dieser Erwägungen für die Ausdehnung der vertraglichen Verpflichtungen des Frachtführers auf dessen Beziehung zum Empfänger fragt sich, wie die Kommission hier eine Parallele zum Kapitän ziehen konnte. Die unergiebige Begründung für diese Parallelisierung i n der 230. Sitzung vom 4. Oktober 1858 deutet darauf hin, daß dieses Problem entweder nicht richtig durchdacht worden war, oder m i t Scheinargumenten zur Verdeckung der wirklichen Interessenlage „gelöst" werden sollte. Schon vom Ausgangspunkt her ist die Gleichsetzung von (Land-)Frachtführer und Kapitän verfehlt; wäre diese richtig, müßten, u m i m B i l d zu bleiben, auch Absender und Reeder parallelisiert werden, was offenkundig nicht richtig sein kann.
im vgl, Protokolle, S. 4732, 4733. ies v g L Protokolle, S. 4735. 16e Ebenso A r t . 408 Abs. 1 A D H G B= § 438 Abs. 1 HGB.
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10.4.3. Das Seefrachtgeschäft in Gegenüberstellung zum Landfrachtgeschäft I n seiner Struktur entspricht das Seefrachtgeschäft durchaus dem Landfrachtgeschäft, nur ist die Verteilung der Funktionen eine andere als sie durch die Kommission nahegelegt wird. Auch i m Seefrachtgeschäft gibt es den Absender von Gütern; dieser kann Privatmann, Fabrikant oder Kaufmann sein, dies auch als Spediteur, und w i r d i m A D H G B und mit HGB als Partei des Seefrachtvertrages Befrachter genannt 167 . Die andere Partei des Seefrachtvertrages, die dem Frachtführer des Landfrachtvertrages entspricht, ist der Verfrachter. I n der großen Mehrzahl der Fälle ist der Verfrachter der Reeder, also der Schiffseigner, jedoch ist dies nicht wesentlich für den Begriff des Verfrachters. Der Verfrachter muß nicht zwingend selbst ein Schiff verwenden, sondern kann durch Abschluß eines anderen Frachtvertrages die Ausführung auf einen Verfrachter abwälzen, der dann sein Erfüllungsgehilfe und zugleich Reeder ist 1 6 8 . Der Kapitän als solcher kann nicht Verfrachter sein; ist er zugleich Schiffseigner, und schließt er mit dem Befrachter einen Seefrachtvertrag ab, so ist er als Reeder, nicht als Kapitän, Verfrachter 169 . Ein dritter Beteiligter des Seefrachtgeschäftes, i m Landfrachtgeschäft unbekannt, ist der Ablader. Dieser Begriff ist nicht völlig eindeutig vom Befrachter geschieden. Diese Rechtsfigur kann folgendermaßen definiert werden: Ablader ist, wer die Güter aufgrund eines geschlossenen Frachtvertrages an das Schiff heranliefert oder dem Verfrachter sonstwie, ζ. B. am Kai, zur Beförderung übergibt 1 7 0 . Da der Kapitän nach dieser Begriffsbestimmung nicht Ablader sein kann, braucht die Rechtsfigur i m Rahmen der Untersuchung nicht weiter behandelt zu werden. Anders als beim Landfrachtvertrag ist der (Ladungs-)Empfänger für das Bestehen eines Seehandelsvertrages nicht wesentlich. Seefrachtverträge können nämlich auch die Beförderung von Ladungen auf die hohe See hinaus zur Versenkung i m Meer zum Gegenstand haben 171 . I n der Regel aber w i r d vom Befrachter oder Ablader ein Sollempfänger 187 Vgl. Lewis, Deutsches Seerecht, 1. Bd., § 557 A n m . 3, S. 243; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 214. 188 Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 213/214. 169 v g l Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht; a. A. Lewis, Deutsches Seerecht, 1. Bd. § 557 A n m . 3, S. 243, der ohne Begründung als V e r frachter „Reeder oder Schiffer" bezeichnet, welcher den Transport der Waren übernommen hat. 170 171
Vgl. Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 214. Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 215.
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der Ladung i n einem Bestimmungshafen genannt. Interessanterweise findet sich i m Recht des Seefrachtvertrages nach dem A D H G B und dem HGB keine dem A r t . 405 A D H G B bzw. § 435 HGB entsprechende Vorschrift, weshalb die analoge Anwendung dieser Vorschriften auf den Seehandelsvertrag auch streitig war 1 7 2 , inzwischen von der herrschenden Meinung allerdings bejaht wird 1 7 3 . Die Frage ist wegen der Ausstellung des Konossements beim Stückgütervertrag und der Charterpartie i m Raumfrachtvertrag ohne praktische Bedeutung, jedenfalls für die Großschiffahrt, und braucht i m Rahmen dieser Untersuchung, i n der es nur u m die Frage der Berechtigung von Parallelisierungen zwischen Land- und Seefrachtvertrag geht, nicht vertieft zu werden. 10.4.4. Ergebnis Es ergibt sich also, daß der Kapitän überhaupt keine eigenständige Rechtsstellung i m Seefrachtvertrag hat; er ist Erfüllungsgehilfe des Verfrachters gemäß § 278 BGB. Eine Parallelisierung ist nur möglich hinsichtlich des Landfrachtführers und des Reeders. So wie sich der Landfrachtführer früher eines Kutschers und heute eines Lkw-Fahrers zur Ausführung des Frachtvertrages bedient, bedient sich der Verfrachter zur Ausführung des Seefrachtvertrages des Kapitäns; wegen der herausgehobenen Rechtsstellung des Kapitäns i m übrigen, d. h. nicht i m Recht des Seehandels, ist diese nur zur Verdeutlichung der Verhältnisse benutzte „Gleichsetzung" rechtswissenschaftlich nicht weiter zu verwenden. 10.4.5. Erfordernisse
des Verkehrs
Schließlich ist noch auf die Möglichkeit einzugehen, daß auch hier „Erfordernisse des Verkehrs" für die Ausweitung der Haftung des Kapitäns ins Feld geführt werden könnten; i m Recht des Landfrachtvertrages waren solche Erfordernisse von diesen am Landfrachtverkehr beteiligten Interessengruppen j a m i t guten Gründen vorgetragen worden. Da der Seefrachtvertrag zwischen Befrachter und Verfrachter abgeschlossen wird, der Empfänger des Gutes also nicht Vertragspartner ist, kommt es darauf an, i h m einen Anspruch auf Auslieferung des Gutes zu geben, wenn dieses am Bestimmungsort abgeladen worden ist. Zur Beschleunigung der Abwicklung des Seefrachtvertrages besteht ein Bedürfnis nach jederzeitiger Klarheit über die Person des zum Empfang Berechtigten; hieran hat der Empfänger ebenso ein Interesse wie der Verfrachter, für den der Kapitän tätig wird. Darüber hinaus aber 172 Ygi 173
Wüstendörfer,
Schaps / Abraham,
Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 215. Vorbem. 14 von § 556 HGB.
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besteht, insbesondere i m überseeischen Warenhandel, ein Bedürfnis, über die schwimmenden Waren verfügen zu können, insbesondere sie während des Transportes zu veräußern oder zu verpfänden 174 . 10.4.6. Das Konnossement U m dieses Bedürfnis zu befriedigen, entwickelten die am Seehandel beteiligten Kreise frühzeitig das Konnossement 175 , das i n einem langsamen Prozeß, i n dem sich die Veränderungen des Seehandelsverkehrs niedergeschlagen haben, seine heutige Rechtsnatur als sog. gekorenes kaufmännisches Orderpapier § 363 Abs. 2 HGB erhielt. Schon nach dem ADHGB hatte das Konnossement alle wesentlichen Eigenschaften, die es heute nach dem HGB hat. So gewährte das Konnossement dem legitimierten Inhaber desselben einen Auslieferungsanspruch Art. 647 A D H G B = § 648 HGB. Legitimierter Inhaber eines Rekta (oder Namens-)Konnossements ist nur der diesem namhaft gemachte Inhaber 1 7 6 ; beim Orderkonnossement ist es entweder ebenfalls der namentlich bezeichnete Inhaber oder der durch eine fortlaufende Reihe von Indossamenten als rechtmäßiger Inhaber des Konnossements nachgewiesene Indossatar 177 . Seit den sechziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts war es technisch möglich, mit Postdampfern und Eisenbahnen die Konnossemente den Gütern voranzuschicken, was seitdem auch aus später darzustellenden Gründen geschah. Das Konnossement gibt dem Empfänger aber nicht einen aus dem Seefrachtvertrag abgeleiteten und m i t Einreden und Einwendungen aus diesem behafteten Anspruch, sondern die höchstrichterliche Rechtsprechung sah i m Hinblick auf die Bedürfnisse des Seehandelsverkehrs, die sich ja auch i n der Rechtsnatur des Konnossements niedergeschlagen hatten, die Verpflichtungen aus dem Konnossement nach dem ADHGB als unabhängig von denen aus dem Frachtvertrag an m i t der Folge, daß der Verfrachter die Güter entsprechend dem Konnossement auszuliefern hat und dem Empfänger keine Einreden oder Erinnerungen aus der Person des Befrachters oder Abladers entgegensetzen kann 1 7 8 . 174 Ygi prüßmann, 175
Seehandelsrecht, München 1968, § 650 A n m . A .
Z u r geschichtlichen E n t w i c k l u n g vgl. Max Pappenheim, Handbuch des Seerechts, 3. Bd., München, Leipzig 1918, S. 209 ff. 176 Vgl. f ü r das A D H G B Lewis, Das deutsche Seerecht, 1. Bd., Leipzig 1883, A r t . 647 A n m . 3; f ü r das H G B vgl. Prüßmann, § 648 A n m . Β 2. 177 Vgl. Lewis, A r t . 647 A n m . 3, Prüßmann, § 648 A n m . Β 3. 178 Vgl. Lewis, A r t . 653 A n m . 2, Prüßmann, § 656 A n m . Β 1, beide m i t Nachweisen aus der Rechtsprechung. — A u f die Ablösung der Skripturhaftung nach A r t . 653 Abs. 1 A D H G B u n d § 651 Abs. 1 H G B a. F. durch das Seefrachtgesetz v o m 10.8.1937 u n d deren Ersetzung durch eine einfache Beweisvermutung nach § 656 Abs. 2 H G B braucht i n diesem Zusammenhang nicht eingegangen zu werden; vgl. Prüßmann, § 656 A n m . A.
10. Die Erweiterung der Vertragshaftung des Kapitäns
79
Das Konnossement gibt dem Empfänger also einen Anspruch auf Auslieferung des Gutes, unabhängig vom Frachtvertrag, und schnitt i n seiner ursprünglichen Ausgestaltung alle Einreden und Einwendungen, die sich nicht aus dem Konnossement ergaben, ab. Dem Interesse des Empfängers an einer möglichst frühzeitigen Verfügung über das Gut trägt A r t . 647 A D H G B Rechnung 179 . Als Traditionspapier vertritt das Konnossement die dem Verfrachter übergebenen Güter bei Veräußerung oder Verpfändung, ermöglicht dem Empfänger also Verfügungen über das Gut, ohne daß dieser den unmittelbaren Besitz hieran hat, durch Einigung über den Eigentumsübergang am Konnossement und Übergabe der Urkunde 1 8 0 . Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß das Konnossement die Interessen des Empfängers i n vollem Umfang wahrt. Es gibt i h m einen selbständigen, nach dem A D H G B gegen Einwendungen und Einreden aus dem Frachtvertrag gesicherten, Anspruch gegen den Verfrachter, i n der Regel also den Reeder. Seine Ansprüche aus dem der Versendung der Güter zugrundeliegenden Rechtsverhältnis mit dem Befrachter, also dem Kaufmann oder Produzenten, bleiben unberührt, und die Rechtsprechung räumt dem Empfänger bei mangelhafter Lieferung ein Wahlrecht zwischen der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem zwischen Befrachter und Empfänger abgeschlossenen (Kauf) Vertrag und der Erhebung von Ansprüchen aus dem Konnossement gegen den Verfrachter ein 1 8 1 . Für eine zusätzliche Haftung des Kapitäns gegenüber dem Empfänger der Ladung ist also kein Bedürfnis des Verkehrs erkennbar. Entsprechendes gilt für die kaum praktischen Fälle des Seefrachtvertrages ohne Ausstellung eines Konnossements. Hier sehen Rechtsprechung und Lehre i m Seefrachtvertrag einen Vertrag zugunsten eines Dritten und wenden § 435 HGB entsprechend an 1 8 2 ; daß § 435 HGB die Interessen des Empfängers ausreichend schützt, wurde oben bei der Erörterung des Landfrachtvertrages dargelegt 183 .
179
Dem A r t . 647 A D H G B entsprechen w ö r t l i c h § 647 H G B i n der Fassung vor dem Seefrachtgesetz v o m 10. 8.1937 u n d § 655 H G B i n der jetzt geltenden Fassung. im vgl. Prüßmann, § 650 A n m . A . 181 182 183
R G v. 10. 2.1900, J. W. 1900, S. 298 Nr. 16. Vgl. Schaps / Abraham, Vorbem. 14 vor § 556. Vgl. oben.
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
10.4.7. Keine Ausweitung
der Vertragshaftung
des Kapitäns
Eine Untersuchung der Interessenlage der am Seefrachtgeschäft Beteiligten ergibt, daß nichts für die Notwendigkeit einer Ausweitung der Vertragshaftung des Kapitäns spricht. Das i n der Diskussion der Kommission verwendete Argument, daß mehr noch als beim Landfrachtvertrag eine Ausweitung der Vertragshaftung „unentbehrlich" sei 184 , erweist sich als nicht stichhaltig. Die aus dieser unbegründeten Annahme gezogene weitere Folgerung ist demnach unschlüssig, nämlich „das Recht, unmittelbar an den Schiffer sich zu halten, und dessen Vermögen i n Anspruch zu nehmen, müsse aber nicht blos dem Ablader und Ladungsempfänger, sondern auch der Schiffsmannschaft und den Passagieren, welche letzteren rechtlich i n demselben Verhältniß zum Schiffer ständen, wie Ablader und Ladungsempfänger, eingeräumt werden, i n dem der Ablader und der Ladungsempfänger dann, wenn eine Klage gegen den Rheder, der nur mit der fortune de mer hafte, wegen des Untergangs der letzteren fruchtlos wäre noch ein M i t t e l hätten, um sich wegen des durch Schuld des Schiffers entstandenen Schadens Ersatz zu verschaffen, die Schiffsmannschaft und die Passagiere nicht" 1 8 5 . Die Protokolle werden hier so ausführlich wiedergegeben, weil an dieser Stelle nicht nur das unschlüssige Argument „wenn Ablader und Empfänger den Kapitän aus dem Vertrag i n Anspruch nehmen können, dann muß dasselbe auch Schiffsmannschaft und Passagieren möglich sein" enthalten ist, sondern sich zugleich die wahren Gründe der Ausweitung der Kapitänshaftung finden, nämlich die Beschränkung der Haftung des Reeders. Um also zu den wahren wirtschaftlichen Ursachen der „fast grausamen Strenge" 1 8 8 der Kapitänshaftung vorzudringen, ist es erforderlich, die Haftung des Reeders nach dem ADHGB zu untersuchen. 10.5. Die beschränkte Reederhaftung
Art. 451 A D H G B lautet: „Der Rheder ist für den Schaden verantwortlich, welchen eine Person der Schiffsbesatzung 187 einem D r i t t e n durch i h r Verschulden i n Ausführung ihrer Dienstverrichtung zufügt." 184
Protokolle, S. 1928. Protokolle, S. 1928/1929. 188 Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 185. 187 Nach A r t . 445 werden zur Schiffsbesatzung gerechnet der Schiffer, die Schiffsmannschaft, wie alle übrigen auf dem Schiff angestellten Personen. 185
10. Die Erweiterung der Vertragshaftung des Kapitäns
81
N a c h A r t . 452 h a f t e t d e r „ R h e d e r f ü r d e n A n s p r u c h eines D r i t t e n n i c h t persönlich, s o n d e r n n u r m i t Schiff u n d F r a c h t : 1. w e n n der Anspruch auf ein Rechtsgeschäft gegründet w i r d , welches der Schiffer als solcher k r a f t seiner gesetzlichen Befugnisse, u n d nicht i n Bezug auf eine besondere Vollmacht geschlossen hat; 2. wenn der Anspruch auf die Nichterfüllung oder auf die unvollständige oder mangelhafte E r f ü l l u n g eines von dem Rheder abgeschlossenen Vertrages begründet w i r d , insofern die Ausführung des Vertrages zu den Dienstobliegenheiten gehört hat, ohne Unterschied, ob die Nichterfüllung oder die unvollständige oder die mangelhafte E r f ü l l u n g von einer Person der Schiffsbesatzung verschuldet ist oder nicht; 3. w e n n der Anspruch auf das Verschulden einer Person der Schiffsbesatzung gegründet w i r d . I n d e n u n t e r Z i f f e r 1 u n d 2 bezeichneten F ä l l e n k o m m t j e d o c h dieser A r t i k e l n i c h t z u r A n w e n d u n g , w e n n d e n R h e d e r selbst i n A n s e h u n g d e r V e r t r a g s e r f ü l l u n g e i n V e r s c h u l d e n t r i f f t , oder w e n n derselbe d i e V e r t r a g s e r f ü l l u n g besonders g e w ä h r l e i s t e t h a t . " B e i d e V o r s c h r i f t e n g i n g e n i n h a l t l i c h u n v e r ä n d e r t als §§ 485 u n d 486 i n das H G B v o n 1897/1900 e i n 1 8 8 . D i e entscheidende R e g e l u n g ist A r t . 452 1 8 9 m i t d e r F o r m u l i e r u n g „ e r h a f t e t n u r m i t Schiff u n d F r a c h t " . D i e E r ö r t e r u n g dieser V o r s c h r i f t e n i n d e r ersten L e s u n g d e r K o m m i s s i o n b e g a n n m i t d e r A u f s t e l l u n g eines Katalogs v o n Gesichtspunkten, der die Grundfragen der H a f t u n g p r i n z i p i e l l noch o f f e n erscheinen l i e ß : „Gesichtspunkte, welche . . . bei der Berathung über die A r t . 18—20 des Titels „ V o n der Rhederei" möglichst auseinander zu halten wären. 1. K a n n der Grundsatz, daß Rheder u n d Mitrheder für die Verbindlichkeiten der Rhederei persönlich (fortune de terre) haften, wenigstens als Regel vorangestellt werden? 2. . . . 3. Soll eine Ausnahme von der persönlichen Haftung eintreten u n d blos eine dingliche Haftung (fortune de mer, Abandonrecht) oder überhaupt irgend eine u n d welche Haftung eintreten? a) . . . b) rücksichtlich des Schiffers und der Mannschaft, aus Handlungen, die ohne Rücksicht auf vertragsmäßige Obligenheiten unerlaubt sind? aus Verschulden bei E r f ü l l u n g ihrer nautischen Obligenheiten?
iss y g i Lewis / Boy ens, Das deutsche Seerecht, 1. Bd., Leipzig 1897, A r t . 451 S. 176 u n d A r t . 452 S. 182. 189 Vgl. Lewis / Boy ens, A r t . 452 A n m . 1 : „Der vorstehende A r t i k e l behandelt die Art der Reederhaftung u n d somit einen fundamentalen Satz des ganzen Gesetzes." (Hervorhebung von Boyens.) Hanses 6
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945 c) rücksichtlich des Schiffers allein, der nicht Rheder ist, aus Verträgen, deren Eingehung seine gesetzliche Vollmacht überschreitet? aus Verträgen, die er innerhalb seiner gesetzlichen Vollmacht schließt? . . . d) . . .
Die einleitende Fragestellung unter Nr. 1 macht bereits deutlich, daß die unbegrenzte Reederhaftung als ungebrochenes Prinzip gar nicht mehr i n Betracht kam, sondern allenfalls noch als „allgemeine Regel", optisch an den Anfang gestellt, die dann durch „Ausnahmen" ausgehöhlt werden sollte. I n der Diskussion rückte zunächst der österreichische Delegierte von dem HGB-Entwurf Österreichs ab, der entgegen der österreichischen Rechtstradition erstmals die unbeschränkte Reederhaftung vorgeschlagen hatte; nach nochmaliger Prüfung, auch durch Sachverständige, wurde nunmehr dem System der beschränkten Reederhaftung der Vorzug gegeben. Inhaltliche Gründe für diesen Meinungsumschwung w u r den nicht genannt; vielmehr wandte sich der Delegierte sogleich der Frage zu, „wie das eben erwähnte Prinzip am passendsten zu formulieren sei" 1 0 0 . Dennoch kam es i n derselben Sitzung noch zu einer Grundsatzdiskussion über die Frage, ob die Haftung des Reeders auf die fortune de mer beschränkt werden sollte. Die Argumente der beiden Meinungsgruppen sollen kurz referiert werden. Nur einige Mitglieder 1 9 1 — sie blieben bei der Abstimmung i n der Minderheit — sprachen sich für die unbeschränkte Haftung aus mit folgender Begründung: Der Umstand, daß der Reeder den Schiffer i m Ausland nicht kontrollieren könne, spreche zunächst scheinbar dafür, den Reeder „gegen Versehen und betrügerische Handlungen" des Schiffers durch Beschränkung der Haftung auf die fortune de mer zu schützen. Dagegen spreche aber, daß die Haftungsbeschränkung dem Reeder mehr Schaden als Nutzen bringen werde. Der Kapitän (Schiffer) müsse i m Ausland Kredit aufnehmen können, wie er sonst gezwungen sei, „ i n Nothfällen Bodmerei zu nehmen". Wegen der hohen Prämien sei die Bodmerei geradezu ein Unglück für den Reeder. Anderen Kredit erhalte der Kapitän i m Ausland aber nur, wenn die Darlehensgeber wüßten, daß ihnen das ganze Vermögen des Reeders hafte. Die Erfahrung habe bestätigt, „daß je strenger die Verpflichtung der Rhederei, umso größer der Credit und um so ersprießlicher ihr Geschäftsbetrieb sei" 1 9 2 . 190 M 1 192
Protokolle, S. 1586. Protokolle, S. 1581. Protokolle, S. 1590.
10. Die Erweiterung der Vertragshaftung des Kapitäns
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Die Gegenmeinung, nach der die Reederhaftung beschränkt sein sollte, war nur i n der Frage, i n welchen Fällen die Beschränkung eintreten sollte, gespalten. Die erste Gruppe wollte den Reeder persönlich und m i t seinem ganzen Vermögen „für die Handlungen, welche der Schiffer innerhalb seiner gesetzlichen Befugnisse vornehme" haften lassen. Dagegen sollte die Haftung „ i n Ansehung der aus schuldbaren Handlungen und Unterlassungen der Schiffer" auf die fortune de mer beschränkt sein; diese sollten „nicht allein die außerhalb der Vertragsverhältnisse vorkommenden, sondern auch die der Erfüllung von Verträgen vorkommenden Rechtswidrigkeiten der Schiffer" umfassen, also z. B. auch den Fall, „daß der Schiffer einen Frachtvertrag brechen würde" 1 9 3 . Entsprechende gesetzliche Bestimmungen würden vom Reeder ein zu großes Risiko fernhalten, andererseits aber — und hier stimmte diese Meinungsgruppe mit den Verfechtern der unbeschränkten Reederhaftung überein — den Schiffer i m Ausland „nicht creditlos" stellen. Zur weiteren Begründung ihrer Ansicht beriefen sich diese Kommissionsmitglieder auf die Geschichte der Reederhaftung, die schon i m Consolato del mare 1 9 4 niedergelegt und später wieder i n der ordonnance de la marine von 1681195 „förmlich und ausdrücklich sanktioniert" worden sei 198 . Allerdings sei schon bei der ordonnance de la marine ein jahrhundertelanger Streit darüber entstanden, ob die Beschränkung der Reederhaftung bei allen Handlungen des Schiffers eingreife oder nur bei Delikten und Quasidelikten. Schließlich begründeten die Vertreter dieser Meinungsgruppe ihre Auffassung m i t der praktisch nur geringfügigen Abweichung vom System der grundsätzlichen Beschränkung der Haftung des Reeders für alle Handlungen des Schiffers. Der Schiffer schließe nämlich nur Frachtgeschäfte oder Kreditgeschäfte ab. Bei Frachtverträgen „werde nur die Haftung für eine ordentliche Erfüllung derselben durch den Schiffer i n Frage kommen. Unterlassung der Erfüllung oder mangelhafte Ausführung solcher Verträge durch den Schiffer seien aber Rechtswidrigkeiten desselben; für diese, somit für die Erfüllung der Frachtverträge durch den Schiffer überhaupt, habe die Rhederei also auch nach dem hier vertretenen System nur m i t der fortune de mer einzustehen". Bei den Kreditgeschäften gehe es nur u m die Haftung für solche, die der Schiffer i m Rahmen seiner gesetz193
Protokolle, S. 1590. I m 13. Jahrhundert entstehende Sammlung von Rechtssprüchen der catalonischen Seestädte, insbesondere Barcelonas, die sich allmählich i m Mittelmeerraum u n d auch darüber hinaus als bedeutende Seerechtsquelle durchsetzte. Vgl. Wagner, Handbuch des Seerechts, S. 40 f., v. Kaltenborn, S. 22 f. 195 I n Nordfrankreich von einem unbekannten Verfasser geschriebenes Rechtsbuch, das die Grundlage des Seerechts der normannischen Völker geworden ist, vgl. Wagner, S. 48 ff. 19e Protokolle, S. 1590. 194
6*
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
lieh umschriebenen Vertretungsmacht eingehe, also nicht u m solche, zu denen i h n der Reeder rechtsgeschäftlich ermächtigt habe; für die letzteren hafte der Reeder immer unbeschränkt. Die gesetzlichen Befugnisse seien aber i n dem den Beratungsgegenstand bildenden preußischen Entwurf (Art. 429) so eng gefaßt, daß i n solchen Fällen „eine Haftbarkeit der Rhederei m i t dem ganzen Vermögen nicht minder gerecht (scheine), als für das wahre Interesse der Rheder ungefährlich, als sie manche Versicherung entbehrlich mache" 197 . Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder vertrat demgegenüber jedoch die Auffassung, „daß i n der Regel und abgesehen von besonders zu bezeichnenden Ausnahmefällen die Rhederei für die vom Schiffer innerhalb seiner gesetzlichen Befugnisse eingegangenen Verträge überhaupt, also für die Erfüllung und die bei der Erfüllung vorkommenden Rechtswidrigkeiten nur m i t der fortune de mer zu haften haben solle" 198 . Auch diese Meinungsgruppe berief sich auf die historische Entwicklung, insbesondere deren Interpretation durch „die namhaftesten j u r i stischen Autoritäten Deutschlands und Hollands", welche die beschränkte Reederhaftung als das „gemeinhin gültige Prinzip" und „als das gemeinrechtliche" bezeichnet hätten 1 9 9 . Interessanterweise räumten die Vertreter dieser Meinungsgruppe ein, daß die oben bereits erwähnte Kontroverse über die Auslegung der ordonance de la marine i n Frankreich durch ein Gesetz vom 14. Juni 1841 zugunsten der Reeder entschieden worden sei. Z u diesem Gesetz sei es gekommen, weil der cour de cassation kurz vorher i n drei Fällen die persönliche Haftung des Reeders für Handlungen des Schiffers bejaht habe. Gegen diese Urteile habe sich „die allgemeine Stimme erhoben . . . , ein Beweis, daß nach allgemeiner Überzeugung das Prinzip der beschränkten Haftung das allein richtige sei" 2 0 0 . Zur inhaltlichen Begründung ihrer Meinung trugen diese Kommissionsmitglieder vor, die unbegrenzte Reederhaftung habe ihren Ursprung w o h l i n den Bestimmungen des Römischen Rechts über die actio exercitoria, jedoch seien die jetzigen Handels- und Verkehrsverhältnisse ganz anders als bei den Römern. Insbesondere die Kommunikationsmittel seien i n den letzten Jahren so vermehrt worden, daß der Verkehr über die ganze Erde wesentlich erleichtert und dadurch das Bedürfnis für eine „sehr freie Stellung des Schiffers" geschwunden sei. Auch das römisch-rechtliche Rechtsinstitut passe nicht mehr, denn 197 198 199 200
Protokolle, Protokolle, Protokolle, Protokolle,
S. 1591. S. 1591. S. 1592. S. 1592.
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85
die Person des Exercitors 2 0 1 sei immer mehr i n den Hintergrund, die der Eigentümer, also der Reeder, und damit das Schiff 02, dagegen mehr oder fast ausschließlich i n den Vordergrund getreten; „wer mit dem Schiffer contrahire, contrahire nicht sowohl m i t i h m als Vertreter des Rheders, sondern als Vertreter des Schiffes, habe Letzteres und nicht Ersteres i m Auge 2 0 3 ." Dieses Argument diente den Vertretern zur Begründung der Beschränkung der Haftung gerade auf das Schiff. Auch bei Frachtverträgen würde sich jetzt niemand mehr nach dem Reeder erkundigen, wenn er mit dem Kapitän eines fremden Schiffes den Vertrag abschließe. „Wer also mit dem Schiffer sich einlasse, sehe das Schiff als das Objekt an, an welches er sich zu halten habe, könne sich daher auch nicht beklagen, wenn er auf das Schiff, und nur auf dieses verwiesen werde 2 0 4 ." Daß der Reeder wegen der höheren Kreditwürdigkeit des Schiffers ein eigenes Interesse an seiner unbeschränkten Haftung habe, treffe auch nicht zu, denn der Dritte gebe dem Schiffer „ w o h l nur selten aus Rücksicht auf den Rheder" Kredit, „es sei denn auf Grund von Creditbriefen, m i t welchen ein vorsichtiger Rheder überdies den Capitain . . . ausstatten werde" 2 0 5 . Bodmereien würden durch eine unbeschränkte Reederhaftung daher auch nicht vermieden werden. Die meisten Seerechte m i t prinzipiell unbeschränkter Reederhaftung beschränkten diese für die Fälle unerlaubter Handlungen des Kapitäns, woraus folge, daß nur das Prinzip beschränkter Reederhaftung dem allgemeinen Rechtsbewußtsein entspreche, denn diese Ausnahme von der unbeschränkten Haftung entspreche gerade nicht der Billigkeit; ein durch Verschulden des Schiffers Übersegelter verdiene viel eher größeren Schutz als ein Vertragspartner des Reeders. Abschließend wurde zugunsten der beschränkten Reederhaftung folgendes vorgetragen. Mehrere neue Seerechte hätten die beschränkte Reederhaftung angenommen, von verantwortlichen Nachteilen wäre aber nichts bekannt geworden. Führe man dagegen die unbeschränkte Haftung ein, „seien die deutschen Rheder gegenüber den anderen i m Nachteil". Wenn England und die USA die beschränkte Reederhaftung „bereits angenommen haben oder noch annehmen (sollten), so würden die deutschen Rheder ganz schlimm dran sein . . ." 2 0 e . Bei der die Diskussion abschließenden Abstimmung wurde die Grundsatzfrage, „ob die Rheder, vorbehaltlich der besonders zu berathenden 201 202 203 204 205 206
Nach Vorstellung dieser Kommissionsmitglieder der Kapitän. Hervorhebung von mir. Protokolle, S. 1592. Protokolle, S. 1592/1593. Protokolle, S. 1593. Protokolle, S. 1594.
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und i m Gesetz aufzustellenden Ausnahmen, für die vom Schiffer innerhalb des Bereichs seiner gesetzlichen Vollmacht abgeschlossenen Verträge und dessen, innerhalb der Vertragsverhältnisse vorkommende, Rechtswidrigkeiten nur m i t dem der See anvertrauten Vermögen haften sollten . . . " mit 9 gegen 2 Stimmen bejaht; die Vertreter der zuletzt wiedergegebenen Position müssen also mindestens Kommissionsmitglieder, die sich für die „gemäßigt beschränkte" Reederhaftung ausgesprochen hatten, für sich gewonnen haben. 10.5.1. Der Begriff „fortune
de mer"
U m Mißverständnisse zu vermeiden, muß an dieser Stelle der Begriff „fortune de mer" erläutert werden. Er bedeutet nicht etwa, was von der Formulierung her naheläge, das gesamte schwimmende Gut des Reeders, also seine sämtlichen Schiffe. Vielmehr bestand von Anfang an i n der Kommission Einigkeit darüber, daß lediglich das eine Schiff, auf das sich der Seefrachtvertrag bezieht, oder das, etwa durch Zusammenstoß mit einem anderen Schiff, den Schaden gestiftet hat, als Haftungsobjekt i n Betracht kommt. Streitig war lediglich, inwieweit die Fracht der betreffenden Reise ebenfalls zur fortune de mer gehöre. Diese Frage ist durch A r t . 452 ADHGB, dem § 486 HGB i n ursprünglicher Fassung entsprach, i n dem Sinne geregelt worden, daß der Reeder für die i n A r t . 452 genannten Tatbestände nur „ m i t Schiff und Fracht" hafte; auf die Einzelheiten des Begriffs Fracht braucht i m Zusammenhang dieser Arbeit nicht näher eingegangen zu werden 2 0 7 . Schon hier läßt sich feststellen, daß die Reeder ihre Interessen i n der Kommission grundsätzlich durchsetzen konnten. Bevor eine Relation zwischen beschränkter Reederhaftung und erweiterter Vertragshaftung des Kapitäns hergestellt wird, soll die praktische Auswirkung der Beschränkung der Reederhaftung nach dem A D H G B i m letzten D r i t t e l des 19. Jahrhunderts verdeutlicht werden. Dazu ist es erforderlich, auf den realistischen Fall des vollständigen Verlusts der fortune de mer durch Untergang des schadenstiftenden Schiffes einzugehen. 10.5.2. Die wirtschaftliche Situation der Beteiligten bei einem Totalverlust Die wirtschaftliche Situation der Beteiligten bei Totalverlust des Schiffes läßt sich am besten an einem Beispiel aufzeigen. Das Beispiel ist auf die Verhältnisse u m 1860 bezogen, weil nur Konstellationen, die i n der Zeit möglich waren, die Vorstellungen der Kommissionsmitglieder beeinflußt haben können. 207 Die Diskussion u m den Begriff „Fracht" ist i n mehreren Sitzungen gef ü h r t worden, siehe vor allem: Protokolle, S. 1595—1598 und S. 1600—1606.
10. Die Erweiterung der Vertragshaftung des Kapitäns
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Wie unter 4.3.2. dargestellt wurde, gab es seit den 1830er Jahren für den Seehandel brauchbare Dampfer, wenn auch i n geringer Zahl. Die Entwicklung des Schiffsbaus i n dieser Zeit war rasant. Es sei daran erinnert, daß die H A P A G seit 1855 den Personen- und Frachtverkehr zunehmend mit Dampfern betrieb, und der Norddeutsche Lloyd schon kurz nach seiner Gründung 1859 m i t der ersten „Bremen" ein großes stählernes Dampfschiff einsetzte. England war der deutschen Entwicklung u m Jahrzehnte voraus und verfügte Ende der 1850er Jahre bereits über eine beachtliche Dampferflotte. Die Konstellation eines Zusammenstoßes zweier Dampfer, etwa i m Englischen Kanal, ist also für die Fachleute der Kommission durchaus i m Bereich des Vorstellbaren. Ein Hamburger Dampfer m i t einer Kohlenladung aus England stößt i m Englischen Kanal mit einem von England nach den USA fahrenden Stückgutfrachter, der Maschinen für den Eisenbahnbau und zugleich mehrere hundert Auswanderer befördert, zusammen. Ursache für den Zusammenstoß ist ein fehlerhaftes Manöver des Hamburger Kapitäns i n einer kritischen Situation mit Segelschiffen auf der damals schon stark befahrenen Wasserstraße. Unterstellt, beide Schiffe sinken infolge des Zusammenstoßes, haften dem Reeder, dem Eigentümer der wertvollen Maschinen und den Auswanderern für ihr Hab und Gut allein die Fracht, die der Reeder für diese Kohlenladung bekommen oder noch zu fordern hat — und der Kapitän bzw. seine Erben mit dessen gesamtem Vermögen. 10.5.3. Keine Haftung des Reeders mit der Kaskoversicherungssumme Der Hamburger Reeder aber erhält die Versicherungssumme für den Dampfer und kann sich dafür ein neues Schiff kaufen, denn die Versicherungssumme fällt nach der unter dem A D H G B und dem HGB i n seiner ursprünglichen Fassung nicht unter die fortune de mer oder i n der Gesetzessprache ausgedrückt unter das Tatbestandsmerkmal „Schiff". Der Ausschluß der Kaskoversicherungssumme aus der fortune de mer, der übrigens bis zur Einführung der Summenhaftung durch das Seerechtsänderungsgesetz vom 21. 6.1972 aufrecht erhalten geblieben ist 2 0 8 , wurde i n der Kommission m i t folgenden Erwägungen begründet: 208 I n der L i t e r a t u r zum A D H G B u n d zum H G B von 1897/1900 w i r d zu dem Problem gar nicht Stellung genommen. Die Frage ist offenbar erst streitig geworden, als Wüstendörfer i n seinem 1947 erschienenen Werk „ N e u zeitliches Seehandelsrecht" die Auffassung vertrat, m i t dem Schiffsbankgesetz von 1933 erstrecke sich die Haftung des Schiffes nicht n u r zugunsten des Schiffshypothekengläubigers, sondern auch zugunsten anderer Gläubiger auf die Versicherungsforderung, S. 123. Diese Auffassung fand keine Anhänger, u n d das O L G K ö l n als Rheinschiffahrts-Obergericht entschied 1955, daß diese kein Haftungssurogat sei, M D R 1955, S. 485; vgl. weiter Schlegelberg er / Lieseke, Seehandelsrecht, B e r l i n u n d F r a n k f u r t 1959, § 486
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„Sinn der Versicherung sei es, i m Schadensfall Ersatz zu erhalten. Dieser Sinn würde gänzlich vereitelt, wenn die Versicherungsgelder abgetreten werden müßten. Außerdem würden Schadensfälle unterschiedlich behandelt werden je nachdem, ob das Schiff versichert sei oder nicht; ob eine Versicherung genommen werde, bliebe doch immer eine Sache der freien Wahl 2 0 9 ." „Die Versicherung sei für den Dritten etwas i h m ganz Fremdes, das i h n garnichts angehe 210 ." Ferner wurden technische Schwierigkeiten ins Feld geführt. Wollte man Dritte i m Schadensfall an der Versicherungssumme beteiligen, müßten sie nach glücklich verlaufener Reise auch zu den Versicherungsprämien anteilig herangezogen werden, wovon „noch nie die Rede gewesen sei und nicht die Rede sein könne" 2 1 1 . Dem naheliegenden Hinweis, daß i m Hypothekenrecht fast aller Länder an Stelle der versicherten Sache i m Falle ihres Untergangs die Versicherungssumme hafte, wurde damit begegnet, dieser Schuldner hafte regelmäßig den Gläubigern auch persönlich mit seinem ganzen Vermögen, also auch mit der Versicherungssumme, „bei den hier ausschlaggebenden Fällen hafte aber nur die fortune de mer; dort handele es sich auch nur u m die Priorität, hier um den Anspruch selbst" 212 . Bei der Abstimmung votierten 9 Kommissionsmitglieder dafür, die Versicherungssumme nicht als Surrogat gelten zu lassen, 2 dagegen. 10.5.4. Beschränkte Reederhaftung
zu Lasten des Kapitäns
I m Rahmen dieser Untersuchung, bei der es nur u m die Aufdeckung der Gründe für die unbeschränkte Haftung des Kapitäns nicht nur gegenüber dem Reeder, sondern auch gegenüber den i m Gesetz bezeichneten Dritten geht, brauchen die wiedergegebenen Auffassungen nicht bewertet zu werden. Es genügt, wenn herausgestellt wird, daß i n dem für die Schaffung des A D H G B maßgeblichen Gremium die Interessen des Kapitäns nicht nur durch Kommissionsmitglieder nicht vertreten waren, sondern nicht einmal erwähnt wurden. Dagegen setzten sich die Reederinteressen i n allen Punkten gänzlich durch. Der wahre Grund für Rdn. 4 u n d Prüssmann, Seehandelsrecht, § 486 A n m . D 2 b, beide m i t weiteren Nachweisen. 209 Damit w i r d der Eindruck erweckt, als sei die Versicherung eines Seeschiffes nicht selbstverständlich. Tatsächlich w a r das Transport- u n d Seeversicherungswesen damals auch i n Deutschland schon w e i t entwickelt. 1857 gab es i n Deutschland 15 Versicherungen, die derartige Risiken versicherten. — Vgl. Manes, Versicherungswesen i n Deutschland als Weltmacht, Berl i n o. J. (1911), S. 428 ff., 436. Davon abgesehen gab es seit Jahrhunderten i n England den Lloyd, der auch deutschen Reedern offenstand. 210 Protokolle, S. 1608. 211 Protokolle, S. 1609. 212 Protokolle, S. 1607/1608 u n d 1609/1610; 4069/4070.
10. Die Erweiterung der Vertragshaftung des Kapitäns
89
die Ausdehnung der Vertragshaftung des Kapitäns liegt i n der Begrenzung der Reederhaftung. Das ist i n der Kommission auch so gesehen, allerdings nicht als Problem empfunden worden. Wie schon ausgeführt, war die Ausweitung der Kapitänshaftung selbst gar nicht bzw. mit der unzutreffenden Analogie zum Landfrachtvertrag begründet worden. A n die Grundsatzentscheidung hatten sich Erwägungen über den Personenkreis angeschlossen, dem gegenüber der Kapitän unmittelbar haften sollte, und die Haftung auch gegenüber Schiffsmannschaft und Passagieren wurde als geboten angesehen, „ w e i l sonst eine große Unbilligkeit entstehen würde, indem der Ablader und der Ladungsempfänger dann, wenn eine Klage gegen den Rheder, der nur mit der fortune de mer hafte, wegen des Untergangs der letzteren fruchtlos wäre, noch ein M i t t e l hätten, u m sich wegen des durch Schuld des Schiffers entstandenen Schadens Ersatz zu verschaffen, die Schiffsmannschaft und Passagiere nicht" 2 1 3 . Man kann also sagen, daß die Beschränkung der Reederhaftung durch, die Ausweitung der Haftung des Kapitäns gegenüber dem i n Art. 479 Abs. 1 A D H G B genannten Personenkreis ausgeglichen werden sollte. Über die Frage, m i t welchen M i t t e l n der Kapitän denn eigentlich haften sollte, ist mangels Vertretung der Kapitäne i n der Kommission überhaupt nicht nachgedacht worden. Andernfalls hätte sich herausgestellt, daß der prinzipiell von seinem Gehalt lebende Kapitän für die auch damals schon gewaltigen Risiken faktisch gar nicht haften konnte, weil sein privates Vermögen dafür nicht ausreichte. Wegen der mangelnden rationalen Begründbarkeit der erweiterten Kapitänshaftung, gerade i m Verhältnis zur beschränkten Reederhaftung, wurden i n der Literatur gleich nach Inkrafttreten des A D H G B Versuche unternommen, einsehbare Gründe zu finden. Vor allem die geschichtliche Entwicklung wurde herangezogen. So sollte die beschränkte Reederhaftung altdeutschen Ursprungs sein, die unbeschränkte Kapitänshaftung dagegen aus dem „gemeinen deutschen Seerecht römischer Tönung" hervorgegangen sein 214 . Tatsächlich haben derartige Vorstellungen, wenn überhaupt, nur eine ganz untergeordnete Rolle gespielt und dienten nur zu zusätzlicher Begründung des Interessenstandpunktes. Bezeichnenderweise sahen sich, wie oben dargelegt worden ist, bei der Begründung der beschränkten Reederhaftung Kommissionsmitglieder genötigt, römisch-rechtliche Konstruktionen, die offenbar nahelagen, gerade als nicht mehr zeitgemäß zurückzuweisen, und der Rückgriff auf das Mandat beim Versuch, das Verhältnis zwischen Reeder und Kapitän zu erklären, war nur möglich, weil Wesenselemente des Mandats wie die Unentgeltlichkeit außer acht gelassen wurden; die Konstruktion war juristisch also fehlerhaft. 213 214
Protokolle, S. 1929. So Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 120 u n d 185.
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
10.5.5. Argumente, die unbeschränkte Kapitänshaftung nachträglich zu begründen Infolgedessen sind später i n der Literatur andere Versuche zur Rechtfertigung der Kapitänshaftung unternommen worden. Wüstendörfer meint, „es handle sich . . . u m eine quasivertragliche Haftung atavistischer A r t , beibehalten als Ansporn zu äußerster Sorgfalt" 215. Dieses Argument greift möglicherweise Erwägungen i n der Kommission auf; dort wurde bei den Beratungen über die Beschränkung der Reederhaftung mehrfach geäußert, der Reeder könne den Kapitän i m Ausland nicht kontrollieren und zur Erfüllung seiner Pflichten anhalten; gegen zu große Schäden könne sich der Reeder nur durch Haftungsbeschränkung schützen 216 . Auch hier stand also allein das Interesse des Reeders zur Diskussion, und Wüstendörfers Erwägung kann höchstens als eigener Schluß aus diesen Diskussionsbeiträgen angesehen werden. Als weiteres Argument für die unbeschränkte Haftung des Kapitäns haben Schaps / Abraham angeführt, dieses besondere Berufsrisiko finde bereits seinen Ausgleich i n der sozial und finanziell gehobenen Stellung des Kapitäns 2 1 7 . I n der neuen Auflage w i r d dieser Gesichtspunkt nicht mehr erwähnt 2 1 8 . Hiergegen ist m i t Recht eingewandt worden, daß der Kapitän mit seinem Gehalt und seinen Ersparnissen zu keiner Zeit für das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit für den Reeder einstehen könnte 2 1 9 . Infolge der Außerachtlassung der Interessen des Kapitäns i n der Kommission ist die soziale und rechtliche Lage des Kapitäns gar nicht zur Kenntnis genommen worden. Nirgends findet sich ein Hinweis darauf, daß der Abstieg des Kapitäns vom Mit-Unternehmer zum A r beitnehmer, der einerseits durch die schon beschriebene Tendenz zum Verlust der Mitreederstellung begründet und andererseits gerade durch das A D H G B m i t seinem Verbot jeglicher Führung (Art. 514) und die Verpflichtung zur Ablieferung von Kaplaken an den Reeder (Art. 513) beschleunigt wurde, den Kommissionsmitgliedern überhaupt klar gewesen ist. Nur so konnte es zur gesetzlichen Normierung einer Unternehmerhaftung für den Kapitän kommen, ohne daß dieser noch Unternehmer war und ohne daß i h m ein Unternehmervermögen zur Verfügung stand. Diese der tatsächlichen Stellung des Kapitäns unangemessene 215
mir. 2le
Wüstendörfer,
Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 185, Hervorhebung von
Protokolle, S. 1591. Das deutsche Seerecht, Kommentar, Bd. 2, B e r l i n 1962, § 607 A n m . 48. 218 4. Aufl. § 485 Rdn. 21 u n d 22 und § 511 Rdn. 13. 210 Vgl. Nützel, Haftungsrechtliche Fragen bei Unfällen von Tankschiffen auf hoher See, Diss. Münster 1969, S. 93 m i t Nachweis f ü r das französische Recht. 217
10. Die Erweiterung der Vertragshaftung des Kapitäns
91
rechtliche Regelung i m ADHGB hat zu einer Verdunkelung der Lage des Kapitäns beigetragen und zusammen mit der hohen Selbsteinschätzung vieler Kapitäne bis weit i n das 20. Jahrhundert hinein, die es nicht zuließ, den Arbeitnehmerstatus zu akzeptieren, dazu geführt, daß die Kapitäne für sich keine angemessene gesetzliche Regelung der Haftung erkämpft haben. Die tiefe K l u f t zwischen den Kapitänen einerseits und der Mannschaft andererseits, die durch die sogleich abzuhandelnden Seemannsordnungen von 1873 und 1903 noch vertieft wurde, machte es auch unmöglich, daß Kapitän und Seeleute gemeinsam für die Verbesserung ihrer Lage kämpften; die Kapitäne standen vielmehr immer i m Lager der Reeder. Ein weiterer Grund für das Fortbestehen der unbeschränkten Haftung des Kapitäns bis heute kann darin liegen, daß vom Regreßrecht gegen den Kapitän „ i n der Praxis wenig Gebrauch gemacht w i r d " 2 2 0 . Zur Begründung führt Sotiropoulos aus, das Vermögen der schuldigen Personen 221 reiche oft kaum aus, um einen einigermaßen befriedigenden Rückgriff des Reeders zu ermöglichen, und ein solcher Rückgriff würde auch als unbillig empfunden. Ob diese Annahme zutrifft, ist schwer zu überprüfen. Die Zusammenstellung der Haftungsfälle aus Art. 478, 479 ff. A D H G B und §§ 511, 512 HGB bei Paul Abraham, auf die schon eingegangen wurde, umfaßt immerhin rund 90 Rechtsstreitigkeiten 222 . Schlegelberger / Lieseke, die einerseits von der moralischen Bedeutung des Regreßanspruchs sprechen, zählen immerhin rund 50 Fälle, allein zwischen 1957 und 1958, auf, i n denen es um die Haftpflicht des Kapitäns ging. Die Ansicht, der Regreßanspruch habe kaum praktische Bedeutung, ist also für die Vergangenheit zumindest zweifelhaft; ob die Inanspruchnahme des Kapitäns unter dem Gesichtspunkt eines Freistellungsanspruchs gegen den Reeder an Bedeutung verliert, w i r d noch zu erörtern sein.
220 Sotiropoulos, Die Beschränkung der Reederhaftung, B e r l i n 1962, S. 76; vgl. auch Schlegelberger / Lieseke, Seehandelsrecht, § 485 Rdn. 4 „Die Feststellung, daß der Reeder einen Ersatzanspruch gegen den Schuldner hat, hat sicher mehr moralische als wirtschaftliche Bedeutung". 221 Sotiropoulos behandelt an dieser Stelle Kapitän, Schiffsoffiziere, Besatzungsmitglieder u n d Lotsen. 222 paui Abraham, Die hanseatische Rechtsprechung, S. 20—24.
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
11. Die Rechtsstellung des Kapitäns nach der Seemannsordnung vom 1. 3.1873 11.1. Vorbemerkung
Durch die Seemannsordnung vom 1. 3.1873 wurde der 4. Titel des 5. Buches des ADHGB, A r t . 528—556 aufgehoben. A n die Stelle der 29 A r t i k e l des A D H G B traten 111 Paragraphen der Seemannsordnung. Die „Motive zu dem Entwurf einer Seemannsordnung" rechtfertigen die aus Gründen der Systematik bedauerte Reißung der Lücke i n das ADHGB mit der Erwägung, das A D H G B habe den Gegenstand auch nicht annähernd i n dem Umfange, wie dies als Aufgabe einer „Seemannsordnung" anzusehen sei, erschöpft. „Vor A l l e m enthält das Handelsgesetzbuch — i n seiner gesamten Anlage bestimmungsgemäß — überwiegend nur Satzungen privatrechtlichen Inhalts. Die dem öffentlichen Rechte angehörigen Beziehungen, insbesondere die polizeiliche und strafrechtliche Seite, sind ganz ausgeschlossen oder doch nur gelegentlich i n einzelnen Bestimmungen berührt 2 2 3 ." Es ist überraschend, daß nur wenige Jahre nach Aufhebung der Koalitionsverbote und Ablehnung strafrechtlicher Sanktionen für Kontraktbruch i n der GewO 2 2 4 die deutsche Reichsregierung i n ein Gesetz zur Regelung eines Arbeitsverhältnisses öffentlich-rechtliche, insbesondere polizeiliche und strafrechtliche, Bestimmungen aufzunehmen für nötig hielt. Damit knüpfte die Regierung an die Traditionen u. a. der „Obrigkeitlichen Verordnung, zu Pflichten u. Recht der auf Bremischen Seeschiffen fahrenden Seeleute . . . " vom 15. Nov. 1852 an, die oben eingehend behandelt worden ist; die bremische Verordnung war 1872 noch i n Kraft, weil sie nach § 42 des Einführungsgesetzes zum A D H G B aufrecht erhalten worden war 2 2 5 . Sie wurde dann auch neben einer anderen Reihe von Gesetzen, die i n den Motiven a.a.O. aufgeführt worden sind, Grundlage für die Seemannsordnung von 1873. A u f den ersten Blick ist überraschend, daß die Seemannsordnung an Normen vor Einführung der Gewerbefreiheit anknüpfte und die sozialen Errungenschaften der Gewerbeordnung (GewO) von 1869, vor allem die Aufhebung der Koalitionsverbote, die Ausschließung strafrechtlicher Sanktionen bei Kontraktbruch 2 2 6 , den Seeleuten vorenthielt. 223 „ M o t i v e zu dem E n t w u r f einer Seemannsordnung", Dt. Reichstag, 1. Legislaturperiode, I I I . Session 1872. 224 Nelken, Die deutschen Handwerker u n d Arbeiterschutzgesetze 1901, § 105 GewO A n m . 10; A. Landmann, Kommentar zur Gewerbeordnung für das deutsche Reich, 5. Aufl., I I . Bd., München 1907, § 105. 225 Motive, S. 293. 226 Vgl. Nelken, § 105 GewO Anm. 10; Landmann, § 105 GewO A n m . 3 k.
11. Rechtsstellung d. Kapitäns nach d. Seemannsordnung v. 1. 3.1873
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Diese Entwicklung war aber keineswegs zufällig; sie hatte sich schon bei der Schaffung der Gewerbeordnung durchgesetzt, die für Landarbeiter, Arbeitnehmer der See- und Binnenschiffahrt und des Eisenbahnwesens nicht galt. Sozial-ökonomisch gesehen hatten also die i n Preußen noch immer maßgebenden feudalistischen Großagrarier ihre Gesindeordnungen vor dem Zugriff der Liberalen gewahrt; gemeinsam hatten dann Agrarier und Industrielle ihre übereinstimmenden Interessen an möglichst niedrigen Verkehrstarifen und einem störungsfreien Verkehrsnetz dadurch gesichert, daß sie sowohl den Eisenbahn- wie den Schiffahrtssektor von der Geltung der Gewerbeordnung ausnahmen, damit i n diesen Bereichen die Koalitionsverbote aufrecht erhalten blieben und sie sich die Möglichkeit schufen, i n diesen Sektoren Regelungen zu treffen, die die Lohnarbeiter dieser Bereiche i n ihren Rechtsstatus hinter den des sog. freien Lohnarbeiters i n der Fabrik zurückfallen ließen 227 . Zutreffend hebt Geffken hervor, daß der Arbeitsvertrag i n der bürgerlichen Gesellschaft grundsätzlich unter Ausschluß staatlicher Gewalt zustandekommt und vollzogen wird; die staatliche Gewalt hat „normalerweise" lediglich die Funktion einer indirekten Gewährleistung beidseitiger Vertragserfüllung durch die zur Verfügungstellung zivilprozessualer Durchsetzungsmöglichkeiten 228 . 11.2. Die Rechtsstellung des Kapitäns und die der Seeleute nach der Seemannsordnung vom 1. 3.1873
U m die Rechtsstellung des Kapitäns beurteilen zu können, ist es erforderlich, auch auf die Rechtsverhältnisse der Seeleute einzugehen. Das Vertragsverhältnis ist i n §§ 24—71 abgewickelt. Zwar ist die Höhe des Honorars grundsätzlich durch Vertrag zu vereinbaren, jedoch sieht § 25 vor, daß beim Fehlen einer ausdrücklichen Erklärung hierüber diejenige Heuer als vereinbart anzusehen ist, welche das Seemannsamt i m Musterungshafen für die übliche erklärt. I n den Motiven heißt es hierzu, „erfahrungsgemäß wäre bei dem Abschluß von Heuerverträgen der Betrag der Heuer i n überaus häufigen Fällen i n solcher Weise vereinbart, i n denen die beiderseits Betheiligten bei der Anheuerung bzw. bei der Verheuerung der Natur des Sachverhältnisses entsprechend davon ausgehen, daß die zur Zeit der Anmusterung nach den Umständen des Falles übliche Heuer gezahlt werden solle. I n der Praxis 227 Vgl. J. Α. E. Meyer, Der Rechtsbegriff der sozialen Adäquanz ein Veh i k e l des sozialen Wandels?, i n : zur Effektivität des Rechts, Jahrbuch für Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie, Bd. 3 o. O. o. J., S. 164; Geffken, Seeleutestreik, S. 28. 228 Geffken, S. 25.
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
hat sich hieraus, ähnlich wie bei dem Gesindeverhältnis, das Bedürfniß ergeben, von vornherein den Streitigkeiten vorzubeugen, welche über den als üblich anzunehmenden Betrag bei der Anmusterung entstehen können. Das Seemannsamt, welchem schon durch die vor demselben stetig stattfindenden Anmusterungen das vollständige Material für die Beurtheilung jederzeit gegenwärtig ist, erscheint vorzugsweise geeignet, eine sachgemäße, beiden Theilen gerecht werdende Feststellung zu treffen" 2 2 9 . Angesichts des Fehlens jeder Gewerkschaftsbewegung bei den Seeleuten zu dieser Zeit wurden die Heuern von den Reedern festgesetzt, und das Seemannsamt sanktionierte die Festsetzung „ i n überaus häufigen Fällen" dadurch, daß es sie für vertraglich vereinbart erklärte. Nach § 29 kann der Kapitän den Schiffsmann, der nach Anmusterung den Dienst nicht antritt oder sich der Fortsetzung des Dienstes entzieht, zur Erfüllung seiner Pflicht durch das Seemannsamt zwangsweise anhalten lassen, wofür der Schiffsmann die Kosten zu tragen hat. Zwar ist nach § 106 gegen die Entscheidung des Seemannsamtes der Rechtsweg eröffnet, jedoch ist die Entscheidung des Seemannsamtes vorläufig vollstreckbar. Die Konsequenz dieser Regelung war, daß der Schiffsmann, ohne eine Prüfung seiner Gründe vor einem ordentlichen Gericht durchsetzen zu können, zum Aufnehmen des Dienstes oder zu dessen Fortsetzung auf Veranlassung des Kapitäns gezwungen werden konnte 2 3 0 . § 30 der Seemannsordnung verpflichtet den Schiffsmann, i n A n sehung des Schiffsdienstes den Anordnungen des Schiffers unweigerlich Gehorsam zu leisten und zu jeder Zeit alle für Schiff und Ladung i h m übertragenen Arbeiten zu verrichten. Diese Verpflichtung erstreckt sich nicht allein auf den Dienst an Bord, sondern auch auf das Be- und Entladen und auf Arbeit an Land und an der Ladung. Eine Arbeitszeitregelung t r i f f t § 31 nur für die Hafenliegezeit; hier ist der Schiffsmann „ n u r i n dringenden Fällen" verpflichtet, länger als 10 Stunden täglich zu arbeiten. Die persönliche Bewegungsfreiheit des Schiffsmanns w i r d durch § 30 Abs. 3 derartig eingeschränkt, daß er ohne Erlaubnis des Schiffers bis zur Abmusterung das Schiff nicht verlassen darf; nach § 78 ist der Schiffer befugt, wenn das Schiff i m Hafen liegt, die Effekten der Schiffsleute zur Verhütung einer Entweichung i n Verwahrung zu nehmen.
229 230
Motive zu § 26, S. 297. Motive zu § 30, S. 298.
11. Rechtsstellung d. Kapitäns nach d. Seemannsordnung v. 1.3.1873
95
N a c h § 34 steht d e m K a p i t ä n das Recht zu, d e n S c h i f f s m a n n i m Range herabzusetzen, u n d seine H e u e r v e r h ä l t n i s m ä ß i g z u v e r r i n g e r n , w e n n nach A n t r i t t d e r Reise e n t d e c k t w i r d , daß dieser z u d e m D i e n s t , z u d e m er sich v e r h e u e r t h a t , u n t a u g l i c h i s t 2 3 1 .
11.3. Disziplinar- und Strafbestimmungen D e r 4. A b s c h n i t t mungen.
der
Seemannsordnung
enthält
Disziplinarbestim-
N a c h § 72 ist d e r S c h i f f s m a n n d e r D i s z i p l i n a r g e w a l t des Schiffers u n t e r w o r f e n . § 73 schreibt v o r , d e r S c h i f f s m a n n habe sich stets n ü c h t e r n z u h a l t e n u n d gegen j e d e r m a n n e i n angemessenes B e t r a g e n z u beobachten. D e m Schiffer u n d d e n sonstigen V o r g e s e t z t e n h a t er m i t A c h t u n g z u begegnen u n d i h r e n d i e n s t l i c h e n B e f e h l e n u n w e i g e r l i c h F o l g e z u leisten. N a c h § 74 t r i f f t d e n S c h i f f s m a n n d i e V e r p f l i c h t u n g , d e m Schiffer a u f V e r l a n g e n w a h r h e i t s g e m ä ß u n d v o l l s t ä n d i g A u s k u n f t ü b e r d i e d e n Schiffsdienst b e t r e f f e n d e n A n g e l e g e n h e i t e n z u e r t e i l e n . Die wichtigsten Disziplinarvorschriften sind: § 79 „Der Schiffer ist befugt, alle zur Aufrechterhaltung der Ordnung u n d zur Sicherung der Regelmäßigkeit des Dienstes erforderlichen Maßregeln zu ergreifen. Z u diesem Zwecke darf er namentlich auch herkömmliche E r schwerungen des Dienstes oder mäßige Schmälerung der Kost, letzteres jedoch höchstens drei Tage, als Strafe eintreten lassen. Geldbuße, körperliche Züchtigung oder Einsperrung darf er als Strafe nicht verhängen. Bei einer Widersetzlichkeit oder bei beharrlichem Ungehorsam ist der Schiffer zur A n w e n d u n g aller M i t t e l befugt, welche erforderlich sind, u m seinen Befehlen Gehorsam zu verschaffen. Er darf gegen die Betheiligten die geeigneten Sicherungsmaßregeln ergreifen u n d sie nötigenfalls während der Reise fesseln. Jeder Schiffsmann muß dem Schiffer auf Erfordern Beistand zur Aufrechterhaltung der Ordnung sowie zur Abwendung oder Unterdrückung einer Widersetzlichkeit leisten. I m Auslande hat der Schiffer i n dringenden Fällen die Kommandanten der i h m zugänglichen Fahrzeuge der Kriegsmarine des Reichs u m Beistand zur Aufrechterhaltung anzugehen." § 78 „Wenn das Schiff i n einem Hafen liegt, so ist der Schiffer befugt, die Effekten der Schiffsleute zur Verhütung einer Entweichung bis zur A b reise des Schiffs i n V e r w a h r u n g zu nehmen." 231 I n der bremischen Verordnung von 1852 traf § 5 bereits eine inhaltlich entsprechende Regelung.
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
Der 5. Abschnitt enthält i n den §§ 81—103 Strafvorschriften. Hiervon betreffen die §§ 96—99 Straftaten des Kapitäns, alle anderen solche der Seeleute. Die gegen den Schiffsmann gerichteten Strafbestimmungen, die denen der bremischen Seemannsordnung von 1852 entsprechen, handeln weit überwiegend von Verletzungen des Arbeitsvertrages. So sind das Nichtantreten des Dienstes und das vertragswidrige Verlassen des Dienstes Straftaten; der Nichtantritt w i r d m i t Geldstrafe bis zu 60 Mark bestraft, der Abbruch des Heuerverhältnisses mit Geldstrafe bis zu 300 Mark oder Gefängnisstrafe bis zu 3 Monaten, § 81. Darüber hinaus verliert er den Anspruch auf die schon verdiente und nicht ausgezahlte Heuer, § 82. Auch bei schwerwiegenden Verstößen des Schiffers gegen seine Pflichten gegenüber dem Schiffsmann darf dieser i m Ausland nicht ohne Genehmigung eines Seemannsamtes den Dienst verlassen, § 61 i. V. m. § 64. Tut er dies dennoch, begeht er eine Straftat, die mit einer Geldstrafe bis zum Betrage einer Monatsheuer gesühnt wird, § 83. Die gleiche Strafe t r i t t nach § 84 bei einer „gröblichen Verletzung seiner Dienstpflichten" ein; hierzu gehören insbesondere Nachlässigkeiten i m Wachdienst, Ungehorsam gegen den Dienstbefehl eines Vorgesetzten, ungebührliches Betragen gegen Vorgesetzte, gegen andere Mitglieder der Schiffsmannschaft oder gegen Reisende, Verlassen des Schiffes ohne Erlaubnis oder Ausbleiben über die feste Zeit, Wegbringen eigener oder fremder Sachen von Bord des Schiffes und Anbordbringen von Gütern ohne Erlaubnis, eigenmächtige Zulassung fremder Personen an Bord und Gestattung des Anlegens von Fahrzeugen an das Schiff, Trunkenheit i m Schiffsdienst und schließlich Vergeudung oder Beiseitebringen von Proviant, § 84. Alle Formen von Widersetzlichkeit waren mit Strafe bedroht (§ 86 ff.), insbesondere der Streik: „Wenn zwei oder mehrere zur Schiffsbesatzung gehörige Personen dem Schiffer . . . den schuldigen Gehorsam auf Verabredung gemeinschaftlich verweigern, so t r i t t gegen jeden Beteiligten Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr ein. Der Rädelsführer w i r d mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft." (§ 87 Abs. 1.) 11.4. Ahndungen bei Mißbrauch der Disziplinargewalt durch den Kapitän
Beim Schiffer werden Mißbrauch der Disziplinargewalt, vorsätzliche oder fahrlässige Vernachlässigung der Verpflichtung zur gehörigen Verproviantierung des Schiffes, unberechtigte Zurücklassung des Schiffsmannes i m Ausland und Vernachlässigung von Beurkundungs- und Aufklärungspflichten unter Strafe gestellt, § 96—99. Zur Rechtfertigung der Disziplinargewalt des Schiffers führen die Motive folgendes aus:
12. Arbeits- u n d Lebensbedingungen i n der Seefahrt 1870—1914
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„Die Stellung des Schiffsführers zur Schiffsmannschaft — zumal i n fremden Häfen und auf offenem Meere — weicht von den Beziehungen jeden anderen Arbeitgebers zu den Arbeitnehmern vorzüglich darin ab, daß der Schiffer meisthin ohne irgend zulängliche Kenntnis von der Persönlichkeit des einzelnen Schiffsmannes mit demselben eine auf längere Zeit berechnete Verbindung eingeht und solche oft unter den größten Gefahren für Schiff, Ladung und Besatzung, immer aber unter der schweren Verantwortlichkeit, welche das Gesetz i h m allen Interessenten gegenüber auferlegt und ohne die jederzeitige Möglichkeit einer Anrufung der Staatshilfe zu behaupten und zu erhalten genötigt ist. Wie sich hieraus auf der einen Seite polizeiliche Kontroll- und Zwangsbestimungen rechtfertigen, welche dem Schiffer die überhaupt erreichbaren Garantien i n Betreff der Persönlichkeit des anzuwerbenden Schiffsmannes gewähren, so ergibt sich andererseits aus denselben Gesichtspunkten 232 die Notwendigkeit einer Unterordnung der Schiffsmannschaft unter eine nahezu militärische Disziplinargewalt Die Inverwahrungnahme der persönlichen Habe des Schiffsmanns w i r d folgendermaßen begründet: „Unter den Maßregeln, welche der der Deutschen Rhederei fortdauernd schwere Schäden bereitenden Entweichung vorzubeugen bezwecken, hat sich als eine besonders praktische die Verwahrung der Effekten verdächtiger Schiffsleute bewährt. Bestimmungen, welche den Schiffer hierzu ermächtigten, bestehen bereits i n Oldenburg, Bremen und Hamburg 2 3 3 ." 11.5. Zusammenfassung
Faßt man die normative Stellung des Schiffsmannes nach der Seemannsordnung von 1873 zusammen, so kann man von einer dominierenden Stellung des Kapitäns sprechen. Die Motive sprechen zutreffend von der Abweichung des Heuerverhältnisses von sonstigen Arbeitsverhältnissen. Es ist wohl nicht übertrieben, das Heuerverhältnis als Zwangsarbeitsverhältnis zu bezeichnen, das lediglich freiwillig eingegangen wird. 12. Die Arbeits- und Lebensbedingungen in der Seefahrt im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts I n den Motiven zum Entwurf einer Seemannsordnung finden sich zahlreiche Hinweise darauf, daß die Reichsregierung vorhandenen Mißständen i n der Seefahrt entgegenwirken wollte. Diese sah sie vor232 233
Vgl. Motive zu § 73, S. 304, Hervorhebung von m i r . Motive zu § 80, S. 304.
Hlanses 7
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I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
nehmlich i n einer Gefährdung der Interessen der Reeder und sonstiger am Seefrachtverkehr beteiligter Wirtschaftskreise. Diese gebieten eben eine „Unterordnung der Schiffsmannschaft unter eine nahezu militärische Disziplinargewalt" 2 3 4 . Daß die Lebensverhältnisse der Seeleute mit Verelendung noch zurückhaltend umschrieben werden, zeigen zeitgenössische Berichte vom Ausgang des vorigen Jahrhunderts ebenso wie neuere wissenschaftliche Untersuchungen. Die Anheuerung begann für den Seemann schon mit der Notwendigkeit zu Geldausgaben. Er mußte dem Vermittler der Arbeit, dem sog. Heuerbaas, eine staatlich sanktionierte Abgabe entrichten, ehe er durch einen staatlichen Beamten „Wassershout" angemustert wurde. Danach war eine weitere Abgabe an eine Mittelsperson des Heuerbaas zu entrichten, die i h n endgültig auf ein Schiff brachte 235 . Dieses System, bei dem die Vermittler auch Alkohol einsetzten, nahm i n den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts immer schlimmere Formen an, und 1897 konnte Carl Legin noch sagen: „Noch ehe der Seemann an Bord des Schiffes ist, hat er den größten Teil oder die ganze Monatsheuer i n den Händen der . . . sich darin teilenden ,Landhaifische' gelassen28®." A u f den Schiffen herrschten kaum vorstellbare Verhältnisse. Die normale Arbeitszeit betrug an Bord von deutschen Seeschiffen innerhalb von 48 Stunden 31V2 Stunden. Zusammenhängende Schlafzeiten gab es nicht 2 3 7 . Die hygienischen Verhältnisse an Bord waren verheerend, die Seeleute erhielten unzulängliche Kost, und Sicherheitsvorkehrungen existierten kaum 2 8 8 . Geffken hat ermittelt, daß die Sterblichkeitsquote bei Tuberkulose höher als bei der allgemeinen Landbevölkerung lag, und innerhalb der Schiffsbesatzungen die tödlichen Unfälle weit zahlreicher bei den Matrosen und Schiffsjungen als beim Offizierspersonal waren 2 3 9 . Die Zahl der Todesfälle nahm m i t dem Wachsen der Flotte nicht nur absolut, sondern auch relativ zu 2 4 0 . Unter diesen geschilderten Umständen ist es nicht verwunderlich, daß die Zahl der Selbstmorde, insbesondere beim Maschinenpersonal, extrem hoch lag 2 4 1 . 234
Motive zu § 73, S. 304. Vgl. Legin, Der Streik der Hafenarbeiter u n d Seeleute, H a m b u r g 1897, S. 33; Furtwängler, ÖTV, Die Geschichte einer Gewerkschaft, 3. A u f l . 1962, S. 79; Geffken, Seeleutestreik, S. 32. 236 Legin, S. 34. 237 Raab, Die Nothflagge w e h t ; Die Tiefladelinie f ü r Seeschiffe u. die Seeberufsgenossenschaft, B e r l i n 1900, S. 73. 238 Raab, S. 80 ff., 10 ff. 239 Geffken, S. 34. 240 Raab, S. 82. 241 Geffken, S. 34 m. w. Nachw. 235
13. Die Seemannsordnung von 1903
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Auch die Flucht vom Schiff erschien vielen Seeleuten als Ausweg aus ihrer Notlage. Geffken ermittelte, daß beispielsweise bei der HamburgAmerika-Linie i m Jahre 1901 beinahe jeder 10. Seemann desertierte 242 . Infolge dieser Verhältnisse kam es i m November 1896 zu einem umfassenden Streik, der 11 Wochen dauerte und m i t großer Erbitterung geführt wurde. Zwar erreichten die Streikenden keines ihrer Kampfziele, weil sich die Unternehmer — gestützt auf ihr Kapital — i m Durchhalten als stärker erwiesen 243 , jedoch führte dieser Arbeitskampf die Seeleute und Hafenarbeiter zu der Erkenntnis, daß sie ohne Organisation wehrlos wären; hieraus zogen sie alsbald Konsequenzen, indem i n den meisten Hafenstädten Vereine gegründet wurden und ein Verband als Zentralorganisation 1898 ins Leben gerufen wurde. Dieser Entwicklung ist i m Rahmen dieser Untersuchung nicht weiter nachzugehen.
13. Die Seemannsordnung von 1903 Der Hamburger Streik hatte aber noch eine weitergehende Konsequenz, denn die Reichsregierung setzte einen Untersuchungsausschuß ein, dessen Ergebnisse zum Entwurf einer neuen Seemannsordnung führten. I n die Diskussion u m diesen Entwurf schaltete sich der neugegründete Verband m i t den wesentlichen folgenden Forderungen ein: — Verbot abweichender Ergänzungen der Seemannsordnung, — präzisere Regelung der Arbeitszeit, — vollständige Beseitigung der Heuerbaase und Einrichtung eines staatlichen Heuerbüros, unter Beteiligung von Reedern und Seeleuten, — die Gewährung des Vereins- und Versammlungsrechts, — das Recht auf Ernennung eines Obmanns, sowie die Einrichtung eines Schiffsrats. Zunächst machte die zuständige Kommission des Reichstages i m Entwurf den Seeleuten einige Zugeständnisse, die jedoch i n der Endfassung sämtlich wieder gestrichen wurden; sogar die geplante Aufhebung der Koalitionsverbote wurde wieder beseitigt. Während der etwa zweijährigen Beratung i m Reichstag fanden weitere Arbeitskämpfe i n der Seeschiffahrt statt, so i m Frühjahr 1899 i n Bremen, wo die Dampfschiffahrtsgesellschaften „Argo", „Hansa" und „Neptun" bestreikt wurden, m i t dem Ziel höherer Löhne und besserer 242 243
7*
Geffken, S. 35 m. w. Nachw. Geffken, S. 40.
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Arbeitsbedingungen. Die Differenzen wurden durch Vermittlung des Einigungsamtes des Gewerbegerichts beigelegt; den Seeleuten wurden fast alle Forderungen bewilligt 2 4 4 . 13.1. Keine Lockerungen der Disziplinar- und Strafvorschriften
I n der neuen Seemannsordnung wurden hingegen die alten Disziplinar- und Straf Vorschriften beinahe unverändert übernommen; so entspricht z. B. § 79 Seem.O. von 1873 § 90 der Fassung von 1902. Auch die „Neue Seemannsordnung", die i m Jahre 1902 verabschiedet wurde und am 1. 4.1903 i n K r a f t trat, ging also weiter davon aus, daß der Seemann einen Beruf hat, der „ähnlich dem Berufe eines Soldaten" und beruhte auf der Überzeugung, i n der Seefahrt sei eine ganz andere, straffere Disziplin notwendig, als i n irgend einem anderen Gewerbe 245 . Einige Formalien zeigen an, daß die Militarisierung der Handelsmarine gegenüber 1873 noch weiter vorangeschritten war. Der Führer eines Handelsschiffes erhielt nunmehr endgültig den Titel „Kapitän". Eine Schiffshierarchie wurde strikt durchgeführt, § 2 Abs. 2, 3 SeemO. und auf die Offiziere der militärische Vorgesetztenbegriff übertragen 246 . I n dieser Fassung überlebte die Seemannsordnung zwei Weltkriege und die Revolution von 1918 und wurde erst i m Jahre 1957 durch das am 1. 4. 1958 — also genau 55 Jahre nach der Seemannsordnung von 1903 — i n K r a f t getretene Seemannsgesetz ersetzt.
14. Die Rechtsnatur der Schiffsgewalt 14.1. Vorbemerkung
Die Seemannsordnung von 1903 war mit ihrer Militarisierung der zivilen Schiffahrt einerseits Ausdruck des deutschen Imperialismus i n seiner Hochblüte und gab andererseits politischen Vorstellungen dieses Inhalts i n der rechtswissenschaftlichen Literatur Auftrieb. Bereits wenige Jahre nach Reichsgründung hatten sich i n Deutschland wirtschaftliche und politische Bestrebungen Geltung verschafft, die dem Reich einen Platz unter den Weltmächten sichern wollten. Wehler hat nachgewiesen, daß derartige Tendenzen nicht allein w i r t schaftlich bestimmt waren, sondern aus ganz unterschiedlichen Quellen 244
Vgl. Bericht i n Soz. Praxis, 1901, Bd. 10, S. 887. So der Staatssekretär des Reichsamts des Innern, Graf von PosadowskyWehner vor dem Reichstag, Stenogr. Ber. Bd. 170, S. 4075. 246 Weber, Die Schiffsgewalt des Kapitäns, S. 64. 245
14. Die Rechtsnatur der Schiffsgewalt
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gespeist wurden. Dabei handelt es sich u m überbordendes nationales Sendungs- und Geltungsbewußtsein, u m Rechtfertigungsideologien für Machtstreben, aber auch u m die „Einsicht i n die zunehmende Europäisierung der Erde mit der historischen Erfahrung, daß Großmachtpolitik Weltpolitik geworden sei" 2 4 7 . Derartige Vorstellungen bleiben aber für Bismarcks Politik bedeutungslos. Soweit sich Bismarck überhaupt auf überseeische — nicht notwendig koloniale — Expansionen einließ, war diese Politik sozial-ökonomisch determiniert 2 4 8 . Unter Bismarcks Nachfolgern, insbesondere unter dem Reichskanzler von Bülow, spielt nun das nach der Reichsgründung aufkommende Weltmachtstreben — damals i n nationalistischen Zirkeln und Zeitungen vertreten, aber noch ohne Einfluß auf die Politik — i n der Reichspolitik eine entscheidende Rolle. Wehler spricht von dem Ehrgeiz . . . , d u r c h . . . Expansionspolitik die Anerkennung als „Weltmacht zu gewinnen" und von der „Ambition, sich ständig als Weltmacht bestätigt zu sehen, Weltpolitik um ihrer selbst willen: als Beweis für den Rang als Großmacht zu betreiben . . ." 2 4 9 . I n diese Zeit fällt der Beginn des deutschen Flottenbaus, der ein wesentlicher Grund für den späteren unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Deutschland und England wurde. Das Flottenbauprogramm, das seinerseits aufgrund Einflußnahme mächtiger Unternehmergruppen i n Gang kam, wurde von dem damaligen Staatssekretär des Auswärtigen Amtes und späteren Reichskanzler v. Bülow 1897 u. a. m i t der Floskel begründet: „ W i r wollen niemand i n den Schatten stellen, aber w i r verlangen auch unseren Platz an der Sonne 250 ." 14.2. Der rechtswissenschaftliche Streit über die Rechtsnatur der Schiffsgewalt
Derartige Vorstellungen schlugen sich auch i n der rechtswissenschaftlichen Diskussion der Stellung des Kapitäns nieder, insbesondere bei der Rechtsfigur der sogenannten Schiffsgewalt. Diese i n der Seemannsordnung von 1873 noch i n der von 1903 ausdrücklich geregelt, sondern stellt eine Konstruktion der Rechtswissenschaft dar, i n der Befugnisse 247
248 249
Wehler, Bismarck u n d der Imperialismus, S. 484 m. Nachw.
Wehler, S. 485.
Wehler, S. 484. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich, daß Wehler Bülow's P o l i t i k nicht etwa als v ö l l i g von der sozialökonomischen Realität losgelöst ansieht; gemeint ist, daß derartige Weltmachtpolitik auch Eigengesetzlichkeiten folgt. 250 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 1897—1898, Bd. I, 1. Lesung der Berathung des Gesetzes, betreffend die deutsche Flotte v o m 6.12.1897, S. 61. Näheres zum Flottenbau bei Fritz Klein, Deutschland 1897/1898—1917, B e r l i n (DDR) 1969, S. 59 ff.
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des Kapitäns aus dem HGB, der Seemannsordnung, dem Personenstandsgesetz, der Strafprozeßordnung und aus speziellen seerechtlichen Normen zusammengefaßt werden 2 5 1 . I n diesem Zusammenhang kommt es auf Einzelheiten nicht an, weil die Rechtsstellung des Kapitäns nach geltendem Recht an anderer Stelle i m Zusammenhang erörtert w i r d 2 5 2 ; hier ist die Diskussion u m die Schiffsgewalt nur insoweit von Bedeutung, als sich die i n dieser Auseinandersetzung schließlich siegreich gebliebene „staatsrechtliche" A u f fassung von der Schiffsgewalt des Kapitäns bis i n die Gegenwart auf die Einschätzung der sozialen Stellung des Kapitäns nachhaltig auswirkt. Die Auseinandersetzung begann 1884 mit einem Angriff Rudolf Wagners, der sich als erster eingehend m i t der Schiffsgewalt auseinandergesetzt hat, auf deren noch wenig ausgeführte Charakterisierung als staatsrechtliches Institut durch Philipp Zorn i n der ersten Auflage des zweiten Bandes von dessen Staatsrecht. Bei Wagner heißt es: „Der Inhaber der Schiffsgewalt, also der Schiffer . . . , hat nach allen Gesetzgebungen i n gewissen Fällen die Staatsgewalt zu vertreten 2 5 3 ." I n der Fußnote hierzu bemerkt er: „Nichts aber ist falscher, als wenn man die Schiffsgewalt selbst als staatsrechtliches Institut auffaßt, wie Zorn Staatsrecht I I 619 254 ." Hierauf erwiderte Zorn i n der 1897 erschienenen 2. Auflage seines Werkes. Schon i m Vorwort bezeichnete Zorn es als eine Aufgabe seines Werkes, das „von der deutschen Rechtswissenschaft völlig vernachlässigte Staatsrecht" wissenschaftlich zu bearbeiten und hob dabei als einen von zwei grundsätzlichen Punkten hervor, „daß die Schiffsgewalt konstruiert werden muß, wodurch allein die dem Schiffsführer zur Ausübung auf hoher See übertragenen Staatshoheitsrechte eine genügende juristische Erklärung finden können" 2 5 5 . Eine eigentliche Begründung seiner Meinung gab er nicht: „ A u f hoher See ist der Schiffer Vertreter der deutschen Staatsgewalt über Schiff und Mannschaft. Demgemäß muß der Schiffer . . . auf dem Schiffe vom Beginn der Ladung bis zum Ende der Löschung anwesend sein . . . ; bei drohender Gefahr oder auf hoher See muß der Schiffer an Bord sein, wenn nicht dringende Notwendigkeit seine Abwesenheit rechtfertigt." Aus diesem Satz zog Zorn nun „eine Reihe wichtigster Folgerungen, die die Gesetzgebung 251 Vgl. Wagner, Handbuch des Seerechts, S. 317—324; Zorn, Das Staatsrecht des dt. Reichs, 2. Bd., Das Verwaltungsrecht, 2. Aufl., B e r l i n 1897, S. 847 ff. 252 Vgl. unten. 258 Wagner, S. 317, Hervorhebung bei Wagner. 254 Vgl. Wagner, S. 317. 255 Das Staatsrecht, 2. Bd., Das Verwaltungsrecht, S. V I I I / I X .
14. Die Rechtsnatur der Schiffsgewalt
103
positiv formuliert hat". Diese reichen von der Stellung als Hilfsorgan der inländischen Strafrechtspflege über die „quasi militärische" Gehorsamspflicht der Mannschaft, die Unterwerfung der Reisenden unter die Schiffsgewalt, die Stellung des Kapitäns als Zivilstandesbeamter bis zu der des Nachlaßbeamten 256 . Die Stichhaltigkeit dieser Begründung kann hier dahingestellt bleiben. Wichtig für den Fortgang der Diskussion und auch das dogmatische Obsiegen der öffentlich-rechtlichen Auffassung von der Schiffsgewalt war, daß es Zorn gelang, Wagner — scheinbar — einen Widerspruch i n dessen Auffassung nachzuweisen 257 . Etwa dreißig Seiten nach dem Satz, daß der Schiffer i n gewissen Fällen die Staatsgewalt zu vertreten habe, heißt es bei Wagner: „Die Schiffsgewalt gewährt ihrem Inhaber ein Herrschaftsrecht, welches, ähnlich wie die Staatsgewalt, einen doppelten Charakter hat, indem es sich einerseits charakterisiert als das Recht, innerhalb eines gewissen Raumes eine Herrschaft auszuüben, und andererseits als eine Herrschaft, welche über Personen begründet ist, mögen diese sich aufhalten, wo sie wollen: die erstere entspricht der Gebietshoheit, die zweite der Staatshoheit über Personen; beide zusammen stehen i n der Mitte zwischen diesen staatsrechtlichen Verhältnissen und der privat-rechtlichen Herrschaft, welche der Eigentümer oder Miether einer Wohnung innerhalb seines befriedeten Besitzthums einerseits und über seine Gesinde andererseits auszuüben berechtigt ist. Während aber diese beiden Seiten der privatrechtlichen Herrschaft nur äußerlich und zufällig zusammenhängen, haben sich die beiden Seiten der Schiffsgewalt als nothwendige Bestandtheile dieselben i n gleichmäßiger Weise entwickelt, auch vielfach ineinander übergegriffen. Dennoch sind sie bei der Darstellung auseinander zu halten 2 5 8 ." Zorn genügte die Einschätzung der Schiffsgewalt als Herrschaftsrecht, „ähnlich" der Staatsgewalt, um Wagner einen „Selbstwiderspruch" zu bescheinigen und hieraus auf die Unmöglichkeit einer anderen als der staatsrechtlichen Konstruktion zu schließen 259 . I n Wahrheit hatte Wagner einmal m i t seiner Parallelisierung der Schiffsgewalt einerseits zum Hausrecht und andererseits zum bis 1918 geltenden Gesinderecht die wesentlichen Elemente der Schiffsgewalt zutreffend erfaßt, denn auch das aus dem Eigentum fließende Hausrecht gewährt Herrschaft 260 , und das Heuerverhältnis war nicht als typisches Arbeitsverhältnis ausgestaltet, sondern enthielt — wie das Gesinderecht — an 25e
Zorn, S. 857—864. Zorn, S. 857 Fn. 35. 258 Wagner, S. 346. 259 Zorn, S. 857 Fn. 35. 280 Vgl. § 903 B G B ; hierzu Palandt / Bassenge, B G B 40. Auflage, § 1004 Anm. 2a aa. 257
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sich überholte Bestandteile feudalistischer A r t 2 6 1 . Z u m anderen hatte Wagner an anderer Stelle die auf diese Weise nicht erklärbaren Funktionen des Kapitäns, nämlich die standesamtlichen Aufgaben, die Angelegenheiten der Nachlaßverwaltung und die Funktionen i m Bereich der Strafrechtspflege ausdrücklich als staatsrechtliche bezeichnet 282 .
14.3. Höhepunkt der Kontroverse
Den Höhepunkt der Kontroverse und den Sieg der öffentlich-rechtlichen Theorie der Schiffsgewalt des Kapitäns bildet die Arbeit Otto Webers aus dem Jahre 1907283. Weber wandte gegen Wagner ein, nach diesem „würde der Schiffsführer bei der Ausübung zahlreicher wichtiger Herrschaftsrechte als Kapitalist oder Angestellter eines Kapitalisten erscheinen, dem zur besseren Durchführung privater wirtschaftlicher Bestrebungen die Befugnis verliehen ist, seinen W i l l e n m i t Zwang anderen freien Staatsbürgern aufzunötigen. Die Schiffsgewalt des Kapitäns wäre hiernach ein Institut, das i m wesentlichen auf eine Stufe m i t anderen, Privatinteressen dienenden Gewaltsverhältnissen des Mittelalters (Leibeigenschaft, Gutuntertänigkeit u. dgl.) gestellt werden müßte. Das aber bedeutet eine Leugnung ihrer Existenzberechtigung für unsere Zeit: nur als Notbehelf wäre sie noch zu dulden, grundsätzlich jedoch müßte sich das Streben der Gesetzgebung — die j a nach und nach alle mittelalterlichen Abhängigkeitsverhältnisse hat verschwinden lassen — darauf richten, auch die Zwangsbefugnisse des Kapitäns immer mehr zu beschränken und sie schließlich v ö l l i g aufzuheben 2 8 4 ." Weber meint, die Entscheidung, welche dieser beiden Auffassungen „die m i t dem Gesamtzustand von Staat und Recht übereinstimmende" sei, ließe sich nicht auf der Grundlage juristischer Auslegung von Gesetzesstellen allein treffen, sondern nur durch eine rechtshistorische und rechtsvergleichende Untersuchung 285 . Zutreffend hebt er hervor, daß eine solche Untersuchung i n der „Entwicklungsgeschichte der Schiffsgewalt des Kapitäns . . . die Ursachen . . . zeigt, weshalb . . . dieses Rechtsinstitut zu einem Herrschaftsverhältnis nach A r t der zwischen Herrschaft und Gesinde bestehenden werden mußte, . . . wie infolgedes261
262 263
Geffken, Seeleutestreik, S. 28 ff.
Wagner, S. 17.
Otto Weber, Die Schiffsgewalt des Kapitäns u. ihre geschichtlichen Grundlagen, erschienen i n den von Philipp Zorn u. Fritz Stier-Somlo herausgegebenen Abhandlungen aus dem Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht, Tübingen 1907. 264 Vgl. Weber, S. 31/32. 265
Weber, S. 33.
14. Die
echtsnatur der Schiffsgewalt
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sen die „privatrechtliche" Auffassung i n der Gesetzgebung die Oberhand gewinnen konnte, wie dann jedoch i m 19. Jahrhundert die neue Strömung aufkam, die dem Kapitän eine höhere Stellung zuwies, und wie diese Strömung i n der Seemannsordnung von 1902 i n einigen wichtigen Punkten obsiegt hat" 2 6 8 . Nach eingehenden rechtshistorischen und rechtsvergleichenden Ausführungen kommt Weber zu folgendem Ergebnis: „Vor allem ist es die revidierte Seemannsordnung von 1902, die entschieden m i t dem früheren Mißtrauen gegen die Verleihung von Herrschaftsrechten an den Schiffsführer gebrochen hat. Sie gibt dem neuen Staatsorgan den so lange erstrebten Titel „Kapitän", sie erkennt die Schiffahrtshier archie an, überträgt auf ihre Chargen den militärischen Vorgesetztenbegriff und regelt eingehend die disziplinarischen Befugnisse des Kapitäns . . . Und damit nicht wieder ein Zweifel an der zwingenden Natur ihrer Vorschriften aufkommen kann, entzieht die Seemannsordnung i n A r t . 1 Abs. 2 diese grundsätzlich der Abänderung durch Privatvereinbarung. Der staatsrechtliche Charakter der Herrschaft des Kapitäns ist damit für die Zukunft statuiert, und es ist anzunehmen, daß nun auch mit der Zeit jene aus privat rechtlichen Anschauungen entstandenen Normen abgeschafft . . . werden, die gegenwärtig noch . . . den Eindruck mangelnder Übereinstimmung des Gesetzgebers mit sich selbst hervorrufen 2 8 7 ." 14.4. Durchsetzung des öffentlich-rechtlichen Instituts Schiffsgewalt
Die Auffassung, die Schiffsgewalt sei ein öffentlich-rechtliches Institut und leite sich von der Staatsgewalt ab, entsprach dem Geist der Zeit und setzte sich i n der Rechtswissenschaft durch 268 . Die Militarisierung der Stellung des Kapitäns und der Schiffsoffiziere, die von den Betroffenen selbst auch als Erhöhung ihrer Position empfunden wurde, vollendete sich i m 1. Weltkrieg, i n dem jeder Handelsschiffskapitän potentieller Kommandant eines Hilfskreuzers war und die meisten als Marineoffiziere Dienst taten 2 8 9 .
288
Weber, S. 33, Hervorhebung von mir. Weber, S. 64. 288 Vgl. Bernsten, Die Schiffsgewalt, Diss. Göttingen 1904, S. 89 ff.; Pereis, Die Stellung des Kapitäns i m deutschen Seehandelsrecht, i n : Zeitschrift f ü r das gesamte Handelsrecht (ZHR), Bd. 57 (1906), S. 374; Zorn, Staatsrecht, Bd. 2, S. 856 ff. 289 Vgl. Hollweg, Der Seekrieg, i n : Paul Herre (Hrsg.), Weltgeschichte der neuesten Zeit, 2. Teil, B e r l i n o. J. (Copyright 1925), S. 703 ff., 710. 287
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15. Tarifliche Regelungen des Kapitänsarbeitsrechts 15.1. Vorbemerkung
Das Ende des 1. Weltkrieges bedeutete auch für die Kapitäne der Handelsmarine einen tiefen Einschnitt. Bis zum 1. Weltkrieg war i h r soziales Ansehen ständig gewachsen, obwohl sich der wirtschaftliche Abstieg des Kapitäns vom Unternehmer (Reeder oder mindestens Partenreeder) i n der Großen Fahrt zum Arbeitnehmer gerade i n den letzten vierzig oder fünfzig Jahren vor dem 1. Weltkrieg vollzog. Die Niederlage i m Weltkrieg bedeutete für Deutschland auch den Verlust fast der gesamten Handelsflotte. Nach dem Grundsatz „Tonne u m Tonne" hatte England, i n der Absicht, sich des unbequemen Konkurrenten auf Dauer zu entledigen, darauf bestanden, daß der gesamte Schaden, der i h m durch den U-Bootkrieg gegen die Handelsschiffe zugefügt worden war, durch Auslieferung des größten Teils der deutschen Handelsflotte ersetzt wurde 2 7 0 . Zwar gelang es den deutschen Reedern, i n relativ kurzer Zeit die Tonnage von 1914 wieder zu erreichen 271 . Die beiden 1894 und 1900 gegründeten Zusammenschlüsse von K a p i tänen und Offizieren, die bis zum 1. Weltkrieg mehr Traditionspflege als Interessenvertretung betrieben hatten, erlangten Bedeutung als Koalition i n der Nachkriegszeit 272 . I h r schon vor dem Weltkrieg formuliertes, aber nicht nachdrücklich vertretenes Ziel, ein „festes Anstellungsverhältnis" für den Kapitän — etwa i m Sinne einer Lebensstellung —, wurde i n der Nachkriegszeit alsbald durch Tarifvertrag jedenfalls insofern erreicht, als die gesetzlich zulässige und sogar unabdingbare Befugnis des Reeders, den Kapitän jederzeit zu entlassen, § 545 HGB a. F. abbedungen wurde 2 7 8 . 270 Hellweg, Der Seekrieg, S. 714; Paul Herre, Die Nachkriegszeit, i n : Paul Herre (Hrsg.), Weltgeschichte der neuesten Zeit, 2. Teil, S. 803 ff., 810. 271 E t w a 1930 muß der Vorkriegsbestand wieder erreicht gewesen sein, vgl. die Zahlen über die H A P A G bei Mathies, Hamburgs Seeschiffahrt u n d Seehandel, S. 122. 272 1894 w u r d e der „Verband deutscher Seeschiffervereine", 1900 der „ V e r ein deutscher Kapitäne u n d Offiziere der Handelsmarine" gegründet. Näheres hierzu bei Brauckmüller, Der K a p i t ä n als Angestellter, Diss. K i e l 1934, S. 2. 273 A r t . 515 A D H G B u n d § 545 H G B hatten i n der ursprünglichen Fassung folgenden W o r t l a u t : „Der Schiffer kann, selbst w e n n das Gegenteil vereinbart ist, jederzeit von dem Rheder entlassen werden, jedoch unbeschadet seiner Ansprüche auf Entschädigung." Diese Vorschrift ist erst durch § 106 des Seemannsgesetzes v o m 26. 7.1957, i n K r a f t seit dem 1. 4.1958, aufgehoben worden; § 545 H G B i n der neuen Fassung betrifft die Suspendierung w ä h rend der Kündigungsfrist. — Z u diesen ersten tarifvertraglichen Erfolgen der Kapitäns- u n d Schiffsoffizier-Koalitionen vgl. Brauckmüller, S. 2 ff.; Wüstendörfer i n : N Z f. A r b R 1925, Sp. 29—42.
15. Tarifliche Regelungen des Kapitänsarbeitsrechts
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15.2. Anstellungsbedingungen für die Kapitäne der deutschen Seeschiffe vom 12.4.1924
Dieser bedeutsame soziale Erfolg der Kapitänsverbände wurde allerdings unter Geltung des § 545 HGB a. F. rechtlich niemals anerkannt. Noch 1925 erklärte Wüstendörfer, der diese Vorschrift des HGB ausdrücklich als „den sozialen Anschauungen der Gegenwart" widersprechend bezeichnete, die dem § 545 H G B widersprechende Ziffer 5 der „Anstellungsbedingungen für die Kapitäne der deutschen Seeschiffe über 100 B r R T " i. d. F. vom 12. A p r i l 1924 für nichtig (§ 134 BGB) 2 7 4 . Ziffer 5 dieser Anstellungsbedingungen bestimmt, daß die fristlose Entlassung des Kapitäns nur zulässig sei, wenn sie „auf Grund des § 546 HGB erfolgt". § 546 HGB a. F. hatte folgenden Wortlaut: „Erfolgt die Entlassung, weil der Schiffer untüchtig befunden ist oder weil er seiner Pflicht nicht genügt, so erhält er nur dasjenige, was er von der Heuer einschließlich aller sonst bedungenen Vorteile bis dahin verdient hat275."
Sah also Ziff. 5 eine Entlassung n u r nach Maßgabe dieser Vorschrift vor, so war dies eine eindeutige Einschränkung der gemäß § 545 HGB a. F. gegebenen Befugnis des Reeders, den Kapitän, „selbst wenn das Gegenteil vereinbart ist, j e d e r z e i t . . . (zu) entlassen". Wüstendörfer, der, wie gesagt, von der Nichtigkeit der Ziff. 5 der Anstellungsbedingungen ausgeht, prüft nun, ob die Nichtigkeit dieser Bestimmungen die „Anstellungsbedingungen" i n ihrer Gesamtheit nichtig macht. Unter Anwendung von § 139 BGB bejaht er die Frage, w e i l „ w o h l kaum anzunehmen (ist), daß die großen Kapitänsverbände dem Manteltarif auch ohne die Schutzvorschriften für Anstellungsverträge zugestimmt haben würden" 2 7 6 . Zwar scheint dann noch „ein rettender Gedanke aufzutauchen: K a n n der gefährdete T V gemäß § 140 BGB wenigstens i m Wege der Konversion aufrecht erhalten werden, also durch Umdeutung i n eine Abrede anderen Inhalts, die deshalb gilt, w e i l anzunehmen ist, daß deren Geltung ,bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde'?" 2 7 7 . Er v e r w i r f t allerdings auch diesen Gedanken, w e i l eine Anwendung des § 140 BGB auf die „normativen Tarifbestandteile als objektive 274
Wüstendörfer,
275
Hervorhebung v o n m i r .
279
Wüstendörfer, Wüstendörfer,
277
in: NZ f. AR 1925, Sp. 29 ff., 35. in: NZ f. AR 1925, Sp. 38. in: NZ f. AR 1925, Sp. 38.
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Rechtsnormen" wegen der dann entstehenden Rechtsungültigkeit nicht i n Betracht komme 2 7 8 . „Das Ergebnis ist somit die Rechtsungültigkeit unseres Tarifvertrages 279 ." Wenn Wüstendörfer trotzdem vor und nach diesen grundsätzlichen Ausführungen, die prinzipielle Darlegungen zu Einzelproblemen der ja schon für nichtig erklärten „Anstellungsbedingungen" entbehrlich machten, auf zahlreiche dieser Fragen eingeht, zeigt dies, daß er von der praktischen Auswirkung seiner Rechtsauffassung nicht sonderlich überzeugt war. Dabei dürfte weniger die Vorstellung eine Rolle gespielt haben, die Richtigkeit sei zumindest zweifelhaft, als vielmehr die Erwägung, daß die Reeder nicht wagen würden, seinen Rechtsstandpunkt i n der Praxis einzunehmen, also sich auf die Nichtigkeit der m i t ihnen ausgehandelten „Anstellungsbedingungen" zu berufen. I m Rahmen dieser Untersuchung kommt es nicht darauf an, die rechtliche Haltbarkeit der Position zu überprüfen. Es handelt sich u m einen spätestens durch die Aufhebung des § 545 HGB Geschichte gewordenen Konflikt, der auch nicht nach den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen über das Verhältnis von staatlich gesetztem Recht und Tarifautonomie zu lösen, sondern bei dessen Beurteilung der Meinungsstand hierzu i m Jahre 1925 zu ermitteln wäre. Wesentlich für die Ziele dieser Arbeit ist vielmehr die zweite Frage, nämlich ob sich die Reeder(verbände) und die Kapitäne und ihre Koalitionen an diese „Anstellungsbedingungen" tatsächlich gehalten haben, ohne die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit dieses Manteltarifs überhaupt aufzuwerfen. Bekanntlich gab es Tarifverträge, lange bevor das Reichsgericht 1910 diese als rechtsverbindlich anerkannte 2 8 0 . Diese frühen Tarifverträge wurden auch ohne Anerkennung durch die staatliche Autorität prinzipiell von Arbeitgebern und Arbeitnehmern eingehalten; sofern die Arbeitgeberseite versuchte, sich dem Abschluß von Tarifverträgen oder der Bindung hieran zu entziehen, setzte sie sich der Gefahr aus, durch Streik hierzu gezwungen zu werden. Die Gewerkschaften sahen denn auch noch 1914, also vier Jahre nach der Anerkennung der Tarifverträge durch das Reichsgericht, das Problem des Schutzes der Tarifverträge durch die Rechtsordnung als durchaus nachrangig an: „Aber auch die Sicherung des bisher erzielten Einflusses auf die Festsetzung der Lohn- und Arbeitsbedingungen durch die Tarifverträge ist noch immer abhängig von der 278
Wüstendörfer,
279
Wüstendörfer,
in: NZ f. AR 1925, Sp. 39. i n : N Z f. A R 1925, Sp. 40; Hervorhebung v o n Wüsten-
dörfer. 280 RGE v. 20.1.1910, RGZ 73, 99 f.
15. Tarifliche Regelungen des Kapitänsarbeitsrechts
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Macht der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiter. Denn die Durchführung und Einhaltung der Verträge w i r d fortgesetzt beschwert und vielfach vereitelt durch die Unlust der Arbeitgeber, sich der Ordnung und dem Zwange der Tarifverträge zu unterwerfen. Die Abneigung der Unternehmer gegen die Gewerkschaften und gegen die von ihnen erkämpften Tarifverträge bildet eine weit größere Gefahr für die Verträge als die rechtliche Unsicherheit und der mangelnde gesetzliche Schutz derselben 281" I n der Literatur der Weimarer Zeit und der Jahre nach 1933 findet sich kein Anhaltspunkt dafür, daß die Reeder den „Anstellungsbedingungen" die Anerkennung versagt hätten. Brauckmüller, der 1933/1934 die „Anstellungsbedingungen für die Kapitäne . . . " seit ihrem ersten Abschluß am 20.3.1920 auch rechtssoziologisch untersucht hat, teilt hierzu mit, er habe i n den i h m zugänglich gewesenen Prozeßakten niemals eine Kündigung aufgrund von § 545 HGB gefunden, und auch „alle Sprüche des Tarif Schiedsgerichts für die Seeschiffahrt (hatten sich) eines Hinweises auf § 545 HGB enthalten" 2 8 2 . Man kann also davon ausgehen, daß nach 1918 das Anstellungsverhältnis des Kapitäns i n der Seeschiffahrt durch Tarifvertrag, die sogenannten „Anstellungsbedingungen für die Kapitäne der deutschen Seeschiffe über 100 BrRT" geregelt worden ist, die i n bestimmten A b ständen neu vereinbart, i m wesentlichen aber jeweils — einschließlich der Abbedingung des § 545 HGB — bestätigt wurden. Die juristischen Bedenken gegen die Rechtsgültigkeit dieser Verträge — sei es gegen einzelne Vorschriften, sei es gegen die Verträge i m ganzen — haben offenbar i n der Praxis keine Auswirkung gehabt, was sich insbesondere daran zeigt, daß der Reichsarbeitsminister die „Anstellungsbedingungen" regelmäßig auf Antrag gemäß § 2 der Tarifvertragsverordnung vom 23. Dez. 1918 für allgemein verbindlich erklärt hat 2 8 3 . 15.3. Anstellungsbedingungen für Kapitäne der deutschen Seeschiffe vom 20.10.1931
A u f der Grundlage der letzten frei vereinbarten „Anstellungsbedingungen" vor der nationalistischen „Tarifordnung für die deutsche Seeschiffahrt" vom 15. November 1934 aus dem Jahre 1931284 soll der 281 Resolution der Generalkommission der deutschen Gewerkschaften zu Tarifverträgen 1914, abgedruckt i n : Paul Barthel, Handbuch der deutschen Gewerkschaftskongresse Dresden 1916, S. 443 f. 282 Brauckmüller, Der K a p i t ä n als Angestellter, S. 9 m i t Fn. 32. 283 Vgl. Brauckmüller, S. 7 m. Nachw. i n Fn. 2. 284 Anstellungsbedingungen f ü r Kapitäne der deutschen Seeschiffe über 100 B R T (mit Ausnahme von Fischerei- u n d Bergungsdampfern, Schleppern
Ilo
I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
wesentliche Inhalt des Anstellungsvertrages eines Kapitäns wiedergegeben werden. Nach § 1 ist für den Anstellungsvertrag — i m Gegensatz zum HGB — die Schriftform erforderlich. Die Höhe des Gehalts bleibt zwar der Vereinbarung zwischen Reeder und Kapitän überlassen, jedoch legt § 3 Mindestgehälter fest (zwischen 550,— und 400,— RM, je nach Fahrtgebiet und Größe des Schiffes), die monatlich auszuzahlen sind. Nach § 4 steht dem Kapitän nach Ablauf eines vollen Jahres der Beschäftigung bei derselben Reederei ein Urlaubsanspruch zu. Die Urlaubszeit muß mindestens 14, nach zehnjähriger Dienstzeit mindestens 21 „vollständig dienstfreie Werktage" betragen und ist zeitlich innerhalb des betreffenden Jahres nach dem Ermessen der Reederei . . . tunlichst zusammenhängend, jedenfalls aber i n Abschnitten von mindestens drei aufeinander folgenden Werktagen „zu gewähren"; für die Urlaubszeit sind Heuer und Verpflegungsgeld weiterzuzahlen (§ 4 Abs. 2). Das Dienstverhältnis des Kapitäns kann von Seiten des Inhabers oder Vorstandes der Reederei — befristet oder unbefristet — nur schriftlich gekündigt werden (§ 6). Bei einem auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Angestelltenverhältnis beträgt die Kündigungsfrist für beide Seiten — je nach Dauer des Vertrages — zwischen einem und drei Monaten (§ 5 Abs. 1). Von besonderer Bedeutung ist die sog. Umschaufrist. Hat das Dienstverhältnis länger als sechs Monate bestanden, so hat die Reederei dem Kapitän „Gelegenheit zu bieten, sich während eines Monats i n einem deutschen Hafen nach einer neuen Stellung umzusehen"; bei mindestens einjähriger Dienstzeit beträgt die Umschaufrist sechs Wochen (§ 5 Abs. 2). Da die Umschaufrist i n die Kündigungsfrist fällt oder sogar mit dieser identisch ist, erhält der Kapitän auch i n dieser Frist, i n der er von der Pflicht zur Dienstleistung freigestellt ist, seine Heuer. I m Fall einer Kündigung nach § 546 HGB gelten weder Kündigungsfristen noch stellt dem Kapitän die Umschaufrist zu (§ 5 Abs. 5). Bis zu einer Änderung des HGB i m Jahre 1927 waren die §§ 553— 553 b HGB, i n denen die Krankenfürsorge für den Kapitän geregelt war, abdingbar. I n der Literatur war streitig, ob die i n allen „Anstellungsbedingungen" seit 1918 enthaltene Regelung des § 7 ( „ I m übrigen sind die Bedingungen des Handelsgesetzbuches für das Rechtsverhältnis zwischen Reederei und Kapitän maßgebend") dazu führte, daß die nach dem HGB abdingbaren Vorschriften nunmehr unabdingbar geu n d Leichtern) v o m 20. Okt. 1931 (Gehaltssätze ab 1. Jan. 1932), abgedruckt als Anlage bei Brauckmüller.
16. Veränderungen d. Rechtsstellung d. Kapitäns unter NS-Herrschaft 111
worden wären. Wüstendörfer hatte diesen Standpunkt eingenommen 285 ; i h m hatte Nipperdey widersprochen 288 , dem dann die herrschende Meinung folgte 2 8 7 . Die hier entscheidende Frage nach der Abdingbarkeit der Vorschriften über die Krankenfürsorge zugunsten des Kapitäns hatte der Gesetzgeber durch eine Novelle zum HGB vom 16. Dezember 1927 dadurch beantwortet, daß er die — auch etwas erweiterte — Krankenfürsorge für unabdingbar erklärte 2 8 8 . Infolgedessen kam es von 1927 ab nicht mehr zu tariflichen Regelungen über diesen Gegenstand 289 . 16. Veränderungen der Rechtsstellung des Kapitäns unter nationalsozialistischer Herrschaft Die tarifrechtlichen Regelungen der „Anstellungsbedingungen" fielen — wie das gesamte Tarifwesen — der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Opfer. Aufgrund von § 32 des „Gesetzes zur Ordnung der Nationalen A r b e i t " (AOG) 2 9 0 erließ der Sondertreuhänder für die Seeschiffahrt am 15. November 1934 eine „Tarifordnung für die deutsche Seeschiffahrt" (TO) 291 , die allerdings inhaltlich i n keiner Weise von den alten „Anstellungsbedingungen" abwich. Allerdings w i r k t e n sich die programmatischen Vorstellungen des A O G auch auf die Sprache und Zielsetzung der TO aus. So wurde der Kapitän als Stellvertreter des Betriebsführers (Reeders) an Bord bezeichnet (§ 4 Abs. 2, S. 1 TO). Reeder und Kapitän wurde aufgegeben, den „Geist der Betriebsgemeinschaft" zu fördern; die Gefolgschaft (Seeleute) wurde zur Treue zum Betriebsführer, Reeder und Kapitän wurden auf „das Wohl der Gefolgsgemeinschaft" verpflichtet, § 4 Abs. 3 TO. Ob sich hierdurch an der faktischen Stellung des Kapitäns gegenüber der Mannschaft etwas geändert hat, ist schon angesichts der wenigen Jahre, i n denen die zivile Seeschiffahrt noch eine Rolle spielte, sehr zweifelhaft. I m 2. Weltkrieg vollendete sich dann formal die Militarisierung des Status von Kapitän und Schiffsoffizieren. 285
N Z f. A R 1925, Sp. 29 ff., 32. zee Nipperdey, i n : Hueck / Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, M a n n heim, Berlin, Leipzig 1928, Bd. I I , S. 131. 287 288
Vgl. Brauckmüller,
RGBl. I, S. 337. u n d blieben i n dieser v o m 26. J u l i 1957 am Krankenfürsorge f ü r geregelt.
S. 29 m. Nachw.
Die §§ 553—553 b w u r d e n als §§ 553—553 c neu gefaßt Fassung bis zum I n k r a f t t r e t e n des Seemannsgesetzes 1. A p r i l 1958 i n Geltung, § 146 SeemG. Heute ist die alle Seeleute einschließlich des Kapitäns i n §§ 51, 52
289
Vgl. Brauckmüller,
290
RGBl. 1/1934, 45 ff. Tarifregister Nr. 462.
291
S. 31.
112
I I . Teil: Die Seeschiffahrt v o m A l t e r t u m bis 1945
A m 10. Januar 1941 wurde die Verordnung über die Einführung einer Disziplinargerichtsbarkeit für Kapitäne und Offiziere der Handelsmarine erlassen 292 . Durch diese Verordnung wurde Kapitänen und Offizieren ein jederzeit „verantwortungsbewußtes, achtbares und einsatzbereites Verhalten" zur Pflicht gemacht. Verstöße hiergegen waren m i t Strafen bis zur „Entziehung des Befähigungszeugnisses" auf Zeit oder auf Dauer bedroht; zu einem Seeunfall brauchte es keineswegs gekommen zu sein. Die zusätzliche „Ehrenstrafe" war der Ausschluß aus dem Offiziersstand der Handelsmarine. Für das Verfahren waren „Seedisziplinarkammern" und — als Berufungsinstanz — der „Seedisziplinarhof " beim Reichsoberseeamt zuständig 298 .
292
RGBl. I 38. 293 vgl Wüstendörfer,
Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 174.
Dritter Teil
Die Seeschiffahrt in der Bundesrepublik Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart 1. Der Aufbau der deutschen Handelsflotte nach dem 2. Weltkrieg Vor Ausbruch des 2. Weltkrieges hatte die deutsche Handelsflotte eine Gesamttonnage von 3,98 M i l l . Bruttoregistertonnen 1 . Durch Kriegseinflüsse — Beschlagnahme i n feindlichen Häfen, Versenkung etc. — war die Handelsflotte i m Mai 1945 auf 1,4 M i l l . BRT reduziert worden 2 . Die Siegermächte beschlagnahmten von der verbliebenen Gesamttonnage 1,1 M i l l . BRT 3 . Gemäß dem Potsdamer Abkommen vom 2. 8.19454, dem Industrieplan vom Frühjahr 19465 und der Alliierten Kontrollratsdirektive Nr. 37 war es den deutschen Reedern untersagt, eigene Schiffe i n der Großen Fahrt einzusetzen. I n beschränktem Maße durften nur Schiffe i n der Küstenschiffahrt Frachtreisen durchführen. Gemäß der Direktive Nr. 37 vom 26.10.1946 konnten nur solche Schiffe für den beschränkten K ü stenverkehr eingesetzt werden, die nicht größer als 1500 BRT waren, wobei die Höchstgeschwindigkeit auf 12 Seemeilen pro Stunde festgelegt und der Aktionsradius auf 2000 Seemeilen beschränkt war. Schiffe über 33 m Länge durften nur m i t Dampfmaschinen auf Kohlenfeuerungsbasis angetrieben werden®. Gemäß Kontrollratsgesetz Nr. 39 1 Vgl. Schubert, Die Grundlagen der deutschen Seeschiffahrt, Darmstadt 1952, S. 9. Davon entfielen 130 000 B R T auf die Küstenschiffahrt. 2 Schubert, Die Grundlagen der deutschen Seeschiffahrt. 3 Vgl. Broers, Die Strukturwandlungen i n der deutschen Seeschiffahrt, B e r l i n 1974, S. 84 ff. m. w . Nachw. 4 Vgl. Reintanz (Hrsg.), Völkerrecht, Dokumente, B e r l i n (DDR) 1973, S. 211. 5 Vgl. Seidel, Der Wiederaufbau der Handelsflotte der B R D nach 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Wiederaufbaufinanzierung, Diss. Graz 1955, S. 37 ff. β Vgl. Kontrollratsdirektive Nr. 37 „Abgrenzung der Merkmale der Deutschland über die Fischerei- u. Sportboote hinaus f ü r seine Friedenswirtschaft belassenen anderen Schiffe" v o m 26. Sept. 1946; Gesetze der Hohen K o m mission f ü r Deutschland, abgedruckt i n : Gesetzessammlung Hemken, S t u t t gart 1946.
Hanses 8
114 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
vom 12.11.1946 hatten diese Schiffe die Erkennungsflagge blau weiß rot weiß blau (Doppelstander) zu führen 7 . Erleichterung für die deutsche Handelsschiffahrt ergaben die Beschlüsse der Militärgouverneure vom 19. A p r i l 1949 — sog. Washingtoner Abkommen der Gouverneure der USA, Englands und Frankreichs — und das erste Petersberger Abkommen vom 25.11.1949. I m Washingtoner Abkommen 8 wurde der BRD der Bau von Schiffen bis 7200 BRT m i t einer Höchstgeschwindigkeit von 12 Knoten erlaubt. Diese Produktionsbeschränkungen sollten bis zum 1.1.1953 bzw. bis zum Abschluß eines Friedensvertrages gelten 9 . I m Petersberger Abkommen wurden einige Erleichterungen erlaubt, diese waren: Die Ausdehnung der Höchstgeschwindigkeit auf 13,75 kn; Zulassung von sechs Schiffen, die die Geschwindigkeit nach § 1 des A r t . 11 des Washingtoner Abkommens überschritten hatten, sowie die Zulassung von 6 Kühlschiffen von 3000 BRT m i t 16,5 k n Geschwindigkeit bzw. als Ersatz Schiffe, die die Grenze von 7200 BRT überschritten, jedoch nicht größer als 7800 BRT und nicht schneller als 13,375 k n waren 1 0 . Die wohl erfreulichste Tatsache des Abkommens war, daß die deutsche Küstenflotte wieder aufgebaut und somit der Neubau von seegehenden Handelsschiffen gestattet wurde. Erst m i t dem 2. Petersberger Abkommen vom 3. A p r i l 1951 wurden alle Baubeschränkungen aufgehoben 11 . Der sich daran anschließende rasche Aufbau der deutschen Handelsflotte wurde, gestützt auf gesetzgeberische Maßnahmen 12 , durch massive Kapital- und Zinsbeihilfen der Bundesrepublik gefördert.
7 Vgl. Hecker / Hoog, Deutsche Flaggen, Hamburg 1978, S. 86; gemäß dem Gesetz Nr. 1 — Aufhebung nationalsozialistischer Gesetze — A r t . 1, Abs. c, w u r d e das Reichsflaggengesetz v o m 15.9.1935, R G Bl. 1/1145 f ü r ungültig erklärt; vgl. A m t s b l a t t der Militärregierung Deutschland Nr. 1, Kontrollgebiet der zwölften Armeegruppe. 8 Abgedruckt i n Europa-Archiv, Jahrgang 1949, S. 2165—2168. 9 Vgl. A r t . 11 Washingtoner A b k o m m e n v o m 19. 4.1949. 10 Petersberger A b k o m m e n v o m 25.11.1949, Buchstabe a)—c). 11 Vgl. Schreiben der Hohen Kommission v o m 2. 4.1951 an den Bundeskanzler K . Adenauer; Seidel, Der Wiederaufbau, S. 40. 12 Hier sind zu nennen: Bundesgesetz über Darlehen zum Bau u n d Erwerb von Handelsschiffen v o m 27.9.1950, BGBl., S. 684; Übernahme von B ü r g schaften u n d die Gewährung von Zinsbeihilfen f ü r Darlehen zum B a u u n d Erwerb von Handelsschiffen, 14.10.1955 (BA 1955, Nr. 201); Grundsätze f ü r die Förderung der deutschen Seeschiffahrt v o m 17. 5.1965 (BA Nr. 94 v o m 20. 5.1965).
1. A u f b a u der deutschen Handelsflotte nach dem 2. Weltkrieg
115
Investitionen in der deutschen Seeschiffahrt vom 1.7.1950—31.12.1971 in Mill. D M 1 3 Fremdfinanzierung
Eigenfinanzierung
DM
%
DM
%
DM
%
DM
1
2
3
4
5
6
7
8
1950
14,8
9,9
24,8
16,6
109,7
73,5
149,3
öffentliche Mittel
Jahr
1951
66,0
18,2
96,7
26,7
199,4
55,1
362,1
1952
92,4
32,7
109,0
38,5
81,4
28,8
282,8
1953
307,2
55,7
134,0
24,3
110,4
20,0
551,6
1954
353,9
58,8
130,5
21,7
117,6
19,5
602,0
1955
386,9
58,6
204,5
31,0
69,2
10,4
660,5
1956
370,8
53,7
262,1
40,9
37,0
5,4
689,8
1957
334,4
47,1
355,6
50,1
20,1
2,8
710,1
1958
402,7
54,6
315,3
42,8
19,3
2,6
737,4
1959
372,9
49,8
345,8
46,2
30,0
4,0
748,8
1960
196,3
50,3
177,2
45,5
16,4
4,2
389,8
1961
304,2
50,0
276,3
45,4
28,0
4,6
608,5 413,7
1962
207,8
50,2
197,6
47,8
8,4
2,0
1963
195,2
51,9
143,2
38,1
37,5
10,0
375,9
1964
218,3
48,9
179,4
40,1
49,0
11,0
446,7
1965
226,0
41,1
242,0
44,1
81,2
14,8
549,2
1966
334,8
50,3
247,1
37,1
84,0
12,6
666,0
1967
414,8
35,9
524,6
45,4
216,0
18,7
1155,5
1968
434,2
43,7
419,9
42,3
139,1
14,0
993,0
1969
648,3
32,1
474,8
38,2
120,8
9,7
1243,8
1970
766,3
44,7
819,5
47,8
128,8
7,5
1714,6
1971
801,4
56,1
506,7
35,5
119,2
8,4
1427,3
U m die Außenhandelsbedürfnisse der Bundesrepublik zu w a r anfangs d i e L i n i e n f a h r t Z i e l d e r v e r s t ä r k t e n s t a a t l i c h e n r u n g . I n d e n n a c h f o l g e n d e n A u f b a u p r o g r a m m e n w u r d e n auch S c h i f f s t y p e n b e i d e r G e w ä h r u n g v o n Zuschüssen u n d D a r l e h e n sichtigt.
13
8·
Gesamt
Vgl. Broers, S. 218 m. Nachw.
sichern, Fördeandere berück-
116 I I I . T e i l : Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 Die deutsche Neubautonnage nach Wiederaufbauprogrammen (Stand 1.1.1967) 14
Wiederaufbauprogramm
Schiffe
BRT
Durchschn.Größe BRT
1
2
3
4
a) Potsdam 1949/50
14
21 145
1950
b) Bonn 1950/51
41
123 604
3 015
c) Anschluß 1951/52
38
108 563
2 857
d) L i n i e n 1951/52
24
149 373
6 224
e) „Kleines Programm" 1952/1954
52
173 213
3 331
f) Uberseelinien 1952/1954
26
183 635
7 062
6
56 333
9 389
99
433 523
4 379
15
92 177
6145
k) Zinsverbilligung u n d Bundesbürgschaft 1955/56
64
472 771
7 387
1) Nord-Ostsee-Tramper 1956/57
16
17 099
1069
23
133 247
5 793
528
3 021 964
5 723
946
4 986 649
5 271
g) Tanker 1952/1954 h) Übergang 1954 i) Linienschiffe 1955
m) Ergänzung 1956/57 n) Neubauten außerhalb der Verplanungen des BundesVerkehrsministeriums
Neubautonnage insgesamt
Rund 28 Jahre nach Beginn des 2. Weltkrieges, am 1. Januar 1967, hatte die Gesamttonnage der Bundesrepublik Deutschland m i t 5 255 755 BRT (1070 Schiffe, Durchschnittsgröße 5164 BRT) den Vorkriegstonnagebestand weit überschritten 15 . A m 1. J u l i 1980 befand sich die BRD i m internationalen Vergleich auf Platz 12 der Rangliste der führenden Schiffahrtsländer m i t 8,4 M i l l . BRT Gesamttonnage1®. Vergleicht man den A n t e i l der Tank-, Massengut- und Containerschiffe gegenüber den führenden Schiffahrtsländern, so liegt die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Tankerflotte mit 2,8 M i l l . BRT auf Platz 13, m i t der Massengutflotte auf Platz 14 (1,7 M i l l . BRT) und m i t ihrer Vollcontainerflotte auf Platz 4 (1,2 M i l l . BRT) der Weltrangliste 17 . 14
Vgl. Broers, S. 89 m. Nachw. Vgl. Broers, S. 87. 16 Quelle Lloyd's Register of Shipping, Statistical Tables 1980, Stand 1980; Schiffe über 100 B R T einschließlich Küsten-, Fischerei- u n d Spezialschiffe. 15
2. Stellung des Kapitäns von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart
117
2. Die Stellung des Kapitäns von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart I m 2. Weltkrieg sind auf Handels- und Kriegsschiffen mehr als 80 °/o der Kapitäne und Schiffsoffiziere ums Leben gekommen. Für die Überlebenden gab es i n den ersten Nachkriegs jähren praktisch keine Berufschance. Die Folgen dieses Aderlasses wirken sich bis heute auf die Karrieren der Schiffsoffiziere der Handelsflotte aus. U m dies verständlich machen zu können, ist es erforderlich, die Laufbahn eines Schiffs-Offiziers der Handelsmarine kurz zu skizzieren. Die nautischen Offiziere der Handelsschiffahrt — i m Gegensatz zu den technischen, den Ingenieuren — sind i n der Regel Inhaber des Kapitänspatentes; nur bei Küstenmotorschiffen, auf denen der Kapitän und der Steuermann (sog. Alleinsteuermann) die Schiffsleitung bilden, kommt es vor, daß der Steuermann nur das Steuermannspatent hat. Bevor jemand Kapitän auf einem Schiff i n der großen Fahrt wird, durchläuft er die Positionen des 3., 2. und 1. Offiziers. Während die Zeitspanne der Beförderung zum 2. Offizier relativ kurz ist, beträgt die Wartezeit auf die Beförderung zum 1. Offizier meistens mehrere Jahre. Ob ein 1. Offizier auch Kapitän wird, hängt heute kaum noch von der Tüchtigkeit ab. Die Lücken, die der 2. Weltkrieg und die Umstände der Nachkriegszeit, i n der sich mancher Schiffsoffizier i n der Annahme, es werde nie wieder eine deutsche Handelsflotte geben, von seinem Beruf abgewandt hat, gerissen haben, hat beim Wiederaufbau der Handelsflotte zum Überspringen einer Generation von Schiffsoffizieren geführt. Die nach dem langsamen Wiederaufbau der Handelsflotte i n Kapitänsstellen aufgerückten Männer sind noch relat i v jung. Infolgedessen verbleiben Erste Offiziere häufig mehr als 10 Jahre i n dieser Position und stehen den Kapitänen an Erfahrung nicht nach. Die Reduzierung des Bestandes an Kapitänen und Schiffsoffizieren hatte auch Auswirkungen auf deren kollektive Organisierung. Von den beiden i n der Weimarer Zeit mächtigen Verbänden, die als Vertragspartner des „Verbandes deutscher Reeder e. V." die „ A n stellungsbedingungen" durchsetzten 18 , überlebte nur der „Verband deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere" (VdKS); dieser ist aber keine Koalition i m Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG mehr und damit nicht tariffähig 19 . Kapitäne und Schiffsoffiziere sind heute — wenn überhaupt — i n der D A G und i n der ÖTV organisiert. Diese beiden Gewerkschaften 17
Quelle Lloyd's Register of Shipping, Statistical Tables 1980; Stand 1980. Vgl. Brauckmüller, S. 2. 19 Vgl. Βemm / Lindemann, Seemannsgesetz, Uelzen 1980, Vorbem. 12—14 vor § 23. 18
118 I I I . T e i l : Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
schließen die Tarifverträge mit dem „Verband Deutscher Reeder e. V." ab. 3. Die ersten Tarifregelungen nach 1945 I n der Aufbauphase nach dem 2. Weltkrieg kam es überhaupt nicht zu Tarifverträgen. Vielmehr wurde die letzte Tarifordnung (TO) bis 1950 angewandt. I n diesem Jahr fanden die ersten Verhandlungen über die Anpassung der TO an die veränderten Verhältnisse statt und führten zu einer Einigung zwischen ÖTV und D A G einerseits und dem Verband deutscher Reeder andererseits über Zulagen für die Seeleute und Schiffsoffiziere und über das Auslaufen der TO i m nächsten Jahr. Aufgrund dieser Vereinbarung wurden 1952 der erste Manteltarifvertrag (MTV) für die Besatzungen und die Schiffsoffiziere unterhalb der Ebene des Kapitäns und der erste Kapitäns-MTV abgeschlossen20. Dieser Kapitäns-MTV, dessen volle Bezeichnung „Vereinbarung über Anstellungsbedingungen für Kapitäne i n der deutschen Seeschiffahrt" an die „Anstellungsbedingungen" der Weimarer Zeit anknüpft, gilt gegenwärtig i n der Form der Vereinbarung vom 22. November 1977, die am 1. Januar 1978 i n K r a f t getreten ist 21 .
4. Entstehung des Seemannsgesetzes Zunächst ist aber von Bedeutung, daß schon zu Beginn des Wiederaufbaus der westdeutschen Handelsflotte die ÖTV auf eine Änderung der Seemannsordnung von 1903 drängte. I m Jahre 1948 legte die ÖTV (Fachgruppe Seefahrt) den 1923 von ihrer Vorgängerin, dem Deutschen Verkehrsverband, erarbeiteten Entwurf einer Reformierung der Seemannsordnung von 1903 der damaligen Hauptverwaltung Seeverkehr vor, jedoch ohne Widerhall zu finden 22 . I m Jahre 1950 bildeten Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände auf Anregung der Bundesminister für Arbeit und Verkehr einen Ausschuß, „dem maßgebende Persönlichkeiten der interessierten Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände als Sachverständige angehörten" 28 . Dieser Ausschuß legte Ende 1954 sein Arbeitsergebnis vor, das Grundlage der weiteren Beratungen i n den zuständigen Ministerien wurde. 20 Schildknecht, 15 Jahre Tarifverträge Hansa 1967, S. 1888.
21 22
i n der deutschen Seeschiffahrt,
Vgl. Bemm / Lindemann, Vorbem. 16 vor § 23. Vgl. Becker, in: AuR 1955, S. 98.
23 Begründung zum E n t w u r f eines Seemannsgesetzes, A . Allgemeiner Teil, i n : R d A 1956, S. 412 ff., 413.
4. Entstehung des Seemannsgesetzes
119
I m Rahmen dieser Arbeit braucht auf die Entstehungsgeschichte des Seemannsgesetzes nur insofern eingegangen zu werden, als es u m die Rechtsstellung des Kapitäns geht. 4.1. Stellungnahme des „Verbandes Deutscher Reeder" und des „Deutschen nautischen Vereins von 1868"
Bezeichnenderweise lehnten der „Verband Deutscher Reeder" 24 und der „Deutsche nautische Verein von 1868" 25 „die Einbeziehung des Kapitäns i n die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Entwurfs eines Seemannsgesetzes"26 nachdrücklich ab und sprachen sich für ein Verbleiben der entsprechenden Vorschriften i m HGB aus. Der „Deutsche Nautische Verein von 1868" 27 , eine Vereinigung von Reedern, Schiffsmaklern, aber auch Kapitänen und Schiffsoffizieren, betonte, „eine starke Stellung des Kapitäns (könne) nur i m Interesse aller an der Seeschiffahrt beteiligten Stellen liegen" und folgerte daraus, „daß die sozialen Bestimmungen über den Kapitän nur i n das HGB gehören und nicht i n das Seemannsgesetz. Die Unterbringung der Bestimmungen i m Seemannsgesetz entspräche nicht der besonderen Eigenart der Stellung des Kapitäns. Er trägt die volle Verantwortung für einen beträchtlichen Teil der Reederei, ohne daß für den Reeder die Möglichkeit besteht, ständig eine Kontrolle auszuüben. Der Kapitän ist deshalb nach unserer Auffassung i n seiner Stellung an Bord mehr Arbeitgeber als Arbeitnehmer". Der „Verband Deutscher Reeder" begründete seine Ablehnung der Einbeziehung des Kapitäns i n die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Seemannsgesetzes m i t für die Mitte der fünfziger Jahre erstaunlich modern klingenden Argumenten aus der Funktion des Kapitäns. Der Verband ging davon aus, daß die Erwägungen, die für eine Einbeziehung des Kapitäns vorgetragen wurden, nicht stichhaltig seien. Weder könne mit dem „nicht von der Hand zu weisenden Strukturwandel i n der Seeschiffahrt, der sich seit dem Erlaß der Seemannsordnung i m Jahre 1902 bis heute vollzogen" habe, noch m i t der Entwicklung des modernen Nachrichtenwesens, noch mit der Beurteilung 24
Stellungnahme v o m J u l i 1956, unveröffentlicht. „ A n t r a g auf Änderung des Handelsgesetzbuches, Viertes Buch, Seehandelsrecht, 3. Abschnitt — der Schiffer" v o m 12. A p r i l 1956, unveröffentlicht. 26 So die Formulierung der Überschrift der Stellungnahme v o m J u l i 1956. 27 „Deutscher Nautischer Verein von 1868 ist der Zusammenschluß der örtlichen Nautischen Vereine. Er beteiligt sich w i r k s a m an der Förderung der Seeschiffahrt, insbesondere an den Entwürfen der einschlägigen Gesetze u n d Verordnungen. Z u diesem Zwecke unterhält er eine Reihe von sachverständig besetzten Arbeitsausschüssen", i n : Müller / Krauß, Handbuch f ü r die Schiffsführung, hrsg. von Berger / Helmers, Bd. 2, Schiffahrtsrecht und Manövrieren, Berlin, Heidelberg, New Y o r k 1979, S. 163. 25
120 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
des Rechtsverhältnisses des Kapitäns zum Reeder als Heuerverhältnis begründet werden, weshalb dieses Rechtsverhältnis nicht nach wie vor i m HGB geregelt werden könne. Die Argumentation für eine Einbeziehung des Kapitäns i n die arbeitsrechtlichen Vorschriften des Seemannsgesetzes unterscheide nicht scharf genug „zwischen den verschiedenen Funktionen des Kapitäns, die sich darin zeigen, daß der Kapitän einerseits i n einem Dienstverhältnis zum Reeder steht, andererseits aber Vorgesetzter der Schiffsbesatzung ist und schließlich bestimmte Befugnisse gegenüber Dritten hat" 2 8 . I m Verhältnis zur Besatzung sei die Stellung des Kapitäns heute keineswegs weniger herausgehoben als zur Zeit des Erlasses der Seemannsordnung, nur habe insofern eine Akzentverschiebung stattgefunden, als der Kapitän nunmehr i n einer „sozialrechtlichen Pflichtgebundenheit gegenüber den Besatzungsmitgliedern" stehe. Hierfür seien die zahlreichen Arbeitsschutzbestimmungen des Entwurfs des Seemannsgesetzes „ein augenscheinlicher Beweis". Diese dem Kapitän auferlegten Pflichten begründeten geradezu dessen überragende Stellung gegenüber der Besatzung. Die Entwicklung des Nachrichtenwesens habe sich auf die Stellung des Kapitäns allenfalls so ausgewirkt, als dieser bei Rechtsgeschäften mit Dritten heute i n der Lage sei, sich das Einverständnis des Reeders zu vergewissern. Die Rechtsbeziehung mit Dritten sollte auch nach dem Entwurf des Seemannsgesetzes gerade i m HGB verbleiben. Dann aber sei es unlogisch, ein i n diesem Bereich eingetretene faktische Ä n derung zur Begründung der Einbeziehung der Kapitäns i n die arbeitsrechtlichen Vorschriften des SeemG heranzuziehen 29 . Schließlich seien die Unterschiede zwischen dem Heuerverhältnis eines Besatzungsmitgliedes und der Rechtsstellung des Kapitäns nicht nur gradueller, sondern i n erster Linie funktioneller A r t , was an den zahlreichen öffentlich- und sozialrechtlichen Aufgaben des Kapitäns deutlich werde 30 . Diese zuletzt wiedergegebene Erwägung ist Grundlage für den zweiten Teil der Stellungnahme, i n dem „die Notwendigkeit einer Sonderregelung aus der Sicht des neuzeitlichen Arbeitsrechts" zu begründen versucht wird. 4.1.1. Funktioneller
Arbeitgeberbegriff
Der diese Ausführungen tragende Gedanke ist der des funktionellen Arbeitgeberbegriffs. Diese damals von Hueck 81 und Nikisch 82 i n die 28
Stellungnahme, S. 2. Stellungnahme, S. 3. 30 Stellungnahme, S. 3/4. 31 Vgl. Hueck, i n : Hueck / Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Berlin, Frankfurt, 6. A u f l . 1959, I. Bd., S. 79. 32 Nikisch, Arbeitsrecht, 1951, S. 65 ff. 29
4. Entstehung des Seemannsgesetzes
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Diskussion gebrachte Konstruktion ging von der personenrechtlichen Natur des Arbeitsverhältnisses aus. Da nun i n der Wirklichkeit des Arbeitsprozesses der Arbeitgeber persönlich i n der Regel nicht in Erscheinung tritt, „bekennt sich das neuere Arbeitsrecht zu der Auffassung, daß jeder, der kraft seiner Stellung i m oder zum Betriebe zu verantwortlicher Leitung berufen ist, als Arbeitgeber angesehen werden muß (sog. funktioneller Arbeitgeberbegriff . . .)" 33 . Es sei also durchaus nicht ungewöhnlich, „daß sowohl der eigentliche Inhaber eines Betriebes wie der i n leitender Stellung i n diesem Betrieb Tätige als Arbeitgeber der Betriebszugehörigen anzusehen sind, und zwar jeder für einen bestimmten Teil der Arbeitgeberfunktionen, nämlich der Inhaber hinsichtlich der vermögensrechtlichen Beziehungen zum Arbeitnehmer, der Leiter des Betriebes hinsichtlich der aus der persönlichen Bindung zu den Betriebszugehörigen hervorgehenden Rechte und Pflichten" 3 4 . Nach Auffassung des „Verbandes Deutscher Reeder" treffen diese Erwägungen „ i n erstaunlich großem Umfang auch auf die Stellung des Kapitäns gegenüber der Schiffsbesatzung zu" 3 5 . Die Teilung der A r beitgeberfunktion zeige sich daran, daß der Reeder kaum i n der Lage sei, „die sich aus der persönlichen Beziehung zu den Besatzungsmitgliedern ergebenden Befugnisse auszuüben und die darin begründeten Pflichten zu erfüllen. A n seine Stelle t r i t t der Kapitän. Er hat das Recht und die Pflicht der A n - und Abheuerung, i h m steht die oberste Anordnungsbefugnis zu. I n einer Vielzahl von Bestimmungen w i r d der Kapitän . . . unmittelbar als Inhaber bestimmter Rechte und Pflichten gegenüber den Besatzungsmitgliedern angesprochen. Es sei . . . nur an die Arbeitsschutzbestimmungen e r i n n e r t . . . 3 e ." Daraus folgert der „Verband Deutscher Reeder" der Kapitän nehme „damit eine eigentümliche Doppelstellung ein", die gekennzeichnet sei durch den begrifflichen und organisatorischen Gegensatz von Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dieser könne jedoch nicht normativ dadurch geregelt werden, „daß das neue Seemannsgesetz die Stellung des Kapitäns nach beiden Seiten h i n — sowohl als Arbeitgeber wie als A r beitnehmer — regeln w i l l . Nichts würde der Systematik des Arbeitsrechts und der Forderung nach einer klaren Trennung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer mehr zuwiderlaufen als der Versuch, das Dienstverhältnis des Kapitäns zum Reeder i n dem selben Gesetz zu 33 Vgl. Hueck / Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Berlin, Frankfurt, 6. Aufl. 1959, I I . Bd., S. 553 Fn. 14; Stellungnahme, S. 6 unter Berufung auf Hueck u n d Nikisch. 34 Stellungnahme, S. 6. 35 Stellungnahme, S. 6. 38 Stellungnahme, S. 6.
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regeln, das seine Stellung als Arbeitgeber gegenüber der Besatzung festlegt und — inhaltlich bestimmt — noch dazu i n der Weise, daß man die gleichen Vorschriften, die ihrem Sinn und Wortlaut nach nur für die übrigen Besatzungsmitglieder gelten, auf den Kapitän »sinngemäß4 Anwendung finden läßt 5 7 ." Die „Stellungnahme" wurde hier so ausführlich wiedergegeben, weil sie eindrucksvoll zum Ausdruck bringt, mit welchen die wahren Verhältnisse verdunkelnden ideologischen Denkfiguren die Reeder versuchten, die Spaltung der Besatzung i n Kapitän und Besatzung aufrechtzuerhalten, u m nicht einer geschlossenen Front aller auf dem Schiff Tätigen gegenüberzustehen. Dabei gelang es dem Verband, die wirklich entscheidende Veränderung i m Verhältnis zwischen Reeder und Kapitän, die sich i m Verlauf der letzten achtzig Jahre vollzogen hatte, völlig aus seiner Argumentation herauszuhalten, nämlich den Verlust der Mitreeder-Stellung des Kapitäns. Diese Veränderung hat offenbar i n der ganzen Diskussion keine Rolle gespielt, der Verband konnte i n seiner Stellungnahme beruhigt davon ausgehen, daß „die gesetzlichen Befugnisse des Kapitäns gegenüber Dritten . . . dem HGB vorbehalten bleiben" sollen 38 . Der gewandelten Realität hätte es entsprochen, die Regelungen dieser Materie ersatzlos aufzuheben, eben w e i l der Kapitän nicht mehr — i m HGB zu behandelnder — Unternehmer, sondern Arbeitnehmer geworden war. 4.2. Stellungnahme des Senators für Häfen, Schiffahrt und Verkehr vom 20.4.1956
Der reale Anknüpfungspunkt für die Forderung des „Verbandes Deutscher Reeder" scheint das Bestreben der Kapitäne selbst gewesen zu sein. Schon die Äußerung des „Deutschen Nautischen Vereins von 1868", dem ja auch viele Kapitäne angehören, deutet i n diese Richtung. Belegt werden kann sie m i t der Stellungnahme des Bremer Senators für Häfen, Schiffahrt und Verkehr vom 28. A p r i l 195639. Hierin heißt es unter anderem: „Der Kapitän steht i n einem besonderen Vertrauens- und Treueverhältnis zum Reeder, und zwar i n einem Maße, das über jenes Vertrauensverhältnis, wie es bei jedem leitenden Angestellten eines Landbetriebes selbstverständlich ist, weit hinausgeht. So schreibt aus guten Gründen § 545 des Handelsgesetzbuches vor, daß der Schiffer, selbst wenn das Gegenteil vereinbart ist, jederzeit von dem Reeder entlassen werden kann . . . Diese Bestim37 38 39
Stellungnahme, S. 8. Stellungnahme, S. 3. Unveröffentlicht.
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mung —mutatis mutandis mit den Bestimmungen für die sogenannten politischen Beamten' vergleichbar — ist ein Ausdruck jenes besonderen Vertrauensverhältnisses . . b e i dessen Fortfall eine weitere Zusammenarbeit nicht möglich ist . . . Eigentlich alle Nautiker, mit denen ich über dieses Thema i n den letzten Wochen gesprochen habe, haben m i t Nachdruck, j a geradezu mit Leidenschaft den Standpunkt vertreten, daß die Rechtsverhältnisse des Kapitäns nicht i m Seemannsgesetz, sondern — wie bisher i m Handelsgesetzbuch geregelt werden sollten. Ich habe das Empfinden, daß dies nicht nur die Meinung der Bremer Nautiker, sondern der gesamten Nautikerschaft oder jedenfalls ihres weit überwiegenden Teils ist. Nach meiner Auffassung sollte man sich nicht über den so ausgesprochenen Wunsch des gesamten Berufsstandes hinwegsetzen. Ich möchte daher die Meinung vertreten, daß die Bestimmungen über die arbeitsrechtlichen Verhältnisse des Kapitäns aus dem Entwurf herausgenommen werden . . . 4 0 ." Der Senator geht dann auf gesetzestechnische Schwierigkeiten ein und kommt zu dem Schluß: „Es müßte nach meiner Auffassung möglich sein, auch i m Handelsgesetzbuch die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Kapitäns zu regeln, ohne daß dies gesetzestechnisch zu große Schwierigkeiten macht. A u f der anderen Seite sollte man solche Imponderabilien, wie sie sich hier im entschiedenen Widerstand der Kapitäne gegen die Regelung i m Seemannsgesetz aussprechen, i n ihrer Bedeutung nicht unterschätzen." 4.3. Kritik des Verfassers
Die letzten Sätze machen klar, daß es tatsächlich die Kapitäne selbst und nicht nur die sonstigen „nautischen Interessierten" waren, die gegen eine einheitliche Regelung des Arbeitsrechts aller an Bord eines Schiffes Beschäftigten Sturm liefen. A n keiner Stelle findet man einen Vorstoß der Kapitäne oder ihrer Standesorganisation m i t dem Ziel, endlich wenigstens den § 545 HGB — für den der Bremer Senator noch 1956 „gute Gründe" sieht — und die erweiterte Haftung nach § 512 HGB aufzuheben. Sie wehrten sich also nur gegen die Herabsetzung ihrer real gar nicht mehr herausgehobenen Stellung, die sie i n der gesetzlichen Anerkennung ihrer Rechtsstellung als Arbeitnehmer und der damit vollzogenen grundsätzlichen statusmäßigen Gleichstellung mit der Besatzung sahen. Konnte es den Kapitänen Ende der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts bei der Beratung des A D H G B i n erster Linie wegen ihrer Schwäche i m Verhältnis zu den Reedern und den anderen Schiffahrts40
Stellungnahme, S. 3; alle Hervorhebungen von mir.
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kreisen nicht gelingen, ihre Interessen auch nur einigermaßen zu wahren, so gelang ihnen das rund einhundert Jahre später offenbar deswegen nicht, weil sie sich i n ein berufsständisches Scheingefecht stürzten, ohne ihre Interessenlage klar analysiert und entsprechende Forderungen gestellt zu haben. 4.4. Begründung des Gesetzgebers
Überraschenderweise wurde der so nachdrücklich von Seiten der Heeder, der Nautiker und des Staates, mindestens der Freien Hansestadt Bremen, „ausgesprochene Wunsch des gesamten Berufsstandes" vom Gesetzgeber des SeemG nicht respektiert. I n dem am 5. Dezember 1956 dem Bundestag zugeleiteten „Entwurf eines Seemannsgesetzes"41 heißt es i n der Begründung zu § 80, der i m wesentlichen dem geltenden § 78 SeemG entspricht: „Trotz seiner hervorgehobenen Stellung i m Rahmen des Schiffsbetriebes bedarf auch der Kapitän eines gewissen sozialen Schutzes. Seine arbeitsrechtlichen Beziehungen zum Reeder sind mehr oder weniger ebenso als Heuerverhältnis anzusehen wie die der übrigen Besatzungsmitglieder 42. Das Heuerverhältnis weist allerdings i n mancher Hinsicht gewisse Ähnlichkeiten m i t dem A r beitsverhältnis eines leitenden Angestellten auf. Der Entwurf übernimmt daher die arbeitsrechtlichen Vorschriften des Dritten Abschnittes 43 , die für den Kapitän erforderlich erscheinen. Der Entwurf geht damit den umgekehrten Weg gegenüber der SO, die diese Vorschriften i m Handelsgesetzbuch (§§ 545 ff.) beläßt und i n ihren §§ 63 Abs. 3, sowie 65 Abs. 4 nur zwei Sonderfälle regelt. Nach dem Entwurf verbleiben i m Handelsgesetzbuch nur noch die Vorschriften über den Kapitän, denen ausschließlich oder zum mindesten auch handelsrechtliche Bedeutung zukommt (vgl. dazu § 146 Abs. 2 und 3). Das Handelsgesetzbuch durch umfassende Vorschriften des Kapitäns zu erweitern, wie es teilweise von der Basis angeregt wurde, würde bedeuten, materiell gleiche Vorschriften i n zwei verschiedenen Gesetzen zu bringen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß der Kapitän heute nicht mehr wie früher häufig Teilhaber des Reeders ist**. Absatz 1 schreibt die Anwendung der meisten Vorschriften des Dritten Abschnitts auch auf den Kapitän vor. Dabei ist jedoch darauf Bedacht genommen, daß sich die Rechtslage des Kapitäns i n keiner Weise gegenüber der bisherigen nach dem Handelsgesetzbuch verschlechtert. Nicht gelten für den Kapitän die Bestimmungen über den Heuerschein, das Schiff der 41 42 43 44
Bundestagsdrucksache, 2. Wahlperiode, Nr. 2962. Hervorhebung von m i r . Überschrieben m i t „Heuerverhältnis der Besatzungsmitglieder". Hervorhebung von mir.
4. Entstehung des Seemannsgesetzes
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Dienstleistung, die Bordanwesenheits- und Dienstleistungspflicht, die Verteilung der Heuer bei nicht ausreichender Schiffsbesatzung, den Landgang, die Zurücklassung und den Fortfall des Rückbeförderungsanspruchs beim Nachweis einer entsprechenden Beschäftigung auf einem anderen deutschen Schiff. Diese Vorschriften sind auf den Kapitän entweder sachlich nicht anwendbar, weil er als der verantwortliche Führer des Schiffes diese Gegenstände für seine Person i n eigener Zuständigkeit regeln muß, oder weil sie seiner besonderen Stellung i m Verhältnis zum Reeder nicht gerecht werden. Für den Landgang des Kapitäns ist i m übrigen § 517 HGB von Bedeutung. Außerdem finden auf den Kapitän keine Anwendung die §§ . . . , an deren Stelle insoweit die Sondervorschriften . . . treten, die ebenfalls wieder ihre Rechtfertigung i n dem besonderen Vertrauensverhältnis des Kapitäns zum Reeder finden. 45 «
,,. . . .
4.5. Ergebnis
Diese Ausführungen beweisen, daß jedenfalls die Bundesregierung, deren Minister für Arbeit und für Verkehr für den Entwurf federführend waren, erkannt hatte, daß der Kapitän Angestellter des Reeders und nicht etwa dessen Geschäftspartner i m Handelsverkehr ist. Gewisse Unklarheiten waren aber offenbar nicht behoben. Dies zeigt sich formal an der seltsam unbestimmten Formulierung, die arbeitsrechtlichen Beziehungen des Kapitäns zum Reeder seien „mehr oder weniger ebenso als Heuerverhältnis anzusehen . . . " und an der Aussage, „das Heuerverhältnis des Kapitäns (weise), allerdings i n mancher Hinsicht gewisse Ähnlichkeiten mit dem Arbeitsverhältnis eines leitenden Angestellten auf". Materiell-rechtlich w i r k t sich diese Unsicherheit oder Unklarheit stark zu Lasten des Kapitäns aus. Es werden i m HGB „nur noch die Vorschriften über den Kapitän", denen ausschließlich oder zum mindesten auch handelsrechtliche Bedeutung zukommt . . . , belassen. Diese Aussage ist u m so überraschender, als die Verfasser der Begründung zum Regierungsentwurf zur Kenntnis nehmen und sogar darauf hinweisen, „daß der Kapitän heute nicht mehr wie früher häufig Teilhaber des Reeders ist". Es w i r d also gar nicht als Problem empfunden, daß Rechtsbeziehungen von Nichtkaufleuten noch 1957 i m HGB geregelt werden, wenn auch nicht ihr Anstellungsverhältnis. Zwar kann hier nicht von einem Systembruch gesprochen werden, denn auch die Rechtsverhältnisse der sog. unselbständigen kaufmännischen Hilfspersonen, also der Prokuristen, der Handlungsbevollmächtigten, vor allem aber der Handlungsgehilfen, der kaufmännischen Auszubildenden und Volontäre, 45
Bundestagsdrucksache, 2. Wahlperiode, Nr. 2962, S. 61.
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sind i m HGB geregelt, §§ 48—82 HGB 4 6 , aber bei einer Novellierung des Rechtsverhältnisses des Kapitäns hätte es nahegelegen, die Berechtigung des Fortbestehens dieser handelsrechtlichen Regelungen zu überprüfen. 5. Die arbeitsrechtlidie Stellung des Kapitäns nadi dem Seemannsgesetz und den Tarifverträgen 5.1. Vorbemerkung
I n Wahrheit hat das SeemG gar nicht das arbeitsrechtliche Verhältnis zwischen Reeder und Kapitän geregelt, sondern nur Teile hiervon, allerdings unter dem Gesichtspunkt der Verbesserung des sozialen Schutzes für die Kapitäne. Auch nach dem Erlaß des SeemG ist das Arbeitsrecht der Seeleute einschließlich der Schiffsoffiziere und des Kapitäns über zahlreiche Gesetze verteilt geregelt. Bemm / Lindemann erklären die Notwendigkeit der Sonderregelungen i m SeemG insbesondere aus dem Umstand, daß sich das Schiff m i t seiner Besatzung oft monatelang vom Inland entfernt aufhalte, u. U. sogar jahrelang keinen inländischen Hafen anlaufe. Das Schiff sei für den Seemann i n seiner ganzen Borddienstzeit Lebensmittelpunkt. Dort verbringe er nicht nur seine Dienststunden, sondern auch — jedenfalls während der Fahrt — seine gesamte Freizeit. Er wohne auf dem Schiff sogar i m Hafen und müsse mindestens während der Fahrt auch an Bord medizinisch versorgt werden. Der durchgehende Schichtbetrieb auf See mache das allgemeine Arbeitszeitrecht unanwendbar. Schließlich bedürfe es besonderer Regelungen für die Beendigung des Heuerverhältnisses außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes, da eine Ergänzung der Schiffsbesatzung, die aus Gründen der Schiffssicherheit bei Ausscheiden eines Besatzungsmitgliedes zu erfolgen habe, i m Ausland auf Schwierigkeiten stoße47. Dieser die Wirklichkeit des Seemannsberufs zutreffend bezeichnenden Darstellung ist nur hinzuzufügen, daß auch die Rückbeförderung von Seeleuten, deren Heuerverhältnis beendet ist, aus dem Ausland Probleme aufweist, die i m Landarbeitsverhältnis nicht auftreten. 46 Vgl. hierzu Hofmann, Handelsrecht, 3. Aufl. F r a n k f u r t / M a i n 1979, A b schnitt F, S. 145 ff.; Hofmann läßt nicht erkennen, daß er i n diesen arbeitsrechtlichen Regelungen i m H G B zumindest ein Problem sieht. Auch Baumbach/Duden, Handelsgesetzbuch 1980, 24. Aufl., München, behandeln das Arbeitsrecht des Handlungsgehilfen vollständig i n der Kommentierung zu § 59, S. 205—255. 47 Bemm / Lindemann, Seemannsgesetz, Vorbem. 2 vor § 23; vgl. auch Schelp / Fettback, Seemannsgesetz, Vorbem. 7 v o r § 23.
.
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Erfordern diese tatsächlichen Besonderheiten der Arbeitsverhältnisse aller Seeleute einschließlich des Kapitäns eigene gesetzliche Regelungen, so müssen diese jedoch nicht i n allen Punkten vom allgemeinen Arbeitsrecht abweichen. M i t Recht weisen B e m m / L i n d e mann darauf hin, daß die Einarbeitung dieser Besonderheiten i n das Arbeitsrecht nach dem BGB dieses für alle Arbeitnehmer an Land erheblich komplizieren würde 4 8 . Man kann allerdings fragen, ob ein vollständiges Arbeitsrecht für Seeleute einschließlich der allgemeinen Lehren nicht geboten gewesen wäre; wahrscheinlich wäre aber ein solches Vorhaben an ähnlichen Schwierigkeiten gescheitert wie i n neuester Zeit die Arbeitsgesetzbuchkommission 49 . 5.2. Die Tarifverträge und das Seemannsgesetz sowie andere, für das Arbeitsverhältnis des Kapitäns geltende, Vorschriften
Das Dilemma wurde nun so gelöst, daß i n dem dritten Abschnitt über das Heuerverhältnis der Besatzungsmitglieder nur diejenigen Vorschriften aufgenommen wurden, die von den allgemeinen Regelungen für das Landarbeitsrecht abweichen 50 . Soweit also der dritte Abschnitt des SeemG keine besonderen Vorschriften enthält, gelten für das Heuerverhältnis uneingeschränkt die allgemeinen arbeitsrechtlichen Vorschriften des BGB, insbesondere die §§ 611 ff., der A l l gemeine Teil des BGB und Vorschriften aus dem allgemeinen Teil des Schuldrechts, ferner das Bundesurlaubsgesetz, das Betriebsverfassungsgesetz nach Maßgabe der §§ 114—116, BetrVG, das Mitbestimmungsgesetz nach Maßgabe des § 34 MitbestG, das Kündigungsschutzgesetz, das Gesetz über die Fristen für die Kündigung von Angestellten vom 9. J u l i 192651, das Mutterschutzgesetz, das Arbeitsplatzschutzgesetz, das Schwerbehindertengesetz, sowie die Bildungsurlaubsgesetze der Länder 5 2 . Daneben kommt den Tarifverträgen für die inhaltliche Ausgestaltung des Heuervertrages aller Seeleute einschließlich des Kapitäns entschiedene Bedeutung zu. Das SeemG enthält nur die M i n destbedingungen des Heuerverhältnisses 53 ; nach § 10 S. 2 SeemG kann von den Vorschriften des dritten und vierten Abschnitts, also den Regelungen des Heuerverhältnisses, abgewichen werden, soweit dieses Gesetz es nicht ausschließt 54 . Die zwingende Natur einer Vorschrift 48
Bemm / Lindemann, Seemannsgesetz, Vorbem. 2 vor § 23. Vgl. Söllner, Arbeitsrecht, 7. Aufl., § 1 I I I 1, S. 15 f. Vgl. E n t w u r f eines Seemannsgesetzes, S. 41, I I I . 3. 51 RGBl. I S. 399, berichtigt S. 412. 62 Vgl. Bemm l Lindemann, Vorbem. 3 vor § 23 ; vgl. Schelp / Fettback, bem. 3 vor § 23. 53 Vgl. E n t w u r f eines Seemannsgesetzes, S. 41, Abs. I I I , sub. 3. 54 Vgl. E n t w u r f , S. 41 Abs. I I I , sub. 3. 49
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Vor-
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braucht nach herrschender Meinung nicht ausdrücklich vorgeschrieben zu sein, sondern kann sich auch aus der Natur der Regelung ergeben; zwingend sind Vorschriften i m allgemeinen nur bei öffentlich-rechtlichem Inhalt 5 5 . Steht damit fest, welches Rechtsquellen des Seearbeitsrechts i m allgemeinen sind, so ist nunmehr das Arbeitsverhältnis des Kapitäns i m besonderen abzuhandeln. Nach § 78 Abs. 1 SeemG finden die Vorschriften über das Heuerverhältnis bis auf wenige Ausnahmen auf den Kapitän sinngemäß A n wendung. Für den Kapitän gelten nicht die Vorschriften über den Heuerschein (§ 24), das Schiff der Dienstleistung (§ 27), die Bordanwesenheitspflicht (§§ 28, 29), die Verteilung bzw. Erhöhung bei nicht ausreichender Schiffsbesatzung (§ 38), die Verkürzung der Verpflegung bei ungewöhnlich langer Reisedauer (§ 40 Abs. 1 und 2), den Landgang (§ 61), die Beendigung des Heuerverhältnisses durch ordentliche (§§ 62, 63) und außerordentliche Kündigung (§§ 64, 65, 67—70), das Verbot der Zurücklassung an einem Ort außerhalb des Geltungsbereichs des GG (§ 71) und den Rückbeförderungsanspruch (§§ 72—74). Der Ausschluß dieser Vorschriften darf nicht etwa als Schlechterstellung für den Kapitän verstanden werden. Z u einem erheblichen Teil sind die ausgeschlossenen Regelungen auf den Kapitän deshalb nicht anwendbar, w e i l dieser Subjekt der i n der jeweiligen Norm eingeräumten Rechte ist; dies gilt für die §§ 28, 29, 40 Abs. 1 und Abs. 2, 61, einen Teil der Kündigungsvorschriften und §§71 ff. Zu einem anderen Teil finden sich entsprechende, auf die Stellung des Kapitäns bezogene, Pflichten und Rechte i m HGB, ζ. B. hinsichtlich des Landgangs der Seeleute (§ 61 SeemG), das entsprechende Verlassen des Schiffes, § 517 HGB. Schließlich aber enthält § 78 Abs. 2 ff. SeemG eine Reihe von erheblichen Besserstellungen des Kapitäns i m Verhältnis zu den Besatzungsmitgliedern. Die wesentlichste dürften die Regelungen über die Kündigung des Heuerverhältnisses des Kapitäns sein, § 78, Abs. 3—5 SeemG 56 , welche das unabdingbare Recht des 55 Vgl. Bemm / Lindemann, § 10 Rdn. 1; Schelp / Fettback, § 10 A n m . 4; E n t w u r f S. 41, Abs. I I I , sub. 3. 58 So finden bei einem auf unbestimmte Zeit eingegangenen Heuerverhältnis längere Kündigungsfristen, die nach Dienstjähren bei demselben Reeder gestaffelt sind, auf den K a p i t ä n Anwendung, § 78 Abs. 3 SeemG. Das Dienstverhältnis k a n n sowohl v o m Kapitän, als auch v o m Reeder n u r bei Vorlage eines wichtigen Grundes vorzeitig beendet werden, vgl. dazu Bemm / Lindemann, A n m . 20—28 zu § 78 SeemG. Nach § 24 Abs. 5 KSchG ist der § 1 KSchG auf den K a p i t ä n anwendbar. Jedoch ist bei Neufassung des K ü n digungsschutzgesetzes i m Jahre 1969 übersehen worden, daß gemäß § 14 Abs. 2 KSchG alle leitenden Angestellten dem ersten Abschnitt des KSchG
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Reeders zur jederzeitigen Kündigung des Kapitänsvertrages gegen Leistung einer Entschädigung, § 545 HGB a. F., ablösten; nach geltendem Recht steht dem Reeder heute noch das Recht zu, dem Kapitän während der Kündigungsfrist die Ausübung der Befugnisse zu untersagen, § 545 HGB i. d. F. des Seemannsgesetzes57. 5.3. Zusammenfassung
Faßt man die Bestimmungen des Seemannsgesetzes über das Heuerverhältnis des Kapitäns zusammen, so ergibt sich, daß das Gesetz M i n destarbeitsbedingungen über die Dauer des Heuerverhältnisses, den Begriff der Heuer (nicht deren Mindesthöhe), Urlaub, Verpflegung und Unterbringung, Krankenfürsorge und Heuerfortzahlung, sowie über die Kündigung des Heuerverhältnisses enthält. Die gleichfalls für den Kapitän geltende Seediensttauglichkeit — i n §§ 80—83 SeemG geordnet —, die auch der Kapitän nach bestimmten Zeitabläufen nachweisen muß, soll hier nicht weiter behandelt werden 58 . Man muß i m Blick behalten, daß ganz wesentliche arbeitsvertragliche Pflichten des Kapitäns i n den i h m eigens gewidmeten 3. Abschnitt des 4. Buches und i n den Abschnitten 4—11 des 4. Buches des HGB (Frachtgeschäfte zur Beförderung von Gütern) geregelt sind. Die wesentlichsten dieser Verpflichtungen sollen i n einem eigenen Abschnitt untersucht werden, weil sie i n weitem Umfang die Stellung des Kapitäns zu Dritten regeln. 5.4. Kapitäns-MTV und - H T V
Schon an dieser Stelle 1st dagegen auf die Ausfüllung des gesetzlichen Rahmens des Anstellungsverhältnisses des Kapitäns durch Tarifverträge einzugehen. Daß der Tarifvertrag nur für tarifgebundene Kapitäne und Reeder gilt, d. h. für die Mitglieder einer Gewerkschaft bzw. der ReederVerbände, ergibt sich aus § 3 Abs. 1 TVG. Es ließ sich nicht ermitteln, wie hoch der Organisationsgrad der auf deutschen Seeschiffen fahrenden Kapitäne ist, w e i l die aus der Seeschiffahrt ausscheidenden nicht aus der Gewerkschaft austreten und daher die Statistik erheblich verfälschen 59 . Ungeachtet dieses Umstandes w i r d man annehmen müssen, unterstehen, dazu näheres bei Hueck / Hueck, Kündigungsschutzgesetz, 10. Aufl., München 1980, S. 451. 57 Näheres zu diesem Recht des Reeders u n d seiner Begründung bei Monnerjahn, Das Arbeitsverhältnis i n der deutschen Seeschiffahrt, S. 125 ff. 58 Vgl. Bemm / Lindemann, A n m . zu § 81 SeemG., S. 401 ff. 59 A u s k u n f t der D A G gegenüber dem Verfasser. Hanses 9
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daß der Kapitäns-MTV ebenso wie die Landarbeitsverhältnisse betreffenden Tarifverträge über den Kreis der Tarifgebundenen derart hinauswirkt, daß er durch einzelvertragliche Abrede auch den Dienstverträgen m i t nicht den Gewerkschaften angehörenden Kapitänen zugrunde gelegt wird 8 0 . Inhaltlich kann an die Ausführungen zu den ersten tarifvertraglichen Regelungen nach 1918 angeknüpft und auf diese Bezug genommen werden; zwar hat sich die Zahl der Paragraphen i n den jetzt geltenden Tarifverträgen gegenüber der Zeit vor fünfzig Jahren erheblich erhöht, jedoch sind die Regelungsgegenstände und Inhalte i m wesentlichen dieselben geblieben. Gegenwärtig gelten die „Vereinbarungen über die Anstellungsbedingungen für Kapitäne i n der deutschen Seeschiffahrt" (KapitänsMTV) zwischen dem „Verband Deutscher Küstenschiffseigner e. V.", dem Verband Deutscher Reeder einerseits und der ÖTV und der D A G andererseits vom 22. Nov. 1977 und die „Vereinbarungen über die Bezüge der Kapitäne i n der deutschen Seeschiffahrt" vom 14. Jan. 1981 (Kapitäns-HT V). Wesentliche Regelungsgegenstände des Kapitäns-MTV sind die Bezüge des Kapitäns (§§ 7 ff.), seine Sachleistungsansprüche, die Freizeitansprüche (§§ 19 ff.), sowie Regelungen über die Beendigung des A n stellungsverhältnisses, §§ 27—34. Die Höhe der Vergütung nach dem Kapitäns-HTV ist an das Fahrtgebiet gebunden, § 4 Kapitäns-MTV. Interessanterweise findet sich i n § 8 eine Regelung über erhebliche Gehaltserhöhungen für den Kapitän bei Unterbesetzung m i t nautischen Offizieren. Die Sachleistungsansprüche reichen vom Verpflegungsgeld über die Kostentragung für Dienstuniformen, die den Reeder trifft, § 16, bis zur Krankenfürsorge, wo die gesetzliche Regelung des § 78 Abs. 2 Satz 1 SeemG insofern zugunsten des Kapitäns modifiziert wird, als Vorbeugung, Heil- oder Genesungskuren der Krankheit i m Hinblick auf die Heuerfortzahlung gleichgestellt werden. Die „Freizeitansprüche" betreffen Urlaubsregelungen, die einen viel längeren Urlaub vorsehen als § 3 BUrlG. Allerdings weicht der Kapitäns-MTV hinsichtlich der Urlaubsgewährung erheblich zugunsten des Kapitäns von § 7 B U r l G ab, was jedoch nach § 55 SeemG zulässig ist, diese Regelungen sind gegenüber § 7 B U u r l G lex specialis. Die §§ 19—26 80 Vgl. Söllner, S. 124; die dem Tarifvertrag von Söllner zugeschriebene Tendenz beruht darauf, daß die Unternehmer bei einer schlechteren Behandl u n g der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer diese geradezu i n die Gewerkschaft hineintreiben würden.
6. Die Rechtsnatur des Anstellungsvertrages
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Kapitäns-MTV halten sich i n dem weitgesteckten Rahmen des § 55 SeemG. Die Regelungen über die Beendigung des Anstellungsverhältnisses entsprechen i m wesentlichen denen der „Anstellungsbedingungen" vor 50 Jahren 61 . Die Kündigungsfristen sind heute länger, § 29, die Umschaufrist beträgt jetzt grundsätzlich 6 Wochen, § 32.
6. Die Rechtsnatur des Anstellungsvertrages Daß diesem Problem ein besonderer Abschnitt gewidmet wird, beruht nicht auf der Notwendigkeit, für ungelöste individualrechtliche Probleme noch eine rechtsdogmatische Grundlage zu finden, sondern darauf, daß i n neuester Zeit dem Kapitän die Ausübung des kollektivrechtlichen Grundrechts zu streiken, bestritten wird. 6.1. Die Meinung H. Seiters
Hugo Seiter hat i n seiner aus einem Rechtsgutachten für den „Verband Deutscher Reeder e. V." und die „Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände" entstandenen Schrift „Arbeitskampfrecht und Übermaß verbot" 6 2 folgenden Standpunkt vertreten: Der Kapitän sei Arbeitnehmer des Reeders; sein Arbeitsverhältnis werde tarifvertraglich geregelt, und er zähle zur Gruppe der leitenden Angestellten. Unabhängig davon, wie man das Streikrecht der leitenden Angestellten beurteile, könne jedenfalls der Kapitän wegen seiner besonderen Stellung und Verantwortung kein Streikrecht beanspruchen. Der Kapitän sei nach § 2 Abs. 1 SeemG „Führer des Schiffes" mit umfangreichen öffentlich-rechtlichen und arbeitsrechtlichen Befugnissen. Die eigenständige und eigenverantwortliche arbeitgeberähnliche Stellung des Kapitäns ergebe sich nicht nur aus dem Seemannsgesetz und dessen Strafdrohungen für Kapitäne, die die ihnen übertragenen Arbeitgeberpflichten verletzen 63 , sondern auch aus den §§511 ff. HGB: Den Kapitän treffe danach eine Sorgfalts- und Haftungspflicht sowohl gegenüber dem Reeder als auch gegenüber bestimmten Dritten; selbst wenn der Kapitän auf Weisung des Reeders gehandelt habe, befreie i h n dies nach § 512 Abs. 2 HGB nicht von der Haftung gegenüber D r i t ten. Der Kapitän übe daher i n weit höherem Maß als sonstige leitende Angestellte Arbeitgeberfunktionen aus, und zwar kraft Gesetzes. Seine 61 82 88
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Vgl. oben, S. 109 ff. Düsseldorf u n d F r a n k f u r t 1979. Seiter zieht die §§ 121, 123 a, 125, 126 SeemG heran.
132 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
Stellung nähere sich derjenigen von Mitgliedern des gesetzlichen Vertretungsorgans privater juristischer Personen so stark an, daß ihm, wie diesen, kein Streikrecht zustehen könne. Die Vergleichbarkeit liege darin, daß i n beiden Fällen die Arbeitgeberfunktionen nicht vom eigentlichen Arbeitgeber, auch nicht vorübergehend während des Streiks, wahrgenommen werden könnten. Seiter begründet damit ein absolutes Streikverbot für die Zeit, i n der der Kapitän das Kommando über ein Schiff führt. A n Land schuldeten nicht beurlaubte Kapitäne nur Rufbereitschaft, die grundsätzlich streikweise verweigert werden könnte 6 4 . Diese Rechtsauffassung rechtfertigt nicht nur den gesamten geschichtlich gewordenen Bestand an Normen, die für den Kapitän heute noch gelten, sondern er zieht ohne eine Prüfung deren sozialer und wirtschaftlicher Berechtigung i n der Gegenwart sogar die Konsequenz, dem Kapitän das Streikrecht bis auf einen unpraktikablen Rest zu nehmen. Unter diesen beiden Aspekten, dem der Rechtfertigung und der Beschneidung einer Grundrechtsposition soll i m folgenden eine Auseinandersetzung m i t Seiters Meinung erfolgen; i m Verlauf dieser Untersuchung w i r d die Rechtsstellung des Kapitäns und werden zwingend notwendige Änderungen deutlich erkennbar werden. 6.2. Der Kapitän als leitender Angestellter
M i t Seiter ist davon auszugehen, daß der Kapitän Arbeitnehmer des Reeders und als ständiger Vertreter des Reeders i n dessen Arbeitgebereigenschaft auch als „leitender Angestellter" einzuordnen ist, vgl. §§ 2, 29 SeemG. Arbeitsrechtlich ist allerdings dieser Einordnung nichts zu entnehmen, denn das deutsche Arbeitsrecht kennt keine allgemeine rechtliche Ausgestaltung des Status eines leitenden Angestellten. Vielmehr finden sich nur i m Betriebsverfassungsrecht, i m Kündigungsschutzgesetz und i n der Arbeitszeitordnung Sonderregelungen für den m i t „leitenden Angestellten" umschriebenen Personenkreis; diese Gesetze bezeichnen selbst jeweils den Kreis der „leitenden Angestellten", für den sie Sonderregelungen treffen® 5. Zwar ist auch beim Fehlen eines allgemeinen arbeitsrechtlichen Begriffs des „leitenden Angestellten" diesem Personenkreis grundsätzlich eigen, daß sie „ i m hohen Maße Unternehmerfunktionen wahrnehmen" 6 ®, jedoch erfährt dieses Merkmal beim Kapitän noch eine erhebliche Steigerung. M i t Recht hebt 84
Seiter, S. 66 f. Vgl. Söllner, Arbeitsrecht, 7. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1981, S. 32/33. «® Söllner, S. 32/33. 85
6. Die Rechtsnatur des Anstellungsvertrages
133
Monnerjahn hervor, daß die „Rechte und Pflichten des Kapitäns" aufgrund der besonderen Struktur des Schiffsbetriebes oft über die eines leitenden Angestellten i n einem Landbetrieb hinausgehen 67 . Die den Kapitän vom leitenden Angestellten i m Landbetrieb unterscheidenden Besonderheiten liegen rechtlich nicht — wie Monnerjahn meint — i n der Berechtigung zur Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern 6 8 , wenn diese Befugnisse auch i n der Realität von Kapitänen vielleicht häufiger ausgeübt werden als von leitenden A n gestellten an Land. Die gesetzlichen Regelungen, die den Kapitän m i t weitgehenden Arbeitgeberkompetenzen ausstatten, finden sich i n erster Linie i m Betriebsverfassungsrecht. Die besonderen Befugnisse schließlich, die das Seemannsgesetz dem Kapitän einräumt, sind — wie i m historischen Abriß dargelegt wurde — nur sehr beschränkt m i t den Funktionen vergleichbar, die einem Arbeitgeber an Land zustehen. Nach den §§ 114—116 BetrVG t r i t t der Kapitän jedenfalls insofern an die Stelle des Reeders als Arbeitgeber, als dieser infolge der Abwesenheit des Schiffes vom Heimathafen seine Arbeitgeberstellung nicht wahrnehmen kann. Der Grundsatz ist i m § 115 Abs. 7 Nr. 1 BetrVG enthalten. Nach dieser Vorschrift richtet sich die Zuständigkeit der Bordvertretung für die M i t w i r k u n g und Mitbestimmung des Seebetriebsrates unterliegenden Angelegenheiten, die den Bordbetrieb oder die Besatzungsmitglieder des Schiffes betreffen, nach den Kompetenzen, die dem Kapitän aufgrund gesetzlicher Vorschriften oder der i h m von der Reederei übertragenen Befugnisse zustehen. Der Kapitän hat das Recht, m i t der Bord Vertretung Bordvereinbarungen abzuschließen, § 115 Abs. 7 Nr. 3 BetrVG. Das Gesetz stellt m i t dieser Vorschrift Bordvertretung und Kapitän dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber an Land grundsätzlich gleich, denn Bordvereinbarungen sind Betriebsvereinbarungen, zu deren Abschluß nach § 77 Abs. 2 BetrVG allgemein nur der Betriebsrat und der Arbeitgeber zuständig sind 69 . Auch das — entsprechend den Besonderheiten des Schiffsbetriebes modifizierte — Recht zur vorläufigen Regelung von Angelegenheiten, die der Mitbestimmung der Bordvertretung unterliegen, steht dem Kapitän zu, § 115 Abs. 7 Nr. 4 BetrVG. Diese Kompetenz ist eine allgemeine, nicht nur auf personelle Angelegenheiten beschränkte Fassung des Rechts des Arbeitgebers zu vorläufigen personellen Maßnahmen nach § 100 BetrVG 7 0 . 67
Monnerjahn, S. 123. Monnerjahn, S. 123, vgl. § 14 Abs. 2 KSchG. 89 Vgl. Wiese, GK-Betriebsverfassungsgesetz § 115 Rdn. 47, hier auch N ä heres zu den zusätzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen. 70 Näheres zur vorläufigen Regelungsbefugnis des Kapitäns bei Wiese, § 115 Rdn. 48; Segelken, S. 513; Hess, GK-Betriebsverfassungsgesetz, § 115 Rdn. 31. 88
134 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
Das Recht der Bordvertretung auf regelmäßige und umfassende Unterrichtung über den Schiffsbetrieb, § 115 Abs. 7 Nr. 5 BetrVG, die der Kapitän zu erteilen hat, ist eine spezielle Ausprägung des Rechts des Betriebsrates nach § 80 Abs. 2 BetrVG, das den Arbeitgeber verpflichtet; Wiese geht sogar so weit, die dem Arbeitgeber nach dieser Vorschrift obliegende Verpflichtung ohne weiteres auf den Kapitän zu erstrecken, diesen also m i t dem Arbeitgeber gleichzusetzen 71 . Ferner ist die Pflicht des Kapitäns gegenüber der Bord Vertretung zur Gewährung von Einsicht i n die Schiffstagebücher zu erwähnen, was eine auf den Schiffsbetrieb bezogene Ausformung der allgemeinen Pflicht des A r beitgebers darstellt, dem Betriebsrat die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, § 80 Abs. 2, S. 2 BetrVG. Schließlich ergibt sich aus der Zuweisung der Kompetenz für den Arbeitsschutz an die Bord Vertretung, § 115 Abs. 7 Nr. 7 BetrVG, daß deren Partner i m wesentlichen der Kapitän ist, der also auch insofern an die Stelle des Reeders rückt 7 2 . Die faktisch arbeitgeberähnliche Stellung des Kapitäns schlägt sich weiter i n der Wahrnehmung des Direktionsrechtes des Arbeitgebers und i n der besonderen Ausformung und Steigerung gegenüber dem Direktionsrecht eines Arbeitgebers an Land nieder. Daß der Reeder sein aus dem Arbeitsvertrag fließendes Weisungsrecht gegenüber den Besatzungsmitgliedern i n aller Regel nicht ausüben kann, folgt aus der Natur des Seearbeitsverhältnisses. Infolgedessen übernimmt der Kapitän während der Abwesenheit des Schiffes vom Heimathafen vollständig die Position des Arbeitgebers bei der Ausfüllung der Arbeitsverträge durch Weisungen. Dem Umstand, daß heute i m Wege der drahtlosen Nachrichtenübermittlung eine sofortige Verständigung zwischen Kapitän und Reederei möglich ist, kommt für die Ausübung des Weisungsrechtes keine praktische Bedeutung zu. I m Gegensatz zu den Arbeitsverhältnissen an Land, für die Inhalt und Umfang des Weisungsrechts allein durch die Literatur bestimmt wird, regelt § 29 SeemG das Direktionsrecht gesetzlich. § 29 Abs. 1 beinhaltet genau die Pflichten, die bereits aus dem Heuerverhältnis selbst folgen, wiederholt diese also zur Klarstellung 7 8 . Dagegen enthalten die Absätze 2—4 erhebliche Erweiterungen des allgemeinen Direktionsrechts, deren Rechtfertigung Schelp / Fettback „ i n der Natur der Seeschiffahrt" und i n den hier t y p i schen Notfällen sehen 74 . Die Erweiterung des Weisungsrechts liegt dar71
Wiese, § 115 Rdn. 56. Die allgemeine Kompetenz des Betriebsrates zur Überwachung der E i n haltung von Unfallverhütungsvorschriften ist i m § 80 Abs. 1 Nr. 1 B e t r V G geregelt. 78 Vgl. Schelp / Fettback, § 29 A n m . 2 u n d 3. 74 Schelp / Fettback, § 29 A n m . 3. 72
6. Die Rechtsnatur des Anstellungsvertrages
135
in, daß die Besatzungsmitglieder durch § 29 Abs. 2—4 SeemG zu Leistungen verpflichtet werden, die über die Schiffsdienste hinausgehen, zu deren Leistung sie sich durch Eingehung des Heuerverhältnisses verpflichtet haben. Allerdings besteht nach unbestrittener Auffassung auch i m allgemeinen Arbeitsrecht ein gesteigertes Weisungsrecht des Arbeitgebers i n Notfällen, das den Rahmen der arbeitsvertraglichen Pflichten übersteigen kann 7 5 . Faßt man den Bestand der gesetzlichen Befugnisse des Kapitäns zusammen, so ergibt sich, daß diesem i n sehr großem Maße Arbeitgeberfunktionen obliegen. Durch seine Stellung als Schiffsführer werden diese Funktionen bei i h m auch normativ gebündelt, d. h., nach der Rechtslage teilt er diese nicht m i t den Offizieren des nautischen und des Maschinendienstes. Aus diesen normativen Gründen folgert nun Seiter, die Stellung des Kapitäns nähere sich derjenigen von Mitgliedern des gesetzlichen Vertretungsorgans privater juristischer Personen so stark an, „daß i h m wie diesen kein Streikrecht zustehen kann" 7 6 . Ohne daß hier schon auf die letzte Konsequenz der Verneinung des Streikrechts eingegangen werden soll, sind gegen diese Argumentation methodische Bedenken zu erheben. Zunächst ist festzustellen, daß die gesetzlichen Vorschriften, i n denen es u m die rechtliche Einordnung des Kapitäns i n die betriebliche Hierarchie geht, diesen als leitenden Angestellten bezeichnen 77 ; über diese gesetzliche Wertung setzt sich Seiter hinweg. Wesentlicher aber ist, daß Seiter die gesetzlichen Befugnisse des Kapitäns m i t deren faktischer Ausübung gleichsetzt, also die rechtliche Lage m i t der Realität gleichsetzt. Das ist aber unzulässig, denn von der gesetzlichen Befugnis kann nicht zugleich auf deren Ausübung allein durch den Kapitän geschlossen werden. Zulässig ist nur ein Vergleich der gesetzlichen Befugnisse des Kapitäns mit denen der leitenden Angestellten i n Unternehmen an Land und der weitere Vergleich, wie diese Befugnisse i n der betrieblichen Realität vom Kapitän einerseits und vom leitenden Angestellten an Land wahrgenommen werden. Nur wenn sich ergibt, daß der Kapitän entweder i n seiner normativen Stellung oder deren faktischen Ausübung mit den anderen leitenden Angestellten nicht verglichen werden kann, weil er sie überragt, ist der Schluß zulässig, daß dessen Position der eines Mitgliedes des gesetzlichen Vertretungsorgans privater j u r i stischer Personen nahekommt. 75 76 77
Vgl. Söllner, S. 210; Zöllner, S. 118 m. w. Nachw. Seiter, S. 66. §§ 114 Abs. 6, S. 2 B e t r V G ; 24 Abs. 5 KSchG.
136 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
Als leitende Angestellte werden i n § 5 Abs. 3 BetrVG diejenigen Arbeitnehmer bezeichnet, die nach Dienststellung und Dienstvertrag: 1. zur selbständigen Einstellung und Entlassung von i m Betrieb oder i n der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt sind oder 2. Generalvollmacht oder Prokura haben oder 3. i m wesentlichen eigenverantwortliche Aufgaben wahrnehmen, die ihnen regelmäßig wegen deren Bedeutung für den Bestand und die Entwicklung des Betriebes i m Hinblick auf besondere Erfahrungen und Kenntnisse übertragen werden. Nach § 14 KSchG werden „Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Angestellte" nur eingeschränkt gegen Kündigung geschützt. Hinsichtlich der Befugnis zur Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern stehen der Kapitän und der leitende Angestellte an Land gleich. Generalvollmacht und Prokura verleihen umfassende Vertretungsbefugnisse. Die Prokura ermächtigt zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften, die der Betrieb eines Handelsgewerbes m i t sich bringt, § 49 Abs. 1 HGB, und kann nach außen nicht beschränkt werden, § 50 Abs. 1 HGB. Die i m Gesetz nicht geregelte Generalvollmacht w i r d i n großen Wirtschaftsunternehmen immer häufiger verliehen und hat i n der Regel einen noch weiteren Umfang und genießt ein höheres Ansehen als die Prokura 7 8 . Der sehr weite Umfang beider Formen der Vertretung liegt jedenfalls nicht unter der gesetzlichen Vertretungsmacht des Kapitäns 7 9 ; beim Generalbevollmächtigten kann man sogar von einer weiteren Vertretungsbefugnis ausgehen. Die dritte Fallgruppe des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG ist schwieriger inhaltlich zu bestimmen. Nach der Systematik des Gesetzes sollen m i t dieser Regelung bestimmte Arbeitnehmergruppen unterhalb der Ebene des Prokuristen und des Generalbevollmächtigten vom Begriff des leitenden Angestellten miterf aßt werden 80 . Der Zweck dieser Untersuchung erfordert daher kein Eingehen auf diese heterogenen Gruppen, denn der Kapitän steht — wie ausgeführt — dem Prokuristen und Generalbevollmächtigten sehr nahe. Der Be78
Vgl. Baumbach / Duden, HGB, 24. Aufl., München 1980, § 48 A n m . 1 A. Anschauliche Beispiele f ü r die Weite der Vertretungsvollmacht des Prokuristen bei Hof mann, Handelsrecht, F r a n k f u r t 1979, F I I 1 b ; vgl. auch Baumbach / Duden, HGB, §§ 49, 50, A n m . 1 A . 80 Näheres hierzu bei Kraft, G K BetrVG, § 5 Rdn. 37 ff., vgl. auch die Beispiele aus der Rechtsprechung unter Rdn. 42. 79
6. Die Rechtsnatur des Anstellungsvertrages
griff des Geschäftsführers oder Betriebsleiters i m § 14 KSchG ist aus sich heraus verständlich. I n der Literatur w i r d er daher nicht definiert 8 1 . Zur Geschäftsführung oder Betriebsleitung gehören jedenfalls ähnliche Befugnisse, wie sie einem Generalbevollmächtigten oder Prokuristen zukommen, wenn es nach dem Zweck des § 14 Abs. 2 KSchG auch auf das Vorliegen einer solchen Vertretungsbefugnis nicht ankommt 8 2 . Vergleicht man die dem Kapitän gesetzlich eingeräumten Befugnisse mit denen der leitenden Angestellten aus Unternehmen an Land, so ergibt sich, daß der normative Rahmen der Vertretungsbefugnis beim Kapitän nicht größer ist als bei den wesentlichen Gruppen der leitenden Angestellten aus anderen Unternehmen, etwa dem Generalbevollmächtigten, Prokuristen, Geschäftsführer und Betriebsleiter. Die Einordnung des Kapitäns als leitender Angestellter, die das Kündigungsschutzgesetz und das Betriebsverfassungsgesetz vornehmen, ist daher sachgerecht. Fraglich ist aber, ob der normativen Bündelung von Arbeitgeberbefugnissen beim Kapitän eine ebensolche i n der Realität des Schiffsbetriebes entspricht, während die Kompetenzen der leitenden Angestellten an Land faktisch über mehrere oder sogar viele das Management bildende Funktionsträger verteilt sind. Nur dann wäre die Folgerung gerechtfertigt, der Kapitän sei nicht leitender Angestellter, sondern Quasi-Arbeitgeber. Schon i n der Einleitung ist auf den Wandel der Funktion des Kapitäns hingewiesen worden, die sich stichwortartig umschreiben läßt mit der Formel „Vom ,Master under God' zum Mitglied eines arbeitsteiligen Teams". Diese These ist i m folgenden empirisch zu belegen; hierzu ist es erforderlich, die Funktionen der Mitglieder der Schiffsleitung wenigstens grob zu beschreiben. 6.3. Die Schiffsleitung (Kapitän, 1. Offizier, 1. Ingenieur)
Einleitend war die Schiffsleitung als Stab, bestehend aus dem Kapitän, dem 1. Offizier und dem 1. Ingenieur, beschrieben worden. Zugleich war darauf hingewiesen worden, daß diese Beschreibung nur einen schon i m Übergang befindlichen Zustand bezeichnet, der i n absehbarer Zeit (18- bzw. 12-Mann-Schiff, Schiff der Zukunft) wiederum durch Weiterentwicklung abgelöst werden soll.
81 Vgl. Hueck /Hueck, Kündigungsschutzgesetz, 10. Aufl., München 1980, § 14 Rdn. 6. 82 Hueck / Hueck, Rdn. 7.
138 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
I m Rahmen dieser Untersuchung und zu dem Zweck, die normative Bündelung von Arbeitgeberfunktionen als der Realität nicht entsprechend herauszuarbeiten, reicht es aus, die gegenwärtige Situation zugrundezulegen. Der Ausgangspunkt, die dreiköpfige Schiffsleitung, ist bereits eine Typisierung, die verschiedene Besonderheiten vernachlässigt. So werden ζ. B. bei großen Fahrgastschiffen neben dem Kapitän, dem 1. Offizier, dem 1. Ingenieur, auch noch der Zahlmeister, der Oberkoch, der Schiffsarzt und der 1. Funkoffizier als Leiter von Dienstzweigen angesehen und der Schiffsleitung zugerechnet; zur besseren Übersichtlichkeit sollen aber derartige Besonderheiten i m folgenden vernachlässigt werden, so daß es bei der Beschreibung der Funktionen des 1. Offiziers und des 1. Ingenieurs und der Benennung der für diese geltenden Rechtsvorschriften bleiben kann. 6.4. Die Stellung und Aufgabe des 1. Offiziers und des 1. Ingenieurs
6.4.1. Der I.Offizier Der 1. Offizier ist, ebenso wie der Kapitän, fast immer Inhaber des Kapitänspatents; nur bei Küstenmotorschiffen, auf denen der Kapitän und der Steuermann (sog. Alleinsteuermann) die Schiffsleitung bilden, kommt es vor, daß der Steuermann nur das Steuermannspatent hat. Bevor jemand Kapitän auf einem großen Seeschiff wird, durchläuft er die Positionen des 3., 2. und 1. Offiziers. Während die Zeitspanne der Beförderung zum 2. Offizier relativ kurz ist, beträgt die Wartezeit auf die Beförderung zum 1. Offizier häufig schon mehrere Jahre. Ob ein 1. Offizier auch Kapitän wird, hängt heute nicht mehr allein von der Tüchtigkeit ab. Das hat seine Ursache darin, daß i m 2. Weltkrieg mehr als 8 0 % der Kapitäne und Schiffsoffiziere auf Handels- und Kriegsschiffen ums Leben gekommen sind, was zum Überspringen einer Generation geführt hat. Die nach dem langsamen Wiederaufbau der deutschen Handelsflotte i n Kapitänsstellen aufgerückten Männer sind noch relativ jung, wodurch 1. Offiziere häufig mehr als 10 Jahre i n dieser Stellung verbleiben. Es versteht sich, daß solche 1. Offiziere dem Kapitän i n Erfahrung nicht nachstehen. Der 1. Offizier ist i n der Regel Leiter des Dienstzweiges „Deck". Das bedeutet, daß er den Arbeitsplan für die Besatzung m i t Ausnahme des technischen Dienstes aufstellt und m i t dem Bootsmann die Durchführung der notwendigen Arbeiten regelt; der Bootsmann erhält aufgrund des Arbeitsplanes konkrete Einzelanweisungen. Außerdem ist der 1. Offizier bei vielen Reedereien für die Beladung und Entladung des Schiffes verantwortlich, d. h., er macht die Be- und Entladungspläne und überwacht deren praktische Durchführung, wobei i h m der 2. und
6. Die Rechtsnatur des Anstellungsvertrages
139
3. Offizier assistieren. Rechtlich ist der 1. Offizier der Stellvertreter des Kapitäns, § 2 Abs. 3 SeemG. Dieser Stellung trägt auch § 517 HGB Rechnung. Danach darf der Kapitän vom Beginn des Ladens an bis zur Beendigung der Löschung das Schiff gleichzeitig mit dem Steuermann nur i n dringenden Fällen verlassen. Dasselbe gilt auch vor dem Beginn des Ladens und nach der Beendigung des Löschens, wenn das Schiff i n einem nicht sicheren Hafen oder auf einer nicht sicheren Reede liegt. „Steuermann" bedeutet heute bei Seeschiffen „1. Offizier"; das HGB vom 10. Mai 1897 trägt i n der Terminologie der Entwicklung noch nicht Rechnung 88 . 6.4.2. Der
I.Ingenieur
Der 1. Ingenieur auf Seeschiffen ist Inhaber des höchsten Patents für den Maschinendienst, das ihn berechtigt, auf Schiffen ohne Begrenzung der PS-Zahl den Dienst als Leiter des Dienstzweiges „Technik" auszuüben. Entsprechend der Funktionsbeschreibung des 1. Offiziers nimmt er die Aufgaben i m Bereich der Technik wahr. Eine rechtliche Hervorhebung wie der 1. Offizier als Stellvertreter des Kapitäns erfährt der 1. Ingenieur nicht. Zusammen m i t dem 1. Offizier w i r d er i n § 107 Abs. 2 SeemG als Leiter eines Dienstzweiges genannt. Für beide gelten gem. § 104 Abs. 1 SeemG die Arbeitszeit Vorschriften des SeemG nicht. Nach § 106 Abs. 5 SeemG kann der Kapitän die Ausübung seiner Befugnisse aus dieser Überschrift i m Falle seiner Verhinderung dem 1. Offizier und dem 1. Ingenieur „innerhalb ihres Dienstzweiges übertragen". 6.5. Verhältnis des Kapitäns zum 1. Offizier und 1. Ingenieur
Die Stellung des 1. Offiziers und des 1. Ingenieurs als Leiter von Dienstzweigen, § 107 Abs. 1 SeemG, bedeutet, daß diese tatsächlich I n haber von Funktionen sind, die der Kapitän weder rechtlich noch tatsächlich einfach an sich ziehen kann. Der 1. Offizier übt das Direktionsrecht an Deck, der 1. Ingenieur beim Maschinenpersonal aus. Eine Übernahme dieser Funktionen ist dem Kapitän schon von der Arbeitsbelastung her unmöglich; beim Maschinendienst fehlt i h m außerdem die Sachkunde. Aber auch rechtlich kommt eine „Entmachtung" dieser beiden Offiziere durch den Kapitän nicht i n Betracht. Diese haben Arbeitsverträge mit dem Reeder, i n denen ihr Arbeitsgebiet entweder ausdrücklich oder — i n der Regel — durch stillschweigende Bezugnahme auf das unter solchen Beteiligten Übliche bezeichnet ist. Eine Entziehung des Funktionsbereichs durch den Kapitän ohne rechtfer83
Vgl. Schaps / Abraham,
§ 517 Rdn. 1.
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tigenden Grund ist daher eine Vertragsverletzung, die der Reeder gemäß §§ 276, 278 BGB zu vertreten hat. Damit ergibt sich i n der Wirklichkeit des Bordbetriebes eine vielschichtige Arbeitsteilung, die der an Land entspricht. I n kleinen oder mittleren Betrieben bestellt der Unternehmer einen Prokuristen, dessen Geschäftsführungsbefugnis seiner Vertretungsmacht entspricht. I n größeren und großen Betrieben dagegen gibt es eine Vielzahl von leitenden Angestellten mit Prokura, von denen jeder nur eine sachlich eng begrenzte Geschäftsführungsbefugnis hat, deren Überschreitung eine Verletzung des Arbeitsvertrages darstellt. 6.6. Ergebnis
Die Untersuchung ergibt somit, daß der Kapitän Arbeitnehmer ist m i t wesentlichen Arbeitgeberfunktionen; seine Stellung unterscheidet sich aber weder rechtlich noch tatsächlich erheblich von denen der leitenden Angestellten i m Sinne des Kündigungsschutzgesetzes und des Betriebsverfassungsgesetzes, so daß für eine Annäherung an die Stellung von Mitgliedern der gesetzlichen Vertretungsorgane privater j u r i stischer Personen kein Raum ist.
7. D i e handelsrechtliche Stellung des Kapitäns, insbesondere seine H a f t u n g
Wenn von der handelsrechtlichen Stellung des Kapitäns die Rede ist, geht es i n erster Linie u m seine Haftung gegenüber dem Reeder, den Reiseinteressenten, Ladungsbeteiligten und unbeteiligten Dritten, ζ. B. den Eigentümern anderer durch Kollision beschädigter Schiffe. 7.1. Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung
Die bisherige Untersuchung hat ergeben, daß der Kapitän Arbeitnehmer des Reeders ist und die Regelung seiner Rechtsbeziehungen i m HGB an sich dysfunktional ist. Ist der Kapitän aber Arbeitnehmer, so kommt i h m prinzipiell auch der Schutz des Arbeitsrechts zugute. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob dem Kapitän gegen seinen Arbeitgeber, den beschränkt haftenden Reeder, nicht ein Freistellungsanspruch zusteht.
7. Handelsrechtliche Stellung des Kapitäns, insbes. seine Haftung
141
7.2. Haftungsfreistellungsanspruch des Kapitäns durch den Verfrachter
Fraglich ist nun, ob den Verfrachter nicht die Verpflichtung trifft, den Kapitän von eben dieser Haftung gegenüber Reiseinteressenten und Ladungsbeteiligten freizustellen. Die Frage der allgemeinen Einschränkung der Kapitänshaftung durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarungen zwischen Kapitän und Reeder wurde bereits von Brauckmüller aufgeworfen. Er stellte schon vor fast fünfzig Jahren fest, daß die mannigfaltigen Verpflichtungen des Kapitäns zum Teil „durch die Fortschritte der Technik heute praktisch nicht mehr von großer Bedeutung" seien und hob hervor, die „Anstellungsbedingungen" griffen „überhaupt nicht auf das Gebiet der Haftung über", d. h. tarifvertraglich war die Freistellung des Kapitäns von der Haftung auch nicht ansatzweise geregelt 84 . Man kann nur bestätigen, daß dieser Zustand bis heute unverändert ist. 7.2.1. Gefahrengeneigte
Arbeit
E i n solcher Freistellungsanspruch ist i n Rechtsprechung und Literatur für den Bereich der sogenannten gefahrengeneigten Arbeit entwickelt worden und w i r d von der herrschenden Lehre m i t der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers begründet 85 . Nach richtiger Auffassung folgt er — wie die gesamte Haftungsbeschränkung des Arbeitnehmers bei gefahrengeneigter Arbeit — aus der Zurechnung des UnternehmerRisikos, das denjenigen treffen muß, der auch die wirtschaftlichen Vorteile aus der geschäftlichen Betätigung zieht 86 . Der Freistellungsanspruch knüpft an Verschulden des Arbeitnehmers an. Bei gefahrengeneigter Arbeit haftet der Arbeitnehmer, wenn i h m leichte Fahrlässigkeit zur Last fällt gegenüber dem Arbeitgeber überhaupt nicht, und er hat gegen den Arbeitgeber einen Freistellungsanspruch, wenn er einen Dritten geschädigt hat; bei mittlerer Fahrlässigkeit w i r d der Schaden zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verteilt, bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz haftet der Arbeitnehmer alleine. Es ist umstritten, ob diese Grundsätze auch auf den Kapitän i n der Seeschiffahrt anzuwenden sind. Unstreitig ist allerdings, daß die Tätigkeit eines Kapitäns gefahrengeneigt i m Sinne der arbeitsrechtlichen Definition dieses Begriffes ist. Bisher hatte der B G H für die Binnenschiffahrt einen Freistellungsanspruch zugunsten des Schiffsführers 84
Brauckmüller, Der K a p i t ä n als Angestellter, S. 18. Hueck, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 1, 7. Aufl., B e r l i n 1963, S. 232; Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., Tübingen 1961, S. 305. 88 Söllner, S. 213 m. Nachw.; ohne theoretische Begründung allein aus Billigkeitsgründen Zöllner, Arbeitsrecht, S. 170; f ü r die Seeschiffahrt besonders, van Dieken, i n : Hansa 1977, S. 2057 ff., 2058. 85
142 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
grundsätzlich bejaht, die Frage für die Seeschiffahrt aber ausdrücklich offengelassen 87. 7.2.2. Rechtsprechung des BGH zum Freistellungsanspruch des Schiffsführers I n einem erst Mitte 1981 veröffentlichten Urteil vom 26.11.1979 hat der B G H nunmehr ausgesprochen, daß auch der Seeschiffahrtskapitän — wie der Binnenschiffsführer — sich auf Haftungsbeschränkungen zugunsten der Reederei i n der Charterpartie berufen könne, selbst wenn der Kapitän oder die Besatzung i m ganzen i n der Haftungsbeschränkungsklausel nicht erwähnt seien 88 . Die Entscheidung ist i n sich schwer verständlich, u. a. deshalb, weil sich das Gericht inhaltlich auf Klauseln zur Haftungsbeschränkung zugunsten von Kapitän und Besatzung bezieht, die i m zu entscheidenden Fall gar nicht vorlagen. Zum besseren Verständnis dieses wahrscheinlich grundlegenden Urteils sollen die Versuche zur Einführung einer Haftungsbeschränkung vor der genannten Entscheidung des B G H kurz dargestellt werden. Dabei w i r d dann auch auf den Versuch des B G H i m Urteil vom 27. 2.1964, den arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch mit dem System der zivilrechtlichen Haftung widerspruchslos zu verbinden, eingegangen werden. 7.3. Fallgruppen, nach denen der Kapitän zur Haftung herangezogen werden kann
Zunächst sind die Fallgruppen zu bezeichnen, nach denen der Kapitän zur Haftung herangezogen werden kann und möglicherweise auch herangezogen wird, etwa weil der Reeder / Verfrachter entweder aufgrund gesetzlicher Vorschrift nicht haftet (z. B. § 607 Abs. 2 HGB) oder seine Haftung zulässig ausgeschlossen oder beschränkt hat. 7.3.1. Anstellungsvertrag Der Kapitän haftet dem Reeder selbst aufgrund des Anstellungsvertrages, § 511 HGB. Ferner haftet er dem i n § 512 HGB bezeichneten Personenkreis, den sog. Reiseinteressenten gleichermaßen wie dem Reeder. Außerdem kommt eine Haftung wegen Verletzung der Pflich87 B G H - U r t e i l v o m 27.2.1964, Β GHZ 41, S. 203, 206 ff. Hansa 1964, S. 1502; Lichtenberg, Betriebliches Haftpflichtrisiko u n d Versicherungs-Schutz des Arbeitnehmers, Diss. München 1975, S. 44 ff., zur Haftung des angestellten Schiffsführers eines Binnenschiffes, vgl. BGH, N J W 64, S. 1272 = Vers.R. 64, S. 1502. 88 A 2. I I ZR 191/78, Hansa 1981, S. 990 f.
7. Handelsrechtliche Stellung des Kapitäns, insbes. seine Haftung
143
ten aus § 535 HGB gegenüber den Ladungsbeteiligten i n Betracht 8®; diese Haftung betrifft zwar nicht nautische Mißgriffe, die aber wiederum durch § 512 HGB gegenüber demselben Personenkreis erfaßt werden 90 . 7.3.2. Haftung gemäß § 823 BGB Schließlich kann der Kapitän nach den Deliktsvorschriften des bürgerlichen Rechts, insbesondere § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB, i n A n spruch genommen werden, ζ. B. bei vom Kapitän verschuldeten Schiffsunfällen 9 1 . 7.3.3. Schadensersatz durch den Reeder Neben dem Kapitän kann nun nach geltendem Recht der Reeder weitgehend für dieselben Schadensersatz begründenden Handlungen i n Anspruch genommen werden; allerdings ist seine Haftung als Verfrachter der Regelfall gemäß § 607 Abs. 2 HGB i n den Fällen, i n denen „der Schaden durch ein Verhalten bei der Führung oder der sonstigen Bedienung des Schiffes oder durch Feuer entstanden" ist, nur gegeben, wenn er eigenes Verschulden zu vertreten hat. 7.3.4. Vertragliche
Haftungsbeschränkung
des Reeders
Darüber hinaus kann der Reeder seine Haftung für vertragliche und außervertragliche Ansprüche Dritter auf Ersatz für Personenoder Sachschäden vertraglich beschränken, „sofern diese Ansprüche aus der Verwendung des Schiffes entstanden sind", § 486 Abs. 1 HGB. Für diese vertragliche Haftungsbeschränkung des Reeders haben die beteiligten Wirtschaftskreise schon seit langem international anerkannte Ausschlußklauseln entwickelt, die für fast alle Seefrachtverträge vereinbart werden. Die juristisch-technische Form dieser Haftungsausschlüsse hängt von der Rechtsnatur des Seefrachtvertrages ab. Dieser kann sowohl Charter-, als auch Stückgütervertrag sein, § 556 HGB. 7.3.5. Chartervertrag
und Stückgutvertrag
Der Chartervertrag, genauer aber unüblich Raumfrachtvertrag, § 556 Nr. 1 HGB, ist der Seefrachtvertrag, bei welchem dem Befrachter ent80
Vgl. zu diesem Begriff Schaps / Abraham, § 535 Rdn. 2. Vgl. Schaps / Abraham, § 511 Rdn. 9. 91 Vgl. Schaps / Abraham, § 511 Rdn. 9 m. w. Nachw.; die beiden grundlegenden Entscheidungen zum Freistellungsanspruch des Binnenschiffsführers, B G H v o m 27. 2.1964, Hansa 1964, S. 1502 f. = N J W 1964, S. 1272 f., u n d des Kapitäns, B G H v o m 26.11.1979, Hansa 1981, S. 990, betrafen nautische Fehler, die zu Schiffskollisionen geführt hatten. 90
144 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
weder das Schiff i m ganzen oder ein verhältnismäßiger Teil oder ein bestimmt bezeichneter Raum (ζ. B. das Zwischendeck) zur Befrachtung eingeräumt wird 9 2 . Der Stückgütervertrag ist der Seefrachtvertrag, der sich auf einzelne Ladungsgüter oder einzelne Partien von Ladungsgütern (Spezies- oder Gattungssachen) bezieht. I m Gegensatz zum Chartervertrag w i r d beim Stückgütervertrag die Beförderungsleistung i n erster Linie durch den Gegenstand der Ladung bestimmt 9 8 . Während beim Chartervertrag das Schiff oder der Teil des Schiffes, auf dem die Ladung befördert werden soll, genau bestimmt ist, steht beim Stückgütervertrag dem Verfrachter vielfach oder sogar i n der Regel das Recht zu, das Schiff zu bestimmen, auf dem die Beförderung erfolgen soll. Zutreffend sprechen Schaps / Abraham von einer Tendenz des Stückgüterfrachtvertrages „dahin, die Beförderungspflicht aus i h m nicht an ein bestimmtes Schiff zu binden, sondern zu einer Wahlschuld mit Wahlrecht des Verfrachters oder gar zu einer Gattungsschuld zu gestalten" 94 . 7.3.6. Die Parteien des Charter- und Stückgutvertrages Die Parteien des Charter- und des Stückgutvertrages werden vom Gesetz gleich bezeichnet. Wegen der Begriffsverwirrung, die darauf beruht, daß die vom Gesetz verwendeten Bezeichnungen i m Verkehr oft anders, sogar i m entgegengesetzten Sinn, verwendet werden, muß der Inhalt der gesetzlichen Begriffe erklärt werden 95 . Grundsätzlich bezeichnet das Gesetz die Parteien des Seefrachtvertrages — sowohl des Charter-, als auch des Stückgütervertrages — als Verfrachter und Befrachter; der Verfrachter verpflichtet sich gegenüber dem Befrachter zur Beförderung von Gütern nach einem bestimmten Ort über See gegen Zahlung einer Vergütung. Inhaltlich können beide Begriffe ganz verschieden ausgefüllt werden. Der Verfrachter braucht nicht Reeder des zur Beförderung verwendeten Schiffes zu sein. Er kann auch ein fremdes Schiff für eigene oder fremde Rechnung für den Transport verwenden, indem er sich entweder ein Schiff i m Wege der Mietcharter verschafft oder als Unterverfrachter mit einem Hauptverfrachter einen Frachtvertrag abschließt. I n der Regel ist der Verfrachter aber zugleich Reeder oder Ausrüster (§§ 484, 510 HGB) 9 6 . Eine zusätzliche begriffliche Unsicherheit kann da92
Schaps / Abraham, § 556 Rdn. 1. Schaps / Abraham, § 556 Rdn. 3. 94 Schaps / Abraham, § 556 Rdn. 6. 95 Z u den Unsicherheiten bei der Verwendung der verschiedenen Bezeichnungen, vgl. Schaps / Abraham, Vorb. 6 vor § 556 HGB. 96 Vgl. Schaps / Abraham, Vorb. 2 u n d 3 vor § 556 HGB. 98
7. Handelsrechtliche Stellung des Kapitäns, insbes. seine H a f t u n g
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durch auftreten, daß der Verfrachter den Seefrachtvertrag durch einen Vertreter abschließt. Dieser ist i n der Regel Schiffsmakler und w i r d auch als Agent bezeichnet; als Vertreter gemäß § 164 Abs. 1 BGB w i r d der Agent nicht Partei des Seefrachtvertrages. Der Vertragspartner des Verfrachters ist der Befrachter, der Ladungsbeteiligte nach den §§ 535 ff. HGB und Reiseinteressent nach § 512 HGB. Er kann Ladungseigentümer sein, braucht es aber nicht. Ebenfalls kann der Befrachter Ablader sein, aber auch das gehört nicht zum Begriff des Befrachters 97 . Die Ausdifferenzierung des besonderen Rechtsinstituts „Ablader", der nach § 512 HGB zu den Reiseinteressenten gehört, erschwert die inhaltliche Bestimmung des Befrachters erheblich. Ablader ist derjenige, der die Güter regelmäßig aufgrund des zwischen Verfrachter und Befrachter geschlossenen Frachtvertrages dem Schiff oder dem Verfrachter auf andere Weise (ζ. B. am Kai) zur Beförderung übergibt 9 8 . I n der Praxis sind Befrachter und Ablader vielfach identisch; möglich ist auch eine Identität vom Verfrachter und Ablader, wenn der Verfrachter eigene Güter verschifft. Sind Ablader und Befrachter nicht identisch, kann ein internes Rechtsverhältnis auf ganz verschiedenen Rechtsgründen beruhen, ζ. B. auf Kaufvertrag, vielfach auf Spedition- oder Unterfrachtvertrag. Dem Verfrachter t r i t t der Ablader i n der Regel nicht als Vertragspartner, sondern als Vertreter des Befrachters gegenüber, dessen Vollmacht alle Rechtshandlunden umfaßt, die m i t der Lieferung und Verschiffung der Güter zusammenhängen 99 . Wäre der A b lader aber nun Vertreter des Befrachters, brauchte i m Rahmen dieser Arbeit auf ihn nicht weiter eingegangen zu werden; daß er es nicht nur ist, ergibt sich schon aus seiner Aufnahme i n den Kreis der Reiseinteressenten, § 512 HGB. Es ist eine Besonderheit des deutschen Seerechts, daß dem Ablader weitgehende eigene Rechte i n Bezug auf die Ladung eingeräumt werden, ζ. B. der Beförderungsanspruch, der Anspruch auf die Ausstellung und Aushändigung des Konnossements, der Bestimmung des konnossementmäßigen Empfängers und der vollen Verfügungsbefugnis über die Ladung, wenn und solange sich alle Ausfertigungen des Konnossements i n seinem Besitz befinden, § 654 Abs. 1 HGB; für die Verletzungen dieser Rechte haftet i h m der Kapitän wie aus Vertrag, § 512 HGB 1 0 0 . Die gleichsame vertragliche Haftung des Kapitäns besteht ferner gegenüber dem Ladungsempfänger als weiterem Reise97
Schaps / Abraham, Vorb. 6 u n d 7 vor § 556 HGB. Schaps / Abraham, Vorb. 7 v o r § 556 HGB. 99 Vgl. Schaps / Abraham, Vorb. 7 vor § 556. A u f das Problem, ob der A b lader auch zur Aufhebung oder Abänderung der Frachtverträge berechtigt ist, braucht hier nicht eingegangen zu werden. 100 Vgl. Schaps / Abraham, Vorb. 7 vor § 556 H G B m. w. Nachw. A u f eine grundsätzliche K l ä r u n g der Rechtsstellung des Abladers k o m m t es i m Rahmen dieser A r b e i t nicht an. 98
Hanses 10
146 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
Interessenten, § 512 HGB. Der Empfänger hat eigene Rechte gegen das Schiff, wenn ein Konnossement ausgestellt wurde und er dessen legitimierter Inhaber ist. Fehlt es an einem solchen, so hat nach herrschender Ansicht der Empfänger gemäß §§ 328 ff. BGB und i n entsprechender Anwendung von § 435 HGB die Befugnis, i m Bestimmungshafen die durch den Frachtvertrag begründeten Rechte gegen Erfüllung der sich daraus ergebenden Verpflichtungen i m eigenen Namen geltend zu machen; der Seefrachtvertrag ist also insoweit ein Vertrag zugunsten Dritter 1 0 1 . Der Empfänger kann mit dem Befrachter oder m i t dem A b lader identisch sein; i n der Regel ist es jedoch ein Dritter, der die Ladung nun wiederum i n eigenem Namen und für eigene Rechnung oder etwa als Empfangsspediteur für fremde Rechnung entgegennimmt. 7.3.7. Gegenüber Reisenden Der Reisende als Reiseinteressent nach § 512 HGB, hat ebenfalls gleichsam vertragliche Ansprüche gegen den Kapitän; seine Rechtsstellung w i r d durch den Reisevertrag geregelt und ergibt sich i m übrigen aus den §§ 664 HGB, 7.3.8. Gegenüber der übrigen Schiffsbesatzung Schließlich nennt § 512 HGB die Schiffsbesatzung als Reiseinteressenten und gibt damit den Seeleuten ebenfalls einen zusätzlichen, gleichsam vertraglichen Anspruch gegen den Kapitän. I n der Praxis spielt dieser Anspruch keine Rolle. 7.3.9. Gegenüber den Ladungsbeteiligten Hinsichtlich eines Teils der Reiseinteressenten — nämlich der Ladungsbeteiligten — erlegt § 535 HGB dem Kapitän noch besondere Pflichten auf. Ladungsbeteiligte i m Sinne dieser Vorschrift sind der Befrachter, der Ablader und der Empfänger; der zuletzt genannte Begriff umfaßt sowohl denjenigen, dem die Ladung vom Kapitän abgeliefert werden soll (Empfänger i m untechnischen Sinne), als auch denjenigen, der sie i m eigenen Namen selbst oder durch Vertreter kraft seiner Legitimation entgegen genommen hat (Empfänger i m technischen Sinne) 102 . Der Kapitän hat i m Interesse dieser Ladungsbeteiligten für das Beste der Ladung nach Möglichkeit Sorge zu tragen. Das bedeutet, daß er sich u m ihre sachgemäße Behandlung zu kümmern und darauf zu achten hat, daß sie nicht ohne zwingenden Grund beschädigt und vor schädlichen Enflüssen nach Möglichkeit bewahrt wird. 101 102
Schaps / Abraham, Schaps / Abraham,
Vorb. 14 vor § 556 HGB. § 535 Rdn. 2 m. Nachw.
7. Handelsrechtliche Stellung des Kapitäns, insbes. seine H a f t u n g
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Diese Verpflichtung des Kapitäns besteht nicht absolut, sondern allen Ladungsbeteiligten gegenüber „zugleich", d. h., das Gesetz verpflichtet den Kapitän, kollidierende Interessen zu berücksichtigen 103 . Kollidierende Interessen sind nicht nur solche der Ladungsbeteiligten, sondern alle schützenswerten Interessen; an erster Stelle i n der Literatur w i r d das Menschenleben, sowohl der Schiffspassagiere, als auch der Besatzung, genannt 104 . Ferner w i r d das Interesse des Reeders hervorgehoben, und es w i r d der Standpunkt vertreten, daß der Kapitän dem Interesse des Reeders den Vorrang zu geben habe, wenn er bei einer Güterabwägung zu dem Ergebnis kommt, daß beide gleichwertig seien. I n den gerichtlich entschiedenen Fällen scheint das Interesse des Reeders immer den Vorrang erhalten zu haben 105 . Schließlich kann der Kapitän i n die Lage kommen, die widerstreitenden Interessen verschiedener Teile der Ladung gegeneinander abzuwägen. Hinsichtlich gefährlicher Güter erfordern die §§ 564, 564 a und 564 b HGB vom Kapitän eine Entscheidung zugunsten der nicht gefährlichen. Bei gleichwertigem Interesse hat der Kapitän pflichtgemäß zu entscheiden 108 . 7.3.10. Unterschiedliche Haftung beim Stückgüter- und Chartervertrag Hinsichtlich der Haftung für Schäden eines Reiseinteressenten oder Ladungsbeteiligten ist nun zu unterscheiden zwischen Stückgüter- und Chartervertrag. Beim Stückgütervertrag ist die Ausstellung eines Konnossements zwingend vorgeschrieben, §§ 642, 662 Abs. 1 HGB. Ist ein Konnossement ausgestellt, so können die Verpflichtungen des Verfrachters aus einigen Vorschriften des HGB durch Rechtsgeschäft i m voraus nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden, § 662 HGB. Zu diesen nicht ausschließbaren Verpflichtungen gehören die Regelungen über Haftung und Schadensersatz, §§ 606—608 HGB. Nach § 608 Abs. 1 HGB ist die 103
RGZ 14, 40; U r t e i l der RGZ v o m 18.3.1885: „verpflichtet den Schiffer aber n u r naòh Möglichkeit für das Beste der Ladung zu sorgen, u n d schon die Unbestimmtheit u n d Allgemeinheit dieser Vorschrift verbietet es, darin ein unbedingtes, absolutes Gebot zu erblicken, welches der Schiffer auch dann zu erfüllen hätte, w e n n das Interesse des betreffenden Ladungsbeteiligten m i t demjenigen anderer Ladungsbeteiligter u n d des Rheders, dessen Interesse er in erster Linie zu vertreten hat, . . . wobei er die i h m erteilten Anweisungen nur möglichst zu berücksichtigen hat". 104 Ob die Unterscheidung zwischen Leben der Besatzung begründet ist, die Schaps / Abraham, § 535 Rdn. 13, andeuten, muß hier dahingestellt bleiben. 105 Vgl. RGZ 14, 40, auch vgl. Fn. 2, S. 38. 106 Beispiele i n RGZ 14, 40, vgl. Fn. 2, S. 38; vgl. Schaps / Abraham, § 535 Rdn. 15. 10»
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Schadensersatzpflicht des Verfrachters für bestimmte Schäden ausgeschlossen, darunter die „aus Streik, Aussperrung oder einer sonstigen Arbeitsbehinderung" Nr. 4. Nun ist zwar eine Haftungsbeschränkung keine Verpflichtung, sondern die Freistellung hiervon, jedoch schreibt § 662 Abs. 3 HGB vor, daß Vereinbarungen über die Erweiterung der Haftung der Aufnahme i n das Konnossement bedürfen. Daraus folgt, daß die Haftung des Verfrachters für die Tatbestände von § 608 Abs. 1 HGB ausgeschlossen ist, es sei denn, die Parteien vereinbaren etwas anderes und nehmen diese Abrede mit i n das Konnossement auf. I n der Praxis kommt eine solche Haftungserweiterung nicht vor. Aus den genannten Vorschriften folgt nicht unmittelbar, daß diese Haftungsbeschränkung auch dem Kapitän zugute kommen soll. Es handelt sich bei den von der Haftung ausgeschlossenen Risiken um für den Seefrachtverkehr typische 107 ; nach der Β e weislast Verteilungsregel des § 608 Abs. 2 HGB w i r d vermutet, daß ein Schaden, der nach den Umständen des Falles aus einer der i m Abs. 1 bezeichneten Gefahr entstehen konnte, aus dieser entstanden ist. Nur wenn der Ladungsbeteiligte beweist, daß der E i n t r i t t der Gefahr auf einem vom Verfrachter zu vertretenden Umstand beruht, haftet dieser, § 608 Abs. 3 HGB. Beim Chartervertrag ist ein Konnossement nicht zwingend vorgeschrieben; das ergibt sich aus § 663 a HGB. W i r d ein Konnossement ausgestellt, so ist es i n der Praxis sehr kurz, enthält nur Angaben über die Güter und nimmt wegen aller sonstigen Einzelheiten auf die Charterpartie Bezug 108 . Die Charterpartie ist die schriftliche Urkunde über den Raumfrachtvertrag, die auszustellen ist, wenn ein Vertragspartner dies verlangt. Ein bestimmter Inhalt ist für die Charterpartie nicht vorgeschrieben. Es werden Musterformulare benutzt, die von Reederkonferenzen, Schiffsmaklern oder auch von Organisationen der Reeder zusammengestellt worden sind und die vielfach international verwendet werden. Dabei handelt es sich u m umfangreiche Urkunden m i t zahlreichen Haftungsausschlüssen unter anderem auch für Streik und Aussperrungen 109 . Diese Haftungsausschlüsse erwähnen vielfach den Kapitän und die Besatzung nicht, beschränken also die Haftung insbesondere des Kapitäns aus § 512 HGB nicht ausdrücklich. Das erklärt sich daraus, daß es i n der Vergangenheit i m Seeverkehr unüblich war, sich an die Gehilfen des Reeders oder Verfrachters direkt wegen eines Schadensersatzanspruches zu halten. Wie i n anderen Wirtschaftszweigen, zeigt sich auch i m Seeverkehr i n den letzten Jahrzehnten die Tendenz, den Gehilfen eines Vertragspartners zu verklagen, u m damit nach Möglich107
Schaps / Abraham, § 608 Rdn. 3. Schaps / Abraham, § 663 a Rdn. 1. 109 y g i den Allgemeinen Einheits-Frachtvertrag, Ausgabe A p r i l 1940, bei Schaps / Abraham, Anhang § 557, S. 479. 108
7. Handelsrechtliche Stellung des Kapitäns, insbes. seine Haftung
149
keit i n den Genuß eines größeren Haftungsumfanges gegenüber den eigentlichen Vertragspartnern zu kommen. I n der Regel haftet der meist finanziell nicht ausreichend starke Gehilfe dann nicht endgültig, sondern muß von seinem Arbeitgeber freigestellt werden, wodurch der zu dessen Gunsten vereinbarte Haftungsausschluß umgangen werden kann 1 1 0 . 7.3.11. Die Himalaya-Klausel Dieser Entwicklung sollte international die sog. Himalaya-Klausel entgegenwirken. Diese Klausel hat ihren Namen aufgrund eines Unfalls einer Passagierin des Schiffes „Himalaya", die 1952 in Triest bei einem Landgang mit der Gangway auf die Pier stürzte und sich schwer verletzte. Die Frau verklagte nicht nur den Reeder des Schiffes, der ihr eigentlicher Vertragspartner aus dem Passagiervertrag war, sondern auch den Kapitän und den Bootsmann, weil diese es schuldhaft versäumt hätten, sich u m die Sicherheit der Gangway zu kümmern. Zwar hatte der Reeder i m Passagevertrag seine persönliche Haftung und die eigene Haftung für seine Gehilfen weitgehend ausgeschlossen, aber es war nichts über einen Haftungsausschluß bezüglich der persönlichen Haftung der Gehilfen des Reeders vereinbart worden. Kapitän und Bootsmann wurden verurteilt, weil sie nach Ansicht des Gerichts schuldhaft gehandelt hatten 1 1 1 . Darauf entwickelten Reeder auf internationaler Ebene eine Klausel, die ursprünglich nur i n die Passageverträge von Linienreedereien aufgenommen worden war 1 1 2 , sich allmählich aber i m ganzen Seeverkehr durchgesetzt hat. Eine gegenwärtige gebräuchliche Formulierung lautet: „ A l l limitations of l i a b i l i t y and other provisions herein contained shall incure not only to the benefit of the Carrier, his vessels, Agents, Employers, and other Representatives b u t also to the benefit of any independent contractor preformissing services to the goods." 7.4. Das Brüsseler Übereinkommen vom 10. Oktober 1957 und das Seerechtsänderungsgesetz vom 21.6.1972
Es wäre zu erwarten gewesen, daß diese Klausel international Bestandteil, sowohl des formularmäßigen Konnossements, als auch der Geschäftsbedingungen, die den Verträgen über Raumfracht zugrunde 110
Vgl. Becker, Klauseln des Seefrachtgeschäftes, Hamburg 1970, S. 67. Der B G H hat i n seiner Binnenschiffsführerentscheidung, U r t e i l v o m 27. % 1964, S. 1502 ff. = N J W 1964, S. 1272 f., versucht, gerade diesen v o m Geschädigten intendierten Effekt auszuschließen, näheres hierzu unten. 111 Vgl. die Darstellung des Falles bei Becker, S. 66; vgl. auch Schaps/ Abraham, Anhang I I , § 663 b Rdn. 62. 112 Vgl. Becker, S. 66.
150 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
liegen, geworden wäre. Indessen wurde, offenbar wegen des allgemein empfundenen Bedürfnisses nach einer internationalen Regelung, eben der Weg eines internationalen Übereinkommens gewählt. Das Brüsseler Übereinkommen vom 10. Okt. 1957 über die Beschränkung der Haftung der Eigentümer von Seeschiffen wurde m i t etwa 15jähriger Verzögerung i n der Bundesrepublik durch das Seerechtsänderungsgesetz vom 21. 6.1972 113 i n innerdeutsches Recht umgesetzt. Diese Rechtsänderung führte zu den jetzt geltenden §§ 486 ff. HGB. Für die hier zu behandelnde Problematik ist § 487 Abs. 1 HGB entscheidend, diese Vorschrift lautet: „Außer dem Reeder können auch die folgenden Personen ihre Haftung f ü r vertragliche u n d außer vertragliche Ansprüche D r i t t e r auf Ersatz von Personen- u n d Sachschäden beschränken, die i m Zusammenhang m i t der Verwendung des Schiffes entstanden sind: 1. der Charterer; 2. die Personen der Schiffsbesatzung u n d die sonstigen Bediensteten des Schiffseigentümers, Reeders oder Charterers . . . "
Diese Möglichkeit der Haftungsbeschränkung durch rechtsverbindliche vertragliche Erklärung der unmittelbar von der Haftung Betroffenen hat i n der Bundesrepublik Deutschland erstaunlicherweise keine praktische Bedeutung erlangt. Es ließ sich kein Fall feststellen, i n dem ein Kapitän, Offizier oder sonstiges Besatzungsmitglied von der Möglichkeit des § 487 HGB Gebrauch gemacht hat. 7.4.1. Anwendungsschwierigkeiten
des § 487 HGB auf den Kapitän
Die Anwendung dieser Vorschrift stößt auch auf handgreifliche Schwierigkeiten, die entweder bei der Schaffung der Norm nicht gesehen oder aber i n Kauf genommen worden sind. Es ist schwer vorstellbar, wie die zur Beschränkung ihrer Haftung Berechtigten diese Beschränkung tatsächlich geltend machen sollen. Der Seefrachtvertrag, gleichgültig i n welcher Rechtsform, w i r d zwischen Verfrachter (Reeder, Charterer) und Befrachter (Eigentümer des zu versendenden Gutes, Spediteur) abgeschlossen; der Kapitän ist allenfalls als Vertreter des Reeders am Abschluß beteiligt, i n der Regel ist das aber nicht der Fall. Die nach § 487 Abs. 1 HGB zur Beschränkung ihrer Haftung Berechtigten müssen also persönlich ohne rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang mit dem Abschluß des Frachtvertrages den Vertragspartnern des Frachtvertrages erklären, daß sie ihre Haftung beschränken wollen. Zwar brauchen die Parteien des Frachtvertrages dieser Willenserklärung nicht zuzustimmen, denn nach der Konstruktion des Gesetzes ist die Haftungsbeschränkung eine einseitige, empfangsbedürftige Willens113
BGBl. I S. 966.
7. Handelsrechtliche Stellung des Kapitäns, insbes. seine Haftung
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erklärung m i t rechtsgestaltender Kraft. Aber allein die Vorstellung, daß die Seeleute vom Kapitän bis zum Deckshelfer nun bei Abschluß eines jeden Frachtvertrages — und es können ja bei jeder Seereise zahlreiche Frachtverträge abgeschlossen werden — derartige Willenserklärungen abgeben, ist absurd. Die Regelung des § 487 HGB ist also unwirksam, es sei denn, die Reeder machen hiervon derart Gebrauch, daß sie i n die Frachtverträge entsprechende Klauseln aufnehmen. Daß derartige Initiativen nicht gewissermaßen von selbst kommen, zeigt die Vergangenheit seit Inkrafttreten des Seerechtsänderungsgesetzes. Die Betroffenen können eine Wahrnehmung ihrer Interessen durch die Reederei nur erwarten, wenn diese entweder befürchten muß, über den arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch selbst i n Anspruch genommen zu werden oder wenn sie durch die Gewerkschaften gezwungen wird, derartige Haftungsausschlüsse regelmäßig zu vereinbaren bzw. i n ihre Geschäftsbedingungen aufzunehmen. Das aber ist ein Problem der gewerkschaftlichen Organisierung der Seeleute und insbesondere der Kapitäne und Schiffsoffiziere. Die Rechtsprechung hat die Gesetzesnovellierung durch das Seerechtsänderungsgesetz, soweit ersichtlich, noch gar nicht zur Kenntnis genommen. Die Argumentation des B G H i n seiner neuesten Entscheidung vom 26.11.1979 erwähnt § 487 HGB nicht einmal, möglicherweise deshalb, weil der zu entscheidende Fall sich kurz vor Inkrafttreten des Seerechtsänderungsgesetzes, nämlich i m Frühjahr 1972, ereignet hatte. A u f jeden Fall hätte der BGH, der sich für seine Argumentation auf die Rechtfertigung der Himalaya-Klausel bezieht, die gesetzliche Wertung zugunsten der Seeleute i n § 487 HGB m i t verwerten können. Es spricht vieles dafür, daß der B G H die Gesetzesänderung schlicht übersehen hat. Für Schaps / Abraham ist mit der Schaffung des § 487 HGB das Problem der Haftung der Seeleute endgültig gelöst: „Damit ist entgegen dem bisherigen Recht entsprechend dem Reederhaftungsabkommen auch dem Arbeitnehmer des Reeders die Beschränkung der Haftung als Möglichkeit eingeräumt worden. Somit entfällt die Möglichkeit, wegen einer unbeschränkten Haftung einen Druck, vornehmlich moralischer A r t oder wegen eines etwaigen arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruches, gegen den Reeder auszuüben. I n einem derartigen Umfange entfällt auch die Notwendigkeit der Vereinbarung der sog. Himalaya-Klausel.. .114" Die Ausführungen zur mangelnden Durchsetzbarkeit des § 487 HGB i n der Praxis zeigen, daß durch die bloße Gesetzesänderung das Problem der prinzipiell unbeschränkten Haftung des Kapitäns nicht gelöst 114
Schaps / Abraham,
§ 487 Rdn. 4.
152 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
ist. Es ist auch nicht anzunehmen, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung die Frage i m Sinne von Schaps / Abraham beantworten wird. Das würde nämlich bedeuten, daß sie i n den Fällen, i n denen der Kapitän von der Möglichkeit des § 487 Abs. 1 HGB keinen Gebrauch gemacht hat, von dessen unbeschränkter Haftung ausgehen würde, schlicht, weil er von der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit, seine Haftung zu beschränken, keinen Gebrauch gemacht hat. Die beiden grundlegenden Urteile des B G H zur Anerkennung des Freistellungsanspruchs eines Binnenschiffsführers 115 und zur Begrenzung der Haftung des Reeders / Kapitäns 1 1 8 lassen vielmehr erwarten, daß dieses Gericht prinzipiell von einer beschränkten Reederhaftung ausgehen wird, auch wenn weder der Reeder noch der Kapitän entsprechendes vereinbart haben. 7.4.2. Die Entscheidungen de^ßGH vom 27. 2. 1964 und vom 26.11.1979 I m Urteil vom 27. 2.1964 hatte der B G H einen Freistellungsanspruch des Binnenschiffsführers prinzipiell unterstellt, damit also die Gefahrengeneigtheit der Arbeit des Binnenschiffsführers ohne nähere Untersuchung bejaht und die Frage für den Seeschiffskapitän vorsichtig offengelassen. Dabei hatte sich der B G H bemüht, durch den Freistellungsanspruch das System der zivilrechtlichen Haftung nicht zu verändern. Ausgangspunkt der Interessenabwägung des B G H war, daß der geschädigte Dritte den Kapitän bei jeder schuldhaften Schädigung uneingeschränkt i n Anspruch nehmen könnte; die Höhe des Freistellungsanspruchs habe m i t dem Anspruch des Geschädigten auf vollen Schadensersatz nichts zu tun. Soweit sich der geschädigte Dritte nicht aus dem Vermögen des unbeschränkt haftenden Kapitäns befriedigen könne, könne der Dritte nicht etwa einen unbegrenzten Freistellungsanspruch des Kapitäns gegen den Reeder pfänden; ein der Höhe nach unbegrenzter Freistellungsanspruch würde geradezu die zulässige Beschränkung der Reederhaftung unterlaufen. Danach hängt also die Höhe der Reederhaftung von der Höhe des Vermögens des Kapitäns ab. Unbefriedigend an der Entscheidung ist weiter, daß der Kapitän zunächst den Schadensersatzprozeß einschließlich der Zwangsvollstreckung über sich ergehen lassen muß; er muß weiter einen Prozeß m i t dem Reeder u m seinen Anspruch auf Freistellung führen: „Allerdings kann der Schiffsführer grundsätzlich i m Rahmen seines Freistellungsanspruchs vom Schiffseigner verlangen, daß 115 118
B G H v o m 27. 2.1964, Hansa 1964, S. 1502 ff. = N J W 1964, S. 1272 ff. B G H v o m 26.11.1979, Hansa 1981, S. 990 f.
7. Handelsrechtliche Stellung des Kapitäns, insbes. seine Haftung
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dieser ihn von seiner Schuld gegenüber den Dritten befreie. Diese Frage muß aber, wie es den Interessen der Beteiligten entspricht, i n einem Rechtsstreit zwischen Schiffsführer und Schiffseigner ausgetragen werden, i n dem alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind. Dabei kann für die Frage des Umfanges der Fürsorgepflicht des Schiffseigners insbesondere von Bedeutung sein, inwieweit der Schiffsführer infolge seiner unbeschränkten Haftung gegenüber den Dritten rein wirtschaftlich gesehen Nachteile erleidet. Dem Verlangen des Schiffsführers, ihn von der Schuld gegenüber dem Dritten zu befreien, w i r d der Schiffseigner jedenfalls insoweit widersprechen können, als der Dritte sich nicht aus dem Vermögen des Schiffsführers befriedigen konnte. Denn der Gedanke der Fürsorgepflicht kann dort nicht mehr durchgreifen, wo die Leistung des Schiffseigners nicht dazu dienen würde, wirtschaftliche Nachteile gefahrenbehafteter Arbeit des Schiffsführers auszugleichen, sondern einem Dritten einen i h m vom Gesetzgeber versagten Vorteil zu verschaffen 117 ." Die aus der dogmatisch sorgfältig begründeten Entscheidung folgenden praktischen Probleme (vorrangige Inanspruchnahme des Kapitäns i n unbegrenzter Höhe bis zur Grenze der Unpfändbarkeit, zusätzlicher Rechtsstreit zwischen Kapitän und Reeder über Bestehen und Höhe des Freistellungsanspruchs) versucht der B G H i n seiner neuesten Entscheidung vom 26.11.1979 dadurch zu lösen, daß er die Haftung des Kapitäns der des Reeders angleicht; beschränkt der Reeder seine Haftung, soll dies auch für den Kapitän gelten. Die insofern entscheidende Passage des dogmatisch schwer zu verstehenden Urteils lautet: „ A u c h k a n n der Revision nicht gefolgt werden, soweit sie meint, daß die Frage der Freizeichnung zugunsten der Schiffsbesatzung auf dem Gebiete des Seefrachtrechts anders als bei Transporten auf Binnengewässern zu beurteilen sei. Dort (und das zeigt gerade die Schaffung der sog. HimalayaKlausel) wie hier w i r d es gleichermaßen f ü r notwendig angesehen, die Haftung der Besatzung zumindest entsprechend der des Verfrachters/ Frachtführers oder des Reeders/Schiffseigners zu beschränken. Zudem wäre ohne eine solche Beschränkung diejenige des Verfrachters/Frachtführers oder des Reeders/Schiffseigners wegen des arbeitsrechtlichen Anspruchs der Besatzung auf Freistellung von Schadensersatzansprüchen Dritter im Ergebnis vielfach sinnlos, wobei auch das für den Befrachter, der haftungsbeschränkende oder — ausschließende Klauseln einer Charterpartie oder eines Konnossements akzeptiert, erkennbar i s t . 1 1 8 "
117 118
Vgl. Hansa 1964, S. 1503. Hansa 1981, S. 991, Hervorhebung von mir.
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7.4.3. Beseitigung der unbeschränkten Kapitänshaftung durch die Rechtsprechung des BGH Damit hat der B G H — ohne die gesetzliche Möglichkeit der Haftungsbeschränkung nach § 487 HGB überhaupt zu erwähnen — die unbeschränkte Kapitänshaftung definitiv beseitigt. Auch ohne vertragliche Haftungsbeschränkung, sei es, daß der Kapitän sie für sich, sei es, daß der Reeder sie für den Kapitän und die Besatzung vereinbart hat, haftet der Kapitän nur i m Rahmen der Reederhaftung. Damit hat der B G H die Konsequenz aus der Veränderung der Stellung des Kapitäns, der längst nicht mehr Unternehmer, sondern Arbeitnehmer ist, gezogen. Wenn auch die dogmatische Begründung problematisch ist, verdient das Urteil i m Ergebnis uneingeschränkt Zustimmung; die Frage der Durchsetzung der Möglichkeit zur Haftungsbefreiung gemäß § 487 HGB dürfte sich damit erledigt haben.
8. D i e öffentlich-rechtliche Stellung des Kapitäns 8.1. Vorbemerkung
Die Frage, ob der Kapitän eine öffentlich-rechtliche Stellung innehat, läßt sich nicht mit der Bejahung oder Verneinung der sog. Schiffsgewalt beantworten. Vielmehr muß hierzu die auf einem Seeschiff geltende Rechtsordnung analysiert werden; dabei w i r d allerdings die juristische Konstruktion der sog. Schiffsgewalt i n ihrer heutigen Form zu untersuchen und zu kritisieren sein. Die Problematik liegt darin, daß ein Seeschiff einerseits nicht losgelöst ist von jeder staatlichen Gewalt, auch wenn es sich auf hoher See befindet, sondern i n einer rechtlichen Beziehung zu dem Staat steht, dessen Flagge es führt. Andererseits haben Seeschiffe m i t einer bestimmten Flagge vielfach Besatzungen verschiedener Nationalitäten; auch der Kapitän braucht nicht Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland zu sein, wenn er ein Seeschiff führt 1 1 9 . Schließlich hat ein Seeschiff vielfältige Berührungen mit dem Ausland, wenn es ζ. B. i n fremden Hoheitsgewässern fährt oder i n einem ausländischen Hafen liegt oder etwa, wenn es von einem ausländischen Verfrachter gechartert wird. Die hieraus folgenden Möglichkeiten der Geltung von verschiedenen Rechtsordnungen erfordern eine Klärung, bevor auf die öffentlichrechtliche Stellung des Kapitäns eingegangen werden kann. 119 Erforderlich ist lediglich, daß er Inhaber eines staatlichen Befähigungszeugnisses der Bundesrepublik Deutschland ist, § 2 Seemannsgesetz i. V. m. § 4 SBAO, vgl. Schelp / Fettback, § 2 A n m . 8.
8. Die öffentlich-rechtliche Stellung des Kapitäns
155
8.2. Hoheitsgewalt des Flaggenstaates; Flaggenführung
Aus der Freiheit der Meere 120 folgt der Grundsatz, daß Schiffe auf hoher See ausschließlich der Hoheitsgewalt des Flaggenstaates unterworfen sind 121 . Daraus ergibt sich weiter, daß jedes Seeschiff die Flagge eines Staates führen muß 1 2 2 . Jeder Staat hat das Recht zur Flaggenverleihung. Die Flagge bestimmt die Staatszugehörigkeit des Schiffes, die wiederum den Staat festlegt, der völkerrechtlich den Schutz und die Verantwortung für das Schiff übernimmt. Die Berechtigung zur Führung der Flagge bestimmt sich wiederum nach innerstaatlichem Recht, d. h., die Bundesrepublik Deutschland setzt die Voraussetzungen fest, unter denen ein Seeschiff die Flagge der Bundesrepublik Deutschland führt; das ist i m Flaggenrechtsgesetz vom 7. 6. 1950 geschehen. Das Schiffszertifikat dient zum Nachweis der Berechtigung zur Führung der Flagge der Bundesrepublik Deutschland; die Voraussetzungen dafür regelt die Schiffsregisterordnung vom 15. 11. 1940123. M i t der Feststellung, ein Handelsschiff sei zur Führung der Flagge der Bundesrepublik Deutschland berechtigt, ist aber über die Geltung des deutschen Rechts noch nicht i n allen geschilderten Situationen entschieden. Feststellen läßt sich zunächst, daß ein die Flagge der Bundesrepublik Deutschland führendes Kauffahrteischiff i n Häfen der Bundesrepublik Deutschland und i n deutschen Hoheitsgewässern wie ein Betrieb i n Deutschland behandelt wird. Dasselbe gilt, wenn die Voraussetzungen der Nacheile gegeben sind 124 .
8.2.1.
Außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer
Außerhalb der deutschen und außerhalb fremder Hoheitsgewässer gelten deutsche Kauffahrteischiffe „ i n gewisser Weise" als deutsches Staatsgebiet und unterliegen damit ausschließlich der deutschen Staats120
Dahm, Völkerrecht, Bd. 1, Stuttgart 1961, S. 667. Menzel / Rojahn, Völkerrecht, München 1978, S. 400; Dahm, Bd. 1, S. 674; Colombos, Internationales Seerecht, S. 30, 232. 122 Dahm, S. 675; ein Schiff, das keine Flagge f ü h r t oder zu Unrecht führt, darf angehalten u n d aufgebracht werden; Colombos, S. 256 ff. 123 BGBl. I I I 403-4. 124 (Genfer A b k o m m e n über die hohe See v o m 29.4.1958, A r t . 23): Nacheile eines ausländischen Schiffes k a n n unternommen werden, w e n n die zuständigen Behörden des Küstenstaates guten G r u n d zu der Annahme haben, daß das Schiff die Gesetze u n d Verordnungen jenes Staates verletzt hat. Die Nacheile muß begonnen werden, w e n n das ausländische Schiff oder eines seiner Boote sich noch i n den Eigengewässern oder dem Küstenmeer oder i n der Anschlußzone des verfolgenden Staates befindet; sie darf außerhalb des Küstenmeeres oder der Anschlußzone nur dann fortgesetzt werden, w e n n die Verfolgung nicht unterbrochen war, Colombos, S. 131 ff. m i t zahlreichen Beispielen; Dahm, Bd. 1, S. 672; Menzel / Rojahn, nicht S. 402, w i e v o m V e r fasser angegeben, sondern S. 400. 121
156 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
gewalt 1 2 5 . Die Einschränkung „ i n gewisser Weise" bezieht sich darauf, daß die Hohe See eben nicht deutsches Staatsgebiet ist, so daß etwa Beschädigungen deutscher Schiffe oder Körperverletzungen an Seeleuten auf deutschen Schiffen, die von nicht-deutschen Schiffen ausgehen, nicht nach deutschem Recht behandelt werden können. Für die hier zu untersuchenden Fragen der öffentlich-rechtlichen Stellung des Kapitäns ist diese Einschränkung ohne Bedeutung. Hinsichtlich der Hohen See gilt also für die Rechtsordnung auf Kauffahrteischiffen, welche die Flagge der Bundesrepublik Deutschland führen, dasselbe wie i n deutschen Häfen oder deutschen Hoheitsgewässern 126 . Anders ist die Rechtslage dagegen i n den Eigengewässern ausländischer Staaten. Zu den Eigengewässern gehören die vom Landgebiet eines Staates umschlossenen Binnengewässer (Flüsse, Seen, Kanäle) und die maritimen Eigengewässer, d. h. die Wasserfläche an der Küste, die, wie ζ. B. Buchten, Golfe, Flußmündungen und Seehäfen, zum Meer h i n geöffnet sind. Diese Eigengewässer werden als Teil des Staatsgebiets behandelt und unterliegen der uneingeschränkten Souveränität des Küstenstaates. Hieraus folgt für die Rechtsstellung ausländischer Schiffe, daß diese nicht der Gebietshoheit des Flaggenstaates unterliegen, etwa mit der Konsequenz, daß ausländische Schiffe Flüchtlinge des Küstenstaates kein politisches Asyl gewähren können 127 . Die Anerkennung der Eigengewässer als Hoheitsgebiet des Küstenstaates schließt auch eine Immunität von Handelsschiffen i n Privateigentum aus. Da sich die Untersuchung auf diese Schiffe beschränkt, bedarf es keines Eingehens auf den Inhalt der Immunität 1 2 8 . Allerdings pflegen die Küstenstaaten auch fremden Handelsschiffen gegenüber von ihrer Hoheitsgewalt keinen uneingeschränkten Gebrauch 125
Großmann, Das Streikrecht i n der deutschen Seeschiffahrt, S. 4. So der Fall, w o auf einem Schiff der Bundesrepublik Deutschland i m Roten Meer ein Einschleicher mißhandelt u n d über B o r d geworfen w u r d e ; Az. 16 K L S (10) 32 JS 12 aus 76, Bremen; der Haupttäter, der 1. Offizier, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. 127 Dohm, S. 636; Colombos, S. 272, 273. 128 E i n Kriegsschiff, Schiffe, die Staatsoberhäupter oder hohe Diplomaten an Bord haben u n d unter dem Befehl eines Seeoffiziers stehen u n d Staatsschiffe, die v o m Staat f ü r öffentliche Dienste eingesetzt sind, bleiben auch i m Ausland der Hoheitsgewalt und der ausschließlichen Gerichtsbarkeit des Flaggenstaates unterstellt. E i n Verfahren gegen ein solches Schiff, sei es wegen Schadensersatzforderung auf G r u n d einer Kollision oder wegen Bergung oder Hilfeleistung, können vom Küstenstaat, i n dessen Hoheitsgewässern sich ein solches befindet, nicht geltend gemacht werden. K e i n Vertreter des Küstenstaates darf ohne Aufforderung des Kommandanten das Schiff betreten, sie dürfen keine Zollkontrollen u n d keine anderen Hoheitsakte vornehmen, u n d sie müssen sich der Ausübung von Jurisdiktion nicht n u r gegenüber den Mitgliedern der Mannschaft, sondern auch gegenüber anderen Personen des Schiffes enthalten (gemäß der Stockholmer Regeln von 1928). Vgl. Colombos, S. 214 ff.; Dahm, S. 380 ff. 128
8. Die öffentlich-rechtliche Stellung des Kapitäns
157
zu machen; so verzichten sie i n der Regel auf die Ausübung von Polizeigewalt und Strafverfolgung, wenn es um Angelegenheiten der inneren Ordnung des Schiffes geht. Nach Völkergewohnheitsrecht greifen die Küstenstaaten nur ein, wenn Handlungen an Bord „über den Bord" des Schiffes hinausreichen, d. h., wenn die Schwere der Tat oder ihre Auswirkungen auf die Sicherheit des Küstenstaates oder die Begehung der Tat zum Nachteil eines Staatsangehörigen ein Einschreiten als notwendig erscheinen lassen 129 . Ähnlich w i r d derjenige Teil des Meeres, der sich an die Eigengewässer oder das Festland anschließt, das Küstenmeer, praktisch behandelt. Auch das Küstenmeer ist ein Teil des Staatsgebiets und unterliegt ebenfalls der Gebietshoheit des Anliegerstaates 130 . Aus der Gebietshoheit des Küstenstaates über das Küstenmeer folgt, daß der Küstenstaat auch hier die Polizeigewalt ausüben und Straftaten an Bord des durchfahrenden Schiffes verfolgen kann. Da Straftaten an Bord des durchfahrenden Schiffes jedoch wesentlich weniger intensiv die Belange des Küstenstaates berühren, so w i r d es i n diesem Bereich kaum zu Eingriffen kommen, es sei denn, das Schiff selbst erbitte das Eingreifen der Polizei des Küstenstaates 131 . 8.3. Die Schiffsgewalt des Kapitäns (Hausrecht, Große Haverei, Befugnisse gegenüber Reisenden)
Nunmehr kann die Frage nach der öffentlich-rechtlichen Stellung des Kapitäns beantwortet werden. Als gesetzliche Anknüpfungspunkte für die als „Schiffsgewalt" bezeichnete Innehabung öffentlich-rechtlicher Befugnisse werden i n der Literatur die §§ 2 Abs. 1 und 2 und § 106 Seemannsgesetz genannt 132 . Aber auch § 511 HGB w i r d zur Begründung der sog. Schiffsgewalt m i t herangezogen, die i n Anlehnung an die amtliche Begründung zu § 3 Seemannsordnung vom 1. 4. 1903 als „Inbegriff aller derjenigen Befugnisse privat- und öffentlich-rechtlicher Natur, 129 Menzel / Rojahn, S. 390; da die Bundesrepublik Deutschland keine Staatshandelsschiffe hat, braucht auf die Problematik der Behandlung solcher Schiffe nicht eingegangen zu werden. 130 Die völkerrechtlichen Probleme des Küstenmeeres liegen i n dessen Ausdehnung u n d i m Recht auf friedliche Durchfahrt für Schiffe anderer Nationen. Hierauf k o m m t es aber i n dieser A r b e i t nicht an. Es ist davon auszugehen, daß Kapitäne von Handelsschiffen auch einseitige, völkerrechtlich nicht anerkannte Ausdehnungen oder Sperrungen des jeweiligen Küstenstaates beachten werden, u m Schiff, Mannschaft u n d Ladung nicht i n Gefahr zu bringen. Näheres zu den völkerrechtlichen Problemen des Küstenmeeres bei Menzel / Rojahn, S. 393 ff.; Colombos, Internationales Seerecht, S. 100; Dahm, S. 648. 131 Dahm, S. 648. 132 Schelp / Fettback, § 106, A n m . 1.
158 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
welche m i t Rücksicht auf die Loslösung des Schiffes von dem heimatlichen Territorium i n der Hand des Schiffsführers vereinigt sein müssen", definiert wird. Der Rückgriff auf diese Begriffsbestimmung spiegelt das Bestreben wider, den Rechtszustand vor 1914 ungeachtet der gesellschaftlichen Veränderungen zu konservieren. Das w i r d ganz deutlich bei Schelp / Fettback, die eine gewissermaßen bruchlose Tradition annehmen 138 . Die Annahme eines Konglomerats von öffentlich-rechtlichen Pflichten und Rechten zu einem einheitlichen Institut der „Schiffsgewalt", aus der dann wiederum weitere Rechte und Pflichten als „aus der Natur der Sache" und den besonderen Verhältnissen und Notwendigkeiten an Bord fließend konstatiert werden, findet i m deutschen Recht keine Stütze 134 . Schaps / Abraham weisen bereits i n diese Richtung, wenn sie ausführen: „Die öffentlich-rechtliche Stellung des Kapitäns hat sich i m Laufe der Zeit gewandelt. Ihre einzelnen Befugnisse werden zusammengefaßt als Schiffsgewalt bezeichnet." Bei der Schiffsgewalt handelt es sich also nicht um einen einheitlichen Begriff. Sie umfaßt Befugnisse über das Schiff und die darauf befindlichen Sachen, sodann Befugnisse gegenüber bestimmten Personengruppen und endlich die Ausübung gewisser i m allgemeinen der Staatsgewalt zukommenden Funktionen während der Reise 135 . Schaps / Abraham ziehen daraus aber nicht die gebotenen Konsequenzen, indem sie die einzelnen Rechte und Pflichten auf die jeweiligen Normen zurückführen; vielmehr fassen sie eben das Konglomerat, das sie als nicht einheitlich beschrieben haben, unter „öffentlich-rechtliche Stellung des Kapitäns" zusammen, zu der dann gehören sollen: Hausrecht, das Recht, dem Schiffe i m Falle Großer Haverei Schaden zuzufügen (§ 700 HGB), das Recht, gefährliche oder ohne das Wissen des Kapitäns an Bord befindliche Gegenstände (Ladungs- oder Reisegut oder Eigentum von Schiffsleuten) an Land zu setzen bzw. über Bord zu werfen (§§ 564, Abs. 5, 564 a und b HGB), die Befugnis, die Fortschaffung von Sachen aus dem Schiff zu verbieten (§ 12 StrandO), i m Falle der Großen Haverei das Aufopfern von Gütern anzuordnen 138 . Auch Befugnisse gegenüber Reisenden fassen Schaps / Abraham unter die öffentlich-rechtliche Stellung des Kapitäns. Dabei folgern sie auch ausdrücklich „aus der Natur der Sache" auf Zwangsbefugnisse des Kapi138
Schelp / Fettback, § 106, Anm. 1. Schelp / Fettback, § 106, A n m . 1. iss v o r b . 9 vor § 511; die erste Hervorhebung ist von Schaps / Abraham, zweite von mir. 136 Schaps / Abraham, Vorb. 10 vor § 511 HGB. 134
die
8. Die öffentlich-rechtliche Stellung des Kapitäns
159
täns 137 . Schließlich sehen sie Befugnisse gegenüber der Besatzung als Teil der öffentlich-rechtlichen Stellung des Kapitäns an. „Er (d. h. der Kapitän) hat eine oberste Anordnungsbefugnis, für die Erhaltung von Ordnung und Sicherheit an Bord zu sorgen und die i n dieser Hinsicht erforderlichen Maßnahmen zu treffen 1 3 8 ." Eine K r i t i k dieser Auffassung muß an der undifferenzierten Zusammenfassung aller sich aus verschiedenen Gesetzen i n der Tat ergebenden Zuständigkeiten des Kapitäns zu einer einheitlichen „Gewalt" ansetzen. Die öffentlich-rechtliche Stellung des Kapitäns kann sich nicht aus einer Verquickung aller möglichen privatrechtlich begründeten Befugnisse mit öffentlich-rechtlichen Elementen ergeben. Vielmehr sind zunächst einmal die privatrechtlich begründeten Rechte und Pflichten, die aus der Rechtsstellung des Kapitäns als Arbeitnehmer, Vertreter des Reeders und der Ladungsbeteiligten folgen, abzusondern und dann die hieraus nicht zu erklärenden zusätzlichen öffentlich-rechtlichen Befugnisse zu untersuchen. Erkennbar nicht zur öffentlich-rechtlichen Stellung des Kapitäns gehört das Hausrecht am Schiff. Das Hausrecht ist eine aus dem Besitz fließende Rechtsposition, die jedem Haus- oder Wohnungsbesitzer zusteht und sich auch auf Geschäftsräume erstreckt. Das Hausrecht steht also jedem Unternehmer hinsichtlich seines Geschäftslokals zu; zur Ausübung kann er es beliebigen Arbeitnehmern überlassen. Nicht anders ist es mit dem Hausrecht des Kapitäns, das ihn nicht anders und auch nicht besser stellt als jeden Betriebsleiter, der vom Eigentümer mit der Ausübung des Hausrechts betraut wird 1 3 9 . Ebenfalls abzuziehen von einer „öffentlich-rechtlichen Stellung des Kapitäns" sind die besonderen Kompetenzen, die sich aus dem HGB ergeben. Wenn dem Kapitän danach ζ. B. das Recht zusteht, i m Falle Großer Haverei dem Schiff Schaden zuzufügen oder das Aufopfern von Gütern anzuordnen, dann ist das eine besondere handelsrechtliche Ausprägung der bürgerlich-rechtlichen Rechtsinstitute Notstand und Selbsthilfe (§§ 228, 229, 230 und 904 BGB) mit spezieller Lastenverteilung, § 700 Abs. 2 HGB. Ebenso ist die Befugnis des Kapitäns gegenüber den Reisenden nach § 665 HGB als bürgerlich-rechtlich einzuordnen. Die hiernach bestehende Verpflichtung des Reisenden, alle die Schiffsordnung betreffenden Anweisungen des Kapitäns zu befolgen, ist eine vertragliche, ebenso wie die, das Überfahrtgeld zu zahlen. Dem Kapitän 137
Schaps / Abraham, Vorb. 10 vor § 511 HGB. Schaps / Abraham, Vorb. 11 vor § 511 HGB. 13Θ vgl palandt, § 855 BGB, A n m . 1, 4 a; Münchner Kommentar zum BGB, Bd. 4, § 855 BGB, A n m . 14; Schaps / Abraham, Vorbem. 10 vor § 511 HGB. 138
160 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
erwachsen, wie auch Schaps / Abraham 1 4 0 selbst anerkennen, aus § 665 HGB keinerlei Disziplinarbefugnisse gegenüber dem Reisenden. 8.3.1. Der eigentliche Kern der öffentlichrechtlichen Befugnisse des Kapitäns Der eigentliche Kern der öffentlich-rechtlichen Stellung des Kapitäns sind die Vorschriften des 5. Abschnitts des Seemannsgesetzes, die mit „Ordnung an Bord" überschrieben sind, §§ 105 ff. SeemG. Die durch § 106 Abs. 1 Seemannsgesetz dem Kapitän zugeschriebene Vorgesetztenstellung hinsichtlich aller Besatzungsmitglieder und sonstigen an Bord tätigen Personen ist Grundlage der i h m zustehenden „obersten A n ordnungsbefugnis" (Satz 2), die schon dem Wortlaut nach über das Direktionsrecht des Arbeitgebers hinausgeht. Aus dem Systematik des Gesetzes, nämlich der Einordnung des § 106 i n dem 5. Abschnitt des Seemannsgesetzes, folgt, daß es sich bei dieser Anordnungsbefugnis um ein öffentlich-rechtliches Institut handelt 1 4 1 . 8.3.2. Das Anordnungsrecht des Kapitäns gemäß §106 Abs. 2—6 SeemG Der Inhalt des Anordnungsrechts folgt aus den Absätzen 2 bis 6 des § 106 Seemannsgesetz. Nach Abs. 2 hat der Kapitän „für die Erhaltung der Ordnung und Sicherheit an Bord zu sorgen und ist i m Rahmen der nachfolgenden Vorschriften und der sonst geltenden Gesetze berechtigt, die dazu notwendigen Maßnahmen zu treffen". Diese Vorschrift „folgt den gleichen Gedankengängen wie die auf § 14 des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes zurückgehenden jüngeren Polizeigesetze einiger Länder" 1 4 2 ; man kann deutlicher sagen, § 10 b Abs. 2 sei die auf den Bordbetrieb bezogene polizeiliche Generalklausel. Die einschlägige Vorschrift des Preußischen Polizei Verwaltungsgesetzes war § 14: „Die Polizeibehörden haben i m Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, u m von der Allgemeinheit oder dem Einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht w i r d . "
Die inhaltliche Identität von § 14 Pr. Polizeiverwaltungsgesetz und §106 Abs. 2 SeemG verdeutlicht, daß dem Kapitän mit dieser Vorschrift diejenigen polizeilichen Befugnisse eingeräumt werden, deren Wahrnehmung durch den Kapitän wegen der Entfernung des Seeschiffes von Land und damit aus dem Bereich der Polizei zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit erforderlich sind. 140 141 142
Vorb. 11 vor § 511 HGB. Vgl. Monnerjahn, S. 121; Schelp / Fettback, § 106 A n m . 3. Schelp / Fettback, § 106 A n m . 6.
8. Die öffentlich-rechtliche Stellung des Kapitäns
161
8.3.3. Beliehener im Sinne des Verwaltungsrechts Der Kapitän ist damit Beliehener i m Sinne des Verwaltungsrechts. Dieser ist „ein Rechtssubjekt des Privatrechts, das hoheitliche Befugnisse i m eigenen Namen wahrnimmt, ohne ein Teil der Staatsorganisation zu sein" 1 4 3 . Zimmerer hebt zutreffend hervor, daß insofern eine Kompetenzverlagerung vom Staat auf den Kapitän stattfände, nicht aber ein völliger Kompetenzverlust 144 , denn die Berechtigung der staatlichen Polizei, zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung u. U. auch auf einem Seeschiff einzugreifen, lebt auf, wenn der polizeiliche Zugriff tatsächlich wieder möglich wird. Die Absätze 3—6 des § 106 Seemannsgesetz enthalten nähere Ausgestaltungen der polizeilichen Befugnisse, die durch die Aufstellung verschiedener Tatbestandsvoraussetzungen auch eingeschränkt werden. Hierauf braucht i m Rahmen dieser Untersuchung nicht näher eingegangen zu werden; hier reicht die Feststellung aus, daß der Kapitän mit Wahrnehmung polizeilicher Befugnisse beliehen ist 1 4 5 . 8.3.4. Verpflichtungen
im Bereich des Personenstandswesens
Weitere öffentlich-rechtliche Verpflichtungen treffen den Kapitän i m Bereich des Personenstandswesens. Nach § 2 der Tagebuchverordnung ist der Kapitän verpflichtet, Geburten und Sterbefälle i n das Tagebuch einzutragen. § 45 der Ausführungs-VO zum Personenstandsgesetz 14® schreibt vor, daß die Geburt, bzw. der Todesfall dem Schiffsführer angezeigt werden muß. Dieser hat über die Auszüge eine Niederschrift aufzunehmen und diese mit einer Abschrift dem Seemannsamt zu übergeben, welches das Original an das Standesamt i n Berlin (West) weiterleitet. Der Kapitän nimmt also gewisse Tätigkeiten des Standesbeamten wahr. Auch Funktionen des Seemannsamtes sind dem Kapitän übertragen. Das Seemannsamt ist zur Entscheidung über Beschwerden der Besatzungsmitglieder i n bestimmten Fällen zuständig, so ζ. B. bei Streit über die Krankenfürsorge, § 51 SeemG, über die Berechtigung einer außerordentlichen Kündigung, § 69 SeemG und bei Versagung der E i n w i l l i gung, bestimmte Sachen mit an Bord zu nehmen, § 111 SeemG. 148 Zimmerer, Die öffentlich-rechtliche Stellung des Kapitäns u n d der Schiffsoffiziere auf deutschen Handelsschiffen, Diss. Würzburg 1970, S. 35 m. w. Nachw.; ähnlich Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I I , 4. Aufl., München 1976, § 104 I b, S. 452. 144 Zimmerer, S. 36. 145 So auch Wolff / Bachof, S. 452; Zimmerer, S. 39 m. w. Nachw. 14β I. V. m. § 70 Personenstandsgesetz.
Hanses 11
162 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
Nach § 112 SeemG ist auch der Kapitän Adressat von Beschwerden. Wenn diese Vorschrift auch insbesondere das Zusammenleben an Bord betrifft, so ist ihr dennoch eine allgemeine Kompetenz des Kapitäns zur vorläufigen Entscheidung über die dem Seemannsamt zur endgültigen Entscheidung zugewiesenen Beschwerden zu entnehmen 147 . 8.4. Ergebnis
Zusammenfassend ist festzustellen, daß der Kapitän Beliehener i m Sinne des Verwaltungsrechts ist; seine öffentlich-rechtlichen Aufgaben sind i n verschiedenen Gesetzen und Verordnungen geregelt.
9. Das Streikrecht des Kapitäns Es ist nicht Aufgabe dieser Arbeit, das deutsche Streikrecht i m einzelnen darzustellen und kritisch abzuhandeln. Es würde auch zu weit führen, die Rechtsgrundlagen des i n der Bundesrepublik geltenden Streikrechts und die Grenzen des Streikrechts abzuhandeln, dies muß als vorausgesetzt angenommen werden. Hier soll nun untersucht werden, ob dem Kapitän ein Streikrecht zusteht, und ob er sich gegebenenfalls einem organisierten Streik anschließen kann. Es ist bereits nachgewiesen worden, daß sich die Stellung des Kapitäns i m Laufe der Geschichte vom Mitreeder / Kapitän zum reinen Arbeitnehmer verändert hat. Fest steht weiterhin, daß der Kapitän leitender Angestellter ist 1 4 8 , und neuerdings w i r d — wenn auch nur ganz vereinzelt — leitenden Angestellten das Streikrecht bestritten. Dazu hat der frühere Präsident des BAG, Müller, i n einem Vortrag ausgeführt: „Seit einiger Zeit findet eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern A u f merksamkeit, deren Kennzeichen d a r i n besteht, daß ihre Position s t r u k t u r e l l auf das engste m i t dem Arbeitgeber/Unternehmer u n d dem U n t e r nehmen verbunden ist, u n d daß i h r Arbeitsverhältnis nicht durch T a r i f verträge geregelt w i r d . Ich meine die leitenden Angestellten, die sich von den oberen Angestellten durch ihre noch größere funktionale Nähe eben zum Unternehmer u n d zum Unternehmen abheben. Bei oberflächlicher Betrachtung des geltenden Rechts könnte m a n der Auffassung sein, daß einem Arbeitskampf von u n d gegenüber den leitenden Angestellten nichts entgegenstehe. Gleichwohl meine ich, daß dem Arbeitsverhältnis dieser Arbeitnehmer, ähnlich w i e der Stellung der f u n k t i o n a l betonten herausgestellten Beamten, ein Arbeitskampf verbot immanent i s t 1 4 9 . " 147 148
Vgl. Schelp / Fettback, § 112 A n m . 4. Vgl. § 5 Abs. 3 BetrVG.
9. Das Streikrecht des Kapitäns
163
Hieran anknüpfend verneint Seiter — der m i t der herrschenden A n sicht ein Streikrecht der leitenden Angestellten bejaht — 1 5 0 , ein Streikrecht des Kapitäns 1 5 1 . I n der Analyse über die Rechtsnatur des Anstellungsvertrages ist diese Argumentation Seiters schon untersucht worden 1 5 2 ; hierauf w i r d verwiesen. 9.1. Kritik an der Auffassung Seiters
Der Ausgangspunkt der Argumentation Seiters zum Streikrecht ist die Stellung des Kapitäns als leitender Angestellter. Wenn er die Frage eines Streikrechts dieser Arbeitnehmergruppe hier formell dahingestellt sein läßt, tut er dies, um sich nicht mit seiner i m „Streikrecht und Aussperrungsrecht" 158 eingenommenen Haltung für ein Streikrecht der leitenden Angestellten i n Widerspruch zu setzen. Inhaltlich verneint er jetzt deren Streikrecht. I n Fußnote 284 beruft er sich nämlich ausdrücklich auf die oben wiedergegebene Äußerung Gerhard Müllers und zieht die Konsequenz: „Nach Müller hätte damit der Kapitän auf keinen Fall ein Streikrecht." Für diese Auslegung spricht auch, daß Seiter eine beiläufige Bemerkung Iseles, die dieser zu der Möglichkeit der Aussperrung leitender Angestellter macht, ausdrücklich als Beleg für die Lehrmeinung, leitende Angestellte hätten kein Streikrecht, heranzieht 154 . A u f Müller beruft sich Seiter aber zu Unrecht. I n dem oben wiedergegebenen Zitat hebt Müller ausdrücklich hervor, daß er diejenigen leitenden Angestellten meint, deren Arbeitsverhältnis „nicht durch Tarifverträge geregelt w i r d " . Das ist ein anerkannter Grundsatz des Streikrechts, daß nur u m tariflich regelbare Ziele gestreikt werden darf, weshalb ζ. B. nicht gewerkschaftliche Streiks nach herrschender Meinung rechtswidrig sind 1 5 5 . 149 Müller, Das Arbeitskampfrecht als Rechtsinstitution — Gedanken zum Arbeitskampf recht i n der Bundesrepublik Deutschland, i n : A r b e i t u n d Recht 1972, S. 1 ff., 7. 150 Vgl. Seiter, Streikrecht u n d Aussperrungsrecht, Tübingen 1975, S. 248; Säcker, i n : B B 1972, S. 1197. 151 Seiter, Arbeitskampfparität u n d Übermaßverbot (überarbeitetes u n d ergänztes Gutachten f ü r den Verband Deutscher Reeder u n d die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände), Düsseldorf, F r a n k f u r t 1979, S. 66 m. w. Nachw. 152 Vgl. S. 131 ff. iss v g L Seiter, Streikrecht u n d Aussperrungsrecht, S. 248. 154 Isele, Grundfragen der Aussperrung, i n : JuS 1964, S. 42 ff., 43 unter 112; tatsächlich sind diese beiläufigen Bemerkungen Iseles u n d die Ausführungen Gerhard Müllers die einzigen Äußerungen i n der Literatur, die ein Streikrecht der leitenden Angestellten verneinen! 1W B A G A P Nr. 32 zu A r t . 9 GG Arbeitskampf.
11*
164 I I I . T e i l : Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
Seiter selbst hat i n „Streikrecht und Aussperrungsrecht" hervorgehoben, die leitenden Angestellten „können für ihre Gruppe Tarifverträge schließen und u m deren Durchsetzung streiken" 1 5 6 . Wenn nun bei Müller der Ausschluß tarifrechtlicher Regelungen das entscheidende K r i t e r i u m für die Verneinung des Streikrechts der leitenden Angestellten ist, kann diese Äußerung nicht allgemein als Beleg für die Verneinung des Streikrechts des Kapitäns herangezogen werden, dessen A r beitsverhältnis — wie auch Seiter hervorhebt — ja tarif vertraglich geregelt w i r d 1 5 7 . Ein weiteres Argument Seiters gegen das Streikrecht des Kapitäns sind die i m Verhältnis zu sonstigen leitenden Angestellten erheblich gesteigerten Arbeitgeberfunktionen, die nach Seiters Meinung diesen i n die Nähe eines Mitglieds des gesetzlichen Vertretungsorgans privater juristischer Personen rücken. I n der Analyse der Rechtsstellung des Kapitäns als Arbeitnehmer ist zu dieser Argumentation bereits Stellung genommen worden 1 5 8 , so daß an dieser Stelle nur noch zusammengefaßt werden braucht. Nur i m betriebsverfassungsrechtlichen Bereich — den Seiter überhaupt nicht sieht — kommen dem Kapitän Befugnisse zu, die an Land nur von Unternehmern wahrgenommen werden; ein leitender Angestellter kann m i t dessen Ausübung bevollmächtigt werden, w i r d aber jedenfalls nicht ständig die Unternehmensleitung insofern vertreten. Allerdings ist nicht zu erkennen, weshalb gerade die Ausübung von betriebsverfassungsrechtlichen Unternehmerfunktionen einem Streikrecht entgegenstehen könnte. Wenn der Kapitän streikt, streikt i n der Realität auch die Besatzung, und dann besteht keine Notwendigkeit zur Ausübung bordvertretungsrechtlicher Rechte, und zwar weder auf Seiten des Reeders noch auf Seiten der Besatzung. I m übrigen sieht Seiter den gesetzlichen Handlungsrahmen des Kapitäns nicht richtig, weil er die Vollmacht des Kapitäns nicht m i t der eines Prokuristen vergleicht, die diesem mindestens die Befugnisse gibt, die einem Kapitän für sein Schiff zustehen. Seiter w i r d aber der Realität auch nicht gerecht, wenn er die rechtliche Bündelung der Befugnisse des Kapitäns m i t deren Ausübung i n der Wirklichkeit des Schiffsbetriebes gleichsetzt. Fraglich ist aber, ob Seiter sein Ergebnis auf die §§ 511 ff. HGB stützen kann. Auch insofern sind die notwendigen Untersuchungen schon angestellt worden, so daß hieraus jetzt die Folgerungen gezogen werden können. 1M
S eiter, Streikrecht u n d Aussperrungsrecht, S. 248. So auch Galperin, Die Stellung des Leitenden Angestellten i n der Rechtsordnung, i n : R d A 1977, S. 65, 289 unter d. 158 Oben S. 131 ff. 157
9. Das Streikrecht des Kapitäns
165
Es hat sich herausgestellt, daß der Reeder i n der Regel Verfrachter und als solcher Vertragspartner des Befrachters ist. Weiter hat sich ergeben, daß der Reeder beim Stückgüterfrachtvertrag von der Haftung für Streikrisiken kraft Gesetzes befreit ist, § 662 Abs. 1 i. V. m. § 608 Abs. 1 Nr. 4 HGB, und zwar unstreitig auch beim Streik der eigenen Leute 1 5 9 . Beim Raumfrachtvertrag zeichnet er sich durch i n den Formularfrachtverträgen enthaltene Klauseln gleichfalls frei. Ist nun der eigentliche Vertragspartner des Befrachters schon von der Haftung befreit, so überzeugt es nicht, wenn dem über § 512 HGB i n die Vertragshaftung nur hineingezogenen Kapitän unter Hinweis auf diese Pflichtenstellung gegenüber Dritten versagt werden soll. Die Vertragshaftung des Kapitäns ist nachgiebiges Recht, die gemäß § 487 Abs. 1 HGB — gleich der des Reeders — vom Kapitän durch einseitige empfangsbedürftige W i l lenserklärung beschränkt werden kann 1 8 0 . Auch die besondere Verpflichtung des Kapitäns gegenüber den Ladungsbeteiligten gemäß § 535 HGB — eine Vorschrift, die Seiter nicht berücksichtigt, obwohl er sie für seine Konstruktion benutzen könnte — ergibt nichts für ein Streikverbot, w e i l i h m die Interessenwahrung nicht absolut, sondern nur relativ aufgegeben ist und der Gesichtspunkt der Wahrung eigener Interessen des Kapitäns und der Besatzung bisher nicht erörtert worden ist 1 8 1 . Schließlich ist auf die von Seiter ebenfalls nur angedeutete öffentlichrechtliche Stellung des Kapitäns einzugehen. Es hat sich gezeigt, daß dieser — je nach der Situation, i n der sich das Schiff befindet — polizeiliche und andere öffentlich-rechtliche Befugnisse und Pflichten als Beliehener wahrzunehmen hat 1 8 2 . Zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit an Bord ist die Wahrnehmung dieser Funktionen auf Hoher See unerläßlich. Wenn auch i m Küstengewässer, i n der Anschlußzone und i n Binnengewässern bereits der Anliegerstaat seine Polizeigewalt ausüben kann, w i r d es wegen der Zurückhaltung, die alle Staaten traditionell üben, ebenfalls auf das Tätigwerden des Kapitäns ankommen; abgeschwächt gilt dies auch noch i n fremden Häfen. Aber es ist unrealistisch, anzunehmen, daß auf See überhaupt gestreikt wird. K e i n Kapitän, kein nautischer und technischer Offizier und kein Besatzungsmitglied w i r d auf den Gedanken kommen, einen arbeitsrechtlichen Streik anzufangen, während das Schiff sich i n Fahrt und auf Hoher See befindet. Einmal sind sich alle Seeleute der Gefahren bewußt, die ihnen selbst auf See jederzeit drohen, und niemand w i r d das Schiff, auf 159
Schaps / Abraham, § 608 Rdn. 17.
180
Vgl. oben S. 150/151. Vgl. oben S. 146/147. Vgl. oben S. 161.
181 182
166 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
dem er sich selbst befindet, durch Arbeitseinstellung zum Zweck der Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen gefährden. Ungehorsam an Bord kommt vor, und gelegentlich — bei sehr langen Reisen — können auch psychosomatisch bedingte Ausfälle auftreten, die aber m i t einem Streik nichts zu t u n haben. Zum anderen weiß jeder Seemann, daß er auf hoher See durch kollektive Arbeitseinstellung keinen genügend großen Druck auf den Reeder ausüben kann. Beides gilt für den Kapitän, einen erfahrenen Seemann, i n besonderem Maße. Deswegen ist es völlig unrealistisch, davon auszugehen, daß ein Kapitän auf See i n Streik treten könnte. A l l e diesbezüglichen Erwägungen können nur als abwegig bezeichnet werden. Ist insofern also nicht von einer Gefahrenlage durch Nichtausübung der öffentlich-rechtlichen Funktionen des Kapitäns auszugehen, entfallen die hierauf gestützten Erwägungen, die zu einem Streikverbot für den Kapitän führen könnten. 9.2. Keine Suspendierung der öffentlichrechtlichen Funktionen des Kapitäns durch Streik
A u f die Frage nach der Notwendigkeit der Wahrnehmung öffentlichrechtlicher Funktionen beim Streik auf einer geschützten Reede oder i m fremden Hafen soll unter dem Gesichtspunkt der Grenzen des Streikrechts hier insoweit nur eingegangen werden 168 , daß die Suspendierung der Arbeitspflicht des Kapitäns nicht seine öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen m i t umfassen. Zu seinen öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen gehört sowohl die Sicherung des Schiffes vor Gefahren, als auch die Abwendung von Gefahren, die von dem Schiff für die Allgemeinheit ausgehen. So gehören zur Sicherung des Schiffes auf Reede oder i m Hafen eine ordnungsgemäße Vertäuung bzw. ständige Kontrolle der Ankerposition, die nach den jeweiligen Vorschriften (u. a. Seestraßenordnung, Seeschiffahrtsstraßenordnung, Hafenordnung) erforderliche Kennung des Schiffes bei Tag und Nacht, die Sicherstellung der Betriebsbereitschaft der bordeigenen Feuermeldestelle und Feuerlöschanlagen, der Verholeinrichtungen, Pumpen, die Sorge für eine ausreichende Beleuchtung der Betriebswege und eine ausreichende Sicherung der Landverbindungen (Gangway). Schließlich muß eine ständige Sicherheitswache eingesetzt werden, die nach Qualifikation und Stärke den unverzichtbaren Sicherheitsmaßnahmen entsprechen muß. Da der Kapitän diese A u f gaben nicht allein erfüllen kann, müssen nicht nur die Offiziere i h n ies Y g i hierzu meine wissenschaftliche A r b e i t i m Abschlußverfahren der einstufigen Juristenausbildung, Bremen 1979, S. 77 ff.
10. Rationalisierungsmaßnahmen i n der deutschen Seeschiffahrt
167
hierbei unterstützen, sondern jedes Besatzungsmitglied ist gemäß § 109 Abs. 1 SeemG verpflichtet, trotz des Streiks die hierauf bezogenen A n ordnungen des Kapitäns zu befolgen. 9.3. Zusammenfassung und Ergebnis
Zusammenfassend ist zu sagen, daß die öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen des Kapitäns i n einer Vielzahl von Rechtsvorschriften geregelt sind, die der Kapitän i m Hinblick auf die Sicherheit des Schiffes beachten und einhalten muß; anderenfalls begeht er eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit. Die Verpflichtungen, die das Personenstandsgesetz dem Kapitän auferlegt, gehören gleichfalls zu seinen öffentlich-rechtlichen Aufgaben als Beliehener i m Sinne des Verwaltungsrechts. Der Kapitän hat diese A u f gaben auch während eines Streiks i n vollem Umfange wahrzunehmen. Es ergibt sich somit, daß weder aus der arbeitsrechtlichen Stellung des Kapitäns als leitender Angestellter, noch aus seiner haftungsrechtlichen Verpflichtung gegenüber Reiseinteressenten und Ladungsbeteiligten, noch aus seiner Beleihung m i t polizeilichen und anderen öffentlichrechtlichen Aufgaben Argumente für ein grundsätzliches Streikverbot zu entnehmen sind.
10. Rationalisierungsmaßnahmen in der deutschen Seeschiffahrt Die i n den 60er Jahren vollzogenen Rationalisierungsmaßnahmen der Industrie durch Einsatz von neuen, arbeitssparenden Produktionstechniken fanden auch i n der Seeschiffahrt rasch Anklang 1 ® 4 . „ U m auch an Bord ein Maximum an produktiver Arbeitsleistung zu erreichen" — so der damalige Vorsitzende des Verbandes Deutscher Reeder, der Reeder Fisser —, sei es notwendig, die bisherige Verschwendung von qualifizierter menschlicher Arbeitskraft an Bord zu beseitigen, dabei jede überflüssige Tätigkeit rigoros auszumerzen, Verlustzeiten auszuschalten, die Arbeit zu intensivieren, das Produktionsbewußtsein zu stärken und die einseitig ausgerichtete Spartenbildung aufzugeben 165 . Erste Ansätze zur Rationalisierung hatten die i n einigen Fahrtgebieten sich durchsetzende Verladung der Güter auf Paletten i n den späten 60er Jahren ergeben1®6. 164 Bouffier / Langhans, Integrierte Besatzung, ein Problem der Schiffsbetriebsorganisation, i n : Hansa 1973, S. 1721. 165 Vgl. Hansa 1969, S. 1363. 166 I n den Fahrtgebieten US-Golf, Westküste u n d Ostküste USA.
168 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
Erst mit dem Einsatz von Spezialschiffen — Container-, Ro-Ro-Schiffen, Lash Schiffen und kombinierten Varianten der gesamten Transportsysteme — wurde die Produktivität der Transportleistungen erheblich verbessert. Die für diese Transportsysteme notwendigen Hafenumschlagsanlagen wurden auf dem Kontinent, i n Fernost und am nordamerikanischen Kontinent i n den frühen 70er Jahren installiert, die nach und nach vergrößert und verbessert wurden. Die langen, oft unproduktiven Liegezeiten der Schiffe — die sich i m Verhältnis zu den produktiven Fahrzeiten m i t 50 : 50 gegenüberstanden, konnten durch die schnelle Abfertigung i n den Häfen zugunsten der Fahrzeiten deutlich verbessert werden 1®7. Diese neuen Transportsysteme waren den konventionellen Stückgutschiffen zwar anfangs nur leicht, später aber durch ihre größere Ladekapazität deutlich überlegen 1®8. Diese Erkenntnis führte zu einer raschen Umstrukturierung der deutschen Handelsflotte. Die von dieser Umstrukturierung betroffenen veralteten Stückgutschiffe wurden größtenteils verkauft oder verschrottet, wobei die verbliebenen moderneren Stückgutschiffe durch Umbau i n Semi-Containerschiffe für andere Fahrtgebiete eingesetzt wurden. I n der Nordatlantikfahrt (Ostküste der USA) wurde der vormals übliche Liniendienst mit konventioneller Stückgutladung ganz auf Container umgestellt. Weitere Fahrtgebiete, so die Australien- und Ostasienfahrt, folgten kurze Zeit später dem Beispiel der Nordatlantikfahrt. I n anderen Fahrtgebieten ist die Tendenz zur Umstellung vom konventionellen Liniendienst auf den Containerdienst bereits ganz oder teilweise vollzogen worden 1®9. Diese Umstrukturierungen lassen sich am Beispiel der Reedereiflotte der Hapag-Lloyd A G leicht nachweisen. War das Verhältnis von konventionellen Stückgutschiffen zu Containerschiffen i m Jahre 1970 noch 101 zu 9, so veränderte sich diese Situation drastisch zu Lasten des konventionellen Stückgutschiffes i m Jahre 1979 auf 18 zu 22 170 . 167 Vgl. Abendroth, Hafenarbeit; Frankfurt, New Y o r k 1979, S. 104; so stieg die Leistung v o m konventionellen Verkehr (0,6—1,8 t/h), auf 0,5—6,0 t / h i m Palettenumschlag u n d steigerte sich i m Containerumschlag auf 11,0— 20,0 t/h. lee i m Vergleich: Alemania-Klasse (Hapag-Lloyd), ein konventionelles Stückgutschiff, vermessen m i t r u n d 10 100 B R T ; „Elbe Express", Bauj. 1968 (Hapag-Lloyd), ein Containerschiff der 1. Generation, m i t r u n d 17 100 B R T vermessen; die 2. Generation „Sydney Express", Bauj. 1970, m i t r u n d 27 407 B R T ; die 3. Generation „ H a m b u r g Express", Bauj. 1972, 58 088 B R T ; Quelle: Hapag-Lloyd (1970—1980). 169 ζ. B. die Fahrtgebiete US-Golf u n d Südamerika Westküste, Südamerika Ostküste. Hierzu ausführlich Sager, Der Container erobert die d r i t t e Welt, i n : Hapag-Lloyd A k t u e l l , Ausgabe 92, September 1981. 170 Vgl. Telchow, i n : Schiff u n d Hafen/Kommandobrücke, Heft 1/1980, S. 29.
10. Rationalisierungsmaßnahmen i n der deutschen Seeschiffahrt
169
Angesichts der Umstrukturierung der deutschen Handelsflotte verringerte sich die Zahl der Arbeitsplätze von 1970 bis zum 1.1.1981 i n der deutschen Seeschiffahrt rapide. Waren 1970 noch 56 767 Seeleute i n der Seeschiffahrt beschäftigt, so verringerte sich die Zahl der Seeleute bis zum 1. Jan. 1981 um 29 603. A m 1. Jan. 1981 waren also nur noch 27 164 Seeleute i n der deutschen Seeschiffahrt beschäftigt 171 . I m gleichen Zeitraum stieg die Gesamttonnage um 0,5 Mill. BRT 1 7 2 . Wiederum soll am Beispiel der Flottenentwicklung der HapagLloyd A G die Reduzierung des Bordpersonals dargestellt werden. Die „Alemania", ein Schiff von 10 000 BRT, wurde 1965 neben 6 anderen Schwesterschiffen für den Ostasiendienst gebaut und 1970 durch die Schiffe der „Erlangen"-Klasse i m Ostasiendienst abgelöst. Die „Erlangen" hatte etwa die gleiche Vermessung wie die „Alemania", war aber zugleich für den Containertransport mit ausgerüstet und für den wachfreien Maschinenbetrieb ausgestattet worden. I m Jahre 1978 wurde das Schiff zum Vollcontainerschiff umgebaut und i n „Erlangen Express" umbenannt. Diese Umstrukturierung und der Einbau neuer Technologien wirkte sich auf die Besatzungsstruktur folgendermaßen aus: „Erlangen"
„Alemania"
„Erlangen Express" 1979
1965
1970
1972
11
10
9
8
3
3
1
1
Mannschaften (Deck u n d Maschine)
21
17
10
6
Koch u n d Bedienungspersonal
13
8
5
3
Ges amtbesatzungs mitglieder
48
38
25
18
K a p i t ä n u n d Offiziere Unteroffiziere (Bootsm., Zimmermann, Lagerhalter)
Neben der bereits dargestellten Umstrukturierung der deutschen Handelsflotte fand i n den frühen 70er Jahren eine verstärkte Ausflaggung bzw. Umflaggung von deutschen Handelsschiffen unter sog. Billigflaggen statt. Diese Problematik ist bereits i n der Literatur ausführlich behandelt worden, so daß sich i m Rahmen dieser Arbeit ein näheres Eingehen darauf erübrigt 1 7 3 . 171 172
Quelle: See-Berufsgenossenschaft, Stand 1.1.1981. Quelle: Lloyd's Register of shipping, Statistical Tables 1980.
170 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
Für die bislang geltenden Besatzungsstrukturen an Bord konnte diese Entwicklung i n diesem Zeitraum nicht ohne Folgen bleiben. Die Automatisierung veränderte und verdrängte die gewohnten Tätigkeiten an Bord und führte auf Druck der Reedereien zur Reduzierung und Spezialisierung des Bordpersonals. Hierauf soll i m nächsten Kapitel eingegangen werden. 11. Die integrierte Schiffsbesatzung Der Anstoß zur Integration der Decks- und Maschinenmannschaftsdienstgrade kam aus der Fahrt selbst. Die Kapitäne der Container- und Semicontainerschiffe bemängelten i n ihren Reiseberichten vielfach, daß eine hinreichende Beschäftigung der Decksbesatzungen während der Seereisen nur noch eingeschränkt möglich sei 174 . Als Gründe wurden genannt: weitgehendes Fehlen des Ladegeschirrs; vollgestaute Decks; wegen der hohen Schiffsgeschwindigkeit ständiges Spritzwasser über Deck und Aufbauten, sowie Inneneinrichtungen aus schwer entflammbarem Kunststoff, die wenig gepflegt werden mußten. War sonst auf der Ausreise das Ladegeschirr für die bevorstehende Ent- und Beladung obligatorisch bei jeder Reise überholt worden, so fiel diese Arbeit auf den Semicontainerschiffen nur noch geringfügig oder wegen des Fehlens des Ladegeschirrs überhaupt nicht mehr an. Die sonst übliche Arbeit der Decksbesatzung auf der Heimreise, das Konservieren m i t abschließendem Neuanstrich der Decks und Aufbauten, war wegen der nassen Decks und Aufbauten überwiegend unausführbar. Ersatzarbeiten i n den Innenräumen waren durch deren Kunststoffeinrichtungen entbehrlich geworden. Vergleicht man die Schiffe „Alemania" und „Erlangen", so ergibt sich für die „Alemania" i m Jahre 1970 folgende Bilanz: 175 Seetage, 190 Hafentage, gelaufene Jahresdistanz 80 000 Seemeilen; für die „Erlangen" i m Jahre 1978: 304 Seetage, 61 Hafentage, gelaufene Jahresdistanz 150 000 Seemeilen 175 . Angesichts dieser Bilanz ist es nicht verwunderlich, daß die Idee der Verschmelzung der Decks- und Maschinenmannschaftsdienstgrade, die je nach Bedarf des Schiffsbetriebes i m Decks- oder Maschinenbereich eingesetzt werden können, als die Lösung angesehen wurde. Hier trafen 178 Rantzau, Flaggenwechsel i n der deutschen Seeschiffahrt; Leffler, Das Heuerverhältnis auf ausgeflaggten deutschen Schiffen, B e r l i n 1978; v. Petkewitsch, Grundstrukturen der arbeits-, sozial- u n d steuerrechtlichen Stellung deutscher Seeleute auf Schiffen unter der Flagge von Zypern, Bremen 1979; Schelzel, Geschichte der Umflaggungen, Bergen 1979. 174 A u s k u n f t eines Abteilungsleiters einer Reederei an den Verfasser. 175 Telchow, i n : Schiff u n d Hafen/Kommandobrücke, 1/1980, S. 29.
12. Das 18-Mann-Schiff
171
die Interessen des Kaufmanns — die Betriebskosten erheblich zu senken — und die der Schiffsleitung — die Mannschaft, losgelöst von Witterungseinflüssen, optimal einzusetzen — i n geradezu idealer Weise zusammen. I m Jahre 1971 wurde erstmals auf M/S „Erlangen" eine „Integrierte Besatzung", i n der Fachsprache „ M u l t i Purpose Crew (MPC)" oder Mehrzweckbesatzung genannt, eingesetzt 176 . Diese Besatzung hatte nach einer Swöchigen Schulung die Befähigung erworben, als Mannschaftsdienstgrade — sowohl i m Decks- als auch i m Maschinenbereich — jeden Dienst auszuüben 177 . Die Versuchsregelung, die unter Aufsicht der Tarifvertragsparteien — Hapag Lloyd einerseits und ÖTV und D A G andererseits — und der See-BG durchgeführt wurde, ermöglichte so eine Reduzierung u m 13 Besatzungsmitglieder 178 . I m sogenannten Unteroff z.-Bereich wurden die früheren Dienstgrade Bootsmann, Zimmermann und Lagerhalter durch den Schiffsbetriebsmeister, der sich aus einer der drei Laufbahnen durch eine erworbene Zusatzqualifikation 1 7 9 rekrutierte, ersetzt; als neu geschaffener Unteroffz. wurde er das Bindeglied zwischen Mannschaft und Schiffsoffizieren. Der Einsatz von Mehrzweckbesatzungen wurde m i t Erlaß der Richtlinien vom 8. November 1973 durch die See-BG für allgemein zulässig erklärt, wenn das Schiff m i t arbeitserleichternden Einrichtungen (z. B. Mooringwinden) und wartungsarmen Geräten ausgerüstet und zugleich die Mannschaft dafür ausgebildet ist 1 8 0 .
12. Das 18-Mann-Schiff A m 27. 7.1979 schlossen die Tarifparteien 1 8 1 einen Tarifvertrag über die versuchsweise Durchführung eines Projektes „Container-Schiff mit 18-Mann-Betrieb" ab. Dieser Versuch soll einerseits die deutsche Seeschiffahrt i m internationalen Wettbewerb leistungsfähiger machen und andererseits zumutbare Arbeits- und Lebensbedingungen für die See17β Vgl. Organisationsmodell f ü r Hapag-Lloyd-Schiffe m i t integrierter Besatzung, ο. Ν . ο. V. 1974, hrsg. von: Hapag-Lloyd AG, S. 1; siehe auch A n lage 1, 2, 3. 177 Vgl. DAG-Tätigkeitsbericht zum 9. Schiffahrtstag, S. 54. 178 Vgl. Tabelle, oben S. 169. 179 Vgl. Verordnung über die berufliche Fortbildung zum S B M und über den Erwerb des Schiffsbetriebsmeisterbriefes (Schiffsbetriebsmeister-VO v o m 18. 4.1978). 180 Richtlinien f ü r den Mehrzweckeinsatz von Mannschaftsmitgliedern auf Seeschiffen. 181 Zwischen V D R u n d den Gewerkschaften Ö T V u n d D A G ; die D A G hat inzwischen den Tarifvertrag einseitig am 16.11.1981 gekündigt.
172 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
leute erhalten 182 . Die versuchsweise Durchführung soll Erkenntnisse über den Betrieb von Schiffen mit reduzierter Besatzung geben, über Ausdehnung und Fortführung auf andere als die i m Projekt benannten Schiffe. Die i m Vorfeld erlassene Regelung der See-BG verordnete zusätzliche Mindestanforderungen über Unfallverhütung und Schiffssicherheit i m Hafen und auf See 183 . Dieser Versuch w i r d auf vier von der Hapag-Lloyd A G betriebenen Container-Schiffen durchgeführt 184 . Das Einsatzfahrtgebiet ist gemäß § 3 des Tarifvertrages der US-Golf (Häfen der USA i m Golf von Mexiko) und der Nordkontinent (Europäische Häfen der Nordsee). Der Tarifvertrag beinhaltet neben arbeitserleichternden Ausrüstungen, § 5, arbeitserleichternde und soziale Maßnahmen, § 6. Die Kapitäne und Besatzungsmitglieder erhalten zusätzlich zum bestehenden Urlaubsanspruch 1,5 Tage pro Monat Mehrurlaub, § 7. Die Funkoffz. erhalten für die Verwaltungstätigkeit 1 8 5 eine Vergütung von D M 750,—, § 8 Abs. 3 i. V. m. Anlage 7. Der Tarifvertrag endet drei Monate nachdem das vierte Schiff mindestens 15 Monate i n Fahrt gewesen ist. Erneute Verhandlungen der Tarifparteien werden erforderlich, wenn sich wesentliche Einsatzgrundlagen, wie ζ. B. das Fahrtgebiet, ändern, § 10 Abs. 2 und 3 1 8 e . 13. Das Schiff der Zukunft I m Jahre 1972 veröffentlichte der Verband Deutscher Reeder eine Studie: „Das Schiff der Zukunft und seine Besatzung". Ziel der Studie war, ein Schiff zu entwickeln, welches sicher, zuverlässig und wirtschaftlich betrieben werden kann, bei gleichzeitigem Abbau der Seeunfälle und Anpassung der Berufsausbildung an die veränderten Erfordernisse 187 . Gefordert wurde eine integrierte Ausbildung der Fachrichtungen Nautik und Technik zum nautisch-technischen Offizier (ΝΤΟ), aus deren Mitte der Kapitän hervorgehen soll 1 8 8 . I n dem i m Jahre 1976 erschienenen Ergänzungsband w i r d das Ausbildungskonzept des ΝΤΟ dargestellt, wobei für die Erlangung der Leistungsfunktion als Kapitän entweder 182 Präambel zum Tarifvertrag. 183 Regelungen der Seeberufsgenossenschaft v o m 24. 4.1979. 184 2 Containerschiffe sind ζ. Z. m i t einer 18-Mann-Besatzung i n F a h r t ; laut Aussage der Hauszeitung „shore to ship" v o m 15.10.1981 sollen die beiden anderen Schiffe Anfang Dezember 1981 eingesetzt werden. 185 ζ. B. Abfertigung der Behörden i n Häfen, Anfertigung von Listen, A b rechnungen etc. 18e A u f gabenVerteilung auf dem 18-Mann-Schiff, siehe Anhang, Anlage 4. 187 Vgl. S. 7 der Studie. 188 Vgl. S. 20, 21 der Studie.
13. Das Schiff der Z u k u n f t
173
Kapitän Schiffs- u n d Personalführung
1 Naut. Offizier
Ltd. Techn. Offizier
See- u n d Hafenwachdienst, Vorgesetzter der weiteren Naut. Offiziere u n d des Verpflegungsund Bedienungspersonals
instandhaltung i m Gesamtschiffsbetrieb, L e i t u n g der Maschinenanlage, Techn. D o k u mentation, Vorgesetzter des Techn. Offiziers
2 Naut. Offiziere See- bzw. Hafenwache, Ladung, Sicherheit, Navigation, Gesundheitswesen Koch
Techn. Offizier Inspektion, Wartung, Instandsetzung i m ges. Schiffsbetrieb, Vertretung des Ltd. Techn. Offiziers, Rufbereitschaft
Küchenarbeiten, Reinigung der Provianträume während der Reise Bedienungskraft Service, Reinhaltung der Messen, Wohnräume, Gänge Schiffsbetriebsmeister Einsatzleiter der M e h r zweckfachleute u n d deren Vorgesetzter, Wartung, Instandsetzung 3 Mehrzweckfachkräfte See- bzw. Hafenwache, Wartung, Instandsetzung eine A b s c h l u ß p r ü f u n g i n e i n e m S c h i f f s f ü h r u n g s s e m i n a r oder eine E x t e r n e n p r ü f u n g vorgesehen i s t 1 8 9 . D e r a m 14. 3.1978 geschlossene Z u s a m m e n a r b e i t s v e r t r a g „ ü b e r d i e gemeinschaftliche D u r c h f ü h r u n g d e r D e f i n i t i o n s p h a s e des Forschungsu n d E n t w i c k l u n g s v o r h a b e n s " E n t w i c k l u n g e i n e r n e u e n Schiffsbetriebst e c h n i k f ü r das S c h i f f d e r Z u k u n f t 1 9 0 , g e n a n n t A R G E S d Z , z i e l t a u f e i n 189
Vgl. Ergänzungsband, S. 30, 27. Zusammenarbeitsvertrag zwischen den Howaldtswerken — Deutsche Werft A G (HDW) u n d 22 Reedereien u n d Firmen; das Projekt w i r d v o m Bundesminister für Forschung u n d Technologie m i t rd. 30 Mio. D M gefördert. 190
174 I I I . Teil: Seeschiffahrt i n der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
Schiff der 80er Jahre ab, das von einer 12-Mann-Besatzung sicher geführt werden kann 1 9 1 . Das Projekt ist i n ein Nahziel — SdZ 80 m i t einer 12-Mann-Besatzung — und i n ein Fernziel — SdZ 90 m i t einer 6-8Mann-Besatzung — aufgegliedert 192 . Ernsthaft w i r d auch das unbemannte Schiff nach 1990 i n Erwägung gezogen 198 . Für das Nahziel geht man von einem Schiffstyp aus, dessen technische Geräte für eine Ein-Mann-Überwachung und Bedienung ausgelegt sind. Sämtliche Informationen für die Kontrolle der Maschinenanlage gehen i n die Schiffsführungszentrale auf der Brücke, wobei der Maschinenraum von Pier zu Pier unbesetzt bleiben soll. Die für die Beladung und Entlöschung notwendigen Maßnahmen sollen von der Hafenbetriebszentrale gesteuert werden 1 9 4 . Die Funktion des Funkoffiziers soll durch Einbau von neuen Kommunikationsmitteln wegfallen, die verbleibenden Aufgaben soll ein nautischer Offizier m i t funktechnischer Ausbildung wahrnehmen 195 . Die Aufgabenverteilung und die Besatzungsstruktur des SdZ 80 (Nahziel) ist i n der Übersicht auf Seite 173 dargestellt.
14. Zusammenfassung Die i n den 70er Jahren rasant durchgeführte Entwicklung zum zukünftig geplanten und von den Reedern angestrebten „Schiff der Zuk u n f t " w i r d auch nicht vor der Position des Kapitäns, die dieser bislang als Mittelpunkt der seerechtlichen Normen auf einem Handelsschiff noch bekleidet, haltmachen. Die Fixierung sowohl historisch als auch juristisch allein auf den Führer des Schiffes, den Kapitän, ist i n der Praxis längst überholt. Diesem Umstand trägt die Praxis bereits Rechnung. Seit den frühen 70er Jahren w i r d allgemein vom ship-management, dem Kapitän, 1. Offizier und 1. Ingenieur, ausgegangen, die gemeinsam als Teamwork die Leitung auf einem Handelsschiff ausüben19®. Damit ist die herausgehobene Stellung des Kapitäns als „Master under God" einem breitgefächerten, der Technik des Schiffsbetriebes entsprechenden, Teamwork — eben dem ship-management — gewichen.
191
Vgl. A R G E SdZ Bd. 1, S. 101 ff. Vgl. Schaubild Anhang 5, 6. 198 Vgl. ARGE, SdZ Bd. 1, S. 139 ff. 194 A R G E SdZ, Bd. 1, S. 110 ff. 195 Vgl. A R G E SdZ, Bd. 1, S. 104. ΐθβ v g l dazu Anlage 1—3 des Organisationsdiagramms für die integrierte Schiffsbesatzung auf Hapag-Lloyd-Schiffen. 192
Vierter
Teil
Schlufibetrachtung Die Untersuchung hat gezeigt, daß die tatsächliche Stellung des Kapitäns nicht nur von der technischen Entwicklung der Schiffe, sondern auch von der gesellschaftlichen Entwicklung maßgeblich beeinflußt worden ist. Demgegenüber haben sich die deutschen Rechtsvorschriften über den Kapitän i n den letzten einhundertzwanzig Jahren nur wenig geändert. Durch die gewerkschaftliche Organisierung eines Teils der Kapitäne und die darauf beruhende tarifvertragliche Regelung ihrer Arbeitsbedingungen ist seit den 1920er Jahren jedenfalls der prinzipiellen Ä n derung der Verhältnisse insofern Rechnung getragen worden, als der Kapitän nicht mehr als (Mit-)Unternehmer, sondern als Arbeitnehmer, und zwar als leitender Angestellter, behandelt wird. M i t erheblicher Verspätung hat dies auch das Seemannsgesetz von 1958 anerkannt — bezeichnenderweise gegen den Widerstand vieler Kapitäne, welche die veränderte Realität schlicht verleugneten —, aber auch dieses Gesetz führte nicht zu einer Aufhebung der völlig überholten Haftungsregelung für den Kapitän i n §§ 511 ff. HGB, die noch an die Unternehmerstellung des Kapitäns anknüpft. Das Problem der Kapitänshaftung stellt sich i n allen westlichen Ländern gleichermaßen. Eine tarifvertragliche Modifizierung ist i n der Bundesrepublik Deutschland gar nicht versucht worden; über gewerkschaftliche Vorstöße i n dieser Richtung w i r d auch aus anderen Ländern nichts berichtet. Der daraus zu ziehende Schluß, daß die Kapitäne nicht für eine Beschränkung ihrer Haftung gekämpft haben, findet zum Teil seine Erklärung i n der faktischen Nichtgeltendmachung von Ansprüchen gegen Kapitäne. Erst als i m „Himalaya"-Fall diese stillschweigende Übereinkunft aller am See-(fracht)verkehr Beteiligten gebrochen wurde, bemühten sich die Reeder, nicht die Kapitäne, u m die wirksame A b bedingung der Haftung von Kapitän und Besatzung, und zwar i n eigenem Interesse. Infolge des von Rechtsprechung und -lehre entwickelten Freistellungsanspruchs des Kapitäns gegen den Reeder mußten die Reeder nämlich befürchten, daß ihre eigene Freizeichnung von der Haftung unterlaufen würde. Das auf dem Brüsseler Übereinkommen von 1957 beruhende Seerechtsänderungsgesetz von 1972 hat nun die Möglichkeit einer Haftungs-
176
I V . Teil: Schlußbetrachtung
beschränkung für Kapitän und Besatzung geschaffen, jedoch i n einer unpraktikablen Form. Die Rechtsprechung des B G H hat — unabhängig von diesem Gesetz — i m Jahre 1979 die unbeschränkte Kapitänshaftung aus Billigkeitsgründen endgültig beseitigt. Die Anerkennung der Arbeitnehmerstellung des Kapitäns i m Seemannsgesetz von 1958 war zwar ein wichtiger Schritt i n der Anpassung der Rechtsstellung des Kapitäns an die tatsächlich erfolgten sozialen Veränderungen. Aber m i t Beschreibung des Kapitäns als „Führer des Schiffes" hat dieses Gesetz neueren Entwicklungen, die sich Mitte der 1960er Jahre zugegebenermaßen erst andeuten, nicht Rechnung getragen. I n den letzten fünf bis zehn Jahren hat sich die Entwicklung vom Kapitän als alleinigem „Führer des Schiffes" zu einer kollektiven Leitung, dem management of the ship, so beschleunigt, daß diese gesetzliche Vorstellung überholt ist; i n allmählicher Zeit w i r d sich dieser Trend beim 18-Mann-Schiff und i m „Schiff der Zukunft" noch verstärken. A n die überholte Auffassung vom „Führer des Schiffs" knüpfen zahlreiche Rechtsvorschriften nicht nur i m Seemannsgesetz an. Diese Regelungen, die das Verhältnis des Kapitäns zur — die Schiffsoffiziere mitumfassenden — Besatzung betreffen, sind praktisch nicht justitiabel, werden also nicht von Gerichten konzipiert werden können, etwa wie die Haftungsvorschriften. Eine dem 18-Mann-Schiff, vor allem dem „Schiff der Zukunft", das schon i n wenigen Jahren Gegenwart sein wird, angemessene Regelung der Rechtsstellung des Kapitäns w i r d nur der Gesetzgeber schaffen können. Eine Wahrung der Interessen der Kapitäne bei diesem Werk erfordert die frühzeitige Geltendmachung von entsprechenden Forderungen i m Rahmen gewerkschaftlicher Rechtspolitik.
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Anlagen
Wirtschaftspersonal
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Funkoffizier
•
I Realisation
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SHIP-MANAGEMENT I Ka Pitän Ι
Anlage 1: Organisationsdiagramm
184 Anlagen
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Anlage 2: Stellensystemdiagramm (Funktionen-Diagramm)
Anlagen 185
MAINTENANCE
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Anlage 3: System der Zusammenarbeit
18 Anlagen
Anlagen
187
Anlage 4: Projekt Container-Schiff mit 18-Mann-Betrieb Einrichtung, Ausrüstung, besondere Maßnahmen Folgende zusätzliche Einrichtungen und Ausrüstungen müssen vorhanden sein, folgende Maßnahmen sind durchzuführen:
Aufgabenverteilung:
Decksbereich
LTD. TECHN. OFFIZIER Instandhaltung im Gesamt' sehlffsbetrieb. Leitung der Maschinenanlage, Techn. Dokumentation. Vorgesetzter des Techn. Offiziers und des Elektrikers Rufbereitschaft
I. NAUT. OFFIZIER See- und Hafenwachdientt, Vorgesetzter der weiteren Naut. Offiziere und de· Verpflegungs· und Bedienungspersonals
2 NAUT. OFFIZIERE See- bzw. Hafen· wache. Ladung, Sicherheit, Navigation. Gesundheits·
FUNKOFFIZIER Funkdienst, Verwaltungsdienst
TECHN. OFFIZIER Inspektion, Wartung, Instandsetzung Vertretung des Ltd. Techn. Offiziers Rufbereitschaft
KOCH Küchenarbel· ten. Reinigung der Pro· viantrAume während der Reise
SCHIFFSBETRIEBSMEISTER Einsatzleiter der Mehrzweck· fachkrifteund deren Vorgesetzter in einem mit dem KapitAn nachf 107 Abs. 3 SeemG abgestimmten Rahmen, Wartung, Instandsetzung Inspektion
ELEKTRIKER lnspektion Wartung Instandsetzung der E-Anlage
2 BEDIENUNGSKRÄFTE Service, Reinhaltung der Messen, WohnrAume, DutyMesse, Ginge
6 MEHRZWECK. FACHKRÄFTE See· bzw. Hafenwache. Wartung. Instandsetzung
Automatisches Loran C-Gerät Decca Navigator Zweite Kreiselkompaßanlage, gekoppelt mit der Selbststeuerungsanlage Feuerlöschkanonen auf Peildeck und Vormast Berieselungsanlage im Laderaumbereich mit Feuerlöschanschluß am Lukendeckel 1.6 Feuermeldeanlage im Wohnraumbereich 1.7 2 Gas-Säure-Schutzanzüge Umluftunabhängiges Atemschutz1.8 gerät (Preßluftatmer) mit 9600 I Luft 1.9 4 Feuerschutzhelme 1.10 4 Paar Handschuhe und 6 Paar feste Stiefel 1.11 6 Feuerwehrgurte mit Feuerwehrhandäxten, hochspannungsisoliert 1.12 6 schwerentflammbare Kombianzüge (Nomex o. ä.) 1.13 Je 4 Festmacherwinden auf dem Vor- und Achterschiff, davon je 2 Festmacherwinden mit Bandbremse oder gleichwertiger Haltemöglichkeit (Kunstfaserleinen als Festmacher) (Begriff » Festmacherwinde« vgl. Abschnitt A II 6 der Bemannungs-Richtlinien) 1.14 Bugstrahlruder Schwenkbare Gangway für Ein1.15 Mann-Bedienung Mechanisierte Lotsentreppe für 1.16 Ein-Mann-Bedienung 6 tragbare Funksprechgeräte für 1.17 nichtöffentlichen UKW-Funkverkehr 1.18 Leichte und einfache Betätigung von Bedienstellen für Brandschutzklappen und Fernbedienstellen für den 1.19 Alarmeinrichtungen Decks- und Maschinenbereich, angepaßt an den derzeitigen Stand der entsprechenden sicherheitstechnischen Regeln 1.20 Automatisch aufblasbare Arbeitssicherheitswesten 1.20.1 Je eine für den Schiffsbetriebsmeister 1.20.2 Je eine für jedes im Mehrzweckeinsatz tätige Besatzungsmitglied 1.20.3 insgesamt drei für alle Schiffsoffiziere 1.21 Anordnung der Bedienungsstände für die Bootswinden so, daß der Aussetzbereich außenbords für den Bedienenden überschaubar ist. 1.22 Anordnung eines der vorhandenen Rettungsflöße je Schiffsseite so, daß es jederzeit von einer Person ausgebracht werden kann. 1.23 Anordnung der Einbootungsleitern so, daß sie jederzeit von einer Person ausgebracht werden können.
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Schiffsführungszentrale als Arbeitsbereich Brücke und Maschinenüberwachung
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Anlage 5
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zur Eigen- undftl HafenbetriebszTrt^^ Fremdrettung l\l m Erhöhter Brandschutz lund Umfttrderetation
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