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German Pages 376 Year 2000
BERND ROLAND ELSNER
Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht
Schriften zum Völkerrecht
Band 140
Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht Unter besonderer Berücksichtigung der historischen Entwicklung und der Praxis des Selbstbestimmungsrechts der Völker
Von Bemd Roland Elsner
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Elsner, Hemd Roland: Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht : unter besonderer Berücksichtigung der historischen Entwicklung und der Praxis des Selbstbestimmungsrechts der Völker I von Bemd Roland Elsner. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Völkerrecht; Bd. 140) Zug!.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09827-7
Alle Rechte vorbehalten
© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-09827-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
e
Vorwort "When I use a word", Hwnpty Dumpty said, in rather a scornful tone, "it means just what I choose it to mean - neither more nor less." "The question· is", said Alice, "whether you can make words mean so many different things." "The question is", said Hwnpty Dumpty, "which is to be master - that is all." Lewis Carroll, Through the looking-glass, Chapter VI: Hwnpty Dumpty
Diese Arbeit entsprang dem Wunsch des Verfassers, etwas zum Selbstbestimmungsrecht der Völker zu schreiben. Das Thema geht auf einen Vorschlag von Herrn Professor Dr. Brun-Otto Bryde zurück, der, an der Universität Gießen lehrend, geduldig auf die Fertigstellung gewartet hat. Die Arbeit wurde im Sommersemester 1998 vom Fachbereich der Justus-Liebig- Universität Gießen als Dissertation angenommen. Dank gebührt den Gutachtern, Herrn Professor Dr. Brun-Otto Bryde und Herrn Professor Dr. Heinhard Steiger, denen ich das Interesse am Völkerrecht verdanke. Die Arbeit wäre ohne die Unterstützung von Frau Heidrun Becker ungleich mühevoller gewesen. Sie hat mich während meiner Tätigkeit an der Universität Siegen bei der Erstellung der Arbeit immer wieder aufgemuntert und mich mit Tastatur und Drucker unterstützt. Dankbar bin ich ebenso Herrn Professor Ulrich Penski, fiir den ich an der Universität Siegen tätig sein durfte. Die anregenden Gespräche während des Fortschreitens der Arbeit haben mir sehr geholfen. Das Werk widme ich meiner Familie und besonders meinen Eltern, Herbert und Gerda Elsner, die meine Papierberge und so manche Krisenstimmung jahrelang ertragen haben. Kreuztal-Burgholdinghausen, im August 2000
Bernd Roland Eisner
Inhaltsverzeichnis Einleitung ................................................................................................................ 19
Kapitell Der Volksbegriffim allgemeinen Sprachgebrauch A. Die Bezeichnung "people" im Englischen ........................................................... 24
B. ,,Peuple" im Französischen ................................................................................. 27 C. ,,Hapotl" im Russischen ....................................................................................... 28 D. ,,Pueblo" im Spanischen ...................................................................................... 29 E.
,,RENMlN" und ,,MiNzu" im Chinesischen ....................................................... 30
F. "Volk" und ,,Nation" im deutschen Sprachgebrauch ................ .. .. .. ......... .... ......... 30 G. Resümee ............................................................................................................. 33
Kapitel 2 Die Entwicklung des Volksbegriffes im Völkerrecht seit Hugo Grotius bis zur Gründung der Vereinten Nationen A. Der Volksbegriff bei Grotius und Vattel und die Bedeutung des Staates in der Neuzeit ......................................................................................................... 35 I.
"Volk" und "Civitas" bei Hugo Grotius .................................................... 36
n.
"Volk" und ,,Nation" bei Emer de Vattel .................................................. 38
B. Die drei wnwälzenden politischen Erscheinungen in Europa und Amerika, das Nationalitätenprinzip und die Reaktion des Völkerrechtsschrifttwns ............ 39 I.
Revolution, Unabhängigkeit und nationale Befreiung ........ .. ......... ..... .. ...... 39 1. Revolution und Staatsvolk .................................................................... 40 2. Sezession: Thre Rechtfertigung, das Ziel ökonomischer Unabhängigkeit und der territoriale Volksbegriff ............................................... 42 3. Ethnisch-nationale Befreiung ............................................................... 46
n.
Der ethnisch-nationale Volksbegriff auf dem Weg ins Völkerrecht .......... .47 1. Herders Volksbegriffund die Romantik ............................................... 48
8
Inhaltsverzeiclmis 2. Fichte Wld die Politisierung der Idee .................................................... 49 3. Pasquale Stanislao Mancini, sein Prinzip der Nationalität Wld der Einfluß der historischen Rechtsschule .................................................. 50 III. ,,Nationalität" Wld "Civitas": Die Unvereinbarkeit zweier OrdnWlgen...... 54
I. Die Suche nach Spielramn im positiven Völkerrecht ............................ 54 2. Kritik Wld Zweifel ............................................................................... 57 IV. Resümee .................................................................................................. 60 C. Der Volksbegriffzwischen zwei Weltkriegen ...................................................... 61 I.
Die AnerkennWlg der ,,Nation" der Tschechen Wld Slowaken während des Ersten Weltkriegs ................................................................. 62
11.
Vom Nationalitätenprinzip zwn SelbstbestirnmWlgsrecht der Völker ........ 63 I. Lenins "SelbstbestimmWlgsrecht der Nationen": Sprachlich einheitliche Wirtschaftsrämne Wld die Solidarität der Werktätigen................. 67 2. Woodrow Wilson Wld die Vierzehn PWlkte: Der "Consent of the Governed" Wld die europäische FriedensordnWlg ................................. 70 3. Winston Churchills Rückblick: Self-Government im Empire Wld die BefreiWlg der Nationalitäten auf dem Kontinent ................................... 79
III. Und wieder Kritik Wld Zweifel: Das SelbstbestimmWlgsrecht - ein Recht der Nationalitäten? ......................................................................... 85 D. Abschließende StellWlgnahme zwn zweiten Kapitel ............................................ 89
Kapitel 3 Der VolksbegritT in völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere in der Charta der Vereinten Nationen A. Die VölkerbWldsatzung ....................................................................................... 91
B. Die Charta der Vereinten Nationen ..................................................................... 94 I.
11.
Die Intention bei der WortwahJ ................................................................ 96 Der Wlmittelbare Kontext von Art. 1(2) Wld Art. 55 UN-Charta ............... 99 I. SelbstbestirnmWlg - Schutz der Staatsvölker, antidiktatoriale Wld antikoloniale Tendenz ........................................................................ 100 2. ,,Equal rights of peoples" oder "equal rights of nations large and smalI"? .............................................................................................. 104 3. ,,Friendly relations to strengthen universal peace" .............................. 106 4. Art. 55: "Stability", "self-determination", "solutions of economic, social and cultural problems" ............................................................. 109 5. Der verbleibende Grad an Unsicherheit.. ............................................ 110
hthaltsverzeichnis
9
ill. Der Volksbegriff in der UN-Charta im Zusammenhang mit den Hoheitsgebieten in kolonialer oder sonstiger Abhängigkeit ..................... 112 IV. ResÜßlee .............. :................................................................................. 114 C. Die Beratungen der UN-Generalversamrnlung: Ein vetWirrendes Bild ............... 115 I.
Der Dekolonisierungsprozeß, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Resolution 1514 (XV) aus dem Jahre 1960................................. 119 1. Die Formulierung "all peoples" .......................................................... 121
2. Die Bezeichnungen ,,Kolonie" und ,,non-self-governing territory" ....... 123 II.
Der völkerrechtliche Volksbegriff und die Deklaration zu Resolution 2625 (XXV) "Concerning Friedly Relations and Cooperation among States" (1970) ........................................................................................ 127 1. Streit um den Begriff "people" ............................ ............................... 128
2. Territoriale Integrität und politische Einheit... .................................... 131
ill. Resolutionen zum Selbstbestimmungsrecht in den 80er und 90er Jahren ......................................................................................................... 133 IV. ResÜßlee ................................................................................................ 136 D. Möglichkeiten, den Volksbegriff aus anderen völkerrechtlichen Dokumenten abzuleiten ......................................................................................................... 136 1.
Der Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966) ......................... 137 1. Der Volksbegriff - Art. 1 des Paktes .................................................. 137
2. Das Verhältnis zum Minderheitenschutz des Art. 27 ............ ............... 141 II.
Die KSZE-Schlußa1cte von 1975 ............................................................. 143
ill. Das erste Genfer Zusatzprotokoll zu den Rot-Kreuz-Abkommen von 1977 ................................................................................................ 146 IV. Die African (Banjul) Charter ofHuman and Peoples Rights von 1981 ..... 147 V.
Die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes sowie das Abkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung ............................................................................................... 149 1. Die Konvention über die Verhütung und die Bestrafung des Völkermordes (1948) ......................................................................... 149
2. Die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1966) ................................................................................... 151 VI. ResÜßlee (zu Kap. 3 D I-V) .................................................................... 152 VII. Ein Selbstbestimmungsrecht fi1r "indigene Völker" ................................ 152 1. Die ILO-Konventionen über "indigene Völker" (1989) ....................... 153
Inhaltsverzeichnis
10
2. Draft United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples (1994) ................................................................................... 154 3. Resümee (zu Kap. 3 D VII) ................................................................ 156 E. Abschließende Stellungnahme zum dritten Kapitel... ......................................... 157
Kapitel 4 Der völkerrechtliche Volks beg riff in der Staatenprads A. Die Behandlung relevanter Einzelflllle auf internationaler Ebene .............. ......... 160
I.
Vom Nationalitätenprinzip zur Dekolonisierung ..................................... 161 1. "Status ofthe German-speaking element in the province ofBolzano (Bozen)" ............................................................................................ 161 2. Die Tibet-Frage vor den Vereinten Nationen ...................................... 162 3. Die Togo-Frage - Keine Selbstbestimmung fUr die Ewe ..................... 164 4. Südwest-Afrika: Namibia und die Namibianer - Namensgebung bei Kolonialvölkern ................................................................................. 168 5. Ost-Timor und Mayotte - Die Bedeutung kolonialer Grenzen und die Scheingefechte um die ethnische Zugehörigkeit... ......................... 169 6. Resümee ............................................................................................ 172
ll.
Der Schutz des Erreichten und des Bestehenden ..................................... 173 1. Die Krise um den Kongo (zwischenzeitlich Zaire genannt) vor den
Gremien der Vereinten Nationen ........................................................ 173 2. Nigeria, der Biafra-Konflikt und die Reaktion der Staatengemeinschaft ................................................................................................. 174 3. Die Zypern-Frage ............................................................................... 176
rn.
Zweifelhafte Gegenbeispiele fUr ein Sezessionsrecht als eine Form ethnisch-nationaler Selbstbestimmung .................................................... 178 1. Das Beispiel der Loslösung Bangladeschs von Pakistan ...................... 178
2. Die Behandlung des Zerfalls Jugoslawiens in den Gremien der Vereinten Nationen und durch die Staaten der Europäischen Gemeinschaft ..................................................................................... 180 3. Resümee ............................................................................................ 183 IV. Der Schutz des Staatsvolks vor Intervention und Besetzung .................... 185 1. Die Behandlung der Besetzung Afghanistans durch die So\\jetunion .. 185 2. Die vietnamesische Besetzung Kambodschas und die Vereinten Nationen ............................................................................................ 186
Inhaltsverzeichnis
II
3. Die Behandlung der Unterstützung der anti-sandinistischen Aktionen in Nicaragua ................................................................................ 187 V.
Südafrika, Gleichberechtigung und Mehrheitsherrschaft ......................... 187
VI. Die Palästina-Frage vor den Vereinten Nationen und die Selbstbestimmung des palästinensischen Volks ................................................ 189 VII. Eine Rückbesinnung auf die ethnisch-nationale Konzeption? .................. 191 VIII. Resümee ................................................................................................ 194
B. Die Anerkennung von Völkern und Befreiungsbewegungen im Zusammenhang mit Selbstbestirnmungsforderungen .......................................................... 195 I.
Die Anerkennung von Völkern ............................................................... 195
II.
Die Anerkennung von Befreiungsbewegungen ........................................ 198
C. Ansichten der Staaten, insbesondere anhand der Berichte gern. Art. 40 IPBPR............................................................................................................... 200 I.
Die Stellungnahmen der süd- und mittelamerikanischen Staaten ............. 202
1. Volkssouveränität, nationale Einheit, Demokratie und Selbstbestimmung ........................................................................................... 203 2. Externe, staatsschützende Komponente des Selbstbestimmungsrechts ................................................................................................. 204 3. ,,Indigenous populations" und der Volksbegriff................................... 205 II.
Die Position der Vereinigten Staaten sowie der ehemaligen britischen Dominions Australien und Kanada ......................................................... 205 I. Die US-amerikanische Position, eine flexible Antwort auf eine ungeklärte Frage .................................................................................... 206 2. Australien und Kanada, insbesondere die Ost-Timor-Frage und Quebecs Sezessionismus .................................................................... 210 3. ,,Indigenous populations" und der Volksbegriff................................... 214
m.
Die Stellungnahme der Staaten Afrikas .................................................. 216
1. Volkssouveränität und nationale Einheit.. ........................................... 216 2. Ethnische Vielfalt, Selbstbestimmung und der Volksbegriff ............... 217 IV. Die Staaten des Nahen Ostens ................................................................ 219 I. Die Palästinensische Frage ................................................................. 219 2. futegritätsschutz des Staates und das Selbstbestimmungsrecht.. .......... 220
V.
Die Staaten Asiens ................................................................................. 221 I. Die chinesische Position ..................................................................... 221 2. Der indische Subkontinent und der indische Vorbehalt.. ..................... 223
Inhaltsverzeichnis
12
3. Die Philippinen - Dekolonisierung, nationale Souveränität und regionale Autonomie ............................................................................. 224 VI. Die Staaten Westeuropas ........................................................................ 225 1. Die britische Position ......................................................................... 226 2. Die französische Position .................................................. ................. 229 3. Nationalitätenkonflikte in Westeuropa................................................ 231 4. Finnland, die Alandfrage und die "indigenous populations" in Skandinavien ..................................................................................... 233 5. Deutsche Einheit und Selbstbestimmung ............................................ 233 VII. Die osteuropäischen Staaten .................................................................... 235 l. Die Tschechen und Slowaken vor dem Zerfall .................................... 235
2. Es war einmal: Selbstbestimmung in Jugoslawien .............................. 235 3. Es war einmal: Selbstbestimmung in der UdSSR und Selbstbe-stimmung in der Russischen Föderation .................................................... 237 VIII. Resümee ................................................................................................ 239 D. Die Haltung der Generalsekretäre der Vereinten Nationen ................................ 240 E. Abschließende Stellungnahme zum vierten Kapitel ........................................... 241
Kapite/5 Internationale richterliche, schiedsrichterliche und gutachterliche Stellungnahmen A. Ethnische Aspekte in der Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Ge-
richtshofs: Eine geänderte Betrachtung des Staatsvolks ..................................... 245 I.
Das Gutachten des Ständigen Internationalen Gerichtshofs in der Angelegenheit "The Greco-Bulgarian 'Communities'" (1930) ................ 246
11.
Minority Schools in Albania - "Genuine and effective equality" (1935) .................................................................................................... 248
III. Minderheitenschulen in Oberschlesien (,,Rights of Minorities in Upper Silesia"): Wer gehört zu einer Minderheit? (1928) ....................... 249
IV. Resümee ................................................................................................ 251 B. Selbstbestimmung und Rechtsträger beim Zerfall staatlicher Strukturen: Ein unklares Prinzip und sein unbestimmter Nutznießer .......................................... 251 I.
Gutachten, Entscheidungsvorschlag und Entscheidung des Völkerbunds in der Aland-Frage ....................................................................... 252 1. Die Beurteilung der Streitigkeit durch die Gutachter (1920) ............... 253 2. Der Entscheidungsvorschlag der Berichterstatter (1921) ..................... 256
Inhaltsverzeichnis TI.
13
Die Gutachten der Schiedskommission der "Conference on Yugoslavia" ........................................................................................................ 259 1. Das Ende Jugoslawiens - Wann zerfallt ein Bundesstaat? (1991) ....... 259 2. Selbstbestimmung von Serben und Kroaten in Bosnien-Herzego-
wina? (1992) ...................................................................................... 260 3. Die Völker im Staat, das Ideal der Civitas und der Wille der Bevölkerung (1992) .................................................................................... 263
m.
Resümee ................................................................................................ 264
C. Die Dekolonisierung und ihre Folgen im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht ....................................................................................................... 265 I.
Das Namibia-Gutachten von 1971 - Dekolonisierung und Selbstbestimmung ............................................................................................... 265
TI.
Das Gutachten zur Zugehörigkeit der West-Sahara (1975): Die fehlende Rechtsfahigkeit der Nationalität und die Rolle der UN-Generalversammlung bei der Bestimmung des Trägers des Selbstbestimmungsrechts ........................................................................................... 266
m.
Die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs zu Ost-Timor (1995) .................................................................................................... 269
IV. Der Disput zwischen Guinea-Bissau und Senegal über die maritime Grenzziehung - Die Unabhängigkeitsbewegung, die Unterstützung durch die Bevölkerung und die internationale Anerkennung als rechtlich relevante Faktoren (1989) ........................................................ 270 V.
Das Prinzip "uti possidetis" und das Selbstbestimmungsrecht der Völker in der Entscheidung im Grenzstreit zwischen Burkina Faso und Mali (1986) ..................................................................................... 272
VI. Resümee ................................................................................................ 275 D. Selbstbestimmungsrecht, Interventionsverbot und die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs in der Frage der militärischen Aktivitäten in Nicaragua (1986) ........................................................................................................ 275 E. Der Schutz indigener Völker, insbesondere der Rechtsschutz vor dem Komitee des Paktes über bürgerliche und politische Rechte ....................................... 277 I.
Der Cayuga Indians Claim Case (1926) .................................................. 277
TI.
Report der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte bezüglich der Situation "of a Segment of the Nicaraguan Population of Miskito Origin" (1983) ........................................................................... 278
m.
Die Rechtsprechung des Menschenrechtskomitees des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte ........................................ 281
IV. Resümee ................................................................................................ 283 F. Abschließende Stellungnahme zum ftlnften Kapitel... ........................................ 283
Inhaltsverzeichnis
14
Kapite/6 Zusammenfassung und Schlußfolgerungen: Selbstbestimmungsrecht, Volk und Völkerrecht A. Zusanunenfassung ............................................................................................. 290 I.
Historische Perspektive .............................................. .... ........................ 290
n. m.
Das Zeitalter der Vereinten Nationen ..................................................... 294 Das Schicksal des Nationalitätenprinzips - Die Trennung zwischen Minderheitenschutz und Selbstbestimmungsrecht ................................... 295
IV. Abschließende Bemerkungen zur Zusanunenfassung .............................. 296 B. Die drei Aspekte der politischen Selbstbestimmung sowie die Einbindung in das und die Entbindung aus dem Staatsvolk ...................................................... 299 I.
Das Transformationsprinzip und die Beurteilung von Unabhängigkeitsforderungen..................................................................................... 300 l. Gründe, die Einbindung in ein Staatsvolk zu verneinen ...................... 301
a) Vorliegen eines ,,non-se1f-governing territory" ........................ 301 b) Zerfallsprozesse, Auflösung von Staatlichkeit.. ....................... 302 c) Fehlende Repräsentation von Bevölkerungsteilen durch die Regierung............................................................................... 303 d) Unversöhnlicher Konflikt zwischen Teilen der Bevölkerung ... 303 e) Beharrliche Verletzung oder Mißachtung von unveräußerlichen Rechten der Bevölkerung durch die Regierung ............. 304 2. Die Rahmenbedingungen für eine Selbstbestimmungsforderung ......... 306 a) Das relevante Territorium ....................................................... 306 b) Der Wille der Territorialbevölkerung zur Sezession ................ 307 c) Die Existenz einer politischen Organisation der Bevölkerung ....................................................................................... 307 d) Funktionsbeschreibung des bestehenden Staates, Bindungen der Bevölkerung und des Territoriums an die Bevölkerung und das Territorium des Staates .............................................. 307 3. Die Behandlung einer Selbstbestimmungsforderung durch die Staatengemeinschaft ................................................................................. 308 II.
m.
Das Integritätsprinzip ............................................................................. 311 Das Repräsentationsprinzip .................................................................... 312 l. Die Form der Repräsentation: Demokratie? ........................................ 313
2. Das "Volk" im Staat - Wer zählt zum Staatsvolk? .............................. 316
Inhaltsverzeichnis
15
a) Demokratie oder Etlmokratie: Die Frage der Staatsangehörigkeit ....................................................................... ............. 317 b) Die Rechte der Bevölkerungsteile, denen die Staatsangehö-
rigkeit fehlt .................................. .......................................... 319 C. Abschließende Bemerkungen ................... ............................................... .......... 319
Nachtrag zum Kosovo-Konflikt anläßlich der Veröffentlichung ......................... 323 Literaturverzeichnis ............................................................................................. 331 Auswahl zitierter Dokumente .............................. ................................................. 352 Behandelte Entscheidungen, Gutachten und ähnliches ....................................... 355 Personen- und Sachverzeichnis ............................................................................ 357
Abkürzungsverzeicbnis 1 AJIL
AöR APODETI ArchVR BYIL
American Journal ofInternational Law Archiv des öffentlichen Rechts Associaco Popular Democratica de Timor Archiv des Völkerrechts The British Yearbook of International Law
EPIL esp. EuGRZ FAO
FCO
cap. chap. chin. CSCE
caput FR chapitre/chapter Fretelin chinesisch Conference for Security and Corporation in Europe GYIL
Dep. doc. DÖV
Department document Die öffentliche Verwaltung Uni ted Nations Department For Policy Coordination and Sustainable Development Deutsches Verwaltungsblatt
DPCSD
DVBI
EA EG EJIL Encycl. Brit. EP
Encyclopedia ofPublic International Law especially Europäische GnmdrechteZeitschrift Food and Agricultural Organization ofthe United Nations Foreign and CommonwealthOffice Frankfurter Rundschau Frente Revolucionaria de Timor Leste Independente German Yearbook of International Law
Hist. Zeitsehr. Historische Zeitschrift Havard Law Review HLR IACHR. ICJ ICJL
ICLQ Europa Archiv Europäische Gemeinschaft IGH European Journal ofInter- ILC national Law ILM Encyclopedia Britannica EP and Others v. Columbia
Inter-American Commission on Human Rights International Court of Justice Indian Journal ofInternational Law International and Comparative Law Quaterly Internationaler Gerichtshof International Law Commission International Legal Materials
1 Dieses Abkürzungsverzeichnis fiIhrt weniger gebräuchliche Abkürzungen auf. Auf die Erläuterung allgemein gebräuchlicher Abkürzungen wurde verzichtet. Es wird allgemein hingewiesen auf Duden, Die Rechtschreibung, sowie Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache.
)\b~gsverzeic~s
ILO ILR InfÄuslR IPBPR
KPCh
International Labour Organization International Law Reports Infonnationsbrief )\usländerrecht Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
KSZE
Kommunistische Partei Chinas Konferenz ftlr Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
lib. liv.
liber livre
NILR
Netherlands International LawReview Number Nordrhein-Westfalen Nationalsozialistische Deutsche hbeiter-Partei Neue Zürcher Zeitung
No. NRW NSDM NZZ 0)\8 O)\U OSZE
OVG p. PCll PKK PLO pp. RdC Rdnr.
2 Elsner
Organization of j\merican States OrganizationofMiican Unity Organisation filr Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Oberverwaltungsgericht Page Pennanent Court ofInternational Justice partya Karkeren Kurdistan (Kurdische hbeiterpartei) Palestine Liberation Organization pages
RDS
Res. RGBI. RGDiP
sero SFRY span. spec. supl. StIGH SWMO
17 Recueil Dalloz Sirey - De Doctrine de Jurisprudence et de Legislation Resolution Reichsgesetzblatt Revue Generale de Droit International Public series Socialist Federative Republic of Yugoslavia spanisch special supplement Ständiger Internationaler Gerichtshof South West Miican People's Organization
UdS8R1USSR Union der Sozialistischen Sowjet Republiken; Union of Soviet Socialist Republics UDT Uniäo Democratica Timorense UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization v. VRÜ
versus Verfassung und Recht in Übersee
WHO
World Health Organization
Y. U.N.
Yearbook of the United Nations Yearbook of the Human Rights Committee Yearbook of the International Law Commission
YHRC YlLC ZaöRV
ZfA. Receuil des Cours ()\cade- ZVR mie de Droit International) Randnummer
Zeitschrift filr ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift filr hbeitsrecht Zeitschrift filr Völkerrecht
Einleitung ,,All peoples have the right of self-determination. By virtue of that right they freely detennine their politica1 status and freely pursue their economic, social and cultural development. " Art. 1 Absatz 1 des Internationalen Paktes
über bürgerliche und politische Rechtel ,,(E)veryone knows that 'the People', understood as an entity transcending particular individuals alive at any one moment, died long ago, just a little after God did. The benighted enIightenment, which brought God low, raised the People to His majuscular place, only to sutTer His fate." Jed Rubenfeld, Professor an der Yale Universität2 "Juridica11y, the notion of a legal 'right' of self-determination is nonsens - for can ex hypothesi (an) as yet juridically nonexisting entity be the possessor of a legal right?" Sir Richard Fitzmaurice, ehern. Richter am Internationalen GerichtshoF
"Websters New Encyclopedic Dictionary" aus dem Jahr 1996 beschreibt auf Seite 1180, was man sich unter einem "weasel word" vorzustellen hat. Ein "weasel word" bedeutet "a word or statement that is deliberately vague, ambiguous, or misleading [from the weasel's reputed habit of sucking the contents from an egg while leaving the shell superficially intact]". "Volk" ist ein solches "weasel word". "Volk" im Recht ist eine Bezugsgröße, deren Verständnis und Funktionsweise wir nicht abstrakt aus sich selbst zu erklären vermögen. Und dennoch scheint es seit dem späten 18. Jahrhundert unser verfassungsrechtliches Denken zu dominieren. Dies konnte natürlich nicht ohne Auswirkungen auf das Völkerrecht bleiben. Doch trotz aller philosophischen und anthropologischen4
1 BGBI.
n 1973, S. 1543 f.
2 Ruben/eld,
Reading the Constitution, S. 1146 f. The United States and SeIf-Determination, S. 16; oder Henkin u. a., International Law, S. 281. 4 Dies sollte man als "cultural anthropology" verstehen, denn es scheint, als verstünde man im Deutschen etwas anderes darunter. Vgl. Sentker, 'Anthropology' heißt nicht Anthropologie, Deutscher Irrtum. 3 Nach Pommerance,
20
Einleitung
Überlegungen bleibt es - soweit es nicht um das Staatsvolk geht - als reale Größe nicht idealisierbar und als Idee nicht real. Die latente Spannung zwischen Idealen und Lebenswirklichkeit entlädt sich in einem komplexen politischen Wirkungsfeld. Das Volk ist wahlweise Ausgangspunkt oder Zuordnungspunkt politischer wie rechtlicher Überlegungen und Forderungen. Die Bezeichnung "Volk" ist nicht nur Gegenstand völkerrechtlicher oder allgemein rechtlicher Überlegungen, sie ist z. B. auch Thema vielfältiger politischer, soziologischer oder historischer Untersuchungen. Der Völkerrechtler muß sich die Bezeichnung also mit einer großen Zahl anderer Beobachter und schließlich auch mit der Allgemeinheit teilen. Doch fragt sich, ob es sich tatsächlich stets um denselben Begriff handelt. Es könnte sich ja auch bloß um dasselbe Wort handeln. Das wäre bedauerlich, aber mangels Bereitschaft zum Wechsel des Wortes nicht tragisch, wenn man überhaupt wüßte, wie der Begriff für die relevanten völkerrechtlichen Rechtssätze zu definieren ist. Für das Selbstbestimmungsrecht besteht insoweit erheblicher Klärungsbedarf. 5 Weniger große Probleme bereitet das "Staatsvolk". Dieses definiert man z. B. wie folgt: ,,Das Staatsvolk wird von den physischen Staatsangehörigen (Menschen) gebildet. Darunter versteht man alle der Personalhoheit eines bestimmten Staates unterstehenden Personen, unabhängig davon, ob sie sich innerhalb oder außerhalb des Staatsgebietes befmden. ,,6
5 Man denke nur daran, daß man sich künftig wegen einer schwerwiegenden Verletzung des Selbstbestimmungsrechts strafbar machen könnte. Da wäre es doch sehr hilfreich, wenn man wüßte, wer als "Opfer" in Frage kommen könnte. - Immerhin heißt es in Artikel 19 [3. (b)] des Entwurfs der International Law Commission zur Staatenverantwortlichkeit: ,,[A]n international crime may result, inter alia, from: [ ... ] (b) a serious breach of an international obligation of essential importance for safeguarding the right of self-determination of peoples, such as that prohibiting the establishment or maintenance by force of colonial domination [... ]" (Yearbook of the ILC 1976 II/2, S. 95.) 6 Fischer/KtJck, Allgemeines Völkerrecht, S. 93. - Zur Staatsangehörigkeit führt der IGH im Fall Nottebohm aus: ,,According to the practice of States, to arbitral and judicial decisions and the opinions ofwriters, nationality is a legal bond having as its basis a social fact of attachment, a genuine connection of existence, interests and sentiments, together with the existence of reciprocal rights and duties." (Nottebohm Case (Liechtenstein v. Guatemala)/Judgment vom 04.04.1955, ICJ Reports 1955, S. 4 fT., hier S. 23.) - ,,[N]ationality has its most immediate, its most far-reaching and, for the most people, its only efTects within the legal system of the State conferring it. Nationality serves above all to determine that the person upon whom it is conferred enjoys the rights and is bound by the obligations which the law of the State in question grants to or imposes on its nationals. This is implied in the wider concept that nationality is within thedomestic jurisdiction ofthe State." (Ebd., S. 20.)
Einleitung
21
Es ist Sache jedes souveränen Staates, die Staatsangehörigkeit zu regeln. 7 Wir werden uns nicht vorwiegend mit dem Staatsvolk beschäftigen, können aber seine Existenz voraussetzen und annehmen, daß man zum Staatsvolk einiges sagen könnte. Wir begeben uns vielmehr auf die Suche nach dem "Volk" im Völkerrecht, dessen begriffliche Existenz uns mit der Bezeichnung "Selbstbestimmung der Völker" suggeriert wird. Obwohl es nicht Ziel unserer Suche ist, werden wir dennoch immer wieder auch auf das Staatsvolk stoßen. Aus der Grundannahme der Existenz von Völkern und eines Selbstbestimmungsrechts der Völker entspringen Fragestellungen staatsinterner und zwischenstaatlicher Natur. Ist das "Volk" als abstrakte Kategorie rechtlich relevant, so muß es definierbar sein, so glaubt man. 8 Begriffe und Definitionen erleichtern uns durch die mit ihnen verbundene Abstraktion die Beurteilung einer Vielzahl unterschiedlicher Zustände und Geschehnisse nach einem relativ einheitlichen Maßstab. ,,Die Grundlage für alle wirkliche Erkenntnis gibt die Abstraktion, die erste Entfaltung des Denkens im Begriff. ,,9 ,,Entwicklungsmäßig betrachtet, ist der Begriff die in ein Wort verdichtete Abstraktion, die in einer Wahrnehmung oder mit Hilfe einer stützenden Vorstellun§ als eine innere Bewußtseinseinheit wesentlicher Seinsmerkmale gewonnen wird." 0
Der Begriffsbildung liegt also ein gewisser Grad an Verallgemeinerung zugrunde. Entscheidend ist die Abstraktion, denn sie verknüpft den Begriff mit der Realität und der Vorstellung. Realität und Vorstellung wirken auf den Begriff ein. Dieser kehrt aber den Abstraktionsvorgang auch um und läßt die Realität dann im Lichte des Begriffs erscheinen. Der Volksbegriff im Völkerrecht muß also die Abstraktion völkerrechtlich relevanter Wirklichkeit sein, an die rechtliche Schlußfolgerungen geknüpft werden. Es genügt nicht, lediglich festzustellen, daß der Begriff in einer gewissen Weise zu definieren sei. Es ist vielmehr auch erforderlich, den Begriff so zu definieren, daß er die Realität ausreichend erfassen kann und nur das zur Rechtsanwendung führt, was völkerrechtlich erfaßt werden soll. Die Begriffsbildung ist deshalb auch ein rationaler, zweckorientierter Akt. Der Volksbegriff hat eine spezifische Funktion zu erfiillen. Dies beeinflußt notwendigerweise den Abstraktionsvorgang. Die Definition 11 des Begriffs ist nicht Selbst-
Ebd., S. 20. Self-Determination, S. 63, Rdnr. 27. 9 Holzamer, Philosophie, S. 61. 10 Ebd., S. 62. 11 ,,Definieren heißt ursprünglich abgrenzen, also einen bestimmten Gedankeninhalt von einem anderen klar und deutlich unterscheiden." (Ebd., S. 63.) 7
8 Doehring,
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Einleitung
zweck. 12 Zwecksetzung im Recht erfolgt innerhalb des jeweiligen Rechtssysterns. Der Volksbegriff des Völkerrechts ist daher vor allem auch von den Zielen und Zwecken des Völkerrechts abhängig. Die vorliegende Arbeit verfolgt deshalb nicht (mehr) das Ziel, den Volksbegriff außerhalb des Rechts zu suchen oder zu erforschen. ,,Follow me!" were the next words I heard, [... ] At another time I might have doubted the evidence of my eyes, or at last have feit some astonishment: but, in this strange scene, my whole being seemed absorbed in strong curiosity as to what would happen next. " Lewis Carrol, Sylvie and Brunoj Chapter V, A Beggars' Palacel
12 13
Kraas-Schneider, Bevölkerungsgruppen und Minoritäten, S. 45. Carroll, The Complete and Dlustrated Lewis Carroll.
Kapitell
Der VolksbegritT im allgemeinen Sprachgebrauch "Und wer der Geschichte der Sprachen vertraute, wurde am Wesen der Sprache irre, denn die Vielfalt der Sprache tritt in jedem Idiom, in jedem Wort bestürzend hervor. Der sprachliche Ausdruck ist ungenau und wandlungsfiihig; schon in der gleichen Sprache hat ein Ding viele Namen, und in verschiedenen Sprachen kennt man fiI.r die gleiche Sache verschiedene Wörter, fiI.r verschiedene Dinge gleiche Bezeichnungen. " Arno Borst, Der Turmbau von Babel l ,,Die Bedeutung eines Wortes ist keine natürliche Eigenschaft, die der Mensch entdecken kann; eine Bedeutung wird mit einem Wort von Menschen verbunden, die übereinstimmend der Meinung sind, daß es diese Bedeutung haben soll. [ ... ] Ein Wort hat eine Bedeutung, wenn es eine Konvention gibt, die ihm seine Bedeutung verleiht. " Wesley C. Salmon, Logik und Sprache2
Die Möglichkeit, Wörter in verschiedene Sprachen zu übersetzen oder in anderen Sprachen ein Wort mit ähnlichem oder gleichem Bedeutungsinhalt zu finden, ermöglicht uns, sprachenübergreifend Begriffe zu prägen oder sie sprachenübergreifend zu veIWenden. Das bedeutet jedoch nicht, daß die jeweilige Übersetzung eines Wortes auch den selben Bedeutungsumfang hat, wie er dem Wort in der Ausgangssprache zukommt. Wird aber ein Diskurs in mehreren Sprachen geführt, so gleichen sich die Bezeichnungen inhaltlich an. Hat die Bezeichnung "Volk" allerdings überhaupt eine natürliche, sprachübergreifende Bedeutung, die auch im rechtlichen Kontext zu beachten ist?3 Das hängt davon ab, in welcher Weise die Bezeichnung "Volk" gebraucht wird. 4 Da der Gebrauch des Wortes grundsätzlich frei ist, kann es auch mehrere Bedeutungen geben, die wir mit ihm er- oder begreifen.
1
Bd. IV, Schlüssse und Übersichten, S. 1971.
Salmon, Logik, S. 240 ff. (247 f.). 3 So z. B. Bring, Kurdistan and the Principle of Self-Determination, S. 165; Thierry, 2
L'6volution du droit international, S. 167 f. (,,Faute que le concepte de peuple dit 6t6 d6fmi en droit international il y a bien se r6f6re au sens ordinaire de ce terme."). 4 Für den Philosophen Ludwig Wittgenstein ist der Gebrauch des Wortes in der Sprache seine Bedeutung. (Wittgenstein, Das blaue Buch, S. 60.)
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Kapitel I: Der Volksbegriffim allgemeinen Sprachgebrauch
A. Die Bezeichnung "people" im Englischen Die Bezeichnung "people" ist im Englischen in vielfaltiger Art und Weise verwendbar. Die "Encyclopedia Britannica" von 1911 fUhrt aus: ,,People, a collective term for persons in general especially as forming the body of persons in a community or nation, the 'folk' ."s
In Nachschlagewerken unserer Zeit heißt es: ,,A body ofpersons composing a community, tribe, race or nation; = Folk [ ... ] sometimes viewed as a unity, sometimes as a collective ofnumber.,,6
"The aggregate of human beings living under the same government, speaking the same language, or being of the same blood: a general term, used when the technical terms race, tribe, nation or language would be misleading."7
Die ethnische Zuordnung ist einer der möglichen Bedeutungsinhalte der Bezeichnung "people": ,,[A] body ofpersons that are united by a common culture, tradition, or a sense of kinship though not necessarily by consanguinity or by racial or political ties and that typically have common language, institutions, and beliefs. ,,8 ,,[A] race; nation.,,9 ,,A race is a division of mankind in the line of origin and ancestry. ,,10 "The term people is used ethnologically to mean folk having the same linguistic and cultural origins, the same customs, traditions, and beliefes, and usually the same geographie distribution: as distinguished from political affiliations or physical origins. ,,11
Auch ein am Territorium orientierter Begriff findet sich im Englischen, wenn das Wort "people" gewählt wird: "Whole body of persons inhabiting one country, and forming a race, nation, community.,,12 ,,[H]uman beings making up a group or assembly: persons linked by a common factor: as [ ... ] the members ofa geographically distinct community. ,,13
SThe Encyclopaedia Britannica, A Dictionary (1911), S. 126. 6The Oxford English Dictionary, Bd. XI, S. 504. 7 Funk & Wagnalls Standard Dictionary, Bd. 2, S. 934. 8 Webster' s Third New International Dictionary, Bd. 2, S. 1673. 9 Dictionary ofContemporary English, S. 804. 10 Funk & Wagnalls Standard Dictionary, Bd. 2, S. 935. 11 Ebd, S. 935. 12The Universal Dictionary ofthe English Language, S. 847. 13 Websters Third New International Dictionary, Bd. 2, S. 1673.
A. Die Bezeichnung "people" im Englischen
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,,A people is the aggregate of any public community, either in distinction from their rulers or as including them". ,,A community is the aggregate of persons inhabiting any territory in common and having common interests".14
"People" bezeichnet aber ebenso das Staatsvolk: "The whole body of enfranchised or qualified citizens, considered as the source of power, esp. in a democratic state, the electorate.,,15 ,,[T]he body of enfranchised citizens of a state.,,16 ,,[A]ll the persons forming a State.,,17 "Whole body of persons forming a community or state, and regarded as the foundation, source ofpower, ofthe State.,,18 "The whole body of persons composing astate or nation, or that part of the fopulation invested with political rights: the enfranchised: the people ofthe state. "I
Die englische Bezeichnung "people" erfaßt also sowohl das Staatsvolk, als auch gegebenenfalls ethnische Gruppen. 20 Es gibt statistische Analysen, die über die Häufigkeit der Verwendung der verschiedenen Bedeutungsinhalte Auskunft geben. Danach bezeichnet "people" in 28 % der Fälle "race" oder "nation", in 38 % der Fälle "any defined group" und in 21 % "people in a political sense".21 Schon 1792 stellte Joel Barlow fest, das Wort "people" habe in Amerika eine andere Bedeutung angenommen als in Europa. In Amerika meine es die gesamte Gemeinschaft und jedes menschliche Wesen in der Gesellschaft. In Europa bezeichne es etwas, das sehr viel schwerer zu definieren sei. 22 Denkt man sich den identitätsstiftenden Staat hinweg, so bleiben die Menschen in Europa "Völker", der individualistische Amerikaner aber bleibt "Volk" mit den anderen oder gegen sie. Gleichwie, so erfaßt ihn doch auch dann der englische Sprachgebrauch als "people".
14 Funk & Wagnalls Standard Dictionary, Bd. 2, S. 935. 15 The Oxford English Dictionary, Bd. XI, S. 505. 16 Web sters Third New International Dictionary, Bd. 2, S. 1673. 17 Dictionary ofContemporary English, S. 804. 18 The Universal Dictionary ofthe English Language, S. 847. 19 Funk & Wagnalls Standard Dictionary, Bd. 2, S. 934. 20 Heidelmeyer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 255. 21 A General Service List ofEnglish Words, S. 355. 22 Nach Wood, The Creation ofthe American Republic, S. 607. - Und Wood merkt an: "The people were not an order organically tied together by their unity of interest but rather an agglomaration of hostile individuals coming together for their mutual benefit to construct a society."
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Kapitell: Der Volksbegriffim allgemeinen Sprachgebrauch ,,Men or women indefmitely; men and women; persons, folk. Construed as pI. In phr. of all people, an expression suggesting that no one more could be involved. ,,23
In den Vereinigten Staaten, dem Zufluchtsort der SchiftbIiichigen, Entrechteten und Heimatlosen,24 fehlt eine bindende, alle umfassende Kraft neben der des politischen Gemeinwesens. Zwar suggeriert die Vorstellung eines "meltingpot of populations", daß es darum ginge, bestehende Substanz in etwas neues umzuformen, doch ist das "Neue"2s nicht wesensgleich mit den verschmolzenen Identitäten. Es dürfte richtiger sein, sogar zu bestreiten, daß das Eingeschmolzene zu einem Wesen Namens "Volk" wird, denn der Einzelne erkaltet nicht in der Masse, er bleibt stets Individuum. Sicherlich ist mit "people" nicht eine beliebige Menschenansammlung gemeint, soweit die Bezeichnung rechtliche Bedeutung haben soll. Doch ist das Individuum in der Gesellschaft ("people") nicht beliebig, sondern von entscheidender Bedeutung. Das Recht hat lediglich die Aufgabe, daraus die angemessenen Schlußfolgerungen zu ziehen. Wichtig ist - was Hannah Arendt zu Recht betont -, daß bei einem solchen Verständnis eine unmittelbare BIiicke zwischen Individuum und staatlicher Gewalt bestehen bleibt und kein "Volk" zum dominierenden Mediator zwischen Individuen und Staat wird. 26 Das Englische pflegt noch heute die "people" als einen Plural, der menschliche Individualität bezeichnet. 27 In anderen Sprachen wird von einer solchen Wortbedeutung demgegenüber kaum Gebrauch gemacht, obwohl sie auch dort ursprünglich vorhanden war oder es auch heute noch ist.
23 The Oxford English Dictionary, Bd. XI, S. 505. 24,,[A] 'resting-place' for many and an asylum for exiles." (Arendt, The Live ofthe Mind, Willing, S. 206.) 2S "The new Rome", "the new order (Novus Ordo Sec1orum)". (Arendt, ebd., S.207.) 26 Schiebt man"das Volk" zwischen Staat und Individuum, so verliert das Individuum an Bedeutung. ,,Die Fragwürdigkeit dieser Verschmelzung liegt darin, daß der Mensch sich kaum als ein von allen Autoritäten gelöstetes und aus allen Bindungen herausgelöstes, völlig isoliertes Wesen etabliert hatte, das seine ihm eigentümliche Würde, die neue Menschenwürde, nur in sich selbst vorfand, ohne jeden Bezug zu einer anderen, höheren und umgreifenden Ordnung, als er aus dieser Isolierung auch schon wieder verschwand und sich in das Glied eines Volkes verwandelte." (Arendt, Elemente Totaler Herrschaft, S. 41.) 27 Worauf Bryde, der dem Begriff "Volk" in verfassungsrechtlicher und auch europarechtlicher Hinsicht besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat, immer wieder hinweist. - ,,In English, 'people' is both a singular and a plural [ ... ] The understanding of people as a plural is more than a peculiarity of the English language." (Le Peuple Europeen and the European People, S. 251; siehe auch: Bryde, Die bundesrepublikanische Volksdemokratie, S. 312.)
B. ,,Peuple" im Französischen
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B. "Peuple" im Französischen Verschiedene Bedeutungen lassen sich auch für "peuple" im Französischen nachweisen. Schon in der Encycloped.ie, die herausgegeben von Diderot und d' Alembert Maßstäbe setzte, heißt es unter "peuple": ,110m collectif difJicile a definir, parce qu'on s'en fonne des idees differentes dans les divers lieux, dans les divers tems, & selon la nature des gouvernemens.,,28
Zunächst kennt auch der französische Sprachgebrauch den ethnischen Volksbegriff: ,,Ensemble de personnes qui, n'habitant pas un meme territoire mais ayant une meme origine ethnique ou une meme religion, ont le sentiment d'appartenir a une meme communaure. ,